2 N at, 1, I 4 irg- ZU GÖTTINGEN IMSEPTEMBER 1854. ERSTATTET VON DEN GESCHÄFTSFÜHRERN DERSELBEN BAUM um LISTING. GÖTTINGEN. re BEI VANDENHECK UND RUPRECHT. 1860. AMTLICHER BERICHT ÜBER DIE EIN UND DREISSIGSTE VERSAMMLUNG DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE ZU GÖTTINGEN IMSEPTEMBER 1854. ERSTATTET VON DEN GESCHÄFTSFÜHRERN DERSELBEN BAUM wm» LISTING. MIT ABBILDUNGEN IN HOLZSCHNITT. GÖTTINGEN. BEI VANDENHECK UND RUPRECHT. 1860. F DWaka sic C Be a Br ö u Be - | e* ° B3; ayaumaraaN aan eo a aan. ur MERNy: ti Ya Sr x Wi; I N Bd | Bau! Ze NAT m Er: R 3 “ dir iR n j er AA fi } : \ TER | (4 ei - Be u Bi Es Birne Dr De 14 A Kanaren Be ar ei: 8 ana Aet SV ie IA Y E® } Br tere RE: u > vv. = REG 23 Kuna 1daı ’ or) K3° fe h Voszew ort. Die Einsendungen der Vorträge, die bei der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Göttingen gehalten wurden, erfolgten in: so spärlichem Maasse, die Berichte über die Verhandlungen einzelner Sectio- nen erschienen uns so kurz und ungenügend, dass wir lange anstanden, den Bericht überhaupt drucken zu lassen. Die rasche Aufeinanderfolge indess der Berichte der Versammlungen in Wien, Bonn und Carlsruhe haben uns so ernst an unsere Verpflich- tung erinnert, dass wir uns entschlossen haben, zu geben soviel wir empfingen. Wir bitten daher alle Mitglieder und Theilnehmer der Versammlung zu Göttingen, die Verspätung dieses Berichts zu entschuldigen. Göttingen den 28. Februar 1860. Baum, Listing, u Mal - er uen b - . Br) B x hr ’ Y D x % 3 E. = a Ne BEN D / u ’ 1 ö BL a ii y Er ”y ‚u. ü LTAMERE I 3 9 E E VE u," r In “ amlöRtı, Jh guinslaiwere" Y ob ind, ih anbint Hahn: ragen oa ii ehe ober. urledeg gi) ik sherad. hung noch b 3 099 Bnlssaie anulbuadiot. ih sat dot alb er 19 a7 ' tobaktecın oysın! ler anah „Dura wlan. al dir] loitgua Tas th Jatıı) az ir löhron © RT) L e. ailal » FIR, Kar San) h Adosiaa at sah. eu, ammnin, er Er h got ah Wörtulalisc Meike au woılab gen agthfintongens gg Brıldire artiigen d ab ag - | ir aan 8 rl \ Ten auitenl sunsd m EEE | “ ©; ir a [3 e Ä s Mk, NP f Ir je \ 1.0 , 3 Re 37: «lg a a Einleitung . ... . ee ee ee ee Vorläufige Schritte, 3. — ee, r —_ Pe, AR — „‚Andenken” an die hiesige Versammlung als Festgabe, 6. — Institnte, der Versammlung geöfinet, 7. — Anwesenheit des vortragenden Raths des Cultusministeriums, 8. — Festliche Veranstaltungen und Unterhaltungen, 8. — Festordner, 8. — Secretariat und Redaction des Tageblattes, 8. Die allgemeinen Sitzungen. Erste allgemeineiSitzung’am 18.' September . HI... 00... ou Eröffnungsrede des ersten Geschäftsführers . . . 0 ee een Verlesung der Statuten der Gesellschaft durch den a Geschäftsführer eek Vortrag von Hofrath Rud. Wagner über Menschenschöpfung und Seelensubstanz . . le Vortrag von Medicinalassessor Dr. Al. Göschen über Zweck, Bedeutung und Werth der en Versammlungen ee ee a ee EN ae en Vortrag von Rector Gümbel Aber AR Zelle ai, or oe a Se 2: Vortrag von Geh. Rath Lichtenstein über das ern der er tee zu den Sectionssitzungen . . . a N NE EN Mt Einladung des zweiten Geschäftsführers zur Be der Sectioneni ana, Nu IE Tai EB ir. 7 E25 Zweite allgemeine Sitzung am 20. September . . 2.220 27 Discussion und Vorschläge zur Wahl des Ortes für die nächstjährige Versammlung Er N 2 Vortrag von Dr. Reclam über den Zusammenhang zwischen Volksleben und Yalkckankheit ET. Vortrag von Geh. Hofrath Menke über drei Anforderungen an die Gesellschaft deutscher Naturfor- scher und deren Begründung N N EN Da nn UL Se EB | Aeusserung von Medicinalassessor Dr. Al. Göschen . . . . . 2 2 2 er nn nenne. 3 EntgegnungkyonsHofrath®R ud. "Waener su ne ee 12,88 MittheilungidesizweitenüGeschäftaführerse N Ur IIaE I N. en 0 eye — ‚85 Dritte allgemeine Sitzung am 23. September... 2. 2. 2 2 2 e nn. 397 Abschiedsworte !des eraten@erchäfteführersil 3 En I, Nee. — 287 Daukesworte von ‚Geh.„HolraipNiens emMeRlan En u BASE I ne — 88 Desgleichen von Dr. Ellissen en oe en Ta ie gene PET TE ET TN> FASER Die Sections-Sitzungen. Erste Section. Physik, Mathematik und Astronomie. Erste Sitzung am 18. September . . . . EL e a Wahl des Präsidenten und Secretärs. Anmeldung von Vorträgen, 41. vI Zweite Sitzung am 19. September . .. 2.2... 2 BERN: ehr Ueber das Inductions-Inelinatorium, von Inspector Meyerstein, 41. — Ueber ‘das Be imeiät, von Dr. Prestel, 41. — Ueber den ultravioletten Theil des prismatischen Sonnenspectrums, von Stud. Esselbach, 41. — Ueber die Totalreflexion, von Prof. Listing, 41. — Ueber die Methode der Inclinationsmessung durch Induction, von Professor W. Weber, 42. Dritte Sitzung am 20. September... . 2... Ne ee >. 2 Ueber elektrostatische Messung des galvanischen Stroms, von Professor Kohlrausch, 42, — Ueber Zahlentheorie, von Professor Stern, 42. — Ueber Theorie und Experimente betreffend die Endos- mose, von Prosector Dr. Ad. Fick, 42. — Ueber den Durchgang der Strahlwärme durch Krystalle, von Professor Knoblauch, 42. Vierte Sitzung am 21. September . . ... ET 2 0 a EEE 2 Ueber die Vertheilung ‘der Spannungselektrieität in Halbleitern, von Professor Riemann, 42, — Ueber die sog. aecessorischen Punkte in einem System brechender, durch sphärische Flächen geschie- dener Medien, von Prof. Listing, 46. — Mittheilung von Professor A. Erman über zwei neuere Arbeiten, 48, Fünfte Sitzung am 22. September ...... u RT. Kal, rin Eh „bist: AyOuENgeREeg Ueber Frischen’s Methode der reciproken elegraphie; von Dr. von lg: lceilius, 48. — Dis- cussion über Pendelsuspension, von Professor Böttger, 48. — Mittheilungen von Dr. Greiss elektrischen und optischen Inhalts, 48. — Ueber Ortsduplieität katoptrischer und dioptrischer Bilder, von Prof. Listing, 49. — Ueber den Begriff der optischen Axen in zweiaxigen Krystallen, von Demselben, 49. — Ueber die Elektricität bei Zersetzung des sauern chromsauern Ammoniaks, von Professor Böttger, 49. Zweite Section. Chemie und Pharmaeie. Erste Sitzung am 19. September ° En Sr ö . —- 5 Ueber Aldehyde und Alkohole, von Professor Liinprieht, 50. — es ai in ei De von Professor Städeler, 50. Zweite Sitzung am 20. September... . . 3 Aa ee ARE Or EE0 Ueber Hippursäure in den Schuppen bei Ichthyosis, von ER: RE 50. — Ueber die Muschelschalen, von Demselben, 50. — Ueber Leuein und Essigsäure-Aldehyd von Dr. Goess- mann, 50. — Ueber die Otoba und das Otobin, von Uricoechea, 50. — Ueber eine Abänderung des Plateau’schen Phänomens, von Professor Schrötter, 50, Dritte Sitzung am 21. September ne er ne Re Eye 12 ale Sep: air Ueber Platineyanverbindungen, von Professor Schrötter, 51. — Ueber einen neuen Apparat zur Be- stimmung der Kohlensäure und anderer Gase, von Demselben, 5l. — Ueber eine Abänderung des Will’schen Kohlensäure-Apparates, von Professor Limpricht, 5l. — Ueber Platinbasen, von Pro- fessor Kolbe, 51. — Ueber Allantoin im Harn bei gestörter Respiration, von Professor Städeler, 51. — Ueber die Wirkung des Kupferoxyds in Verbindung mit fetten Säuren auf den thierischen Or- ganismus, von Demselben, 5l. Debatte hierüber zwischen Professor Schlossberger und Professor Städeler, 5l. — Ueber Milch- und Traubenzucker, von Professor Städeler, 5l. Nuerte/Suzuns am. 22. September ; rc. 2... un u nn BARHINKEEREN a Vorzeigung eines Kohlensäure-Apparates und Mittheilung einer Reaction zur Unterscheidung His Allan- toins von Kreatin, von Professor Limpricht, 5l. — Kleinere Mittheilungen von Professor Bött- ger, öl. Fünfte Sitzung am 23. September en > Ueber den Zusammenhang zwischen Chemie und Botanik, von Dr. Wicke, 51 und 205. — Kleinere Mittheilungen von Professor Böttger, 51. vII Dritte Section. Mineralogie, Geognosie und Geographie. Erste Sitzung am 19. September . . 2. 2 2 nn nn nn ua my enare ABeitevss Ueber gediegen Blei und Bleioxyd aus Vera BEER vom Geh. Bihfrafl Kol 53. — Vorle- gung einer gedruckten Abhandlung über Pseudomorphosen nach Kochsalz aus der Eifel, von Demsel- ben, 54. — Vorlesung eines Schreibens von Dr. Geinitz in Dresden über die sächsische Steinkoh- lenformation, 54. — Vorlegung der neuen Ausgabe der geognostischen Karte von Thüringen, von Regierungsrath Credner, 55. — Besprechungen über Begrenzung der Formationen, zwischen v. Car- nall, v. Strombeck, Merian, 55. — Bemerkungen von Merian, 55. — Ueber den Schichten- bau in dem Hügellande nördlich vom Harz, von A. v. Strombeck, 56. Discussion, 57. — Ueber ein neues Vorkommen von Struvit in Hamburg, von J. H. C. A. Meyer, 57. Vorlegung von Exem- plaren, 57. — Ueber die St. Cassian-Formation in Vorarlberg und im nördlichen Tyrol, von Merian, 57. — Bemerkungen von Professor v. Klipstein, 60, Zweite ISItzUnFYam#20 MSeptembert va NEN. I, Mr ne re er sg Ueber die Dolomite in den Centralalpen, von Professor Sartorius v. Waltershausen, 60. — Ueber das devonische Gebirge in Belgien und in der Eifel, von Professor F. Roemer, 61. — Ueber die Graptolithen im schlesischen Gebirge, von Professor Beyrich, 63. — Ueber die Grenzen des Keupers und die Lettenkohlengruppen, von Dr. Bornemann, 64. — Ueber Quarz-Zwillinge, von Dr. Nauck, 65. — Vorlegung einer Sammlung von Oschatz’schen mikroskopischen Präparaten, von Dr. Bornemann, 66. — Vorlage des Sectionsblattes Wetzlar der geognostischen Karte des Gross- herzogthums Hessen und des Preussischen Kreises Wetzlar, nebst Bemerkungen über die Schaalstein- bildungen, von Professor v. Klipstein, 66, Dritte Sitzung Lamb 21 .Septembernldnne, sauna in Ten een (gg Ueber fossile Pflanzen und ihre Bedeutung für die Schichtenbestimmung, von Professor Göppert, 69. Bemerkungen von Professor Sartorius v. Waltershausen über fossile Pflanzen in Tertiär- Schichten auf Island, 69. — Ueber fossile Pflanzen aus der Kreideformation von Quedlinburg, von Regierungsrath Stiehler, 69. — Ueber zerquetschte Kiesel im Kohlengebirge bei Waldenburg, von Geh. Bergrath v. Carnall, 71. Bemerkungen 71. — Vorlegung der geognostischen Karte der Um- gegend von Göttingen, von Senator H. Roemer, 71. — Ueber den Keuper im Leinethale und das Rohns’sche Bohrloch, von Professor Sartorius v. Waltershausen, 73. — Ueber die krystallini- sche Structur des Meteoreisens, von Dr. Prestel, 73. — Schreiben von Dr. Theodori aus Mün- chen, 74. — Specialverhandlung der deutschen geologischen Gesellschaft, 74. Nantes une am (E90 September PLN Sinlinutd mil rnannnigh Tu nn Ueber ein Goldvorkommen in Venezuela, von Professor Wappäus, 74. — Darstellung von Erzlager- stätten des oberschlesischen Muschelkalks, von Geh. Bergrath v. Carnall, 75. — Geognostische und mineralogische Mittheilungen über Island, von Professor Sartorius v. Waltershausen, 75. — Vorlegung der Originalkarte des Aetna, von Demselben, 75. — Vorlegung schlesischer Gebirgsarten, von Berghauptmann v. Oeynhausen, 75. Dune Sitzung ame sentember . 0. 0 2 ee an N re ee Scandinavische Mineralien, vorgelegt von H. J. Müller, 75. Isländische Gesteine, vorgelegt von Prof. Sartorius v. Waltershausen, 75. — Getropfte Kalkepathkrystalle vom Iberg, vorgelegt von Dr. Jordan, 75. — Besprechungen, 75. — Abdrücke von Inseeten und Blättern aus der Ter- tiärformation von Oeningen, vorgelegt von Professor Städeler, 76. Vierte Section. Botanik, Landwirthschaft und Forstwissenschaft. Erste Sikzung, am: 19: Septemberil. mu Wandel uuässway u RT ea eh Ueber einige von Philippi und Lechler in Chili und an der Magheilanstrasse gesammelte Pflanzen, von Professor Grisebach, 77. — Ueber die Drehung der Baumstämme, von Prof. Al. Braun, 77. VII Zweite Sitzung am 20. September... 2... 2 em en nennen ee . Beite 78 Ueber das Wachsthum einfacher und BR Blätter, von Dr. Caspary, 78. — Fructifi- cirende Wedel von Cycas reyoluta, vorgelegt und besprochen von Prof. Göppert, 79. — Vollstän- dige Exemplare von Stigmaria ficoides, vorgelegt und besprochen von Demselben, 79. Dritte Sitzuig ‘am 214 September 9 1 EN eg Ueber Desmidieen, von Dr. Focke, 79. Bemerkungen von Prof. A. Braun, 79. — Ueber die An- wendung der Chemie auf die systematische Botanik, von Dr. Wicke, 79. Ueber die sog. Spalt- öffnungen, von Reetor Gümbel, 79. — Die Mikropyle der Insecteneier, N und durch Prä- parate erläutert von Professor Leuckart, 80. — Ueber die Entwickelung von Blüthe und Frucht der deutschen Lorantheen, von Dr. W. Hofmeister, 80. — Ueber Ustilago und verwandte Staub- pilze, von Dr. de Bary, 82. — Ueber carex ligerica, von Prof. Al. Braun, 84. Vierte Sitzung am 22. September 7.2... ik R 2 u 1% FRA Ueber die Entwickelung des Zellkerns, von De Dr. Ka 84. — Ueber die ancheheikiieh Wirkungen des Lichts auf die Gewächse, von Professor Treviranus, 84. — Ueber merkwürdige Erscheinungen an Waldbäumen, von Demselben, 84. — Ueber den Sitz der Kartoffelkrankheit, von Dr. Caspary, 84. — Ueber die Disphenia portoricensis, von Regierungsdireetor Sporleder, 85. — Ueber einige Erscheinungen an windenden Pflanzen, von Professor Al. Braun, 85. — Sendung von Dr. Schimper aus Jena, 85. Fünfte Sitzung am 23. September . ku vu ayallı, A er Ueber einige Beziehungen zwischen Blattstellung und era der primären TEL) im Dico- tyledonen-Stengel, von Dr. Hanstein, 85. — Ueber die Kartoffelkrankheit und deren Abhülfe, von Schlotthauber, 87. — Exemplare von; Mumienweizen, vorgelegt von Demselben, 87. — Ueber Ueberwallung von Coniferenstämmen und eigenthümliche Wurzelbildung von Tannen und Fichten, von Professor Göppert, 87. — Referat über Dr. Schimper’s schriftliche Mittheilung, von Professor Al. Braun, 87. — Ueber eine merkwürdige Erscheinung an einer Buche, von Dr. Buchenau, 88, Fünfte Section. Anatomie, Physiologie, Zoologie. Sitzung am 19. Septembr .. ..... 5 TE USER — 89 Vorlegung von 6 Kupfertafeln, eingesandt von Dr. m. ee Enneleen 89. — Ueber a und Ent- wickelung der Finnen, von Professor Leuckart, 89. — Untersuchungen über denselben Gegenstand von Geh. Medieinalrath Gurlt, 90. — Eingesandte Abhandlung über ein accessorisches Arterienherz des Kaninchens von Dr. Schiff aus Frankfurt a. M., 90. — Ueber das Eindringen der Spermato- zoiden in das Ei von Ascaris mystax, von Professor Bischoff, 93. Vereinigte fünfte und sechste Section. Anatomie, Physiologie, Zoologie und Mediein, Chirurgie, Geburtskunde. Erste Sitzung am 19. September . arg kr . . - 9 Ueber die Gehirnwindungen, von Geh. Hofrath Aush 93. — Ueber die bir der "die Him- höhlen auskleidenden Membran, von Professor Lusckka, 93. — Ueber colorimetrische Blutunter- suchungen, von Dr. Welcker, 96. — Verabredung eines von Dr. Welcker auszuführenden Ver- suches in loco, 97. Zweite Sitzung am 20. September . ve En Sri ©. Ueber eine neue Methode der Knochen-Injection, von Professor lan, 97. — Bericht von Hof- rath Henle über die von Teichmann gemachten Beobachtungen der Blutktystalle, 97. — Die akustische Methode der Untersuchung der Herz- und Respirationsbewegungen, erläutert und ausge- führt von Hofrath R. Wagner, 98. IX ntte, Sitzun san lee September Nie I NENNE Bor. Beite’'98 Schreiben des Dr. Heuglin zu Chartum über Protopterus aethiopieus, mitgetheilt von Professor Hyrtl, 98. — Chlamydophorus truncatus, vorgelegt und erläutert von Demselben, 99. — Ueber eine mit Kiemenlabyrinthen versehene Unterabtheilung der Clupeen, von Demselben, 100. — Ueber einige Parasiten des Menschen von Professor Krämer, 100. — Schreiben des Hofrath R. Wagner, 102. — Mittheilung einer Anzahl Exemplare einer Nummer des Correspondenzblattes der deutschen Gesell- schaft für Psychiatrie und gerichtliche Psychologie, eingereicht von Dr. Erlenmeyer, 102. — Ueber Pentastomum denticulatum von Dr. Zenker, und Bemerkungen über die Wanderungen dieses Hel- minthen von Geh. Rath Gurlt, 102. — Ueber das Verhältniss der geometrischen Optik zur Physio- logie des Sehorgans und über den Werth constructiver Methoden für die Anwendung auf die physiolo- gische Optik, von Professor Listing, 102. — Ueber Diplopie, von Dr. A. Fick, und Erfahrungen darüber von Hofrath Henle, 103. — Optischer Versuch zur Erklärung der Diplopie von Dr. Fick im physiologischen Institut, sowie Discussion ebendaselbst über verschiedene ophthalmologische Fra- gen, 103. — Ueber die Hautfarbe des Negers und über die Annäherungen der menschlichen Gestalt an die Thierform, von Dr. Schaaffhausen, 103. — Erklärung in Betreff einer beabsichtigten Dis- cussion mit Hofrath Wagner über die Seele, von Professor Ludwig, 114. — Einladung zum Be- such der Anatomie, von Hofrath Henle, 115. — Besuch des zoologischen Museums, 115. Evrläute- rung über verschiedene Naturalien, von Hofrath Berthold, desgleichen von Geh. Rath Lichten- stein, 115. Vierte Sitzung am 22. September a Er 2 a Ueber den Bau der Hornhaut, von Hofrath He KEIMN 115. Discussion über verwandte Fragen, 115. — Ueber den Darm der Polygastrica, von Dr. Focke, 115. — Bericht über den colorimetrischen Versuch des Dr. Welcker, von Professor E, H. Weber, 116. — Ueber eine von Dr. Weinland gemachte Entdeckung an Notodelphys ovifera, von Geh. Rath Lichtenstein, 119. — Ueber Jür- gen-Bona Meyer’s in Aussicht stehende Schrift über Aristoteles’ zoologische Ansichten, von Dem- selben, 119. — Ueber die systematische Stellung des Genus Arvicola, sowie Vorlegung von Druck- bogen seiner Fauna Europaea, von Professor Blasius, 119. — Zur Naturgeschichte des Regenwurms, von Dr. Meissner, 119. — Ueber die Entwickelung der Pupiparen, von Professor Leuckart, 119. — Xylographische Proben von Metzger, mitgetheilt von Prof. Listing, 120. — Besuch des phy- siologischen Instituts. Vortrag daselbst von Hofrath R. Wagner über die Rassenbildungen, 120. — Besuch der Anatomie. Mikroskopische Demonstration der Hornhaut, von Hofrath Henle, 120. Fünfte Sitzung am 23. September... .. . : sr Ri: ° Ueber die Grundprincipien, den gegenwärtigen Aastacd, und die nächsten Mania der Anatomie und Physiologie der Centraltheile des Nervensystems, von Hofrath Wagner, 120. Discussion, 120. Ueber die Beziehung des Blutfarbestoffes zu dem Gallenfarbestoff, von Dr. Zenker, 121. — Be kungen über einige zoologische Fragen, von Hofrath Berthold, 121. — Beobachtungen und Bei- träge zur Helminthologie, von Schlotthauber, 121. Sechste Section. Mediein, Chirurgie, Geburtshülfe. Bildung einer Separat- Section für Geburtshülfe. .=., co Melt „I. en Dr Erste Sitzung am 19. September . . .... 5 ae Dt Feststellung der Art und Dauer der Vorträge, 134. — Veber die ringen der Kätte, von Dr. Scharlau, 134. Discussion und Bemerkungen von Medicinalrath Schneemann, Dr. Piutti, Dr. Reclam, 139. — Ueber Hysterophoren von Dr. Zwanck, Erfahrungen von Medicinalrath Schnee- mann, 139. — Ueber die Nothwendigkeit chemischer Untersuchungen in der praktischen Medicin, von Professor J. Vogel, 139. — Ueber die Heilwlrkungen des Nordseebades, von Medicinalrath Be- neke, 140. Bemerkung von Professor J. Vogel, 140. — Ueber die Heilung der Blennorrhagia mu- liebris mittelst Höllenstein’s in Substanz, von Dr. Dawosky, 140. Bemerkungen von Professor J. Vogel, Dr. Lewin, 140. Weitere Bemerkungen über Behandlung anderer Leiden mittelst Höllen- — 115 — 120 — 134 — 134 x steins, von Dr. Wiese, 140. — Ueber Ursachen und Behandlung der seitlichen Rückgratsverkrüm- mungen, von Dr. Eulenburg, 143. Discussion, 154. Zweite Sitzung am 1! September... it a REN engere . Mate Ib Ueber ein bei Lähmung der unteren Extremitäten den ne des Oberschenkels bleibendes Con- tractionsvermögen und dessen Benutzung zum Gehen, von Dr. Ross, 155. — Ueber die Cholera in München, von Dr. A. Vogel, 158. Debatte, 163. — Ueber einen traubenartigen Auswuchs im Kehlkopf eines Kindes, von Dr. Dawosky, 164. Discussion, 164, — Ueber Knochengeschwülste, von Dr. O0. Weber, 164. — Ueber die Operation der Blasenscheidenfistel, von Professor Roser, 170. Zusatz vom 5. Oct. 1854, 172. Debatte, 173. — Ueber einen Fall von Cholesteatom des Stirn- beins, von Dr. Esmarch, 173. — Ueber Gelenkresectionen, und insbesondere über die Resection des Kniegelenks, von Professor Textor, 174. Dritte Sitzung am 22. September Ueber ärztliche Dispensiranstalten und Filialapotheken, von Sr Mediecinalrath Ei 179. — Ueber die Leipziger Epidemie im J. 1680, von Dr. Reclam, 179. Discussion, 179. — Be- merkungen über Cyanose und Vorlegung eines Präparats, von Dr. Wiese, 179. — Mittheilung eines Falles aus der Praxis von Professor Krämer, 180. — Ueber acute Leberatrophie, von Dr. Zenker, 180. — Mittheilung eines ähnlichen Falles, von Dr. A. Vogel, und Debatte, 180. — Eingereichte These und Fragen, 180. — Ueber die Ausrottung des Fersenbeins, von Professor Textor, 180. Bemerkungen, 183. — Ueber Absetzung des Unterschenkels im Kniegelenk, von Professor Textor, 183. Diseussion, 185. Vierte Sitzung am 23. September Mittheilung verschiedener Fälle von Luxation, von Medicinalrath Hahn, 185. Debatte, 185. — Re- clamation von Dr. Reclam, 185. — Desgleichen von Dr. Wiese, 185, Erwiederung von Profes- sor Krämer, 186 Anm. — Ueber verschiedene pathologisch-anatomische Gegenstände, erläutert mit- telst Abbildungen, von Professor Krämer, 186. — Literarische Notiz von Dr. G. Spiess, 187, — Bemerkungen über Epidemie, von Dr. Riecke, 187. Debatte, 187. — Anfrage über Stoffwechsel bei Hautkrankheiten, von Medicinalrath Beneke, 187. Antwort von Professor J. Vogel, 187. — Ueber die Behandlung der Pneumonien, von Professor J. Vogel, 187. Bemerkungen von Hofrath Fuchs, Dr. A. Vogel, 187. — Vorlegung von Exemplaren des ‚‚magnetischen Friedrichs” von Dr. Schim- per nebst dessen Erläuterung, von“Hofrath Ried, 187. Separat-Section der Geburtshülfe. Erste Sitzung am 18. September aut re ehr Gerede bon Ba Ueber einen Fall von Lithopaedion, von Hofrath v. Siebold, 191. Discussion über die Gastrono- mie: Ansichten von Medicinalrath Schneemann, 191, Hofrath Kaufmann, 191, Dr. Zwanck, 191, Hofrath v. Siebold, 191, Professor Stoltz, 191, Medicinalrath Schneemann, 191, Pro- fessor Stoltz, 192. Resume, 192. — Ueber die passendste Lage der Gebärenden bei schweren Wen- dungen, von Hofrath Kaufmann, 192. Ansicht von Medicinalrath Schneemann, 192, von Pro- fessor Stoltz, 192, Zweite Sitzung am 19. September Discussion über Chloroformirung bei Apsfeirmng des Kaiserschnitts, neh von Hofrath v. Sie- bold, 192. Meinungen von Dr, Richard, 193, von Professor Stoltz, 193, von Medieinalrath Schneemann, 193, von Hofrath v. Siebold, 193, von Dr. Kalck, 194, von Medieinalrath Schneemann, 193, von Medicinalrath Mansfeld, 193, Resume, 193. — Ueber den Werth des Schmerzes für die Geburt, von Medicinalrath Schneemann, 194. Bemerkungen und Meinungen von Hofrath v. Siebold, 194, von Dr. Crede, 194, von Medieinalrath Schneemann, 194, Re- sume, 194. Dritte Sitzung am 20. September BI LE Ve! ar eh Viel? RE U ir ARE EEEEEEEERE LEBENS. SrEN Ned Professor Stoltz’ Auskunft (auf Ersuchen von Medicinalrath Mansfeld) über die von ihm ausgeführ- — 179 — 185 — 190 — 192 — 19 XI ten Kaiserschnitt-Operationen, 194. Bemerkung von Hofrath v. Siebold, 195. — Professor Stoltz über die von ihm angewandte Zange, 195. Bemerkung von Hofrath v. Siebold, 195. — Ueber Statistik der Geburten, non Dr. Neynaber, 195. Vierte ‚Sao mtamy2ly September... slasiktenee dns rdmalsaes tete euch Seite 195 Discussion über den künstlichen Abortus, veranlasst von Hofrath v. Siebold, 195. Mittheilungen und Ansichten von Medicinalrath Schneemann, 195, von Dr. Crede, 195, von Professor Stoltz, 196, von Medicinalrath Schneemann, 196, von Profossor Stoltz, 196, von Hofrath v. Siebold, 196, von Dr. Cred&, 196, von Professor Martin, 196. — Professor Stoltz über das von ihm an- gewandte Speculum uteri, 196. Angaben und Ansichten von Hofrath v. Siebold, 197, von Dr. Ro- bert, 197, von Hofrath v. Siebold, 197, von Professor Martin, 197, von Dr. Crede, 197, von Hofrath v. Siebold, 197. EnnftenSitzung#am 22. September Lee cha ee. Ueber einen Fall von Zangenoperation, von Dr. Richard, 197. Notizen und Vorlegung verschiede- ner Zangen, 198. — Ueber Beckenmessung, von Dr. Cred&, 198. — Ueber Endometritis, von Pro- fessor Martin, 198. — Bemerkungen über Explorativpunction, von Dr. Cred&, 200. — Ueber eine Puerperal-Epidemie, von Dr. Disse, 200. — Ausfall des von Dr. Spiegelberg angekündigten Vor- trags über die Behandlung des Nabelschnur-Vorfalles, und Schluss, 201. Siebente Section. Anthropologie und Psychiatrie. Erste Sitzung am 19. September . ...... Ansprache des Präsidenten, Obermedieinalraths Bergmann, 202. — Bingabe von Druckschriften von Professor Dagonet und Director Kelp, 202. — Ueber die Theorie und Anatomie der Halluci- nationen von Obermedieinalrath Bergmann, 203. — Vorlage der Pläne zur neuen Irrenheilanstalt zu Königslutter, von Medieinalrath Mansfeld und Bauconducteur Hilzinger, 215. Zweite Sitzung am 20. September . . ... Bes ce Be ae Le Dr: Vorlegung und Benalenne von neurologischen Abbildungen und Präparaten, von Obenmedieinelrath Bergmann, 215, Debatte und Resume über den vorgelegten Plan der neuen Irrenheilanstalt zu Königslutter, 215. — Ueber ein Fibroid der dura mater, von Professor Krämer, 215. DiritteaSitzungr ama 212 September au 2 nu, 0 En EEE N nn Debatte über die diagnostische und prognostische Bedeutung der Haare, eingeleitet von Kreisphysieus Dr. Ernsts, 217. Angaben und Ansichten von Dr. Erlenmeyer, 217, von Obermedicinalrath Bergmann, 217, von Geh. Medicinalrath Damerow, 217, von Dr. Edel, 217, von Dr. Ernsts, 217, von Obermedieinalrath Bergmann, 217, von Dr. Ernsts, 217, von Dr. Erienmeyer, 218. — Ueber das Opium, von Dr. Engelken, 218. Discussion: Mittheilungen von Medicinalrath Beneke, 218, von Dr. Engelken, 218, von Dr. Erlenmeyer, 218, von Geh. Medicinalrath Damerow, 219, von Dr. Engelken, 219. Vierte Sitzung am 22. September Ueber die Wirkung von Coniin und Nicotianin auf die Hirngefässe, nebst Bemerkungen über den Pul- sus recurrens bei Hirnleiden, von Professor Albers, 219. — Discussion über die Pica gravidarum von gerichtlich-medieinischer Seite, eingeleitet von Dr. Lewin, 220. Discussion und Resultat, 221. — Ueber die Hallueinationen, von Sanitätsrath Droste, 221. Discussion, 221. Speciellere Frage, ge- stellt von Dr. Erlenmeyer, über die Gehörshallueinationen, und deren Beantwortung, 222. — Ueber die Bestimmung des specifischen Gewichts des Gehirns, von Dr. Erlenmeyer, 222. Bemerkun- gen von Physicus W. Grimm, von Prof. Albers, 223. — Vorlegung von Zeichnungen aus der Anatomie des Gehirns, von Obermedicinalrath Bergmann, 223. Buntegsnzungamy20. September 0 ee ee Ueber die Diagnose der Seelenleiden, von Dr. Saake, 223. — 197 — 202 — 217 — 219 Xu Nachtrag zu S. 5l TE SO ET a BR RR ET REN BLENDE, Sitzungen anderweitiger wissenschaftlicher Vereine np Ban 1. der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und gerichtliche Peycholaie) 2. ja Var für Se schaftliche Arbeiten zur Förderung der wissenschaftlichen Heilkunde, 3. der kais. TERUlDarBEN" Caro- linischen Akademie der Naturforscher, 226. Verzeichniss der Mitglieder und Theilnehmer Pe en Tate Me, = 200 Druckfehler. Seite 53 Zeile 9 v. o. statt Waltershasen /. Waltershausen — 55 — 11 v.u. statt Oycadenresten /. Cycadeenresten — 90 — 8und 12 v. u. statt von Lichtenstein /. Lichtenstein — 140 — 21 v. o. statt Dawoski !. Dawosky — 142 — 14v. o. statt Levin Z. Lewin — 155 — 11v. o. statt Mittwoch d. 20. Sept. /. Donnerstag d. 21. Sept. — 172 — 12v. o, statt 1853 2. 1854. — 179 — 17 v. o. statt Donnerstag d. 21. Sept. /, Freitag d. 22. Sept. LEITUNG. Z ” . ü r- % c .%* . > L y [2 L v Er h ’ [ . Js N an ul a. ur 1 In der zu Tübingen im September 1853 gehaltenen dreissigsten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte wurden für den nächstjährigen Versammlungsort die Stadt Göttingen und zu Geschäftsführern für die nächste Zusammenkunft die Verfasser des vorliegenden Be- richtes gewählt. Die officielle Anzeige davon erhielten wir in nachstehender Zuschrift : An die Herren Professoren Dr. Baum und Listing in Göttingen. Die XXX. Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte hat in ihrer am 21. Sep- tember d. J. zu Tübingen gehaltenen Sitzung die Universität Göttingen zum Versammlungsort für das nächste Jahr und Sie, verehrte Herrn Kollegen, zu Geschäftsführern gewählt, Prof. Baum zum ersten und Prof. Listing zum zweiten. Indem ich Sie von diesem Beschlusse in Kenntniss zu setzen die Ehre habe, füge ich nur noch bei, dass bei der Anzeige von der Wahl keine weiteren Actenstücke von den früheren Versammlungen hieher mitgetheilt worden sind, die Gesellschaft gegenwärtig daher kein Archiv besitzt, von welchem in $. 18 der Statuten der Gesellschaft die Rede ist. Sollten Sie bei Ihren Vorkehrungen für die nächste Versammlung die hier gewonnenen Erfahrungen theilweise zu benutzen wünschen, so bin ich zu weiteren Mittheilungen gern bereit. Hochachtungsvoll Tübingen, Professor Dr. Bruns 12. October 1853. Geschäftsführer der 30. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte. (In Abwesenheit des ersten Geschäftsführers Prof. v. Mohl.) Wir erwirkten hierauf bei dem hohen Universitäts-Curatorium die erforderliche Bestätigung Sr. Majestät des Königs, welche uns mittelst Rescripts vom 29. Dec. 1853 mitgetheilt wurde. In den weiteren Verhandlungen mit dem Königlichen Curatorium wurde uns die gnädige Zu- sicherung gegeben, dass die nöthigen Geldmittel gewährt werden würden. Die Besorgniss, dass wegen der im Sommer 1854 vielerwärts in Deutschland aufgetretenen Cholera die Versammlung für dieses Jahr ausgesetzt bleiben müsse, schwand allmälig mit her- annahendem Herbst. Wir erliessen die Einladungen zu der hiesigen einunddreissigsten Ver- sammlung in der Hannoverschen Zeitung, im Hamburger Correspondenten, in der Augsburger Allgemeinen Zeitung und im Frankfurter Journal. 1° 4 Am 1. September ersuchten wir die Herren Bürgermeister Dr. Oesterley und Bürgerwort- führer Dr. Ellissen von Seiten der Stadt, sowie Hofrath Dr. Wagner und Hofrath Dr. Henle von Seiten der Universität sich mit uns zu einem Comite zu vereinigen, um die zum Zweck der Versammlung nöthigen Schritte zu besprechen und einzuleiten. In Gemeinschaft mit die- sen entwarfen wir das nachstehende Programm, welches wir in einer grossen Zahl von Ab- drücken sowohl an Gelehrte der nl ieespechafilichen und medicinischen Fächer als an die Redactionen verschiedener wissenschaftlicher Zeitschriften versandten. Programm der einunddreissigsten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Göttingen. le m Die Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte wird statutenmässig vom 18ten bis 24sten September d. J. hier abgehalten werden. 2 g. 2. Ausländischen Gelehrten ist die Theilnahme an der Versammlung gestattet, und ist ihre Betheiligung an derselben sehr erwünscht. N Die Versammlung besteht aus Mitgliedern und Thheilnehmern. Mitglied mit Stimmrecht ist nach $. 3. und 4. der Statuten nur der Schriftsteller im naturwissenschaftlichen ärztli- chen Fache. Eine Inaugural-Dissertation berechtigt jedoch nicht dazu. Theilnehmer ohne Stimmrecht kann jeder sein, der sich mit den genannten Fächern wissenschaftlich beschäftigt. $. 4. Das Bureau zur Ankunft über die den geehrten Gästen dargebotenen Wohnungen befindet sich im grossen Hörsaale der Anatomie neben dem Eisenbahnhofe. $. 5. Das Anmeldebureau befindet sich im Universitätshause eine Treppe hoch in der Gemälde- gallerie und ist vom 16ten September ab jeden Tag von 8 bis 12 und von 2 bis 6 Uhr Abends geöffnet. Daselbst haben sich alle Mitglieder und Theilnehmer zu melden, einzuschreiben und gegen Erlegung von 2 Rthl. ihre Legitimationskarte und die zum Andenken an die diesmalige Versammlung verfasste Beschreibung von Göttingen in Empfang zu nehmen. $. 6. Die allgemeinen Sitzungen werden am Montage den 18ten, Mittwoch den 20sten und Sonn- abend den 23sten d. M. von 10 Uhr ab in der Aula des Universitätshauses abgehalten werden. Die Tribünen sind für die Damen bestimmt. Personen, die weder Mitglieder noch Theilneh- mer sind, können nur, soweit es der Raum erlaubt, Einlass erhalten. 8.7. Nur die stimmfähigen Mitglieder haben das Recht in den allgemeinen Sitzungen Vorträge zu halten. Diese Vorträge müssen ein allgemeines wissenschaftliches Interesse haben und we- nigstens Tags vorher bei den Geschäftsführern angemeldet werden. 3 $. 8. Der erste Geschäftsführer eröffnet die erste öffentliche Sitzung. Sodann verliest der zweite Geschäftsführer die Statuten der Gesellschaft, berichtet über etwa eingegangene Schriften und 6) sonstige die Versammlung betreffende Correspondenz und fordert zum Schlusse die Sectionsfüh- rer anf, die Seetionsmitglieder mit den für sie bestimmten Localen bekannt zu machen. gu In der zweiten öffentlichen Sitzung erfolgt die Wahl des Orts der nächsten Zusammenkunft anne Mehrheit der stimmfähigen Mitglieder. $. 10. % der dritten öffentlichen Sitzung wird nach Beendigung der angekündigten Vorträge die Versammlung durch den ersten Geschäftsführer Seihhasen: $. 11. Nach dem Vorgange früherer Versammlungen wird die Bildung folgender 7 Sectionen vor- geschlagen : £ 1. Section: Physik, Mathematik und Astronomie. 2 er Chemie und Pharmacie, 3. En Mineralogie, Geognosie und Geographie. 4. ” Botanik, Landwirthschaft und Forstwissenschaft. 5 ER Anatomie, Physiologie und Zoologie. 6 5 Medicin, Chirurgie und Geburtshülfe. 7 > Anthropologie und Psychiatrie. s. 12. Die Namen der Sectionsführer wird der zweite Geschäftsführer in der ersten öffentlichen Versammlung bekannt machen. ® r $. 13. - Die Sectionen halten ihre Sitzungen in den verschiedenen Räumen des Universitätshauses am Dienstag den 19ten, Donnerstag den 21sten und Freitag den 22sten d. M. von 9 Uhr ab. $. 14. Diejenigen Herren, welche Vorträge halten wollen, sowohl in den allgemeinen als in den Sections-Sitzungen, werden ersucht, ihre Vorträge vollständig oder im Auszuge noch während der Dauer der Versammlung an die Geschäftsführung, bez. an die Bureaus der Sectionen zur Abgabe an die Geschäftsführer gelangen zu lassen. Nur dann können diese für vollständigen und richtigen Abdruck der Vorträge im amtlichen Bericht einstehen. Die Manuscripte werden nach Beendigung des Drucks den Verfassern auf Verlangen wieder zugestellt werden. $. 15. Diejenigen Mitglieder, welche Vorträge in den Sectionen zu halten wünschen, werden ge- beten, dieselben Tags zuvor bis Nachmittags 2 Uhr bei den betreffenden Sectionspräsidenten anzumelden. — Letztere aber werden ersucht, deren Anzeige bis 3 Uhr Nachmittags den Ge- schäftsführern zu übergeben, damit sie in das nächste Tagblatt aufgenommen werden können. $. 16. Das Tagblatt wird jeden Morgen den Mitgliedern und Theilnehmern im Universitätshause gratis zugestellt. Dasselbe enthält die Liste der neu angekommenen Gäste, die Anzeige der zu haltenden Vorträge und sonstige auf die Festlichkeiten bezügliche Notizen. $. 17. Die Institute und Sammlungen der Universität werden den geehrten Gästen durch die Di- rectoren oder ihre Gehülfen in noch näher zu bestimmenden und demnächst bekannt zu machen- den Stunden gezeigt werden. 6 $, 18. at Der Vorstand des litterarischen Museums hat gestattet, an Mitgliedern und Theilnel mern der Versammlung der Zutritt zum Museum gegen Vorzeigung der Legitimationskarte je- derzeit offen steht. $. 19. Yo Das Mittagsessen wird gemeinsam täglich um 2 Uhr in den verbundAiR Sälen der Gast- höfe zur Krone und zur Stadt London statt finden. Das Couvert kostet 16 Ggr. Karten hiezu sind vorher schon auf dem Anmeldebureau im Universitätshause durch den Quästor Herın Feh- rensen zu erhalten. $. 20. Der Nachmittagskaffee wird eingenommen: am Montage auf Einladung des Vorstandes des litterarischen Museums in dessen Locale, am Dienstage auf Einladung der Stadt Göttingen in Nörten und auf der Ruine Hardenberg, wohin die Fahrt auf der Eisenbahn stattfinden wird, am Mittwoch auf dem Hainberge im Volksgarten des Herrn Rohns, am Freitage im v. Mengershausen’schen Garten, am Sonnabend im litterarischen Museum. Der Donnerstag Nachmittag ist zum Besuche der Institute frei gelassen. $..21. Am Abende des 18ten (Montag) und des 22sten (Freitag) wird die Versammlung zwei Quar- tetteoncerten der Gebrüder Müller aus Braunschweig beiwohnen, wovon das eine du ch die Freundlichkeit der Stadt der Versammlung gewährt wird. Für a2 Mitglieder und Theilnehmer und ihre Familien gilt die ne als Eintrittsbillet. » Dieselben berühmten Künstler werden am Donnerstag den 21lsten noch ein drittes Concert gegen Entree geben. x Am Mittwoch den 20sten Abends ist die Versammlung zu einem Balle in dem v. Mengers- hausen’schen Saale eingeladen. 22. An jedem Abende stehen die verbundenen Säle der Krone und. der Stadt London zur gesel- ligen Vereinigung offen. Die bei den festlichen Zusammenkünften fungirenden Festordner werden durch eine weisse Schleife kenntlich sein. Göttingen den 9. Septbr. 1854. Die Geschäftsführer der einunddreissigsten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte. Baum. Listing. Zum Local für die allgemeinen Sitzungen wurde die Aula des Universitätshauses und für die Seetionssitzungen die verschiedenen Säle desselben durch den zeit. Proreetor Herrn Geh. Hofrath Ritter und die Universitätsbehörde auf das Bereitwilligste eingeräumt. Die Aufnahme der Mitglieder und Theilnehmer geschah in dem Saale der Gemäldesammlung des Universitäts- hauses, wo sich dieselben eigenhändig in das Aufnahmebuch einzeichneten. Jedem derselben wurde ein Exemplar des ÄNDENKEN AN DIE XXXI. VERSAMMLUNG DEUTSCHER NATURFORSCHER UND AERZTE a eingehändigt, einer von Herrn Dr. Emil Rössler für diesen Zweck verfassten und mit Illustrationen in Stahlstich und Holzschnitt verzierten Beschreibung der hiesigen Stadt und Universität. Die Wirthe der beiden Gasthöfe zur Krone und zur Stadt London hatten ihre geräumigen Säle für die Zeit der Versammlung in unmittelbare Verbindung gesetzt, so dass die geselligen Vereinigungen täglich in diesen Localen stattfinden konnten. Zur Besichtigung der verschiedenen Institute und Sammlungen der Universität hatten die Directoren die Stunden bestimmt, und waren dem Besuche der Mitglieder und Theilnehmer geöffnet : die Sternwarte durch Geh. Hofrath Gauss Mittwoch Morgens 8—10 Uhr, das magnetische Observatorium durch denselben Sonnabend Morgens 81, —10 Uhr, die beiden Abtheilungen des physikalischen Cabinets durch Prof. Weber und Prof. Listing täglich 1—2 Uhr und Donnerstag Nachmittag, die chemischen Laboratorien durch Hofrath Wöhler täglich zu beliebigen Stunden, die mineralogische Sammlung des akademischen Museums durch Dr. List (in Vertre- tung des Geh. Hofrath Hausmann) täglich 1—2 Uhr, die geologisch-mineralogische Sammlung durch Professor Sartorius von Walters- hausen täglich zu beliebigen Stunden, der botanische Garten durch Professor Bartling täglich Morgens 8—10 Uhr und Nachmittags 3—7 Uhr, ; das Universitäts-Herbarium durch denselben täglich Mittags 1—2 Uhr und Donnerstag Nachmittag 3—6 Uhr, die Anatomie und anatomische Sammlung durch Hofrath Henle täglich 1-2 Uhr und Donnerstag Nachmittag, das physiologische Institut, beide Abtheilungen, durch Hofrath Wagner und Prof. Boedecker täglich I—-2 Uhr und Donnerstag Nachmittag, die zoologische Sammlung des akademischen Museums durch Hofrath Berthold täglich 11—1 Uhr, die medieinische Klinik durch Hofrath Fuchs Donnerstag Nachmittag, die chirurgische Klinik durch Professor Baum Mittwoch und Sonnabend 8—-10 Uhr, die pathologisch-anatomische Sammlung durch Hofrath Fuchs und Professor Förster Donnerstag Nachmittag, das Entbindungshaus durch Hofrath von Siebold Donnerstag Nachmittag, die ethnographische Sammlung des akademischen Museums durch Hofrath Berthold täglich 12—1 Uhr, die Bibliothek durch den Oberbibliothekar Professor Hoeck und den Bibliothekar Dr. Schweiger täglich 1—2 Uhr und Donnerstag Nachmittag, die Antiken-Sammlung durch Hofrath Karl Friedrich Hermann Montag, Mittwoch und Sonnabend Morgens 9—10 Uhr, das Kupferstich-Cabinet durch Professor Lotze Montag, Mittwoch und Sonnabend Morgens 9—10 Uhr, die Modell- und Maschinen-Cammer durch Prof. Ulrich täglich 1—2 Uhr. 8 Der Versammlung wurde die besondere Ehre zu Theil, dass als Vertreter der hohen vorge- setzten Behörden der vortragende Rath im Cultusministerium, Herr Regierungsrath Dr. Adolph von Warnstedt, an sämmtlichen Versammlungen der Gesellschaft Theil nahm. Für die Unterhaltung und den geselligen Verkehr der versammelten Gäste war auf die im Programm ($. 18—22) angegebene mehrfache Art Sorge getragen, und verdient hierbei die freundliche Mitwirkung der Stadt Göttingen sowie der hiesigen Gesellschaft des litterarischen Museums besondrer Erwähnung, wovon erstere sowohl durch pecuniäre Beschaffung des einen der beiden Freiconcerte der classischen Quartettkünstler Gebrüder Müller aus Braunschweig, als durch die gastliche Aufnahme der Gesellschaft auf der schönen Ruine des Hardenbergs, und letztere durch die Einladung zum Kaffee am Montag Nachmittage in dem Garten des Gesell- schaftslocals sich die Versammlung zu besonderem Danke verpflichtet haben. Die erwähnten Braunschweiger Künstler trugen ihrerseits zur Vermehrung des Kunstgenusses während jener Tage durch das auf eigene Rechnung veranstaltete Quartetteoncert am Donnerstag Abend bei. Eine festliche Versammlung der hiesigen Freimaurerloge am Abend des Donnerstags vereinigte die zur Zeit anwesenden Freimaurer, und an demselben Abend fand ein festlicher Commers der hiesigen Corpsstudenten Statt, zu welchem die Mitglieder und Theilnehmer der Versamm- lung eingeladen waren. Als Festordner trugen während der gemeinsamen Mittagsmahle und bei dem Festballe am Abend des Mittwoch die Herren Professoren Herbst, Krämer, Förster, Boedeker und die Herren Privatdocenten DD. Wiese, Schuchardt, Lohmeyer, Wachsmuth, Schrader, Spiegelberg, Lantzius-Beninga, Limpricht, Wicke, Riemann, Dedekind durch aufopfernde Sorge und dankenswerthe Aufmerksamkeit zur Erhöhung der geselligen Zwecke bei. Der Leitung des Tanzes sowie der Aufsicht über die getroffenen Anordnungen während des Balles insbesondere nahmen sich die Herren Studirenden Graf von Wintzingerode, Parish, Poten und Schmidt aufs Angelegentlichste an. Das Secretariat in den allgemeinen Sitzungen übernahm Herr Hofratı Wagner und die Redaction des jeden Morgen bis zum Sonntag ausgegebenen Tageblattes Herr D. Meissner. DIE ALLGEMEINEN SITZUNGEN. Ara er re ea Habıı t viaipshse. Daun u (0 # \ \ j Bine j o Wars: u 7 ’ # s N Pas.) 10282 70 5 ‘ “ ’ an Zar ven i P 2, (hend ie BE wie si Tine en V DB ‚ v ei EBD N TIRGARANKED o u Yaaı! 4 Win * ß y 2 » B ’ u ' & “ [Pr x Ir ‘» j . ' - ‘ ‘ er » Ä UF 2 ’ 2 & Erste allgemeine Sitzung. Montag den 18. September. Nachdem sich die Gesellschaft von Mitgliedern und Theilnehmern um 101; Uhr in der Aula des Universitätshauses versammelt, das Bureau, bestehend aus den beiden Geschäftsführern und dem die Secretariats-Geschäfte übernehmenden Hofrath Wagner, seinen Sitz vor der Rednerbühne, neben derselben die Behörden der Stadt auf besonderen Sitzen Platz genommen und auf den Tribünen ein weiter Zuhörerkreis von Herren und Damen sich eingefunden hatte, eröffnete der erste Geschäftsführer Prof. Baum die diesjährige Zusammenkunft mit folgenden Worten: In der dreissigsten Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte, die in Tübingen zu unauslöschlicher angenehmer Erinnerung an schönste Tage für alle, die daran Antheil zu neh- men das Glück hatten, gehalten wurde, fiel für die diesjährige Versammlung die Wahl auf Göttingen, die durch die Gnade Sr. Maj. unsres Königs bestätigt wurde. Professor Listing und ich wurden zu Geschäftsführern ernannt: und in dieser Stellung allein erlaube ich mir an Sie, hochgeehrte Anwesende, ein Wort des Grusses und der Einleitung in unsre gemeinsamen Arbeiten zu richten. Erlauben Sie, dass ich hiebei nur mit leichten Zügen einige Punkte be- rühre, die sich bei dieser Gelegenheit der Betrachtung zunächst unwillkürlich darbieten. Im Anfange dieses Jahres waren wir vielfach durch die Befürchtung bewegt, es möchten unsrer Zusammenkunft diesmal unübersteigliche Hindernisse durch den Krieg entgegentreten, der entweder unmittelbar hindernd, oder doch viele Mitglieder zurückhaltend Störung drohte. Gottes Gnade hat die Gefahr einstweilen vom deutschen Vaterlande abgewandt. Aber die Un- sicherheit die dadurch entstand, hat die Einrichtungen zur Einladung und zur Aufnahme unsrer Gäste wesentlich verzögert. Danach hat die Cholera in ungewöhnlich gefährlicher Form auftretend,, unter dem furcht- baren Unglück das ihr Erscheinen bringt, auch noch gedroht diese, wissenschaftlicher Bespre- chung geweihten Zusammenkünfte zu zerstören. Sie hat viele unsrer verehrten Freunde und Collegen, die wir mit freudigem Stolze hier gerne begrüsst hätten, in ihrem Berufe oder in ih- ren von der Gefahr bedrohten Familien zurückgehalten. Aber sie hat Gottlob noch keinen der Forscher uns entrissen , die den hier vertretenen Doctrinen angehören. Alle diese Schwierigkeiten schienen oft unsre Hoffnungen zerstören zu wollen : aber sie haben unser Zusammentreten nicht verhindert und mit Freude sehen wir einen gewählten grös- seren Kreis hier um uns versammelt, als wir erwarteten. Die verehrten Herren sind zum ersten Male im Hannoverschen Lande vereinigt, und ich möchte einen Augenblick die Gründe beleuchten, die wohl eine so auffallende Erscheinung veranlasst haben. 2° 12 Das Land ist prächtig, voll Hülfsmittel, voll Streben, Ernst und Tüchtigkeit. Indem es im reichen Maasse Alles in sich findet, was das Leben bedarf, ist es wenig geneigt zum Su- chen des Ausländischen. Auch seine Universität, von allen den erlauchten Königen von Hannover mit vorwaltender Liebe gepflegt, unterscheidet sich in ihren Institutionen vielfach wesentlich von andern deut- schen Universitäten. Sie hat kein Vorschlagsrecht bei vacanten Stellen: — sie hat eine sehr beschränkte Selbstregierung: sie wird viel mehr als andre deutsche Universitäten von der höch- sten Behörde regiert: aber dies geschieht mit einer fast beispiellosen und nicht genug zu rüh- menden Milde, Einsicht und Munificenz. Sie wird kaum als Landesuniversität angesehen und steht, mit Ausnahme des Spruchcollegiums der Juristenfacultät, in keiner Beziehung zur Staats- verwaltung. Durch diese exceptionelle Stellung hielt sie sich in ähnlicher, in sich geschlosse- ner ‚Selbstständigkeit, ohne viele Verbindung mit anderen Universitäten, ausser der, welche der wissenschaftliche Fortschritt verlangte. Es mag zu dieser Verzögerung der Wahl von Göttingen zum Versammlungsorte der Natur- forscher noch ein dritter Grund beigetragen haben. Die Versammlungen werden seit einigen Jahren überhaupt weniger als früher von älteren Gelehrten besucht. In Göttingen gab es aber seit geraumer Zeit weniger jüngere Docenten als verhältnissmässig an anderen Hochschulen, und so geschah es, dass von hier aus selten an den Versammlungen Theil genommen wurde. Diese Zurückhaltung traf mehr die medicinischen,, als die nicht medicinischen Sectionen. Als Grund dieser Erscheinung sind verschiedene Ursachen angegeben. Mir scheint er in der Entwickelung der medicinischen Wissenschaften in unserer Zeit zu liegen. In den letzt verflossenen Jahren geschah in der Mediein eine Umwandlung, wie sie, wenn wir die Geschichte fragen, immer dann einzutreten pflegt, wenn die Medicin die zu ihrer wissenschaftlichen Begründung nothwendigen theoretischen Principien einseitig durchforscht, und dadurch den Naturwissenschaften Zeit genug gewährt vor ihr einen weiten Vorsprung zu gewinnen. Dann erst macht die philosophische Deduction des gesunden und kranken Lebens einer naturhistorischen , exacten Behandlung Raum, um so eingreifender, je weiter die Naturwissenschaften der nachdenklichen Schwester voraus geeilt waren. Eine in dieser Weise veranlasste Revolution in den medicinischen Doctrinen ist vielleicht noch nie in so eminentem Maasse vor sich gegangen als in den letzten 20 Jahren in Deutsch- land. Die erhöhte Stärke der Mikroskope öffnete der Erkenntniss gesunder und kranker, sic] h entwickelnder oder entwickelter menschlicher Gewebe neue Bahnen. — Die unerwarteten Ent- deckungen in der organischen Chemie erschufen erst eine physiologische und pathologische Che- mie, und gaben oder versprachen neues Licht für die bis dahin dunkeln Stellen der Lebens- processe ; — die Gesetze der Physik gewährten neue Blicke in die Mechanik des menschlichen normalen und abnormen Baues. In solcher Zeit raschen wissenschaftlichen Umschwungs scheint es natürlich, dass ältere Forscher, vorsichtig und die Ueberstürzung fürchtend, in ihrem Urtheil über das neu Entdeckte zurückhaltend, die Discussion nicht suchen , die das Wesen und Leben dieser Vereinigun- gen sind, indem sie einsamer Forschung die Sichtung des, der Wissenschaft bleibenden Neuen von dem Vorübergehenden übertragen. Man ging in dieser Scheu so weit, sogar den Nutzen dieser Versammlungen zu läugnen, und doch sind ihre segensreichen Wirkungen un- verkennbar. Aus dem Zusammenstoss der jugendlichen unaufhaltsam strebenden Kräfte gährt sich am ersten das Wissen zur Klarheit ab. 13 Ausserdem aber fingen die Versammlungen allmälich immer entschiedener an, von den Aerzten der den Versammlungspunkten zunächst liegenden Orte besucht zu werden, und dadurch es zu bewirken, dass auch denen, welchen sich in der täglichen Berufsarbeit die unaufhaltsam im raschen Fluge forteilende Wissenschaft leicht zu entziehen droht, sie in ihren brennendsten Fragen vorgeführt wurde, in lebendigster Form und fasslichster Weise: dass sie hier, mitthei- lend und empfangend, Beobachtungen lieferten für die fernere wissenschaftliche Bearbeitung, und mit den Fortschritten der Wissenschaft bereichert in ihren schweren Beruf mit neuem Eifer zurückkehrten. Ich zeigte wie die Verspätung der Wahl Göttingens zum Versammlungsort der Naturforscher in der Art des Landes, in den Eigenthümlichkeiten der Universität, in den Entwickelungssta- dien der medicinischen Wissenschaften ihre Erklärung findet. Sie ist aber überwunden: die Universität und die Stadt Göttingen begrüsst die anwesenden Gäste mit freudigem Grusse, und unsere wissenschaftlichen Arbeiten beginnen. Wir treten sie nicht ohne grosse Hoffnungen an, zu denen die Betrachtung berechtigt, dass in den Naturwissenschaften und der Mediein, die wir bald nicht mehr zu trennen nöthig haben werden, in Deutschland ein Leben und Streben herrscht, das Grosses geleistet hat und noch Grösseres verspricht. Von der Blüthe der mathematischen Wissenschaften kann ich nicht sprechen, theils weil mir die Befähigung dazu fehlt, theils weil die Besprechung ihres Fort- ganges nicht ohne Preis der eignen Universität geschehen dürfte. Die Physik sucht die Ge- sammtheit der Lichterscheinungen, der electrischen, galvanischen und Wärmeerscheinungen durch Wellenbewegung und Strombewegung in einen möglichst einfachen und bündigen Zu- sammenhang zu bringen und aus der Beschaffenheit dieser Bewegungen denjenigen unwahr- nehmbaren Grund - Bestandtheil der Körper, dem sie zugeschrieben werden können, und sein Verhältniss zu dem wahrnehmbaren zu erforschen. Die Chemie, indem sie die wahre Constitution der organischen Körper zu ergründen sucht, findet unter der unendlich grossen Zahl der entdeckten neuen Körper eine immer zunehmende Uebereinstimmung und Einfachheit. Mit der Mineralogie erforscht sie besonders die Ueberein- stimmung der Krystallformen mit der Isomerie der Körper. Die Botanik macht in der Kenntniss der Zelle und ihrer Entwickelung, höchst wichtig auch für die Kenntniss der thierischen Zelle, in ihren Untersuchungen über das pflanzliche Individuum, seine Grenze und Lebensdauer die bedeutendsten Schritte. In den medieinischen Doctrinen sind die Bestrebungen unaufhaltsam darauf gerichtet, so weit es möglich die erkannten Gesetze der Physik und Chemie auf die Erklärung der Erschei- nungen des normalen und abnormen organischen Lebens anzuwenden. Dies geschieht mit sol- cher Energie, dass die Besorgniss nahe liegt, es werde über dem materiellen Substrat das Im- materielle eliminirt oder übersehen. Es hat damit wohl keine Noth. Es muss erst die Anwen- dung der physikalischen und chemischen Gesetze nach ihren höchsten Entwickelungen auf die Erscheinungen des thierischen Lebens vollkommen durchgearbeitet werden; der Geist ist dabei nicht zu dämpfen; die Application muss so weit geführt werden, bis die Grenzlinie bestimmt sein wird, wo die Erscheinungen im thierischen Leibe nicht mehr durch die heute bekannten Gesetze der Chemie und Physik zu erklären sind. An Extravaganzen kann es dabei nicht feh- len, aber sie finden ihre Bekämpfer. — Wie viel weiter sind wir doch, als vor etwa hundert Jahren Ernst Stahl, der grösste Arzt und der grösste Chemiker seiner Zeit, der Anfänger unsrer heutigen Chemie, indem er das Phlogiston bestimmte! — und doch verwarf er entschieden jede 14 Anwendung der Chemie auf die Erklärung der Erscheinungen des Lebens. Der Fortschritt ist so schlagend, wie beruhigend für den Blick in die Zukunft. So wollen wir die Freude an dem rüstigen Streben auch in den medicinischen Wissen- schaften uns nicht verkümmern durch Sorge vor Abwegen: die wahre Wissenschaft lebt un- gestört bei jedem Abwege und arbeitet ihre wahre Existenz aus jeder Scheinexistenz sicher heraus. Der Erscheinung begegnen wir freilich oft in unsrer Zeit, dass es verkannt wird, dass die Naturwissenschaften nur die Gesetze zu erkennen suchen, die Gott in die Materie gelegt hat: dass die steigende Reihe von Entdeckungen dieser Gesetze den wesentlichsten Theil der Ent- wiekelung des Menschengeistes zur Erkenntniss Gottes bilden. Es ist nicht möglich, dass, wie Spinoza sagt, die Welt keinen Zweck habe, als eben ihre Existenz. Ein Hauptzweck der Menschheit muss in dieser den Wegen Gottes in der Schöpfung immer näher auf die Spur kommenden geistigen Entwickelung des Menschen liegen. Zu dieser mitzuwirken ist dem geistigen Menschen ein unwiderstehliches Streben eingepflanzt, dem er unbedingt folgt, auch wenn er nicht ahnt, wessen Spuren er verfolgt. Und so mag ein reines und kräftiges Ringen nach Erkenntniss der Wahrheit auch unsre Versammlung beleben, mag es unsern verehrten Gästen in unsrer kleinen Stadt wohl gefallen, mag die Versammlung ungestört ihren Fortgang haben. Meinem Amte gemäss erkläre ich die Versammlung für eröffnet. Hierauf verlas in üblicher Weise der zweite Geschäftsführer Professor Listing die Statu- ten der Gesellschaft: Statuten der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte. $. 1. Eine Anzahl deutscher Naturforscher und Aerzte ist am 18. September 1822 in Leipzig zu einer Gesellschaft zusammengetreten, welche den Namen führt: Gesellschaft der deutschen Naturforscher.und Äerzte. $. 2. Der Hauptzweck der Gesellschaft ist: den Naturforschern und Aerzten Deutschlands Gelegenheit zu verschaffen, sich persönlich kennen zu lernen. $. 3. Als Mitglied wird jeder Schriftsteller im naturwissenschaftlichen und ärztlichen Fache betrachtet. $. 4. Wer nur eine Inaugural-Dissertation verfasst hat, kann nicht als Schriftsteller ange- sehen werden. $. 5. Eine besondere Ernennung zum Mitgliede findet nicht statt; und Diplome werden nicht ertheilt. 8. 6. Beitritt haben alle, die sich wissenschaftlich mit Naturkunde oder Medizin be- schäftigen. $. T. Stimmrecht besitzen ausschliesslich die bei den Versammlungen gegenwärtigen Mit- glieder. $. 8. Es wird Alles durch Stimmenmehrheit entschieden. $. 9. Die Versammlungen finden jährlich und zwar bei offenen Thüren statt, fangen jedesmal mit dem 18. September an und dauern mehrere Tage $. 10. Der Versammlungsort wechselt. Bei jeder Zusammenkunft wird derselbe für das nächste Jahr vorläufig bestimmt. 15 $. 11. Ein Geschäftsführer und ein Secretair, welche im Orte der Versammlung wohnhaft sein müssen, übernehmen die Geschäfte bis zur nächsten Versammlung. $. 12. Der Geschäftsführer bestimmt Ort und Stunde der Versammlungen und ordnet die Arbeiten, weshalb Jeder, der etwas vorzutragen hat, es demselben anzeigt. $. 13. Der Secretair besorgt das Protokoll, die Rechnungen und den Briefwechsel. $. 14. Beide Beamten unterzeichnen allein im Namen der Gesellschaft. $. 15. Sie setzen, erforderlichen Falls, und zwar zeitig genug, die betreffenden Behörden von der zunächst bevorstehenden Versammlung in Kenntniss, und machen sodann den dazu bestimmten Ort öffentlich bekannt. 8. 16. Es werden in jeder Versammlung die Beamten für das nächste Jahr gewählt. Wird die Wahl nicht angenommen, so schreiten die Beamten zu einer andern; auch wählen sie nöthigenfalls einen andern Versammlungsort. $. 17. Sollte die Gesellschaft einen der Beamten verlieren, so wird dem Uebrigbleibenden die Ersetzung überlassen. Sollte sie beide verlieren, so treten die Beamten des vorigen Jah- res ein. $. 18. Die Gesellschaft legt keine Sammlungen an, und besitzt, ihr Archiv ausgenom- men, kein Eigenthum. Wer etwas vorlegt, nimmt es auch wieder zurück. $. 19. Die etwaigen geringen Auslagen werden durch Beiträge der anwesenden Mitglieder gedeckt. 6. 20. In den ersten fünf Versammlungen darf nichts an diesen Statuten geändert werden. Im: Auftrage der Gesellschaft der Geschäftsführer Dr. Friedrich Schwägrichen. der Secretair Dr. Gustav Kunze. Sodann hielt Herr Hofrath Wagner folgenden Vortrag: Hochansehnliche Versammlung! Nur mit Widerstreben habe ich der mehrfach wiederholten Aufforderung meines hochver- ehrten Freundes, den Ihr Vertrauen zum ersten Geschäftsführer berufen hat, Folge geleistet, hier in dieser öffentlichen Versammlung einen Vortrag zu halten, wozu ich sonst keine Veran- lassung gefühlt haben würde. Noch war ich zweifelhaft gewesen und erst das Zureden einiger anderer wohlwollender Männer hat die letzten Bedenken in mir beseitigt. Es schien diesen Freunden schicklich, dass irgend ein Mitglied der Versammlung aus der Stadt selbst, welcher Sie die Ehre Ihres Be- suchs geschenkt haben, auch gleich von Anfang an das Wort ergreife, und indem es in der ersten allgemeinen Sitzung einen wissenschaftlichen Gegenstand von weitgreifender Bedeutung zur Erörterung bringe, von den einleitenden Worten des Geschäftsführers naturgemäss zu den spezielleren Gegenständen der Fachmänner den Uebergang bilde. Für eine solche Anregung bot sich zunächst ein Gegenstand dar, welcher vielleicht unter allen Gegenständen der Naturforschung und des ärztlichen Wissens und Handelns einerseits und den übrigen Zweigen der menschlichen Bildung andrerseits am meisten als Bindeglied dienen kann. Es ist dies die Lehre vom Menschen, die Anthropologie nach ihrer physischen und psychischen Seite und zwar ein Abschnitt daraus, den ich, wenn ich meinem Vortrage einen Titel geben soll, „Menschenschöpfung und Seelensubstanz” nennen will. Ohne Interesse sollen Sie hoffentlich den Gegenstand nicht finden. Ob die Behandlung 16 Ihnen allgemein angenehm sein wird, ist eine andere Frage. Zur Wahl lag zunächst eine ört- liche Veranlassung vor. Die physische Anthropologie, die Naturgeschichte des Menschengeschlechts, hat ihre wis- senschaftliche Wiege in unseren Mauern. Noch steht das unscheinbare, nunmehr einem öffent- lichen, wohlthätigen Zwecke gewidmete Haus, in welchem der Mann aus wenigen Fragmen- ten, die ihm meist seine dankbaren Schüler aus verschiedenen Welttheilen sandten, mit dem Blicke des Genies die heute noch unerschütterten Fundamente zu einem neuen Zweige des Wissens legte, welches die Naturgeschiehte unsers Geschlechts mit der gesammten Welt- und Menschengeschichte verknüpft. Viele unter den Anwesenden kannten den originalen Mann noch persönlich und die Documente, auf welche er seine Studien gründete, sind durch die Munificenz unserer Regierung unserer Hochschule für immer erhalten worden. Sie sind in den Räumen des physiologischen Instituts aufgestellt. Es lag dabei nahe, an dem heutigen festlichen Tage aus der Geschichte unserer Hoch- schule ein oder das andere Moment herauszugreifen , das geeignet wäre, zu zeigen, wie tief eingreifend in die Geschichte der Wissenschaften, welche in unserer Versammlung repräsentirt sind, die kleine und stille Stätte gewesen ist, welche in allen Theilen der gebildeten Welt und selbst bei dem grössten Eroberer der letzten Jahrhunderte sich Anerkennung und Achtung er- worben hat. Am Ende würde ich ihnen aber doch nur Bekanntes wiederholen können. Blumenbach’s Popularität ist so gross gewesen, dass der Inhalt seiner Forschungen zugleich mit der schlich- ten originalen Darstellungsweise ein Gemeingut aller Gebildeten geworden ist. Seine Grund- lehren über den natürlichen Zusammenhang und die Verschiedenheiten der einzelnen Körper- formen der Körper des Erdballs sind in unsere Volksbücher übergegangen. Eine Frage aber, die ich hier spezieller beantworten will, ist die: haben sich gewisse Hauptlehren Blumenbach’s, welche im tiefsten Zusammenhange mit der Lehre von der ur- sprünglichen Stammverwandtschaft des Menschengeschlechts stehen, in Folge unserer so sehr vermehrten ethnographischen Kenntnisse bewährt und erweitert? Werfen wir einen Blick auf gewisse Hauptresultate, welche ich in sieben Sätzen in ge- meinfasslicher Form vorlegen will. Erster Satz: Alle körperlichen Verschiedenheiten, welche unter den Körpern des Erd- balls vorkommen, sind nicht grösser, als die Verschiedenheiten, welche bei Thieren und Pflan- zen von einer und derselben Art (Species) z. B. beim Hund, beim Schaf vorkommen und die wir mit dem Namen der Spielarten oder Varietäten bezeichnen. Alle einzelne Thatsachen, welche wir seit Blumenbach’s ersten Forschungen vor nun- mehr 80 Jahren kennen gelernt haben, konnten diesen Satz nur bestätigen. Zweiter Satz: Diese Spielarten des Menschengeschlechts zerfallen: «) in zufällige Varietäten z. B. pigmentlose Menschen, Albinos oder Kakerlaken, welche unter allen Völ- kern, unter vielen Säugethieren und Vögeln beobachtet sind; 5) in klimatische Varietäten, solche, wo wir den Einfluss des Klimas auf Hautfärbung, Körpergrösse u. s. w. nachweisen können; c) sogenannte ständige Varietäten oder Rassen. Dritter Satz: Die Feststellung der Zahl dieser Rassen hängt einigermassen von der Willkühr ab, von dem Grade der Abweichung, den man für erforderlich hält, um daraus eine Rasse zu bilden. Blumenbach nahm bekanntlich fünf Rassen an, die im Allgemeinen den fünf Welttheilen entsprachen. Mit wunderbarem Takte, und nur mit geringen Fehlern, um- grenzte er die vier Continental-Rassen, welche wir jetzt die ideoeuropäische (mit Ausdehnung 19 über den Kaukasus zum Indus und Ganges, über Klein-Asien und Nord-Afrika), die asiatische, die wollhaarige afrikanische, die amerikanische nennen oder nach der vorstechenden Farbe: die weisse, die gelbe, die schwarze, die rothe. Und selbst Blumenbach’s fünfte, die malayische oder braune Rasse, können wir festhalten, wenn wir ihr noch als sechste die schlichthaarige schwarze Rasse Neuhollands und vielleicht als siebente die Papuas hinzufügen, während wir die wollhaarigen pelagischen Neger den Continental-Negern anreihen. Linguistische Forschun- gen haben seitdem die wunderbare Thatsache festgestellt, dass die grossen Sprachengruppen den physischen Rassenbildungen im Allgemeinen parallel gehen. Vierter Satz: Alle Menschen-Rassen vermischen sich unter einander freiwillig, sind fruchtbar, es gehen Mischlinge hervor — Mulatten, Mestizen u. s. w., welche wieder eine fruchtbare Nachkommenschaft erzeugen. Sämmtliche Rassen bilden auf diese Weise nach scharf physiologischem Begriffe nur eine Art, Species, welche hier identisch mit Geschlecht (genus humanum) ist. Dieser Satz, den Blumenbach noch nicht mit der nöthigen wissenschaftlichen Schärfe fasste, ist heute eine unzweifelhafte Consequenz aus der Physiologie der Generation. Es steht fest, nur Thiere einer und derselben Art vermischen sich fruchtbar. Thiere verschiedener, nahe verwandter Art vermischen sich unter besonderen, meist nur künstlichen Verhältnissen, aber die Mischlinge sind unfruchtbar und sterben aus. Dies tiefgreifende Gesetz besteht zum Schutze der historischen Existenz der Arten. Fünfter Satz: Die geschichtlichen Dokumente, die als Mumien in Gräbern und die im subfossilen Zustande vorkommenden menschlichen Skelette zeigen uns, dass der Mensch keine wesentlichen Veränderungen in Form und Grösse erlitien hat und eben so haben alle neueren geologischen Thatsachen bestätigt, dass der Mensch in der Reihe der Organismen der letzte gewesen, welcher in der Schöpfung auftrat. Cuvier’s Forschungen haben hier die von Blumenbach ergänzt. An diese fünf Sätze reiht sich ein sechster und siebenter, welche ich aber in die Form 2 zwei Fragen kleiden will, Fragen, welche in diesem ganzen Gebiete offenbar für die ge- ? ‚sammte menschliche Wissenschaft die interessantesten sind, nämlich: Lassen sich alle Menschen-Rassen auf eine Urform zurückführen und wie sind sie entstan- den? — und weiter — lässt sich aus naturhistorischen Gründen annehmen, dass alle Menschen von einem Paare abstammen ? Sie werden mir zugeben, dass die bejahende Beantwortung dieser Fragen auf rein wissen- schaftlichem Wege, ohne Rücksicht auf die Tradition, vom grössten Interesse sein würde. Es kann kein Zweifel sein, mit der Bejahung oder Verneinung steht und fällt das ganze historische Christenthum in seinem tiefen Zusammenhang mit der Menschenschöpfung; der einfachste, schlichteste Bibelglaube eben so gut, als das ganze Gebäude unserer kirchlichen Lehrbegriffe, stürzen zusammen und unserer wissenschaftlichen Theologie, soweit sich dieselbe eins weiss mit der Kirche, wird der Boden unter den Füssen entzogen. Blumenbach’s Meinung ging dahin, dass die Lehre der Offenbarung durch die Resul- tate seiner Forschung unberührt bleibe. Er hielt fest an dem Grundsatz, dass alle Menschen nur Varietäten einer Art, Species, bildeten, und kommt zu dem Endresultate, dass durchaus kein naturhistorischer Grund gegen die Annahme einer Abstammung aller Völker von einer gemeinschaftlichen Stamm-Rasse vorläge. Alle aufgestellten Rassen — erklärt derselbe aus- drücklich — fliessen durch so mancherlei Abstufungen und Uebergänge in einander über, so dass sich keine anderen, als willkührliche Grenzen festsetzen lassen. 18 Diese Ansicht Blumenbach’s ist am meisten angefochten worden und es lässt sich nicht läugnen, dass eine Anzahl von achtbaren Naturforschern, welche sich seitdem mit dem Gegen- stand beschäftigten, bis in die neueste Zeit herein immer mehr zu der Ueberzeugung kamen, dass es mehrere ursprüngliche Stamm-Paare gegeben, dass die Neger und andere Haupt - Ras- sen ihre eigenen Adams und ihre Paradiese gehabt haben mussten. Ein Resultat, das insbe- sondere den Sklavenbesitzern als das erwünschteste erscheinen muss. In der Annahme der Zahl dieser Stamm-Paare weichen die Forscher sehr ab. Man hat, wie zuerst von Oken ge- schehen, nach den fünf Blumenbach’schen Haupt-Rassen fünf, so weiter aber bis zu fünf- zehu und sechzehn verschiedene Adams aufgestellt, deren jeder der Stammyater einer der exi- stirenden grossen Völkergruppen sein sollte. Fragen Sie mich auf mein wissenschaftliches Gewissen, ganz ohne Rücksicht auf meine religiöse Ueberzeugung, wie ich die Endergebnisse der hier einschlagenden Forschungen, denen ich seit einer Reihe von Jahren aufmerksam gefolgt bin, formuliren würde, so kann ich fol- genden Satz aussprechen: ‚Sämmtliche Rassen des Menschen, so wie die Rassen vieler Hausthiere lassen sich auf keine wirklich existirende, sondern nur auf eine ideale Urform, welcher die indoeuropäische am nächsten steht, zurückführen. Die Art und Weise, wie die Rassen sich gebildet haben, ist völlig unbekannt. Sie fällt in eine unvordenkliche, der Forschung völlig unzugängliche Zeit. Ob alle Menschen von einem Paare abstammen, lässt sich vom Standpunkte exakter Naturfor- schung eben so wenig erweisen, als das Gegentheil, und man kann von dieser Seite von der Geschichtsforschung und wissenschaftlichen Theologie durchaus nicht auf die Naturforschung rekurriren. Die Möglichkeit der Abstammung von einem Paare lässt sich aber wissenschaft- lich nach streng physiologischen Grundsätzen durchaus nicht bestreiten. Wir sehen unter un- seren Augen in einzelnen kolonisirten Ländern physiognomische Eigenthümlichkeiten bei Men- schen und Thieren entstehen und beharrlich werden, welche, wenn auch nur entfernt, an die Rassenbildung erinnern.” Dies ist, wenn Sie wollen, mein wissenschaftliches Glaubensbekenntniss über diese ti anziehende Frage, in welcher weder die rein historische Forschung, noch die naturgeschich liche Anthropologie in Verbindung mit der Geologie irgend einen festen Boden findet, da sich die letzten Endpunkte in eine unzugängliche Tiefe verlieren. Weder ein positiver Be weis für die Lehre der Schrift lässt sich führen, noch ein Gegenbeweis. Die wissenschaftliche Theologie muss von diesem Satze, als einem Glaubens- satze, ausgehen. Die jüngsten Resultate der Naturforschung lassen densel- ben nach meiner festen Ueberzeugung ganz unangetastet. Ich wende mich nun nach einer anderen, von der physischen zur psychischen Seite. Hat die Naturforschung, wie sie nach der Vergangenheit des Menschengeschlechts den Blick gewendet und unsere älteste Geschichte zu erhellen gesucht hat, sich auch an die Frage über die Zukunft unseres Geschlechts gewagt? Hat die Physiologie, welche die Lebenspro- zesse des Individuums untersucht, sich auch mit der Frage beschäftigt, was aus demselben nach dem Tode wird, oder was damit eins ist, hat diese Wissenschaft in neuester Zeit, wo sie anerkannt so grosse Fortschritte gemacht, sich über die Natur der Seele klar und entschieden ausgesprochen ? Nicht alle Physiologen haben es gewagt, diese Frage aufzunehmen und wenn es gesche- hen ist, haben sie theils wegen der Schwierigkeit des Objects, theils offenbar aus anderen Gründen, es vermieden, sich völlig bestimmt zu äussern. Aber mehr und mehr haben sie ein 19 Gebiet sich vindizirt, welches seit lange nur der Philosophie und Theologie eingeräumt schien. Mehr und mehr haben unter den Naturforschern und insbesondere den Physiologen die mate- rialistischen Ansichten Verbreitung und Boden gewonnen, mehr und mehr schwindet der Glaube an eine substantielle Seele und der Versuch, die Psychologie vollkommen in die Natur- wissenschaft aufzulösen, ist für Den, welcher in der Signatur der Zeit zu lesen versteht, der wahrscheinliche Gang der nächsten Zukunft. Haben auch Männer, vollkommen vertraut mit dem gegenwärtigen Zustande unsres Wis- sens, Männer, von denen mehrere mitten unter uns in der heutigen Versammlung sitzen, ge- gen die Berechtigung eines unbedingten Materialismus sich ausgesprochen, — sie selbst läug- nen nicht, um mich der eigenen Worte eines hier unter uns weilenden geistvollen Forschers zu bedienen: ‚‚dass den materialistischen Theorien, die zu allen Zeiten hin und wieder auf- traten, in neuester Zeit der rasche Fortschritt der Naturwissenschaften besonderen Muth ge- macht hat, in einer grösseren Ausdehnung und mit wachsender Zuversicht hervorzutreten.” „Die grosse Verbreitung, sagt derselbe Schriftsteller so richtig und wahr, die bei der fort- schreitenden Abnahme allgemeiner Bildung diese materialistischen Raisonnements gewonnen haben und gewiss noch lange gewinnen werden, nöthigt uns, ohne die Hoffnung eines bedeu- tenden Erfolgs, die hervorstechendsten Argumente derselben zu prüfen.” Ich wähle die neueste, vor wenig Wochen erst erschienene zweite Auflage einer Schrift eines im Fache der organischen Naturlehre vielbekaunten und vielbegabten Naturforschers. In seiner Darstellung der Funktionen des Nervensystems und des Seelenlebens sagt derselbe wört- lich folgendes: ,,‚Der Sitz des Bewusstseins, des Willens, des Denkens muss einzig allein in dem Gehirn gesucht werden. Eine Seele anzunehmen, die sich des Gehirns wie eines Instru- ments bedient, mit dem sie arbeiten kann, wie es ihr gefällt, ist ein reiner Unsinn.” . ... ‚Mit dem Tode des Organs hören die Seelenthätigkeiten ganz auf”... . „‚Die Physiologie — heisst es weiter — erklärt sich demnach bestimmt und kategorisch gegen eine individuelle Un- sterblichkeit, wie überhaupt gegen alle Vorstellungen, welche sich an diejenige der speziellen Existenz einer Seele anschliessen. Sie ist nicht nur vollkommen berechtigt, bei diesen Fragen ein Wort mitzusprechen, sondern es ist ihr sogar der Vorwurf zu machen, dass sie nicht frü- her ihre Stimme erhob, um den einzig richtigen Weg anzuzeigen, auf welchem dieselben über- haupt gelöst werden können. Man hat behauptet, die Physiologie gehe zu weit, wenn sie sich mit mehr, als dem materiellen Substrate beschäftige; — sie will aber gerade die Funktionen dieses Substrates kennen lernen und was sie als solche Funktionen erkennt, muss sie in das Reich ihrer Betrachtungen ziehen.” Nachdem der Naturforscher, dessen Worte ich eben angeführt, noch drei namhafte deut- sche Anatomen und Physiologen citirt und Stellen aus deren Schriften zu seinen Gunsten aus- gehoben hat, schliesst er: ‚Was mich selbst betrifft, so kann ich nur einfach hinzufügen, dass ich zwar die Behauptung aufgestellt habe, es müsse jeder Naturforscher bei folgerichtigem Den- ken zu solchen Schlüssen kommen; — dass ich aber niemals behauptet habe, dass es keinen Naturforscher ohne folgerichtiges Denken, keine blödsinnigen oder vernagelten Menschen unter den Naturforschern gebe.” Unter den drei eitirten Physiologen hat vielleicht einer, welcher uns heute in dieser Ver- sammlung die Ehre seines Besuchs geschenkt hat und den ich das Glück habe, unter meine eigenen frühern Schüler zu rechnen, Ursache, sich zu beklagen, denn derselbe scheint mir seine Ansichten weit mehr restringirt und weit besonnener vorgetragen zu haben, um zu der hier aufgestellten solidarischen Gemeinschaft gezählt zu werden. 3* 20 Was den obengenannten Naturforscher betrifft, so wird man zugestehen, dass er klar und deutlich redet. Ueber Zweideutigkeit wird man sich schwerlich zu beklagen haben. Diese Ehrlichkeit muss man dem Manne in gewisser Hinsicht zum Ruhme nachsagen. Das ist doch einmal eine runde und bestimmte, eine unverblümte Antwort auf eine delicate Frage. Die Consequenzen aus dieser Ansicht sind ebenfalls von durchgreifender Simplieität. Erstens die Kategorieen, in welche von jetzt ab alle denkenden Menschen werden einge- theilt werden müssen. Es gibt nur zwei grosse Klassen d. h. ‚‚folgerichtige Denker”, nämlich solche, die der Ansicht des Verfassers folgen, sodann ‚‚blödsinnige und vernagelte” Menschen. Die Moral, die Maxime für das Leben, welche daraus folgt, ist nicht minder einfach; es ist dieselbe, wie sie schon vor Jahrtausenden, solchen Lehren gegenüber aufgesiellt wurde; sie lautet: ‚‚Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir todt.” Unsere Sittenlehrer, unsere 'Theologen, unsere Staats- und Rechtslehrer werden künftig ein sehr einfaches Amt haben. ,‚‚Denn” — sagt der eben citirte gelehrte Autor in einem anderen vor zwei Jahren erschienenen Werke — ‚,‚der freie Wille existirt nicht und mit ihm nicht eine Verantwortlichkeit und eine Zurechnungsfähigkeit, wie sie die Moral und Strafrechtspflege und Gott weiss noch wer uns auferlegen wollen. Wir sind in keinem Augenblicke Herren über uns selbst, über unsere geistigen Kräfte, so wenig, als wir Herren sind darüber, dass unsere Nieren eben absondern oder nicht absondern sollen.” Also: alle jene ernsten und grossen Gedanken, welche die tiefsinnigsten philosophischen und historischen Forscher in den Bewegungen des menschlichen Geistes und deren Ausdruck, der Weltgeschichte, erkannt, alle grossen Ideen, an denen sich ganze Generationen erwärmt und zu Thaten begeistert, für die sie gekämpft und geblutet haben, unter deren Einfluss sie die Künste gepflegt, unsere gewaltigen Dome emporgewölbt haben, alle jene wunderbaren Mas- senerhebungen und Herrscherbestrebungen, unter denen sich die grossen Institutionen des Staats und der Kirche seit Jahrtausenden in den eigenthümlichsten und gedankenreichsten Gliederungen entfalteten, sind eitle Träume, leere Phantasmen, Spiele mechanischer mit zwei Armen und Beinen umherlaufender Apparate, die zuletzt prasselnd als Todtengerippe überein- ander stürzen, sich in chemische Atome auflösen, welche sich wieder von Neuem zu Menschen- gestalten zusammenfügen, um den alten gedankenlosen Kreislauf ihrer Thätigkeit von Neuem zu beginnen, dem Tanze Wahnsinniger in einem Irrenhause vergleichbar, ohne Zukunft, ohne Lösung der Geheimnisse, die sich an unsere Entstehung und unser Dasein knüpfen, ohne sitt- liche Basis, ohne Vertrauen anf eine moralische Weltordnung, ohne Hoffnung auf ein gerechtes Gericht dessen, was die Einzelnen Gutes oder Böses gedacht und gethan, ohne einen Glauben an ein jemaliges harmonisches Walten im Reiche geistigen Geschehens, während uns Naturfor- schern im Reiche der sichtbaren Welt die kunstvollste und stetigste Harmonie gesetzmässiger Erscheinungen entgegentritt? Wir, die wir hier versammelt sind, wie verschieden sich auch in jedem Einzelnen von uns unsege Weltanschauung gestaltet haben mag, wir, die wir das Ringen unserer Nation in sei- nen letzten Kämpfen mitgesehen, mitgefühlt, zum grossen Theile selbsttheilnehmend mit durch- gemacht haben, wir haben uns auch die Frage nahe zu legen, welches werden die Resultate unserer Forschungen für die gesammte Bildung und die Zukunft unsres grossen Volks sein, aus dessen weiten Gauen wir hier zu gemeinschaftlichen wissenschaftlichen Zwecken zusam- mengekommen sind? Wie verschieden auch unser Beruf sein mag, wie kosmopolitisch unsere Aufgabe, die Ehre des Namens eines Patrioten wird keiner von uns missen wollen. Und wenn dies der Fall wäre, wenn einer von uns der Pflichten vergessen hätte, welche die grossen Hei- 21 den des klassischen Alterthums sich als die erste sittliche Anforderung stellten, glauben Sie, die anderen Männer, welche unserer Versammlung und unserem Gremium nicht angehören, welche als einfache, schlichte Bürger ihr städtisches Gemeinwesen pflegen oder sonst in Kunst und Wissenschaft, in Staat und Kirche ihre Lebensaufgabe in Förderung des grossen Ganzen sehen müssen, würden uns unsere Pflichten zur Erziehung der Nation erlassen’! Ein Mann, der in den Kämpfen der jüngsten Vergangenheit eine der hervorragendsten Rollen gespielt, der unserem Volke seine besten und reinsten Kräfte gewidmet hat und der, wie er auch als Staatsmann geirrt haben mag, als Schriftsteller uns stets zur Bewunderung die- nen wird; ein Mann, den wir zum grossen Schmerze des Vaterlandes erst vor Kurzem in die Grube gesenkt haben, sagt in einem seiner berühmten Gespräche, deren klassische Form selbst die besten antiken Muster erreicht: „La grande affaire pour U’homme c'est la vie et la grande affaire dans la vie, c’est la mort. Die ganze Bürgschaft für das Uebersinnliche entspringt doch immer nur aus der Antwort für die Frage: Was wird aus dem Menschen nach seinem leiblichen Tode? Wer in unserer Zeit eine Grundlage der Moral, Religion un | Politik für die entchristeten Massen schaffen will ‚ der muss die Fortdauer nach dem Tode wieder zur Gewissheit Aller erheben.” Glauben Sie, dass die materialistischen Resultate über die Natur der Seele, welche angeb- lich ein regelrechtes Facit unserer physiologischen Forschungen sind, der Anforderung ent- sprechen, welche jener ernste und hochgebildete Mann gestellt hat? Dieser Mann — ich sage es mit Stolz — war mein Freund; spät im Leben habe ich ihn gewonnen. Wie verschieden auch im Einzelnen mein wissenschaftlicher Standpunkt, mein religiöses Bekenntniss, meine politischen Anschauungen waren, das Wesentliche seiner Forde- rungen für die Bildung der Nation habe ich mir angeeignet, es zu verfolgen, habe ich ein Gelübde gethan, um diesem zu genügen, darum spreche ich hier. Das Verlangen, das jener edle Verstorbene stellt, ist vielleicht in dem obigen Satze nicht ganz richtig formulirt. Aber der Kern, den es enthält, ist darum doch für Jedermann ver- ständlich und der geforderten sittlichen Aufgabe dürfte sich Niemand entziehen, dem es je eben ward, ihr irgend ernstlich nachzudenken. s ist der Beruf dreier grosser Sektionen dieser Versammlung, sich mit der Frage nach Natur der Seele und ihrem Verhältniss zum Körper ernstlich zu beschäftigen. Ich glaube nicht, dass der gegenwärtige Augenblick, das Hereinbrechen einer furchtbaren Seuche, wel- _ cher, gestehen wir es offen, weder die Wissenschaft noch die Kunst viel abgewonnen hat, das Interesse an dieser Frage schwächt. Ich meine im Gegentheil, dass dieselbe, wie die uns in ‚nächster Zukunft drohenden Weltkämpfe,, nur geeignet sein werde, die Frage um so ernster zu nehmen. Auch kann der geheimnissvolle Gang dieser Walsesehiehäehen Seuche nur vor- sichtiger machen, uns nicht über unsere vermeintliche Weisheit in der Erkenntniss des Wesens der Dinge zu täuschen und muss uns veranlassen, die Natur unseres eigenen Erkenntnissver- mögens von Neuem aufmerksam zu prüfen. Angesichts aller dieser Gründe möchte ich einfach im Interesse der Fachmänner wie der Laien die Frage an Sie stellen, d. h. an Diejenigen unter Ihnen, deren wissenschaftlicher Be- ruf es ist, sich damit zu beschäftigen: Halten Sie den Zustand unserer Wissenschaft wirklich für hinreichend reif, um aus deren Mittelpunkt heraus die Frage über die Natur der Seele überhaupt zu entscheiden? Und wenn dies, sind Sie geneigt, auf die Seite Derjenigen zu treten, welche eine eigenthümliche Seele läugnen zu müssen glauben? 22 Diese beiden Fragen sind rund, klar und bestimmt formulirt. Möchte Ihre Antwort, wenn Sie je auf dem Wege Ihres wissenschaftlichen oder praktischen Berufs in den Fall kommen, eine solche zu ertheilen, eben so unzweideutig aus- fallen. Alle Halbheit ist des freien wissenschaftlichen Forschers unwürdig. Aber ich kann mir nicht denken, dass Sie bei einer ernsten Vertiefung in den Gegenstand zu Resultaten kommen sollten, welche die Naturwissenschaften in den Verdacht bringen müssen, die sittlichen Grundlagen der gesellschaftlichen Ordnung völlig zu zerstören. Nur indem wir diese stützen und erhalten, erfül- len wir eine Pflicht gegen die Nation. Unsere Nachkommen werden uns dar- über Rechenschaft abfordern. Sodann sprach Hr. Medicinalassessor Dr. Alexander Göschen aus Berlin „über Zweck, Bedeutung und Werth der allgemeinen Versammlungen”, und machte Vorschläge, um dieselben möglichst erspriesslich zu machen. BR m Dann hielt Hr. Rector Gümbel aus Landau folgen nden Vortrag über ‚‚die Zelle vom all- gemeinen Standpunkt und mit specieller Anwendung auf den Blüthenstaub und dessen geneti- schen Zusammenhang mit der Trauben - und Kartoffelkrankheit”. Motto: Es trug der Baum des Lebens blutige Frucht, Dass wer sie koste, Leben sei sein Lohn. — Hochansehnliche Versammlung ! An Indem ich es wage, mit einem Thema vor Sie zu treten, das dem Wortlaute nach Be; die Sectionssitzung für Botanik bestimmt erscheinen möchte, glaube ich mich einerseits auf die Wichtigkeit beziehen zu dürfen, welche das Studium der Zelle für das gesammte Gebiet der Naturforschung gewonnen hat, anderntheils aber auch die praktische Bedeutsamkeit hervorhe- ben zu dürfen, welche die gewonnenen Resultate für das Leben haben können. Ich spreche das Wort Zelle aus und bezeichne damit den jetzigen Stand der =. ng mit allen den optischen und chemischen Mitteln, wie solche vor einigen Jahrhunderten, ich könnte auch sagen, vor einigen Jahrzehnten der Wissenschaft noch nicht geboten waren, dem Uranfange der Dinge, wenn ich mich so ausdrücken darf, anezaiged: — Sie alle nen den bedeutungsvollen Ausspruch Al. v. Humboldts: ‚‚Ein Weltgemälde umfasst die un messenen Himmelsräume wie auch die mikroskopischen kleinen Organismen”. Wir hör auf eine andere Weise unsere heutige Aufgabe bestimmt, olme dass jene Sehnsucht | welche sich in die Freude an der errungenen Erkenntniss mischt und uns hinzieht nach nicht aufgeschlossenen Regionen des Wissens, um so das Band recht fest zu knüpfen, welches nach alten, das Innerste der Gedankenwelt beherrschenden Gesetzen alles Sinnliche an das Uebersinnliche kettet. Es liegt ein schöner Trost in diesem wahrhaft kosmischen Satze, eine Sehnsucht gerettet aus der grossen Masse objectiver Wahrheiten hervorgehen zu sehen, jener Sehnsucht vergleichbar, welche die schöne Seele eines Plato nach den Dingen hinzog, bei denen Gott ist. Wenn ich zurückgehe auf den grossen Meister des grossen Aristoteles, so kann es doch nicht meine Aufgabe sein hier den Weg und die Mittel zu bezeichnen, deren sich diese Sehnsucht bediente, nun durch die Geschichte der Menschheit auf Jahrtausende hin in den Naturwissenschaften Knotenpunkte aufzufinden, von denen aus die einzelnen Discipli- nen einer selbständigen Weiterbildung entgegengingen, oder in welchen Knotenpunkten sich Säulen aufbauten, die bestimmt wurden, der Träger der Humanität und Gesittung, der Gei- 23 stes- und Herzensbildung jüngerer Geschlechter zu werden. Der Namen eines Aristoteles ist ein hochgefeierter nicht bloss weil seine Lehre auf eine längere Reihe von Jahrhunderten für das Studium der Natur fast als alleinige Richtschnur galt, sondern weil dieselbe noch vieles von ihrem anregenden Einflusse beibehielt, nachdem die Zeit sich so weit entwickelt hatte, dass für die Erfindung der Buchdruckerkunst ein fruchtbares Feld entschiedener Wirksamkeit gege- ben war. — Wir wissen es nicht bloss, wir fühlen es auch, was aus diesem neuen Saatkorn, das vom Baum des Lebens abfiel, geworden, und freuen uns unter dem Schatten des neuen Baumes, der seine Aeste über den ganzen Erdball ausbreitet, so weit als das historische Wis- sen reichet, ruhen und zu neuer Arbeit neue Kräfte sammeln zu dürfen. Stand auch die Bo- tanik zur Zeit der Erfindung der Buchdruckerkunst noch im Dienste der Mediein, so brachte das 17. Jahrhundert der Forschung das Vergrösserungsglas. Welch ein Aufschwung war es, dessen sich namentlich in Deutschland die Naturwissenschaften zu erfreuen hatten! Die Pflan- zenkunde strebte eine selbständige zu werden und ist es auch endlich geworden, nachdem der Vater Linne sein System als ein fertiges hingestellt hatte. — Wenn es mir gestattet wäre, alle die grossartigsten Folgen, welche Linnes Bestrebungen nach sich zogen, recht kurz zu bezeich- nen, so möchte ich mich des bekannten deutschen Dichters Worte bedienen, welche sagen: „In der Fülle wohnt die Klarheit”. Diesem Satze steht aber noch ein zweiter zur Seite, der da heisst: „In der Tiefe wohnt die Wahrheit”. Mit diesem zweiten Satze liesse sich wieder alles das zusammenfassen, was die Folgen von der Anwendung und weitern Vervollkommnung des Mikroskopes waren. Mit diesen zuletzt genannten Folgen sind wir heraufgekommen zu den Tagen unserer Zeit und zu dem Objecte der gegenwärtigen Forschung d. h. zu der Zelle. — Diese Zelle ist an sich so alt als wir bei der Bestimmung der einzelnen Glieder unserer Erd- rinde auf tausend und abermals tausend Jahre zurückgeführt werden; nur die Betrachtungs- weise degelben ist neu. Die jetzige Anschauung der Zelle ist neu, wenn wir uns dabei auf die Mittel und Wege beziehen, deren wir uns bedienen, um das Leben und Weben der Zelle zu erforschen und zur objectiven Anschauung zu bringen. Wenn wir so Altes und Neues ein- ander gegenüberstellen , so muss uns denn doch auch das Alter des Wortes Zelle auf einen Augenblick in Anspruch nehmen, um zu erfahren, was man denn mit diesem Worte schon in teren Zeiten hat sagen wollen. Wie sinnig ist das Wort, wenn wir von den Römern einen esonderten Behälter mit cella bezeichnet finden, wenn wir sehen, dass dieser Ausdruck in öherer geistiger Auffassung dem Orte beigelegt wurde, wo das Bild der Gottheit stand. Ein tief verborgenes Walten ist somit durch unsere Zelle ausgedrückt. Dass dies verborgene Wal- ten sollte auch berufen sein, an das Licht hervorzutreten, glaube ich aus dem Sinne der Grie- chen entnehmen zu dürfen, welche den Ausdruck oxyv7 gebrauchten. Somit liegt eine tiefsin- nige Idee dem Worte Zelle zu Grunde, und diese Idee ist eine alte, weit älter als die Zeit, welche erst mit Messer und Nadel das einfache Bläschen aufsuchen lehrte, damit unter starker Vergrösserung dessen leibliche Natur sollte offenbar werden, und zwar in einer Weise, dass jener Satz eine Wahrheit habe, welcher das Leben getragen werden lässt von Ahnungen. In den bereits gewonnenen Resultaten hochbegabter Forscher ist ein grosser Theil der Ah- nungen einer Vorzeit zur Wahrheit geworden. Schon liegen uns Werke vor, welche unter dem Titel ‚die Zelle” das gesammte Gebiet der Entwicklung z. B. des Pflanzenorganismus zu behandeln suchen. — Der Anfang eines noch so grossen und noch so zusammengesetzten Pflan- zenorganismus ist eine einfache Zelle! — Es liegt in diesem kurzen Satze der Ausgangspunkt einer langen Reihe von bereits ange- stellten und von neu anzustellenden Untersuchungen. — Unter diesen Resultaten standen sich « 24 jene einander gegenüber, welche die ersten Anfänge des Embryos in der Samenknospe zum In- halt hatten. Scheinen diese Gegensätze sich auch nunmehr auf eine naturgemässe Weise da- hin zu lösen, dass Anregung wohl von Aussen komme, die Anlage und Ausbildung des Em- bryo aber Werk der innersten mütterlichen Thätigkeit der Samenknospe selbst sei, so verdient der Blüthenstaub unsere ganz besondere Aufmerksamkeit. — Man hat sich bis jetzt begnügt, an einzelnen Pollenkörnern Schläuche hervortreiben zu sehen, welche durch das leitende Paren- chym von der Narbe bis tief in das Ovarium eindrängen. Unterbreitet man aber den Blüthen- staub einer näheren Untersuchung, so wird man bald finden, dass dieses Treiben von Pollen- schläuchen nur einen Theil der Veränderungen bezeichnet, welche die einzelnen Pollenkörner zu erleiden resp. durchzumachen haben, um ihren anregenden Einfluss auf das innerste Ge- bilde im vollsten Maasse auszuüben. Das kann kein Zufall bloss sein, dass z. B. die herr- lichen Blumen auch von Blüthenstaub befallen werden und von den Stellen aus, auf denen der Blüthenstaub aufliegt, wie von einer ätzenden Substanz angegriffen über Nacht gleichsam faul werden und dann eintrocknen. Eine ganz gleiche Erscheinung sehen wir an der Narbe der meisten Blüthen. — Wie der Blüthenstaub auf der Narbe Schläuche treibt, so treibt der- selbe ähnliche Fäden, sobald er auf anderweitige Organe gelangt, z. B. auf die Blumenblätter oder selbst auf die grünen Blätter. Wir nehmen aber noch eine andere Erscheinung wahr, welche darin besteht, dass im Einfluss einer Feuchtigkeit, wie etwa Thau, die Pollenkörner eine schleimig-körnige Materie austreten lassen, welche in Fällen die Pollenkörner zu bald grösseren bald kleineren Klümpchen zusammenballt oder welche sich über die Oberfläche der befallenen Organe vertheilt. Zu dem kommt aber noch etwas mehr: Wir sehen in manchen Pollenkörnern neue Zellen entstehen, welche nach erlangter Reife austreten und sich wie ihre Mutterzellen verhalten, d. h. theils Schläuche treiben, welche den Pilzfäden sehr ähnlich sind, theils wieder in sich kleinere Zellen entstehen lassen. Es liegen mir Beispiele vor, welche zeigen, dass die Pollenschläuche, statt ins Weite sich zu verlängern, ihre Glieder sehr verkürzen und in solchen neue Brutzellen erzeugen. Dieses Moment ist von ganz besonderer Bedeutung, da in neuerer Zeit derartige Gebilde beobachtet, aber als wahre Pilze angesprochen wurden. Es kann auf diese Weise zu eben so vielen verschiedenen Arten von Pilzen kommen, als es verschiedene Arten von Blüthenstaub gibt. Durch dies denkwürdige Verhalten des Blüthen- staubes ist eine Reihe von folgenreichen Untersuchungen eröffnet. Wie nun das Pilz-ähnlie Verhalten des Blüthenstaubes auf den Blumenblättern ein schnelles Hinwelken zur Folge h so ist dasselbe auf lebenskräftigen Organen nur ein gelinderes Anregungsmittel.e. Würde aber die Pilz-ähnliche Bildung des Blüthenstaubes, welche ich mit Karposma bezeichnete, ein Aus- druck, der sich sowohl auf die Samenbildung als auch auf das Dürrwerden der Blätter be- zieht, unter dem Einfluss etwa einer nebligen Witterung luxuriös, so haben wir z. B. an dem Weinstock das Oidium Tucceri. Indem ich nun hier auf das Feld der Traubenkrankheit übergegangen bin, darf ich mich auf die Endresultate beziehen, welche Hugo v. Mohl mitge- theilt hat (Bot. Zeitung 1854. St. 9. S. 140). Derselbe sagt: Fassen wir die Erscheinungen der Traubenkrankheit kurz zusammen, so zeigt sich: 1) dass im Frühjahr die Rebe sich kräf- tig entwickelt und in keiner einzigen Beziehung eine krankhafte Erscheinung erkennen lässt; 2) dass der parasitische Pilz auf der in jeder Beziehung gesunden Epidermis auftritt; 3) dass eine Entfärbung der Epidermis und ein Absterben derselben lokal an denjenigen Stellen ein- tritt, an welchen sich der Pilz mittelst besonderer Haftorgane festsetzt; 4) dass die Entartung des Gewebes auf der Rinde der Zweige und der Beeren nur die Epidermis und die äussersten unter derselben liegenden Zellen ergreift, während das tiefer liegende Gewebe keine sichtbare 25 Veränderung erleidet, und dass an den Blättern selbst das Absterben der Epidermis fehlt; 5) dass die Erkrankung der ergriffenen Zellen keine Fäulniss, sondern Vertrocknung und Ver- wandlung der erkrankten Schichte in eine zähe, der Ausdehnung mechanischen Widerstand entgegensetzende Haut zur Folge hat; 6) dass in Folge der von dieser Haut ausgeübten Ein- schränkung das Parenchym der Beere an seinem normalen Wachsthum gehindert wird; 7) dass in Folge hievon die Beere auf dem Zustand der halberwachsenen Frucht verharrt und dass die Veränderungen, welche die ausgewachsene Frucht bei der Reife erleidet, nur unvollständig ein- treten; 8) dass dagegen jede einzelne Beere einer im Uebrigen im höchsten Grad erkrankten Traube, wenn ihre Epidermis unter dem Angriffe des Pilzes weniger gelitten hat, zur norma- len Frucht heranreift, dass also das Nichtreifen der andern Beeren nicht einer Erkrankung der Rebe zugeschrieben werden kann. — Es ist von Wichtigkeit auch von H. v. Mohl die An- gabe zu lesen, dass die Zeit der Erkrankung erst nach der Blüthezeit eintritt, nie aber vor derselben. Wenn wir an den Beeren, auf den Stielen, auf den Trieben und auf den Blät- tern den Blüthenstaub noch bis zur Zeit der Traubenreife nachweisen können, so liegt es auf der Hand, dass auch die Zeit des Erscheinens der Krankheit eine frühere oder spätere sein kann. Ebenso liest es auch auf der flachen Hand, dass ein nur mässiges Auftreten der Krank- keit wieder durch günstige Witterung kann beseitigt werden, und ich habe Grund zu sagen, dass solche wieder genesene Beeren sich vor den übrigen durch ihre Süsse auszeichnen. Ebenso ist es der ganzen Beachtung werth, wenn Weinbeeren, welche im vorigen Jahre von der Krankheit ergriffen waren, heuer sich durch Fruchtbarkeit auszeichnen. Hugo v. Mohl glaubte anfangs, die Spore von Oidium Tucceri müsste in den Knospen überwintern, dann aber änderte er seine Ansicht dahin, dass diese Spore in der Knospe nicht überwintern könne, sondern in den Boden gelangen müsste, von wo sie durch Wind wieder auf die Stöcke heraufgebracht würden. Wir sehen an dem Blüthenstaube das Dunkel erhellt und das gespensterhafte Wesen tritt uns in der concreten Gestalt einer über die normale Wirk- samkeit hinausgehenden Anregung von Seiten des aus dem Blüthenstaube entstandenen Karpos- mas vor die Augen. — Ich muss es ausdrücklich wiederholen, manche in neuerer Zeit als eine eigene Art von Pilz angesprochene Bildung wird sich bald als mein Karposma herausstellen, zumal da man in so vielen Fällen ein zweifaches unterscheiden zu müssen glaubte, eine Ery- siphe- und eine Cicinobolus-Frucht. Bei vielen Pflanzen ist ein solcher Unterschied entweder auf einer und derselben Blattfläche zu machen, an andern ist die Erysiphe-Frucht auf der obern, die Cicinobolus - Frucht auf der untern Blattfläche. Wir müssen neben dem Karposma in Fällen eine seeundäre Bildung unterscheiden, welche von den sogenannten appendiculären Organen der Oberhaut ausgehen und luxuriöse Auswachsungen einzelner Glieder der Oberhaut sind. — Hiemit ist uns Gelegenheit gegeben, die Erkrankung des Kartoffelstockes mit weni- gen Worten zu besprechen. Wir alle kennen die Wichtigkeit dieser Culturpflanze und wir alle haben uns auch in vergangenem Vorsommer des so üppigen Standes der Kartoffelfelder in der Seele gefreut und noch unsere Herzenslust an der Fülle der Blüthen gehabt, welche unsre Felder schmückten. Aber diese unsre Freude sollte getrübt werden: es kamen einige neblichte Nächte und in wenigen Tagen war das üppige Grün dahin, die Blätter zeigten sch wärzliche Flecken und ein übler Geruch war die Folge der eingetretenen Krankheit. Die Untersuchung liess bald erkennen, dass das Karposma auf der obern Blattfläche in seiner luxuriösen Entwick- lung das Blatt krank machte und in der Weise afficirte, dass dasselbe vorzugsweise auf der untern Blattfläche sich mit Botrytis infectans überkleidete. Ich kann nicht sagen, dass der Gegenstand durch diese meine Beobachtung erschöpft wäre: 4 26 ich glaube aber für die späteren Untersuchungen einen soliden Ausgangspunkt bieten zu kön- nen. — Die Wichtigkeit dieses Gegenstandes, so hoffe ich, lässt mich nun vor Ihnen gerecht- fertigt erscheinen, wenn ich da aufzutreten es wagen konnte, von wo Sie gewöhnt sind, die Reden vollendeter Meister der Wissenschaft zu vernehmen, denen die Schuhriemen zu lösen ich mich nicht würdig fühle. — Ich danke für Ihre Freundlichkeit und bin Ihrer gütigen Nachsicht gewiss. Hr. Geh. Rath Lichtenstein aus Berlin bestieg sodann die Rednerbühne, um noch einige Bemerkungen über das Verhältniss der allgemeinen Versammlungen zu den Sections- Sitzungen zu machen, indem er die historische Entstehung der letzteren nachwies. Zum Schluss forderte der zweite Geschäftsführer zur Bildung von Sectionen auf und wur- den alsdann die Sectionen durch folgende Herren in die bestimmten Locale eingeführt: 1. Section: Physik, Mathematik und Astronomie: Professor W. Weber. Sitzungssaal der Königlichen Societät der Wissenschaften. 2, Section: Chemie und Pharmacie: Hofrath Wöhler. Sitzungssal des akademischen Senats. 3. Section: Mineralogie, Geognosie und Geographie: Prof. Sartorius v. Waltershausen. Zimmer der mineralogisch- geologischen Sammlung. 4. Section: Botanik, Landwirthschaft und Forstwissenschaft: Prof. Bartling. Saal des Facultäts - Archivs. 5. Section: Anatomie, Physiologie und Zoologie: Hofr. Berthold. Promotionssaal. 6. Section: Mediein, Chirurgie und Geburtshülfe: Hofr. von Siebold. Vorsaal der Tri- bünen der Aula. 7. Section: Anthropologie und Psychiatrie: Prof. Lotze. Parteienzimmer des Universitäts- Gerichts. Zweite allgemeine Sitzung. Mittwoch den 20. September. Der erste Geschäftsführer eröffnete die Versammlung und zeigte an, dass er die Genehmi- gung dazu habe, zum Orte für die nächste Vereinigung Wien vorzuschlagen, wodurch zum erstenmale eine Wiederholung des Besuchs der Gesellschaft an demselben Orte in Aussicht stehen würde, und forderte zur Discussion oder zu neuen Vorschlägen über diese Frage auf. Es wurden noch Dürkheim und Rostock genannt. Bei der Abstimmung ergab sich sogleich eine ausserordentliche Majorität für Wien. Hierauf traten die anwesenden Herren Professoren Schrötter und Hyrtl aus Wien auf, um auch im Namen Sr. Majestät des Kaisers auszuspre- chen, dass die Versammlung dort willkommen sein werde. Hofrath Rud. Wagner erhielt das Wort und brachte ein Hoch auf des Kaisers Franz Joseph Majestät aus, das er im Lichte der jetzigen Weltlage näher motivirte. Der erste Geschäftsführer sprach dann im Namen der Ge- sellschaft den Dank für die durch die genannten Wiener Herren geschehene Mittheilung aus. Es wurden nun durch Acclamation auf Antrag des ersten Geschäftsführers die Herren Profes- soren Hyrtl und Schrötter, jener zum ersten, dieser zum zweiten Geschäftsführer für die nächste 32. Versammlung in Wien gewählt, welche beide für das Vertrauen dankten und sich zur Annahme der Wahl bereit erklärten. Es begannen sodann die Vorträge. Herr Dr. Reclam sprach ‚‚über den Zusammenhang zwischen Volksleben und Volkskrankheit”. Herr Geh. Hofrath Menke aus Pyrmont sprach alsdann ‚‚über drei Anforderungen an die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte und deren Begründung”: Hochansehnliche Versammlung ! In der ersten allgemeinen Sitzung der diesjährigen Versammlung hat ein geehrter Redner die Ansicht geltend zu machen gesucht, dass man in den ‚„öffentlichen” Sitzungen, in Rück- sicht auf die darin vereinigte Gesellschaft und die in derselben meistens statthabende, uns Allen übrigens gewiss stets sehr erfreuliche Gegenwart von Damen, bemüht sein solle, die Themata ganz allgemein belehrend und unterhaltend zu behandeln. Es ist darauf von einem andern geehrten Mitgliede bemerklich gemacht worden, dass die Sitzungen der Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte ursprünglich alle allgemein und, statutenmässig ‚‚bei offenen Thüren” gehalten wurden, und sie erst nach Verlaufe meh- rerer Jahre, wegen zugenommener Frequenz, in Sectionen sich sonderten. Die allgemeinen Sitzungen sollten daher nicht vorzugsweise öffentliche genannt werden. 4* 28 Der Ansicht, dass die allgemeinen Sitzungen nur zu allgemein belehrenden und unterhal- tenden Vorträgen bestimmt seien, kann ich meine Zustimmung nicht unbedingt ertheilen. Es kann mit Recht gefordert werden, dass die in den allgemeinen Sitzungen vorzutragenden The- mata geeignet seien, das Interesse sämmtlicher Mitglieder und Theilnehmer der Gesellschaft in Anspruch zu nehmen; sie mögen auch, wenn der Stoff es zulässt, einer geistreichen Entwicke- lung und Ausschmückung einen grössern Spielraum gestatten, auch mit Laune, Witz, Ironie und selbst mit mässiger Satyre gewürzt sein; sie haben aber sicherlich zugleich nicht nur die Befugniss, sondern sogar auch die moralische Verbindlichkeit, Gelegenheit und Veranlassung zu Vorträgen und Verhandlungen über Angelegenheiten der Natur- und Heilkunde von einem allgemeinen rein wissenschaftlichen, oder praktischen und das Gemeinwohl betreffenden Interesse darzubieten, etwaige derartige Anträge in Berathung zu nehmen und darüber Beschlüsse zu fassen. Es gibt gar viele in das allgemeine Interesse der Gesellschaft tief eingreifende Angelegen- heiten sehr ernster Art, die durchaus vor das ungetheilte Forum der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte gehören, über die in einzelnen Sectionen nur einseitig verhandelt werden kann; wollten wir solche, wenn sie auch in keiner Hinsicht Anstoss erregen, weil sie allein das Interesse der Mitglieder und Theilnehmer der Gesellschaft selbst in Anspruch neh- men, gleichsam nur aus galanten Rücksichten, fallen lassen, so würden wir jedenfalls einer unserer Hauptaufgaben nicht gehörig Genüge leisten. Die allgemeinen Sitzungen sollen sich ebenso sehr auf dem wissenschaftlichen Gebiete der Natur- und Heilkunde bewegen, als die einzelnen Sectionen der Gesellschaft. Wenn es nun unstreitig eine der wichtigsten Aufgaben der vereinten Gesellschaft deut- scher Naturforscher und Aerzte ist, durch gemeinsame Bestrebungen die betreffenden Wissen- schaften und durch diese das Gemeinwohl zu fördern, so haben diese beiden grossen Angele- genheiten aber auch ein volles Recht, an die Gesellschaft die Anforderung zu stellen, die ver- einten Kräfte auch, demgemäss, zu gemeinsamen Arbeiten zu benutzen und Zwecke zu verfol- gen und Aufgaben zu lösen, die, ihrer vielseitigen, theils schwierigen Beziehungen wegen, nieht von Einzelnen, sondern nur durch eine Verbindung mehrerer und verschiedenartiger An- triebe und Kräfte lösbar sind. Diese Anforderung an die Gesellschaft ist aber nicht blos eine äussere; sie ist schon mehrmals in der Gesellschaft selbst rege geworden, und das Bedürfniss, ihr zu genügen, hat sich in derselben wiederholentlich offen und laut zu erkennen gegeben. Einige derartige völlig zeitgemässe und in jeder Hinsicht wohl begründete Anforderungen werde ich mir erlauben, der verehrlichen Gesellschaft heute vorzutragen, und bitte, denselben ihre Aufmerksamkeit und weitere Beachtung nicht zu versagen. Die erste dieser Anforderungen betrifft die beabsichtigte berichtigte und neu com- mentirte Ausgabe von Plinii Historia naturalis. Dieses in der That in allen Zwei- gen der Naturkunde überschwenglich reichhaltige Werk ist eines dem gegenwärtigen Stand- punkte der Naturwissenschaften angemessenen Commentars noch immer in derselben prägnanten Weise, wie damals, als die im Jahre 1826 in Dresden versammelte Gesellschaft deutscher Na- turforscher und Aerzte, durch den berühmten Polyhistor und Archäologen K. A. Böttiger angeregt, eine neue Bearbeitung und Herausgabe beschloss und in Angriff zu nehmen beab- sichtigte, bedürftig. Es fehlte damals noch an der hauptsächlichsten Grundlage zu eimer derartigen Arbeit, einem correecten Texte. Ein solcher konnte nieht ohne sorgfältige Vergleichung sämmt- licher bekannten Handschriften und eine scharfsichtige philologische Kritik bewerkstelligt wer- 2) den. Zur Lösung dieser Aufgabe ward damals Prof. Jul. Sillig in Dresden von der Gesell- schaft aufgefordert. Dieser Gelehrte übernahm sodann die mühsame Arbeit, förderte sie seit- dem mit grösster Beharrlichkeit und Umsicht, und bald wird nunmehr das rühmliche Werk beendigt sein und der Herausgeber unsern vollen Dank entgegen nehmen. Dann ist es an der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, aus ihrer Mitte ge- eignete Fachmänner zu erwählen, Astronomen, Physiker, Geographen, Mineralogen, Botaniker, Zoologen und Aerzte, dass sie, im Vereine mit tüchtigen Archäologen, die correcte Ausgabe auch mit einem angemessenen Commentar versehen, der, unserer Competenz angehörige, aufgeführte Thatsachen beleuchte, begründe oder berichtige, die ältern Quellen, aus welchen Plinius geschöpft, nachweise und die aufgeführten Namen und Kunstausdrücke, durch Hinzu- fügung der neueren Nomenclatur und Terminologie, erläutere. Ich erlaube mir in dieser Angelegenheit den Antrag: „Die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte wolle schon jetzt darauf Bedacht nehmen, welchen Männern demnächst die schwierige Arbeit der sachlichen Erläute- rung der Naturgeschichte des Plinius, soweit sie Natur- und Heilkunde angeht, an- zuyertrauen sein möchte, und etwa in einer besondern Sitzung eine Commission ernen- nen, welche die betreffenden erforderlichen Erkundigungen einziehe, und über den Erfolg in einer allgemeinen Sitzung am künftigen Versammlungsorte der Naturforscher und Aerzte Bericht erstatte.” Wenn die Förderung der so eben in Erwägung gezogenen Aufgabe sehr wünschenswerth ist und ihre Lösung sehr erfreulich sein würde, so betrifft sie jedoch nur die Wissenschaft und ihre Geschichte; die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte hat aber noch eine ganz andere Aufgabe zu lösen, eine Aufgabe von viel grösserer Bedeutung, die nicht blos ein historisches, rein wissenschaftliches Interesse gewährt, sondern tief in die heiligsten Angelegen- heiten der Gegenwart, des bürgerlichen Lebens und unseres Berufes in demselben hineingreift, und deren endliche Förderung daher dringend geboten erscheinen muss. Es ist dies die Auf- gabe: die Annahme und Einführung einer und derselben Pharmakopoe in allen deutschen Staaten und resp. die Ausarbeitung einer solchen für das ganze deutsche Vater- land, eine ‚‚Pharmacopoea germanica” zu veranlassen. Es bestehen nämlich in den verschie- denen Staaten des gemeinsamen Deutschlands gegenwärtig noch zehn verschiedene Landesphar- makopoeen: in Oesterreich, Preussen, Baiern, Würtemberg, Hannover, Baden, Hessen, Ham- burg, Schleswig-Holstein. Die Gesellschaft der Naturforscher und Aerzte ist in dieser Angelegenheit schon mehrfältig thätig gewesen; namentlich hat auch, im Auftrage derselben, der nunmehr verstorbene Geh. Rath Harless es nicht an Mühe und Fleiss, das gute Werk zu fördern, fehlen lassen. Die desfallsigen Bemühungen sind bisher, so viel ich weiss, erfolglos gewesen. Es ist seit jener Zeit, ohne Rücksicht auf die Bestrebungen für eine allgemeine Pharmakopoe für ganz Deutsch- land, eine neue, die sechste Ausgabe der Pharmacopoea borussica erschienen; und Hannover und Hessen stehen gerade jetzt im Begriffe ebenfalls neue Ausgaben ihrer Landespharmako- poeen zu veranstalten und herauszugeben; und eine neue Ausgabe der Pharmacopoea austriaca steht gleichfalls nahe bevor und soll sogar schon zum Drucke fertig liegen. Wie sehr wün- schenswerth, wenn gerade jetzt eine allgemeine Uebereinkunft zu Stande gebracht werden könnte! Eine günstigere Gelegenheit und Veranlassung zur Vereinigung als die gegenwärtige dürfte sobald nicht wiederkehren! Man sollte denken, dass, wie die Schwierigkeiten in dem commerciellen Verkehre der einzelnen deutschen Staaten unter einander 30 sich, nach Raum und Zeit, immer mehr verringern und die gegenseitigen Interessen derselben sich vereinigen, so müssten auch in anderen gemeinsamen Interessen die Schwierigkeiten sich mehr und mehr verringern, zumal in einer das physische Wohl und die Gesundheit der Staats- bürger unmittelbar berührenden Angelegenheit; aber dem ist nicht so; es muss vielmehr sogar eben bei zunehmender Erleichterung des Verkehres der verschiedenen deutschen Länder unter einander und zugleich stattfindender Veranstaltung neuer Ausgaben von Pharmakopoeen 'einzel- ner deutscher Staaten, die Schwierigkeit der Vereinigung zu einer allgemeinen deutschen Phar- makopoe nothwendig immer grösser werden. Wie viele Unbequemlichkeiten und Gefahren die vielfachen Abweichungen der ver- schiedenen in den deutschen Staaten gültigen, resp. gesetzlich eingeführten Pharmakopoeen, in Namen und Vorschriften, mit sich führen, ist ganz besonders an den Gränzen derjenigen kleineren Staaten, die von verschiedenen anderen Staaten, in welchen andere Landespharmakopoeen gesetzliche Gültigkeit haben, begränzt werden, empfindlich fühl- bar; aber es hat ganz Deutschland in seiner gegenwärtigen Generation den Nachtheil dieser Uneinigkeit zu büssen, und diese wird selbst über die Geschichte der deutschen praktischen Medicin eine beklagenswerthe Verwirrung verbreiten. Die verschiedenartige Abweichung in der Nomenclatur der verschiedenen Pharmakopoeen vermag nun wohl ein gutes Gedächtniss zu bewältigen; diese Unbequemlichkeit trifft nur den Arzt und Apotheker; aber ganz anders steht es um die Gefahr, welche die Gleichnamig- keit in Hinsicht auf Gehalt und Stärke von einander ganz und gar abweichender Präparate mit sich führt; diese Gefahr trifft nur den an jenem Missverhältnisse völlig unschuldigen Kranken. Ein Beispiel mag genügen, diese darzulegen. Es wird einem Kranken in Berlin oder sonst irgendwo in der preussischen Monarchie oder einem anderen kleineren deutschen Staate, in welchem die preussische Pharmakopoe gesetzlich eingeführt ist, auf eine ärztliche Vorschrift, 1 Drachma Tinetura Opii crocata verabreicht; dieselbe enthält hier 6 Gran Opium. Er reiset nach Hannover und erhält hier auf dasselbe Recept und unter demselben Namen in 1 Drachma 10 Gran, in Cassel dann sogar auf eben dasselbe Recept in 1 Drachma 12 Gran Opium; hier also doppelt so viel Opium in derselben Menge Flüssigkeit als in Berlin u. s. w. Eine ganz ähnliche Bewandtniss hat es mit der Blausäure, der ofhieinellen Arseniklösung, den narkotischen Extracten, der Brechnusstinctur, dem 'TTheerwasser und mehreren anderen Arznei- mitteln. Liegt in diesem Missverhältnisse nicht eine auf keine Weise zu rechtfertigende Ungebühr? Und wie lange hat solche schon bestanden? Und wie lange soll solche noch fortbestehen ? Müssen wir Aerzte uns nicht, den Kranken gegenüber, gedrungen fühlen, die Regierungen zu veranlassen , solchen Unstatthaftigkeiten wirksam entgegen zu treten und eine gehörige Ueber- einkunft und Gleichmässigkeit in der Zubereitung und dem Gehalte der zusammengesetzten Arzneimittel und zumal so intensiv wirksamer Heilmittel einzuführen?! Solche steht aber nur durch Einführung einer ‚‚allen deutschen Staaten gemeinschaftlich als Norm geltenden Phar- makopoe” zu erreichen. Keine der schon vorhandenen deutschen Pharmakopoeen würde diesem Zwecke gegenwär- tig völlig genügen. Selbst die vorzüglichsten unter ihnen lassen bei näherer kritischer Be- leuchtung, wie solche z. B. in chemisch-pharmaceutischer Hinsicht die preussische in Mohr’s Commentar erfahren *), immerhin noch erhebliche Berichtigungen und Verbesserungen zu. Es *) Vergl. auch meine kritische Anzeige derselben in Holscher’s hannoverschen Annalen f. d. ges. Heil- kunde. Neue Folge. Jahrg. 7. Hannover bei Halın. 1847. 8. $. 63-91. 