l fU V '/•, r'vM >xr '■ /i'-: -^. ••:■. i i^. NOV 15 fct MOV 15 LÜEC 31 Ü DEC b f 96 M^ SS \ ) £>■ I V ^T ' ö r DE' f^rih d f 1 i,U ■» »1 Je SEP 14 ^^ü«. g i« DFG 17 S^fp 8A?H" 8 .^5 & ,^/?..>•i;^'• 7 KEIMESGESCHICHTE DES ERSTER THEIL DER ANTHROPOGENIE VIERTE UMGEARBEITETE AUFLAGE Wenn Ihr vielleicht vermisst in diesem Buch die Einheit, Statt grosses Ganzen seht der Einzelheiten Kleinheit; Doch eine Einheit ist, und doppelte darin : Die Einheit in der Form, die Einheit auch im Sinn. Friedrich Rückert. TafJ. Keimes^eschichte des Antlitzes. (£^^,,^,^.830.) h-. ^^ 1. 6. '^5^ \J ^ ?^«^ C ,4. :>/ -Anthropogenic, WAafL E HajEckei cid /'/,„to/)rarurr u^ Dr^rk ////ifihr//, R-r/,„ ANTHROPOGENIE ODER ENTWICKELUNGSGESCHICHTE DES MENSCHEN KEIMES- UND STAMMES-GESCHICHTE VON ERNST HABCKEL MIT 20 TAFELN, 440 HOLZSCHNITTEN UND 52 GENETISCHEN TABELLEN VIERTE, UMGEARBEITETE UND VERMEHRTE AUFLAGE ERSTER THEIL KEIMESGESCHICHTE ODER ONTOGENIE -^ „ -^^ilü^iiiliiMl^^ Fig. 13. Das Ei des Uenschen, aus dem Eierstock des Weibes genommen, 400mal vergrössert. Das ganze Ei ist eine einfache Ijugeliunde Zelle. Die Haupt- masse der kugeligen Eizelle wird durch den körnigen Eidotter {Deutoplasma) ge- bildet, welclier in dem activen Protoplasma gleichmässig vertheilt ist und aus zahllosen feinen Dotterkörnchen besteht. Oben im Eidotter liegt das helle kugelige Keim- bläschen, welches dem Zellkern (Nucleus) entspricht. Dieses enthält ein dunkleres Körnchen, den K e i m f 1 e c k , welcher das Kernkörperchen (Nucleolus) darstellt. Umschlossen ist der kugelige Dotter von der dicken hellen Eihaut {OvoUmma oder Zona pellucida). Diese ist von sehr zahlreichen, radial gegen den Mittelpunkt der Kugel gerichteten haarfeinen Linien durchzogen, den Porencanälen, durch welche bei der Befruchtung die fadenförmigen beweglichen Samenzellen in den Eidotter eindringen. wenn wir das beste Mikroskop mit der stärksten Vergrösserung an- wenden, sind wir nicht im Stande, einen wesentlichen Unterschied zwischen dem Ei des Menschen, des Affen, des Hundes u. s. w. zu entdecken. . Damit soll nicht gesagt sein, dass überhaupt keine Unterschiede zwischen den Eiern dieser verschiedenen Säugethiere existiren. Im Gegentheil müssen wir solche, wenigstens mit Bezug auf die chemische Zusammensetzung, ganz allgemein annehmen. VI. Die Eizelle der Säugethieie. 11',) Auch die Eier der Menschen sind unter sich alle verschieden ; denn sonst würde ja nicht aus jedem Ei eine eigenthümliche Person sich entwickeln. Nach dem Gesetze der individuellen Un- gleichheit müssen wir voraussetzen, dass „alle organischen In- dividuen von Beginn ihrer individuellen Existenz an ungleich, wenn auch oft höchst ähnlich sind" (Gen. Morph. Bd. II, S. 202). Freilich sind wir mit unseren rohen und unvollkommenen Hülfsmitteln nicht im Stande, diese feinen individuellen Unterschiede, welche nur in der Molecular-Structur zu suchen sind, wirklich zu erkennen. Für die gemeinsame Abstammung des Menschen und der übrigen Säugethiere bleibt aber trotzdem die auffallende morphologische Aehnlichkeit ihrer Eier, die uns als völlige Gleichheit erscheinen kann, sehr beweisend. Denn die gleiche Keimform lässt auf eine gemeinsame Stammform schliessen. Hingegen sind auffallende Eigen- thümlichkeiten vorhanden, durch welche man sehr leicht das reife Ei der Säugethiere von dem reifen Ei der Vögel, der Amphibien, der Fische und anderer Wirbelthiere unterscheiden kann (vergl. den Schluss des XXIX. Vortrages). Besonders verschieden ist das reife Vogel -Ei (Fig. 14). In ihrer ersten Jugend freilich, als Ur-Ei (Fig. 12 E\ ist auch diese Eizelle derjenigen der Säugethiere (Fig. 12 F) ganz ähnlich. Allein später nimmt sie noch innerhalb des Eileiters eine Masse von Nahrung in sich auf und verarbeitet diese zu dem bekannten mächtigen gelben Dotter. Wenn man ein ganz junges Ei im Eier- stocke des Huhnes untersucht, so findet man eine einfache, kleine, nackte, amoeboide Zelle, ganz gleich den jungen Eizellen anderer Thiere (Fig. 12). Später wächst es aber so beträchtlich, dass es sich zu der bekannten gelben Dotterkugel ausdehnt. Der Kern der Eizelle oder das Keimbläschen wird dadurch ganz an die Oberfläche der kugeligen Eizelle gedrängt und ist hier in eine geringe Menge von hellerem, sogenanntem weissen Dotter eingebettet. Dieser bildet daselbst einen kreisrunden weissen Fleck, der unter dem Namen des Hahnentritts oder der Einarbe ( Cicatricula) bekannt ist (Fig. 14 b). Von der Narbe aus setzt sich ein dünner Strang von weisser Dotter- masse durch den gelben Dotter hindurch bis zur Mitte der kugeligen Zelle fort, wo er in eine kleine centrale Kugel (die fälschHch soge- nannte Dotterhöhle oder Latehra, Fig. 14^ d') anschwillt. Die gelbe Dottermasse, welche diesen weissen Dotter umgiebt, erscheint am erhärteten Ei concentrisch geschichtet (c). Aeusserlich ist der gelbe Dotter von einer zarten structurlosen Dotterhaut {Membrana vitellina) umgeben (a). 120 Die Eizelle der Vögel. VI. Da die grosse gelbe Eizelle des Vogels bei deu grössteii Vögeln mehrere Zoll Durchmesser erreicht und bläschenförmige Dotter- körpercheu einschliesst, glaubte man früher, sie nicht als einfache Zelle betrachten zu dürfen. Indessen wurde dieser Irrthum, welcher His und andere Embryologen zu ganz falschen Schlüssen noch neuerdings verleitete, schon vor dreissig Jahren durch Gegenbaur Fig. 14. Eine reife Eizelle aus dem Eier- stock eines Huhnes. Der gelbe Nahrungsdotter (c) ist aus vielen conceutrischen Schieliteu (d) zusam- mengesetzt und von einer dünnen Dotterliaut (a) umhüllt. Der Zellenkern oder das Keimbläschen liegt oben in der Eiuarbe [b). Von da setzt sich der weisse Dotter bis in die centrale Dotterhöhle fort (d*). Doch sind beide Dotterarteu nicht scharf geschieden. widerlegt. Die unbefruchtete und ungetheilte Eizelle des Vogels bleibt mit ihrem einfachen Kerne eine wirkliche Zelle, mag dieselbe noch so sehr durch Production gelber Dottermasse anwachsen. Jedes Thier, welches einen einzigen Zellenkern enthält, jede Amoebe, jede Gregarine, jedes Infusionsthierchen , ist einzellig, und bleibt einzellig, wenn es auch noch so viel verschiedene Stoffe frisst. Ebenso bleibt die Eizelle eine einfache Zelle, mag sie später noch so viel gelben Nahrungsdotter im Innern ihres Protoplasma an- häufen. Gegenbaur und Van Beneden haben dies in ihren treff- lichen Arbeiten über die Eier der Wirbelthiere klar nachgewiesen ^^). Anders verhält sich das Vogel-Ei natürlich, sobald es befruchtet wird. Dann zerfällt sein Zellenkern durch wiederholte Theilung in viele Kerne, und ebenso theilt sich entsprechend das Protoplasma der Narbe oder des Hahnentrittes, welches dieselben umgiebt. Dann besteht das Vogel-Ei aus so vielen Zellen, als Kerne in der Narbe vorhanden sind. An dem befruchteten und gelegten Vogel-Ei, das wir täglich verzehren, ist daher die gelbe Dotterkugel bereits ein vielzelliger Körper. Ihre Narbe ist aus vielen Zellen zusammen- gesetzt und wird nun als Keimscheibe (oder Biscus hlasto- dermicus) bezeichnet. Wir kommen im IX. Vortrage darauf zurück. Nachdem das reife Vogel-Ei (Fig. 14) aus dem Eierstock aus- getreten und im Eileiter befruchtet worden ist, umgiebt sich dasselbe mit verschiedenen Hüllen, die von der Wand des Eileiters ausge- schieden werden. Zunächst um die gelbe Dotterkugel lagert sich die mächtige klare Eiweissschicht ab; ferner die äussere harte VI. Gleiclilieit der Eizellen der Tliicro. 121 Kalkschale, an der innen noch eine feine Schalenhaut anliegt. Alle diese nachträglich um das Ei gebildeten Hüllen und Zusätze sind für die Bildung des Embryo von keiner Bedeutung ; es sind Theile, die nur zum Schutze der ursprünglichen einfachen Eizelle dienen . Auch bei anderen Thieren finden wir oft ausserordentlich grosse Eier mit mächtigen Hüllen, z. B. beim Haifische. Auch hier ist ursprünglich das Ei eigentlich ganz dasselbe wie beim Sängethier, nämlich eine ganz einfache nackte Zelle. Dann aber wird auch hier, wie beim Vogel, eine beträchtliche Quantität von Nahrungsdotter innerhalb des ursprünglichen Eidotters angesammelt: Proviant für den entstehenden Embryo ; aussen um das Ei werden verschiedene Hüllen gebildet. Aehnliche innere und äussere Zugaben erhält die Eizelle auch bei vielen anderen Thieren. Dieselben haben aber überall nur eine physiologische, keine morphologische Bedeutung ," sie sind von keinem directen Einfiuss auf die Gestaltung des Keimes selbst. Theils werden sie als Nahrungsmittel vom Embryo verzehrt theils dienen sie nur als schützende Umhüllung desselben. Daher können wir sie hier ganz ausser Acht lassen, und wollen uns nur an das Wichtigste halten: an die wesentliche Gleichheit der ursprünglichen Eizelle beim Menschen und bei den übrigen Thieren (Fig. 12). Lassen Sie uns nun hier zum ersten Male von unserem bio- genetischen Grundgesetze Gebrauch machen und unmittelbar dieses fundamentale Causal-Gesetz der Entwickelungsgeschichte auf die Eizelle des Menschen anwenden. Wir kommen dann zu einem höchst einfachen, aber höchst bedeutsamen Schlüsse. Aus der einzelligen Beschaffenheit des menschliches Eies und des Eies der übrigen Thiere folgt nach dem bio- genetischen Grundgesetze unmittelbar der Schluss, dass alle Thiere mit Inbegriff des Menschen ur- sprünglich von einem einzelligen Organismus ab- stammen. Wenn wirklich jenes Grundgesetz wahr ist, wenn wirklich die Keimesgeschichte ein Auszug oder eine verkürzte Wiederholung der Stammesgeschichte ist ( — und wir^ können nicht daran zweifeln — ), dann müssen wir aus der Thatsache,'^dass alle Eier ursprüngHch einfache Zellen sind, nothwendig die Folgerung ziehen, dass alle vielzelhgen Organismen ursprünglich von einzelligen Organismen abstammen. Da nun aber die ursprüngliche Eizelle beim Menschen und allen Thieren dieselbe einfache und indifferente Beschaffenheit besitzt, so werden wir auch mit einiger Wahrschein- lichkeit annehmen dürfen, dass jene einzellige Stammform der 122 Abstammung aller Thicrc von einer Zelle. VI. gemeinsame einzellige Stamm-Organismus für das ganze Thier- reicli, den Menschen mit inbegriften war. Doch erscheint uns diese letztere Hypothese keineswegs so nothwendig und so absolut sicher, wie jene erste Folgerung. Der Rückschluss aus der einzelligen Keimform auf die einzellige Stammform ist so einfach, aber doch auch so bedeutungsvoll, dass nicht genug Gewicht auf denselben gelegt werden kann. Wir müssen daher zunächst die Frage auf- werfen, ob es vielleicht noch heutzutage einzellige Organismen giebt, aus deren Form wir annähernd auf die einzellige Ahnenform der vielzelhgen Organismen schliessen dürfen. Die Antwort auf diese Frage lautet: Allerdings! Ganz gewiss giebt es noch jetzt ein- zellige Organismen, die ihrer ganzen Beschaftenheit nach eigentlich Aveiter nichts als eine permanente Eizelle sind. Es giebt selbständige einzellige Organismen von einfachster Beschaffenheit, die sich nicht weiter entwickeln, die als einfache nackte Zellen ihr ganzes Leben vollbringen und sich als solche fortpflanzen, ohne zu weiterer Aus- bildung zu gelangen. Wir kennen jetzt eine grosse Anzahl solcher einzelliger Organismen, z. B. die Gregarinen, Flagellaten, Acineten, Infusorien u. s. w. Indessen einer unter ihnen interessirt uns vor allen anderen , weil er bei jeuer Frage sofort in den Vordergrund tritt, und als die der wirklichen Stammform am meisten sich an- nähernde einzellige Urform angesehen werden muss. Dieser Organis- mus ist die A m o e b e. Unter dem Namen Amoeba fasst man schon seit langer Zeit eine Anzahl von mikroskopischen einzelligen Organismen zusammen, welche keineswegs selten sind, sondern im Gegentheil sehr ver- breitet vorkommen, namentlich im süssen Wasser, aber auch im Meere; neuerdings hat man sie auch als Bewohner der feuchten Erde kennen gelernt. Wenn man eine solche lebende Amoebe in einem Tropfen Wasser unter das Mikroskop bringt und bei starker Vergrösserung betrachtet, so erscheint dieselbe gewöhnlich als ein rundliches Körperchen von ganz unregelmässiger und wechselnder Form (Fig. 15, 16). In der weichen, schleimigen, halbflüssigen Körper- masse, die aus Protoplasma besteht, bemerken wir weiter nichts, als ein darin eingeschlossenes, festeres oder bläschenförmiges Körpercheu, den Zellenkern. Dieser einzellige Körper bewegt sich nun selbstständig und kriecht auf dem Glase, auf welchem wir ihn betrachten, nach verschiedenen Richtungen umher. Die Ortsbewegung geschieht dadurch, dass der formlose Körper an verschiedenen Theilen seines Umfanges fingerartige Fortsätze ausstreckt, welche VI. Lebenserscheiiiuujj;uu der Anioobon. 123 in langsamem, aber beständigem Wechsel begriifeu sind, und die übrige Körpermasse nach sich ziehen. Nach einiger Zeit kann das Schauspiel sich ändern : die Amoebe steht plötzlich still, zieht ihre Fortsätze ein und nimmt Kugelgestalt an. Bald aber beginnt sich das Schleimkügelchen wieder auszubreiten, nach einer anderen Rich- tung hin Fortsätze auszustrecken und sich aufs Neue fortzube- wegen. Diese veränderlichen Fortsätze heissen Scheinfüsse oder Pseudopodien, weil sie sich physiologisch wie Füsse verhalten und doch keine besonderen Organe in morphologischem Sinne sind. Denn sie vergehen ebenso rasch, als sie ent- stehen, und sind weiter nichts als veränder- liche Erhebungen der halbflüssigen, homo- genen und structurlosen Körpermasse. Fig. 15. Eine kriechende Amoebe (stark ver- grössert). Der ganze Organismus hat deu Formeiiwerth einer einfachen nackten Zelle und bewegt sich mittelst der veränderlichen Fortsätze umher, welche von seinem Protoplasma-Körper ausgestreckt und wieder eingezogen werden. Im Innern desselben ist der rundliche Zellen- kern oder Nucleus mit seinem Kernkörperchen ver- borgen. Wenn man eine solche kriechende Amoebe mit einer Nadel berührt oder wenn man einen Tropfen Säure dem Wasser zusetzt, so zieht in Folge dieses mechanischen oder chemischen Reizes der ganze Körper sich sofort zusammen. Gewöhnlich nimmt der Körper dann wieder Kugelgestalt an. Unter gewissen Umständen , z. B. wenn die Verunreinigung des Wassers länger andauert, beginnt auch wohl die Amoebe sich einzukapseln. Sie schwitzt eine homogene Hülle oder Kapsel aus, die alsbald erhärtet, und erscheint nun im Ruhezustand als eine kugelige Zelle, die von einer schützenden Membran umgeben ist. Ihre Nahrung nimmt die einzellige Amoebe entweder dadurch auf, dass sie unmittelbar aus dem Wasser auf- gelöste Stoife durch Imbibition aufsaugt , oder dadurch , dass sie fremde feste Körperchen, mit denen sie in Berührung kommt, in sich hineindrückt. Dies letztere kann man jeden Augenblick beob- achten , indem man sie zum Fressen nöthigt. Wenn man fein pulverisirte FarbstoÖe, z. B. Carmin, Indigo, sehr fein zertheilt in das Wasser bringt , dann sieht man , wie der weiche Körper der Amoebe diese Farbstotfkörnchen in sich hineindrückt, wie die weiche Zellsubstanz über den Körnchen zusammenfliesst. Die Amoebe kann so auf jeder Stelle ihrer Körperoberfläche Nahrung aufnehmen, ohne 124 Lebcuserscbeinungeii der Amoelien. VI. dass irgend welche besonderen Organe der Nahrungsaufnahme und Verdauung existiren , ohne dass ein wahrer Mund und ein wirk- hcher Darm vorhanden sind. Indem nun die Araoebe auf solche Weise Nahrung aufnimmt und die gefressenen Körperchen in ihrem Protoplasma auflöst, wächst sie ; und nachdem sie durch fortgesetzte Nahrungsaufnahme ein gewisses Maass des Urafangs erreicht hat, tritt ihre Fort- pflanzung ein. Diese geschieht in der einfachsten Weise durch Theiluug (Fig. 16). Zunächst zerfällt der innere Kern in zwei gleiche Stücke. Dann theilt sich auch das Protoplasma zwischen den beiden neuen Kernen, und die ganze Zelle zerfällt in zwei Tochterzellen, indem das Protoplasma um jeden der beiden Kerne sich ansammelt. Die dünne Brücke von Protoplasma, welche die beiden Tochterzellen anfangs noch verbindet, reisst bald durch. Wir finden hier die einfache Form der directen Kerntheilung. Ohne Mitose oder Fadenbildung zerfällt zunächst der homogene Zellen- kern unmittelbar in zwei Hälften ; diese stossen sich ab und wirken als Anziehungspunkte auf die umgebende Zellsubstanz oder das Protoplasma. Obgleich die Amoebe also weiter nichts als eine einfache Zelle ist, so zeigt sie sich dennoch im Stande, alle Functionen des vielzelligen Organismus für sich zu vollziehen. Sie bewegt sich kriechend, sie empfindet, sie ernährt sich, sie pflanzt sich fort. Es giebt Arten von solchen Amoeben, die man mit blossem Auge ganz gut sehen kann ; die meisten Arten aber sind mikroskopisch klein. Weshalb wir nun gerade die Amoeben als diejenigen einzelUgen Organismen betrachten , deren phylogenetische Beziehungen zur Eizelle besonders wichtig sind, das ergiebt sich aus folgenden Thatsachen. Bei vielen niederen Thieren bleibt die Eizelle bis zur Befruchtung in ihrem ursprünglichen nackten Zustande, bekommt keine Hüllen und ist dann oft gar nicht von einer gewöhnlichen Amoebe zu unterscheiden. Gleich der letzteren können auch diese nackten Eizellen Fortsätze ausstrecken und sich als Wanderzellen umherbewegen. Bei den Schwämmen oder Spongien kriechen diese beweglichen Eizellen im mütterlichen Organismus wie selbstständige Amoeben frei umher (Fig. 17). Sie sind hier schon von früheren Naturforschern beobachtet, aber für fremde Organismen, nämlich für parasitische Amoeben gehalten worden, die als schmarotzende Eindringlinge im Körper des Schwammcs leben. Erst später hat man erkannt, dass diese angeblichen einzelligen Parasiten oder Schmarotzer nichts weiter sind, als die Eizellen des Schwammes VI. Lebenserscheinungen der Amoeben. 125 selbst. Dieselbe merkwürdige Erscheinung finden wir auch bei anderen niederen Thieren, z. B. bei den zierlichen glockenförmigen Pflanzenthieren , die wir Polypen und Medusen nennen ; auch bei ihnen bleiben die Eier nackte, hüllenlose Zellen, welche amoeben- vAi^rm Fig. 16. Fig. 16. Theilung einer einzelligen Amoebe {Amoeba polypodta), in sechs Stadien. Nach F. E. Schulze. Der dunkle Fleck ist der Zellenkern, der helle Fleck eine con- tractile Vacuole im Protoplasma. Letztere theilt sich ebenfalls. Fig. 17. Eizelle eines Kalkschwammes (Olynthus). Die Eizelle bewegt sich kriechend im Körper des Schwam- mes umher,' indem sie formwechselnde Fortsätze ausstreckt. Sie ist von einer gewöhnlichen Amoebe nicht zu unter- scheiden. Fig. 17. artige Fortsätze ausstrecken, sich ernähren und bewegen; nach erfolgter Befruchtung geht aus ihnen durch wiederholte Theilung unmittelbar wieder der vielzellige Organismus hervor. Es ist also gewiss keine gewagte Hypothese, sondern eine ganz nüchterne Schlussfolgerung, wenn wir gerade die Amoebe als \2C} Amoeben und amoebenartigo Eizellen. VI. denjenigen einzelligen Organismus betrachten, welcher uns eine ungefähre Vorstellung von der alten gemeinsaraen einzelligen Stammform aller Metazoen oder vielzelligen Thiere giebt. Die nackte einfache Araoebe besitzt einen indifferenteren und ursprüng- licheren Charakter als alle anderen Zellen. Dazu kommt noch der Umstand, dass auch im erwachsenen Körper der vielzelligen Thiere durch neuere Untersuchungen überall solche amoebenartige Zellen nachgewiesen worden sind. Sie finden sich z. B. im Blute des Menschen neben den rothen Blutzellen als sogenannte farblose Blut- zellen; ebenso bei allen anderen Wirbelthieren. Auch bei vielen Wirbellosen kommen sie vor, z. B. im Blute der Schnecken; und hier habe ich schon 1859 nachgewiesen, dass auch diese farblosen Blutzellen, ganz gleich den selbstständigen Amoeben, geformte feste Körperchen aufnehmen, also fressen können (P h a g o c y t e u , Fig. 18). Neuerdings hat man die Erfahrung gemacht, dass viele verschiedene Zellen, wenn sie nur Raum haben, im Stande sind, dieselben Be- wegungen auszuführen , umherzukriechen , zu fressen und sich durchaus wie Amoeben zu verhalten (Fig. 11). Auch hat sich heraus- gestellt, dass solche Wanderzellen oder Planocyten eine grosse Rolle in der Physiologie und Pathologie des Menschen spielen (als Transport - Mittel von Nahrung, ansteckenden Krank- heitsstoffen, Bacterien u. s. w.). Die Fähigkeit zu diesen charakteristischen amoebenartigen Be- wegungen der nackten Zellen beruht auf der Contractilität (oder automatischen Beweglichkeit) des Protoplasma. Dieselbe scheint eine allgemeine Lebenseigenschaft aller jugendlichen Zellen zu sein. Wo dieselben nicht von einer festen Membran umschlossen oder in ein „Zellengefängniss" eingesperrt sind, da können sie auch solche „amoeboide Bewegungen" ausführen. Das gilt von den nackten Eizellen so gut wie von den anderen nackten Zellen, von den „Wanderzellen" verschiedener Art im Bindegewebe, von Mesen- chym-Zellen, Lymphzellen, Schleimzellen u. s. w. Durch unsere Untersuchung der Eizelle und ihre Vergleichung mit der Amoebe haben wir sowohl für die Keimesgeschichte wie für die Stammesgeschichte des Menschen eine vollkommen sichere und höchst werthvolle Grundlage gewonnen. Wir sind dadurch zu der Ueberzeugung gelangt, dass das menschliche Ei eine ganz ein- fache Zelle ist, dass sich diese Eizelle von derjenigen der übrigen Säugethiere nicht wesentlich unterscheidet, und dass wir daraus auf eine uralte einzellige Stammform zurückschliessen dürfen, die einer Amoebe im Wesentlichen gleich gebildet war. VI. Fressende unchmelzung der weibliehen Eizelle und der männlichen Spermazelle. Verschiedene Formen der Spermidien oder Sperniazellen (gewöhnlich stecknadelt'örmige Geisselzellen). Theorie der Samenthierehen (Spermatozoa). Vererbung von beiden Eltern-Zellen. Die neugebildete Stammzelle oder Cytula. Ihr Zwitter-Charakter. Reifungsvorgänge der Eizelle: Auflösung des Keimbläschens und Ausstossung des Richtungskörpers. Ein- dringen einer Spermazelle in den Leib der Eizelle ; Bewegung und Verschmelzung der beiden Vorkerne. Entstehung des Stammkerns (Archikaryon), des Trägers der Ver- erbung. Aeltere Theorien der Befruchtung. Bedeutung und gleiche Betheiligung der beiderlei Geschlechtszellen Männliche Microsporen und weibliche Macrosporen. Ueber- fruchtung oder Polyspermie der chloroformirten Eizelle. Bedeutung dieser Thatsachen für die P.sychologie . die Theorie der Zellseele und der persönlichen UiisterMichkeit. Alles Persönliche und Individuelle ist vergänglich. Litteratiir : Oscar Hertwig. 1875 — 1890. Beiträge zur Keitntniss der Bildung, Befruchtung und Theilun;/ dc^ thierisclien Eies. Morpholog. Jahrb. Bd. J, III, IV etc. Eduard Van Beneden, 1875 — 1887. La maturation de Voeuf et la fecondation den Viani mi für e» etc. {^Archives de Biologie, Tom. 1 — IV etc.) Eduard Strasburger, 1876. üeber Zellbildung, Zelltheilung und Befruchtung [III. Aufl. 1880). Otto Bütschli. 