3l ist neben umfassender Berücksichtigung sämmtlicher deutscher Pharmakopoeen und einer sorg- fältigen Musterung ihres Inhaltes eine dem gegenwärtigen Standpunkte der praktischen Medi- cin wie der Pharmacie, Chemie und der Naturwissenschaften entsprechende neue Bearbei- tung der begehrten Pharmacopoea germanica unerlässlich. Die Erreichung einer diesem Zwecke entsprechenden Uebereinkunft in der Wahl der Arzneimittel kann bedeutenden wissenschaftlichen Schwierigkeiten gar nicht unterliegen. Eine grosse Reihe einfacher Arzneimittel aus allen drei Naturreichen ist schon seit Jahrhun- derten im Gebrauche und als heilsam bewährt befunden; und diese werden billig den Stock bilden; und andere, durch Beihülfe der Chemie und der Pharmacie dargestellte, einfache Prä- parate, deren pharmakodynamischer Charakter erfahrungsmässig hinlänglich allgemein anerkannt worden ist und die allgemein Eingang gefunden haben, werden diesen sich leicht anreihen; auch mögen einzelne ältere zusammengesetzte und bewährte Dispensatorialformeln ihre Auf- nahme in der beabsichtigten Pharmacopoea germanica finden, wie wohl jedenfalls ebenso sehr möglichste Einfachheit als Gedrängtheit die Arbeit erleichtern und dem Resultate derselben zur Zierde gereichen dürfte. Vielleicht wird die Vereinigung über Mass und Gewicht grössere Schwierigkeiten darbieten, da diese schon mehr in das politische und commercielle Leben der verschiedenen deutschen Staaten hinübergreift. Es ist wahrlich an der Zeit und liegt gewiss ganz im nächsten Interesse der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, dass sie diese den deutschen Aerzten, Apothekern und Kranken gleich hochwichtige Angelegenheit aufs Neue in die Hand nehme und die Ausarbei- tung und Einführung einer allen deutschen Staaten gemeinschaftlich als Norm gültigen Phar- macopoea germanica ins Leben rufe. Dass aber diese Angelegenheit vor das gemeinsame Forum der deutschen Naturforscher und Aerzte gehört und nicht blos vor das specielle ihrer medieinischen Section, muss schon daraus einleuchten, dass wir zur Ausarbeitung einer Pharmakopoe ebensowohl der Naturforscher, der Chemiker und Pharmaceuten als der praktischen Aerzte bedürfen. Sie ist überdem eine Ange- legenheit des gemeinsamen Deutschlands, und als solche bedarf sie zu ihrer Erledigung einer grossen und vielfachen Betheiligung. Wenngleich nun die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte im Staate keine amtliche Behörde darstellt, so hat sie doch bisher fast überall der Anerkennung der obersten Behörden der deutschen Staaten sich zu erfreuen gehabt, und sie hat unzweifelhaft das Recht, in so hochwichtigen Angelegenheiten ihre Stimme laut werden zu lassen und die Pflicht, das Gemeinwohl von ihrem Wirkungskreise aus zu fördern und dazu alle ihr zu Gebote stehenden Kräfte und Mittel nicht nur darzubieten, sondern auch in An- wendung zu bringen. Ich erlaube mir in dieser hochwichtigen Angelegenheit folgenden Antrag zu stellen: ‚Die verehrliche diesjährige Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte wolle in einer der folgenden allgemeinen oder in einer besonderen Sitzung eine geeignete Commission, gleichviel ob aus anwesenden oder fernen Mitgliedern ernennen, welche bei den verschiedenen höchsten Medieinalbehörden resp. Regierungen sämmtlicher deut- scher Staaten das Gesuch auf geneigte Förderung und Annahme einer demnächst von einem aus bewährten praktischen Aerzten, Apothekern, Chemikern und Naturforschern bestehenden permanenten Vereine sachkundiger Männer auszuarbeitenden Pharmaco- poea germanica stellte.” Der Verein dürfte von den betreffenden höchsten Behörden zu bestätigen, zu bevollmächti- gen und bis zur Vollendung der Arbeit zu salariren sein. 32 Es hat derselbe für Abfassung, Ausfertigung und Druck der Pharmacopoea germanica so wie für die Herausgabe derselben innerhalb höchstens zweier Jahre, auch für eine angemessene typographische Ausstattung und einen verhältnissmässig billigen Preis der Druckschrift Sorge zu tragen, die Grösse der Auflage zu bestimmen und von der betreffenden Verlagsbuchhand- lung das Buchhändlerhonorar einzuziehen. Der verehrlichen Versammlung habe ich noch eine dritte Angelegenheit vorzutragen, die nicht minder als die vorerwähnten das allgemeine thätige Interesse der Gesellschaft verdienen möchte. Es ist dies die leider so vielfach vorkommende ganz unstatthafte Veröffentlichung nicht selten werthvoller Gegenstände aus der Natur- und Heilkunde betreffender Abhandlungen in theils zwar rechtmässigen, meist jedoch gar zu vielseitigen Interessen der Wissenschaften dienenden Gesellschafts- oder Vereinsschriften, theils akademischen oder auch Schulprogram- men, theils aber auch gar in den verschiedenartigsten, die heterogensten und trivialsten Stoffe aufnehmenden Zeitschriften und Tageblättern. Eine derartige Ablagerung und Zerstreuung von Abhandlungen, die bestimmten Fächern der Wissenschaft angehören, ist den Fortschritten der Wissenschaften und ihrer zeitgemässen Geschichte im hohen Grade hinderlich. Die vereinzelten Abhandlungen gehen in den Sammel- schriften manchmal gänzlich, mehrentheils doch für eine geraume Zeit verloren, indem sie in ihrem fremden Vehikel entweder gar nicht zur Kenntniss der eigentlichen wissenschaftlichen Behörde gelangen oder doch auch nach Kundwerdung ihres Bestehens manchmal durch den Buchhandel gar nicht, überhaupt schwierig und meist nicht ohne unverhältnissmässig grosse Unkosten zu erhalten stehen. In allen Erfahrungswissenschaften, vor allen aber in der Natur- und Heilkunde, ist jene Zersplitterung des Stoffes besonders nachtheilig, um so mehr als sie ebensowohl zu Lücken als zu Ueberhäufungen (z. B. in Hinsicht auf systematische Anordnung, Nomenclatur, Synonymie) Gelegenheit gibt. Es muss uns daher im Interesse der Wissenschaft selbst wie ihrer Förderer und Jünger eine dringende Angelegenheit sein, jenem Uebelstande möglichst abzuhelfen. Aber wie ist hier Abhülfe zu bewerkstelligen? — Ohne Zweifel nur durch Errichtung eines gemeinschaftlichen literarischen Archivs der Natur- und Heilkunde für Deutschland, eine systematische Vertheilung der verschiedenartigen Stoffe in demselben und die Herausgabe des Archivs in ebenso vielen neben- und untergeordneten Abtheilungen als die systematische Trennung solche erforderlich macht. Die einzelnen Abtheilungen würden in ihrer innern Anordnung wie in ihrer äusseren Ausstattung gleichmässig, periodisch und gleich- zeitig erscheinen und eine fortlaufende Zeitschrift bilden, die in ihrer Gesammtheit ein grosses Ganzes bildend, ebenso auch in jeder ihrer einzelnen grösseren Abtheilungen oder kleineren Abschnitte für sich bestehende besondere Zeitschriften für die einzelnen Zweige der Natur- und Heilkunde darbieten würden. Die Ausführung eines solchen Unternehmens würde nach vielen Seiten hin grosse Schwie- rigkeiten zu überwinden haben, insbesondere wohl in Rücksicht auf gelehrte Gesellschaften und die Herausgeber und Verleger der bisher bestandenen periodischen Sammelwerke; sollte sie in- dess durchaus für zeit- und zweckgemäss erkannt und beabsichtigt werden, so dürften diese Schwierigkeiten auch nicht unbesiegbar befunden werden. Das Unternehmen würde am füg- lichsten von der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte ausgehen und be- werkstelligt werden können. Es möchte dasselbe auch wohl zunächst auf dem Gebiete der Naturwissenschaften zu Stande zu bringen sein, weil auf diesem die Gränzen schärfer ge- 33 zogen und leichter festgehalten werden können; zu allernächst vielleicht auf dem der Zoolo- gie, und soll daher diese hier eine besondere Berücksichtigung und Erwägung finden. Es besteht in Deutschland eine ansehnliche Menge periodisch erscheinender Sammelwerke. Abgesehen von denjenigen, die ganz gemischten Inhalts ein unbegränztes Feld haben, Aufsätze aller Art ohne Unterschied, und darunter auch zuweilen naturhistorische aufnehmen , und auch von solchen, welche sich auf Natur- und Heilkunde beschränken, mögen gegenwärtig in Deutschland allein auf dem Gesammtgebiete der Naturwissenschaften, an Sammelschriften , die zum Theile neben anderen naturwissenschaftlichen Abhandlungen, insbesondere mit den drei irdischen Naturreichen sich beschäftigen, gegen 30 bestehen. Von diesen schliessen nur einige die Mineralogie ganz aus und sind nur der Zoologie und Botanik gewidmet. Sie enthalten die verschiedenartigsten Abhandlungen meistens durch einander, wie sie eingelaufen oder etwa vor- getragen sind, und in chronologischer, nicht, nach Reihen, Classen, Ordnungen der verschiede- nen Zweige der Naturwissenschaften, in systematischer Reihenfolge aufgeführt. Wer sich nun auch nur mit einem speciellen Zweige der Naturgeschichte im engeren Sinne beschäftigen und nur einigermassen mit der älteren Literatur desselben bekannt werden und mit den Erscheinungen der neuesten Zeit fortschreiten will, wird sich bald veranlasst sehen, ausser den betreffenden Handbüchern, Monographieen und Kupferwerken, die selbst auf grossen öffentlichen Bibliotheken in Specialfächern manchmal fehlen, sich auch noch manche andere in derartigen Sammelwerken enthaltene Abhandlung anzuschaffen und dann genöthigt sein, für einzelne Bände jener Sammelwerke, in welchen die begehrten Abhandlungen befind- lich sind, die aber ein anderweitiges Interesse für ihn nicht darbieten, unverhältnissmässig grosse Geldopfer anzuwenden. Es ist nothwendig, dass wir, wie insbesondere im Interesse der Wissenschaft, so auch im Interesse unbemittelter Aerzte und Naturforscher, jener Ungebühr und dem damit verknüpften nutzlosen Geldaufwande der mit der fast jährlich zunehmenden Anzahl von Sammelwerken im- mer beträchtlicher werden dürfte, für die Zukunft möglichst wirksam vorbeugen; und dieser Wunsch wird nur zu erreichen stehn, wenn künftighin alle im gemeinsamen Deutschlande auf dem Gebiete der Naturkunde erscheinenden Abhandlungen in einem gemeinschaftlichen Archive der Naturkunde für Deutschland zusammen gehalten werden. Bei Errichtung eines solchen würde die weitere Herausgabe aller bis hieher bestandenen Sammelwerke für Naturgeschichte aufhören müssen. Das Archiv würde alle neuen, von deut- schen Naturforschern ausgearbeiteten Gegenstände der Naturgeschichte betreffenden, für die Veröffentlichung bestimmten Abhandlungen vereinigen und in den betreffenden Abtheilungen und Zeitschriften zum Drucke fördern. Das Archiv der Naturkunde würde in grösseren Hauptabschnitten als Archiv für Astro- nomie, Physik, Chemie, Mineralogie, Botanik, Zoologie und Zootomie erscheinen. Jeder die- ser Hauptabschnitte würde wieder für die verschiedenen enger begränzten Fächer seine beson- deren Zeitschriften haben; so die Zoologie ihre besonderen Zeitschriften für Hypomazologie (mit diesem Namen möchte ich, von önöuaiog, was an der Mutterbrust sauget, die Naturge- schichte der Säugethiere, gemeinhin, grammatisch unrichtig, Mammaliologie, bezeichnet wissen) mit Einschluss der Anthropologie, ferner für Ornithologie, Herpetologie, Ichthyologie, Ento- mologie und ihre Unterabtheilungen, Malakozoologie, und für die übrigen niederen Thiere. Das Archiv der Heilkunde würde ebenfalls, in grösseren Hauptabschnitten, ein Archiv für Anatomie, Physiologie, Psychologie, Pathogenie, Pathologie, Nosologie, Chirurgie, Obstetrik, Psychiatrik, Therapie, Materia medica mit Pharmacognosie und Pharmacie, Diätetik, Staats- 5 34 arzneikunde und in diesen Hauptabschnitten wieder besondere Zeitschriften für die verschiedenen einzelnen enger begränzten Fächer darbieten. Um den Vortrag nicht ungebührlich auszudehnen, erlaube ich mir nunmehr nur noch auf dem ,‚‚Gebiete der Zoologie” zu verweilen. Das Archiv der Zoologie würde einen der Hauptabschnitte des Archivs der Naturkunde bilden. Die zeitigen Fortschritte der Botanik und der Mineralogie haben seit einer guten Reihe von Jahren in besonderen Zeitschriften ihr Archiv, und in deren Herausgebern ihre würdigen Vertreter; eine ausschliesslich der Zoo- logie in ihrem ganzen Umfange gewidmete Zeitschrift hat bisher in Deutschland ihr Aufkom- men noch nicht gefunden. Im Jahre 1794 gab Dr. Frdr. Albr. Ant. Meyer, damals Privatdocent in Göttingen, ‚,Zoo- logische Annalen” heraus; es fehlte, wie es scheint, an mitwirkenden tüchtigen Kräften; und es erschien davon nur ein Band. Darauf von desselben ‚‚Zoologischem Archiv” im Jahre 1796 zwei Theile; keine Fortsetzung. Von Wiedemann’s ‚‚Archiv für Zoologie und Zootomie” sind von 1800 bis 1806 fünf Bände erschienen, die wenig Verbreitung gefunden haben und wovon die letzten Bände mit der Verlagsbuchhandlung selbst untergegangen sind. Die von dem trefllichen Stifter der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte, dem verstorbenen Oken, begründete und von 1817 bis 1843 fortgesetzte ‚‚Isis”, von der jährlich ein Band in 12 Heften erschien, hat von den Naturwissenschaften unstreitig vorzugsweise die Zoo- logie und ihre Fortschritte berücksichtigt; aber sie war immerhin eine encyclopädische Zeit- schrift. Von Gistl’s ‚‚Faunus”, der sich als Zeitschrift für Zoologie und Zootomie ankündigte, sind von 1832 bis 1837 nur acht kleine Hefte herausgekommen; diese Zeitschrift scheint daher kei- nen Anklang und wenig Verbreitung gefunden zu haben. Das von Wiegmann in Berlin im Jahre 1835 gegründete, dann nach Wiegmann’s Tode von Erichson, jetzt seit 1849 von Troschel rühmlichst fortgesetzte ‚‚Archiv für Naturgeschichte” sollte, dem ursprünglichen Plane des Begründers gemäss, vorzugsweise der beschreibenden Zoo- logie, weniger der Botanik, in seinen Jahresberichten aber, die den Leser auf den jedesmaligen Standpunkt der Wissenschaft zu erhalten bestimmt waren, auch der geographischen und be- schreibenden Botanik und ebenfalls der Geognosie, soweit sie die Zoologie und Botanik angeht, gewidmet sein. Die Geognosie hat jedoch diese Zeitschrift bis auf die Petrefactenkunde als- bald gänzlich, die Botanik bis auf die Jahresberichte beinahe aufgegeben und vorzugsweise die Zoologie festgehalten, deren Fortschritte in allen Zweigen sie zweifelsohne auch wesentlich ge- fördert hat. Schiede sie die Botanik gänzlich aus und berücksichtigte sie aus der Paläographie nur die Paläozoologie, so würde sie ganz und gar nur ein ‚‚Archiv für Zoologie” darbieten und dem neuen Plane eines gemeinsamen Archivs der Zoologie für Deutschland schon sehr nahe kommen. Sollte es demselben ganz entsprechen, so würde es sämmtliche kleineren Abhand- lungen über zoologische Gegenstände, die sonst in deutsche Gesellschafts- und Vereinsschriften überzugehen pflegen, in sich aufnehmen und alle schon bestehenden, einzelnen Zweigen der Zoologie gewidmeten Zeitschriften mit sich vereinigen müssen. Das Archiv würde dann zwar an Umfang überhaupt beträchtlich zunehmen, dagegen würden aber die in demselben den be- sonderen Zweigen der Zoologie gewidmeten Zeitschriften, die als solche in dem gemeinschaft- lichen Archive neben einander für sich bestehen würden, doch vermuthlich einen gar zu gros- sen Umfang nicht erlangen. So würden wir zunächst als einen Hauptabschnitt des umfassenderen gemeinschaftlichen 35 Archivs der Naturgeschichte für Deutschland, ein gemeinschaftliches Archiv für Deutsch- land haben. Ich erlaube mir nun schliesslich noch einmal auf das Allgemeine zurückzugehen, den gan- zen Plan in aller Kürze zu wiederholen und das mir in Hinsicht auf die Redaction und Her- ausgabe noch einer besondern Beachtung werth Erscheinende hinzuzufügen. Das gemeinschaftliche Archiv der Natur- und Heilkunde für Deutschland würde in seinen grösseren Hauptabschnitten die besonderen Fächer in besonderen Zeitschriften zusammenfassen und periodisch, etwa in Monatsheften, veröffentlichen. Diese würden ausser den verschiedenen grösseren oder kleineren Originalaufsätzen gedrängte literarische, auch kriti- sche Anzeigen, briefliche Mittheilungen und kürzere Nachrichten, Ankündigungen, Nekrologe u. dgl., zu Ende des Jahrganges einen gedrängten Jahresbericht, Inhaltsanzeigen und Namen- verzeichniss erörterter oder neuer Gattungen und Arten enthalten. Das Archiv würde in allen seinen Theilen, in gleichmässigem angemessenen Grossoctav- format (etwa wie die Annals and Magazine of Natural History, oder wie Schmidt’s Jahrbücher der gesammten Mediein), auf gutem, weissen Papiere, typographisch correct und geschmack- voll auszustatten, mit den erforderlichen schwarzen oder sauber colorirten Tafeln versehen, herauszugeben sein. Die zu einem Hauptabschnitte gehörigen Zeitschriften möchten einen gemeinschaftlichen Redacteur haben. Diesen honorirt der Verleger. Die Verfasser der einzelnen grösseren Ab- handlungen erhalten auf Verlangen eine näher zu bestimmende Anzahl Separatabdrücke. Sowohl die einzelnen Zeitschriften für sich als die Hauptabschnitte und das ganze Archiv werden von den Interessenten durch den Buchhandel bezogen. Sie dürften für einen mässigen Kaufpreis zu erlangen stehn. Bei Abnahme des ganzen Archivs wie ganzer Hauptabschnitte müsste ein verhältnissmässiger Rabatt statthaben. Mein Antrag geht diesemnach dahin: Die verehrliche Versammlung wolle aus ihrer Mitte eine Commission ernennen, welche den Vorschlag „ein gemeinschaftliches Archiv der Natur- und Heilkunde für Deutschland, dem sämmtliche deutsche Akademien, gelehrte Gesellschaften, Vereine und einzelne Ver- fasser ihre Natur- und Heilkunde betreffenden Abhandlungen zur Veröffentlichung mittheilen möchten, zu begründen und herauszugeben” prüfe und darüber demnächst Bericht erstatte. Sämmtliche drei Anträge wurden abgelehnt. Es bat hierauf auch Herr Medieinalassessor Dr. Alexander Göschen ums Wort und äus- serte sich darüber, dass künftig, wie schon früher üblich, alle politischen Discussionen aus der Versammlung wegbleiben möchten, wogegen Herr Hofrath Wagner erklärte, dass er mit sei- ner Antwort auf Prof. Hyrtl keine ‚‚politische” Demonstration irgend einer Art beabsich- tigt habe. Der zweite Geschäftsführer machte noch die Mittheilung, dass die gleichfalls hier tagende deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und gerichtliche Psychologie der Gesell- schaft deutscher Naturforscher und Aerzte zu Göttingen eine grössere Anzahl von Exemplaren 5* 36 1) des Plans und der Beschreibung der neuerbauten Irrenheil- und Pflege - Anstalt Allen- berg bei Wehlau in Ostpreussen , 2) der in dem Grossherzogthume Hessen aufgenommenen Statistik der im Lande vorhan- denen Irren, Epileptiker und Cretins zur Vertheilung an die Mitglieder zur Disposition stellt. Worauf die Sitzung geschlossen wurde. Dritte allgemeine Sitzung. Sonnabend den 23. September. Der erste Geschäftsführer eröffnete die Versammlung mit der Anfrage,, ob Jemand einen Vortrag halten wolle, da kein solcher angekündigt sei. Es meldete sich Niemand, worauf der erste Geschäftsführer folgende Abschiedsworte sprach: „Die Hoffnungen, die ich bei der Eröffnung der einunddreissigsten Versammlung aus- zusprechen die Ehre hatte, sind erfüllt. Die Gesellschaft hat sich bald vergrössert und wir haben sie von Mitgliedern besucht gesehen, die wir zu den ersten Vorkämpfern deutscher Wissenschaft zählen. Die Arbeiten haben ungestörten Fortgang gehabt und es sind die wichtigsten Fragen behandelt und die Gedanken darüber ausgetauscht. Der Vortheil persönlicher Bekanntschaft, heitern Beisammenseins ist dabei unverkennbar gewesen. So hat auch die diesjährige Versammlung gewirkt fördernd am grossen Bau der Natur- wissenschaften nach allen Seiten hin. Indem sie sich für ein Jahr vertagt, gehen die dieser Stadt nicht angehörigen Mitglieder wieder in ihre Heimath zurück, und die belebten Häuser und Strassen und die ungewöhnlich besuchte Aula werden still. Es bleibt aber darin leben eine unauslöschliche frohe Erinnerung an die verlebten Tage. Mögen unsre hochgeehrten Gäste auch an Göttingen ein wohlwollendes Andenken mitneh- men an die freundliche Stadt, an die Universität und ihr stilles friedliches emsiges Streben nach Licht und Recht, an das gute wackre Land. Es bleibt uns als Geschäftsführern noch die schöne Pflicht übrig, im Namen der Ver- sammlung unsern Dank auszusprechen Sr. Majestät dem König, unserm gnädigsten Herrn, und den hohen Behörden des Landes, welche in zuvorkommendster Weise die Zwecke der Versammlung förderten ; unsrer guten Stadt und ihren Behörden, welche durch Gastlichkeit und ihre Bestrebungen, die Genüsse der Gesellschaft zu erhöhen, unsren Dank verdienen; dem Herrn Proreetor Magnificus und dem akademischen Verwaltungs- Ausschusse, welche die freie Benutzung der Aula gewährten; dem Comite, speciell den Herren R. Wagner, Henle, Bürgermeister Oesterley und Bürgerwortführer Ellissen, welche mit unermüdlicher Treue und Aufopferung den Geschäfts- führern mit Rath und That zur Seite standen ; den Festordnern ; dem Redacteur des Tageblatts, Herrn Dr. Meissner, dem für die Ausführung dieses schweren Geschäfts um so mehr zu danken ist, als es ihn an der Theilnahme der wissenschaft- lichen Arbeiten der Versammlung vielfach hinderte. 38 Endlich danken wir, die Geschäftsführer der Versammlung, für die Ehre, welche man ° uns erwies, als man uns zu dieser Stelle berief, für das Vertrauen, mit welchem man uns während der Geschäftsführung beehrte und uns die Arbeit leicht tragen half. Mögen wir Alle in diesem Jahre durch Gottes Gnade bewahrt werden, dass wir uns froh wieder vereinen und im schönen Wien unter grösseren Verhältnissen, mit erneuter Kraft unsere Arbeit fortsetzen. Die Versammlung ist aufgehoben.” Es erhob sich sodann Hr. Geh. Hofr. Menke aus Pyrmont, um den Behörden, der Stadt, der Universität, sowie den Geschäftsführern den Dank der Versammlung auszusprechen, mit fol- genden Worten: ‚Dem bisherigen Gebrauche gemäss hat der jüngste der anwesenden Geschäftsführer einer der früheren Versammlungen der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Aerzte die ange- nehme Pflicht, die Schlussworte des ersten Geschäftsführers zu erwiedern und von Seiten der Versammlung und im Namen derselben den Dank auszusprechen, von dem diese sich durch- drungen fühlt und dem sie auch Worte zu geben hat. So fügt es sich, dass auch diesmal, wie vor acht Jahren in Kiel, mir, der ich das Glück hatte, vor fünfzehn Jahren die Gesellschaft als dermaliger Vorstand zu begrüssen, diese Ehre zu Theil wird. So liegt es mir denn zunächst ob, für Alles, was uns hier für Geist und Herz geboten und zu Theil geworden ist, aus voller Seele, den tiefstgefühlten Dank auszu- sprechen. Wir Alle, ohne Unterschied, sind von diesem Gefühle innig und lebhaft durchdrun- gen. Es ist keiner unter uns, der es nicht mit gebührendem Danke anerkennte, wie gnädig S. Maj. der König unsrer ersten Zusammenkunft im Königreiche Hannover gewillfahrt und mit welcher Munificenz Derselbe auch die materiellen Interessen der Gesellschaft gefördert. Nicht‘ minder erkennen wir die Begünstigung, welche eine hohe Staatsregierung uns hat zu Theil werden lassen. Und dankbar fühlen wir uns auch insbesondere dem wohllöblichen Ma- gistrate der Stadt Göttingen und allen städtischen Behörden und sämmtlichen Bewohnern der Stadt, die uns so freundlich und unseren Zwecken und Wünschen auf das Zuvorkommendste entgegengekommen, verbunden. Und auch die verehrten Frauen und Jungfrauen der Stadt Göttingen haben unser Hiersein verannehmlicht und unsere geselligen Kreise verschönert. — Wie könnten wir aller dieser Huld und Vorzüge uneingedenk sein! Aber vor Allen haben wir doch der hohen Georgia Augusta und ihren berühmten Lehrern und unter diesen insbesondere den wackern Vorständen der diesjährigen Versammlung, Baum und Listing, unsern Dank darzubringen für die vielfachen Gelegenheiten, die sie uns dargebo- ten, unsere gemeinsamen Zwecke zu fördern. Sie haben mit Einsicht und Geschick den müh- samen Arbeiten der Geschäftsführung sich unterzogen. Wir sind ihnen tief verpflichtet! Und nicht minder fühlen wir allen den hochachtbaren Männern, die als Vorstände der öffentlichen Institute unsere Wünsche und Bestrebungen so freundlich förderten, uns innigst verbunden! Möchten sie alle noch recht lange in ihrer segensreichen Wirksamkeit thätig bleiben! Neh- men Sie unsern wärmsten und aufrichtigsten Dank freundlich auf, und sein Sie versichert, dass Alles, was Sie für uns gethan, uns unvergesslich bleiben wird. Es lebe die Alma Georgia Augusta hoch! und abermals hoch! und noch einmal hoch!” Hr. Dr. Ellissen sagte zum Schlusse den Gästen ein Lebewohl im Namen der Stadt. DIE SECTIONS - SITZUNGEN. vn sap - LO URL IE we: 2 N dee r "a « A ar Mr gi u Erste Section. Physik, Mathematik, Astronomie. . Erste Sitzung. Montag den 18. September. Zum Präsidenten wurde Prof. W. Weber, zum Secretär Prof. Stern gewählt. Vorträge für die nächste Sitzung werden angemeldet von Inspector Meyerstein, Professor Listing, Dr. Prestel, Stud. Esselbach. Zweite Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident Prof, Weber. Secretär Prof. Stern. » Hr. Inspector Meyerstein sprach über die Bestimmung der magnetischen Inclination durch ein von ihm verfertigtes Inductions-Inclinatorium , welches er vorzeigte und erläuterte. Hr. Dr. Prestel aus Emden sprach über das ‚‚Vaporimeter”, ein von ihm erfundenes, in Form eines Schieberlineals eingerichtetes Instrument. Durch das Vaporimeter werden die atmosphärische Dunstspannung, der Thaupunkt und die relative Feuchtigkeit, welche sonst aus den Angaben des Psychrometers, d. i. der Luft- wärme und Verdunstungskälte durch Rechnung abgeleitet werden, unmittelbar angegeben. Dasselbe besteht aus einem unbeweglichen Theile mit einer Skale und aus zwei Schiebern. Durch die Einstellung des obern Schiebers erhält man aus der psychrometrischen Differenz den atmosphärischen Dunstdruck und den Thaupunkt, durch die Einstellung des untern aber die relative Feuchtigkeit der Luft in Procenten. ‘Das Instrument kann leicht dahin erweitert wer- den, dass es auch die absolute Feuchtigkeit, d. i. die Dunstmenge in Gewicht angibt. Hr. Stud. Esselbach aus Schleswig sprach über die Verlängerung des Farbenspecetrums am chemisch wirksamen Ende durch Becquerel und Stokes, und zeigte die darauf bezüglichen Versuche Tags darauf im physiologischen Institute. Professor Listing sprach über die Totalreflexion an der Innenfläche des Glases und die hinsichtlich der Intensität mit ihr vergleichbare Reflexion an belegten Glasspiegeln. Der bekannte Versuch mit dem in Wasser getauchten leeren Probirrohr kann benutzt werden, au- genfällig die geringere Intensität des von belegten Glasspiegeln reflectirten Lichtes zu zeigen, wenn man in den untern Theil des Probirrohres etwa 1 Zoll hoch Quecksilber bringt und es dann mehrere Zoll tief ins Wasser taucht. Die unter Wasser befindliche Rohrwand erscheint, 6 42 in bekannter Weite von oben betrachtet, undurchsichtig und spiegelnd, am untern Theil durch das als Beleg fungirende Quecksilber, am oberen durch Totalreflexion; zugleich aber erscheint der Spiegel, so weit das Quecksilber reicht, merklich dunkeler oder grauer, als der durch To- talreflexion spiegelnde obere Theil. Es tritt auf diese Weise die bei der Reflexion am Queck- silber stattfindende Absorption deutlich hervor, welche sich in ähnlicher Art geprüft, bei dem Amalgambeleg unserer gewöhnlichen Spiegel noch grösser, dagegen bei dem Beleg mit nieder- geschlagenem Silber zwar geringer, aber nicht unmerklich herausstellen würde. Hr. Prof. Weber sprach über den von Herrn Inspector Meyerstein vorgezeigten Apparat und hob die Vortheile der ihm zu Grund liegenden Methode der Inclinations-Bestimmung ver- mittelst der Induction hervor. Zum Präsidenten für die folgende Sitzung wurde Prof. Knoblauch aus Halle, zum Se- ceretär Prof. Kohlrausch aus Marburg gewählt. Dritte Sitzung. Mitwoch den 20. September. Präsident Prof. Knoblauch. Secretär Prof. Kohlrausch. Hr. Professor Kohlrausch besprach eine von Prof. W. Weber und ihm ausgeführte Ar- beit, deren Zweck die electrostatische Bestimmung der Electricitäts-Menge betrifft, welche bei der eleetromagnetischen Einheit der Stromintensität den Querschnitt des Leiters in der Secunde durchfliesst. Hr. Professor Stern handelt über einige zahlentheoretische Sätze. Er fügt den bisher be- kannten Begründungen der Regeln über die Zerlegung von Primzahlen in Summen von Qua- draten neue Betrachtungen hinzu. Hr. Prosector Dr. Fick theilte theoretische Betrachtungen und experimentelle Untersuchun- gen über das Wesen der Endosmose mit. Hr. Professor Knoblauch sprach über die Abhängigkeit des Durchgangs von strahlender Wärme durch Krystalle von der Richtung der Axe, welche experimentell von ihm nachgewie- sen ist. Prof. Knoblauch schlägt den Prof. Möbius zum Präsidenten für die nächste Sitzung vor, der seinerseits ablehnend die Wahl auf Prof. Erman lenkt. Die Versammlung. bestä- tigt durch Reclamation sowohl diese Wahl als die des Dr. Riemann zum Secretär. Vierte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident Prof. A. Erman. Secretär Dr. Riemann. Hr. Dr. Riemann hält einen Vortrag über die Gesetze der Vertheilung von Spannungs- electricität in ponderabeln Körpern, wenn diese nicht als vollkommene Leiter oder Nichtleiter, 43 sondern als dem Enthalten von Spannungselectricität mit endlicher Kraft widerstrebend be- trachtet werden. Mittelst der sinnreichen Werkzeuge für Spannungselectricität, welche Herr Professor K.ohl- rausch in der gestrigen Sitzung dieser Section erwähnte, hat derselbe auch die Bildung des Rückstandes in der Leidener Flasche und in anderen Apparaten zur Bindung von Electrieität untersucht. Diese Erscheinung ist im Wesentlichen folgende: Wenn man eine Leidener Fla- sche, nachdem sie längere Zeit geladen gestanden hat, entladet und sie dann eine Zeit lang isolirt stehen lässt, so tritt nach einiger Zeit eine merkliche Ladung wieder auf. Sie führt zu der Annahme, dass bei der ersten Entladung nur ein Theil der geschiedenen Electricitätsmengen sich wieder vereinigte, ein Theil aber in der Flasche zurückblieb. Den ersten Theil nennt man die disponible Ladung, den zweiten den Rückstand. Die Genauigkeit der Messungen, welche Herr Prof. Kohlrausch über das Sinken der disponibeln Ladung und über das Wie- derauftreten des Rückstandes angestellt hat, reizte mich, an denselben ein aus andern Gründen wahrscheinliches Gesetz zu prüfen, welches eine in der bisherigen Theorie der Spannungs- electrieität vorhandene Lücke ausfüllt. Bekanntlich beziehen sich die mathematischen Untersuchungen über Spannungselectrieität auf ihre Vertheilung in vollkommenen und völlig isolirten Leitern; man betrachtet also die ponderabeln Körper entweder als absolute Leiter oder als absolute Nichtleiter. Eine Folge da- von ist, dass nach dieser Theorie sich beim Gleichgewicht die gesammte Spannungselectricität nur an den Grenzflächen der Leiter und Isolatoren ansammelt. Zugestandenermassen aber ist dies eine blosse Fiction. In der Natur wird es weder einen Körper geben, in welchen durch- aus keine Spannungseleetrieität eindringen kann, noch einen Körper, in welchem sich die ge- sammte Spannungselectricität auf eine mathematische Fläche zusammenziehen kann. Man muss vielmehr annehmen, dass die ponderabeln Körper dem Aufnehmen oder dem Enthalten von Spannungselectrieität mit endlicher Kraft widerstreben, und zwar ist die Annahme, deren Con- sequenzen sich der Erfahrung gemäss zeigen, dass sie nicht dem electrisch Werden oder dem Aufnehmen von Spannungselectricität, sondern dem eleetrisch Sein oder dem Enthalten von Spannungselectricität widerstreben. Das Gesetz dieses Widerstrebens ist, je nach der dualisti- schen oder unitarischen Vorstellungsart, folgendes. Nach der dualistischen Vorstellungsart, nach welcher die Spannungselectrieität der Ueberschuss der positiven Electricität über die nega- tive ist, muss man in jedem Punkte des ponderabeln Körpers eine Ursache annehmen, welche mit einer der Dichtigkeit dieses Ueberschusses proportionalen Intensität die Dichtigkeit der Electrieität gleichen Zeichens — derjenigen,‘ welche im Ueberschuss vorhanden ist — zu ver- mindern und die der entgegengesetzten zu vermehren strebt. Nach der unitarischen Auffas- sungsweise, nach welcher die Spannungselectricität der Ueberschuss der in dem Körper enthal- tenen Electrieität über die ihm natürliche ist, muss man in jedem Punkte desselben eine Ur- sache annehmen, welche mit einer der Dichtigkeit dieses Ueberschusses proportionalen Intensi- tät die Dichtigkeit der Eleetrieität zu vermindern oder bei negativem Ueberschuss zu vermeh- ren strebt. Ausser dieser Bewegungsursache hat man nun, wenn keine merklichen thermischen und magnetischen oder voltainductorischen Wirkungen und Einflüsse stattfinden und die pon- derabeln Körper gegen einander ruhen, nur noch die dem Coulomb’schen Gesetz gemässe electromotorische Kraft in Rechnung zu ziehen. Unter denselben Umständen kann man für die Abhängigkeit der erfolgenden Bewegung von den Bewegungsursachen Proportionalität zwi- schen electromotorischer Kraft und Stromintensität annehmen. Um diese Bewegungsgesetze in Formeln auszudrücken, seien z, y, z rechtwinklige Coor- 6* 44 dinaten und im Punkte (z, y, 2) zur Zeit i die Dichtigkeit der Spannungselectricität og und x der Arte Theil des Potentials der gesammten Spannungselectrieität, nach Gauss’scher Defini- tion, nach welcher das Potential in einem bestimmten Punkte gleich ist dem Integral über sämmtliche Massen Spannungselectricität, jede dividirt durch die Entfernung von diesem Punkte. Die dem Coulomb’schen Gesetz gemässe electromotorische Kraft ist dann, nach den Richtun- du du du ee es do do do gen der drei Axen zerlegt, proportional — ‚ die von der Reaction des pon- » derabeln Körpers herrührende proportional — aha ag: ya Die Componenten der elec- P - R U du do du _,do du tromotorischen Kraft können also gleich gesetzt werden Zn Bez ne ya Aifouger 2 PBa = wo 33 nur von der Natur des ponderabeln Körpers abhängt. Diesen sind nun die Componen- ten der Stromintensität proportional, sie sind also — «a, «n, a{, wenn man durch &, „, & die Componenten der Stromintensität und durch « eine von der Natur des ponderabeln Körpers abhängige Constante bezeichnet. dn äysch Fr man erhält, indem man die in das Raumelement dzdydz im Ba di einströmende d2u 72 an y u az r 108 welche aus dem Begriffe des Potentials folgt, so erhält man, indem man erstere mit « multi- plieirt und für &, „7, & ihre Werthe setzt, die Gleichung we; Grat 4-0 Dies giebt für eine partielle Differentialgleichung, welche in Bezug auf vom ersten, in Be- zug auf die Raumcoordinaten vom vierten Grade ist und um von einem bestimmten Zeitpunkte an « innerhalb des ponderabeln Körpers allenthalben vollständig zu bestimmen , werden ausser dieser Gleichung in jedem Punkte desselben Eine Bedingung für die Anfangszeit und für die Folge in jedem Oberflächenpunkte zwei Bedingungen erforderlich sein. Ich werde nun die Consequenzen dieses Gesetzes in einigen besonderen Fällen mit der Erfahrung vergleichen. Verbindet man hiemit die phoronomische Gleichung = + = hi; — 0, welche Electrieitätsmenge auf doppelte Weise ausdrückt und die Gleichung Für das Gleichgewicht (in einem System isolirter Leiter) ist‘ + BB { 2 0, n + Kr =) du do x es d?u "a2 12 t fs; — 0 oder #+ £?o — const, oder, da — = 5 + at a® Mt deu) t ul in Erepı A| 2 — const. für die Stromausgleichung oder den Beharrungsstand der Vertheilung (im Schliessungsbogen con- eg stanter Ketten) ist = — 0 oder ran 20, 5020,10 el t ay2 + 7) = ° 49 Wenn nun die Länge # gegen die Dimensionen des ponderabeln Körpers sehr klein ist, so nimmt «— const. im ersteren Falle und g im zweiten von der Oberfläche ab sehr schnell ab und ist im Innern überall sehr klein und zwar ändern sich diese Grössen mit dem Abstande p von der Oberfläche nahe, wie RS: Dieser Fall wird bei den metallischen Leitern ange- nommen werden müssen; wird #? = (0 gesetzt, so erhält man die bekannten Formeln für voll- kommene Leiter. Bei der Anwendung dieser Gesetze auf die Rückstandsbildung in der Leidener Flasche musste ich, da Angaben über die Dimensionen der Apparate fehlten, annehmen, dass die Di- mensionen derselben gegen den Abstand der Belegungen als unendlich gross betrachtet werden dürften. Mit der Ausführung der Rechnung wage ich die verehrten Anwesenden nicht zu er- müden und begnüge mich das Resultat derselben anzugeben. Aus den Messungen des Herrn Prof. Kohlrausch hatte sich ergeben, dass die disponible Ladung, als Function der Zeit betrachtet, nahe durch eine Parabel dargestellt wird, dass je- doch der Parameter der Parabel, welche sich der Ladungscurve am nächsten anschliesst, lang- sam abnimmt, so dass wenn man die anfängliche Ladung durch Z,, die zur Zeit 2 durch Lt L,—L; bezeichnet, eine Grösse ist, welche mit wachsendem ? allmählich abnimmt. Dasselbe ergab sich auch aus der Rechnung, wenn angenommen wurde, dass sowohl «, als #5 beim Glase, wie dies von vorn herein zu erwarten war, sehr gross sei und als unend- lich gross betrachtet werden dürfe, während ihr Quotient endlich bleibt. Eine schärfere Vergleichung der Rechnung mit den Beobachtungen habe ich nicht angestellt, namentlich aus dem Grunde, weil mir Angaben über die Dimensionen der Apparate und überhaupt alle Mittel fehlten, die wegen der Abweichungen von den Voraussetzungen der Rechnung nöthigen Cor- rectionen zu bestimmen. Es wäre eine solche namentlich zur Bestimmung der electrischen Constanten des Glases zu wünschen. Doch halte ich das hier aufgestellte Gesetz für die Ver- theilung der Spannungseleetricität für vollkommen durch die Messungen des Herrn Prof. Kohlrausch bestätigt. Ich darf wohl noch in der Kürze die Anwendung dieses Gesetzes auf einen andern Ge- genstand besprechen. Bekanntlich wird die Fortpflanzung der galvanischen Ströme in metallischen Leitern und die in Folge derselben stattfindende Stromausgleichung bei constanten oder langsam sichändern- den electromotorischen Kräften durch die dabei auftretende Spannungselectrieität bewirkt. Die- ser Vorgang ist wegen seiner ungemein kurzen Dauer und der hinzukommenden thermischen und magnetischen Wirkungen nur in seinen Resultaten der experimentalen Forschung zugäng- lich, und die einzigen experimentellen Bestimmungen, welche wir darüber haben, sind die Messungen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit in Telegraphendrähten und die Ohm’schen Ge- setze der Stromausgleichung. Eine genauere Analyse der Ohm’schen Gesetze führt indess ebenfalls zu der hier gemachten Annahme, und ich wurde in der ‘That dadurch zuerst auf sie geführt. Ohm bestimmt die Stromvertheilung bei der Stromausgleichung durch folgende zwei Be- dingungen: 1) um die den wirklich erfolgenden Stromintensitäten proportionalen electromotorischen Kräfte zu erhalten, muss man zu den äussern electromotorischen Kräften Kräfte hinzufügen, welche die Differentialquotienten Einer Function des Orts, der Spannung, sind. 46 2) bei der Stromausgleichung strömt in jeden Theil des ponderabeln Leiters eben so viel Electrieität ein als aus. uud Ohm glaubte nun, dass die Spannung, diese Function des Orts, von welcher die innern electromotorischen Kräfte die Differentialquotienten sind, von der Spannungselectricität so ab- hinge, dass sie ihrer Dichtigkeit proportional sei, welche Annahme in der That ‘das Zustande- kommen beider Bedingungen erklärt. Aber es haben schon, fast gleichzeitig, Herr Prof. Weber*) und Kirchhoff **) darauf aufmerksam gemacht, dass dann die Electrieität im Gleichgewicht sein müsste, wenn sie den ponderablen Körper mit gleichmässiger Dichtigkeit erfüllte, während sie doch der Erfahrung nach beim Gleichgewicht auf der Oberfläche vertheilt ist. Die Spannung muss eine Function sein, welche beim Gleichgewicht im ganzen Leiter constant ist, und also vielmehr dem Potential der Spannungselectricität proportional sein, und diese innern electromotorischen Kräfte sind mit den dem Coulomb’schen Gesetz gemässen identisch. Diese Ansicht über die Spannung wurde auch von den meisten Forschern angenommen. Dabei aber blieb es ununtersucht, durch welche Ursachen bei der Stromausgleichung die zweite Bedingung hergestellt werde, dass in jedem ponderabeln Körpertheil die Electrieitätsmenge con- stant bleibe. Nach der dualistischen Auffassung muss sowohl die positive als die negative Electrieitäts- menge constant bleiben, dass kein merklicher Ueberschuss Einer Electricität sich bilde, scheint man, wenigstens so lange man auf die Grössenverhältnisse nicht näher eingeht, aus der An- ziehung der entgegengesetzten Electricitäten nach dem Coulomb’schen Gesetz erklären zu kön- nen, und man muss dann noch eine Ursache, dass die neutrale Electricität in jedem Körper- theil constant bleibt, also einen Druck des Ponderabile auf sie annehmen. Diese Annahme habe ich, auf Anregung des Herrn Prof. Weber, schon vor mehreren Jahren der Rechnung zu unterwerfen gesucht, ohne zu einem befriedigenden Resultat zu gelangen. Nach unitarischer Auffassung bedarf es nur einer Ursache, welche die in einem pondera- beln Körpertheil enthaltene Electricitätsmenge constant zu erhalten strebt. Man wird so gera- deswegs zu der obigen Annahme geführt, dass jeder ponderable Körper Electrieität von be- stimmter Dichtigkeit zu besitzen strebt und sowohl einem grösseren als einem geringeren er- füllt Sein widerstrebt. Das Gesetz dieses Widerstrebens kann man so annehmen, wie es sich für das Glas durch die Erfahrung bestätigt hat. Diese Betrachtungen führen also dazu, die ursprüngliche Franklin’sche Auffassung der electrischen Erscheinungen als diejenige anzusehen, welche man für das tiefere Eindringen in den Zusammenhang dieser Erscheinungen unter sich und mit andern Erscheinungen zu Grunde zu legen und der weiteren Aus- und Umbildung nach den Geboten und Winken der Erfahrung zu unterwerfen hat. Möchten sie in dem Kreise bewährter Forscher, vor denen ich sie zu entwickeln die Ehre hatte, einer näheren Prüfung werth gefunden werden. Prof. Listing machte eine Mittheilung über den optischen Theil seines in der Section für Physiologie an demselben Vormittage gehaltenen Vortrags. Die von ihm hervorgehobenen mit *) Abhandlungen d. k. sächs. Ges. d. W. 1852, I, S. 293. **) Poggendorff’s Annalen. Bd. 79, S. 506. 47 dem Namen der accessorischen oder Nebenpunkte bezeichneten zwei Punkte in der ge- meinsamen Axe eines beliebigen Systems brechender Medien, welche durch sphärische Flächen geschieden sind, deren Centra in Einer geraden Linie, der Axe des Systems, liegen, sind in dem allgemeinen Fall, wo das erste und letzte Mittel ungleiche Brechungsverhältnisse haben, um die Summe der beiden Brennweiten von den Hauptpunkten entfernt, so dass die Brenn- punkte jederseits die Strecke zwischen einem Knotenpunkt und dem zugehörigen Nebenpunkte halbiren. Durch diese accessorischen Punkte erhält die in Ganss’ ‚‚dioptrischen Untersuchun- gen” mitgetheilte Construction zur Ermittelung des aus einem gegebenen im ersten Mittel ver- laufenden Strahle hervorgehenden ausfahrenden d. i. im letzten Mittel verlaufenden Strahls ein beachtenswerthes Corollarrum, welches sich — wie dort — ohne Figur in folgender Weise aussprechen lässt. Bezeichnen D, D‘ die Knotenpunkte, E, E’ die Hauptpunkte, F, F' die Brennpunkte, G, G‘ die Nebenpunkte, sämmtlich auf der Axe des Systems gele- gen, und ist Pa ein gegebener von einem im ersten Mittel gelegenen Punkte P ausgehender Strahl, welcher (nöthigenfalls verlängert) die erste Hauptebene in « trifft, so ziehe man von « eine Gerade parallel zur Axe, welche die zweite Hauptebene in 5 trifft. Zur Verbindungs- linie GP ziehe man eine mit ihr und der Axe in gleicher Ebene liegende symmetrische Linie GQ so dass die Axe den Winkel PGQ halbirt, und ziehe G’Q‘ parallel mit @Q. Von P ziehe man die erste Directionslinie PD und ihr parallel die zweite Directionslinie D’T, welche von G’Q’ in P' geschnitten wird. Den gesuchten im letzten Mittel verlaufenden oder austre- tenden Strahl stellt alsdann die Linie 5P‘ dar. Alle von P ausgehenden im ersten Mittel ver- laufenden Strahlen gehen, nachdem sie durch alle Zwischenmittel bis zum letzten gelangt sind, durch denselben Punkt ?', und unterscheiden sich untereinander nur, wie durch ihre verschie- denen Richtungen, durch verschiedene Punkte @ der ersten Hauptebene, nach welchen sie vor allen Brechungen zielen, und durch verschiedene Punkte 5 der zweiten Hauptebene, durch welche sie nach allen Brechungen (selbst oder verlängert) hindurchgehen, um sich sämmtlich in P' zu kreuzen. Die Construction ergab also in dem Punkte P’ zugleich den zu P gehörigen Bildpunkt, der wie bekannt reell oder virtuell sein wird, je nachdem er hinter oder vor der letzten Trennungsfläche liegt. Die Brennpunkte F und F’ waren hierbei ganz entbehrlich. Für den Fall indes, wo P in der Axe selbst liegt, und wo die Anwendbarkeit der Con- struction aufhört, weil die Linien GP, GQ, PD, D'T, G'Q' alle mit der Axe zusammenfal- len und somit von einem Durchschnittspunkt zwischen D’T und G@’Q’ nicht die Rede sein kann, zieht man von P einen beliebigen ausser der Axe verlaufenden Strahl, der die erste Hanptebene in a treffe, von a parallel zur Axe eine Gerade bis zur zweiten Hauptebene nach b, ferner von D’ parallel zu Pa eine Hülfslinie bis zur zweiten Brennpunktsebene nach d und endlich die gerade Linie dd, deren Durchschnittspunkt mit der Axe den gesuchten conjungir- ten Vereinigungspunkt P‘ ergibt. Man ersieht hieraus leicht, dass wenn P in @ liegt, als- dann P’ mit G‘ zusammenfällt, so wie dass, wenn P mit G in einerlei zur Axe senkrechten Querebene (der ersten Nebenpunktsebene) liegt, diess gleicherweise mit P’ und @’ der Fall ist (wo beide in der zweiten Nebenpunktsebene gelegen sind). In einem System von Linsenglä- sern, wo das erste und letzte Mittel (gewöhnlich atmosphärische Luft) gleichen Brechungsindex haben, stehen die Punkte G@ und G‘ von den zugehörigen Hauptpunkten um die doppelte Brennweite des Systems ab, kommen alsdann mit den in optischen Schriften. zuweilen unter der Benennung ‚‚Gegenpunkte” aufgeführten Punkten überein. Von besonderem Interesse. ist das, diesem Falle entsprechende, zusammengesetzte Mikroskop, bei welchem man durch die oben auseinander gesetzte Construction das vergrösserte und umgekehrte Bild zu einem gege- 48 benen Objecte leicht findet. Dieses Werkzeug, als System im Ganzen betrachtet, ist einer dispansiven (Zerstreuungs-) Linse aequivalent, deren Brennweite negativ und desto kleiner ist, je stärker die Vergrösserung. Die sechs Cardinalpunkte (indem die Knotenpunkte mit den Hauptpunkten zusammenfal- len) liegen hierbei, im Sinne des durch das Mikroskop verlaufenden Lichtes gerechnet, in der Ordnung: EFGG'FE', das Object befindet sich in einer nahe bei # zwischen F und @ die Axe durchschneidenden Querebene. Die Vergrösserung des Instruments hängt von der Brenn- weite auf dieselbe Weise ab, wie bei einer einfachen Linse, und ist daher = — 5+ l, wenn d die zum Grund gelegte Sehweite und — f die aequivalente Brennweite des Mikroskops bedeu- tet. Ist z. BB EF= f = 0mm4, die Sehdistanz — 200rm, so wird die Vergrösserung — — 499, wo das negative Vorzeichen in üblicher Weise die umgekehrte Stellung des Bildes ausdrückt. Die hier durch f bezeichnete Brennweite des Mikroskops ist nicht mit der partiellen Brennweite des Objectivsystems zu verwechseln, welche bei den stärksten Mikroskopen nicht leicht unter 1,5 Millimeter herabgehen dürfte. — Bei dem menschlichen Auge, welches ein col- lectives dioptrisches System von ungleichen extremen Mitteln (atmosphärische Luft und Glas- körpersubstanz) darstellt, liegen die acht Cardinalpunkte in der Ordnung G FEE'D.D!F'G'. Die Brennweiten sind nahezu — 15 und 20 Millimeter. Hr. Prof. Erman gibt eine Mittheilung über zwei in jüngster Zeit unternommene Arbeiten: Die Herstellung einer constanten Feuchtigkeit in einem geschlossenen Raume, die für künstliche Bebrütung erforderlich war, gelang nur dadurch, dass man in kohlensaurer atmosphä- rischer Luft und Wasserstoff den absorbirenden Körper mit dem dampfhaltigen durch Oeffnun- gen von verschiedener Grösse bei gleicher Menge des gebildeten Dampfes communieiren liess. Die zweite betrifft die Bearbeitung von Barometerbeobachtungen auf Schiffen, als deren Resultat er die Grundzüge der Abhängigkeit des Druckes von Länge und Breite mittheilt. Er fordert auf, diesen Untersuchungen über die Gestalt der Niveauschichten der Atmosphäre durch Beobachtungen auf dem Lande an Orten von bekannter Höhe zu Hülfe zu kommen. Fünfte Sitzung. Freitag den 22. September im physikalischen Cabinet. Präsident Prof. Listing. Secretär Dr. von Quintus lcilius. Hr. Dr. v. Quintus Ieilius macht eine Mittheilung über das Verfahren des Telegraphen- Ingenieurs Frischen in Hannover, wodurch es möglich wird, von den beiden Endpunkten eines Leitungsdrahtes eines electrischen Telegraphen aus gleichzeitig ohne gegenseitige Störung zu telegraphiren. Hr. Professor Böttger regt eine Discussion über die Frage an, ob es nicht zweckmässig sei, die Aufhängung eines Foucault’schen Pendels durch einen Electromagneten zu vermitteln, der eine eiserne das Pendel haltende Kugel durch magnetische Anziehung trage, die während der Pendelschwingungen auf der Polfläche rolle. Daran knüpft sich die Besprechung einiger anderer Aufhängungsarten. Hr. Professor Greiss macht einige Mittheilungen electrischen und optischen Inhalts. 49 Professor Listing schliesst daran eine Erläuterung über den Ort katoptrischer und dioptrischer Bilder in solchen Fällen, wo die reflectirten oder gebrochenen, von Einem Punkte des Objects herrührenden und ins Auge gelangenden Strahlen keinen gemeinsamen Durchschnittspunkt darbieten, d. h. nicht homocentrisch sind. Wählt man aus einem dünnen, in die kreisrunde Pupille eintretenden Bündel von Strahlen dieser Art solche aus, die bloss fächerförmig in bestimmten Längsschnittebenen des Bündels verlaufen, so zeigt sich partielle Homocentrieität, welche in der Regel zweien Ebenen von 90 Grad Azimuthaldifferenz in der Weise zukommt, dass der gemeinsame Durchschnittspunkt der in denselben verlaufenden Strah- len, d. h. der Bildpunkt, in der einen einen andern Platz einnimmt, als in der andern. Die seit Malus vielfach genauer diseutirten kata- und diakaustischen Flächen geben hierüber am einfachsten Auskunft. _Nur ist befremdlich, wie man die in solchen Fällen auftretende Dupli- cität der Oerter gesehener, virtueller wie reeller Bilder, die durch beliebig aber gesetzmässig gekrümmte spiegelnde oder brechende Flächen erzeugt werden, selbst in besseren Schriften über diesen Gegenstand übersehen oder einseitig aufgefasst findet. Derselbe veranlasst eine Besprechung über die richtige oder vielmehr zweckmässige De- finition der ‚optischen Axen‘“ in sog. optisch zweiaxigen Krystallen, und tritt der von Lam& (in seiner Schrift: "Theorie math@matique de l’elasticit& des corps solides, so wie schon früher in seinem Cours de physique) vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen ‚‚Axen der conischen Refraction‘‘ (= Fresnel’s wahre optische Axen) und ‚‚optischen Axen“‘ (— Fresnel’s scheinbare optische Axen) bei. “ na Fk y . „ Hr. Prof. Böttger empfiehlt das saure chromsaure Ammoniak als eine Substanz, welche bei ihrer Zersetzung eine Elektrieitätsentwickelung in ungewöhnlich starkem Masse zeige. z 4 [FE 4 -T Zweite Section. Chemie und Pharmacie. Es folgen hier die dem Tageblatt einverleibten kurzen Protocolle über die gehaltenen Vor- träge und Discussionen, da uns detaillirtere Mittheilungen darüber nicht zugegangen sind und keiner der Vorträge, die grösstentheils Bruchstücke grösserer Abhandlungen gewesen, in den Journalen unverändert veröffentlicht worden ist. Erste Sitzung. ‚Dienstag den 19. September. Präsident: Hofrath Wöhler. Seeretär: Dr. Limpricht. Hr. Dr. Limpricht hält einen Vortrag: Beitrag zur Kenntniss der Aldehyde und Äl- kohole. Hr. Prof. Städeler sprach über das Vorkommen des Tyrosins in der Leber und knüpfte daran Muthmassungen über die Constitution dieses Körpers. Zweite Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Prof. Schrötter. Secretär: Dr. Limpricht. Hr. Prof. Sehlossberger trug vor: über Hippursäure in den Hautschuppen bei Ichthyo- sis und über die nähree Zusammensetzung dieser Schuppen. Derselbe: über die Muschelschalen. Hr. Dr. Goessmann: über Leucin und Essigsäure - Aldehyd. Hr. Uricoechea: über die Otoba und das Otobil, ein neuer Körper. Hr. Prof. Schrötter, aufgefordert von Hrn. Hofrath Wöhler, sprach über eine Abän- derung des Plateau’schen Phänomens. öl Dritte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident: Prof. Kolbe. Secretär: Prof. Limpricht. Hr. Prof. Schrötter: über Platinceyanverbindungen. Derselbe zeigte einen neuen Apparat zur Bestimmung der Kohlensäure und anderer Gase vor. Hr. Prof. Limpricht: Beschreibung einer Abänderung des Will’schen Kohlensäureappa- rates. Hr. Prof. Kolbe: kleinere Mittheilungen über Platinbasen. Hr. Prof. Städeler: über das Vorkommen von Allantoin im Harn bei gestörter Respiration. Derselbe: über die Wirkung des Kupferoxyds in Verbindung mit fetten Säuren auf den thierischen Organismus. Es knüpfte sich hieran eine Debatte über diesen Gegenstand zwischen Hrn. Prof. Schloss- berger und Hrn. Prof. Städeler. > Hr. Prof. Städeler: über Milch- und Traubenzucker. Vierte Sitzung. Freitag den 22. September. Präsident: Prof. Städeler. Secretär: Dr. Limpricht. Hr. Dr. Limpricht zeigte einen Kohlensäureapparat vor und theilte eine Reaction zur Unterscheidung des Allantoins vom Kreatin mit. Hr. Prof. Böttger sprach 1) über eine neue Bereitungsweise des selbstentzündlichen Phos- phorwasserstoffgases. 2) über Reinigung des amorphen Phosphors vom gewöhnlichen mit chrom- saurem Kalk und Schwefelsäure. Hr. Prof. Schrötter bemerkte, dass das unterchlorigsaure Natron ebenfalls zu diesem Zwecke angewandt werden könne. 3) Nachweisung von Chinin und Chinidinsalzen. 4) Neues Reagens auf Traubenzucker. 5) Gewinnung eines reinen Ei- senamalgams. 6) neue Bildungsweise des Nitrobenzols. 7) eine neue Methode, Sauerstoff in grösserer Menge zu entwickeln. 8) über Erzeugung eines luftleeren Raumes auf chemischem Wege. 9) neue Art des unter dem Namen ‚‚chemische Harmonica‘“ bekannten Phänomens. 10) über Entstehung des Ozons. 11) Chlorstickstoff auf galvanischem Wege darzustellen. 12) chemische Notizen verschiedenen Inhalts. Fünfte Sitzung. Sonnabend den 23. September. Präsident: Prof. Böttger. Secretär: Dr. Limpricht. Hr. Dr. Wieke sprach über den Zusammenhang zwischen Chemie und Botanik. Ye 52 Hr. Prof. Böttger: 1) leichte Methode, Platin zu lösen. ®2) Verhalten verschiedener Kör- per zum geschmolzenen chlorsauren Kali. 3) über krystallisirtes Wachs. 4) Schwefelsaures Eisenoxydul-Ammoniak um Reactionen des Eisenoxyduls zu zeigen. 5) über Anwendung des Stärkezuckers zur Verbesserung der geringeren Weinsorten. 6) über Bereitung des jodsauren Kali’s. 7) gefahrvolle Bereitung des Sauerstoffs aus chlorsaurem Kali mit Braunstein. Dritte Section. Mineralogie, Geognosie und Geographie. Am 18. September (Montag) führte nach der ersten allgemeinen Sitzung Herr Prof. Sar- torius von Waltershausen als Sectionsführer der Section in das für ihre Sitzungen be- stimmte Local der mineralogischen Sammlung ein. Es wurde daselbst in einer Vorbesprechung verabredet, dass das Präsidium während der Dauer der Sitzungen wechseln und der Reihe nach von den Herren: Sartorius v. Waltershausen, Merian, Noeggerath, v. Strombeck übernommen werden solle. (Für die letzte Sitzung am 23. Sept. wurde in der Folge Herr Prof. Sartorius v. Waltershasen wiederum zum Präsidenten gewählt.) Zum Secretär wurde für die ganze Dauer der Sitzungen Hr. Dr. Bornemann erwählt und zugleich die Ueberein- kunft getroffen, dass durch denselben die Verhandlungen der Section, die in dem ofhiciellen Bericht über die Naturforscher - Versammlung veröffentlicht werden, auch dem Vorstande der deutschen geologischen Gesellschaft zum Abdruck in der Zeitschrift der genannten Gesellschaft mitgetheilt werden sollten. Erste Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident: Prof. Sartorius v. Waltershausen. Es wurden die nachfolgenden Vorträge gehalten : Herr Geh. Bergrath Prof. Noeggerath aus Bonn sprach über die Entdeckung von ge- diegen Blei und natürlichem Bleioxyd (natürlicher Mennige), welche neuerlichst von dem Herrn Bergwerks-Ingenieur Majerus aus Luxemburg zu Zamelahuacan im Staate Vera Cruz in Mexico gemacht worden ist. Herr Noeggerath hatte das Erz untersucht, es besteht aus einem feinkörnigen Gemenge von gediegen Blei, Bleioxyd und Bleiglanz. Es kömmt auf einem Gange von 2 bis 7 Lachter Mächtigkeit vor, dessen Gangmasse aus eisenhaltigem stark roth gefärbtem' Mergel besteht, in welchem die Erze in 2 bis 6 Fuss mächtigen Streifen erscheinen. Die Gänge dieser Gegend setzen alle in weissem krystallinischen Kalkstein auf, welcher ein metamorphischer Jurakalk ist. Ferner redete Herr N. im Allgemeinen über das Vorkommen von gediegen Blei, natür- licher Bleiglätte und Mennige und über ihre Entstehung. Der Vortrag konnte bei dem in der Sitzung sich drängenden Material nicht mit der Ausführlichkeit gehalten werden, welche der Gegenstand erheischt; deshalb beschränkte der Redner ihn auf nur Umrissliches und wird 54 ‚ nächstens in einer wissenschaftlichen Zeitschrift darüber eine grössere Abhandlung bekannt machen. Herr Geh. Bergrath Noeggerath legte ferner seine gedruckte Abhandlung ‚‚über pseudo- morphische Krystalle nach Kochsalz im Muschelkalk von Eicks in der Eifel” vor und besprach und erläuterte die frühere analoge Entdeckung, welche Herr Hofrath Hausmann in der We- sergegend gemacht hatte. Von Herrn Dr. H. B. Geinitz in Dresden war unter dem 10. September 1854 folgen- des Schreiben ‚‚über die Untersuchungen der Steinkohlenformation in Sachsen” eingegangen und wurde von dem Secretär verlesen : ‚Bei dem grossartigen Aufschwunge, welchen in neuester Zeit die Kohlenindustrie in Deutschland überhaupt, so wie in Sachsen insbesondere genommen hat, lag auch der Wunsch sehr nahe, einerseits den Reichthum der im Gebiete der sächsischen Steinkohlenformation noch begrabenen Schätze genauer kennen zu lernen, andernseits aber, einen Vergleich der in Sach- sen bereits aufgeschlossenen Steinkohlenflötze unter einander, 'so wie auch mit denjenigen zu ziehen, welche ausserhalb Sachsens auftreten, und mit der vaterländischen Steinkohlenindustrie in Coneurrenz treten können. Von diesem Wunsche lebhaft durchdrungen, hatten die Professoren an der polytechnischen Schule zu Dresden, Geinitz und Stein, im Vereine mit dem Königl. Kohlenwerksinspector Köttig, bei dem Königl. Ministerium des Innern einen hierauf bezüglichen Antrag gestellt, welcher in der Weise Genehmigung fand, dass der geognostische Theil der Arbeit durch den Prof. Geinitz und den Kohlenwerksinspector Köttig, der physikalisch - chemische Theil durch den Prof. Stein ausgeführt werden möge, und die Kosten für die Ausführung dieser Unter- suchungen aus Staatsmitteln gewährt werden sollten. Gegenwärtig sind dieselben bereits so- weit vorgeschritten, dass ein Theil derselben schon in wenigen Tagen der Einsicht des grösse- ren Publicums vorliegen wird. Der erste Theil dieser Arbeit, welcher zum Abschluss gebracht worden ist, beleuchtet die Flora des Hainichen-Ebersdorfer und des Flöhaer Kohlenbassins im Vergleich zu der Flora des Zwickauer Steinkohlengebirges. Diese Arbeit, welche von der Fürst- lich Jablonowski’schen Gesellschaft in Leipzig mit einem Preise geziert worden ist, hat mit 14 Tafeln in Grossfolio, von welchen 10 der Flora der älteren Kohlenformation von Hainichen und Ebersdorf, 4 der Flora der jüngeren Kohlenformation von Flöha und Gückelsberg gewid- met sind, so eben die Presse verlassen und erscheint in den Acten der Fürstlich Jablonowski’- schen Gesellschaft im Verlage von S. Hirzel in Leipzig. Sie enthält eine geognostische Skizze des Hainichen-Ebersdorfer Kohlenbassins, des Flöha’er Kohlenbassins und des Zwickauer Koh- lenbassins, nebst einer übersichtlichen Darstellung der Schichten der Zwickauer Steinkohlenfor- mation, nach den neuesten Erfahrungen zusammengestellt, 1853, eine Beschreibung der in der älteren Kohlenformation von Hainichen-Ebersdorf, sowie in der Steinkohlenformation von Flöha und Gückelsberg aufgefundenen Versteinerungen, eine Tabelle über die geologische und geo- graphische Verbreitung der hier beschriebenen Versteinerungen, sowohl in Sachsen als auch in anderen Ländern, einen Index generum et specierum und einen Bogen mit Erklärungen von 122 Abbildungen. : Es geht aus ihr hervor, dass die Flora des Hainichen-Ebersdorfer Kohlenbassins eine entschieden andere ist, als die in der Steinkohlenformation von Zwickau, mit welcher sie nur eine einzige Pflanze gemein hat, dass sie ein höheres Alter bean- 55 spruche, als diese, und den obersten Schichten der Grauwackenformation oder auch dem Kohlenkalke parallel gestellt werden müsse. Dagegen ersieht man aus der Vergleichung der verschiedenen Organismen die Uebereinstimmung der Flöhaer Kohlenformation mit der von Zwickau, welche als die eigentliche normale Steinkohlenformation be- trachtet werden, und mit welcher dieselbe einst in dem engsten Zusammenhange gestanden ha- ben muss. Der zweite Theil der aus den Untersuchungen der Steinkohlenformation in Sachsen ge- wonnenen Resultate ist in einer anderen Schrift von Geinitz ‚‚die Versteinerungen der Steinkohlenformation in Sachsen” niedergelegt worden, welche im Verlage von W. En- gelmann in Leipzig erscheint und in höchstens zwei Monaten die Presse verlassen wird. In ihr sind alle aus der eigentlichen Steinkohlenformation Sachsens bis jetzt gefundenen Verstei- nerungen genau beschrieben und auf 36 Tafeln in Grossfolio abgebildet worden; auch ist ihr Vorkommen auf den verschiedenen Flötzen in Sachsen, so wie auch von allen anderen Locali- täten, über welche monographische Arbeiten vorlagen, beleuchtet worden. Der dritte Theil der Arbeit, welcher diesen Untersuchungen gewidmet ist, und mit des- sen Bearbeitung die oben Genannten noch eifrigst beschäftiget sind, wird ausser einer tabella- rischen Uebersicht aller im Gebiete sowohl der älteren als der eigentlichen in Sachsen ent- wickelten Steinkohlenformation auftretenden Versteinerungen und deren geologischer und geo- graphischer Verbreitung in und ausser Sachsen, eine ausführliche Beschreibung des Vorkom- mens und der Ausdehnung, der Mächtigkeit und Beschaffenheit der Flötze selbst, sowie auch den physikalisch-chemischen und technischen Theil enthalten, und wir behalten uns vor, hier- über seiner Zeit a. a. ©. nähere Mittheilungen zu geben.“ Herr Regierungsrath Credner aus Gotha legte die neue Ausgabe seiner geognostischen Karte von Thüringen vor und begleitete dieselbe mit Bemerkungen über die Begrenzung eini- ger Formationen. Die Grenzbestimmung war besonders zwischen der silurischen und devoni- schen Formation mit Schwierigkeiten verknüpft. Die Zechsteinformation wird als nicht gleich- bedeutend mit dem permischen System von Murchison dargestellt. Die Lettenkohlengruppe ist einer speciellen Untersuchung gewürdigt und auf der Karte vom Keuper und Muschelkalk getrennt dargestellt worden, da sie, wie sich herausgestellt hat, eine eigenthümliche Local-Bil- dung der Küste ist und häufig sowohl gegen den Muschelkalk als gegen den Keuper ungleich- förmig gelagert erscheint. Die Sandsteinablagerungen, welche zwischen Keuper und Lias auf- treten und die wegen Mangels an charakteristischen Schaalthierversteinerungen hinsichtlich ih- rer Stellung bisher schwankend geblieben sind, werden wegen des Vorkommens von Cycaden- resten in ihnen zur Liasformation gerechnet. - Es knüpften sich an diesen Vortrag Besprechungen über die Begrenzung der Formatio- nen, woran sich besonders die Herren v. Carnall, v. Strombeck, Merian betheiligten. Es wurde als wünschenswerth erachtet, auf Specialkarten so viel Glieder als möglich getrennt zu sehen. Ueber die Begrenzung des oberen Keupersandsteins und unteren Liassandsteins machten sich verschiedene Ansichten geltend. Hr. v. Strombeck spricht sich für die Vereinigung beider Gebilde aus. Hr. Merian bemerkt über die Flora des Keupers und Lias, dass darin viele Verwechse- lungen stattgefunden hätten, indem nicht allein ächte Liaspflanzen als Kupferpflanzen angege- 56 ben, sondern auch umgekehrt Keuperpflanzen aus dem Lias citirt worden seien. Ueber die Stellung der Lettenkohlengruppe theilte derselbe mit, dass sie dem Keuper näher zu stehen scheine als dem Muschelkalk, indem am Nordabhange eines Theiles der Alpen die Lettenkohlen- gruppe neben dem Keuper aufgeschlossen sei, während der Muschelkalk meist hier fehle. In Rücksicht auf die Zechsteinformation äusserte der Redner beiläufig, dass es einen un- angenehmen Eindruck mache, von einem permischen System in Thüringen sprechen zu hören, während dort gerade diese Formation ausserordentlich entwickelt und durch die classischen Ar- beiten mehrerer Geognosten so bekannt sei, dass sie des Fremdnamens wohl entbehren könne. Herr A. von Strombeek aus Braunschweig hielt einen Vortrag ‚‚über den Schichtenbau in dem Hügellande nördlich vom Harze”. Die Stellung der Schichten bildet an den dortigen Erhebungsachsen, wie durch Profile verdeutlicht wurde, hauptsächlich viererlei Formen : 1) Sättel mit zwischenliegenden Mulden (Huy, Asse, Dorm); 2) einseitige Aufrichtungen oder halbe Sättel (Querenhorst); 3) Ueberschiebungen (Fallersleben, Grasleben), die nicht immer von den sub 2 zu unter- scheiden sind, und 4) wellenförmige Biegungen, wo synklinale Schichten mit einseitigem Fall jüngere der Art einschliessen, dass die jüngeren von jenen älteren bedeckt und unterteuft werden (Helmstedt). Als eine Modification dieser letzteren Form können die Ueberkippungen angesehen werden, die zunächst am Rande des Harzes vorkommen. Eine gemeinsame Ursache müssen diese Erscheinungen nach Ansicht des Redners haben, da die Gesteine, welche die Hügel constituiren, bis zur jüngsten Kreide mit Belemnitellen aufwärts, sich in gleichförmiger Lagerung befinden, und nicht gering muss ferner die wirkende Kraft gewesen sein, da die Hügel meist zwischen 400 und 600 Fuss Seehöhe einnehmen, ja einzelne 1000 Fuss erreichen. Die unter 1 und 2 erwähnten Formen lassen sich als Hebun- gen betrachten, die durch in der Tiefe verborgen gebliebene Eruptivgesteine hervorgebracht Sa Nicht so die unter 3 und 4. Letztere beide können nur durch seitliche Zusammen- pressung erklärt werden. Aber auch die Sättel und einseitigen Aufrichtungen lassen sich durch dergleichen Pressung entstanden denken, ja ungezwungener in solcher Weise, als durch Hebungen, da die hebenden Eruptivmassen stets vergeblich gesucht werden. Es ist daher an- She dass der mannigfache Schichtenbau nördlich vom Harze durch Seitendruck, ähnlich wie im Juragebirge, hervorgebracht ist. Der Seitendruck selbst wird eine Folge der letzten Hebung des Harzes sein, durch welche derselbe sein dermaliges Relief erhielt. Das Empor- dringen der Massengesteine unfern Magdeburg, wenn damit gleichzeitig, mag mitgewirkt ha- ben. — Geognostische Karten, die der Redner vorlegte , zeigten ferner, dass ein Durchkreuzen von Erhebungsachsen nirgend in der fraglichen Gegend Statt findet, dass, wenn zwar das nordwestliche Streichen, parallel dem Harzgebirge, vorherrscht, doch namentlich da, wo das Flötzgebirge, durch Fehlen mehrerer Formationen oder dergleichen, in wesentlich verschiedener Mächtigkeit abgelagert ist, wo also ungleicher Widerstand obwaltete, Abweichungen in den Richtungen bis zu 90° eintreten, ein Verhalten, das jene Annahme annoch unterstützt. Im Uebrigen machte v. Strombeck auf die entschieden übergreifende Lagerung aufmerk- sam, mit der das Braunkohlengebirge auf den älteren Bildungen ruht, und da sich die jüng- sten Kreideschichten überall in gestörter, nicht horizontaler Lage befinden, so fällt die Zeit, in welcher sich die durch Seitendruck hervorgebrachte Schichten-Faltung in dem Hügellande 57 nördlich vom Harze ereignete, zwischen die Ablagerung der jüngsten Kreide und des Braun- kohlengebirges. Dieser Vortrag gab Veranlassung zu einer Besprechung über die Terminologie der verschie- denen Arten der Schichtenstellung. Herr v. Carnall machte namentlich für den Namen Ue- berschiebung einen andern Begriff geltend und bezog sich dabei auf seine früheren Arbeiten über derartige Lagerungsverhältnisse. Herr J. H. C. A. Meyer aus Hamburg machte folgende Mittheilung ‚‚über ein neues Vor- kommen von Struvit in Hamburg”. Wenige Tage vor meiner Abreise von Hamburg führte mich der Zufall auf eine interes- sante Entdeckung. Bei einem Gange durch die Schauenburgerstrasse wurde ich durch einen dort bei einem Baue beschäftigten Erdarbeiter darauf aufmerksam gemacht, dass sich beim Aus- graben des Grundes ähnliche glänzende Krystalle gefunden hätten, wie solche beim Ausgraben des Nicolai-Kirchengrundes entdeckt worden waren. Bei näherer Untersuchung fand ich denn auch, dass sich an der bezeichneten Stelle ein gemauertes Reservoir befand, welches dazu gedient hatte, den Harn und andere Excremente der, in dem auf jenem Platze früher befindlich gewesenen Schlachter-Schrangens, geschlachte- ten Thiere aufzunehmen, welcher Schrangen bei dem grossen Brande 1842 zerstört wurde. Dieses Reservoir war demnach seit länger als 10 Jahre verschüttet und unangerührt geblieben, und jetzt fand es sich mit einer aus der Verwesung der Excremente hervorgegangenen, grün- lich schwarzen, äusserst fettigen, stark nach Ammoniak riechenden Moorerde gefüllt, welche der Muttererde des Struvits im Nicolai-Kirchengrunde nicht unähnlich war, nur dass diese letztere nicht in dem Grade feucht und fettig und dagegen mehr mit faulendem Stroh u. s. w. untermischt war. — Im diesem Reservoir nun, welches etwa 10 Fuss tief sein mochte, befand sich ein paar Fuss unterhalb der Oberfläche rund herum ein schmaler Streif dieser Krystalle als Ueberzug auf der inneren Wandung der Mauersteine, während weiter unten deren Bildung nicht stattgefunden hatte; was wohl darauf hinzudeuten scheint, dass sich die Krystalle aus dem obentreibenden Harne, nicht aber aus den Bestandtheilen der zu Boden gegangenen Ex- cremente bildeten; wie denn auch wirklich die Moorerde in der Höhe des Kıystall-Ueberzuges am feuchtesten war. Das Aussehen der Krystalle ist von dem des Struvits aus dem Nicolai-Kirchengrunde in mehr als einer Beziehung abweichend; sie sind dunkler, gleichmässig bräunlich olivenfarbig und untereinander verwachsen, im übrigen aber vollständig ausgebildet, während dieser mit we- nigen Ausnahmen stets isolirt erschien, meistens nur nach einer Richtung ausgebildet und an dieser Seite dann wasserhell war, wogegen die andere unperfecte Seite dann dunkler, schmutzig bräunlich erschien und oft fremde Körper einschloss. — Dem Umstande, dass die Struvite des Nicolai-Kirchengrundes isolirt erschienen, ist es auch wohl zuzuschreiben, dass sie in Grösse mehr variiren und einige darunter vorkommen, deren Dimension von den hier besprochenen Krystallen nicht erreicht ward. (Exemplare dieser Struvit-Krystalle, so wie solche aus dem Nicolai-Kirchengrunde, wurden vom Redner vorgelegt.) Herr Peter Merian aus Basel ‚über die St. Cassian-Formation in Vorarlberg und im nördlichen Tyrol. 58 Die Formation des Lias tritt in den Vorarlberger Alpen sehr ausgezeichnet auf, theilweise erfüllt mit einer grossen Zahl wohlerhaltener Versteinerungen, welche eine Vergleichung mit dem Lias anderer Gegenden, z. B. mit demjenigen von Schwaben oder des Jura, möglich ma- chen. Der allgemeine paläontologische Charakter der Formation ist zwar etwas verschieden, wie denn die oft aufgestellte Behauptung, dass die ältern geologischen Schöpfungen eine grös- sere Gleichmässigkeit über weitere geographische Erstreckungen zeigen sollen, als die neuen oder die noch lebende, kaum in der Wirklichkeit begründet sein möchte. So scheint namentlich die Haupt-Leitmuschel des untersten schwäbischen Lias, die Gryphaea arcuata, im Vorarlberg gänz- lich zu fehlen. Hingegen sind z. B. auf dem Sfullerspasse Kalkbänke durch das Vorkommen von Ammonites Conybeari und Belemnites acutus als die tiefsten Lager der Liasformation. be- zeichnet. Unter diesen mit den untersten Liasschiehten übereinstimmenden Lagern erscheint im Vor- arlberg, und weiter ostwärts in der Alpenkette, eine Folge von Gebilden, die einen durchaus fremdartigen Charakter tragen, und zu welchen in Schwaben und im Jura keine entsprechen- den Glieder sich aufweisen lassen. Diese Folge, die in einer von Hrn. Escher von der Linth in dem 13ten Bande der Denkschriften der schweizerischen naturforschenden Gesellschaft erschienenen Abhandlung näher beschrieben worden, ist von oben herabsteigend kürzlich fol- gende: Unmittelbar unter dem Lias entwickelt sich eine, oft sehr mächtig werdende Kalkforma- tion, reich an Korallen und verschiedenen Conchylien, worunter die bis zu Kopfgrösse anwach- sende sogenannte Dachsteinbivalve (Megalodon seutatus, Schafh.) sich besonders auszeichnet. Es ist das der Dachsteinkalk der österreichischen Geologen. Derselbe wird unterteuft von dünnschieferigen, meist schwärzlichen Kalken, an manchen Stellen reich an Versteinerungen. Als einige der bezeichnendsten können hervorgehoben wers den: Geryillia inflata, Schafh., mehrere Ayiculae aus der Abtheilung der gryphaeatae, Plicatula intusstriata, Emmerich und eine Cardita crenata, Goldf. sehr nahe verwandte Muschel, von Hrn. v. Hauer Cardium austriacum benannt. Diese bereits von Leop. v. Buch beschriebene Bildung wird von Hrn. Emmerich mit dem Namen Gervillien-Schicht, yon den Oester- reichern mit dem der Kössner Schichten bezeichnet. Sie steht mit dem Dachsteinkalke in sehr enger Verbindung. In beiden fehlen die Belemniten und auch die Ammoniten scheinen sehr selten zu sein. Nach unten zu folgen nunmehr sehr mächtige graue Dolomite, in welchen bis jetzt noch keine Versteinerungen aufgefunden worden sind. Sie bilden durch ihr massenhaftes Auftreten. einen Hauptbestandtheil der Vorarlberger Kalkalpen. Unter diesen Dolomiten erscheint ein oft sehr diehter grünlich-grauer Sandstein, gemeinig- lich mit Pflanzenresten erfüllt, welche übereinstimmen mit denjenigen der schwäbischen Letten- kohle, wie z. B. Equisetum columnare, Pterophyllum longifolium, u. a. m. Es scheinen folg- lich diese Schichten der untersten Abtheilung der Keuperformation des nördlichen und west- lichen Europa’s zu entsprechen. In enger Verbindung mit diesen Keupersandsteinen tritt ein bald schwärzlicher, bald graulicher Kalkstein auf, in welchem hin und wieder Muschel- versteinerungen vorkommen. Am Triesner Kulm hat Hr. Escher in diesen Schichten die in Südtyrol zuerst entdeckte Halobia Lommelii, Wism. aufgefunden. Es scheinen dieselben den, an verschiedenen Localitäten Vorarlbergs zu Tage ausgehenden Gyps unmittelbar zu bedecken. Darunter steht der in den Alpen als Verrucano bekannte rothe, oft conglomeratartige Sandstein an, welcher seinerseits unmittelbar dem krystallinischen Gebirge aufgelagert ist, 59 Im Laufe des heuerigen Sommers habe ich in Begleitung der Herren Suess von Wien, und Escher von der Linth diese untern Keuperschichten bis über Innsbruck hinaus gegen Osten verfolgt. In einem hinter dem Herrenhaus des Haller Salzberges entblössten Schichten- profil, zu welchem uns Hr. Schichtmeister Prinzinger in Hall hingeführt hat, fanden wir, unter einer Bedeckung von Dolomit, den Keupersandstein von mehrern Kalkbänken durchzo- gen, welche erfüllt sind mit den ausgezeichneten Versteinerungen des südtyrolischen St. Cas- sian-Gebildes. Cardita crenata, Goldf. ist die vorwaltende Leitmuschel. Damit kommen als charakteristische Petrefacten vor verschiedene Myophoriae, Ammonites Johannis Austriae, Klipst. aus der Familie der globosen Ammoniten u. s. w. Der mit Pflanzenresten erfüllte Keupersand- stein gehört vorzüglich den untern Schichten des entblössten Schiehtenprofils an, und bedeckt eine Rauhwacke, welche unmittelbar das Haselgebirge des Haller Salzberges überlagert. Dieselbe Schichtenfolge der mit Keupersandstein wechsellagernden Kalksteine der St. Cas- sianformation stellt sich in einem noch schönern Profile im Lafatschen Thale, nördlich von Hall, dar. Das ganze Gebilde, übrigens ganz entsprechend demjenigen beim Haller Herren- hause, zeigt sich daselbst in senkrecht stehenden Bänken. Der von dieser Localität längst be- kannte opalisirende Muschelmarmor bildet ein Glied der zu Tage ausgehenden Schichten des St. Cassian-Gebildes. Dasselbe Vorkommen zeigt sich offenbar noch an verschiedenen Stellen der Umgegend. Mehr westlich fanden wir es am Gebirgsabhange nördlich von Telfs, wo, nebst den mit St. Cassian-Petrefacten erfüllten Bänken, auch der Muschelmarmor sich noch zeigt. Kohlige Schich- ten des Keupers haben hier zu einem Versuchsbaue auf Steinkohlen ‘Veranlassung gegeben. Bei Imbst besteht ein ähnlicher Versuchsbau, in dessen Nähe wohl auch noch die Fossilien von St. Cassian anzutreffen sein möchten; und von da lassen sich in einer fortgehenden Linie die Aufbrüche des Keupersandsteins südlich von Grameis vorbei, über Jalaas, Bludenz und den Triasmen Kulm bis in die Nähe des Rheinthals verfolgen. Im den Keuperschichten des Vor- arlbergischen sind freilich bis jetzt die mit St. Cassian-Petrefacten erfüllten Kalkbänke noch nicht angetroffen worden. Es scheinen diese Beobachtungen zu der Annahme zu: berechtigen, die ganze Folge der be- schriebenen Schichten, vom Dachsteinkalke bis zu den das Haselgebirge bedeckenden Sand- steinen, als eine Formation zu betrachten, welche in der Formationsreihe dem schwäbischen und jurassischen Keuper parallel steht. Es ist sogar nicht unwahrscheinlich, dass das salz- führende Haselgebirge Tyrols und des Salzkammergutes ebenfalls noch dem untersten Theile der Keuperformation einzureihen ist. Es würde demnach dem westeuropäischen Keuper, der zum grossen Theil als Landbildung und Litoralbildung sich darstellt, im Osten eine eigentliche marinische Bildung entsprechen, welche die im Westen so scharf bezeichnete Lücke zwischen den ebenfalls marinischen Formationen des Lias und des Muschelkalks ausfüllt, und auch durch seine organischen Einschlüsse den Uebergang zwischen diesen beiden Formationen ver- mittelt. Die im Osten auftretende marinische Formation schwellt, wie das bei Meeresbildungen gewöhnlich ist, zu ungleich grösserer Mächtigkeit an, als die entsprechende eigentliche Keuper- bildung des Westens. Im nördlichen Tyrol würde ein theilweises Eingreifen der Landgebilde in die marinischen Schichten stattfinden. Ueber die eigentliche Lagerung des Dachsteinkalkes und der Gervillienschichten haben zum Theil bis im die letzten Jahre irrthümliche Ansichten geherrscht, welche in die Deutung der Schiehtenprofile der östlichen Alpen manche Verwirrung gebracht haben. Sie sind gegenwärtig durch die Fortschritte der geognostischen Untersuchungen in jenen Gegenden beseitigt, und g* 60 über die Lagerung selbst sind gegenwärtig die österreichischen und schweizerischen Geognosten vollkommen einig. Einzig in der Benennung findet noch eine Verschiedenheit statt. Die Oe- sterreicher, wie ich glaube, hauptsächlich bewogen durch das Vorkommen einiger Brachiopoden, welche vom Lias bis in den Dachsteinkalk und die Gervillienschichten sich hineinziehen, glau- ben diese beiden Bildungen als eine unterste, dem östlichen Europa eigenthümliche, Abtheilung des Lias betrachten zu sollen, während wir in der Schweiz es angemessener erachten, die ganze im Osten neu sich entwickelnde marinische Schichtenfolge unter der gemeinschaftlichen Benennung der St. Cassian-Formation zu begreifen, Dachsteinkalk und Gervillienschichten folglich als obere St. Cassian-Formation, und die hauptsächlich durch die globosen Ammoniten charakterisirten, unter der Hauptmasse des Dolomits erscheinenden Schichten als untere St. Cassian-Formation zu bezeichnen. Es ist das eine Abweichung, die nicht mehr verschiedene Deutungen der Lagerungsfolge, sondern nur eine Verschiedenheit in der Annahme des Grenz- punktes zwischen dem, was man Lias, und Keuper oder St. Cassian-Formation benennen will, betrifft, also eine Verschiedenheit von höchst untergeordnetem Belang. In der bereits angeführten Abhandlung von Hrn. Escher ist nachgewiesen, dass die St. Cassian-Formation auch am Südabhange der Alpen in den Umgebungen des Comer Sees und des Luganer Sees auftritt, und zwar sowohl die obere Abtheilung, als weiter südlich im Val Trompia, die untere Abtheilung mit den globosen Ammoniten. Sie sondert sich hier sehr be- stimmt von dem ebenfalls in diesen Gegenden auftretenden eigentlichen Muschelkalke, welcher am Nordabhange der Vorarlberger und Tyroler Alpen gänzlich zu fehlen scheint. Die Ver- hältnisse, unter welchen weiter im Osten die untere St. Cassian-Formation an den Muschelkalk sich anschliesst, scheinen noch nicht mit hinreichender Klarheit ermittelt. Bei der Thätigkeit, mit welcher gegenwärtig die österreichischen Alpen erforscht werden, sind aber bald genügende Aufschlüsse zu hoffen. Weiter südwärts, in der italienischen Halbinsel, dürfte, nach den vorhandenen Andeutun- gen, unsere Formation ein nicht unbedeutendes Glied der Bestandmasse der dortigen Gebirge bilden. Die obere Abtheilung ist bereits in der Stockhornkette der Berner Alpen und in den Umgebungen des Genfer Sees nachgewiesen. Die Forschungen der nächsten Jahre werden auch hier unsere Kenntnisse vervollständigen. Herr v. Klipstein knüpfte hieran einige weitere Bemerkungen über die St. Cassian-For- : w mation. Zweite Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Herr Merian. Herr Sartorius von Waltershausen aus Göttingen: Notiz über die Dolomite in den Centralalpen. Der weisse zuckerartige Dolomit der Centralalpen hat seit längerer Zeit die Aufmerksamkeit der Geologen auf sich gezogen und wurde von Leopold von Buch für einen metamorphischen Kalkstein gehalten, dessen Umwandlung durch Magnesiadämpfe, die von emporbrechenden Me- laphyren hergeleiret wurden, entstanden sein sollten. Seitdem hat man sich mehr mit der Bil- dung des Dolomits auf nassem Wege befreundet und der Vortragende, der dem zuckerartigen Dolomit in den Alpen besonders im Binnenthal und auf Campo Longo seit längerer Zeit be- 61 sondere Aufmerksamkeit zugewandt hat, stimmt der letztern Ansicht über die Dolomitbildung vollkommen bei. Um indess den Ursprung dieser Formation klarer zu beleuchten, schien eine neue chemisch mineralogische Bearbeitung derselben unumgänglich nothwendig zu werden. Der Dolomit des Binnenthals ist nahe zu aus einem Atom. kohlensaurem Kalk und einem Atom kohlensaurer Magnesia zusammengesetzt und ist sehr reich an mehrern zur Zeit noch’ nicht hinlänglich untersucht gewesenen Mineralkörpern. Es werden hier zunächst mehrere bekannte Schwefelmetalle bemerkt, wie Zinkblende, Real- gar, Auripigment und zwei bleigraue Mineralkörper, die mit dem Namen Dufrenoysit bezeich- ‚ bis jetzt aber noch nicht gehörig unterschieden worden sind. Genauere Untersuchungen haben zunächst herausgestellt, dass die chemische Formel Pb2Äs, die man dem Dufrenoysit zugeschrieben hat, demselben nicht entspricht. Für den iso- metrischen Dufrenoysit ergibt sich vielmehr die Formel: EuAs+ Cu während sich die Formel Pb24A% auf ein trimetrisches dem Federerz isomorphes Mineral be- zieht, welches ich seiner grossen Sprödigkeit halber mit dem Namen Skleroklas bezeich- net habe. Im Dolomit des Binnenthals finden sich ferner verschiedene Silicate, Carbonate und Sul- fate, nämlich, Quarz, Glimmer, seegrüner Kalk, Turmalin, Kalkspath, Spatheisenstein, Bitter- spath in wasserhellen zollgrossen Krystallen und Barytocölestin. Ausserdem ist einem neuen Mineral aus dem walliser Dolomit, welches ich mit dem Namen Hyalophan bezeichnet habe, einige Aufmerksamkeit zu schenken. Es krystallisirt im monoklinen Systeme, gleicht dem Adular und zeigt die merkwürdige Verbindung eines kieselsauren und schwefelsauren Salzes mit den Basen Thonerde, Baryt und Natron. Eine ausführlichere Abhandlung, die so eben in Poggendorffs Annalen über diesen Ge- genstand veröffentlicht wird, enthält eine genaue chemisch krystallographische Bearbeitung die- ses bisjetzt noch seltenen Mineralkörpers. Herr Dr. Ferdinand Roemer aus Bonn berichtete über die Ergebnisse einer von ihm während dieses Sommers angestellten vergleichenden Untersuchung in Betreff der Entwicklung des devonischen Gebirges in Belgien und in.der Eifel. Als typische Localitäten, von welchen bei der Vergleichung ausgegangen wurde, bezeichnete der Vortragende die Gegend von Couvin und Chimay und die Umgebungen von Gerolstein. Als allgemeinstes Resultat hat nun die vergleichende Untersuchung ergeben, dass die Verschiedenheit der Entwicklung in beiden Ge- genden keinesweges so gross ist, als man früher geglaubt hat. Bei Couvin und Chimay lassen sich folgende Glieder in aufsteigender Reihenfolge unterscheiden: 1. Versteinerungslose, halbkrystallinische Thonschiefer und Quarzite mit zahlreichen weissen Quarztrümmern. 2. Grauwackensandsteine mit Spirifer macropterus, Spirifer cultrijugatus, Chonetes sareinu- lata, Pleurodietyum problematicum (entsprechend der Grauwacke von Coblenz ‚oder der älteren Rheinischen Grauwacke). { 3. Feste Kalksteinbänke mit Cyathophyllum quadrigeminum , Heliolites porosa, Calamopora polymorpha, Calceola sandalina etc. (parallel dem Eifeler Kalk). 62 4. Lockere an der Luft zerfallende Mergel mit Calceola sandalina, Spirifer speciosus, Orthis tetragona‘, Fenestella in verschiedenen Arten und grosser Zahl der Individuen. (Calceola- Schiefer). 5. Kalksteinbänke mit Stringocephalus Burtini, Uncites gryphus, Murchisonia bilincata u. s.w. (Kalk von Paffrath, Stringocephalea-Kalk). 2 6. Grünlich schwarzer Schieferthon mit zahlreichen kleinen in Brauneisenstein verwandelten Goniatiten (Goniatites retrorsus var.), Cardiola retrostriata, Bactrites u. s. w. am Etang de Virelle bei Chimay. (Goniatiten-Schiefer). 7. Olivengrüne Schieferthone und dünn geschichtete Sandsteine mit Spirifer disjunctus (Sp. Verneuilii), welche überall unmittelbar und in gleichförmiger Lagerung von dem Kohlen- kalk überlagert werden. Von diesen verschiedenen Gliedern der Belgischen Entwicklung sind die drei ersten in. der Eifel seit längerer Zeit gekannt. Das vierte, die Calceola-Schiefer, dagegen sind in der Eifel nicht scharf von dem Kalke als ein jüngeres Glied getrennt, sondern wechsellagernd mit den Kalk- steinbänken. Der Kalk von Paffrath war bisher in der Eifel als ein von der übrigen Masse des Eifeler Kalks paläontologisch bestimmt gesondertes Niveau nicht gekannt. Der Vortragende hat ihn aber als ein solches an mehreren Punkten in dem Bereiche der Kalkpartie vou Gerol- stein aufgefunden. Namentlich bei Rommersheim zwischen Prüm und Schönecken setzt er einen dolomitischen Höhenzug zusammen, dessen Bänke Stringocephalus Burtini und Uncites gryphus (eine glatte Varietät) in grosser Häufigkeit und mit fast völligem Ausschluss fast aller anderen Versteinerungen enthalten. Es ist durchaus wahrscheinlich, dass der Kalk von Paff- rath sich ganz allgemein als ein durchgehendes Niveau in dem Eifeler Kalkgesteine wird nach- weisen lassen. Die Goniatiten-Schiefer sind an einem einzelnen Punkte, bei Büdesheim nämlich zwischen Gerolstein und Prüm schon seit einigen Jahren bekannt. Ihre Ueberein- stimmung an dieser Stelle mit denjenigen am Etang de Virelle ist vollständig. Der Vortra- gende hat diese Schiefer aber auch in weiterer Ausdehnung nachgewiesen. Sie nehmen das ganze Thal zwischen Büdesheim und Oos ein und lassen sich über letzteres Dorf hinaus bis dicht vor Mühlenborn verfolgen. Fast noch bezeichnender als die in Brauneisenstein verwan- delten Goniatiten und Bactriten sind hier überall die fast in keinem Bruchstücke des Schiefers fehlenden Schalenabdrücke von Cypridina serrato-striata. Für die Parallelisirung mit den Schiefern von Nehden bei Brilon ist das gleichfalls sehr häufige Vorkommen von Posidonomya venusta bemerkenswerth. Für ganz fehlend gelten bisher in der Eifel die in Belgien’ als eine so mächtige und überall verbreitete Schichtenfolge bekannter Schiefer und Sandstein mit Spiri- fer disjunctus (Sp. Verneuilii). Allein auch dieses Niveau ist, wenn gleich viel schwächer und in einer abweichenden petrographischen Form entwickelt vorhanden. Bei Büdesheim und bei Oos ist eine nur wenige Fuss mächtige Aufeinanderfolge von grauen, violett und röthlich ge- flammten und auf den Schichtflächen mit knotigen Erhabenheiten versehenen dünnen dolomiti- schen Schichten an mehreren Punkten aufgeschlossen. Bei Büdesheim zeigten sich diese Schichten erfüllt mit Spirifer disjunetus und einer sonst nicht aus der Eifel bekannten Avicula. Die erstere zeugt für die Gleichstellung mit der Belgischen Schichtenfolge. In soleher Weise besteht eine viel grössere Uebereinstimmung zwischen der belgischen Entwicklung und derjenigen in der Eifel als bisher angenommen wurde. Die Unterschiede zwi- schen beiden bestehen nach der vorhergehenden Darstellung wesentlich nur in dem Mangel einer scharfen Trennung der Calceola-Schiefer von der Hauptmasse des Eifeler Kalks und in 63 der viel schwächeren Entwicklung des obersten durch Spirifer disjunetus bezeichneten Gliedes in der Eifel. Derselbe Redner legte dann ferner der Versammlung ein Fossil aus der Grauwacke von Daun in der Eifel vor, welches er als das innere Knochenstück eines Sepien-artigen Thieres, für welches er die Benennung Palaeothentis Dunensis vorschlug, bezeichnete und in sei- nen Merkmalen näher erläuterte. Es wurde hervorgehoben, dass der fragliche Körper den ein- zigen aus paläozoischen Schichten überhaupt bekannten Ueberrest eines nackten Cephalopoden darstelle und dass durch die Aufindung desselben die untere Grenze der vertikalen Verbreitung dieser höchst stehenden Abtheilung der Mollusken sehr bedeutend hinabgerückt werde. Herr Prof. Benin aus Berlin: Ueber das Vorkommen von Graptolithen im schlesischen Gebirge. Der in den aba Arbeiten von K. von Raumer, y. Carnall und Zobel mit dem Na- men des südlichen oder Glätzer Uebergangsgebirges belegte Distrikt des schlesischen Gebirges war in Folge einer früher ausgeführten Untersuchung *) in zwei Theile zerlegt, welchen die Benennung, der Glätzer Urschiefer und des Warthaer Grauwackengebirges beigelegt wurde. Der westliche Theil der Glätzer Urschiefer, zusammengesetzt aus krystallinischen Hornblendeschie- fern, Thonschiefern und grünen Schiefern mit Lagern von körnigem Kalkstein, gehört dem versteinerungsleeren Grundgebirge an. In der östlichen Hälfte des Warthaer Grauwackengebir- ges, dessen Massen mit scharfem Contrast der Lagerung von dem Grundgebirge geschieden sind, berechtigte das Auftreten des Clymenienkalkes bei Ebersdorf und des Kohlenkalkes von Ebersdorf und Volpersdorf nach Silberberg hin, so wie das Vorkommen von Kohlenkalkverstei- nerungen in kalkhaltigen Grauwackenschiefern bei Rothwaltersdorf zu der Annahme, dass die- ser ganze Grauwackendistrikt dem devonischen Uebergangsgebirge in Verbindung mit der durch Kohlenkalkstein oder durch grauwackenartige Aequivalente, jetzt sogenannte Kulmbildungen, vertretenen unteren Steinkohlenformation angehören müsse. Seitdem hat das durch Hrn. Krug von Nidda zuerst bekannt gewordene und durch Hrn. Scharenberg nachher weiter verfolgte Vorkommen von Graptolithen bei Herzogswalde nahe Silberberg den Beweis geliefert, dass auch silurische Bildungen, welche bis dahin als dem schlesischen Gbhinge gänzlich fremd angesehen werden konnten, an der Zusammensetzung des Warthaer Grauwackengebirges Theil nehmen. Eine neue, in diesem Jahre ausgeführte Untersuchung des fraglichen Distriktes bezweckte die Ausdehnung festzustellen, welche der silurischen Uebergangsformation in diesem Theil des schlesischen Gebirges einzuräumen ist. Von Herzogswalde gegen Nieder-Klasdorf hin erreicht das Grauwackengebirge nicht, wie die bisherigen geognostischen Karten dieser Gegend es darstellen, den äusseren Fuss des Ge- birges, sondern eine Zone von Gmneiss, welche mit dem Gneiss des Eulengebirges nicht im Zu- sammenhang steht, bildet hier die äussersten Vorberge des Gebirgsrandes. In unmittelbarer Berührung mit diesem Gneiss am nördlichen Ende der Zone sind in einem Steinbruche bei Herzogswalde die schwarzen graptolithenführenden Schiefer aufgedeckt, welche frappant den Graptolithengesteinen des sächsischen und des thüringischen Grauwackengebirges gleichen. Man beobachtet bei weiterer Untersuchung der Gegend von Herzogswalde, dass die Grapto- lithenschiefer zu einem System von Kieselschiefern gehören, welches den sehr festen, feinkör- *) Vergl,: Ueber das sogenannte südliche oder Glätzer Uebergangsgebirge in Zeitschr. d. deutsch. geol. Ges. 1. 1849. p. 66 fg. 64 nigen Grauwacken eingelagert ist, die sich von Herzogswalde gegen Wartha hin verbreiten und über die Neisse fortsetzend das Gebirge zwischen Königshain, Gierswalde und Heinrichswalde zusammensetzen. Die gleichen Schiefer mit Graptolithen wie bei Herzogswalde wurden noch in etwa 1 Meile südlicher Entfernung am Pinke-Berg nahe dem Silberhof gefunden. An ande- ren Stellen zeigten sich zwar die begleitenden Kieselschiefer, jedoch keine Graptolithen. Nach den vorliegenden Thatsachen ist anzunehmen, dass der grössere östliche Theil des Werthaer Grauwackengebirges durch ein silurisches Schichtensystem gebildet wird, welches im Osten und Süden unmittelbar unter schärfster Scheidung der Massen mit dem krystallinischen Grund- gebirge, im Norden aber gegen Silberberg hin und im Westen gegen Rothwaltersdorf, Gabers- dorf und Glatz hin mit den schwierig abzugrenzenden Kulm-Grauwacken zusammenstösst. Die- ses silurische Grauwackengebirge tritt demnach nicht in Berührung mit den versteinerungslee- ren primitiven Thonschiefern und grünen Schiefern des Glätzer Urschieferdistriktes und sein Auftreten giebt keinen Aufschluss über die Art und Weise der Verbindung des versteinerungs- leeren Grundgebirges mit dem älteren versteinerungsführenden Grauwackengebirge. Auffallend analog ist die Vereinigung des silurischen, graptolithenführenden Schichtensystems mit oberde- vonischem Clymenienkalk und mit Kulmbildungen den gleichartigen Verhältnissen der Zusam- mensetzung des thüringischen Grauwackengebirges. Hr. Dr. Bornemann aus Mühlhausen hielt folgenden Vortrag über die Grenzen des Keupers und die Lettenkohlengruppe Thüringens, „Es war anfänglich nicht meine Absicht, hier über einen Gegenstand zu sprechen, der mich noch gegenwärtig beschäftigt, da bereits in einer Sitzung der deutschen geologischen Gesellschaft davon die Rede war und meine Arbeit bald abgeschlossen sein und der Oeffent- lichkeit übergeben werden wird. Wenn ich dennoch hier noch einmal auf die Lettenkohlen- gruppe zurückkomme, über welche gestern soviel die Rede war, so geschieht es nur in Folge einiger in der gestrigen Sitzung gemachten Bemerkungen, denen meine Beobachtungen zum Theil widersprechen und die ich daher berichtigen zu müssen glaube. Es wurde nämlich mehrfach über die pflanzenführenden Schichten gesprochen, welche au der untern und an der obern Grenze der Keuperformation an vielen Orten Deutschlands, be- sonders auch in Thüringen und Franken vorkommen; und es machten sich verschiedene An- sichten über die Stellung dieser Schichten geltend; ob man die untere Lettenkohlengruppe der Muschelkalk- oder der Keuper-Formation und die oberen Pflanzen-führenden Schichten dem Keuper oder dem Lias zurechnen solle. Die Begrenzung des ersteren Formationsgliedes ist sehr der Willkühr des Beobachters un- terworfen, da sie namentlich in Thüringen weder gegen den Muschelkalk noch gegen den Keu- per eine scharfe natürliche Grenze darbietet und in beide allmälig übergeht. Es scheint aber aus anderen Rücksichten zweckmässig, sie als ein besonderes Glied der Triasgruppe und als eine durch gewisse lokale Bildungsverhältnisse, besonders als Küstenablagerung ausgezeichnete Bildung überall auf den geognostischen Karten anzugeben, wo die Umstände es gestatten. Wichtiger ist die Frage über die Stellung des andern Pflanzen-führenden Schichtensystems, welches man bald dem Lias, bald dem Keuper zugerechnet hat, da es sich hier um ein Grenz- glied zwischen zwei grossen Formationsgruppen, der Trias- und der Jura-Gruppe handelt, und der Wunsch wohl zu billigen ist, die mächtigen Sandsteinmassen, wie die zunächst bei Eise- nach und Gotha befindlichen, mit Bestimmtheit einer jener‘ Formationsgruppen angereiht zu sehen, sei es auch nur aus gewissen formellen Rücksichten. 65 Da von leitenden Schaalthierresten wenig oder gar nichts aus diesen Schichten bekannt ist, so hat man sich zur Bestimmung der Formation hier an die Pflanzenreste halten zu müssen geglaubt und hat das häufige Vorkommen von Cycadeenformen als für den Lias charakteristisch angesehen und demnach jene Sandsteine als unterste Liassandsteine bezeichnet. Diese Ansicht erweist sich indessen als völlig unbegründet, da auch die ächte Lettenkohlengruppe, also ein tieferes Glied der Trias an manchen Orten, so z. B. bei Mühlhausen, wo ich sie untersuchte, an Pflanzenresten gerade durch ein Vorherrschen von Cycadeen-Resten sich auszeichnet. Wenn man eine schärfere Grenze zwischen der Lias- und Keuperformation sucht, so dürfte sich in Thüringen hierzu eine Bank ganz vorzüglich eignen, die unmittelbar über jenen Sand- steinen liegt und auch bei Göttingen vorkommt. Dieselbe ist ganz erfüllt von einer kleinen Bivalve, die ich als Taeniodon Ewaldi *) bezeichnet habe. Was nun die schon mehr erwähnten Pflanzenreste anbetrifft, die ich in der Lettenkohlen- gruppe der Umgegend von Mühlhausen auffand, so erlaube ich mir darüber hier nur einige kurze Bemerkungen. Von fossilen Hölzern sind besonders Stammstücke von Coniferen aus der Gattung Arauca- ria zu erwähnen; ferner das Vorkommen macerirter Blattoberhäute und Blattfragmente in den Thonschichten, welche unter der eigentlichen Lettenkohle liegend durch das häufige Vorkom- men von Myaciten, Trigonia vulgaris var. und Posidonia minuta ausgezeichnet sind und die ich mit dem Namen der Myacitenthone belege. Diese sorgfältig mikroskopisch untersuchten Blattoberhäute stimmen in ihrem Bau grösstentheils mit den an Blättern von lebenden Zamien beobachteten Structurformen der Oberhaut und der Vertheilung der Gefässbündel überein. Mit diesen Fragmenten in letzterer Hinsicht übereinstimmend kommen Abdrücke parallelnerviger Blätter im Lettenkohlensandstein vor, die zu derselben Pflanzengattung zu zählen sind. Ein sehr vollständiger Blattrest aus dem Lettenkohlensandstein, der in der äussern Form dem Zamites Bergeri Sternb. und verwandten Arten aus dem Keuper von Bamberg, Coburg und Bayreuth nahe steht, war ebenfalls mit einer wohlerhaltenen Oberhaut versehen; dieselbe weicht indessen in ihrer Structur von der Blattstructur der Gattung Zamia ab und dürfte eine Trennung der sehr kurz- und breitfiedrigen Cycadeenblätter der Keuperformation von der Gat- tung Zamia und Zamites rechtfertigen. Von Farren, Equiseten und Calamites haben sich bei Mühlhausen nur sehr geringfügige Reste gefunden. (Zeiehnungen der fossilen organischen Reste aus der Lettenkohlengruppe der Umgegend von Mühlhausen, besonders mikroskopische Darstellungen wurden vorgelegt.) Herr Dr. Nauck aus Crefeld: über Quarz-Zwillinge. In neuester Zeit ist die durch Weiss bekannt gemachte und durch G. Rose zur Evidenz erwiesene Thatsache halb und halb in Frage gestellt worden, dass die Zuspitzungsflächen der Quarzkrystalle nicht als eine sechsseitige Pyramide, sondern als die Combi- nation zweier Rhomboeder betrachtet werden müssen. Solch ein gewonnenes Resultat, welches weit entfernt ist, eine blosse Ansicht zu sein, muss als ein Besitz festgehalten werden, und daher unternimmt es der Redner, einige Beweise dafür anzuführen. *) Bornemann: Lias von Göttingen 1854. (Berlin, Hertz) p. 16. 18. 66. 66 Häufig zeigen die abwechselnden Zuspitzungsflächen eine verschiedene Ausbildung, mitun- ter auch ein verschiedenes Ansehen; alsdann sind die 3 vorherrschenden Flächen (R) uneben und glänzend, die untergeordneten (r) glatt und matt. Sehr häufig sind Zwillingskrystalle, bei denen das eine Individuum gegen das andere um die gemeinschaftliche Hauptaxe um 180° gedreht ist, so dass die vorherrschenden Flächen des einen Krystalls mit den untergeordneten des anderen spiegeln, so namentlich ganz gewöhnlich bei den Quarzdrüsen aus dem Dolomit des Strählerberges bei Redwitz im Fichtelgebirge. Schneidet man aus solchen Zwillingskrystallen Platten parallel der Basis, so bemerkt man, dass stets der eine Krystall die Polarisationsebene nach rechts, der andere nach links dreht. Zwei und mehrere Krystalle rücken mitunter so nahe zusammen, dass sie in und durch einander wachsen und äusserlich ganz das Ansehen eines einfachen Krystalles erhalten; doch tritt die Zwillingsnatur solcher Complexe deutlich hervor, wenn man einen Durchschnitt im polarisirten Lichte betrachtet. Solche Schnitte aus einem scheinbar einfachen Krystall zeigen sich mitunter aus einer grossen Anzahl von Individuen zusammengesetzt; ein Individuum schliesst das an- dere ganz und gar ein, u. s. w. Der Polarisationsapparat zeigt, dass einfache Quarzkrystalle viel seltener sind als derartige Zwillinge; diese Zwillingsbildung aber beweist, dass die 6 Zuspitzungsflächen der Quarzkry- stalle auch bei äusserlich ganz gleichartiger Ausbildung als die Combination zweier Rhomboe- der zu betrachten sind. Herr Dr. Bornemann legte eine Sammlung von mikroskopischen Präparaten vor, welche ihm von Dr. A. Oschatz in Berlin zu diesem Zwecke übergeben worden war. Diese Präpa- rate bestehen zum Theil in feinen Splittern, zumeist aber in äusserst dünn geschliffenen La- mellen von Mineralien, von einfachen und zusammengesetzten Gebirgsarten, von fossilen Höl- zern, sowie auch in Querschliffen von Foraminiferen, welche über die Structur, Zusammen- setzung und den Bau dieser Körper ausgezeichnete Aufschlüsse geben. Herr Oschatz hat über seine Präparate bereits früher einige Mittheilungen gegeben und es verdienen dieselben durch ihre ausgezeichnete Ausführung eine weitere Aufmerksamkeit, besonders von Seiten der Mine- ral-Chemiker. Herr Prof. v. Klipstein aus Giessen: Vorlage des Sectionsblattes Wetzlar der geognosti- schen Karte des Grossherzogthums Hessen und des Königl. Preussischen Kreises Wetzlar nebst einigen Bemerkungen über die Schaalsteinbildungen. Das hier im ersten Entwurf der verehrlichen Versammlung mitgetheilte Sectionsblatt Wetz- lar der geognostischen Karte des Grossherzogthums Hessen und des Königl. Preussischen Krei- ses Wetzlar bedarf keiner erläuterndem Uebersicht, indem dieselbe durch die geognostische Dar- stellung auf dem Blatte selbst zur Genüge geboten sein und eine specielle Beschreibung dem- nächst folgen wird. Das Blatt umfasst in seinem nördlichen Theile bis zum Dillthale noch die südliche Parthie des Distrietes vom südlichen Hinterländer Gebirge, dessen Beschreibung be- reits erschienen ist. Der grössere Theil der bearbeiteten Fläche gehört jedoch den beiden Di- strieten zwischen der Dill und der Lahn und der linken Lahnseite an. Der grösste Theil die- ser Gebirgsgegenden unterliegt mehr oder weniger dem verändernden Einflusse, welchen die Gruppe der Grünsteinbildungen (Diabase, Hyperite, Labradorporphyr, Mandelsteine ete.) auf die normalen Gesteine des devonischen Gebirgssystems ausgeübt haben. Obwohl die pyrogenen Gesteine über Tage keine bedeutende Verbreitung erlangen und meist nur in kleineren isolirten 67 Massen entweder aus normalen Schichten, oder aus metamorphischen Bildungen hervorbrechen, so sind sie doch im ganzen nordwestlichen Theile der untersuchten Fläche, welcher jenem än- dernden Einflusse vorzugsweise unterliegt, zu Hause. Ihm gehören dann auch eine Reihe me- tamorphischer Gesteine (Schaalsteine, Eisenthonschiefer ete.) an, welche in einiger Beziehung stehen zu den von ihnen beherbergten reichen und in industrieller Beziehung so höchst wichti- gen Eisensteinlagerstätten, deren ausgedehnter Betrieb für diese Gegenden einen überaus leb- haften Verkehr zur Folge hat. Die Störungen und Veränderungen, welche durch die Grünsteinbildungen in dem Bereiche der normalen Gebirgsschichten herbeigeführt wurden, sind so intensiv und weitgreifend, dass es meines Ermessens mindestens zu den allerschwierigsten Aufgaben gehört, für diese Gebirgs- gegenden die jetzt üblichen Abtheilungsgrenzen der devonischen Formation auch nur annähernd genau zu bestimmen und auf der Karte anzugeben. Ich habe deshalb auch für die Bearbei- tung dieses Sectionsblattes vorerst eine mehr petrographische als geognostische Grundlage bei- behalten und muss es zukünftigen Combinationen überlassen, die Abtheilungsgrenzen der devo- nischen Formation auf demselben einzuführen. Herr von Dechen hat für das Westphälische Uebergangsgebirge, wo die Natur schärfere Begrenzungen gegeben hat, diese geognostischen Un- terabtheilungen bestimmt und auf den Sectionen der vortrefllich bearbeiteten Karte des West- phälischen Gebirges eingeführt. Seine unermüdlichen Forschungen, welche er im Verlaufe die- ses Sommers aus Westphalen in das Hinterländer Gebirge fortsetzte, haben ihn für das letztere so höchst werthvolle und entschiedene Anhalte gewinnen lassen, dass es ihm gelungen ist, die Bestimmung der Unterabtheilungen auch hier ausser allen Zweifel zu stellen. — Der Hoffnung mich hingebend, dass Herr von Dechen meine Aufnahme auch für dieses Sectionsblatt einer baldigen Prüfung an Ort und Stelle unterziehen wird, zweifle ich nicht daran, dass es ihm ge- lingen wird trotz der grösseren Schwierigkeiten und Verwickelungen, welchen die dortigen Ver- hältnisse unterliegen, wenigstens annähernd die Grenzlinien der Unterabtheilungen einzuführen. Von den mannigfachen Gesteinsbildungen, welche an der Oberfläche des Bodens innerhalb der Grenzen dieses Seetionsblattes erscheinen, beschränke ich mich darauf hier einer nur vor- zugsweise zu gedenken, welche zu den am wenigsten erforschten, gleichzeitig aber auch zu den eigenthümlichsten gehört. Es sind diess die Schaalsteine, welche auf unserm Blatte eine sehr ansehnliche Verbreitung einnehmen, und nachdem sie auf dem des südlichen Hinterländer Gebirges begonnen, eigentlich in dem Gebirge zwischen der Dill und untern Lahn und auf der linken Lahnseite gegen den Taunus hin zuerst zu ansehnlicherer Entwickelung gelangen und hier in Begleitung von rothen und weissen metamorphischen Schiefern die Lagerstätten der rei- chen und mächtigen Eisenoxydbildungen umschliessen. Ich glaube hier die Ueberzeugung aus- sprechen zu dürfen, dass die Schaalsteine bisher, weder nach ihrem mineralogischen Charakter, noch nach ihrer geognostischen Stellung und Entstehung richtig beurtheilt worden sind. Ob- wohl ich schon früher vielfach Gelegenheit fand, dieselben kennen zu lernen, so hat mir die geognostische Untersuchung eines Theils der Gegenden, in welchen sie am meisten ausgebildet und unter den interessantesten Verhältnissen in ganz Europa vorkommen dürften, neuerdings ein so reiches Material für eine vollständigere Charakteristik der Schaalsteinbildungen geboten, dass ich über die Natur und Entstehung derselben meinen Ansichten in Folgendem eine festere Begründung geben zu können glaube. Nachdem ich in der geognostischen Schilderung des südlichen Hinterländer Gebirges eine erschöpfende Charakteristik der Schaalsteinschiefer und der Kalkschaalsteine zu geben versucht habe, werden hiernach sämmtliche Schaalsteinbildungen eine sehr passende Trennung in zwei 9*r 68 Hauptabtheilungen finden. Die der Schaalsteinschiefer umfasst eine Reihe von Gesteinen, welche in ihren Zusammensetzungselementen Kiesel- und Thonerdefossilien, wohl auch Talk als wesentlich, kohlensauren Kalk und andere jedoch mehr als zufällig erscheinen lassen, wäh- rend die Kalkschaalsteine nie ohne kohlensauren Kalk auftreten und durch die Begrenzung desselben in verschiedener Form charakterisirt werden. In der feinschiefrigen Grundmasse der Schaalsteinschiefer erkennt man unter der Loupe ein bald Chlorit, bald Talk, bald auch Glimmer ähnliches Fossil, welchem eine Menge meist verschwindend kleiner Körnchen oft unter sehr gleichmässiger Vertheilung beigemengt sind, welche unter einem scharfen Vergrösserungsglas Glanz und Farbe des Pyroxens kaum verken- nen lassen und mit der schiefrigen Structur des Gesteins zugleich eine feinkörnige verbinden. Durch Ausscheidung Labrador ähnlicher Feldspathkrystalle im Schaalsteinschiefer bilden sich porphyrartige Gesteine, welche dem Labradorporphyr sich nähern, während das allmählige Her- vortreten einer gleichmässig körnigen Structur und dunklere Farben Annäherungen zu fein- körnigen Diabasgrünsteinen hervorrufen. Diese Uebergänge sind oft so entschieden und deut- lich entwickelt, dass ein Hervortreten mancher Grünsteine aus dem Schaalsteinschiefer nicht zu verkennen ist. Eben so finden auch sehr ausgezeichnete Uebergänge aus Kalkschaalsteinen zu Varioliten und aus diesen wieder zu Kalktrapp oder Mandelsteinen mit Kalkkörnern statt, so dass wir an eine Metamorphose zu glauben geneigt sind, welche aus Schaalsteinschiefer körnige Diabase, und aus Kalkschaalsteinen Variolite und Kalktrapp entstehen lässt. Geht man aber nun zu- rück auf die Entstehung der Schaalsteine, so lassen sich geognostische Thatsachen nachweisen, welche neben den auffallendsten Gesteinsübergängen,, die von Schaalsteinschiefer zu Thonschie- fer und von Kalkschaalsteinen zu Kalk stattfinden, auf entschiedene Weise dafür sprechen, dass Schaalsteinschiefer aus Thonschiefer und Kalkschaalsteinen aus Kalksteinen hervorgehen. So erstreckt sich z. B. von dem Calamoporenkalk des unteren Bieberthales genau in der Rich- tung des normalen Hauptstreichens eine Kalkschaalsteinparthie südwestlich, genau der Breiten- ausdehnung des Kalkes sich anschliessend, über das rothe Kreuz, die Bannhardt, Steinhardt, bis in die Gegend von Nauheim. Eine ganze Reihe isolirter kleiner Kalksteinmassen treten aus dem Schaalsteinkalk, demselben mannigfach sich nähernd und in ihn übergehend, gleichsam als nicht vollständig umgewandelte Reste des friher zusammenhängend an der Stelle des Kalk- schaalsteins verbreitet gewesenen Calamoporenkalkes hervor. Hier hat ein grosser Zersetzungs- process stattgefunden, welcher den grösseren Theil des Kalkes zu Kalkschaalstein umbildete, stellenweise jedoch nicht in seiner vollen Intensität wirkte und einzelne Massen des Kalkes nicht vollständig umgewandelt zurückliess. Auf der liegenden Seite folgt dem Kalk eine grosse Thonschiefermulde, welcher nicht minder genau der über die Wormshardt durch das Schwarz- bachthal, die obere Steinhardt und den Waldgirmeser Wald sich ausbreitende Schaalsteinschiefer- zug in seiner SW. Erstreckung entspricht. Um die verehrliche Versammlung nicht mit weiteren Details zu ermüden, beschränke ich mich darauf, zur Unterstützung der hier nur angedeuteten Theorie über die Bildung der Schaal- steinbildungen, diese wenigen auffallenden Erscheinungen anzuführen und werde demnächst ge- legentlich der weiteren Ausführung meiner Arbeiten, noch anderweite Thatsachen anzuführen Veranlassung nehmen. 69 Dritte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident: Geh. Bergrath Noeggerath. Herr Professor Göppert aus Breslau sprach über die Bedeutung der fossilen Pflanzen für die Bestimmung der geschichteten Gebirge, erläutert durch Beobachtungen aus den ältern und jüngern Formationen, welche wie die Flora des Uebergangsgebirges, der Kupferschieferfor- mation, der Tertiärschichten auf Java, der Bernsteinflora, der zu Schossnitz in Schlesien von dem Vortragenden jetzt bearbeitet worden sind. Diese Werke wurden vorgelegt, wie auch Zeichnungen der Stigmaria ficoides, der Hauptkohlenpflanze, welche nun im jüngern Zustande in vollständigen Exemplaren gefunden worden ist. Herr Prof. Sartorius von Waltershausen fügte diesem Vortrage einige Bemerkungen über fossile Pflanzen bei, welche in Tertiär-Schichten auf Island gefunden worden, aber leider noch nicht weiter untersucht und bekannt gemacht sind. Es finden sich darunter z. B. Tulpen- baumblätter und andere südliche Pflanzenformen. Herr Regierungsrath Stiehler aus Wernigerode: Ueber fossile Pflanzen aus der Kreide- formation von Quedlinburg. Südlich von Quedlinburg erheben sich in der Richtung von Ost nach West zwei dem Qua- dersandsteingebirge zugehörige Gebirgszüge. Mehr südlich die Altenburg, in ihrer Fortsetzung, näher nach Westerhausen zu, an einer Stelle mit dem Namen des Eselstalls belegt, und dem obern Quader angehörig; den andern, näher bei Quedlinburg belegenen, dicht vor letztge- dachtem Orte sich zum Theil schon bedeutend erhebenden Gebirgszug, den Langeberg, bildet der untere Quader. Beide Punkte sind die Fundstätte zum Theil neuer, aus der Kreide bis dahin nicht bekannter, interessanter fossiler Pflanzenreste geworden. A. Im obern Quader der Altenburg, 16 Lachter unter Tage fanden in einem das Liegende des 2ten Kohlenflötzes bildenden mergeligen Schieferthone, der vielleicht der Boden gewesen, auf welchem die das Flötz bildenden Pflanzen einst lebten, der unermüdliche und glückliche Finder und Sammler der Petrefacten der dortigen Gegend, Mechanikus Yxem, und ich 1) einen der nähern Bestimmung noch wartenden Cupressinites, wovon ich ein Exemplar vorlege; mit den von Reuss aus der Böhmischen Kreide abgebildeten ähnlichen Pflanzenresten konnte ich bei der Kürze der Zeit zwischen dem Auffinden des vorliegenden Exemplars und meiner Abreise nach Göttingen dasselbe leider nicht mehr vergleichen; 2) zahlreiche Fragmente von Equisetites, leider bis jetzt keins so vollständig, dass eine Bestimmung mit Sicherheit zu wagen wäre; mit diesen Equisetiten vergesellschaftet 3) Körperchen, welche Samenkörner repräsentiren, wohl aber eher zu den abgedachten Co- niferen als zu den Equiseten gehörten; B. in demselben obern Quader und zwar am s. g. Eselsstalle aber fanden sich in einem eisenschüssigen Sandsteine 4) das grössere und 5) das kleinere Fragment eines Blattes, von welchen ich Handstücke vorlege, das grössere hielt ich bis dahin für Credneria, das kleinere anfänglich für einen, an das von Brongniart To (in Histoire des vegetaux fossiles Tom. I. Pl. 35. F. 6.) abgebildeten Polypodium Dryna- ria L. erinnernden Farrenrest, doch ziehe ich nach der wohlbegründeten Ansicht meines ver- ehrten Freundes, Hrn. Prof. Göppert, diese meine Meinung um so lieber zurück, als Basis und Spitze fehlen; “ 6) noch unbestimmte Dicotyledonenblätter in einem sehr mürben, violett und weiss gefleck- ten Sandsteine. Am wichtigsten aber war C. der untere Quader des Langebergs. Hier fanden sich 7) zahlreich in Wedeln von über 2!/, —3 Fuss Länge an der Nordkante auf der Höhe des Berges, Jacoby’s Mühle gegenüber, die herrlichen Farren, wovon ich ein Exemplar vorlege; dass diese Farren zu Brongniarts Gattung Anomopteris, bis dahin meines Wissens nur aus dem bunten Sandsteine nach Brongniart, Mougeot und Schimper, aus Lias nach Braun, und aus der russischen Kreideformation nach Eichwald bekannt, gehören, kann bei einer An- sicht der Abbildungen von Anomopteris Mougeotii Brongniart, bei demselben in der Hist. des veg. foss. Tom. I. Pl. 79., Pl. 81. F.1. 2. 3. und nach ihm in Bronn Lethaea Taf. 12. F. 8. b. und bei Mougeot Taf. 34. F. 1. 2. in der Monographie des plantes fossiles du gres bigarr& des Vosges, welche ich vorlege, nicht zweifelhaft sein, allein man sieht auch sofort, dass die Art von Langeberg eine neue Art sein möchte; 8) fand sich hier der eigenthümliche Pflanzenrest, den ich ebenfalls vorlege, und dessen Deutung noch meinem verehrten Freunde Göppert überlassen bleiben muss; im ersten Augen- blick glaubte ich das von von Otto im 2. Hefte seiner Additamenta Tab. 4. F. 2. abgebildete rhizoma des Arundinites Wohlfahrti v. Otto aus dem untern Quader von Paulsdorf zu erken- nen, allein wir haben es hier entschieden mit etwas davon Verschiedenem zu thun; 9) leider nur in Zeichnung, aber in getreuer Darstellung, kann ich den herrlichen Panda- neenrest vorlegen, welcher mit dem auf derselben Zeichnung ebenfalls abgebildeten, noch nicht bestimmten Pflanzenrest, und mit aufrecht stehenden starken Stämmen, die zu der gedachten Anomopterisart gehört haben mögen, zusammen vorkam; die ungemeine Mürbe des Gesteins ge- stattete dem Entdecker Yxem nicht sofort die Abnahme und wurden daher vorläufig jene Zeich- nungen gemacht; die abgebildeten Reste sollten in Gutta Percha abgedruckt, von den Stäm- men Gypsabgüsse genommen und dann die Ablösung versucht werden; als ich am Sonnabend vor 8 Tagen mit Yxem deshalb an Ort und Stelle kam, fanden wir die herrlichen Reste zer- trümmert, ob muthwillig oder von einem ungeschickten Sammler, bleibt dahin gestellt; hoffent- lich bietet aber die Fundstelle noch mehrere Exemplare. Ich muss hier noch kurz des Pflanzen-Genus Credneria gedenken, welches Zenker, der es aufstellte, zu den Amentaceen brachte, und dessen Zugehörigkeit zu den Polygonen als eines dem lebenden Genus Coccoloba nahe verwandten Genus, mein Freund, Herr Apotheker Hampe zuerst nachwies, während es von Ettingshausen in neuerer Zeit als dem lebenden Cissus verwandt zu den Ampelideen verwies. Wenn man den von Hampe mit Credneria im obern Quader Blankenburgs gefundenen, in Abbildung von mir vorgelegten, Stengelrest mit einem solchen aus der Familie der Polygoneen, z. B. Rheum vergleicht, lassen das deutlich sichtbare Internodium und der ochrea-Rest dar- über wohl keinen Zweifel. Wenn man aber die Abbildungen von Credneria integerrima Zenker, subtriloba ?d., denticulata id., acuminata Zumpe, triacuminata id., subserrata id., die ich vor- lege und die Exemplare ersterer Art, die ich ebenfalls vorlege, mit dem ebenfalls vorgelegten Blatte von Coccoloba uvifera von Portorico vergleicht, kann wohl kein Zweifel der Verwandt- ; 71 schaft bleiben. Credneria hat wie Coccoloba uvifera, was charakteristisch ist, eine 4fache Neryatur. Von dem tief an der herzförmigen Basis in das Blatt eintretenden, als Mediannerv durch- und bis zur Spitze auslaufenden Blattstiele, gehen über der Basis zunächst 2 bis 3 von Zenker Basilarnerven genannte Nerven ab, die sich unter sich und mit den vom ersten Secundärnerven abgehenden Tertiärnerven bogig verbinden, von den Basilar-, Secundär- und Tertiärnerven gehen fast rechtwinkelig Quaternärnerven ab; die Secundär- und Ter- tiär-Nerven entspringen unter Winkeln von 45 — 75°. Dieses Verhältniss findet sich aber nicht bei den zu Credneria gebrachten Blättern von Niederschöna in Sachsen: Credneria cuneifolia und grandidentata Unger, noch bei Credneria Stern- bergi Brongniart (= Acerites repandus Unger, Phyllites repandus Sternberg) von Tetschen, die ich hier in Abbildung vorlege. Wir haben hier nur 3fache Benervung; vom durchgehen- den Mediannery gehen ästige Secundär-Nerven unter spitzem Winkel, von diesen unter fast geradem Winkel bogig verbundene Tertiärnerven ab. Schon Bronn deutete auf diesen Unter- schied hin und wollte als Chondrophyllum die letztgedachten Arten von Credneria trennen, allein Chondrophyllum ist schon für ein Gentianen-Genus gebraucht. Da nun manche Cissus- Arten allerdings, z. B. manche Blattformen von Cissus sericeus Aehnliches zeigen, so dürften meiner unmaassgeblichen Ansicht nach die Blätter von Niederschöna und Tetschen, als neues Genus: Ettingshausenia vorläufig zu den Ampelideen zu stellen sein. Herr Geh. Bergrath v. Carnall aus Berlin: Ueber zerquetschte Kiesel im Steinkohlenge- birge bei Waldenburg. Die Erscheinung — sagte der Redner — sei zwar eine längst bekannte, und insbesondere durch Herrn Beinert zu Charlottenbrunn speciell beschrieben worden; da jedoch vielleicht Mancher der Anwesenden dergleichen Stücke noch nicht kenne, so habe er ein ausgezeichnetes Exemplar mitgebracht. Dasselbe ist von Faustgrösse, etwas länglichrund und in mehrere Stücke zersprengt, welche gegeneinander verschoben und mit Quarzmasse wieder zusammengekittet er- scheinen. Der Redner bemerkte, wie es keinem Zweifel unterliege, dass diese Kiesel erst lange nach der Ablagerung zerquetscht sind. Die häufigen Biegungen der Schichten in dem Steinkohlengebirge müssen sich je nach Beschaffenheit der Masse verschieden gestalten; während nämlich im mil- den Schieferthon Falten und Wellen entstanden, muss in den sehr bald starr gewordenen Sand- stein- und Conglomeratbänken ein Zerreissen und Verschieben eintreten, wobei an einzelnen Stellen ein enormer Druck wirksam werden konnte; solche Stellen mögen es sein, wo sich die besagten Kiesel finden. An diesen Vortrag knüpften sich zahlreiche Bemerkungen der Herren v. Waltershausen, Noeggerath, F. Roemer, Merian, Nauck über ähnliche und verwandte Erscheinungen. Herr Senator H. Roemer aus Hildesheim legt das die Umgegend von Göttingen betref- fende Blatt seiner geognostischen Karte mit dem Bemerken vor, ‘dass obschon die Umgebungen der Stadt Göttingen nur wenig darbieten, was das Interesse der Versammlung zu fesseln vermöge, er dennoch geglaubt habe, dass dieselben von den hier versammelten Geognosten nicht ganz un- berücksichtigt gelassen werden könnten und deren Aufmerksamkeit schon wegen ihrer Beziehung zu der Entwickelung der geognostischen Wissenschaft auf sich ziehen würden. Eben deshalb habe er sich denn auch bemüht, die schon im vorigen Jahre begonnene Untersuchung, dieser 72 = ihm aus seiner Studienzeit noch wohl bekannten Gegend im Laufe dieses Sommers zu vollen- den, um das Ergebniss derselben schon der hier gegenwärtigen Versammlung vorlegen zu kön- nen. Es seien aber nur wenige allgemeine Bemerkungen, welche er hier heute dieser Karte als Erläuterung hinzufügen wolle. Buntersandstein, Muschelkalk, Keuper, Lias und beschränkte Tertiärablagerungen mit Basalt seien die einzigen im Gebiete dieser Karte auftretenden Forma- tionen. Dieselben seien muldenförmig gehoben, so dass der Leine-Fluss gerade in der Mitte dieser Thalmulde von Süden nach Norden fliesse, doch werde diese Mulde schon etwas nörd- lich von Nörten durch Hebungen des Buntensandsteins, Muschelkalks und Keupers geschlossen, welche die Leine später durchschnitten habe, um in die Thalmulde von Northeim und Eimbeck zu gelangen. Der Buntesandstein, das bekannte tiefste Glied der Göttinger Mulde trete auf der östlichen Seite derselben in nur geringen Erhebungen, meistens weite Fläche bis nahe dem Harzrande zu bildend, zu Tage, in mächtigeren Massen und grössere Höhen erreichend auf der westlichen Seite der Mulde als Solling und Reinhardswald. Der Muschelkalk bedecke die der Mulde zugewandten Abhänge des Buntensandsteins und erscheinen dem Auge in zwei, auf jeder Seite der Mulde hervortretenden und derselben parallel laufenden Höhenzügen. Darüber lager- ten dann die drei Glieder der Keuperbildung in grosser Mächtigkeit, welche sich aber nur we- nig über die jetzige Thalsohle der Mulde erhöben und noch in der nächsten Umgebung der Stadt Göttingen vom Lias überlagert würden. Tertiäre Ablagerungen mit Braunkohlen seien nur auf der westlichen Seite der Mulde und nur so weit erhalten, als die durch dieselben hin- durchgebrochenen Basalte dieselben bedeckt und vor dem Fortwaschen durch Wasser geschützt haben. Geschiebe und mehr noch Kalktuffe seien in dem niedrigeren Theile der Mulde weit verbreitet. Der Buntesandstein gehöre meistens der unteren Abtheilung an, biete sonst aber von Wech- seln in der Farbe und in der Festigkeit abgesehen wenig Eigenthümliches dar. Vom Muschel- kalk seien besonders der Wellenkalk der untersten Abtheilung oft in grosser Mächtigkeit und die Schichten der oberen Abtheilung entwickelt; Schaumkalk und oolithischer Kalkstein seien nur selten beobachtet. Die eigenthümliche Abgrenzung des Ausgehenden des Muschelkalks auf dem darunterliegenden Buntensandstein und die auf dem Buntensandstein isolirt liegenden kleinen Muschelkalkköpfe liessen keinen Zweifel darüber, dass der Muschelkalk in früheren Zeitabschnit- ten den Buntensandstein in viel ausgedehnterer Weise bedeckt habe, dass derselbe aber durch die Einwirkung des Wassers theilweise zerstört und fortgewaschen sei, so wie denn auch die auf der Grenzlinie zwischen Muschelkalk und Buntensandstein fliessenden Bäche durch Unter- wachsung des Muschelkalks dessen Zerstörung fortsetzten und die Bildung der oft mehre 100 F. hohen senkrechten Abhänge der Schichtenköpfe des Muschelkalks veranlassten. Von Interesse sei, dass uns die Basalte dieser Gegend den Beweis lieferten, dass diese Fortwachsungen des Muschelkalks im grössten Umfange schon vor der Tertiärzeit, vielleicht untermeerisch stattgehabt. Es seien nämlich die Basaltdurchbrüche dieser Gegend theils im Gebiete des Buntensandsteins, theils in dem des Muschelkalks erfolgt. Gleich wie nun die Basaltmassen die von ihnen durchbrochenen Tertiärschichten, soweit sie dieselben bedeckt, gegen die sonst allgemein ein- getretene Fortwaschung geschützt, würden diese Basaltmassen auch da, wo sie sich im Gebiete des Buntensandsteins fänden, die Muschelkalkschichte durchbrochen und in soweit erhalten ha- ben, als sie sich deckend über dieselben ausgebreitet hätten, falls eben zur Zeit dieser Basalt- durchbrüche der Muschelkalk diese Gebiete des Buntensandsteins noch bedeckt gehabt hätte und dieselben erst nach der Tertiärablagerung und nach den Durchbrüchen des Basalts fortgewa- schen wären. 13 Der Keuper sei ausserordentlich mächtig und in allen drei Gliedern entwickelt, zeichne sich aber besonders durch das Verhalten des an vielen Punkten der Mulde auftretenden Schilf- sandsteins aus, welcher häufig dem rothen Buntensandstein so ähnlich sei, dass nur Lagerungs- verhältnisse die Unterscheidung möglich machten. Die Sandsteine der oberen Keuperabtheilung seien auch vorhanden. Eigenthümlich sei auch das häufig beobachtete Einfallen der Schichten des Keupers gegen den Muschelkalk, wie denn überhaupt Verwerfungen und Verschiebungen der Muschelkalk- und Keuperschichten, so wie auch des Lias viel häufiger seien, als die sonst so regelmässige Bildung der Mulde beim ersten Anblick vermuthen lasse. Herr Professor Sartorius von Waltershausen sprach über einige Lagerungsverhältnisse der Keuperformation im Leinethale, welche z.B. am südöstlichen Ende des Dorfes Weende sehr schön aufgeschlossen ist; ferner über das Bohrloch, welches Hr. Rohns bei Grone bis zu einer Tiefe von 1580 Hann. Fuss getrieben hat. Das erste Salz wurde bei 1540 Fuss im Keuper erbohrt; Muschelkalk ist nicht erreicht. Ueber dem Keuper liegt etwa 40 Fuss mächtig ein weissgelblicher Sandstein, aus dem keine Versteinerungen bekannt sind. Herr Dr. Prestel aus Emden: Ueber die krystallinische Structur des Meteoreisens als Kri- terium der Meteoreisenmassen. In der zweiten Abtheilung des III. Bandes der von W. Haidinger herausgegebenen, na- turwissenschaftlichen Abhandlungen (Wien 1854) befindet sich eine schätzbare Monographie von J. C. Neumann. Ueber die krystallinische Structur des Meteoreisens von Braunau (1847). In der Einleitung heisst es: ‚‚die meisten der bekannten und problematischen Meteoreisen zei- gen durch Aetzung lineare Zeichnungen, welche auf eine krystallinische Structur schliessen las- sen, so dass das Hervortreten dieser Linien durch Aetzung bereits ein Kriterium der Meteor- eisen geworden ist.” In Beziehung hierauf dürfte das Stück Eisen, welches ich mir der hoch- geehrten Versammlung vorzulegen erlaube, nicht ohne alle Bedeutung sein. Dasselbe zeigt nämlich deutliche krystallinische Textur, und auf den angeschliffenen geätzten Stellen lineare Zeichnungen, welche genau mit dem Braunauer Meteoreisen übereinstimmen; ist aber nichts weniger als Meteoreisen, sondern Schmiedeeisen (und zwar im höchsten Grade der Ductilität). Demgemäss muss ich a Hervortreten der linearen Zeichnungen bei Aetzung als Kriterium für Meteoreisenmassen stark in Zweifel ziehen. Zugleich gibt dieses Stück Eisen einen Fingerzeig, für die Entstehung der krystallinischen Structur, wie beim Eisen überhaupt, so besonders für das Meteoreisen. Die Stücke, die ich besitze, stammen: von einem Eisenstabe her, welcher früher einem im Feuerungsraume eines Dampfschiffes befindlichen Roste angehörte, und hat die krystallinische Structur im Innern, durch die continuirliche anhaltende Gleichhitzung des Eisenstabes angenommen. Einen Beweis hierfür finde ich darin, dass die Stücke aus der Mitte des Stabes, welche der grössten Hitze ausgesetzt war, die deutlichste krystallinische Structur zeigten, die Stücke nach dem weniger erhitzten Ende zw, dagegen in eben dem Maasse kleinere und undeutlichere Krystallflächen zei- gen, als sie weiter von der Mitte abstanden. Die Linien bilden, wie der Abdruck der geätzten Flächen zeigt, schiefwinklige Parallelogramme, und stimmen genau mit der vom Hın. Prof. Neumann gegebenen Zeichnung überein. Der Winkel, unter welchem sich die Linien schnei- den, nach den auf dem vorliegenden Abdrucke enthaltenen Grössen bestimmt, beträgt eben so wie der entsprechende Winkel auf der Zeiehnung der erwähnten Abhandlung, 67° 15’. 10 74 Uebrigens ist die krystallographische Bestimmung der Flächen vom Prof. Neumann auch für die Flächen an den mir vorliegenden Stücken durchaus zutreffend. Die Beobachtungen an dem vorliegenden Stücke Eisen geben mir zur Aufstellung folgen- der Thesen Veranlassung: 1. das Hervortreten linearer Figuren bei Aetzung angeschliffner Stellen ist kein Kriteriu für das Meteoreisen ; z 2. die krystallinische Structur im Innern des Meteoreisens ist Folge einer längere Zeit andauernden grössern Erhitzung, und 3. demzufolge dürften die Meteoreisenmassen nicht erst dann glühend werden, wenn sie die Erd-Atmosphäre erreichen, wie von manchen behauptet wird, sondern sie haben schon län- gere Zeit in diesem Zustande verharrt, und haben die krystallinische Structur im Innern durch. die continuirlich anhaltende Glühhitze der Masse angenommen. Es folgten diesem Vortrage einige Bemerkungen der Herren H. Roemer, v. Walters- hausen, Noeggerath über Meteoreisenmassen. Von Hrn. Dr. C. Theodori in München war ein Schreiben, sein Werk — Beschreibung des kolossalen Ichthyosaurus trigonodon, München 1854 (Georg Franz) — betreffend eingegan- gen und es wurde der gleichzeitig eingesendete Prospectus vorgelegt. Nach der Pause fanden Verhandlungen der deutschen geologischen Gesellschaft über die von derselben herauszugebende geognostische Uebersichtskarte von Deutschland statt, worauf die Sitzung geschlossen wurde. Vierte Sitzung. Freitag den 22. September. Präsident: Herr von Strombeck. Herr Professor Wappaeus: über ein Goldvorkommen in Venezuela. Der goldhaltige Quarz, offenbar ein Geschiebe, und das Waschgold, welches ich hier vor- zulegen mir erlaube, sind aus der Provinz Guayana der südamerikanischen Republik Venezuela, und zwar aus dem Canton Upata, der vom Rio Caroni durchflossen wird. Die Villa Upata, Hauptort des genannten Cantons liegt nach Codazzi unter 7°49'31” N. Br. und 64°54' W. L. von Paris, 293 Meter hoch über dem Meere. Im Canton Upata wurde vor ungefähr 2 Jahren der goldführende Sand, aus dem das vorliegende Stück ist, entdeckt. Die Kunde davon zog bald darauf eine bedeutende Menge Menschen aus der Umgegend und den benachbarten Pro- vinzen, namentlich aber aus der Hauptstadt der Provinz Guayana, Angostura (jetzt Ciudad Bolivar genannt) am ÖOrenoko nach Upata, die auch in der ersten Zeit dort bedeutende Aus- beute an Gold durch Wäschereien gemacht haben sollen. Der Ertrag scheint jedoch nicht loh- nend geblieben zu sein, denn die meisten der aus Angostura zum Goldsuchen dahin gegangenen Personen sind nach und nach zurückgekehrt. Bemerkenswerth scheint aber dies neuerdings in dieser Gegend constatirte Vorkommen von Gold in grösserer Quantität, weil es an alte histo- rische Angaben erinnert, denen zufolge nach Alex. von Humboldt in der Region des Granit- Gneisses am Orenoko ohne Zweifel zwei Gruppen von goldhaltigem aufgeschwemmten Lande vorhanden sind, die eine zwischen den Quellen des Rio Negro, des Vaupes und des Iquiare, die andere zwischen den Quellen vom Essequibo, vom Caroni und vom Rupunuri. (Vergl. meine ‚‚Republiken von Süd-Amerika.” I. pag. 134 u. 190.) 75 Herr Geh. Bergrath von Carnall aus Berlin: ‚Darstellung von Erzlagerstätten des oberschlesischen Muschelkalksteins.” Herr v. Carnall legte von der vor 10 Jahren erschienenen Karte der Erzlagerstätten des oberschlesischen Muschelkalksteins, namentlich des Brauneisensteins, Galmeis und Bleiglanzes in der Gegend von Tarnowitz und Beuthen, eine neue Auflage in einem Probeblatte in Bunt- druck vor, ferner 10 Blatt Specialkarten, Grundrisse, Durchschnitte und Ansichten von den verschiedenen Ablagerungen, ebenfalls in vortreffiichem Farbendruck ausgeführt. Diese Blätter sind für eine Monographie bestimmt, welche Hr. v. Carnall herauszugeben beabsichtigt. Herr Sack aus Halle legte einige Proben von Kupferschiefer vor, welche bei Kupfersuhl, Glücksbrunn und Saalfeld durch bergmännische Versuchsarbeiten gewonnen waren. Er wies durch dieselben einen grossen Metallreichthum dieses Gliedes der Zechsteinformation auch in den Sachsen-Weimarschen und Meiningschen Landen und die gegründete Hoffnung auf einen dort lohnenden Bergbau nach. Herr Professor Sartorius von Waltershausen machte Mittheilungen über geognostische und mineralogische Vorkommnisse von Island und legte ausgezeichnete Stücke von Isländischen Mineralien, namentlich aus der Zeolithfamilie vor (Heulandit, Epistilbit, Parastilbit, Xylo- chlor etc.). Nach der Pause legte Derselbe seine grosse geognostische Originalkarte vom Aetna vor und erläuterte dieselbe durch Bemerkungen über die allgemeinen geologischen Verhältnisse die- ses Vulkans, sowie insbesondere über die Altersverschiedenheiten der Lavaströme. Herr Berghauptmann von Oeynhausen aus Breslau legte einige merkwürdige Trachyt- ähnliche Gebirgsarten aus Schlesien vor. Für die nächste Sitzung der Section wurde Herr Sartorius von Waltershausen zum Präsi- denten erwählt. Fünfte Sitzung. Sonnabend den 23. September. Präsident: Professor Sartorius von Waltershausen. Herr H. J. Müller aus Hamburg legte Mineralien aus den Kobaltgruben von Kongsberg und Modum vor; darunter besonders schöne Serpentinkrystalle, woran sich eine Besprechung über den Zustand dieser Krystalle und über Pseudomorphosen überhaupt knüpfte. Herr Sartorius von Waltershausen zeigte Isländische Gesteine, namentlich die Quel- lengesteine des Geysir vor. Herr Dr. Jordan aus Göttingen legte ausgezeichnete getropfte Kalkspathkrystalle vom Iberge bei Grund vor. Bei der geringen Anzahl der anwesenden Mitglieder nahmen die Verhandlungen ganz die Form einer Besprechung an, welche sich besonders über die Erzbildung auf nassem und 10* 76 trockenem Wege erstreckte, und woran sich besonders die Herren v. Carnall und v. Wal- tershausen betheiligten. Herr Professor Staedeler aus Zürich legte eine Reihe von Abdrücken tertiärer Inseeten und Blätter aus der Tertiärformation von Oeningen vor, welche sich durch ihre vortreflliche Erhaltung auszeichneten. Von ganz besonderm Interesse war es, dass Exemplare von Blättern, Blüthen und Früchten sich zusammen befanden, wie z. B. von Camphora polymorpha Blätter und Blüthen, von Podocarpium Knorii und von Liquidambar europaeum Blätter, Früchte und Samen vorhanden waren. Unter den Inseeten befanden sich mehrere geflügelte Ameisen, Libellen und Wasserkäfer, welche ebenfalls eine ausgezeichnete Erhaltung zeigten. Es wurde von Herrn Professor Städeler bemerkt, dass sich die als Geognosten rühmlichst bekannten Forscher Escher von der Linth und Oswald Heer mit dem Sammeln dieser Naturproducte eifrig beschäftigen und dass einzelne Exemplare, so wie ganze Sammlungen zu möglichst billigen Preisen abgelassen werden können. Einige Tags zuvor angemeldete Vorträge unterblieben, da die meisten Mitglieder schon abgereist waren. Hierauf wurde die Sitzung geschlossen. Vierte Section. Botanik, Landwirthschaft und Forstwissenschaft. Die Mitglieder der botanischen Section versammelten sich Montag d. 18. September, von Herrn Prof. Bartling in das für sie bestimmte Local geführt, zu einer Vorbesprechung für die den folgenden Tag beginnenden Sectionssitzungen. Es wurden Vorträge angekündigt von den Herren Prof. Grisebach, Prof. Alexander Braun, Dr. Caspary, Prof. Göppert, Rector Gümbel. Erste Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident Prof. Bartling. Auf Vorschlag des Präsidenten werden zu Secretären die Herren Dr. Hofmeister aus Leipzig und Dr. Berthold Seemann aus London, so wie für die nächste Sitzung Herr Prof. Treviranus aus Bonn zum Präsidenten gewählt. Hierauf wurden die nachstehenden Vor- träge gehalten. Herr Prof. Grisebach sprach über einige der merkwürdigsten Gewächse, die im südlich- sten Chili und an der Maghellanstrasse von Philippi und Lechler gesammelt worden sind. Er trat der Ansicht entgegen, nach welcher gewisse arktische und antarktische Pflanzen, die unabhängig von einander entstanden sind, identischen Arten angehören. Er suchte die Fla- courtianeen auf die Homalineen zurückzuführen, besprach die Verwandtschaft zwischen den Ii- cineen und Corneen, und leitete aus Monnina die Beziehung zwischen Krameria und Polyga- leen ab. Von mehreren Gattungen bestimmte er näher ihre systematische Stellung, indem er Lepuropetalum zu den Crassulaceen, Desfontainea zu den Gentianeen und Aextoxicum proviso- tisch zu den Elaeagneen stellte. Nach mehreren ähnlichen systematischen Erörterungen zeigte er die neuen Formen jener Sammlungen vor. Herr Prof. Alexander Braun aus Berlin sprach über den schiefen Verlauf der Fasern und die dadurch bedingte sogenannte Drehung der Baumstämme, welche er durch Vorlegung vieler Präparate erläuterte. Er suchte nachzuweisen, dass die Drehung der Holz- und Bast- fasern keine zufällige, sondern bei gewissen Bäumen regelmässig eintretende Erscheinung sei; dass dieselbe bei manchen Bäumen stets dieselbe Richtung einhalte, bei andern aber in gewis- sem Alter in die entgegengesetzte übergehe; endlich suchte er eine anatomische Erklärung der 78 Erscheinung durch das einseitige Ausweichen der in die Länge wachsenden Holz- und Bastzel- len und eine der dadurch entstehenden Schiefheit entsprechende schiefe Längstheilung dersel- ben zu geben. Zweite Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Prof. Treviranus. Herr Dr. Caspary aus Berlin sprach über das Wachsthum einfacher und zusammengesetz- ter Blätter. I. Einfache Blätter. 1) Ceratophyllum demersum. Der Höcker des jungen Blatts theilt sich auf der Spitze in 2% Höcker; jeder dieser Höcker theilt sich auf der Spitze wieder in 2 Höcker. So sind die Lappen des Blatts angelegt. An diesem bildet sich die Spitze zuerst aus, dann seiner ganzen Ausdehnung nach. 2) Utrieularia minor, intermedia, vulgaris. Der Höcker des Blatts theilt sich in 3 Lap- pen auf seinem Umfange, jeder dieser in 2—3 Lappen; bei Utricularia vulgaris geht die Thei- lung 4—9mal vor sich, bei minor nur 3mal. Die Schläuche sind eigenthümlich entwickelte Blattzipfel, sie sind den Blattzipfeln in der Jugend ganz gleich. Blättchen existiren nicht bei Utricularia, sondern Blattzipfel; das Blatt der Utrieularien ist kein Ast; denn die Blätter sind regelmässig (zweizeilig) geordnet; regelmässige Stellungsverhältnisse kommen bei Adventiv- knospen nicht vor. 3) Victoria regia, Euryala ferosi, Nymphaea alba, Nuphar luteum. Das Blatt ist an der Basis zuerst fertig und wächst im Umfange, vorzüglich an der Spitze. Die Primärnerven bei Euryala und Victoria entwickeln sich in absteigender Reihe, der Primärnerv der Spitze zuerst, der der Basis zuletzt; die Secundärnerven von unten nach oben, die Tertiärnerven ebenfalls. Der Rand des Blatts bildet sich zuletzt aus. 4) Hydrocotyle. Die Spitze zeigt anfangs Vermehrung der Zellen; bleibt aber zuerst im Wachsthum stehen. Die Lappen des jugendlichen Blatts, welches im Alter diese Lappen nur undeutlich erkennen lässt, bilden sich in absteigender Richtung. II. Zusammengesetzte Blätter. 1) Ailanthus glandulosa. Die anfangs sehr stumpfe Spitze der Rachis des gefiederten Blatts wächst fort bis zur Bildung der Lamelle des Terminalblättchens; dies nachgewiesen durch die Zellenzahl, welche die Spitze zeigt; die Blättchen bilden sich von unten nach oben, die Spitzen des untersten Blattpaars stellen zuerst die Zellbildung ein. 2) Guarea trichilioides. Das Blatt wächst wie das von Ailanthus; nur bleibt die Spitze lange Zeit, gegen 2 Jahr (?) thätig; das Blatt ist kein Ast; das Stützblatt fehlt; es könnte, falls es Ast wäre, nur als Adventivbildung betrachtet werden; aber dem steht entgegen, dass es 2/; Stellung hat. Ausserdem dass sein Stiel, welcher Kork, Rinde, Holz, Mark bildet, — wie die Stiele vieler Blätter z. B. die von Aesculus flava, von hinten nach vorn unsymme- trisch gebildet, wie Blattstiele stets. Als Resultat ergiebt sich, dass das Blatt längere oder kürzere Zeit an der Spitze wächst, dass diese ein Vegetationspunkt ist, dass sie nicht immer zuerst das Wachsthum einstellt. 79 Herr Prof. Göppert aus Breslau legte fructificirende Wedel von Cycas revoluta aus dem botanischen Garten von Breslau vor und sprach über die Entbindung von Wärme, welche wäh- rend der Entwickelung derselben stattgefunden hatte. Derselbe legte auch vollständige Exemplare der Stigmaria ficoides vor, erläuterte diesel- ben durch Zeichnungen und wies insbesondere auf ihre grosse Bedeutung für die Steinkohlen- bildung hin. Dritte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident: Prof. Alexander Braun. Herr Dr. Focke aus Bremen sprach über Desmidieen. Er suchte die thierische Natur derselben durch die bei Closterien zu beobachtenden Strömungserscheinungen wahrscheinlich zu machen. Ehrenberg’s Angabe, dass die Closterien Fühler aus ihren Enden hervorstrecken, erklärte er durch das Vorkommen von Chytridium. Von diesem Gebilde hielt er für wahr- scheinlich, dass es kein parasitischer Wasserpilz, sondern eine Vorrichtung sei, durch welche Closterium schwärmende Mikrogonideen erzeuge. In Bezug auf letzteren Punkt hob Herr Prof. A. Braun hervor, dass denen der Closterien ganz ähnliche Chytridien auf Oedogonium und Melosira vorkommen; wie denn auch die Ent- wickelung von Chytridium globosum entschieden für dessen parasitische Natur spreche. Herr Prof. Wicke sprach über die ‚Anwendung der Chemie auf die systematische Bota- nik”, die Begründung des natürlichen Systems durch die Chemie, und erläuterte den Zusam- menhang zwischen Form und chemischer Zusammensetzung der Gewächse durch Beispiele, vor- zugsweise entnommen dem Auftreten des Amygdalins und Salicins bei Spiräen, anderen Rosa- ceen und Amygdaleen, und den Zersetzungsproducten der genannten Stoffe, aus deren Gleich- artigkeit, Isomorphismus, und ähnlicher physiologischer Wirksamkeit er den Isomorphismus im Pflanzenreich ableitet. Herr Rector Gümbel aus Landau sprach ‚‚über die sogenannten Spaltöffnungen”, traf aber auf manchen Widerspruch, da seit v. Mohl’s Untersuchungen in der neueren Zeit keine spe- ciellen Untersuchungen mehr angestellt wurden. Seine Sätze suchten nachzuweisen: 1) dass die sog. Spaltöffnungen keine Poren seien, durch welche die inneren Zwischen- zellenräume des Parenchyms mit den Atmosphärilien in Verkehr ständen; vielmehr seien diesel- ben geschlossen und besitzen im normalen Baue eine Mittelzelle; 2) dass es nicht zur Wesenheit dieser Organe gehöre, dass sich unter denselben ein Luft- raum befindet, da ein solcher namentlich an Stängeln auf dem Fruchtknoten u. s. w. fehlt; 3) dass diese Organe Centralpunkte seien, von denen aus die Zellen der Oberhaut sich vermehren und dies namentlich so lange dieselben noch in ihrer weitern Ausbildung begriffen sind. Dadurch erscheinen sie als wahre Vegetationspunkte; 4) dass neben solchen bereits ausgebildeten Organen neue entstehen und damit neue Vege- tationspunkte in der Oberhaut, deren Zellen in grössere oder kleinere Felder von verschiede- nem Alter zerfallen; 5) dass diese um die sog. Spaltöffnungen liegenden jüngeren Zellen der Oberhaut durch Endosmose und Exosmose den Stoffwechsel mit der Atmosphäre besorgen; 80 6) dass diese sog. Spaltöffnungen einen andern Namen verdienen: der Redner nennt sie ‚Spreitekorn (Thallophyse); 7) dass das Spreitekorn unmittelbar in eine oder mehrere Zellen der Oberhaut remorphirt werden könne; 8) dass sich Zwillinge, Drillinge und Halblinge solcher Organe unterscheiden lassen; 9) dass dieselben ihre Stellvertreter haben und in Haare, Drüsen u. s. w. auswachsen können. Herr Professor Leuekart aus Giessen zeigte eine Reihe mikroskopischer Präparate, um die Existenz besonderer zum Einlassen der Samenfäden bestimmten Vorrichtungen (Mikropylen) an den Insecteneiern nachzuweisen. Es ergiebt sich aus seinen Beobachtungen — die über bei- läufig 150 Species ausgedehnt wurden —, dass solche Einrichtungen ganz allgemein bei den genannten Thieren verbreitet sind, im den einzelnen Gruppen aber mancherlei sehr auffallende Verschiedenheiten darbieten. So haben die Dipteren ganz allgemein nur eine einzige Mikro- pyle am obern Pole des Eies, die Schmetterlinge eine grössere Anzahl (meist 5) sternförmig gestellter Mikropylen an derselben Stelle, die Wanzen zum Theil wenigstens einen Kranz von Mikropylen mit becherförmigen Aufsätzen u. s. w. In manchen Fällen beträgt die Zahl der Mikropylen an einem Ei über hundert, wie z. B. bei dem Flohe, wo diese Mikropylen gleich den Löchern eines Siebes ebensowohl am obern wie am untern Pole angebracht sind. Das Einschlüpfen der Samenfäden durch die Mikropylen beobachtete der Redner etwa bei einem Dutzend verschiedener Species. Herr Dr. W. Hofmeister aus Leipzig sprach über Entwickelung von: Blüthe und Frucht der deutschen Lorantheen. Zwei Ansichten über die Verwandtschaft dieser Familie stehen sich: gegenüber: die eine rechnet die Lorantheen zu den Angiospermen, und (obwohl mehrfach diffe- rirend in Bezug auf Deutung der Theile der weiblichen Blüthe) für die Santaleen nahe stehend. Die andere, hauptsächlich durch Schleiden begründet, geht davon aus, dass Pistill und Blüthen- stiel die Mistel zur Blüthezeit als nahezu homogene Masse erscheinen; sie zählt die Lorantheen den Gymnospermen zu. Diese zweite Ansicht hat der mit ihr völlig unvereinbaren Structur- verhältnisse tropischer Loranthus- und Viscum-Arten wegen nie des Beifalls der Systematiker sich erfreut. Die Entwickelungsgeschichte der beiden. in Deutschland einheimischen Formen nimmt ihr jedes Fundament. Die Blüthenknospe von Loranthus europaeus, im Herbst oder zeitigem Frühjahre unter- sucht, erweist sich in beiden Geschlechtern als zusammengesetzt aus’ fünf dreigliedrigen Blatt- kreisen. Die beiden äusseren stellen das Perigon dar; der dritte und vierte werden, je nach Geschlecht, zu Staubfäden oder zum Discus; der fünfte zum Pistill. Inmitten der drei, mit ihren Rändern verwachsenden dickfleischigen Carpellarblätter steht ein flach kegelförmiges Wärzchen: von Zellgewebe. Einige, zwei bis drei Zellen desselben ver- längern sich excessiv aufwärts. Sie sind die Embryosäcke, meist drei in einer Blüthe. Schom vor ihrer Entfaltung verwachsen die Innenflächen der Carpellarblätter fest unter sich und mit dem axilen Höcker; die heranwachsenden Embryosäcke haben durch festes Gewebe sich einen Weg zu bahnen. Die meisten der an Bastzellen auftretenden Lebenserscheinungen kommen auch bei ihnen vor. Der Längsdurchmesser des erwachsenen Embryosacks übertrifft den gröss-- ten Querdurchmesser ums 20—100fache; sein Scheitel reicht bis in den, mit lockerem Zellge- webe gefüllten Griffelkanal. 8 Nachdem der Pollenschlauch die Aussenwölbung des Embryosacks erreicht hat, verlängert sich das befruchtete Keimbläschen zu einem sehr gestreckten Schlauche. Die ganze Länge des Em- bryosacks rasch durchlaufend, drängt es sich zwischen die Zellen des im untersten Grunde des Embryosacks entstandenen, zur Zeit 4zelligen Endosperm. Auch dieses wird vom Vorkeim durch- brochen. Nachdem er aus dem in lebhafter Vermehrung begriffenen Gewebe hervorgebrochen, verwandelt sich sein unteres Ende in einen aus vier parallelen Längsreihen zusammengesetzten Zellkörper. Aus der Vermehrung der Endzelle einer dieser entsteht der Embryo. Während seiner Entwickelung wird er vom rasch heranwachsenden Endosperm überwallt, eingeschlossen und umhüllt. Die weibliche Blüthe des Viscum album erweist sich Mitte Juli des Jahres vor der Blüthe als aus drei zweigliedrigen Blattkreisen bestehend. Die beiden innersten Blätter nur schwach entwickelt, verwachsen zeitig vollständig zu dem flachen Höcker, welcher scheinbar den Grund der Blüthe einnehmend als Narbe fungirt. Der Calyculus von Viscum ist gleich dem von Lo- ranthus, nur ein Wulst von Zellgewebe besteht nicht aus Blattorganen. Das bei Loranthus europaeus, tropischen Loranthen und selbst Misteln so deutlich conische Wärzchen in Mitte der Carpellarblätter, den nipple-shaped process Griffith’s, vermisste man bei Viscum. Dieses Organ, dessen Deutung, sei es als Spermophor, sei es als Ei, etwa gleichviel für sich hat, ist bei Viscum nur in der Weise angedeutet, wie im Embryo von Lilien die Plumula. In der Commissur der Capellarblätter entwickeln sich die Embryosäcke, wie durch Meyer und De- caisne zur Genüge bekannt, mehrzählig, von Keulenform. Schon im October vor der Blüthe erkennt man deutlich im oberen Ende des Embryosackes die 2—3 Keimbläschen, im entgegen- gesetzten deren Gegenfüssler. Den Winter über werden die Wände beider Arten von Zellen ziemlich stark verdickt. Der Pollenschlauch, seinen Weg durch das feste Gewebe der Narbe bahnend, erreicht den Embryosack Anfang Mai. Er hat die häufig vorkommende Glasstabform. Sein Ende schmiegt sich meist auf beträchtliche Strecken der Aussenseite der Scheitelwölbung des Embryosacks an. Die erfolgte Befruchtung ergiebt sich zunächst durch Anlegung des Endosperms zu erkennen. Das Lumen des Embryosacks wird durch wiederholte Zellentheilung zu einer sehr constant fünfzähligen Zellenreihe, in deren oberster die Keimbläschen einschliessenden Zelle Theilung nach allen Richtungen erfolgt. Im der Nachbarin dieser ist die Vermehrung schwächer und erlischt in der dritten. Das obere Ende des befruchteten Embryosacks wird zu einer keuligen Masse, in der das befruchtete Keimbläschen lange, bis Mitte Juni, anscheinend unverändert ein- gebettet liegt. Die unbefruchteten verschrumpfen früh. Endlich beginnt die Zellentheilung auch im Keimbläschen. Es wird zum Embryokügelchen mit sehr rudimentärem Träger. Dieses bei Loranthus so übermässig entwickelte Organ ist bei Viscum auf eine kurze Zelle zurückgeführt. Das Verhalten des Pollenschlauchs zu den hier, übereinstimmend mit Meyer, als Embryo- säcken bezeichneten Organen widerlegt die von Treviranus adoptirte Ansicht Decaisne’s, die in Rede stehenden Gebilde seien die Eichen der Mistel. Gewiss ist, dass diese Zellen vor der Befruchtung nie von Gewebe erfüllt sind; dass sie, sobald als solches sich zeigt, auch die einzellige Anlage zum Embryo enthalten. Die von Treviranus als ‚‚Endosperm welches im Innern des zelligen Eis entstanden” gedeutete Bildungsstufe ist zuverlässig ein bereits entwickel- tes Embryokügelchen. Anfang Juli ist das Embryokügelchen drei- bis vierzellig. Die weitere Entwickelung ist rapid; Mitte August sind bereits die Cotyledonen angelegt, die in der Jugend, dem allgemein gültigen Gesetz gemäss, weit spreizen. 11 82 Die durch die schlagendsten Gründe bereits bewiesene Ansicht der nahen Verwandtschaft der Lorantheen mit den Santaleen wird dadurch aufs Neue erhärtet, dass die beiden Modifica- tionen des Entwickelungsganges der Frucht, wie sie dort vorkommen, hier wiederholt werden. Osyris und Thesium verhalten in vieler Beziehung Viscum, Santalum, Loranthus sich analog. Hier sei beiläufig erwähnt, dass die anomale Lage des Embryo von Thesium auf einer sehr früh eintretenden Abwärtswendung des Embryoträgers, verbunden mit von Anfang an einseitig- ster Entwickelung des Endosperm beruht, ein Verhältniss, welches ohne Zweifel bei Myroden- dron wiederkehrt. Herr Dr. A. de Bary aus Tübingen sprach über Ustilago und verwandte Staubpilze. Die jüngsten Zustände von Ustilago, schon früher von dem Vortragenden beschrieben, und beson- ders deutlich an epiphytischen Arten zu beobachten, neuerdings an U. receptaculorum unter- sucht, sind zarte verzweigte Myceliumfäden, welche durch reichliches Austreiben traubig grup- pirte Ramificationen eine zusammenhängende, weiche Pilzmasse erzeugen. In den Ausstülpun- gen, welche eine weiche, gallertartige Beschaffenheit annehmen, bilden sich die Sporen, einzeln oder reihenweise. Dieselben erscheinen daher auch später in traubiger Gruppirung. Die ein- zelnen Ausstülpungen oder zu Reihen verbundenen Anschwellungen erscheinen zuerst durch eine zarte Linie ringsum abgegrenzt. Dann erscheint in ihrer Mitte ein trüber, solider Kern, welcher nach allen Richtungen sich vergrössert. Zuletzt ist die ganze Ausstülpung durch eine Zelle mit randständigem, dichterm, centralem, wässerigem Inhalt erfüllt, welche sich mit einer bald derb, höckrig und violett werdenden Membran umgibt, und so die Spore darstellt. Die reifen Sporen werden durch Resorption des Mutterfadens frei, und stellen zusammen ein gleich- mässiges dickes dunkelviolettes Pulver dar. Von dieser Entwicklungsweise weichen ab Ust. Rudolphii Tulasne und U. Candolli Tl. U. Rudolphii 7w/., zuerst von A. Braun aufgefunden und von Rudolphi als Sorospori und Saponariae beschrieben, bewohnt die Blüthen von Saponaria oflicinalis Z., alle Blüthen- theile bis auf die Aussenfläche des Kelches überziehend, unförmlich machend, ohne jedoch in ihr Gewebe einzudringen. Der Kelch schwillt durch die Entwicklung des Pilzes bauchig auf und umgibt so den Pilz und die von ihm bewohnten innern Theile der Blume. Die jüngsten Zustände des Sorosporium sind denen von Ustilago gleich. Allein die traubi- gen Verzweigungen der ursprünglichen Pilzfäden gruppiren sich schon frühe zu kugligen farb- losen Massen, welche Anfangs auf der Oberfläche der die Blüthentheile überziehenden ganzen Pilzmasse gebildet, später durch neue aus dieser entstehende emporgehoben werden. So finden sich denn an der Oberfläche des Pilzüberzuges stets die ältesten, weiter unten jüngere Entwicklungszustände. In der Mitte der kugligen, Anfangs ganz homogenen Myce- liumsmassen findet sich nun später eine trübe, körnige Flüssigkeit, um welche keine besondere Membran erkennbar ist. Es scheint somit keine Zelle, sondern, durch eine der Coagulation vergleichbare Auflösung des innern Theils, ein mit körniger Flüssigkeit erfüllter Hohlraum entstanden zu sein. Dieser, sowie die zunächst in ihm entstehenden Producte, zeichnet sich durch die gelbe Farbe, die er durch Jod annimmt, aus, während die umgebende Masse durch dieses Reagens nur höchst unbedeutend gefärbt wird. In dem Hohlraum entstehen alsbald und fast ganz gleichzeitig zahlreiche zarte Zellen, welche, eng aneinander liegend, wachsen, und sich mit einer dunkeln, braunen Membran ver- sehen — die Sporen. Mit ihrem Wachsthum verschwindet die umgebende Myceliummasse mehr und mehr, zuletzt gänzlich. Die Sporen bleiben jedoch noch lange durch eine zarte farblose 83 Hüllsubstanz zu mehr oder minder kugligen Conglomeraten vereinigt, erst sehr spät fallen sie auseinander. Ustilago Candolli bewohnt die Fruchtknoten von Polygonum-Arten und wurde auf P. Hy- dropisma untersucht. Die befallenen Blumen zeigen völlig normale Beschaffenheit des Perigons und der Staubgefässe; aber statt des Fruchtknotens findet sich in ihnen (im ausgebildeten Zu- stand) ein länglich-eylindrischer, oben kuppelförmig zugewölbter und ein Spitzchen tragender Körper von matt violetter Farbe — nicht unähnlich den kleinern Mutterkornbildungen. In spätern Zuständen findet man den obern Theil des genannten Körpers abgelöst, und unterschei- det alsdann ausser einer umhüllenden Membran (Pseudoperidie), von der erwähnten mattviolet- ten Farbe, innerhalb welcher dunkelviolettes Sporenpulver um ein centrales weisses Säulchen massig angehäuft ist. Bei Verfolgung der Entwicklungsgeschichte fand sich als jüngster Zustand wiederum zar- tes Mycelium, innerhalb des völlig normalen Fruchtknotens — den Grund des jungen Ovulum und die diesen umgebende Innenwand des Pistills überziehend. Ob sich die Pilzfäden auch schon in diesen frühesten Zuständen in dem Gewebe des Eichens finden, war bei der Zartheit beider Gebilde nicht zu entscheiden. Später findet sich der ganze untere Theil des Ovulum von einer weissen Pilzmasse occupirt; der obere Theil ist von ihr emporgehoben, mehr oder minder verkrümmt und collabirt; der Fruchtknoten etwas erweitert, jedoch von völlig norma- lem Bau; auf den Narben finden sich um diese Zeit oft durchaus normale Pollenschläuche. Die Pilzmasse zeigt anfänglich ganz dieselbe Entwicklung wie Ustilago. Allein es tritt bald eine Differenzirung ihrer Entwicklungsproducte in verschiedene Gewebe ein, indem etwa die untere Hälfte in der begonnenen Weise der Zellvermehrung zu dienen fortfährt, ihre Toch- terzellen aber im Umkreis und im Centrum farblos bleiben, und, indem die bereits fertigen durch neu entstehende emporgehoben werden die Pseudopridie und Columella erzeugen, wäh- rend zwischen beiden dunkelviolette, platthäutige Sporen in der Weise von Ustilago gebildet werden. Die Columella ragt entweder bis zum Scheitel der Pseudoperidie hinauf, oder hört unter- halb dieses auf. Sie sowohl als die Pseudopridie ist völlig farblos, die mattviolette Farbe die- ser durch anhängendes und durchschimmerndes Sporenpulver erzeugt. Die Zellen beider Or- gane zeigen in der Jugend einen Kern, etwas körnigen Inhalt, eine zarte farblose Membran. Später enthalten sie homogene wässerige Flüssigkeit. Ihr Zusammenhang ist sehr locker; lei- ser Druck trennt sie, daher die grosse Brüchigkeit der betreffenden Organe. Durch fortgesetzte Zellvermehrung in dem untern Pilzgewebe, in dessen Centrum ein Strang von vertrockneten Zellen und Gefässen des Eigrundes zurückbleibt, wächst der Pilz- körper zu der angegebenen Form heran. Er ist an seinem Grunde von der Fruchtknoten- wand umgeben. Seine Spitze hebt den obern Theil dieser mit dem zweischenkligen Griffel in die Höhe. Im übrigen finden sich noch unregelmässige abgestorbene Lappen der Fruchtknoten- wand hie und da an der Aussenfläche des Pilzes. — Endlich löst sich der obere Theil dieses deckelartig ab, der stehengebliebene der Pseudoperidie reisst in unregelmässige Lappen auf und lässt dies Sporenpulver und die zerbröckelnde Columella frei werden. Mancherlei Verhältnisse machen eine Verwandtschaft der Ustilagineen mit den Myxomyce- ten wahrscheinlich. Eine Entwicklungsgeschichte der letztern ist höchst wünschenswerth, die dahin gerichteten Bestrebungen 'sind aber bis jetzt misslungen. Nur die Aussaat der Sporen von Trichia rubiformis hat ein Resultat geliefert. Auf feuchtes faules Holz ausgesät liessen diese, nach einigen Tagen aus dem glatten braunen Exospori nur das farblose, zellmembranlose 318 84 Endosporium austreten. Dieses zeigte sich alsbald mit einer langen schwingenden Cilia an dem einen, fein zugespitzten Ende versehen, und bewegt sich lebhaft nach Art der Euglemen, nach allen Richtungen hin sich peristaltisch contrahirend und wieder ausdehnend. Diese euglemen- artigen Körper kamen später zur Ruhe, nahmen eine kuglige Form an und und zerfielen. Eine weitere Entwicklung war, obgleich viele hundert Individuen beobachtet wurden, nicht zu finden. Sie scheinen demnach höchst eigenthümliche Zersetzungsproducte zu sein. Herr Professor Alexander Braun aus Berlin sprach über Carex ligerica Gay. — Carex pseudoarenaria Zehb. und deren weite Verbreitung im Elbgebiete. Vierte Sitzung. Freitag den 22. September. Präsident: Professor Grisebach. Herr Forstrath Dr. Hartig aus, Braunschweig sprach ‚‚über die Entwickelung des Zell- kerns”. Stets findet sich nur ein Zellkern in den Zellen höherer, namentlich der Holzpflan- zen. Der Zellkern ist nicht Cytoblast, sondern Metacard, bestimmt zur Verarbeitung der Zell- säfte. Dies geht aus seiner Neigung hervor, Farbstoffe aufzuspeichern, welche in Lösungen der Zelle zugeführt werden. Die Kernkörperchen (Particularkörperchen des Vortragenden) ver- mehren sich im Innern des Zellkerns. Sie werden zu neuen Kernen und Zellen. Herr Prof. Treviranus aus Bonn sprach ‚‚über die direct nachtheiligen Wirkungen des Lichts auf die Gewächse”. Blätter von Evonymus, deren untere Fläche vom Sonnenlicht getroffen wurden, rötheten sich unter zweifelhaften Zeichen des Erkrankens. In den Zellen der geröthe- ten Stellen der unteren Fläche war das Chlorophyll verschwunden, die Zellen von rother Flüs- sigkeit erfüllt, die Spaltöffnungen waren unverändert. Unter Wasser gebracht, hauchten nur die grünen Stellen der unteren Fläche Wasserdunst aus, nicht die gerötheten. Derselbe: über einige merkwürdige Erscheinungen an Waldbäumen. Verwachsungen von Wurzeln einer und derselben Tanne, die auf einem Felsenstücke vegetirte, über welchen jene hinabliefen; krankhafte ringförmige Auftreibungen der Rinde von Tannen, Ueberwallung eines starken Aststumpfs einer Buche u. s. w. Herr Dr. Caspary aus Berlin sprach über den Pilz, welcher die Kartoffelkrankheit veran- lasst und einige andere Krankheiten der Kartoffelpflanze. Das Auftreten der Peronospora infe- stans ist die Ursache der braunen Flecken des Kartoffelnlaubes. Selbst die vollständige Zerstö- rung der oberirdischen Theile bedingt nicht nothwendig die Fäulniss der Knollen. Fäden der Peronospora dringen gewöhnlich nicht in die Knolle. Dagegen steigt die von den braunen Stellen des Laubes aus sich verbreitende braune Färbung der Cambialzellen bis auf 2 Zoll sicht- bar zu den erkrankenden Knollen herab. Das Vorhandensein der Peronospora auf gebräunten Blattstellen hängt vom Feuchtigkeitsgrade der Luft ab. Impfversuche misslangen, auch keimen die Sporen nur schwer bei künstlicher Aussaat. Noch sieben andere Pilzformen schmarotzen auf den oberirdischen Theilen der Kartoffel. Diese und einige von Beschädigung durch Insecten herbeigeführte Erkrankungen der Kartoffel wurden erörtert. 85 Herr Regierungsdirector Sporleder aus Wernigerode sprach über einen merkwürdigen Baumfarrn: Disphenia portoricensis. Von diesem sehr seltenen und, wie es scheint, bis jetzt noch nicht beschriebenen Baum- farın, Disphenia portoricensis Kunze (in litt.), so wie zur Vergleichung von Disphenia arborea Presl. (Cyathea arborea Smith) legte der Vortragende getrocknete Exemplare vor. Beide Baumfarrn sind vor einigen Jahren von dem Gärtner Schwaneck aus Wernigerode auf der westindischen Insel Portorico an steilen Abhängen bewässerter Thäler, und zwar der D. portoricensis im Humacao-Gebirge, D. arborea im Luquillo-Gebirge gefunden. Nach seiner Beschreibung erreicht der Strunk der M. portoricensis eine Höhe von 15 Fuss, bei einem Durchmesser von 4—6 Zoll; er ist glänzend schwarz und mit geraden Stacheln glei- cher Farbe, sowie sparsam mit kurzwolligen gelben Haaren besetzt. An seiner Spitze erheben sich 8, zwiefach gefiederte 6 Fuss lange Wedel, deren Spendel mit rückwärts gekrümmten Sta- cheln besetzt ist. Strunk und Wedel ergiessen bei Verletzungen einen gelblichen durchsichtigen gummiartigen Saft. Den Strunk der Disphenia arborea fand Schwaneck von einer Höhe bis 25 Fuss; er ist stachelfrei und mit hellen grauen Haaren besetzt, die ihm mit den Nadeln der Wedel von hel- lerer Farbe ein scheckichtes Ansehn geben. An seiner Spitze befinden sich mehr als 8 doppelt gefiederte Wedel, deren Spindel besonders an der Basis mit gelblich-weissen Schuppen besetzt ist, welche der D. portoricensis fehlen. Schon nach dieser Beschreibung unterscheiden sich beide Arten sehr bedeutend, und wei- tere Unterschiede liefern ferner die vorliegenden getrockneten Fiedern; deren Spindel bei D. arborea hellbräunlich erscheint. Die untere Seite der Fiederlappen (laciniae) der D. arborea sind fast bis zur Spitze mit Fruchthäufchen dicht bedeckt, bei D. portoricensis dagegen in zwei Reihen von einander entfernt stehend. Der verewigte Professor Kunze hatte nach dessen brieflicher Bemerkung in dem Curt Sprengelschen Herbarium ein Fiederfragment der Disph. portoricensis mit der Bezeichnung Cya- thea portoricensis gefunden. Uebrigens bemerkt der Vortragende noch, dass ihm die Untersuchung der Früchte jener beiden Baumfarrn, die Theilung des receptaculum, die nach Presl den hauptsächlichen Gat- tungscharakter von Disphenia geben soll, nicht constant geschienen, und dass die Aufstellung der Gattung Disphenia wohl nicht hinreichend gerechtfertigt erscheinen dürfte. Herr Professor Alexander Braun aus Berlin sprach über einige minder bekannte Er- scheinungen bei windenden Pflanzen. Von Dr. K. F. Schimper geht eine Sendung aus Jena ein, über welche der Bericht von Herrn Prof. A. Braun in der nächsten Sitzung erfolgt. Fünfte Sitzung. Sonnabend den 23. September. Präsident: Professor Göppert. Herr Dr. Hanstein aus Berlin sprach ‚‚über einige Beziehungen zwischen Blattstellung und Vertheilung der primären Gefässbündel im Dikotyledonen-Stengel”. Zwei Wege der Untersuchung führen zum Aufschluss darüber, in welchem Verhältniss die 86 Blattstellung zum inneren Bau des Stengels stehe: die Verfolgung der Gefässbündel, die den Blattstiel durchziehen, abwärts in den Stengel hinein, und die Betrachtung der Blattanordnung im Vegetationspunkt. Der junge Dikotyledonenspross zeigt unmittelbar um das Mark her einen Kreis einzelner, primärer Holzbündel und um diese einen geschlosseneren Cylinder ‚„„secundären” Holzes. Jene primären Bündel geben aufwärts alle in die Blätter über, und keins ist, das nicht unmit- telbar zu einem Blatte gehörte. Alle bilden der Regel nach einen einzigen Kreis. Ihre An- ordnung muss daher nothwendig der Blattstelle entsprechen. Die einzelnen Blätter erhalten aus dem Stengel verschieden viele dieser Gefässstränge, meist in ungrader Zahl, 1, 3, 5, 7 u. s. w., doch bei Weitem am häufigsten 3. Die Blattstellungen nun zerfallen zunächst in opposite und spiralige. Die oppositen Stel- lungen bieten meist ein einfaches Verhältniss dar. Bei Acer treten an jedem Stengelknoten 6 Stränge von Gefässen aus, die zu 3 und 3 in beide Blätter gehen, und abwärts in ringsum gleichmässigen Entfernungen im Stengelgliede hinunterziehen. Die 6 Bündel des höheren Blatt- paars ordnen sich bei ihrem Hinablaufen so zwischen die des niedern, dass sie genau in die Mitten der 6 Zwischenräume treten, indem dabei die Mittelstränge der jungen Blätter zwischen die seitlichen der älteren kommen. Durch zwei Glieder abwärts streichend treffen sie direct auf die Bündel des zweitälteren Paares, über welchen sie sich spalten, und rittlings sich spreizend beiderseits neben ihnen hinabsteigen. Ebenso findet es sich bei sehr vielen andern Pflanzen, auch bei solchen, deren Blätter mehr als dreisträngig sind, wie bei Aesculus. Die einfachste Spiralstellung ist die alternirende, wie sie z. B. bei Vicia sich zeigt. Hier gehen abwechselnd aus den beiden Stengelseiten je 3 Gefässstränge in die Blätter, deren mitt- lerer, dreigetheilt, das Hauptblatt bildet, wärend die zwei seitlichen, die merkwürdigerweise schon beim nächst niedern Knoten den gemeinschaftlichen primären Holzbündelkreis verlassen und in den Stengelflügeln eines Internodiums aufsteigen, die Stipulae tragen. Die Bündel des öten Blattes treffen abwärts genau auf die des lten, und weichen ihnen, seitwärts biegend, aus. Die ferneren Spiralstellungen gewähren für die Blattvertheilung rings um den Spross ein vollkommneres Gleichgewicht. Bei der Opposition nehmen 2 Blätter den ganzen Umfang des Vegetationspunktes ein. Denkt man sich beide entweder verkleinert oder vergrössert, so schliessen sie nicht mehr zu einem Kreise zusammen, eine Blattseite des jüngern Blattes muss vielmehr einen inneren Kreis beginnen, und die Entwicklung des Wachsthumspunkts selbst betritt die Spirale. Je nachdem nun die ‚‚Spannung” des einzelnen Blattes kleiner oder grösser als die halbe Peripherie des Stengelumfanges ist, werden zum ersten Umgang der Spirale bis zum Umfangs- punkt zurück 3 oder 2 Blätter nöthig sein. Bei Ribes aureum bilden 3 dreisträngige Blätter den ersten Umgang. Die Abstände der Gefässstränge sowohl eines und desselben Blattes als auch der seitlichen Stränge zweier ver- schiedener Blätter sind alle gleich. Das letzte Bündel des 3ten Blattes trifft genau auf das erste des ersten. Die Stellung ist in diesem Falle 3). — Bei anderen greift jenes letzte Bün- del über dies erste hinweg, und tritt verschieden weit von diesem entfernt in den Zwischen- raum des 1. und 2. Stranges hinein. Hält es zwischen beiden die Mitte, so findet die 2/5 Stellung statt, die mithin ein Ausdruck von hohem anatomischen Gleichgewicht ist. Greift das 3. Bündel des letzten Blattes bis zum 2ten des ersten hinüber, so finden wir die 3/, Stel- lung. Aehnliche Fälle finden sich bei den Spiralen mit 2zähligen Kreisen. Bei dieser findet die 2/; Stellung in dem Falle statt, dass des 2. Blattes 3ter Gefässstrang auf den ersten trifft. 37 Es hängt mithin die Blattstellung mit der Gefässbündel-Vertheilung dergestalt zusammen, dass wenn ich von den Blättern des ersten Umganges die ‚‚Distanz”” ihrer seitlichen Bündel und das Zusammentreffen der Bündel des letzten Blattes mit denen des ersten (Consertion) in Rechnung setze, ich mit Sicherheit die Divergenz der Blätter nach einer einfachen arithmetischen Formel finden kann. Es lässt sich ferner auf diese Weise ermitteln, welche Veränderungen, normal oder abnorm, durch Verschiebung oder Verdickung der Gefässstränge selbst hervorgehen können. Ueber Verhältnisse der oppositen und alternen Blattstellungen liegen von Lestiboudois gute Beobachtungen vor, die in den Annales d. sc. nat. zu derselben Zeit veröffentlicht sind, als ich darauf zuerst aufmerksam machte. Ueber die Spiralstellungen jedoch stellt er eine Hy- pothese auf, der die Natur nicht entspricht. Herr Schlotthauber aus Eimbeck verbreitete sich über die Kartoffelkrankheit und Mittel zu deren Abhülfe, unter Vorlegung und Wiederholung seiner in X 35. des ‚‚Sonntagsblatts” (Beiblatt zum Wochenblatt der Stadt Nordheim, 1854) veröffentlichten Mittheilungen. Derselbe legte aus egyptischem Mumienweizen gekeimte Exemplare vor. Herr Professor Göppert aus Breslau sprach über Ueberwallung von Coniferenstämmen und eigenthümliche Wurzelbildung von Tannen und Fichten. Hierauf referirte Herr Professor Alexander Braun aus Berlin über die gestern von Dr. K. F. Schimper eingegangene Sendung aus Jena. Eine in Kalktuff bei Weimar reichlich vorkommende fossile Chara (als Chara hispida von Schimper bestimmt), wird vorgelegt. Schimper’s schriftliche Mittheilungen beziehen sich auf: 1. Drehung von Wurzeln. Ein sehr häufiger, für viele Pflanzen normaler Vorgang, der an einer grossen Zahl von Beispielen constanter Rechts- und Links-, und auch schwankender Drehung erläutert wird. 2. Das ungleichzeitige Anschwellen des Stengels, namentlich holziger Gewächse, an den seitlich abgehenden Zweigen. Hyponastische, epinastische und diplonastische Ge- wächse werden darnach unterschieden, dass seitlich abgehende Aeste entweder unten, oder oben, oder oben und unten zugleich, excentrisch sich stärker ausbilden. Hyponastisch sind die Co- niferen Pinus silestris und Juniperus virginiana, besonders deutsche Beispiele ferner: Ahus Colinus, Buxus sempervirens. Epinastisch sind die meisten Laubhölzer, ferner auch Ephedra. Extreme Fälle sind Vescum album, Mespilus germanica. Diplonastisch sind Rosa canina, Co- rylus avellana. Endlich kommt auch excentrische Ausbildung der Flanken des Zweigs vor, z. B. bei den Cruciferen, wo sogar die Staubfäden der schlechten Seite verloren gehen. Spi- ronastie ist die spiralige Anschwellung, die durch das Anschmiegen bei Zonicera z. B. ein- tritt. Anhangsweise wird auf Cissus hederacea aufmerksam gemacht; dieser hat Heteronastie, wo die Markstrahlen auf der geförderten Seite convergiren, auf der zurückbleibenden divergiren. 3. Auf einen ‚‚Astsargdeckel” von Quercus, das überwallte und naturgeheilte Ende ei- nes verletzten Zweiges, mit Bildung von Cinctorien, so nennt Schimper die nach ihm bis- weilen auch bei krautigen Pflanzen, z. B. Dipsacus fullonum auftretenden kreisföormigen Holz- bildungen. 88 4. Carlina acaulis unterscheidet sich von Carlina vulgaris durch das sich ablösende Re- ceptaculum, ein Elasma eribrosum, wie Schimper dies Gebilde nennt, und nur dieser Ei- genthümlichkeit willen Carlina acaulis zur eigenen Gattung als Elasmatia Carlina erhebt. 5. Cratalus, Astkorb, ist ein Ast der einseitig entspringend mit seinen Gefässbündeln den Stamm korbartig umfasst. Beispiele: Hedera, Umbelliferen. Herr Dr. Buchenau aus Cassel sprach über eine merkwürdige Erscheinung an einer Buche. Ein abgehauener starker Ast einer benachbarten Buche ist in die Krone dieser ge- stürzt und dort angewachsen. Einige ähnliche Erscheinungen werden von den Herren Göp- pert und Braun erwähnt. Fünfte Section. Anatomie, Physiologie, Zoologie. In den Sectionen V und VI — Anatomie, Physiologie, Zoologie und Mediein, Chirurgie, Geburtshülfe —, nachdem sie Montag d. 18. September von den Herren Hofrath Berthold und Hofrath von Siebold in die für sie bestimmten Locale eingeführt waren, wurde nach ge- troffener Verabredung beschlossen, dass sich so oft thunlich, Morgens um 8 Uhr beide Sectio- nen im grossen Saale der Aula zu gemeinschaftlichen Sitzungen versammeln sollen. Wir wür- den ordnungsmässig den Bericht über die letzteren dem der gemeinsamen Sitzungen voranzu- stellen haben; da jedoch die fünfte (anatomische) Section theils wegen reichlicheren Materials der vereinigten Sectionen, theils wegen mehrfachen Besuches akademischer Institute nur eine Separatsitzung (am Dienstag d. 19. Sept.) gehalten hat und an den übrigen Tagen ganz in der Vereinigung mit der anderen Section aufgegangen ist, so scheint es sachgemäss dem Be- richte über die eine Separatsitzung den über die Sitzungen der vereinigten Sectionen sogleich folgen zu lassen, und nachgehends von den Specialsitzungen der anderen (medicinischen) Section zu berichten. In der anatomischen Section (von der also zunächst allein die Rede ist) wurde für die Tags darauf stattfindende erste Sitzung Herr Geheimerrath von Lichtenstein zum Präsiden- ten, Herr Professor Herbst zum Secretär erwählt. Verschiedene Vorträge sowohl für die ge- meinschaftliche wie für die Separatsitzung wurden angemeldet. Erste Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident: Geheimerrath von Lichtenstein. Nachdem der Präsident die von Herrn Dr. Max. Schulze in Greifswald eingesandten sechs Kupfertafeln, die von ihm untersuchten zahlreichen Arten von Foraminiferen darstellend, zu welchen der Text binnen Kurzem die Presse verlassen wird, vorgelegt hatte, trug Herr Prof. Leuckart aus Giessen ‚‚über Erzeugung und Entwickelung der Finnen” vor. Nachdem sich derselbe über die Natur dieser Geschöpfe im Allgemeinen dahin geäus- sert, dass sie wohl schwerlich noch ferner als ‚‚verirrte und entartete” Bandwurmformen be- trachtet werden könnten, sondern als normale Entwicklungsstufen gewisser Bandwürmer und 12 90 zwar derjenigen Arten anzusehen seien, die ihren Jugendzustand in Warmblütern durchlaufen» referirt er über einige vierzig Experimente, die er zum Zwecke der Erziehung an Blasenwür- mern mit den reifen Proglottiden und Eiern solcher Arten (Taenia crassicollis, T. Coenurus, T. e eysticerco tenuicolli, T. serrata vera e cyst. pisiformi, T. Solium) angestellt hat. Die Resul- tate dieser Experimente stimmen in allen wesentlichen Punkten mit den Beobachtungen von Küchenmeister überein und beweisen namentlich auch die specifische Verschiedenheit der -letzterwähnten vier Arten, die neuerdings von gewichtiger Auctorität in Frage gestellt worden. Mit den Eiern von Taenia Coenurus lässt sich wohl ein Schöps drehend machen, aber niemals entsteht daraus (auch nicht bei der Ziege, die übrigens auch eine auffallende Immunität von dem Drehwurm zu besitzen scheint) der sog. Cysticercus tenuicollis, während umgekehrt der Bandwurm dieses Cysticereus keinen Coenurus, sondern nur wieder den Cysticercus tenuicollis hervorbringt. Die Taen. Solium macht das Schwein finnig, hat aber auf Schaaf und Ziege eben so wenig Einfluss, als die Taenia serrata, deren Eier sich im Kaninchen zu dem Cyst. pisiformis entwickeln. Zum Schlusse giebt der Redner noch einen Ueberblick über die Wan- derungen und die Entwicklungsgeschichte der Cystico-Cestoden und schilderte dabei namentlich die Entstehung und allmählige Ausbildung des eingestülpten Kopftheiles. Anfangs erscheint dieser als eine solide Wucherung auf der Innenfläche des blasig entwickelten Embryonalkörpers (der spätern „‚Schwanzblase”), sodann wird derselbe im Innern von Aussen her allmählig hohl und erst später erscheint im Grunde dieses Hohlraumes der Hakenkranz mit den Saugnäpfen, die den Hakenkranz überragen. Um den Hakenkranz bilden sich zuerst die Spitzen und zwar, wie es scheint, als tutenförmige Scheiden. Die Entwicklung der Muskelfortsätze an den Ha- ken, und die Sonderung von Kopf und Hals, die so ziemlich gleichzeitig geschieht, vollenden die Ausbildung des Cysticercus, der von jetzt an zu einer weitern Metamorphose in einen Band- wurm befähigt ist. Hierauf berichtet Herr Geh. Medicinalrath Gurlt aus Berlin über die von ihm über den- selben Gegenstand angestellten Untersuchungen. Sodann theilt Herr Geheimerrath Lichtenstein nachstehende von dem Herrn Dr. Schiff zu Frankfurt a. M. überreichte Abhandlung über ein accessorisches Arterienherz bei Kanin- chen mit. ‚„‚Accessorische Herzen sind bisher nur als eine Eigenthümlichkeit der niederen Thiere be- trachtet worden, vor Kurzem aber hat Herr Wharton Jones die interessante Entdeckung ge- macht, dass sich die mit Klappen versehenen Venen in den Flügeln der Fledermäuse unabhän- gig vom Stosse des Herzens rhythmisch und selbstständig zusammenziehen. An den Arterien, an andern Venen der Fledermäuse und bei andern Thieren konnte Jones keine selbstständigen Zusammenziehungen finden. Nach meinen Beobachtungen existirt hingegen bei Kaninchen ein äusserlich sichtbares Ar- terienherz. Die grösseren Arterien des äusseren Ohres besitzen eine vom Herzen unabhängige rhythmische Bewegung, eine Expansion, während welcher sie Blut aufnehmen und theilweise aspiriren und eine Contraction, durch welche sie die Circulation unterstützen. Setzt man ein Kaninchen frei auf den Tisch ohne die Ohren zu zerren und hält letztere möglichst ungezwungen und ohne ein Gefäss zu comprimiren gegen das Licht, so wird man sehr oft, abgesehen von den gefüllten Randvenen, das Ohr fast ganz blutleer finden; die grosse mittlere Arojrie zeigt entweder gar kein Lumen oder an der Stelle desselben einen äusserst 91 schmalen rothen Strich. Aber nach kurzer Zeit wird dieser Strich breiter, die Arterie füllt sich von der Wurzel nach der Spitze zu strotzend voll Blut, und es werden sehr viele kleine Gefässe sichtbar, von denen früher gar keine Spur vorhanden war. Nachdem diese Erweite- rung kurze Zeit zugenommen, werden die Gefässe wieder enger, so dass ihr Lumen ganz oder beinahe verschwindet, und auf diese Verengerung folgt wieder eine neue Erweiterung und so fort. Diese Bewegungen erfolgen sehr langsam und in verhältnissmässig grossen Zwischenräu- men. Bei den meisten Kaninchen zählte ich 3—5 in der Minute. Ich habe sie bei einigen nur 2 Male, bei andern bis zu 8 Malen in der Minute sich wiederholen gesehen. Im norma- len Verhalten dauert der contrahirte Zustand länger als der expandirte. Bei der Expansion wird nicht die Arterie selbst, sondern nur ihr innerer Kanal, ihr Lumen breiter. Schon die geringe Frequenz dieser Bewegungen zeigt, dass sie nicht ein Analogon des Ar- terienpulses sind, dass sie nicht von der gewöhnlichen Contraction des Herzens abhängen. Wenn die Ohrarterien erweitert sind, kann man an ihnen den raschen vom Herzen ausgehen- den, Arterienpuls sehr deutlich fühlen, ohne dass durch denselben die Erweiterung vermehrt würde. Es ist nun zu beweisen, dass diese Bewegungen auch nicht von andern periodisch wiederkehrenden stärkeren allgemeinen Druckverhältnissen in der Blutbahn abhängen. Die Erweiterung hängt nicht von einem stärkeren Druck bei der Exspiration ab, weil das Thier immer viele Exspirationen ausführt, während die Arterien zusammengezogen bleiben, und die Erweiterung eintritt, ohne dass die Respiration im geringsten sichtbar verändert wird. Ausserdem müsste, wenn eine Summirung des Exspirationsdruckes hier irgend von Einfluss wäre, die Erweiterung von den Venen ausgehen, sie beginnt aber deutlich an der Wurzel der Arterien. Erweiterung und Verengerung ist auch noch bemerklich, wenn man alle Venen stark comprimirt, also den Druck in den Venen künstlich auf sein Maximum bringt. Da alle Erscheinungen mit gleicher Regelmässigkeit erfolgen, wenn das Thier sein Ohr auch nicht im Geringsten bewegt, so können sie nicht durch Druck auf die Gefässe, durch Contractionen der Muskeln erzeugt sein. Auch eine zeitweise erfolgende stärkere Thätigkeit des Herzens kann nicht durch stärkeren Druck die Erweiterung bedingen, denn wenn man, während die mittlere Ohrarterie bis zur 3lutleere contrahirt ist, dieselbe an der Ohrwurzel mit dem Finger comprimirt erhält, so fehlt bald darauf die Erweiterung nicht, aber sie ist schwächer, und man sieht während derselben alle über der Druckstelle gelegenen Arterien durch einen dünnen Blutstrom sich füllen, der deutlich von den Venen her regurgitirt. Es ist demnach bei der Erweiterung auch eine Aspi- ration des Blutes vorhanden. Diese ist entweder nur sehr gering, oder, was wahrscheinlicher ist, es verhindern während der Erweiterung Klappen in den Venen den Uebertritt eines stärke- ren Blutstrahles. Wäre irgend ein allgemein wirkender Druck die Ursache der Erweiterung, so müsste diese in beiden Ohren immer ganz gleichzeitig eintreten. Dies ist nun zwar meistens, aber nicht immer der Fall. Manchmal beginnt sie erst auf der einen Seite, wenn sie auf der andern schon ihren Höhepunkt erreicht hat. Einige Male sah ich auf einer Seite die Gefässe aufs höchste ausgedehnt, auf der andern Seite verengert. Höchst merkwürdig ist die Abhängigkeit dieser Bewegungen vom Nervensystem; man kann, wenn man bestimmte Nerven oder bestimmte Theile des Centralnervensystems einseitig verletzt, diese rhythmischen Bewegungen auf der entsprechenden Seite zum Stillstand bringen, während sie auf der andern Seite in voller Integrität fortbestehen. Dieser einseitige Still- 12* 92 stand durch Nervenverletzung ist zugleich der schlagendste Beweis gegen die Abhängigkeit die- ser Bewegung von Veränderungen des Blutdruckes. Dieser Arterienpuls wird erregt von dem unteren Theil der von Budge und Waller sog. Ciliospinalgegend des Rückenmarks. Zerstört man diesen oder die von ihm ausgehenden mo- torischen Wurzeln einseitig, so bleiben die Arterien mässig erweitert stehen. Die Arterien des andern Ohres sind bei der stärksten Diastole viel weiter und gefüllter. In der bei weitem grössten Mehrzahl der Kaninchen gehen die Nerven für diese Bewe- gung vom Rückenmark durch den Halssympathieus zum Ohr. Auch seine Durchschneidung bewirkt Stillstand *). Indessen habe ich schon in der Gazette hebdomad. erwähnt, dass es mitunter Kaninchen gibt, bei denen die Durchschneidung des Sympathieus nicht die von Ber- nard beobachteten dauernderen Wärmephänomene und nicht die Ausdehnung der Gefässe im Ohr erzeugt, und dass hier die betreffenden Fasern im auricularis cerviealis und andern Ner- ven zum Ohr verlaufen. Bei diesen Kaninchen, die ich bis jetzt nur in der kurzohrigen, in Deutschland sehr gewöhnlichen Varietät getroffen habe, laufen auch die Nerven für die rhyth- mische Bewegung nicht im Sympathieus. Mechanische Reizung der sensibeln Nerven des Halsmarkes, auch wenn dieselben nicht mehr mit dem Ohr, sondern nur mit dem Mark zusammenhängen, erzeugt eine, die Reizung lange überdauernde oft sehr beträchtliche Verlängerung der Diastole der Ohrarterien, die da- zwischen fallenden Systolen sind kurz und schwach. Das Ohr wird hierdurch viel wärmer als das der andern Seite. Die sensibeln Ohrnerven, die im Stamme des N. auricular. cervicalis und im auricularis vagi liegen, wirken ganz ebenso. Eindrücke, welche das Gesammtnervensystem des Thieres plötzlich erregen, z. B. Schreck, Schmerz, auch nur unvermuthete Berührung des Thieres mit der Hand, erschienen mir ohne deutliche Wirkung, wenn sich die Ohrarterien in Systole befanden. Treffen sie diese aber in Diastole, so wandeln sie diese schnell in Systole um, ohne dass die weitere Regelmässigkeit der Erscheinungen dadurch gestört wird. Ich bemerke noch, dass diese Eindrücke bei weitem nicht so stark zu sein brauchen, dass sie auf den Herzschlag wirken. Mässig starker localer Druck auf eine Stelle der Ohrarterie. wirkt analog einem sensibeln Reize. Die gedrückte Stelle expandirt sich früher und schneller als der übrige Theil der Arte- rie und stellt so eine mit Blut erfüllte vorübergehende Varicosität dar. Ein stärkerer localer Reiz wirkt auf die Reizfasern der Arterie analog wie auf die motori- schen Nerven, er bringt eine während der Expansion sichtbare langsam entstehende, dauernde Constrietion hervor. ; Nach dieser Auseinandersetzung ist es klar, dass manche ältere Beobachtungen über das Verhalten der Gefässe nach künstlichen Entzündungsreizen, die am Kaninchenohr angestellt sind, ehe man diese hier beschriebenen Erscheinungen kannte und die zu manchen sonderba- ren Theorien Anlass gegeben haben, einer genauen Revision bedürfen, und dass man ihre Re- sultate nicht auf andere Theile der Säugethiere ausdehnen darf, denn an andern Theilen des Kaninchens so wenig wie an den Ohren anderer Thiere **), habe ich bis jetzt diese rhythmi- schen Bewegungen wiederfinden können. Ich füge noch hinzu, dass an schwarzohrigen Kaninchen diese Bewegungen am besten zu sehen sind. *) hier sind die Arterien die ersten Tage stark, die folgenden Tage mässig erweitert. **) Hasen habe ich nicht geprüft, 93 Indem Herr Prof. Bischoff von Giessen seine Einwürfe gegen die Behauptung des Hın. Dr. Nelson in Betreff des Eindringens der Spermatozoiden in dem Eie von Ascaris mystaz auch gegen die Angaben des Hrn. Dr. Meissner aufrecht erhält, beabsichtigt derselbe vorzüg- lich die Mikroskopiker aufs Neue zu einer besonders scharfen Prüfung der Frage nach der Ge- genwart einer umhüllenden Membran um kugelförmige Körnermassen und auf das Verhalten der eiweissartigen Bindemasse derselben (der sogen. Sarkode) gegen wässerige Flüssigkeiten, und auf den Anschein von Zellenbildung, welchen dieselbe hervorruft, aufmerksam zu machen. Bei einer mikroskopischen Demonstration des gespaltenen Eileiters von Ascaris mysiax gelang es ihm, mehrere Histologen für seine Behauptung zu gewinnen, dass die sogen. Spermatozoi- den des Hrn. Dr. Nelson und Hrn. Dr. Meissner epithelienartige, die Zotten der innern Ober- fläche des Eileiters bedeckende, und mit ihnen organisch verbundene Elemente, und dass die wahren, die Befruchtung bewerkstelligenden Spermatozoiden bei diesem Thiere also noch nicht bekannt sind. Vereinigte fünfte und sechste Section. Anatomie, Physiologie, Zoologie und Medicin, Chirurgie, Geburtskunde. Erste Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident: Geheimerrath Lichtenstein. Auf Herrn Hofrath Wagner’s Antrag wird beschlossen, dass veranlasst werden möge, dass die öffentliche (zweite) allgemeine Sitzung am Mittwoch statt um 10 Uhr erst um 11 Uhr an- fange, und dass die mit Experimenten und mikroskopischen Darstellungen begleiteten Vorträge Mittwoch Morgens 8 Uhr im physiologischen Institute gehalten werden. Herr Geheimer Hofrath Huschke aus Jena sprach ‚über die Gehirnwindungen” und de- ren stufönweise Entwickelung in den verschiedenen Thierklassen, bis zum Menschen herauf nach Alter, Geschlecht und Racen. Herr Professor Luschka aus Tübingen: über die Structur der die Hirnhöhlen auskleiden- den Membran. Während man in früherer Zeit bemüht war, durch gröbere anatomische Hülfsmittel eine die Ventrikel begrenzende Membran darzustellen, welche bald als eine dünne Marklamelle, bald als Fortsetzung der Spinnwebenhaut, bald als eine durch die Vereinigung der Arachnoidea und Pia mater gebildete Membran angesehen wurde, hat man jetzt einsehen gelernt, dass die äusserste Zartheit des gesunden‘ Ependyma die gewöhnliche anatomische Darstellung mit Messer und Pincette nicht entfernt gestattet, und dass was man auf diese Art nachweislich zu machen suchte, eine sammt dem Ependym entfernte, verschieden dicke Schichte von Hirnsubstanz war. Die Ueberzeugung, dass nur das sehr bewaffnete Auge eine Entscheidung herbeizuführen vermöge, hat denn auch hier eine andere Forschungsweise zur Geltung gebracht. Doch auch durch sie konnte, obgleich wesentliche Fortschritte gemacht wurden, bis zur Stunde noch keine Einmüthigkeit der Ansichten erzielt werden, indem die einen ein flimmerndes, die andern ein eilienloses Blättchenepithelium annehmen, und andererseits wieder die Ansichten schwankend 94 sind, ob das wie immer beschaffene Epithelium, unmittelbar auf der Nervensubstanz ruhe oder aber eine besondere, aus Bindesubstanz gebildete Grundlage vorhanden sei. Angesichts dieser Widersprüche habe ich neuerlich, nachdem ich früher nur unvollständige Resultate erzielt hatte, in einer langen Reihe von Nachforschungen nichts unversucht gelassen, was einerseits die Ursachen der Meinungsverschiedenheiten aufklären und anderseits die wahre Natur des Ependyma enthüllen könnte. Meine Untersuchungen waren zuerst gerichtet auf die Erforschung der Natur des Epithe- liums, und hier unterliess ich es nicht sorgfältige Vergleichungen zwischen dem Foetus und Neugeborenen und zwischen dem erwachsenen Menschen anzustellen. Es zeigten sich darnach sehr wesentliche Unterschiede. Beim Foetus und beim Neugeborenen erkannte ich an allen Stellen aller Ventrikel ein Flimmerepithel. Die Elemente desselben sind bald mehr bald weniger in die Länge gezo- gene konische Körper, deren freie Enden auf deutlich abgegrenzten Randwülstchen äusserst feine, leicht abfallende Cilien tragen. An den meisten Orten lassen sich die Flimmerzellen leicht isoliren, an andern aber liegen sie pallisadenartig so fest neben einander, dass ihre Con- touren schwer oder gar nicht mehr zu erkennen sind und das ganze Object mehr einer mit Cilien besetzten Membran ähnlich sieht. Die Flimmerzellen dieses Epithels sind so ausseror- dentlich zerstörbar, dass sie nur in frischen Leichen völlig deutlich sind, und zudem nur noch die zarteste Behandlung vertragen. Beim Erwachsenen, bei welchem ich das Epithelium in fast noch lebenswarmem Zustande an drei Hingerichteten zu untersuchen Gelegenheit nahm, zeigte sich dasselbe fast durchgrei- fend aus cilienlosen rundlichen und polygonalen Plättchen zusammengesetzt. Die Plättchen waren sehr zart contourirt, enthielten alle einen länglich-runden, dunklern Kern, und waren im Uebrigen theils äusserst fein granulirt, theils ganz homogen und glashell. Nach einiger Zeit zerfielen diese Zellen, indem hyaline Tropfen austraten und die Zellenkerne nebst Molecu- larmasse frei wurden. Spuren des Flimmerepithelium finden sich aber auch beim Erwachsenen, wenn auch nicht regelmässig, doch nicht selten. Und hier ist es besonders der vierte Ventrikel, in welchem man schöne Uebergänge vom konischen Wimperkörper durch cilienlose Cylinder bis zum völ- ligen Plättchen vorfindet. Man sieht wohl leicht ein, dass derlei Flimmerzellen als Reste einer fötalen Bildung zu denken sind und dass an dem Ependyma des Menschen ein Wechsel der ‚‚Art”” des Epithe- liums das Gesetzmässige ist. Diese bedeutungsvolle Thatsache steht bezüglich anderer Organe im Thierreiche nicht ohne Analogien da. Es haben Remak und Corti gefunden, dass bei Froschlarven im ganzen Di- gestionsschlauche Flimmerepithelium vorkömmt, ‚und dass dieses verschwindet, sobald die Mu- skelschichten entstehen. Die Flimmerzellen ersetzen daher diese bis zu ihrem Auftreten, und gehen sodann in das gewöhnliche Cylinderepithel über. Aus diesen Wahrnehmungen lässt sich wohl ungezwungen jener \Vechsel der Natur des Epithelium des Ependyma erklären und annehmen, dass das Flimmerepithel des Foetus die Bewegung des Hirnhöhlenwassers statt der später von der Lungenrespiration abhängigen Strö- mung vermittele. Der Frage, ob das Epithelium unmittelbar auf der Hirnsubstanz ruhe oder ob es zunächst von einer dem Ependym eigenen Grundlage getragen werde, musste eine besondere Aufmerk- samkeit zugewendet werden, und hier fand ich ein aus verschiedenen Formen der Bindesub- 95 stanz gebildetes Gerüste, welches zugleich der Träger feiner Blutgefässe ist. Es wird zusam- mengesetzt aus: . a. structurlosen Lamellchen, welche an vielen Stellen hart unter dem Epithel liegen. Sie sind homogen oder enthalten nur da und dort die Spur eines Kernes, haben eine grosse Ge- neigtheit sich in Falten zu legen, und erinnern sehr an die Membrana intermedia mancher Schleimhäute. Gegen Essigsäure leisten sie einige Zeit Widerstand. b. Fasern. Es gehen zweierlei Arten derselben in die Zusammensetzung des Ependyma- gerüstes ein: «. Bei weitem die vorwiegendsten Elemente sind schmalere und breitere, höchst blasse, hyaline, zart contourirte Fibrillen. Sie zeichnen sich durch einen völlig gestreckten, unter spitzen Winkeln gekreuzten Verlauf aus. Die Fasern sind meist so dicht gedrängt, dass der gekreuzte Verlauf der einzelnen Fibrillen nicht ganz deutlich zu verfolgen ist, sondern das Ansehen einer fein längsgestreiften Substanz gegeben ist. Studirt man an ÖObjecten, wo die Fasern weniger dicht sind, die einzelnen Elemente genauer, dann sieht man, dass zwar die meisten derselben ganz einfach sind, dass es jedoch viele zumal von der breitern Sorte giebt, welche gabelig gespalten oder auch im Begriffe sind, bereits schon ihrer ganzen Länge nach oder nur erst an den Enden in feinere Fibrillen zu zerfallen. Nirgends findet sich an diesen Formelementen auch nur eine Spur einer ihre Bildung ver- mittelnden Zellenformation, sondern Alles weist vielmehr darauf hin, dass sie aus dem Zerfal- len eines in Form dickerer und dünnerer Streifen erstarrten Blastems von Bindesubstanz hervor- gehen. Darnach möchte ich die Formbestandtheile ‚,Blastemfasern” der Bindesubstanz nen- nen. Es sind dieselben Elemente, welche ich früher unter dem Namen seröser Fasern auf die serösen Häute beschränkt glaubte. Die Entstehung ihres gekreuzten Verlaufs wird aus der Bildungsweise dieser Fasern ganz verständlich sein. Sowohl durch das fächerartige Auseinanderfallen nebeneinanderliegender Bla- stemstreifen als auch durch deren Gegeneinanderwachsen, müssen sich die so aus dem Zerfall hervorgehenden Fasern in gekreuzter Richtung durchsetzen. ß. Die zweite Art der Faserbestandtheile des Ependyma sind die gewöhnlichen durch den wellenförmigen Verlauf ausgezeichneten Zellstofffasern. Sie sind in untergeordneter Menge vor- handen und mehr vereinzelt als in Bündelchen angeordnet, zwischen die andern Fasern einge- streut. Die ihrer Bildung zu Grunde liegenden Formelemente, die Bindegewebszellen, findet man in den verschiedensten Metamorphosen zu Fasern. Dieser ihrer Entstehung, aus Zellen, nach, müssen sie gegenüber von den Blastemfasern Zellenfasern der Bindesubstanz genannt werden. Blutgefässe kommen dem Gewebe des Ependym in verhältnissmässig geringer Anzahl zu, und sind dieselben ausserordentlich feine, zum Theil als vasa serosa zu deutende Röhr- chen. Man darf sich durch die reichliche Menge von Gefässen, welche an den Ventrikelwän- den gesehen werden, nicht täuschen lassen, denn eine sorgfältige Untersuchung lehrt, dass fast alle, und namentlich die mit blossem Auge sichtbaren Gefässe, der Hirnsubstanz angehören. Sollen wir schliesslich das Wesen des Ependyma näher bestimmen, dann müssen wir es als eine modificirte Fortsetzung der Gefässhaut — zunächst des obern und untern Gefässvor- hanges bezeichnen. Blastemfasern und Zellenfasern der Bindesubstanz und Blutgefässe stam- men von diesen her, während das Epithelium eine ihm ganz eigenthümliche Formation ist. 96 Herr Dr. Welcker aus Giessen: ‚‚über colorimetrische Blutuntersuchungen”. Eine aus 10 Gliedern bestehende, in Probirröhrchen eingefüllte Blutfarbenscala wird vorgezeigt; dieselbe in je 20 C.Centim. Wasser 30, 35, 40, 45 u.s. w. C.Millim. Blut. Die Farbentöne sind von Glied zu Glied mit Sicherheit unterscheidbar, ja es lässt sich bei einer zwischen zwei Num- mern fallenden, zu prüfenden Flüssigkeit entscheiden, welchem der beiden Scalenglieder die- selbe näher steht. Der Berechnung der Scala ist die Färbekraft des Blutes des Vortragenden zu Grunde gelegt; ein zu prüfendes Blut, welches bei 400fachem Wasserzusatze dem Scalen- gliede N. 3 gleicht, besitzt pro C.M. den Farbestoff von 3200000 Blutkörperchen des Vortra- genden; bei N. 4 den von 3600000 Blutkörperchen; zwischen beiden Gliedern 3300000 bis 3500000. Dr. Welcker hat seine Methode bereits angewendet: 1) zu vergleichenden Bestimmungen des Blutfarbestoffgehaltes (approximativ auch der Körperchenzahl) bei kranken und gesunden Menschen, und es fand derselbe (pro C.M. Blut): in den letzten Stadien der Lungenphthise den Farbestoff von 2000000 Körperchen seines Blutes; bei Chlorose den Farbestoff von 3000000 Körperchen seines Blutes; nach fieberhaften Krankheiten von 3500000 bis 4000000 Körperchen seines Blutes; beim gesunden Weibe 4500000 Körperchen seines Blutes; beim gesunden Manne 5000000 bis 5500000 Körperchen seines Blutes; in seltenen Fällen acuter Krankheiten 6000000 Körperchen seines Blutes. In verschiedenen Fällen, wo alle übrigen Symptome auf Anämie hinwiesen, fand die Blutscala reichlichen Blutfarbestoff; andrerseits erwiesen sich scheinbar Plethorische als anä- misch. Die auf die Ergebnisse der Scala gestützte Behandlung war von dem gewünschten Er- folge. 2) zu vergleichenden Bestimmungen des Blutfarbestoffgehaltes bei Thieren verschie- dener Klassen. Es fand sich (pro C.M.): bei nackten Amphibien der Farbestoff von 2000000 bis 2600000 Blutkörperchen Dr. W’s; bei beschuppten Amphibien 3000000 bis 3200000; bei Vögeln 2900000 bis 4100000; bei Säugethieren 3600000 bis 5900000. 3) zu Bestimmungen der Blutmenge bei Thieren und Menschen. Aus einigen Tro- pfen Blut des zu untersuchenden Thieres wird eine Farbenscala gebildet, das gesammte Kör- perblut hierauf durch Ausspritzung der Gefässe mit Wasser oder durch Auswaschung des fein- zerhackten Körpers gesammelt und die Farbe der gewonnenen Flüssigkeit mit der Scala ver- glichen. — Es fand sich: bei Fischen auf 100 Grm. Thier 1,5 C.C. Blut; bei nackten Amphibien 650% 15; 35 bei beschuppten Amphibien ET. ER bei Vögeln 8,705 >> bei Säugethieren TA - 4055 55 bei einem neugeborenen (sicher- lich nicht verbluteten) Kinde 6, si Die Richtigkeit der nach Valentin’s Versuchen angenommenen Ziffer der Blutmenge (24 C.C. Blut auf 100 Grm. Körpergewicht) scheint hiernach zweifelhaft, umsomehr als Dr. Wel- 97 cker nur in den blutreichsten Organen, in Milzen und Placenten, jene von Valentin für den ganzen Körper angenommenen hohen Procentgehalt vorfand. Zur Herstellung einer stabilen Blutfarbenscala und um zur Berechnung neugebil- deter Scalen nicht jedesmal einer Blutkörperchenzählung zu bedürfen, hat Dr. Welcker ver- schiedene Versuche angestellt. Er zeigte vor: 1) eine dreigliedrige, aus Blutlösung und etwas Alkohol gebildete, in zugeschmolzenen Glasröhren enthaltene Scala, welche sich seit Juni 1853 wohlerhalten hat. 2) Gepulvertes Blutcoagulum, welches zur Bildung flüssiger Scalen dient und von welchem 1 Grm. den Farbestoff von 10550 Millionen Blutkörperchen enthält. 3) Auf Papier aufgetragene Flecken verschiedener Blutverdünnungen. Die ältesten dieser Blutfleckenscalen, vom März 1853 herrührend, haben ihre Farbe in der Weise conservirt, dass das Blut des gesunden Mannes, nach ihnen geprüft, pro C.M. stets nahezu 5000000 Körperchen enthält. Mehrere Exemplare der Blutfleckenscala wurden an Mitglieder der Versammlung vertheilt. Bezüglich der Zuverlässigkeit der Blutfleckenscala beruft sich der Vortragende auf seine vielfachen Versuche, namentlich auf einen Fall, wo ein ihm unbekanntes Blutvolum durch einen der in der Versammlung Anwesenden (Hrn. Prof. Leuckart) in ein Tuch eingetränkt wurde, welches Blut, getrocknet und wieder ausgewaschen, nach der Fleckenscala 92,3 C.C. betrug, während nach Herrn Leuckart’s Notiz wirklich 92 C.C. Blut verwendet worden wa- ren. — Herr Dr. Welcker erbietet sich zu einem ähnlichen, in loco auszuführenden Versuche. Diesem Erbieten zu Folge wurde zur näheren Darlegung des praktischen Werthes der Me- thode des Herrn Dr. Welcker die Vornahme einer Probe verabredet, und unternahm es Herr Professor E. H. Weber aus Leipzig Herrn Dr. Welcker Gelegenheit zu verschaffen, sein colorimetrisches Verfahren an verdünntem Blute in Anwendung zu bringen, dessen Gehalt an Blute zuvor genau bestimmt werden solle, ohne dass Hr. Dr. Welcker davon in Kenntniss ge- setzt würde. Hr. Prof. Weber versprach der combinirten Section das Resultat in einer der nächsten Sitzungen mitzutheilen. Zweite Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Hofrath Rudolph Wagner. Der Tags vorher getroffenen Verabredung gemäss fand diese Sitzung der vereinigten ana- tomischen und medieinischen Sectionen im physiologischen Institute statt. Nach Verlesung der Tagesordnung hielt zuerst Herr Professor Gerlach aus Erlangen einen Vortrag über seine neue Methode der Injection der Knochen, durch welche es ihm gelungen, Kanäle die nur !/ao Blutkörperchen im Durch- messer haben, auszuspritzen, und zeigte Derselbe hierauf Präparate seiner höchst gelungenen Injectionen der Zahn- und Knochenröhrchen vor. Hierauf berichtete Herr Hofrath Henle über die von dem Assistenten der Anatomie, Herm Teichmann gemachten Beobachtungen der Blutkrystalle, welche nach Henle aus einem farb- losen Stoffe bestehen, und ‚‚Globulinkrystalle” genannt zu werden verdienen. Die von Hrn. 13 98 Teichmann entdeckte neue Art der Blutkrystalle mit umgekrempten Rändern wurde der verei- nigten Section vorgelegt. Herr Hofrath Rudolph Wagner erläuterte durch praktische Demonstrationen an leben- den Kaninchen seine akustische Methode der Untersuchung und Vergleichung der Herz- und Respirationsbewegungen und des Nerveneinflusses darauf. Dritte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident: Professor Hyrtl. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit der Verlesung eines Schreibens des Dr. Heuglin in Chartum über das häufige Vorkommen und die Lebensweise von Protopterus (Lepidosiren) in Ober-Aegypten. Das Schreiben lautet: Ueber Protopterus aethiopieus (Heckel). Chartum, 20. Juni 1854, Schon lange ehe ich durch ein Exemplar der Sitzungsberichte der k. k. Akademie der Wissenschaften (Novemberheft 1851) von der Existenz eines Lepidosiren in den obern Nil- ländern nähere Kenntniss hatte, vermuthete ich das Vorkommen derselben aus verschiedenen Berichten von Eingeborenen und hier wohnenden Europäern. Unter andern erzählte mir Osman Bey, Obrist des 2. ägyptischen Linien-Regiments, der auf seinen Feldzügen aus der Gegend der Thumat-Mündung bis zum Bahr el-Abiad vorgedrungen war, von einem ‚‚Fische”, den seine Begleiter in grosser Menge an den Ufern des Sobat *) sowohl als in der Wüste selbst, weit entfernt von Gewässern eingesammelt hatten; nach Osman Beys Aussage leben diese Thiere in der Erde und im Sand, und der Platz, wo sie verborgen liegen, ist an einem kleinen Hügel oder Aufwurf erkennbar, der zuweilen Morgens Feuchtigkeit ausschwitzen soll. Auch in Kordofan und selbst in der Umgegend von Chartum hat man häufig beim Brunnen- graben lebende Fische im Sand gefunden, die einen sehr breiten Kopf haben sollen und, wie Bagrus Bayad, hier Gorguar heissen. Nach vieler Mühe gelang es mir endlich, einen solchen Fisch aus der Nähe von Char- tum zu erhalten, der aber kein Lepidosiren, sondern eine mir unbekannte Wels-Art ist, welche ich der k. k. Akademie zu näherer Untersuchung vorzulegen die Ehre haben werde. Dieselbe Art mag sich auch in Kordofan finden, doch kommen dort wenigstens in den Tei- chen zwischen Gebel Araschkol und Gebel Kohn wirklich Bajade, vielleicht auch Hetero- *) Ich zweifle dass dieser Fluss derselbe ist, der zwischen 9 und 10° N. B. unter diesem Namen in den Bahr el-Abiad mündet. — Man gelangt von Gebel Gulle oder G. Gull aus in 7 Tagmärschen gegen Süden an jenen im Lande der Burum-Neger gelegenen Chor; die Stationen sind: Gebel Gulle — Chor Doleb 1 Tag, — von dort bis Gebel Ulu 1 Tag, — bis Abu Gönes 1 Tag, — bis el-Wolagat 6 Stun- den, — Hellet Engarga 1 Tag, — Hellet Adjadja 1 Tag, und von dort bis zum Sobat 1 Tag. — Die Quellen dieses Flusses sind auch den Eingeborenen von Gulle, Taby ete. unbekannt; sie behaupten, er entspringe in Abyssinien (Enarea?) und kehre auch wieder dorthin zurück; wahrscheinlicher ist aber, dass er versandet, indem er sich in eine Menge kleiner Arme theilt, die sich theilweise wieder ver- einigen. 99 branchus und andere Nilfische vor, die sich beim alljährlichen Austrocknen dieser sogenann- ten ‚‚Fulen” immer tiefer in den Schlamm eingraben. Ursprünglich mögen sie bei grossen Nil-Ueberschwemmungen in jene Teiche gerathen sein. Ihre Anzahl dort muss auch bedeu- tend sein, da ich z. B. auf dem Teiche von Eit el-Uhd, der im November 1853 noch eine Länge von wenigstens 10 Wegstunden hatte, grosse Mengen von Pelikanen antraf, welche beständig fischten.” Wie sich aber wirkliche Fische in den Seen von Katschieh (an der Gränze von Darfur), im Bahad und Pirke (südlich von Lobehd) welche ebenfalls fast alljähr- lich ganz vertrocknen, aufhalten und fortpflanzen können, war und bleibt mir ein Räthsel, wenn die dort vorkommenden Thiere nicht Lepidosiren-artige Geschöpfe sind. Im Herbst 1853 schickte ich einen Jäger behufs naturhistorischer Sammlungen auf den weissen Fluss und gab ihm u. a. namentlich auch Instructionen, Nachforschungen über Le- pidosiren anzustellen, welche sehr günstig ausgefallen sind, so dass ich hiermit einige Mit- theilungen über Aufenthalt und Lebensart von Prodopterus aethiopieus (Heckel) machen kann, welchen mit meiner nächsten Sendung nach Wien auch mehrere hübsche Exemplare, die aus Mangel an Alkohol in Alaun getrocknet wurden und sich auf diese Art gut erhalten haben, nachfolgen werden. Meine Leute trafen den Prodopterus überall südlich vom 9° N. B., aber wie ich ver- muthet hatte, nicht im Nil selbst, sondern in trockenen Chors und an baumreichen Niede- rungen, doch findet er sich auch in schlammreichen Pfützen. Bei den Kitsch-Negern, welche ihn essen, heisst er ‚‚Komto%k” und bei den Bari ,‚Do%k0”. Gemein ist er namentlich bei den Kitsch und am Belinian, wo er in der trockenen Erde an den Hochufern der Regenbette eylindrische,, fast horizontale, oft 4° tiefe Löcher gräbt, welche er nur zur Nachtzeit verlässt um auf Raub auszugehen. Er lebt von Molusken, Krabben, Fröschen ete., und sein Fleisch ist fett und wohlschmeckend. Angegriffen zieht er sich so weit als möglich in seine Behau- sung zurück, wo er sich unter einem dem der Schlangen ähnlichen Zischen und Pfeifen ge- gen den Feind vertheidigt. Tritt man zufällig auf den Eingang seiner Höhle, so beisst er wüthend um sich und soll auch unter seines Gleichen immer streitsüchtig sein, wobei ihm seine grossen stumpfen Zähne sehr zu Statten kommen mögen. Die Eingeborenen versichern, dass das Fehlen des hintern Theils des Schwanzes, der fast -bei jedem Exemplar zerbissen scheint, bloss den gegenseitigen Balgereien dieser Thiere zuzuschreiben sei. In Sümpfen und während der Regenzeit macht er sich. schlangenförmige Wege im Schlamm, welche die Jagd auf ihn erleichtern. Er wird mittelst einer kleinen Harpune gefangen und getödtet. Die Iris ist kastanienbraun, der Rücken und Kopf dunkel grünlichgrau, die Unterseite schmutzig graugelb mit einzelnen undeutlichen schwarzen Flecken. Bei einigen, namentlich den jüugern Exemplaren bemerkt man auf den Seiten dunklere Querbinden. Auf einer von Wien aus hierher geschickten Handzeichnung des Protopterus ist das Ver- hältniss des Kopfes zum Körper viel zu klein angegeben; es beträgt ungefähr 1:4. Dr. Heuglin. Herr Professor Hyrtl legt alsdann ein Exemplar des Chlamydophorus truncatus vor und fügt Erläuterungen über die Beschaffenheit und Befestigungsweise des Panzers, sowie auch über die Eigenthümlichkeiten des Skelets, namentlich der Wirbel, des Beckens und des Kopfes dieses seltenen Thieres hinzu. 13* 100 Derselbe lässt hierauf einen Vortrag folgen über eine mit Kiemenlabyrinthen versehene Unterabtheilung der Clupeen, bestehend aus den Gattungen Meletia, Chatoessus, Kowala und Sardinella. Das Labyrinth ist ein respiratorisches Organ. Herr Professor Krämer machte Mittheilungen über einige Parasiten des Menschen. Zu- nächst zeigte er mehrere in Spiritus aufbewahrte Exemplare des in Europa so selten gesehenen Pulex penetrans, welche er durch die Güte des Herrn Dr. med. Belmonte aus Surinam erhal- ten. Die vorgezeigten Exemplare waren Weibchen, deren Hinterleib bereits, nach längerem Aufenthalte unter der Epidermis oder den Nägeln von Surinamensern, zu verschiedener Grösse angeschwollen war, so dass sie bräunlichen Bläschen von dem Umfange eines kleinen Hanf- kornes, bis zu dem einer mässigen Erbse glichen, daher auf den ersten Anblick durchaus nicht an unsern Floh, sondern allerdings eher an den sogen. Holzbock erinnerten, und es begreiflich machten, wie Raspail den Pulex penetr. für eine Zecke halten konnte, während er nach Duges’ Forschungen und Abbildungen wirklich zu den Flöhen gehört. Die Untersuchungen, welche der Vortragende mit dem Sandfloh vorgenommen, bestätigen bis auf einige Details die Angaben Dug&s’. Die vorgezeigten Exemplare, welche in dem starken Rum, in dem sie übersandt, sämmtlich an der Vorderseite concav eingesunken waren, liessen im Centrum dieser Vertiefung schon mit unbewaffnetem Auge ein kleines braunes Pünktchen oder Knöpfchen ent- decken, welches, bei angewandter Vergrösserung, deutlicher als Kopf nebst Extremität hervor- trat. Der Kopf zeigt auf den ersten Anblick einen analogen Habitus, wie der anderer Flöhe, er ist ähnlich wie beim Pulex irritans mit regelmässig gestellten, kleinen Borsten besetzt, da- gegen vermisst man die deutliche Transversalnaht, welche bei jenem den Kopf in einen Vor- der- und Hinterkopf abtheilt. Hinter den schwarzen Augen befinden sich, wie bei den übri- gen Flöhen, die merkwürdig geformten Antennen, welche, obwohl nach demselben Typus ge- baut, wie die des Pulex irrit., sich doch hinlänglich charakteristisch von diesen unterscheiden, wie dies durch vergleichende Abbildungen gezeigt wurde. Die hohlhandförmigen Endglieder der Antennen des Pul. penetr. zeigen am obern Rande 5 Einschnitte oder Lamellen. Duges’ Abbildung der Antenne ist nur schematisch. Am wesentlichsten aber unterscheidet sich der Pul. penetr. von den übrigen Flöhen durch die grössere Einfachheit seiner Mundwerkzeuge. Während z. B. bei Pul. irrit. und Pul. Columbae die Maxillen, deutlich ausgebildet, den Rüs- sel theilweis bedecken, und die gegliederten palpae labiales den letzteren seiner ganzen Länge nach scheidenartig einschliessen, sind beide Organe bei dem Pul. penetr. verkümmert, so dass sein Rüssel nur aus den Mandibula und dem unpaaren, eingeschlossenen Stachel (Zunge?) be- steht, jedoch ist er nicht allein relativ, sondern selbst absolut länger als der des Pul. irrit. Die Zähnchen, welche den Rand der Mandibula in einer Doppelreihe besetzen, sind beim Pul. penetr. viel deutlicher zu sehen als beim Pul. irrit. und nach hinten gekrümmt. Die Abbil- dung, welche Duges davon giebt, ist ungenau. Die palpae maxillares sind, wie beim Pul. irrit., viergliedrig, nach Duges ist ihr erstes Glied beinah so lang als das zweite, nach dem Vortragenden ist das zweite Glied sogar kürzer als das erste und vierte, während es beim Pul. irrit. das längste ist. Die sechs Extremitäten unterscheiden sich, wenn auch im Detail, doch nicht wesentlich von denen anderer Flöhe, sie sitzen unmittelbar unter dem Kopfe vor dem ausgedehnten Hinterleibe, so dass sie beim Abtragen des Kopfes von jenem zugleich mit ab- getrennt werden. Die Rudimente des Prothocax, welche sich an dem abgetrennten Kopfe be- fanden, zeigten keine kammförmige Zinken, wie bei Pul. Canis, dagegen einzelne Borsten, wie bei Pul. irrit., jedoch spärlicher und kleiner; auch fand sich hie und da eine Tracheen- 101 mündung. — An der dem Kopfe entgegengesetzten Convexität des Abdomen, sieht man ein anderes bräunliches Pünktchen, welches sich bei angewandter Vergrösserung als orificium ani herausstellt, um das man noch Andeutungen der letzten Abdominalringe erkennt. — Aus dem Innern des Abdomen traten bei Zersprengung desselben eine grosse Menge Eier verschiedener Entwicklung isolirt und in Schläuchen hervor. Sowohl von diesen als von dem Kopfe und Rüssel des Pul. penetr. und, zum Vergleiche, anderer Flöhe wurden naturgetreu, vom Vortra- genden angefertigte Abbildungen vorgezeigt, imgleichen war der Kopf nebst Extremitäten eines Pul. penetr. und, zum Vergleiche, eines Pul. irrit. zur mikroskopischen Beobachtung auf- gestellt. Sodann erlaubte sich der Redner die Versammlung daran zu erinnern, dass das Männchen der Krätzmilbe, dessen Entdeckung neuerdings von Lanquetin und Bourgignon beansprucht worden, bereits im Jahre 1845 von ihm entdeckt worden sei. Der Redner habe diese seine Entdeckung in einem Vortrage über die Krätzmilbe, den er im September 1846 auf der Ver- sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte zu Kiel gehalten, nicht nur mitgetheilt, sondern auch den Unterschied der Weibchen und Männchen durch Abbildungen demonstrirt, wornach sich die Männchen, ausser durch ihre verhältnissmässige Kleinheit, besonders dadurch unterschie- den, dass sie an dem letzten Fusspaare nicht wie die Weibchen, lange Borsten, sondern wirk- liche Heftscheiben wie an den Vorderfüsseu tragen. Nachdem der Redner den dies bestätigen- den Passus aus dem Berichte jener Versammlung p. 155 vorgelesen, producirte er auch die be- treffenden Abbildungen, welche er bereits im Jahre 1845 hatte in Kupfer stechen lassen, und 1846 zu Kiel vorgezeigt, auch einige Exemplare davon vertheilt habe, die noch in den Händen der Empfänger sein werden. — Wenn der Redner somit die Entdeckung der männlichen Krätz- milbe sich vindieiren müsse, so gebühre dagegen Bourgignon das Verdienst, die Sexualor- gane derselben, welche an den von dem Redner damals aufgefundenen Exemplaren nicht deut- , lich zu sehen gewesen, zuerst erkannt, beschrieben und abgebildet zu haben. Später. habe auch der Redner bei anderen Exemplaren, die er in den Krusten der sog. scabies Norvegica gefun- den, den männlichen Sexualapparat deutlich gesehen, und freue sich die Angaben Bourgignons in dieser Beziehung, bis auf einige Kleinigkeiten, bestätigen zu können, die sodann bespro- chen wurden, wovon wir nur hervorheben, dass nach dem Vortragenden nicht allein die Epi- meren der beiden hinteren Extremitäten derselben Seite, welche bei den Weibchen getrennt bleiben, unter sich verbunden sind, wie dies auch von Bourgignon richtig abgebildet, sondern dass auch die beiderseitigen Epimeren durch eine Querleiste unter sich und mit dem aufstei- genden Schafte des männlichen Genitalapparates vereint sind und so zu sagen ein Ganzes bil- den, welche Theile auf der Bourgignonschen Zeichnung getrennt erscheinen. Diese Verhält- nisse wurden sodann durch die von dem Redner mittelst der chambre claire angefertigten Ab- bildungen und Vergleichung derselben mit Bourgignon’s Zeichnung deutlich gemacht. Auch wurden von denr Redner angefertigte Abbildungen der verschiedenen Entwicklungsstufen der Krätzmilbe, ihrer Larven, Häutung u. s. w. so wie der mikroskopischen Elemente der Krusten der sog. scabies Norwegica zur Ansicht vorgelegt und demonstrirt. Zuletzt zeigte der Redner eine Abbildung vor, die er von dem Fusse eines jungen Kauf- manns W. genommen, der, ein geborner Göttinger, längere Zeit an der Sclavenküste von Afrika gelebt hatte und mit einer Filaria medinensis am rechten Fusse von dort abgereist war. Bei seiner Ankunft zu Göttingen war der Canal, in welchem die Filaria gehaust, noch deut- lich durch eine blaurothe, gewundene, an verschiedenen Stellen aufgebrochene und noch ei- ternde Linie auf der Haut bezeichnet, wie auf der Abbildung zu sehen; leider aber hatte W. 102 die letzten Reste des Wurmes selbst einige Wochen vorher, am Bord des Schiffes, auf wel- chem er zurückgekehrt, ausgezogen. Der Präsident verliest hierauf ein Schreiben des Hofrath Rud. Wagner, nach welchem das physiologische Institut für heute von 12—2 Uhr den Herren Ophthalmologen zur Disposi- tion gestellt, und Nachmittags von 4—6 Uhr zur allgemeinen Uebersicht geöffnet sein wird. Zugleich erklärt er sich bereit, morgen, Freitag den 22. Sept. Mittags 12 Uhr, im physiologi- schen Institut einen Vortrag über die ‚‚Rassenbildungen” unter Vorzeigung der Blumenbach’- schen Sammlung, am nächsten Sonnabend aber um 8 Uhr in der Aula vor der vereinigten 5., 6. und 7. Section einen Vortrag über ‚‚die Grundprincipien der Centraltheile des Nervensy- stems” zu halten, und daran die früher beabsichtigt gewesene Discussion über die Seele zu knüpfen. Noch übergab der Präsident der Gesellschaft eine Anzahl Exemplare von Nr. 5 des Cor- respondenzblattes der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und gerichtliche Psychologie, welche ihm von Dr. Erlenmeyer, einem der Herausgeber, zur Verfügung und Vertheilung überge- ben worden waren. Herr Dr. Zenker aus Dresden sprach über Pentastomum denticulatum und dessen häufiges Vorkommen beim Menschen, und Geheimerrath Gurlt fügte Bemerkungen über die Wande- rungen dieses Helminthen hinzu. Professor Listing hielt einen Vortrag über das Verhältniss der geometrischen Optik zur Physiologie des Sehorgans im Allgemeinen und über den Werth constructiver Methoden für , die Anwendung auf die physiologische Optik insbesondere. In letzterer Hinsicht wies er auf die von ihm in früheren Abhandlungen erörterten Cardinalpunkte nicht nur von Linsen, son- dern auch von Systemen brechender Medien hin, die durch spärische Flächen, deren Mittel- punkte auf einer gemeinsamen Axe liegen, geschieden sind, und lenkte die Aufmerksamkeit auf zwei neue Punkte, welchen wie den übrigen, nämlich den beiden Haupt-, den beiden Brenn- und den beiden Knotenpunkten, nicht bloss in analytischer Hinsicht, sondern auch für den constructiven Zweck, ihre Bedeutsamkeit zukommt, und welche accessorische oder Ne- benpunkte genannt wurden. Dieselben liegen, wie die übrigen, auf der Axe des Systems brechender Medien, und zwar so, dass die Entfernung von je einem Hauptpunkt bis zu dem zugehörigen Nebenpunkte gleich der Summe der beiden Brennweiten des Systems ist und dass der Brennpunkt jederseits diese Entfernung in zwei den Brennweiten gleiche Stücke theilt, woraus folgt, dass je ein Brennpunkt auf der Mitte der Strecke von dem zugehörigen Knoten- punkt bis zu dem entsprechenden Nebenpunkte liegt. Für die constructive Aufindung des einem gegebenen, beliebig ausser der Axe liegenden Objeetpunkte zugehörigen Bildpunktes ge- währen die genannten beiden Punkte öfter mehr Vortheil als die Brennpunkte, welche alsdann in der Construction entbehrt werden können. Es bedarf zu diesem Ende nur der durch die Knotenpunkte zu ziehenden Directionslinien, dann der Verbindung des Objeetpunktes mit dem ersten Nebenpunkte durch eine gerade Linie, so wie einer Hülfslinie, welche in Bezug auf die Axe mit dieser Verbindungslinie symmetrisch liegt, und endlich einer mit dieser Hülfslinie parallelen, durch den zweiten Nebenpunkt gehenden Geraden, deren Durchschnitt mit der zwei- ten Directionslinie der gesuchte Bildpunkt ist. Es wurde unter Anwendung constructiver Vor- schriften auf das zusammengesetzte Mikroskop nachgewiesen, wie dieses optische Werkzeug als 103 System brechender Medien von der Art derer, bei welchen die extremen Mittel (das erste und letzte) identisch sind, dioptrisch genommen einer dispansiven oder zerstreuenden Linse aequiva- lent ist, was auf den ersten Blick befremdlich lautet. Es finden sich hierbei, indem beide Brennweiten einander gleich und negativ werden, und die Knotenpunkte mit den Hauptpunk- ten zusammenfallen, die sechs Cardinalpunkte, von der Objectivseite gegen die Ocularseite ge- rechnet, in der Reihenfolge EFG G'F’E' (wo E, E‘ die Hauptpunkte, F, F’ die Brennpunkte, G, @' die Nebenpunkte bedeuten). Die vorerwähnte Construction des Bildes eines gegebenen Objects, welches beim gewöhnlichen Gebrauch des Instrumentes in einer die Axe zwischen F und @ senkrecht schneidenden Ebene liegt, gibt auf das Unmittelbarste Rechenschaft von der umgekehrten Lage des gesehenen (virtuellen) Bildes, sowie von der Vergrösserung des Mikro- skops. Bei dem menschlichen Auge stehen die acht Punkte (wenn die Knotenpunkte durch D, D!‘ bezeichnet werden) in der Ordnung GFEE'DD'F'G’, so dass EF —= D'F — FG’ — der ersten Brennweite von etwa 15 Millimeter, hingegen E'F’—= DF= FG = der zweiten Brenn- weite von nahe 20 Millimeter ist. Die beiden accessorischen Punkte sind einander ebenso con- jugirt, wie die Hauptpunkte und wie die Knotenpunkte, während bekanntlich von den beiden Brennpunkten jeder einem in unendlicher Ferne auf der Axe liegenden Punkte conjugirt ist. Herr Dr. A. Fick aus Zürich machte der Gesellschaft eine Mittheilung seiner Erfahrungen über Diplopie und einer entsprechenden Erklärungsweise, welcher Herr Hofr. Henle Einiges in Betreff seiner eigenen Erfahrungen hinzufügt. (Im physiologischen Institut erläuterte Hr. Dr. Fick seine Erklärung der Diplopie durch einen einfachen Versuch mit der Camera obscura. Ausserdem wurden daselbst mehrere ophthalmologische Fragen zur Diseussion gebracht.) Herr Dr. H. Schaaffhausen aus Bonn sprach ‚‚über die Hautfarbe des Negers und über die Annäherungen der menschlichen Gestalt an die Thierform”, Man kann die verschiedenen Farben der Haut sowie die verschiedenen Formen des Kopfes als die wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale der Menschenrassen bezeichnen. Jene hat man vom Klima, diese von dem Culturgrade der Völker abgeleitet; aber die Kultur hat auch auf die Farbe in sofern Einfluss, als sie die dunkeln Tinten heller macht, und das Klima bestimmt zum Theil die Kopfform, weil es, wie die Natur des Bodens, der Lebensweise der Völker eine bestimmte Richtung giebt, und ihre Geistesentwicklung entweder hemmt oder fördert. Die Rassen werden wegen der Möglichkeit einer unbeschränkten Kreuzung als Varietäten betrachtet, und alle Unterschiede, die man als generische ansah, können nicht länger als solche bezeichnet werden, seit die Uebergänge von einer Farbe zur andern, von einer Kopfform zur andern, wie sie schon Blumenbach behauptete, mit der fortschreitenden und genauern Erkenntniss der verschiedenen Bewohner der Erde in immer grösserer Zahl bekannt geworden sind. Sind wir im Stande, die Ursachen anzugeben, welche die verschiedenen Typen der Men- schengestalt hervorgebracht haben, so ist die Lehre von der Einheit des Menschengeschlechts noch fester begründet, ohne dass freilich damit der gemeinschaftliche Ursprung von einem Paare auch schon bewiesen wäre. Flourens *) glaubte noch, dass eine besondere schwarze Schichte des Hautgewebes, welche *) Annales des sc. nat. 2 Ser. 1838 IX. p. 240. 104 den hellen Rassen fehle, dem Neger seine Farbe gebe, bis Henle *) und Simon **) zeigten, dass es nur die Zellen des Malpighischen Netzes sind, welche die färbenden Pigmentkörner enthalten, und dass solche auch in der Haut weisser Menschen an gefärbten Stellen gefunden werden. Dass Licht und Wärme der heissen Zone die Haut schwärzen, schloss man aber aus dem einfachen Grunde, weil man ja schon in der gemässigten Zone die Sonne die Haut bräu- nen sah. Indess berichteten Reisende, auch A. v. Humboldt, dass man Völker finde, die dem Aequator näher wohnen als andere, und doch von hellerer Farbe sind als diese. Solche Beobachtungen schienen dafür zu sprechen, dass ein Einfluss des Klima’s überhaupt gar nicht Statt finde. Viele dieser Angaben haben sich aber keineswegs als Ausnahmen von der allge- meinen Regel, dass die Bewohner der heissesten Landstriche auch die am dunkelsten gefärbten sind, bestätigt, sondern sie können jetzt umgekehrt gerade als Beweise für die Richtigkeit der Annahme, dass Licht und Wärme hier die wirkenden Ursachen sind, angeführt werden. Die Nähe des Aequators bestimmt eben nicht allein die höhere Wärme, der ein Volk ausgesetzt ist, sondern die Erhebung des Landes über die Meeresfläche, die herrschenden Winde, die Pflanzenbedeckung, die Lebensweise der Völker sind dabei in Rechnung zu bringen. Mit Rücksicht auf diese Umstände hat ein neuerer Reisender Erfahrungen über diesen Gegenstand in Afrika gesammelt, und für viele Stämme, wie für die Bewohner von Cordofan und Taggali, für die von Darfour und Ouaday, für die Tibboun’s und Touariks der Sahara, wie für die Berbern des Atlas und die Nubier am Nil, für die Gallas und Fulatneger und Andere den Zusammenhang zwischen Klima und Hautfarbe auf das Treffendste nachgewiesen ***). Ein- zelne auffallende Erscheinungen, wie dass auf den Hochebenen von Simen in Abyssinien in 10,000 Fuss Höhe Völker von sehr dunkler Farbe wohnen +), mögen immerhin noch unerklärt sein; sie beweisen nur, dass unter gewissen Umständen Eigenschaften, die dem Klima ihren Ursprung verdanken, auch unter andern Himmelsstrichen lange sich erhalten können. Man wird solche Völker nicht als Eingeborne betrachten dürfen, die dunkle Farbe wird immer auf Abkunft aus einem heissen Lande deuten. So finden wir noch in dem südwestlichen Deutsch- land, auch in vielen Städten des Rheines, schwarzes Haar und dunkle Augen als sichere Spu- ren der vor mehr als 1000 Jahren geschehenen Niederlassung der Römer in diesen Gegenden. Hält man nun auch den Einfluss von Licht und Wärme zur Hervorbringung des schwar- zen Hautfarbestoffes für unbezweifelt, so muss die weitere Frage gestellt werden, ob sich die- ser Vorgang physiologisch erklären lasse, wie neuerdings v. Müller, Berthold und Andere es zu thun versucht haben. Es liegt nahe, bei dem bekannten grossen Kohlenstoffgehalte des schwarzen Pigmentes, in Folge der Einathmung der warmen Luft unter den Tropen an eine Verminderung des respira- torischen Prozesses zu denken, so dass unverbrannte Kohlenstofftheilchen in dem Gewebe he- gen bleiben, die im andern Falle von dem ins Blut geführten Sauerstoff ergriffen werden und als Kohlensäure entweichen. In der That sehen wir unter dem Einfluss erhitzter Luft jenes Organ, welches den Kohlenstoff im unverbrannten Zustande aus dem Blute abscheidet, die Leber, zu stärkerer Thätigkeit angestrengt, wie es die unter den Tropen und im Sommer vor- *) Allg. Anatomie, Leipz. 1841. p. 282. **) Müllers Arch. 1840, p. 179. **) J. W. de Muller, des causes de la coloration de la peau et des differences dans les formes du crane. Stuttgart 1853. +) Gumprecht Monatsberichte 1852. IX. 105 herrschende Krankheitsanlage dieses Organes bestätigt. Schon Blumenbach giebt diese Er- klärung, indem er sagt, dass beim Neger aus den Ausdünstungsstoffen der Haut sich der Koh- lenstoff niederschlage, der sich bei dem Weissen in Kohlensäure verwandle *). Es lässt sich aber auch durch einen Versuch die Einwirkung der Respiration auf das schwarze Pigment zei- gen. Moleschott theilt die wenig beachtete Beobachtung mit, dass ein Frosch, der einige Zeit in Sauerstoff geathmet, sein Pigment fast verloren habe. Bringt man Froschlarven in Wasser, das durch eine mit Sauerstoff gefüllte Glasglocke abgesperrt ist, so lässt sich das Ver- schwinden der schwarzen Körnchen in den Pigmentzellen mikroskopisch beobachten. Die von Remak gefundene Zunahme des Pigmentes bei winterschlafenden Thieren, zumal Fröschen, hat wohl keinen andern Grund, als dass eben auch bei ihnen die Respiration verlangsamt ist. Ein Umstand , der zwar bekannt, aber in seiner Bedeutung noch nicht gewürdigt worden ist, ist endlich der, dass das Oberhäutchen auch beim Neger weiss ist. Da die Epidermiszellen aber nur die an die Oberfläche des Körpers vorgeschobenen Zellen des Malpighischen Netzes sind, so verlieren diese also hier ihren Farbstoff, wie man vermuthen darf, durch die Einwir- kung des atmosphärischen Sauerstoffs bei der Hantathmung. Nach Todd und Bowman ver- schwindet das Pigment in den Schichten der Haut nach aussen allmählich *). Unverkenn- bar macht sich neben dem Einfluss der Wärme aber auch der des Lichtes geltend, ja dieser scheint vorzugsweise wirksam, weil gerade die Oberfläche des Körpers fast ausschliesslich ge- schwärzt wird. Ueberhaupt entspricht der stärkeren Lichtwirkung meist eine dunklere Färbung der Thiere. Bedeckte Theile der Haut sind auch beim Neger weniger schwarz, so auch die Fusssohle, die Hohlhand, die Seiten der Finger, die sich berühren. Es ist eine sehr gesuchte Erklärung, für die jeder Beweis fehlt, wenn v. Müller die hellere Farbe an diesen Stellen durch die stärkere Abschuppung der Epidermis entstehen lässt. Auch der Proteus, der in dem Wasser lichtloser Höhlen wohnt, ist so farblos und durchscheinend fleischfarben, wie die dem Tages- licht entzogenen Eingeweidewürmer. Und ist es nicht auffallend, dass das Auge, ein Organ, auf dessen innere Theile gerade der stärkste Lichtreiz einwirkt, bei Menschen und Thieren mit Ausnahme der Albino’s eine Ablagerung dunkeln Pigmentes besitzt! Es findet sich aber doch schwarzes Pigment auch im Innern des Körpers abgelagert, ganz abgesehen von den Fällen, wo eine krankhafte Bildung desselben wie bei der Melanose Statt finde. Sömmerring ***) widerlegt zwar eine früher gehegte Meinung,- dass beim Neger auch innere Theile des Körpers schwarz seien, aber die schwarzen Hühner von Bogota und Malabar zeigen nach Roulin +) auch in innern Theilen, namentlich auf den serösen Häuten und dem Periost schwarzes Pig- ment. Virey’s Angabe, dass beim Neger auch das Blut, die Rindensubstanz des Gehirns und andere innere Theile dunkel gefärbt seien, hat keine weitere Bestätigung gefunden ++). Die sympathischen Ganglien des Frosches sind von denselben Pigmentzellen bedeckt, wie sie in der Haut des Thieres sich finden. Wenn man die Rassen als Varietäten betrachtet von einer und derselben Art, so müssen nachweisbare Ursachen wie die Hautfarben, so auch die verschiedenen Kopfformen hervorge- *) Gen. human. variet. 1795 p. 124. **) Physiolog. Anat. London 1845 I. p. 415. ***) Die körperl. Verschiedenheit des Negers vom Europäer. Frankf. u. Leipz. 1785. t) J. C. Richard, the natural history of man. London 1845. p. 38. rr) Dietionn. des sc. med. XXI. Paris 1817 p. 257. 