187C. Studien über die erstell Entioickelungs- Vorgänge der Eizelle, die Zelltlicihing uud die Conjugation der Infusorien. Emil Selenka, 1878. liefrurhtung des Eies von Toxopneustes. C. KupfFer utid B. Benecke. 1878. Der Vorgang der Befruchtung am FA der Nenn- avaen. A. Weismann, 1883 — 1889 Uebcr die Vererbung, die Bildtmg der liichttmgsJcörper u. s. v A. Kölliker, 1885, 1880. Das Kanjoplasma und die Vererbung (in Zeitschr. für Wlssensch. Zoologie, Bd. 42, 44). Oscar Hertwig und Richard Hertwig, 1885 — 1890. Experimentelle Studien am thierischen Ei. (Jena. Zeitschr. f. Naturv: Bd. XVIII— XXIV etc.) Theodor Boveri, 188C — 1890. Zellen- Studien (^Befiruchtung, Nichtungskörper n. s ?".). VII. Meine Herren! Uie feste Grundlage aller Untersucliungen über Anthropogenie bildet die ontogenetisclie Erkenntniss, dass jeder Mensch im Be- ginne seiner individuellen Existenz eine einfache Zelle ist. Aus dieser Thatsache durften wir nach unserem biogenetischen Grund- gesetze den bedeutungsvollen phylogenetischen Schluss ziehen, dass auch die ältesten Vorfahren des Menschen-Geschlechts einfache einzellige Organismen waren; und unter diesen Protozoen konnten wir die indifferente Amoeben-Form als besonders wichtig bezeichnen (vergl. den VI. Vortrag). Die einstige Existenz solcher einzelligen Stammformen folgt unmittelbar aus den Erscheinungen, welche uns noch heute die befruchtete Eizelle in jedem Augenblick darbietet. Denn die Entwickelung des vielzelligen Organismus aus der letzteren, die Bilduu_g der Keimblätter und der Gewebe erfolgt beim Menschen nach denselben Gesetzen, wie bei allen höheren Thieren. Es wird daher unsere nächste Aufgabe sein, die befruchtete Eizelle noch näher ins Auge zu fassen und den Process der Befruchtung, durch welchen dieselbe entsteht. Der Vorgang der Befruchtung oder der geschlecht- lichen Zeugung gehört zu jenen Erscheinungen, die man vor- zugsweise mit dem mystischen Nebelschleier eines übernatürlichen Wunders zu umhüllen liebt. Wir werden aber gleich sehen, dass derselbe ein rein mechanischer Natur-Process ist und sich auf be- kannte physiologische Functionen zurückführen lässt. Auch erfolgt die Ämphigonie oder die geschlechtliche Zeugung beim Menschen genau in derselben Weise und mit Hülfe derselben Organe, wie bei allen übrigen Säugethieren. Die Paarung einer männlichen und einer weiblichen Person hat hier wie dort wesentlich den Zweck, die befruchtende Masse des männlichen Samens oder Sperma in den weiblichen Körper einzuführen, in dessen Geschlechts-Canälen 132 Ungeschlechtliche und geschlechtliche Zeugung. VII. sie mit dem austretenden Ei zusammentrifft. Hier erfolgt durch deren Vermischung die Befruchtung. Zunächst ist nun hier zu bemerken, dass dieser wichtige Vor- gang keineswegs so allgemein in der Thier- und Pflanzenwelt ver- breitet ist, wie man gewöhnlich annimmt. Vielmehr giebt es eine sehr grosse Anzahl von niederen Organismen, die sich immer nur ungeschlechtlich vermehren, z. B. die Amoeben, Gregarinen, Fora- miniferen , Radiolarien , Myxomyceten u. s. w. Bei diesen findet keinerlei Art von Befruchtung statt; die Vermehrung der Indivi- duen und die Erhaltung der Art beruht bei ihnen bloss auf der ungeschlechtlichen Zeugung, die bald als Theilung, bald als Knospen- bildung, bald als Sporenbildung auftritt. Die Copulation von zwei verwachsenden Zellen , welche hier oft die Vermehrung einleitet, kann erst dann als sexueller Act betrachtet werden, wenn die beiden copulirenden Piastiden von ungleicher Grösse oder Structur sind (Microsporen und Macrosporen). Hingegen ist bei allen höheren Organismen, sowohl Thieren als Pflanzen, die geschlechtliche Fort- pflanzung die allgemeine Regel, und die ungeschlechtliche Vermehrung der Personen kommt daneben entweder gar nicht oder nur selten vor. Insbesondere findet sich bei den Wirbelthieren niemals „Jung- frauenzeugung oder Parthenogenesis''\ Das muss gegenüber dem berühmten Dogma von der „unbefleckten Empfäng- niss" ausdrücklich hervorgehoben werden. So wenig beim Men- schen, als bei irgend einem anderen Wirbelthiere ist jemals solche „unbefleckte Empfängniss" wirklich beobachtet worden'^**). Die geschlechtliche oder sexuelle Fortpflanzung bietet bei den verschiedenen Klassen der Thiere und Pflanzen ungemein niauuich- faltige und interessante Verhältnisse dar, namentlich mit Rücksicht auf die Vermittelung der Befruchtung, die Uebertragung des männ- lichen Sperma auf das weibliche Ei. Diese Verhältnisse sind nicht allein für die Fortpflanzung selbst, sondern zugleich für die Ent- stehung der organischen Körperformen, und namentlich der Unter- schiede beider Geschlechter, von der grössten Bedeutung. Insbe- sondere treten hierbei Thiere und Pflanzen in die merkwürdigste Wechselwirkung. Die ausgezeichneten Untersuchungen von Charles Darwin und Hermann Müller „über die Befruchtung der Blumen durch Insecten" haben uns darüber die interessantesten Nachweise geliefert ■»■'). In Folge dieser Wechselwirkung entsteht ein sehr verwickelter anatomischer Geschlechts-Apparat. P^benso haben sich auch beim Menschen und den höheren Thieren verwickelte Ein- richtungen ausgebildet, welche theils die Ableitung der beiderlei VII. Die weibliche Ei/clle und die männliche Spermazelle. lo3 Geschlechts-Producte, theils deren Vereinigung, die Begattung be- treffen. Sü interessant diese Erscheinungen an sich sind, so können wir doch hier nicht darauf eingehen, weil sie für das Wesen des eigentlichen Befruchtuugs-Processes nur eine untergeordnete oder gar keine Bedeutung haben. Hingegen müssen wir um so schärfer die Natur dieses Processes selbst, die Bedeutung der geschlechtlichen Zeugung, ins Auge fassen. Bei jedem Befruchtungs-Vorgange kommen, wie schon bemerkt, zwei verschiedene Zellen-Arten in Betracht, eine weibliche und eine männliche Zelle. Die weibliche Zelle wird bei den Thieren allgemein als Ei oder Eizelle (Ovulum) bezeichnet, die männliche als Spermazelle oder Samenzelle {Zoospermium, Spermatozoon). Die weibliche Eizelle, deren Form und Zusammensetzung wir bereits genau betrachtet haben, ist bei allen Thieren ursprünglich von derselben einfachen Beschaffenheit. Sie ist anfänglich weiter Nichts als eine kugelige nackte Zelle, aus Protoplasma und Zell- kern bestehend (Fig. 12, S. 116). Wenn diese Zelle frei liegt, so dass sie sich bewegen kann, führt sie häufig langsame, amoeben- artige Bewegungen aus, wie wir es am Ei der Schwämme gesehen haben (Fig. 16, S. 125). Meistens aber wird sie später in besondere, sehr verschieden gebildete und oft sehr zusammengesetzte Hüllen und Schalen eingeschlossen. Die reife Eizelle gehört im Ganzen zu den grössten Zellen, die es überhaupt giebt. Sie erreicht colossale Dimensionen , wenn grosse Mengen von Nahrungsdotter darin auf- genommen werden, wie es bei den Vögeln, Reptilien und vielen Fischen der Fall ist. Bei der grossen Mehrzahl der Thiere ist die reife Eizelle viel grösser als alle übrigen Zellen. Die andere Zelle, welche bei der Befruchtung in Betracht kommt, die männliche Spermazelle, gehört umgekehrt zu den kleinsten Zellen des Thierkörpers. Die Befruchtung geschieht in der Regel dadurch, dass entweder innerhalb des weiblichen Kör- pers oder ausserhalb desselben eine von dem männlichen Individuum abgesonderte, schleimige Flüssigkeit mit der Eizelle in Berührung gebracht wird. Diese Flüssigkeit heisst Sperma oder männlicher Samen. Das Sperma ist gleich dem Speichel und dem Blute keine einfache Flüssigkeit, sondern ein dichter Haufen von äusserst zahl- reichen Zellen, die in einer verhältnissmässig geringen Quantität von Flüssigkeit umherschwimmen. Nicht diese Flüssigkeit selbst, sondern die darin scliwimmenden Zelbm bewirken die Befruch- tung. Diese Sperma - Zellen haben bei der grossen Mehrzahl der Thiere zwei besondere Eigen thümlichkeiten. Erstens sind sie 134 Natur der SameiithiiM-choii oder Spermazellen. VII. ausserordentlich klein, gewölmlich die kleinsten Zellen des Orga- nismus, und zweitens besitzen sie meistens eine eigenthümliclie leb- hafte Bewegung, die man als Samenfäden - Bewegung bezeichnet. Im Zusammenhange mit dieser Bewegung steht die Form der Zellen. Bei den meisten Thieren , wie auch bei vielen niederen Pflanzen (nicht aber bei den höheren) besteht jede dieser Zellen aus einem sehr kleinen nackten Zellenkörper, der einen länglichen Kern um- schliesst, und einem langen schwingenden Faden, der sich an den Körper auschliesst (Fig. 19). Es hat sehi lange gedauert, ehe man Fi(;.''l9 Samenzellen oder Spermidienaas dem männlichen Samen verschiedener Sängethiere. Der biruförmige plattgedrückte Keru-Theil der Samenzelle (der soge- nannte „Kopf des Sameiithiercheus") ist in /von der breiten, in //von der schmalen Seite gesehen, k Kern der Spermazellen, m Mittelstück derselben (Protoplasma). s Beweglicher, schwauzförmiger Anhang (Geissei). M Vier Spermazellen vom Menschen. Ä Zwei Spermazellen vom Affen ; K vom Kaninchen ; H von der Hausmaus ; C vom Hund ; S vom Schwein. erkannte, dass diese Gebilde einfache Zellen sind. Früher hielt man sie allgemein für besondere Thiere und nannte sie „Same n- thiere" {Spermatozoa) (vergl. oben S. 30). Erst durch eingehende vergleichende Untersuchungen haben wir die sichere Ueberzeugung gewonnen , dass in der That jedes dieser sogenannten Samenthier- chen eine einfache Zelle ist. Daher heissen sie am besten einfach Samenzellen, Spermazellen oder Samenfäden {Spermidid). Beim Menschen haben sie dieselbe Form wie bei vielen anderen Wirbel- thieren und wie bei der Mehrzahl der wirbellosen Thiere. Indessen besitzen bei manchen niederen Thieren die Samenzellen eine ganz andere Form. So sind sie z. B. beim Flusskrebs grosse runde Zellen, die sich nicht bewegen, versehen mit besonderen borsten- YII. Bedeutung der Samenthiorchou oder Spermazclloii. 