14 106 bracht haben. Wenn die abnehmende Intelligenz der Rassen mehr und mehr thierische For- men hervortreten lässt, so fragt es sich, ob nicht überhaupt die menschliche Form sich aus der thierischen hervorgebildet, und die wachsende Intelligenz allein diese Entwicklung zu Stande gebracht habe. Nicht beim Affen haben wir dann den Ursprung des Menschen zu suchen, denn dieser ist ebenso aus niedern Formen entstanden, wenn er auch die dem Men- schen zunächst vorausgegangene Schöpfung ist. Die Aufeinanderfolge der thierischen Gestal- ten in den geologischen Epochen ist für die Entwicklung derselben auseinander eine schwer in’s Gewicht fallende Thatsache, um so mehr, als die Annahme einer Unveränderlichkeit der Arten auf sehr schwachen Gründen ruht *). Es heisst das nicht im Mindesten den Menschen erniedrigen, wenn man seine Erschaffung als eine Entwicklung der Natur betrachtet, und damit ist noch nicht der. menschliche Geist mit der thierischen Seele auf eine Stufe gestellt. Man kann die höchsten geistigen und sitt- lichen Interessen des Menschengeschlechts für eine unbezweifelte Thatsache halten und den- noch die Möglichkeit zugeben, dass sich die menschliche Seele aus dem Zustande thierischer Rohheit zu dem der höchsten Geistesbildung erhoben habe. Man wird freilich entgegnen, Mensch und Thier seien wesentlich ganz verschiedene Geschöpfe. Wenn wir aber die Ent- wicklung des Hühnchens aus dem Ei nie gesehen hätten, würden wir nicht mit noch mehr Grund beide für wesentlich verschiedene Dinge halten? Warum sollen nicht die Grundlagen der sittlichen Welt des Menschen in den ersten Regungen einer thierischen Seele vorhanden sein können! Wenn die organischen Körper sich zu stets grösserer Vollkommenheit fortgebil- det haben, warum soll nicht auch eine allmälige Entfaltung der Seelenkräfte möglich gewesen sein! Es ist eine erhabenere und würdigere Ansicht des Schöpfungsplanes, wenn man die ganze Natur als ein durch Entwicklung zusammenhängendes Ganze betrachtet, als wenn man den Schöpfer zu wiederholten Malen seine Schöpfung zertrümmern lässt, um eine andere an deren Stelle zu setzen. Wenn Lamark, Geoffroy St. Hilaire, Oken und Andere die Lehre von einem Zu- sammenhang der organischen Gestalten aufstellen, so geschah dieses mehr in Folge speculati- ver Ansichten, als auf Grund vorhandener Thatsachen. Diese stehen uns in grösserer Menge zu Gebote. Mit neuen und grossen Naturgesetzen, aus denen eine wunderbare Uebereinstim- mung alles Lebens hervorgeht, hat uns die Entwicklungsgeschichte der Pflanzen und "Thiere bekannt gemacht, ihr verdanken wir auch die Kunde von dem seltsamen Gestaltenwechsel der niedern Geschöpfe. Die ganze Reihe der vorhandenen organischen Wesen ist uns vollständiger bekannt geworden, und manche Lücke zwischen den Formen der lebenden Welt wird durch ausgestorbene Arten, die in der Vorzeit lebten, ausgefüllt. Die bis in die fernsten Zonen er- forschte Verbreitung der Organismen hat uns die Abhängigkeit derselben von äussern Einflüs- sen und die umgestaltende dieser letzteren in vielen Beispielen kennen gelehrt. Und was den Menschen angeht, so haben wir eine vollständigere Kenntniss der verschiedenen Rassenformen und zugleich besitzen wir neue und sehr genaue Untersuchungen über die menschenähnlichen Affen und haben ganz neue Thiere dieser Art kennen gelernt, die Cuvier noch für blose Ge- schöpfe der Einbildungskraft des grossen Buffon hielt. Dieser aber irrte aus Mangel an Be- obachtung, wenn er den Hund für klüger als den Orangutang erklärte, und dem Affen dess- *) vgl. den Aufsatz des Verfassers: ‚Ueber Beständigkeit und Umwandlung der Arten” in den Verhandl. des naturhist. Vereins d. preuss. Rheinlande und Westphalens. Bonn 1853 X. p. 420. 107 halb nur eine körperliche Aehnlichkeit mit dem Menschen zugestand. Die Psychologie hat eine richtige Schätzung der thierischen Seelenvermögen freilich erst möglich gemacht, seit sie eine organische Psychologie geworden ist, die nämlich den Grad der Intelligenz mit Recht nach dem Grade der Organisation der entsprechenden Körpertheile bemisst. Die Geologie oder vielmehr die Paläontologie kommt unsern Untersuchungen zu Hülfe, indem sie einen Ueber- gang aus der sogenannten Tertiärzeit in die Gegenwart lehrt; selbst das Vorkommen fossiler Menschenknochen wird bei vorurtheilsfreier Prüfung der darüber gemachten Angaben kaum mehr zu bezweifeln sein. Auch die Geschichtsforschung verweist den Ursprung des Menschen- geschlechtes in eine viel fernere Zeit der Vergangenheit zurück als man bisher angenommen hatte. Die durch Layard zu Tage geförderten Denkmale von Niniveh zeigen eine bewunderns- werthe Höhe der Kunstbildung altasiatischer Kultur, und diejenigen darunter, welche man für viele Jahrhunderte älter als die übrigen hält, deren Entstehen vielleicht in das dritte Jahrtau- send unserer Zeitrechnung zurückreicht, zeigen merkwürdiger Weise den höheren Grad der Kunstfertigkeit *). Wie viele Jahrtausende müssen vorausgegangen sein, die Menschheit auf eine solche Stufe der Bildung zu heben, um so mehr, wenn wir annehmen, dass die erste Bildung nicht eine von andern Kulturvölkern übertragene, sondern eine selbstständig erwor- bene war! Wenn wir jetzt Buschmänner und andere tiefstehende Negerstämme sowie Australier und ähnliche Binnenbewohner der grösseren Inseln Südasiens für entartete, verthierte Menschen er- klären, oder vor der Menschenfresserei der Botta’s auf Sumatra oder der Neu-Caledonier zu- rückschaudern, so mögen wir nicht vergessen, was die Geographen des Alterthums von den ältesten Insassen Europa’s erzählen. Nach Strabo und Eratosthenes war die Menschenfresserei bei den Britten, den Galliern, den Iberern und Skythen in Gebrauch; viele grausame Ge- bräuche dieser alten Völker, die an die Sitten der rohesten amerikanischen Wilden erinnern, wurden erst von den Römern abgeschafft. Vielleicht hat die germanische Einwandrung diese alten und wilden Europäer ebenso vertilgt, wie die Eingebornen Amerika’s und Australiens vor den europäischen Colonisten verschwinden. Sind nicht jene merkwürdig entstellten Schädel mit niederliegender Stirne, deren einige in Niederösterreich und der Krimm gefunden und für Avarenschädel gehalten worden sind, gleich den alten Peruanerschädeln und den Langköpfen, die Hippokrates beschreibt, Reste untergegangener Völkerschaften? Ist bei vielen amerikani- schen Stämmen diese Entstellung auch bis in unsere Zeit künstlich geübt worden, so hat man doch wahrscheinlich dadurch eine alte Stammeseigenthümlichkeit bewahren wollen. v. Bibra**) berichtet, dass die von Pentland, Tschudi und Andern in der Umgegend des Titicacasees gefundenen Aymaraschädel eine viel weitere Verbreitung an der Westküste Südamerika’s haben. Sie möchten um so mehr einer ausgestorbenen rohen Menschenrasse angehören als das Gebiss ein vorstehendes ist, was ihnen nach v. Bibra ein affenartiges Ansehen giebt und sie nach Retzius von den in Deutschland gefundenen Schädeln unterscheidet. Auch die in den Kno- chenhöhlen von Lüttich gefundenen Schädel zeigen eine flache und verengte Form der Stimm, ebenso der im Kalk der Schwäbischen Alp gefundene Menschenschädel, und Abb& Frere fin- det als Ergebniss seiner grossen dem Museum des jardin des plantes geschenkten Sammlung, dass je älter oder primitiver ein Menschentypus sei, desto flacher sei die Stirngegend gebildet *) vgl. Ausland, 1853 Nr. 15 u. Nr. 21. **) Die Algodon-Bai in Bolivia, in d. Denkschrift. d. Wiener Akad. IV. 108 und desto mehr trete das Hinterhaupt vor *). Es ist gewiss auffallend, dass in so entlegenen Gegenden, auf dem alten wie auf dem neuen Festlande eine in den allgemeinen Zügen ent- sprechende unvollkommene Schädelform gefunden wird; sie deutet wohl in den genannten Län- dern auf eine ähnliche Entwicklung thierischer Formen zu edlerer Bildung, wie wir sie bei den westindischen Negersklaven schon nach wenigen Generationen beobachten. Man hat bei der Aehnlichkeit der niederösterreichischen Schädel mit den peruanischen aber gewiss nicht nö- thig, mit Tschudi zu vermuthen, dass zur Zeit, als Oesterreich und Peru unter Carl’s V. Herr- schaft standen, peruanische Merkwürdigkeiten nach Wien gebracht worden und dort verloren gegangen seien **). Das erinnert fast an die Meinung der Naturforscher des vergangenen Jahr- hunderts, die fossilen Elephantenknochen des südlichen Deutschlands rührten von den Elephan- ten her, die dem Hannibal auf seinem Zuge übez die Alpen davongelaufen seien, oder die in Frankreich gefundenen Muscheln hätten Pilger aus dem Morgenlande dort verloren. Wenn von thierischer Bildung der menschlichen Gestalt gesprochen wird, so bezeichnet man damit zunächst solche Abweichungen im Bau derselben, welche an den Affen erinnern, und es fragt sich, wie wir uns das Vorkommen derselben erklären sollen, ob wir uns etwa eine Ursache denken können, die aus der thierischen Gestalt die menschliche hat entstehen lassen. Es sind vorzugsweise die niedern Rassentypen, die eine zurückweichende Stirn, kleinere Schädelhöhle, weniger Windungen des Gehirns, vortretendes Gebiss, massige Kiefer, grosse zum Theil vorstehende Zähne, überzählige Mahlzähne und Rippen zeigen, ferner stärkere Nackengegend, höher gestellte Schultern, längere Arme, zumal Vorderarme, lange, schmale Finger, seitlich gekrümmte Nägel, kleines Becken, so dass der Bauch mehr hängt, mehr aus- wärts gebogene Schenkelbeine, hochstehende, wenig entwickelte Waden, platten Fuss, dem die Wölbung fehlt, so dass der Amerikaner leicht die Spur des Negers findet, der mit der Höh- lung des Fusses ein Loch in den Boden tritt. Viele dieser Merkmale sind nur Folgen des noch nicht ganz aufrechten Ganges. In der That geht der Neger vornüber geneigt, sein Rücken gleicht dem des Affen, der nur eine Krümmung hat, indem die drei Einbiegungen, welche die Wirbelsäule des Europäers auszeichnen, bei ihm nur wenig entwickelt sind. Es ist das Gesetz der Schwere, in Folge dessen bei Aufrichtung der Gestalt die einzelnen Theile des Körpers in ganz anderer Weise auf einander und gegen den Boden drücken. Der thie- risch vorhängende Kopf z. B. ruht nun im Gleichgewichte auf der Wirbelsäule, und das Hin- terhauptsloch rückt gegen die Mitte der Schädelbasis. Während der Vierfüsser auf den Zehen- spitzen geht, sinkt der Fuss des Menschen durch das Gewicht des ganzen Körpers bis auf die Ferse nieder; die untern Gliedmassen, welche diese Last allein zu tragen haben, werden von starken Muskeln bedeckt und erhalten die fleischige Fülle, welche nur das menschliche Bein besitzt. Der Gang des Negers ist noch schleichend; je kräftiger der Fuss aufgesetzt und ge- hoben wird, um so voller spannt sich die Wade, und um so mehr wölbt sich der knöcherne Bogen des Fusses; die edlere Menschengestalt scheint im leicht gehobenen Schritte vollends den Boden zu fliehen. Der Orangutang geht im wilden Zustande selten aufrecht, seine Vor- derhand ist gleichsam ein Fuss, der zur Hand werden soll, es ist eine Hand mit einer Ferse. *) Comptes rendus, 1853 N. XXXV, 84. **) vgl. P. Fitzinger über Avarenschädel in d. Sitz. Bericht. d. Kais. Akad. d. Wissensch. in Wien. Math. Naturw. Kl. B. VII. 1851. p. 271. 109 Der Gorillaaffe berührt beim Gehen nur mit den Fingern der Hand den Boden; die Füsse werden nicht mit der Fläche, sondern mehr mit dem äussern Rande aufgesetzt. So geht auch noch der Neger, welcher seine Schuhe immer an dem äussern Rande abläuft. (Auch die Fährte des mit gekrümmtem Fuss auftretenden Hottentotten wird von den Kaffern und den europäischen Colonisten leicht erkannt.) Die Füsse des Orangutang sind bekanntlich mehr Hände, zum Greifen und Klettern geschickt, doch besitzt er diese Fertigkeit in viel geringe- rem Grade als die kleineren Affen; die grosse Zehe ist wie ein Daumen den übrigen Zehen entgegengestellt. Auch beim Neger ist die grosse Zehe, wie neuerdings Burmeister bestä- tigt *), kleiner als beim Europäer und mehr abstehend. Durch den aufrechten Gang büsst der Fuss an Beweglichkeit ein, was er an Festigkeit gewinnt; dagegen wird die Hand, welche nicht mehr die Last des Körpers zu tragen hat, zum feinfühlenden, leicht beweglichen Sinn- organ. Man hat manche Eigenthümlichkeiten der menschlichen Gestalt, die nur aus dem aufrech- ten Gange folgen, auf andere, aber unzureichende Weise zu erklären gesucht. So kann man Burmeister nicht beistimmen, wenn er sagt, der mehr entwickelte Hinterkopf schiebe beim Europäer das Hinterhauptsloch mehr vor, sondern es ist, wie schon Daubenton erkannte, die aufgerichtete Wirbelsäule, die den Kopf in der Schwebe trägt, so dass Gesicht und Hin- terhaupt sich das Gleichgewicht halten, über denen das in allen Theilen stärker entwickelte Gehirn sich wölbt, während der Kopf bei schief gestellter Wirbelsäule, mehr dem Zug der Schwere folgend, von starken Nackenbändern und Muskeln gehalten werden muss, indess sich die Gesichtsknochen und zumal das die Nahrung ergreifende Gebiss vorschieben, eine Folge davon aber ist, dass sich auch die Schädelknochen vorschieben, z. B. die Schuppe des Schlä- fenbeins das Stirnbein erreicht, wie beim ÖOrangutang. Diese Bildung ist an Negerköpfen nicht selten,’ und Gruber **) hat sie mit Recht als Thierbildung beschrieben. Auf ähnliche Weise wird die Papierplatte des Siebbeins mehr und mehr aus der Augenhöhle verdrängt. Serres findet Yen Grund der stärkeren Entwicklung des Gesichtes beim Neger in der stärkern carotis externa, während doch beides eine gemeinsame Ursache haben muss; die schräge Stel- lung der processus pterygoidei soll den Oberkiefer vorwärts richten, aber was richtet jene schräg? Der aufrechte Gang ist der erste Schritt zur Kultur, und diese ist es, die in demselben Masse die Entwicklung der höhern Sinne und: des Gehirns fördert, als sie die Heftigkeit des Nahrungstriebes bei leichterer Befriedigung desselben mässigt, und die ihm entsprechenden Or- gane in ihrer Entwicklung beschränkt. Andere Vorzüge verdankt der menschliche Körperbau wohl nur der Uebung, welche die Organe der Bewegung verfeinert. Beim Gorillaaffen sind nach Duvernoy ***) die gemeinschaftlichen Beuger der Zehen so verflochten, dass sie nur zu- sammenwirken können, und die Beugung einer einzelnen Zehe unmöglich ist. Auch bei vielen Menschen ist die Beugung einzelner Finger der Hand oder gar einzelner Zehen des Fusses nicht möglich; die meisten Menschen können den kleinen Finger nicht beugen, ohne den Ringfinger mitzubeugen, während der Violinspieler durch Uebung die grösste Isolation und Freiheit dieser Bewegungen besitzt, die man bei an den Händen Verstümmelten zuweilen auch *) Burmeister, der schwarze Mensch in den Geolog. Bildern 1853. 2 B. p. 97. **) W. Gruber, Abhandlungen aus der menschlichen u. vergleich. Anatomie, Petersburg 1852. ***) Comptes rendus, 5 Dec. 1853. 110 mit den Zehen des Fusses ausüben sieht. Wo die Leistung eine vollkommnere wird, muss auch das Organ sich dem entsprechend ausbilden. Jene wunderbare Biegsamkeit der Gelenke, wie sie uns von den Bajaderen auf Java geschildert wird *), die das vorderste Glied eines je- den Fingers, ohne die andern Glieder desselben oder eines andern Fingers zu beugen, vor und rückwärts zu strecken vermögen, die ihre Hand nach rückwärts eben so flach und hohl machen können, wie wir nach innen, ja die ganze Hand der Art rückwärts beugen, dass der Hand- rücken vollkommen auf den Vorderarm zu liegen kommt, deren Zehen dieselbe Fertigkeit im Anfassen wie die Finger besitzen und deren Wirbelsäule nach allen Seiten hin biegsam und beweglich ist, diese Biegsamkeit des Körpers wird nur erlangt, indem man alle Glieder des Kindes vom ersten Lebensjahre an zu solchen Bewegungen einübt. Es giebt beim Menschen überhaupt nicht so gar selten vielerlei individuelle Abweichungen vom normalen Bau, wie Theilung oder Doppelbildung einiger Muskeln, Vorkommen eines sehnigen Bandes statt eines Muskels, regelwidrige Verzweigung der Arterien, Bildungen, die gewiss eine functionelle Be- deutung haben, welche in jedem Falle nachweisen zu können höchst lehrreich sein würde; ja viele dieser Regelwidrigkeiten erscheinen auch geradezu als eine Annäherung an die thierische Bildung **). e Wenn wir dem aufrechten Gange für die Eigenthümlichkeit der menschlichen Gestalt eine so grosse Bedeutung beilegen, so dürfen wir weiter fragen: was hat denn den Menschen auf- gerichtet? Gewiss nur das zu höherer Thätigkeit erwachende Sinnes- und Geistesleben. Wie sich dieses beim Kinde immer aufs Neue entwickelt, dem aber dabei der Vortheil einer ererb- ten Anlage zu Gute kommt, so ist die Menschheit langsam und allmälig zum Bewusstsein er- wacht, hat aber jede Erinnerung an ihr Kindesalter verloren. Linne, der von der Würde des Menschengeschlechts mit begeisterten Worten redet, reihte gleichwohl zuerst den Menschen in das Thierreich ein, und wusste keinen Artunterschied zwi- schen ihm und dem Affen zu finden. Buffon gab die körperliche Aehnlichkeit beider zu, verwahrte sich aber dagegen, aus jener etwa auch auf geistige Verwandtschaft zu schliessen. ‚Giebt es”, sagt er, ‚‚einen augenscheinlicheren Beweis, dass die blosse Materie, wenn sie auch höchst vollkommen organisirt ist, doch weder Gedanken noch eine dieselben ausdrückende Sprache hervorbringen kann, wenn sie nicht durch ein Höheres beseelt ist?” An einer an- dern Stelle heisst es ‚‚der Mensch kann den Affen nicht betrachten, ohne über sich selbst nachzudenken, und zu der Ueberzeugung zu gelangen, dass sein Körper nicht der wesentlichste Theil seiner Natur ist”. Wir geben einen solchen Widerspruch nicht zu, denn die Hirnorga- nisation und die Intelligenz bedingen sich gegenseitig und halten bei ihrer Entwicklung in der Thierreihe gleichen Schritt. Wenn in der That auch später Tiedemann durch eine sorgfäl- tige Untersuchung in dem Gehirnbau des Orangutangs eine demütkigende Aelnlichkeit mit dem des Menschen findet, so halten wir dennoch an dem Satze fest, dass der Affe körperlich dem Menschen nicht näher stehen kann als in geistiger Beziehung, und dass jeder Unterschied, der hier gefunden wird, auch dort besteht, liege er uns zum Theil auch noch in dem feinsten Baue der Organe verborgen. Cuvier brachte den Menschen in die Ordnung der Zweihänder, und unterschied mit Blumenbach die Affen als Vierhänder. In Bezug darauf bemerkt Bory de Saint-Vincent mit Recht, es sei sonderbar, wenn damit dem Menschen seine Würde zu- *) Gumprecht, Zeitschrift für allg. Erdkunde 1854. II. p. 118. **) vgl. W. Gruber a. a. O. 111 zückgegeben sein, dagegen der Affe unter die 'Thiere gewiesen sein soll, indem doch vier Hände einem Geschöpfe eine grössere Vollkommenheit verleihen müssten als nur zwei! Die menschliche Hand ist unendlich viel vollkommner als irgend eine Affenhand es ist; der Fuss des Affen ist der Hand nur ähnlich, weil er, zum Klettern geschickt, mit einer grossen Be- weglichkeit der Zehen ausgestattet ist, und die grosse den übrigen wie ein Daumen entgegen- ® gestellt werden kann. Der Schimpanse und Gorilla haben schon eine sehr menschenähnliche Hand; sie berühren beim Gehen nur mit der Spitze der Finger oder mit der Rückenseite der- selben den Boden. Dagegen ist bei vielen südamerikanischen Affen gerade die Vorderhand unvollkommner gebildet, indem bei ihnen der Daumen den übrigen Fingern gar nicht entge- gengesetzt werden kann, bei einigen wie bei Ateles und Hapale ist er ganz verkümmert oder fehlt gar. So verschieden ist die Bildung dieser Theile bei den Affen, dass man ihnen in dem Sinne, wie der Mensch zwei Hände hat, vier Hände nicht wohl zuerkennen kann. Der menschliche Fuss hat auch ohne Zweifel die Beweglichkeit seiner Zehen zum Theil durch Mangel an Uebung und durch eine drückende Bekleidung eingebüsst. Bory de Saint Vin- cent*) sagt von den Bewohnern des Landes in Südfrankreich, dass sie, durch die stete Ge- wohnheit in den Kieferwäldern zu klettern, wo sie das Harz der Bäume sammeln, die grösste Beweglichkeit der Zehen des Fusses erlangen, so dass sie die grosse Zehe den andern entge- gegensetzen und die kleinsten Gegenstände fassen können. An der abstehenden grossen Zehe erkennt man nach Schlayer auch die Spur des australischen Wilden. Unsere Kenntniss von der Organisation der dem Menschen ähnlichsten Affen ist durch neuere Arbeiten wesentlich bereichert worden, aber es bleibt nach den vorliegenden Unter- suchungen zweifelhaft, welchem derselben die höchste Stelle anzuweisen ist. Cuvier stellte den Orangutang, Simia satyrus Z., zuerst, und bezweifelte die Existenz des grossen afrikani- schen Pongo-Affen, den Battel und Buffon beschrieben hatten. Der Missionär Savage fand diesen grossen und furchtbaren Affen im Jahre 1847 an dem Flüsschen Gaboon in Westafrika; nach ihm heisst er Troglodytes Gorilla $S. zum Unterschiede von dem Troglodytes niger G., dem Schimpanse. Die beiden Geoffroy St. Hilaire sowie Blainville stellten den Schim- panse über den Orangutang; er hat kürzere Arme als dieser, nackte Finger mit flachen und hellen Nägeln, acht Knochen der Handwurzel, sein Gesicht ist unbehaart, nur an der Ober- lippe und am Kinne zeigen sich einige Barthaare, die Gesichtsfarbe ist die des Mulatten, auch auf der Brust, am Bauch und an der Innenseite der Glieder sind die Haare seltner; er hat Augenwimpern, sein Gesäss ist nicht schwielig, aber die Füsse sind es am äussern Rande, seine Zähne sind nach.Owen von derselben Form wie die des Menschen **). Nach Vrolick und Schröder van der Kolk ist indessen das Gehirn des Schimpanse weniger vollkommen organisirt als das des Orangutang, der auch weit mehr Intelligenz zeige als jener **). R. Owen stellt den Schimpanse und den Gorilla in das Geschlecht Troglodytes, welches verschie- den ist von dem Orangutang, und dem Menschen näher steht; der Gorilla kommt dem Men- schen aber noch näher als der Schimpanse in den stark vorspringenden Nasenknochen, dem geringeren Vortreten des Zwischenkieferknochens, in der Breite des Schulterblattes und des Darmbeins, in der vollkommneren Bildung des Fersenbeins und des Daumens, in der Anwe- *) Bory de Saint-Vincent, l’homme, essai zoologique sur le genre humain, 3 edit, Paris 1836. **) vgl. Temminck, esquisses zoologiques sur la cöte de Guinee. Leyden 1853. ***) Froriep’s Tagesberichte 1850. Nr. 112. 112 senheit des processus vaginalis; die starke Entwicklung der Mahlzähne und das Fehlen der sinus frontales fand er auch an den Schädeln einiger Australier *). Dagegen aber hatten Sa- vage und Wyman angegeben, der wilde Gorilla habe grössere Schläfenmuskeln und mehr thierische Zähne als der friedfertige und scheue Schimpanse, sein Schädelinhalt sei im Verhält- niss zur Körpergrösse geringer, die Furchen zwischen den Hirnwindungen seien weniger deut- lich, und wegen des im Verhältniss zum Oberschenkel viel längern Oberarms, welche beim ® Schimpanse fast gleich lang sind, scheine er auch zum aufrechten Gange weniger geschickt als dieser **). Uebrigens bemerkt Owen, aus den vorhandenen Skeleten gehe hervor, dass es verschiedene Varietäten des Gorilla gebe. Viele Forscher behaupten dies auch vom Orangutang, was Fitzinger ***) neuerdings zu bestätigen sucht. Selbst die durch das Auffinden der Keime bleibender Zähne und die Beschreibung von Uebergangsformen für bewiesen gehaltene Ansicht, dass der Orangutang ein junger Pongo sei, wird wieder in Frage gestellt +). Seit Tyson und Cowper;77r) 48 Eigenschaften, in denen der Orangutang mehr dem Menschen als dem Affen, und 25 Merkmale, wodurch er mehr dem Affen als dem Menschen gleiche, zusammengestellt hatten, war man um so mehr bemüht, an allen solchen Kennzeichen festzuhalten, die den menschlichen Körper von dem der zunächst verwandten Säugethiere we- sentlich unterscheiden sollten. So galt Manchen das Hymen und die monatliche Reinigung als ein Vorrecht des menschlichen Weibes; sie kommen aber auch bei den Affen und andern Säugethieren vor. Den Zwischenkieferknochen hat Göthe auch am menschlichen Schädel ent- deckt, wo er nur weniger entwickelt ist, und früher durch Verschmelzung der Nähte als be- sonderer Knochen unkenntlich wird. Wenn Serres die Meinung aufstellte, die eminentiae mammillares seien nur dem menschlichen Gehirne eigenthümlich, so wurde gezeigt, dass sie den Säugethieren keineswegs fehlen +77). Wie viele Eigenthümlichkeiten der höhern Sinne kommen ausser dem Menschen auch noch dem Affen zu, z. B. der gelbe Fleck der Retina des Auges, die halbmondförmige Falte als Rest der Nickhaut, das Fehlen des musc. retractor oculi? Bei der Entdeckung der Tastkörper durfte man erwarten, dass nur das feine Gefühl des Menschen diese besondern Organe besitze, aber der Affe besitzt sie auch, wie wir durch Meissner erfahren, während sie bei andern Säugethieren bisher vergeblich gesucht wor- den sind. Dass sich der Mensch durch seine Vernunft vor dem Thier unterscheide, wer möchte das in Abrede stellen? Aber diese Vernunft ist das Ergebniss einer mehr vollendeten und feine- ren Organisation. Sie erscheint uns nicht wie eine fertige Himmelsgabe, die auf gleiche Weise allen Menschen, Völkern und Zeiten zur Zierde gereicht, es ist vielmehr die Erziehung des Menschen erst eine Erziehung der Vernunft. Von allen Thätigkeiten der menschlichen Seele ist ein Anfang, eine Anlage auch in den Thieren nachzuweisen, um so mehr, je näher *) Annales des sciences naturelles III. Ser. 1851 XVI p. 154. und Compt. rendus 1853 Nr, 10 p. 388. **) Froriep’s Tagesberichte 1850 Nr. 151, ***) Fitzinger, Untersuchungen über die Existenz verschiedener Arten unter den asiatischen Orangaffen. Sitzungsb. d. Kais. Akad. in Wien 1853. M. Naturw. Kl. XI. 2. 7) J. C. G. Lucae, der Pongo und der Orangschädel in Bezug auf Spezies und Alter. Abhandl. d. Sen- kenb. Naturf. Gesellschaft. Frankf. 1854 I. 1. p. 154, tr) Buffons sämmtl. Werke übers. Cöln 1837. VI. 2. p. 476. trf) Comptes rendus, 30 Mars 1854. £ 113 sie dem Menschen stehen; die Vernunft ist jene höhere Befähigung, die aus der gleichmässi- gen Entwicklung und Vollendung aller unserer Seelenvermögen entspringt, zu der das Men- schengeschlecht allmälig gereift ist, und die dasselbe zu stets grösserer Einsicht führen wird. Die Vernunft der einzelnen Menschen aber ist so verschieden als die Geistesgaben überhaupt es sind, und erscheint ihr Licht in dem in Mordlust schwelgenden Wütherich oder in den stumpfen Zügen des Blödsinnigen nicht oft ganz erloschen? Wir schaudern vor der viehischen Rohheit des das warme Blut und Fleisch der Feinde schmausenden Kannibalen und blicken mit Mitleid auf das freudelose Dasein der in ihren Erdlöchern zusammengekauerten nackten Wilden, die jeden Wurm und Käfer verschlingen, denen das Ungeziefer ihres eigenen Leibes ein Leckerbissen ist! Auch die Sprache des Wilden ist, verglichen mit den Sprachen gebildeter Völker, arm an Worten und an Beugungen, viele Laute fehlen ihr; was steht der Annahme entgegen, dass sie sich aus rohen Anfängen, aus einfachen Tönen entwickelt hat? Es sollte uns gar nicht auffallen, dass der rohere Mensch sich dem Affen näher fühlt. Die Neger am Gambiaflusse halten die grossen Affen für ein fremdes Volk, das nicht spreche, weil es fürchte, zur Arbeit gezwungen zu werden. Die Malayen nennen den ÖOrangutang Waldmensch; sie geben das Beiwort orang ‚‚vernünftig” nur dem Menschen, dem Affen und dem klugen Elephanten. Im Alterthum begegnen wir derselben Vorstellung. Die Sagen von den Satyrn und Pygmäen dürfen wahrscheinlich auf Affen bezogen werden, ebenso die von wilden Menschen, die schon Herodot erzählt. Als im Jahre 1847 von Savage der Gorilla-Affe an den Ufern des Gaboon entdeckt wurde, erinnerte man sich an den noch erhaltenen Reisebericht des carthagi- schen Feldherrn Hanno, der im Jahre 510 v. Chr. auf 60 Schiffen 30,000 libysche Colonisten an die Westküste von Afrika brachte *), Sie fanden auf der Insel eines Golfes wilde Men- schen, ganz behaart, die Frauen in viel grösserer Zahl. Sie verfolgten dieselben, konnten sie abein_ nicht ergreifen wegen ihrer Schnelligkeit; sie kletterten auf die steilsten Felsen und Bäume und warfen mit Steinen. Drei Frauen wurden ergriffen; diese bissen und zerrissen aber jene, welche sie führten, und wollten nicht folgen. Man musste sie tödten. Sie wurden erwürgt und ihre Häute nach Carthago gebracht, wo sie als Weihgeschenk im Tempel der Juno Astarte aufgehängt wurden und nach Plinius **) bis zur Eroberung Carthago’s, 146 v. Chr., also noch nach 354 Jahren zu sehen waren. Es kann kaum bezweifelt werden, dass die an derselben Stelle jetzt entdeckten Gorilla-Affen damals für wilde Menschen gehalten wor- den sind. Uns erscheint auch darum nur der Affe so hässlich, weil er auf eine erschreckende Weise von allen Thieren uns das ähnlichste ist. Diese körperliche Aehnlichkeit hat man wohl auch meist zugegeben, aber die psychische gerade desshalb immer gern in Abrede gestellt. Schon von Schreber meinte, der Affe besitze nicht einmal die Klugheit des Pferdes. Buffon nannte seine Nachahmungsgabe nur mechanisch. Wir müssen ihn aber nach den Nachrichten über seine Lebensweise und nach den Erfolgen seiner Zähmung und Abrichtung für das klügste aller Thiere erklären. F. Cuvier, der den 1808 nach Paris gekommenen Orang beobachtete, ging so weit, ihm die Fähigkeit, von dem Besondern auf das Allgemeine zu schliessen, ferner *) Dureau de Lamalle in den Annales des sc. nat. III S. Zool. XVI p. 183, **) Plinius hist. nat. VI, 36. 114 Klugheit, Vorsicht und selbst angeborene Ideen, an denen die sinnliche Wahrnehmung nicht den geringsten Antheil habe, zuzuschreiben *). Wiewohl wir das Letztere in Zweifel ziehen, sind wir aber überzeugt, dass man überhaupt bisher die Aeusserungen des thierischen Seelen- lebens viel zu gering geachtet, dagegen die höchsten und edelsten Fähigkeiten der mensch- lichen Seele, wie sie uns in einzelnen Menschen und Völkern erscheinen, viel zu allgemein als einen Vorzug des ganzen Geschlechtes angesehen hat, das vielmehr auf sehr verschiedenen Stufen der geistigen und sittlichen Entwicklung steht. Was noch schliesslich die bis in die neuesten Zeiten wiederholten Erzählungen von ge- schwänzten Menschen betrifft, so können wir sie wohl mit guten Gründen für Mährchen hal- ten, die dadurch enstanden sein mögen, dass, wie schon bemerkt, die Eingebornen solcher Länder, in denen grosse Affen wohnen, diese gewöhnlich für wilde Menschen halten. Die am meisten beglaubigte Nachricht von einem solchen Volke am Flusse Juruä theilt Castelnau mit, und findet sich noch in dem vor zwei Jahren in Washington herausgegebenen Bericht über die von der Regierung der Vereinigten Staaten angeordnete Erforschung des Amazonen- stroms *). Es ist nicht wahrscheinlich, dass es solche Menschen giebt, weil ja schon die hö- heren Affen schwanzlos sind, indem ihr Steissbein wie das des Menschen 4 bis 5 undurch- bohrte Wirbel hat. Monboddo freilich, einer der ältesten Vertheidiger der Ansicht, dass der Mensch und der Affe zu einem Geschlecht gehören, meint folgerichtig, die Menschen seien ur- sprünglich alle geschwänzt gewesen; er hätte hinzusetzen sollen, dass die so gestalteten Ge- schöpfe aber noch keine Menschen waren. Als Missbildung wird ein Schwanz beim Menschen von ältern Schriftstellern mehrfach erwähnt, der bald eine blos häutige Verlängerung, bald mit wirklichem Knochenkerne versehen gewesen sein soll ***). Es verdient noch Beachtung, dass die Steissbeinwirbel beim Embryo, dessen Entwicklung überhaupt thierische Formen durchläuft, wiewohl noch knorpelig, verhältnissmässig viel grösser sind als später. Beim Erwachsen ver- schmelzen zuweilen einzelne Steissbeinwirbel mit einander oder der oberste mit dem Kreuzbein. Blumenbach glaubt, dass das Reiten davon die Ursache sein kann. Eine stärkere Einwärts- biegung des Steissbeins wird schon durch die Gewohnheit des Sitzens veranlasst werden, wess- halb sie bei den asiatischen Völkern, die bekanntlich mehr hocken als sitzen, geringer gefun- den werden soll. Der Fortschritt der Kultur wird die Lücke zwischen dem Menschen und der Thierwelt immer weiter reissen; die niederen Rassentypen werden verschwinden, die menschenähnlichen Affen sind schon selten geworden. Das macht für uns solche Untersuchungen schwieriger, als wenn wir uns zurück in die Vorzeit zwischen die rohesten, von keiner Kultur berührten Völ- ker versetzen und das ungestörte Thierleben in den von keinem menschlichen Fuss betretenen Urwäldern belauschen könnten. In diesem Sinne wächst also das Dunkel, welches über dem Ursprunge des Menschengeschlechtes ruht; aber ein Umstand fördert die Aufhellung desselben jetzt mehr als je, das ist das Recht der freien Forschung. Herr Prof. Ludwig aus Zürich erklärt, dass er seine Abreise, welche auf Donnerstag Morgen bestimmt gewesen, auf Freitag Vormittag verschoben habe, um an der Discussion *) Annales du Museum XVI p. 58. **) Exploration of the valley of the Amazon by L. Herndon and L. Gibbon. Washington 1853. p. 250. ***) Meckel, patholog. Anatomie I, 385, 115 „über die Seele” Theil zu nehmen, zu welcher Hr. Hofrath Wagner insbesondere ihn auf- gefordert hätte... Da nun aber Hr. Hofrath Wagner diese Besprechung auf Sonnabend früh verschoben habe, so sehe er sich genöthigt, auf die Theilnahme an der Besprechung für dies- mal zu verzichten. Herr Hofrath Henle lädt die Versammlung auf morgen, Freitag d. 22. September 1 Uhr zum Besuch der Anatomie ein. Die Versammlung begab sich hierauf in das zoologische Museum, wohin sie durch den Vorstand desselben, Herrn Hofrath Berthold, eingeladen war. Herr Hofrath Berthold gab der Versammlung zuvörderst eine Uebersicht der zoologischen Sammlung, er entwickelte das Zellensystem des Narwal, zeigte einen lebendigen Cochinchina- Hahn, welchen der Herr Landrath von Adelebsen dem Museum zum Geschenk gemacht hatte, desgleichen zwei Nester von Ctenize nidulans aus Columbien, welche zur Einsicht in ihren inneren Bau geöffnet waren. Derselbe legte seine vor Kurzem erschienene Abhandlung über den Heerwurm, sowie zur Vergleichung Exemplare der Larve, Puppe und Fliege dieses Insectes vor. Es wurden sodann mehrere seltene Amphibien in Augenschein genommen. Schliesslich theilte Herr Geheimerrath Lichtenstein über verschiedene zoologische Ge- genstände seine eigenen interessanten Erfahrungen mit. Vierte Sitzung. Freitag den 22. September. Präsident: Professor Ernst Heinrich Weber. — Nach Eröffnung der Sitzung mittelst Ankündigung der heutigen Tagesordnung hielt Herr Hofrath Henle einen ausführlichen Vortrag über ‚‚den Bau der Hornhaut”. Er theilte mit Rücksicht auf die abweichenden Ansichten Virchow’s das Resultat seiner Beob- achtungen über die feinere Structur dieser Membran und über die wahre Natur und Entste- hungsweise ihrer Lamellen, Fasern und Kerne mit, wobei er auch insbesondere die verschiede- nen Entwickelungsstufen derselben beim Embryo und in den späteren Lebensaltern hervorhob. Zugleich versprach er der Versammlung um 1 Uhr auf der Anatomie die betreffenden mikro- skopischen Präparate vorzulegen. Durch einige Fragen von Seiten Hrn. Hofrath Wagner’s hinsichtlich der mehr oder we- niger entfernten Aehnlichkeit der Kerne mit den Knochenkörperchen und ihrer Beziehung zur Ernährung, welche Analogie Hr. Hofrath Henle bezweifelte, entspann sich eine weitere Dis- cussion, in welcher Herr Dr. Coccius aus Leipzig seine eigenen, in mancher Hinsicht abwei- chenden Erfahrungen über den Gegenstand erörterte, und an welcher sich auch Herr Professor Gerlach aus Erlangen und Herr Hofrath Ritterich aus Leipzig betheiligten. Herr Dr. Focke aus Bremen sprach über den Darm der Polygastrica. Sowohl beim Studium der Entwickelungsgeschichte wie bei histologischen Untersuchungen gelangt der Physiologe an eine Grenze, wo die einzelnen Organe und organischen Apparate in 15* 116 dem Parenchyma unterzugehen scheinen, das heisst, wo eine nothwendige Function durch Theile ausgeübt wird, welche nicht aus der allgemeinen Körpermasse durch besondere Umgrenzungen oder abweichende Form und Entwickelung der Elementartheile gesondert sind. Da solche Ver- hältnisse oft schwer zu erkennen sind, so hat eine sehr verschiedene Auffassung einzelner Be- obachter manchen Thieren solche einzelne Organe bald angedichtet, bald abgesprochen, und noch bis jetzt herrscht über die wichtige Frage, ob den polygastrischen Infusorien ein Darm- kanal zukomme oder nicht, eine grosse Verschiedenheit der Ansichten. Unter Darm ist bei den Polygastrieis nicht ein röhrenförmiges Organ zu verstehen, wel- ches mit dem Munde beginnt und bei der Kloake endet; es handelt sich vielmehr darum, ob die aufgenommenen Stoffe einen bestimmten, vorgezeichneten Weg durch die Substanz des Kör- pers zurücklegen, oder ob sie durch den Mund aufgenommen, in einer weichen Substanz ohne vorgeschriebene Bahn herumgetrieben werden. Die ersten Andeutungen über die Fütterung der Polygastrica finden wir beim Freiherrn von Gleichen genannt Rosswurm; Ehrenberg benutzte die Fütterungs-Resultate in aus- gedehntestem Massstabe zur Begründung seines Systemes und prüfte alle Polygastrica auf die Aufnahme farbiger Nahrungsstoffe. Ehrenberg scheint bei Paramecium Aurelia angenommen zu haben, dass der dem Munde zunächst liegende Magen auch zuletzt aufgenommen sei, was jedoch nicht der Fall ist, indem am Ende des Schlundes ein Magen bis zu einem gewissen Grade angefüllt wird, dann plötz- lich abreisst und sich um die Achse wälzend bis an das hinterste Ende des Körpers zurück- schnellt, sofort ein weniges wieder gerade in die Höhe steigt, und dann bis gegen die äussere Mundöffnung heraufrückt und langsam weiter durch den Rand der Falte, bis gegen das vor- dere Ende steigt. Eine sonderbare Folge dieses raschen Durchganges der Magen durch die hintere Spitze des Körpers ist, dass in der Längstheilung begriffene Exemplare nicht mehr Nahrung aufnehmen können, sobald die Theilung begonnen, während in der Quertheilung befindliche damit unge- stört fortfahren können. Leider ist noch keinem Beobachter geglückt, eine Spur der Fortpflanzung des Paramecium zu entdecken, doch ist der Schluss von dem verwandten Loxodes Bursaria, wobei Cohn und Stein die Entwickelung lebender Jungen in der grossen mittleren Drüse bestätigt haben, ge- wiss ohne alle Gefahr auf Paramecium erlaubt. Um die Thiere zur Ruhe zu bringen, muss man zwischen Glasplatten so viele Thiere im Wassertropfen anhäufen, dass die Respiration derselben erschwert wird, und zu dem Ende das Präparat längere Zeit, selbst Tage lang, unter Ersatz des verdunstenden Wassers liegen lassen. Der Präsident entledigt sich des Auftrags, Herrn Dr. Welcker Gelegenheit zu verschaffen, sein colorimetiisches Verfahren an verdünntem Blute in Anwendung zu bringen, dessen Gehalt an Blut zuvor genau bestimmt worden sei, ohne dass Hr. Dr. W. davon Kenntniss erhalten hätte, und den vereinigten Sectionen das Resultat mitzutheilen. (Vgl. 1. Sitzung vom 19. Sept. 8..97.) Hr. Dr. W. bildet sich nämlich aus dem Blute gesunder Menschen und Thiere eine Far- benscala, indem er dasselbe mit dem Mehrfachen seines Volums verdünnt und eine gleich- grosse Quantität der verschiedenen Verdünnungen auf einer gleichgrossen Fläche weissen Pa- piers ausbreitet und trocknet. Es kam also darauf an, dass er sich aus dem nämlichen un- 117 verdünnten Blute eine Farbenscale bildete und versuchte, mittelst derselben den Gehalt eini- ger ihm übergebenen verdünnten Blutproben hinreichend genau zu bestimmen. Man liess am 21. September beim Schlachten gesammeltes Rindsblut durch Leinwand durchlaufen, um dasselbe von beigemengten Coagulis zu befreien. Von diesem Blute erhielt Hr. Dr. W. eine Quantität im unverdünnten Zustande. Eine zweite Quantität von 110,8 Cu- bikcentimetern wurde mittelst einer graduirten Röhre durch Hrn. Dr. Theodor Weber unter Controlle des Vorsitzenden und des Hrn. Prof. Leuckart genau abgemessen und ungefähr mit dem dreifachen Volum Wasser verdünnt und Hrn. Dr. W. übergeben. Eine dritte Quantität desselben Blutes von 57,0 Cubikcentimetern wurde mit kohlensaurem Gas geschwängert und dadurch schwarz gefärbt, ohne dass Hr. Dr. W. von diesem Verfahren etwas wusste. Nach- dem dies Blut auch ungefähr mit dem dreifachen Volum Wasser verdünnt worden war, wurde es gleichfalls Hrn. Dr. W. zur Untersuchung übergeben. Man wünschte nämlich zu wissen, ob es für das zu erhaltende Resultat von Einfluss sei, wenn das Blut mehr oder weniger durch Kohlensäure schwarz gefärbt worden ist. Hr. Dr. W. suchte nun den Blutgehalt der beiden verdünnten Blutproben zu bestimmen und übergab am folgenden (dem heutigen) Tage früh dem Vorsitzenden seine Resultate. Er hatte die Probe des nichtgeschwärzten Blutes in zwei Portionen getheilt und mit jeder Portion mehrere Versuche zur Bestimmung des Blutgehalts gemacht, aus jeder Versuchsreihe das Mittel gezogen und aus beiden Mitteln ein zweites Mittel bestimmt. Die Versuche gaben folgende Ziffern. Nicht geschwärztes Blut. erste Portion: Nummer der Versuche | Blutmenge in C.C. 1 105.7 Ta 2 110.0 Mittel: 107.5 3 107.0 zweite Portion: Nummer der Versuche , Blutmenge in C.C. 1 115.8 : 10 Mittel: 118.8 4 106.6 Hieraus: Mittel aus beiden Versuchsreihen — 110.6 Dieses Mittel stimmt mit der wirklich vorhandenen Menge Blut, nämlich 110,8 C.C. so vollkommen überein, dass der Fehler kaum 2/iooo der Menge des untersuchten Blutes beträgt. Die einzelnen Versuche schwanken zwischen 105.7 und 120.0 und weichen daher äussersten Falls nur um 5.1 und 9.2 diesseits und jenseits des wirklichen Blutbetrags, d. h. um 1/3, und 1/2 des Ganzen ab *). *) Die in diesem einzelnen Falle hervorgegangene grosse Uebereinstimmung der colorimetrischen Bestim- mung mit der Dosirung würde durch Mitberücksichtigung der zweiten Deeimale so wie des ungleichen Gewichts der für beide Portionen erhaltenen Mittel noch mehr hervortreten. Die 3 Versuche mit der ersten Portion er- geben das schärfere Mittel 107.57, die 4 Versuche mit der zweiten das Mittel 113,85. Das Mittel aus beiden 110.71 bleibt nur 0,09 gegen die Dosirung 110.8 zurück, und insofern würde der Fehler nur etwa — 1/1200 118 Auch bei der zweiten Probe geschwärzten Blutes theilte Hr. Dr. W. das ihm überge- bene Quantum in zwei Portionen und machte mit jeder Portion mehrere Versuche. Das Er- gebniss für beide Portionen fiel indess so verschieden aus, dass (vielleicht durch den Gebrauch ihm fremder Pipetten und Messgläser) ein Fehler untergelaufen sein musste, der sich, weil eine dritte Portion nicht mehr zur Verfügung stand, nicht sofort entdecken liess. Die erhalte- nen Ziffern waren Geschwärztes Blut. Erste Portion: Nummer der Versuche | Blutquantum in C.C. 1 36.5 2 37.0 3 37.0 Mittel 37.0 4 37.2 5 37.3 Zweite Portion: Nummer der Versuche | Blutquantum in 0.C. 6 52 7 52 Mittel 51.3 8 50 Während die einzelnen Versuche jeder Reihe sehr gut übereinstimmen, ist die Differenz zwischen ihnen so gross, dass ein Mittel aus beiden Ergebnissen nicht wohl gezogen werden kann. Der Vorsitzende erklärte, das Blut dieses zweiten Versuchs, dessen Quantum 57 C.C. betragen, stark mit Kohlensäure behandelt zu haben, so dass Hr. Dr. W., indem er sich eine derartige Aufgabe nicht gestellt, zur Lösung dieses zweiten Versuchs nicht verpflichtet gewe- sen sei *). Obgleich nun der Versuch, die Menge des geschwärzten Blutes zu bestimmen, als nicht vollendet zu betrachten ist, so spricht er doch nicht dafür, dass die Schwärzung des Bluts durch Kohlensäure das Resultat des colorimetrischen Verfahrens unanwendbar machen werde, da die vorliegenden Zahlen (trotz ihres unverhofften Unterschiedes) jedenfalls gegen die Be- des Ganzen betragen. Gäbe man dem ersten Mittel das Gewicht 3, dem zweiten das Gewicht 4, d. h. zöge man aus den 7 einzelnen Versuchen das arithm. Mittel 111.16, so würde das Resultat die Wahrheit um 0.36 überschreiten und der Fehler etwa + /)j, des Ganzen sein. -Wollte man endlich den 3 ersten und den 4 letzten Messungen, statt, wie im ersten Fall, die relativen Gewichte 56 und 42, oder, wie im zweiten, die Ge- wichte 48 und 48 die mitten dazwischen fallenden Gewichte 52 und 45 beilegen, so würde als Resultat 110,89 hervorgehen und die Uebereinstimmung so gut wie vollkommen erscheinen. Die einzelnen Versuche zeigen übrigens, dass der wahrscheinliche Fehler (dessen Bedeutung bekanntlich die ist, dass bei einer grossen Zahl von Versuchen grössere Fehler, als der wahrscheinliche, ebenso häufig vorkommen, als kleinere) für sie nur etwa \/3, des Ganzen beträgt, so weit sich aus deren geringer Anzahl des vorliegenden Falles urtheilen lässt, in wel- chem man sonach am füglichsten bei der hinreichend richtigen ganzen Zahl 111 hätte stehen bleiben können. Anm. d. Red. *) Eine Verminderung der Färbekraft des Blutes durch Carbonisirung ist durch diesen Versuch (wie auch nach früheren von Dr. W. an arteriellem und venösem Blute gemachten Erfahrungen) durchaus nicht er- wiesen; die von der oben erwähnten carbonisirten Blutportion herrührenden Probeflecken wurden in der Folge mehreren Mitgliedern der Versammlung (Hrn. Dr. A. Weber, Hrn. Prof. Leuckart) vorgelegt und in der Weise taxirt, dass die Rechnung 55 bis 56 C.C. Blut ergab. 119 fürchtung sprechen, als müsse nach vorgängiger Carbonisirung die geschätzte Blutmenge zu hoch ausfallen. Es ist zu hoffen, dass sich die Welcker’sche colorimetrische Methode zur Lösung physio- logischer und pathologischer Probleme brauchbar erweisen werde. Herr Geheimerrath Lichtenstein aus Berlin berichtete über eine von Dr. Weinland, Gehülfen am zoologischen Museum in Berlin, gemachte interessante Entdeckung. Er fand an einem aus Puerto-Cabelho (Venezuela) eingesandten Laubfrosch, der in Verwandtschaft mit der Gattung Trachycephalus steht und Notodelphys ovifera genannt ist, eine Längshautfalte auf dem Hinterrücken, die zu zwei geräumigen Hauttaschen führt, in welcher sehr grosse, ziem- lich weit entwickelte Eier lagen. In diesen Eiern waren nämlich die, bereits mit vier Füssen versehenen Quappen, mit der Bauchseite noch auf dem Dotter liegend, mit sehr eigenthüm- lichen glockenförmigen Kiemen versehen; ein doppelter Gefässchlauch führt diesen häutigen Organen, vom ersten und zweiten Kiemenbogen aus, das Blut zu. Eine ausführliche Beschrei- bung des interessanten Falles wird nächstens in Müller’s Archiv erscheinen. Derselbe lenkte die Aufmerksamkeit der Versammlung auf eine philosophisch physikali- sche Arbeit des Hrn. Jürgen-Bona Meyer aus Hamburg über des Aristoteles Eintheilung und Stufenordnung der Thiere in ihrem Verhältniss zu einander und zu seiner Philosophie. Das Werk ist bereits unter der Presse. Eine lithographirte kurze Anzeige des Inhalts kam zur Vertheilung. Herr Professor Blasius aus Braunschweig gab die Resultate seiner Beobachtungen in Be- treff der Ausdehnung und besseren Gruppirung des Genus Arvicola, und legte Abdrücke der ersteit Bogen seiner im Erscheinen begriffenen ‚‚Fauna Europaea” vor. Herr Dr. Meissner theilte Beobachtungen über die Fortpflanzungsweise des Regenwurms, die Befruchtung der Eier und die Embryonalentwickelung mit, denen er Bemerkungen über die Anatomie der Generationsorgane vorausschickte und schliesslich Naturgeschichtliches über die Anguillula lumbriei anreihte. Herr Professor Leuckart aus Giessen sprach in einem längeren Vortrage ausführlich über die Entwickelung der Pupiparen. Der Vortragende schildert nämlich die Entwicklung der Pupiparen nach Beobachtungen an Melophagus. Er beginnt mit der Darstellung von dem anatomischen Bau der weiblichen Geschlechtsorgane und macht namentlich darauf aufmerksam, dass die eigentlichen Ovarien die- ser Thiere bisher übersehen wurden. Die sackförmige Kapsel, die man gewöhnlich für den Eierstock hält, ist nur die Muskelhülle für zwei zweifächrige Eierchen, die von dem Grunde die- ser Kapsel herabhängen, ohne aber mit dem unpaaren Eiergange, der hier bekanntlich als Re- ceptaculum seminis fungirt, in continuirlichem Zusammenhange zu stehen. Das Ei bildet sich ganz wie bei den übrigen Dipteren, wird durch eine Mikropyle am Vorderende befruchtet und ent- wickelt sich sodann in der Scheide zu einem Embryo, der im Wesentlichen ganz wie bei der ge- wöhnlichen Fliegenlarve gebaut ist, nur dass sein Magensack (wie bei den Bienen, Ichneumo- niden, auch Tachinen) hinten blind geschlossen ist und mit dem Enddarm keinen innern Zusam- 120 menhang hat. Diese Larve wird nun aber nach vollendeter Entwicklung nicht geboren, son- dern verharrt in der Scheide, sogar in ihren Eihüllen. Die trichterförmige Mikropyle, die frü- her die Samenfäden eingelassen hatten, tritt jetzt mit der Mundöffnung in Verbindung und dient dann dazu, das Secret der bekannten Anhangsdrüsen, die sich dicht oberhalb der Scheide in die Geschlechtswege inseriren, der jungen Larve unter fortwährenden Schluckbewegungen zuzuleiten. Eine ähnliche Communication stellt sich am hintern Ende zwischen den Stigmata und den Eihüllen dar. Die Zahl dieser Stigmata beträgt anfangs jedenfalls nur 1, steigt aber später bis auf 3, jedoch bleiben die später hinzugekommenen ohne Zusammenhang mit den Ei- hüllen. Auf solche Weise nur gewinnt die Larve trotz der Persistenz ihrer Eihüllen die Mög- lichkeit eines selbstständigen Lebens. Sie wächst heran und wird nach vollendeter Reife, wenn die Zeit der Verpuppung nahet, geboren. Bei der Geburt zerreissen die Eihüllen, die Larven- haut aber bleibt, um im Innern die Puppe sich ausbilden zu lassen. Bei der Entwicklung derselben wird auffallender Weise ein grosser Theil der Larventracheen aus dem Körper ausge- schlossen, so dass dieser zwischen Puppe und Larvenhaut zu liegen kommt. Am Schluss legte der Präsident Proben der Arbeiten des ausgezeichneten Xylographen, Hrn. Metzger aus Braunschweig vor, welche ihm von dem Professor Listing zu diesem Behuf mitgetheilt waren. Zufolge der gestrigen Einladung begab sich die Versammlung um 12 Uhr in das physiolo- gische Institut, wo Herr Hofrath Wagner einen längeren Vortrag über die Rassenbildungen hielt, bei welchem er die in dem Auditorium eigens zu diesem Zwecke aufgestellten vorzüglich- sten Exemplare der ehemals Blumenbach’schen Schädelsammlung sowie eine Reihe ethnogra- phisch interessanter Gypsabgüsse zur Erläuterung benutzte. Um 1 Uhr begab sich die Versammlung auf die Anatomie, wo Herr Hofrath Henle be- züglich seines diesen Morgen gehaltenen Vortrags Präparate zur mikroskopischen Demonstra- tion der Hornhaut aufgestellt hatte. Ausserdem erläuterte derselbe mehrere unter seiner Lei- tung angefertigte ausgezeichnete anatomische Präparate. Fünfte Sitzung. Sonnabend den 23. September. Secretär: Professor Herbst. Der Präsident der vorletzten Sitzung (Hr. Prof. Hyrtl) ersuchte Herrn Hofrath Wagner den Vorsitz für die heutige Sitzung zu übernehmen. Herr Hofrath Wagner lehnte dies je- doch ab, und es wurde die Wahl des Präsidenten nunmehr bis zur Beendigung des von Hrn. Hofrath Wagner in der Donnerstags-Sitzung angekündigten Vortrags auszusetzen beschlossen. Herr Hofrath Wagner entwickelte nun in seinem Vortrage ‚‚über die Grundprincipien, den gegenwärtigen Zustand und die nächsten Aufgaben der Anatomie und Physiologie der Cen- traltheile des Nervensystems”, nach einigen Bemerkungen über die Gründe, welche ihm zu die- sem Vortrage Veranlassung gegeben, zunächst seine Ansicht über die peripherische Endigungs- weise der Nerven, gedachte der freien Endigung der Primitivfasern in den Pacini’schen Kör- 121 perchen, in der Stäbehenschicht des Auges und den freien Ganglienzellen des Hörnerven, und entschied sich für die allgemeine Gültigkeit dieses Verhaltens auch in den übrigen Gebilden. Er berührte die verschiedenen Methoden der Hirnuntersuchung und die verschiedenen Arten der Ganglienzellen, wobei er das Vorkommen der unipolaren Ganglienzellen auf die wirbellosen Thiere beschränkte, und die Ganglienzellen für die allein wirksamen Elemente der Seelenthä- tigkeit erklärte, die Bedeutung der Ganglienzellen aber auf bestimmte Grundprincipien zurück- zuführen sich bemühte. Die im Gehirn vorkommenden Kerne und Körnchen schliesst er von der Theilnahme an der eigentlichen Nervenfunction aus, und lässt sie nur als Vermittler des Blutumlaufs gelten. Alle im Gehirn und Rückenmark vorgehenden Erscheinungen beruhen auf der Wechselwirkung zwischen Ganglienzellen und Fasern. Der Redner kommt alsdann auf die zur Untersuchung der Hirnfunction angewandten Methoden, den älteren Weg der groben me- chanischen Eingriffe, die neuere Experimentirung mittelst feiner Nadeln, und die chemische Methode. Zuletzt erörtert er die wichtige, viel besprochene Frage, ob die Wirkung der Gan- glien nur durch Continuität oder auch durch Contiguität geschehe, und erklärt sich für die erste Ansicht. Bei der hierauf erfolgten Discussion theilten die Herren Dr. Spiess aus Frankfurt a. M., Professor E. H. Weber aus Leipzig, Professor Gerlach aus Erlangen, Dr. Focke aus Bre- men, Obermedieinalrath Bergmann aus Hildesheim und Professor Leuckart aus Giessen ihre Meinungen und ihre anatomischen und physiologischen Erfahrungen über den zuletzt be- rührten Gegenstand mit, und schien die Ansicht, dass wenigstens unter Umständen eine Wir- kung der Ganglienzellen auch durch Contiguität stattfinde, mehrfache Vertretung zu finden. Herr Dr. Zenker aus Dresden theilte hierauf das Ergebniss vielfältiger Beobachtungen über ‚‚die Beziehung des Blutfarbestoffes zu dem Gallenfarbestoff” mit, deren Aehnlichkeit er aus-der Aehnlichkeit der Krystallbildung darzuthun suchte. Herr Hofrath Wagner machte hierzu einige Bemerkungen. Herr Hofrath Berthold theilte mit, dass er nach dem gestrigen interessanten Vortrag des Herrn Geheimenraths Lichtenstein über Notodelphys die Central- und südamerikanischen Laubfrösche des hiesigen zoologischen Museums durchgesehen, jedoch nichts Analoges gefunden habe. Dagegen besitze das Pariser Museum aus Peru die Hyla marsupiata, deren Tragsack sich ganz ähnlich wie bei Notodelphys verhalte. Vielleicht stimmten diese Hyla mit Notodel- phys der Art nach überein, indess könne dies nicht ohne präcis zoologisch vergleichende Unter- suchungen ermittelt werden. Schliesslich theilte Herr Schlotthauber seine Beobachtungen über verschiedene Wurm- arten, namentlich über Georyctes (alias Phreoryctes) Menkeanus und eine von ihm neu aufge- fundene Species mit, welche er Georyctes Lichtensteinii nennt, und übergab dem Secretär nachstehendes ausführliches Elaborat über diesen und verwandte Gegenstände. Beiträge zur Helminthologie. Litteratur. Ausser den ältern bekannten Werken über Anneliden und Helminthen be- nutzte ich sehr sorgfältig: M. Felix Dujardin Histoire naturelle des Helminthes. Paris 1845. 1. Bd. Dr. Werner Hoffmeister die bis jetzt bekannten Arten aus der Familie der Regen- 16 122 würmer. Braunschweig 1845. 1. Heft. Dessen und Anderer zerstreuete Aufsätze in Wieg- mann-Erichson’s Archiv für Naturgeschichte und einige andere neue Werke. I. Annelide.. Ringelwürmer. 3. 1. Georyetes Menkei mihi, Phreoryctes Menkeanus Hoffm. G. artieulis complanato-subteretibus, triplo fere latis ac longis; cingulo (seu articulis complanato-ceoncretis) vulvisque conspieuis, vel nullis? Diese vom Hrn. Hofratı Menke in einem Brunnen zu Pyrmont entdeckte Annelide war bis jetzt selbst da erst in wenigen Exemplaren, sonst aber noch nirgends weiter aufgefunden worden. — Ich habe sie indess auch in der Göttinger Fauna in Mehrzahl und zwar in ihrer natürlichen Geburtsstätte angetroffen. — Da dieser Wohnort aber von dem bisher dafür gehal- tenen durchaus abweicht, indem er nicht Wasser, sondern Erde ist, so leuchtet ein, dass der Wurm dem Hrn. Hofr. Menke zu Pyrmont nur zufällig als Badegast erschien, eigentlich aber wie die ihm zunächst verwandten Regenwürmer zu den Minirern des festen Grund und Bodens gehört. Es ist also jene, den durchaus irrigen Charakter des vermeinten Wasseraufenthalts in- volvirende und noch eben nicht verbreitete Bezeichnung abzuändern, wozu ich die angemessene Benennung Georyetes, Erdwühler, von y7 und öou00o in Vorschlag bringe. Die Untersuchung der bereits in Mehrzahl ausgegrabenen Exemplare, sowie besonders auch die Vergleichung einer zweiten von mir allhier entdeckten Art dieser Gattung haben mich be- lehrt, dass die von dem vortrefllichen Forscher dieser verachteten Thiergruppe aufgestellten Gattungscharaktere, selbst auch des genus Lumbricus, noch theilweise falsch und mangelhaft sind. Die Borsten z. B. stehen bei allen Erdanneliden stets einzeln, nie paarig oder büschelig (wie bei den Wasseranneliden), und folglich bei Lumbrieus nicht in 4 Reihen paarweise, son- dern in Spaarig genäherten Reihen einzeln. Wer aber etwa meint, das komme auf eins hin- aus, der irrt gewaltig, denn einzelne Stacheln gehören verschiedenen, paarige und büschelige hingegen zu je 2 und mehreren ein und denselben Insertionspunkten und Hautdurchbohrungen an, und so ist’s nicht bei Lumbricus, dessen Borsten jede für sich die Haut durchbohren und von der nächsten Zwillingsborste der paarig zugeordneten Nachbarreihe völlig getrennt sind. 2. Georyetes Lichtensteinii mihi, species nova. G. artieulis utringue constrictis moniliformibus, subaegue latis ac longis; eingulo artieulos duos inde ab ore no. 32—33 amplectente: vulvis geminis annulo undecimo Tmntersis. Dem Herrn Geheimen Medicinalrath Prof. Dr. Lichtenstein in Berlin zu Ehren aus wahrer Hochachtung und Ergebenheit ehrerbietigst genannt. Descriptio. Corpus ceylindricum in articulos (quatenus speciminis unici fragmentum perti- net) 190 aeque longos latosque, utrinque constrictionibus vel incisuris parte diametri plerum- que circiter sexta, pone articulum 150mum autem hinc inde parte nona, vel minima profundis, Allis facillime, his vix distinguendis partitum: ita ut artieuli illi elliptici vel subglobosi monili- formes appareant seriemque panis similagineae goettingensis (kleine Göttinger Semmelreihe) tam figura, quam colore brunneo-favido frappanter simulent. Corporis antici fragmentum, quod mihi contigit unicum, eirciter 12Tm.m. longum: 0,75— Im.m., seu 0,3—0,5 lin. paris. crassum articulos ut videtur 190 continet. Cingulum articulos ambos complanato-continuos indistinetosque inde ab ore no. 33—33 amplectens longitudine aequans eylindrieum. — Labium superius biarticulatum in axi corporis recte porrectum os in- 123 ferum (foramen ellipticum referens) superat: articulorum ejus illis corporis longitudine forma- que similium primus hos etiam crassitudine subaequat; articulus terminalis vero tertia parte angustior fine globoso-conico attenuatur. — Aciculae per singulos articulos singulae ad margi- nem utramque dextram sinistramque ventri bifariam seriatae, utrpque lateri cujusvis articuli longitudinis medio insertae, strictae, acumine retrorsum subcurvatae, oculo nudo omnino incon- spieuae: in Georycte Menkei autem diametri articulorum sextam fere partem longae, permagnae ergo ac validae. — Color totius corporis idem ac Pisi sativi L. seminum siecorum, vel potius similagineo-flavidus: ob vasa super medios quosve articulos repentia fusca ibi per totam eorum seriem obscurior brunnescens. . Speciminis unici corporis antici artieulos fere 190 continens, tum abruptum fragmentum, ceterum illaesum in spiritu vini optime conservatum tempore nune dubio anni 1838 a Spangen- bergio pictore goettingensi amico accepi, qui illud in aqua, e puteo territorii goettingensis re- cens hausta, natans accepisse afirmabat. Hoc specimen unicum hucusque detectum nune in Museo Hamburgae urbis asservatur. Um die Authentie dieser neuen Art von einer so sehr interessanten und wegen ihrer frap- panten Mittelbildung und Uebergangsform von Lumbricus zu Gordius und durch diesen zu den Filarien und Helminthen überhaupt systematisch höchst wichtigen Gattung, sowie ihre sonst gewagte Benennung nach einem der geschätztesten Zoologen der neuern Epoche zu rechtferti- gen, habe ich es für unerlässlich gehalten, gleichhier ihre Diagnose und kurze Beschreibung zu geben. — Von den übrigen neuen Sachen aber muss ich mir die litterarische und graphi- sche Ausführung, sowie ein Mehreres der eben erwähnten noch vorbehalten. Das räthselhaft scheinende Vorkommen dieser seltenen Ringelwürmer in Brunnen betref- fend halte ich mich überzeugt, dahin erklären zu dürfen, dass es aus denselben Gründen, wie bei den eigentlichen Regenwürmern, nur zufällig veranlasst wird. — Die skelettlosen, weichen und-schleimig-schlüpfrigen Thiere, ermangeln sobald sie aus ihrem festen Wohnorte in ein flüssiges Medium (Wasser oder Luft) gerathen, aller Gegenstützen, welche für die Effectivität der Muskeln, wenn sie nach aussen wirken sollen, unumgänglich nöthig ist. So lange aber diese Thiere in ihren den Körper eng umschliessenden Erdröhren stecken, vertreten eben die festen Wandungen der letztern gleichsam das ihnen fehlende peripherische Hautskelett der In- secten und Krustenthiere sowie die Schalen der Weichthiere. Die Muskeln und Stacheln ha- ben dann ihre Hypomochlien und Antithesen ringsum überall und verleihen solchen Thieren ungeachtet ihrer schlüpfrigen Weichheit, vermöge ihrer grossen Turgescenz eine enorme Kraft- thätigkeit. Ausserhalb ihrer festen Gänge und Röhren hingegen sind sie unfähig zu klimmen und unvermögend aus einem flüssigen Medium in ein festes einzudringen, wofern sie nicht schon Spalten und Oeffnungen darin vorfinden, in welche sie sich dann leicht einzwängen. Ohne dergleichen können sie sich aber nicht wieder daraus erretten, wenn gleich es ihnen über kurz oder lang tödtlich wird; sie müssen sich darin vergeblich abmühen und langsam zu Tode quälen. So ist es mit allen Lumbricinen und selbst auch mit den Gordien, und dem- nach unvermeidlich, wenn gleich immerhin zufällig, dass gleichwie Regenwürmer so auch die Georyctes bei ihrem Umherwühlen aus der Erde in Wasser gerathen und sich um so schwieri- ger daraus wieder zu entfernen vermögen, je schroffer und dichter dessen Wandungen sind, so dass sie in die Brunnen wegen ihrer Tiefe und steilen ausgemauerten Wände am häufigsten gerathen und sich darin sammeln müssen, theils auch in deren klarem Wasser am leichtesten wahrgenommen und somit auch eben nur darin bisher gefunden worden sind. 16* 124 11. Mermis Duj. Uebergangsgattung von den eigentlichen Anneliden zu 12. Gordius Linne. Schon die völlig eylindrische Form, die grosse Länge bei geringer Dicke, die fast borsten- artige Steifheit und Zähigkeit und zumal das mikroskopisch-maschige Gefüge der Haut der Georycten und Gordien deutet nebst Farbe und Lebensweise auf eine nahe Verwandtschaft der letztern mit jenen und durch sie mit den Lumbricinen einer Seits, sowie ihr Vorkommen wäh- rend der Jugendzustände im Leibe von Käfern u. s. w., ferner der Mangel an Stacheln und die noch einfachere Form anderer Seits wieder auf eine Verwandtschaft der Gordien mit den Filarien und durch sie mit den Helminthen überhaupt, so dass sie in der That ein Bindeglied zwischen beiden Extremen ausmachen, und dies um so wahrscheinlicher, da auch ächte Fila- rien ausserhalb thierischer Leiber vorkommen — wie ich namentlich deren zwei, von der Fila- ria Forficulae nicht zu unterscheidende, jetzt im Hamburger Museum befindliche Individuen besass, wovon das eine frei in einer Regenpfütze ich selbst, das andere ein Freund von mir gar hinter lebendiger Eichenrinde im Walde lebend fand. Während bei den Angaben der ältern Schriftsteller über das Vorkommen von Filarien in Kerfleibern diese von Gordien nicht immer genau oder auch wohl gar nicht unterschieden und diese Nachrichten daher minder wichtig sind, so ist es um so mehr von Interesse, sichere Data darüber angeben zu können, und deshalb erlaube ich mir die in meiner Erfahrung vorgekom- menen Fälle hier anzuführen. 12. 1. Gordius aquaticus erhielt ich aus: a. Pterostichus metallicus Erichson zwei Mal, d. h. aus 2 Käfern je einen Wurm. b. er melanarius Illiger. c. Calathus fuscus Bonelli ein Mal einen Wurm. d. Harpalus ruficornis Latr. aus 4 Käfern 6 Würmer, aus einem Weibchen 2 Männ- chen und 1 Weibchen. . Harpalus aeneus Latr. ein Mal ein Masc., schenkeldick und 6 Mal so lang als der Käfer. © II. Helminthes seu Vermes intestinales, Eingeweidewürmer. A. Nematoidea Rudolphi. Rund- oder Hohlwürmer. 1. Filaria, Fadenwurm. Zweifelhafte Filarien erhielt ich aus: a. Melo& Proscarabaeus fem. L. Göttingen 1840. Aechte Filarien dagegen erhielt ich aus: a. Forfieula aurieularia L. Aus 1 Kerfe 2 Stück nebst zahlreicher, verschütteter Brut. b. Gryllotalpa vulgaris Latr. G. 1840. c. In der Regenpfütze eines Fahrweges im Hainholze bei G. Juli 13. 1845. lebend von mir selbst angetroffen. d. Hinter frisch abgelöster Rinde eines starken Eichbaumes im Bruckholze bei G. im Juli 1845 von einem zuverlässigen Freunde lebend gefunden *). 1. F. stomachalis mihi, species nova. Subtus int. oesophagi avium variarum. Eine Menge ächter, von keinem Schriftsteller erwähnter Filarien fand ich unter der innern *) Ich würde diesen curiosen Fundort sehr bezweifeln, wenn ich nicht jenes völlig ähnliche, nur etwas kleinere Exemplar bald darauf in einer Waldpfütze lebend selbst gefangen hätte und demnach beider Deserti- rung aus Kerfen vermuthen dürfte. 125 Schleimhaut des Schlundes vieler Vögel. Eben diese bei Krähen vorkommend ist dann sicher eine von der F. attenuata (Rudolphi) durchaus verschiedene, jedoch mit denen im Schlunde auch der verschiedensten, z. B. selbst der Wasservögel anscheinend übereinstimmende Art, welche ich daher einstweilen wohl collectivisch nach dem bewohnten Organ benennen darf, bis genaue mikroskopische Vergleichungen weiter darüber entscheiden werden. 2. F. erassa mihi, F. Strigis Rud. Entozoologia 2. 1. 71. 19. Diese habe ich unter der Kopfhaut von Strix brachyotos Forster und von F. attenuata R. ganz abweichend gefunden G. Jan. 1837. Bei dreifacher Kürze und Dicke der attenuata R. kann sie im Gegensatz zu ihr füglich ‚,‚erassa” heissen. 3. F. flevuosa mihi, spec. nova. Eine auffallend abweichende, sicher neue Art fand ich zu vielen Exemplaren im vollen Magen eines Falco Buteo L. G. Nov. 1836. 4. F. papillosa R. Ausser mehreren Weibchen besitze ich auch ein den übrigen Forschern und Sammlungen meist fehlendes Männchen mit exferirtem penis. G. Jan. 28. 1846. 2. 1. Trichina? Ein Exemplar in der Dünndarmwand von Equus Caballus L. 2. Triehina? Zahlreiche Exemplare in gestielten Kapseln am Mesenterium von Strix Noctua Retzius, Corvus Pica und Caryocatactes L. und bei andern mehr bemerkt. 3. Triehosomum mihi. Ueber diese und ähnliche Schreibarten meine Rechtfertigung. Es ist, wie schon die Lin- neischen Moosnamen Trichostomum etc. lauten, allein richtig zu sagen ‚‚Monostomum, Disto- mum” etc.; da z. B. Sophokles in seinen Tragödien das Wort distomos (diozouos) von einer Höhle mit 2 Oeffnungen mehrmals gebraucht. Ist demnach die Flexion orouos von orou« rich- tig, so muss man auch stomum (aber nicht stoma) von orowog zugeben und auf gleiche Weise oouog von ooua und somum von o@uog anerkennen; eins kann nur recht sein, und da die ebensowohl systematischen und philosophischen als philologischen Kritiker, die Herren Profes- soren Burmeister, v. Siebold, Erichson und Dujardin die currente falsche Nomenclatur der ältern Schriftsteller und ihrer indisereten Copiisten längst — wenngleich nicht völlig radi- cal und consequent — in jene umgetauft haben, so wäre meine desfallsige Erinnerung eigent- lich überflüssig, wenn nicht Dujardin in der Correctur pag. 653—4 die schon fast durchge- hends angenommene richtige Schreibart widerrufen und bei andern Zusammensetzungen die fal- sche Endung gelassen hätte und ausser ihm auch andere neuere Schriftsteller beim alten Feh- ler und Schlendrian verblieben. 1. 7.2 Species fortasse nova ex int. cr. Felis domesticae G. Dec. 14. 1844. Bemerkung. Ich halte die wilde Katze wegen kürzern Schwanzes, schwarzer Lippen und Sohlen und doppelter Grösse bei kargerm Futter (bis 18, die zahme kaum 9 # schwer) für eine von dieser verschiedene Art, und nenne die Hauskatze daher bloss Felis domestica, da ihre ursprüngliche Stammart zweifelhaft ist. 2. T. longieolle Rud. ex int. cr. et coecis Pavonis cristati masc. et Phasiani picti L. Cassel. G. Nov. 2. Febr. 11. 1845. 5. 1. Dispharagus bilicola mihi, sp. n. e bile Machetis pugnacis masc. Cuv. Emden G. Maj. 20. 1846. 2. D. sagitticollis mihi, sp. n. masc. et fem. ex oesoph. Scolopacis Gallinaginis L. Febr. 15. 1845. 6. 1. Spiroptera obtusa Rud. specimina 2 permagna ex int. Felis Cati (feri) e muribus come- sis egressa hospites? vix autochthones. 126 2. S. megalostoma Duj. 96. 14., Physaloptera megalostoma Crepl. Nov. observat. de Entoz. p- 6. tab. 1. fig. 1—5., Specimina satis multa masc. et fem. ex int. Falconis Nisi L. Diese zahlreichen Exemplare haben mich durch deutliche Uebergänge belehrt, dass jene Art mit Spiroptera physalura Duj. 94. 12 (= Physaloptera alata Rud. 8. 29. 256. 654. 2.) völlig identisch ist und nur dadurch individuell abweicht, dass die Schwanzblase bald mehr, bald weniger aufgetrieben die Schwanzspitze bald frei vortreten lässt, bald selbst darüber hin- ausragend sie einschliesst, so dass man nicht einmal die männlichen, viel weniger noch die weiblichen unter beide Parteien sortiren kann, und demnach darf jener ohnehin falsch gebildete Name — der ‚‚megastoma” heissen müsste und damit gleiche Etymologie und Bedeutung hat, neben einer solchen zweiten im Pferde wohnenden Art Spiroptera megastoma Bud. S.22.236.1. Duj. 91. 7. schlechterdings nicht geduldet werden. 3. $. tenuis mihi, sp. n. e felle Cuculi canori L. G. Juni 7. 1845. 4. S. hispida mihi, sp. n. masc. et fem. ex int. cr. Anatis Boschatis ferae masc. L. G. Febr. 28. 1845. Sehr ausgezeichnet. 5. ‚S. Zeptostoma mihi, sp. n. masc. et fem. ex int. Petromyzonis fluviatilis masc. L. Wi- surgis G. Mart. 31. 1846. 7. 1. Piguris reticulata mihi, genere specieque nova. Specimen 1 fem. ex int. er. colo Equi Caballi masc. L. Gött. Jan. 6. 1845. — Ist zunächst mit Lepturis curvula mihi (Oxyuris eurv. R.) durch Hauttextur und Wohnort im Colon des Pferdes verwandt, aber durch Habi- tus, Mundbildung und Afterlage in der Schwanzspitze gänzlich verschieden. 8. 1. Lepturis curvula mihi, Oxyuris curvula Rud. 8. 18. 229. 1. Duj. 142. 4. Durch sorgfältige Untersuchung und zahlreiche Vergleichungen von Oxyuris vermicularis Bremser und obvelata Duj. mit denjenigen Ascariden, welche Duj. in ein besonderes genus Heterakis pag. 222—30 für sich zusammengefasst hatte, stellte sich mir die feste Ueberzeugung heraus, dass diese wie jene sämmtlich in den Dick- und Blinddärmen von Wirbelthieren leben- den Würmer zu einer Gattung (genus) gezählt werden und wegen ihrer selbst mikroskopisch kaum absehbar feinen Zuspitzung ihres steifen, spiessformigen Schwanzes am allertreffendsten mit der für vermicularis längst eingebürgerten Benennung Oxryuris Bremser bezeichnet werden können. Volle Sicherheit für die generische Uebereinstimmung und so nahe Verwandtschaft beider vermeinten Gattungen gab mir ein Männchen der O. obvelata aus Mus sylvaticus L. var.: au- ribus intus dense pilosis, facie palmis plantisque einereo-fuscis, non carneis. Nov. 22. 1844. An diesem männlichen Wurme waren nämlich die sonst eingezogenen und dann schwer oder gar nicht zu erkennenden Mundpapillen, trotz Bremser’s scharfsichtiger Ableugnung , ausge- stülpt und deutlich zu sehen; die Halsflügel hingegen eingezogen und verschwunden oder sie fehlten vielmehr ganz und sind also nicht constant, sondern variabel und zufällig. Da nun die von Rud. S. 279—80 mit Bestimmtheit gesehenen 3 Mundpapillen als Wahr- zeichen ächter Ascariden (nicht Oxyuriden Rud. incl. der curyula) den Species vermieularis und obvelata sowie den Heterakiden Duj. gemeinschaftlich zukommen; die Halsflügel jener aber wesentlich und constant sind (wie das beides vorgedachtes Männchen noch täglich bewei- sen würde); da ferner ©, eurvula Rud. in Mund- und Schwanzbildung der Weibchen und zu- mal der Männchen von vermicularıs, obvelata, alata etc. gänzlich abweicht (denn die ewmvula hat keine Mundpapillen, und ihr Schwanz bildet bei den Männchen einen Dreizack, ist bei den Weibchen zwar lang und sehr verdünnt, aber schlaff, nicht im geringsten spiessartig, son- 127 dern peitschen- oder vielmehr schlauchartig-fadenförmig und am Ende noch merklich walzen- förmig dick und abgerundet stumpf), so muss curvula unbedingt von jenen frühern Consorten getrennt und anders benannt werden, weil der für vermicularis eingeführte Name Ozyuris Bremser für diese, die Heterakiden und die übrigen Oxyuriden, exclusive der curvula, höchst bezeichnend ist, auf letztere aber gar nicht passt. Ich halte vielmehr die Benennung Lepturis „Dünnschwanz” dafür am treffendsten, und bemerke noch eben in Beziehung auf diese Eigen- schaft, dass ich ausser mehreren Männchen auch ein Weibchen vom Nov. 14. 1845 besitze, dessen Leib 35m.m., der sehr schlaff und dünne, aber abgestumpfte, hohle und blasig trans- parente Schwanz hingegen 105mm, das ganze Thier also 140== Jang ist, während Duj. nach Rud. nur 80=m mit ‚‚”” und aus eigener Erfahrung gar nur 29mm als Totallänge angiebt. 9. Ozyuris mihi, non Rud. Spitzschwanz. Ich rechne demnach zu dieser neu zu determinirenden Gattung folgende Arten: O. vermi- eularis Brems., alata Rud., obvelata Duj., spinicauda Duj., brachyura mihi (brevicaudata Duj. 144. 6, die umgetauft werden muss, weil die hieher gezogene Ascaris brevicaudata Rud. 8. 47. 45., Heterakis Duj. 228. 4. ihren ältern Trivialnamen zu behalten das Vorrecht hat), dispar mihi, acuminata mihi, drevicaudala mihi (Ascaris brevicaudata Rud. S. 47. 43., Heterakis Duj. 228. 4.), O. leptocephala mihi (Ascaris Rud. S. 46. 40. Duj. 179.? 37) und endlich noch eine neue Art: O. graeilis mihi spec. n. ex int. Tropidonoti Natricis Kuhl und eben dieselbe (?), O. graeilis mihi spec. n. ex int. Coronellae laevis Boje masc. Berlepsch G. Maj. 5. 1845. 10. 1. Ascaris Bacillum mihi spec. n. ex int. Cuculi canori masc. L. G. Juni 1. 1845. 14. Syngamus Siebold. Nach den von mir in verschiedenen Vögeln angetroffenen Pärchen und einzelnen Indivi- duen dieser paradoxen Gattung muss ich mich für eine distinete Artverschiedenheit der sonst zusammengeworfenen Differenzen erklären und zwar sowohl rücksichtlich der Bildung des Mundsaumes, als des Schwanzes. Jenen habe ich je nach Verschiedenheit der Wohnthiere 4— 6lappig, diesen pfriemlich oder stachelspitzig und eine dritte Abweichung ohne Männchen ge- funden. Ich unterscheide daher folgende in verwandten Vögeln constante Species: 1. S. coelebs mihi sp. 2 fem. e Falcone lagopode fem. Jan. 1837. Ob aus Brust- oder Bauchhöhle oder den Eingeweiden herrührend ist zweifelhaft, da ich sie erst kürzlich unter den Ascariden dieses Vogels erkannte. 2. S. mueronatus mihi, S. trachealis Siebold masc. et fem. ex art. asp. Pici cani L. Mart. 12. 1846. und S. mucronatus mihi, idem masc. et fem. ex art. asp. Pici majoris L. Mart. 7. 1845. 3. S. pugionatus mihi, S. trachealis Siebold masc. et fem. ex art. asp. Corvi Picae L. Mart. 4. 1845. und $. pugionatus mihi, idem masc. et fem. ex art. asp. Sturni vulgaris L. Mart. 7. 1845. Bemerkung. Die höchst auffallende sexuelle Grössen-Verschiedenheit von 1: 6—8 in der Länge und 1: 36—64 in der Masse stellt sich bei diesen sehr interessanten Helminthen ohne Zweifel — durch die Enge ihres Aufenthalts in den Luftröhren und Bronchien kleiner und mittelgrosser Vögel (worin sie dem beständigen Strome der, andern Entozoen tödtlichen, freien Zugluft zum besten Gedeihen und Wohlsein lebenslänglich und selbst bei strengster Kälte aus- gesetzt sind) bedingt — als nothwendig zur Ausübung der Begattung dar. Hätten nämlich die winzig kleinen Männchen dieser, wie Sclerostomum equinum Duj. (Strongylus armatus Rud.) steifen Würmer mit ihren bis 20mm oder 3/4 Pariser Zoll langen Weibchen ungefähr gleiche 128 Grösse, so würden sie den Coitus — weil das Männchen dabei mit dem Schwanzende auf der seitlichen vulva wie ein Pfropfreis festsitzt, in einem fast rechten Winkel von der Längsrich- tung des Weibchens steif absteht und so damit einen Gerbebock X oder Schlagbaum bildet — nur in Luftröhren von einer ihrer Körperlänge mindestens gleichkommenden Weite vollzie- hen, also in engern überhaupt gar nicht fortbestehen können oder nur eine den Durchmesser derselben nicht völlig erreichende Länge haben dürfen. Sonach würden die in Luftröhren der Staare, Spechte, Elstern, Hühner, Phasanen etc. verwiesenen Syngamus von jener Länge nur erst in Thieren von der Grösse des Strausses, der grössern Wiederkäuer und Pferde existiren können. Dass aber andere in gleich paradoxer Constellation sich begattende Rundwürmer, wie Strongylus elongatus, striatus etc. in den Bronchien jener des Schweins, dieser des Igels durch die Enge der bewohnten Luftcanäle nicht an der Paarung gehindert werden, das haben sie der grossen Dünne und Biegsamkeit ihres weichen Körpers zu verdanken. Etwa im Scherze mag man allenfalls sagen, die Syngamus-Pärchen erfreuen sich des Vorzugs einer lebenslänglich ununterbrochen fortdauernden Copulation, in Wahrheit aber ist dies seltene Beispiel einer lebenslänglichen geschlechtlichen Verbindung ein für diese Thiere unvermeidliches Uebel: denn es ist leicht einzusehen, dass so empfindliche Organe wie die Luftröhren es sind, ein Umherkriechen, Tasten und Tappen, ein Verfolgen und Fliehen in Liebessachen so grosser Thiere nicht gestattet, wofern nicht der dadurch verursachte Reiz zum Husten dem Wohnthier lästig oder gar tödtlich werden soll, sondern vielmehr es zur unerläss- lichen Bedingung macht, dass diese Art Miethlinge überhaupt und zumal die Liebespärchen sich ganz still verhalten müssen. Und so findet man sie denn auch wirklich, denn jedes in Copula begriffene Pärchen ist mit seinen Kopfmündungen an zwei nahen Stellen der Luftröh- renwand des Wohnthiers festgesogen, die Saugstellen sind etwas vertieft und mit einem knor- plig verhärteten Walle (areola) umgeben, woraus man ohne Zweifel auf die beständige Fort- dauer der fixen Situation dieser Würmer schliessen kann. Das Männchen ist also mit dem Kopfe an die Wand, mit dem Schwanzende an sein Weibchen gebannt; dieses hingegen ist nur köpflings an die Wand fixirt und steht, mit der vulva am Halse auf das hier ansitzende Männchen, ein Hebel auf sein Hypomochlium gestützt, mit dem 5—Tmal längern Schwanz- ende wie ein Schlagbaum frei empor oder niederwärts in beliebiger Richtung ab. So kann das Weibchen zwar hin und her, aber schon weniger auf- und niederwärts schnellen und nie- mals sich von der Stelle bewegen, welche beide einmal Vermählte von frühester Jugend an, also schon lange vor der Maturität einnehmen und bei allen ehelichen Ereignissen, in Freude und Leid sich theilend, duldsam und friedlich behaupten müssen. Ein späteres Ansiedeln oder Translociren ist durchaus nicht gestattet, da es mit dem Siechthum und Ruin des Wirths auch das Verderben der Insassen zur Folge haben könnte. Wann aber jenes Ansiedeln überhaupt geschehen mag, ist noch unbekannt, da man schon in Nestvögeln erwachsene Gäste dieser Art gefunden hat. £ 15. Helmins nematoideus paradozus. 6 specimina e pleura pulmonali ac hepate sternae hi- rundinis. G. Maj. 1838. 16. H. nematoideus dubius ex int. Equi Caballı L. G. Jan. 1845. 17. H. nematoideus paradoxus ex int. Gadi Aeglesini e Mari boreali G. Apr. 3. 1846. B. Trematoda Rud. Saugwürmer. 1. Novi generis vestigium speeim. 2 ex int. Anatis Clangulae L. Mart. 15. 1845. 129 2. Asiomum *) poricola mihi, specimina 4 e poris profundis superficiei internae bulbi oeso- phagi seu proventrieuli Anatis Boschadis dom. fem. G. Dec. 30. 1845. Höchst wunderbare, karminrothe Geschöpfe. Ob diese bei Helminthen so sehr seltene Farbe, wie bei Syngamus und Tristomum coceineum so überhaupt immer grosse Rarität und Anomalie anzeigt? 3. 1. Monostomum ocreatum Zed. Specim. 1 ex int. Ardeae stellaris fem. L. G. Dec. 22. 1845. Num e talpa comesa egressum hospes? vix autochthon. 2. M. attenuatum Rud. S. 84. 6. Duj. 350? 10. ex int. cr. Anatis Clangulae L. G. Mart. 15. 1845: ist nach unzweifelhaften Uebergängen mit M. verrucosum Zed. Rud. S. 84. 12. Dujard. 355. 14. identisch und dessen jüngerer lediger Zustand (status virgineus). 3. M. ellipticum Bud. S. 84. 344. 13. Duj. 3597? specim. 5 e pulm. Bombinatoris ignei Merr. Gött. Juli 5. 1845. Dies ist in der That ein Monostomum, kein Distomum , folglich nicht einerlei mit D. variegatum Rud. S. 99. 33. Duj. 416. 37. wie dieser pag. 359 für ge- wiss annimmt. Der bei Dist. variegatum sehr deutliche porus ventralis fehlt nämlich hier bei allen 5 Exemplaren ohne Spur gänzlich. 4. M. macrurum mihi, sp. n. specim. 1 ex int. Corvi glandarii L. Febr. 12. 1845. 5. M. hyalinum wihi, sp. n. specim. 2 ex int. Machetis pugnacis Cuv. Emden, G. Maj. 20. 1846. 6. M. angustum mihi, sp. n. specim. 3 ex int. Scolopacis Gallinaginis L. G. Febr. 15. 1845. 4. 1. Holostomum urniceps mihi, spec. n. specim. 1 ex int. Falconis Pygargi adulti masc. Auctorum. G. Maj. 21. 1846. 2. H. Cornu Nitzsch. Ex int. Lestris parasiticae Illig. G. Oct. 12. 1844. Bemerkung. Bis jetzt habe ich ein Monostomum Cornu Rud. S. 85. 345. 14, Duj. 349. 9. noch- nicht auffinden können, und da hingegen unter dem Holostomum Cornu, wovon ich mehrere aus Ardea cinerea masc. et fem. L. Jan. 10. 1846 besitze, ein Paar Exemplare durch Einziehen der Mündungslappen einen ganzrandigen Saum des vordern Sauglochs bekommen, der porus ventralis aber durch Einziehen dann schwer zu erkennen ist oder ganz schwindet, so glaube ich, dass solche Exemplare für das angebliche Monostomum Cornu Rud. gehalten wor- den sind und dass ein solches überhaupt nicht existirt. 3. H. Iyratum mihi, sp. n. specim. 2 ex int. Ardeae einereae L. G. Jan. 2. 1845. 4. H. pellucidum mihi, spec. n. specim. 2 ex int. Petromyzonis fluviatilis masc. L. G. Mart. 31. 1846. 5. 1. Distomum attenuatum Duj. 392. 3. D. macrurum Bud. S. 98. 376. 30-31. E felle Faleonis palumbarii fem. L. G. Mart. 12. 1846; Falconis !Pygargi mas. Maj. 21. 1846 et Cueuli canori mas. L. G. Juni 1. 1845. 2. D. elegans Rud. S. 100. 39. Duj. 414? 34. specim. 11 ex int. Falconis Subbuteonis fem. L. G. Nov. 3. 1845. Num e Fringillis comesis egressa hospites, an autochthones? 3. D. echinatum Zed. Rud. Specim. 3. ex int. Corvi Coronis L. G. Febr. 12. 1846. *) Ab « privativo et sroue, quod significat „‚absque ore”’ vel animal ore privatum, aeque ac Choristomum. Jenes ist zwar schon bei den Acariden gebraucht, aber hier falsch, und da es überdem auch daselbst nicht an- erkannt und beibehalten worden, hier aber treffend ist, so ziehe ich es diesem vor, 17 130 4. D. ringens Rud. specim. 1 ex int. Pici majoris L. März 12. 1845, sp. 7 Pici medii L. G. Nov. 7. 1844. 5. D. sphaerostomum mihi, spec. n. specim. 3 ex int. Coryi Caryocatactis mas. et fem. L. G. Dec. 23. 1844. 6. D. macrostomum mihi, spec. n. specim. 1 ex int. Petromyzonis fluviatilis mas. L. e Wisurgi prope Bursfelde capti. G. Mart. 31. 1846. C. Acanthotheca. Diese Gruppe scheint durch ihre langgestreckte, stark gegliederte Form einen guten Ue- bergang von dem die Trematoden beschliessenden Polystomum zu den Acanthocephalen und Cestoiden zu machen. Duj, stellt sie gewiss mit Unrecht zwischen die Nematoiden und Tre- matoden. D. Acanthocephala Rud. Stachelkopfwürmer. 1. 1. Echinorhynchus Spirula Olfers. spec. 4 ex int. Hapalis Jacchi Illig. Brasil. G. Nov. 12. 1845. 2. E.? Species ob proboscidem retractam dubia: specim. 1 ex int. Muris Musculi G. Jan. 1837. 3. Echinorhynchus polymorphus Bremser, specim. 1 ex int. Scolopacis Gallinaginis fem. L. G. Febr. 27. 1845. 4. Echinorhynchus Proteus Westrumb. Duj. 529. 53. «. E. tereticollis Rud. et nodulosus Schrank. specim. singula ex int. Alcedinis Ispidae L. G. Febr. 1845. E. Cestoidea et Cystica Rud. Band- und Blasenwürmer. Bemerkung. Die Benennung Band- und Kettenwurm betreffend, so sind beide gleich falsch und wären am besten noch durch Schlauchwurm im Allgemeinen und durch Glieder- und Faltenwurm in’s Besondere zu ersetzen. Abgesehen davon, dass ein Band nie gegliedert ist, welche Eigenschaft doch eben bei jenen Würmern der hervorstechendste Charakter bleibt, so fällt auch überdem noch die platte Gestalt der breiten und dünnen gewirkten Bänder für eine Vergleichung derselben mit den Tänien, so lange sie in ihrem lebenden Wohnthiere ge- sund und wohl sind, in der That weg. — Ich habe darüber bei keinem Schriftsteller eine An- deutung gefunden und zweifle daher, dass schon irgend Jemanden etwas der Art bekannt sei, was ich selbst im Juli 1836 zu beobachten die überraschende Freude hatte. Eine durch Untertauchen schnell getödtete Katze wurde sogleich secirt und die Eingeweide noch im warmen Leibe liegend vom Magen an aufgeschnitten. Sogleich fielen mir lange, fast ölklar durchscheinende und vom Chymus durch keine Farbe abstechende, mit Flüssigkeit ge- füllte und prallrunde, nicht platte, wellenförmig auf- und und abwogend sich bewegende Wür- mer auf. Es schienen Spulwürmer, wenigstens Rundwürmer zu sein; da sie aber bei fortge- setztem Schnitte nicht sobald endigten und doch ungegliedert waren, so wusste ich beim ersten Anblick nichts daraus zu machen. Bald aber erkannte ich die fast unmerklichen Gliederungen und bei längerer Lufteinwirkung wurden sie trüber und flacher, bald sogar opal und platt, wie gerinnendes Wachs und nahmen mit dem Erkalten auch dessen weisse Farbe an. Es war Taenia erassicollis Rud. — Eine positive Beobachtung gilt in der Naturgeschichte als Erfah- rungswissenschaft mehr denn hundertfach Nichtwissen und Verneinung, und es kann nicht feh- len, dieselbe Erscheinung wenigstens bei derselben Taenia täglich wieder bestätigt zu finden. Ich kann demnach nicht anders urtheilen, als dass wenigstens die 7. erassicollis R. gleich solchen mit Oel gefüllten Därmen durchscheinend, von Farbe des Chymus und prall drehrund 131 ist, so lange sie in ihrem warmen Elemente der freien Luft entzogen gesund und wohl ist. Ob allen Taenien, Bothriocephalen, Ligulen ete. ein gleiches Ansehen im frisch lebendigen Zustande eigen ist, das werden fernere Beobachtungen lehren. Auch glaube ich noch deutlich gesehen zu haben, dass die Gliederungen fast spurlos ausgezogen und die Würmer langgestreckt waren, und dass sie erst mit eintretender Erstarrung (welche sowohl durch Abkühlung als durch Einwirkung selbst auch warmen Wassers und atmosphärischer Luft bei warm- und kalt- blütigen Wohnthieren herbeigeführt wird) durch Einziehen und Ueberstülpen sich in und über- einander schiebend verkürzen und in diesem Zustande ein ganz fremdes Ansehen bekommen, wie besonders T. perfoliata, plicata, paradoza, lanceolata etc. Es hilft also zur Verlängerung ihres ursprünglich natürlichen Ansehens gar nichts, dass man sie in warmes Wasser thut, da sie dies so wenig als Luft und Kälte vertragen; einmal platt und opakgeworden erhalten sie die Turgescenz und Durchscheinheit nie wieder; sie dürfen aus dem Chymus nicht entfernt werden. Eine aufgelegte Glasscheibe und Erwärmung des ganzen Cadavers von unten vermit- telst heissen Wassers, ohne die Eingeweide selbst zu benetzen, möchte die Beobachtung allen- falls verlängern helfen. Da nun die Aufgabe der Naturgeschichte, die Geschöpfe möglichst in ihrem gesunden le- benden Zustande aufzufassen, nicht wie wir sie erstarrt und abgestorben, entfärbt und ver- zerrt im todten oder gar geistig verklärten Zustande jenseits als eingemachte Waare sehen, so kann um so weniger von Bandwürmern die Rede sein, sondern die Cestoiden sollten dann überhaupt Schlauch- und die Taenien Gliederwürmer heissen, wenn jene Beobachtung sich bei allen Arten bestätigte — und die Volkssprache sich zwingen liesse, welches Letztere freilich leider nicht der Fall ist. Was ist demnach von unsern bisherigen Morphographien und Abbildungen der Entozoen überhaupt und der Cestoiden in’s Besondere zu halten, welche sämmtlich nach ihrem in Luft, Wasser oder gar Spiritus verzerrten und erstarrten, collabirten oder aufgedunsenen, opaken und iiıssfarbigen, sterbenden oder todten Zustande entworfen sind, da selbst auch das warme Wasser höchst nachtheilig auf sie einwirkt, dass namentlich Filarien und Strongili schon beim Eintauchen in dasselbe momentan und lebendigen Leibes platzen, wie die reifen Schoten von Impatiens noli tangere bei sanfter Berührung. Die Helminthologie ist in dieser Rücksicht noch viel weiter zurück und auch um ihre fernere naturgemässe Vollendung steht es noch weit schlimmer als es mit der jetzigen ästhetischen Stufe und fernern Vervollkommnung der dar- stellenden Künste der Fall sein würde, wenn ihnen zum Anschauen und Nachbilden nur schwind- und trommelsüchtige und andere Patienten, nur Leichen und Spirituspräparate zu Gebote ständen. Wenngleich unsere Conservate von Helminthen und deren weisse Abbildun- gen auf schwarzem Grunde für das Auge nach unserm falschen Begriffe sich recht hübsch aus- nehmen, so ist deren erstrebte Natürlichkeit doch so weit verfehlt, dass alle respectiv damit gemeinten Würmer noch mehr davor zurückschrecken und sich entsetzen würden als der Mensch vor seines Nächsten Leiche oder dessen eingebildeter oder nachgeahmter Geistererscheinung, indem wenigstens bei den Cestoiden kaum an ein Wiedererkennen zu denken sein würde. 1. 1. Taenia globiceps mihi, sp. n. specim. 5, unum capite optimo ex int. ten. Psittaci cri- stati fem. L. Hannover, G. Dec. 22. 1845. 2. T. angulata Rud. und maculata Batsch. Beide halte ich für eine Art, da man sie beide mit und ohne Hals und bald mit sehr breiten kurzen, bald sehr schmalen langen Glie- dern findet. Eben so IE 132 3. T. serpentulus Schrank und undulata Rud. Ferner 4. T. bacillaris und filamentosa Göze, welche beide ich kürzlich noch aus einem Maul- wurfe erhielt und wovon sehr kleine Exemplare langhalsig ungegliedert, grössere ohne Hals und kurzgliedrig sind. 5. T. perlata Göze und globifera Batsch. sind zwar verschiedene Arten, aber bald mit, bald ohne Hals. Es frägt sich nun, inwieweit und ob diese mehrfältige Thatsache aus jener meiner Beob- achtung zum Grunde liegenden Erscheinung zu erklären und etwa wirklich darin begründet sein möchte, dass die ursprünglich im lebenskräftigen Zustande ungegliederten, ‚schlauchförmig ausgedehnten Taenien ete. beim Erstarren und Collabiren bald mehr bald weniger oder theil- weise gar nicht gliederweise sich zusammenziehen und einstülpen. Sie möchten mit einer Schlangenepidermis zu vergleichen sein, die frisch abgestreift und ausgestreckt auch völlig schuppen- und schilderlos einfach erscheint. Auch darf ich noch hinzufügen, dass sich durch jene Erfahrung das Phänomen erklären lässt, dass und warum die Orificia sexualia nicht im- mer an der Kante oder an demselben Rande, sondern öfters auf der Fläche sitzen oder ab- wechselnd bald flächen- bald randständig sind, und zwar bald ein- bald beidseitig stehen. Obgleich nämlich eben bei einer Schlangenhaut die Structur und Vertheilung von rigidern, Br deckenden und andern schwächern, jene verbindenden Partien stets ein glei- ches Zusammenschieben und Faltenlegen bewirkt, so kann doch bei den sehr weichen Cestoi- den, bei welchen die relativ verschiedene Rigidität erst während und in Folge der Contraction und Erstarrung erfolgt, eben auch diese verschieden ausfallen oder auch partiell gleichartig sein und somit das nur aus der theilweise und örtlich variabeln Steifheit oder Nachgiebigkeit hervorgebrachte Faltenlegen und gliederweise Einziehen und Ueberstülpen unterbleiben, folglich bald ein ungegliederter oder ein mehr oder weniger dicht oder locker gegliederter Hals und Vordertheil vermöge der Weichheit und Nachgiebigkeit ihrer noch jüngern und zartern Sub- stanz entstehen, wenngleich dies auf die hintern schon ältern Partien weniger oder gar keinen Einfluss hat. Taenia Malleus, der Hammer- oder vielmehr Sockenbandwurm. Sehr erfreulich war für mich die glückliche Entbindung dieses gordischen Knotens der Helminthologie. Untrügliche Mittelformen und Uebergänge haben mich nämlich zu der Ueber- zeugung gebracht und dieses räthselhafte Problem dahin aufgelöst, dass der vermeinte Ham- merbandwurm keine bestimmte Art, sondern stets nur eine individuelle, abnorme Missbildung sei und dass dergleichen daher bei mehreren ganz verschiedenen Arten vorkommen könne, dass er bei einigen auch wirklich schon beobachtet worden und bei gewiss noch mehreren dem- nächst anzutreffen sei. Die von mir bis jetzt aufgefundenen höchst interessanten und wichti- gen Uebergangsformen gehören nämlich folgenden Normalspecies an, woraus sich alsdann die gesuchte wissenschaftliche Folgerung von selbst ergiebt: 1. 1. Taenia trilineata Batsch Rud. 167. 528. 87. Duj. 574? 36; und zwar in folgenden For- mationen: °. «. Forma normalis, capitata, recta, symmetrica, filiformi-lanceolata; lemniseci rari, unilatera- les, breves, truncati; articuli distineti laxiores. $. Forma subnormalis, acephala, subrecta, lineari-lanceolata. y. Forma abnormalis, rarius capitata, linearis, plicata, rugulosa; parte ultracollari curvata vel fractiflexa, securi- vel potius soceiformi, tenuius densiusque plicata: latere altero dilatato 133 convexo, altero constricto vel concavo aut marginato — T. Malleus Göze Nat. Gesch. S. 383. Rud. Syn. 162. 521. 68. Duj. 587. 63. und zwar aus folgenden Vögeln: 1) formae «. et y. Specimina mediocris magnitudinis ex int. Anatis Clangulae fem. L. G. Febr. 24. 1838. 2) formae y. specim. minima 1—4em Jonga, quorum duo optima capite ac proboscide ex- serta instructa, 2—3mm (— 1—1,5 lin. paris.) longa ex int. Anatis Boschadis ferae mas. L. G. Febr. 28. 1845. 4 3) formae ,. specim. minima atque juniora optima accephala ex int. Anatis Boschadis dom. G. Dec. 30. 1845. 4) formae ?. specim. juniora atque adulta longa 306, lata Sum et 5) formae y. specim. juniora atque adulta longa 106, ‚, 3,5mm:; utriusque hujus formae specimina ex int. t. Mergi Merganseris fem. L. Goett. Febr. 28. 1838. 2. Taenia undulata Rud. S. 167. 528. 88. Duj. 169. 26. 6) formae 5. (parte ultracollari asymmetrica, ensiformi, multo densius articulata) specimina juniora capitata ex int. ten. Corvi Caryocatactis mas. et fem. L. G. Spt. Oct. Nov. 5. 1844. 3. Taenia sphenocephala Rud. S. 184. 506. 39. Duj. 602. 102. 7) formae «. et £. (parte ultracollari pluries, ad septies, repetito-dilatata, securiformi-sub- malleata latere altero recto vel emarginato, altero convexo, iterum iterumque ad septies usque repetito-constricta, imo filiformi-angusta) specimina adulta capitata ex int. ten. Columbae Tur- turis L. G. Julio a. 1836. 2. Bothriocephalus Rud. Grubenkopf. 1. B.? 1 Specimen integrum sed acephalum vel eryptocephalum? indeque dubium ex int. Gadi Aeglesini L. speciminum 6 e Mari boreali Hamburgo missorum. Goett. Apr. 3. 1846. Sechste Section. Medicin, Chirurgie, Geburtshülfe. Bei der vorläufigen Vereinigung der Mitglieder der medicinischen Section am 18. Septem- ber wurde auf Herrn Hofrath v. Siebold’s Vorschlag die Bildung einer Separatsection für Geburtshülfe beschlossen, deren erste Sitzung auf den Nachmittag desselben Tages 6 Uhr, die übrigen auf Morgens 7 Uhr der folgenden Tage anberaumt wurde. Wir lassen den hierauf be- züglichen Bericht dem der medicinischen Section folgen. Erste Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident: Hofrath Fuchs. Secretär: Dr. Schuchardt. Auf die Frage des Präsidenten, ob bloss frei gehaltene oder auch abgelesene Vorträge zu- lässig sein sollten, bemerkte Hr. Medicinalrath Schneemann aus Hannover, dass es am zweckmässigsten und erspriesslichsten sein würde, wenn bloss Discussionen über vorgeschlagene interessante Themata und daneben Vorträge gehalten würden, die nicht abgelesen werden. Durch Abstimmung wurde hierauf festgesetzt, dass nur mündliche Vorträge gehalten werden sollen, und dass ein Vortrag höchstens 20 Minuten dauern dürfe, ausser wenn die Versamm- lung durch Beschluss dem Redner eine längere Zeit zugestehen wolle. Hierauf sprach Herr Dr. Scharlau aus Stettin über die Heilwirkungen der Kälte. 1. Die humoral-pathologische Ansicht, dass man theils durch das Wassertrinken den Orga- nismus auswasche und reinige, und dass die Furunkeln und Hautausschläge nichts als Krank- heitsproducte seien, ist falsch. Die Untersuchung des nach häufigem Wassertrinken gelassenen Urins zeigt die Abnahme des Salzgehalts desselben mit der Menge des getrunkenen Wassers; es wird also eine Lösung der Salze aus dem organischen Verbande nicht einmal vermittelt. Die Haut-Ausschläge sind Ergebniss der sich erwärmenden reizenden Umschläge und Ein- wickelungen. Sie können bei jedem Gesunden erzeugt werden. Als wirklich kritische Er- scheinungen kann man dagegen betrachten a) reichliche Absonderungen der Leber und der Schleimhäute, 135 b) reichliche, übelriechende Nachtschweisse, wenn beide Reihen der Erscheinungen von der Genesung gefolgt sind. 2. Das Wasser ist kein Universalmittel, sondern nur Heilmittel, aber eins der mächtigsten, da es der verschiedensten Anwendung fähig und von den kräftigsten Gegenwirkungen ge- folgt ist. Es ist in seinen Wirkungen den Arzneien insofern gleich, als es wie diese den Organis- mus zu Reactionen zwingt. Seine Wirkung ist eine unmittelbare, zuerst auf das Nervensy- stem, dann auf die Capillaren der Haut, und endlich auf die Blutbewegungs-Centren, den Respirationsact und das Gehirn und Rückenmark. Die Wirkung der Arzneien ist dagegen erst mittelbar, durch den Act der Verdauung und durch die Aufnahme in das Blut bedingt, oft von unangenehmen Nebenwirkungen begleitet und setzt sehr oft an Stelle eines grösseren Uebels ein kleineres, oft leider aber auch das umgekehrte Verhältniss. 3. Das kalte Wasser wirkt nur durch seine Kälte, denn dasselbe Wasser erwärmt, wirkt in ganz anderer Weise. Es ist desshalb eine reine Dynamide, so rein wie es in der Therapie keine zweite giebt. 4. Die Erscheinungen nach dem Gebrauche des kalten Wassers sind verschieden, je nach der Temperatur und je nach der Zeit der Einwirkung. Sie sind anders bei Wasser von 2—6° als wie bei Wasser von 8—10° und bei Wasser von 15°. Die Reaction ist um so kräftiger und schneller, je heisser die Haut, je kälter das Wasser, je wärmer die umgebende Luft, je angemessener die Bewegung und je passender die Zeit der Einwirkung bestimmt ist. Die Dauer der Anwendung des kalten Wassers sollte als Douche nie länger als 1-3 Mi- nuten sein; bei Vollbädern und Halbbädern darf nur eine gleiche Zeit verwendet werden. Die Wirkung ist vollständig genügend, wenn nach dem ersten Frösteln ein Gefühl der Wärme eintritt. Tritt das zweite Frösteln ein, so ist die Wirkung verfehlt. Soll das Wasser als ent- zündungswidriges oder beruhigendes, Wärme entziehendes Mittel verwendet werden, so müssen die nassen Tücher niemals warm werden, da sie sonst sogleich die entgegengesetzte Wirkung haben. Alle Erscheinungen des Wassergebrauchs kommen darin überein, dass einem Zurückdrän- gen des Blutes von der Peripherie zum Centrum stets eine Bewegung in entgegengesetzter Richtung folgt. Wo diese nicht erscheint, leistet das Wasser nichts. 5. Die Reactions-Erscheinungen beruhen: a) in der Röthung der Haut, Befreiung der Lungen und des Herzens von Blut-Ueber- fluss, Beschleunigung des Athems und Pulses, b) in einem allgemeinen Gefühle der Wärme und Behaglichkeit, der Energie in den Be- wegungs-Apparaten, ce) in vermehrter Ausscheidung von Harnstoff und Harnsäure bei den Formen der Wasser- Anwendung, welche den Puls verlangsamen, ohne die Zahl der Athemzüge zu vermindern, und in vermehrter Kohlensäure-Ausscheidung in den Lungen. Die Ursachen dieser letzteren Erscheinungen liegen einfach darin begründet, dass eine grössere Menge von Sauerstoff mit der Blutmenge in Berührung tritt, denn wenn durchschnitt- lich 4 Pulse auf einen Athemzug kommen, so kommen beim Sitzbade und der nassen Ein- packung 21/; Pulse auf einen Athemzug. Die Umsetzung der Stoffe der regressiven Metamor- phose, vorzugsweise des Fibrins, geht also vollkommener und reichlicher von Statten, und die reichliche Bildung von Harnstoff und Harnsäure ist die Folge. 136 6. Durch die Anwendung der Kälte kann der Körper um 1—3° C. abgekühlt werden, wenn die Einwirkung nicht über 5 Minuten dauert und das Wasser 6—8° C. hat. Wird die Kälte bis zu 70 Minuten und mit Wasser von 1—2° C. auf den Körper übertragen, so tritt eine Abkühlung von 20° C., ein sehr verlangsamter Herzschlag, langsames Athmen und end- lich der Tod ein. In ihren Hauptwirkungen wirkt also die Kälte deprimirend auf den Lebensprozess. Da sich der Organismus stets die gleiche Temperatur erhalten muss, so wird derselbe stets die Verminderung derselben auszugleichen suchen. Dies kann nur durch Steigerung des Ath- mungsvorganges geschehen. Dies ist der Grund, weshalb allemal auf eine kurze Douche oder auf ein Vollbad ein beschleunigtes Athmen und ein beschleunigter Herzschlag eintritt, weshalb die Wärmebildung sich relativ steigert, reichlich Kohlensäure ausgeschieden und fette Personen mager werden. 7. Alle Veränderungen des Tastgefühls beruhen in Veränderungen der Temperatur und der Widerstandsfähigkeit. Bei der Anwendung des kalten Wassers verändert sich das Gemeinge- fühl zuerst in Frost, dann bei kälterem Wasser und längerer Zeit der Anwendung in Schmerz, und endlich in völlige Ertödtung des Gefühls-Vermögens. 8. Jeder Krankheitsprozess beruht in der zweiten Reihe der Erscheinungen in Fehlern der Ernährung und Erregung. Alle anderen Erscheinungen sind allein Folge dieser ersteren. Die primären Veränderungen des Lebensvorganges entgehen in der Regel unserer Beobachtung, denn die Erscheinungen, welche man als Krankheit betrachtet, sind allein nur Localisirungen des Krankheitsprozesses, behufs kritischer Ausscheidungen. Die Localisirung ist allemal von einer Hyperämie begleitet, und sie so zu leiten, dass sie nicht die Integrität des Organs zer- stört, ist Sache des Arztes. Er bewirkt dies einfach dadurch, dass er den Krankheitsprozess auf mehrere Organe, und zwar auf secretorische vertheilt. Die Haut und die Lungen sind vermöge ihrer grossen Flächen-Ausbreitung die geeignet- sten Organe, behufs der Ausscheidung krankhafter Stoffe im Blute und der reichlichen: Einfüh- rung von Sauerstoff durch die Lungen ins Blut. In allen Krankheitsprozessen waltet die Venosität des Blutes vor. Indem die nassen Einpackungen und die kurzen Sitzbäder den Puls verlangsamen und das Athmen also relativ beschleunigen, sind die Bedingungen für das letztere Erforderniss gegeben, und indem der Zustrom von Blut nach der Haut geleitet wird, müssen örtliche Hyperämien be- seitigt werden und werden es auch wirklich. 9. Jede vermehrte Hinführung des Blutes nach den 2400 @. Zollen der Haut muss die Entleerung hyperämischer Gefässe und Organe zur Folge haben. Es ist ein charakteristisches Zeichen der chronischen Congestion, dass die Hyperämie einzelner Organe vonder Anämie an- derer begleitet ist. So ist dieser Zustand der Leber, der Milz und des Uterus stets von einer Blutleere der Haut begleitet. Wird nun in der Haut eine künstliche Hyperämie veranlasst, so muss das Blut anderswo hergenommen werden, und dies geschieht von den genannten hyper- ämischen Organen. Dies ist der Grund, weshalb eine hyperämische Leber, Milz oder Gebär- mutter in kurzer Zeit ihre Normalgrösse wieder erlangt. 10. Die Beschleunigung des Lebensprozesses, vorzugsweise die Bethätigung des Capillar- kreislaufs muss als nothwendige Folge eine gesteigerte Resorptionsthätigkeit haben. Dies ist der Grund, weshalb die Fettbildung vermindert und krankhafte Ausscheidungsproducte nach Höhlen und Drüsen des Körpers, wieder durch den Act der Aufsaugung entfernt werden kön- 137 nen. Diese Entfernung findet wirklich durch die Anwendung der Wasserkur statt, und ich erwähne hier nur der rheumatischen Exsudate in dem Wirbelsäulen-Kanale, in den Gelenken, der serösen Ergüsse in den Gehirnhöhlen und der Pleura, der Drüsen-Anschwellungen in der Achselhöhle und Leistengegend. Als fernere Folge dieses beschleunigten Capillarkreislaufes ist die vermehrte Thätigkeit der Leber und Darmschleimhaut, die Beseitigung der auf Unthätigkeit beider begründeten Stuhl- Verstopfung zu betrachten. Letztere schwindet fast in allen Fällen nach der siebenten Woche der Kur. In. diesen Andeutungen liegt die ganze therapeutische Wirkung des kalten Wassers, und steht es bei dem Arzte sich dieser Vorgänge im Organismus zu bedienen und Krankheitszu- stände zu beseitigen. ll. Die Form der Wasser-Anwendung bedingt die Art der Wirkung. a) Nasse Einpackungen des ganzen Körpers alle l/„—4 Stunden erneuert, oder nur einmal angewendet, bewirken eine Verminderung der Zahl der Pulse um 33 in der Minute. Je fre- quenter der Puls vorher, desto bedeutender ist der Unterschied. Von Wichtigkeit für diese Abnahme ist das Temperament des Kranken. Die Zahl der Athemzüge ist nur um 1,3 vermehrt. Wenn auf 80 Pulse 20 Athemzüge kommen, dagegen hier auf die gleiche Zahl der letzteren nur 50, so ist im Verhältniss zum Pulse relativ eine Vermehrung von 9 Athemzügen erfolgt. Bei dieser Einpackung wird in den ersten 60—90 Minuten niemals Schweiss erzeugt, weil die nassen Tücher alle zum Schweiss nöthige Wärme der Haut aus der den Körper umgeben- den Luft absorbiren. Der Gewichtsverlust des Körpers beträgt in 2 Stunden !/)a—3/4 Unzen, während man bei der Einpackung in trockene Tücher nach 2—3 Stunden schwitzt und 6—14 Unzen an Gewicht verliert. Zur Schweisserzeugung ist allemal eine Pulsfrequenz und warme Luftschicht in der nächsten Umgebung des Körpers nothwendig. b) Sitzbäder von 12—15° R. vermindern den Puls um 32 Schläge in der Minute und las- sen die Zahl der Athemzüge unverändert. Es ist hier also dasselbe Verhältniss wie bei der vorigen Form der Anwendung. Nach 5 Minuten der Dauer des Sitzbades steigt die Zahl der Pulse wieder und erreicht in 15 Minuten die Normalzahl. Beiden Anwendungsformen folgt eine bedeutend vermehrte Ausscheidung von Harnstoff, Harnsäure im Urin und von Kohlensäure in den Lungen und in der Haut. e) Kalte Umschläge, alle 2—10 Minuten so lange gewechselt, bis die Blutanhäufung besei- tigt ist. Alle diese Formen der Anwendung können unter Umständen das Quecksilber, den Salpe- ter, die Digitalis, die Blutentziehungen, den Brechweinstein ersetzen, und werden nicht selten sehr viel mehr leisten als diese ebenfalls depotenzirenden Mittel. d) Während bisher von den antiphlogistischen Formen der Wasser-Anwendung die Rede war, soll jetzt zu den erregenden Formen übergegangen werden. A. Das Halb- oder Vollbad. Es bewirkt während der Dauer von Ya—2 Minuten eine Be- schleunigung des Pulses um 20—24 Schläge und eine entsprechende des Athems. Eine starke Röthung der Haut, eine gesteigerte Muskelenergie, Beseitigung von Neurosen, von chronischen Congestionen sind als die Wirkung anzusprechen. Ihre Wirksamkeit gegen Delirien, Epilepsie und Paralysen des Rückenmarks ist daher überraschend. B. Die Douche. Die Form der Anwendung ist verschieden, theils in Bezug auf die Aus- 18 138 breitung derselben über den Körper, theils in Bezug auf die Wassermasse, die auf denselben geschleudert wird, theils in Bezug auf die Fallhöhe, von der herab das Wasser auf die betref- fenden Theile fällt. Man wendet an: a) die allgemeine oder Regendouche, über den Kopf und Körper. Sie wirkt sehr erschüt- ternd und drängt das Blut mit Gewalt gegen das Centrum der Blutbewegung. b) die örtliche Douche mit grösseren Wasserstrahlen. Diese lässt die Respirationsorgane und das Herz viel weniger an der Blutüberfüllung theilnehmen; sie ist mächtig wirkend für den Blutstrom nach der N c) die Strahldouche, von grösserem oder geringerem Durchmesser, Als Erreger für er- schlaffte Muskeln von grosser Wirksamkeit. d) die Uterus- und Mastdarmdouche. e) die Sitzbäder mit strömendem Wasser. Allgemein belebend, Neurosen beseitigend, ist sie von grosser Wichtigkeit für alle Neuro- sen des Nervus trigeminus und einzelner Hautnerven. Wechselfieber werden zu 3/4 der Fälle mit überraschendem Erfolge beseitigt. Nur die Quartanfieber zeigen eine grosse Hartnäckig- keit und erfordern das Chinin. Recidive werden nie bemerkt. Chorea, Rheuma, Paralysen finden ihre Beseitigung. Die Douche wirkt gleich einem grossen Schröpfkopf und deshalb zur Beseitigung von Anschwellungen der Leber, Milz und des Uterus, der Auflockerung von Schleimhäuten und chronischer Schleimflüsse derselben. Senkungen des Uterus werden fast immer geheilt, nachdem die Anschwellung zurückgebildet ist. Als mächtiges Erregungsmittel des Capillargefässsystems dient sie dazu, pathologische Exsudate zu entfernen, seien sie in den Hirnhöhlen, in Gelenken oder in der Pleura ergossen, wenn sie nur keine eiterige Beschaffen- heit haben. Noch muss ich der ableitenden und anziehenden Douchen erwähnen. Wenn man die schwitzende Haut von der Mitte des Körpers an abwärts douchen lässt, so erblasst das Gesicht und Oberkörper, während der untere Theil sehr roth wird. Umgekehrt geschieht es bei der Bespritzung des Oberkörpers, dass der untere Körpertheil erblasst. Bei Blutungen der Organe unterhalb des Zwerchfells wird der obere Theil des Körpers gedoucht und Brake Bei Amenorrhoea ist die Douche, auf die Schenkel angewendet, von grosser Wirkung, eben so die strömenden Sitzbäder. Alle Uterus-Anschwellungen erfordern diese Bäder als Un- terstützung für die allgemeinen Douchen. Mastdarm-Douchen wirken heilsam bei Auflockerung der Schleimhaut, sei sie nach acuten oder chronischen Prozessen zurückgeblieben. C. Die erregenden Umschläge, alle 3—4 Stunden erneuert, und mit gut ausgerungenen nassen Tüchern gemacht, machen die warmen Brei-Umschläge völlig entbehrlich. Sie werden theils um die Extremitäten, theils um die übrigen Körpertheile angelegt und können hier ent- weder als Hautreize dienen und Furunkeln erzeugen, oder sie werden täglich 3—4 Stunden verschiedene Male unterbrochen und lassen dann die Haut unverletzt. Alte Gelenkleiden exsudativer Art, Caries und unvollkommene Anchylosen werden dadurch gebessert und geheilt. 12. Um mit Erfolg die Kälte wirken zu lassen, ist es nöthig: 1) dass die Haut heiss oder schwitzend sei, 2) dass das Wasser kalt sei 4-12° R. 3) dass die Einwirkung der Kälte je nach der Eigenthümlichkeit des Kranken und der 139 beabsichtigten Heilzwecks genau abgemessen werde und niemals das nach dem ersten Frostan- falle eintretende Behaglichkeitsgefühl überschreite. 4) die nassen Einpackungen und Sitzbäder dürfen nie bei langsamem Pulse und reichlichem Schweisse die Douchen und Vollbäder nie bei beschleunigter Blutbewegung angewandt werden. In der diesem Vortrage folgenden Discussion bemerkte Hr. Medicinalrath Schneemann, dass auch er Erfahrungen gemacht habe, welche die Wirkungen des kalten Wassers und ande- rer Anwendungsarten der Kälte in Bezug auf Uterusanschwellungen ausser Frage stellten. Mehr- fache hier einschlagende Fälle werden von verschiedenen Mitgliedern aus ihrer Praxis angeführt. Hr. Dr. Piutti aus Elgersburg, Vorstand der dortigen Kaltwasserheilanstalt, will der Wasser- kur alle Beachtung zuwenden, (er sprach sich später in der Sitzung des Vereins für gemein- schaftliche Arbeiten zur Förderung der wissenschaftlichen Heilkunde, in welchem eine auf die- sen Gegenstand bezügliche Preisaufgabe gestellt wurde, noch weiter in diesem Sinne aus) und will die gegen die Wasserkuren in Preussen bestehenden Gesetze aufgehoben wissen. Hr. Dr. Reclam aus Leipzig führt an, dass er diesen Sommer Untersuchungen über die Verkleinerung der Milz angestellt habe, aus denen hervorgehe, dass nach Anwendung eines kalten Wassersträhls auf die Milzgegend anfangs Anschwellung, später Zurückgehen auf ihr früheres Volum stattfinde. Herr Dr. Zwanck aus Hamburg sprach über die von ihm erfundenen Hysterophoren, deren er unter Hinweisung auf die darüber erschienene Schrift eine grössere Anzahl zur An- sicht und eventuell zum Verkauf (ad 1 Rthlr.) vorlegt. Er machte zuerst auf ein sehr grosses Hysterophor aufmerksam, dienlich bei Vorfällen der relaxirten Scheidenwandungen, welches den Zweck nie verfehlen soll, dann auf viele kleinere unterschiedlicher Einrichtung. Die Biegun- gen der Stäbe sind von verschiedener Form, je nach der Neigung des Beckens. Neu hinzuge- kommen ist die Anwendbarkeit von Arzneistoffen mittelst des Hysterophors. Zu diesem Zwecke wird der Apparat mit einer Hülle gewirkter Baumwolle versehen, welche mit mancherlei Arz- neistoffen imprägnirt werden kann, und bei Excoriationen, Geschwüren u. del. gute Dienste leisten soll. Herr Medicinalrath Schneemann, von dem Redner ersucht, etwas von seinen Erfahrun- gen über den Nutzen der Hysterophoren, die er ihm zum Oeftern zugeschickt habe, mittheilen zu wollen, äusserte, dass er es fast aufgegeben hatte, etwas gegen den prolabirten Uterus zu thun — nur Schwamm, mit Binden festgebunden, habe ihm noch leidliche Dienste geleistet —, neuerdings aber die überraschendsten Erfolge mit dem Zwanck’schen Hysterophor erzielt habe. Er wies noch auf eine kleine Unbequemlichkeit der ihm von Hın. Zwanck zugesandten Hy- sterophoren hin, dass nämlich die untere runde Schraube sich nicht bequem drehen lasse, wor- auf Hr. Zwanck unter Hinweisung auf die gegenwärtig vorgelegten Exemplare bemerkte, dass er diese Schraube bereits habe eckig machen lassen, und dass ausserdem die beiden Stäbe, welche von dem eigentlichen Träger zu dieser Schraube führen, jetzt so geformt seien, dass sie sich nur unten an der Schraube berührten, weil es ihm zuweilen vorgekommen, dass Schleim- hautfalten, Haare u. s. w. dazwischengefasst und eingeklemmt wurden. Herr Professor Julius Vogel aus Giessen sprach über die Nothwendigkeit chemischer Untersuchungen in der praktischen Mediein. Er will nicht Mittheilungen über praktische Resul- tate chemischer Untersuchungen an Kranken machen, sondern nur im Allgemeinen auf das Be- 18* 140 dürfniss chemischer Untersuchungen in der Praxis hinweisen und dabei besonders die prakti- schen Mediciner auf die leichte Ausführbarkeit derselben aufmerksam machen. Obgleich früher mit Vorliebe pathologischer Anatom, weist er doch «deren Ueberschätzung mit Entschiedenheit zurück. Er hebt namentlich auf der einen Seite die Beachtung des Nervenlebens hervor, die sich jetzt immer grössere Geltung verschaffe, und vielleicht schon bald sich praktisch verwen- den lasse, und lenkt andererseits das Augenmerk der Praktiker auf die besonders durch die neuerdings mehr cultivirten Maassanalysen (die Titrirmethode) so sehr vereinfachten und erleich- terten chemischen Untersuchungen insbesondere des Harns u. s. w. Endlich hebt der Redner durch Anführung einiger Beispiele hervor, dass man sich jedoch nicht einseitig bloss an die chemischen Veränderungen halten dürfe, was wiederum nur auf Abwege führen könne. Herr Medicinalrath Beneke aus Oldenburg sprach über die Heilwirkungen des Nordsee- bades. Er theilt die Resultate chemischer Untersuchungen mit, welche er anfangs in Olden- burg, später in Wangerooge unter verschiedenen Verhältnissen an sich selbst angestellt hatte, und folgert aus denselben manche praktische Ergebnisse. Hinsichtlich des Genaueren dieser Untersuchungen weist er auf eine demnächst erscheinende Schrift über diesen Gegenstand hin. Schliesslich spricht der Redner, auf Anfragen, seine Ansichten über den Temperatur-Einfluss aus, und bedauert Ozon-Untersuchungen nicht ausführlich angestellt zu haben. Im Zusammenhang mit mehreren der angeführten Thatsachen bemerkt Hr. Professor J. Vogel, dass die Menge der Schwefelsäure im Urin bedeutend wächst nach starker Proteinauf- nahme und sich nach reichlichen Mahlzeiten selbst verdoppelt und verdreifacht. Herr Dr. Dawoski aus Celle sprach über ‚‚die Heilung der Blennorrhagia muliebris mit- telst des Höllensteins in Substanz” : M. H. Ich habe mir die Erlaubniss genommen Ihre Aufmerksamkeit auf einige Augenblicke für eine Krankheit und deren Heilung in Anspruch zu nehmen, nicht weil ich der Ueberzeugung bin, Ihnen etwas Neues, bislang Unbekanntes mittheilen zu können, sondern einzig in der Ab- sicht, Ihnen ein Verfahren zu beschreiben, das mich bei der Heilung derselben nie im Stiche gelassen hat, — ich meine die Blennorrhagie der Frauen und ihre Heilung mittelst. des Höl- lensteins in Substanz. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass erst mit der besseren Handhabung des Mutter- spiegels die grosse Wirksamkeit des Höllensteins in der besagten Krankheit die verdiente An- erkennung gefunden hat, und wenn ich früher schon den Ausspruch that, bei Heilung des Männertrippers alle inneren Mittel entbehren zu können, so mache ich mich anheischig, mit einem Mutterspiegel, Spritze, Wasser und Höllenstein alle Blennorrhagien der Frauen heilen zu wollen. x Ist eine richtige Diagnose überhaupt die erste Bedingung zum Einschlagen eines Heilver- fahrens, so ist sie dieses namentlich bei der Blennorrhagie der Frauen, und der Grund, warum das so grosse Heer der viel gepriesenen Mittel gegen diese Krankheit uns so oft im Stiche liess, lag nicht in diesen, sondern in der mangelhaften Diagnose, man suchte die Quelle des Secrets in der Vagina, während das Uebel am Muttermunde oder im Canalis cervicalis seinen Sitz hatte. Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, dass das von mir anzugebende Verfahren nur in den chronisch gewordenen Fällen seine Anwendung finden kann und dass die Anwendung der Aetzmittel im ersten Zeitraume hier sowie beim Männertripper zu widerrathen sei. 141 Untersucht man mittelst des Mutterspiegels die Scheide der an Blennorrhagie Leidenden, so wird man finden, dass fast durchgehends die hintere Parthie derselben mehr ergriffen ist als die vordere; die Mucosa“ist entweder an einzelnen erkrankten Stellen hier und da ihres Epitheliums beraubt (plaques), oder man findet diesen Zustand über grössere Parthien ausge- breitet; die Schleimhaut erscheint wegen der blossliegenden Zotten roth gefärbt und gewährt dann das Aussehen einer in Eiterung begriffenen Vesicatorstelle oder der Conjunctiva bei chro- nischen Ophthalmien. Nur in einzelnen Fällen sah ich dieselbe auch wohl weiss wie granu- lirt, und auf ihr ein milchähnliches Secret sitzend. Neben dem Verlust des Epitheliums wird man aber auch eine theilweise Zerstörung der Zotten wahrnehmen, ein Zustand der entweder begränzt oder auch wohl über den ganzen Mut- termund und äusseren Cervicaltheil verbreitet vorkommt, und dann kleine, unscheinbare Ge- schwüre darstellt. Oft nimmt man hier auch Fleischwärzchen wahr, zuweilen auch Granula- tionen, die in Gruppen beisammenstehen. Häufig aber ist der Canalis cervicalis und die ihm zunächst liegende Parthie des Uterus der alleinige Sitz der chronischen Blennorrhagie, ein Zu- stand der um so mehr Aufmerksamkeit verdient, als dabei die Vagina und die äussere Parthie des Muttermundes gesund erscheint. Was die Secreta anbelangt, so habe ich in denselben kein charakteristisches Merkmal fin- den können. Bald sind sie serös, bald schleimig, bald eitrig, bald weiss, bald gelb, bald grünlich gelb, bald festansitzend, wie das. glasartige Secret des Canalis cervicalis, bald leicht zu entfernen. Doch würde es zu weit führen, wollte ich Ihnen die verschiedenartigsten hier vorkommenden Modificationen aufzählen, und glaube ich um so mehr einer weiteren Auseinan- dersetzung überhoben zu sein, als ich mir nur die Aufgabe gestellt habe, Sie mit meiner Be- handlungsweise mittelst des Höllensteins in Substanz bekannt zu machen. Habe ich mich überzeugt, dass der entzündliche Zeitraum vorüber, und der Zustand die Anwendung des Mutterspiegels gestattet, so suche ich mich zuerst von dem Sitze des Uebels und seiner Ausbreitung zu unterrichten. Ich bediene mich dazu des geschlossenen Mutterspie- gels, und suche vor allen den Muttermund in die Oeffnung desselben zu bringen, ein Verfah- ren, das oft so leicht nicht ist und, wie die Handhabung des Mutterspiegels überhaupt, einer gewissen Uebung bedarf. Zur Reinigung der Mucosa von dem ihr adhärirenden Schleime be- diene ich mich einer guten Klystierspritze und des einfachen Wassers. Der starke Strahl ent- fernt das Secret bald, und wo etwas sitzen bleiben sollte, wird man es mit einem guten Char- pie-Pinsel bald entfernen können. Die zu diesen Zwecken vorgeschlagenen mannigfachen Sö- lutionen, so wie die neuerdings empfohlene chlorirte Douche, Injection von Dr. Foucher, halte ich um so überflüssiger als ich wie gesagt die Mucosa nur reinigen will, und alle Einspritzun- gen und Tampons mir nichts genutzt haben. Nur das fest ansitzende zähe, glasartige Secret am Os uteri lässt sich selbst mit dem starken Wasserstrahle nicht immer entfernen, und reicht auch der Charpie-Pinsel dazu nicht aus, so suche ich das Secret durch Berührung mit Lapis zu einem festeren Gerinsel zu bringen, und entferne es mit einer langarmigen Pincette. Lie- gen die krankhaft angegriffenen Stellen deutlich da, so fange ich die Bepinselung derselben mittelst des Lapis-Stiftes bei den hintersten an, und fahre so fort, indem ich den Mutter- spiegel langsam aus der Vagina herausziehe. Je nachdem der Zustand es erfordert, kann man diese Aetzung oberflächlicher oder tiefer wirken lassen. Zum Aetzen des Canalis cervicalis be- diene ich mich eines Lapis-Stiftes, der wenigstens ein Zoll lang ist; ich drehe denselben ei- nige Male rasch darin um, und ist mir ein Abbrechen desselben nie vorgekommen. Wo ich 142 grössere Parthien geätzt habe, lege ich wohl ein Tampon von trockner Baumwolle ein, um die gegenseitige Berührung zu vermeiden. Nach 5 bis 6 Tagen wird die Procedur wiederholt und in 3 bis 4 Wochen ist die Cur vollendet. Nur bei Blennorrhagien des Canalis cervicalis und den angrenzenden Parthien des Uterus habe ich zuweilen längere Zeit nöthig gehabt. Schmerzhaft ist das Verfahren durchaus nicht, nur zuweilen klagen die Patienten über ein leichtes Brennen, das aber bald von selbst verschwindet. Nachtheilige Folgen habe ich bis- lang noch nicht beobachtet, obwohl ich mich .schon seit Jahren desselben bediene, und Mut- terblutungen, die Einige in Folge davon gesehen haben wollen, namentlich übermässige und verfrühte Menses, sind mir noch nicht vorgekommen. ‘ Hr. Prof. Vogel ist vollkommen der Ansicht des Hm. Dawosky, dass die örtliche Be- handlung meist die Hauptsache ist; manchmal sei jedoch auch eine allgemeine Behandlung nöthig und allein ausreichend, wie namentlich bei Blennorrhagien Chlorotischer u. s. w. Hr. Dawosky bemerkte, dass er besonders die durch Infection entstandenen Blennorrhagien im Auge gehabt habe. Hr. Dr. Levin aus Berlin machte auf einen Sectionsbericht aufmerksam, wo bei einem Mädchen in Folge örtlicher Behandlung mit Höllenstein eine so enge Vagina sich vorfand, dass nur eine feine Sonde hindurchging. Er bemerkte weiter, dass Unfruchtbar- keit und retentio mensium die Folgen solcher ausgedehnter örtlicher Anwendung des Höllen- steins sein könnten. Hr. Dawosky entgegnet, dass jedes Uebermass der Anwendung des Lapis schädlich sei, dass aber auch auf der andern Seite durch die Leukorrhöe selbst sehr häu- fig Unfruchtbarkeit bedingt werde. Der eben erwähnte Berliner Fall gab Herrn Dr. Wiese Veranlassung zu nachstehenden weiteren Bemerkungen : Bei der Form des fluor albus, welche einfacher, durch mechanische oder physikalische Ur- sachen hervorgerufener oder durch Einwirkung des sog. Trippercontagiums entstandener Katarrh und somit auch nicht Symptom eines larvirten Chankers, also ein rein örtliches Leiden ist, ist eine rein örtliche Behandlung nicht nur genügend, sondern ist diese auch allein diejenige, wel- che wirkliche Heilung erzielen kann. Unter den örtlich anzuwendenden Mitteln steht nun, mag der Sitz des Leidens in der vagina oder, wie sehr oft, wenn nicht meistens, zugleich in der cavitas colli uteri oder in die Uterushöhle selbst sein, der Höllenstein oben an. Nur wo die weibliche Harnröhre zugleich katarrhalisch aflicirt ist, kann man von sog. innerlichen Mit- teln rationelle Anwendung machen, wenn diese der Art sind, dass sie ihren wirksamen Be- standtheilen nach durch den Harn wieder ausgeschieden werden (diuretica, balsamica etc.) und letztere somit in diluirtem Zustande auf die Harnröhre selbst wiederum eine örtliche Einwir- kung ausüben. Dass tonisirend adstringirende Medicamente, besonders die Eisenpräparate indi- eirt sind, wenn in Folge des anhaltenden und ausgebreiteten Katarrhs der weiblichen Ge- schlechtstheile secundär eine Blutqualitätsverschlechterung sich herausgestellt hat, versteht sich ebenso von selbst, wie ein auf Bleichsucht und ähnlichen Zuständen basirter fluor albus, wie bereits von Hrn. Prof. Vogel hervorgehoben, von vornherein eine derartige allgemeine Behand- lung erheischt. Was nun die Befürchtung anbelangt, dass durch Aetzen der portio vaginalis oder, wo das orificium uteri externum hinreichend geöffnet, der cavitas colli uteri eine adhäsive Entzündung und somit Verwachsung der Muttermnndslippen eintreten könne, so bedarf es wohl kaum der Andeutung, dass, wer als Arzt sich mit der obigen örtlichen Behandlung des Uterinkatarrhs 143 befasst, weder das Touchiren mit Höllenstein in Substanz, noch die Einspritzung des gelösten lapis infernalis auf eine rohe und gewaltthätige Weise vornehmen wird. Fernerweit ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Höllenstein im Gegensatze zu ätzenden Alkalien und con- centrirten Mineralsäuren gerade dasjenige Aetzmittel ist, welches durch die sofort entstehende deckende Schichte des Silberalbuminats nur eine oberflächliche Wirkung um so mehr hervorruft, als das katarrhalische Secret selbst nach der dem Aetzen vorausgegangenen Reinigung nie völ- lig entfernt worden war. Schliesslich mag erwähnt werden, dass der gegen die Anwendung des lapis infernalis bei fluor albus gemachte Einwurf, als sei die Möglichkeit und Gefahr einer adhäsiven Entzündung der Vaginalportion vorhanden, vollkommen mit dem übereintrifft, welchen man gegen die ört- liche Behandlung der Genorrhoe in Bezug auf die Möglichkeit dadurch hervorzurufender Strietu- ren gemacht hat. Wie aber auch die auf Genorrhoen folgenden Strieturen eher in der langen Dauer des Urethralkatarrhs und der dadurch erfolgenden und dabei möglichen Umänderung des Volumens, der Consistenz und selbst des Gewebes der Schleimhaut und des submucösen Bindegewebes ihre Begründung finden werden, als auf durch Höllenstein herbeigeführter Entzündung beruhen, ebenso kann und wird eher das lumen des orificium uteri externum und der cavitas colli uteri bei längerer Andauer des Uterinkatarrhs durch Schwellung der Schleimhaut u. s. w. abnehmen, als in Folge der durch örtliche Behandlung mit Höllenstein hervorzurufenden Entzündung ste- nosirt oder gar geschlossen werden. Herr Dr. Eulenburg (prakt. Arzt, Operateur und Geburtshelfer, Director eines Instituts für Orthopädie zu Berlin) hielt einen Vortrag ‚‚über Ursachen und Behandlung der seitlichen Rückgratsverkrümmungen”. Die Ansichten über die Ursachen der Rückgratsverkrimmungen, besonders der seitlichen, gehen bei den verschiedenen Autoren so weit aus einander, dass sie sich oft schroff gegenüber stehen. Eine unbefangene Prüfung derselben ist daher um so nöthiger, als die richtige Wür- digung der ursächlichen Momente den entschiedenen Einfluss auf die entsprechende Behandlung der Deformität üben muss. Das Studium der darüber vorhandenen Literatur bietet recht viel Unerquickliches. Viele von Orthopäden verfasste Schriften sind meist das Product ego- istischer industrieller Tendenz. Andere führen leider zu dem Resultat, dass oft die achtbarsten Autoren die Ursachen ex post nach einseitiger Vorliebe für ihre Behandlungsweise gemodelt haben. _ Gewiss ist auch hier, wie überall in der Therapie, der Weg der allein richtige, dass die Behandlung nach den Ursachen gehandhabt werde. So stellt z. B. Gu£rin für die seit- lichen Rückgratsverkrimmungen folgende 2 Cardinal-Sätze auf: 1) Die meisten Skoliosen sind das Product activer Muskel-Contraction. 2) Die active Behandlung besteht in der Durchschneidung derjenigen Muskeln, durch de- ren Verkürzung die Verkrümmung bedingt wird. Man darf diese Sätze nur negativ aussprechen, so hat man die Ansicht seines Fachgenos- sen Bouvier. Dieser, Vidal, Bühring und zahlreiche Andere legen das grösste Gewicht auf die krankhafte Knochenentwickelung. Während sie in dieser das primär-ursächliche Mo- ment für die Rückgrats-Deformitäten sehen, betrachten sie die einmal nicht zu leugnenden Veränderungen im pathologischen Verhalten der Muskeln als zufälligen Folgezustand. Ganz abweichend von diesen führte Stromeyer eine neue physiologische Anschauung her- 144 auf, indem er die Ursache der seitlichen Rückgratsverkrimmungen in eine Paralyse der äusse- ren Respirations-Muskeln verlegte. Unter seinen Gegnern verfocht Riecke die Ansicht, dass Empyem und unberücksichtigt gebliebene acute und chronische Lungenkrankheiten Einer Seite zumeist die Veranlassung der Skoliosen würden. Unbefriedigt von den existirenden Meinun- gen ordnete Blasius auch die seitliche Rückgratskrämmung in die von ihm mit grossem Scharfsinn erdachten und motivirten Stabilitäts-Neurosen ein, und stellt die durch solche be- dingte dehnbare Muskel-Contractur als die häufigste Ursache der Skoliose auf. Um endlich das Maass der Verwirrung übervoll zu machen, kündigte sich vor wenigen Jahren der gewiss an Talent und Erfahrung reiche Werner zu Stolpe als Reformator der Or- thopädie an, und machte offenkundig mit Allem, was vor ihm bestand, tabula rasa. Die von ihm zu dem Ende verfochtenen 60 Theses laufen auf die Behauptung hinaus, die seitlichen Rückgratsverkrümmungen rühren gar nicht von einem körperlichen Leiden her, weder von einem Muskel-, noch von einem Knochenleiden. Sie werden vielmehr durch den ‚„Willen” der Kranken allein erzeugt, seien eine Unart, also moralischen Ursprungs, und müssen durch moralische Mittel beseitigt werden. Die Krankheit, welche vorzugsweise ihre zahlreichen Opfer in der weiblichen Sphäre der gebildeteren Stände trifft, verdient gewiss eine sorgsame Prüfung. Ich hoffte kein überflüssi- ges Werk zu thun, wenn ich diese durch Anregung vor einem grösseren ärztlichen Kreise ver- anlasste. Ihr lohnendes Ziel sei: die Erforschung der Wahrheit. Ein in kurzen der Natur entnommenen Zügen gezeichnetes Bild der Scoliose mag voran- stehen, um darnach die Ursachen des pathischen Complexes besser würdigen zu können. Bei der Skoliose hat eine Anzahl Wirbel die ihnen von der Natur angewiesene Räumlich- keit, die Längs-Axe des Rumpfes, seitlich verlassen. Statt der normalen von vorn nach hinten sanft gewundenen Schlangenlinien erscheint die Wirbelsäule vom Schädel bis zum Ende des Kreuzbeins einer fast nach einem bestimmten Gesetze in zahlreichen Fällen wiederkehrenden unschönen seitlichen Schlangenlinie verfallen. So sind in der Regel die Hals- und Lenden- wirbel nach links, die Rücken- und Kreuzbeinwirbel nach rechts gekrümmt. Nächstdem sehen wir die naturgemässe harmonische Symmetrie des ganzen Rumpfes aufgehoben. Die Schulterblätter haben ihre symmetrische Stellung eingebüsst, mittelst ihrer auch die Schlüssel- beine und die Köpfe der Oberarmknochen. Die seitliche Krümmung der Wirbel ist in der Regel mit einer leichten Drehung um ihre Axe verbunden, so zwar, dass die Processus spinosi der Concavität der Krümmung zugewendet sind. Demgemäss weichen die Rippen an der Con- vexität fächerartig auseinander und drängen sich an der Concavität dicht zusammen. Sie än- dern ihre naturgemässe Krümmung, erscheinen an der concaven Rückgratsseite an ihrem vor- dern dem Brustbein zugewendeten Theile gewölbt, an ihrem hinteren mit den Wirbeln verbundenen Theile abgeflacht. Das umgekehrte Verhältniss prägt sich an der convexen Rückgratsseite aus. Diese erscheint hinten und seitlich hoch gewölbt und vorn abgeflacht. Die paarigen Knochen des Thorax haben zugleich eine ungleiche Entwickelung erlitten. Die convexe Thorax-Hälfte ist umfangreicher, ihr gerader Durchmesser grösser, ihr querer ist kleiner als der normale. Alles verhält sich umgekehrt an der concaven Thorax-Hälfte. Die Wirbelkörper sind an der convexen Seite höher als an der concaven und haben ihre cylindri- sche Gestalt mit einer keilförmigen vertauscht. Selbst die Schlüsselbeine verändern ihre Ge- stall. Bei der fast gewöhnlichen Betheiligung der Lenden- und Kreuzbein-Wirbel verändern auch die Hüftbeine ihre Stellung und Entwickelung. Dasjenige Hüftbein, welches der abnor- 145 men seitlichen Convexität des Kreuzbeins entspricht, erscheint höher hinaufgezogen , gewölbter und grösser in seinen Dimensionen, das andere unter der Norm verkleinert. Selbst in dem Gesicht der Skoliotischen ist die Symmetrie gestört, sobald die Halswirbel an der Skoliose betheiligt sind. Aehnlich wie beim Caput obstipum sehen wir hier eine Schräg- stellung des Kopfes. Je nach der Dauer dieser erscheint die niedre Gesichtshälfte entschieden kleiner als die obere. Am Gesicht schon erkennt daher der geübte Arzt die Skoliose. Bei so umfangsreichen, im Skelett zur unmittelbaren Anschauung kommenden pathischen Zuständen kann es nicht befremden, dass man deren nächste Entstehungs-Ursache in unmittel- barer Erkrankung der Knochen selbst suchen zu müssen glaubte. Es lag in dieser Beziehung nahe, an die das jugendliche Alter fast ausschliesslich heimsuchenden Dyskrasien zu denken, an Scrophulosis und Rhachitis. Allein die erstere hat zur seitlichen Rückgratsverkrümmung entschieden keine ursächliche Beziehung. Auf 100 Skoliotische kann ich kaum eine rechnen, welche mit irgend einem skrophulösen Krankheitszustande behaftet gewesen wäre. Niemand aber kann uns zumuthen, eine Deformität etwa deswegen von Skrophulosis abzuleiten, weil sie zufällig mit zartem Teint, blondem Haar oder dicker Oberlippe zusammenfällt. Skrophulosis erzeugt Knochenleiden, das ist nicht zu leugnen, als solches kann sie auch die Wirbel heim- suchen, und dies geschieht auch in der That bei dem unter dem Namen der Spondylarthrocace bekannten Leiden. Allerdings tritt in Folge dieser eine Rückgratsverkrümmung auf und zwar die schlimmste unter dem Namen Gibbus bekannte wirkliche Hervorragung nach hinten. Al- lein niemals entsteht dadurch die oben geschilderte seitliche Rückgratsverkrummung. Die Spondylarthrocace ist ein durch Tuberkel-Ablagerung gewöhnlich in den Wirbelkörpern auftre- tender destructiver Process, in dessen Verlauf und Gefolge die Processus spinosi der ergriffenen Wirbel sich zu einem mehr oder weniger hervorragenden Winkel knieförmig vereinigen. Sel- tener ist Ostitis und Periostitis die Veranlassung, die dann die Knochen von der Oberfläche aus cariös zerstört, während die Tuberculose sich in der spongiösen Knochenmasse entwickelt. Wenn der Ausgang dieses keinesweges immer leicht zu diagnosticirenden Leidens kein tödt- licherfist, so erfolgt die Heilung in der Regel unter Zurücklassung der erwähnten Gibbosität durch Osteophyten-Bildung und wahre Anchylosis. Nur in den überaus seltenen Fällen, wo dieser tuberculöse oder cariöse Process die Apophysen der Wirbel ergreift, wird eine Seiten- krümmung die Folge sein. Immer aber hätte auch diese die charakteristische Winkelform. Eine weitere Stelle kann ich, ohne gewaltsame Deductionen, der Scrophulosis, als solcher, unter den Ursachen der Rückgratsverkrümmungen überhaupt nicht einräumen. Ein Anderes ist es mit dem Rhachitismus. Zu dessen eigenthümlichem Wesen gehört, wenn auch nicht als ausschliessliches Symptom, jene Knochenerweichung, welche zu den verschiedenartigsten Verbiegungen des Skeletts wohlbegründete Veranlassung giebt. Gleichwohl bestimmen mich Thatsachen, gewichtigen Autoren wie Stromeyer und Blasius, beizustimmen, welche der Rhachitis bei Weitem nicht den Antheil an Rückgratsverkrümmungen und nament- lich an seitlichen zuerkennen, wie dies von anderer Seite her zu geschehen pflegt. Selbst wenn bei Rhachitischen eine seitliche Rückgratsverkrämmung eintritt, ist man noch keines- weges berechtigt, als Ursache davon, etwa nach Analogie der an den Extremitäten vorkommen- den Verbiegungen ein ursprüngliches Knochenleiden der Wirbel anzunehmen. Diese Analogie, sagt Blasius sehr richtig (über Stabilität und Stabilitäts-Neurosen in Vierordt’s Archiv X. Jahr- gang Heft 2. S. 269), würde zulässig sein, wenn die Wirbelsäule aus Einem langen Knochen- stück bestände. — Eine viel mehr zutreffende Analogie ist dagegen die mit dem Loxarthrus 19 « 146 (Genu valgum) Rhachitischer. Wie dieser unter gewissen Bedingungen von einem fehlerhaften Verhalten des Tonus weicher Theile abgeleitet werden muss, so ist auch die Skoliose Rhachiti- scher in vielen Fällen als ein ursprünglich in den weichen Theilen und namentlich den Muskeln begründetes Leiden zu betrachten. Die Rhachitis ist ein auf einem allgemeinen fehlerhaften Vegetations-Process beruhendes, kein locales Leiden, und musste daher z. B. die Knochen der Wirbelsäule gleichzeitig mit denen der Beine ergreifen. Ich erwähne dies hier beiläufig, weil Guerin, wie auch schon Werner rügt (Grundzüge $. 23 u. ff.), gewiss Unrecht hat mit seiner Behauptung, dass Rha- chitis zuerst die unteren Extremitäten befalle und von diesen allmälig und successive auf- wärts schreite. Die unteren Extremitäten krümmen sich nur zuerst, weil sie die ganze Last des Körpers zu tragen haben. Beweis dafür ist der Umstand, dass schon vor der Krümmung der Unter-Extremitäten im frühesten Kindesalter die Auftreibung des Stirnbeins und die der Epiphysen an den Extremitäten vorhanden ist. Dass aber die Wirbelbeine dem rhachitischen Process weniger unterworfen sind als die Röhrenknochen, geht aus der Thatsache hervor, dass Rückgratsverkrümmungen nur bei 10 Proc. der Rhachitischen überhaupt eintreten, während durch die Verkrüämmung der Unter-Extremitätsknochen und die Auftreibung der Epiphysen das Vorhandensein der rhachitischen Dyskrasie unzweifelhaft bekundet ist. Wenn nun unter diesen rhachitischen Symptomen eine seitliche Rückgratsverkrümmung eintritt, so kann ich nur dann Knochenerweichung als Ursache annehmen, wenn die einzelnen in der Krümmung gelegenen Wirbel von Beginn an eine örtliche Höhenveränderung an sich tragen. Wo dies nicht der Fall, sind auch trotz des Rhachitismus die Wirbel nur secundär betheiligt und folgen als passive Bewegungsorgane dem anomalen Muskelzuge. Daher möchte folgende Erklärung dafür Geltung haben, dass die an Atonie und mangelhafter Contractilität leidenden Muskeln das Gewicht des Körpers nicht harmonisch zu tragen vermögen, unter des- sen Last sich dann jedes Skelett beugt. Als zur Diagnose wichtig füge ich noch die Thatsache hinzu, dass Rhachitis ein Attribut des frühesten Kindesalters ist. Die Entstehung der von ihr abhängigen Rückgratskrümmungen datirt daher von der Zeit vor dem 4ten bis öten Lebensjahre. Die rhachitische Skoliose hat deshalb bereits in dem Alter ihren Culminationspunkt und Abschluss erreicht, in welchem die gewöhnliche oben von mir beschriebene Skoliose kaum in leisen Andeutungen zu erscheinen anfängt. Auch habe ich die auffallende und für mich schwer erklärbare Beobachtung gemacht, dass die rhachitische Skoliose ungleich häufiger mit der Convexität nach links als nach rechts ge- richtet ist, im vollständigen Gegensatze zu der gewöhnlichen Skoliose. Unter den zahlreichen Skoliosen verschwinden fast die wenigen Fälle, deren Entstehung von einem resorbirten pleuritischen Exsudate in der einen Pleura-Höhle abzuleiten ist. Dass diess geschehen könne und geschieht, darüber ist kein Zweifel. Laennee erklärt diesen Vor- gang dadurch, dass die Lunge der kranken Seite nicht ausgedehnt werden könne, weil die atmosphärische Luft auf die aflieirte Seite drücke. Delpech dagegen erklärt eine derartige Skoliose durch Zusammenziehung der Pseudomembranen in der Pleura-Höhle. Riecke hat neuerdings wiederholt die Aufmerksamkeit auf diese Entstehungsursache hingelenkt (1846 in v. Ammon’s Journal für Chirurgie u. Augenheilkunde, und 1851 im Journal für Kinderkrank- heiten). Er stellt dabei den Grundsatz auf, dass wo immer eine ungleiche Entwickelung und Ausdehnung der Lungen Statt hat, jedes Mal eine Skoliose entsteht, mit der Concavität an der- 147 jetzigen Seite, wo die unthätigere Lunge ist. In der Vorliebe für diese Idee will er die mei- sten Skoliosen von Lungenleiden ableiten. Diese seien nur vor Einführung der Auscultation und Percussion der Beobachtung der Aerzte entgangen. Man habe sich dann nur an die au- genfällige Verkrümmung gehalten, und diese nun aus Knochen-, Muskelleiden, willkürlich angenommener Stellung u. s. w. hergeleitet. Nach aller Aufmerksamkeit auf die Aetiologie der Skoliosen und Riecke’s Behauptungen insbesondere kann ich nun nicht anders als Riecke’s Ansicht für Irrthum erklären. Soll seine Ansicht richtig sein, so müsste gerade im Anfange der Skoliose das Lungenleiden sehr ausgeprägt sein, namentlich, wenn Empyem so häufig die Ursache sein soll. Unter vielen Hun- derten von Skoliosen bin ich bis jetzt auch nicht Einem Falle begegnet, wo ich mit Sicherheit diese Ursache vorgefunden hätte. Ich meine, dass selbst in den Fällen, wo ein Exsudat in einer Pleura vorhanden ist, beim kindlichen Organismus zumal, entweder der Tod oder voll- ständige Heilung erfolgt, und dass mit seltenen Ausnahmen nur diejenigen Fälle, wo das Ex- sudat durch die Natur oder Thoracocele nach aussen entleert wird, als Veranlassung zur Sko- liose in diese Rubrik treten würden. Offenbar zu weit geht aber Riecke, wenn er die Skoliose von jeder ein Mal im kindlichen Alter vorhanden gewesenen Affection der Respirationsorgane herleiten will. Seine Behauptung aber, dass die Scoliosis häufig mit phthisischem Habitus und mit erblicher Anlage zur Phthisis vorkomme, die in der concaven Seite beginne, wird von der Erfahrung so wenig bestätigt, dass Rokitansky die vielleicht auch excessive und daher viel- fach bestrittene Ansicht aufstellen konnte, dass Rückgratsverkrümmungen Tuberculose aus- schliessen. Riecke’s Ansicht steht in einem, wenn auch nur polemischen Zusammenhange mit einer der geistvollsten T’heorien, welche das orthopädische Gebiet aufzuweisen hat, mit Stromeyer’s Lehre von dem Einfluss der respiratorischen Lähmung, namentlich des M. serratus anticus magnus, auf die Entstehung der Skoliose. Charles Bell’s Entdeckung und Theorie von dem doppelten Nerven-Apparat gewisser respiratorischer Muskeln, einem willkürlichen und einem un- wilXürlichen, benutzt Stromeyer in bekannter Weise, um darzuthun, dass durch die Aufhe- ‚ bung der unwillkürlichen Thätigkeit des M. serratus anticus magnus beim Fortbestehen seiner willkürlichen Function sämmtliche Erscheinungen der Skoliose ungezwungen zu erklären seien. Dass diese Ansicht für diejenigen Muskeln, in denen sich der Nerv. accessorius Willisii verästelt, also für den M. sternocleidomastoideus, cucullaris, levator anguli scapulae und die rhomboidei eine berechtigte ist, ist keinem Zweifel unterworfen, da diese Muskeln, durch die spinalen Nerven versorgt, ihre willkürliche Function fortsetzen können, wenn der Nerv. acces- sorius gelähmt ist, gleichwohl aber in ihrem Tonus und Contractilitäts-Verhältniss hinreichend geschwächt werden können, um von ihren Antagonisten überwunden zu werden. So erklärt Stromeyer den Beginn der Deformität.. Ob es sich nun mit dem M. serratus antic. magnus ebenso verhalte, das ist vor allem die Frage. In diesem Muskel verbreitet sich der Länge nach der Nervus thoracieus longus. Bell hat nachgewiesen, dass dieser Nerv ein respiratori- scher sei, weshalb er ihn N. respiratorius externus inferior nennt, und behauptet, dass er das für den Serratus antic. magnus sei, was der N. accessor. Willisii für den Sternocleidomastoideus, Cucullaris ete. Diese letztere Annahme findet noch bei den Physiologen und namentlich bei Johannes Müller keine Bestätigung, während er das angeführte Verhältniss in Betreff des Nerv. acces- sorius Willisii zugesteht. 19* 148 Die Richtigkeit aber angenommen, finde ich diese Ansicht nicht nur geistvoll, denn das würde für die Praxis nicht genügen, sondern auch physiologisch berechtigt. Und ich kann es nicht begreifen, wenn Männer wie Bühring, Riecke, Werner diese Ansicht mit Hohn be- kämpfen. Selbst wenn sie ein Irrthum wäre, bliebe sie für die Wissenschaft von hohem In- teresse. Meine Erfahrungen reichen nicht hin, um Stromeyer’s Ansicht zu bestätigen. Die Prü- fung der respiratorischen Lähmung des Serratus ist so trügerisch, dass ich mir ein sicheres Urtheil darin nicht erlaube. Ich weiss nur, dass ich unvollkommene Paralysen des Serratus antic. magnus beobachtet habe mit ungestört fortbestehender respiratorischer Thätigkeit, warum sollte daher nicht auch das umgekehrte Verhältniss der Fall sein können? Dagegen genügen meine Beobachtungen wohl, um mich zu dem Ausspruch zu berechtigen, dass Stromeyer jedenfalls zu weit geht, wenn er die Entstehung der meisten Skoliosen nach seiner Theorie deuten will. Denn zahlreiche mit aller Hochachtung vor Stromeyer’s Ansicht und mit besonderer Rücksicht auf dieselbe angestellte Untersuchungen haben mir die vollkom- mene Integrität der respiratorischen und willkürlichen Thätigkeit des Serratus anticus magnus bei der Scoliosis habitualis unzweideutig nachgewiesen. Sie bedarf also einer anderen Ursache, und wir fahren daher fort, eine solche aufzusuchen. Blasius, welcher Stromeyer’s Ansicht für eine irrige hält, reiht die Skoliose den von ihm sogenannten Stabilitäts-Neurosen an. Unter letzteren versteht er diejenigen Anomalien, wo durch 'krankhafte Thätigkeit des Nervensystems das Verharren der Theile in einer bestimmten (normalen) Lage, ohne Vermittlung von Krampf, Lähmung oder organische Veränderung der betreffenden Muskeln abgeändert oder aufgehoben ist. Dahin rechnet er das Zittern z. B. bei Gemüthsaffeet (Zorn), die Paralysis agitans, den Nystagmus, die Iridodonesis (Flottiren der Iris), die Katalepsie, die Reflex-Contracturen, z. B. bei Coxalgie, und alle Contracturen mit unveränderter Dehnbarkeit der Muskeln. Zu den letzteren gehört nun mit anderen Deformitä- ten, wie Klumpfuss ete., auch die Skoliose. Blasius entwickelt diese neue Anschauung einer wichtigen Classe von Krankheiten mit so viel Geist, dass er zum grössten Theil überzeugend wirkt. Allein so weit sie sich auf die De- formitäten bezieht, läuft sie auf die einfache Ansicht hinaus, welche uns unter der durch krank- hafte Innervation bedingten Störung des Antagonismus der Muskeln bekannt ist. Diese Störung des Antagonismus der betheiligten Muskeln halte ich nun für vollkommen ausreichend, um die Entstehung der Scoliosis habitualis zu erklären. Wir sehen an der Mittellinie des Kopfes und Rumpfes gleichartige Knochen und Weich. gebilde. Alle Physiologen stimmen darin überein, dass die Veränderung der Seitenrichtung durch die Kräfte bewirkt wird, welche in der Verkürzung der Muskeln enthalten sind. Die Stützpunkte dieser sind hier überall so angebracht, dass wir überall Hebelwirkungen erster Ord- nung finden, in denen der Ruhepunkt wahrhaft in der Mitte liegt (s. Valentin II. Bd. 1. Abth. $ 2621.). So lange nun die den seitlichen Bewegungen der Wirbelbeine vorstehenden Mu- skeln auf beiden Seiten in gleicher Energie wirken, muss die Wirbelsäule gerade bleiben. Herrscht dagegen die Kraft oder Thätigkeit der Muskeln Einer Seite vor, so muss nothwen- dig eine seitliche Abweichung der Wirbelsäule erfolgen. Die Aushöhlung des Krümmungsbo- gens, die Concavität, wird nach der Seite gerichtet sein, wo sich die relativ kräftigeren Mu- skeln befinden. Für die Behandlung ist es freilich mit dieser physiologischen Deutung nicht abgethan. 149 Für sie ist es wichtig zu wissen, auf welcher Seite nun bei der Annahme eines gestörten Anta- gonismus die eigentlich kranken Muskeln seien. Es sind nämlich nur zwei Fälle möglich: ent- weder die seitliche Abweichung ist Product einer abnormen Kraft der an der Concavität gele- genen oder einer abnormen Kraftverminderung der an der Convexität gelegenen Muskeln. Beide Fälle sind möglich. Welche von beiden Ursachen die Regel ist, kann uns nicht zweifelhaft sein, wenn wir die Körper-Constitution der mit diesen Krankheitsformen behafteten Individuen würdigen. Was auch Werner u. A. dagegen sagen mögen, es ist dennoch unbe- streitbar, dass allgemeine Schwäche, mangelhafte Energie der Organe überhaupt und der Bewe- gungs-Organe insbesondere zur Charakteristik der Skoliotischen gehören. Daher das unverhält- nissmässig häufigere Vorkommen dieser Krankheit beim weiblichen Geschlecht, etwa wie 100: 15. Das Verhältniss fällt aber noch dadurch zur Unterstützung meiner Ansicht aus, dass die Sko- liosen bei Mädchen meist einen viel höheren Grad erreichen, während sie bei Knaben auf ge- ringerer Stufe von selbst einen Stillstand gewinnen. Daher das Eintreten der Rückgratsver- krümmung in der Zeit des Zahnwechsels und der Pubertät; ferner nach Keuchhusten, nach heftigen acuten exanthematischen oder anderen Krankheiten der Kinder. Ganz besonders aber spricht für diese Ansicht die unleugbare Thatsache, dass die Skoliosen in dem Alter bald nach dem Anfange des. Schulbesuches in der Regel beginnen und von da ab sich bis zum l5ten, 16ten Lebensjahre immer weiter entwickeln. Hier ist die Quelle der Scoliosis habitualis. Zur allgemeinen Atonie gesellt sich eine locale Schwäche der die Wirbelsäule beherrschenden Mu- skeln. Während die übrigen Körpertheile angemessene Unterstützungspunkte finden, sind die Rückenmuskeln genöthigt während eines verhältnissmässig grossen Zeitraums eine ihr Kraft- maass überschreitende Last zu tragen. Unwillkürlich suchen sie sich andere Stützpunkte und finden sie in der seitlichen Ausweichung. Die durch Gewohnheit, häufig aber selbst auf An- ordnung der Lehrer, beim Schreiben übliche Haltung des Rumpfes zeigt eine künstlich er- zeugte vollkommene Skoliose. Wir sehen hier stets die an der rechten Seite der Wirbel gele- genen Muskeln verlängert, ihre Insertionspunkte im hohen Grade auseinandergerückt, die an der limken Seite gelegenen verkürzt. Sämmtliche Skelettgebilde des Thorax nehmen bei dieser Lage der Muskeln vollkommen genau die Lage an, welche ich oben als der Skoliose eigenthüm- lich geschildert habe. Eine solche täglich Stunden lang unterhaltene Entspannung der unmit- telbar an der Wirbelsäule rechts gelegenen Muskeln muss nothwendig bei der ohnehin vorhan- denen allgemeinen Atonie deren Contractions-Fähigkeit ebensowohl absolut vermindern, als auch relativ in Bezug auf ibre ebenso lange im verkürzten Zustande verharrenden Antagoni- sten. Die verkürzten Muskeln sind ohne Zweifel in dieser Stellung die activen, wie aus der - Thätigkeits-Aeusserung eines jeden Muskels hervorgeht. Allein ein so dauernd verkürzter Zu- stand wird eher die physikalischen Verhältnisse der Muskeln ändern, als auf seine dauernde Kraftsteigerung einwirken. Erst die abwechselnd ausgeübte Contraction und Expansion bilden die wahre Function des Muskels, durch deren Uebung eine Steigerung seiner Kraft bewirkt werden könnte. Immerhin werden die an der Concavität gelegenen, activ contrahirten län- ger als die an der Convexität gelegenen passiv gedehnten, ihre relative Kraft bewahren. Die ihre Contractions-Fähigkeit immer mehr einbüssenden gedehnten Muskeln können sich nicht mehr in dem Maasse zusammenziehen, um die Geradstellung der betreffenden Wirbel- beine zu bewirken oder wenigstens zu unterhalten. Die Gewöhnung ist zur Natur geworden, d. h. der bestimmte Gebrauch hat bereits Veränderungen in der Thätigkeit der Muskeln zur Folge gehabt, welche eben in einer mangelhaften Innervation derselben besteht. 150 Im Grunde nun ist dies auch trotz einer anderen Ausführung die Ansicht von Blasius. Seine Stabilitäts-Neurose ist auf die Skoliose angewendet nichts Anderes als der durch mangel- hafte Innervation aufgehobene Willenseinfluss auf die hier im antagonistischen Verhältniss ste- henden Muskeln. Diese Stabilitäts-Neurose soll nach Blasius die dehnbare Contractur zur Folge haben. Aber seine richtige Würdigung aller bei der Skoliose obwaltenden allgemeinen Verhältnisse nöthigen ihn, der einseitigen Schwäche der an der Convexität gelegenen Muskeln den überwiegenden Einfluss zuzuschreiben, obwohl es ihm zur Begründung seiner "Theorie ob- lag, den Beweis dafür zu führen, dass die Skoliose durch die von seiner Stabilitäts-Neurose primär abhängige dehnbare Contractur der an der Concavität befindlichen Muskeln abhängig sei. Um consequent zu bleiben, erläutert Blasius diesen Widerspruch dahin, dass bei seiner stabilitäts-neurotischen dehnbaren Contractur eines Muskels oder einer Muskelgruppe immer zu- gleich Erschlaffung seiner Antagonisten anzunehmen und letztere als ein eben so wesentliches Moment wie die Contractur zu betrachten sei, so dass es wünschenswerth wäre, den Zustand gar nicht als Contractur zu benennen, sondern auf eine Weise, welche auf die Atonie und die Contractur zugleich hinweist. Man könnte sich diese Erläuterung wohl gefallen lassen, wenn es nicht darauf abgesehen wäre, die Ansicht von dem Einfluss der gestörten antagonistischen Muskelthätigkeit auf Defor- mitäten überhaupt zu bestreiten. Doch ist die Richtigkeit dieser Ansicht durch Thatsachen auf dem Gebiete der Muskel-Paralysen unwiderleglich erwiesen. Wir sehen z. B. bei einer Lähmung des linken N. facialis die Muskeln der gesunden rechten Seite sich zusammenzie- hen. Analog der Blasius’schen Skoliosen-Erklärung müssten wir sagen, der Krankheitszustand sei eine dehnbare Contractur der rechtsseitigen Gesichts-Muskeln mit gleichzeitiger Entspan- nung der linksseitigen. Die Muskeln verhalten sich mechanisch in dieser Weise, allein die wissenschaftliche Auffassung wäre eine vollkommen falsche, und die Therapie straft sie Lügen. Denn nicht die rechte contrahirte Seite wird erfolgreicher Gegenstand der Behandlung sein, sondern die entspannten gedehnten linksseitigen Muskeln. In dem Grade, in welchem diese sich durch Willens-Impuls oder anderen Einfluss wieder zusammenziehen, in demselben Grade dehnen sich die verkürzten rechtsseitigen aus und vermindert sich die Schiefheit des Gesichts. Die Analogie liegt auf der Hand und bedarf kaum ihrer weiteren Ausführung auf Skoliosen. Je mehr bei der Skoliose die an der Convexität gelegenen Muskeln an Contractilitäts-Fähigkeit eingebüsst haben, desto mehr sind ihre verkürzten Antagonisten verurtheilt, in ihrem ge- zwungenen Contractions-Zustande (Blasius’ dehnbarer Oontractur) zu verharren. Wollen wir diese aus dem ihnen aufgedrungenen Verkürzungszustande befreien, so werden wir uns mit un- seren, wie immer beschaffenen Heilpotenzen nicht an sie wenden, sondern doch nur an ihre gedehnten (nach Blasius ‚‚entspannten”) Antagonisten und diese veranlassen, sich ihrerseits activ zusammenzuziehen. Dann werden wir in demselben Grade als dies sich bewirken lässt, die Ausdehnung der verkürzten Muskeln verschwinden und somit die Ausgleichung der Defor- mität erfolgen sehen. Je weniger die Contractions-Fähigkeit der an der Convexität gelegenen Muskeln unter die Norm vermindert ist, desto geringer ist die Krümmung. Daher können in leichteren Fällen die Skoliotischen sich durch eigenen Willens-Impuls vollkommen gerade rich- ten. Es fehlt aber der betreffenden an der Convexität gelegenen Muskelgruppe an ausdauern- der Kraft, und diese kann weder durch fremde Ermahnungen, noch durch eigenen guten Wil- len herbeigeführt werden. Dies ist vielmehr die Aufgabe der orthopädischen Behandlung. Unter einer grossen Anzahl von Skoliotischen hat man in der Regel Gelegenheit, Fälle von 151 dem ersten Entstehen bis zur hochgradigen seitlichen Verkrämmung stufenweise verfolgen zu können. Man sieht dann wie allmälig, aber nothwendig der geringere Grad zu dem nächstfol- genden vorschreitet, wie gering der Unterschied zwischen den einander nahestehenden und wie gross die Kluft der entfernteren. Als schlimmere Grade sind nun die Skoliosen von dem Zeit- punkte ab zu bezeichnen, wo auch passiv, durch Vermittelung eines Anderen das verkrümmte Rückgrat in die Mittelaxe nicht mehr zurückgebogen werden kann. Das sind nun die Fälle, bei welchen man das Vorhandensein einer nicht dehnbaren Contractur oder einer Retraction der an der Concavität gelegenen Muskeln als Ursache anzunehmen geneigt war. Forscht man indess nach dem Verlauf des Uebels, so erfährt man, dass es eben ganz unscheinbar begonnen habe, und nach und nach bis zu diesem Grade unbeweglicher Krümmung fortgeschritten sei. Von einer Retraction der an der Concavität gelegenen Muskeln findet man keine Spur, wohl aber findet man einzelne oberflächliche Muskeln, z. B. den Sacrolumbalis gespannt, weil durch die bereits in der Lage der Knochen eingetretene Veränderung seine Insertions-Punkte ausein- ander gerückt sind, während man wieder andere Muskeln, z. B. den Levator anguli scapulae verkürzt und aufgewulstet findet, weil sich die Insertions-Punkte genähert haben. Diese Mu- "skeln stehen aber zur ursprünglichen Skoliose in keiner ursachlichen Beziehung. Der Grund warum trotz dem das Rückgrat nicht mehr gerade gerichtet werden kann, liegt in der bereits oben angeführten veränderten Form der Zwischenwirbelknorpel und Wirbelkörper. Diese haben, nach Verhältniss der Dauer der seitlichen Krümmung, an deren Convexität an Umfang zugenommen, sind dort gewissermassen hypertrophirt. Diese vermehrte Knochenbil- dung widersetzt sich der Geradrichtung. Zur Entstehung dieser organischen Verbildung der Wirbelsäule bedarf es nicht der Annahme einer Muskel-Contractur. Sie ist vielmehr einfach die Folge des durch die begonnene Skoliose veränderten Schwerpunktes, der dann nicht mehr der Axe der Wirbelsäule entspricht, sondern auf die Concavität ihrer Krümmung fällt. Der auf diese Weise geübte permanente Druck auf die Concavität der Wirbelbeine bewirkt hier in dtmselben Grade Resorption an den Zwischenwirbelknorpeln und Wirbelkörpern, als die Ent- lastung an der convexen Seite deren hypertrophische Entwickelung begünstigt. Dieser Vorgang ist kein isolirter, er findet vielmehr seine vollkommene Analogie bei allen paralytischen Gelenk-Deformitäten. Bei ursprünglich reinem, vom aufgehobenen Antagonismus bedingtem Muskelleiden gehen die betreffenden. Knochen dieselben Veränderungen ein, welche oben bei der Skoliose erwähnt wurden. Manche Sehne ist hier vergebens durchschnitten wor- den, weil keine Retraction vorhanden war. Es kann mir nicht einfallen, das Vorkommen von activer Retraction als Ursache aller die- ser Deformitäten zu bestreiten, ja ich bestreite nieht einmal, dass auch an der Wirbelsäule die selbst primäre Retraction vorkommen könne, so gut wie an andern Muskeln. Allein der Ver- lauf der Skoliose, und namentlich der Umstand, dass in den ersten Stadien bei der Mehrzahl die Geradrichtung möglich ist, sprechen dafür, dass bei Skoliosen auf 100 Fälle kaum 1 pri- märe Retraction zu rechnen sein dürfte, während secundäre Textur-Veränderungen der Muskeln gewiss auch bei der Skoliose nicht selten sind. Allein Retractionen sind durch Autopsie nir- gends bei Skoliosen constatirt worden. Diese Verkürzung der Muskeln und die Formverände- rung der Knochen, obgleich letztere stets erst in vorgerückteren Graden der Skoliose gefunden wird, hat nun dazu geführt, die Ursache aller Skoliosen in permanente Contractur oder gar in primäre organische Knochenleiden zu setzen. Den Verlauf der Krankheit übersah man, so wie den Umstand, dass nicht nur die Lage, 152 sondern auch die Form der Knochen von der Muskel-Action abhängig ist. Die Form der Knochen muss durch Skoliose nothwendig um so leichter verändert werden, als diese Krankheit das kindliche Alter befällt, in welchem sich der Organismus im kräftigsten Bildungstriebe be- findet. Es bedarf dazu keiner Abnormität der Textur und Consistenz der Knochen. Hiernach ist in der Kürze meine Ansicht: 1. Die Seoliosis habitualis ist die Folge von Muskelschwäche, welche sich durch allgemein vorkommende Gelegenheits-Ursachen in ungleicher Thätigkeit gewisser symmetrischer Rückenmuskeln äussert. In Folge der durch abnorme Muskel-Action bedingten schiefen Haltung entstehen secun- där die Knochenformveränderungen. [&) Einiges über Behandlung der Scoliosis habitualis. Die subcutane Teno- und Myotomie, auf deren Erfindung und Erfinder Deutschland stolz sein darf, feiert ihre Triumphe bei Retraction. Sie erfüllt hier die wesentlichste Vorbedingung zur Heilung. Der Erfolg scheitert, wenn es durch Nachbehandlung nicht gelingt, die betref- fenden Muskeln, namentlich auch die Antagonisten des retrabirten zur normalen Function zu- rückzuführen, welche sie durch lange Unthätigkeit eingebüsst hatten. Bei Skoliose ist Retraction, wie ich nachgewiesen habe, nicht vorhanden. Daher ist es erklärlich, dass die competentesten Operateure die gänzliche Erfolglosigkeit der Myotomie bei Skoliose zugestanden haben. Dieffenbach hat sämmtliche Rückenmuskeln, je nachdem sie sich bei verschiedenen Skoliotischen gespannt zeigten, durchschnitten, und niemals Heilung er- folgen sehen, und Guerin, welcher 155 Skoliotische durch Myotomie geheilt haben wollte, wurde durch Bouvier und Malgaigne bekanntlich nachgewiesen, dass auch nicht eine davon geheilt war, eine sich etwas gebessert, viele aber bedeutend verschlimmert hatten. Diejenigen, welche in der Skoliose nichts weiter als die veränderte Lage und Form der Knochen sehen, wollen diese durch mechanische Mittel in ihre natürliche Lage bringen. Sie bedienen sich dazu verschiedener Corsets, Cürasse, der Hossard’schen Gürtel, der Streckstühle, Streckbetten und seitlich wirkender Druck-Apparate. Sie begeben sich jeder physiologischen Anschauungs- weise. Was die veränderte Lage der Knochen anbelangt, so lehrt die Physiologie, dass diese durch die Thätigkeit der Muskeln bedingt wird. Ohne Berücksichtigung dieser den Knochen die normale Lage wieder verschaffen zu wollen, ist ein eben so unwissenschaftliches als ver- gebliches Bemühen. Ein Beispiel wird diese Behauptung auch dem Ungläubigsten veranschau- lichen. Bei Relaxation des M. serratus anticus magnus ziehen sich dessen Antagonisten, der Le- vator anguli scapulae und die rhomboidei zusammen. Ihrem Zuge folgt die Scapula. Diese kommt durch den Levator anguli scapulae 1 bis 2 Zoll höher zu stehen als im normalen Zustande. Durch die Wirkung der Rhomboidei wird der sonst perpendiculär und fast parallel der Axe des Körpers verlaufende innere Rand in schräger Richtung der Wirbelsäule genähert; die ganze Scapula aber so um ihre eigene Axe gedreht, dass der untere Winkel nach innen und oben rückt. Die Entstellung wird noch vermehrt durch die Wülste, welche von den zu- sammengezogenen Mm. levator ang. sc. und rhomboidei gebildet wird. Durch die veränderte Stellung der Scapula erleiden alle die Muskeln, welche darauf einwirken, der cucullaris, latissi- mus dorsi der subscapularis, der supra- und infraspinatus eine mehr oder weniger wesentliche Beeinträchtigung ihrer Thätigkeit und Gestalt. Gleichwohl gelingt es leicht, das Schulterblatt durch einen von oben wirkenden Druck in 153 seine normale Stellung zurückzuführen. Denn der nur passiv verkürzte Levator ang. scap. und die rhomboidei geben die ihnen aufgezwungene Verkürzung leicht auf. Der alle diese physio- logischen Verhältnisse nicht berücksichtigende mechanische Orthopäde wird unschwer einen Apparat anbringen, der das in seine normale Lage zurückgeführte Schulterblatt zu fixiren be- stimmt ist. Ob dabei die Respirationsorgane beeinträchtigt werden, ob der betheiligte Arm zu langer Unthätigkeit verurtheilt werde, darauf soll es uns gar nicht einmal ankommen. Allein die Scapula wird gewiss nur gerade so lange in der gezwungenen Lage bleiben, als die Zwangs- mittel einwirken. Mit deren Entfernung treten die organischen Gesetze des Lebens wieder in Kraft. Niemand wird aber behaupten können, dass die gesunkene Vitalität des M. serratus ant. magn. durch die auch noch so lange angewendete Mechanik auch nur um ein Jota gebes- sert worden wäre. Folglich kann die Deformität auf mechanische Weise nicht geheilt werden. Wenn nach einem solchen Verfahren ein Schein von Besserung vorhanden wäre, so käme es daher, dass durch den anhaltenden Druck auch die vorher gesunden Muskeln ihre Contractions- Fähigkeit verloren hätten, somit aber die von ihnen abhängige Scapula jedem activen Einfluss der Muskeln entzogen worden wäre *). Dies Resultat kann aber gewiss keine Besserung, am wenigsten eine Heilung genannt werden. Will man dieses Ziel erreichen, so giebt es hier nur Eine Indication, d.i. die, dem relaxirten M. serratus anticus magnus seine normale Thätigkeit wieder zu verschaffen. x Die nicht zu grosse Anzahl der uns zu diesem Zwecke zu Gebote stehenden Heilpotenzen, als Elektrieität, Douche, spirituöse Einreibungen und Reibungen ist neuerdings durch ein eben so wissenschaftliches als praktisch werthvolles Heilmittel vermehrt worden, durch die schwe- dische Heilgymnastik. Mittelst dieser habe ich den eben erwähnten Fall von Schulter-Deformität wiederholt ge- heilt, einfach dadurch, dass ich mittelst der von Ling erfundenen Technik den Serratus antie. magn. in Thätigkeit versetzte, bis seine normale Function wieder hergestellt war. Was hier vom Serratus anticus magnus und dessen Einfluss auf die Schulter-Deformität ge- sagt ist, findet seine Analogie bei den entsprechenden durch Paralyse bedingten Gelenk-Defor- mitäten und ganz besonders bei 90 Procent aller Skoliosen. Die Wirksamkeit der schwedischen Heilgymnastik bei diesen Deformitäten beruht haupt- sächlich 1) darin, dass es mittelst ihrer Technik möglich geworden ist, die relaxirten Muskeln möglichst isolirt von der gleichzeitigen Mitbethätigung ihrer Antagonisten in Uebung zu brin- gen; 2) in der ausserordentlich intensiven Einwirkung auf die als relaxirt erkannten Muskeln, mittelst der Auffindung entsprechender Hebelkräfte; 3) dass, wo es nöthig ist, stets darauf Be- dacht genommen wird, die nicht direct zu beanspruchenden Theile des Körpers theils durch die Lagerung, theils durch Fixirung in Ruhe zu erhalten, um dadurch die Innervation auf die zu bethätigenden Muskeln vorzugsweise zu concentriren. Die Ansicht, von Bewegungen bei Heilung der Rückgratsverkrümmungen Vortheil zu er- zielen, lag sehr nahe, und ward, seit Delpech sie zuerst in Gebrauch zog, eine allgemeine. Allein Delpech und seine Nachfolger kannten nur eine für orthopädische Zwecke unwissen- schaftliche active Gymnastik und allenfalls eine oder die andere passive Manipulation. Durch alle Arten activer Gymnastik, namentlich auch die so beliebte active Extension und Suspension an den Händen u. s. w. wird zwar eine Kraftentwickelung der Arme bewirkt, nicht aber spe- *) Dies allein wäre auch das Resultat einer Durchschneidung der verkürzten Muskeln gewesen. 20 154 ciell derjenigen Muskeln, von deren Schwäche die Deformität abhängig ist. Die Activ-Gymna- stik nimmt auch stets sämmtliche Muskeln des activen Körpertheiles in Anspruch, und ist des- wegen nicht geeignet, den darin gestörten Antagonismus zur Norm zurückzuführen. Zu dem Ende bedurfte die Gymnastik vor Allem der anatomisch-physiologischen Grund- lage, die ihr bis dahin gänzlich fehlte. Ling erfand Bewegungen für die einzelnen Muskeln oder Muskelgruppen. Es bedurfte ferner einer intensiven Einwirkung auf diese Muskeln, um deren Vitalität kräftig zu fördern. Dabei kam es darauf an, die Kraft des Individuums, und besonders der zu bethätigenden Muskeln stets in Anschlag zu bringen. Diesen Anforderungen entsprechen die von Ling erfundenen specifisch-activen Bewegungen, deren Technik in sinnrei- cher Weise so eingerichtet ist, dass die an die Muskeln gestellten Anforderungen sich stets der Kraft derselben, und wenn sie noch so gering ist, accommodiren. Endlich erfand er und brachte in ein System eine Reihe passiver Bewegungen, von denen nur einzelne, wie die Reibungen, Streichungen und Massirungen, vor ihm empirisch ihre An- wendung gefunden hatten. Vor einem Jahre noch schrieb der Norwege C. T. Kierulf in seiner gekrönten Preisschrift über die Ursachen und Behandlung der Rückgratskrümmungen *), nachdem er die Unwirksam- keit der bekannten Behandlungsweisen gemustert hatte, Folgendes: ‚Wenn man aber eine Methode hätte, durch welche man die Kranken lehren und üben könnte, selbst durch kräftige Anstrengung ihres Willens die Muskeln zusammenzuziehen, wel- che die Krümmung gerade machen, und wenn man sie dahin bringen könnte, diese Muskelspannung und Gradheit zu unterhalten, so dürfte diese die beste sein.” \ Es darf uns nicht befremden, dass Kierulf die Leistungen seines Nachbarlandes fremd ge- blieben sind. Erstens war in Schweden nichts darüber geschrieben, und zweitens sind Norwe- gen und Schweden zwar unter Einem Scepter vereinigt, sonst aber einander nicht viel weniger fremd als Deutschland und Schweden. Was Kierulf vermisste, das eben leistet die schwedi- sche Heilgymnastik und noch mehr. Sie verschafft dem geschwächten Muskel durch specielle Uebung erst den Grad von Contractions-Fähigkeit, der jedenfalls dazu erforderlich ist, wenn er die Befehle des Willens ausführen und das verbogene Rückgrat in der normalen Lage erhalten soll. Was Kierulf von der Selbstrichtungs-Methode Kjölstedts zu Christiania anführt, dass dieselbe von allen Methoden noch die günstigsten Resultate aufzuweisen habe, so zweifle ich nicht daran. Denn diese Selbstrichtungs-Methode leistet das auf empirischem Wege, was die schwedische Heilgymnastik in wissenschaftlichbewusster Weise entschieden in höherem Maasse leisten muss. Zu bedauern habe ich hier, dass in der Kürze eine Beschreibung der Technik dieser Bewegungen nicht mit Nutzen gegeben werden kann. Nur davor warne ich, diese Be- handlungsweise mit dem, was man bisher unter Turnen oder Gymnastik verstand, zu identifici- ren. Damit hat es durchaus keine Aehnlichkeit. Ich habe überhaupt gefunden, dass die rich- tige Vorstellung nur durch die persönliche Anschauung davon erfolgt, und die mein Institut zu dem Zwecke besuchenden Collegen werden mir wie bisher auch ferner willkommen sein. Auf die Frage, ob Erfahrungen vorliegen, aus denen hervorgehe, dass die Ling’sche Be- handlung günstige Resultate bei Skoliosen erzielt hat, beruft sich Hr. Eulenburg auf seine *) Bericht darüber von Busch in den Schmidt’schen Jahrbüchern 1854. No. 6. 155 eigenen vielfachen Erfahrungen und stellt die Fälle zusammen, in denen man am ersten zur Heilung gelangt, bemerkt aber, dass wo die Gymnastik nichts leiste, auch von Streckapparaten nichts zu erwarten sei. Auf Hrn. Hofrath von Textor’s Frage, wie lange Zeit in der Regel die Heilung mittelst Gymnastik dauere, erwiedert Hr. Eulenburg, dass die Dauer sehr ver- schieden sei. Einmal sei Heilung in zwei Monaten erfolgt; im Durchschnitt sei die Behand- lung mindestens ein Jahr lang fortzusetzen, wobei die Kranken täglich mindestens 4 Stunden liegen müssen. Er bediene sich durchweg keiner Apparate. Recidive seien ihm nach einer vollendeten Behandlung noch nicht vorgekommen. Ueberall trete die Heilgymnastik ein, wo subparalytische Zustände der Muskeln vorhanden sind. Bei Retractionen sei natürlich stets die Tenotomie vorzunehmen. Zweite Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Hofrath von Textor. Secretär: Professor Textor. Nach Eröffnung der Sitzung durch den Präsidenten um 10 Uhr hielt der Tagesordnung gemäss zuerst Herr Dr. G. Ross aus Altona folgenden Vortrag ‚‚über ein bei Lähmung der untern Ex- tremitäten den Beugern des Oberschenkels bleibendes Contractionsvermögen und dessen Be- nutzung zum Gehen”: M. H. Bei den Lähmungen der untern Extremitäten trifft man mitunter das Contractions- vermögen der Oberschenkelbeuger vollständig erhalten und kann solches zum Gehen nutzbar machen. Dies ist der Gegenstand meiner Mittheilung. Ich beginne mit der Erzählung desje- nigen Falles, bei welchem die nachfolgenden Beobachtungen sich mir zuerst aufdrängten. 1. Fall. Im Mai 1853 wurde mir ein 13jähriger Knabe vorgeführt mit einer Lähmung der linken untern Extremität in Folge einer im zweiten Lebensjahre erlittenen Kopfverletzung. Das linke Bein stand in einem spitzen Winkel zum Körper gekreuzt und konnte in der Rich- tung der Beugung kräftig bewegt werden, sonst aber in keiner Richtung, taumelte vielmehr als ein kaltes schlaffes, gleichsam todtes Anhängsel am übrigen Körper; es war etwa 11, Zoll kürzer als das rechte, im höchsten Grade atrophisch, so dass von einer wahrnehmbaren Musku- latur nicht die Rede sein konnte, bläulich roth, ödematös und kalt. Wenn man den Ober- schenkel zu strecken versuchte, sprang in der Richtung von der spina ilii anterior superior bis zum Capitulum fibulae ein offenbar hauptsächlich der fascia lata femoris angehöriger retrahir- ter Strang scharf unter der Haut vor. Ich beabsichtigte dieses Bein zu strecken, und hoffte es nach Steifung sämmtlicher Gelenke zum Gehen nutzbar machen zu können. Diese Streckung wurde nach mehrfacher subcutaner Durchschneidung des erwähnten Stranges und 4wöchent- licher Nachbehandlung ausgeführt und der linke Fuss mit einem Stiefel versehen, dessen Sohle um 11/, Zoll erhöht war; von diesem Stiefel liefen an jeder Seite des Beines ein Paar Stahl- schienen in die Höhe, von welchen die innere bis zur tuberositas ischii hinaufreichte, die äussere aber das Hüftgelenk hinauf lief und durch ein Schraubengewinde in Verbindung stand mit einem stählernen Beckengurt, welcher seinerseits wohlangefügt und gepolstert, das Becken unterhalb der Darmbeincriste genau umfasste. Ich erwartete den Kranken mit diesem Apparat 20° 156 gehen zu sehen, wie die in der Hüfte Exarticulirten mit einem Stelzfuss gehen, nämlich durch seitliche Beckenbewegung, war daher nicht wenig überrascht, als der Knabe, auf die Füsse gesetzt, alsbald eine ganz andere Gangart annahm. Durch eine glückliche Unvollkommenheit des Apparates war die Bewegung der Hüfte nicht, wie ich es beabsichtigt hatte, aufgehoben, vielmehr ging der Kranke, indem er mit dem musculus psoas das Bein zum Vorschreiten er- hob, es durch eigne Schwere niederfallen und den Körper darüber weggehen liess, um als- dann mit dem jetzt rückwärts stehenden Beine dieselbe Bewegung des Vorschreitens zu wieder- holen, zu welcher ihm in dem einzig lebendigen Muskel des ganzen Beines glücklicher Weise die Befähigung geblieben war. Da ich sah, dass der Kranke mit dem Hüftgelenk ging, nahm ich den Beckenring weg. Nunmehr konnte er jedoch nur gehen, indem er mit beiden Händen auch ein Paar Krückstöcke ängstlich aufstützte, sich so die Stützung des Beckenringes er- setzend; es hatte deshalb mit dem Beckenring sein Bewenden. Hocherfreut wieder gehen zu können wie andere Menschen, übte sich der Kranke fleissig und brachte es nach 2 Monaten dahin, eine deutsche Meile ohne Beschwerde zurücklegen zu können. Er wurde nun entlassen, ohne dass ich der Hoffnung Raum geben konnte, dass die Muskeln, während 11 Jahre unthä- tig und anscheinend in ihrer Structur gänzlich untergegangen, ihr Contractionsvermögen wie- dergewinnen könnten. Freilich war nach zweimonatlichem Gehen die Temperatur des linken Beines fast der des rechten gleich; ebenso hatte die Ernährung bedeutend zugenommen, doch wurde ein Contractionsvermögen nirgends wahrgenommen. Es darf wohl kaum erwähnt wer- den, dass sowohl vor als besonders nach dem mir damals so überraschend neuen Phäno- men eines Ganges mit einem einzigen Muskel nach einem Contractionsvermögen in den ein- zelnen Muskeln der gelähmten Extremität, namentlich auch in den Oberschenkelstreckern ei- frig geforscht wurde; es war aber nirgend die leiseste Spur davon zu entdecken, selbst nicht auf den elektrischen Reiz, der zwar auf die — ungestörte — Sensibilität einwirkte, aber nicht die leiseste Erzitterung hervorrief. — Nach einem Jahr sah ich diesen Kranken wieder; er war bedeutend gewachsen, das linke Bein war mitgewachsen. Ferner war ein deutliches, sogar recht kräftiges Contractionsvermögen in den Zehenmuskeln und in den Oberschenkel- streckern ausgebildet, in seinem Vorhandensein ebenso unläugbar jetzt, wie es früher ganz bestimmt nicht vorhanden gewesen war. 2. Fall. Anfang dieses Jahres (1854) trug ein Landarbeiter aus dem Holsteinschen mir seine 10jährige Tochter auf dem Rücken zu. Das Kind war mit 7 Monaten geboren, hatte in den ersten Wochen an Krämpfen gelitten und hatte nie gehen können. Ptosis beider obern Augenlider, Strabismus, geringe geistige Entwicklung waren vorhanden. Im der Rückenlage konnten alle Bewegungen mit den Beinen schwach und zitternd ausgeführt werden; die Ober- schenkel standen aber permanent in einem stumpfen Winkel gebeugt. Dieses Zurückbleiben einer normalen Thätigkeit in den Oberschenkelbeugern, während die aller übrigen Beinmuskeln geschwächt war, bildete das Hinderniss am Gehen und Stehen, denn um nur die Füsse in die Unterstützungsebene des Oberkörpers zu bringen, mussten die Kniegelenke so stark gebeugt werden, dass dies mechanische Missverhältniss von den geschwächten Muskeln nicht überwun- den werden konnte. Die Contractur des musculus iliaco-psoas auf beiden Seiten wurde durch Streckung bald überwunden, und der vorher beschriebene Apparat auf beiden Seiten angelegt. Nunmehr musste die Patientin lernen zu gehen; brachte es aber in 3 Monaten soweit, dass sie mit freiem Bein fest und sicher ging. 3. Fall. Ein Knabe, im Alter von 1’/; Jahren, stürzte eine Steintreppe herunter, contun- 157 dirte sich den Kopf am rechten Scheitelbein und zog sich eine motorische Lähmung des rech- ten Beines zu. Im verflossenen Frühjahr (1854) kam dieses Kind, nunmehr 31/, Jahr alt, in meine Behandlung; es war eine vollständige Lähmung aller übrigen Muskeln bei vollständig erhaltenem Contractionsvermögen im m. iliaco-psoas; das atrophische, kalte Bein stand in einem spitzen Winkel zum Oberkörper. Vorspringen des retrahirten Stranges, Tenotomie und ortho- pädische Nachbehandlung, Gehübungen mit dem Apparat — Alles wie im ersten Falle. Schon nach 2 Monaten trat Contractionsvermögen ein, gleichzeitig in den Zehenmuskeln und den Oberschenkelstreckern, 1 Monat später in dem m. sartorius. Weiter sind bis jetzt keine Mus- kelthätigkeiten erwacht, Wärme und Ernährung haben zugenommen. In diesem Falle — der noch in meiner Anstalt ist — lasse ich die sogenannten passiven Bewegungen der schwedischen Gymnastik sehr ausdauernd machen und um auch beim Gehen die Muskeln des Knie- und Sprunggelenks etwas passiv zu betheiligen, habe ich die diesen Gelenken entsprechenden Char- niere in den Seitenschienen, beschränkt-beweglich, anlegen lassen. Der 4. Fall betrifft ein jetzt 13jähriges Mädchen, bei welchem im 3. Lebensjahre unter heftigen Kreuzschmerzen eine unvollständige Lähmung des linken, eine vollständige des rech- ten Beines, auf beiden Seiten mit vollständiger Integrität des m. iliaco-psoas, mit spitzwinkli- ger Contractur höchsten Grades beider Oberschenkel sich ausgebildet hatte. Die Kranke ist noch in der orthopädischen Vorkur, wird aber in einigen Wochen ihre Gehübungen beginnen können. 5. Fall. Bei einem 13/; Jahr alten kräftigen Knaben, der bereits vollständig gehen konnte, bildete sich im letzten halben Jahr, ohne die geringste sonstige Krankheitserscheinung, eine Lähmung des rechten Beines aus in der Art, dass zuerst die Fussbeuger, darauf die Strecker des Unterschenkels, zuletzt die Hüftmuskeln gelähmt wurden, wieder mit Ausnahme der Ober- schenkelbeuger, welche auch hier ihre volle Energie behaltend den Oberschenkel in einen stum- pfen Winkel beugten. Dieses Kind lernte in wenigen Wochen mit dem mehrerwähnten Appa- rat gehen; über den weiteren Erfolg kann noch nicht geurtheilt werden. Aus diesen 5 Beobachtungen geht hervor: 1) dass anscheinend ziemlich häufig bei unvollständiger wie bei vollständiger Lähmung aller übrigen Beinmuskeln die Oberschenkelbeuger ihr volles Contractionsvermögen behalten und zwar mag die Lähmung ihren Sitz im Gehirn haben, wie in den drei ersten Fällen, oder im Rückenmark,; wie wahrscheinlich im vierten, oder endlich in den Nervenbahnen, wie viel- leicht im fünften Fall. Eine Erklärung dieses auffallenden Verschontbleibens kann meines Wissens die heutige Wissenschaft nicht liefern, wie ja auch das sogenannte Ueberwiegen der Beugemuskeln noch als ein unerklärtes Phänomen dasteht. Vielleicht macht eine einmal hier- auf hingeleitete Beobachtung fernere Entdeckungen. So scheinen bei eintretender Lähmung die Muskeln in einer bestimmten Reihenfolge zu erlahmen und vielleicht in derselben Reihen- folge wieder zu erwachen. Hier bleibt ein schönes Feld für nützliche Forschungen. 2) wird durch diese Beobachtungen die wichtige Thatsache aus der pathologischen Mecha- nik der menschlichen Gehwerkzeuge festgestellt, dass bei gänzlicher Lähmung aller übrigen Muskeln der museulus iliaco-psoas allein mit mechanischen Unterstützungsmitteln zu einem nothdürftigen Gehen ausreicht. 3) wird erwiesen, dass durch das Fungirenlassen einer solchen gelähmten Extremität we- nigstens einige der Jahre lang gelähmten Muskeln ihre Contractionsenergie wieder erhalten ha- ben, und die Kürze der Zeit lässt hoffen, dass dies noch mit mehreren der Fall sein wird. 158 Somit übergebe ich diese Beobachtungen, m. H., Ihrer umsichtigen und nachsichtigen Be- urtheilung mit der Hoffnung, dass die Wichtigkeit des Gegenstandes Ihre Aufmerksamkeit auf sich ziehen wird, dass Sie das von mir nur angebahnte Feld mit bessern Kräften als die mei- nigen sind weiter bearbeiten werden und somit noch recht vielen Leidenden, welche bis jetzt zu einem kümmerlichen Leben auf Krücken und Rollstühlen verurtheilt schienen, eben so wie meinen wenigen Kranken, die erste Bedingung animalischen Daseins, die Ortsbewegung, die köstliche Gabe des Gehens, zu Theil wird! Herr Dr. Alf. Vogel aus München sprach ‚‚über die Cholera daselbst”: M. H. Die Literatur der Cholera ist so gross und so bekannt, einzelne Schriften sind von solchen Autoritäten abgefasst, dass es eigentlich einer Entschuldigung bedarf, sich über dieses Thema vor einer hohen Versammlung nochmals zu verbreiten; allein wessen das Herz voll ist, davon geht der Mund über. Wir haben nun seit vollen 8 Wochen die Cholera in München, nachdem seit dem Jahre 1836 kein einziger Erwachsener mehr derselben erlegen ist, und zwar trat dieselbe in einer erschreckenden Weise auf, sie hat über 2000 Menschen, 2 Procent unserer Bevölkerung, hin- weggerafft. Ein grosser Theil der Münchener Aerzte hatte die Krankheit nie gesehen, und das Gräss- liche dieser Seuche verfehlte nicht, auf manches ärztliche Gemüth einen tiefen Eindruck zu machen. Bald aber gewöhnte man sich an die Schreckensscenen und eine vernünftige Lebens- weise stellte nach einigen Tagen die frühere Heiterkeit des ärztlichen Personals wieder her. Die sanitätspolizeilichen Einrichtungen wurden unter der vortrefllichsten, umsichtigsten Leitung Pfeufer’s, als Obermedicinalrathes, mit bewundernswerther Schnelligkeit organisirt, die Stadt in 15 ärztliche Districte getheilt, jeder Distrietsanstalt ein praktischer Arzt zum Vor- stand-und diesem nach Bedarf 2—5 Assistenten beigegeben. So wurde es ermöglicht, dass auch der ärmste und entferntest gelegene Bewohner zu jeder Stunde des Tages und der Nacht sich ärztliche Hülfe verschaffen konnte. Der gerufene Arzt verschrieb aber nicht bloss ein Re- cept und fühlte den Puls, sondern er hatte andere Mittel zur Verfügung: er konnte Geld bis zu mehreren Gulden auf einmal hergeben, er liess wollene Decken und Kleider kommen, er vertheilte Billete, mit denen die Armen von Früh bis Abend Suppe und Fleisch in den vielen Suppenanstalten unentgeltlich bekommen konnten, und er war ermächtigt, Kranke ohne gehö- rige Pflege sogleich in unser Spital transportiren zu lassen. So kam es denn, dass bei uns die Aerzte im höchsten nie dagewesenen Ansehen standen und dass die Armen mit rührender Anhänglichkeit an ihren ärztlichen Beschützern hingen, während zur selben Zeit das Proleta- riat Italiens von verschiedenen Seiten sich zu den grössten Tollheiten beschwatzen liess und alle politischen und geselligen Bande in dieser feigen Nation sich lösten. Das allgemeine Krankenhaus bekam zu seinen zwei internen Abtheilungen noch eine dritte, und auf unserer, der Pfeufer’schen Abtheilung, wurden allein 280 Kranke behandelt. Obwohl die Arbeit nun bei Tag und Nacht ausserordentlich anstrengend war, so liessen wir doch nicht ab, unter Beihülfe wissbegieriger Freunde über jeden Cholerakranken die nöthi- gen Notizen zu machen, gewiss das einzige, wenn auch mühsame Mittel zu einer erspriess- lichen Uebersicht zu gelangen. Professor Buhl mit 2 Privatassistenten griff die Sache vom rein wissenschaftlichen Stand- punkt an, machte chemische und mikroskopische Untersuchungen am Krankenbett und Secir- 159 tisch; wir machten unsere täglichen Notizen und führten Tabellen über die Hauptsymptome, und so gelang es uns unter gegenseitiger Unterstützung einen gründlichen Blick in das Wesen der Cholera zu thun. Ueber die Art der Verbreitung und die Contagiositätsfrage wurden in München verschie- dene Beobachtungen angestellt: mein Bruder untersuchte den Kohlenwasserstoffgehalt der Luft und bekam negative Resultate, er vergleicht noch gegenwärtig das durch Röhren geleitete Quell- wasser mit dem der Pumpbrunnen und sucht Vergleiche dieser Wasservertheilung mit der Cho- leraausbreitung. Auf der Sternwarte wurde die Elektrieität und der Magnetismus, so viel ich weiss, ohne Abweichung von den gewöhnlichen Verhältnissen gefunden. Bezüglich der Disposition zur Cholera machte Professor Buhl auf die häufigen alten Ver- dickungen der Milzkapsel aufmerksam, und Herr Dr. Leig stellte im Militairspital hierüber Recherchen an, welche ergaben, dass von 4 Batterien der in einer Kaserne wohnenden reiten- den Artillerie, von denen bisher nur eine in Ingolstadt, wo fast alle Soldaten Wechselfieber bekommen, stationirt war, diese eine ebenso viele Cholerafälle in’s Spital lieferte als die an- dern drei zusammengenommen. Professor Thiersch machte eine interessante Beobachtung: er spülte ein Glas mit einem Cholerastuhl, ein zweites mit einem Typhusstuhle aus, und stellte beide in die Leichenkammer, in der bei der grossen Hitze und der enormen Menge von Sectionen sich grosse Schaaren von Fliegen gesammelt hatten, offen auf. Der Typhusstuhl war bald mit Fliegen dick besetzt, der Cholerastuhl wurde selbst nach mehrtägigem Stehenlassen von keiner berührt. Professor Pettenkofer richtete seine Aufmerksamkeit auf die Abtritte und Miststätten’ und ihre relative Lage zu den Häusern, und fand, dass wenn ein Haus an einem Hügel an- gebaut ist, wie es häufig in der Umgebung Münchens vorkommt, und die Miststätte eine hö- here Lage als die Wohnung hat, diese Häuser vorzugsweise von der Cholera befallen sind. Er konnte in einem Dorfe, Hachim, ehe er dasselbe betreten hatte, mit Bestimmtheit angeben, welche Häuser davon befallen sind und welche nicht, und es hat wirklich zugetroffen. — Wir wollen uns sogleich zur Krankheit selbst wenden, und zwar zu ihren wichtigsten Symptomen in aphoristischer einfacher Weise, da eine gelehrte, mit Litteraturbelegen verse- hene, complete Abhandlung wegen Mangels an Zeit noch nicht gegeben werden kann. Von den erwähnten 230 Cholerakranken hatten 246 vorher Diarrhöe 1—14 Tage lang. Die meisten waren ihren grössten Theils anstrengenden Geschäften dabei nachgegangen und beobachteten keine strenge Diät als sie (mit wenigen Ausnahmen zur Nachtzeit, häufiger nach als vor Mitternacht) von dem bekannten eigenthümlichen Brechen, starkem Kollern im Leibe, immer häufiger werdenden Diarrhöen und constant zunehmendem Durst befallen wurden. Der Puls wird hiebei immer kleiner und frequenter bis zu 130, die Temperatur der Nase und der Fingerspitzen sinkt; das Abnebmen und endliche Verschwinden des Radialpulses sowie das Erkalten der Prominenzen steht aber nicht in geradem Verhältniss zur Darmsecretion, sehr häu- fig verschwindet der Puls bei den profusesten Diarrhöen nicht, und umgekehrt ist er oft nach wenigen Stühlen nicht mehr zu fühlen. Das gleiche Verhalten, jedoch nicht in dem exquisiten Maasse beobachtete ich bei der Hauttemperatur. Die von Prof. Buhl und uns vorgenommenen Thermometermessungen ergaben im Stad. algid. für die Achselhöhle 34—36° C., für Lenden und Handteller 28—30. Sie sehen, m. H., was man von der Marmor- oder Eiskälte der Aerzte, und zwar der Aerzte, die beständig über das Exageriren der Patienten klagen, zu hal- 160 ten hat. Also, nochmals sei es bemerkt: Puls- und Hauttemperatur-Abnahme stehen nicht im geraden Verhältniss zur Darmexsudation. Anders ist es mit dem Verschwinden des Hautturgors, mit dem Stehenbleiben der auf der Haut gemachten Falten, welches Symptom sich constant bei derselben Altersklasse und gleichen Fettpolstern nach der Menge des Darmexsudates richtet. Bei alten Leuten aber ist auf dieses Symptom von vornherein kein Werth zu legen, weil diese ohnehin fast nie Elasticität an den Hand- und Fussrücken mehr haben. Das Unelastischwerden der Haut beginnt an den Fingern und Zehen und schreitet mehr und mehr dem Rumpfe zu. Unelasticität am Rumpfe, wo sie zuerst an der Bauchhaut eintritt, ist ein Attribut der entwickeltsten Cholera. Ein ferneres Vertrocknungssymptom ist das Einfallen der Augen, was nach meinen Beob- achtungen theils von der Resorption des Wassers in der Orbita, theils von einer Verkleinerung des bulbus selbst herrührt. Die Cornea frischer Choleraleichen ist ganz collabirt, faltig und wird wie ich diess öfter probirt habe, durch Liegen im Wasser wieder prall. Erreicht diess Zurücksinken einen hohen Grad, so trennt sich der bulbus von den gut fixirten Augenlidern, es entsteht am äussern Augenwinkel ein Hohlraum, in welchem die atmosphärische Luft Stel- len der Conjunctiva berührt, die solchen Reiz nicht gewöhnt sind, und daher einerseits, durch Verminderung der Thränensecretion andererseits die constante Röthung der Conjunctiven nach jedem irgend heftigen Choleraanfall. Von der Vertrocknung hängt ferner ab der Verfall der Stimme. Wir hatten Fälle, wo nach 2stündigem Erkranken die Kranken fast vollkommen stumm waren und ihre Antworten nur aus der Bewegung der Lippen errathen werden musste. Die Krämpfe, vorzüglich der Wadenmuskeln, waren constante Begleiter der Cholera. Sie liessen sich wohl auch gut aus der Vertrocknung herleiten, denn es ist gewiss, dass hiedurch Veränderungen in der Umgebung der Nerven und in diesen selbst entstehen müssen, wie auch die chemische Untersuchung, die auf Buhl’s Veranlassung veranstaltet wurde, eine 2—3fache Verminderung des Wassergehaltes ergab, die Entdeckung aber Buhl’s und seines Assistenten Dr. Voit, welche im Muskel der Choleraleichen im stad. algid. eine bedeutende Menge Harn- stoff fanden, und jetzt mit einer quantitativen Bestimmung des Muskels, Blutes und Darmin- haltes beschäftigt sind, hat mich auf eine andere Idee gebracht, dass nämlich die chemische Veränderung, Zurückhaltung des Harnstoffs im Muskel und Gehirn, wo sie ihn auch, wie in den serösen Säcken, selbst in der Milz und Galle gefunden haben, als Ursache der Muskelcon- traction angesehen werden kann. Tetanus sahen wir 3 Mal, in allen Fällen erfolgte der Tod bald darauf. Das sicherste Maass für die Abnahme des Blutserums ist der Durst. Die Qual des Dur- stes beschreiben die Kranken als ausserordentlich; sehr drückend ist für sie dabei die Wahr- nehmung, dass vermehrte Getränkzufuhr das Erbrechen bedeutend vermehrt und beschleunigt, es wird ihnen die Wahl, welches von beiden Uebeln, Durst oder Erbrechen das kleinere sei, schwer gemacht, und sie ist wahrlich auch keine leichte. Die Quantität des Getränkes und das grosse oder mindere Bedürfniss nach demselben zu eruiren, war mein besonderes Augen- merk, und ich fand constant Verschlimmerung mit Zunahme, Besserung mit Abnahme des Durstes verbunden, wobei noch zu berücksichtigen ist, dass Auffindung und richtige Beur- theilung dieses Symptomes bei einem grossen Krankenbestand besondere Bequemlichkeit gewährt. Was die Prognose im stad. algid. betrifft, so haben wir beobachtet, dass alle, die nur einige Stunden pulslos waren, in das sog. stad. typhosum übergingen, in welchem der grösste 161 Theil zu Grunde ging. Der exquisiteste Fall war 5l Stunden complet pulslos, und kam doch nach langer Urämie davon. Blutige Stühle mit verbreiteter Cyanose lassen die Prognose uns immer mit Recht lethal stellen. Das Aufhören des zweiten Herztones haben wir nur bei Sterben- den beobachten können, derselbe ist, wenn der Radialpuls verschwunden ist, zwar sehr schwach, jedoch immer noch gut zu hören. Auch keine Reibungsgeräusche am Herzen kamen vor. Ueberstehen die Kranken diese enorme Blutentmischung und Kreislaufstörung, so geht ein guter Theil derselben in das stad. typhosum über. Das Gesicht wird dabei heiss, mit Aus- nahme der Nasenspitze, die Diarrhöen hören auf, ebenso das Erbrechen, gewöhnlich aber spä- ter als die Diarrhöen, die Zunge wird trocken, der Puls hebt sich, wird langsamer, der Herz- chok stärker, das Sensorium trübt sich und es wird kein Urin gelassen. — Hamernjk war der erste, der diesem letzten Symptome seine eigentliche Deutung gab, und er erkannte, dass dieser ganze Symptomencomplex auf Zurückhaltung des Harnes im Blute beruhe. Die Nieren verhalten sich nämlich bei den Sectionen, selbst nach nur 24stündiger Erkrankung, genau wie im ersten Stadium von Morbus Brightii: eine blasse, hellgelbliche, gespannte, vergrösserte, leicht zerreissliche Corticalsubstanz, voll Exsudat, die Pyramiden hyperämisch, dunkelroth, mit weissen Exsudatstreifen durchsetzt. Im ersten Urin ist viel Eiweiss, körnige Cylinder und viel Blasenepithel, sehr wenig Harnstoff und gar kein Kochsalz, den folgenden Tag nach dem er- sten Uriniren nimmt die Harnmenge bedeutend zu. Es erscheint plötzlich eine grosse Menge von 30—40 Gramm Harnstoff, am 3ten Tage selbst 50 Gr. in 24 Stunden. Die Chloride neh- men langsam zu, das Eiweiss und die Cylinder verschwinden rasch. Dabei bessert sich der Kranke sogleich, alle Symptome verschwinden augenblicklich. Es war nun die Aufgabe, den Harnstoff im Blute und den Geweben nachzuweisen, was, wie. schon oben bemerkt wurde, im hohen Maasse gelungen ist. Prof. Buhl und Dr. Voit gebührt das Verdienst, die Hypothese von der Urämie zum Factum erhoben zu haben. Die längste Zeit des Aufhörens der Harnsecretion bei einem Genesenen war 4 Tage, die Reconvalescenz war entsprechend langwierig und schwierig. Die meisten Urämischen gingen unter Coma und Lungenödem am 7. bis 10. Tage zu Grunde; eine Kranke, die 9 Tage kei- nen Urin gelassen hatte und dann nur wenig unter sich gehen liess, lebte noch 18 Tage nach dem Choleraanfall. Fünf Mal bemerkten wir ein von Morbillen der Form nach nicht zu unterscheidendes Ex- anthem bei Urämischen. Die Mundhöhle war hiebei geröthet, das Exanthem beginnt aber zum Unterschied von Morbilli um die Handgelenke und kriecht den Arm hinauf, über Brust, Rücken und Kopf, worauf es nach 3—6 Tagen wieder erblasst. Einen kritischen Einfluss auf Besserung oder Verschlimmerung konnten wir nicht beobachten. Vier kamen davon, einer starb; unter diesen ‘fünf Individuen waren 4 junge Mädchen und ein Schneiderjunge, bei älte- ren Frauen und bei erwachsenen männlichen Individuen haben wir es nicht beobachtet. Prof. Buhl lässt gegenwärtig vergleichsweise den Wassergehalt des Gehirns im stad. algid. und in der Urämie bestimmen und hat mikroskopisch in dem stad. algid. an den Capillaren der grauen Substanz eine interessante Beobachtung gemacht, die ich mehrmals zu bestätigen Gele- genheit hatte. Es finden sich nämlich bei ganz acut nach wenigen Stunden Verstorbenen die ‘Capillaren von Blutkörperchen strotzend gefüllt. Etwas später nach ungefähr 24stündigem Ver- laufe findet man sie gefüllt mit zerfallenen Blutkörperchen und vielen rothen Pigmentkörnern, und wenn der 'Tod erst nach 2—3 Tagen eintrat, waren die Pigmentkörner ausserhalb des Ge- fässes in grosser Menge auf seiner Wandung aufsitzend. 21 162 Parotitis trat zweimal als Nachkrankheit auf, ging jedoch nicht in Eiterung über; da beide Kranke ziemlich viel Calomel und in Folge dessen Stomacace bekommen hatten, so können dieselben nicht unbedingt auf Rechnung der Cholera gesetzt werden. Interessant waren 3 Manien als Nachkrankheit von Cholera, 2 junge Mädchen und obiger Schneiderjunge mit dem Exanthem, sämmtlich ängstliche, beschränkte Geschöpfe, wurden, nach- dem sie vollständig in die Reconvalescenz getreten waren, von einer innern Unruhe und Angst, aus der sich nach einigen Tagen vollständige Verwirrtheit entwickelte, befallen, alle 3 wurden nach 8—14 Tagen wieder ruhig und verständig und haben das Spital bereits geheilt verlassen. Einige Male blieb bei Mädchen, die früher schon viel an Cardialgia gelitten hatten, das Erbrechen lange zurück und wurde durch kleine Dosen Calomel (gr. !/ı stündl.) gehoben. Was die Genitalien betrifft, so bemerkten auch wir häufig die von Reinhart und Leu- buscher in ihrer gründlichen Abhandlung über Cholera zuerst angegebenen Uterinblutungen, welche nicht in die Zeit der Periode fallen und auch bei nicht mehr menstruirten Frauen vor- kamen. Schwangere abortirten fast regelmässig und zwar eine todte Frucht mit leicht ablösba- rer Epidermis. Ein 7 Monat altes Kind, dessen Herzschlag wir 8 Stunden vor der Mutter Tod noch gehört haben, hatte bei der Section Ekchymosen auf der Pleura und dem Pericar- dium, Reisswasserstuhl im Dünndarm, normales Meconium im Dickdarm. Zwei von diesen schwangeren Mägden kamen davon und verliessen, befreit von der Cholera und ihrer Bürde, das Spital, zwei secirten wir. Bei Männern kamen Samenergiessungen mehrmals vor. Ich komme nun auf das Wesen der Cholera. Wenn es eine Blutkrankheit gibt, so ist es die Cholera. Wo sind je grössere Veränderun- gen des Blutes nachgewiesen worden als in der Cholera? Wie eigenthümlich ist schon das Phänomen, dass sich das Aderlassblut Cholerakranker und zwar zu Anfang des ersten Stadiums, wo die Blutmischung durch Exsudation in den Darm noch wenig verändert sein kann, an der Luft nicht röthet, also keinen Sauerstoff aufzunehmen vermag! Es ist diess nicht, wie behaup- tet wurde, eine allgemeine Eigenschaft aller im Choleramiasma lebender Menschen, wie ich mich durch mehrfache Venaesectionen bei Individuen, die an einfacher Diarrhöe litten und voll- kommen an der Luft sich röthendes Blut hatten, während unserer Epidemie überzeugen konnte. C. Schmidt hat durch seine schönen Untersuchungen den Verlust des Blutes an Wasser und Salzen hinlänglich dargethan, er hat das veränderte Verhalten des Cholerablutes gegen Amygdalin nachgewiesen, und doch sprechen noch viele Aerzte von einer acuten Gedärmentzündung, und Hr. Hamernjk sagt, dass ein Choleraanfall gerade ebenso tödte wie eine Verblutung. Wer je einen Cholerakranken und einen an grossen Blutverlusten Sterbenden gesehen hat, und die chemischen Veränderungen des Cholerablutes kennt, wird diesen Vergleich missbilligen müssen. Vielmehr fühlt man sich nach reiflicher Erwägung aller Symptome unwiderstehlich zu der An- sicht hingezogen, dass wir es mit einem raschwirkenden Gifte, das vorzüglich die Darmcapil- laren, zuweilen aber vorzugsweise das Gefässsystem lähmt, zu thun haben. Pfeufer, einer der scharfsinnigsten jetzt lebenden Beobachter, sah früher einmal eine Colchieumvergiftung, und kann sich die Aehnlichkeit mit Cholera gar nicht mehr aus dem Sinne schlagen. Von diesem Standpunkte ausgehend wird es auch zweckmässig und nützlich sein, die Symptome fortwährend in zwei getrennten Classen: nämlich der der Vergiftung und der der Vertrocknung zu betrachten. Von einer Verschonung anderer chronischer und acuter Kranken konnten wir nichts be- merken; vor allem wurden gleich zu Anfang der Epidemie alle Phthisiker ergriffen, und es 163 ist mir unbegreiflich, wie Canstatt sagen und Rokitansky als Gewährsmann anführen kann, die Cholera sei nie mit Tuberkeln combinirt. Ein schwerer Typhuskranker und einige Recon- valescenten wurden von der Cholera hinweggerafft. Merkwürdig nahm sich die Erkrankung bei 3 an Morb. Brightii Leidenden und einem Herzkranken aus. Das enorme Oedem verschwand nach wenigen Stunden, sie starben aber alle an Urämie. Die Nieren eines alten Mannes mit brightischem Hydrops erregten unser In- teresse, die Corticalsubstanz war nämlich durch den früheren Process bis auf wenige Stellen ganz atrophirt, diese übrig gebliebenen Stellen zeigten aber nun eine neue gelbe Cholerainfil- tration und Anschwellung, die alten Narben waren dabei dunkelroth hyperämisch. In Berück- sichtigung dieses schnellen Schwindens des Oedems ist die Ansicht der alten Praktiker, Hy- dropische fortwährend mit starken Laxantien zu behandeln, doch nicht ganz zu verwerfen, wenn man nämlich im Stande sein sollte, die durch die Laxantien bedingten übrigen Schäd- lichkeiten zu annuliren. Eines Falles, eines Rheumatismus acutus muss ich noch gedenken. Die Cholera brachte hier in 12 Stunden die bedeutenden Exsudate um die Gelenke zum Schwin- den und der Kranke vorher ganz unbeweglich, konnte sich ungenirt nach allen Seiten hin be- wegen, die folgende Reconvalescenz war aber sehr langwierig. Es bleibt mir nun die Therapie noch übrig, ich kann mich aber hier kurz fassen, wenn ich vorausschicke, dass wir eben auch kein anderes procentisches Verhältniss bekamen als in andern Städten und mit anderer Behandlung: Auf Venaesectionen hören zuweilen starke Diarrhöen wie abgeschnitten auf, Andere ver- fallen unmittelbar in Pulslosigkeit und Cyanosis, weshalb wir sie fast ganz aufgaben. Im Mi- litärspital, wo jeder Kranke ohne Ausnahme venäsecirt wurde, fiel das Verhältniss bei den übrigen günstigen Bedingungen auffallend schlecht aus, und besonders war die Urämie sehr häufig. Calomel scrup.5, 3—4 dos. gegeben, brachte oft deutliche Besserung hervor, die Kranken müssen aber noch ziemlich warm sein und deutlichen Puls haben. Camphor, Trichloras carbonis, Moschus tägl. 38 gaben wir den Cyanotischen, Pulslosen. Einige kamen davon, die meisten starben. Valerians. Ammoniak wirkt eben auch wie andere Ammoniakpräparate; die Cyanotischen, Pulslosen starben alle, und nahmen es ausserdem mit dem grössten Widerwillen. Am besten fanden wir heisse Bäder, 2 im Tage, bei Kindern Senfbäder 3—4 stündl., man sieht hierauf allgemeine Wärme, Verschwinden der Cyanose und allgemeine Erleichterung ein- treten. Mit den übrigen von den Praktikern aus unserm Arzneischatze ausgesuchten Mitteln, von denen jedes Ausgezeichnetes leisten soll, hatten wir nochweniger Glück, und ich glaube Ihre Geduld nicht weiter hiemit in Anspruch nehmen zu dürfen. Nochmals bittend, diesen Vortrag nicht als ein abgerundetes vollständiges Ganze, sondern als eine einfache schlichte Erzählung dessen, was uns in dieser Epidemie aufgefallen ist, zu betrachten, schliesse ich mit dem aufrichtigen Wunsch: behüte Sie Gott Alle vor der Cholera! An der darauf folgenden Debatte betheiligten sich die Herren Hofrath Fuchs, Hofrath von Textor aus Würzburg, Dr. Schaer aus Bremen, Dr. Scharlau aus Stettin und Gehei- mer Hofrath Stiebel aus Frankfurt a. M. 164 Herr Dr. Dawosky zeigte einen traubenartigen Auswuchs im Kehlkopfe eines Kindes vor und knüpfte einige Bemerkungen daran. Herr Hofrath Fuchs erinnert an einen ähnlichen von Prof. Ehrmann in Strasburg mit Erfolg operirten Fall. Herr Prof. Albers aus Bonn betheiligte sich ebenfalls an der Discussion. Herr Dr. €. Otto Weber aus Bonn hielt nachstehenden Vortrag ‚‚über Knochenge- schwülste” ; M. H. Wenn ich mir erlaube, hier vor einer Versammlung so erfahrener und gediegener Männer aufzutreten, so geschieht dies nicht etwa in der Meinung, als könne das Wenige, was ich zu beobachten im Stande war, Ihnen irgendwelche Belehrung darbieten; im Gegentheil, die Veranlassung ist lediglich die, dass ich Gelegenheit geben möchte, zur Besprechung und Erörterung eines der dunkelsten Gebiete der chirurgischen Pathologie, nämlich der Knochen- geschwülste oder der an und in den Knochen vorkommenden Afterproducte. Trotz der nicht hoch genug zu schätzenden Beiträge, die insbesondere der Begründer der feineren Anatomie der Geschwülste, Johannes Müller, in seinen verschiedenen Arbeiten über dieselben niedergelegt hat, trotz der Untersuchungen Rokitansky’s, Schuh’s, Virchow’s und vieler Anderer werden Sie mit mir übereinstimmen, dass auf diesem Gebiete noch eine grosse Verwirrung herrscht, denn nur zu oft begegnen wir noch in den Journalen den bald so bald so gedeuteten Ausdrücken Spina ventosa, Osteosarkom, Osteosteatom u. s. w.; denn leider fehlt es uns noch immer an einer zusammenhängenden Darstellung der ganzen Lehre, so be- deutsam auch manche in Handbüchern oder Zeitschriften zerstreute Arbeiten vorliegen; allein es fehlte die Hand des Zusammenstellers, die über eine hinlängliche Zahl eigener Beobach- tungen gebietend, die fremden sichtete, ordnete, und so durch Vergleichung an einzelnen Schil- derungen ein geordnetes Bild über die Entwicklung, die Structur, die Unterschiede und den Verlauf der Knochengeschwülste aufzustellen im Stande wäre. Seit einigen Jahren gewohnt, alle in der chirurgischen Klinik zu Bonn vorkommenden Geschwülste auf das sorgfältigste zu untersuchen, habe ich das Glück gehabt, mehrere interes- sante Formen von Knochenafterproducten in Bezug auf ihre Structur und deren Genese studi- ren zu können. Bei diesen Untersuchungen, wie natürlich auf das literarische Studium dieses Gebietes geführt, habe ich ausserdem eine sehr grosse Reihe von Autoren durchstöbert, aus den Zeitschriften das zerstreute Material zusammengetragen und endlich aus den Diarien der Klinik, welche mein verehrter Lehrer, Herr Geh. R. Wutzer mir freundlichst zu Gebote stellte, eine Anzahl von sorgfältig aufgezeichneten Beobachtungen als gewissermassen den Fonds meines Capitales mir ausgezogen. Ein Umstand, der mir dabei sehr zu Statten kam, war die Sorgfalt, mit der Herr Geh. R. Wutzer seit Jahren alles irgendwie Bedeutsame in der patho- logischen Sammlung unserer Klinik aufbewahren lässt, so dass ich zu sehr vielen Beobachtun- gen die genaue pathologische Untersuchung selbst nachträglich hinzufügen konnte. Auf diese Weise hoffe ich allmälig in den Besitz eines reichlichen Materials zu gelangen, um, sofern meine geringen Kräfte ausreichen, mit der Zeit eine Darstellung der Pseudoplasmen der Knochen unternehmen zu können. Die Grundzüge meiner bisherigen Studien erlaube ich mir im Folgenden Ihnen vorzule- gen, indem ich namentlich dadurch hoffe, diejenigen unter Ihnen, denen eine reichere Erfah- rung und eine glücklichere Beobachtungsgabe zu Gebote steht, anzuregen ihre Ansichten nicht 165 nur zur Berichtigung der meinigen, sondern auch insbesondere zur Aufhellung des Gebietes gütigst mitzutheilen, Bei der Anordnung der hierher gehörigen Geschwülste lassen sich mehrere Gesichtspunkte aufstellen, indem man z. B. vom Standpunkte der chirurgischen Klinik zwei grosse Grup- pen annimmt, in deren eine die sog. gutartigen, in deren andere die bösartigen Afterproducte hineinfallen. Diese Eintheilung, die sich auf die klinische Erfahrung gründet und für die Praxis allerdings einen unleugbaren Werth hat, ist indess die Veranlassung zu vielfacher Ver- wirrung gewesen, indem einerseits die Praktiker erwarteten von den Anatomen nachweisbare Structurunterschiede aufgefunden zu bekommen, anderseits einige Anatomen in dem Befunde charakteristische Unterschiede zu sehen glaubten, Dass indess die Gutartigkeit oder Bösartigkeit einer Homöo- oder Hetero- plasie nicht entspricht und somit sich nicht aus der blossen anatomischen Un- tersuchung von vornherein erprobt, darüber sind wir wohl Alle einig. Nur darin haben aber die Praktiker entschieden Unrecht, wenn sie nun das Kind mit dem Bade ausschüt- ten und mit einer gewissen Verachtung auf die anatomische Untersuchung als etwas durchaus Unnützes herabblicken oder dieselbe höchstens als eine hübsche Spielerei, als eine Art Luxus, der in einem wohleingerichteten Zimmer nicht fehlen darf, gelten lassen. Vor so erfahrenen Männern dies nur als tadelnswerth noch zu erwähnen möchte überflüssig sein, wenn nicht gerade klinische Autoritäten, wie Schuh noch in der neuesten Ausgabe seiner Pseudoplas- men, hier der Praxis die Fahne vorantrügen. Ich frage nur, wer hat denn Licht in das Dunkel gebracht? wer hat denn in dem Labyrinthe der Spina ventosa, des Osteosteatoms und wie die vagen Namen heissen mögen, den Faden der Ariadne uns in die Hand gegeben, — wer anders als das Mikroskop und die anatomische Untersuchung. Oder wie anders wäre denn Joh. Mül- ler dazu gekommen, sein Enchondrom, sein Osteoid, Lebert seine fibroplasche Ge- schwulst und Andre andere Arten abzuscheiden und sie zu anerkannten Begriffen zu erheben. Nur eine Nachlässigkeit, ein historisches Vergessen mag derlei Verachtung entschuldigen. Wenn man einen Begriff von der Verwirrung, die noch vor 20 Jahren, d. h. vor Joh, Müller’s Werke hier herrschte, bekommen will, so schlage man Dissertationen, Journalartikel, ja so gar weltberühmte Handbücher, wie das von Boyer, von Rust u. s, w. nach und vergleiche damit die heutigen. Man wird Zeile für Zeile den Einfluss der Anatomie und des Mikroskops nicht verkennen können. Ich übergehe hier die weiteren Rücksichten, nach welchen eine Eintheilung möglich ist, und mache nur auf den Unterschied der vom Periost, von der Corticalsubstanz oder von der Markhöhle ausgehenden Pseudoplasmen aufmerksam, und werde nachher Einiges über einzelne Hauptgruppen hinzufügen, indem ich nur vorübergehend noch darauf hinweise, wie ontologi- sche Species sich hier ebensowenig, wie irgendwo in der Pathologie, scharf umgrenzen lassen. Die Natur hat überall ihre Uebergänge, und wir nur schaffen die Unterschiede der Arten und Gattungen, um sie näher zu begreifen. In Betreff der Entwicklung der Geschwülste hat man wohl folgende Kategorien zu unter- scheiden: nämlich solche Geschwülste, die sich von der Marksubstanz aus oder innerhalb des “ Knochens entwickeln, wobei ich glaube, besonders das die Knochengefässe begleitende Binde- gewebe anschuldigen zu müssen, als den Ausgangspunkt einer Wucherung, während eine pro- gressive Metamorphose der Knochenkörperchen fraglich bleibt; dann Geschwülste, die sich vom Periost aus entwickeln, bei denen namentlich die Spieula, d. h. die Entwicklung eines 166 Knochengerüstes vorkommt. Das letztere kann durch Verknöcherung auf normalem Wege nach osteoider Umbildung sowohl von Binde- als von Knorpelgewebe oder abnorm durch Ablagerung von Kalksalzen (dann nicht als eigentliche Spicula) sich ausbilden. Endlich gehen Geschwülste secundär auf die Knochen über, und zerstören dieselbe durch Usur. Eine statistische Uebersicht der sämmtlichen während des Wutzerschen Directoriums der Bonner stationären Klinik vorgekommenen Geschwülste ergab mir die Summe von 521, wovon 312, also mehr als die Hälfte bösartig, hingegen 209 gutartig genannt zu werden ver- dienen. Während 251 Männer und 61 Frauen an bösartigen Geschwülsten litten, waren es 108 Männer und 101 Frauen, die sich mit gutartigen in die Klinik aufnehmen liessen. Diese scheinbar überwiegende Neigung zur Gutartigkeit bei den Weibern ist sicherlich nur zufällig, wie denn überhaupt die Statistik eines Hospitals, welches sich aus einer ganzen Provinz meist durch gefährliche oder bedenkliche Fälle recrutirt, immer nur einen sehr beschränkten Schluss erlaubt. Auf 521 Geschwülste kamen an und in den Knochen 105, als beinahe ein Fünftel, bei weitem mehr als es gewöhnlich angenommen zu werden scheint, wobei das Verhältniss der gutartigen Geschwülste, ähnlich wie bei der Totalübersicht, bei weitem in der Minderzahl bleibt. Von 115 Knochenpseudoplasmen waren 41 gutartig, 64 bösartig. Für beide Kategorien sind die Männer in der Ueberzahl, doch ist das Verhältniss der Zahl der Weiber für beide ziemlich gleich, nämlich es litten 30 Männer und 11 Frauen an gutartigen, 48 Männer und 16 Frauen an bösartigen Knochengeschwülsten. Fibrocellulöse Geschwülste, für das Studium der Entwicklungsgeschichte äusserst interessant, wurden einmal im Unterkiefer bei einem 23jährigen Bergmanne, einmal vom Pe- riost des Oberarmbeins bei einer 30jährigen Frau und einmal in der Fibula entwickelt bei ei- nem 34jährigen Manne beobachtet. Alle drei Fälle habe ich sehr genau untersucht, da sie zu Resectionen Veranlassung gaben, und die Präparate frisch in meine Hände gelangten. Der erste Fall eines gewissen Knippschild war insbesondere dadurch interessant, dass das Bindegewebe hier auf allen Stufen der Entwicklung aus einer Art Schleimgewebe bis zur osteoi- den Umbildung und wirklichen Verknöcherung sich innerhalb des Körpers der Mandibula ent- wickelt hatte, und dass Kalkeoneremente von krystallinischer Natur, deren chemische Unter- suchung hauptsächlich phosphorsauren und kohlensauren Kalk nebst Magnesia nachwies, darin angehäuft waren. Das Afterproduct der Fibula zeigte ähnliches, nur war hier die osteoide und die wirkliche Umbildung in Knochen vorwiegend. Aehnliche Geschwülste haben besonders Lebert, Sevillot und Prof. Foerster beobachtet und beschrieben. Dass die fibrocellulöse Geschwulst trotz gründlicher Exstirpation zu recidiviren vermag, wie Virchow u. A. sahen, haben wir auch in diesem Falle bestätigt gefunden. Diesen Geschwülsten reiht sich an die Epulis, welche in Bonn lömal operirt wurde, keineswegs aber, wie meistens angenommen wird, bloss bei Kindern vorkam, sondern bis zum 60. Jahre beobachtet wurde. Schuh will diese Geschwulst als eine ganz besondere Art auf- recht erhalten wissen, wozu ich keine Veranlassung sehe; denn meine Untersuchungen lehrten mich, dass die Epulis ganz wie die fibrocellulöse oder fibroplastische Geschwulst (das sogen. Sarkom) aus den Elementen des mehr oder weniger entwickelten Bindegewebes besteht, ausser welchen besonders die Robin’schen vielkernigen Zellen nicht selten sind. 167 Die eigentliche Fibroide, das Osteodesmoid ist jedenfalls selten; wir sahen es 7mal, und da noch meist ursprünglich vom Periost ausgehend, namentlich sind das Periost der Basis cranii sowie die Oberkieferhöhle die Ausgangspunkte der so verderblichen fibrösen Rachenpoly- pen. Auch in der Literatur sind die ächten Fibroide, namentlich innerhalb der Knochen der Extremitäten selten. Das Enchondroma, die eigentliche Knorpelgeschwulst, sahen wir einmal am Zeigefin- ger und einmal am grossen Zehen. Diese Seltenheit kann auffallen, denn aus der Literatur liesse sich die Zahl der von Fichte in seiner treflichen Dissertation zusammengestellten 68 Fälle leicht verdoppeln. Besonders aus der an Beobachtungen von Afterproducten so reichen Englischen Literatur habe ich eine ziemliche Anzahl von Beobachtungen zusammengetragen. Es wird dort meistens nach Adams (Todd’s Cyclopaedia) als gutartiges Osteosarkom bezeich- net. Mehrmals fand ich es mit Markschwamm combinirt, besonders im Hoden. Einmal sah ich es unter der Parotis; jedenfalls ist die Entwicklung des Hyalinenknorpels nicht an die Entwicklung von Knochen gebunden, vielmehr kann sich letzterer aus dem blossen sternförmi- gen Bindegewebe direct hervorbilden, wie denn andere Uebergänge von Bindegewebe in Knor- pelgewebe nicht selten bei Knochengeschwülsten zu beobachten sind. Ich schliesse mich hier durchaus der Virchow’schen Ansicht über die Verwandtschaft von Binde-, Knorpel- und Kno- chengewebe an. Exostosen und Osteophyten sahen wir 10mal; aus der Literatur lässt sich diese Zahl freilich sehr vermehren, und ich mache nur auf eine Form des Osteophyts aufmerksam, nämlich das mit einer Sklerose der Corticalsubstanz verbundene sammtartige, welches sich unter habituellen Beingeschwüren erzeugt. Ein Fall, in welchem Hr. Geh. R. Wutzer die Resection eines sol- chen Osteophyts mit nachfolgender Transplantation aus der Wade her unternahm, führte zu Phlebitis und hätte beinahe einen lethalen Ausgang gehabt, wenn man demselben nicht durch die Amputation des Unterschenkels zuvorgekommen wäre. Einfache Cysten, wie sie Dupuytren, Regnoli, Schuh u. A. beobachteten, fanden wir ein- mal am Oberkiefer, einmal am Unterkiefer, beidemale offenbar im Innern des Knochens ent- wickelt (im letzteren Falle lag der Nerv. alveol. inf. frei mitten in der Cyste), enthielten sie eine cholestearinreiche schleimige Flüssigkeit. Die sich hieran schliessenden Knochenhydatiden, die nach Dupuytren Froriep besonders beschrieben hat, und wovon Fricke einen der merk“ würdigsten Fälle am Becken beobachtete, hatten wir zu untersuchen keine Gelegenheit, wohl aber sahen wir mehrmals zusammengesetzte Osteocystoide, insbesondere einen sehr interessan- ten Fall bei einem Manne in mittleren Jahren, wo sich die Geschwulst unmittelbar über dem Kniegelenke in Form einer sattelföormigen schmerzhaften Erhebung ausbildete, die man lange als eine rheumatische behandelt hatte und welche nach Verlauf von zwei Jahren den Umfang eines Mannskopfes unter sehr heftigen Schmerzen erreichte. Die von Hrn. Geh. R. Wutzer vorgenommene Amputation des Oberschenkels hatte leider einen unglücklichen Ausgang; es entstand in Folge von Phlebitis tödtliche Pyämie. Die Geschwulst bestand aus theilweise ver- knöcherten Bindegewebscysten mit grumosem, blutigem Inhalte von Kernen und Bruträumen, und hat offenbar in dem Markkanale ihren ursprünglichen Sitz; wie es scheint waren es in ‘den Markkanälen entwickelte Bruträume, welche dem bösartigen Cystoide die Genese gaben. Ueberhaupt glaube ich aus meinen Beobachtungen das die Knochengefässe durch die Ha- vers’schen Canäle hindurch begleitende Bindegewebe als den vorzüglichsten Ausgangspunkt der Knochenpseudoplasmen bezeichnen zu dürfen; daneben ist die Resorption der Kalksalze, die 168 Zerfaserung der Intercellularsubstanz, endlich vielleicht eine progressive Metamorphose der die sog. Knochenkörperchen bildenden, durch Umlagerung von Kalksalzen aus den sternför- migen Zellen des Bindegewebes oder andererseits aus den Knorpelzellen entstandenen Knochen- gewebszellen durch eintretende Kernwucherung als die Quelle der Afterproducte zu bezeichnen. Den gutartigen Knochengeschwülsten gegenüber überwiegen, wie schon gesagt, an Zahl bei weitem die bösartigen, und hier ist es besonders der Markschwamm, der Fungus medulla- ris, welcher in der Regel ebenfalls sich in dem Knochenmarke und dessen Räumen entwickelt oder secundär erst von den Weichtheilen auf das Periost und den Knochen übergehend bei weitem den Vorrang vor andern sog. Krebsen hat. Im Ganzen wurde der Markschwamm als primär im Knochen entstanden 48mal beobachtet, und zwar vorzüglich am Oberkiefer in 22 Fällen, welche fast sämmtlich zu theils partiellen, theils totalen Resectionen selbst beider Ober- kiefer Veranlassung gaben. Diese Zahl lässt sich aus der Literatur ungemein vermehren, und ich glaube dass man gut thut, zwei Formen zu unterscheiden, die eine bei denen das After- product den Knochen vollständig durch Usur verschwinden macht, die andere wo sein eigenes Gerüst zu einer sog. Spicula, zu einem inneren Skelette verknöchert; letztere Form geht meist vom Periost aus. Der traurige Verlauf dieses schrecklichen Leidens ist allen Chirurgen zum Ueberflusse be- kannt; hier ist das Feld der Recidive, und wie rasch dieselben auch nach der gründlichsten Exstirpation sich erzeugen können, haben mich nicht bloss eigne Beobachtungen, sondern auch zahlreiche literarisch bekannt gewordene Fälle gelehrt. Der Tod ist hier fast der einzige Aus- gang, mag nun das Afterproduct bloss durch Resection oder durch Amputation oder gar durch Exarticulation beseitigt worden sein; freilich werden die Operationen selbst meist sehr gut über- standen. Von dem Markschwamm eigentlich kaum unterschieden ist der bösartige Blutschwamm, den wir einmal sahen; dass überhaupt Gefässentwicklung selbst bis zur Pulsation häufig genug sich zu dem Markschwamm gesellt, ist bekannt genug; will doch Cruveilhier das capillare Netz der Venen als den Ausgangspunkt des Krebses ansehen, und will doch Rokitansky die vielfach an einem Individuum vorkommende Teleangiektasie als eine Form des Krebses be- trachten. Nur eine pigmentreiche Form des Markschwammes ist das bösartige Melanoma, wel- ches wir zweimal an der pars incisiva des Oberkiefers, einmal bei einem 44jährigen Manne, einmal bei einem 69jährigen Weibe sahen. In der Literatur sind die Melanome der Knochen selten (Lobstein, Cruveilhier, Carswell). Müller’s Osteoid will Schuh und die Wiener Schule als eine blosse Form des Mark- schwammes anerkennen. Man kann dieser Meinung den Beifall nicht versagen, indess möchte der Verständigung wegen, zumal die äussere Erscheinung, namentlich der weichen peripherischen Masse durchaus dem Markschwamme nicht ähnlich ist, die Aufrechterhaltung dieser Gruppe rathsam sein; ich untersuchte eine der Müller’schen Beschreibung vollständig entsprechende Geschwulst, die sich aus dem Körper des Unterkiefers einer 36jährigen elenden Frau unter be- deutenden Schmerzen entwickelt hatte, und wegen deren Herr Geh. R. Wutzer im vorigen Jahre die partielle Resection des Unterkiefers mit Glück ausführte. Weit seltner als der Markschwamm ist der Skirrhus der Knochen; auch in der Literatur sind die Fälle selten aufzufinden, während der Krebs der Weichtheile oft secundär auf die Knochen übergeht. Besonders ist dies vom Epithelialkrebse geltend zu machen, der keineswegs so gutartig ist, wie ihn manche Autoren schildern. Ich sah die Entwicklung von mannichfal- 169 tigen Zellformen, deren Grundtypus die Epithelialzelle längs der Gefässe in Markkanälen und Räumen, besonders auch nesterweise Entwicklung derselben bei secundär erst auf die Haut über- gangenem Krebse der Tibia und der Mittelhandknochen in drei Fällen. In dieser kurzen Uebersicht wird man nur vier Formen von Knochengeschwülsten vermis- sen: ich meine das Cholesteatom und das Hämatom der Knochen, welche cystenförmige Aus- dehnung derselben zu veranlassen vermögen, das Knochenaneurysma und den Knochentuberkel. Letzteren habe ich wenigstens in reiner Form, erstere gar nicht zu untersuchen bis jetzt Gele- genheit gefunden. Das Knochenaneurysma, diese interessante von Pearson und Scarpa zu- erst beobachtete Knochengeschwulst, die besonders in England häufiger vorkommt, scheint in Deutschland sehr selten zu sein. In der deutschen Literatur fand ich keinen einzigen Fall verzeichnet, und erinnere mich nur eines in Berlin in der Langenbeck’schen Klinik operirten Falles von Knochenaneurysmen, welches indess nur ein von bedeutender Gefässentwicklung be- gleiteter Markschwamm war. Sollte einer oder der andere der verehrten Amwesenden uns über das Knochenaneurysma näheren Aufschluss zu geben im Stande sein, so würde ich mich ins- besondere Demselben verpflichtet fühlen. Herr Dr. Heyfelder aus Erlangen sprach über die Pirogoff’sche Amputationsmethode: Bei den Theilnehmern unserer Section, die sich speciell mit Chirurgie beschäftigen, setze ich die Kenntniss der Pirogoff’schen Methode zur Absetzung des Fusses voraus; für die übri- gen Herren sei in Kürze bemerkt, dass derselbe den Syme’schen Schnitt in der Art modificirt hat, dass er die hintere Parthie des Astragalus mit der Säge parallel dem Hautschnitt trennt und in der Kappe der Fersenhaut zurücklässt. Wird nun die Kappe der Fersenhaut heraufge- schlagen, so soll die Knochenfläche des Calcaneus parallel der Sägefläche der Unterschenkelkno- chen stehen und eine Vereinigung beider erzielt werden. Die Vorzüge dieses Verfahrens, wie sie sich von vornherein annehmen lassen und wie sie aus Pirogoff’s Beobachtungen resultiren, hat er in seiner Schrift niedergelegt. Ich übergehe sie daher und bespreche hier nur, was ich bei der Ausführung der Operation an der Leiche und am Lebenden zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich selbst machte die Operation an der Leiche und liess sie im Operationscursus von An- dern machen. Ihre Durchführung ist durchaus leicht, indem der schwierigste Theil des Syme’- schen Verfahrens das Lostrennen des Calcaneus aus der Hackenhaut dabei wegfällt und auch die Absägung des Knochens parallel dem Hautschnitt keine Schwierigkeit darbietet. Dagegen erschien in einigen Fällen die Coaptation der Kappe mit dem Unterschenkel erschwert, indem die Sägefläche des Astragalus mit der der Unterschenkelknochen einen Winkel bildete, und nicht eher mit derselben in gleiche Richtung gebracht werden konnte als bis die Achillessehne subcutan durchschnitten oder ganz vom Astragalus losgetrennt wurde. Da ich weiss, dass die- selbe Erscheinung in der Bonner chirurgischen Klinik beim Lebenden beobachtet wurde, so darf auf dieselbe besonderes Gewicht gelegt werden. Uebrigens werde ich die genauere Mit- theilung dieses Falles sogleich veranlassen. Ich selbst sah die Operation in ihrem Erfolg am Lebenden. Prof. Dietz aus Nürnberg vollführte sie an einem jungen Menschen, wo auch die Coaptation ohne alle Schwierigkeit ef- fectuirt ward. Am 12. Tag nach der Operation war die Anheilung des Lappens zum grossen Theil geschehen, so dass nur noch zwei Heftpflasterstreifen zu dessen Unterstützung angelegt wurden. Nach drei Wochen war die Heilung bis auf eiternde Stellen vollendet, so dass an 22 170 Schnelligkeit und Vollkommenheit der Heilung die Operationsmethode in diesem Einen Fall durchaus nicht hinter der Syme’schen zurücksteht. Der Kranke konnte mit Krücken gehen und selbst den Fuss ohne Schmerz auf den Boden setzen. Dabei zeigte sich denn, dass die Verkürzung der Extremität eine äusserst geringe, kaum 1/3 Linie betragende ist. Nach diesem Einen Fall ist demnach die Pirogoff’sche Modification des Syme’schen Schnittes sowohl in der Durchführung als in der Heilung und auch in Bezug auf die Brauchbarkeit der Extremität als eine glückliche, nachahmungswerthe Neuerung anzusehen. Zur Bestätigung aber oder Wider- legung dieser vereinzelten Erfahrung wäre es wünschenswerth, die Beobachtungen zu kennen, welche von Andern in dieser Beziehung gemacht wurden, und ich ersuche zunächst Hrn. Dr. Weber, uns den Fall aus der Bonner Klinik mitzutheilen. Hr. Dr. ©. Weber theilte kurz mit, dass im Krankenhaus zu Bonn dieselbe Operation nach Pirogoff ausgeführt worden sei. Hr. Professor«Roser aus Marburg empfahl die schräge Durchsägung des Fersenknochens und bemerkte, dass er im verflossenen Sommer die Operation nach Pirogoff gemacht habe. An der Debatte über die grössere oder geringere Schwierigkeit der Ausführung dieses Ver- fahrens, die Vortheile und die Nachtheile des senkrechten oder schrägen Durchsägens des Fer- senbeins betheiligten sich ferner die Herren Dr. Robert aus Coblenz, Professor Roser aus Marburg und Dr. Otto Weber aus Bonn. Herr Professor Roser aus Marburg sprach über die Operation der Blasenscheidenfistel : Ich habe in den letzten Monaten drei Blasenscheidenfisteln zugenäht, ich war so glück- lich, bei diesen drei Fällen die primäre Vereinigung in der Art zu erreichen, dass ich am vierten Tag die Fäden wegnehmen und die Patientinnen für geheilt erklären konnte. (Die Fistel war in dem ersten Fall zeigefingergross, im zweiten von der Grösse des klei- nen Fingers, im dritten daumengross. Der erste Fall bestand seit 8 Jahren; zehn Operatio- nen, achtmal die Naht und zweimal das Glüheisen, waren vergeblich versucht worden. Der zweite Fall bestand seit 6 Jahren. Der dritte seit 24 Jahren; drei verschiedene Operateure hatten vergeblich theils mit Nadeln, theils mit Glüheisen an diesem letzteren Fall gearbeitet.) Die Methode, welche das angeführte glückliche Resultat erzielte, war im Allgemeinen die Wutzer’sche, nur mit der wesentlichen Modification, dass die Nähte sehr fest angelegt wur- den. Es wurde also die Vaginalschleimhaut in der Umge- bung der Fistel durch zwei seichte Bogenschnitte umgangen, und dieser Theil der Schleimhaut mit Hülfe von Messer und Scheere abgetragen. Sofort wurden derbe Knopfnähte, der Faden aus vier bis sechs starken Seidenfäden bestehend, angelegt, in der Art, dass die Vaginalschleimhaut breit gefasst, die Blasenschleimhaut aber nicht mit durchstochen, sondern der Faden an der Grenze der Blasenschleimhaut durchgeführt wurde. (Vgl. beistehende Fi- gur.) Die Nähte wurden dann so fest geknüpft, dass sie alle am vierten Tag den äussersten 'Theil der von ihnen umfassten Schleim- hautpartie schon durchschnitten hatten. Die Heilung aber war um diese Zeit schon so vollständig, dass man Wasser mit einiger Kraft in die Blase spritzen konnte, ohne fürchten zu müssen, dass die zugeheilte Stelle dadurch wieder aufgerissen würde. 171 Es klingt fast lächerlich, wenn man sagt, das ganze Geheimniss der Blasenscheidenfistel- behandlung beruhe auf dem festen Zunähen; wenn man nach so vielfachen, mühsamen und complieirten Versuchen, welche die Chirurgen unseres Jahrhunderts zur Heilung dieses Uebels gemacht haben, sich zu dieser einfachen Regel zurückversetzt sieht. Und doch ist es so. Die Herren Collegen wissen, wie schlecht es noch vor wenig Jahren um die Kur der Blasenschei- denfistel stand. Dieffenbach, der doch wohl besser nähen konnte als alle andern Wundärzte seiner Zeit, verzweifelte endlich, nachdem er in zahlreichen Fällen sich die äusserste Mühe gegeben hatte, an der Kur dieser Fisteln durch die Naht, und wandte sich dem Glüheisen zu. Prof. Wutzer, dem wir das richtige Prineip für die Anfrischung verdanken, scheint nicht fest genug genäht zu haben, und seine statistischen Resultate vom Jahr 1842 waren so ungünstig (zwei primäre Heilungen auf 45 Operationen mit der Naht), dass sie nicht zur Nach- ahmung auffordern konnten. Ich selbst bin vielleicht durch meine Empfehlung des Aetzens, in meiner Arbeit vom Jahr 1842, mit daran schuld, dass das Aetzen von vieler Seite den Vorzug erhielt. Ich muss hier beiläufig bemerken, dass ich heutzutage gegen das Aetzen auch aus dem Grunde bin, weil durch das circumferentielle Anfrischen mit dem Messer derselbe Effect und wohl noch sicherer erreicht werden kann wie mit dem eircumferentiellen Aetzen. Ange- nommen nämlich, die primäre Heilung durch die Naht bliebe aus, so hätte man, in Folge der ringförmigen Abtragung der Schleimhaut, auch jetzt eine ringförmige Narbenzusammenzie- hung, und sofort, in Folge dieser Narbencontraction, die Verengung, wo nicht die Schliessung der Fistel zu erwarten. Durch das Aetzen sind im Verhältniss nur sehr wenige Heilungen erreicht worden, und es stand also mit der Heilung der Blasenscheidenfistel noch vor wenigen Jahren sehr schlecht. Um’s Jahr 1849 erschien nun das Buch von Jobert, der sehr günstige Resultate ankündigte, und zwar in Folge eines Verfahrens, welches er Autoplasie par glissement nennt und welches absolut nichts anderes ist als der von Dieffenbach in der Chirurgie eingeführte Seitenschnitt. Die günstigen Resultate von Jobert bestätigten sich, aber sie erschienen fast unbegreiflich ; man musste sich erstaunt fragen, wie es möglich sei, dass ein solcher Seitenschnitt, der oft gar nicht durch Spannung der Theile motivirt schien, so viel nützen sollte. Ich selbst sprach gleich in meiner Recension des Jobert’schen Buchs *) die Ansicht aus, dass in dem Seiten- schnitt nicht die wesentliche Bedingung des Gelingens bei Jobert’s Operationen zu liegen scheine, sondern vielmehr in dem circumferentiellen Anfrischen und dem genauen Nähen. Diese Ansicht hat sich mir nun durch meine neuesten Operationen völlig bestätigt, und na- mentlich bin ich, nachdem ich zuerst mehrfach ohne Erfolg operirt hatte, wie ich schon be- merkte, zu dem Resultat gekommen, dass man sehr fest nähen muss. Hierbei will ich nicht verhehlen, dass ich zu diesem Schluss auch durch eine Unterredung mit Hın. Dr. Simon hingeführt wurde, der mehrere Operationen von Jobert mit angesehen hatte, und der eine ähn- liche Ansicht und ein ähnliches Verfahren befolgt wie ich. Dr. Simon hat sein Verfahren in einer mit nächstem die Presse verlassenden Schrift beschrieben, und es sind von ihm vier glückliche Operationen sowie zwei andere von einem andern Darmstädtischen Collegen, Dr. Tenner, sämmtlich innerhalb des letzten Jahrs beobachtet, in dieser Schrift mitgetheilt. Was nun die Instrumente betrifft, deren ich mich bediente, so sind darunter folgende von einiger Eigenthümlichkeit: 1) ein Speculum von Zinn, welches sehr schief abgeschnitten ist *) Archiv für phys. Heilk. 1850. S. 191. 22° 172 und auch am Eingang einen Ausschnitt hat; dasselbe wird so angelegt, dass die Urethralöff- nung unbedeckt bleibt. An der hinteren Fläche des Spiegels befindet sich ein langes schmales Fenster, welches dazu dienen soll, dass die Nadel beim Anlegen der Naht an der hinteren Fi- stellippe (von der hinteren Vaginalgegend nach vorn) nicht an der Wand des Speculums ein Hinderniss findet. 2) Ein Fistelhalter (dem Tire-tete analog), welcher in die Fistelöffnung ein- geführt wird, wie ein Knopf in ein Knopfloch, der sich innen auseinander schiebt und sofort zum Anziehen, Spannen und Fixiren der Fistel während des Schnitts dienen kann. 3) Ein langes Hakenzängchen, ähnlich dem von mir in der Münchener illustr. Zeitung beschriebenen Ophthalmostat. 4) Ein langer, schmaler Dieffenbach’scher Nadelhalter, an dem unten ein Stell- haken angebracht ist. 5) Grosse stark gekrümmte Nadeln, noch etwas grösser als die von Jobert. Zusatz am 5. October 1853. Da mir so eben die Schrift von Herrn Simon zukommt, so füge ich die Reflexionen bei, welche sich aus dem Durchlesen dieser Schrift ergeben. Herr Simon ist auf ein ganz ähnliches Resultat gekommen wie ich. Nachdem er die Jo- bert’sche Methode unzulänglich gefunden, nachdem er bei seinen ersten Operationen die Erfah- rung gemacht hatte, dass die Seitenschnitte in den einen Fällen ganz unnöthig waren und in anderen Fällen nicht zum Zweck, d. h. zur Aufhebung der Spannung führten, ersann er eine Modification der Naht, welche er Doppelnaht nennt. Die Methode besteht darin, dass er zweierlei Nähte macht, von welchen die erste die Aufgabe hat, die Substanz der Fistelwände breit und fest zu fassen und herbeizuziehen, die zweite, sie möglichst genau an einander zu bringen. Es ist im Grunde dasselbe Verfahren, was schon oft bei der Perinäorhaphie und bei andern Operationen ausgeführt wurde: man macht vorerst tiefe, derbe Nähte, und zwischen diesen noch feine oberflächliche, welche überall da hinzugefügt werden, wo die Wundränder noch nicht ganz beisammen stehen *). Schon Dieffenbach hat bekanntlich in einem berühmt gewordenen Fall von Blasenscheidenfistel die Naht in der Art angelegt, dass die eine Hälfte der Nähte tief (bis in die Blase) ging, die andere nur die Vaginalhaut fasste. Wir wollen aber damit keineswegs behaupten, dass die Methode des Herrn Simon nichts Neues enthalte. Das Neue besteht aber eher in der deutlich erkannten Indication, als in dem Mittel zur Aus- führung derselben. Die Indication ist das feste, breite, derbe Zusammennähen. Auch Herr Jobert hat, offenbar ohne sich dessen recht bewusst zu werden, einen guten Theil seiner Er- folge dem breiten und festen Nähen zu verdanken. Er mag wohl allmälig dazu gelangt sein, dass er immer fester nähte. Hiefür spricht wenigstens der in neuester Zeit von Jobert gege- bene Rath, man solle, ehe die erste Sutur ganz zugeknüpft werde, auch den ersten Knoten der zweiten Sutur formiren, damit die erste Sutur nicht zu locker werde. Das Verfahren des Herrn Simon besteht kurz in Folgendem: 1) der Uterus wird mit Hakenzangen oder Doppelhaken herabgezogen. 2) Die Anfrischung geschieht |trichterförmig, durch Einstechen eines spitzen Messers und Fortsetzung des Schnitts mit dem Knopfmesser. *) Ich selbst habe, ohne übrigens darauf grossen Werth zu legen, bei meinem zweiten Heilungsfall eine, und beim dritten Fall zwei oberflächliche Suturen zugefügt. Ich machte dieselben aus dem einfachen Grunde, weil die Wundränder nicht ganz genau sich anfügten. Ich liess durch die Fäden der bereits festgeknüpften der- ben Nähte die Fistelstelle etwas anziehen, und legte dann die feinen Nähte mit kleinen krummen Nadeln auf einen Zug durch beide Wundlippen. In einem früheren Fall bereute ich, diess nicht gethan zu haben, die Naht war hier, wegen der Enge der Vagina, nicht so breit gelungen als ich gewünscht hatte, und ich hätte wohl, wenn mir diess zur rechten Zeit eingefallen wäre, durch den so eben beschriebenen Handgriff eine weitere Naht mit Leichtigkeit hinzufügen können. 173 3) Die Einstichstellen für die Suturen liegen bis zu einem Centimeter entfernt vom Wund- rand. Die Blasenschleimhaut wird mit durchstochen; bei grossen Fisteln oder bei Spannung der Theile wird die oben beschriebene Doppelnaht gemacht. 4) Den Seitenschnitten, selbst dem oberen (Jobert’schen) Seitenschnitt, schreibt Herr Simon geringen Nutzen zu; die Doppel- naht sei zur Bekämpfung der Spannung viel wirksamer, man könne sich bei Versuchen an der Leiche wie bei solchen Fisteloperationen überzeugen, dass die Seitenschnitte, wenn man ihnen anders nicht eine gefährliche Tiefe und Länge gibt, nur wenig zur Entspannung leisten. (Diess kam auch uns bei unseren früheren Versuchen so vor.) Wahrhaft nützlich für die Naht der Blasenscheidenfistel sei nur der Seitenschnitt durch die vordere Muttermundlippe oder bei den sehr hoch liegenden Fisteln die Spaltung des Mut- termunds selbst. Auf die Harnleiter, meint Herr Simon, brauche man bei der Operation keine besondere Rücksicht zu nehmen, Jobert habe der Harnleiter gar nicht erwähnt und doch so manche Erfolge erzielt; es sei wahrscheinlich, dass die Durchschneidung eines Harnleiters beim Anfrischen der Fistel weiter keinen Schaden bringe. Wir halten diess noch nicht für ausgemacht; wir hatten einmal Gelegenheit, uns bei der Section einer Scheidenfistelkranken, die an Pyelitis gestorben war, von der damals eingetrete- nen Strietur der Harnleitermündung zu überzeugen, und wir möchten nicht dafür stehen, ob nicht eine Durchschneidung des Harnleiters, neben einer Störung oder Erschwerung des Zu- sammenwachsens der Fistelränder, solche Strieturen herbeiführen könnte. Besonders merkwürdig ist unter den sechs von Hrn. Simon mitgetheilten Fällen der fünfte. Eine Scheidenmutterblasenfistel wird nach Jobert’scher Art durch Annähen der hintern Mutter- mundslippe an die Vagina zur Heilung gebracht; die Patientin menstruirte schon am fünften Tag durch die Blase. Am sechsten wurden die Fäden entfernt, die Fistel war vereinigt, mit Ausnahme einer kleinen Stelle, die sich nach einigen Wochen nach Anwendung des Höllen- steins schloss. Der vierte Fall war schon einmal nach Jobert ohne Erfolg operirt. Die Fistel schloss sich durch die Doppelnaht mit Ausnahme einer ganz kleinen Stelle. Operation während der Menstruationsperiode, auf dringendes Verlangen der Kranken. (Fäden am 8. Tage entfernt.) Im dritten Fall war zweimal ohne Erfolg nach Jobert operirt. Heilung des grossen Lochs durch Doppelnaht. Drei äussere und drei innere Nähte. Die Fäden wurden am 8. Tage entfernt. Im zweiten Fall wurde ein Loch von zwei Centimeter Durchmesser durch einfache Naht .operirt; ein kleines Fistelchen blieb nach derselben zurück. Von den sechs mitgetheilten Fällen blieben also bei zweien kleine Fistelchen zurück, d.h. die Patientinnen waren vor der Hand mit dem Erfolg zufrieden. — Die mitgetheilten Fälle von Hrn. Simon nebst den meinigen bilden schon ein hinreichen- des Material, was den Jobert’schen Seitenschnitten gegenübergestellt werden kann. Wir hof- fen, in Kurzem die Zahl solcher Beobachtungen sich bedeutend mehren zu sehen. Schliesslich zeigt der Redner die Instrumente vor, deren er sich bei diesen Operationen bediente. — An der darauf folgenden Debatte betheiligten sich die Herren Dr. Robert aus Coblenz, Dr. Otto Weber aus Bonn, Dr. Esmarch aus Kiel, Sanitätsrath Brandes aus Hannover und Hofrath v. Textor aus Würzburg. Herr Dr. Esmarch aus Kiel theilte Näheres über einen Fall von Cholesteatom des Stirn- 174 beins mit, welches er einem jungen Manne mit glücklichem Erfolg ausgerottet, und zeigte dar- auf bezügliche Abbildungen vor. Herr Prof. Textor aus Würzburg sprach über Gelenkresectionen im Allgemeinen und über die Resection des Kniegelenks insbesondere: M. H. Die Resectionen der Gelenke, welche noch vor zwei Jahrzehnden vielfach bean- standet wurden, sind jetzt, Dank der Ausdauer ihrer Vertheidiger, in der Civil- und Militär- praxis im Allgemeinen eingebürgert. Aber noch verfolgt die Ungunst mancher Fachgenossen einzelne derselben, und keine in höherem Grade, als die Aussägung des Kniegelenkes. Es ist dies um so auffallender als diese eine der ältesten Gelenk-Ausschneidungen ist, und gerade in den ersten Fällen ein glücklicher Erfolg die Kühnheit der Operirenden belohnt hat. Man hält diese Resectionen häufig für sehr schwierig und überaus gefährlich, manche, sagen sie, wäre überflüssig; selbst wenn ein solcher Operirter glücklich durchgekommen und geheilt worden wäre, so könne er sich seines Beines nicht bedienen, es wäre steif, verstüm- melt und unbrauchbar. Die Erfahrung spricht aber anders. Ich gebe zwar gern zu, dass man anfangs allzu sanguinische Hoffnungen gehegt und in so manchen Fällen das Kniegelenk theilweis oder gänzlich ausgesägt hat, wo es besser gewesen wäre, gleich am Oberschenkel zu amputiren. Ich gestehe offen, dass wir in Würzburg selbst in diesen Fehler verfallen sind; derselbe ist aber sehr verzeihlich und sein Entstehen leicht begreiflich. Das Ergebniss der er- sten Kniegelenk-Ausschneidungen von Hugo Park und seiner Nachfolger ist so günstig aus- gefallen, dass man sich leicht verleiten liess, in vorkommenden Fällen auf ähnliche Weise zu verfahren, um so mehr, als sich bei den Resectionen anderer Gelenke (namentlich des entspre- chenden Ellenbogengelenkes) die glücklichen Erfolge häuften und man einestheils immer ge- neigter ist, sich durch glückliche Erfolge aneifern als durch ungünstige abschrecken zu lassen, anderntheils bestimmt wird durch den Wunsch des Kranken, das betreffende Glied zu erhalten und einer bleibenden Verstümmelung überhoben zu sein. Freilich folgten dann eine Reihe von Fällen, wo ungünstige Ergebnisse eintraten; und dadurch liessen sich wirklich auch nicht wenige Wundärzte, wie z. B. Roux, Fricke, Stromeyer u. A. abschrecken, auf dieser Bahn auszuharren. Jeder Anfang ist schwer, zumal in unserer Kunst. Nur nach vielen Erfahrungen und Beobachtungen gelingt es uns, in der Erkenutniss vorwärts zu kommen. Dass die Resection des Kniegelenkes nicht schwer auszuführen sei, dass sie im Gegentheil eine der leichtesten der grossen Gelenk-Ausschneidungen sei, darüber wird wohl Niemand mehr im Zweifel sein, der sie auch nur einmal an der Leiche zu versuchen sich die Mühe gege- ben hat. Was den zweiten Vorwurf, die Gefährlichkeit, anbelangt, so ist derselbe auch nicht so fest begründet, dass man deswegen Acht und Bann gegen diese Resection auszusprechen be- rechtigt wäre. Zugegeben auch, dass die Kniegelenk-Aussägung gefährlicher sei als die mei- sten anderen Knochen-Ausschneidungen, so ist sie es doch nicht in so hohem Grade als man gewöhnlich behauptet. Die Resectionen haben vor den Amputationen das jedenfalls voraus, dass sie weit weniger verletzend und daher auch weniger gefährlich sind als diese; denn es fallen bei ihnen die Durchschneidungen der grossen Nerven- und Gefässstämme weg — zwei Verletzungen, die nicht so gar selten den übeln Ausgang nach den Amputationen mit begründen helfen und die 175 man noch lang nicht hoch genug in Anschlag bringt. Bei den meisten Resectionen hat man gar nicht nöthig, ein Gefäss zu unterbinden; dass diess bei und nach den Amputationen nur in seltenen Ausnahmsfällen vorkommt, ist allbekannt. Man hat in Fällen, wo unsere Operation angezeigt ist, nur einen Ausweg, wenn man nicht reseciren will, nämlich am Oberschenkel zu amputiren. Wie bekannt, ist die Amputatio femoris diejenige von allen Gliedabsetzungen, welche das grösste Sterblichkeitsverhältniss hat; vielleicht wird sie nur von der Exartieulatio femoris in dieser Hinsicht übertroffen. Das Sterb- lichkeitsverhältniss nach der Resection des Kniegelenkes ist allerdings bei dem jetzigen Stand der Dinge, wo noch von so vielen Chirurgen amputirt anstatt resecirt wird, ein ungünstiges zu nennen, wenn man die bisher bekannt gewordenen Fälle bloss zählt und nicht abwägt. Es sind nämlich bis jetzt 53 Fälle bekannt, darunter finden sich 21, in welchen in kürzerer oder längerer Zeit nach der Operation der Tod eingetreten ist, 5 Fälle, von denen der Ausgang nicht bekannt geworden, 27, in welchen die Operirten geheilt wurden, wobei jedoch zu be- merken ist, dass nur 20 als vollkommen geheilt zu betrachten sind, indem in 7 Fällen das er- haltene Glied unbrauchbar geblieben ist oder nachträglich amputirt werden musste. Bedenkt man aber, dass unter den Gestorbenen sich Mancher befindet, der bei vollkommen günstiger Aussicht auf Genesung, bei in der Heilung schon weit vorgeschrittener Wunde an andern Krankheiten starb wie, z. B. an der Ruhr, am Kindbettfieber, nach Verlauf von vielen Mona- ten an rasch zur Schwindsucht sich entwickelnden Lungenknoten, welche also zum Theil gar nicht mit in Rechnung gebracht werden dürften; erwägt man ferner, dass von einigen der Ausgang gar nicht bekannt geworden, so wird man obiges Verhältniss weniger streng beurthei- len dürfen und den Endausspruch wohl noch der Zukunft anheim stellen müssen. Die Geg- ner werden freilich sagen, es würden nur die Fälle bekannt gemacht, wo Heilung eingetreten, dagegen blieben viele unglücklich abgelaufene verschwiegen. Dieser Einwendung muss ich aber zur Ehre der Chirurgen entgegen halten, dass günstige und ungünstige Erfolge bei dieser Operation von denjenigen Wundärzten, welche die Resectionen ausüben, immer gleichmässig veröffentlicht worden sind, und wenn einzelne vielerfahrene Kliniker sich bis jetzt, leider, nicht veranlasst gesehen haben, ihre darüber gemachten Beobachtungen bekannt zu machen oder zu veröffentlichen, so muss man nicht gleich meinen, dass nur der ungünstige Ausgang solcher Resectionen daran Schuld ist, sondern dass dies Schweigen durch ganz andere Ursachen bedingt wird, und dass ferner wohl ebensoviele günstige als ungünstige Fälle bisher unbekannt geblieben sind. Immerhin muss man im Interesse der leidenden Menschheit und der ärztlichen Kunst eine solche Schweigsamkeit beklagen *). Manche werden sagen, bei so ungünstigem Sterblichkeitsverhältnisse thue man besser, den Oberschenkel abzunehmen, da würden mehr Kranke gerettet werden. Ich entgegne: wer steht uns dafür, dass in allen den Fällen, wo die Resection nicht gelungen ist oder die Resecirten gestorben sind, der Erfolg der Amputation ein besserer gewesen wäre; die Abnahme des Ober- schenkels ist bekanntlich die gefährlichste von allen Amputationen, zu ihr entschliesst man *) Wie sehr ich mit dieser Behauptung Recht hatte, davon wurde ich auf sehr erfreuliche Weise einige Wochen später in Hamburg überzeugt, wo wir im allgemeinen Krankenhause bei Hrn. Dr. Knorre einen in der Heilung begriffenen Fall und den Gypsabguss einer durch Resection des Knies sehr schön geheilten unteren Gliedmaasse gesehen haben. Möge Hr. College Knorre diese schönen Erfolge recht bald ausführlich veröffent- lichen! 176 sich nur ungern und wo man auf andere Weise nicht helfen kann; ich erinnere an Professor Malgaigne’s statistische Arbeiten und die Verhandlungen der Pariser Akademie der Medicin. Uebrigens kann man ja auch nach verrichteter Resection immer noch früher oder später, wie die Umstände es nothwendig machen, nachträglich am Oberschenkel amputiren, wie mein Vater in drei Fällen gethan: zweimal wegen nachfolgender heftiger Entzündung mit übermässiger Eiterung und heftigem erschöpfendem Fieber bald nach der Resection, einmal nach geheilter Resectionswunde, weil keine feste Verwachsung zwischen den Knochen des Ober- und Unter- schenkels eintrat und das Glied unbrauchbar war. Nur in einem der Fälle von übermässiger Eiterung mit hektischem Fieber trat der Tod nach der Amputation ein; in den beiden andern Fällen wurden die Kranken vollkommen geheilt. In Betreff des dritten Vorwurfs muss ich gleichfalls behaupten, dass er unbegründet ist; denn auf diese Weise Resecirte gehen, wenn sie glücklich geheilt sind, d. h. durch feste knö- cherne Verwachsung (Ankylosis vera) des Oberschenkelbeins mit dem Schienbeine, so gut wie Jemand, der ein steifes Knie hat, und jedenfalls nach gehöriger Uebung besser und sicherer als am Oberschenkel Amputirte. Sie sind ferner gewiss weniger entstellt als Amputirte, welche unzweifelhaft unheilbar verstümmelt genannt werden müssen. Ganz abgesehen davon, dass ein Stelzfuss vermöge der von Zeit zu Zeit nothwendigen Reparaturen theuerer ist und seinen Be- sitzer mehr Gefahren aussetzt. Schon Hugo Park in seinem berühmten Brief an Percival Pott hat 1783 diesen Einwurf vollständig widerlegt. Sein erster Fall ist übrigens ein sehr schlagender Beweis. Sein Matrose hat nach der Heilung mehrere Seereisen gemacht, konnte mit grosser Gewandtheit in die Höhe klettern, litt noch zweimal Schiffbruch und grosse Noth, ohne an seinem operirten Gliede die geringsten Beschwerden zu empfinden. Prof. Syme hat ganz Recht, wenn er sagt: ‚‚alle Patienten haben erklärt, dass sie sich sehr glücklich schätzten, ihre Beine auf diese Art erhalten zu sehen”, und von seinem ersten Operirten erzählt, ‚‚derselbe würde sein Bein um keinen Preis gegen ein hölzernes vertauschen”. Crampton’s Resecirte, Anna Lynch, ging, um ihren Arzt zu besuchen, fünf englische Meilen weit, und ist trotz einer bedeutenden Verkürzung (sie trägt einen Schuh mit vier Zoll hoher Korksohle) sehr zufrieden mit ihrem Bein. Sie kann ihrem eigenen Ausdruck nach ‚,ei- nen ganzen Tag stehen oder gehen”. Michael Jäger’s Operirter, ein 28jähriger Maurer, wurde nach 20 Wochen mit einer Verkürzung von’zwei Zoll entlassen. Er ging anfangs mit Krücken, später mit einem Stock, zuletzt ohne denselben, nur mit einem zollhohen Absatz am Stiefel, leicht und sicher, konnte ohne ungewöhnliche Ermüdung mehrere Stunden weit gehen, ohne Unterschied auf bergigen und ebenen Wegen, Treppen und Leitern ersteigen und tanzen. Derselbe hat bekanntlich 14 Jahre lang ohne Rückfall seine Heilung überlebt. Die drei von meinem Vater und mir Resecirten gehen alle drei sehr gut, und sind sehr zufrieden nicht amputirt worden zu sein. Die Verkürzung betrug in dem ersten Falle noch an drei Zoll, im zweiten nur einen Zoll und im dritten zwei und einen halben Zoll. Ich erlaube mir, Ihnen die Abbildung des Kniees der 23jährigen Barbara Scheuring und die drei ausgeschnittenen Knochen vorzulegen. Dieselbe hatte über ein Jahr an sehr schmerz- hafter Entzündung des rechten Kniegelenkes gelitten, wogegen alle gewöhnlich gegen diese Krankheit empfohlenen Mittel, das entzündungswidrige Verfahren, kalte und warme Umschläge, Einreibungen von zertheilenden Salben, erweichende und schmerzstillende Pflaster, rothmachende und blasenziehende Mittel, Bepinselungen mit Jodtinetur, methodische Compression u. Ss. w. 177 vergeblich angewandt worden waren, wodurch man höchstens zuweilen eine vorübergehende Linderung erzielt hatte. Die Schmerzen steigerten sich oft so sehr, dass die Kranke sehnlichst und wiederholt durch eine Operation von denselben befreit zu werden bat, dabei aber ausdrück- lich wünschte, man möchte ihr ja den Schenkel nicht abnehmen. Nachdem wir dieselbe dar- über verständigt hatten, dass ich durch einen Einschnitt das Kniegelenk eröffnen, die Ausdeh- nung des Uebels erforschen und dann je nach den Umständen entweder reseciren oder amputi- ren wolle, war sie damit einverstanden und liess sich mit Chloroform betäuben. Ich schritt sodann, am 16. Juni 1853 zur Operation. Ein bogenförmiger Querschnitt un- terhalb der Kniescheibe von einem Gelenkknochen zum andern eröffnete das Gelenk, aus dem sich eine mässige Menge theils dünnen theils trüben flockigen, theils dickeren Eiters ergoss. Die Synovialhaut zeigte sich von vielen rothen Gefässen durchzogen, hie und da mit rothen Granulationen besetzt, die Knorpel des Oberschenkels ihres natürlichen Glanzes beraubt, miss- farbig, aufgefasert, ebenso jene der Kniescheibe und des Schienbeines, dessen innerer Rand nach seinem ganzen Umfang rauh und entblösst war. Da die Zerstörung im Knochen noch so beschränkt erschien und keine weitverbreiteten Eitersenkungen und Hohlgänge zugegen wa- ren, so entschied ich mich für die Resection. Nach Erweiterung des Querschnittes an seinen beiden Enden liess ich auf jeder Seite etwa 1 Zoll vor dem Ende dieses grossen Einschnittes einen 1!/; Zoll langen senkrechten Einschnitt den Querschnitt kreuzen, trennte die Seiten- und Kreuzbänder vollends und sägte nach Abtrennung der Weichtheile an der vorderen, äusseren und inneren Seite zuerst die Gelenkknochen des Schenkelbeines, dann jene des Schienbeins oberhalb des Wadenbeinköpfchens ab, und schälte darauf die Kniescheibe aus den bedeckenden Weichtheilen heraus. Nach Unterbindung zweier kleiner Schlagadern wurden die Sägeflächen von Femur und Tibia in Berührung gebracht, die Wunde durch Knopfnähte vereinigt, das Glied immer geradegestreckt erhalten. Es trat zwar anfangs heftiges Fieber ul grosse Eite- rung ein, doch heilte die Wunde theilweis durch erste Vereinigung, theilweis durch Granula- tion, und trotz der Bildung zweier Abscesse und eines Anfangs Juli eintretenden Durchfalls war die Wunde bis zum 5. August bis auf eine ganz kleine Stelle geschlossen, am 14. August aber vollständig vernarbt. Oberschenkel und Schienbein verwuchsen fest miteinander, jedoch ist der Unterschenkel durch die Uebermacht der Beugemuskeln nach hinten, oben und etwas nach aussen gezogen, weswegen auch das untere Ende des Schenkelbeins nach vorn vorzura- gen scheint. Die ganze Gliedmaasse ist um etwa 21/3 Zoll verkürzt. Bei der ausserordent- lichen Empfindlichkeit der Kranken war es unmöglich gewesen, die Sägeflächen des Schenkel- und Schienbeines beständig in unmittelbarer Berührung zu erhalten, wie sie im ersten Augen- blicke nach der Aussägung und Vereinigung der Wunde gewesen. Durch fortgesetzte Uebung lernte die Kranke allmälig gehen und stehen. Die Höhe der ausgeschnittenen Knochen beträgt 1 Zoll 6 Lin. im getrockneten Zustande, im frischen und mit den halbmondförmigen Knorpeln würde sie wohl fast 2 Zoll erreichen. 23 178 Fig. I. Rechter Fuss der Barbara Scheuring von Aussen. I \ Fig. I. BD < ” Rechter Fuss derselben von Innen, in beiden Figuren bedeuten Y N ab und be die Narbe des sanft gebogenen Y Querschnittes. 7 ed und ef die kleinen senkrechten Schnitte (Dr | an den beiden Seiten. | i g und A die Narben der Einschnitte zur Er- H öffnung der später entwickelten Eiterherde. Nach den bisher gemachten Erfahrungen möchte soviel feststehen, dass die Resection des Kniegelenkes keineswegs wegen ihrer Gefährlichkeit u. s. w. eine zu verwerfende Operation sei, sondern dass man im Gegentheil in gegebenen Fällen dieselbe häufiger machen solle als es bis jetzt geschehen ist. Dieselbe ist also den operirenden Collegen anzuempfehlen. Dagegen ist anzuerkennen, dass man anfangs zu weit gegangen ist, dass sie bei weitem seltener als die anderen grossen Gelenkausschneidungen angezeigt ist, dass bei keiner anderen 179 die Anzeigen so genau abgewogen werden müssen und dass keine andere eine so sorgfältige, behutsame und häufig auch lange Nachbehandlung erfordere als diese. Im Allgemeinen ist sie zwar bei allen jenen krankhaften Zuständen und Verletzungen an- gezeigt wie die übrigen Gelenkaussägungen, aber bei keiner andern darf man weniger weit mit der Verkürzung der Gelenkenden gehen, und eine gewisse Gränze, welche zuerst von Michael Jäger nach den vorliegenden Beobachtungen richtig angegeben worden ist, darf nicht über- schritten werden, indem sonst eine allzu bedeutende Verkürzung des betreffenden Gliedes oder, was noch schlimmer ist, keine Verwachsung durch Knochenmasse, sondern durch Bandmasse (Pseudarthrosis) entstehen könnte und das Glied unbrauchbar würde. Die nothwendig eintretende Verkürzung des Gliedes ist kein Nachtheil, sondern günstig für den Operirten, denn er kann mit etwas verkürztem im Knie steifem Fusse leichter und sicherer auch schöner gehen als Leute die eine Ankylosis mit gestrecktem Knie und unverkürz- tem Beine haben, da ein Resecirter keinen Bogen nach aussen zu beschreiben braucht, wenn er den Fuss vorsetzen will. Darauf hat übrigens auch schon Hugo Park aufmerksam ge- macht und diesen Vorzug hervorgehoben. Es darf daher der Absatz des Stiefels oder Schuhes nie ganz so hoch werden als die Verkürzung des resecirten Gliedes beträgt. Dritte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident: Professor Julius Vogel. Secretär: Dr. Heyfelder. Herr Regierungs- und Medicinalrath Tourtual aus Münster hielt einen Vortrag über ärzt- liche Dispensiranstalten und Filialapotheken. Die Veranlassung zu früher ertheilten Commissionen ärztlicher Dispensiranstalten in West- phalen, die durch Erfahrung erkannten vielfachen Nachtheile derselben und die Schwierigkeiten der Controlirung Seitens der Medicinalbehörden wurden nachgewiesen, und eine Vergleichung mit den Filialapotheken angestellt, welche zum Vortheile der letzteren ausfiel, obgleich auch diese ihre Schattenseiten haben, welche hervorgehoben wurden. Angeknüpft wurden Beobach- tungen über vorkommende Verunreinigung der Extracte mit Kupfer und ihre Ursachen, vor- nehmlich den Gebrauch kupferner Pumpen in den Laboratorien, und über den Kupfergehalt des daraus genommenen Wassers, ferner über Einmengung von Eisen in die Pulver, wenn die- selben in den sogenannten Pulverisirtrommeln mit Eisenkugeln bereitet werden. Herr Dr. Reclam aus Leipzig sprach über die Leipziger Epidemie im Jahre 1680. Herr Hofrath Fuchs findet es gewagt, in der Leipziger Epidemie von 1680 die Cholera sehen zu wollen. Er erinnert daran, dass schon ein Jahrhundert vorher Epidemieen beschrie- ben wurden, welche als Typhusepidemieen (Hungertyphus) unverkennbar sind. An der weite- ren Discussion betheiligten sich die Herren Dr. Spiess aus Frankfurt a. M., Dr. Dawosky aus Celle und Prof. Albers aus Bonn. Herr Dr. Wiese theilt einige Bemerkungen über Cyanose mit und legt ein Präparat eines eine aussergewöhnliche Bedingung darbietenden Herzens vor. 23° 180 Herr Prof. Krämer knüpft hieran die Mittheilung eines Falles *) aus seiner Praxis von einer sich plötzlich ausbildenden Cyanose mit ‚rasch folgendem Oedem des Gesichts und der oberen Körperhälfte in Folge der Ruptur eines Aneurysma der Aorta ascendens in dem rechten Vorhof des Herzens. Der Patient überlebte die Ruptur mehrere Tage. Die Symptome kamen im Ganzen mit denen überein, die Thurnam von ein paar ähnlichen Fällen mitgetheilt hat, nur war das Oedem nicht allgemein, was Thurnam als diagnostisch für das Aneurysma varico- sum der Aorta und des rechten Vorhofes aufstellt, sondern blieb auf das Gesicht und die obere Körperhälfte beschränkt. Das Präparat hat K. der pathologisch-anatomischen Sammlung des Ernst-August-Hospitals überwiesen, wo es sub C. II. d. 6. aufbewahrt wird. Herr Dr. Zenker aus Dresden sprach über acute Leberatrophie. Herr Dr. A. Vogel aus München theilte einen ähnlichen Fall mit, der zu einer längeren Debatte Veranlassung gab, an welcher sich die Herren Professor Julius Vogel aus Giessen, Hofrath Fuchs, Professor Krämer und Medicinalrath Beneke aus Oldenburg betheiligten. Eine These und einige Fragen über die Cholera waren Herrn Prof. Julius Vogel zu dem Zwecke eingehändigt worden, sie der Section mitzutheilen und zur Discussion zu stel- len. — Das Eingehen auf diese Fragen wird von der Versammlung abgelehnt. Herr Prof. Textor aus Würzburg sprach über Ausrottung des Fersenbeins: M. H. Der gestern, d. 21. September, von Herrn Dr. Oskar Heyfelder gehaltene Vor- trag- über die Amputation im Fussgelenke nach Jäger-Syme und die wichtige Abänderung derselben durch Hrn. Prof. Pirogoff veranlasst mich, Ihre Aufmerksamkeit auf eine andere nicht minder wichtige und für den betreffenden Kranken viel vortheilhaftere Operation zu len- ken: die gänzliche Ausrottung des Fersenbeines für sich allein oder in Verbindung mit den nahgelegenen Fusswurzelknochen. Bei dieser erwächst der grosse Vortheil, dass der ganze Fuss, die natürliche Basis des menschlichen Körpers, erhalten wird, und der Operirte läuft weit weniger Gefahr als bei der oben genannten Amputation, welche übrigens auch durch die Resection des Fussgelenkes oft genug mit grossem Vortheil umgangen werden kann. Von die- ser will ich aber heute ganz absehen. Als im März 1847 Hr. Dr. August Brandis aus Hamburg auf meine Veranlassung seine Dissertation **) schrieb, war noch kein einziger Fall von Ausrottung des ganzen Fersen- beines bekannt. In allen Fällen, in welchen ich das ganze Fersenbein für sich allein oder zugleich mit dem Sprungbein oder sonst einem angränzenden Knochen oder Knochentheil weggenommen, wurde bis jetzt ein vollkommen günstiger Ausgang erzielt, und es konnten und können alle diese Operirten ihren, auf diese Art ihnen erhaltenen Fuss ganz gut gebrauchen; bei allen hat die Achillessehne ihre Verrichtung nicht verloren, und bei keinem ist eine Ankylosis im Fuss- gelenke eingetreten. Zwar ist es wahr, dass es in einigen Fällen viel Zeit und Geduld kostete, *) Dieser Fall war in dem durch das Tagblatt veröffentlichten kurzen Protocoll als ein dem vorhergehen- den analoger bezeichnet worden. **) Ueber die Resection des grossen Trochanters und des Calcaneus und über die Amputation im Fussge- lenk nach Syme. Würzburg 1847. 181 bis die Operirten ihren Fuss wieder gebrauchen lernten, allein diese Mühe darf man sich nicht verdriessen lassen, und ist die Rettung eines Fusses auf diese Weise nicht zu theuer erkauft. Giebt es doch auch Amputirte, welche, sei es aus angeborner Ungeschicklichkeit oder Furcht- samkeit, sei es aus anderen Gründen, lange Zeit brauchen, bis sie die Krücken weglegen und sich auf ihren hölzernen Füssen zu gehen getrauen. \ Das Fersenbein für sich allein habe ich dreimal mit vollkommen günstigem Erfolge (ein- mal wegen Beinfrasses, zweimal wegen Beinfrasses und Nekrose) ausgerottet, und zwar einmal einem 16jährigen Schifferssohn am 30. September 1852, welchem mein Vater am 5. August desselben Jahres schon das Würfelbein, das hintere Gelenkende des fünften Mittelfussknochens sowie die äussere Gelenkfläche des dritten Keilbeines ausgesägt hatte. Er hatte das Fersen- bein für gesund gehalten und es deswegen nicht mit weggenommen. Nach Heilung des gröss- ten Theils der Operationswunde wurde es klar, dass auch der Fersenknochen erkrankt sei, und nun von mir derselbe, nachdem ich ihn zuvor mit dem Östeotom der Quere und der Länge nach in vier Stücke zerschnitten hatte, vollständig ausgeschält. Am 4. Januar 1853 wurde er geheilt entlassen. Am 4. Mai 1853 rottete ich einem 25jährigen Manne das linke Fersenbein wegen Bein- frasses und Nekrose im Ganzen (unzertheilt) aus. Am 13. October 1853 verliess er geheilt das Hospital. Demselben jungen Manne war am 5. November 1852 der rechte Unterschenkel am Orte der Wahl mit einem vorderen Hautlappen (wie ich seit 1850 gewöhnlich am Unter- schenkel amputire) wegen Beinfrasses im rechten Fussgelenke mit zahlreichen weitverbreiteten Eitergängen abgesetzt worden. Ebenso wurde eine 27jährige Stubenmagd, welcher ich am 6. October 1853 den ganzen rechten Fersenknochen, nachdem ich ihn mit dem Osteotom in zwei ungleiche Theile getheilt, wegen Knochenbrandes und Beinfrasses ausgerottet, vollkommen geheilt, und bedient sich die Operirte ihres Fusses wie früher. Das linke Fersenbein mitsammt dem Sprungbein habe ich der Elisabeth Günzler aus Zellin- gen, 11 Jahre alt, wegen skrophulösen Beinfrasses am 14. Mai 1853 ausgeschnitten. Vollkom- men geheilt wurde die Kleine Anfangs April 1854 entlassen. Sie gehet sehr gut. Auffallend ist in allen solchen Fällen die äusserst geringe Verkürzung des Fusses, indem die ungeheure Höhle, die durch die Ausschälung so umfangreicher Knochen nothwendig verursacht wird, äusserst rasch durch Fleischwärzchen sich ausfüllt und sehr derbe mächtige Narbenmassen die fehlenden Knochen ersetzen, wie ein Blick auf beistehende Abbildung lehrt. Linker Fuss der Elisabeth Günzler von innen und von aussen gezeichnet. \ EZ 8 ab und bed Narbe des Operationsschnittes gespaltener Eitergänge und Hautfalten. 182 Einem 23jährigen Schuster sägte ich wegen Beinfrasses das untere Gelenkende des linken Wadenbeines ab und schnitt dann das Sprung- und Fersenbein aus seinen Verbindungen mit Schien-, Schiff- und Würfelbein am 17. Juni 1851 aus, und am 4. Febr. 1852 wurde der Ope- rirte geheilt entlassen. Die Wunde war grösstentheils durch erste Vereinigung, nur ein klei- ner. Theil durch Granulation geheilt. Wie schon bemerkt ist in allen diesen Fällen Heilung mit vollständiger Brauchbarkeit des Fusses eingetreten. Die Operation ist zwar eine etwas schwierige, besonders wenn man das Fersenbein unzertheilt entfernen will und wenn die Gelenkverbindung mit dem Sprungbein noch vollkommen gesund ist; wer diese Ausschneidung zum erstenmal machen sieht, meint gewöhnlich, es wäre gar nicht möglich, dass eine solche Wunde heilen könne und ist sehr überrascht, wenn er sieht, wie gering oft die nachfolgenden Erscheinungen sind und wie rasch oft die Vereinigung der Wundlefzen erfolgt, wie gut sich die Operirten ihres Fusses bedienen können, wie gering die Verkürzung desselben und in wie hohem Grade sich die Verrichtung der Achillessehne wiederherstellt. Das Alles ist sehr empfehlend für diese Resection und hoffe ich daher, dass sie bald häufiger geübt werde. Die neuesten von Martineau-Greenhow (British Review, July 1853) aus England mit- getheilten Erfahrungen, wo, seitdem Hr. Hancock im Juni 1848, wenn auch mit unglück- lichem Erfolg die Erstirpatio Calcanei zuerst verrichtet hatte, diese Operation 12mal und zwar l0Omal mit günstigem Erfolg gemacht worden ist, bestätigen die oben von mir aufgestellten Schlüsse. Was das einzuschlagende Verfahren anbelangt, so möchte im Allgemeinen a) für die Fälle, wo es sich um Ausschneidung des ganzen Fersenbeines handelt, ein Längenschnitt, in der Mittellinie der Sohle nach dem grössten Durchmesser des genannten Knochens verlaufend, den Vorzug vor allen anderen verdienen: auf dessen vorderes oder hinte- res Ende, oder auf beide, oder auf dessen Mitte lässt man je nach den Umständen einen oder mehrere Schnitte fallen, wodurch T, H oder +förmige Wunden entstehen; b) für jene Fälle, wo gleichzeitig Sprung- und Fersenbein entfernt werden sollen, ist ein grosser Querschnitt der zweckmässigste, dessen Mitte auf den Ansatz der Achillessehne fällt und dessen Enden sich unter den Knöcheln nach vorwärts erstrecken. Von der Mitte dessel- ben kann man mit Vortheil nach ab- und vorwärts durch die Sohle einen mehr oder minder ausgedehnten Längenschnitt verlaufen lassen. Die vorhandenen Eitergänge, die Lage der Fi- steln, welche man am besten in die Wunde hineinzieht u. s. w., müssen natürlich im gegebe- nen Falle die Entscheidung bei der Wahl der Schnitte geben, hier wie bei anderen Opera- tionen. Eine bedeutende Erleichterung gewährt bei dieser Operation die Zertheilung des wegzu- nehmenden Knochens nach seiner Blosslegung. Hiezu kann der Osteotom von Bernhard Heine mit grossem Vortheil angewandt werden. Leichter ist die Trennung des Fersenbeines von Sprung- und Würfelbein, wenn die betreffenden Gelenkverbindungen schon erkrankt sind, schwierig, wenn sie noch vollkommen gesund sind. Schliesslich sei noch bemerkt, dass wir die Resection des hinteren Fortsatzes des Fersen- beins dreimal und zwar zweimal mit vollkommen gutem, einmal mit unvollkommenem Erfolge verrichtet haben. Ein ähnliches Verfahren wie zur Ausrottung des ganzen Fersenbeines, nämlich einen grossen Querschnitt mit Trennung der Achillessehne, habe ich zur Resection des Fussgelenkes 183 zuerst im Januar 1851 bei einem 5l/sjährigen Knaben, dem ich die unteren Gelenkenden des Schien- und Wadenbeines absägte und dann das Sprungbein ausrottete, in Anwendung gebracht und seitdem zur leichteren Ausführung der Resection des Fussgelenks empfohlen. Der besagte Knabe wurde vollkommen hergestellt. Diesem Vortrag fügten die Herren Dr. Otto Weber aus Bonn und Prof. Roser aus Marburg einige Bemerkungen hinzu. Hierauf hielt Herr Prof. Textor einen zweiten Vortrag über Absetzung des Unterschen- kels im Kniegelenk. Die Abnahme des Unterschenkels im Kniegelenke ist seit langem vielfach bald als eine überflüssige, bald als eine sehr gefährliche Operation verschrieen worden. Aus diesem Grunde und da die Gelegenheit sie zu machen ohnehin minder häufig als für andere Exarticulationen gegeben ist, gehört sie auch immerhin noch zu den selteneren Operationen. Doch hat sich in neuerer Zeit die Aufmerksamkeit der Wundärzte ihr wieder zugewandt. Gewiss verdient sie mehr Beachtung als ihr gewöhnlich geschenkt wird. Obige zwei Vorwürfe zu entkräften erlaube ich mir, m. H., die folgenden Bemerkungen Ihnen vorzutragen. Wenn der Satz wahr ist — und man kämpft in unseren Tagen wieder mehr als je, ihm allgemeine Anerkennung zu verschaffen, zum grössten Vortheile der betreffenden Kranken — dass man bei Amputationen soviel als möglich vom Rumpf entfernt operiren soll, falls nicht ganz bestimmte Gegenanzeigen es verbieten, so muss auch die Exarticulation im Kniegelenke zur Geltung kommen, es sei denn, dass ausnahmsweise für dies Gelenk gewichtige Gründe entgegenstünden, was aber nicht der Fall ist. Sie ist also nicht überflüssig und gewährt den Operirten grössere Vortheile als die Amputation des Oberschenkels. Bei ihr wird der ganze Oberschenkel erhalten und der Operirte kann auf den Gelenkknorren desselben gehen, mit die- sen sich auf einen Stelzfuss aufstützen; — er geht dann wie einer, dem der Unterschenkel am Orte der Wahl abgesetzt worden ist, wie ein Mensch mit steifem Knie; die freie Bewegung des Hüftgelenkes ist ihm erhalten, während nach der Amputatio Femoris bei weitem die Mehrzahl der Amputirten mit dem Stumpfe auf dem Stelzfusse aufsitzen und so gehen müssen, als ob der Schenkelkopf fest mit der Pfanne verwachsen wäre. Die Exarticulatio Cruris erhält also dem Kranken ein brauchbareres Glied als die Abnahme des Oberschenkels. Was die Gefährlichkeit dieser Exarticulation anbelangt, so ist sie auch nicht so gross als man gewöhnlich behauptet hat, namentlich nicht grösser als jene der Amputation des Ober- schenkels, und ich glaube annehmen zu dürfen, dass sich das Sterblichkeitsverhältniss noch günstiger als jetzt gestalten würde, wenn man sich häufiger entschlösse die Exarticulation im Kniegelenke zu machen. Bis jetzt sind 77 Fälle bekannt, von diesen Exarticulirten sind 44 geheilt und 28 gestorben, 2 mussten nachträglich am Oberschenkel wegen eingetretenen Bran- des amputirt werden, und von 3 ist der Erfolg unbekannt geblieben. Was unsere eigenen Erfahrungen anbelangt, so ist die Abnahme des Unterschenkels im “"Kniegelenke im Juliusspitale zu Würzburg vom Jahre 1817 bis 1852 im Ganzen nur elfmal (von meinem Vater siebenmal, von mir viermal) verrichtet; in drei Fällen, wo man diese Ex- articulation hätte machen können, dieselbe durch die partielle Resection des Kniegelenkes ver- mieden worden. Von diesen elf Exartieulirten sind vier gestorben. 184 Die Operation ward in sieben Fällen wegen Beinfrasses und Knochenbrandes, in einem we- gen Nekrose, zweimal wegen Krebses am Unterschenkel und einmal wegen Zerschmetterung des rechten Unterschenkels gemacht. Obwohl bei diesem Manne gleichzeitig eine gegen neun Zoll lange an der Innenseite des rechten Oberschenkels verlaufende Quetschwunde vorhanden war, so wurde er doch vollkommen geheilt, ebenso einer der Krebskranken; von den übrigen sieben starben zwei, sowie der mit Knochenbrand Behaftete. Zwei der Exarticulirten waren weiblichen Geschlechts, die eine 44, die andere 16 Tabs alt; beide litten an Beinfrass und Nekrose, beide wurden vollkommen hergestellt, beide waren mit einem hinteren Lappen nach meines Vaters Verfahren operirt. Die neun Kranken männlichen Geschlechts waren 14, 15, 23, 27, 36, 39, 40, 46 und 64 Jahre alt. Die Gestorbenen hatten das 15., 23., 46. und 64. Jahr erreicht. Der l5jährige erlag dem bösartigen Wundfieber (Infectio putrida) nach eingetretenem Brande des Hautlappens am 27. Tage. Der 23jährige, wegen ungeheurer Krebsgeschwulst des Unterschenkels, starb am 24. Tage nach ‘der Exarticulation an Erschöpfung in Folge der heftigen Eiterung. Bei der Leichenöff- nung fanden sich ausser vielen linsen- und erbsen- bis hasel- und wallnussgrossen Krebskno- ten in der Leber, rechten Niere und Lunge, auf dem Brust- und Zwerchfelle, zwei ungefähr faustgrosse Krebsgeschwülste in der linken Brusthöhle zwischen Lunge, Herz und Zwerchfell; eine dritte ähnliche sass zwischen Zwerchfell, Milz und Magen. Der 46jährige, 1823 wegen Beinfrasses operirte Mann erlag am 19. Tage in Folge von Le- berverhärtung. Der 64jährige, 1818 wegen Beinfrasses operirte Mann starb am 25. Tag in Folge von er- schöpfenden Durchfällen. Von diesen elf wurden zwei im Jahre 1817, je einer im Jahre 1818, 1821, 1822, 1823 und 1847, drei im Jahre 1848, einer 1852 exarticulirt. Die vier Sterbfälle treffen auf die Jahre 1818, 1823 und 1848. Das Jahr 1818 zeigte keine ungewöhnliche Sterblichkeit, das Jahr 1823 war ein ausserordentlich günstiges, das Jahr 1848 dagegen ein den Amputirten sehr verderbliches Jahr. Unter den sieben Geheilten befindet sich ein 39jähriger Mann, der an Beinfrass im rech- ten Sprunggelenk und Beinfrass mit Knochenbrand des linken Schienbeins litt und daher sich einer doppelten Amputation unterwerfen musste. Mein Vater nahm ihm am 19. Februar 1821 zuerst den linken Unterschenkel im Kniegelenk und dann den rechten Unterschenkel am Orte der Wahl ab. Der Mann wurde vollkommen geheilt. Dieser Fall spricht gewiss dafür, dass unsere Operation nicht so überaus gefährlich ist als die Gegner derselben behaupten. Die sechs ersten Exarticulirten wurden von meinem Vater nach seinem (im 1. Stücke des 1. Bandes des Neuen Chiron beschriebenen) Verfahren mit einem hinteren Lappen, die fünf letzten dagegen theils von mir, theils von meinem Vater nach dem Verfahren von Hrn. Bau- dens mit einem vorderen Hautlappen operirt. Dies letztere Verfahren scheint mir vor allen anderen aus den von Hrn. Baudens und Hrn. Ollagnier angegebenen Gründen den Vorzug zu verdienen. Nur bei Kindern oder sehr mageren Erwachsenen möchte der Kreisschnitt nach Velpeau vorzuziehen sein. Ich bemerke übrigens, dass ich denselben nur nach Versuchen an der Leiche kenne. Abstossung der Knorpelüberzüge der Gelenkknorren des Oberschenkelbeines haben wir nur in den zwei Fällen, wo Brand des Lappens und Tod eintrat, bei dem 15 und dem 23jährigen 185 beobachtet, sonst nie, und es hat die Anwesenheit des Knorpels in den übrigen Fällen auch kein Hinderniss für die Heilung abgegeben. Die Abschälung des Knorpels hat Hr. Prof. C. W. F. Uhde in Braunschweig einmal gemacht. Dieser Kranke ist aber 19 Tage nach der Operation an Trismus gestorben. In seinem andern Falle, wo Heilung erfolgte, hat Hr. Uhde die Knorpel nicht abgetragen. Prof. Schuh im Wien hat dagegen bei einem Mädchen, dem er wegen Beinfrasses im Fussgelenk und Knochenbrandes am Schienbeine den Unterschenkel im Knie ablöste, während der Heilungszeit die Knorpelüberzüge in grossen erweichten Blättern durch enge Oeffnungen abstossen sehen. Die Frage über die Nützlichkeit oder Schädlichkeit der Knorpelabschälung nach vollzoge- ner Fxarticulation wird daher durch fernere Beobachtungen und Versuche erst noch ihre Ent- scheidung finden. Dagegen glaube ich die Absetzung des Unterschenkels im Kniegelenke, ge- stützt auf die bisherigen Erfahrungen, den operirenden Aerzten empfehlen zu dürfen. An der sich hieran knüpfenden Discussion betheiligten sich die Herren Prof. Roser aus Marburg, Dr. ©. Weber aus Bonn und Hofrath von Textor aus Würzburg. Vierte Sitzung. Sonnabend den 23. September. Präsident: Hofrath Ruete. Secretär: Dr. Wiese. Nach Eröffnung der Sitzung theilte Herr Medicinalrath Hahn aus Hannover einen Fall von gleichzeitiger Luxation beider Oberarme mit und erwähnte ferner einen Fall, wo in Folge einer Luxation des Oberarmes und dadurch erzeugter Entzündung des Plexus brachialis Lähmung des Armes entstand, welche in- dess nach etwa 8 Wochen beseitigt wurde. In Bezug auf Lähmungen, besonders über die innerliche Anwendung des Strychnins bei centralen Lähmungen entspann sich eine Debatte, an welcher sich die Herren Hofrath Ruete aus Leipzig, Medicinalrath Hahn aus Hannover, Dr. Wiese und Dr. Langenbeck bethei- ligten. Hierauf theilte der Präsident dem Secretär mit, dass Hr. Dr. Reclam aus Leipzig münd- lich bei ihm Reclamation erhoben habe, dass in der gestrigen Sitzung die von ihm besprochene Leipziger Epidemie vom Jahre 1680 für identisch mit einer Cholera-Epidemie von ihm erklärt worden sei. Zweite Reclamation, und zwar von Seiten des Hrn. Dr. Wiese: im Tagblatt vom 23. September (dritte Sitzung der medicinischen Section vom 22. September) ist angeführt, Hr. Prof. Krämer habe einen, dem von Dr. Wiese vorgezeigten und erläuterten Präparate einer aussergewöhnlichen Herzcyanose ‚‚analogen” Fall mitgetheilt. Dagegen muss bemerkt wer- den, dass zwischen diesen beiden Fällen gar keine, auch nicht die geringste Analogie Statt 24 186 findet, insofern der von Hrn. Prof. Krämer erwähnte Fall, wie bereits durch Hrn. Dr. Vo- gel aus München in derselben Sitzung hervorgehoben, gar keine Herzeyanose ist *). Herr Professor Krämer zeigte hierauf verschiedene Abbildungen seltener, von ihm beob- achteter und untersuchter, pathologischer Gebilde und deren histologischer Structur, als: ver- schiedene Formen des Enchondroms in Knochen und Weichtheilen, auch Complicationen des- selben mit Markschwamm im Hoden. Bei der Demonstration der histologischen Elemente die- ser Enchondrome machte er besonders auf die schon von J. Müller aus solchen abgebildeten, den Knochenkörperchen ähnlichen, jedoch von diesen zu unterscheidenden, in der weichen oder knorplichen Substanz der Enchondrome vorkommende Elementen aufmerksam, die nach dem Redner durch Auswachsen der Kerne von Zellen entstehen, deren Wandungen allmälig ver- schwinden, wie an einzelnen Stellen der Geschwülste deutlich zu verfolgen war. Hierauf folgte die Abbildung einer seltenen Form von Gallertgeschwulst (Collonema?) der grossen Zehe mit dem äusseren Habitus des Enchondroms, die in einem durchgängig weichen, gelatinirtem Leime ähnlichen, amorphen Stroma nur solche verzweigte Gebilde zeigte, welche bei schwacher Vergrösserung täuschend den von J. Müller aus seinem Collonema abgebildeten und als Krystalle bezeichneten Körperchen glichen. Sodann Abbildungen verschiedener Krebsgeschwülste, in specie verschiedener Marksch wäm- me, sowohl primärer als secundärer und recidiver, bei deren Demonstration besonders darauf aufmerksam gemacht wurde, wie sehr der Charakter der Zellen in den primären, secundären und reeidiven Krebsgeschwülsten bei demselben Individuum oft variiren. Ferner Abbildungen verschiedener Epithelialcancroide, unter andern eines Epithelialcancroi- des der Leber, verglichen mit der Abbildung eines, dem vorigen auf den ersten Blick sehr ähnlichen anderen Leberpräparates, welches dem Redner von einem benachbarten Arzte als Le- berkrebs übersandt war, sich aber bei näherer Untersuchung als ein obsoleter Echinococeus auswies. — Unter den Zellen des Epithelialcancroides machte der Redner besonders auf eine häufig vorkommende, aber bislang wahrscheinlich meistens verkannte Form aufmerksam, wel: che er Muschelzellen nennt und vor deren Verwechslung mit sog. Bruträumen, wofür sie leicht gehalten werden können, er warnt. Endlich wurden noch Abbildungen von Hauthörnern und Balggeschwülsten vorgezeigt und die Uebereinstimmung der histologischen Structur der ersteren mit der gewöhnlichen Horn- warze (Papilloma K.) dargelegt. Auch in manchen Balggeschwülsten, aus welchen bekanntlich mitunter Hörner hervorwuchern, zeigte der concentrisch geschichtete Inhalt bereits eine ganz ähnliche Anordnung der Epithelialzellen wie in den Papillen der Warzen und in den Haut- hörnern. : *) Nachmals ist hiergegen von Seiten des Hrn. Prof, Krämer in Form einer Anmerkung zu dem von ihm eingelieferten Protocoll seiner in Rede stehenden Mittheilung bemerkt worden: Dieser Fall ist von dem derzei- tigen Secretär der Sitzung in dem Protocolle als ein analoger mit dem vorhin von dem Herm Dr. Wiese mit- getheilten bezeichnet worden. Herr Dr. Wiese scheint sich hierdurch beeinträchtigt gefühlt zu haben und hat es für nöthig befunden hiergegen in dem letzten Tageblatt eine Reclamation zu erheben, auf welche ich derzeit natürlich nicht mehr antworten konnte, weshalb es mir erlaubt sei hier nur zu erwidern, dass es, abgesehen da- von, dass das Wort analog von mir gar nicht gebraucht ist, sondern aus der Feder des Herrn Secretärs floss, zu sehr auf der Hand liegt, welche Analogie und welche Verschiedenheit zwischen beiden Fällen herrscht als dass es vor Männern von Fach noch einer weiteren Besprechung bedürfte. 187 Herr Dr. 6. A. Spiess aus Frankfurt a. M. legte mit Beziehung auf den gestrigen Vor- trag des Hrn. Prof. Roser über die Operation der Blasenscheidenfistel die in jenem Vortrage erwähnte (und in einem spätern Zusatz s. S. 172 näher besprochene) Schrift von Dr. Gustav Simon in Darmstadt: über die Heilung der Blasenscheidenfisteln, Beurtheilung der operation autoplastique par glissement von Jobert (de Lamballe) in Paris. Neue Methode der Naht, die Doppelnaht zur Vereinigung der Fistelränder. Giessen 1854, der Section vor. Herr Dr. Riecke aus Nordhausen, anknüpfend an eine in der gestrigen Sitzung gemachte Aeusserung des Hrn. Hofrath v. Textor: es habe Zeiten gegeben, wo man höchst glückliche, und andere, wo man höchst unglückliche Resultate bei denselben Operationen erzielt habe, führt die Erklärung dieser Erscheinung auf epidemische Verhältnisse (epidemische Constitution) zurück und spricht über verschiedene epidemische Krankheiten hinsichtlich ihrer Frequenz und des Wechsels in ihrem Auftreten, sowie über Miasmen und Contagien. Schliesslich wünschte er, dass sich die Aerzte ernstlich für die Epidemiologie interessiren möchten. An der hierauf erfolgenden Debatte über Feststellung epidemischer Constitutionen nahmen ausser Hrn. Dr. Riecke die Herren Medicinalrath Beneke aus Oldenburg und Hofrath Fuchs Theil. Herr Medieinalrath Beneke aus Oldenburg stellt die Anfrage, ob Jemand, speciell, ob Hr. Prof. Julius Vogel über Veränderung im Stoffwechsel bei Hautkrankheiten Beobachtun- gen gemacht habe, worauf Hr. Prof. Vogel erwiedert, dass er der Hautkrankheit als solcher, nicht der constitutionellen Ursache (wo solche vorhanden) angehörende Veränderungen im Stoff- wechsel nicht aufgefunden habe. Herr Prof. Julius Vogel aus Giessen sprach über die Behandlung der Pneumonien, über Behandlung des Dr. Traube in Berlin mit grossen Dosen von Digitalis, sowie über Anwen- dung des Aderlasses. — Desgleichen sprach Herr Hofrath Fuchs über die verschiedenen Be- handlungsweisen bei Lungentzündung und setzte die von ihm nach den speziellen Fällen be- messene Therapie auseinander. — Herr Dr. A. Vogel aus München erwähnte die von Pfeu- fer für Venaesectio bei Pneumonia festgesetzte Indication. Herr Professor Ried aus Jena legte der Section im Namen des Dr. Schimper Exemplare einer magnetisirten Pincette (von dem Erfinder ‚‚magnetischer Friedrich” genannt) nebst nach- stehender schriftlicher Erläuterung vor: Jedermann kennt die Eigenschaften des Hufeisenmagnets und weiss wie es zugeht, dass er mit doppelter Kraft ziehend, so bedeutende Lasten zu tragen vermag. Dass er aber gar nichts trägt, sobald die sonst steif auseinanderstehenden Pole so wie die Schenkel sich berüh- ren, ist auch eine Thatsache, welche der ‚‚magnetische Friedrich”, ein in ihrer Mitte ge- ‚eignet gekrümmte und elastische magnetische Klammer oder Pincette auf das Angenehmste klar macht. Im natürlicher Oeffnung oder klaffend ist dieser so einfache und wohlfeile Ap- parat ein Magnet von gleichstarken Polen, der je nach seiner besonderen Stärke sich mit zwei langen Bärtchen von Eisenfeile behängt mit jedem Ende umgekehrt anziehend oder abstossend in Distanz auf die Pole eines Compasses wirkt u. s. w. Geschlossen hat er augenblicklich die ganze Atmosphäre magnetischer Thätigkeit verloren; er wirkt auf den Compass weniger als 24° 188 ein gleiches Stück passiven weichen Eisens und die Bärte von Eisenfeile fallen ab mit Aus- nahme nur des Antheiles, der etwa durch Klemmung mechanisch festgehalten wird. An dem geschlossenen Friedrich, dem Hufeisenmagnet also, der nun alle seine magneti- sche Thätigkeit verschlossen hat, einfriedet (Friedrich, gefasst wie Dietrich) — bildet sich kein Bart, wenn er in Eisenfeile gesteckt wird, aber es haften augenblicklich zwei lange Bärte, wenn man ihn nur ein Weniges sich öffnen lässt. Wird derselbe vertical mit geschlossenen Schenkeln über den Mittelpunkt oder horizontal und parallel über einen wohlbeweglichen Com- pass gehalten, so folgt die Nadel noch ganz ungestört der Richtung, die ihr der tellurische Magnetismus ertheilt, sie deutet nach N. und S. — lässt man aber nun den Friedrich sich öffnen, so schwingt sie und zwar mit beschleunigter Schnelligkeit sogleich nach O. und W. gegen die befreundeten Pole und Schenkel des veränderlichen Instrumentes — und noch dar- über hinaus; und lässt man ein Schliessen und Oeffnen in geeigneter rascher Folge abwech- seln, so ist nichts leichter als die Compassnadel in schnellste Rotation zu versetzen. Der magnetische Friedrich ist also ein Instrument, welches eine gewisse Eigenschaft des Magnetis- mus, nämlich unter Umständen sich selbst augenblicklich gänzlich zu binden, sich in sich selbst zu verschliessen, ohne reell und für die Folge zu verlöschen, auf das Angenehmste und Leichteste klar macht. Die Einrichtung ist so einfach, dass man sich wundern möchte, warum die appartberathen- den Physiker der Schulen sie nicht längst erfunden und benutzt haben, wenn es nicht eine alte Erfahrung wäre, dass das Nächste gar häufig zuletzt erst zur Wahrnehmung kommt. Ich selbst bin keineswegs durch directe physikalische Beschäftigungen, dieses nun so einfachen Instrumentes gelangt, sondern bin bei meinen botanischen Arbeiten durch physiologische Stu- dien über die Heilungen dazu gedrängt worden, mir eine solche Vorkehrung zu erfinden, die anfangs auch gar nicht so einfach aussah, sondern plump war und Geld kostete — was mich natürlich wieder veranlasste, auch für den höchsten Grad der Einfachheit, Handlichkeit und Wohlfeilheit Sorge zu tragen. Denn ich trachtete nach einem magnetischen Schutze und Heil- mittel für Verwundungen überhaupt, das Jedermann mit sich führen könne und das dem ge- meinen Mann noch wohlfeiler zu stehen käme als das sonst allgemein verbreitete Feuerzeug von Stahl und Stein. Die Prüfung der Heileinflüsse muss ich den Wundärzten überlassen und habe ich zunächst von meinem Freunde Herrn Hofrath Ried erbeten — und nachdem dies nun hier in einer Anzahl von Fällen geschehen ist, scheint mir die eben zusammentre- tende Naturforscherversammlung die beste Gelegenheit zu sein, die Sache, die ich von meinem Standpunkt aus allerdings für bedeutend halte, einem weiteren Kreise von wissenschaftlichen Männern anzutragen und deren Aufmerksamkeit nicht nur, sondern auch thätige Betheiligung zu erbitten, da es in der Natur der Schutzmittel liegt, dass nur eine grössere Anzahl von gu- ten Erfolgen sie mit Sicherheit als solche kenntlich machen kann und auch erst die Modifica- tionen erkennen lässt, mit denen ein den Umständen abgelauschtes Maximum von guter Wir- kung jedesmal zu erlangen ist. Herr Hofrath Ried wird, da ich nicht selbst anwesend sein kann, jedenfalls mein bester Stellvertreter sein und ist im Stande hierüber mündlich Genaueres anzugeben; ich sende durch ihn der verehrlichen Section der Aerzte resp. Chirurgen zwei Exemplare, sowie zwei für die verehrliche Section der Physiker. Herr Dr. Schäffer wird wohl die Güte haben, die Sache in dieser Section vorzutragen. Hr. Hofr. Ried aber sollte die Section der Aerzte bitten, sich vom chirurgischen Stand- 189 punkte aus darüber auszusprechen, damit eine ausgedehntere Prüfung ferner organisirt werden könne. Er ist zugleich im Stande hervorzuheben, dass ich früher schon an mir selbst die Erfahrung gemacht, dass Wunden unter dem Einfluss von nur einem Pole entstanden (doch wohl in Folge entstandener Abstossung in beiden Wundrändern) sehr schwer heilen und eigen- thümlich schmerzhaft sind. So lag der Gedanke nahe, dass Bestreichung der beiden Wund- ränder, die sich schliessen sollen, mit zweierlei (den befreundeten) Polen, die man sogar erst in einer grossen Tiefe plötzlich entstehen lassen kann, u. s. w. die Beseitigung eines der Heilung widerstrebenden organischen Zwiespaltes begünstigen wird. gez. Dr. Schimper, Naturforscher aus Schwetzingen, dermalen auf Besuch in Jena. Hierauf wurden die diesjährigen Sitzungen der medicinischen Section durch den Präsiden- ten geschlossen. Separat-Section der Fre BD, BeToes, hour 100 Wir berichten nunmehr über die Verhandlungen der Separat-Section für Geburtshülfe, welche sich auf Hrn. Hofr. v. Siebold’s Vorschlag (vgl. S. 134) constituirt und ihre Sitzun- gen täglich neben denen der sechsten Section gehalten hat. Erste Sitzung. Montag den 18. September. Präsident: Hofrath v. Siebold. Secretär: Dr. Spiegelberg. Herr Hofrath v. Siebold legte ein Präparat von Lithopaedion vor, indem er die Ge- schichte der betreffenden Frau kurz mittheilte. Das Präparat stammt von einer 76jährigen Wittwe, welche in Cassel von Dr. G. Har- nier behandelt und secirt worden war. Seit 40 Jahren war sie mit einer Geschwulst des Bauches behaftet, welche sie durchaus nicht belästigte. Sie erinnerte sich dunkel, vor länge- rer Zeit an entzündlichen Leiden des Unterleibes in Behandlung gewesen zu sein. Darauf hatte sie zuerst beim Umlegen einen Klumpen von einer Seite zur andern im Leibe fallen ge- fühlt, was sich aber später verloren. Sie erlag dem Marasmus senilis. Bei der Section fand sich das erwähnte Lithopaedion, dessen spitzerer Theil (Kopf) im kleinen Becken zwischen Uterus und Rectum lag, rings umgeben von lockerem Zellgewebe und durch einige stärkere Venen rechts mit dem Ovarium, den breiten Mutterbändern u. s. w. verbunden. Der in dem aus kalkartiger Masse bestehenden Eisacke befindliche Foetus war ein siebenmonatlicher. Seine Theile sind noch deutlich erkennbar, die Extremitäten, welche eng am Rumpfe anliegen, füh- len sich aber ebenso steinhart an, wie der genannte Eisack. Hr. Hofrath v. Siebold knüpft hieran die Discussion, ob bei festgestellter Diagnose der Graviditas extrauterina die Gastrotomie vorzunehmen sei oder nicht. 191 Hr. Medieinalrath Schneemann aus Hannover spricht sich für die Operation aus im Fall, dass man über das Leben der Frucht ausser Zweifel sei, indem er auf die Schrift Duparcque’s über Uterusrupturen und auf den jüngst von Hrn. Dr. Zwanck mitgetheilten Fall hinweist. Herr Hofrath Kaufmann aus Hannover meint, man müsse in dieser Hinsicht wohl zwi- schen Abdominal- und anderen Formen der Extrauterin-Schwangerschaft unterscheiden, da bei ersterer die Prognose viel günstiger sei. Die Diagnose der einzelnen Formen jener Abnormität allerdings sei schwer festzustellen. Wäre man aber von dem Vorhandensein der Bauchschwan- gerschaft und von dem Leben der Frucht überzeugt, so müsse man zur Gastrotomie schreiten, in allen andern Fällen aber nicht. Hr. Dr. Zwanck aus Hamburg theilt nun den von ihm beschriebenen Fall (Beschreibung eines mit glücklichem Ausgange für Mutter und Kind vollführten Bauchschnitts bei Graviditas abdominalis. Hamburg 1854) in Kürze mit, und hebt besonders hervor, dass die Diagnose in diesem Falle hinsichtlich der Art der Extrauterin-Schwangerschaft sowie des Lebens der Frucht fast ganz sicher gestellt werden konnte, und dass der glückliche Ausgang wohl nur von dem günstigen Sitze der Placenta an der vorderen Bauchwand abgehangen habe. Dieselbe habe sich ganz von selbst gelöst und ohne Zuthun der Hände ganz von selbst aus der Wunde ent- wickelt. Wenn man eines solchen Verhaltens in ähnlichen Fällen im Voraus versichert sein könnte, so würde dadurch eine Aufforderung zur Operation gegeben sein. Hr. Hofrath v. Siebold hält gleichfalls das Verhalten der Placenta in prognostischer Hin- sicht für das Wichtigste. Habe sie einen ungünstigen Sitz, so sei für das Leben der Mutter nicht viel zu hoffen. Er erwähnt bei dieser Gelegenheit des von Fräul. v. Siebold in ihrer Dissertation erzählten Falles, wo die Placenta auf den grossen Gefässen des Unterleibes geses- sen, desshalb nicht gestört werden konnte und zurückgelassen werden musste; die Frau starb schnell. Hr. Professor Stoltz aus Strassburg theilte hierauf seine lehrreichen Erfahrungen über diesen Gegenstand mit. Es waren ihm vier Fälle von Graviditas extrauterina vorgekommen. Alle endeten tödtlich für die Mutter. Von diesen 4 wurden 3 der Natur überlassen, 1 der Operation unterzogen. Im letzteren Falle war die Frucht ausgetragen, lebte deutlich, es wa- ren wirkliche Wehen vorhanden und das Leersein der Uterushöhle durch die Sonde nachgewie- sen. Irotzdem ergab die Operation ein todtes Kind, und die Mutter starb nach 10 Tagen. Bei der Section fand sich eine so grosse Placenta, dass sie gar nicht hätte gelöst werden kön- nen, indem sie ihren Sitz auf dem Uterus, auf der Blase und auf den Douglas’schen Falten hatte. Der Redner hält gleichfalls dies Verhalten des Mutterkuchens für die gewöhnliche Ur- sache des übelen Ausganges solcher Operationen. Die Indicationen zur Gastrotomie betreffend, spricht er sich dahin aus dass man 1) in Fällen, wo die Frucht in den ersten Monaten ab- stirbt, die Sache der Natur überlasse; 2) lebt die Frucht aber, nachdem die Schwangerschaft ihr Ende erreicht hat, so nehme man, aber auch nur in diesen Fällen, die Operation vor, da ihm kein Fall bekannt sei, wo ein ausgetragenes Kind zum Lithopaedion geworden, wohl aber gingen solche Früchte meist durch Vereiterung ab, wodurch die Mütter fast immer zu Grunde gingen. Die Lösung der Placenta jedoch überlasse man der Natur. Hr. Medicinalrath Schneemann führt bei dieser Gelegenheit noch einen von ihm erlebten Fall an, wo eine Schwangere durch Austritt des Kindes in die Bauchhöhle eine Uterusruptur erlitt. Es sind nun seitdem zwei Jahre verflossen. Die Frau lebt, obgleich unter vielen Be- 192 schwerden, wegen deren sie die Operation verlangt, welche er aber in diesem Falle verweigern zu müssen glaubt. Hr. Professor Stoltz hebt noch hervor, dass in manchen Fällen von Extrauterin-Schwan- gerschaft der Kopf des Kindes tief in der Bauchhöhle stehend auf dem Scheidengewölbe auf- liege, und dass in solchen Fällen das Kind von der Vagina aus zu entwickeln sei, selbst wenn es todt ist, da in diesen Fällen die Operation nicht schwer und nicht so verletzend ist, wie die von den Bauchwandungen aus. Er erzählt einen solchen Fall, wo man die Schwan- gerschaft für eine intrauterine hielt, die Sache der Natur überliess, die Frau starb und die Section die Extrauterin-Schwangerschaft herausstellte. Der Präsident resumirt das Ergebniss der vorstehenden Verhandlung und hebt dabei hervor: 1) dass man in den ersten 4 bis 5 Monaten exspectativ verfahre, 2) bei lebendem, ausgetragenem Kinde den Bauchschnitt mache, 3) bei todtem Kinde aber den Zustand der Natur überlasse. Herr Leibmedicus Hofrath Kaufmann aus Hannover bringt hierauf die passendste Lage der Gebärenden bei schweren Wendungen zur Sprache. Bei solchen Querlagen, in denen die Füsse der vorderen Bauchwand anliegen und deshalb schwer zu erreichen sind, zumal wenn der Uterus stark um das Kind contrahirt ist, lässt man gewöhnlich, um zu den Füssen zu gelangen, die Gebärende die Knieellenbogen-Lage anneh- men. Diese ist nun sehr unbequem und widerwärtig, weshalb der Redner für diese Fälle die Seitenlage empfiehlt. Er nimmt, hinter dem Rücken der Kreissenden stehend, nicht die Hand, die dem diesseitigen Bettrande entspricht, sondern die entgegengesetzte, z. B. wenn die Frau am rechten Bettrande (auf ihrer linken Seite) liegt und der Geburtshelfer hinter ihr steht, die linke Hand, wodurch das Emporgehen der Hand an der vorderen Uteruswand sehr erleichtert wird. Dasselbe gilt von der Lösung der an der vorderen Uteruswand adhärirenden Placenta. Herr Medicinalrath Schneemann empfiehlt dasselbe Verfahren, welches er in seiner Praxis vielfach erprobt und gut befunden habe. Er bedient sich der dem nach oben gelagerten Schen- kel der Kreissenden ungleichnamigen Hand, verfährt also ebenso, wie vorher von Herrn Kauf- mann beschrieben worden. Die Versammlung war mit den Vorzügen der Seitenlage in den vorher bezeichneten Fäl- len vollkommen einverstanden, doch hob Hr. Prof. Stoltz hervor, dass er freilich die Knie- ellenbogen-Lage nie anwende, bei der Seitenlage zur Wendung aber nicht die von den beiden vorigen Rednern empfohlene Hand anwende. Zweite Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident: Hofrath v. Siebold. Secretär: Dr. Spiegelberg. Da Ankündigungen von Vorträgen nicht vorlagen, so brachte der Präsident die Anwendung des Chloroforms bei Ausführung des Kaiserschnitts zur Sprache. Er theilt zwei mit unglücklichen Ausgängen für die Mutter erlebte Kaiserschnitts-Fälle mit, von denen der zweite von ihm im vorigen Winter bei einer rhachitischen Person mit einer Conjugata von 21/4 Zoll unter Chloroform-Narkose vollführt war. Er zeigt die beiden betref- 193 fenden Becken, sowie andere osteomalacische mit bedeutender Verbildung, auch ein koxalgisch- schräges Becken, aus der hiesigen Sammlung. Herr Dr. Richard aus Osnabrück hob hervor, dass die Osteomalacie sich allmälig heran- bilde und nach vorausgegangener Geburt zunehme, und theilte einen dahin bezüglichen, von ihm erlebten Fall mit. Hr. Professor Stoltz, zum anfänglichen Thema zurückkehrend, bemerkte, dass er wohl der erste gewesen, der die Anästhetica bei der Sectio caesarea angewandt, indem er bereits 1843 diese Operation unter Aethernarkose ausgeführt habe. Er habe sie bis jetzt sechsmal vor- genommen, alle Kinder und vier Mütter gerettet; eine Frau ist zweimal glücklich operirt; die zwei verstorbenen Mütter hatten an Osteomalacie gelitten. Das Chloroform soll man bei der fraglichen Operation immer anwenden. Hr. Medicinalrath Schneemann hält überhaupt die Chloroformirung bei Geburten für ziemlich schadlos, nur habe er die fünfte Periode sich etwas verlangsamen sehen, wie auch der Puls in den ersten Tagen des Wochenbettes eine ungewöhnliche Frequenz zeige, die sich aber allmälig verliere. Sonst habe er keinen Nachtheil von dem Chloroform wahrgenommen. Hr. Hofrath v. Siebold dagegen hat eine Verlangsamung der fünften Periode nie wahr- genommen, wohl aber seien nach Eintritt der Narkose die Uterus-Contractionen schwächer ge- worden oder ganz ausgeblieben, obwohl nach dem Aufhören der Betäubung wiederkehrend. Er wende aus diesem Grunde das Chloroform selten an. Hr. Dr. Riehard verwirft das Mittel deshalb, weil es das Unvermögen der Frau, Schmerz zu äussern, für eine ungünstige Erscheinung halte, da der Schmerz uns doch in vielen, beson- ders in operativen Fällen, leiten müsse. Hr. Hofrath v. Siebold ist auch deshalb schon dem Chloroform nicht hold, weil doch hin und wieder durch dasselbe ein ungünstiger Ausgang bedingt werden könne, so gefahrlos es auch in vielen andern Fällen sei. Hr. Medicinalrath Schneemann bemerkt, dass man dies durch eine zweckmässige Art der Chloroformirung, wie z. B. die Engländer sie anwendeten, vermeiden könne. Eine nur halbe Narkose sei meistens ausreichend; er selbst treibe es nie weiter, ausser bei schwierigen und schmerzhaften Operationen, wie bei Wendungen in einem fest um das Kind contrahirten Ute- rus. Er glaubt, wenn man immer so verführe, habe man keinen Nachtheil zu befürchten. Hr. Dr. Kalek aus Saarbrücken hält das vom Vorredner für die Anwendung des Chloro- forms bei Geburten Gesagte auch für chirurgische Fälle gültig und glaubt, man könne sich immer mit einer halben Narkose begnügen. Hr. Medicinalrath Schneemann bemerkt weiter, dass es sehr unangenehm sei, in der Privatpraxis die Narkotisirung der Hebamme oder der Wärterin zu überlassen, indess sei hier- mit niemals Gefahr verbunden, wenn man nur halbe Narkose anwende. Hr. Medicinalrath Mansfeld aus Braunschweig ist kein Freund der Narkose und will sie nur in den äussersten Fällen bei sehr schweren Operationen und Schmerzen der Kreissenden angewandt wissen. Der Präsident resumirt zum Schluss der Debatte: 1) bei Ausführuug der Sectio caesarea ist die Chloroform-Narkose indicirt, 2) die Methode, wie sie Hr. Medicinalrath Schneemann angegeben, ist die beste. 3) Störungen der 5. Periode treten bei vorsichtiger Narkose nicht ein. 25 194 Herr Medicinalrath Schneemann bespricht hierauf den ‚‚Werth des Schmerzes für die Ge- burt”. Er entwickelt die Nothwendigkeit desselben und leitet daraus die Aufforderung zur Ge- duld und zum Vertrauen in die Naturkraft ab. Hr. Hofrath v. Siebold bemerkt, dass man wohl zwischen den natürlichen und nothwen- digen, sog. physiologischen Geburtsschmerzen und den pathologischen durch zufällige Umstände herbeigeführten Schmerzen in dieser Hinsicht unterscheiden müsse. Hr. Dr. Crede aus Berlin ist der Meinung, der Schmerz sei durchaus nicht nothwendig. Derselbe sei auf rein mechanische Weise bedingt, lediglich durch die Zerrung und den Druck der Uterus- und Bändernerven hervorgerufen, seine Art je nach dem Orte, mit dem der vorlie- gende Kindestheil bei seinem Durchtritt in Berührung kommt, verschieden. Dass der Schmerz nicht nothwendig sei, gehe klar aus der unter Chloroform-Narkose glücklich verlaufenden Ge- burt hervor. Der Redner hält es ferner nicht für statthaft, zwischen den beiden von Hrn. v. Siebold angegebenen Arten des Schmerzes zu unterscheiden, da der Grad desselben frei- lich ein sehr verschiedener sein könne, immer aber von der Individualität der einzelnen Frauen abhänge. Hr. Medicinalrath Schneemann meint, dass wenn der Schmerz auch nicht durchaus noth- wendig sei, so sei er doch höchst wichtig für das vollständige Gelingen der puerperalen Functio- nen, und ausserdem recht nützlich, insofern er den Arzt zur Geduld ermahne. Das Resum& des Präsidenten geht dahin: 1) der Schmerz ist für das Zustandekommen der Geburt nicht nothwendig; 2) seine Intensität hängt von der Individualität des Falles und der Kreissenden ab, und 3) dasselbe gilt besonders yon seinen Folgen. Dritte Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Hofrath v. Sıiebold. Secretär: Dr. Spiegelberg. Auf Ersuchen und Anfragen des Hrn. Medicinalrath Mansfeld in Betreff der Ursachen des so überaus glücklichen Erfolges der sechs von Hrn. Professor Stoltz ausgeführten und in der gestrigen Sitzung zur Sprache gebrachten Kaiserschnitte gibt Hr. Prof. Stoltz über diesen Gegenstand weitere Auskunft. Er halte für die Ursachen seiner Erfolge 1) den Umstand, dass er ziemlich frühe, wo möglich vor dem Blasensprunge, also vor dem Ende der Eröffnungsperiode operire; 2) mache er sowohl einen kleinen Bauch- als Gebärmutterschnitt und richte letzteren be- sonders weit nach dem Fundus uteri hin. Die Placenta wird recht bald durch die Wunde ent- fernt. Letztere wird dann etwa 10 Minuten lang ganz in Ruhe gelassen, bis die Blutung aus dem Uterus völlig gestillt ist, und darauf die blutige Naht angelegt. Der Heftpflaster-Verband wird über Compressen angebracht. Die Blase wird übrigens nicht im Muttermunde, sondern in der Wunde gesprengt, und gut ist es, wenn der Uterus wo möglich die Frucht durch seine Contraction, die er durch Frietion zu befördern sucht, austreibt. Nach der Operation wird Kälte in Umschlägen und als Eis innerlich angewandt, und 2—3stündlich Tinct. opii simpl. mit Aether gegeben; nach einigen Tagen einfache Klystiere. Allgemeine Blutentziehungen sind zu verwerfen, höchstens örtliche in der Nähe der Wunde indicirt. 195 Zur weiteren Darlegung des Erfolges solcher Behandlung führt der Redner von seinen sechs Fällen einen umständlicher aus, der eine mit Sarkom des Kreuzbeins behaftete Frau be- traf, welche ihr Kind selbst stillte und jetzt noch lebt. Hr. Hofrath v. Siebold erwähnt noch, dass der sog. Kreisschwammdruck durchaus zu verwerfen sei, da der Druck ebensogut mit den Händen ausgeführt werden könne, und die Gedärme leicht an den Schwämmen kleben bleiben. Er glaubt überhaupt, dass die Erfolge der Sectio caesarea in neuerer Zeit besser seien, dass wenigstens die Frauen nicht’ so schnell ster- ben, und dass man dies besonders der besseren Nachbehandlung zuzuschreiben habe. Herr Professor Stoltz beschreibt nach dieser Discussion die von ihm gebrauchte Zange. Früher bediente er sich der Zange von Flamant, die lang und stark gekrümmt ist, seit 1837 benutzte er eine kürzere mit französischem Schlosse, und seit 1840 eine solche mit deutschem Schlosse. Letztere hat am oberen Ende der Griffe in der Nähe des Schlosses zwei bewegliche Haken, die heraufgeschlagen werden können und auf diese Weise bei Einführung des Instru- mentes nicht hinderlich werden, wie es die feststehenden Haken leicht sind; zur Extraction werden sie geöffnet. Die Löffel bilden eine Ellipse, ihre oberen Enden stehen ziemlich weit auseinander. Die Ellipse reicht bis zur Vereinigung der Löffel im Schlosse, hat hier ihren weitesten Theil und dehnt dadurch die äusseren Genitalien stark aus. Der Kopf des Kindes tritt in diese Weite hinein und gleitet nicht so leicht, wie bei anderen Zangen ab. Der Red- ner bemerkt noch, dass er übrigens unter 100 Fällen nur einmal die Zange anlege. Hr. Hofrath v. Siebold gebraucht dieselbe häufiger, 10 bis 12mal unter 100 Fällen. Freilich findet dies seinen Grund darin, dass man in einer dem Unterricht gewidmeten Anstalt selbst bei laxer Indication hin und wieder gern operirt. Herr Dr. Neynaber aus Jühnde theilt eine Statistik der in seinem Amtsbezirke vorge- kommenen Geburten mit. Im Jahre 1853 kamen 264 Geburten vor, darunter 9 Todtgeborene. In einer Ortschaft desselben Bezirkes wurden von Anfang 1850 bis Mitte 1854 106 Kinder ge- boren, 2 durch die Zange, 3 durch die Wendung, 1 durch Kephalothrypsie. Die durch die Zange geborenen Kinder wurden am Leben erhalten, so wie auch die gewendeten. Ausserdem wurden 4 Kinder ohne Zuziehung eines Arztes todtgeboren. Der Redner glaubt desshalb, dass die Zange von vielen Aerzten zu wenig angelegt würde, und demzufolge so oft Kinder todt zur Welt kämen, zumal da die einfachen Zangenoperationen auch für die Mütter ganz unge- fährlich wären. Vierte Sitzung. Donnerstag den 21, September. Präsident: Hofrath v. Siebold. Secretär: Dr. Spiegelberg. Der Präsident bringt den künstlichen Abortus zur Besprechung. Er glaubt, dass man die Indication dazu mehr einschränken müsse als es in jüngster Zeit geschehen, und dass man nur Retroversio uteri gravidi und absolute Beckenenge als solche statuiren solle. Hr. Medicinalrath Schneemann erzählt zunächst die Geschichte einer Mehrgeschwänger- ten, die an nicht zu stillendem Erbrechen litt, das in Blutbrechen überging, und bei der er 25° 196 die Operation machte. Er glaubt, dass man nur bei lebensgefährlichen Krankheiten, die in der Schwangerschaft ihren Grund haben, zum künstlichen Abortus greifen dürfe. Hr. Dr. Crede behauptet, dass man die Beckenenge nicht aus der Liste der Indicationen entfernen könne, und dass es überhaupt nur eine Indication gebe, nämlich die Lebensgefahr. Um diese.zu bestimmen müsse man genau individualisiren. Hr. Professor Stoltz theilt mit, dass man in Paris die Operation gern mache und dass ihr besonders Cazeaux günstig sei, der sie auch bei Beckenenge übe. Der Redner selbst hat sich bereits früher bei Beckenenge dagegen, bei Erbrechen und sonstiger Lebensgefahr aber da- für ausgesprochen, da bei Beckenenge noch immer auf andere Art, wie durch die künstliche Frühgeburt, die Perforation, den Kaiserschnitt u. s. w. ein günstiger Ausgang erzielt werden könne. Bei Erbrechen mit vollständiger Inanition dagegen habe er selbst die Operation meh- rere Male mit glücklichem Erfolge ausgeführt. In einem Falle ward das Ei durch die Sonde zerstört, mit dem Abortus schwarden die Krankheitserscheinungen, und die Frau gebar nach- mals normal. In einem andern Fall aber trat ein Paar Tage nach dem Abortus der Tod ein. Uebrigens soll man den künstlichen Abortus bei Beckenenge nicht ganz ausschliessen, um den Kaiserschnitt hin und wieder umgehen zu können, wie bei Familienmüttern, die an Osteoma- lacie erkrankt sind. Hr. Medicinalrath Schneemann bestreitet ebenfalls eine wissenschaftliche Indication für den künstlichen Abortus bei engem Becken, zumal in moralischer Hinsicht dann auch die Operation nachtheilige Folgen haben könne. Zur Ausführung derselben, die oft nicht leicht ist, dient am besten eine stark gebogene Sonde. Auf innere Mittel legt Hr. Professor Stoltz gar keinen Werth, da sie nur Unheil stiften. Die Sonde und der Pressschwamm reichen überall aus, auch wohl die warme Douche, doch würde diese zu viel Zeit erfordern. Hr. Hofrath v. Siebold glaubt, dass die Umstände die Mittel angeben müssen; besonders viel hänge davon ab, ob die betreffende Person eine Erst- oder Mehrgeschwängerte sei. Hr. Dr. Crede hält alle zur Erzielung der Frühgeburt angegebenen Mittel auch für die des Abortus für passend; das beste sei die künstliche Entleerung der Eihäute, denn sie sei am zuverlässigsten und in ihrer Wirkung am schnellsten. Hr. Professor Martin aus Jena warnt davor, ohne bestimmte dringende Indication den Abortus einzuleiten, besonders soll man es nie ohne Consultation thun, da er in mehreren Fäl- len nach böswilligem Abortus puerperale Entzündungen und heftige Blutungen hat eintreten sehen. Uebrigens lasse sich nicht läugnen, dass es Krankheiten der Schwangeren gebe, die durch ihre Gefährlichkeit den Abortus dringend indieiren können. Herr Professor Stoltz gibt der Versammlung eine Beschreibung des von ihm angewandten Speculum uteri. Dasselbe ist conisch, kürzer als gewöhnlich, das innere Ende schief, en bee de flüte abgeschnitten, zugleich enger als das äussere Ende, doch immer noch so weit, dass es auch ein krankes Os uteri in sich aufnehmen kann. Das ganze Speculum ist 5 bis 6 Zoll lang und sein Hauptvortheil besteht darin, dass seine eme Wand kürzer ist als die andere, entsprechend den verschiedenen Längen der vorderen und hinteren Scheidenwand. Indem die längere Wand des Spiegels in das hintere Scheidengewölbe dringt, fasst sie den Muttermund auf und leitet ihn durch leichte Hebelbewegung in die Mittellinie des Beckens. Der Rand des inneren Endes ist zugleich etwas auswärts gebogen, um den Muttermund noch leichter ins 197 Becken zu leiten. Das ganze Instrument mit seinem Obturator gleicht der Form des Penis. Der Redner hält die gewöhnlichen Specula für zu lang, da das Speculum mit seinem äusseren Ende gerade im Scheideneingang liegen muss, indem sonst alle Manipulationen sehr erschwert werden. Hr. Hofrath v. Siebold entgegnet, dass hin und wieder lange Specula nützlicher seien als kurze, z. B. zum Ansetzen von Blutegeln an die Portio vaginalis. Hr. Dr. Robert aus Coblenz ist derselben Ansicht. Hr. Hofr. v. Siebold glaubt ferner, dass in der Geburtshülfe die Specula wenig Nutzen brächten, ausgenommen wo man dadurch in zweifelhaften Fällen entscheiden könne, ob die Ei- häute noch über dem vorliegenden Kindskopfe liegen oder nicht. Hr. Professor Martin fand dies ebenfalls. Er erzählt eine Beobachtung, die von der Schwierigkeit der Erkenntniss, ob die Eihäute noch vorhanden oder nicht, Zeugniss gibt. Man glaubte in diesem Falle, sie seien über den Kopf zurückgezogen, was aber nicht der Fall war, legte die Zange an, zerrte die Placenta los, und die Frau starb an Verblutung. Der Redner gebraucht übrigens die Fergusson’schen Spiegel. Hr. Dr. Cred& theilt mit, dass er das Speculum häufig anwende und selbst die Hebam- men in dessen Gebrauch unterrichte. Jede Wöchnerin wird vor ihrer Entlassung aus der An- stalt speculirt, was schon in sanitätspolizeilicher Hinsicht nützlich ist. Auch das Speculiren Schwangerer ist sehr zu empfehlen, da viele noch streitige Punkte dadurch aufs Klare gebracht werden können. In einem von ihm beobachteten Falle von Conglutinatio orificii uteri externi war dies nur durch das Speculum zu entdecken. Wendet man das Speculum oft an, so muss man deren eine grössere Anzahl haben; die geschlossenen, als die bequemsten, sind im Allge- meinen vorzuziehen; weite Specula sind besser als enge, auch sind sie den Frauen nicht allzu unangenehm. Dass man aber auch für einzelne Fälle Specula vom kleinsten Caliber nöthig habe, versichert der Redner aus eigener Erfahrung gegenüber der von Hrn. Professor Stoltz geäusserten Meinung. Ueberhaupt erfordert eigentlich jeder Fall ein für das Individuum pas- sendes Instrument. Hr. Hofrath v. Siebold bestätigt diese Ansicht des Vorredners und führt namentlich die Erfahrungen seines Freundes, des berühmten Berliner Gynäkologen Carl Mayer, an, welcher daher auch in der von ihm angegebenen Reihe von Mutterspiegeln aus Milchglas für die An- fertigung solcher vom engsten Caliber Bedacht genommen. — Auf den Wunsch einiger Herren wurden die verschiedenen Milchglas-Specula nach Mayer’s Angabe vorgezeigt. Fünfte Sitzung. Freitag den 22. September. Präsident: Hofrath v. Siebold. Secretär: Dr. Spiegelberg. Herr Dr. Richard aus Osnabrück theilt das Nähere über einen Fall von Zangenoperation mit, der eine junge Erstgebärende auf dem Lande betraf, bei der ein anderer Arzt 25 Mal! die Zange hatte abgleiten lassen. Hinzugerufen fand Hr. R. die erste Kopflage mit der Stirn nach vorn, den Kopf im queren Durchmesser der Beckenhöhle stehend. Er legte nun die Zange so an, dass er das der Stirn entsprechende Blatt nur bis an den Augenhöhlenrand vor- schob, und so entwickelte er in wenigen Tractionen den Kopf. Die von dem Redner ge- 198 brauchte Smellie’sche Zange in längerer Form gestattete ihm vermöge des an ihr befindlichen einfachen, sog. englischen Schlosses eine solche Verkürzung des einen Zangenlöffels. Es wurde hierauf angeführt, dass schon Levret an seiner Zange mit beweglicher Axe (aze ambulant) auf die Nützlichkeit einer solehen Verkürzung des einen Löffels Bedacht ge- nommen. Auch hat v. Ritgen (1825) eine Zange mit verlängerbaren und verkürzbaren Löf- feln angegeben. — Die genannten Zangen wurden von dem Herrn Präsidenten aus der hiesi- gen Sammlung zur Ansicht vorgelegt. Herr Dr. Crede aus Berlin hält hierauf einen Vortrag über Beckenmessung. Man unterscheidet bekanntlich eine äussere und eine innere Messung des Beckens. Die äussere ist leicht und geschieht gewöhnlich mittelst des Compas d’epaisseur. Man misst so den Diameter spinae (D. sp.), den Diameter cristae (D. cr.) und den Diameter trochanterum (D. ir.). Etwas schwieriger ist die Messung der Conjugata externa oder des Diameter Baudelocque (D. B.). Hr. C. hat sich lange mit Messungen an Leichen beschäftigt und ziemlich sichere Resultate erlangt. Man darf durchschnittlich nicht 3 Zoll von D. B. abziehen, um die Con- jugata vera zu finden, muss überhaupt jede Durchschnittszahl fallen lassen, und die Abzugs- grösse in jedem einzelnen Falle bestimmen. Es hängt alles vom Stande des Promontoriums ab. Steht es hoch, so zieht man mehr ab, und umgekehrt. Findet man einen D. B. von über 7 Zoll, so ist das Becken gewiss nicht zu eng. Die directe äussere Messung der Conju- gata vera (©. v.), die übrigens nur post partum möglich ist, trügt wegen der verschiedenen Dicke der Weichtheile auch um 1, bis Ya Zoll. Zur inneren Messung geht die Hand allen Instrumenten vor. Man bestimmt hier die (©. v. aus der Messung der Conjugata diagonalis (C. d.). Eine Durchschnittszahl zum Abzug von (. d. darf man nicht aufstellen; diese Abzugsgrösse hängt in jedem einzelnen Fall ab 1) von dem Höhenstande des Promontoriums, 2) von der Höhe der Symphyse, 3) von ihrer Richtung. Das Promontorium ist bei normalem Becken um die Höhe eines Wirbelkörpers höher gelegen als die horizontal gedachte Ebene des Beckeneinganges, und man zieht in diesem Falle 8 bis 9 Linien von €. d. ab. Bei abnormem Becken verhält sich die Sache anders. Hier kann der Vorberg so tief stehen, dass die Abzugszahl —= 0 wird. Die Höhe der Symphyse ist leicht zu bestimmen, und ihre Richtung ist bei normalem Becken der der beiden oberen Kreuzbeinwir- bel parallel. Bei abnormem Becken ist dies oft nicht der Fall, wie man denn überhaupt auf jede Eigenthümlichkeit des Beckens im concreten Falle Rücksicht nehmen muss, um nicht in gewisse Irrthümer zu verfallen. Der Redner fordert die Versammlung zu neuen Messungen auf und macht sie auf die angegebenen Verhältnisse nochmals aufmerksam. Den D. B. misst er übrigens in der Seitenlage der Frau, und bestimmt den hinteren Punkt so, dass er sich durch die Höhe der Hüftbeine eine Horizontalebene gelegt denkt, entsprechend den Processus spinales der Wirbel, eine Linie darauf senkrecht zieht, wo alsdann etwa 11/4 Zoll unter dem Durchschnittspunkte beider jener Punkt liegt. Die ©. v. fällt nicht ganz in die Linie des D. B. hinein. Herr Professor Martin aus Jena spricht über Endometritis, soweit sie als Geburtshin- derniss auftritt. Die Endometritis kommt bei Schwangeren und Gebärenden vor und ist dasselbe, was man früher auch wohl als Rheumatismus uteri bezeichnete. Die Störungen, die sich unter ihrem 199 Einfluss entwickeln, treten in drei verschiedenen Reihen auf. Entweder ist die Portio vagina- lis wulstig, weich, empfindlich, die Vagina ebenfalls, mit Exsudat bedeckt; das Wasser geht früh ab. Oder die Portio vaginalis ist fest, hart, unnachgiebig, nicht dilatabel, die Wehen unwirksam, die Frauen haben. vielen Schmerz im Kreuze, auch wohl über der Symphyse. Oder die Portio vaginalis verstreicht, die Blase bleibt aber lange stehen, erscheint nicht ge- spannt, der Muttermund eröffnet sich langsam, die Wehen sind sehr schmerzhaft, der Uterus empfindlich, die Geburt wird lange verzögert. Die Haut ist dabei trocken, kühl oder biswei- len mit Schweiss bedeckt. Urin und Stuhlgang ist vorhanden, bisweilen Erbrechen, seltener Durchfall. Mit jeder Wehe steigt die Pulsfrequenz ungemein, statt in je 5 Secunden auf 5 bis 7 zu kommen, steigt der Puls auf 8 bis 11 und fällt jählings wieder. Man nennt diese Wehen Krampfwehen, auf ihren eigentlichen Grund hat man aber zu wenig geachtet. Uebrigens gibt es auch Krampfwehen, die in anderen Organen als dem Ute- rus ihren Grund finden. Bei zu engem Becken, besonders dem gleichmässig zu engen, kann der Druck des Kopfes auf den unteren Gebärmutterabschnitt diese Metritis und Krampfwehen hervorrufen. ‚ Die Ursache der Krankheit ist meist Störung der Hautthätigkeit, die sporadisch und bis- weilen epidemisch vorkommt, oft nach plötzlichem Temperaturwechsel. Auch örtliche Läsio- nen sind oft Ursache, eine zu warme Uterusdouche z. B. kann Katarrh der Vagina, die sich auf den Uterus fortsetzt, und dadurch Krampfwehen hervorrufen, und so lassen sich die ver- schiedenen Erfolge bei Anwendung der Douche zur Erregung der künstlichen Frühgeburt er- klären. Die Geburt wird natürlich sehr verzögert. Im Puerperium tritt gern Endometritis und Peritonitis ein. Es ist sehr davor zu warnen, vor vollständiger Eröffnung des Muttermundes innere wehenbefördernde Mittel anzuwenden, oder gar Extractionsversuche zu machen, da alles dies das ursprüngliche Uebel nur steigern kann. Die Behandlung besteht zunächst in Ruhe, mässiger Wärme, Vermehrung der Hautthätigkeit; besonders gut sind Senfteige auf die Wa- den, den Unterleib gelegt, die das Uebel meist schnell beseitigen oder mildern; sie müssen durchschnittlich 3/5 Stunden liegen. Auch puerperale Erkrankungen treten nach ihrer Anwen- dung seltener ein. Allgemeine Blutentziehungen sind selten nützlich, eher örtliche. Innerlich gebe man Ipecacuanha in kleinen Dosen, bisweilen bis zum Erbrechen. Bei kräftigen Frauen verbinde man Tart. stib. damit. Opium ist nicht zu empfehlen, denn zuweilen gerathen die Wehen dadurch ins Stocken. Dagegen ist ein mässiger Gebrauch des Chloroforms zu empfeh- len. Secale cornutum ist nicht zu loben, darf überhaupt nur nach vollständiger Eröffnung des Orific. uteri gebraucht werden, nachdem die Metritis beseitigt ist, und wenn man die Geburt jederzeit künstlich beenden kann; tritt später Wehenschwäche ein, so ist es nützlicher. Die mechanische Erweiterung des Muttermundes durch die Finger ist zu tadeln, da er zerrissen werden kann. Incision desselben ist nur bei Degeneration nöthig, ‘sonst nicht. Vor allem nothwendig ist es das Becken zu messen, da Enge desselben oft im Spiele und zu langes War- ten dann gefährlich ist. \ Zum Beweise des Vorhandenseins der Metritis und ihrer Gefährlichkeit bezieht sich der Redner auf mehrere ihm vorgekommene Fälle. Er erzählt einen, welcher eine Primipara be- trifft. Am Sonnabend waren bei ihr die Wässer abgegangen, nachdem sie sich tags zuvor er- kältet hatte; nach 24 Stunden fühlte Hr. M. das Orific. uteri hart, unnachgiebig, von der Grösse eines Silbergroschens; die Wehen waren selten und unregelmässig. Bis zum folgenden 200 Donnerstag erfuhr er weiter nichts. Wieder hinzugerufen, fand er den Muttermund thaler- gross, obgleich die Wehen die ganze Zeit hindurch vorhanden gewesen. Da er eine Rigidität des Muttermundes vermuthete, so machte er eine Incision, worauf sich eine Tasse Eiter ent- leerte. Nach Anwendung der passenden Mittel besserten sich die Wehen, der Kopf rückte tiefer herab, und wegen zögernden Pulsschlages des Kindes wurde die Zange angelegt. Die verwachsene Placenta musste gelöst werden. Die Frau genas schnell. Der Eiter muss hier in der Substanz des Uterus gesessen haben. Ein anderer Fall betraf eine Schwangere in der Ge- bäranstalt, die an Fluor albus litt. Die Wehen waren unregelmässig, der Uterus gegen Be- rührung sehr empfindlich. Nach Anwendung der nöthigen Mittel erfolgte eine natürliche Ge- burt. Die Frau, die vor der Entbindung einen heftigen Schreck erlitten, befand sich die er- sten 24 Stunden nach derselben ganz wohl, dann traten in der folgenden Nacht plötzlich die Erscheinungen der Peritonitis ein, denen die Frau nach 18 Stunden erlag. Die Section ergab in der Bauchhöhle eine Masse heller, mit Eiter gemischter Flüssigkeit, chronischen Katarrh der Tuben, Eiter in den Lymphgefässen um den Muttermund herum, in der Blase und Ure- thra eiterige Flüssigkeit. Wahrscheinlich war Katarrh der Tuben früher vorhanden, durch Schreck eitrige Resorption und durch Austritt desselben in die Bauchhöhle Peritonitis erfolgt. Schliesslich macht der Redner noch auf die praktische Wichtigkeit des Gegenstandes auf- merksam und bemerkt, dass auch die Kinder bei diesem Zustande oft sehr leiden. Herr Dr. Crede aus Berlin theilt einige Bemerkungen mit über Explorativpunction bei Unterleibs- und Beckentumoren. Er übt sie häufig, da sie ganz ungefährlich ist, und ge- braucht dazu einen ungefähr 8 Zoll langen, geraden, biegsamen Troicart. Er wies dadurch öfter Cysten, Eiterherde u. s. w. nach. In einem Falle stiess er absichtlich ohne Schaden durch die Blase, um in eine hinter ihr gelegene Geschwulst zu gelangen. Einzelne unglück- liche Fälle können nicht berechtigen, eine Methode zu verwerfen, die da, wo alle anderen Hülfsmittel fehlschlagen, noch zur Diagnose verhilft. Herr Dr. Disse aus Brakel theilte hierauf seine Beobachtungen über eine von ihm erlebte Puerperalfieber-Epidemie mit septischem Charakter auf dem platten Lande mit. Dieselbe dauerte vom 15. Sept. 1852 bis zum 11. Jan. 1853. In diesem Zeitraum wurden 28 Frauen entbunden. Von diesen erkrankten 13, 12 starben, 1 genas. Alle waren früher gesund gewe- sen, erkrankten sehr schnell und hatten gleich von Anfang der Krankheit an das Gefühl, dass sie verloren seien. In ätiologischer Hinsicht liess sich nichts eruiren, als dass gleichzeitig in der Gegend Dysenterie herrschte, an der aber nur schwache alte Individuen zu Grunde gingen. Anfangs wurden die Kranken antiphlogistisch behandelt, aber ohne Erfolg. Hr. D. bekam erst später Kranke in Behandlung und wandte eine reizende Therapie an, aber auch ohne Er- folg, da er zu spät gerufen ward. In einem Fall hatte er das Glück, bei gleichzeitigem äusser- lichem und innerlichem Gebrauch von Ol. Terebinth., von Campher, aromatischen Umschlägen auf den Leib u. s. w. die Kranke genesen zu sehen, nachdem eine rothe Frieseleruption mit nachfolgender Desquamation eingetreten war, weshalb er die Versammlung auf das Ol. Tere- binth. glaubt aufmerksam machen zu müssen. - (Umständlicher wird diese Epidemie von Hın. D. in einer demnächst in der Monatsschrift für Geburtshülfe und Frauenkrankheiten zu ver- öffentlichenden Abhandlung geschildert werden.) 201 Wegen Mangels an Zeit konnte der von Hrn. Dr. Spiegelberg angekündigte Vortrag „über die Behandlung des Nabelschnur-Vorfalles” nicht gehalten werden, und da die meisten Mitglieder dieser Separat-Section im Laufe des Tages abzureisen beschlossen, so schloss der Präsident mit einer dankenden Anrede an die Versammlung und den Secretär die Sitzungen, indem er zugleich die Hoffnung aussprach, im nächsten Jahre die Diener Lucina’s wieder in Wien zu den lehrreichen Discussionen vereinigt zu sehen. Siebente Section. ° Anthropologie und Psychiatrie. Die Section, nach der ersten allgemeinen Sitzung Montag den 18. September in das für sie bestimmte Local des Universitätshauses durch Herrn Professor Lotze eingeführt, wählte für die ganze Dauer ihrer Sitzungen den Herrn Ober-Medicinalrath Bergmann aus Hildesheim und, für den Stellvertretungsfall, den Herrn Medicinal-Rath Mansfeld aus Braunschweig zu Präsidenten und den Herrn Dr. Erlenmeyer aus Bendorf (bei Coblenz) zum Secretär. Ver- schiedene Vorträge wurden für die morgen um 8 Uhr zu beginnenden Sitzungen angemeldet. Erste Sitzung. Dienstag den 19. September. Präsident: Ober-Medicinalrath Bergmann. Secretär: Dr. Erlenmeyer. Der Präsident eröffnete die Sitzung mit folgender Ansprache: Hochgeehrte Herren! Es ist mir der ehrenvolle Auftrag geworden, heute hier die ver- wandten Kräfte zu vereinen, die eine Zukunft haben, zugleich aber eine der grössten und schönsten Arbeiten. Physik und Physiologie sind die Folie am Spiegel der Physiologie, wir sollen ihre Reflexe zu combiniren, in einen Brennpunkt zu sammeln, sie zu deuten und zu messen suchen. Das ist aber kein Kleines für Wissenschaft wie Kunst. Der Einzelne vermag so wenig, vereinte Kräfte können mehr, darum sei das Wappen Hollands unser Muster. Wir leben in der Zeit der Zellen, wenn auch alljährlich einige Zel- len sich ansetzen, so wird doch ein grünes Blatt daraus. Oder lassen Sie uns spinnen wie der Seidenwurm tausend Fäden durcheinander und übereinander, immer muss doch eine Stelle sein, wodurch der Schmetterling hindurch bricht und auflliegt. Herr Professor Dagonet aus Strasburg, Oberarzt der Irrenanstalt zu Stephansfels, über- reichte hierauf einen gedruckten Bericht: Service medical de U’ Asile public d’Alienes de Stephans- ‚Fels pendant Vannee 1853; desgleichen Herr Director Kelp aus Oldenburg eine Schrift: Die neue Irrenheilanstalt für das Grossherzogthum Oldenburg. Es hielt alsdann 203 Herr Ober-Medicinalrath Bergmann einen Vortrag „über die Theorie und Anatomie der Hallueinationen”: ; Es ist hier nicht Zweck und Absicht, über diesen Gegenstand, der sicher einer der wich- tigsten der Psycho-Pathologie und Pathognomie ist, mich weiter zu verbreiten. Er hatte schon meine Aufmerksamkeit erregt, ehe noch Esquirol, der Mann mit festem Blicke und ernstem Wollen, uns über ihn besser belehrte. Die eigene Beobachtung verlieh mir nach und nach ein solches reiches Material, dass ich viele Bände damit füllen könnte, wozu aber die Musse fehlt. Die mir allmälig immer reifer gewordene Ansicht von dieser Sache, die zugleich das anziehendste Capitel der Psychologie immerdar sein wird, meine kleine Theorie will ich in aller Kürze hier der Beurtheilung des Kenners und Forschers unterwerfen. Ich meine, dass die Hallucinationen als innere Sinnesvorspiegelungen zu betrachten sind, welche auf Hyperästhesis und Erethismus derjenigen Bereiche des Gehirns beruhen, wo die Sinne ihre Wurzeln und ih- ren Reflex und Resonanzboden haben. Für die Gesichtshallucinationen ist dieser Boden die innere Wandtafel der Mittelhöhle, wo die merkwürdigen schönen Gruppen von Markfäden sich befinden, die ich unter den Namen: stamina fundae unter dem Chiasma und phosphori, Wellennetz, Garben u. s. w. beschrieben und auch abgebildet habe in meinen Untersuchungen über die innere Organisation des Gehirns. Da die Abbildungen nicht genügend waren, um die gehörige Aufmerksamkeit derer darauf zu lenken, die ein wahres Bedürfniss in sich fühlen, ein wenig näher in das Innere der Natur zu dringen, so hat der Verf. Bedacht darauf genommen, sie zu verbessern. Für die Gehörhallucinationen ist die Bühne dieser unwillkürlichen Seelenspiele ohne Zwei- fel die Rautengrube und die innere Umgebung der vierten Höhle, namentlich haben sie hier ihren physiologischen Grund in den akustischen Fibrillen, in der scala rhythmica, in den lan- gen gewundenen Chorden bis in den Canal hinein und bis zu den Hintersegeln. Der Pathologie der Gehörhallueinationen habe ich auf anatomischem Wege am meisten nachgespürt und nachzuspüren Gelegenheit gehabt, in dem vielleicht ein Viertheil der psychi- schen Verirrungen damit verknüpft sein möchte. Obgleich ich zunächst hier nur diejenigen Fälle meiner Beobachtungen mittheilen wollte, welche mit einer entschiedenen Entartung der Sehnerven verbunden sind, so habe ich doch nicht unterlassen mögen, ein paar Beispiele von Gehörhallueinationen aus dem Vorrathe meiner Sectionsgeschichten vorzulegen. Aber auch der organische Mangel oder Fehler, seien sie selbst schon von längerer Dauer, verursachen noch nicht an sich eine wirkliche Seelenstörung in ihrem ganzen Sinne, so lange nicht auch die Centralstelle in’s Leiden mit hineingezogen ist. Die aus Brust und Unterleib sympathisch erzeugten Reflexe und Contrecoups auf die inne- ren Sinngebiete setzen sich allmälig hier fest und nehmen am meisten ihren Weg durch die pneumogastrischen Nerven, weshalb auch die Rautengrube und ihre Umgegend am meisten lei- det. Wie die meisten Seelenstörungen einen sympathetischen Ursprung aus den ‚untern Orga- nen haben, so auch die Hallucinationen. Vor 30 Jahren und drüber ward ich auf diese Wechselwirkung durch einen Fall bei einer 60jährigen Frau aufmerksam gemacht, die an Gefühls-, Gesichts- und Gehörs-Hallueinationen im hohen Grade litt, und am Lungenschlage starb. Sie war sehr corpulent, sehr asthmatisch, aber trotzdem gewöhnlich heiteren Sinnes, liebte Scherz und lachte gern. In ihrem Bauche sass bald ein Kaiser oder König oder Prinz, bald ein Pfeifer oder Trommler, es pfiff, es brummte und mierte und murrte darin. Während sie dies äusserte, ging sie oft an’s offene 26 ® 204 Fenster, um frische Luft zu schöpfen. In der Nacht wie bei Tage sah sie Husaren, Jäger, Kriegsvölker, befand sich auf 'Tanzböden und Märkten, man schalt, lärmte, pochte, man zwickte und zwackte sie; dies geschah aber nicht im Traume, sondern im wachenden Zustand. Das Gaukelspiel ihrer Phantasie war mehr heiterer als trüber Art, oft glänzte Gold und Edel- stein um sie her, prachtvolle Paläste erhoben sich vor ihren Augen und sie war die glückliche Besitzerin dieser Schätze und Herrlichkeiten. Die Untersuchung nach dem plötzlichen Tode zeigte Folgendes, wobei aber die des Gehirns unterbleiben musste. Die Bauchdecken ungemein fettreich, das Netz und die Gedärme gleich- falls mit dicken Fettmassen bepolstert. Die von Luft sehr ausgedehnten Därme drängten das Zwerchfell nach oben, der Brustkasten ward dadurch enger. Etwas Wasser befand sich in die- sem, viel im Herzbeutel und dieser war verdickt und seine innere Fläche mit flockigem, zotti- gen Gewebe überzogen. Auch das Herz selbst war mit ähnlichem wuchernden Gewebe besetzt, an seiner unteren Spitze zeigte sich sogar ein kleiner Abscess, die Kranzadern waren wie ge- schwunden, auch im Innern war es welk und schlaff und enthielt im rechten Ventrikel ein lederartiges Gerinnsel. Die rechte Lunge hatte ein schiefergraues Ansehn und geringeren Um- fang und lag nach hinten zusammengezogen. Die linke Lunge fehlte gänzlich, nur ein unbe- deutendes fleischartiges Rudiment mochte andeuten, dass sie einst existirt hatte. (Dass ein solches Schwinden in frühester Lebenszeit schon eintreten kann, lehrte mich der Fall eines Kindes, das im zweiten Jahre starb, und nur Eine Lunge hatte.) Die grosse dreieckiggeformte Leber war innen etwas locker; auch hier zeigte sich der sel- tene Fall, dass die Gallenblase vollkommen fehlte und an ihrer Stelle nur ein kleines Knötchen von hautartiger Beschaffenheit sich befand. Bei einem 5jährigen weiblichen Kinde fand ich die linke Lunge durch Tuberculose gänzlich zerstört; dies Kind war schon mit einer Menge von Visionen und Gehörhallucinationen behaftet, die Aeltern waren verwundert über seine lebendige Einbildungskraft, die sie für eine höhere geistige Anlage hielten. Beispiele solcher Art lassen aber einsehen, wie pathologische Einwirkungen auf das Ge- hirn entstehen können, indem das polare Verhältniss zwischen unten und oben verändert und die Circulation des Nervenäthers unterbrochen wird. Eben um dies zu erläutern, kamen mir die selbst beobachteten Fälle wieder in Erinne- rung, welche den physiologischen Vorgang am treffendsten darstellen; es sind diejenigen, wo der äussere Sinn gar nicht mehr, und nur der innere noch thätig ist. In den Annalen der Wissenschaft sind dergleichen schon früher verzeichnet. Esquirol war wohl der erste, der auf sie aufmerksam machte. S. des maladies mentales T. 1. 186 ete. Ein Kranker war während seines Exaltationszustandes nach grossen Blutverlusten und sonstigen Leiden gänzlich erblindet. Dies Ereigniss betrübte ihn nicht, indem er versicherte, sein Gesicht würde bald wieder kom- men. Trotz der Anämie, die mehrere Monate gedauert, trotz der Blindheit verlor sich das De- lirium nicht im geringsten und die mannigfaltigen Hallucinationen, die seiner Krankheit ihre Farbe gaben, behielten ihre Stärke, ihre Dauer und ihren Charakter. Er war stats in Con- versation mit Personen, die er sah und hörte; er war gewöhnlich zufrieden und glücklich, lachte oft laut und klatschte vor Freude mit den Händen. Er starb erst nach Jahren und die Section lehrte, dass ausser starker Hypertrophie und Adhäsion der Häute an der Basis des Hirns die optischen Nerven atrophisch waren, grau, wie nassgemachtes Pergament durchsichtig. Ferner behandelte E. einen Kaufmann, der nach einem sehr thätigen Leben im 41. Jahre von Amaurose befallen ward. Einige Jahre nachher verfiel er in Irresein und Manie, wobei er 205 mit Gesichts- und Gehörhallucinationen behaftet war. Eine Jüdin 38 Jahr alt in der Salpe- triere war blind und tobsüchtig und auch den Hallucinationen unterworfen. E. fand die opti- schen Nerven von der Stelle ihrer Kreuzung bis zu ihrem Eintritte in die Augäpfel atrophisch E. erwähnt noch zweier Frauen, die jvollkommen taub waren und nur allein an dem Delirium litten, Tag und Nacht verschiedene Personen sprechen zu hören, mit denen sie sich herum disputirten, manchmal bis zur Wuth. So fand auch Calmeil beide Sehnerven atrophisch bei einem männlichen Irren, und Fo- ville bei einer weiblichen, die beide mit Gesichtshallucinationen behaftet waren. Romberg führt einen hierher gehörigen Fall an, wo Erweichung der Sehhügel und Atrophie der Sehnerven vorkam; einen ähnlichen soll auch Bright bei einem apoplektisch Gestorbenen, wo der Seh- hügel unterwärts krankhaft war, beobachtet haben. Foville, der selbst zu sehen und zu prüfen Gelegenheit hatte, verlegt den Sitz der Hal- lucinationen an den Herd der Perception, und so fand auch er in gewissen Fällen einen patho- logischen Zustand am Kleinhirn, namentlich Adhäsionen der Häute. Vielfach fand ich nicht allein dergleichen Adhäsionen, sondern wirkliche Wucherung der Häute mit Vermehrung und Ueberladung der Gefässe und allen Zeichen chronischer Congestion, von Orgasmus oder Ueber- reizung‘, Erethismus vorzüglich am Plexus des Markbändchens (ligula) die zunächst mit den pneumogastrischen Nerven zusammenhängt, ausser den Abnormitäten der feineren Markgebilde, welche endlich durch die abnorme Einwirkung des Bluts fehlerhaft und mangelhaft werden. Bei Schwerhörigen nahm ich nicht selten Gehörshallucinationen wahr, mehrmals auch bei solchen, wo die Schwerhörigkeit nur das eine Ohr befallen hatte. Schon dadurch, dass der äussere Sinn nicht genug thätig ist, wird der Courant des dem Leben und dem sinnlichen Ge- fühle dienenden Imponderablen gestört, auch ist sicherlich die Disharmonie,, die gestörte Com- bination der beiden Seiten der Hirnorgane die Ursache mannigfaltiger Störungen in allen ihren Functionen, nicht allein in intellectueller, sondern auch in affeetiver Beziehung; in ersterer kann ich es durch viele thatsächliche Gründe beweisen. Es möchte hierbei wohl die Beobachtung Purkinje’s, des tiefen Forschers, bei seinen Versuchen über den Schwindel ihre Anwendung finden. Wenn er bei galvanischen Experi- menten den Kupferpol in’s rechte, den Zinkpol in’s linke Ohr gesetzt hatte, so entstanden Kreisbewegungen aufwärts von rechts nach links, beim Wechsel der Pole gingen die Kreisbe- wegungen umgekehrt von statten. Im inneren Gebiete der Gehörseele kommen eben die mannigfaltigsten organischen Verän- derungen und Abweichungen und Mängel vor, weit mehr, als man sie in der inneren Gesichts- sphäre antrifft. Da die pneumogastrischen Nerven hier ihren Mutterboden haben, so erklärt sich dies leichter. Die meisten Reflexe und Repercussionen und metabolischen Uebertragungen kommen ohne Zweifel in der Bahn dieser Nerven vor. In dieser Hinsicht glaube ich die aller- meisten sympathischen Ursachen und Veranlassungen der Hallucinationen von den Lungen ab- leiten zu können, dann vom Herzen und der Milz und dem Magen. Freilich liefern auch die Genitalien dazu nicht geringen Beitrag. Im Allgemeinen ist der Solarplexus als der Vermitt- ler zu betrachten, mit dem ja der N. vagus aufs innigste verbunden ist, indem dieser wie der N. phrenicus als die hauptsächlichsten Verbindungsglieder und Regulatoren desselben betrach- tet, werden müssen. Ein Beispiel, wie der Reflex von der Leber herauf wirkt, möge hier als ein auffallendes eingeschaltet werden. Eine Dame von blühendem Aeussern, blutreich, reizbar, etwas hyste- 206 risch, hatte mehrere Wochen hindurch um 6 Uhr Abenas fast mit dem Schlage und nur in dieser Stunde eine Vision, indem plötzlich wie durch Zauber das leibhafte lebensgrosse schöne Bild ihrer Tante, einer Aebtissin, ihr vor Augen stand. Sie hatte lange, nach kaum fehlsamer Diagnose, an einer organischen Affection der Leber gelitten, von dieser befreit oder wenigstens erleichtert verlor sich das fixe Augenbild. Die geheimen Verstimmungen und anomalen Reize im Gebiete der Bauchplexusreflexionen reflectiren sich nicht selten im Gesichtssinne. Noch habe ich eine Dame in Behandlung, die lange vorzüglich an Gehörhalluceinationen leidet, die aber mit Gesichtshallueinationen debütirte; sie sah lange Zeit bald rothe, bald grüne, blaue und gelbe Farben, wie sie angab und fest davon überzeugt war, unter der Herzgrube; diese Farbencontraste waren bestimmte Zeichen ihres Befindens und ihrer Stimmung, so war blau und grün beruhigend, roth und gelb aufregend. Interessant war es, dass damals auch die Gestalten in veränderlicher Qualität und Quantität gesehen wurden. Diese Reflexe auf den Gesichtssinn müssen wohl zunächst nur dem sympathischen Nerv, dem N. trigeminus u. s. w. beigemessen werden, indess gibt es eben sowohl im Gehirn gegen- seitige Reflexe und muss es geben. Es ist ihnen aber auch noch eine Bahnstrecke durch die Stränge des Rückenmarks offen, eben wie in der Epilepsia sympathica. Uebrigens entstehen viele Hallueinationen auch idiopathisch, so nach Hirnentzündungen, Typhus, Scharlachfieber, apoplektischen und paralytischen Zufällen u. s. w. Heftige Affecte, besonders der Schreck, wirken bekanntlich so gewaltig auf den Organismus, dass sie, bei eini- ger Disposition, leicht Seelenstörungen veranlassen, die gewöhnlich von vornherein mit einer Affection der Centralstelle verbunden sind. Hallucinationen mischen sich dann gar oft mit hinein und ich habe Fälle beobachtet, wo sie in dem inneren Sinnfelde begannen und herr- schend wurden, welches durch den Blitz oder Donner des Schrecks zuerst getroffen war. Die Phantasmagorie des Auges beim Einschlafen ist das Vorspiel eines Deliriums, das sich in die Gehirnkammer fortsetzt, wo auch erst der Traum innerlich erwacht. Lichtnebel oder Lichtwolken gehen im Auge voran und Gestalten treten von innen hinein oder formen sich aus ihnen. Wie hier lichte Nebel den Phantomen und Phantasmen vorangehen, so den pho- nomimischen Eingebungen, Gesäusel, Gesumme und Gebrause. Wenn ich mich recht erinnere, erzählt Abercrombie, dass der Dr. Blacklock, der im Alter blind ward, oft erzählte, wie er in seinen Träumen die deutliche Empfindung eines Sinnes habe, den er im Wachen nicht besitze. Es komme ihm vor, als sei er mit den Gegenständen verbunden durch ein Fühlen in die Ferne (distant contact), welches durch eine Art von Fäden oder Schnüren bewirkt werde, welche sich von ihm zu jenen erstreckten. 1. Carl B., 34 Jahre alt, lutherischer Confession, Schuhmachermeister, kürzlich zum zweiten Male verheirathet, Vater eines Kindes von der ersten Frau, war von gewöhnlicher Sta- tur, nicht starker Körperconstitution, reizbarem 'Temperamente, geringen Verstandeskräften und geringer geistiger Ausbildung. i Die Krankheit, woran er litt, war Anfangs diejenige Form der Manie, welche als Furor transitorius, Excandescentia furibunda von Aerzten beschrieben wird, jener kranke Seelenzu- stand, wo, ohne vorhergehende Anzeigen von Irrsein, plötzlich ein Anfall des wüthendsten Wahnsinns ausbricht, in welchem der Mensch die unsinnigsten, grausamsten, verbrecherisch- sten Handlungen verübt, ohne vernünftigen Zweck, ohne Bewusstsein, meistens ohne Erinne- rung. In einem solchen Zustande von wüthendem Wahnsinn war es, wo der Schuhmacher B. einen Mord beging, als Verbrecher in Criminal-Untersuchung gezogen, diese aber sistirt wurde, 207 da sich herausstellte, dass er an Geistesabweichung leide und die That im Zustande der Un- freiheit begangen habe. Ueber den Körper- und Geisteszustand des B. aus früherer Zeit findet sich in den Acten einige Auskunft durch die Aussagen seines Schwiegervaters, eines rechtlichen Mannes, eben- falls Schuhmachers, seiner Frau und anderer Personen. Vor 9 Jahren besetzte er sich als Schuhmacher, verheirathete sich im folgenden Jahre, die Frau starb ein Jahr darauf im Wo- chenbette. Damals soll B. gegen seine Frau heftig und zänkisch, aber sonst ordentlich und arbeitsam gewesen sein. Uebereinstimmend ergibt sich die Angabe, dass früher bis kurz vor seiner Mordthat keine Zeichen von Geistesabweichung an ihm bemerklich gewesen sind. .Noch kurz vorher hat er zum zweiten Male geheirathet. Von seinem Arzte, der ihn seit einer Reihe von Jahren kannte und behandelte, wird er geschildert als ein gutmüthiger aber sehr bornirter Mensch. Schon Monate zuvor fing er an zu kranken, es zeigte sich bei ihm ein unsicherer Gang, bedeutende Schwäche der Urinwerkzeuge, blassgelbe Farbe, Magerkeit, taubes Gefühl in den Füssen, Trägheit des Stuhlgangs, selbst oft Schwindel und Eingenommenheit des Kopfs; Zei- chen, welche ein tieferes Leiden des Gehirns und Rückenmarks erkennen liessen. Am Tage vor der That fand ihn der Arzt im Bette mit Fieber, grosser Unruhe, allgemei- ner Schwäche und Schlaflosigkeit, zugleich wunderliche Dinge erzählend. Der Zustand ähnelte einem Delirium der Säufer. Am folgenden Morgen verübt er den Mord. Er verlässt ruhig seine Wohnung, begibt sich in ein entferntes Haus, und ermordet durch einen Schnitt, mit- telst eines Rasirmessers, der durch die Halswirbel bis an das Rückenmark drang, eine fremde Frau, die er nie vorher gekannt und die ihn nicht beleidigt hatte. Nach der That begibt er sich ruhig auf den Weg nach Hause, als ob nichts geschehen wäre, wo er arretirt wird, was er sich ohne viel Sträuben gefalleu lässt. Im Gefängniss bekommt er an demselben Abend einen Anfall von heftigem tobendem Wahnsinn, der nachher während seines Aufenthalts auf dem Krankenhause, woselbst er 3 Monate beobachtet und behandelt worden, in der Art nicht wiederkehrte. Später hielt er sich ruhiger. Eine stille Zerrüttung seiner Geistesvermögen trat immer mehr hervor. Von dem, was vorhergegangen war, von seinem Verbrechen hatte er keine Er- innerung. Es fehlte ihm das Welt- und Selbstbewusstsein. Er glaubte sich in einem Wirths- hause, sah in den Anwesenden seine Gesellen, hatte kein Verlangen nach den Seinigen. Sein Erinnerungsvermögen schien immer mehr zu erlöschen, die Aeusserungen seines Vernunftge- brauchs wurden immer geringer und er verfiel allmälig in den Zustand des Stumpfsinns, der Gedankenlosigkeit. Was seinen körperlichen Zustand anlangt, so äusserte er keine Klagen; er war aber merk- lich magerer geworden, schwach auf den Beinen, strauchelte im Gehen, liess oft den Urin un- willkürlich und unbewusst in’s Bett. Sein Appetit war gut; er ass ohne Auswahl und mit Gier. Nach Zusammenstellung der 'Thatsachen des Anfangs und Verlaufs der Krankheit, nach den Erscheinungen derselben, sowohl vor, als während und nach der Moidthat, war als Krankheitsursache bei dem B. anzunehmen: eine örtlich-organisch-pathologische Affection des Gehirns und Rückenmarks, welche allmälig und unbemerkt entstanden, sich fortschreitend zum höchsten Grade der Reizung mit Wuth gesteigert und zuletzt völlige Geistesabwesenheit her- vorgebracht hatte. 