135 förmigen starren Fortsätzen (Fig. 20 f). Ebenso haben dieselben bei einigen Würmern eine ganz abweichende Gestalt, z. B. bei den Fadenwürmern; bisweilen sind sie hier amoebenartig und gleichen sehr kleinen Eizellen (Fig. 20 c—e). Aber bei den meisten niederen Thieren, z. B. bei den Schwämmen und Polypen, haben sie dieselbe „stecknadelförmige Gestalt" wie beim Menschen und den übrigen Säuge- thieren (Fig. 20 a, h). Fig. 20 Samenzellen oder Spermidien verschiedener Thiere. (Nach Lang ) a Von einem Fisch, b von einer Turbellarie (mit zwei Nebengeisseln), c — e von einem Nematoden (amoeboide Spermazellen) , f vom Flusslirebs (sternförmig), g vom Salamander (mit uuduli- render Membran), h von einem Riugelwurm (a und h die gewöhnliche ,, Stecknadel-Form") Nachdem der holländische Naturforscher Leeuwenhoek im Jahre 1690 zuerst diese fadenförmigen, lebhaft sich bewegenden Körper- chen im männlichen Samen entdeckt hatte, glaubte man allgemein, dass dieselben besondere, selbstständige, kleine Thierchen, gleich den Infusionsthierchen seien, und nannte sie eben deshalb geradezu „Samen thierchen". Wir haben schon früher erwähnt, dass dieselben in der damals aufgestellten falschen Präformation s-Theorie eine grosse Rolle spielten, weil man glaubte, dass der ganze ent- wickelte Organismus mit allen seinen Theilen, nur sehr klein und noch unentfaltet, in jedem Samenthierchen vorgebildet existire (vergl. oben S. 31). Die letzteren brauchten nur in den frucht- baren Boden der weiblichen Eizelle einzudringen, damit sich der präformirte menschliche Körper entfalten und mit allen seinen Thei- len wachsen könne. Diese grundfalsche Ansicht ist jetzt vollständig widerlegt; wir wissen durch die genauesten Untersuchungen, dass die beweglichen Samenkörperchen weiter nichts als einfache echte Zellen sind, und zwar Zellen von derjenigen Art, die man Geissel- z eilen nennt. In den früheren Darstellungen hat man an jedem angeblichen „Samenthierchen" einen Kopf, Rumpf und Schwanz unter- schieden. Der sogenannte „Kopf (Fig. 19 k) ist weiter nichts als der länglich runde oder eirunde Zellenkeru , der Körper oder das Mittelstück (m) eine Anhäufung von Zellsubstanz und der Schwanz (s) eine fadenförmige Verlängerung derselben. Wir wissen ausserdem jetzt, dass diese Samenthierchen gar nicht einmal eine ganz be- sondere Zellenform darstellen ; vielmehr kommen auch an vielen 13(J Das Wesen der Befruchtung. YII. anderen Stelleu des Thierkörpers ganz ähnliche bewegliche Zellen, sogenannte Flimmer Zellen, vor. Haben diese Zellen zahlreiche Fortsätze, so heissen sie Wim perzelleu; hat hingegen jede Flinimerzelle nur einen langen, peitschenförmigen Fortsatz, so heisst sie Geisselzelle. Aehnliche Geisselzellen wie die Spermazellen sind z. B. die Darmzelleu der Schwämme und der Nesselthiere. Der Vorgang der Befruchtung bei der geschlechtlichen Zeugung beruht also im Wesentlichen darauf, dass zwei verschiedene Zellen zusammenkommen und mit einander verschmelzen oder ver- wachsen. Früher haben über diesen Act die wunderbarsten Ansichten geherrscht. Man hat darin immer etwas durchaus Mystisches finden wollen und hat die verschiedensten Hypothesen darüber aufgestellt. Erst die letzten zehn Jahre haben uns F'ig. 21. Die Befruchtung der Eizelle durch die Samenzelle (von einem Säugethier). Eines von den vielen fadenförmigen, lebhaft beweglichen Spermidien dringt durch einen feinen Porencanal der Eihaut in die körnige Masse des Dotters hinein. Der verborgene Kern der Eizelle ist hier nicht sichtbar. '^'^b- durch genauere Forschungen zu der Ueberzeugung geführt, dass der Vorgang der Befruchtung im Grunde sehr einfach ist und durchaus nichts besonders Geheimnissvolles an sich trägt. Er beruht im Wesentlichen nur darauf, dass eine männliche Samenzelle mit einer weiblichen Eizelle verschmilzt. Die lebhaft bewegliche Spermazelle sucht sich vermittelst ihrer schlängelnden Bewegungen den Weg zur weiblichen Eizelle und dringt vermittelst bohrender Bewegungen in ihren Körper ein (Fig. 21). Die Kerne der beiden Geschlechtszellen, durch gegenseitige „Wahlverwandtschaft" angezogen, nähern sich und verschmelzen mit einander. Hier wäre nun ein sehr geeigneter Ort für den Dichter, das wunderbare Geheimniss des Befruchtungs- Vorganges in glänzenden Farben zu schildern und die Kämpfe der lebendigen „Samenthier- chen" zu beschreiben, die voll Begierde um die viel umworbene Eizelle herumtanzen, sich den Eingang durch die feinen Porencanäle des Ovolemma streitig machen und dann „mit Bewusstsein" in das Protoplasma der Dottermasse hineintauchen , wo sie in selbstloser Hingabe an ihr besseres Ich sich vollständig auflösen. Auch könnten hier die Liebhaber der Teleologie die besondere Weisheit des VII. Das Woscii der Stammzelle oder Cytula. 137 Schöpfers bewundern, der in der Eihülle zahlreiche kleine Poren- cauäle angebracht hat, damit die „Saraenthierchen" durch sie hin- durch treten können. Allein der kritische Naturforscher fasst diesen Vorgang, diese „Krone der Liebe" sehr nüchtern als den Verwachsuugs - Process zweier Zellen und die Verschmelzung ihrer Kernmassen auf. Die neue , so entstandene Zelle ist das einfache Copulations - Product der beiden verschmolzenen Geschlechtszellen. Die befruchteteEizelle ist demnach ein ganz an- deres Wesen als die unbefruchtete Eizelle. Denn da wir die Samenfäden oder Spermidien so gut wie die Eizelle als echte Zellen autfassen, und da die Befruchtung wesentlich in der Verschmelzung der ersteren mit der letzteren besteht, so ist die daraus entstehende Zelle als ein ganz neuer, selbstständiger Organis- mus zu betrachten. Sie enthält in der Zellsubstanz und der Keru- substanz der eingetretenen Spermazelle einen Theil des väterhchcn, männlichen Körpers, hingegen in dem damit vermischten Proto- plasma und Karyoplasma der ursprünglichen Eizelle einen Theil des mütterlichen, weiblichen Körpers. Das geht eben unzweifelhaft daraus hervor , dass das Kind viele Eigenschaften von beiden Eltern erbt. Die Vererbung vom Vater wird durch die Sperma- zelle, die Vererbung von der Mutter durch die Eizelle ver- mittelt. Aus der wirkhchen Vermischung oder Verwachsung beider Zellen entsteht erst die neue Zelle, welche die Grundlage des Kindes, des neu erzeugten Organismus liefert. Mit Beziehung auf diese sexuelle Mischung kann man auch sagen, dass die Stammzelle ein einfachster Hermaphrodit oder Zwitter ist; sie ver- einigt in sich beiderlei Geschlechts-Substanzen. Um ein richtiges und klares Verständniss der Befruchtung zu gewinnen, halte ich es für unerlässlich, dieses einfache, aber höchst wichtige und oft nicht genügend gewürdigte Verhältniss als grund- legend zu betonen. Ich bezeichne demnach die neue Zelle, aus der eigentlich das Kind hervorgeht und welche gewöhnlich schlecht- weg „die befruchtete Eizelle" oder „die erste Furchungskugel" ge- nannt wird, mit einem besonderen Namen: als Stammzelle ( Cytula oder Archicytos), ihre Zellsubstanz als S t a m m p 1 a s m a (Ärchiplasma oder Cytuloplasma) und ihren Kern als Stamm- kern {Archikaryon oder CytuloJcaryon). Der Name „Stammzelle" scheint mir deshalb der einfachste und passendste, weil alle übrigen Zellen des Organismus von ihr abstammen und weil sie im eigent- lichsten Sinne der Stammvater und zugleich die Stammmutter aller der zahllosen Zellen - Generationen ist , aus denen sich später der 13>! Schicksal dos Keimbläschens. VII. vielzellige Organismus ziisammensetzt. Die höchst zusammengesetzte nioleculare Bewegung des Protoplasma, welche wir mit einem Wort „Leben" nennen, ist natürlich in dieser Stammzelle etwas ganz Anderes, als in den beiden verschiedenen Eltern -Zellen, aus deren Verschmelzung sie entstanden ist. Das Leben der Stamm- zelle oderCytula ist dasProduct oder die Kesul tante aus der väterlichen Lebeusbewegung, welche durch die Spermazelle, und aus der mütterlichen Lebensbe- wegung, welche durch die Eizelle übertragen wurde. Nach dem Satze vom Parallelogramm der Kräfte kann man sagen, dass die potentielle Energie oder die Spannkraft der Stamm- zelle die Diagonale des Parallelogramms ist , dessen beide Seiten durch die Spannkräfte der väterlichen Spermazelle und der mütterlichen Eizelle ausgedrückt werden. Die vereinigten Spann- kräfte der letzteren, die Vererbungs-Potenzen, werden in lebendige Kräfte umgesetzt, sobald nach ihrer Verschmelzung die individuelle Entwickelung der Stammzelle beginnt. Die vortrefflichen Beobachtungen der neueren Zeit haben über- einstimmend gezeigt, dass die individuelle Entwickelung des Men- schen ebenso wie der übrigen Thiere mit der Bildung einer solchen einfachen „S t a m m z e 1 1 e" beginnt, und dass diese bei der weiteren Entwickelung zunächst durch wiederholte Theilung (oder „Fur- ch u n g ") in einen Haufen von Zellen zerfällt , die sogenannten Furchungskugeln oder Furchungszellen {Segmentella oder Blasto- niera). Dagegen bestanden bis zum Jahre 1875 die lebhaftesten Streitigkeiten darüber, w i e eigentlich die Stammzelle entsteht, und w i e sich bei ihrer Bildung und im Befruchtungs-Acte selbst Eizelle und Spermazelle zu einander verhalten. Früher nahm man gewöhn- lich an, dass der ursprüngliche Kern der Eizelle, das sogenannte Keimbläschen, bei der Befruchtung unverändert erhalten bleibe und und unmittelbar in den Stammkern (den „Kern der ersten Fur- chungskugel") übergehe. Dagegen gelangten die meisten neueren Beobachter zu der Ueberzeugung , dass das Keimbläschen früher oder später zu Grunde gehe, und dass der Stammkeru neu sich bilde. Aber auch darüber, wann und wie sich dieser neue Kern der Stammzelle bilde, gingen die Ansichten noch sehr auseinander. Die Einen nahmen an, dass das Keimbläschen vor der Befruchtung, die anderen, dass es nach derselben verschwinde. Einige behaup- teten, dass es aus der Eizelle ausgestossen werde. Andere, dass es sich im Dotter derselben auflöse. Die Einen waren der Ansicht, dass es vollständig, die Anderen, dass es nur theilweise zu Grunde gehe. VII. Reifung der Eizelle. 139 Die zahlreichen, bezüglich dieser höchst wichtigen Vorgänge herrschenden Widersprüche und Unklarheiten sind heute glücklich beseitigt; ihre Auflösung begann im Jahre 1875, als fast gleich- zeitig eine Anzahl von höchst sorgfältigen mikroskopischen Unter- suchungen darüber veröÖentlicht wurden , insbesondere von Oscar Hertwig und Eduard Strasburger (beide damals in Jena), von Eduard Van Beneden, 0. Bütschli u. A. Durch diese und zahl- reiche nachfolgende Beobachter wurden wir allmählich zu einer er- freuhcheu Uebereinstimmung in der wesentlichen Autfassung der Befruchtung geführt und zu der Ueberzeugung , dass dieselbe überall, im Thierreiche wie im Pflanzenreiche, auf denselben physio- logischen Vorgängen beruht. Besonders klar lässt sich dieselbe erkennen an den Eiern der Sternthiere oder Echinodermen (See- sterne, Seeigel, Seegurken u. s. w.); an diesen wurden auch die bahnbrechenden Untersuchungen der Gebrüder Oscar und Richard Hertwig angestellt. Die wesentlichsten Ergebnisse derselben können kurz folgendermaassen zusammengefasst werden. Der Befruchtung selbst gehen gewisse Veränderungen voraus, welche für deren Zustandekommen sehr wesentlich und in der Regel unerlässlich sind. Man fasst dieselben zusammen unter dem Be- griffe der Reifungs-Vorgänge oder „Reife-Erscheinungen des Eies". Dabei geht der ursprüngliche Kern der Eizelle, das „Keim- bläschen" (S. 117) zu Grunde; ein Theil desselben wird ausgestossen, ein anderer Theil in der Zellsubstanz aufgelöst; nur ein ganz kleiner Theil davon bleibt zurück und bildet die Grundlage für einen neuen Kern , den „weiblichen Vorkern" {Pronucleus femininus). Dieser allein ist es, der bei der Befruchtung mit dem entgegenkom- menden Kern der befruchtenden Spermazelle, dem „männlichen Vorkern" {Pronucleus masculinus) verschmilzt. Die Reifung der Eizelle beginnt zunächst mit einer Rück- bildung des Keimbläschens oder des ursprünglichen Eizellenkerns (Fig. 22). Wir hatten gesehen, dass derselbe bei den meisten un- reifen Eiern eine grosse, helle, kugelige Blase darstellt; dieses „Keimbläschen" umschliesst einen zähflüssigen Kernsaft {Karyo- lymphe); das feste Kerngerüste {Karyohasis) setzt sich zusammen aus der umhüllenden Kern - Membran und einem Netzwerke von Kernfäden, welche den mit Kernsaft gefüllten Hohlraum durch- setzen ; in einem Knotenpunkte des Netzwerks ist der dunkle, stark lichtbrechende Kernkörper oder Nucleolus eingeschlossen. Bei der eintretenden Reifung der Eizelle wird nun der weitaus grösste Theil des Keimbläschens in der Zelle aufgelöst: die Kern-Membran und HO Richtungskörper oder Polzel VII. das Faden-Netz verschwinden ; der Kernsaft vertheilt sich im Proto- plasma ; ein kleiner Theil der Kernbasis wird ausgestossen ; ein anderer kleiner Theil bleibt zurück und verwandelt sich in den secundäreu Eikern oder den „weiblichen Vorkern" (Fig. 23 ek). Der kleine Theil der Kernbasis, welcher aus der reifenden Eizelle ausgestossen wird, ist unter dem Namen der „Richtungs- Körper oder Polzellen" bekannt; über ihre Entstehung und Be- deutung ist sehr viel gestritten worden, ohne dass man darüber zu ■'.''