208 Während eines dreimonatlichen Aufenthalts im Hospitale, aus dem er in die Irrenanstalt versetzt wurde, entwickelte sich eine Amaurose, die auf dem linken Auge begann, und die, wie der ganze Zustand, die Folge einer Hirnerweichung zu sein schien. Merkwürdig war es, dass er damals beharrlich läugnete, die That gethan zu haben, und auch in der Irrenanstalt blieb er bis an sein Ende bei dieser Behauptung, hatte daher auch nie das Gefühl der Schuld. Er äusserte hier wohl, dass die Frau, die er getödtet haben solle, auf ihn zugelaufen sei, wäh- rend es dunkel gewesen. Die That geschah jedoch am hellen Morgen. Bei seiner Aufnahme in die Anstalt war er schon vollkommen auf beiden Augen erblindet, demungeachtet behaup- tete er stets, gut sehen zu können, eben wie überhaupt ganz gesund zu sein. Er that sehr gross, war sehr reich, hatte 40 Gesellen um sich her, ein paar Frauen und mehrere Kinder. Im October 1845 war er aufgenommen, später klagte er über Augenschmerzen und gab an, das Licht nicht ertragen zu können, meistens hütete er das Bett, sprach stets verwirrt, zerriss gern seine Kleidungsstücke. Konnte er ausser Bett sein, musste er immer geführt werden, er sprach und betete für sich hin, lachte bald und weinte bald, die Sprache war dann stets un- deutlicher, Harn und Excremente gingen immer mehr unwillkürlich ab; den Mund bewegte er fast unaufhörlich auf und zu. Am 12. April 1848 ward er unter Zuckungen vom Schlagfluss ergriffen, wonach eine Lähmung linker Seite zurückblieb; am 19. Juli erneuerte sich der schlagartige Anfall, wonach er das Gehör verlor, ein dritter Anfall im October veranlasste sein Ende. Noch in dem letzten Stadium beschäftigte er sich mit seinem Handwerke, und ordnete in der vermeintlichen Umgebung seiner Gesellen an, was für Schuhe und Stiefel für diesen und jenen gemacht werden sollten. So rief er zuweilen dem Lehrburschen zu, er solle Leisten bringen, aber feinere für Damenschuhe; immer wickelte er die Bettdecke zusammen, vermei- nend Leder vor sich zu haben. Leichenbefund. Das Gehirn war im Allgemeinen weichlich, das Mark trüber, die Rinde grauer, beide erweiterte Seitenhöhlen enthielten nebst den übrigen Höhlen ziemlich viel Wasser; beide Ammonshörner zeigten sich verflacht und beide Hinterhörner zur Hälfte ver- wachsen. Ueberall bemerkte man eine starke Wucherung mit Adhäsion der Häute, die pac- chionischen Körperchen verdickt, und in den Furchen der Windungen oberwärts ein fest ge- wordenes Exsudat aus früherer Zeit. Die Wucherung der Häute um die Vierhügel, die Zir- bel, das Gewölbe u. s. w. war von solcher Art, dass eine feinere Untersuchung nicht mehr anzuwenden war. Das Tuber cinereum war meistens geschwunden, stellte sich als eine ganz verdünnte, nur aus einer Membran bestehende bläulich durchsichtige Platte dar, schwappend von dem in der Mittelhöhle befindlichen Wasser. Der Trichter der Gl. pituitaria war blutroth, sie selbst schien etwas getrübt, doch sonst nicht abweichend. Die Wucherung der pia mater und arochnoidea war hier und an der Basis des Gehirns vorzüglich stark und erstreckte sich bis zur Brücke, die Nervi oculo-motorii schienen dünner, als gewöhnlich zu sein. Beide Nervi optiei fehlten gänzlich und nur Reste von etwa zwei Linien in der Länge, weich und grau, standen an der Vereinstelle vorne hervor, ihre Fortsätze nach hinten waren völlig geschwunden. In der Nähe der Augäpfel befand sich noch ein Rest der Sehnerven, aber verdünnt, grau gefärbt und lose in ihrer Hülle. Die runde Eintrittsstelle der Augen war transparenter, die Retina in beiden fast verzehrt, oder in hohem Grade verdünnt, so dass bis auf wenige Stellen nur noch die Chorioidea zu sehen war, der gelbe Fleck war indess noch nicht ganz vergangen, nur schwä- 209 cher und ohne Falte; der humor vitreus zeigte sich in beiden Augen verdünnt, die Linsen und das übrige boten keine Veränderung dar. In den Organen des Unterleibs und der Brust fanden sich keine bedeutenden Abweichun- gen, nur die Lungen litten, waren schlaff und zusammengesunken, jedoch noch meistentheils lufthaltig, an einigen Stellen zeigte sich eine beginnende oder etwas mehr entwickelte Tuber- culose. 2. Magdalene K., blödsinnig im höchsten Grade, vollkommen erblindet, starb in ihrem 64. Lebensjahre, nachdem sie fast 43 Jahre in der Irrenanstalt versorgt worden war, Tubercu- lose der Lungen und Erweichung der Nebennieren war die nächste Ursache des Todes. Als Kind war sie mit Eklampsie behaftet gewesen, in ihrem 18. Lebensjahre verfiel sie in den Zustand der Imbecillität, der wahrscheinlich schon längst begonnen hatte. Still und stumm brütete sie vor sich hin, sah stundenlang auf einen Fleck, nur beim Vollmonde ward sie un- ruhig, auch ward sie zuweilen von Krämpfen mit heftigem Zittern befallen, wobei manchmal eine kleine Aufregung stattfand. Schon damals klagte sie oft über Kopfschmerzen und hatte ein schwaches Gesicht, bald stellte sich eine vollkommene Amaurose beider Augen ein. Von sehr kleiner Statur, fahlgrauer Gesichtsfarbe, sehr schwacher Musculatur sass sie gewöhnlich wie festSebannt auf ihrem Stuhle, den Kopf bis gegen die Knie vorgebückt. Mit Daumen und Zeigefinger griff sie oft nach dem Kopfe, dem Antlitz und nach anderen Körpertheilen. Später litt sie an Brustbeschwerden, häufig an Obstruction, nicht selten verunreinigte sie sich, mei- stens musste sie gekleidet und gefüttert werden. Nur in den ersten Jahren konnte sie zuwei- len heftig werden, auch ihr Zeug zerreissen; zur Beschäftigung war sie ganz und gar unfähig, immer mehr versank sie in Abulie und Apathie; sprechen hörte man sie höchst selten. Ueber ihre Gesichtserscheinungen ist zu wenig aufgezeichnet, dass sie aber vorkamen, wird dadurch bewiesen, dass sie noch im letzten Jahre ihres Lebens mehrmals äusserte, eine gewisse Gestalt vor sich zu sehen, die sie Wilhelm nannte und für ihren Bräutigam hielt, sie führte sogar noch an, dass er auf seinen Schuhen silberne Schnallen trage. — Die Untersuchung des Gehirns ergab auszugsweise folgendes: Bei mässiger Hypertrophie der weichen Hirnhaut sah man eine geringe Spur früheren Ex- sudats in den Furchen oberwärts; beide Seitenhöhlen nebst den Hinterhörnern waren erweitert und mit Wasser angefüllt. Die Zirbel zeigte sich gänzlich umwuchert und verwachsen, die Schenkel des Gewölbes waren erweicht, ebenso die Ammonshörner, die etwas atrophisch von ihrer Markhülle theilweise entblösst waren, die weichen Kernkörper in den pl. chorioideis sah man dagegen im Zustande der Verhärtung. Beide Nervi optiei waren ihrer ganzen Länge nach fast verschwunden, nur graue dünne Reste ohne Spur von weissem Marke liessen sich wahrnehmen. Auch die Umgebung dersel- ben, besonders um das Chiasma, hatte sehr gelitten, das Mark hier war mürbe und gelockert, die Retina in beiden Augen ungemein verdünnt, die Chorioidea sehr lichtbraun, der gelbe Fleck bis auf einen feinen schwärzlichen Punkt geschwunden. 3. Christine K., 37 Jahre alt, litt an Verrückung mit Lähmung und starb in Folge von Erweichung und Wassersucht des Gehirns und von Durchliegen entstandener Brandwunden. Sie ward als eine rohe, widersetzliche, träge, lüderliche, diebische, unverbesserliche Land- streicherin geschildert. Ihre Aeltern, arme Landbewohner, starben ihr früh, bald nach ihrer Confirmation begann sie schon einen vagabondirenden Lebenswandel zu führen. Wegen Dieb- stahls ward sie zweimal ins Werkhaus gesandt, wegen gleichen Vergehens erlitt sie viermal 27 210 Zuchthausstrafe, ausserdem ward sie noch mehrmals gezüchtigt; dennoch setzte sie ihr dissolu- tes Leben fort und sollte abermals zu einer Zuchthausstrafe verurtheilt werden, als sich heraus- stellte, dass sie an wirklicher Seelenstörung und Erblindung leide. Ob eine syphilitische An- steckung dazu vorzüglich beigetragen habe, blieb ungewiss; ihre wilde Lebensweise war indess schon genügend, um dazu die Anlage vorzubereiten, auch eine Fehlgeburt gab die Veranlas- sung, ihre Gesundheit noch mehr zu untergraben, denn zwei Jahre vor ihrer Aufnahme: in die Pflegeanstalt gebar sie mitten auf der Landstrasse einen sechsmonatlichen Fötus, wobei sie viel Blut verlor und lange Zeit das Bett hüten musste. Ausserdem hatte sie schon zweimal ein uneheliches Kind geboren. Bei ihrem herumstreichenden Leben brachte sie überhaupt auch des Nachts nicht selten unter freiem Himmel zu. Sehr beschränkt waren ihre Verstandesanlagen, sie hatte zwar spinnen und nähen gelernt, aber weder hierzu noch zu anderer Arbeit Neigung. Von jeher war sie eigensinnig und trotzig gewesen und selbst im Strafhause lebte sie stets in Hader und Streit mit den übrigen. Sträflin- gen. Bei ihrer Aufnahme in die Anstalt zeigte sich schon eine entschiedene Verwirrtheit, sie sprach ohne Zusammenhang, ohne richtige Vorstellungs-, Unterscheidungs- und Urtheilskraft. Wegen ihrer Erblindung war sie längere Zeit in einem Hospitale vergeblich behandelt worden, sie ‚hatte nun den höchsten Grad erreicht, so, dass sie Tag von Nacht nicht unterschied. Wenn gleich ihr Zustand rasch immer mehr in Stumpfsinn überging, liess sich doch genugsam bemerken, dass noch oft Phantasmen und Phantome ihr vor dem inneren Auge schwebten. Oft äusserte sie, dass sie von vielen Monden umgeben sei, bald erblickte sie Galgen und Rad und bald andere Gestalten. Die längst eingetretene Paralyse schritt fort, die Excremente gin- gen unwillkürlich ab, der Gang ward unsicherer u. s. w.; aber selbst in diesem letzten Sta- dium liess sich ein intermittirender Typus bemerken, indem sie einen Tag um den anderen ruhiger war und an diesem Tage dann auch weniger oder gar nicht an Sinnestäuschung litt. Sie verlangte selbst nach Auflösung und ihr Verlangen ward bald erfüllt. Leichenbefund. Ausser einer Verwachsung der vergrösserten Leber durch strangförmige Pseudo-Membranen mit dem Zwerchfell, dem Magen und sogar mit der Milz war in Bauch und Brust nichts Abweichendes von Bedeutung. Das Hirn wog nur 39 Unzen, enthielt zwi- schen den Häuten etwa 2 Unzen Wasser, und war von fester, fast härtlicher zäher Consistenz, besonders an den Hinterlappen. Die beiden Hinterhörner waren zur Hälfte durch Verwach- sung verschlossen, die Ammonshörner wohl ein wenig atrophisch und durch Markbänder mit der Aussenwand verwachsen, das kleine welke Gewölbe innigst mit den Vierhügeln verklebt, die Zirbel mit ihrer Unterlage ausserordentlich umwuchert, die gl. pituitaria nicht abweichend, die Markdecken der Mittelhöhle, des Canals und der Rautengrube mit der von mir ausführlieh bezeichneten excrescentia filamentosa und reticularis besät. Der Canal bot die eigenthümliche Abweichung dar, dass er in sehr hohem Grade verengt war, indem die dreieckige Oeffnung desselben hinterwärts, wo jeder der Schenkel des Dreiecks etwa eine Linie beträgt, nur ein fein rundliches Löchelchen zeigte, nicht grösser als ein Mohnkorn. Verengerungen (wie auch Erweiterungen) des Canals sah ich vorkommen, nie aber in diesem Grade. Die Nervi optiei waren ganz atrophisch, sie hingen nach vom zwar noch mit dem Rest ihrer hinteren Wurzeln etwas zusammen, doch war keine Spur des Chiasma vorhanden, dahin- ter liess sich nur an der linken Seite ein Rest des Nervs sehen, der etwa 6 Linien lang war, an der rechten Seite aber ganz fehlte. Der vordere Theil der Nerven bestand fast nur in einer leeren Hülle, nur unmittelbar am Augapfel war noch etwas von der Marksubstanz übrig, so, 21l dass die Eingangsstelle in die Augen noch als eine Diaphaee erschien. Die Retina war zwar dünner, aber sonst noch ziemlich erhalten, selbst der gelbe Fleck war in beiden noch nicht er- loschen, dieser hatte in der Mitte einen schwarzen Punkt, die Falte, auf der man ihn gewöhn- lich erblickt, fehlte indess.. Zur genauen Beurtheilung dieses mangelhaften optischen Lebens ist noch hinzuzufügen, dass auf der oberen und inneren Seite des Chiasma das Markblatt un- ter der vorderen Commissur (das ich aulaeum, Vorhang nenne) und die Wand der hier befind- lichen Grube nebst dem Wellennetze und den Garben stark gelitten hatten. Wie wichtig für den Sehprocess diese Gebilde sind, worauf die Physiologen noch gar nicht Rücksicht genom- men haben, ist mir durch zahlreiche Untersuchungen keinem Zweifel mehr unterworfen. 4. B., Landmann, irrsinnig, dann verwirrt, dann verrückt, zuletzt ganz stumpfsinnig, verlebte 25 Jahre in der Irvenanstalt und starb 57 Jahr alt. Seit 38 Jahren litt er an Blind- heit durch Linsenstaar auf beiden Augen. Von kleiner, gedrungener Gestalt, kurzhalsig, fahlgrauer Gesichtsfarbe mit sehr kurzer Stirn und einem fast runden Schädelbaue, war er von Jugend auf beschränkt, ja dummlich, hielt sich aber für klug. Zur Arbeit hatte er wenig Neigung und Geschick, er zeigte sich thöricht und albern, in seinem Benehmen eigensinnig bis zum Starrsinn. Zur Zeit, wo sein Irresein begann, fing er auch an zu erblinden. Dieser Erblindung gingen Hallueinationen voran, die späterhin sich immer weniger kund gaben, diesen gesellten sich Gefühlshallucinatio- nen hinzu, die weit länger anhielten, er glaubte z. B. eine Menge Ungeziefer überall an sich zu beherbergen und beschrieb dieses als von enormer Grösse, wahrscheinlich war dies die Ur- sache, dass er sich gern entkleidete und nackend umherlief. Aus den spärlichen Mittheilungen zu seiner Erkrankungsgeschichte geht so viel hervor, dass sie mit Hallucinationen des Gesichts anfing, dass er Lichter und Flammen sah, und dann die Hölle, und nun fehlte auch die Erscheinung des Teufels nicht. Diese Gespenster seines inneren Auges machten ihn sehr furchtsam, einmal hatte er sich auf den Heuboden verkrochen, wo man ihn erst nach längerer Zeit auffand. Aengstlich war er von jeher, so wie später, wozu die Kurzathmigkeit beitrug, woran er immer litt, die später so zunahm, dass er bei jeder stärkeren Bewegung von Schweiss triefte. Er war von mürrischer und ärgerlicher Gemüthsart, sprach von selbst selten und mit heiserer dumpfer Stimme, stiess die Silben kurz ab, brach auch die Wörter ab, stockte und stotterte und articulirte oft undeutlich. Immer stumpfer wer- dend, höchst selten und fast nur in zormniger Aufregung sich in ein Gespräch einlassend, konnte er früher doch noch den einen und anderen Gedankenfaden spielen lassen, ohne sich in dem engen Kreise, worin er denkend sich bewegte, sogleich zu verwirren. Langsam abzehrend starb er. Das Netz war geschwunden, der Blinddarm mit der Bauch- wand und Leber verwachsen, diese verwachsen mit dem Zwerchfell; die Gallenblase enthielt zwei-Haselnuss grosse Gallensteine, beide Nebennieren waren erweicht. Die rechte Lunge war durch Tuberkeln und kleine Cavernen entartet, die linke enthielt noch eine grosse mit Jauche angefüllte Caverne; im Herzbeutel hatten sich ein paar Unzen Wasser gesammelt und die Klappen der Aorta zeigten eine anfangende Verknorpelung. Unter der harten Hirnhaut und am Schädelgrunde befand sich ziemlich viel Wasser, an der Unterfläche der linken Hemisphäre nach dem Hinterlappen hin ‚ein mässiges Blutextravasat. Diese Stelle eingeschnitten war im Umfange einer Kastanie mit einem schwarzen coagulirten Blutklumpen gefüllt, um welchen das Mark entfärbt und zerbröckelt sich zeigte. Die Zirbel war stark verhüllt und umwuchert von luxurirendem Zell- und Gefässgewebe 27° 212 und oben im plexus medius fest angewachsen; beide Hinterhörner waren verwachsen, so dass kaum noch ein Drittheil der Hügel hervorstand. Da hiermit schon hinlänglich der Standpunkt seiner so mangelhaften Intelligenz bezeichnet ist, will ich meine ausführlichen Anmerkungen über die einzelnen Mängel im Canal, am Gränzgürtel, in der Rautengrube u. s. w. zurücklas- sen und nur anführen, was den optischen Lebensraum betrifft. Bemerkt sei nur, dass die rechte Olive atrophisch und in den Chorden der Rautengrube vorn bis in den Canal einiges mangelhaft und somit hier ein nachtheiliger Einfluss auf die Sprache anzunehmen war. Beide Sehnerven waren bedeutend kleiner als gewöhnlich, der linke war wieder zur Hälfte kleiner als der rechte und vom Chiasma bis an den Augapfel grau wie Rindensubstanz und ohne Faserung, dagegen war der Fortsatz des rechten hinter dem Chiasma etwas kleiner als der des linken, die Garben an der Wand der Mittelhöhle waren fast gänzlich geschwunden und das dazu gehörige Wellennetz wenigstens stark erblindet. Daher war seit Jahren wohl keine Anlage mehr zu Hallucinationen vorhanden. Bei seinem Starrsinne war der Kranke nie zu bewegen, sich den Staar operiren zu lassen, endlich gelang es meinem sel. Sohne, der ihm glücklich das linke Auge operirte, ohne dass die Sehkraft wiederkehrte, wie sie denn bei der beschriebenen Entartung des linken Sehnerven durchaus keinen glücklichen Erfolg haben konnte. Der Staar am linken Auge war ein Milch- staar. Die kranke Linse fand sich völlig aufgelöst, die Kapsel hing am humor vitreus und in der Mitte derselben sah man einen kleinen Körper von gelber Farbe und von der Grösse eines Nadelkopfs. Die Staarlinse des rechten Auges war noch etwas härtlich. In der einen Retina war der gelbe Fleck verblasst und nicht gehörig geformt, in der anderen aber dunkelbraun und ohne die Falte. 5. Fräulein H. ©. starb in ihrem 64. Lebensjahre an Auszehrung. Sie war von langer, schlanker Statur, stets mager und schwächlich, hatte nie eine gesunde Gesichtsfarbe. Von gu- tem Herkommen, von guter Erziehung und guter Intelligenz und sehr lebhafter Einbildungs- kraft ward sie allmälig durch langwieriges hysterisches Leiden launisch, ärgerlich, eigensinnig und argwöhnisch. Der Tod ihres hochgestellten Vaters am Nervenfieber, die langwierige Krank- heit ihrer Mutter, die an den Folgen der Krebsdyskrasie starb, andere noch hinzugekommene Sorgen beugten sie tief. In den letzten Jahren nahm ihre Sehkraft ab, sie ward nun schwer- müthig bis zum Lebensüberdrusse, so dass wirklich der Trieb hervortrat, ihrem Leben ein Ende zu machen. Schlaflosigkeit, Mangel an Appetit, Obstruction u. s. w. gingen der völ- ligen Erblindung voran. Dieses Uebergangs- Stadium war mit beständiger Angst und Un- ruhe und Selbstanklage verbunden und endete mit geistiger Verblendung. Bald trat auch eine ‘Störung der anderen Sinne, des Geruchs, Geschmacks, Gehörs, Gefühls hinzu und veranlasste Verwirrungen und falsche Combinationen mannigfacher Art. Ihre Blindheit betrachtete sie als eine Strafe für ihre Sünden, fühlte aber zugleich, dass sie dabei den Verstand verlieren würde. Es trat immer stärker der Wahn hervor, dass boshafte Menschen sie Tag und Nacht umgäben und verfolgten, sie erblickte Geister der Hölle, welche kamen, sie dahin zu holen, sie hörte das Rasseln des Höllenwagens, mitunter äusserte sie, dass der Teufel sie in einen Hund verwandeln wolle, ja schon verwandelt hätte. Später wähnte sie in eine Katze verwan- delt zu sein, alle ihre Glieder, namentlich die Knie und Beine kamen ihr entstellt und umge- wandelt vor. Die Hallucination des Gehörs begaun damit, dass sie stets Kindergeschrei von der Strasse her vernahm, später hörte sie sich anklagen, verhöhnen und schimpfen. Darauf ward auch der Riechsinn gestört, sie spürte nur immer den Geruch von verbrannten Katzen 213 und Mäusen, der von der Strasse in ihr Zimmer drang, eine Verbrennung, die von feindlich Gesinnten geschah, um ihr den Verstand zu rauben. Die Gesichts-Hallueinationen hatten sich in ihrem letzten Krankheits-Stadium verloren, bis an ihr Ende blieb aber die Täuschung des Geruchs, immer noch glaubte sie sich von Katzen und Mäusen umgeben, selbst Nachts wan- derte sie oft umher und rief: Maus, Maus u. s. w. Dieser brenzliche Geruch verfolgte sie überall, so dass sie noch täglich äusserte, man habe Katzenfett, Katzenfleisch, Katzenunrath an ihre Speisen gethan, was dann zu ewigen Klagen und widersetzlichen Handlungen die Ver- anlassung war. Zuweilen kam ihr dieser Geruch auch als ein Uringeruch vor. Sie hatte selbst den Wunsch ausgesprochen, in die Anstalt aufgenommen zu werden, was um so drin- gender wurde, weil man sie beständig aufmerksam hüten musste, indem sie nicht unterliess, sich nach dem Leben zu streben. Vorzüglich pflegte sie sich Vorwürfe darüber zu machen, dass sie ihren Aeltern oft Verdruss verursacht habe; dachte sie nun auch oftmals an ein Selbst- Attentat, so hielt sie doch die Furcht davon zurück, dann nicht wieder zu ihren Aeltern zu kommen. In der Anstalt musste sie gleich das Bett hüten. Der längst begonnene Zustand der Zehrung nahm rasch zu, die Täuschungen des Gesichts wurden nicht mehr bemerkt, nur die des Gefühls, des Geschmacks, des Geruchs und Gehörs dauerten fort. Sie wähnte stets, um sich her Koth zu riechen, ja darin zu liegen, und doch konnte sie nur gezwungen gewa- schen und gekleidet werden. Arzeneien waren ihr nie beizubringen, weil sie dieses und jenes Gift darin witterte. Auch das Stimmenhören hielt noch an, sie glaubte nun das entsetzliche Geschrei ihrer Nichten zu hören, die in unterirdische Gemächer eingesperrt, den schrecklich- sten Qualen unterworfen würden. Schwerer Athem, trockener Husten, Oedem der Unterextre- mitäten und Brandigwerden der Wunden vom Durchliegen beschlossen die letzte Scene. Leichenbefund. Der Schädel dünn und leicht von rundlicher Form, am Grunde des- selben hatten sich etwa gegen anderthalb Unzen Wasser ergossen, das Hirn 42 Unzen schwer, war ausserhalb nicht getrübt, enthielt wenig Blut, die harte Haut war nur an zwei kleinen Stellen ein wenig durch Pacchionische Granulationen verwachsen. Die Zirbel war ungewöhnlich gross, grau, weich, im plexus medius fest verwachsen und zugleich mit der weichen Haut der Vierhügel, indem der Raum zwischen dem vorderen Hügel- paar wie niedergedrückt, breiter und etwas erweicht erschien. Das linke Hinterhorn war zur Hälfte verwachsen, zeigte noch einen Theil des Colliculus, das rechte war etwa zwei Drittheil verwachsen und der Colliculus nicht mehr sichtbar. Beide Sehnerven waren sehr atrophisch, vorn beim Eintritt in die Augäpfel zwar noch etwas fester und weisser, dann aber grau, etwas durchscheinend, ohne Faserung, verdünnt und getrennt und lose von und in ihrer äusseren Hülle bis zum Chiasma. Hier sah man auch die- sen grauen Theil kaum noch und verschwand er hinter dem Chiasma gänzlich. Die gl. pitui- taria zeigte sich nicht so prall und fest wie gewöhnlich, jedoch ohne besondere Abweichung, nur bemerkte man am Trichter ein linsengrosses Knötchen oder Bläschen. Das Tuber cine- reum hatte indess sehr gelitten, es war verdünnt, gelockert, welk, dem Zerfallen nahe, selbst schon theilweise durchbrochen, so dass man von unten frei auf die Spitze der Gewölbebögen sah, wobei man wahrnahm, dass das Markblatt an der Vordercommissur (aulaeum) aufgelöst und das übrige Mark umher in der Nähe erweicht und aufgelockert war. Diese Auflockerung erstreckte sich aber auch nach vorn bis in die Wurzeln der Riechnerven, so dass diese deut- lich wie angenagt oder zerbröckelt erschienen. Die beiden über und hinter dem Chiasma be- findlichen Garben, die höchst selten vergehen, waren fast ganz und gar verschwunden. Die 214 härtlichen Gränzgürtel zeigten ihre feine Faserung nicht mehr. In beiden Augen war die Re- tina wohl etwas dünner, doch sonst nicht verändert, selbst die gelben Flecken waren zugegen, doch matt und in dem einen Auge kleiner. Da es nicht die Absicht ist, hier weiter in das Detail der feineren Hirn-Anatomie einzu- gehn, bemerke ich nur, dass der Canal zu erweichen begann, die innere Gehörfaserung noch leidlich, die Scala rhythmica aber meistens vergangen war. Von den übrigen Körpertheilen sei erwähnt, dass beide Lungen an der Rippenwand an einzelnen Stellen locker verwachsen, in den oberen Lappen zahlreiche feste knollige gelb-graue granulirte Tuberkel waren, einzelne bis zur Grösse der Wallnüsse, an deren Spitzen man schon Erweichung wahrnahm; die unte- ren Lappen waren zwar noch lufthaltig, enthielten indess viele linsengrosse Tuberkel. Am Herzen war nichts zu tadeln. Am rechten Lappen der Leber eine tiefe Einschnürung, in der Gallenblase nur wenige Tropfen gelber dünner Galle. Die Milz auffallend klein, fest. Die Eierstöcke wie geschwunden. Die Nebennieren härtlich, die Substanz ausgeartet in eine gelb- körnige Zwischenlage von trockner brüchiger Art. Da nach meinen zahlreichen Beobachtungen die Degenerationen der Nebennieren einen störenden Einfluss auf den Herd des Ganglienlebens haben, so könnte die in diesem Falle herrschende unregelmässige Verdauungs-Function damit in Verbindung sein. Wenn diese Ansicht nun auch nicht verworfen werden kann, so möchte doch wenigstens der Wahn der Kranken nur von der anomalen Beschaffenheit des Geruchsin- nes abgeleitet werden müssen. 6. Heinr. G., 42 Jahre alt, Bäcker, verheirathet, von kräftiger Constitution, sanguini- schem Temperament, rechtlich, fleissig, seinem Stande gemäss gebildet, litt seit einem Jahre an Verwirrung mit periodischer Exaltation. Uebermässiges Arbeiten in seinem Geschäfte, worin er sich beständig Erhitzungen und Erkältungen aussetzen musste, ist als Gelegenheits- ursache zu betrachten. Die Mutter desselben litt an Epilepsie und gab ihren Kindern eine Anlage zu Hirnkrankheiten mit, ein Bruder ist in Folge apoplektischer Anfälle gelähmt. Seit zwei Jahren fühlte er eine Abnahme seines Sehvermögens verbunden mit grosser Eingenom- menheit des Kopfes, bis sich dies Leiden bis zur vollkommenen Amaurose ausbildete. Schwin- delanfälle, Schlaflosigkeit, Sorgen um seine Existenz thaten das ihrige, um eine Seelenstörung zu veranlassen. Er leidet seitdem an Hallucinationen des Gesichts, er sieht aus allen Ecken des Zimmers Menschen heryorkommen, die ihn misshandeln wollen und gegen die er sich weh- ren muss. Er schreit und tobt dann, schlägt mit allem, was er fassen kann, zu seiner Ver- theidigung um sich, stolpert im Zimmer umher und wird so seiner Umgebung gefährlich. In der ersten Zeit traten nach solchen Ausbrüchen von Tobsucht noch helle Zwischenräume ein, später verfiel er in allgemeine Verwirrung, lag ruhig Tag und Nacht im Bette und erhob sich nur, wenn die Visionen ihn zu sehr plagten. 7. Vor Decennien beobachtete ich eine Frau, welche während einer Seelenstörung völlig amaurotisch geworden war, mit dem Eintritte der Amaurose aber von jener befreit wurde. Den Kopf trug sie etwas schief nach der linken Seite hin, die Pupillen waren beständig sehr erweitert. Sie war sich ihrer wieder bewusst, zeigte guten Verstand und gute Besinnungs- kraft. Sowohl im Traume wie im Wachen sah sie Gegenstände, so namentlich ihr Kind, ihre Schwester; im Traume schien sie noch lebhafter zu sehen, denn sie sagte einmal: sie möchte wohl im Wachen so gut sehen wie sie im Traume zu sehen ‚pflege. Den Unterschied zwischen Tag und Nacht spürte sie noch ein wenig, sie sah zuweilen Skotome, die sie mit den Bewe- gungen von Regenwürmern verglich. 215 Herr Medicinalrath Mansfeld und Herr Bauconducteur Hilzinger aus Braunschweig legten hierauf die Pläne der neuen Irrenheilanstalt zu Königslutter bei Braunsehmeige: vor, um im Auftrag der dortigen Regierung das Gutachten der Section einzuholen. Zweite Sitzung. Mittwoch den 20. September. Präsident: Ober-Medicinalrath Bergmann. Secretär: Dr. Erlenmeyer. Herr Ober-Medicinalrath Bergmann zeigte zuerst Abbildungen über die Verbreitung und Verbindung der sympathischen und spinalen Nerven, die Nebennieren und die Structur des Gehirns vor; sodann legte er aus seiner reichen anatomischen Sammlung zahlreiche Präparate über die feinere Structur des Gehirns vor und mancherlei höchst interessante pathologische Präparate, welche sich bei Irren gefunden hatten, und demonstrirte an Gehirntheilen, welche durch Kupfervitriollösung erhärtet waren, die feinere Struetur des Gehirns nach seinen eigenen Entdeckungen, die in der neuern Zeit zum grössten Theile durch Herrn Prof. Luschka in Tübingen bestätigt worden sind. Hiernächst wurden durch Herrn Medicinalrath Mansfeld und Herrn Bauconducteur Hil- zinger aus Braunschweig im Auftrage der dortigen Regierung die Pläne der bei Königslutter projectirten Irren-, Heil- und Pflegeanstalt nochmals vorgelegt, um das Urtheil der Section über den Kostenpunkt einzuholen. Die Anstalt ist bestimmt für zwei Hundert Irre und der Voranschlag auf 180,000 Thlr. festgesetzt. Nachdem eine längere zeitraubende und unnütze Debatte schon gestern dadurch herbeige- führt worden war, dass man von einigen Seiten Verbesserungsvorschläge im längst fertigen Bau- plane zu machen sich berufen hielt und heute zum allgemeinen Bedauern wieder, trotzdem dass die lebhaften Beweise des fortlaufenden Beifalls, mit welchem die Mehrzahl der Mitglieder diesen Verbesserungsvorschlägen gestern zu entgehen suchte und die dadurch hervorgerufene Bewe- gung die einzelnen Redner von ihrem Vorbaben hätte abhalten sollen, damit fortfuhr, so wurde doch endlich die Angelegenheit zum Schluss gebracht. Der Secretär las sofort das Protokoll vor, welches lautet: ‚Die Section spricht sich einstimmig dahin aus, dass die Pläne höchst zweckmässig und entsprechend seien und dass bei der Berechnung der Kosten einer Irrenanstalt nach der Erfahrung aller Länder 1000 Thlr. auf den Kopf der aufzunehmenden Kranken berechnet werden müssen.” Es wurde dasselbe ohne Wi- derrede angenommen. Hierauf hielt Herr Professor Krämer unter Vorzeigung des betreffenden Präparats einen Vortrag über ein Fibroid der dura mater. Wittwe S., etwa 40 Jahre alt, Mutter mehrerer Kinder, litt seit Jahren an Krämpfen, die ich nie gesehen habe, die aber nach der Beschreibung sich den epileptischen näherten, obwohl sie weniger klonisch waren. Nach denselben verfiel Patientin in einen festen Schlaf, aus wel- chem sie stupide erwachte, und gewöhnlich das früher Genossene ausbrach. Allmälig bildete 216 sich bei der Patientin ein wahrem Blödsinn nahe stehender Zustand aus, Lähmungserscheinun- gen fehlten durchaus, doch klagte Patientin zuweilen über Kopfweh, besonders an der rechten Seite, auch litt Patientin an habitueller Hartleibigkeit und einem Prolapsus vaginae. In der Nacht vor ihrem Tode hatte sie wieder Krämpfe und zwar sehr heftige, nach welchen sie wie gewöhnlich in Schlaf verfiel, der jedoch trotz angewendeter Mittel in wirklichen Sopor und den Tod überging. Bei der Section fand sich im Schädel eine Exostose, welche breitbasig von dem rechten os parietale entsprang, sich zuckerhutförmig zuspitzte und nach Innen in das Gehirn ragte. An ihrer Basis hatte diese Exostose einen Durchmesser von fast 11/a Zoll, in der Höhe, die Schä- deldecke abgerechnet, 8 Linien. Der Schnitt, durch welchen der Schädel geöffnet war, hatte die Exostose zufällig fast in ihrer Mitte durchschnitten, sie bestand aus einer Rindensubstanz, welche eine spongiösere Substanz einschloss. Die Calvaria liess sich trotz dieser Spina, welche in das Gehirn tief eingriff, leicht lösen, die dura mater haftete nur lose, selbst an der Stelle der Exostose an den Knochen. Hier zeigte die Oberfläche der rechten Hirnhemisphäre des grossen Gehirns eine nabelartige oder trichterförmige, von der dura mater ausgekleidete Vertie- fung, in welcher die Exostose Platz gefunden hatte. An dieser Stelle liess sich das Gehirn durch die dura mater auffallend härter anfühlen als an andern Stellen. Nachdem die dura ma- ter durch einen Cirkelschnitt geöffnet, liess sich dieselbe bis auf die härtere Umgebung der trichterförmigen Vertiefung leicht vom Gehirn lösen, an der genannten Stelle aber war sie fester verwachsen, ohne jedoch eine bedeutendere Verdickung zu zeigen. Die grösseren Venen der Hirnhäute waren ziemlich blutreich, besonders im Umfange der härteren Stelle. Die übrige Hirnsubstanz war zäher und klebriger als gewöhnlich. Bei näherer Untersuchung der hartanzufühlenden Stelle zeigte sich nach Loslösung der dura mater, dass die Härte nicht von einer Induration der betreffenden Hirntheile selbst abhing, sondern von einer, in Form einem ringförmigen Pessarium nicht unähnlichen Geschwulst, welche etwa den Umfang eines mässi- gen Apfels hatte und in das Gehirn convex eindrang, nach der Exostose dagegen trichterförmig ausgehöhlt war und die Exostose mit einer Wulst umgab. Aeusserlich war die Geschwulst von der dura mater bekleidet, die hier, wie gesagt, fest anheftete. Die Gehirngyri der Stelle des Hirnes, in welcher die Geschwulst eingebettet lag, waren atrophisch, verdünnt, aber nur hie und da etwas weicher, jedoch nicht bis zum Grade einer wahren Erweichung. Bei Eröff- nung der Hirnventrikel zeigten sich dieselben sehr erweitert, eine beträchtliche Menge klaren Wassers enthaltend, die Commissuren und Tegmente der Ventrikel zähe, wie man es beim hy- drocephal.-chron. zu finden pflegt. In der Brust fanden sich die Lungen nach vorn stark aufgeblasen, emphysematös, nach hinten stark blutig serös infilterirt, übrigens gesund. Herz klein, im Herzbeutel wenig Flüssigkeit. Der linke Ventrikel liess sich sehr derb, der rechte dagegen schlaff anfühlen, der linke war im Zustande concentrischer Hypertrophie. Im Abdo- men fand sich die Leber flach, ihr rechter Lappen sehr tief nach unten reichend, der Magen hatte eine mehr senkrechte Lage, das colon transv. machte eine Flexur nach unten zum Becken. Der Uterus in der Leibeshöhle, aber seine Bänder sehr schlaff und deren Venen un- gemein varicös. Die vordere Scheidewand sehr erschlafft, so dass man die Blase mit ihr zur Scham herausdrängen konnte. Die übrigen Organe gesund. Die Geschwulst verhielt sich bei genauer mikroskopischer Untersuchung ihrer histologischen Anordnung nach vollständig als Fi- broid. Veranlassende Momente waren nicht zu ermitteln, kein Fall, Stoss, keine Syphi- lis etc. Doch soll sie getrunken haben. 217 Dritte Sitzung. Donnerstag den 21. September. Präsident: Ober-Medieinalrath Bergmann. Secretär: Dr. Erlenmeyer. Heır Kreisphysieus Dr. Ernsts aus Düsseldorf leitet eine Debatte über die diagnostische und prognostische Bedeutung der Haare mit folgenden Worten ein: Unter 200 Kranken, welche mir in den letzten Jahren zur Beobachtung gekommen sind in den verschiedenen Anstalten Düsseldorfs, habe ich öfter die Beobachtung gemacht, dass bei schwereren Irrseinsformen die Ernährung der Haare gestört wird, dass diese Störung bei zu- nehmendem Blödsinn sich steigert, dass am Ende das Haar sich spaltet, trocken und wollig wird und meistens ganz ausfällt; dass dagegen bei beginnender Reconyalescenz das bisher trockene Haar sich wieder feuchtet und eine ganz andere Ernährung annimmt. Hr. Dr. Erlenmeyer machte zuerst auf die Beobachtung Luschka’s aufmerksam, der gefunden, dass die Störung in der Ernährung der Haare mit einer Congestion nach dem Haar- boden und den darunter liegenden Gebilden verbunden sei und dass einmal das Ausfällen der Haare bedingt sei durch massenhafte Ausschwitzung von Blastem in den Haarbalg, welches ge- wissermassen das Haar wegschwemme, und dann durch Verwachsung der dura mater mit der Schädeldecke, wie er diess bei der Section Kahlköpfiger fast constant angetroffen habe. Er glaubt, dass auf diese Weise die Mittheilung des Collegen Ernsts, die er übrigens in diesem Umfange nicht bestätigen könne, am leichtesten erklärt werde. Es sei ihm nur ein Erwachse- ner vorgekommen, dem bei jedem Tobsuchts-Anfalle auf einer beschränkten Stelle des Hinter- haupts die Haare ausfielen, und ein Idiot von 10 Jahren, der bei seinem Eintritt in die Anstalt an Krämpfen litt, deren Anfälle ihm jedesmal das Hinterhaupt aller Haare beraubten. Hr. Ober-Medicinalräth Bergmann leitet die Erscheinung, die er übrigens auch nicht in dem jUmfange beobachtet habe, von der Störung des Trigeminus ab. Im Blödsinn sei der ganze sensible Mensch gestört. Hr. Geh. Medicinalrath Damerow aus Halle hat bestimmte Formen von Manie beobach- tet, wo die Kranken an bestimmten Stellen die Haare ausraufen, offenbar weil sie dort Schmer- zen haben. Hr. Dr. Edel aus Hannover macht darauf aufmerksam, dass auch in andern Formen von Nervenleiden die Haare oft ausfallen, ohne dass man eine schlimme Prognose zu stellen und eine bestimmte anatomische Veränderung in oder unter dem Haarboden anzunehmen berechtigt sei, z. B. bei der Cephalaea hysterica. Hr. Geh. Medicinalrath Damerow hat es nicht beobachtet, dass bei unheilbaren Irren die Haare ausfallen. Es sind ihm zwei Fälle von völliger Haarlosigkeit am ganzen Körper vorge- kommen, wo zugleich alle sexuellen Fähigkeiten total erloschen waren. Hr. Dr. Ernsts theilt noch einen Fall mit, wo bei einem sehr deprimirten Melancholiker die Haare ausgefallen sind. Hr. Ober-Medicinalrath Bergmann macht auch noch darauf aufmerksam, dass in den Uebergängen der Tobsucht zur Melancholie die Haare oft in kurzer Zeit bedeutend wachsen. Nachdem noch mehrere Andere sich dahin ausgesprochen, dass sie das besprochene Phäno- men nicht beobachtet, empfiehlt Hr. Dr. Ernsts dasselbe nochmals der Aufmerksamkeit der 28 218 Versammlung und glaubt, dass man es wohl deshalb bisher nicht beobachtet, weil man es überhaupt nicht beachtet habe. Hr. Dr. Erlenmeyer reiht daran eine andere Frage: Es werde in vielen Gegenden Deutschlands das Zusammenwachsen der Augenbrauen an der Nasenwurzel für ein schlimmes die Seelengesundheit verdächtigendes Zeichen angesehen und davon eine Bezeichnung abgelei- tet, die überall als eine mit Irrsein gleichbedeutende bekannt sei. Man sage nämlich von sol- chen Leuten, sie hätten einen ‚‚Strich”. In manchen Gegenden sogar rede man noch deut- licher und nenne diese Erscheinung ohne Weiteres ein ‚‚Narrenzeichen”. Es seien dem Red- ner mehrere Irrenärzte von hohem Rufe bekannt, welche auf dieses Symptom in prognostischer Hinsicht einen Werth legten, und gestützt auf diese Autoritäten habe er bisher den Werth dieses Symptoms nicht ganz mögen fallen lassen, obgleich er sich nie davon habe überzeugen können, welchen Anhaltspunkt man aus diesen zusammengewachsenen Augenbrauen für die Unheilbarkeit einer Seelenstörung entnehmen könne. Er ersuche die Anwesenden, ihre desfall- sigen Beobachtungen und Erfahrungen mitzutheilen. Niemand von den Anwesenden konnte eine Beobachtung mittheilen, welche diese Ansich- ten bestätigten. Hierauf hielt Herr Dr. Engelken aus Rockwinkel bei Bremen einen ausführlichen Vor- trag über das Opium. In allen Fällen, wo die jedem Individuum eigne psychische Tragfähigkeit überschritten wird, wo sich in Folge dessen allerlei Störungen des Seelenlebens einstellen, und sich eine Verstimmung kund gibt, verbunden mit Präcordial-Angst und Schlaflosigkeit, da ist das Opium an seinem Platze. Der Redner hebt hervor, dass er gerade in seiner Stellung so viele Gele- genheit habe, frische Erkrankungsfälle zu beobachten (und der Secretär, dem die Verhält- nisse, unter denen der Redner thätig ist, genau bekannt sind, fügt hinzu, dass in ganz Deutschland kein Irrenarzt lebt, dem die frischen Erkrankungsfälle in solchem Umfange zur Beobachtung und Behandlung kommen, als Hrn. Dr. Hermann Engelken). Er könne deshalb auf eine grosse Erfahrung gestützt das Opium für diese Fälle empfehlen. Eine andere Reihe von Erkrankungen umfasse die Hypochondrie im Uebergange zur Melancholia hypochondriaca. Er betrachte das Opium nur als ein Palliativ-Mittel, aber durch den fortgesetzten Gebrauch werden die palliativen Erfolge zu radicalen, indem das Mittel dadurch, dass es Ruhe und Schlaf herbeiführt, auch auf das somatische Substrat einwirkt. Das Opium führe Seelenruhe herbei und wirke dadurch indirect auf die Ernährung. Hr. Medicinalrath Beneke aus Oldenburg schliesst sich der Ansicht des Hrn. Dr. Engel- ken an, dass das Opium durch die Psyche auf die vegetative Sphäre wirke. Es gebe im ganzen Arzneischatz kein Mittel, welches so kräftig den Stoffwechsel belebe als die psychische Einwirkung. Er habe dies bei seinen gemachten Versuchen am eignen Körper vielfach erfah- ren und könne diese Behauptung mit Zahlen belegen. Früher sei er bei der Behandlung sei- ner Kranken mehr materiell zu Werke gegangen und habe auf die psychische Einwirkung Nichts gegeben, aber später vielfach Gelegenheit gehabt, ‘anderer Ansicht zu werden und die Ueberzeugung gewonnen, dass die psychische Einwirkung unendlich viel leistet. Hr. Dr. Engelken bemerkt noch zusätzlich zu seinem ersten Vortrage, dass ihm als An- haltspunkt für die Anwendung des Opium in Seelenstörungen auch der Urin gelte. Bei fri- schen Erkrankungsfällen sei dieser meistens wasserhell wie bei Krampf, was er auch wirklich 219 von einem solchen ableite, da so viele Erscheinungen dafür sprechen, dass bei beginnender Seelenstörung vor der Localisation auf das Gehirn ein krampfhafter Zustand obwalte. Der Präsident stellte an den Redner die Frage, ob er in solchen Fällen auch andere Mit- tel wohl versucht, um einen Vergleich mit dem Opium anzustellen, oder ob er bloss dieses angewendet, worauf Hr. Dr. Engelken erwiedert, dass er mancherlei Mittel versucht, dass ihm aber keines mit dem Opium Gleiches geleistet habe. Hr. Dr. Erlenmeyer bemerkt, dass er der Indication, welche Hr. Dr. Engelken auf- gestellt, noch eine hinzufügen möchte, nämlich die Melancholia attonita, bei der er in letzter Zeit, wo sie ihm besonders bei jungen Mädchen so sehr häufig vorgekommen, viele schöne Erfolge vom Opium gesehen habe. Er habe rasch hinter einander in verhältnissmässig kurzer Zeit mehrere Mädchen geheilt, bei denen die Melancholia attonita einen sehr hohen Grad er- reicht hatte, aber bedeutende Veränderungen innerer Organe nicht vorhanden waren. Hr. Geh. Medicinalrath Damerow bestätigt das häufige Vorkommen der Melancholia at- tonita, die er auch in seiner Anstalt bei jungen Mädchen in letzter Zeit sehr oft beobachtet habe, und sucht den Grund dieser Erscheinung in der Aufregung der letzten Jahre, auf wel- che eine bedeutende Abspannung folgen müsse. Schliesslich bemerkt Hr. Dr. Engelken noch, dass das Opium auch in der Mania puer- peralis ein ganz ausgezeichnetes Mitte] sei und dass seine Darreichung selbst in grösseren Do- sen auch dem Säugling nicht nachtheilig werde. In solchen Fällen, wo man nach der Erfah- rung bei früheren Wochenbetten an die Wiederkehr des Seelenleidens denken müsse, lasse er schon lange Zeit vor der Geburt das Opium in grössern Dosen reichen und sei sehr oft so glücklich gewesen, den Ausbruch des Seelenleidens zu verhüten. Vierte Sitzung. Freitag den 22. September. Präsident: Ober-Medicinalrath Bergmann. Secretär: Dr. Erlenmeyer. Herr Professor Albers aus Bonn hielt zuerst einen Vortrag über die Einwirkung der bei- den Alkaloide Coniin und Nicotianin auf die Gefässe des Gehirns, dem er nachher noch einige Bemerkungen über den Pulsus recurrens bei Gehirnleiden hinzufügt. Da die bisherigen Untersuchungsweisen des Gehirns bis jetzt zu erheblichen Erfolgen nicht geführt haben, so habe er einen andern Weg betreten und namentlich den Zustand der feine- ren Gefässe des Gehirns berücksichtigt. Zu dem Ende habe er die narkotische Fütterung vor- genommen, d. h. er habe einzelne Thiere längere Zeit mit narkotischen Alkaloiden gefüttert. Die Thiere, an welchen er seine Versuche gemacht, seien das Kaninchen und der Hund; die Alkaloide, womit er bisher die sichersten Erfolge erzielt habe, das Coniin und das Nicotianin. Er habe das Gehirn dieser Thiere nachher in dünne Plättchen geschnitten und mit canadi- schem Balsam bis zum Trockenwerden bestrichen, wie diess Schröder van der Kolk ange- geben habe, und dann mikroskopisch untersucht. — Das Ooniin bringt sowohl bei Hunden als bei Kaninchen eine Erweiterung und Ueberfüllung der Gefässe in der weissen Gehirnsubstanz hervor und hat ausserdem noch den Einfluss, dass es das Blut in eine schwarze theerartige Masse verwandelt, wie man dasselbe in Choleraleichen findet. Das Nicotianin sei eins der schrecklichsten Gifte, es bringe eine totale Lähmung hervor. Die Erscheinungen im Gehirn 28 ° 220 seien gerade die entgegengesetzten wie beim Coniin, indem die Gefässe der grauen Substanz durch dasselbe erweitert und überfüllt werden, während in den Gefässen des übrigen Körpers eine völlige Blutleere eintritt. Anschliessend hieran macht der Redner noch darauf aufmerk- sam, dass er auch mit dem Opium in ähnlicher Weise Versuche gemacht habe, er habe aber bei Kaninchen das Resultat erhalten, dass dieselben eine selbst durch drei Monate fortgesetzte Opiumfütterung in grösseren Dosen ohne allen Nachtheil ertrugen. Die einzige Veränderung, welche er in dem Gehirn solcher Thiere wahrgenommen, sei die stärkere Fettbildung in der grauen Substanz, wie man diese nach dem längeren Alkoholgebrauch beobachtet habe. Ueber den Pulsus recurrens bemerkte der Redner, dass zuerst Recamier darauf auf- merksam gemacht habe, wie der Puls bei manchen Gehirnleiden ein ganz eigenthümliches Verhalten zeige. Wenn man nämlich drei Finger auf die Arterie lege und mit dem mittleren einen stärkeren Druck ausübe, so sei man doch im Stande, mit beiden Fingern den Puls zu fühlen. Recamier sei der Ansicht, dass ein solcher pulsus recurrens oder renitens auf gestörtem Kreislaufe in den Gehirngefässen beruhe, und lasse deshalb in solchen Zuständen zur Ader. Der Redner bemerkt, dass er einen pulsus recurrens auch bei Irren an der Carotis öfter beobachtet habe, den er als ein Zeichen der Blutstase, namentlich auch der chronischen Meningitis und Encephalitis ansehe. Hierauf eröffnete Hr. Dr. Lewin aus Berlin eine Discussion, die er in folgender Weise einleitete: Er wolle keinen eigentlichen Vortrag über das grosse Feld zweifelhafter Seelenzustände halten, sondern vielmehr zu einer Discussion über diese Zustände auffordern, und zwar in ih- rer Beziehung zur forensischen Zurechnungsfähigkeit. Es sei ja zu bekannt, dass die Acten über diesen Punkt noch nicht geschlossen, und aus den Annalen der gerichtlichen Mediein könne man ersehen, wie gerade diese Zustände zu den verschiedenartigsten Gutachten und Superarbitrien im Preuss. Staate Veranlassung geben. Am meisten aber habe ihn gewundert, dass er in einem neueren Werke, das mehrere Auflagen erlebt und in Vieler Hände ist, näm- lich in Friedreich’s gerichtlicher Psychologie und in dessen anderen Werken einen Stand- punkt wiederfände, den Henke früher eingenommen und den er, der Redner, zum Heile der Wissenschaft schon für überwunden gehalten. Er wolle, um die Sache näher zu bezeichnen, nur die Ansicht Friedreich’s über die Gelüste der Schwangeren berühren. Schon früher ist darüber viel geschrieben und man kann 3 Ansichten darüber nachweisen. Einige sprechen den Schwangeren volle Zurechnungsfähigkeit, andere Unzurechnungsfähigkeit zu. In der neue- ren Zeit suche man vernünftigerweise der ganzen abstracten Frage aus dem Wege zu gehen und wolle nur den speciellen Fall mit seinen Anhaltspunkten zur Beurtheilung der ganzen Gemüths- und Geisteszustände des bezüglichen Individuums berücksichtigen. Da tritt auf ein- mal, wie schon angedeutet, Friedreich wieder auf und spricht im Allgemeinen für die Unzu- rechnungsfähigkeit solcher Schwangeren, welche ihre anomalen Gelüste mit Verletzung des Strafgesetzes befriedigen. Diese Ansichten können wieder gefährlich werden und deshalb trete der Redner dagegen auf. Friedreich stützt sich auf Henke’s Ansicht, ja wiederholt diese wörtlich, ohne dies offen zu gestehen. Der unregelmässige krankhafte, psychische Zustand der Schwangeren könne so alterirend auf das Begehrungsvermögen einwirken, dass diese unwill- kürlich also willenlos zu strafbaren Handlungen hingetrieben würden. Diese Ansicht Henke’s unterstützt Friedreich durch die Behauptung, dass in der Gravidität das somatische Begeh- 221 ren den höchsten Punkt erreicht habe, so dass das psychische Begehren mit in Anspruch ge- nommen werde und letzteres gleichfalls excessiv wuchere und sich in den seltsamsten Begier- den ausspreche. Diese Triebe können so heftig sein, dass die Willensfreiheit beherrscht würde, Diese Ansicht hält der Redner für geistreich, doch für oberflächlich, falsch und gefährlich. Er gibt die sogenannten körperlichen Gelüste zu, deren von Hoffbauer angenommenen Namen „‚Sanitätsinstinct”” er übrigens wohl als sehr selten richtig findet, verneint aber, dass die Befrie- digung derselben den Schwangeren erlaubt sei. Er glaubt mit Jarke, dass die Schwangeren nicht dafür strafbar, dass sie Gelüste hätten, doch dafür, dass sie dieselben durch strafbare Handlungen befriedigten. Nur dann seien diese unzurechnungsfähig, wenn die pica nicht blos pica, sondern Symptom einer Geisteskrankheit d. h. einer wirklich festgewurzelten Idee sei, die den Geist verwirrt habe. Der Redner erinnert an die wenigen aber wirklich komischen Beispiele, womit Henke und Friedreich ihre Ansichten vertheidigten, er erinnert an Osian- der, der diese Gelüste mit den Diebsgelüsten der Elstern zusammenhält, die nach seiner An- sicht durch ein inneres ihnen eigenthümliches Etwas magnetisch zu den Metallen hingezogen würden. Von Bedeutung sei es auch, dass die Franzosen und Engländer keine solche Diebs- gelüste der Schwangeren beobachtet haben, sondern sie leichtgläubig den Deutschen nacherzäh- len. So wäre es vorzüglich bei Esquirol, der neben den schon erwähnten nacherzählten Bei- spielen, eine sehr wenig stichhaltige Beobachtung anführte. Der Redner fordert in dieser Be- ziehung zur Discussion auf, und bemerkt noch unter Mittheilung eines speciellen unlängst in Berlin verhandelten Falles, dass er die Läuterung seiner Ansichten den Erfahrungen des be- kannten Geh.-Raths Casper in Berlin verdanke. Aus der daran gereihten längeren Discussion, in welcher unter Andern Herr Geh. Rath Damerow sich dahin aussprach, dass am Ende, wenn wir die Pica gravidarum als Grund der Unzurechnungsfähigkeit betrachten wollten, jedes hysterische Frauenzimmer unzurechnungsfähig sei — ergab sich als Resultat: ‚dass die Pica gravidarum nicht als Grund der Unzu- rechnungsfähigkeit vor dem Gesetze angesehen werden dürfe.” Herr Sanitätsrath Droste aus Osnabrück brachte die Rede noch einmal auf die Halluci- nationen: Die subjectiven Sinnestäuschungen werden verschieden erklärt. Ideler führt sie auf Lei- denschaft zurück, unser verehrter Präsident Bergmann legt ihnen eine Reizung in den Wur- zeln der Sinnesnerven unter u. s. w.; zu den letzteren Ansichten möchten zwei von mir ge- machte Beobachtungen gehören, die über die somatische Begründung ihrer Substanz keinen Zweifel lassen. Die eine betraf eine an Arthritis leidende, geistig aufgeweckte adelige Dame, deren Gichtanfälle mit Gesichts- und Gehörs-Hallucinationen alternirten, die andere einen kräf- tigen Mann in den mittleren Jahren, der einige Tage über ziehende Schmerzen in den Schul- terblättern und Oberarmen geklagt hatte. Auf das Eiligste und Dringendste zu ihm beschie- den, kam mir seine von Seelenschmerz auf das äusserste herabgedrückte und fast von Ver- zweiflung ergriffene Frau mit dem Bemerken entgegen, dass ihr Mann verrückt geworden sei. Seit einigen Stunden erwähne er, sagte sie mir unter heftigem Weinen, seiner Schmerzen nicht mehr, spreche aber in Einem fort tolles, abgeschmacktes, wahnsinniges Zeug. Er erwi- derte meinen Gruss, nannte mich bei Namen und sah ganz freundlich aus. Ueber seine Frau führte er bittere Klagen. Bis dahin, sprach er, hätten sie beide in aller Liebe ganz überein- stimmend mit einander gelebt, jetzt fände er in Bezug auf seine Wahrnehmungen den grössten 222 Unglauben und den hartnäckigsten Widerspruch bei seiner Ehehälfte. Er sah und hörte die verschiedensten Leute, ohne dass sie anwesend waren, conversirte mit ihnen und recensirte ge- gen mich auf eine komische Weise die Aeusserungen und Reden eines viel in bons mots le- benden, ihm sehr befreundeten Mannes. Ich rieth, nachdem ich mich von dem Stande der Dinge unterrichtet hatte, die sofortige Application eines handgrossen Span. Fliegen-Pflasters in den Nacken an und verkündete mit Bestimmtheit das Aufhören der regelwidrigen geistigen Manifestationen nach dessen vollkommener blasenziehender Wirkung. Innere Arzneien sollten für dies Mal nicht gebraucht werden. Nach dem so ziemlich allgemein verbreiteten nachtheili- gen Vorurtheile in unserer Gegend nehmen Blutentziehungen unter den Mitteln gegen Geistes- Abnormitäten den ersten Platz ein. Ich hatte viel dagegen anzukämpfen. Die Frau konnte sich, aller Ueberredung ungeachtet, nur mit grosser Mühe darin finden, dass nichts weiter als ein Blasenpflaster angewendet werden sollte. Sie that es jedoch. Das Span. Fliegen-Pflaster wurde um 10 Uhr Morgens gelegt und ein festanliegendes Kreuztuch darauf angebracht. Um 6 Uhr gegen Abend hatte es überreichlich gezogen und eine grosse Blase mit vielem Serum hervorgebracht. Die Sinnestäuschungen waren darauf spurlos und andauernd mit den rheuma- tischen Schmerzen verschwunden. Der so Genesene trieb nun seine Scherze über sie. Nach einer längeren hierauf erfolgenden Discussion sprach sich die Versammlung dahin aus, dass den Hallucinationen aller Sinne eine Störung der somatischen Substanz zu Grunde liege. Hr. Dr. Erlenmeyer veranlasste noch eine Discussion über die weitere Frage, ob im Allgemeinen die Hallueinationen des Gehörs, die mit deutlichem Stimmenhören verbunden seien, eine üblere Prognose begründeten als diejenigen, wo die Kranken behaupten, es würden ihnen die Gedanken gemacht, von aussen auf irgend eine Weise (elektrische Telegraphie u. dgl.) eingeführt; worauf die anwesenden Irrenärzte (die Herren Albers, Bergmann, Dame- row u. A.) einstimmig die Antwort ertheilten, dass die ersten die gefährlicheren seien. Alsdann hielt Herr Dr. Erlenmeyer einen kurzen Vortrag über ‚‚die Bestimmung des specifischen Gewichts des Gehirns”. Bei der Unzulänglichkeit unserer Mittel und Methoden, in dem Gehirne vieler Seelenge- störter diejenige anatomische Störung nachzuweisen, welche bindend und hemmend den Aeusse- rungen des Seelenlebens entgegentritt, hat man schon lange die Bestimmung des absoluten und specifischen Gehirn-Gewichts als Anhaltspunkte auch mit herangezogen. Was die erstere an- belangt, so ist in vielen Anstalten in grösserem Massstabe gearbeitet und das Resultat erzielt worden, dass das Gehirn, ohne dass in seinem äusseren Verhalten und seinem Volumen beson- dere Abweichungen zu bemerken waren, bedeutende Schwankungen in seinem Gewichte, so- wohl nach der einen als nach der anderen Seite hin darbieten kann. So habe ich selbst bei den Studien über die Gehirnatrophie öfter gefunden, dass Gehirne, welche in ganz normalem Verhältniss zur Schädelhöhle standen, die man nach dem äussern Ansehen für durchaus nor- mal halten musste, sich durch eiu sehr geringes Gewicht auszeichneten, wo sich denn auch bei näherer Nachforschung ergab, dass durch übermässige Fettanhäufungen die eigentlichen Gehirn-Elemente verdrängt waren. Die Bestimmung des absoluten Gewichts halte ich für ei- nen sehr wichtigen, leicht zu erlangenden Anhaltspunkt bei der pathologisch-anatomischen Dia- gnose der Gehirnkrankheiten. Anders verhält es sich bis jetzt mit der Bestimmung des speci- fischen Gewichts. Man hat nie darüber grössere Erfahrungen gelesen, ‘weil es uns eigentlich 223 an einer bequemen und richtigen Methode gefehlt hat. Wir waren daher sehr erfreut, durch einen Engländer (Bucknill) Kenntniss von einem Verfahren zu erhalten, das derselbe als ein leicht ausführbares und zu sichern Resultaten führendes in der ‚‚Lancet”” vom December vori- gen Jahres darstellt. Dasselbe beruht auf dem physikalischen Gesetze, dass ein jeder Körper, welcher in der Mitte einer Flüssigkeit schwebt, ohne zu steigen oder zu sinken, mit dieser Flüssigkeit gleiches specifisches Gewicht hat, dass wir also nur mit dem Aräometer das speci- fische Gewicht einer solchen Flüssigkeit zu bestimmen brauchen. Das Verfahren, dessen ich mich nach der Angabe Bucknill’s bedient habe, ist folgendes: Ich habe Solutio sulphatis Na- tri oder Magnesiae von 1050 Dichtigkeit vorräthig. Mit derselben wird nun ein Cylinderglas halb gefüllt,und dann ein Stückchen von dem zu untersuchenden Gehirn hinein gethan. Das- selbe schwimmt sicher oben auf, da es wohl schwerlich ein Gehirn geben wird, dessen specifi- sches Gewicht 1050 übersteigt. Hierauf wird nun so viel Ag. fontana zugegossen, bis das Gehirmstückchen in der Mitte schwimmt und sich nicht mehr von der Stelle bewegt. Mit dem Aräometer wird dann das specifische Gewicht dieser so erhaltenen Mischung bestimmt. — Diess Verfahren hört und liest sich sehr gnt, hat aber bei der Ausführung sehr viel Uebel- stände, so grosse, dass wir demselben keinen höheren Werth beilegen können als allen bisher üblichen Methoden. Diese Uebelstände bestehen darin, dass für ein und dasselbe Gehirnstück nach einander ein ganz verschiedenes specifisches Gewicht ermittelt wird, und beruhen nach meiner Ansicht darauf, dass das Gehirn sehr rasch Wasser resorbirt und dadurch fortwährend in seinem absoluten und specifischen Gewichte schwankt. Ich habe mich durch eigene Ver- suche überzeugt, dass die Methode, wie ich sie nach Bucknill’s Angabe ausgeführt, ebenso- wenig Werth hat als die früher benutzten, und ersuche daher die geehrten Mitglieder um ih- ren Rath, ob vielleicht diese Methode doch einer Vervollkommnung fähig und durch Vermei- dung einzelner Fehlerquellen zu einer bestimmten Sicherheit gebracht werden könne, oder um Angabe irgend einer andern Methode, nach der es möglich ist, das specifische Gewicht des Ge- hirns sicher zu bestimmen. Hr. Physicus W. Grimm aus Thedinghausen bemerkte hierauf, dass ihm das bei andern festen Körpern gebräuchliche Verfahren, dieselben im Wasser zu wägen, auch für das Ge- hirn am angemessensten erscheine. Hr. Prof. Albers hingegen hob hervor, dass das Gehirn zu viel Flüssigkeit absorbire, um auf diese Weise gewogen zu werden. Er habe in früheren Jahren schon Versuche ange- stellt, das Gehirn in Terpenthinöl zu wägen, doch haben dieselben aus demselben Grunde zu keinem Resultate geführt. Schliesslich legte Herr Ober-Medinalrath -Bergmann noch einige Zeichnungen aus der Anatomie des Gehirns vor. Fünfte Sitzung. Sonnabend den 23. September’). Herr Dr. Saake aus Hannover sprach ‚‚über die Diagnose der Seelenleiden”. *) Aus Mangel weiteren Anhalts den Angaben des Tageblattes entnommen. Nachtrag zu S. 51. Das Protocoll zu dem Vortrag des Hrn. Dr. Wicke über ‚Anwendung der Chemie auf die systematische Botanik” in der fünften Sitzung der zweiten Section ist durch ein Versehen auf S. 51 ausgefallen und wird dasselbe deshalb hier nachgetragen : Die Benutzung chemischer Thatsachen für die Botanik ist nur möglich, wenn man das natürliche System zu Grunde legt. Das künstliche System entwirft seine Classen und Ord- nungen nach Zahl, Stellung, Anordnung der Staubgefässe — Merkmale, welche für den Che- mismus der Pflanzen von untergeordneter Bedeutung sind. Daran betheiligen sich alle Organe, insbesondere auch die Blätter, und es ist ja der Gesammthabitus, die ganze äussere Erschei- nung der Pflanzen, worauf das natürliche System gegründet ist. Der Chemiker stellt sich die Aufgabe, nachzuweisen, dass eine bestimmte Gruppe von Pflanzen, eine natürliche Familie auch durch eine besondere chemische Thätigkeit im Innern der Zellen charakterisirt ist. Durch dieselbe entstehen eigenthümliche Stoffe, welche er abzuschei- den sucht. Was dem Botaniker seine Familiencharaktere, das sind dem Chemiker gewisse eigenthümliche Stoffe, die er als Charakter- oder Familienstoffe hinstellt. Von sehr vielen Charakterstoffen ist bereits nachgewiesen, dass sie ein werthvolles Mate- rial für das Wachsthum und die Ernährung der Pflanzen sein müssen: das Saliein, Amygda- lin, Saponin z. B., welche unter dem Einflusse chemischer Agentien neben andern Producten Zucker, Gummi oder andere isomere Kohlenhydrate liefern. Aus ihnen lässt sich also das Material abscheiden, woraus die Zellen sich bilden und die Pflanze ihren Organismus aufbaut. Diese Stoffe finden sich alsdann nicht bloss in der lebenden Pflanze vor, sondern sind als das Baumaterial für die junge Pflanze auch in den Keimen und Knospen niedergelegt. Aus dieser Beobachtung folgt dann, dass der für den Botaniker als Charakterstoff einer gewissen Familie wichtige Körper, zugleich von dem Pflanzenphysiologen volle Berücksichtigung verdient. Wir sehen daraus eine engere Verknüpfung der Botanik und der Pflanzenphysiologie mit Hülfe der Chemie hervorgehen. Bisher haben sich nur wenige Chemiker ernstlich um die Botanik bemüht. Das Bestreben war sehr oft nur darauf gerichtet ein neues Material für weitere Untersuchungen aus den Pflan- zen abzuscheiden. Die Pflanze war nicht Zweck, sondern Mittel. Hatte man einen eigen- thümlichen Stoff gefunden, so wurde nach der Bedeutung desselben für das Leben der Pflanze nicht weiter gefragt. Eine andere Richtung ist in neuerer Zeit von Rochleder, Schwarz, Hlasiwetz, Ka- walier angebahnt worden, indem:sie bei ihren Untersuchungen sich von dem natürlichen Sy- stem leiten lassen und für die tiefere Begründung desselben thätig sind (Rochleder’s Unter- suchung der Ericeen). Nur auf diese Weise ist es möglich, die Charakterstoffe der Pflanzen kennen zu lernen. Ich habe in demselben Sinne eine Untersuchung der Amygdaleen und Spiraeen (Unterfami- lien der Rosaceen) vorgenommen und bin dabei zu folgenden Resultaten gelangt. 225 Bei fast allen Amygdaleen findet sich der, den bittern Mandeln eigenthümliche Stoff: das Amygdalin. Nicht bloss in der Rinde und den Knospen, sondern auch noch in den jungen Trieben. Späterhin kann es fast ganz verschwunden sein; wird dann aber, im weiteren Ver- laufe der Vegetation wiedererzeugt, als Nahrungsstoff aufgespeichert. Die Spiraeen fand ich ausgezeichnet durch einen andern eigenthümlicheu Stoff, das Salıcin. Zunächst ergab sich, dass alle krautartigen Spiräen bei der Destillation spirige Säure geben, die aber, wie später Buchner nachgewiesen hat, ein Zersetzungsproduct des Salicins ist. Es enthalten demnach Salicin folgende Species der krautartigen Spiräen: Spiraea Ulmaria, Sp. fili- pendula, Sp. digitata, Sp. lobata. Eine Untersuchung zweier staudenartigen Spiraeen: Spiraea sorbifolia und Sp. Aruncus ergab, dass diese nicht Salicin, sondern Amygdalin produeiren und demnach unter den Spiraeen den Chemismus der Amygdaleen vertreten. Sie geben sich dadurch als wahre Uebergangsglie- der zu erkennen. Bei Vergleichung der Form der Blätter und Berücksichtigung der grossen Aehnlichkeit des Amygdalin’s und Salicin’s in ihrem chemischen Verhalten bin ich darauf geführt worden hier das Gesetz der isomorphen Vertretung in Anwendung zu bringen. Was die botanischen Verhältnisse betrifft, so finden wir bei Spiraea sorbifolia das Blatt von Sorbus aucuparia — einer Amygdalee — unverändert wieder. Es ist das fidertheilige Blatt, das bei Sp. Aruncus in seiner weiteren Ausführung als fidertheilig zusammengesetztes Blatt erscheint. Bei den krautartigen Spiräen finden wir das fidertheilige Blatt dahin modifieirt, dass es sich bei Sp. filipendula als ein fidertheilig zerschlitztes, bei Sp. Ulmaria als ein fidertheilig gelapptes Blatt darstellt. Bei Sp. lobata und digitata sind mit Verlust der Mittelrippe alle Fi- dern auf einen Punkt zusammengedrängt. Die chemischen Analogien zwischen Salicin und Amygdalin sind folgende: Beide werden durch Emulsin (Mandeleiweiss) zersetzt. Das Saliein zerfällt in Zucker und Saligenin; das Amygdalin in Zucker, Bittermandelöl und Blausäure. Das Saligenin, erwärmt mit verdünnten Säuren, verliert 2 Atome Wasser und verwandelt sich dadurch in Saliretin. Saliretin aber und Bittermandelöl sind isomere Körper. Das Saliretin geht durch oxydirende Mittel in spirige Säure über, das Bittermandelöl in Benzoesäure. Benzoesäure aber und spirige Säure sind ebenfalls isomer. Das analoge chemische Verhalten der beiden genannten Stoffe berechtigt zu dem Schlusse, dass sie eine ähnliche physiologische Wirksamkeit haben werden und dass dadurch die Aehn- lichkeit in der Form der Blätter bedingt werde. Der Isomorphismus stellt sich demnach in diesem Falle so, dass wir, wie es die organische Natur auch verlangt für die Vertretung des einen Körpers durch den andern den gleichen physiologischen Effect, für die gleiche Krystall- form die Aehnlichkeit der Blattform setzen müssen. Was die spirige Säure betrifft, so habe ich dieselbe noch in einer Synantheree, der Crepis foetida gefunden. Das von der Pflanze erhaltene Destillat erscheint ganz trübe von ausgeschie- denen Oeltropfen, die sich durch die violette Färbung mit Eisenchlorid, durch die gelbe mit Kali und Ammoniak als spirige Säure zu erkennen geben. Ein solches isolirtes Auftreten in einer einzelnen Species einer ganz anderen Familie ist auch von anderen Charakterstoffen be- kannt. Es scheint dies den chemischen Unterschied zwischen den einzelnen Familien aufzuhe- ben, wenn es nicht dazu dient, Familien, die bis jetzt unnatürlich weit von einander gerückt 29 226 sind, einander näher zu bringen. Die Chemie kann auf diese Weise dazu beitragen, das na- türliche System organisch zu gliedern und es als ein lückenloses, gerundetes Ganze erscheinen zu lassen. Von gleichzeitigen bei Gelegenheit der hiesigen Versammlung deutscher Naturforscher und Aerzte hier stattgefundenen Sitzungen anderer wissenschaftlicher Vereine ist noch Folgendes zu berichten: 1. Die deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und gerichtliche Psychologie hielt unmittelbar nach oder vor den Sitzungen der psychiatrischen Section in gleichem Locale drei Sitzungen: in der ersten Sitzung am 19. September wurden die Statuten behandelt und definitiv fest- gestellt, sowie mehrere neue Mitglieder zur Aufnahme vorgeschlagen; in der zweiten Sitzung wurde die Wahl sämmtlicher Beamten vorgenommen und die bis- herigen in ihrem Amte bestätigt. Die Wahl eines Ausschusses, die Aufnahme vor- geschlagener Mitglieder, sowie sonstige Angelegenheiten der Gesellschaft füllten die übrige Zeit; in der dritten Sitzung wurden mehrere Beschlüsse gefasst, unter denen hier einer erwähnt sein mag, wonach das bisher von der Gesellschaft herausgegebene Correspondenz- blatt nicht bloss die Seelenleiden, sondern das ganze Gebiet der Gehirn- und Nervenkrankheiten als Specialität von nun an umfassen soll. 2. Der Verein für gemeinschaftliche Arbeiten zur Förderung der wissen- schaftlichen Heilkunde hielt seine Sitzung am 20. September Morgens 8 Uhr im Local der medicinischen Section. Es wurde beschlossen einen Preis von 100 Thlr. für die beste Lö- sung der folgenden Frage auszusetzen: Welchen Einfluss hat der innerliche Gebrauch verschiedener Quantitäten von gewöhnlichem Trinkwasser unter verschiedenen Verhältnissen auf den menschlichen Stoffwechsel? Eine Analyse des genossenen Wassers, die verschiedenen Temperaturen desselben, die Qualität und Quantität der gleichzeitigen Diät müssen angegeben sein. Die Arbeiten sind mit Motto und versiegelter Adresse des Verfassers, deren Couvert das gleiche Motto trägt, bis zum 1. Juli des nächsten Jahrs an den Vereins-Secretär, F. W. Beneke, Oldenburg, einzuschicken. Die Preisvertheilung selbst wird am Orte der nächstjährigen Naturforscher - Versammlung, Wien, auf Grund des von dem erwählten Schiedsgerichte zu liefernden Referates vorgenom- men werden. 3. Die kais. Leopoldinisch-Carolinische Akademie der Naturforscher hielt unter dem Vorsitz ihres Adjuncten Prof. Alex. Braun (Schriftführer: Dr. Berth. Seemann) ihre Sitzung am 23. September Morgens 7/; Uhr im Local der botanischen Section. Den 227 Hauptgegenstand der Besprechung bildete die von Seiten eines Gönners der Akademie vorge- schlagene Stiftung eines medicinischen Preises. — Hr. Dr. Erlenmeyer aus Bendorf drückte den Wunsch aus, das Präsidium möge zum Zusatz erheben, dass alljährlich bei den Versamm- lungen deutscher Naturforscher und Aerzte, und zwar an einem der ersteren Tage derselben, eine Sitzung der anwesenden Mitglieder der Akademie anberaumt werde, — und dass die An- zeige davon recht frühzeitig durch das oflicielle Organ der Akademie, die Bonplandia, erfolgen möge. Der Wunsch wird von der Versammlung anwesender Akademiker unterstützt. — Hr. Dr. H. Meding aus Paris vertheilte Exemplare seiner in französischer Sprache geschriebenen Geschichte der Leopoldina-Carolina. Worauf der Präsident die Sitzung schloss. 29* Verzeichniss der Mitglieder und Theilnehmer. (Den Namen ist ausser der laufenden Nummer der alphabetischen Ordnung noch die Ziffer der Anmeldung hinzugefügt, nach welcher sich dieselben im Tageblatt verzeichnet finden. Die Anmeldung und Inscription war erfolgt am 16. Sept. bis zur Ziffer 56, am 17. bis 178, am 18. bis 396, am 19. bis 464, am 20. bis 490, am 21. bis 498, am 22. bis 505.) Nr. ee, Namen Stand Wohnort Sectionsfach er 1 | 381 |v. Adelebsen Fr. Landrath Göttingen _ 2 | 490 |Albers H. Professor Bonn Mediein 3 | 469 |Angerstein H. Apotheker Hannover Chemie 4 | 135 Apel Th. Dr. med. Göttingen Medicin 5 | 219 Apel W. Mechanicus Göttingen Physik 6 | 372 |Arenhold A. Stud. med. Göttingen Mediein 7 | 444 (@Arrest H. L. Professor Leipzig Astronomie 8 | 439 |Aschenbach C. Stud. med. Göttingen Mediein 9 17 |Bacmeister G. F. Generalstabsarzt Göttingen Med. u. Chir. 10 | 207 |Baier A. Professor Greifswald Botanik 11 | 35% |Ballauf J. Dr. med. Nörten Mediein 12 | 151 |Barth A. Dr. phil. Leipzig Physik 13 | 104 |Bartling A. Professor Göltingen Botanik 14 | 406 |de Bary A. Privatdocent Tübingen Botanik 15 | 162 |Basse L. Chemiker Andreasberg Chemie 16 | 332 |Bastian Aug. Dr. med. Bremen Pathologie 17 31 |Baum W. Professor Göttingen Medicin 18 2% |Beckmann A. Obergerichts-Secretär |[Götlingen — 19 10 Beckmann ©. Stud. med. Göttingen Mediein 20 | 343 |Behr C. Regierungsrath Bernburg Medicin 21 | 357 |Beneche L. Optiker Berlin Bus SE 22 | 176 |Beneke F. W. Medicinalrath Oldenburg a 23 36 |Benfey Phil. Banquier Götlingen 22 24 | 319 |Benfey S. Obergerichts-Anwalt |Göttingen Geologie 25 | 115 |Benfey Th. Professor Göllingen Anthropologie 26 | 340 |Bensch A. Dr. phil. Cassel Chemie 27 | 451 |Benzler W. Landwirth Himmelgarten Botanik 23 | 349 |Bergmann G. H. Ober-Medieinalrath Hildesheim Mediein 29 | 155 Bergmann Th. Stud. pharm. Göltingen Chemie 30 | 153 |Berthold A. A. Hofrath Göttingen |Physiol. u. Zool. ante] Namen 214 |Bethe F. 187 |Beyrich E. 302 |Bialloblotzky F. 175 |Bierens de Haan 4105 |Billroth Th. 206 Bischoff Th. 142 |Blasius H. 169 |Blum C. 331 |y. Bock J. F. 90 |Boedecker C. 194 |Böttger R. 399 \Bohlker R. 29 |Bonz O. 191 |Bornemann .J. G. 491 [Brandes G. 449 |Brandt 268 |Braun Al. 413 |Bremer Fr. 459 |Brettner P. 313 |Bruel Th. 40 \Brummerstädt L. 9 |Brummerstädt W. 96 |Bruns C. 403. |Buchenau F. 266 |Bünemann G. 498 |Burghard A. 26 Busch Ed. 502 |Busch J. H. 352 \y. Buschmann A. 448 Campen C. 426 |Capellen A. 185 ıv. Carnall R. 432 |Caspary Rob. 72 Chemnitz J. L. 422 |Christiani Th. 277 \v. Clausbruch C. 249 |Clazius G. 299 Coccius A. 335 Cohen H. 483 |Collmann B. 83 |Conradi Fr. 69 Conradi J. F. W. 342 [Cornelius A. 182 |Crede ©. 242 |Credner H. 43 \Crop F. 38 'Curtiss Ch. 210 |Dagonet H. 389 |Damerow H. 4140 |Danckwerts W. 229 Bergapotheker Professor Dr. phil. Dr. pbil. Dr. med. Professor Professor Bergmedicus Capitain Professor Professor Dr. med. Stud. chem. Dr phil. Sanitätsrath Particulier Professor Gastwirth Dr. med. Postsecretär Stud. med. Stud. med. Stud. med. Dr. phil. Stud. med. Dr. med. Dr. med. Dr. med. Lieutenant k. k. Rittmeister Dr. med. Geheimer Rath Dr. Privatdocent Dr. med. Stud. jur. Obergerichtsrath Dr. med. Dr. med. Medicinalrath Major Bibl. Hülfsarbeiter Ober-Medicinalrath Administrator Privatdocent Regierungsrath Stud. pharm. Stud. chem. Oberarzt Geh. Medicinalrath Amtsrichter TE ra Er ET EEE EEE ET Nr. A Stand | Wohnort | Sectionsfach Clausthal Berlin Götlingen Deventer Berlin Giessen Braunschweig Andreasberg Gronau Göttingen Frankfurt a. M. Braunschweig Göttingen Mühlhausen Hannover Bremen Berlin Göllingen Merseburg Hannover Göllingen Göltingen Göttingen Gassel Göttingen Hannover Limburg Bremen Oldenburg Göltingen Salzufleln Berlin Berlin Jever Göltingen Göttingen Bremke Leipzig Hannover Göltingen Göttingen Göttingen Gross Almerode Berlin Gotha Göttingen Göttingen Strassburg Halle Göttingen Chemie Mineralogie Mineralogie Mathematik Chirurgie Anatomie Zoologie Mediein Chemie Physik Medıein Chemie Mineralogie Mediein Geognosie Botanik Botanik Mediein Medicin Mediein Medicin Botanik Mediein Medicin Medicin Medicin Medicin Mineralogie Botanik Mediecin Physik Mediein Mediein Mediein Medicin Naturkunde Medicin Mineralogie Pharmacie Chemie Psychiatrie Mediein Anmelde- 230 Nr. ; Namen Stand | Wohnort Sectionsfach | ziffer Rn 81 | 292 |Danzel A. F. Dr. med. Hamburg Mediein 82 | 147 |Dawosky S. Dr. med. Celle Mediein 83 | 495 |Dempwolf A. Stud. med. Göttingen Mediein 84 | 441 \Deuerlich G. Buchhändler Götlingen en 85 | 388 |Dieckhoff W. Licentiat Göttingen == 86 | 493 \Diederichs C. Apotheker Northeim Chemie 87 | 402 \Dieffenbach Professor Giessen Mineralogie 88 56 ‚Dietz Th. Stud. med. Götlingen Medicin 89 | 166 |Disse J. A. Dr. med. Brakel Mediein 90 | 450 |Dörstling R. Banquier Altenburg Chemie 91 | 131 |Domrich O. Professor Jena Physiologie 92 | 418 \Dorl D. Bataillonsarzt Gotha Mediein 93 | 362 \Droste A. Sanitätsrath Osnabrück Physiologie 94 | 446 |Drude C. Dr. med. Braunschweig Mediein 95 | 415 |Ducheck A. Dr. med. Prag Medicin 96 | 232 |Dürr Th. Medicinalrath Hannover Medicin 97 | 322 |Duncker L. Professor Göttingen a4 98 | 477 |Dunker W. Professor Marburg Mineralogie 99 | 318 |Durlach O. Eisenbahn-Inspector |Götlingen Physik 100 | 243 |Eberhardt W. Stud. phil. Göttingen Mineralogie 101 | 100 |Edel E. Dr. med. Hannover Mediein 102 | 471 |Eisenlohr Fr. Dr. phil. Heidelberg Physik 103 | 475 [Elben O. Dr. med. Stuttgart Mediein 104 | 170 |Ellissen A. Dr. phil. Göttingen Anthropologie 105 | 321 |Engelken H. Dr. med. Rockwinkel bei Bremen Medicin 106 | 347 |Erdmann C. Stud. phil. Hannover Naturkunde 107 | 330 |Erdmann E. Professor Halle Physiologie 108 | 203 |Erlenmeyer Albr. Dr. med. Bendorf Psychiatrie 109 | 458 |Erman Ad. Professor Berlin Physik 110 | 375 |Ernsts Ant. Kreisphysicus Düsseldorf Psychiatrie 111 | 358 |Esmarch Fr. Dr. med. Privatdocent |Kiel Mediein 112 19 \Esselbach E. Stud. math. Götlingen Math. u. Physik 113 | 179 |Eulenburg M. Dr. med. Berlin Med. u. Chirurgie 114 | 186 |Ewald J. Dr. phil. Berlin Mineralogie 115 58 |Fehrensen J. H. L. |0.G. Anwalt u. Quästor|Göttingen _ 116 | 377 |Fick Ad. Prosector Zürich Physiologie 117 | 374 |Fick L. Professor Marburg Anat. u. Physiol. 118 | 484 |Fincke F. Dr. med. Hannover Mediein 119 6 |Flügge C. H. Obergerichtsrath Göttingen 120 87 |Focke G. W. Dr. med. Bremen Physiologie 121 | 132 |Förster L. A. Professor Göttingen Mediein 122 | 297 \Francke W. Hofrath Göttingen _ 123 | aı1 |v. Freeden W. H. Gymnasiallehrer Jever Physik u. Math, 124 | 267 |Frickhöffer C. Dr. med. Idstein Mediein 125 92 |Friesland W. Postmeister Göttingen Landwirthschaft 126 | 204 |Fuchs C. H. Hofrath Göttingen Mediein 127 | 220 ‘Garnett H. A. Journalist Manchester _ 128 | 14 ‚Gauss C. Fr. Geh. Hofrath Göttingen Astronomie 129 | 396 |Geffers A. Director Göttingen _ 130 | 379 [Geller C. A. Amtmann Göttingen Botanik Nr. 131 132 133 134 135 136 137 138 139 140 141 142 143 144 145 146 147 148 149 150 151 152 153 154 155 156 157 158 139 160 161 162 163 164 165 166 167 168 169 170 171 112 173 174 175 176 177 178 179 180 Anmelde- ziffer 376 128 32 328 230 275 456 52 63 112 225 368 360 251 233 74 478 221 Namen Genth A. Gerber R. Gerding Th. Gerhard W. Gerlach J. Gerling C. W. Gerstacker A. F. Geuther A. Gieseler C. Gieseler R. Glässner Gleim O. Ch. v. Goeben W. Göppert H. Rob. Göschen Al. Gössmann A. Gräger N. Greiss C. B. Grimm C. Grimm W. Grimm W. Grisebach A. Gross H. Grotjahn H. Gümbel Th. Guenther W. Gurlt E. Hahn E. Hamilton Will. I. Hampe &£. Hanstein J. Harmsen E. Hartig Th. Hasenclever Hassenstein Heiland C. Heinemann M. Heinrich C. Heins G. W. Heise A. Helmes J. Hempel A. Henle J. Henneberg H. Hennici J. E. Hentze E. Herbst G. Hermann C. F. Herrmann E. Heusinger O. 231 Stand Wohnort Dr. med. Wiesbaden Dr. med. Hannover Lehrer d. Naturwiss. |Jena Legationsrath Leipzig Professor Erlangen Stud. med. Göttingen Forstmann Lauterberg Stud. d. Naturwiss. Göttingen Gartenmeisler Göttingen Privatdocent u. Arzt [Göttingen Apotheker Cassel Oberamtmann Göttingen Auditor Bovenden Professor Breslau Medicinalassessor Berlin Dr. ph. Assistent Dr. phil. Professor Landchirurg Physicus Dr. med. Professor Stud. med. Dr. med. Rector Dr. med. Geh. Medicinalrath Medieinalrath Präsid. d. geol. Ges. Apotheker Dr. phil. Stud. med. Forstrath Fabrikant Professor Stud. med. Dr. med. Lehrer Rector Amtmann Conrector Dr. med. Hofrath Dr. med. Domänenpächter Stud. phil. Professor Hofrath Professor Stud. med. Götlingen Mühlhausen Wiesbaden Grolinde Thedinghausen Wagenfeld Göttingen Götlingen Schladen Landau Danzig Berlin Hannover London Blankenburg Berlin Göttingen Braunschweig Aachen Gotha Göllingen Gross Almerode Hohenfelde Münden Göttingen Celle Göttingen Göttingen Wasserleben Harste Göttingen Göltingen Göltingen Göttingen Götlingen Sectionsfach Mediein Mediecin Chemie Geologie Anatomie Mediein Forstwissenschaft Chemie Botanik Med. u. Chirurgie Botanik Bot. u. Geologie Mediein Chemie Chemie Physik Chirurgie Psychiatrie Medicin Botanik Mediein Med. u. Chirurgie Botanik Mediecin Zoologie Mediein Geologie Botanik Botanik Medicin Botanik Chemie Chemie Mediein Mediein Physik Botanik Physik Mediein Anatomie Mediein Anthropologie Mediein Physiologie 232 Anmelde; Namen Stand Wohnort Sectionsfach ziffer ! 66 ‚Heyfelder O. Dr. Privatdocent Erlangen Chir. u. Medicin 215 Hildebrand A. Apotheker Hannover Chemie 386 |Hildebrand G. F. J. |Superintendent Götlingen ar 487 \|Hille F. Amtsrichter Bovenden ee 335 |Hille W. Lehrer Ballenhausen Physik 345 |Hilzinger G. Bauconducteur Braunschweig = 407 \Hittorf W. Professor Münster Physik 323 \Hölscher J. Dr. med. Northeim Mediecin 39 |Hofmeister Fr. Buchhändler Leipzig Botanik 433 \|Hofmeister W. Musikalienhändler Leipzig Botanik 168 |Homeyer H. Dr. med. Hannover Medicin 443 Horn P. Stud. jur. Götlingen ‚a 499 |Hüter C. Professor Marburg Mediein 494 |Hüter V. Stud. med. Marburg Mediein 114 |Huschke E. Geh. Hofrath Jena Anatomie 439 \Hyrtl J. |Professor Wien Anatomie 260 \Jahns E. Landwirth Göltingen et 253 |Jahns G. D. Landwirth Elbickerode 3 216 Jordan G. Apotheker Göttingen Chemie 145 |Jüngling F. Stud. med. Göltingen Medicin 265 |Iversen N. Dr. med. Göttingen Med. u. Chirurgie 2357 [Kalck J. H. Dr. med Saarbrücken Mediein 46 |Kasten J. Stud. med. Göttingen Mediein 444 Kaufmann G. C. H. |Hofr. u. Leibmedicus |Hannover Mediein 472 |Kelp L. Dr. Director Oldenburg Psychiatrie 130 |Kemper Rud. Apotheker Osnabrück Chemie 339 |Kerl B. Hüttenmeister Clausthal Chemie 323 |Kirschbaum C. L. Professor Wiesbaden Zoologie 108 |Kirsten A. Obergerichtsrath Göttingen —_ 344 |Kleine G. Pastor Lütbhorst Naturkunde 398 |v. Klipstein A. Professor Giessen Mineralogie 378 |Klöpper F. Amtsrichter Göttingen _ 364 v.dem Knesebeck B. |Geh. Justizrath Göttingen — 394 |Knoblauch H. Professor Halle Physik 361 |Kohlrausch R. Professor Marburg Physik 307 |Köneke F. Cand. med. Hameln Mediein 320 Köpke H. Privatmann Münden Botanik 393 |Kolbe H. Professor Marburg Chemie 367 Kolloye E. Stud. pharm. Göltingen Chemie 230 |v. Koschitzky C. Rittergutsbesitzer Gr. Wilkowitz —— 49 |Krämer A. Professor Göltingen Mediein 308 |Krause B. Dr. med. Göttingen Mediecin 449 |Krause C. F. Th. Ober-Medicinalrath Hannover Med. Anat. Physiol. 283 Krause W. Dr. med. Göttingen Mediein 129 |Kraut C. Dr. phil. Lüneburg Chemie 464 |Kraut G. Polytechniker Hannover Physik 79 ‚Kraut W. Th. Hofrath Göllingen Physik 109 |Kremers S. Dr. Privatmann Bonn Chemie 470 |Kremling H. Dr. med. Markoldendorf Medicin 134 \|Krollmann A. Dr. med. Götlingen Medicin runeldp Namen Stand Wohnort Sectionsfach 261 |Krüger F. Stud. med Göttingen Mediein 107 |Krukenberg A. Dr. med Braunschweig Anat. Physiol. Med. 44 |Künecke W. Stud. med Göttingen Mediein 425 \Kunicke C. Hofgärtner Wernigerode [Botanik 392 |Kunstein C. Dr. med Soltau |Mediein 8 |Lachmann J. Stud. med Göttingen Medicin 64 ‚Lachmann W., Professor Braunschweig Physik. Geogn. Med. 173 |Lamby A. Sanitätsrath Iburg Mediein 172 \Lamby B. Dr. med. ° Papenburg Mediein 474 |Lampe H. Landgerichts-Secretär |Delmenhorst Physik 480 |Landauer M. J. Mechanicus Cassel Physik 65 |Landgrebe G. Dr. phil Cassel Mineralogie 350 |Landolt Dr. chem Zürich Chemie 250 |Lange F. Dr. med Dorum Medicin 464 |Lange L. Professor Göttingen me 70 |Langenbeck C. W. Dr. med. Hannover Mediein 80 |Langenbeck W. Obergerichts-Physicus |Götlingen Mediein 15 |Lantzius-Beninga $S. |Dr. Assessor Göttingen Botanik 122 |Lellmann C. H. Stud. med Göttingen Mediein 421 |Lenzberg M. Dr. med Barntrup Mediein 20 |Lesenberg W. Stud. med Göttingen Mediein 209 |Leuckart R. Professor Giessen Anatomie 316 |Leunis J. Professor Hildesheim Zoologie 413 |Lewin G. Dr. med. Berlin Mediein 296 |Lichtenstein H. Geheimer Rath Berlin Zoologie 21 |Limpricht H. Dr. ph. Privatdocent Göttingen Chemie 60 |Lion J. C. Schulamts-Candidat |Gr. Schneen Physik u. Math. 22 |List K. Dr.. chem. Göttingen Chemie 41 |Listing J. B. Professor Göttingen Physik 312 |Loefer F. Stud. med. Göttingen Mediein 351 |Lohmeyer C. F. Dr. med Göttingen Mediein 366 |Lorenz W. Stud. med Göltingen Medicin 252 |Lotze H. Professor Göttingen Physiologie 243 \Ludwig C. Professor Zürich Anat. u. Physiol. 180 |Luschka Hub. Professor Tübingen Anatomie 390 |Lyncker Hofrath Pyrmont Mediein 3 ıLytzicas A. Dr. med Göttingen Mediein 120 |Mahn Ad. Medicinalassessor Göttingen Chemie 244 \v. Mandelsloh Graf Forstrath Ribbesbüttel Geognosie 95 |Mansfeld Medicinalrath Braunschweig Physiologie 462 Martin F. Professor Jena Mediein 57 [Marx C. Fr. H. Hofrath Göltingen Mediein 452 |Mathieu Landgerichtsrath Trier — 148 |Matthaei C. Dr. med. Gronau Mediein 447 |Meding H. L. Dr. med Paris Mediein 446 [Meinertshagen D. Stud. phil Göttingen Mathematik 18 |Meissner G. Dr. med. Göttingen Anat. Physiol. 452 |Menke K. Th. Geh. Hofrath Pyrmont Med. Zoologie 224 Merian P. Rathsherr Basel Geologie 504 [Merkel Dr. med Uchte Mediein 30 234 Nr Aumelle Namen Stand Wohnort 281 62 |Metz F. Math. u. Physiker Landau 282 | 454 |Meyenberg A. Dr. med. Hannover 283 | 304 |Meyer C. Obristlieutenant Göltingen 284 | 127 |Meyer J. B. Dr. phil. Hamburg 285 | 198 |Meyer J. H. C. A. Kaufmann Hamburg 286 | 110 |Meyerstein M. Inspector Göttingen 287 | 489 |Michaelis C. |Landphysicus Winsen a. d. L. 288 | 199 |Mielk W. Apotheker Hamburg 289 | 236 |Mithof T. Stud. phil. Göttingen 290 4 |Mitropulos C. P. Stud. phil. Göttingen 291 | 410 |Möbius A. F. \Professor Leipzig 292 51 [Mohl Rob. Geh. Hofrath Heidelberg 293 | 184 |Mommsen F. Dr. jur. Göttingen 294 | 68 |Mühlenpfordt F. Dr. med. Hannover 23 24 |Mühry A. Sanitätsrath Hannover 296 | 488 |Müller C. Bereiter Weimar 297 53 |Müller H. J. Pastor Hamburg 298 | 189 Müller J. B. Medicinalrath, Apoth. |Berlin 299 | 234 |Murray A. Dr. med. Göttingen 300 | 287 |Murray C. Techniker Göttingen 301 | 326 |Nauck Schuldirector Crefeld 302 59 |Neubauer C. Chemiker Wiesbaden 303 | 365 |Neynaber L. Dr. med. Jühnde 304 +5 |Nicocles N. G. Stud. philol. Göttingen 305 | 227 |Nöggerath Geh. Bergrath Bonn 306 | 160 |Oberdieck W. Dr. med. Hannover 307 | 154 |Oesterley F. Bürgermeister Göttingen 308 | 453 |v. Oeynhausen Berghauptmann Breslau 309 | 270 Oldenburg T. Apotheker Delmenhorst 310 | 295 |Ommen 0. J. Stud. pharm. Götlingen 311 | 338 |Osthaus W. Bergrath |Clausthal 312.) 278 |Pabst C. Dr. med. (Lübeck 313 | 370 |Pagel J. Professor Hildesheim 314 | 262 |Pagenstecher A. Dr. med. Wiesbaden 315 | ı25 |[Parisch E. Stud. jur. Göttingen 316 13 |Passow W. Stud. med. Göttingen 317 | 437 \Petermann A. Geograph Nordhausen 318 | 429 \Petersen H. C. Lehrer Horst (Holstein) 319 | 241 |Peterssen C. T. Stud. phil. Göttingen 320 | 226 Pfeffer W. Apotheker Grebenstein 321 | 417 |Piutti Dr. med. Badedirector Elgersburg 322 ss |Pletzer H. Dr. med. Bremen 323 | 337 |Polack M. Dr. med. Celle 324 84 |Post J. Univ. Apotheker Götlingen 325 | 126 |Poten H. Stud. jur. Göttingen 326 | 258 Prael C. Medicinalrath Hildesheim 327 | 486 |Prael O. Landbaumeister Göttingen 328 | 217 |Prael R. Apotheker Gr. Schneen 329 | 239 |Prestel M. A. F. Dr. ph. Oberlehrer |Emden 330 | 325 |Quentin G. Apotheker Detmold Sectionsfach Math. Physik Mediein Mineralogie Physik Mediein Chemie Chemie Astronomie Zoologie Medicin Mineralogie Chemie Mediein Mathematik Mineralogie Chemie Medicin Geologie Medicin Physik Geologie Chemie Chemie Mineralogie Mediein Phys. u. Chemie Mediein Mediein Geographie Physik Geologie Geologie Mediein Physiologie Medicin Pharm. Chemie Mediein Chemie Physik u. Mineralogie Pharmacie 235 ziffer I 331 | 463 \y. Quintus-Icilius G. D.ph.Lehr.a.d.polyt.Sch. Hannover Physik 332 | 116 [Reclam C. Dr. med. Privatdocent |Leipzig Physiol. Med. 333,| 356 |Reder Bauconducteur Göttingen |Physik 334 | 492 |Reder J. Wegbau-Inspector Walsrode 'Physik 335 | 329 |Reichenbach H. P. D. |Dr. med. Altona 'Mediein 336 | 423 \Reischauer F. Stud. med. Göttingen Mediein 337 | 23 Rettig F. G. Gen. Superintendent [Göttingen _ 338 | 355 Ribbentrop G. J. Geh. Justizrath Göltingen _ 339 | 353 Richard T. Dr. med. Osnabrück Mediein 440 | 505 |Riecke C. F. Dr. med. Nordhausen Medicin 441 | 291 |Ried Fr. Hofrath Jena ‚Zoologie 442 | 178 |Riehl Fr. Oberzahlmeister Cassel ‚Math. Physik. 445 | 121 Riemann G. F. B. Dr. ph. Privatdocent |Göttingen | _ 444 97 ‚Ritmüller W. Instrumentenmacher |Göltingen | _ 445 | 290 |Ritter H. Hofrath Göttingen |Physiologie 446 | 235 Ritter K. Stud. med. Göttingen |Medicin 447 | 254 Ritterich F. P. Hofrath Leipzig ‚Mediein 448 | 467 Robert Dr. med. Coblenz |Mediein 449 | 332 |Röbbelen A. H. Dr. med. Gronau Mediein 450 | 99 Römer J. Dr. ph. Privatdocent |Bonn Mineralogie 451 | 337 |Römer F. A. Bergamts-Assessor Clausthal Mineralogie 452 | 468 |Römer H. Senator Hildesheim Geologie 453 | 298 Rösing H. Dr. med. Göttingen Mediein 454 | 457 Rösing J. Stud. phil. Göttingen Anthropologie 455 81 |Rohns Ph. Maurermeister Göttingen Geognosie 456 333 |Roman Th. Dr. med. Heilbron Mediein 457 | 476 |Roser Professor Marburg Mediein 458 | 466 |Ross G. Dr. med. Altona Mediein 459 | 188 Roth J. Dr. phil. Berlin Mineralogie 460 | 404 |Rothschild Dr. med. Voehl Mediein 461 | 405 ‚Rothschild Stud. med. Voehl [Anatomie 462 33 |Rückert R. Dr. med. Göltingen Medicin 463 | 317 |Rüdiger A. Apotheker Homburg v. d.Höhe |Pharmacie 464 | 427 |Ruete C. G. T. Hofrath Leipzig Mediein 465 | 272 Ruge H. Stud. med. Göttingen Mediein 466 32 |Ruge R. Stud. med. Göttingen Mediein 467 | 106 |Ruhstrat A. Stadtphysicus Göttingen Mediein 468 54 |Rumann L. Oeconom Göttingen _ 469 | 285 Ruprecht C. Buchhändler Göttingen — 470 | 286 |Ruprecht C. J. Buchhändler Göttingen == 471 | 460 \Saacke G. Dr. med. Rinteln Anthr. Psychiatr. 412 | 444 Sack A. L. Mineralog Halle Mineralogie 473 | 327 |Samson Dr. med. Altona Mediein 474 | 205 |Sander Ph. Pastor Geismar Landwirthschaft 475 | A456 |Sartoriusv. Waltershausen Professor Göttingen Mineralogie 476 | 445 \Schaaffhausen H. Dr. Privatdocent Bonn Physiologie 477 | 165 Schaer Fr. |Badearzt ‚Bremen Medicin 478 | 143 Schäfer H. Dr. ph. Privatdocent |Jena Math. Physik 479 | 117 'Scharlau G. W. Stud. chem. Stettin ‚Mediein 480 48 \Scheven H. Stud. med. Göttingen ‚Chemie 30 * 236 Nr. Anmelde Namen Stand Wohnort Sectionsfach 381 85 Schlichthorst J. Stud. med. Göttingen Medicin 382 | 300 |Schlönbach Salinen-Inspector ‚Liebenhall Mineralogie 383 | 369 |Schlötel W. Stud. phil. Göttingen Math. Astr. 384 | 401 |Schlossberger Professor Tübingen Chemie 385 | 503 |Schlotthauber A. F. Lehrer u. Naturforscher Göttingen Naturwissenschaft 386 | 414 Schlüter J. D. Cand. jur. Göttingen Physik 387 | 311 |Schmidt C. Stud. med. Nordhausen Mediein 388 | 482 |Schmidt F. Stud. rer. nat. Marburg Chemie 389 47 Schmidt J. A. Stud. med. Göllingen Mediein 390 | 324 |Schmidt Pastor Lenglern ati 391 | 159 |Schneemann C. Medicinalrath Hannover Mediein 392 | 442 |Schneidewin F. W. Professor Götlingen = 393 | 248 |Schnepel J. Stud. jur. Göttingen Phys. Chemie 394 | 255 Schrader L. Dr. med. Göttingen Mediein 395 | 138 |Schrötter A. Professor Wien Chemie 396 | 247 \Schuchardt B. Dr. med. Privatdocent ‚Göttingen Mediein 397 | 136 |Schünemann E. Stud. med. Göltingen Medicin 398 | 163 Schuster G. Bergamts-Assessor Andreasberg Geognosie 399 | 346 |Schwabe Kaufmann Hamburg — 400 | 242 |Schwarzenberg A. Dr. med. Syke Mediein 401 | 501 Schwartz C. Oberbergrath Cassel Geologie 402 | 196 |Schweickert E. Apotheker Dingelstädt Phys. Chemie 403 419 Schweiger F. A. Professor Göttingen a 404 | 383 |Seemann B. Dr. ph. Naturforscher |London Botanik 405 208 |v. Siebold Ed. C. J. [Hofrath Göttingen Medicin 406 ı ı83 |Silkenstädt Dr. med. Bremen Med. u. Chirurgie 407 | ısı |Sonntag H. Dr. med. Rohde Mediein 408 35 |Spangenberg G. H. Dr. med, Göttingen Mediein 409 ı 161 |Sparkuhle Apotheker Andreasberg Chemie 410 | 446 |Spengler L. Hofrath Bad-Ems Medicin 411 | 193 Speyer O. Dr. phil. Cassel Mineralogie 412 | 150 |Spiegelberg O. Dr. med. Privatdocent |Göttingen Mediein 413 | 102 Spiess Al. Stud. med. Göltingen Physiologie 414 | 101 Spiess G. Ad. Dr. med. Frankfurt a. M. Physiol. Med. 415 89 |Spitta A. Dr. med. Bremen Mediein 416 | 424 |Sporleder Regierungsdirector Wernigerode Botanik 417 | 363 Sprengel G. Stud. theol. Göttingen = 418 | 473 Sprenger H. Landgerichtsassessor Delmenhorst Physik 419 | 289 Städeler G. Professor Zürich Chemie 420 | 479 Steffensen K. Professor Basel Anthropologie 421 | 497 |Stegmann F. L. Professor Marburg Mathematik 422 | 274 |Steininger C. Dr. med. Dransfeld Mediein 423 98 |Stern M. A. Professor Göttingen Mathematik 424 | 229 ‚Stiebel J. F. Geh. Hofrath Frankfurt a. M. Medicin 425 | 359 |Stiehler A. W. Regierungsrath Wernigerode Mineralogie 426 | 301 ‚Stoeber Professor Strassburg _ 427 94 ‚Stohmann F. ‘Dr. ph. Assistent London ‚Chemie 428 | 310 |Stoltz |Professor Strassburg |Physiol. Med. 429 | 496 |Strecker C. W. J. Dr. med. Dingelstädt Zoologie 430 | 336 |Strippelmann F. Ober-Berginspector |vom Meissner Naturkunde 237 Nr. Auneläe: Namen | Stand Wohnort | Sectionsfach 431 | 164 |v. Strombeck A. Cammerrath Braunschweig Geographie 432 | 303 \Stromeyer E. Dr. med. Göttingen Chemie 433 16 |Struckmann C. Stud. oecon. Göttingen re 434 | 276 |Sudendorf F. Stud. med. Göttingen Medicin 435 | 256 |Teichmann L. Stud. med. Göttingen Anat. Physiol. 436 | 430 |v. Textor C. Hofrath Würzburg Mediein 437 | 431 |Textor K. Professor Würzburg Mediein 438 | 419 |Theopold Medicinalrath Blomberg Mediein 439 27 |Thilenius G. H. Dr. med. Bad Soden Medicin 440 | 279 |Thöl H. Professor Göttingen Medicin 441 55 |Tittmann T. Dr. ph. Assessor Göttingen Anthropologie 442 93 |Toel Fr. Apotheker Bremen Chemie 443 | 420 |Tölken J. L. Dr. med. Bremen Mediein 444 | 408 |Tourtual Casp. Reg. u. Medicinalrath |Münster Anat. Med. 445 14 |Trenkle E. Stud. med. Baden Medicin 446 74 |Treviranus Professor Bonn Botanik 447 | 118 |Uhde C. W. F. Professor Braunschweig Chirurgie 448 | 341 |Ullrich Ed. Bergverwalter Hirschberg Naturkunde 449 | 157 Ulrich G. C. J. Professor Göttingen —— 450 | 137 Ulrich H. Weinhändler Göttingen Mathematik 451 | 271 |Ulrich R. Dr. med. Göttingen Ophthalmologie 452 | 315 |Unger F, W. Bibl. Secretär Göttingen —_ 453 | 177 |Upmann F. Dr. med. Physicus Birkenfeld Mediein 454 37. |Uricoechea E. Dr. phil. Göttingen Chemie 455 7 |v. Uslar L. Stud. chem. Göttingen Chemie 456 | 200 |Valentiner W. H. Physicus Kiel Mediein 457 | 124 |Varenhorst Aug. Dr. med. Göttingen Mediein 458 | 123 |Varenhorst Gust. Dr. med. Assistenzarzt /Göttingen Mediein 459 | 246 |Vogel Alf. Dr. med. Assistenzarzt[München Mediein 460 | 259 |Vogel F. Stud. med. Göttingen Anatomie 461 | 202 |Vogel Jul. Professor Giessen Mediein 462 | 440 |Vogel W. Buchhändler Göttingen — 463 | 282 [Voigt J. F. Stud. jur. Hamburg _ 464 | 171 [Wachsmuth A. Dr. med. Privatdocent [Göttingen Mediein 465 12 |Wagner Rud. Hofrath Göttingen Anat. u. Physiol. 466 | 218 [Waitz G. Professor Göttingen Geographie 467 | 273 |Walkerling F. Stud. med. Göttingen Mediein 468 91 |Wappäus J. E. Professor Göttingen Geographie 469 | 348 |v. Warnstedt A. Ministerial-Referent |Hannover Astronomie 470 | 238 |Weber Ad. Dr. med. Giessen Physiol. Med. 471 | 384 |Weber C. Auditor Göttingen _ 472 | 400 |Weber C. ©. Dr. med. Privatdocent |Bonn Med. u. Chir. 473 76 Weber E. F. Professor Leipzig Physiologie 474 75 |Weber E. H. Professor Leipzig Physiologie 475 77 \Weber Th. Dr. med. Leipzig Physiologie 476 78 |Weber Wilh. Professor Göttingen Physik 477 | 158 |Weissleder C. Dr. med. Göttingen Chirurgie 478 | 234 |Welcker H. Dr. med. Privatdocent [Giessen Anat. Physiol. 479 | 103 |Wendland H. Hofeärtner Hannover Botanik 480 | 174 |Weppen Fr. Apotheker Markoldendorf Chem. Pharm. 238 Nr. Brugg Namen | Stand 481 42 |Westfeld H. Major 482 35 |Weyman G. W. Stud. phil. 483 | 240 |Wicke W. Dr. phil. 484 | 412 |Wiebel K. Professor 485 | 269 \Wiedemeister Fr. Stud. med. 486 | 438 |Wiegand G. H. Buchhändler 487 67 |Wiese Rob. Dr. med. Privatdocent 488 | 409 |Wiggers H. A. L. Professor 489 | 391 |Wilhelmi Th. App. Gerichtsassessor 490 | 414 |Wimmer H. Stud. med. 491 | 306 |Winnecke F. A. Stud. astr. 492 | 309 |v. Wintzingerode W. L.|Graf, Stud. jur. 493 | 397 |Wittelshöfer L. Dr. med. 494 | 314 [Wittgenstein E. A. Privatmann 495 34 |Wöhler Fr. Hofrath 496 | 264 |Wolff Th. Universitätsrath 497 | 465 |Wuth H. G. Dr. med. 498 | 294 |Wychgram E. Th. Stud. med. 499 | 371 |Young A. Kaufmann 500 4 |Zachariae F. W. A. |Oberamimann 501 | 305 |Zachariae H. A. Professor 502 | 263 |Zenker F. A. Dr. med. Prosector 503 | 334 |Zimmermann G. M. |Bergmedicus 504 | 237 |Zimmermann K. G. Dr. med. 505 ! 281 |Zwanck J. H. G. Dr. med. Wohnort Göttingen Göttingen Göttingen Hamburg Göttingen Göttingen Göttingen Göttingen Leipzig Göttingen Göltingen Göttingen Wien Biefeld Göttingen Göttingen Bargteheide (Holstein) Göltingen Göttingen Göttingen Göttingen Dresden Clausthal Hamburg Hamburg Druck der Universitäts-Buchdruckerei von E. A. HUTH in Göttingen. Sectionsfach Chemie Chemie Chemie Physik Mediein Med. Chir. Geburtsh. Chemie Mediecin Astronomie Medicin Physik Chemie Mediein Medicin Medicin Mediein Miner. u. Med. Gynäkologie P r kr BT . } 6,3% * IR a RE E in. . Mika a ei FR , Mu . 2 ü ER k Te ANDENKEN AN DIE AXXI VERSAMMLUNG DEUTSCHER NATURFORSCHER UND ÄRZTE, GEHALTEN IN GÖTTINGEN VOM 18—24 SEPTEMBER 1854. GT EINGEN, UMRISSE EINER BESCHREIBUNG UND GESCHICHTE DER STADT, DER UNIVERSITÄT, DER UMGEBUNG, DER WISSENSCHAFTLICHEN UND INSBESONDERE NATURWISSENSCHAFTLICHEN UND MEDICINISCHEN INSTITUTE. GÖTTINGEN , MDCCELIV. Bas HS AN LEHE, I. Lage, Geschichte und Umgebung der Stadt Göttingen. Lage S. 5. Geognostische Formationen 6. Eintheilung der Stadt $. Erste Anfänge des städtischen Lebens 9. Geschichte der Kirchen 10. Die Reformation 12. Dreissigjähriger Krieg 13. Umgebungen der Stadt, Reinhausen, Gleichen, Hanstein 15. Plesse, Har- denberg, Münden 16. Lustorte um die Stadt 17. II. Geschichtliches über die Lehrer der naturwissenschaftlichen und medicinischen Studien. Stiftung der Universität, Münchhausen, Werlhof, Albrecht v. Haller 18. Zeit des sieben- jährigen Kriegs, Blüthe der Universität im XVIII. Jahrhundert, Erweiterung der Institute und Sammlungen 19. Gegenwärtige Lehrer 22. II. Uebersicht der wissenschaftlichen und insbesondere der naturwissenschaftlichen Institute .der Universität. 1 Dieskoönielhenes Uniyersitäts> Bibliothek 7: mr aa a aaa ae DA ]f. Die’ königliche Societat! der Wassenzchäften 2m rm et Ill. »Dasöksuipliehesacademircher Museum, eve 2 ee ee 1.22 700losıscheäbtheulung. 7.27 nt hl a ln nn ale aaa Ge ee 80 2. Geologische und mineralogische Abtheilung . . » 2» 2» 2 2 2 2.2.2. — 836 BEMEthrIOgTApBIgeRerAbtherlung en ae han Ja ee re E36 4. Modell- und Maschinen-Kammer . . : . 2. vn. a de. 1 IV. Der botanische Garten und die botanischen Sammlungen . . » 2 2 2 2 22. 88 V. Das physiologisch-zootomische Institut und das physiologisch-chemische Laboratorium — 41 VI. Das physikalische Cabinet und der magnetische Observations-Pavilln . . . . . — # I. Abtheilung für Experimental-Physik . N a A a! IT Abtheilung für mathematische Physik... 2, -,. le ne, wann lee nn ma 4a VI VII. Die Sternwarte und das magnetische Observatorium VIII. Die chemischen Laboratorien 1. Das neue Laboratorium 2. Das ältere Laboratorium . 3 3. Das Laboratorium im Coneilienhause.. 4. Das Laboratorium im physiologischen Institut IX. Die Anatomie und anatomischen Sammlungen X. Das Ernst- August-Hospital . a. Die medicinische Klinik . . . . B b. Die chirurgisch - augenärztliche Klinik XI. Das Entbindungshaus . m XI. Das Thierarznei-Institut . . - a Men Re XIII. Die landwirthschaftliche Sa XIV. Das königliche Universitätshaus . N 1. Die grosse Aula und der Promotions-Saal . a 2. Der Sitzungssaal der königlichen Societät der Wissenschaften 3. Die academische Gemälde- und Kupferstich - Sammlung 4. Die archaeologisch-numismatische Sammlung . a. Der Antiken-Saal b. Die numismatische Sammlung 5. Die mineralogisch-geologische Sammlung . XV. Das litterariseche Museum LAGE, GESCHICHTE UND UMGEBUNG DER STADT GÖTTINGEN. Die Stadt Göttingen liegt in dem breiten von Süd nach Nord verlaufenden Thale der Leine unter 51° 31‘ nördlicher Breite und 27° 36‘ östlicher Länge. Die Ufer des Flusses sind bei Göttingen flach, gegen Ost und West erheben sich Bergzüge, welche auf dem rechten Ufer Höhen von etwa 1000, am linken auf der Wasserscheide zwischen der Leine und Werra die Höhe von 15—1600 Par. Fuss über dem Spiegel der Nordsee erreichen. Gegen Süden hin ist das Thal offener. Fruchtbares Ackerland , schöne Wiesenflächen um- geben die Stadt, so dass die weite Thalebene, mit freundlichen Dörfern und Höfen ge- schmückt, das anmuthige Bild einer fleissig bebauten Landschaft gewährt. Der Reiz der Gegend liegt in dem fast kesselartigen Abschluss des Thales durch die Höhenzüge, über welche in Süden und Westen einzelne Berggipfel herragen. Nach dieser Richtung ist besonders der Meissner (2293 P.F.) die Zierde der Gegend. Vor demselben, aber tiefer, bemerkt man in der Ferne auf den Ausläufern des Höhbergs die alte durch mehrere Thürme gezierte Ruine des Hansteins. Sehr eigenthümlich sind auch die einzel- nen Basaltkuppen im Westen; die höchste ist, der Hohe Hagen (1552 P. F.), von wo man den Inselsberg des Thüringer Waldes und den Brocken des Harzes erblickt. Diese Punkte bilden das grösste geodätische Dreieck, welches von Gauss zum Behuf der Triangulirung zwischen Göttingen und Altona mit Hülfe von Heliotropenlicht gemessen worden ist. Die nördlichste ist die Bramburg (etwa 1540 F.), bis wohin sich der südliche Theil des Sollinges zwischen Leine und Weser erstrecken. Gegen Osten sind die Ausläufer jenes Höhen - Plateaus zu sehen, welches sich von dem Harze unter dem Namen des Eichsfeldes 6 zu der Werra hinzieht. Dahin gehören an der Gränze des Horizontes die Höhenpunkte der Gleichen mit ihren Burgresten. Stellenweise ist dieses Plateau bewaldet, der Göttinger Wald selbst ist nur ein Theil einer grossen Holzung, welche noch im XVII. Jahrhundert die kahlen Gipfel des Hainberges umfasste. Diese Höhen fallen gegen den Harz hin in nordöstlicher Richtung oft in schroffen Böschungen ab, wie z. B. an der Bruck; gegen die Leine sind sie dagegen nur in mässigen Hügelabdachungen geneigt. Die nahmhaftesten Höhen sind der Hainberg mit der Kleper (1016 P. F.), die Höhe vor Nicolausberge und die weiter nach Norden liegenden Eckpfeiler dieser Reihe, welche die schönen Ruinen der Plesse und des Hardenberges tragen. Die älteste in unserer Gegend verbreitete geognostische Formation ist die Gruppe der obern Trias, die in ihren drei Hauptschichten durch den bunten Sandstein, den Muschelkalk und den Keuper charakteristisch vertreten wird. Der bunte Sandstein, der hin und wieder Spuren von Pflanzenresten in sich bewahrt, ist am Fusse der Bruck, am Fusse der Plesse und bei Reinhausen, sodann gegen den Sollinger Wald hin besonders verbreitet. Ueber dem- selben liegt eine 400 bis 500 Fuss mächtige Muschelkalkschicht, die in einigen Gegenden sehr versteinerungsreich genannt werden kann. Kronen des bekannten Encrinus liliiformis sind darin hin und wieder in sehr schönen Exemplaren aufgefunden, sie gehören jedoch gegenwärtig zu den grossen Seltenheiten. Die höchsten Punkte der östlichen Thalbegrenzung, das Ries-Holz mit Plesse und Rathsburg, die Höhen von Deppoldshausen und Nicolausberg, sowie der Hainberg mit dem Geismar-Holz (1000—1200 P. F.) bilden der Stadt zunächst auch die höchsten Erhebungen des Muschelkalks. Auf den Muschelkalk folgt der Keuper, der sich fast bis an die halbe Höhe des Hainbergs emporzieht und der hin und wieder seine gleichsam aufgerollten und übergebogenen Schichtenköpfe dem Thale zuwendet. Er zieht sich am linken Leineufer in einem schon aus der Ferne sehr kenntlichen Rücken, dem kleinen Hagen, dem Flusse entlang, wird aber in der Tiefe des Thales durch eine schmale Zone von Lias und Alluvium und durch einzelne Gruppen von Travertin überdeckt. Die Verbreitung des Muschelkalks gewährt auch der Göttinger Flora dadurch ein Hauptinteresse, dass die Verthei- lung der Pflanzenformen sich an die geognostischen Gegensätze mit besonderer Anschaulich- keit anschliesst, wie diess Link schon frühzeitig an der Verbreitung der hiesigen Stein-Lichenen nachgewiesen hat. Die Liasformation, mit den ihr eigenthümlichen Versteinerungen, wird oberhalb des Albanithors und der Sternwarte, in der Nähe von Rosdorf und an einigen andern Punkten deutlich beobachtet. Sie ist zwar theilweise durch spätere Auswaschungen verschwunden, jedoch noch mehr erhalten, als man zeither anzunehmen pflegte. 7 Seit einigen Jahren hat der unternehmende Herr Rohns zwischen Göttingen und dem Dorfe Grone ein Bohrloch mit Einsicht und Erfolg angelegt, welches zuerst etwa auf 40 Fuss einen Liassandstein, der dem bei Kloster Banz in Franken ähnlich ist, durchteuft ; nachdem dasselbe den Keuper gewonnen, erreicht es in einer Tiefe von 1300 Fuss, ohne jedoch den Muschelkalk anzutreffen, das Steinsalzlager und die gesättigte Soole wird jetzt zu Tage gefördert, welche sich ebensowohl zur Anlage eines Bades als zur Saline eignet. Unsere Travertine (Duckstein), welche bei Weende, Grone und’ Rosdorf anstehen , wel- che Pflanzenstängel, Süsswasserconchylien und zuweilen Eier von Sumpfvögeln umschliessen, sind die Produkte vormaliger und noch zum Theil fortdauernder Quellenbildung. Vor Kur- zem wurde unter einem solchen etwa 4 Fuss mächtigen Lager dieses Süsswasserkalks, zwi- schen Rauschenwasser und Mariaspring eine steinerne Streitaxt der Urbewohner dieses Landes entdeckt. Dieser merkwürdige Fund ist ebensowohl ein Beweis für die Neuheit der genannten Formation als auch für das grosse Alter der frühesten norddeutschen Bevölkerung, und hat dadurch eine noch viel grössere Bedeutung, dass man, wie Hausmann nachgewiesen, aus dem Materiale dieser Steinwaffe (es ist Schillerstein, der in Norddeutschland nur bei Harzburg vorkommt) auf einen Ort bei Deersheim als Fabrik dieser Waffen schliessen kann. Zu den interessantesten geologischen Phänomenen unserer Nachbarschaft gehören ohne Zweifel die bereits oben erwähnten Basaltkuppen, welche auf der Wasserscheide zwischen Leine und Werra sowohl die Trias als auch tertiäre Schichten, zumal die Braunkohlenlager und den sie begleitenden rothbraunen Sand mehrfach durchbrechen. Die hauptsächlichsten Basaltköpfe von Süden beginnend sind der grosse und kleine Steinberg , der Hohe Hagen , der Sesebühl, der. Dransberg, der Ochsenberg , die Grefische Burg und die Bramburg bei Adelebsen. Die Basalte unserer Nachbarschaft liegen ohne Zweifel auf einem vom Meissner aus gegen Norden sich erstreckenden Spaltensysteme und fallen in das Ende der tertiären Formation, nachdem die Braunkohle abgelagert war und das Leinethal im Wesentlichen seine gegenwärtige Gestalt angenommen hatte. Die Trias ist durch diese eruptiven Massen nur wenig ergriffen, der Sandstein ist zuweilen gefrittet, der Muschelkalk ist ganz unverändert geblieben. Freistehende basaltische Gänge (Dyks), welche die Richtung der Spaltensysteme bezeichnen, sind nur auf dem Meissner in der Kitzkammer zu beobachten, wo daher auch die Basaltsäulen in hori- zontaler Lage gefunden werden. In den Mittelpunkten der Basaltköpfe stehen die Säulen entweder vertikal oder schiessen schräg oder fächerförmig verbreitet aus dem Innern der Erde empor. Unsere Basalte sind Verschmelzungen von lauchgrünem Augit, Olivin und glasigem Feldspath (Sanidin), der hin und wieder in klaren Stücken im Basalt des Hohen Hagen 8 aufgefunden wird. Die Basalte zwischen der Werra und Leine sind in chemischer Hinsicht durch einen jungen fähigen Chemiker Herrn Urlaub gründlich untersucht worden, und wir sehen der Veröffentlichung dieser Arbeit demnächst entgegen. Die geologische Aufnahme der südlichen Theile des Königreichs und der Umgebung von Göttingen ist mit Grundlage der Papen’schen Karte im Massstabe von 1:100000 von Herrn Senator Römer aus Hildes- heim kürzlich mit grossem Fleisse zur Ausführung gebracht. Nach diesen kurzen Andeutungen über die geognostischen Verhältnisse der Umgebung . wenden wir uns zur Stadt selbst. Die Grundfläche, auf welcher Göttingen erbaut ist, liegt fast ganz eben und steigt nur mässig gegen Osten an. Die Stadt gewährt besonders von der Strasse von Cassel, auch von dem Hainberge und Kleinen Hagen aus gesehen einen wiewohl nicht grossartigen, doch freundlichen Anblick. Die Gärten, welche die Stadt um- schliessen, und die fast schon hundertjährigen, kräftigen Lindenbäume des früher so trutzigen Walles und die Alleen in den Anlagen verdecken mehrentheils die Häuser der Stadt. Von den vier bedeutenderen Thürmen ragen nur drei so hervor, dass sie auch schon in der Ferne zum Wahrzeichen der Stadt werden; doch sind es keine riesig ernste Thurmesspitzen,, wie sie oft kleinere Orte zieren, und die Dachung der durch Feuer oft zerstörten Kuppen ist noth- dürftig von Holz auf den gothischen Bau gesetzt. Eigentliche Vorstädte besitzt die Stadt nicht; jene der früheren Jahrhunderte sind 'theils durch Krieg zerstört, theils in die Stadt aufgenommen. An der Stelle der kleinen älteren winklichen Gartenhäuser vor den Thoren bauet man erst seit diesem Jahrhundert stattliche Steinhäuser auf, welche allmälig neue schönere Vorstädte bilden werden. — Auch öffent- liche Gebäude, wie die Sternwarte, die Anatomie, die Kaserne, haben sich vor die Stadt gezogen, und das Westende hat in jüngster Zeit durch den ansehnlichen Bahnhof eine neue Zierde erhalten. Von der alten Eintheilung der Stadt in die Altstadt und Neustadt ist in der Gegenwart nur der Name geblieben; ebenso wurden Theile der Groner- und Weender-Strasse, welche früher vor den Thoren lagen, in die Stadt gezogen. Die Masch, die obere und untere, und zum Theil die Allee entstand im XV. Jahrhundert aus Ansiedlungen von Bauern zer- störter Dörfer der Umgegend. Noch bilden die Eigenthümer dieser Hausstellen eine besondere Gemeinde unter einem Bauermeister, und haben , obwohl sonst mit der Stadt vereint, doch eine besondere Gemeinde - Verfassung und Vermögen an Wald und Wiesen. An schönen Gebäuden, die wenigen öffentlichen Bauten der Universität ausgenommen, ist Göttingen arm. Das Rathhaus, die fünf Kirchen sind nicht ohne gute Anlagen, aber 9 leider nichts ausgeführt , sie sind sprechende Zeugen des ehemaligen Glanzes und des spätern Verfalles des Stadtwesens. Die Entwicklung eines städtischen Lebens in Göttingen hat in seinen Hauptzügen viel gemeinsames mit. der anderer norddeutschen Städte. Schon im X. Jahrhundert ‚tritt der Name Guthinga, Goddinga, Gotingen, — für den noch im XIII. Jahrhundert als ‚‚antiqua villa,‘ die ‚villa prope civitatem ‘“ bezeichneten Stadttheil — mit einer Pfarrkirche St. Alban in die Geschichte. Ob damals schon eine Burg neben jenem Dorfe bestand, wel- che später unter den Namen ‚‚Ballrus‘“ ‚Ballrum““ als herzogliches Schloss auftritt, ist un- gewiss. Noch heisst der Weg, welcher aus der Gegend jenes Stadttheiles dahin führt, „de borchstrate.