.'.> Fi-, Fig. 23. Fig. 22. Ein onreifeB Sternthier-Ei (Echinodermeu-Ei) , mit Kerugerüst und dunklem Nucleolus in dem grossen kugelförmigen Keimbläschen. Nach Hertwig. Fig. 23. Ein reifes Sternthier-Ei (Echinodermen-Ei), mit einem kleinen homo- genen Eikern, e k. Nach Hertwig. voller Klarheit gelangt ist. Gewöhnlich erscheinen dieselben als zwei kleine runde Körner, von derselben Grösse und Beschaffenheit, wie der zurückbleibende Vorkern. Die beiden Richtnngskörper ent- stehen nach einander durch Abschntirung oder Abspaltung von dem- jenigen Theile der Kernbasis (wahrscheinlich meistens des Keim- fleckes), welcher auch den weiblichen Vorkern liefert. Man kann daher diesen Spaltungs-Process, an welchem auch der um- gebende Theil des Protoplasma betheiligt ist, als eine zweimal wiederholte Zelltheilung , oder richtiger Zell-Kuospung, auf- fassen; denn die beiden Stücke, in welche jedesmal die reifende Eizelle zerfällt, sind von sehr ungleicher Grösse und Beschaffen- heit. Die beiden kleinen Richtungskörper oder Polzellen sind ab- gelöste Zellkuospen; ihre Abspaltung von der grossen Mutter-Zelle geschieht unter denselben Erscheinungen, wie bei der gewöhnlichen „indirecten Zelltheilung", mit Bildung von Kernspindel, Plasma- Sternen, Polstrahlung, Halbirung der Kernspindel, Mitose u. s. w. Die Richtungskörper sind daher wahrscheinlich als „Abortiv- VII. Weililiclier und männlicher Vorkern. 141 Eier" aufzufassen, oder als „rudimentäre Eier", die in ähnlicher Weise durch Spaltung aus einem einfachen „Ur-Ei" hervorgehen, wie bei der Spermatogenese viele Samenzellen aus einem Spermato- blasten oder einer „Samen-Mutterzelle" entstehen. Da die beiden Polzellen ausgestossen werden und ausserhalb zu Grunde gehen, ohne irgend eine Bedeutung weiter für das reifende Ei zu besitzen, wollen wir nicht weiter auf dieselben eingehen. Um so wichtiger ist dagegen der „weibliche Vorkern" {Pronucleus femininus), der nach Ausstossung der Polzellen und Auflösung des Keimbläschens noch allein übrig bleibt (Fig. 23 ek). Dieses kleine runde Chromatin - Körperchen ist es , welches nun innerhalb der grossen reifen Eizelle als Anziehungspunkt auf das eindringende männliche Samenkörperchen wirkt, und mit dessen „Kopfe", dem männlichen Vor kern {Pronucleus masculinus) verschmilzt. Das Product dieser Verschmelzung, die den wichtig- sten Theil des Befruchtungs - Actes bildet , ist der Stammkern oder der erste Furchungskern (Ärchikaryon), d. h. der Kern der neu gebildeten kindlichen Stammzelle oder der „ersten Furchungs- zelle" {Archicytos oder Cytula). Dieser „Stammkern" ist der Aus- gangspunkt der folgenden Keimungs-Processe. Um die Einzelheiten dieses bedeutungsvollen Befruchtungs- Vorgangs zu verfolgen, sind nach Hertwig's Entdeckung ganz vor- züglich die kleinen durchsichtigen Sternthier-Eier geeignet. Man kann hier sehr leicht und erfolgreich die künstliche Befruchtung ausführen und innerhalb zehn Minuten die Entstehung der Stamm - zelle Schritt für Schritt verfolgen. Wenn man reife Eier von See- sternen oder Seeigeln in ein Uhrgläschen mit Seewasser bringt und dann ein Tröpfchen reifer Samenflüssigkeit zusetzt, so erfolgt die Befruchtung jedes Eies schon innerhalb fünf Minuten. Tausende der feinen , lebhaft beweglichen Geisseizellen , die wir als „Samen- fäden" beschrieben haben (Fig. 19), stürzen auf die Eier zu, ange- zogen durch eine chemische Sinnesfunction, die man als „Geruch" bezeichnen kann. Aber nur ein einziges von diesen zahlreichen berufenen „Saraenthierchen" ist das auserwählte, dasjenige, welches sich zuerst mittelst der peitschenförmigen Bewegungen seines Schwanzes der Eizelle genähert hat und sie mit dem Kopfe berührt. An der Stelle, wo die Spitze seines Kopfes die Oberfläche des Eies berührt, erhebt sich das Protoplasma des letzteren in Form einer kleinen Warze, des „Empfängnisshügels" (Fig. 2-iA). In diesen bohrt sich nun der Samenfaden mit seinem Kopfe ein, wobei der aussen befindliche Schwanz pendelnde Bewegungen ausführt 142 Voreäno^e bei der Bofruchtnno-. VII. (Fig. 24 B, C). Bald verschwindet auch der Schwanz im Innern der Eizelle. Gleichzeitig scheidet letztere, vom Empfängnisshügel ausgehend, eine äussere, dünne Dotterhaut ab (Fig. 24 0); durch diese wird das Eindringen weiterer Samenfäden verhindert. Im Innern der reifen Eizelle vollzieht sich nun rasch eine Reihe von sehr wichtigen Veränderungen. Der birnförmige Kern der ein- gedrungenen Spermazelle oder der sogenannte „Kopf des Samen- thierchens" wird grösser und rundlicher und verwandelt sich in den Fig. 24. Befruchtung eines Seestern-Eies. (Nach Heutvvig.) Nur ein kleiner Theil der Ei-OberflSche ist g^ezeiclinet. Einer von den zahlreichen Samenfäden nähert sich dem .,Empfängnisshüffel'' {A), berührt denselben (Z?) und dringt dann in das Proto- plasma der Eizelle ein (C). Spermakern oder männlichen V o r k e r n (Fig. 25 s h). Dieser wirkt anziehend auf die feinen Körnchen oder Microsomen, die im Protoplasma der Eizelle vertheilt sind; dieselben ordnen sich in Strahlen und Ijiklen eine Sternfigur {Cijhdaster). Noch stärker aber wirkt die Anziehungskraft oder „Wahlverwandtschaft" zwischen den beiden Kernen ; beide wandern innerhalb des Dotters mit wach- sender Geschwindigkeit einander entgegen, und zwar der männliche Spermakern (Fig. 26 sk) rascher als der weibliche Eikern (eJe). Dabei nimmt der kleinere Spermakern den Strahlen-Mantel mit, welcher ihn in Form der „Sternfigur" umgiebt. Endlich berühren sich die beiden Geschlechts-Kerne (gewöhnlich in der Mitte der kugeligen Eizelle), lagern sich fest aneinander, platten sich an den Berührungsflächen ab und verschmelzen hier zu einer einzigen Masse. Die kleine centrale Nuclein-Kugel, welche diese vereinigte Kernmasse bildet, ist der Stamrakern oder der „erste Fur- chungskern" ( Ar chiJcaryon oder Cytulokaryon) ; die neugebildete Zelle, das Product der Befruchtung, ist unsere Stammzelle, die sog. „erste I" u ]• c h u n g s k u g e 1" ( Cytula oder Archicytos, Fig. 27). VII. Stammzelle oder erste Furchungskugel. 143 Das einzig Wesentliclie beim Vorgange der geschlechtlichen Zeugung und der Befruchtung ist also die Bildung einer neuen Zelle, der Stammzelle. Diese Cytula ist in allen Fällen das Ver- schmelzungs-Product von zwei ursprünglich verschiedenen Zellen, der weiblichen Eizelle und der männlichen Spermazelle. Unzweifel- haft besitzt dieser Vorgang die höchste Bedeutung und muss unser Befruchtung des Seeigel-Eies (nach Hertwig). In Fig. 25 rückt der kleine Spermakern (sä) dem grösseren Eikern [ek) entgegen ; in Fig. 26 sind beide schon bis fast zur Berührung genähert und von dem Strahlen-Mantel des Protoplasma eingehüllt. grösstes Interesse in Anspruch nehmen ; denn Alles, was später bei der Entwickelung dieser ersten Keimzelle und im Leben des daraus hervorgehenden Organismus geschieht, ist ursprünglich bedingt durch die chemische und morphologische Zusammensetzung der Stammzelle, ihres Kernes und ihres Leibes, Wir müssen daher der Ent- stehung und Bildung der Stammzelle unsere ganz bescmdere Aufmerksam- keit zuwenden. v--^ w Fig. 27. StammzeUe oder Cytula eines Seeigels („erste Furchungszelle" oder befruchtete , , . Ei'/.elle). Nach Hkrtwig. Im Centrum der kuge- ' •.••'/ ligen Zelle liegt der kleine kugelige Stammkern oder Furchungskern (/fc). Die erste Frage, die uns hier entgegentritt, ist, wie sich die beiderlei verschiedenen activen Zellbestandthcile , Kern und Proto- plasma , bei dem Verschmelzungs - Processe eigentlich verhalten ? Offenbar spielt der Nucleus dabei die Hauptrolle, und Hertwig fasst daher seine Befruchtungs - Theorie in dem Satze zusammen : „Die Befruchtung beruht auf der Copulation zweier 144 Befruchtung und Vorei-hung. Vit. Zellkerne, die von einer männlichen und einer weiblichen Zelle abstammen." Da nun mit dem Processe der Fortpflanzung die Er- scheinung der Vererbung untrennbar verknüpft ist, kann man dar- aus auch noch weiter folgern, dass jene beiden copulirenden Zell- kerne „die Träger für die Eigenschaften sind, welche von den Eltern auf ihre Nachkommen vererbt werden". In diesem Sinne hatte ich schon 1866 (im IX. Capitel meiner „Generellen Morphologie") dem reproductiven Zellkern die Function der Fortpflanzung und Ver- erbung, dem nutritiven Protoplasma hingegen die Rolle der Ernährung und Anpassung zugeschrieben. Da nun bei der Be- fruchtung thatsächhch eine völlige Verschmelzung der beiden sich gegenseitig anziehenden Kernsubstanzen stattfindet, und da der so entstehende neue Kern (der Stammkern) thatsächlich den ersten Ausgangspunkt für die ganze Entwickelung des neu erzeugten In- dividuums bildet, so lässt sich daran weiter der Schluss knüpfen, dass der männliche Spermakern ebenso die Eigen- schaften des Vaters, wie der weibliche Eikern die Eigenschaften der Mutter erblich auf das Kind über- trägt. Indessen ist dabei nicht zu vergessen, dass ausserdem beim Befruchtungs - Processe auch die Protoplasma - Leiber der beiderlei copulirenden Zellen mit einander verschmelzen ; der Zellen- leib des eingedrungenen Samenfadens (Rumpf und Schwanz der männlichen Geisselzelle) löst sich im Dotter der weiblichen Eizelle auf. Wenn diese Verschmelzung auch nicht die hohe Bedeutung besitzt, wie jene der beiden Kerne, so ist sie doch nicht ausser Acht zu lassen ; und wenn uns dieselbe auch noch nicht näher be- kannt ist , so bedeutet doch schon die Bildung der Sternflgur (die strahlige Anordnung der Microsom - Ketten im Plasma) darauf hin (Fig. 25—27). Auch die Wechselwirkung der beiderlei Zelltheile muss dabei erwogen werden. Die Bildung des Protoplasma-Sterns um den eingedrungenen Sperma-Kern, und später um den copulirten Stamm- kern erweckt zunächst die Vorstellung, dass dieser allein activ auf die Anordnung der Körner und Fäden im Protoplasma wirkt. Allein der reproductive Kern selbst verändert dabei seine Grösse, Gestalt und Consistenz, und wird seinerseits, schon durch die Be- dingungen seiner Ernährung, von dem nutritiven Protoplasma be- einflusst. Wie innig die Wechsel-Beziehungen beider Theile sind, ergiebt sich ja schon aus den vorher betrachteten Reifungs-Er- scheinungen des Eies, welche der Befruchtung vorausgehen, und aus den Vorgängen der Eifurchung, welche ihr nachfolgen. Hier VII. Theoi'ien der Bofruclitung. 