“ Die Nähe der kaiserlichen Pfalz Grona, der wiederholte Aufenthalt der Kaiser auf diesem ländlichen Palatium musste auf die erste Ansiedlung belebend ein- wirken. Die eigentliche Geschichte der Stadt kann nach urkundlichen Zeugnissen nicht höher hinauf verfolgt werden als bis zum Jahre 1209, von da an erst zeigen sich Spuren eines städ- tischen Gemeinwesens. Die erste Anlage der Stadt, in kirchlicher Eintheilung von dem alten Dorfe getrennt, umschliesst den Marktplatz als den Mittelpunkt des Verkehres. Die Kirche dieser Gemeinde St. Johann ist, noch gegenwärtig die Hauptkirche der Stadt. Dieser erste Anbau war nur auf einen kleinen Raum beschränkt, es mochte bloss eine Reihe von Handwerkerstrassen sein, welche auf den Markt mündeten. Der nächste Grund des weitern raschen Aufschwungs der kleinen Stadt war der grosse Waarenweg, welcher den Süden mit dem Norden verband, der Weg von Erfurt nach Lübeck, Bremen und Hamburg. Göttingen wurde so ein Waarenplatz für jenen grossen Binnenhandel, und eine Einwirkung der norddeutschen Hansa, welche mit Grund von der Stadt-Anlage einen Schutz für den sichern Verkehr erwartete, ist schon früh bemerkbar. Kaiser Otto IV. (+ 1218) soll dem Orte die Stadt-Freiheit ertheilt haben; auf dieses erste Privilegium beziehen sich alle spä- tern Bestätigungen und Vermehrungen der Stadtfreiheiten, ohne seinen Inhalt näher zu be- zeichnen. Sehr frühe sehen wir dann neben dieser alten Stadt zwei neue Pfarrgemeinden entste- hen, welche bald darauf in die Stadt aufgenommen werden. Im Norden eine Anlage mit dem gewiss unbedeutenden Betkirchlein St. Jacobi, eine zweite im Süden um St. Nicolai. Ueber die Bewohner dieser beiden Gemeinden, welche nicht zu der alten Bürgerschaft ge- hörten, somit nicht aus ihr herauswuchsen, sondern als Fremde sich erst vor der Stadt ansiedelten, ebenso wie über das Gewerbe derselben verbreitet die Geschichte von Mühlhau- sen, Heiligenstadt, Osterode einen genügenden Aufschluss; es sind dies die Tuchhändler und 2 10 Wandschneider, welche gleichzeitig fast in allen niederdeutschen Städten ähnliche Colonien gegründet haben. In jenem engeren winklichen Viertel bei St. Nicolai erkennen wir die kunstfleissigen Wollenweber und Färber, welche in den ältesten Gildestatuten schon auf- geführt sind, und auch in andern Städten, wie eben in Nordhausen, Mühlhausen, als Fle- minger oder Wahlen, den Kern einer gewerblichen Bevölkerung bilden. Später noch als diese beiden Bildungen, erst am Ende des XIII. Jahrhunderts, wächst aus einzelnen Wohnungen von kleinern Gewerbsleuten die Vorstadt oder Neustadt hinzu, ‚‚nova eivitas extra muros“ (1312), welche langehin eine eigene Gemeinde - Verfassung bewahrte. Um das Jahr 1290 wird hier die Liebfrauen- oder Marien-Kirche erbaut. Neue geistliche Stiftungen entstehen, so das Barfüsser- oder Franeiskaner - Kloster; die Prediger, Dominicaner, bauen sich auf dem heutigen Papendike ihr Kloster, das Paulinum (1294). Auch die deutschen Herren gründen an der Neustadt eine Comthurei, die Con- gregation St. Spiritus zog von Lippoldsberge in die Stadt, und die grauen Mönche von Walkenried bauen sich in der belebten Stadt einen Hof und eine Kapelle. Von den Herzögen erhalten die Bürger immer mehr erweiterte Vorrechte, welche deutlich schon einen regen Verkehr mit der Hansa erkennen lassen. Sie sollen alle Vorrechte geniessen, wie die beiden wichtigen Handelsorte Lüneburg und Hannover (1292). Vor allen Gilden steht die Kaufgilde obenan, die Bürgerschaft ist unermüdet thätig, die Sicherheit der Han- delsstrasse zu wahren, sie zerstört die Burgen des raublustigen Adels und bewahrt ihre Selbständigkeit gegen ihre Landesherzöge. Diese Entwicklung erreicht ihren Höhepunkt im XIV. Jahrhundert, die Stadt konnte da- mals mit viel ältern Städten wetteifern in Grösse und Wohlstand. Als Zeichen der Blüthe kann die neue Erweiterung und die Anlage der Befestigungswerke angesehen werden (1312—1366). Sie vereinigen die Neustadt mit der Altstadt (1319). Obschon noch immer ein herzoglicher Vogt in der Stadt befahl, erlangte sie die andern Herzogsrechte, die Münze, den Wechsel, den Zoll und den Stadt-Zins gegen eine jährliche Bede. Für die Ausbildung eines städtischen Rechtslebens zeugen die aus dieser Zeit erhaltenen Statuten und Rechts- satzungen. Ein Bild von dem ausserordentlichen Reichthum giebt uns die grosse Anzahl von öffent- lichen Gebäuden, welche in dieser Zeit entstanden: man bauet ein neues Rath- und Kauf- haus (1362—69), man unternimmt den Neubau und die Vergrösserung der alten Kirchen St. Jacobi (1350), St. Johannis (1370), St. Nicolai (1358) und der Dominicanerkirche (1365), die Gründung der Kirche und des Hospitals St. Crucis (1335) und St. Spiritus (1370), der | | | it Frohnleichnamscapelle (1319), eines Lazareths für Aussätzige St. Bartholomaei vor dem Weender Thore (1321—%29). Detmar von Hanstein giebt seinen Hof für die Erweiterung des Hospitals (1390). Die Stadt im Vollgefühle ihrer Kraft geht mit den umliegenden Städten Bündnisse ein, wählt in den verworrenen und schwankenden Verhältnissen zum Landesherzoge den Land- grafen von Hessen zu ihrem Schutzherrn und erhält sogar vom Kaiser Wenzel die Anerken- nung der freien Wahl eines solchen (1387). Mit Umsicht wird die Vergrösserung der geistlichen Besitzungen in der Stadt gewährt, und mit aller Kraft den Eingriffen der Ritter- schaft in die Sicherheit der Handelsstrasse begegnet, man zerstöret die Burgen des wegela- gernden Adels, Harste, Wake, Rostorf, Grone und endlich auch die herzogliche Burg, den ‚Ballrus (1365). Noch zeigen sich durch das XV. Jahrhundert Nachwirkungen dieser hohen Blüthe. In den Fehden, welche ununterbrochen die Zeitgeschichte der Stadt erfüllen, tritt uns eine wehrhafte Bürgerschaft entgegen, mehr als 400 wohlgerüstete und waffengeübte Männer, welche im Frieden glanzvolle Feste am Schützenhofe feiern. Die beiden berühmten Donner- büchsen der Stadt, die scharfe Margaretha (de scarpe Grete) und die Machg Friede (Make frede), waren der Schrecken der Umgebung; noch 1448 zogen sie hinaus vor Gruben- hagen. ; Doch auch in dieser Fehdezeit wurde an die Künste des Friedens gedacht. Das Tuch- und Wollenwebergewerbe gewinnt einen neuen Aufschwung, als um das Jahr 1475 holländi- sche Wandmaker sich hier ansiedeln, und den Grund zum spätern Flor des Gewerbes legen. Diese neue Wollenweberei ‚‚de Drapenie des wantmakens‘“ scheidet sich von der ältern Grobweberei, welche schon früher eine Gilde bildete. ‘Sehr rasch war dieser Geschäftsbe- trieb bedeutend geworden. Nach einigen Angaben sollen damals 800 Tuchmacher Beschäf- tigung gefunden haben. Öbschon die Stadt durch die Masch-Colonie (1452) einen neuen Zuwachs an Bevölkerung erhielt, welche anfänglich in einem losen Zusammenhang mit der Stadt blieb, so sank doch seit dem XVI. Jahrhundert die Bedeutung der Stadt immer mehr, und es folgten eine Reihe Unglücksfälle auf einander. Gleich im Beginn des Jahrhunderts wird die Stadt in die Reichsacht erklärt (1504), weil sie eine von Herzog Erich dem Aeltern neu errichtete Zollstätte in Weende nicht dulden wollte, doch ihr Widerstand wurde gebrochen, sie musste huldigen. Innere Zerwürfnisse folgten bald darauf. Die Bürgerschaft und Zünfte standen gegen den Stadt-Rath auf, es kam zu einem Aufruhr (1513) und zu ernsten Ge- 2* 12 waltthätigkeiten, welche mit dem Sturze des Patricierregiments endeten. Der alte Rath wurde von dem Herzog wieder eingesetzt. Er wehrte sich, nachdem schon die ganze Umgegend der Reformation sich angeschlossen hatte, gegen die neue Lehre (,,die Martinshändel ““). Alsaber 1529 die Epidemie des englischen Schweisses ausgebrochen war, und die Geistlichkeit im August dieses Jahres eine andächtig betende Procession durch die Stadt führte, stimmten die Tuchknappen in der Gronerstrasse das deutsche Lied an: ‚,‚aus tiefer Noth schrei ich mi dir,‘ die Menge fiel ein, und damit war der erste Anstoss gegeben. Zu ernsterem Auf- rıhr kam es aber wenige Monate darnach : ein einzelner Bürger Claus Hundertmark hielt die gährenden Volkselemente vom Angriff auf den Rath ab, der zu immer strengern ‚ Maasregeln schreiten wollte, und der bedrohte Rath gewährte nun aus Furcht vor Gewalt die Uebung des neuen deutschen Gottesdienstes in der Pauliner-Kirche. Zwei Jahre spä-, ter (1531) waren ohne weitern Kampf alle Pfarren schon mit lutherischen Geistlichen be- setzt, die Mönche hatten ihre Klöster verlassen , das Kloster-Gut wurde von dem Stadt- rathe eingezogen, und die neue schon 1530 nach der Braunschweigischen entworfene Kir- chenordnung der Stadt wurde auch Vorbild für andere Orte. Herzog Erich der Aeltere liess die Bürger ruhig gewähren, er verlangte nur, dass: sie die Religionsänderung bei dem Kaiser selbst vertreten möchten und nahm ihnen als Strafe das Amt Friedland ab. Diese kirchliche sociale Gestaltung trifft zusammen mit dem Sinken der alten Handels- und Gewerbe-Blüthe. Der Wohlstand war schon merklich gemindert, und so manches andere Bedrängniss drückte die Stadt. Eine Seuche allein raffte (1540) über 700 Menschen dahin und verbreitete Schrecken und Furcht; den Antheil, den die Stadt am Schmalkaldi- schen Bunde nahm, musste sie gegen den Kaiser mit einer Strafsumme von 10000 „$ ver- büssen (1548), Herzog Erich der Jüngere verlangte auch 30000 „P, begnügte sich aber mit 6000 »$. Nebenher erreichten die Schatzungen des Herzogs eine unerhörte Höhe, Miss- wachs und Theuerung (1569) und neue Streitigkeiten mit dem Landesherrn drückten den Muth und das Bewusstsein ihrer stolzen Vergangenheit nieder. Als die Hanse-Städte eines Jah- res (1572) das Deputat forderten, erklärte die Stadt selbst, sie wolle als ‚„‚veldstadt““ gelten und nicht mehr zu den Hanse-Herrlichkeiten zählen, sie liess sich selbst verhansen, und aus der Verbindung stossen. Ebenso wenig ergriff sie den Anlass, sich die Anerkennung als Reichsstadt zu verschaffen. Sie liess wegen Nichtbezahlung der Türkensteuer ruhig die Reichsacht über sich ergehen und erklärte (1597), dass sie eine Landstadt verbleiben wolle. r Der dreissigjährige Krieg brachte der Stadt die furchtbarsten Drangsale, und schlug ihr WIE SWU KAIRIIEILOD ML AMIMLLSIKNWILOL WII, GUN 13 unsäglich härtere Wunden als irgend eine der schlimmsten Zeiten des Faustrechts, es blieben die Folgen dieses mitleidlosesten aller Kriege Göttingen durch mehr als hundert Jahre fühlbar. Den Schrecken der.Tilly’schen Waffen erfuhr Göttingen in vollem Maasse, es hatte Belagerung (1626), und Einnahme zu erdulden, 51/; Jahr blieb es in der Gewalt des Feindes. Die Wiedererstürmung durch Wilhelm von Weimar überbot durch Ausbrüche der niedrig- sten Rache wo möglich selbst den Uebermuth der Feinde. Eine nochmalige Belagerung durch Piccolomini traf Göttingen im Jahre 1641. Den trostlosen Zustand der halbverödeten von allen Hülfsmitteln entblössten Stadt, wie ein Theil der Einwohner durch Kriegsnoth und Pest aufgerieben, der Rest verwildert, ohne Zucht und ohne Regiment geblieben, haben uns einzelne Berichte der Zeitgenossen bewahrt. . Der grösste Theil des früher so bedeutenden Cämmerei-Vermögens der Stadt war in der Kriegsnoth, unter dem Drucke der unerbittlich geforderten Contributionen, zerstört, die Wal- dungen verwüstet, die wenigen Stadtdörfer nun verödete Brandstellen geworden, alle Vorrechte der Stadt, Gerichtsbarkeit, Münze, Zoll, aufgegeben und an den Herzog gekommen. Die Quellen des innern und äussern Wohlstandes waren versiegt, das Verkehrswesen zerstört, auch der Handel hatte andere Wege gefunden, der Gewerbfleiss war geschwunden, Kraft und Muth gewichen. Es fehlten selbst die regsamen Hände, um die Stadt wieder auszubauen. Nach einem gleichzeitigen Berichte waren kaum 460 Häuser bewohnt, 137 Wittwenhäuser, 179 Häuser niedergerissen und 237 standen völlig leer. Man verliess die baufälligen Woh- nungen und richtete sich in Buden an der Stadtmauer ein, damals erst entstand daselbst ‚Klein Paris. “ Noch im Jahre 1718 waren so viele wüste Stellen, dass K. Georg I. verordnete, wer immer solche bebauen wolle, solle diese ohne Lasten erhalten. Neuen Ansiedlern wurden alle Erleichterungen gewährt, und so vermehrte sich allmälig die Bevölkerung wieder bis zu einem Dritttheil der Zahl, welche zur Zeit des, dreissigjährigen Krieges gewesen, erreichte aber nicht die Höhe wie vor demselben. In diesem Zustande war Göttingen , als man es für den neuen Musensitz ausersah. Um den Wohlstand der Stadt wieder zu heben, hatten sich kurz vor der Gründung der Uni- versität Salzburgische Emigranten hier angesiedelt, ein Leihhaus (1730) gegründet. Für das Aufblühen der 'Tuchmanufactur sorgte man durch die Berufung des Factor Grätzel aus Sachsen. Ein Zeitgenosse schildert uns Göttingen zur Zeit der Gründung der Universität als nur zum dritten Theil bewohnt, zwei Theile bestanden aus wüsten Stellen und leeren Häusern ; 14 — ‚‚Handel und Wandel lagen darnieder, weil wir weder bemittelte Kaufleute noch tüchtige Handwerker, noch durchgehende Posten hatten. Es waren kaum so viele Familien als Häuser“. — Jeder Hausvater hatte seinen eigenen Acker, seinen Garten, sein eigenes Vieh, davon lebte er, damit begnügte er sich, ohne dass er, seinen Mangel zu ersetzen, eine Zu- fuhr von Aussen zu haben, oder von seinem Ueberflusse Andern zu überlassen, die geringste Begierde empfunden hätte ; die Strassen waren nicht gepflastert, viele Häuser hatten keine Schornsteine, auch war keine Strassenbeleuchtung vorhanden. Mit der Gründung der Universität wurde es bald anders. Der grosse Curator der Uni- versität sorgte selbst und unmittelbar für die rasche Besserung dieser Mängel. Bauunter- stützungen wurden gewährt und im Jahre 1735—36 allein 30 Häuser vom Grund aus neu ge- baut, eine Reihe von fremden Handwerkern siedelte sich nun unter dem Schutz der Univer- sität an, so dass schon 1751 der berühmte Mosheim, vielleicht zu hoffnungsvoll, von der Verschönerung der Stadt schreiben konnte: ‚wenn die Sachen noch zwanzig Jahre so fortgetrieben werden, wird Göttingen, Hamburg ausgenommen, die schönste Stadt in Nie- dersachsen sein.“ Kaum war die Stadt allmälig wieder gekräftigt und durch den Flor der Universität geho- ben, da bedrohte Göttingen eine neue Gefahr, indem es die ganze Noth des siebenjährigen . Krieges, feindliche Besatzung und Brandschatzungen zu ertragen hatte Doch viel rascher als früher erholte sich Göttingen von neuem, so dass man allein von 1768—1787 wieder 160 neuerbaute Häuser zählte. Nach diesem Kriege verlor allmälig auch Göttingen das Ansehen einer Festung, die Werke wurden abgetragen, die alten Festungsthürme und Brustwehren fielen, an die Stellen der winklichen Vorwerke kamen offene Thore.. Nächst den vier Aussen -Thoren wurden auch in der Stadt einzelne Thürme eingerissen, zweckmässigere Verbindungs-Wege angelegt, der Wall mit Bäumen bepflanzt, die Gräben und Teiche ausgefüllt und in Garten- Anlagen ver- wandelt. — Nach den letzten Zählungen wohnen in 1149 Wohnstätten nun 11099 Einwohner. We- der Ackerbau noch Handel und Gewerbe kann man als die Hauptnahrung derselben bezeich- : nen. Die kleinere Feld- und Gartenwirthschaft wird lebhaft betrieben, fast jeder grössere und kleinere Bürger hat Ackerland und baut sich einen Theil seiner häuslichen Bedürfnisse. Grössere Oekonomien sind nur in geringer Zahl vorhanden, diesen entspricht auch die An- lage der Häuser nicht. Während man früher die nehmächerei als Hauptgewerbe der Stadt bezeichnen konnte, 15 so ist das gegenwärtig nicht mehr der Fall, die alten Fabriken sind eingegangen, dagegen blühen einzelne Gewerbs-Zweige, z. B. die Gerberei, die Bürstenfabrication u. s. w. Eine bedeutende Zukunft dürften die fabrikartigen Anlagen in der Nähe der Stadt haben, welche sich von Jahr zu Jahr vergrössern. Endlich sind die Forte-Piano-Fabrik von Rittmüller und die beiden mechanischen Werkstätten von Meierstein und Apel zu erwähnen. Von der nähern und fernern Umgebung sind noch einige Puncte, besonders als Ziel der Spaziergänge und Ausflüge, zu erwähnen; als nächster Spaziergang hat der Göttinger Wall mit den schönen Lindenbäumen eine verdiente Berühmtheit erlangt, und wird wohl sie noch lange bewahren können, weil die nächste Umgegend der Stadt wenig schattige Wege hat. Er ist so manchem jüngern und ältern Freunde der Universität lieb geworden. Von dem Walle aus geniesst man aber auch eine recht günstige Rundschau der Gegend, da wir nicht jedem zumuthen können, in der Hoffnung eines überraschenden Blickes auf das schöne Lei- nethal, den Johannisthurm zu besteigen. Freunden schöner Gegenden sind in der Umgegend Göttingens immer drei Punkte beson- ders werth: Reinhausen und die Gleichen, die Plesse und der Hardenberg und endlich Münden. Dass der letztere, wenn auch etwas fernere Punkt der schönste sei, wird kaum bestritten werden. Reinhausen und die Gleichen liegen zwei Stunden von der Stadt. Schon von der Strasse gesehen gewährt der Ort mit den Resten eines Benedictiner Klosters, von den Grafen von Reinhausen, welche da ihren Sitz hatten, im XI. Jahrhunderte gestiftet und gegenwärtig in eine Domäne verwandelt ist, ein liebliches Landschafts-Bild. Das Thal bei Reinhausen über- rascht durch die Sandsteingebilde und die anmuthigen Baum-Parthien. Den Hintergrund bilden die Gleichenberge, welche nur wenige Ruinen jener alten Burgen, im XI. Jahrhun- dert „die Lychen‘“ genannt, tragen; desto anmuthiger ist die Aussicht auf die Berge im Westen über die schönen waldigen Berges- Gruppen, sowie nach Osten zum Harze hin. Das Bremker Thal, das Bürger-Thal, nach dem Dichter genannt, welcher in dem Dorfe Nie- _ dek, nordöstlich eine halbe Stunde von den Gleichen, lebte und dichtete, sind überaus schön; es sind Punkte ganz nahe bei Reinhausen , des Besehens werth. Schon etwas entfernter ist eine Wanderung nach dem Hanstein, der Teufelskanzel und dem Meissner. Die Reste der alten Burg Hanstein gewähren durch ihre Bauart mit den ho- hen Mauern und Thürmen ein Interesse, der Blick von dem auf einem steilen freistehenden Felsen erbauten Stammsitze der Herrn von Hanstein, welcher weithin das Thal beherrscht, so wie von der etwa eine halbe Stunde entfernten Teufelskanzel, einem losen nackten Sand- 16 steinblock mit freier Aussicht auf die Uferstrecke der Werra und die weite Umgebung, ist mannigfaltig und schön. Der Weg auf den Meissner führt über Witzenhausen. Gegen Norden ist von Göttingen aus die Plesse und der Hardenberg am häufigsten das Ziel der Ausflüge. Die Ruinen der Burg Plesse, früher Sitz eines mächtigen Dyna- stengeschlechts, Mittelpunkt einer Herrschaft mit Bovenden und andern Dörfern, die mitten im Hannoverschen Lande bis 1816 in hessischem Besitz, und zwar der Rotenburger Linie blieb, waren noch im XVII. Jahrhundert bewohnt. Von der schönen Waldhöhe erfreut die Aus- sicht auf das Leine-Thal und den Solling. Am Fusse der Quelle des Rauschenwassers, wel- che von hohen schattigen Bäumen umgeben ist, liegt Mariaspring, ein alter Lustort der Göt- tinger, eine der neun Mühlen, welcher das Wasser bis zum Einfluss in die Leine treibt. Die Gemäuer des Hardenbergs oder Bieversteins, des Stammhauses des noch blühenden Ge- shlechts, wurden noch im XVIII. Jahrhundert bewohnt, sie gewähren aus dem im engli- schen Geschmacke angelegten Garten , welcher das neue Herrenhaus am Fusse des Berges einschliesst, einen wahrhaft malerischen Anblick. Unfern davon liegt das gewerbsame Städtchen- Nörten, welches erst 1803 an Hannover kam. Es war früher Mainzischer Be- sitz. Diesseits liegt das Kloster Marienstein , welches dadurch eine Berühmtheit erlangte, dass es lange Zeit der Versammlungsort der Göttingischen Landschaft war. Wenn man Münden besehen will, nimmt man häufig den Fussweg über den hohen Ha- gen, von welchem man eine der umfassendsten Aussichten über die ganze Gegend geniesst. Von dem Andreasberge bei Münden überblickt man eine der reichsten und mannigfaltigsten Landschaften, in deren dreifachem Flussthal aus Fulda und Werra die Weser gebildet wird. Die herrliche Lage der alterthümlichen Stadt in dem Thale mit grünen Wiesengründen, von schönen baumreichen Bergen eng umschlossen, überrascht jeden Besucher, so dass die Benennung ‚‚das Tempe von Deutschland,“ die schon Zeiller gebrauchte, von Göthe wieder- holt wurde. Der 6-7 Stunden von Göttingen entfernte Harz kann hier nicht erwähnt werden, doch die nächste Umgebung verdient es. In der unmittelbaren Nähe der Stadt sind meh- rere schöne Quellen der kleinen Bäche, welche aus den Bergabfällen entspringen, sich in einem kleinen Kessel zu einem klaren Teich sammeln und weiterhin Mühlen treiben. Am berühmtesten bleibt die Papiermühle bei Weende , als früherer Lieblingsort des Hain- bundes oft besungen, jedoch in unseren Tagen nicht mehr so besucht als früher. Maria- spring mit dem Rauschenwasser ist schon erwähnt. Auch die viel besuchte Rasenmühle, jenseits Rossdorf, gehört hierher, ebenso die Springmühle bei Grone. ur D, MM 7 DAPAPILIT @IHIN 2 == a [2] Ri RIM 17 Die ältern Erinnerungen an das Kerstlingeroderfeld, am östlichen Abhange des Hainber- ges, das Ziel eines berühmten Studenten -Auszuges (1790), ein. früher so beliebter Lustort, sind verklungen. Die alte Kochslust oder Hainholzhof, jetzt unter den Namen ‚‚der Kehr‘“ bekannt, hat auch nicht mehr die alte Berühmtheit. Durch die völlig neue Schöpfung des verdienstvollen Baumeisters Rohns, des sogenannten Volksgartens, nach seinem Gründer auch der Rohnsgar- ten oder der „„Rohns‘‘ genannt, hat der sonst so öde Hainberg sehr gewonnen. Geschichtliche Bedeutung für das gesellige Leben der Universität haben die an der Stadt gelegenen Gärten: der Wacker’sche, später Ulrich’sche, jetzt v. Seelen’sche Garten ; er war frü- her ein Gesellschaftsgarten der Freimaurer-Loge, und der Mittelpunkt des geselligen Lebens; ferner das deutsche Haus oder der Kaiser, jetzt nach dem Besitzer von Mengershausen ge- nannt und der ‚, Weibergram ‚‘“ jetzt ‘der Ulrici’sche Garten. Von den nahe gelegenen Dörfern werden die Namen Geismar, mit der schönen Linde vor dem Dorfe, lange Mainzer Besitz, — Grone, das Dorf welches zur alten Kaiser - Pfalz ge- hörte, — dann Weende, früher ein Frauenkloster, jetzt Domaine, als Ziel von Spaziergängen, geselligen Vereinigungen, manche Erinnerung bei den jüngern und ältern Lesern dieser Blät- ter wachrußen. II. GESCHICHTLICHES ÜBER DIE LEHRER DER NATURWISSENSCHAFT- LICHEN UND MEDIZINISCHEN STUDIEN. Der Plan zur Errichtung einer Universität in den deutschen Landen des Königs von England fällt in die Regierungszeit Königs Georg II. in die Jahre 1732—33. Als Trä- ger und Förderer dieser Idee verdient der nachmalige Premierminister Gerlach Adolf von Münchhausen einen unvergänglichen Ruhm, der nicht nur den ersten Grundstein zu diesem Baue legte, sondern auch die Anstalt bis zu seinem Tode durch fast 36 Jahre mit unwan- delbarer Liebe und Sorgfalt pflegte. Im Oetober 1734 begannen .die Vorlesungen, die Inauguration folgte 1737, damit trat erst recht eigentlich die Georgia Augusta inden Kreis ihrer Schwesteranstalten. So sehr Münch- hausen bemüht war, gleich vom Anfang auch für die Mediein und Naturwissenschaften tüch- tige Kräfte zu berufen, so wenig wollte es ihm gelingen, und sein Rathgeber in diesem Fa- che der königliche Leibarzt Johann Paul Werlhof (+ 1767), vermochte nicht die Berufungen bedeutender Medieiner durchzusetzen. Die Hauptabsicht war auf Lor. Heister in Helmstädt, dann auf J. Z. Platner in Leipzig gerichtet, endlich waren G. E. Hamberger und G@. W. Wedel aus Jena schon gewonnen, allein keine dieser Vocationen gelang. Ein tüchtiger Arzt Joh. W. Albrecht aus Erfurt wurde Professor ord. anatomiae, chirurgiae et botanices, und eröffnete in Göttingen die Reihe der medicinischen Professoren ; leider starb er schon nach einem Jahre. Neben ihm lehrte Sam. Ch. Hollmann einzelne Theile der Naturwissenschaften, erst seit 1736 trat J. And. v. Segner hinzu. Mit Albrecht v. Haller, der in einem Alter von 28 Jahren hieher berufen wurde (1736), be- ginnt ein eigentliches naturhistorisches, medicinisches Studium an der Universität. In den DD Bw 19 17 Jahren seiner Wirksamkeit sind fast alle naturhistorischen und medicinischen Institute ge- gründet, so der botanische Garten, das anatomische Theater; durch ihn wird die Societät der Wissenschaften ins Leben gerufen, der er durch 26 Jahre als Präsident vorstand, in alle Theile dringt sein rastloses segensvolles Wirken. Ihm gelingt es, eine Reihe tüchtiger Kräfte nach Göttingen zu ziehen, ihm stehen J. G. Zinn der Botaniker und J. J. Huber als Prosector zur Seite, auf seinen Vorschlag wird J. G. Röderer berufen. Gleichzeitig vertraten die ei- gentliche Medizin seit 1736 Georg Gottl. Richter, von 1738 J. G. Brendel, der Lehrer der Pathologie und Therapie; im Jahre 1753 tritt auch Rud. Aug. Vogel hinzu, der die Kliniken eröffnete. Die medicinisch- literarhistorische Wirksamkeit des Prof. Matthiae verdient gleich- falls erwähnt zu werden. Der Plan, die kosmographische Gesellschaft, welche Johann Mich. Franz in Nürnberg begründet hatte, mit der Societät der Wissenschaften zu vereinigen, führt diesen und G. M. Lowitz hieher, dann aber auch Tobias Mayer, der in der Astronomie einen der ersten Plätze einnimmt und schon damals mit den Untersuchungen des Mondes beschäftigt war, nach Göttingen (1751), er erhält die Aufsicht über das neu errichtete Observatorium; wenige Jahre darnach (1756) wurde Abr. Gotth. Kaestner als Mathematiker hieher berufen. Gefahrdrohend für die junge emporblühende Anstalt war der Ausbruch des siebenjährigen Krieges, welcher seit 1757 auch die Stätte der Universität berührte, und nicht allein den Un- terricht störte, sondern auch die Geldmittel erschöpfte, welche für die eben begründeten, in jugendlichem Wachsthum begriffenen Institute jetzt am nothwendigsten waren. Und dennoch, kurz nach dieser Drangperiode sehen wir Göttingen einen ungemeinen Aufschwung nehmen, wie nie zuvor, und seine eigentliche Glanzperiode erleben. Die von Münchhau- sen berufenen Kräfte und die daselbst allmälig sich entfaltenden Talente werden zu Zierden der Universität und der gesammten deutschen Wissenschaft. So erlebte dieser unsterbliche Mann, der durch die Gründung unserer Hochschule eine freiere Gestaltung der Universitäten herbei führte, am Abende seines Lebens, wenigstens den Beginn dieser Zeit als den reichen Lohn seiner unverdrossensten und grossartigsten Sorgfalt. Bedeutungsvoll. für die Stellung der Universität in jener Zeit wurde, dass König Georg III. seine drei Söhne, die drei jüngsten grossbritannischen Prinzen Ernst August, August Friedrich und Adolf Friedrich nach Göttingen sendete und sie während einer 5l/,jährigen Anwesenheit (1786—1791) an dem Unterrichte der einzelnen Professoren Theil nehmen liess. Von den 70—80er Jahren des vorigen Jahrhunderts an wird die hohe Blüthe der ge- schichtlich-juristischen und philologischen Studien besonders hervorgehoben, es wird Göttingen 3%* 20 als die Hochschule des Staatsrechts und der Geschichte bezeichnet; — doch waren auch die übrigen Fächer namentlich der Naturwissenschaften und medieinischen Studien würdig ver- treten. In jener Richtung war Joh. Steph. Pütter’s (geb. 1725, von 1747—1807) Name der berühm- teste. Er war eine in ganz Deutschland gefeierte Celebrität als Lehrer, Schriftsteller und Con- sulent in den wichtigsten Fragen des deutschen Staatsrechts. Gottfr. Achenwall (von 1748 + 1772), Pütter’s Freund, stand ihm würdig zur Seite. Neben ihnen J. Ch. Gatterer (u 1759 + 1799), Aug. Lud. Schlözer (von 1769 + 1809), L. Th. Spittler (von 1779—1797). Der jüngste in diesem Kreise war Arn. Herm. Lud. Heeren (von 1784—1842), dessen 53 jäh- rige Wirksamkeit als Lehrer der Geschichte noch in unser Jahrhundert hereinragte. Noch sind zwei der bedeutendsten Namen dieser Periode zu nennen : Joh. Dav. Michaelis (von 1745 + 1791) und Christ. Gottl. Heyne (von 1763 + 1812). Wie jener erstere als Ori- entalist den ausgebreitetsten Ruf hat, so nimmt ihn dieser gleichfalls in einem andern Gebiete in Anspruch. Heyne’s Namen und Wirksamkeit, als des gefeiertsten Lehrers der classischen Alterthumswissenschaften ist dadurch in der Geschichte der Universität unvergänglich, weil er der nahe Freund Münchhausens (+ 1770), noch bis in die Periode der Fremdherrschaft, das Vertrauen der Leiter der Universitätsangelegenheiten genoss, indem er auch während dieser Zeit die Continuität der leitenden Gedanken bewahrte und so den entschiedensten und se- genvollsten Einfluss auf die Schicksale der Universität übte. Im Fache der Naturwissenschaften glänzten damals die beiden geistig so nahe verwandten Männer Abr. Gottl. Kästner (von 1756 + 1800) und G. Christ. Lichtenberg (von 1770 + 1799). Im Gebiete der Technologie Joh. Beckmann (von 1767 + 1811) und Joh. Chr. Polyc. Erxle- ben (von 1770 + 1777). Das Fach der Botanik vertrat Linnes Schüler Joh. Andr. Murray (von 1763 + 1791) und Chr. W. Büttner (von 1755 + 1783) brachte für die Naturwissenschaf- ten durch seine für jene Zeit ungemein reichen Sammlungen ein sehr erwünschtes Material. In der medicinischen Facultät stand oben an Aug. Gottl. Richter (geb. Zörbig. Sachs. 1742, von 1766 + 1812) der grösste damals lebende Chirurg und grosse Arzt als Lehrer der Chirurgie und Therapie, Heinr. Aug. Wrisberg (geb. Andreasberg 1739, von 1764 + 1808), Ernst Gott. Baldinger (geb. 1738 + 1804, von 1773—1782), Joh. Fried. Gmelin (geb. Tü- bingen 1748, von 1775 + 1804). Nur ein Jahr (1784) währte die Wirksamkeit des Joh. Pe- ter Frank (geb. 1745) als Lehrer der practischen Arznei-Wissenschaft an unserer Universität. In ihrer ersten jugendlichen Kraft und Entwicklung stehen: Joh. Fried. Stromeyer (geb. 1750 + 1830) und Joh. Fried. Blumenbach (geb. Gotha 1752) beide von 1776 an. Wenige Jahre 21 darnach treten ergänzend hinzu: Joh. Heinr. Fischer (geb. Coburg 1759) und dessen Nach- folger in diesem Gebiete, der grosse Geburtshelfer Fried. Benj. Osiander (geb. zu Zell im Würtenb. 1759 + 1822), der Chirurg Just. Arnemann seit 1789, der Botaniker G. F. Hoff- mann (seit 1792 + 1826). Im ersten Jahre des XIX. Jahrhunderts G. Wardenburg (+ 1804) und Ch. L. W. Cappel' (+ 1804). Aus dem Umschwunge, den die naturhistorischen und medieinischen Wissenschaften ge- nommen hatten, stellte sich mit Anfang dieses Jahrhunderts das Bedürfniss einer neuen Ein- richtung und vollständigen Erweiterung aller Institute heraus. Schon 1816 wurde eine neue Sternwarte, 1829 eine neue Anatomie, beide schöne Ge- bäude, nach dem Plane des Baumeisters Müller erbaut. Ein neues Universitätshaus wurde (1837) den Zwecken der Anstalt übergeben. Für die Naturwissenschaften war aber ungemein wichtig die Erweiterung und neue Gründung der chemischen Laboratorien (1843), und des physicalischen Cabinets (1842, 1849) sowie die Gründung des physiologischen Instituts (1842). Vor allem wurde durch das neue Krankenhaus eine erweiterte Grundlage für den prakti- schen medizinischen Unterricht gewonnen (1852). Im Zusammenhange mit diesen Erweiterungen, sie selbst mit veranlassend, stehen aber auch grosse Veränderungen in dem Lehrerpersonale. Die Reihe der academischen Lehrer, welche in diesem Jahrhunderte der Universität zuwachsen, beginnt mit einem Manne, der Göttingen mit Stolz erfüllt, die Stätte geworden zu sein, wo er die grössten Probleme sei- ner Wissenschaft gelöst hat. Es ist Carl Fried. Gauss (geb. zu Braunschweig 1777 April 30.), der 1807 als Professor und Director der Sternwarte berufen wird. Wenige Jahre dar- nach (1811) tritt auch Joh. Fried. Lud. Hausmann (geb. 1782) aus einem practischen Berufe in die academische Wirksamkeit. Der Nachfolger Wrisberg’s in der Anatomie und A. G. Richter’s in der Chirurgie war der berühmte Conr. Joh. Mart. Langenbeck (geb. zu Horneburg 1776 + 1849). Unter ihm erhielt die Anatomie ein neues würdigeres Local, in welchem neben ihm auch Ad. Fried. Hempel (geb. 1776 + 1834) Anatomie lehrte. Langenbeck begründete die erste selbststän- dige chirurgische Klinik. Die anatomische Professur ging nach seinem Tode auf J. Henle aus Heidelberg über; als Prof. der Chirurgie und Director der chirurg. Klinik wurde 1849 Wilh. Baum aus Greifswald berufen. Die medieinische Klinik leitete seit dem Anfange des Jahrhunderts Carl Himly (geb. zu Braunschw. 1772) und gab ihr einen grossartigen Aufschwung. Im Jahre 1823 wurde eine besondere Poliklinik eingerichtet und zu ihrer Leitung Joh. Wilh. Heinr. Conradi (geb. Mar- [8] 2 burg 1780) berufen. Nach Himly’s Tode (1830) erhielt Conradi die medicinische Klinik und wurde Conr. Heinr. Fuchs aus Würzburg mit der Leitung einer eignen medicinischen Klinik und Poliklinik betrauet. Theoretische Mediein, materia Medica und Geschichte der Medicin lehrt Carl Fried. Heinr. Marx (geb. Karlsruhe 1796, seit 1826). Materia medica und allgemeine Pathologie las ausserdem Christ. Georg Theod. Ruete (geb. Scharmbeck 1810), als specieller Schüler Himly’s, dessen Lieblingsfach die Ophthalmologie war, er errichtete eine eigne ophthalmol. Klinik, welche nach seinem Abgange nach Leipzig mit der chirurg. Klinik verbunden wurde. Die pathologische Anatomie, physiologische Chemie und pathologisch -mikroskopischen Untersuchungen lehrte Fr. Theod. Frerichs, nach dessen Berufung nach Kiel, als pathologi- scher Anatom Aug. Förster aus Jena. Von ganz besonderer Bedeutung ist die Berufung des Arztes und Philosophen Rud. Herm. Lotze. Pathologische Anatomie lehrt A. Krämer. Die geburtshülfliche Klinik, in dem von Fischer und Osiander erweiterten Entbindungs- “ hause, führt, nach Lud. Casp. Jul. Mende’s Tod (1833), Ed. C. J. v. Siebold (geb. Würz- burg 1801). Neben ihm nennen wir als Lehrer der Geburtshülfe Joh. Fried. Osiander (geb. 1787) und Joh. Heinr. Christ. Trefurt (geb. 1806 7 1852). Privatdocenten, zum Theil als Assistenten der medicinischen Institute angestellt, sind : Robert Wiese, Bern. Schuchardt, €. F. Lohmeyer, L. A. Schrader, Rud. Gieseler und Otto Spiegelberg. In dem Gebiete der einzelnen Naturwissenschaften haben sich gleich wichtige Verände- rungen in den Lehrkräften ergeben. Als Vertreter der allgemeinen Naturgeschichte, der Physiologie und vergleichenden Ana- tomie’reichte aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts bis tief in dieses, einer der ge- feiertsten academischen Lehrer, der Lehrer dreier Könige, der die meisten seiner Zeitgenossen, und viele seiner Schüler überlebte, Joh. Fried. Blumenbach (+ 1840 in seinem 88. Jahre). Neben ihm trat Adolf Berthold (geb. Soest 1803), als Lehrer in den naturgeschichtlichen und propädeutisch-medieinischen Fächern auf. Nach Blumenbach wurde für Physiologie und vergleichende Anatomie (1842) Rud. Wagner (geb. 1800) berufen. Ausserdem lehrt noch Phy- siologie Ernst Fried. Gust. Herbst (geb. Uslar 1803). Die Leitung des botanischen Gartens übernahm nach Schrader’s Tode Fried. Gottl. Bart- ling (geb. Hannover 1798). Ausser ihm lehren Aug. Grisebach (geb. Hannover 1814) und S. Lantzius-Beninga Botanik. 23 Die mineralogischen und geologischen Fächer vertritt Joh. Fried. Lud. Hausmann. Neben ihm lehrt seit 1848 Wolfg. Sartorius -v. Waltershausen (geb. Göttingen 1809) Mine- ralogie, Geognosie , Geologie und verwandte Disciplinen. Die chemischen Studien übernahm nach Fried. Stromeier’s Tode (geb. 1776 + 1835) C. Fr. Wöhler (geb. Frankfurt 1800), die pharmaceutische Chemie lehrt Heinr. Aug. Lud. Wiggers (geb. 1803), die physiol.-medieinische Chemie C. Bödeker, als Privatdocenten sind H. Limpricht und Wilh. Wicke. Im Fache der Physik kam an die Stelle Joh. Tob. Mayer’s (geb. Göttingen 1752 + 1830, des Sohnes des Astronomen Tobias Mayer) Wilhelm Eduard Weber (geb. Wittenberg 1804); während dieser die experimentale Physik lehrt, werden die Specialfächer , namentlich Optik von Joh. Bened. Listing (geb. 1808) vorgetragen. In der Astronomie ziert als Altmeister der deutschen Astronomen Gauss unsere Hoch- schule; Lehrer dieses Faches waren neben ihm Carl Ludw. Harding (geb. 1766 + 1834), und Carl Wolf. Ben. Goldschmidt (geb. 1807 + 1851). An des letztern Stelle traten die Assi- stenten D. Westphal und Klinkerfues, welche bereits den Fachmännern durch ihre Leistungen bekannt sind. Als Lehrer der Mathematik wirkte durch 30 Jahre Bern. Fried. Thibaut (geb. 1775+1832) ; nach seinem Tode sein Schüler und Nachfolger J. C. Jul. Ulrich (geb. Göttingen 1798) und Moritz A. Stern, in jüngster Zeit haben sich als Privatdocenten dieses Faches G. F. B. Riemann und R. Dedekind habilitirt. II. ÜBERSICHT DER WISSENSCHAFTLICHEN UND INSBESONDERE DER NATURWISSENSCHAFTLICHEN UND MEDICINISCHEN INSTITUTE. DIE KÖNIGLICHE UNIVERSITÄTS -BIBLIOTHEK. Bibliothekar 3 Unter - Bibliothekar Pror. CARL HOECK. Pror. SCHWEIGER. Der kostbarste Edelstein, das gemeinnützigste und berühmteste unter den wissenschaft- lichen Instituten Göttingens bleibt die Bibliothek. — Abgesehen von dem weit verbreite- ten Rufe, den sie in der gelehrten Welt einnimmt, bezeichnet sie selbst der Volksmund als einen Talismann , welcher die Stadt auch in Kriegszeit und Feindes Gewalt schütze, denn auch der roheste Feind könne nicht eine Stadt beschiessen oder in Brand stecken, wel- che einen solchen Schatz verwahre. Diese verbreitete Sage dürfte vielleicht aus Aeusserun- gen französischer Generäle im siebenjährigen Kriege entstanden sein. — Obschon die Gött. Bibliothek unter ihren Schwestern fast die jüngste ist, wird sie doch den Welt- Bibliotheken zugezählt. Als sie unter J. M. Gesner’s Hand allmälig anwuchs, waren die Bibliotheken von Wien, München , Berlin schon ansehnlich. Die Wolfenbüttelsche Bibliothek , ein Werk der unmittelbarsten Fürsorge der braunschweigischen Herzoge, war schon eine be- rühmte Schatzkammer literarischer Seltenheiten und unter Leibnitz Leitung hatte auch die königliche Bibliothek zu Hannover sehr ansehnlichen Zuwachs genommen und war im ge- schichtlichen Fache sehr bedeutend. 25 Bei Stiftung der Universität war man von dem Bedürfnisse einer umfassenden Bibliothek (Bibliotheca publica) überzeugt, und man meinte vertrauensvoll mit den Doubletten der königl. Bibliothek in Hannover, der Bibliothek des aufgehobenen Gymnasiums und ei- nem Fond von 150 Rthl. beginnen zu können. Wer hätte aber damals wohl im entfernte- sten hoffen können, dass sie das werden würde, was sie wirklich geworden ist? Ein glücklicher Zufall brachte gleich zum Anfange dieser Anstalt unerwartet durch die Bülow’sche Bibliothek eine neue Grundlage. Der Geheim-Rath und Grossvogt Joachim Hein- rich Freiherr von Bülow (geb. 1650, +7 1724) hatte eine nicht überaus grosse, aber ungemein sorgfältig gewählte Bibliothek angelegt, welche er auch nach seinem Tode ungetrennt er- halten: und möglichst vergrössert wissen wollte. Er war kinderlos und bestimmte in sci- nem Testamente und Codizillen (1709, 1711, 1722), dass von seinen Erben die Bibliothek un- ter einem besondern Custoden bewahrt und geordnet bleiben solle. In dem Falle dass sich die Erben nicht mit der Bewahrung dieses Fideicommisses belasten wollten, könnten sie die Bi- bliothek zum Besten des Landes verwenden. Den Bemühungen Münchhausen’s gelang es, die Neffen des Grossvogts , besonders den ältesten, zu bewegen, diese Sammlung der neuge- stifteten Universität durch eine förmliche Schenkungsacte zu übertragen, doch sollte sie im- mer diese Bibliothek als die Grundlage betrachtet und von der Regierung vergrössert werden. Obschon nun die spätern Vermehrungen den ursprünglichen Stamm überwucherten, so ist der alte Fond in der trefflichen Auswahl vieler Werke noch immer zu erkennen. Gesner, der schon in Weimar die dortige Bibliothek verwaltete und gleich bei Gründung der Universität hierher als Bibliothekar berufen wurde, konnte erst zwei Jahre dar- nach sein Amt verwalten: er war bis dahin Bibliothekar ohne Bibliothek. Die Räume, wel- che die Bül. Bib. aufnehmen sollten, waren nicht vollendet und erst 1736 kamen die einzel- nen Kisten von Hannover an. Die Zahl der Bände, welche Gesner als erster Vorstand der Bibl. eigenhändig auf die Fächer brachte, war noch unbedeutend. Die Bül. Bibliothek betrug 8912 Bände, dazu die Doubletten der königlich Hannoverschen Bibliothek 2159 Bände, die Bibliothek des Gymna- siums 708 Bände. Eine neue Aussicht für die Vermehrung der Bibliothek eröffnete sich durch das Aner- bieten des Senators der Reichsstadt Frankfurt Johann Friedrich Uffenbach, eines Bruders des berühmtern Zacharias Conrad, seine Bibliothek der Universität schenken zu wollen, wenn ihm vom Könige eine Ehrenauszeichnung verliehen würde. Auch diese Hoffnung auf einen Zu- wachs werthvoller Kupferwerke hielt Münchhausen beharrlich fest und nach dem Tode, des 4 26 zum königl. Grossbrit. Churhannov. Obristlieutenant erhobenen Schenkers, kam auch diese Sammlung nach Göttingen. Das erste Wachsen der Bibliothek war sehr rasch ; Münchhausen leitete selbst und unmittel- bar die Anschaffungen ; weder der Bibliothekar noch der Senat hatte auf die Anschaffung der Bücher wesentlichen Einfluss. Der Curator selbst schrieb, bestellte; alle Geschenke, welehe ihm zugingen, sandte er nach Göttingen, seine eigenen kostbaren historischen Collectaneen überliess er den Professoren, um sie dann der Bibliothek zuzuwenden. Sein Rathgeber war der Registrator Schlüter, der ihm bei Bestellungen in England, Frankreich und Holland zur Hand ging, welche aber immer in Münchhausens Namen um so erfolgreicher wurden. Dieser unmittelbare Einfluss war sehr wohlthätig und Münchhausen wusste Schlüter, — von dem Michaelis versichert, dass ihm die Lectüre von Auctions-Catalogen ein ungleich grösseres Vergnügen bereitet habe, als die schönsten Gedichte Hallers — besonders auf die englische Literatur aufmerksam zu machen, so dass schon damals dieser Zweig der Bibliothek einer der ausgezeichnetsten wurde. Der enge Raum im obern Stockwerke des Paulinums, gegenwärtig der naturhistorische Saal, genügte bald nicht mehr für den ununterbrochenen Zuwachs. Schon (1744) klagte man über Mangel an Raum, es mussten die daranstossenden medizinischen Auditorien weichen, darauf (1764) nahm die Bibliothek das ganze obere Stockwerk ein.. Das nach Westen da- ranstossende Richtersche Haus wurde gleichfalls dazu gekauft (1787) und durch einen Neu- und Anbau, als ein Flügel der Bibliothek, der gegenwärtige Arbeitssaal, verwendet. Auch die un- teren Räume wurden (1795) für die Bibliothek benutzt, das naturhistorische Museum musste weichen und so allgemach verdrängte die Bibliothek alle Hauptauditorien, sämmtliche Carcer, die Archivszimmer, die archaeologische Sammlung, den Conciliensaal. Den schönsten und grössten Raum gewann die Bibliothek durch den historischen Saal (1812), indem die alte Universitätskirche in 2 Stockwerke getheilt wurde und so zur‘ Aufstellung des, in der west- phäl. Zeit durch Vereinigung der Bibliotheken von Wolfenbüttel, der Braunschweigischen, Mag- deburgischen, Halberstädtischen und Hildesheimischen Klöster, ungemein vergrösserten Bü- cherschatzes verwendet wurde; doch als diese durch Fremdherrschaft an die Bibliothek ge- brachten Schätze wieder in ihre alten Wohnungen zurückwanderten, war doch der Raum nicht zu weit, durch neue Anschaffung genügte er bald nicht mehr und endlich eroberte die Bibl- othek auch die untern Räume der Kirche (1845) und beherrscht so den ganzen Raum dersel- ben und die vier Flügel, welche den frühern Kreuzgängen des Klosters entsprechen. Wem gleich nun durch jenen geschilderten unermüdeten unmittelbaren Einfluss Münch- 27 hausens es möglich war, dass die Bibliothek vom Beginne an so rasch gewachsen und gleich anfänglich eine werthvolle Grundlage gewann, so wirkte ebenso seegenvoll für die Anstalt, dass tüchtige Bibliothekare durch eine lange Reihe von Jahren ununterbrochen die Lei- tung derselben führten. Gesner führte nahe an 30 Jahre die Leitung der Bibliothek bis 1761, dann folgte Mi- chaelis ; nach einer kurzen Unterbrechung Heyne (von 1763—1812), dann Jer. Dav. Reuss, der schon 1782 zur Bibliothek kam (1814—1837), ihm folgte Georg Fried. Benecke (bis 1343). Nachfolger ist der gegenwärtige Vorstand Prof. Hoeck (seit 1814 Bibliotheks- Be- amter, von 1844 erster Bibliothekar.) Die Verbindung der Bibliothek mit den Lehrern der Universität war eine sehr innige, und Münchhausen wusste sie auch dadurch zu wecken und zu nähren, dass er kostbare und zugleich nöthige Werke viel lieber auf Verlangen der Professoren als der Bibliothekare be- willigte. Die wissenschaftliche Thätigkeit Hallers, Pütters, Michaelis, Blumenbachs blieb auch für die Vervollständigung der Bibliothek von einem noch immer erkennbaren Einflusse, selbst auch dann wenn, was in vielen Fällen geschah, die Privat- Bibliotheken nicht mit der Universitätsbibliothek vereinigt wurden. Ausser dem jährlichen Ankauf, ungemein reichen Schenkungen der Regierung und fürst- licher Personen , vervollständigten ganze Bibliotheken rasch einzelne Fächer der Samm- lung. Am namhaftesten ist der Zuwachs durch die überaus reiche Duve’sche Incunabel- Samm- lung, die Asch-, Meibom- und Gebauerschen Bibliotheken, die Sammlung der gött. deutschen Gesellschaft. In jüngster Zeit kamen allein mehr als 4000 Bände aus der Lüneburger Rit- ter-Academie zum Bestande der Bibliothek. Sehr ansehnlich war in früherer Zeit der Zu- wachs durch Einsendungen an die Redaction der Göttinger Gelehrten-Anzeigen, indem unter Heyne fast alle solche Geschenke der Bibliothek abgegeben wurden, auch nach Heerens Tode kamen nahe an 2000 Bände an die Bibliothek ; nicht minder hoch ist der Erwerb von Ge- sellschaftsschriften durch Austausch der königl. Societät anzuschlagen. Die Zahl der Bände rechnete man 1748 auf 160000, zu Heyne’s Zeit schon auf 200000, im Jahre 1815 auf 350000, wenn man den jährlichen Zuwachs auf 3000, in manchen Jahren betrug er 6—7000 Bände, veranschlagen wollte, so könnte die gegenwärtige Anzahl der Bände auf nahe an 500000 angegeben werden. Eine bestimmte jährliche Dotation wurde erst im Jahre 1819 eigentlich festgesetzt; eine Zeit lang 4000 „$, welche Summe von K. Ernst August auf 5200 „£ fixirt wurde (1837), die 4* 23 Nebeneinnahme können jährlich auf 300 «$ angeschlagen werden, dazu kömmt in neuester Zeit (1852) eine von den Landständen verwilligte jährliche Summe von 3000 .$, so dass eine Gesammtsumme von 8500 »$ zur Verfügung steht, früher wurden namhafte Summen für nöthige Anschaffungen, und zuweilen Ueberschreitungen des Fonds bis zu 2000 „$ noch be- sonders bewilligt, so 1833 6000 „9. Von diesen Summen sind die Administrationskosten streng getrennt. Die Verfügungen und Entscheidungen über die Anschaffung stehen zunächst den Bib- liothekaren zu; auf Wünsche der Professoren ist immer Rücksicht genommen worden. Ueber die jährlichen Anschaffungen, Geschenke und andere Erwerbungen werden in den Göttinger Gelehrten Anzeigen fortlaufende Uebersichten gegeben. Die Cataloge sind das wache Gewissen der Bibliotheken und da so allgemein der Göt- tinger Bibliothek darin ein hoher Vorzug vor vielen andern eingeräumt wird, muss hier etwas weitläufiger davon gesprochen werden. \ Eine Eigenheit der Bibliothek ist es, dass vom ersten Beginne der Bibliothek bis auf den heutigen Tag die Cataloge mit dem Anwachse gleichen Schritt hielten, und man bei ei- nem Systeme fortan geblieben ist. — Die Bülow. Bibliothek wurde mit einem vollständigen Cataloge übergeben und dieser Catalog wurde als der Stamm-Catalog betrachtet, jeder Zu- wachs wurde in Accessions-Catalogen zum alten Fond eingetragen. Um die Abfassung des Nominal- und Materien - Repertoriums machte sich ein Mann ver- dient, dessen Andenken nicht blos in Göttingen fortleben wird, sondern dem auch in der Geschichte des deutschen Bibliothekwesens eine der ehrenvollsten Stellen angewiesen werden muss. Es ist Georg Matthiae, nachmals Professor. der Medizin, der schon 1736 den wis- senschaftlichen Catalog begann , der von jener Zeit dieGrundlage der umfassendsten Biblio- theks-Arbeiten blieb. Gegen eine verhältnissmässig unbedeutende Entschädigung (1 »P für 50 Büchertitel) vollbrachte er schon 1748 das Werk eines vollständigen Nominal- und Ma- terien -Cataloges aller vorhandenen Bücher. Das ganze Princip, welches der scharfsinnige und gelehrte Mann klar erfasste, ist in einem besondern Aufsatze ausgeführt (1755) und hat sich besonders dadurch bewährt, dass es gefügig, auch nach einem Jahrhundert, Verbesserun- gen in sich aufnimmt ohne verlassen werden zu müssen. Das Verfahren ist gegenwärtig folgendes : Jedes erworbene Buch wird nach dem Ein- laufe in das Manual ganz kurz eingetragen und damit in die erste Beziehung zur Biblio- thek gebracht. Aus diesem Geschäftsbuche ist auch die Weise des Erwerbes, der Schen- BAU DD UN A In 4 Bu IL © ar IBr Im IK & Bl DIM IR 29 kung , des Tausches, Kaufes nebst dem Preise ersichtlich. Daran reiht sich die weitere und bibliothekarische Behandlung und zwar : 1) die vollständige Eintragung in den Accessions-Catalog, mit Verweisung auf das Manual. Den Namen führt dieses vollständig in Fol. geführte, nach 4 Hauptfächern, getheilte Buch als Ergänzung des Bülowschen Stamm-Catalogs ; 2) die kurze Eintragung in den Alphabetischen- oder Nominal-Catalog. Es ist dies das Hauptbuch der Bibliothek. Sämmtliche Bücher sind nach dem Verfasser oder dem Anfangs- worte (das 1. Hauptwort) des Titels aufgeführt. Schon 1770 genügte der Raum des ersten Cataloges nicht mehr, ohne die Benutzung der Bibliothek zu hemmen, wurde der alte um- geschrieben und 1787 vollendet, doch so eingerichtet, dass von nun an keine weitere Aende- rung mehr nöthig sein dürfte : jedem Schriftsteller ist ein Folium für die bereits vorhandenen Schriften zugewiesen, wenn deren Zahl den Raum eines Blattes überschreitet, so sind Einla- gen möglich. Eben dadurch unterscheidet sich dieser Catalog von den anderwärts so oft ge- priesenen und empfohlenen Zettel-Catalogen wesentlich und man kann jenen, als einen grösseren gebundenen Blatt-Catalog betrachten, der die grösste Sicherheit mit der Bequem- lichkeit der Benutzung vereinigt. Er ist freilich von ziemlich grossem Umfange und zählt nun nahe an 360 Bände im grössten Folio. — Dieser Catalog enthält Verweisungen auf die Accessions- und Real -Cataloge. 3) Die Eintragung in den Real-Catalog folgt darauf; es ist die Einreihung in das wis- senschaftliche System der Bibliothek, nach den Hauptfächern der einzelnen Disciplinen ; dar- nach ist die Gesammt-Masse der Bücher in den Sälen aufgestellt. Der Real-Catalog will das System der Wissenschaften wiedergeben und in streng systematischer Form die vorhandenen Werke übersichtlich und selbst auch an der Stelle alle Erscheinungen der Wissenschaft der Benutzung zugänglich machen. Die Seitenzahlen des Cataloges sind zugleich als Cu- stoden der Aufstellung am Rücken und im Innern der einzelnen Bücher bemerkt. Durch diese Einrichtung sind Standorts-Cataloge völlig überflüssig oder richtiger die Real-Cataloge sind zugleich die Standorts - Cataloge. Um sich ein deutliches Bild von der Aufstellung zu machen, geben wir hier einen voll- ständigen Grundriss aller Bibliotheks-Räume und die Uebersicht alter Hauptdisciplinen. Unteres STOCKWERK des BIBLIOTHEKS-GEBÄUDES. |“ ZI Das obere STOCKWERK. 19. Scriptores dietionis argutae & 21. 20. en um ıourone Peewwn seem Bibliei. 7 Historia ecelesiastica univers. 8. FE ‚s Sanctorum. 9. a5 ‚„ Eeclesiarum. 10. ” ‚ Ordinum. ‚ah, Conciliorum. 12. E} ” Historia eccles. de ritibus. 13. Theologia thetica I. 14. 2 2 . = 15 ” 3 moralis. 16. = pastoralis. 17. Patres collecti. 18. At. Philosophischer Saal. Scriptores rhetor. 24. facetiae. 22. Epistolographia. 25. Ars militaris. 23. Philosophia. 26. B. Uffenbachscher Saal. Theclogia miscella. 2. Bibliotheca Uffenbachiana. Bt- c. Politica. 3. Jus Gentium. 6. ‚, Naturae. ‚, Germanicum. 0 D. Juris praecognita. 6. Jus Romanum. 7. Juris Rom. materiae. 8. ‚ KRomani systemata. 9. Jus secundum statum hominum. .10. E. P Mathemathica. 5. Architectura. 6. Optica. d- Astronomia. 8 Mercatura. 2. G. Holzraum. Hist. antiqua. 8. ‚‚ Imperatorum. 9. ‚, Germaniae. 10. ‚‚ Helvetiae. 11. „ Belgica. 12. ‚; Daniae. 13. », Sueciae. 14. 31 Unteres Stockwerk. A. Theologischer Saal. Kleiner juristischer Saal. Jus statutarium Germanorum. 8. & „‚ eaeterarum nati- onum. EB Acta publica. 10. 11. Grosser juristischer Saal. Jus feudorum. 112 Juris varia. 12. Juris dissertationes. 13. Jus canonicum. 14. Juris praxis. hysico-mathematischer Saal. Hydrographia. Physico - Mathematica. 11. Oeconomia. Metallurgia. F. Ausleih- Zimmer. Patres graeci. Patres latini. Patrum appendix. Rabbinici. Irenica. Polemica. Ethica. Physica. Technologia. 3. Bibliothek der deutschen Gesellschaft. Jus publicum universale. (Fontes juris publ. Germ.) ” », Juris publ. univers. II. „ _ Particulare (Germ.). deductiones. Jus criminale. „ eamerale (ordo jud.). ,„ camerae imperii. Juris deeisiones. 9—10. Scriptores varii argumenti. Poetae. 12. Dramatici. 13. Fabulae Romanenses (Romane). Bibliotheca librorum Russicorum Aschiana. H. Durchgang. Oberes Stockwerk. A. Historischer Saal. Hist. Poloniae. 15. ;, Russiae. 16. „; Hungariae. 17. »» Tureciae. 18. 19. # Africae. „ Asiae. ‚‚, Americae. Hist. E}) ” er Er] Britanniae. Galliae. Hispaniae. Portugaliae. Italiae. 32 B. Kleiner historischer Saal. 1. Historiae praecognita. 5. Diplomatica. 9. Historia miscella. 2. Geographia. 6. Chronologia. 10. r universalis. 3. Itinera. 7. Genealogia. 4. Politica spec. (i. e. Statistica). 8. Heraldica. C. Grosser und kleiner philologischer Saal. 1. Archaeologia. 8. Pictura. 15. Adagia. 2: Ten 9. Artes illiberales. 16. Critica. 3. Numismatica. 10. Musica, ! 17. Seriptores recentiores latini. 4. Monumenta antiqua. 11. Auctores classiei graeci. 18. Historia literaria universalıs. 3. Mythologia. 12- JaRE ”„ latini. 19° s >; particularis. 6. Antiquitates. 13. Didactica. DOXTPR „, ihrorum. 7. Aesthetica. 14. Linguistica. D. Medicinischer Saal. 1. Medicinae praecognita. de Therapeutica. 13. Medieina miscella. 2: Medieina ann = 8. Materia medica. 14. Dissertationes med. 3. Anatomia. 9. Pharmaeia. 15. Historia naturalis. 4. Physiologia. 10. Chemia. - 16. Mineralogia. 5. Pathologia. 11. Medicina practica. 17. Zoologia. 6. Diaetetica. r12. e forensis. 18. Botanica. E. Journal-Zimmer. F. Catalog- und Arbeitszimmer. Das Verfahren bei der Einreihung der Bücher ist folgendes : Jedes neu angeschaffte Buch rückt in der Wissenschaft an die ihm streng angewiesene Stelle und findet auch am Bücherbrette seine wissenschaftlichen Vorgänger zu Nachbaren. Da die Blattzahlen nur eine leicht übersehbare Zahl von Werken umschliessen, zugleich die Wächter für die Aufstellung und Auffindung sind , so bleiben sie auch allein entscheidend, gleichviel wo das Buch steht; noch hemmen Veränderungen des Locals die Benutzung. Als im Jahre 1845 100—150000 Bände umgestellt wurden, war die Benutzung der Bibliothek nicht eine Stunde gehemmt, und eine noch so grosse neue Erwerbung von Bänden ist sehr leicht an den richtigen Ort einzureihen, weil man an keine Stelle gebunden ist, ohne die Werke zu trennen, was bei jedem andern Verfahren unvermeidlich ist. Für die Dissertationen, Deductionen und Manuscripte bestehen besondere Cataloge. Schliesslich müssen einige Anstalten erwähnt werden, welche diesen Bücherschatz ver- wahren und beschützen sollen. Einen Blitzableiter hat schon Kaestner und Lichtenberg angebracht, eine eigne kunstvolle Feuerspritze, eine grosse Anzahl Handspritzen, welche monatlich geprüft und von einer eig- nen Bibliotheks -Feuer-Mannschaft bedient werden, stehen in Bereitschaft; alle Fenster können mit Blechladen geschlossen, in jedes Stockwerk, bis unter das Dach der Biblio- thek, kann durch ein Pumpwerk Wasser gebracht werden. Die 7 Eingänge der Bibliothek 33 sind durch einen Schlüssel schliessbar, der in 8 Exemplaren sich in den Händen der Beam- ten und Bibliotheksdiener befindet, damit im Falle der Gefahr die rascheste Hülfe auch Zu- gang findet. Die Benutzung der Bibliothek ist dadurch sehr erleichtert, dass während der öffentlichen Stunden, täglich von 1—2, Mittwoch und Sonnabend von 2—4 Uhr, in jedem Saale ein spe- eieller Fachkenner bereit ist, Aufschlüsse zu ertheilen, er besorgt auch selbst die Einstellung der Werke. Der Mangel eines Lesezimmers wird bei der grossen Erleichterung des Aus- leihens in der Stadt minder fühlbar, und die öffentlichen Stunden werden vorzugsweise zur Auswahl der Bücher benutzt. Lehrer der Universität, Beamte und Bürger der Stadt ent- lehnen ohne besondere Erlaubniss und Bürgschaft. Studirende bedürfen der Bürgschaft eines Professors, welcher seinen Namen und Cavet auf jeden einzelnen Bibliotheks-Schein zu schreiben hat. Auswärtige Gelehrte, welche einen reichlichen Gebrauch von der mit aller Liberalität gewährten Benutzung machen, haben sich, um Bücher von der Bibliothek zu erlangen, nicht an den Senat oder die Bibliotheks-Commission, sondern unmittelbar an den Bibliothekar zu wenden und ihr Verlangen an denselben zu richten. Die Bibliotheks-Commission wird aus den beiden Bibliothekaren und 3 Professoren ge- bildet, das übrige Personal besteht aus 6 Bibliotheks-Secretären, 3 Accessisten, 3 Hülfsarbei- tern und 2 Pedellen. Auch die beiden theol. Repetenten sind zu einigen. Bibliotheksarbeiten verpflichtet. DI 34 I. DIE KÖNIGLICHE SOCIETÄT DER WISSENSCHAFTEN. Director d. Z. Secretär Horr. GONRADI. GeENH.-HorRr. HAUSMANN. Die königl. Societät der Wissenschaften erhielt am 23. Feb. 1751 die königliche San- ction und ist eines der ältesten Institute der Universität. Den ersten Anstoss gab das Project des Professor der Philosophie And. Weber, welches von dem damaligen Oberappellationsrath von Bünau aus Celle weiter ausgearbeitet wurde. Albr. v. Haller, der beständige Präsident, dessen weitere Vorschläge bei Münchhausen durchdrangen und der auch nach der Rückkehr in sein Vaterland noch mit die Leitung der Angelegenheiten und Arbeiten führte, kann als eigentlicher Begründer dieser Anstalt betrachtet werden. Die Societät zerfällt in drei Classen: in die physikalische, mathematische, und historisch - philologische. Die Wirksamkeit der Societät wurde anfänglich auf die monatlichen Societäts-Vorlesun- gen, die Herausgabe von Schriften und Abhandlungen der Mitglieder beschränkt. Zu dieser anfänglichen Bestimmung kamen noch Preisfragen, seit dem Jahre 1753 wurden auch ‚,‚die Anzeigen von gelehrten Sachen, ‘“ welche seit 1802 den Titel ‚,Göttingische gelehrte Anzeigen‘‘ führen, mit der Societät in nähere Verbindung gebracht, welche den Verlag übernahm und die Aufsicht darüber führte. Nach der Richtung der Zeit stehen von den drei Classen die naturhistorischen voran und die Societätsschriften enthalten einen reichen Schatz von Arbeiten theils der ordentlichen theils der auswärtigen und correspondirenden Mitglieder. Unter den von der physikalischen Classe bearbeiteten Fächern ragen Anatomie und Physiologie wohl am meisten hervor; hieher gehören die berühmtesten Arbeiten von Haller und Blumenbach, die zahlreichen Abhandlun- gen von Wrisberg, von Zinn und Sömmerring. Unter den anatomischen und physiologischen Arbeiten begegnen uns die Beiträge von Haller, dann aber auch von Röderer, Peter Frank, Osiander, Langenbeck, die verschiedenen Zweige der Naturgeschichte sind abermals nächst den ausgezeichneten Arbeiten Haller’s, Zinn’s, die von Joh. And. Murray, Reinhold, Forster, Hoffmann, Schrader zu nennen. Im Fache der Chemie von Vogel, Erxleben, Gmelin. Im Gebiete der mathematischen Olasse, zu welcher auch die Physik zählt, sind aus der ersten Periode die beiden astronomischen 35 Arbeiten von Tobias Mayer die grösste Zierde, daran reihen sich die von Kästner, Klügel, Zach, Schröter, 'Triesnecker und von 1808 an eine Reihe ungemein wichtiger Abhandlun- gen von Carl Fried. Gauss und mehrere von Wilh. Weber. Unter den von der Societät gekrönten Preisschriften haben im naturhistorischen Fache mehrere auf die Fortschritte der Wissenschaft einen wesentlichen Einfluss gehabt, wir nennen nur die berühmten Abhandlungen von Rudolphi und Enck über den Gefässbau der Pflanzen, die Arbeit des Herrn von Hof über die Veränderungen der Erdoberfläche, die Untersuchun- gen von Hausmann in Hannover über die Entstehung des weiblichen Eies in den Säuge- thieren. In der mathematischen Classe die Arbeiten von Fischer, Böckmann, Steinheil u.m.a. Das Directorium der Societät wechselt jährlich unter den ältesten Mitgliedern der drei Classen, ein wirkliches Mitglied ist beständiger Secretär der Gesellschaft. II. DAS KÖNIGLICHE ACADEMISCHE MUSEUM. In einem Gebäude auf dem Bibliotheks-Platze, in den ehemaligen Wohnhäusern der ersten Professoren, lange hin die Gebauer- und Gesner’schen Häuser genannt, wurde die bis dahin in der Bibliothek bewahrte Naturaliensammlung, welche hauptsächlich aus dem (1773) erkauften Naturalien-Cabinette des Prof. Ch. W. Büttner bestanden (1793) aufgestellt. Die Sammlungen wurden durch zahlreiche Schenkungen und Ankäufe vermehrt und zerfallen in mehrere Abtheilungen. I. ZOOLOGISCHE ABTHEILUNG. Director Horr. BERTHOLD. In dem mittlern und obern Stockwerke des Gebäudes findet sich in 18 Zimmern eine reiche, für den naturhistorischen Unterricht zweckmässig aufgestellte Sammlung von Thier- 5* 36 specien. — Besonders reich ist die Sammlung von Reptilien, welche über 700 Exemplare enthält. Die alte Grundlage dieser Abtheilung wurde durch mehrere königliche Geschenke, besonders durch des niederländischen Residenten Nagel in Bandong grosse Sammlung ostindischer Säugethiere, Vögel, Amphibien und Insecten (1844) und des Pastor Reusmann in Lehrte (1836), durch den Ankauf der Insecten-Sammlung des Dr. Erhard und der Schmetterlings-Sammlung des Dr. Ahrens in Augsburg und durch einen wichtigen Zuwachs aus den Blumenbach’schen Sammlungen vermehrt. Im obern Stockwerke befindet sich auch ein Hörsal für Zoologie, ein Arbeitszimmer für mikroskopische Untersuchungen. — Das zoologische Museum ist in dem Sommersemester Dienstag und Freitag von 3—5 Uhr geöffnet. Einzelnen Studenten wird Behuf eines specielleren Studiums die Benutzung noch besonders gestattet. Während der öffentlichen Stunden führt Herr Dr. med. Murray die Mitaufsicht. 1. GEOLOGISCHE UND MINERALOGISCHE ABTHEILUNG. Director Ge».-Horr. HAUSMANN. Im untern Stockwerke ist in 8 Zimmern eine mineralogische, sowie eine geologische Sammlung aufgestellt. Besonders wichtig ist die Petrefacten-Sammlung und vermehrt durch die Privatsammlung von Versteinerungen des Hofraths Ebels. Interessant ist auch die Samm- lung, welche Leibnitz für seine Protogaea anlegte. In diesen Räumen sind auch die Reste aus alten Gräben, so ein Goldgeschmeide und Münzen im Bremischen gefunden; ein Kahn und andre Gegenstände in Friesland aufgegraben, ferner eine Sammlung von Aschen- krügen, ein Geschenk des Prof. Büsching in Breslau. II. DIE ETHNOGRAPHISCHE ABTHEILUNG. Director Pror. OSIANDER. In zwei Zimmern des obern Stockwerkes findet sich die Sammlung ethnographischer Gegenstände, deren wichtigsten Theil die Waffen und Geräthschaften der Südseeinsulaner, 37 sein dürften; welche aus dem Nachlasse Joh. Reinh. Forsters erkauft wurden, auch diese Sammlung wurde durch einzelne königliche Geschenke reichlich vermehrt. Eine Mumie in diesem Saale hat dadurch Berühmtheit erlangt, weil frühzeitig Versuche der Ablösung gemacht wurden. Die öffentlichen Stunden sind Dienstag von 3—5 Uhr. IV. MODELL- UND MASCHINEN - KAMMER. Director Pror. ULRICH. Diese Sammlung besteht aus einer Reihe grossentheils alten Modellen von Maschinen des Berg- und Mühlenbaues u. s. w. Als eine der grössten Kostbarkeiten galt früher lange Zeit das Modell eines Schiffes auf Befehl der englischen Admiralität verfertigt, welches um das Jahr 1744 als Geschenk des damaligen Prinzen von Wallis hieher kam. Das nach diesem Modell ausgeführte Kriegsschiff ‚the Victory‘, lief (1714) ausgerüstet mit 110 Kanonen und 1110 Soldaten aus, um die französische Brester-Flotte aufzusuchen, ging aber vom 4—5. Oktober mit Mann und Maus, wie man sagte durch einen Fehler in der Bauart, an der Küste der Normandie unter. Eine Sammlung technologischer und ökonomischer Modelle wurde 1817 aus dem Nachlasse des Hofraths Beckmann angekauft und befindet sich in der Wohnung des geh. Hofr. Hausmann. Eine werthvolle Sammlung neuerer Ackerwerkzeuge und ökonomischer Modelle, welche zu dem landwirthschaftlichen Institute gehören, wird noch erwähnt werden. 35 IV. DER BOTANISCHE GARTEN UND DIE BOTANISCHEN SAMMLUNGEN. I. DER BOTANISCHE GARTEN. Vorstand Gartenmeister Pror. BARTLING. GIESELER. Das Bedürfniss eines Gartens zum Dienste ‚‚der medicinischen Kräuterkunde‘“ erkannten die ersten Einrichtungs-Pläne der Universität zu Göttingen an; allein schwer war es einen Raum und eine Stelle dafür zu finden. Anfänglich dachte man an den sogenannten städti- schen Apotheker- und Kräuter-Garten, der nachmals (1768) unter Prof. Beckmann zu einem „ökonomischen Garten‘“ verwendet und erst in diesem Jahrhundert wieder verkauft wurde. Dieser Platz genügte dem damaligen Prof. der Mediein Albrecht, der zugleich Botanik lehrte, nicht und man schlug einen Gartenraum in der Nähe des gegenwärtigen Hospitals vor, dahin sollte auch das anatomische Theater verlegt werden. Der Platz war aber zu niedrig und feucht gelegen, erschien daher für die Pflanzen-Cultur nicht geeignet. Der dritte und spätere Vorschlag traf einen Garten, welcher noch gegenwärtig einen Theil des botanischen Gartens ausmacht, es war anfänglich ein kleines Gartenland und Bauplätze, damals ein könig- licher Lehngrund, welchen die Familie von Bülow als After-Lehnsherrn an den Bürger Rauschenblatt überlassen hatte. Als der Platz für den botanischen Garten ausersehn wurde , hatten die Tuchmacher ihre Tuchrähmen aufgestellt, welche von dem alten Freu- denberge, für die neue Reitbahn verwendet, weichen mussten. Aber Haller betrieb die bereits begonnenen Arbeiten rasch, die Landbaumeister Bonn und Schädeler hatten den Plan der Wohngebäude des Directors, der Gartensäle und des Hörsaales für die Anatomie ent- worfen, doch musste Haller einen entschiedenen Widerspruch gegen manche getroffene Ver- fügungen über die Einrichtung und Verwaltung des Gartens erheben, und unter andern auch den Vorschlag beseitigen, aus dem Garten durch den Anbau von Nutz- und Küchen- Gewächsen die Kosten der Erhaltung mit zu erzielen. 39 Schon 1738 waren die Glashäuser vollendet, 1739 wurden Mistbeete angelegt und das erste Gartengeräth angekauft. Von dieser Zeit an kann man erst von dem Beginn des Gar- tens sprechen. Das ursprüngliche Terrain des innerhalb des Walles gelegenen Gartens umfasste nur 304 Ruthen Land, erst später kam (1760) der Raum des Bosquets hinzu, von da ab wurde er ununterbrochen durch neue Ankäufe von Privatgärten vergrössert, so kam (1796) ein Theil des Stadtgrabens, später auch der Kritter’sche Garten nächst dem Weender-Thore (1809), dann eine bedeutende Grund-Erwerbung nach Osten hin (1827), endlich auch der Danckwerts’sche Garten (1842) hinzu. Die gegenwärtige Anlage und Eintheilung des Gartens ist durch die Stel- lung des Walles, welcher die Grundfläche in zwei Hälften theilt, bedingt. Innerhalb des Walles in der Stadt liegen an der Strasse die Wohnungen des Directors, langehin das Haller’- sche Haus genannt, und des Gartenmeisters, wo bis 1829 das anatomische Theater unter- gebracht war. An dem Walle liegen dem Süden zugewendet die Glashäuser. Vor den Frei- landspflanzen sind noch auf diesen Raum ein Theil der perennirenden Stauden und Sträucher, die Monocodyledonen und Dieodyledonen mit Ausschluss der Gräser angepflanzt. Die übrigen nach dem natürlichen System geordneten Pflanzen befinden sich ausserhalb des Walles. Nach Osten hin liegt ein kleines Arboretum. Die zweite grössere Hälfte des Gartens liegt vor dem Walle, unter welchem einige Durchgänge hinführen.‘. Dem Walle zunächst an dessen Nordabhange stehen die Alpen- und Schattengewächse, nach Osten gegen die Strasse hin ist ein Arboretum angelegt und auch da ist ein Theil des alten Stadtgrabens zur Anlage eines kleinen für Wasserpflanzen bestimmten Bassins benutzt. Daran stossen nach Osten hin die Beete für die oflicinellen Pflanzen, für perennirende Staudengewächse, der Raum für die Mistbeete ; auch ist da eine Fläche zur Anpflanzung ein- und zweijähriger Pflanzen verfüg- bar. Weiter nach Nordosten hin ausserhalb des Stadtgrabens liegt der ökonomische Garten für Nutzpflanzen, Küchen- und Futterkräuter, Obstbäume u. s. w. Den ökonomischen Garten begränzt weiterhin ein Arboretum von Nadelhölzern , nach Südost eine Baumschule. Die Zahl der cultivirten Pflanzen betrug (1766) 2000, wurde (1836) auf 10000 ange- geben und dürfte jetzt 13 bis 14000 Species überschreiten. Die Zahl der Perennirenden beträgt allein mit Ausschluss der Alpenpflanzen 2000 Species. Der botanische Garten ist in den Abendstunden von 5—7 Uhr mit Ausnahme der Sonn- und Festtage für Jedermann geöffnet, sonst wird der Besuch auf Ansuchen nicht versagt. 40 II. DIE BOTANISCHEN SAMMLUNGEN. Vorstand Assistent Pror. BARTLING. Dr. LANTZIUS-BENIGNA. Die alten Grundlagen eines Herbarium Vivum, welche schon zu Münchhausens- Zeit aus den Sammlungen des Leibmedicus Hugo aus einer Suite malabarischer Pflanzen, dann später aus dem Forster’schen und dem Erhart’schen Herbarium gebildet wurden, sind fast völlig zu Grunde gegangen. Die Herbarien wurden eigentlich erst seit dem Jahre 1833 wieder neu begründet, deren Hauptgrundlage ausser vielfachem neueren Zuwachs und Ankauf vorzüglich das Bartling’sche Herbarium bildet. ° Die Herbarien bestehen aus 3 Abtheilungen : Das Haupt- oder allgemeine Herbarium über 20000 Species. ©) Ein Garten-Herbarium, welches die in den Gärten cultivirten Pflanzen enthält. 3. Das hannoversche Herbarium, für die im Königreiche Hannover wildwachsen- den Pflanzen, um deren Beschreibung und Abbildung sich der Physiograph des Königreichs, Georg Fried. Wilh. Meyer (geb. 1782), ganz vorzüglich verdient machte. Die über die Flora hanoverana mit grösster Sorgfalt ausgeführten Prachtwerke müssen hier ganz besonders hervorgehoben werden. Die Benutzung dieser vollständig geordneten botanischen Sammlungen wird durch einen genauen Catalog erleichtert und steht jedem zum Dienste frei, der sich diessfalls an den Vor- stand wendet. Im neuester Zeit werden sie in zwei Zimmern der Wohnung des Garten- meisters aufbewahrt. Das frühere anatom. Theater im botan. Garten. 41 DAS PHYSIOLOGISCH - ZOOTOMISCHE INSTITUT. Vorstand Assistent Horr. R. WAGNER. Pror. BÖDEKER. Dr. SCHRADER. In dem Raume des ehemal. Prof. Michaelis- dann v. Werlhof’schen Hauses, welches von der Regierung angekauft und wesentlich umgebaut wurde, befindet sich in dem obern Stock- werke das von dem Vorstande im Jahre 1842 völlig neu begründete physiologisch-zootomische Institut. Es war damals nach jenem in Breslau durch Purkinje und jenem in Rostock durch Stannius das dritte in Deutschland errichtete, hier nun in grösserem Maassstabe aus- geführte Institut. Es umfasst gegenwärtig: 1. Die zootomische Sammlung, vorzüglich Thierskelette für Vorträge über verglei- chende Anatomie. 2. Eine Sammlung anatomisch -physiologischer Präparate. 42 3. Die antropologische Sammlung, deren Hauptinhalt die berühmte Blumenbach’sche Schädelsammlung bildet. Sie besteht aus 300 Schädeln, Skeletten, Mumien verschiedener Völker, ist später durch Geschenke des Königs Ludwig von Bai- ern, des Grafen Görtz- Schlitz und Ankäufe von dem Reisenden von Tschud vermehrt. 4. Die Racen-Büsten des Prof. von Launitz in Frankfurt. Nächst diesen Sammlungen besteht im Institute noch eine Reihe von Instrumenten und Apparaten für physiologische Zwecke, eine Sammlung anatomischer und physiologischer Werke. Bedeutend ist ferner eine reichhaltige Sammlung von Mikroskopen aus den bedeu- tendsten Werkstätten hervorgegangen. In dem obern Stockwerk finden sich Räume für physiologische und zootomische Uebungen und mikroskopische Untersuchungen und ein Hör- saal für die Vorlesungen über Physiologie und vergleichende Anatomie. In dem Hofe und den untern Räumen sind Stallungen und Bassıns für Wasserthiere. DAS PHYSIOLOGISCH-CHEMISCHE LABORATORIUM. Vorstand Pror. BÖDEKER. Gleich bei Gründung des physiologischen Instituts wurde ein eigenes Laboratorium für physiologische und pathologische Chemie angelegt, welches bei den wachsenden Bedürfnissen der Wissenschaft wesentlich erweitert werden musste und nun unter Leitung des Professor Bödeker vorzüglich für chemische Uebungen der Mediziner bestimmt wurde. Es ist dieses Laboratorium ein integrirender Bestandtheil des physiologischen Instituts. — Nach den neuesten Erweiterungen können 10—15 Practicanten für prakt. Arbeiten Platz finden. 43 VI. DAS PHYSIKALISCHE CABINET. Vorstand Pror. WILHELM EDUARD WEBER. Pror. JOHANN BENEDICT LISTING. Das physikalische Cabinet datirt seinen Ursprung aus Lichtenberg’s Zeit, dessen Privat- sammlung physikalischer Instrumente von der Regierung im Jahre 1789 zur Gründung eines academischen Apparats gegen eine Leibrente erstanden und mit einer Anzahl älterer Werk- zeuge, zum Theil aus dem v. Uffenbach’schen Nachlasse vermehrt wurde. Dieser Vorrath aber bildete erst nach Lichtenberg’s Tode (1799) den Inhalt eines besonderen Instituts, wel- ches unter der Aufsicht des von Erlangen berufenen Hofraths Johann Tobias Mayer in mehreren der untern Räume des Museums eingerichtet wurde. Die Leitung desselben ging nach Mayer’s Tode 1831 auf Weber (aus Halle berufen), und in Folge seines Ab- gangs im Jahre 1839 auf Listing über (bis dahin Lehrer an der polytechnischen Schule zu Hannover). Den zunehmenden Fortschritten und Ansprüchen der Naturwissenschaft war trotz einiger Erweiterungen das alte Local längst nicht mehr entsprechend, so dass die Uebersiedelung in das zu diesem Zweck so wie für die Gründung eines physiologischen Instituts von der Regierung angekaufte von Werlhof’sche Haus einem der dringendsten Bedürfnisse abhalf. In dem neuen geräumigeren Local wurde eben sowohl auf die Einrichtung geeigneter Räume für Beobachtungen und Versuche, als auf die bessere Aufstellung der Apparate Bedacht genommen. Während Hörsal und Sammlung im ersten, sowie ein Theil der Vorräthe an Material und Utensilien im zweiten Stockwerk unterge- bracht wurden, mussten die unteren Locale zur Herstellung eines eigentlichen physikalischen Laboratoriums dienen. Der Experimentir-Saal besteht aus zwei ungleich grossen Abtheilun- gen, die je nach Bedürfniss zusammen oder getrennt benutzt werden. Der Fussboden ist an passenden Stellen mit soliden, auf dem Kellergewölbe ruhenden Sohlsteinen versehen, zur festen Aufstellung empfindlicher Messinstrumente.. Hieran schliesst sich eine kleine mechanische Werkstatt und ein mit den nöthigen Feuerungsanlagen versehener Raum für chemisch-physikalische Arbeiten. Bei dem Neubau der Treppe ist auf die Aufstellbarkeit a 6* 44 solcher Vorrichtungen Rücksicht genommen, welche eine grössere Höhenausdehnung erhei- schen, wozu gleicherweise ein Fussboden-Durchlass aus dem obern Zimmer in den untern Saal angelegt ist. Durch Weber’s Rückberufung im Jahre 1849 aus Leipzig erhielt das Institut seine jetzige Gestaltung und Erweiterung. Es besteht nunmehr aus zwei Ab- theilungen. Die I. Abtheilung für Experimental-Physik unter Weber’s Leitung umfasst ausser dem erwähnten Experimentir-Saal an der Ost- und Südseite des Erdgeschosses die Räume des ersten Stockwerkes sowie einen 1850 im Garten des Cabinets angelegten eisen- freien Pavillon behufs magnetischer und electro-dynamischer Messungen. Zur I. Abtheilung für mathematische Physik unter Listing’s Leitung gehören ausser einem grösseren Zimmer nebst Kammern des zweiten Stockwerks ein neu hinzugekom- mener Beobachtungsraum an der Süd- und Westseite des Erdgeschosses, ebenfalls mit festen Sohlsteinen sowie A behufs optischer Versuche mit lichtdichtem Fensterverschluss versehen. Beide Abtheilungen besitzen gesonderte Inventare, welche sich meistens gegenseitig ergänzen und, weil in Einem Institute vereinigt, jedem der beiden Vorstände die bequemste Benutzung gestatten. Ausser den currenten Vorlesungs-Apparaten finden sich in der ersten Abtheilung die verschiedensten auf Magnetismus, Electrieität und Diamagnetismus bezügliche Vorrichtungen und Messwerkzeuge, von welchen das erst unlängst im vorhin erwähnten Pavillon aufgestellte magnetometrische Inductions-Inclinatorium genannt zu werden verdient. Magnetstäbe und Multiplicator-, wie Inductor-Rollen besitzt das Cabinet bis zu colossalen Dimensionen. An dem früher auf der Sternwarte benutzten Gauss’schen Bifilar-Magnetome- ter, dessen 50pfündiger Stab an zwei durch drei Etagen des Hauses reichenden Metalldräh- ten aufgehangen und mit Temperaturcompensation versehen ist, werden an den gewohnten magnetischen Terminen die stündlichen Veränderungen der Intensität des Erdmagnetismus aufgezeichnet. Die zweite Abtheilung besitzt einen vollständigeren Vorrath an optischen Instrumenten, sowie mehrere vorzügliche Messwerkzeuge. Zu jenen gehören verschiedene Fernröhre und Mikroskope, ein eben so bequemer als einfacher Heliostat, sowie mancherlei Vorrichtungen für Interferenz, Polarisation und Doppelbrechung; zu diesen ein Normal-Meter, ein Comparator, ein $zölliger Theodolith mit mikrometrischer Ablesung, ein Passageprisma zur Zeitbestimmung und ein vorzügliches Chronometer von Kessels, mit einem für genaue Beobachtungen besonders bequem eingerichteten Secunden-Zifferblatte. Mit dieser Abtheilung ist die im Jahre 1842 begonnene tägliche Aufzeichnung der meteorologischen Instrumente ver- bunden, von denen Thermometer und Psychrometer auf einem im ersten Stockwerk hofwärts 45 e angelegten Balkon im Freien, der Regenmesser auf dem Hofe selbst, das Barometer aber in einem abgesonderten von dem Wechsel der Zimmerwärme unberührten Raume beobachtet werden. In die Benutzung von Hof und Garten theilt sich das physikalische Cabinet mit dem physiologischen Institut, dessen Nachbarschaft bei der heutigen Annäherung zwischen den organischen und unorganischen Gebieten der Naturwissenschaft für beide Institute nur vortheilhaft ist. Die practisch-physikalischen Uebungen in dem 1850 errichteten mathematisch-physi- kalischen Seminar werden in beiden Abtheilungen des Cabinets geleitet. Dem mathe- matischen Theil der Uebungen und Vorträge im Seminar stehen die Professoren Ulrich und Stern vor. Auch ist die Einrichtung getroffen, dass die Seminar-Mitglieder zur practischen Ausbildung in den beschreibenden 'Theilen der Naturwissenschaft Gelegenheit finden. \AIE DIE STERNWARTE. Vorstand Assistenten Gen.-Horr. GAUSS. Dr. WESTPHAL. Cano. KLINKERFUES. Die ersten Anfänge eines Observatoriums in Göttingen waren bis zur Erbauung der neuen Sternwarte höchst unbedeutend und unzureichend. Ursprünglich hatte man die Absicht auf der damaligen Universitäts-Kirche, der gegenwärtigen Bibliothek , dann auf dem Haller’- schen Hause im botanischen Garten eine Sternwarte zu gründen, im Streite über diese beiden Pläne verschob sich die Angelegenheit bis zum Jahre 1751, als endlich v, Segner und Mayer einen alten Thurm an der Stadtmauer in dem damaligen Apotheken-, dem jetzigen Voss’schen Garten , für die Gründung des Observatoriums in Vorschlag brachten. Die Kosten der Instrumente wurden auf 2056 „P veranschlagt, die Regierung bewilligte hierfür und für den Bau 3000 „?, zu welcher Summe die Calenbergische Landschaft noch 46 1000 „P zulegte. So kam an dieser Stelle das erste Observatorium in Göttingen zu Stande, allein die baulichen Einrichtungen waren gleich anfänglich so mangelhaft, das Gebäude schon 1759 ganz schadhaft, dass die Instrumente der Gefahr des gänzlichen Verderbens ausgesetzt waren. Es hatten Kästner, welcher nach Mayer und Lowitz die Leitung des Observatoriums übernahm und Professor Carl Fel. Seyffer (+ 1821), welcher von 1759—1804 unter ihm als Observator angestellt war, unausgesetzt mit den Mängeln des alten Gebäudes, dessen unterer Raum als städtisches Spritzenhaus benutzt wurde, mehrmal dem Einsturze drohte und bei der fortwährenden Senkung der Mauern eine Reihe von Instrumenten gar nicht benutzen liess, zu kämpfen. Auf diese Weise stellte sich das Bedürfniss nach einem neuen Gebäude für astronomische Beobachtungen immer dringender heraus. Im Jahre 1802 wurde der auf der südöstlichen Seite vor der Stadt gewählte Bauplatz gekauft, und 1803, nachdem der König Georg III. die Summe von 23500 „P dafür bewilligte, der Bau nach einem Plane des damaligen Kloster- und Universitäts- Baumeisters Just. Heinr. Müller (+ 1825) nach dem Vorbilde des Radcliffe-Observatoriums zu Oxford und der Sternwarte auf dem Seeberge bei Gotha begonnen, während der Kriegszeiten zwar eine zeitlang unterbro- chen, allein in der westphälischen Zeit mit einer Unterstützung von 200000 Frances, von neuem in Angriff genommen, im Jahre 1816 zu Ende geführt. Das Gebäude besteht aus der eigentlichen Sternwarte und zwei Seitenflügeln, den Amtswohnungen des Vorstandes auf einer, der Assistenten und des Wärters auf der andern Seite. Die Sternwarte selbst, das für Beobachtungen bestimmte Gebäude, enthält ebener Erde eine schöne Vorhalle und vier Säle für die Instrumente und Beobachtungen. In dem nach Osten gelegenen ersten Zimmer sind zum Theil die Teleskope aufgestellt, die aus der Schröterschen Instrumenten- Sammlung in Lilienthal herrühren. In dem zweiten daranstossenden sowie in dem nach Westen liegenden, diesem entsprechenden Saale, sind die fixen Meridian -Instrumente auf- gestellt, die auf je zwei dicken freistehenden Pfeilern ruhen. Die freie ununterbrochene Aussicht von Süd durch das Zenith nach Nord wird durch die anderthalb Fuss breiten Meridian -Einschnitte in den Seitenmauern und dem Dache erzielt, welches durch hölzerne mit Kupfer beschlagene Klappen leicht geöffnet werden kann. In der Mitte erhebt sich ein thurmartiger Bau, dessen halbkugelförmige Kuppel gedreht werden kann. Von den zahlreichen und werthvollen Instrumenten wollen wir hervorheben: einen Meridiankreis und ein Passageinstrument, beide von Reichenbach, unter demselben west- lichen Meridianeinschnitte; dieser Meridian fällt durch ein merkwürdiges, erst später ent- decktes Spiel des Zufalles mit dem Meridian der Altonaer Sternwarte innerhalb weniger Fusse 47 zusammen. Die hier aufgestellte Pendeluhr mit Quecksilber - Compensation, verfertigt von Hardy, ein wahres Kleinod der Sternwarte, ist ein Geschenk des Herzogs von Sussex. Unter der östlichen Meridianspalte steht ein älterer von Repsold verfertigter Meridiankreis mit einer Pendeluhr von Liebherr. Zu aussermeridionalen Beobachtungen besitzt die Stern- warte aus neuerer Zeit einen ausgezeichneten beweglichen Refractor von Merz aus München. In der Geschichte der Wissenschaften haben ferner eine Reihe von Instrumenten, welche von Gauss für seine seit dem Jahre 1821 ausgeführten geodätischen Messungen gebraucht wurden, eine besondere Bedeutung. DAS MAGNETISCHE OBSERVATORIUM steht auf einem freien Platze vor der Sternwarte und wurde aus Anlass der von’ Gauss begonnenen magnetischen Beobachtungen 1833 erbaut. Im Jahre 1832 wurden schon an der Sternwarte zu Göttingen die ersten Versuche mit magnetischen Apparaten zur Messung der absoluten Intensität des Erdmagnetismus gemacht, und eine Reihe von Apparaten von Gauss und W. Weber construirt. Von diesem Observatorium wurde ferner auch von diesen beiden als ein interessanter physikalischer Versuch um das Jahr 1834 über die Stadt ein galvanischer Leitungsdraht in das physikalische Cabinet geführt und zu vielen wissenschaft- lichen Untersuchungen unter andern auch zur Regulirung der Uhren am physikalischen . Institute benutzt. Diese erste grosse, über die Stadt fortgeführte galvanische Leitung von 3000 Fuss, wurde schon damals zur Telegraphie verwendet, was von hier aus Steinheil in München technisch weiter verfolgt hat. Als 1845 (am 16. Dee.) ein Blitzstrahl den Leitungsdraht zerstörte, war das, was Gauss mit voller Zuversicht schon 1836 ausgesprochen hatte, dass solche Leitungen auf viele Meilen ohne Zwischenstation auszudehnen seien, bereits zur Wirklichkeit geworden. Die geschichtliche Bedeutung dieser hiesigen ersten Versuche für unsere heutige elektrische Telegraphie bedarf keiner weitern Ausführung. DIE CHEMISCHEN LABORATORIEN. Vorstand Assistenten Horr. WÖHLER. Prıv.-Doc. Dr. LIMPRICHT. Prıv.-Doc. Dr. WICKE. Dr. GÖSSMANN. Ir Das neue chemische Laboratorium in der Hospitalstrasse wurde im Jahre 1843 erbaut, weil bei der wachsenden Zahl von Chemie Studirenden das dringende Bedürfniss eines grössern Auditoriums vorhanden war und die älteren bisherigen Räumlichkeiten nicht mehr genügten. Das Gebäude umfasst einen Hörsal für S0 Zuhörer und daran ein zweckmässig eingerichtetes Laboratorium mit andern dazu gehörigen Räumen. In den für die practischen Arbeiten bestimmten Räumen können 30—40 Practicanten Platz finden. Es werden hier unter specieller Leitung des Vorstandes und eines seiner drei Assistenten gegenwärtig Dr. Gössmann die grösseren chemischen Arbeiten und Untersuchungen ausgeführt. II. In dem daneben liegenden Hause befindet sich das ältere Laboratorium. Dieses Gebäude im Jahre 1783 angelegt, zugleich die Amtswohnung des Vorstandes, war früher das einzige 49 Laboratorium der Universität. Die ersten Lehrer der Medizin, welche die Chemie als deren Nebenzweig lehrten, behalfen sich bei chemischen Arbeiten anfänglich in ihren Privat- Woh- nungen, bis J. G. Brendel seine chemischen Versuche und Arbeiten in die Universitäts- Apotheke verlegte. Da der Apotheker Jäger (1749) bei der Regierung Vorstellungen dagegen erhob, wurde Brendel in der Benutzung jenes Laboratoriums auf‘ 1 bis 2 Tage in der Woche beschränkt, doch sollte in den neuen Apotheken-Pachtbedingungen der Pachter ange- halten werden, zum Lesen eines für die Pharmacie nöthigen Collegiums die entsprechen- den Räumlichkeiten zu schaffen. Diesen Uebelständen wurde nun durch Anlegung eines eigenen chemischen Instituts (1783) abgeholfen, doch genügte schon nach 5 Jahren dieses nicht mehr, und es wurde ein Anbau und Vergrösserung des alten Hauses unter J. F. Gmelin nothwendig (1787). Unter Fr. Stromeyer (1808—1835) wurden die Apparate fast völlig neu geschaffen, die innere Einrichtung des Laboratoriums wesentlich verbessert und (1830) ein weiterer neuer Anbau des Hauses an der westlichen Seite unternommen. In neuester Zeit konnte es dadurch, dass das Auditorium in das neue Gebäude verlegt wurde, bedeutend vergrössert werden. In den 15—20 Plätzen arbeiten die Practicanten unter Leitung des Vorstandes mit Assistenz des Dr. Limpricht und Dr. Wicke. III. Trotz dieser Erweiterung, da sich jedes Semester 70—80 Practicanten melden, musste ein drittes Filial-Laboratorium zunächst für Landwirthschaftstudirende eingerichtet werden, welches in dem alten Concilienhause in der Nähe der Bibliothek seinen Platz fand. Eıst in diesem Jahre wurden dort Arbeiten begonnen, welche unter Aufsicht des Vorstandes und Dr. Wicke geleitet werden. x EV. Für practisch-chemische Uebungen der Mediciner musste durch die Erweiterung des Laboratoriums im physiolog. Institute (s. d.) gesorgt werden. An der Stelle des Prof. Städ- ler, gegenwärtig in Zürich, wurde Prof. Bödeker aus Bonn berufen. Auch im neuen Hospitale ist für chemische Untersuchungen ein Laboratorium eingerichtet. (Vergl. unten X.). 50 IX. DIE ANATOMIE. Vorstand Prosector | Assistent Horr. HENLE. PAULI. TEICHMANN. Den Beginn des anatomischen Unterrichts und der Secirübungen machte der erste hieher berufene medicinische Professor Joh. W. Albrecht, der leider in dem ersten Jahre seines Wirkens in einem Alter von 39 Jahren starb. Es ist noch der Tag der ersten von ihm vollbrachten Section (5. Dec. 1735) bekannt, und Hollmann erzählt, wie er in einem feuch- ten Gewölbe. eines finstern -und dumpfen Festungsthurmes am Groner-, nicht am Albani- Thore die Anatomie zum grossen Entsetzen der damals noch weniger gebildeten Einwohner eingerichtet hatte, und diese ihm Wasser und Holz verweigerten. Nach der Richtung der Zeit betrachtete man die Anatomie als einen mit der Chirurgie und Botanik innig verbundenen Zweig der Mediein, daher mit dem Plane der Anlage im botanischen Garten schon zu Albrecht’s Zeit die Idee auftauchte, in dem horto medico mit des Gärtners Wohnung das Theatrum anatomicum zu verbinden. Vier Jahre nach dem Beginn der Universität wurden unter Haller’s Einflusse geeignetere, für die Vorlesungen und anatomischen Uebungen bestimmte Rä in dem obern Stockwerke der Wohnung des Gar- tenmeisters eingerichtet. Unter Haller’s Leitung bekam auch die estate ungemeinen Auf- schwung, und Göttingen erlangte eine Berühmtheit vor allen andern deutschen Universitäten, dass hier für einen mässigen Preis den Studirenden Gelegenheit geboten war, sich im Präpariren und Seciren zu üben. Nach Haller’s Weggange (1753) fand die Theilung der drei von ihm bekleideten Pro- fessuren in der Weise statt, dass Brendel sein Nachfolger in der Chirurgie, Zinn in der Botanik und Röderer in der Anatomie wurde, der auch die Leitung des anatomischen Theaters behielt: nach ihm folgte P. G. Schröder, dann Wrisberg und dessen Prosector Hempel. Wrisberg’s Nachfolger war Langenbeck. Unter seiner Leitung wurde 1827 der Bau eines neuen grossen anatomischen Theaters im griechischen Style begonnen, welches jetzt als eins der schönsten Gebäude betrachtet werden muss; obwohl vor der Stadt gelegen, schliesst es doch die Aleestrasse ab und wird somit zu einer Zierde der Stadt. Auf die ie 51 innere Einrichtung hatten die Angaben Langenbeck’s den unmittelbarsten Einfluss. Im Jahre 1829 bezog man die neue Anatomie, welche auch in der äussern Erscheinung eine der stattlichsten Deutschlands ist. “ Das Gebäude besteht aus einem Stockwerk, ist 180 Fuss lang, und enthält in einer 50 Fuss hohen Rotunde ein Auditorium für 200 Zuhörer. Der Demonstrirtisch ist noch derselbe, dessen sich Haller bediente. Daneben in der Südseite des Gebäudes befindet sich der Secirsaal, 17’ hoch, 35’ breit, 18° lang, daneben die Arbeitszimmer des Directors und Prosectors, und eine Küche. An der Nordseite die Räume für die Sammlungen. Im untern Theile ist die Wohnung des Wärters,‘ der Leichenkeller und die anatomische Küche. In einem kleinen Gebäude hinter der Anatomie ist die Maceriranstalt und die Knochenbleiche. Die Anstalt ist nur für die menschliche Anatomie bestimmt, während die patholo- gische Anatomie mit dem Hospitale, die vergleichende mit dem physiologischen Institute vereinigt ist. Der Secirunterricht wird im Winter an frischen Körpern ertheilt, deren Zufuhr den Ver- hältnissen genügend entspricht. Im Sommer fallen die Leichen dem Professor der Chirur- gie für die Operationsübungen zu; doch ist auch im Sommer die Gelegenheit zu Präparir- übungen an injieirten in Weingeist aufbewahrten Präparaten dargeboten. DIE ANATOMISCHE SAMMLUNG. Schon Haller legte eine Sammlung von Präparaten an, welche nach seinem Abgange in der Anatomie-Kammer aufgestellt wurden. Auch zu Langenbeck’s Zeiten war eine. ältere vielfach vermehrte Sammlung pathologischer Präparate in der Anatomie aufgestellt, zu wel- cher die 1837 von der Regierung erkaufte Sammlung kranker Knochen von Wynpersse kam, welche später mit der pathologischen Sammlung des Hospitals vereinigt wurde. Die gegen- wärtige reiche anatomische Sammlung ist von Langenbeck gegründet und zählt an 1500 Präparate, viele davon werden immerwährende Zeugnisse der bewunderungswürdigen Geschicklichkeit des berühmten Anatomen bleiben. Eine bedeutende Anzahl von Präparaten rührt von der Hand des seit 1820 und noch gegenwärtig an der Anatomie thätigen Prosectors Pauli her; vom jetzigen Vorstande wurde die Sammlung um mehrere hundert Nummern ver- mehrt. Sie ist besonders ausgezeichnet durch Gefäss- und Nervenpräparate, berühmt sind auch die Langenbeck’schen Präparate des Gehörorgans. 52 X. DAS ERNST - AUGUST-HOSPITAL. - Hospital-Vorstand. Die Oberärzte des Krankenhauses : Horr. FUCHS u. Pror. BAUM. Klinik. a. medicinische : Horr. FUCHS, Director. Assistenzärzte im Hospitale: für die Poliklinik : Dr. MICHAELIS, Dr. SCHUCHART, Dr. KROLLMANN, Dr. WACHSMUTH. b. chirurgisch augenärztliche: Pror. BAUM, Director. Assistenzärzte im Hospital : für die Poliklinik : Dr. KRAUSE, Dr. LOHMEIER. Dr. ROESING. Klinische Stunde: medicinische Klinik: chirurgisch augenärztliche Klinik : Wintersemester von 101/,—12 Uhr. 9—10!/, Uhr. Sommersemester ‚„ 10—12 > 8—10 = 53 Das erst im Jahre 1850 vollendete und im August des folgenden Jahres von dem hochse- ligen Könige Ernst August bei seiner letzten Anwesenheit in Göttingen persönlich der Uni- versität überwiesene academische Krankenhaus liegt in einer Verbindungsstrasse zwischen der Allee und Gronerstrasse früher ‚hinter. den Rahmen,‘ nun die Hospital-Strasse genannt. Es besteht aus einem Hauptgebäude mit 2 Stockwerken, Erdgeschoss und mehreren kleinen Gebäuden für Hauszwecke, nebst einem Hause für ansteckende Krankheiten, welches in dem durch die Strasse getrennten Garten liegt. Das Hauptgebäude wird durch ein auf Säulen ruhendes Treppenhaus in zwei Abtheilun- gen getheilt, von denen die rechte die männlichen, die linke die weiblichen Kranken ent- hält. In jedem Stock befinden sich jederseits zwei grosse Krankensäle zu je 12, und zwei kleinere zu je 6 Betten, eine kleine Küche, ein Badezimmer und einige Zimmer für Privat- kranke. Im ersten Stock, welcher für die medicinische Klinik ‘bestimmt ist, sind ausser den Krankensälen, 1 Zimmer für den Director, Wohnung für den ersten Assistenzarzt und 5 für Privatkranke bestimmte Zimmer. Gegen den Hof zu liegt der grosse klinische Hörsaal mit ‚Wartezimmer und nebenliegenden Räumen für die Separat-Krankenuntersüchungen. Der zweite Stock, für die chirurgischen Kranken bestimmt, enthält ausser den Krankensälen Wohnungen für einen chirurgischen und für den zweiten medieinischen Assistenzarzt, einen Saal für die Sammlung chirurgischer Instrumente, ein Krankenzimmer für Studirende, die zum Kran- kenverein gehören und drei Zimmer für Privatkranke. Ueber dem Hörsaal des ersten Stocks liegt der für die chirurgische Klinik und für die Operationen bestimmte Hörsaal nebst zugehörigen kleineren Räumen. Im Erdgeschoss ist der Hörsaal für pathologische Anatomie, ein grosser Raum für die pathologisch -anatomischen Untersuchungen, der zugleich zum che- mischen Laboratorium eingerichtet ist, zwei Säle für die pathologisch -anatomische Samm- lung. Hier befinden sich ausserdem ein Zimmer für Krätzige und eines für Tobsüchtige. Das Erdgeschoss enthält endlich die Wohnung des Verwalters und der Dienstboten, die Kü- che mit den Wirthschaftslokalen. Ein grosses Gebäude auf dem nach Osten gelegenen Hofe enthält : den Sectionssaal mit Leichenkammer, eine Dampfmaschine, welche das Wasser auf den Bodenraum des Haupt- gebäudes treibt, von wo es durch Röhren in die Küchen, Bäder und Waterclosets geleitet wird ; endlich das Waschhaus und die Holzböden. In dem jenseits der Hospitalstrasse nach Westen liegenden grossen Garten, zu Spazier- >4 gängen für die Kranken bestimmt, liegt in einer besonderen Abtheilung ein Haus für an- steckende Kranke und der Eiskeller. Durch das Hospital sind die einzelnen früher getrennten klinischen Anstalten sämmtlich vereinigt. Obschon gleich vom Beginne der Universität an, insbesondere P. G. Werlhof in Han- nover auf die Anlegung eines Krankenhauses oder, wie man es damals nannte, eines Laza- rethes drang und der Einwendung der hohen Kosten einer solchen Anstalt damit begegnete, dass man es als eine Landesanstalt betrachten müsse; so kam doch die Ausführung viel später erst zu Stande ; ein ambulatorisches Klinikum wurde 1764 durch R. A. Vogel begründet und erst unter Baldinger (1782) zu einer auf Kosten der Regierung erhaltenen Anstalt er- hoben. Röderer’s Vorschlag, ein Hospital mit 12 Betten zu gründen, scheiterte lange an {der Wahl eines dafür geeigneten Hauses. Bis zum Jahre 1779 waren Pläne und abermals Pläne gemacht, bis endlich das Anerbieten der Freimaurer-Loge Augusta zu den drei Flammen, halbjährlich eine Summe von 125 »® für den Zweck der Errichtung eines, vornehmlich chi- rurgischen Krankenhauses mit 10 Betten zu geben, der Anstoss zur Ausführung dieser für die medicinischen Studien so wichtigen Anstalt wurde. Die Regierung gewährte gleichfalls einen Zuschuss, und so wurde die jährliche Summe auf 300 „$ vermehrt, und 1781 das Hospital in einem am Geismarthore gelegenen Hause, welches jene Gesellschaft für diesen Zweck be- stimmte, eröffnet. Nach der Auflösung der Loge machten die Mitglieder der Regierung mit dem‘Gehäude und einem Kapitale von 5000 „$ ein Geschenk. Getrennt von dem Hospitale bestand das königl. klinische Institut als Poliklinik fort, doch hatten die einzelnen Professoren, von der Regierung unterstützt, noch verschiedene Pri- vatkliniken, welche erst unter Himly (1803) mit dem Hospital vereinigt und darauf (1809) in das früher Böhmer’sche Haus, am stumpfen Biel, verlegt und bedeutend erweitert wurden. Das Hospital umfasste zuletzt 40—50 Betten. Das durch Langenbeck (1807) gegründete klinische Institut für Chirurgie und Augenheil- kunde wurde (1809) aus dem ehemaligen Concilienhause in das früher Rente’sche Haus ver- legt und 1811 durch einen neuen Ausbau erweitert, so dass hier Raum für 30—40 Betten war. Ein medicinisches (ambulatorisches) Klinikum wurde 1823 unter Leitung des Hofrath Conradi, und bei der Berufung des Hofrath Fuchs von diesem ein kleines Hospital begründet. 55 SAMMLUNGEN IM HOSPITALE. 1. Die pathologisch - anatomische Sammlung, angelegt vom Hofrath Fuchs, vermehrt durch die werthvolle Sammlung des verstorbenen O. M.-R. Langenbeck. 2. Eine Sammlung von Eingeweide- Würmern von dem b erühmten Helminthologen Mehlis begründet. 3. Die Universitäts - Sammlung chirurgischer Instrumente. xl. DAS ENTBINDUNGSHAUS. Vorstand: Assistent: Horr. v. SIEBOLD. j Dr. VARENHORST. Die erste kleine geburtshülfliche Klinik wurde schon 1751 von Prof. Röderer nach dem Vorbilde des Strassburger Bürgerhospitals gegründet; es war ein Entbindungszimmer, in dem alten Kreuzhospitale eingerichtet; diese Anfänge wurden unter Wrisberg’s und Schröder’s Leitung bedeutend erweitert. Zur Ausführung eines grossartigen Institut-Baues kam es un- ter der Leitung des Professor Fischer: im Jahre 1791 wurde an der Stelle der frühern Kreuzcapelle und eines kleinen städtischen Armenhospitals der Bau nach dem Risse des Chevalier de Nerciat begonnen, aber nur das Hauptgebäude des Entwurfes ausgeführt. Doch auch in dieser Ausführung war es seiner Zeit das glänzendste und prachtvollste Entbin- Peer = —i 97 dungshaus in Deutschland, und man wollte in der grossartigen Anlage die Nachahmung eines florentinischen Pallastes wieder erkennen. Das Gebäude hat die vortheilhafteste Lage an der Südseite der Stadt, mit der Hauptfronte gegen Osten gewendet, besteht aus zwei Stockwerken und einem Erdgeschosse, Hof und Gar- tenraum und Nebengebäude für Wirthschaftsbedürfnisse. Das zweite Stokwerk ist die Dienstwohnung des Direktors. Das mittlere Stockwerk enthält: das Gebärzimmer, ein Zimmer für die geburtshülfliche Klinik, drei Wochenzimmer, zwei Wohnzimmer für Schwangere, die Wohnung der Instituts-Hebamme. Nebstdem finden sich noch Privatzimmer für Personen höhern Standes, welche gegen Bezahlung auf- genommen werden. Die Stockwerke sind durch eine prachtvolle, lichte und breite Treppe verbunden. Im Erdgeschosse liegt, gegen den Garten hin, das grosse Auditorium, die Woh- nung des Assistenten, die Küche und eine kleine Hauskirche. Die Schwangeren, welche während ihres Aufenthaltes im Hause Kost und Mediein un- entgeltlich erhalten, werden 3—4 Wochen, bei grossem Andrange 14 Tage vor der Geburt aufgenommen und werden gewöhnlich 14 Tage nach der Geburt wieder entlassen. Es kom- men 120—130 Geburten im Jahre vor. Die Kinder werden auf Kosten des Hospitals ge- tauft und im Falle des Todes beerdigt. Jene Frauen, welche den 5monatlichen Hebammen- unterricht erhalten, wohnen gleichfalls im Institutshause ; ihre Zahl beträgt 10—12. SAMMLUNGEN. 1. Die berühmte Osiander’sche Sammlung von Weingeist-Präparaten und Becken. 2. Eine davon getrennte vom Vorstande angelegte werthvolle Sammlung. 3. Eine in dem klinischen Hörsaale in mehreren Schränken aufgestellte Sammlung ge- burtshülflicher Instrumente. 55 XI. DAS THIERARZNEI- INSTITUT. Provisorische Direction Assistent Horr. WAGNER. Taıerarzt LUELFING. Pror. HANSSEN. Ein älteres Institut, welches um das Jahr 1780 wieder aufgelöst wurde, hatte unter der Leitung des Professor Pol. Erxleben bestanden. Der jährliche Fond der Vieharzneischule von 250 »P, welcher desshalb überflüssig schien, weil in Hannover eine Hof-Ross- Arznei- schule gegründet wurde, floss dem Hospitalfond zu. Das gegenwärtige Institut wurde nach dem Plane des Dr. Lappe im Jahre 1816 gegrün- det und in einem bürgerlichen Wirthschaftshofe vor der Stadt am Groner Thore eingerichtet. In den Gebäuden findet sich ausser der frühern Dienstwohnung des Vorstandes auch die Wohnung des Assistenten, Wirthschaftsräume, ein Stall für kranke Thiere, in zwei Abthei- lungen, für Rindvieh und Pferde und für Schafe, daneben Raum für andere Hausthiere, ferner ein Hörsaal und ein Raum für Sectionen. Aufbewahrt wird eine ansehnliche Sammlung von Skeletten und Präparaten, von Dr. Lappe angelegt und eine kleine Büchersammlung des Veterinärfaches. Die übergebenen kranken Thiere werden unentgeldlich behandelt und geniessen freie Arznei, nur das Futter muss mitgebracht oder dem Institute ersetzt werden. Neben diesem Heil-Zwecke soll die Anstalt vorzugsweise die Hülfsmittel für die Vorträge über Pathologie und Therapie und für die klinischen Uebungen an Hausthieren gewähren. In ihrer gegenwärtigen provisorischen Einrichtung, nach dem Tode des zeitherigen Di- rectors, soll sie sowohl die Bestimmung haben, als Lehrinstitut für den landwirthschaftlichen Cursus, als auch für allgemeine physiologische Zwecke und Arbeiten als Hülfs - Institut zu dienen. 59 XII. DIE LANDWIRTHSCHAFTLICHE SAMMLUNG. Vorstand Pror. GRIEPENKERL. Diese Sammlung wurde erst in jüngster Zeit bei der Gründung eines eigenen landwirth- schaftlichen Lehreursus im Jahre 1852 gegründet und hat die Bestimmung, die Hülfsmittel bei den Vorträgen über Landwirthschaft zu gewähren. Bei der Kürze des Bestehens sind es erst Anfänge einer Sammlung von noch beschränk- tem Umfange; sie ist in zwei Sälen des alten Concilienhauses aufgestellt. In dem einen Saale, welcher zugleich als Auditorium benutzt werden kann, finden sich: Modelle von landwirthschaftlichen Geräthen und Werkzeugen, als, eine Reihe von Pflügen, Esgen, Wagen und andere Maschinen. In dem zweiten Saale sind Vorräthe landwirthschaft- licher Erzeugnisse, Fruchtsorten, Aehren, Sämereien, eine Collection feiner Wollsorten und eine kleine Naturaliensammlung für.landwirthschaftliche Zwecke. XIV. DAS KÖNIGLICHE UNIVERSITÄTS-HAUS. Das Bedürfniss grösserer, würdevollerer Räume für academische Feierlichkeiten, für die Sitzungen des Senats und passender Locale für academische Gerichtssitzungen , zur Aufbe- wahrung der Archive war lange Zeit fühlbar, stellte sich aber recht dringend heraus, als nach dem Willen Königs Georg IV. das erste hundertjährige Jubiläum mit besonderer Fei- erlichkeit begangen werden sollte. g* 60 Für jene academischen Zwecke wurde in der ersten Zeit der Universität ein Saal, die heutige Bibliothek benutzt, welches damals das eigentliche Universitätshaus war und bis auf die Carcer Alles in sich aufnahm. Nach Ch. Aug. Heumann’s, des früheren Directors des Gymnasiums, Tode (1764) wurde dessen Wohnhaus frei und nun für jene Zwecke benutzt. Die durch den Anwachs der Bibliothek verdrängten Auditorien zogen hier ein, so wie die Sitzungen des Senats (damals Concilium genannt, daher führt auch noch dieses, früher das Hennemann’sche Haus genannt, den Namen ‚‚Concilien - Haus‘‘). Der Bau des grossartigern Universitätshauses, an der Stelle des ehemaligen Tucker- mann’schen Hauses und des alten St. Annen Klosters, (nachmals das Zeughaus dann die Stadtwage), begann 1835 und wurde unter der Leitung des Bauinspectors Pra&l 1837 vollen- det. Der Platz, den nun dieses Gebäude ziert, hatte schon durch die Erbauung der königlichen Justizkanzlei an die Stelle des früheren Barfüsser Klosters gewonnen, und er vertauschte nun seinen alten Namen ‚‚der Neumarkt‘ mit dem des ‚‚Wilhelms- Platzes‘, indem gleichzeitig mit dem Jubiläum der Magistrat und die Bürgerschaft dem Könige Wil- helm IV. ein Standbild, nach dem Modelle des Bildhauers Bandel in Hannover auf der Rothe Hütte am Harze in Eisen ‘gegossen, aufrichten liess, welches mit dem neuen Ge- bäude zugleich eingeweiht wurde. Die Vorderseite des nach Süden liegenden, ein Stockwerk hohen, in einfachem griechi- schen Style ausgeführten Universitätshauses ist mit einem Giebelbilde geschmückt, eine Darstellung der vier Facultäten, gezeichnet und ın Sandstein ausgeführt von dem Bild- hauer Bandel. Durch ein schönes Portal gelangt man in ein lichtes Vorhaus, von wo auf beiden Seiten eine breite Treppe in die Haupttheile des Gebäudes, in das obere Stock- werk führt. Die Vorhalle in diesem Raume wird von 6 Säulen getragen und bildet einen würdigen Eingang zu den Sälen selbst. Im Erdgeschosse sind die Räume des academi- schen Gerichts, die Quästur, die Registratur, die Wohnung des Castellans; in dem rechten Flügel ist oben die Gemälde-, unten die Antiken-Sammlung; der Sitzungssaal der Societät, das mineralogische Cabinet befinden sich im ersten Stockwerke und im Erdge- schosse des rechten Flügels, welcher auch Raum für die academischen Carcer darbietet. NIONINGIEOND REIT rar TOILETTEN RIEN N 8\Wd PT EEE En mü SE RS [> = DIE GROSSE AULA UND DER PROMOTIONS -SAAL. Dieser für grössere academische Feierlichkeiten bestimmte Saal ist reich mit polychromer Stuckarbeit geziert, zu beiden Seiten tragen vierzehn schöne Säulen die Gallerie für die Zuhörer. Die Rückwand ist mit den Bildnissen der Könige Georg II. und Wilhelm IV. und mit einem neuen vortreffliichen Bilde des Königs Ernst August, vom Professor Oesterley, welches der hochselige König der Universität noch bei Lebzeit als Geschenk bestimmte, geschmückt. Ueber dem Katheder steht die Marmorbüste des Königs Georg III. (von J. Bacon 1777) des Stifters der Preisfragen. Als Erinnerungszeichen der Säcularfeier ist die Reihe der Fahnen bewahrt und neben den Bildern angebracht, welche damals von den Studenten bei den Aufzügen vorgetragen wurden. Ein vor diesem grossen Saale, dem Eingange zu, gelegener kleinerer Saal wird für die Doctor-Promotionen benutzt. Zwei Bilder sind die Zierde desselben, das des Königs Georg I. und über dem Katheder das Bild des ersten Curators Gerlach Adolf von Münchhausen. Leider entbehrt unser. Univer- sitätshaus eine Sammlung von Bildern sämmtlicher oder der hervorragendsten academischen Lehrer; nur einzelne werthvolle Portraits sind an einigen Orten zerstreut: doch gewähren einen Ersatz dafür die Reihe schöner Büsten, wie die von Haller, Heyne, Heeren, Lich- tenberg, Blumenbach, Kästner, Schlözer, Himly, Langenbeck, Eichhom u. m. a., welche die Bibliothekssäle schmücken. 11. DER SITZUNGSSAAL DER KÖNIGL. SOCIETÄT DER WISSENSCHAFTEN ist ein vorn in dem obern Stockwerke in dem linken Flügel gelegener schöner lichter Saal, mit in griechischem Vasenstyl ausgeführten Wandgemälden geschmückt. Das Archiv und die Registratur der Societät finden sich im dritten Stockwerke. 62 III. DIE ACADEMISCHE GEMÄLDE- UND KUPFERSTICH -SAMMLUNG. Vorstand Pror. LOTZE. Pror. ÖSTERLEY. Die Grundlage dieser nicht sehr zahlreichen academischen Gemälde-Sammlung bildet ein Vermächtniss des Ober-Appell.-Gerichts-Secretär Zschorn (+ 1795), welche anfänglich unter der Aufsicht des berühmten Kunsthistorikers Prof. Fiorillo in dessen Wohnung, dann im Museum aufgestellt war. Wennauch diese Sammlung nur einen kleinen Umfang von Bildern (es waren 270 Stück) enthält, so befinden sich darunter doch eine Reihe ganz vorzüglicher Stücke, besonders aus der niederländischen Schule; wir wollen hier nur aufmerksam machen auf die Landschaf- ten von Sal. Ruisdael, A. Goevaerts, Jodocus Momper, Joh. Heinr. Roos, auf die Prospecte von Arthur van der Neer und von J. Barth. Bassen ; ferner auf die ausgezeichneten Mannsköpfe von David Bailly und von Johann Sievens.. Unter den zahlreichen Genre- Bildern sind zu erwähnen jene von Kaedyk, von Johann Peter van Bredal, von Joan van Huchtenburgh (Hugtenburg); ganz vorzüglich sind die Bilder von Jean Le Duc und von Wilhelm Mieris, so wie mehrere Stücke von ÖOstade. Mehrere Bilder von Rembrandt und aus der Rubens’schen Schule, vielleicht von ihnen oder von ihren Schülern, vor allem aber das merkwürdige Bild, welches mit gutem Grunde Albrecht Dürer zugeschrieben werden muss, verdienen besondere Beachtung der Kunstkenner. Von historischen Portraits: die Bilder des Herzogs Christian Ludwig von Celle (von Van der Baan), des Prinzen Philipp von Hannover, des Ministers v. Behr, ein Portrait Leibnitz’s, früher Eigenthum der Familie v. Bremer; zeitweilig ist auch das lebens- grosse Bild Georg’s IV. (nach Lawrence) hier aufgestellt. Sehr zu beachten ist ferner das grosse wohlerhaltene Altar-Flügel-Bild, gemalt von Raphon aus Einbeck (1506), es ist eins der wenigen Denkmäler einheimischer Kunst der früher so reich geschmückten Kirchen Göttingens, welches sich aus den Zerstörungen des XVI. und XVII. und aus dem Vandalismus des vorigen Jahrhunderts erhalten hat. Es besteht aus dem Hauptbilde, die Kreuzigung Christi, und zwei Flügeln, auf deren Rückseite 63 grosse Heiligen-Bilder schweben. Es war ursprünglich das Altarbild der St. Jürgen Capelle vor dem Albanithor, kenntlich schon durch den Schutzheiligen St. Georg, und kam nach deren Zerstörung in die Kirche des Hospitals zum heiligen Kreuz am Geismarthore, und als auch diese für die Erbauung des neuen Entbindungshauses abgebrochen ‚wurde, gelangte es zu jener Sammlung. Um die Restauration der älteren Gemälde machte sich in neuerer Zeit der Universitäts- Zeichenmeister Grape sehr verdient. In denselben Sälen wird die reiche academische Sammlung von Kupferstichen, Holzschnitten und Handzeichnungen aufbewahrt. Diese Sammlung wurde begründet durch die Theile der Uffenbach’schen Schenkung, welche schon bei der Beschreibung der Bibliothek erwähnt wurde; diese gab hieher die einzelnen Stücke ab. Durch neuere Anschaffungen ist die Sammlung sehr bedeutend vermehrt. Die öffentliche Stunde zur Benutzung dieser Samm- lungen ist Donnerstag von 11—1 Uhr. IV: ARCHAEOLOGISCH - NUMISMATISCHES INSTITUT. Vorstand Assistent Horr. HERMANN. Pror. WIESELER. Ganp. SCHMIDT. I. ANTIKEN SAAL. Schon zu Heyne’s Zeit war eine Reihe von Gypsabgüssen nach Antiken für den archaeo- logischen Unterricht in einem Raume des Bibliothekgebäudes aufgestellt. Erweitert und vermehrt wurde diese Sammlung durch Otfried Müller (geb. 1797 + zu Athen 1840), welche nun auch durch das königliche Geschenk eines Theils der Elgini’schen Sammlung ge- schmückt wird. In neuester Zeit kamen noch Abgüsse von Denkmälern der neuesten Ent- deckungen von Halykarnass und Lycien hinzu. Die jetzt recht ansehnliche Sammlung ist im Erdgeschosse des rechten Flügels aufgestellt und wird zugleich als Auditorium für die Vorlesungen über Archaeologie benutzt. 64 II. NUMISMATISCHE SAMMLUNG. Den Grundstock dieser allgemeinen academischen Münzsammlung bildeten die Theile der Ch. W. Büttner’schen Sammlung, und sie wurde namentlich durch die Schenkungen des Baron von Asch, dessen Name als eines grossmüthigen Gönners der Universität mit ein- zelnen Instituten fortlebt, vermehrt. Besonders vollständig ist die Reihe der orientalischen Münzen. In diesem Zimmer ist auch eine Reihe von Gefässen und Thonbildern aus griechischen Gräbern aufgestellt, welche von Otfried Müller auf seinen Reisen gesammelt wurden. \R MINERALOGISCH -GEOLOGISCHE SAMMLUNG. Vorstand Pror. SARTORIUS v. WALTERSHAUSEN. Durch ein Geschenk des Vorstandes kam an die Universität dessen reiche Mineralien- Sammlung, welche neben einer mineralogischen Vollständigkeit besonders ausgezeichnet ist durch die reiche Collection von Krystallen und durch eine werthvolle Reihe vulkanischer Bildungen , welche von Sartorius während seines vieljährigen Aufenthalts am Aetna und in Island gesammelt sind. Die Sammlung ist in drei Zimmern des Erdgeschosses im linken Flügel aufgestellt. DAS LITTERARISCHE MUSEUM. Director d. Z. Pror. ZACHARIAE. (Der Vorstand besteht aus 5 ordentlichen und 5 ausserordentlichen Mitgliedern der Gesellschaft.) Den wissenschaftlichen Instituten ist das litterarische Museum als Leseanstalt für die von der königl. Bibliothek angeschafften hier aufgelegten wissenschaftlichen Journale und periodi- schen Schriften anzureihen. Durch diese Einrichtung wird, ein Zweck, welcher an anderen Bibliotheken durch die mit ihnen vereinigten besonderen Journal - Zimmer, wie in Berlin, er- reicht werden soll, in weit vollkommnerer Weise erfüllt, ohne die Bibliotheks - Verwaltung selbst mit der Aufsicht zu beschweren. Die Zeitschriften sind nämlich hier nicht allein einem grösseren Kreise von Lesern, auch den Studirenden, durch eine längere Zeit und in einer um- fassenderen Weise zur Benutzung freigestellt, sondern auch die von der Gesellschaft noch besonders angeschafften Blätter bilden eine wichtige Ergänzung. Gleich nach der Errichtung der Universität war der über alle Bedürfnisse einer wissen- schaftlichen Anstalt sorgsam wachende Münchhausen auf ein Verfahren bedacht, wie die ein- zelnen periodischen Blätter, welche von der Bibliothek angeschafft werden, auch allen Pro- fessoren rechtzeitig, noch vor der Aufstellung, zukommen möchten. (Resc. 1734. Decbr. 18.) Was damals bei einer so kleinen Zahl academischer Lehrer vielleicht eine ganz anwendbare . Massregel gewesen sein mochte, blieb bei der anwachsenden Zahl von Professoren schon nicht mehr ausführbar, und so suchte man sich durch Privat-Lesezirkel für wissenschaftliche Jour- nale zu behelfen, von welchen der Thibaut’sche und Ruprecht’sche eine Zeitlang für Göttin- gen bedeutungsvoll waren. Auch entsprach der im Jahre 1798 im Kaufhause gestiftete Ci- vilclub,, obschon die grössere Zahl seiner Mitglieder Professoren waren, jenem Zwecke nicht; es stand schon das entgegen, dass nach den Statuten Studirende von dem Eintritte ausge- schlossen waren. Im October des Jahres 1831 gab der für das geistige Leben der Universität damals so einflussreiche Karl Otfried Müller die erste Anregung zur Stiftung eines academischen Muse- ums, und als Vorbild dienten ähnliche Einrichtungen in Halle und Bonn. Der Plan fand nicht blos in den Universitätskreisen den lebendigsten Anklang, sondern auch von Seite der Regierung die kräftigste Unterstützung. — Es war nun Zweck die wissenschaftlichen Jour- 9 66 nale der Universitäts- Bibliothek einem grossen Kreise zuzuführen, auch eine Reihe von Ta- geblättern aufzulegen und endlich einen Mittelpunkt des geselligen Lebens, des gesellschaft- lichen Verkehres zwischen academischen Lehrern und Studirenden möglich zu machen. Für den ersteren Zweck werden von der Bibliothek unter Genehmigung des k. Curatoriums die nahe an 200 periodischen Schriften einen Monat hindurch aufgelegt, wo sie unter Haftung des Museums der Benutzung im Locale überlassen sind und nach zwei Wochen an die Mit- glieder auf wenige Tage nach Hause verliehen werden können. Neben diesen Schriften schafft die Gesellschaft noch über 40 wissenschaftliche und bel- 2 lettristische Zeitschriften an und hält ausserdem noch nahe an 50 politische Zeitungen, darunter eine amerikanische, drei englische, vier französische. Bei der Auswahl einzelner Localzeitun- gen wird auf die Wünsche der die verschiedenen deutschen Volksstämme als Mitglieder ver- tretende Studirenden ganz besondere Rücksicht genommen. Sehr bedeutend ist ferner die Anschaffung von Flugschriften, Brochüren und kleineren Büchern, welche gleichfalls aufgelegt werden. Neben dem Museum bestehen noch zwei Haus-Lesezirkel , auf welche besonders abonnirt wird. Der eine für die vom Museum angekauften Zeitschriften und Brochüren mit Aus- schluss der politischen Zeitungen. Ein zweiter, der sogenannte Bücher-Lesezirkel, welcher früher selbstständig, jetzt mehr mit wop Museum vereinigt, in einem ziemlichen Umfange die neueren Erscheinungen der Litteratur anschafft und diese 4 Wochen auf dem Museum auflegt, nach dieser Zeit aber unter den Mitgliedern cursiren lässt. Am Ende des Jahres werden diese Bücher auctionsweise verkauft. So liegen im Jahre wohl an 120 der neuesten Erscheinun- gen der Litteratur auf. Eine reichliche Sammlung der nöthigen Nachschlage -Werke , wissenschaftliche , geogra- phische Lexica und Encyclopaedien, eine nach den Zeitereignissen fortgesetzte Sammlung von Landkarten und Atlanten bilden einen Theil des Inventars der Leselokale. Durch diese ganze Einrichtung hat das litterarische Museum ein eigenthümliches Gepräge, welches es von andern vielleicht mit mehr Mitteln ausgestatteten Instituten, welche mehr gesellschaftliche Zwecke verfolgen, wesentlich unterscheidet. Der Hauptzweck unseres Insti- tuts bleibt die Benutzung der Journale, in. welcher Beziehung es nach Zahl und Auswalıl wohl keiner andereen derartigen Anstalt nachstehen dürfte. Alle anderen Zwecke, welche nach und nach hinzukommen, werden, wenn auch nur Gesellschaftsmitglieder Theilnehmer werden können, noch besonders fundirt. Auf diese Weise allein konnte der Beitrag der Mitglieder so niedrig gestellt werden. Die Gesellschaft besteht aus ordentlichen in Göttingen oder der nächsten Umgebung der 67 Stadt ansässigen und aus ausserordentlichen Mitgliedern, deren vorwiegende Zahl Studenten sind. Der Beitrag dieser beträgt im Halbjahre 3, jener 31/, „P nebst einem Eintrittsgelde von 3». Die anfängliche Zahl der ordentlichen Mitglieder betrug in den ersten Jahren kaum 40—50; im Jahre 1837 waren 80 ordentliche und eben so viel ausserordentliche; im Sommersemester 1854 124 ordentliche und 334 ausserordentliche, sohin nahe die Hälfte der Zahl der Studirenden. Nach vielen Wanderungen und nach ununterbrochenen Erweiterungen der Gesellschafts- Zwecke, der Vermehrung des Inventars hat das Museum gegenwärtig die schönen Räume des von dem ersten Director Otfried Müller erbauten Wohnhauses miethlich inne. Das obere Stockwerk enthält die Lesezimmer und zwar einen grössern Saal und fünf nebenliegende Zim- mer als Lese- und Gesellschafts- Local. Zu ebener Erde ist das Billard- Zimmer, ein schö- ner Gartensaal und drei Zimmer. Bücher und Journale dürfen jedoch in diese Räume nicht gebracht werden. — Für gesellige Zwecke wird auch der schöne Hausgarten benutzt; im Sommer bilden mehrere Concerte, welche hier veranstaltet werden, einen Mittelpunkt gesell- schaftlicher Unterhaltungen, an welchen auch die Familien Theil nehmen, so wie auch die Mitglieder des Museums im Winter bisher mehrere grössere Concerte und Bälle ausserhalb ihres Locales veranstalteten, an welchen auch Nichtmitglieder Theil nehmen können. Für Speisen und Getränke im Hause selbst wird durch den von der Gesellschaft bestell- ten Oeconomen, dem das Souterrain eingeräumt ist, gesorgt. 9* DRUCK DER UNIVERSITÄTS -BUCHDRUCKEREI VON E. A. HUTH IN GÖTTINGEN. Folgende Fehler bittet Seite 22 Zeile 4 v. 23 27 35 35 38 39 40 42 42 63 ERS STZTORSR SEO STONE m en en man durch die gebotene grosse Eile des Drucks zu entschuldigen. . Rud. Wagner geb. Baireuth 1805, berufen 1840, st. geb. 1806 ber. 1842, . Stromeyer st. Stromeier. . Beneke st. Benecke. . Linck st. Enck. . von Hoff st. v. Hof. . Rauschenplatt st. Rauschenblatt. . Monocotyledonen und Dicotyledonen st. Monocodyledonen und: Dieodyledonen. . Herbarium vivum st. Herbarium Vivum. . anthropologische st. antropologische. . von Tschudi st. von Tschud. . Halikarnass st. Halykarnass.