145 wie dort beobachten wir jene verwickelten Erscheinungen der Karyokinese und Mitose, welche auch überall bei der ge- wöhnlichen indirecten Zelltheilung wiederkehren, und welche uns auf die bedeutungsvolle innige Wechsel-Wirkung von Zell- kern und Zellsubstanz hinweisen. Hat man doch sogar jene Erscheinungen auch als Karyolyse bezeichnet, als eine wirkliche „Auflösung des Nucleus im Protoplasma". Bis zu einem ge- wissen Grade kann diese zugegeben und dann für unsere Moneren- Theorie verwerthet werden , für die Annahme , dass die ältesten und einfachsten Organismen kernlose Piastiden waren, und dass aus diesen erst secundär die wirklich einzelligen Lebensformen durch Sonderung von Kern und Zellenleib entstanden. (Vergl. dar- über den XIX. Vortrag.) Die älteren Befruchtungs-Theorien irrten meistens insofern, als sie das grosse Ei allein für die wesenthche Grundlage des erzeugten kindlichen Organismus erklärten und dem kleinen Samenfaden nur die Rolle zuschrieben , dessen Entwickelung anzuregen und einzu- leiten. Der Anstoss , den der letztere dem ersteren geben sollte, wurde bald mehr chemisch (als ein katalytischer Vorgang) aufge- fasst, bald mehr physikalisch (nach dem Princip der übertragenen Bewegung), oder auch wohl ganz dualistisch (als ein völhg mysti- scher oder transcendenter Process). Dieser Irrthum erklärt sich theils aus der damaligen unvollkommenen Kenntniss der Befruch- tungs-Thatsachen , theils aus der autfallend verschiedenen Grösse der beiderlei Geschlechts-Zellen. Die meisten früheren Beobachter nahmen an, dass der Samenfaden überhaupt nicht in das Ei ein- dringe. Aber selbst nachdem dies erwiesen war, glaubte man, dass er darin spurlos verschwinde. Erst die ausgezeichneten Unter- suchungen der letzten 16 Jahre , mit den sehr vervollkommneten technischen Methoden der Neuzeit ausgeführt, haben jene irrthüm- lichen Autfassungen endgültig widerlegt. Es hat sich daraus er- geben, dass die kleine Spermazelle der grossen Eizelle nicht subordinirt, sondern coordinirt ist. Die Kerne beider Zellen, als die Träger der erblichen Eigenschaften l)eider Eltern, sind physiologisch von gleichem Werthe. In einigen Fällen ist es sogar gelungen, zu zeigen, dass selbst die Menge der activen Kernsubstanz, welche bei der Copulatiou der beiden Geschlechtskerne verschmilzt, in beiden ursprünglich dieselbe ist. Eduard Van Beneden hat nachgewiesen, dass bei dem Ei des Pferde-Spulwurms {Äscaris megalocephala) die Vereinigung der beiden Geschlechtskerne sich verspätet und erst dann abschliesst, ll.irckeK Aiitlimpogcnie. 4. Aull. lU 14(3 Vererbung des Plasma von beiden Eltern. VII. wenn bereits die dadurch gebildete Stammzelle sich zu theileu be- ginnt. Die charakteristische Kernspindel, welche dabei entsteht, und welche in die Kerne der beiden ersten Furchungs-Tochterzellen zerfällt, wird zur einen Hälfte vom Eikern, zur anderen Hälfte vom Spermakern gebildet; von den vier „Tochterschleifen" der Fur- chungsspindel sind zwei männlicher und zwei weiblicher Herkunft. Diese morphologischen Thatsachen stehen in vollem Einklänge mit der allbekannten physiologischen Erscheinung, dass jedes Kind Eigenschaften voh l)eiden Eltern erbt, und dass durchschnittlich die letzteren dabei in gleichem Maasse betheiligt sind. Ich sage „durchschnittlich"; denn ebenso bekannt ist es, dass jedes Kind, als ganzes Individuum betrachtet, entweder mehr dem Vater oder mehr der Mutter gleicht; mit Bezug auf die primären Sexual- Charaktere (die Geschlechts-Drüsen) versteht sich das ja von selbst. Es wäre aber auch möglich, dass die Entscheidung über die letz- teren — die wichtige Entscheidung, ob sich aus der befruchteten Eizelle ein Knal)e oder ein Mädchen entwickelt — abhängig ist von einer geringen qualitativen oder quantitativen Differenz des Nucleins oder der chromatischen Kernsubstanz, welche von beiden Eltern im Befruchtungs-Akte zusammenkommt. ^ Die autfallenden Unterschiede der beiderlei Geschlechtszellen in Grösse und Gestalt, welche jene älteren irrthümlichen Autfassungen veranlassten, erklären sich leicht aus dem Princip der Arbeits- theilung oder Ergonomie. Die träge unbewegliche Eizelle wird immer grösser, je mehr Proviant sie für die Ausbildung des Keims in Form von Nahrungsdotter ansammelt. Die muntere, schwim- mende Spermazelle umgekehrt wird immer kleiner und mobiler, je mehr sie genöthigt ist, die erstere aufzusuchen um sich in ihren Dotter einzubohren. Während diese Unterschiede bei den höheren 1'hieren sehr autf'allend sind, treten sie bei vielen niederen ThieixMi weit weniger hervor. Bei denjenigen Protisten (einzelligen Ui- pflanzen und Urthiereu), welche die ersten Anfänge der geschlecht- lichen ZeuguDg besitzen, sind sogar die beiden copulirenden Zellen ursprünglich ganz gleich. Der Befruchtungs - Akt ist hier weiter nichts als ein plötzliches Wachsthum, wobei die ursprünglich einfache Zelle ihr Volumen verdoppelt und dadurch zur Fort- pHanzung (Zelltheilung) befähigt wird. Dann treten zuerst geringe Differenzen in der Grösse der beiden Copulations - Zellen auf; die kleineren Microsporen (oder Microgonidien) besitzen im Uebrigen die Gestalt der grösseren Macrosporen (oder Macrogonidien). Erst wenn diese Grössendifferenz bedeutender wird, treten dazu VII. Copulation von Samenzelle nnd Eizelle. 147 auch auffallende Unterschiede der Gestaltung; die erstereu werden zu den flinken Spermazellen, die letzteren zu den trägen Eizellen. Mit dieser neuen Auflassung von der Aequivalenz der beiderlei Gonidien, der physiologischen Gleichwerthigkeit der männlichen uud weiblichen Geschlechtszelle, ihrem gleichen Antheil an dem Vererbungs-Vorgang, harmonirt nun auch die wichtige, von Hertwig (1875) festgestellte Thatsache, dass bei normaler Be- fruchtung nur eine einzige Samenzelle mit einer Eizelle copulirt; die Membran, welche sofort nach dem Eindringen des ersten Samenfadens sich von der Oberfläche des Dotters abhebt (Fig. 24 (7), verhindert den Eintritt weiterer „Samenthierchen" ; alle Nebenbuhler jenes glücklichen ersten Spermatozoon bleiben ausge- schlossen und sterben rettungslos. Wenn dagegen die Eizelle er- krankt, wenn sie durch niedere Temperatur in Kälte-Starre versetzt oder durch narkotische Mittel (Chloroform, Morphium, Nicotin etc.) betäubt wird, so können zwei oder mehrere Samenfäden in ihren Dotterleib eindringen; es tritt dann lieber fruchtuug oder Polyspermie ein. Je stärker Hertwig die Eizelle chlorofor- mirte, desto grösser war die Zahl der gierigen Samenfäden, welche sich in ihren bewusstlosen Leib einbohrten. Es erinnert diese merkwürdige Thatsache an die berüchtigten Orgien in katholischen Klöstern Spaniens, wo ein sinnlos berauschtes Mädchen vielen Mön- chen als Lust-Object dient; normaler Weise hält dort sich jeder Mönch seine eigene „Nonne"; eine von den vielen moralischen Folgen des obligatorischen Cölibates. Auch für die Psychologie sind diese merkwürdigen That- sachen der Befruchtung von höchstem Interesse, insbesondere für die Lehre von der Zellseele, welche ich für das naturgemässe Fundament der ersteren halte. Denn alle die wichtigen , vorher beschriebenen Vorgänge können nur dann verstanden und erklärt werden, wenn wir den beiden Geschlechtszellen eine Art niederer Seelenthätigkeit zuschreiben. Beide empfinden gegenseitig ihre Nähe, beide werden durch einen sinnlichen (wahrscheinlich dem Geruch verwandten) Trieb zu einander hingezogen ; beide b e - wegen sich aufeinander zu und ruhen nicht, bis sie miteinander verschmelzen. Die Physiologen pflegen zwar zu sagen, dass es sich hier nur um eigen thümliche, physikalisch-chemische Erscheinungen, und nicht um psychische handle; aber die letzteren können von den ersteren nicht getrennt werden. Auch die eigentlichen Seelen- thätigkeiten im engeren Sinne sind ja nur verwickeitere physikalisclu' Vorgänge, „psycho-physische" Erscheinungen, die schliesslich 148 Betruclitmig und Unsterblichkeit. VII. in allen Fällen durch die chemische Zusammensetzung ihres mate- riellen Substrates bedingt sind. Diese monistische ÄuÖassung wird dann besonders klar, wenn wir uns wieder an die fundamentale Bedeutung der Befruchtung für die Vererbung erinnern. Denn ebenso wie die feinsten kctrperlichen, werden bekanntlich auch die subtilsten geistigen Eigen- thümlichkeiten von den Eltern durch die Vererbung auf die Kinder übertragen. Dabei ist die chromatisclie Masse des männlichen Sperniakerns als materieller Träger von derselben Bedeutung wie die gleich grosse Karyoplasma-Masse des weiblichen Eikerns ; durch erstere werden die individuellen Seelen - Eigenthümlichkeiten des Vaters, durch letztere diejenigen der Mutter vererbt. Die beson- dere Mischung beider elterlicher Zellkerne bedingt in jedem Kinde dessen individuellen psychischen Charakter. Aber auch eine andere hochwichtige Frage der Psychologie — ja die wichtigste von allen ! — wird durch die Befruchtungs-Ent- deckungen des letzten Jahrzehnts definitiv entschieden : die Frage von der persönlichen Unsterblichkeit. Dieses Dogma, welches uns bei den roheren Naturvölkern in den mannichfachsten und wunder- lichsten Formen entgegentritt, spielt bekanntlich auch in den ver- feinerten Vorstellungen vom Seelenleben der modernen Culturvölker immer noch eine bedeutende Bolle. Nun ist zwar die Unhaltbar- keit desselben schon während des letzten halben Jahrhunderts immer klarer geworden, hauptsächlich durch die grossen Fortschritte der vergleichenden Morphologie und der experimentellen Physiologie, der empirischen Psychologie und Psychiatrie, der monistischen Anthropologie und P'thnologie. Aber durch keine Thatsache wiid dasselbe so einleuchtend widerlegt, wie durch die vorher geschil- derten Elementar-Processe der Befruchtung. Denn die dabei ein- tretende Copulation der beiden Gcschlech tsker iie (Fig. 25— 27) bezeichnet haarscharf den Augenblick, in welchem das neue Individuum entsteht. Alle körper- lichen Eigenschaften und geistigen Anlagen des neugeborenen Kindes sind die Summe der erblichen Eigenschaften, welche es von seinen Eltern und Voreltern auf dem Wege der geschlechtlichen Zeugung erhalten hat. Alles, was der Mensch in seinem Leben später durch die Thätigkeit seiner Organe und den Eiutiuss der Aussenwelt, durch Erziehung und Unterricht, mit einem Worte durch An- passung erwirbt, kann nicht jene individuelle Grundlage seines Wesens vernichten, welche er durch Vererbung von seinen Eltern erhalten hat. Diese erbliche Anlage, das Wesen jedei' einzelnen VII. Entstcliang ). Gastrula eines Arthropoden (Urkrcbs, NaupUus) (wie 32). Fig. 34 (JS). Gastrula eines Mollusken (Teichschnecke, Limnae,us) , nach Cakl Rabl. Fig. 35(i''). Gastrula eines Wirbelthieres (Lanzetthierchen, Amphioxus), nach KnWALEvSKY. (Frontal-Ansicht.) Ueberall bedeutet: d Urdarmhöhle. o Urmund. s Furchungshöhle. / KntodcMiu (Darmblatt), e Exoderm (Hautblatt). Ijesteheu und kann eine „falsche LeibeshiUile" bilden (Fseudocoel). Diese letztere ist bisweilen ausgedehnt und wird auch öfters als die „primäre Leibeshöhle" der Metazoen bezeichnet, im Gegensätze zu der „secundären Leil)eshöhle" oder dem Eiiterocoel, welche später bei den Wirbelthieren aus dem Urdarm hervorvvächst (vergl. den X. Vortrag). Haeckfl, Aathropogcuie. i. Aufl 11 162 rrdanu und [Tnimiid der Gastrula. VIII. Die Gastrula halte ich für die ^Yichtigste und be- deutungsvollste Keim form des Thierreichs. Denn bei allen echten Thieren (nach Ausschluss der Protozoen) geht aus der Eifurchung entweder eine reine, ursprüngliche, palingenetische Gastrula hervor (Fig. 29 I, K ) oder doch eine gleichbedeutende ceno- genetische Keimform, die secundär aus der ersteren entstanden ist und sich unmittelbar darauf zurückführen lässt. Sicher ist es eine 'l'hatsache von höchstem Interesse und von der grössten Bedeutung, dass Thiere der verschiedensten Stämme : Wirbelthiere, Weichthiere, Gliederthiere, Sternthiere, Wurmthiere und PÜanzenthiere sich aus einer und derselben Keimform entwickeln. Als redende Beispiele stelle ich Ihnen hier einige reine Gastrula-Formen aus verschiedenen Thierstämmen neben einander (Fig. 30 — 35, Erklärung oben). Bei dieser ausserordentlichen Bedeutung der Gastrula müssen wir die Zusammensetzung ihrer ursprünglichen Körperforra auf das Genaueste untersuchen. Gewöhnlich ist die typische reine Gastrula sehr klein, mit blossem Auge nicht sichtbar oder höchstens unter günstigen Umständen als ein feiner Punkt erkennbar, meistens von ^20 — Vi Ol seltener von V.^"~ Va ™™ Durchmesser (bisweilen mehr). Ihre Gestalt gleicht meistens einem rundlichen Becher ; bald ist sie mehr eiförmig, bald mehr ellipsoid oder spindelförmig, bei einigen mehr halbkugelig oder fast kugehg, bei anderen wiederum mehr in die Länge gestreckt oder fast cylindrisch. Sehr charakteristisch ist die geometrische Grundform des Körpers, welche durcli eine einzige Axe mit zwei verschiedenen Polen be- stimmt wird. Diese Axe ist die Hauptaxe oder Längsaxe des späteren Thierkörpers ; der eine Pol ist der Mundpol (Oralpol) ; der entgegengesetzte der Gegenmundpol (Aboralpol). Bei den Bila- terieu oder den höheren Thieren mit zweiseitiger Grundform nimmt die cenogenetisch abgeänderte Gastrula gewöhnlich schon frühzeitig ebenfalls die bilaterale (dreiaxige) Grundform an (Fig. 39, S. 168). Durch die e i n a x i g e (oder monaxouie) Grundform unterscheidet sich die Gastrula sehr wesentlich von der kugeligen Blastula und Morula, bei denen alle Körperaxen gleich sind "'). Der Querschnitt der primären Gastrula ist kreisrund. Die innere Höhle des Gastrula-Körpers bezeichne ich als Tlr- darm (Progaster) und seine Oetlnung als Urraund {Prostoma). Denn jene Höhle ist die ursprüngliche Ernährungshöhle oder Darm- höhle des Körpers, und diese Oeti'nung hat anfänglich zur Nahiungs- aufuahme in denselben gedient. Später allerdings verhalten sich l rdarm und Urmund in den verschiedenen Thierstämmen sehr ver- VIII. Die beiden primären Keimblätter. 16o schieden. Bei den meisten Pflanzenthieren und vielen Wurmthieren bleiben sie zeitlebens bestehen. Bei den meisten höheren Thiereu hingegen, und so auch bei den Wirbelthieren, geht nur der grössere mittlere Theil des späteren Darmrohrs aus dem Urdarm hervor; die spätere Mundötfnung bildet sich neu, während der Urmund zuwächst. Wir müssen also wohl unterscheiden zwischen dem Urmund und Urdarm der Gastrula einerseits, und zwischen dem Nachdarm und Nachmund des ausgebildeten Wirbelthieres anderseits^"*). Von der grössten Bedeutung sind die beiden Zellenschichteu, welche die Urdarm-Höhle umschliessen und deren Wand allein zu- sammensetzen. Denn diese beiden Zellenschichten, die einzig und allein den ganzen Körper bilden, sind nichts Anderes, als die beiden primären Keimblätter oder die Urkeimblätter {Blastophylla). Ihre fundamentale Bedeutung wurde schon in der historischen Ein- leitung (im III. Vortrage) hervorgehoben. Die äussere Zellenschicht ist das Hautblatt oder Exoderma (Fig. 30— 35e); die innere Zellenschicht ist das Darmblatt oder Entoderma i). Ersteres wird auch oft als Ec toblast oder Epiblast, letzteres als E]ndo- blast oder Hypoblast bezeichnet. Aus diesen beiden pri- mären Keimblättern allein baut sich der ganze Körper bei allen Metazoen oder vielzelligen Thieren a u f. Das Hautblatt liefert die äussere Oberhaut, das Darmblatt hingegen die innere Darmhaut. Zwischen beiden Keimblättern bildet sich später das mittlere Keimblatt (Mesoderma) und die mit Blut oder Lymphe erfüllte Leibeshöhle (Coeloma)^^). Die beiden primären Keimblätter wurden zuerst im Jahre 1817 von P ANDER beim bebrüteten Hühnchen klar unterschieden, das äussere als seröses, das innere als m u c ö s e s Blatt oder Schleimblatt (S. 43). Aber ihre volle Bedeutung wurde erst von Baer erkannt, welcher in seiner classischen Entwickelungsgeschichte (1.S2S) das äussere als an i male s, das innere als vegetatives bezeichnete. Diese Bezeichnung ist insofern passend, als aus dem äusseren Blatte vorzugsweise (wenn auch nicht ausschliesshch) die auimalen Organe der Empfindung: Haut, Nerven und Sinnesorgane entstehen ; hingegen aus dem inneren Blatte vorzugsweise die vege- tativen Orgaue der Ernährung und Fortpflanzung, namentlich der Darm und das Blutgefässsysteni. Zwanzig Jahre später (1849) wies dann Huxley darauf hin, dass bei vielen niederen Pflauzenthieren, namentlich Medusen, der ganze Körper eigentlich zeitlebens nur aus diesen l)eiden primären Keiml)lättern besteht. Bald darauf führte "Allman (1853) für dieselben die Benennung ein, die bald 11* lt)4: Die beiden Keimblätter der Gastrula. VIII. allgemeiu augenommen wurde; er nannte das äussere Ectoderm oder Exoderm (Aussenblatt), das innere Endoderm oder Ento- derm (lunenblatt). Aber erst seit dem Jahre 1867 wurde (vor- zugsweise von K0WALEV8KY) durch vergleichende Beobachtung der Nachweis geführt, dass auch bei wirbellosen Thieren der verschie- Fig. 36. Gastrula eines niederen Schwammes (Olynthus) A von aussen, B im Längsschnitte durch die Axe. g Urdarm (primitive Darmhöhle), o Urmund (primitive Mundöflnung). i Innere Zellenschicht der Körperwand (inneres Keimblatt, Entoderm, Endoblast oder Darmblatt), e Aeussere Zellenschicht (äusseres Keimblatt, Exoderm, Ectoblast oder Hautblatt). (leusten Klassen, bei Wurmthieren, Weichthieren, Sternthieren und Gliederthieren der Körper sich aus denselben beiden primären Keimblättern aufbaut. Endlich habe ich selbst auch bei den nie- dersten Pflanzenthieren, bei den Schwämmen oder Spongien, die- selben (1872) nachgewiesen und zugleich in meiner Gastraea-Theorie den Beweis zu führen gesucht, dass diese „Grenzblätter" überall, von den Schwämmen und Korallen bis zu den Insecten und Wirbei- thieren hinauf, also auch beim Menschen als gleichbedeutend oder homolog aufzufassen feind. Diese fundamentale „Homologie der primären Keimblätter und des Urdarms" ist im Laufe der letzten zwanzig Jahre durch die sorgfältigen Untersuchungen zahl- reicher vortrefflicher Beobachter bestätigt und jetzt für sämmtliche Metazoen fast allgemein anerkannt worden. Gewöhnlich bieten auch schon am Gastrula-Keim die Zellen, welche die beiden primären Keimblätter zusammensetzen , erkenn- bare Verschiedenheiten dar. Meistens (wenn auch nicht immer) .sind die /eilen des Hautblattes oder Exoderras (Fig. 30 e, 37 e) VIII. Differenzinin^' der beiden Keimblätter. 165 kleiner, zahlreicher, heller, hingegen die Zellen des Darmblattes oder Entodernis (i) grösser, weniger zahlreich und dunkler. Das Protoplasma der Exoderm-Zellen ist klarer und fester, als die trübere und weichere Zellsubstanz der Entoderm-Zellen ; letztere sind meist viel reicher an Dotterkörnern (Eiweiss- und Fettkörnchen) als erstere. Auch besitzen die Darmblattzellen gewöhnlich eine stärkere Ver- waiidtschaft zu Farbstoffen und färben sich in Carminlösung, Anilin u. s. w. rascher und lebhafter als die Hautblattzellen. Die Kerne der Entoderm-Zellen sind meistens rundlich, diejenigen der Exoderm- Zellen hingegen länglich. Diese physikalischen , chemischen und morphologischen Unter- schiede der beiden Kleimblätter, welche ihrem physiologischen Gegen- satze entsprechen, sind auch insofern von hohem Interesse, als sie uns den ersten und ältesten Vorgang der Sonderung oder Differen- zirung im Thierkörper vor Augen führen. Die Keim h au t {Blasto- derma), welche die Wand der kugeligen Keimhautblase oder Blastula bildet (Fig. 29 F, G), besteht bloss aus einer einzigen Schicht von gleichartigen Zellen. Diese Keimhautzellen oder Blastoderm- Zellen sind ursprünglich sehr regelmässig und gleichartig gebildet, von ganz gleicher Grösse, Form und Beschaffenheit. Meistens sind sie durch gegenseitigen Druck abgeplattet, sehr oft regelmässig sechseckig. Sie bilden das erste Gewebe des Metazoen-Orga- nismus , ein einfaches Zellen - Pflaster oder Epithelium. Die Gleichmässigkeit dieser Zellen verschwindet früher oder später während der Einstülpung der Keimhautblase. Die Zellen, welche den eingestülpten, inneren Theil derselben (das spätere Entoderra) zusammensetzen , nehmen gewöhnlich schon während des Einstül- pungs-Vorganges selbst (Fig. 29 H) eine andere Beschaffenheit an, als die Zellen, welche den äusseren, nicht eingestülpten Theil (das spätere Exoderm) constituiren. Wenn der Einstülpungs - Process vollendet ist, treten die histologischen Verschiedenheiten in den Zellen der beiden primären Keimblätter meist sehr auffallend hervor (Fig. 37). Die kleinen hellen Exoderm-Zellen (e) heben sich scharf von den grösseren dunkeln Entoderm-Zellen (i) ab. Häufig tritt diese Sonderung der beiden Zellenformen schon sehr frühzeitig wäh- rend des Furchungs-Processes auf und ist an der Keimblase bereits sehr deutlich. Wir haben bisher nur diejenige Form der Eifurchung und der Gastrula in's Auge gefasst, welche wir aus vielen und gewichtigen Gründen als die ursprüngliche, die primordiale oder p a- lin genetische aufzufassen berechtigt sind. Wir können sie die (j(i Ursprünglicho palingenetjsahe Eifurcliuug. YIIl. äquale oder gleichmässige Furcliung iienueii, weil die Furchungs- zelleu zunächst (und oft bis zur Bildung des Blastoderms) gleich bleiben. Die daraus hervorgehende Gastrula bezeichnen wir als Glocke n - Gastrula oder Ärchigasfrula. In ganz gleicher Form, wie bei unserer Koralle (Monoxenia, Fig. 29), treö'en wir dieselbe auch bei den niedersten Pflanzeuthieren au, bei Gastrophysema (Fig. 30) und bei den einfachsten Schwämmen (Olynthus, Fig. 36); ferner bei vielen Medusen und Hydrapolypen, bei niederen Würmern verschiedener Klassen (Brachiopoden, Sagitta, Fig. 31), bei Mantel- thieren (Ascidia, Taf. X, Fig. 1 — 4); so- jvf. dann bei vielen Sternthiereu (Fig. 32), nie- deren Gliederthieren (Fig. 33) und Weich- thieren (Fig. 34) ; endlich ein wenig modi- ticirt auch beim niedersten Wirbelthiere, (Amphioxus, Fig. 35; Taf. X, Fig. 1—10). Fig. 37. Zellen aus den beiden primären Keim- blättern des Säugethieres (aus deu beideu Schichten der Keimhaut), i grössere dunklere Zellen der in- u e r e n Schicht, des vegetativen Keimblattes oder Entode r ms. e kleinere hellere Zellen der äusse- ren Schicht, des ani malen Keimblattes oder Exoderms. Die Gastrulation des Amphioxus ist desshalb von besonderem Interesse, weil dieses niederste und älteste aller Wirbel- thiere die grösste Bedeutung für die Phylogenie dieses Stammes, also auch für unsere Anthropogenie besitzt (vergl. den XVI. und XVII. Vortrag). Wie die vergleichende Anatomie der Wirbelthiere die verwickelten Verhältnisse im Körperbau der verschiedenen Klassen durch divergente Entwickelung aus jenem einfachsten „Urwirbelthier" ableitet, so führt die vergl eicliende Ontogenie die verschiedenen secundären Gastrulations-Formen der Verteljraten auf die einfache, primäre Keimblätter-Bildung des Amphioxus zurück. Obwohl diese letztere, im Gegensatze zu den cenogenetischen Modi- ficationen der ersteren, im Ganzen als palingenetisch zu betrachten ist, so unterscheidet sie sich doch schon in einigen Pmikteu von der ganz ursprünglichen Gastrulation, wie sie z. B. bei Monoxenia (Fig. 29) und bei Sagitta vorliegt. Aus der mustergültigen Darstellung von Hatschek (1881) geht hervor, dass die ])eiderlei Zellen- Arten der Keimblätter beim Amphioxus, wie bei vielen anderen Thieren, schon frühzeitig während des Furchungs - Processes ungleiche Beschaffen- heit annehmen. Nur die vier ersten Furchungszellen, welche durch zwei verticale, sich rechtwinklig schneidende Theilungs-Ebenen ge- Vill. GastniIat:io]i «los Airij)hioxus. 167 treuut werden , sind vollkonuiien gleich (Taf. XI, Fig. 8). Die dritte, horizontale Furchungs-Ebene liegt nicht im Aequator des Eies, sondern ein wenig oberhalb desselben, so dass sie jene vier Elastomeren in ungleiche Hälften theilt : vier obere kleinere und vier untere grössere ; jene bilden die animale, diese die vegetale Hemi- sphäre. Hatschek sagt daher mit Recht, dass die Eifurchung des Amphioxus keine streng äquale , sondern eine a d ä q u a 1 e sei und sich der inäqualen nähere. Auch im weiteren Verlaufe des Für- chungs - Processes bleibt der Grössen - Unterschied der beiderlei Zellgruppen bemerkbar ; die kleinereu, animalen Zellen der oberen Halbkugel theilen sich rascher als die grösseren vegetalen Zellen der unteren Hemisphäre (Fig. 38 A, B). Daher besteht denn auch die Keimhaut, welche am Ende des Furchungs-Processes die ein- Fig. 38. Gastrulation des Amphioxus, nach Hatschek (verticale Durclischniüe durch die Ei-Axe). A, B, C drei Stadien der Blastula-Bildung ; Z>, E Einstülpunp der Blastula ; F fertige Gastrula. h Furchungshöhle. g Urdarmhöhle. schichtige Wand der kugeligen Keimblase bildet, nicht aus lauter gleichartigen und gleich grossen Zellen, wie bei Sagitta und Mo- noxenia ; sondern die Zellen der oberen Blastoderm - Hälfte sind zahlreicher und kleiner (Mutterzellen des Exoderms), die Zellen der unteren Hälfte weniger zahlreich, aber grösser (Mutterzellen des Entoderms) ; mithin- ist auch die Furchungshöhle der Keimblase (Fig. 38 C, h) nicht vollkommen kugelig, sondern ein abgeplattetes Sphäroid, mit ungleichen Polen der verticalen Axe. Während am Vegetal-Pole der Axe die Blastula eingestülpt wird, ninunt der Grössen - Unterschied der Keimhaut -Zellen beständig zu (Fig. 38 168 G-astrulatinii des Aiuphioxus. VIII. D, E)\ er ist am autfalleudsteii. nachdem die Iiivagination vollendet imd die Furchuugshöhle verschwuudeu ist (Fig. 38 F). Die grösseren vegetalen Zellen des Entoderms sind reicher an eingelagerten Kör- nern (Lecithellen) und daher trüber, als die kleineren und helleren animalen Zellen des Exoderms. Aber nicht nur durch diese frühzeitige (oder cenogenetisch Torzeitige!) Sonderung der beiderlei Keimblatt-Zellen, sondern auch noch durch eine andere wichtige Eigenthümlichkeit entfernt sich die adäquale Gastrulation des Ämphioxus von der typischen äqualen Eifurchung der Sagitfa, dei' Monoxenia (Fig. 29) und des Olynth'us (Fig. 36). Die reine Archigastrula dieser letzteren ist e i n a X i g , ihr Querschnitt in der ganzen Länge kreisrund. Der Vegetal-Pol der verticalen Äxe liegt genau in :der Mitte des Ur- mundes. Bei der Gastrula des Ämphioxus ist das nicht der Fall. Schon während der Einstülpung seiner Keimblase wird die ideale Axe nach einer Seite gekrümmt, indem das Wachsthum des Blasto- derms (oder die Vermehrung seiner Zellen) an einer Seite lebhafter ist, als an der entgegengesetzten ; die rascher wachsende und daher stärker gekrümmte Seite (Fig. 39 v) ist die künftige Bauchseite, die entgegengesetzte flachere ist die Rückenseite (d). Der Urmund, welcher ursprünglich, bei der typischen Archigastrula, am Vegetal- Pole der Hauptaxe lag, ist aus diesem auf die Rückenseite ver- schoben; und während seine beiden Lippen ursprünglich in einer auf der Hauptaxe senkrechten Ebene lagen, sind sie jetzt so ver- schoben, dass diese Ebene (die Unnund-Ebene) die Axe unter einem schiefen Winkel schneidet. Die dorsale Lippe liegt daher mehr oben Und vorn, die ventrale Lippe mehr , unten und hinten. In dieser letzteren, ,.;-,"-;':■.■ am ventralen üebergang des Ento- ] ' ' ', d dernis in das Exoderm liegen neben 1 '^ einander ein paar autlallend grosse I ; ' Zellen , eine rechte und eine linke I ;• '^ (Fig. 39 p); das sind die bedeutungs- vollen U r m u n d - P 0 1 z e 1 1 e n , oder " die „Urzellen des Mesoderms". -' j Fig. 39. Gastrula des Ämphioxus in der — I " Seiten- Ansicht von links (optischer Median- r..i^^^'- I P Schnitt). Nach Hatschkk. „ , I (Scheiben-Gastrula). ui^nun^ abgeänderte) iMirchung. ^, , ,,. . ^ ' > (mit selbstständigem I 4. Obertlächhche Furchung 1 I ,r., ^ , Nahrungsdotter). ^ (Blasen-Gastrula). ) ' Die niedersten Metazoen, welche wir kennen, nämlich die nie- deren Pflanzenthiere (Spongien , einfachste Polypen u. s. w.), bleil)eii zeitlebens auf einer Bildungsstufe stehen , welche von der Gastrula nur sehr wenig verschieden ist ; ihr ganzer Körper ist nur aus zwei Zellenschichten oder Blättern zusammengesetzt. Diese Thatsache ist von ausserordentlicher Bedeutung. Denn wir sehen, dass der Mensch, und überhaupt jedes Wirbel thier, rasch vorüber- gehend ein zweiblätteriges Bildungsstadium durchläuft, welches bei jenen niedersten Pflanzenthieren zeitlebens erhalten bleibt. Wenn wir hier wieder unser biogenetisches Grundgesetz anwenden, so ge- langen wir sofort zu folgendem hochwichtigen Schlüsse: „Der Mensch und alle anderen Thiere, welche in ihrer ersten individuellen Entwickelungs-Periode eine zweiblätterige Bildungsstufe oder eine Gastrula- Form durchlaufen, müssen von einer uralten ein- fachen Stammform abstammen, deren ganzer Körper zeitlebens (wie bei den niedersten Pflanzenthieren noch heute) nur aus zwei verschiedenen /eilen- schichten oder Keimblättern bestanden hat." Wir wollen diese bedeutungsvolle uralte Stammform, auf welche wir später ausführlich zurückkommen müssen , vorläufig G a s t r a e a (d. h. Urdarm thier) nennen^''). Nach dieser Gastraea-Theorie ist ein Organ bei allen vielzelligen Thieren ursprünglich von derselben morphologischen und physiologischen Bedeutung : der U r d a r m ; und ebenso müssen auch die beiden primären Keimblätter, welche die Wand des ürdarms bilden, überall als gleichbedeutend oder „homolog" angesehen werden. Diese wichtige „Homologie der beiden primären Keimblätter" wird einerseits dadurch bewiesen, dass überall die Gastrula ursprünglich auf dieselbe Weise entsteht, nämlich durch Einstülpung derBlastula; und anderseits dadurch, dass überall die- 176 Homologie der beiden primären Keimblätter. VIII. selbeu fundaraentalen Organe aus den beiden Keimblättern hervor- gehen. Ueberall bildet das äussere oder an i male Keimblatt, das Hautblatt oder Ex od er m, die wichtigsten Organe des auimalen Lebens : Hautdecke, Nervensystem, Sinnesorgane u. s. w. Hingegen entstehen aus dem inneren oder vegetativen Keimblatt, aus dem Darmblatt oder Entoderm, die wichtigsten Organe des vege- tativen Lebens : die Organe der Ernährung, Verdauung, Blutbildung u. s. w. Bei denjenigen niederen Pflanzen thieren , deren ganzer Körper zeitlebens auf der zweiblättrigen Bildungsstufe stehen bleibt, bei den Gastraeaden, den einfachsten Spongien {Olynthus) und Polypen {Hydra), bleiben auch diese beiden Functions-Gruppen, animale und vegetative Leistungen , scharf auf die beiden einfachen primären Keimblätter vertheilt. Zeitlebens behält hier das äussere oder animale Keimblatt die einfache Bedeutung einer umhüllenden Decke (einer Oberhaut) und vollzieht zugleich die Bewegungen und Empfindungen des Körpers. Hingegen die innere Zellenschicht oder das vegetative Keimblatt besitzt zeitlebens die einfache Be- deutung des Darmepitheliums, einer ernährenden Darmzellenschicht und liefert ausserdem häufig noch die Fortpflanzungszellen ^*'). Das l)ekannteste von diesen Gastraeaden oder „Gastrula- ähnlichen Thieren" ist der gemeine Süsswasser - Polyp (Hydra). Allerdings besitzt dieses einfachste aller Nesselthiere noch einen Kranz von Tentakeln oder Fangfäden, welcher den Mund umgiebt. Auch ist das äussere Keimblatt bereits etwas histologisch difl'e- renzirt. Aber diese Zuthaten sind erst secundär entstanden, und das innere Keimblatt ist eine ganz einfache Zellenschicht geblieben. In der Hauptsache hat auch die Hydra den einfachen Körperbau unserer uralten Stamm-Mutter Gastraea bis auf den heutigen Tag durch zähe Vererbung getreu conservirt (vergl. den XIX. Vortrag). Bei allen übrigen Thieren , und namentlich bei allen Wirbel- thieren, erscheint die Gastrula nur als ein rasch vorüber gehender Keim-Zustand. Hier verwandelt sich vielmehr bald das zweiblättrige Stadium der Keinianlage zunächst in ein dreiblättriges und dann in ein vierblättriges Stadium. Mit dem Zustandekommen von vier übereinander liegenden Keimblättern haben wir dann vorläufig wieder einen festen und sicheren Standpunkt gewonnen, von welchem aus wir die weiteren, viel schwierigeren und ver- wickeiteren Vorgänge der Ausbildung beurtheilen und verfolgen können (X. Vortrag: Coeloin-Theorie). Anl]iropogcnie. IVAiül. .Gastrulation. TafE d -r/' 6. "'^ t!> 0 \ 11. 0 o .c 17. ^ ■' ' > [.HaecJel del. Wurm Frosch Ulf AnilvÄfjilcchJenä Säutjethler Anfh rop 00 en le, N.Aiifl. GastruLation. 18 \ c Taf,m 25. 19. /_ \ i^ 20. n.^D 'iiiiliiilii''Y Ä^ ("r-^\r>fr^v-.~.-- I illllll' 'i'^" \ \t# liiiiiiiiiiiiiiiiliiiiiiiiliiiiiiiliiliiiiiiliiiiiiiiiiilliili^^ M ömr. %K 29. 23. 2-1. 1 '"^o^ 0 ■^ig)S^> " 8 x^f' ^ Miim liil|! m|j^ ü ^^;- ll'l^^- V^'' iiiMii!iiiiiilili!iiiililiiiiiiiiiil!iiii|iiiiiiiiiiiiiliiiiiliiii;iiii:ii!ili^ <^' FiscK Krebs Erklärung von Tafel II und III. Eifurchung und Gastrulabildung. Die beideu Tafeln II und III sollen die wiclitigsten Verscliiedeniieiten in der Eifurchung und Gastrulation der Thiere an scheraatischen Durclisclinitteii erläutern. Taf. n zeigt holoblastische Eier (mit totaler Furchung); Taf. III mero- blastisch e E i er (mit partieller Furchung). Die animale Hälfte der Eier (Exoderm) ist durch graue, die vegetale Hälfte (Entoderm nebst Nahrungsdotter) durch rothe Farbe angedeutet. Der Nahrungsdotter ist senkrecht schraffirt. Alle Schnitte sind senkrechte Meridianschnitte (durch die Urdarm-Axe). Die Buchstaben bedeuten überall dasselbe: c Stammzelle (cytula). f Furchungszellen {segmentella oder blastomeru). VI Maulbeerkeim (morulo.). b Blasenkeim {blastula). r/ Becherkeim (gastrula). s Fiir- chungshöhle (blastocoelon). d Urdarmhöhle (progaster). o Urmund [prostoma). ?t Nah- rungsdotter (lecithus). i Darmblatt (entoderma). e Hautblatt {exodertna). Fig. 1 — 6. Gleichmässige oder aeqaale Eifarchnng eines niederen Metazoon [Sagitta, Ascidia). Fig. 1. Stammzelle (Cytula). Fig. 2. Furchungsstufe mit vier Furchungszellen. Fig. 3. Maulbeerkeim (Morula). Fig. 4. Blasenkeim (Blastula). Fig. 5. Derselbe in Einstülpung oder Invagination (Depula). Fig. 6. Glocken-Gastrula (Archigastrula). Fig. 7 — 11. Ungleichmässige oder inäquale Eifurchung eines Amphibiums (Frosch). Fig. 7. Stammzelle (Cytula). Fig. 8. Furchungsstufe mit vier Furchungs- zellen. Fig. 9. Maulbeerkeim (Morula). Fig. 10. Blasenkeim (Blastula). Fig. 11. Hauben-Gastrula (Amphigastrula). Fig. 12. Ungleichmässige oder inäquale Eifurchung eines Säugethieres (Kanin- chen). Fig. 12. Stamm/.elle (Cytula). Fig. 13 Furchungsstufe mit zwei Furchungszellen (f Mutterzelle des Exoderm, i Mutterzelle des Entoderm). !• ig. 14. Furchungsstufe mit vier Furchungszellen. Fig. 15. Beginnende Einsliilpnng des Blasenkeims. Fig. IG. Weiter vorgeschrittene Einstülpung. Fig. 17. Hauben-Gastrula (Amphigastrula). Fig. 18 — 24. Scheibenartige oder discoidale Eifurchung eines Knochenfisches (Labrus Cottus?). Der grösste Theil des Nalirungsdotters (w) ist weggelassen. (Vergl. Fig. .54— .59, S. 201— 204). Fig. 18. Stammzelle (Cytula). Fig. 19. Furchungs- stufe mit zwei Zellen. Fig. 20. Furchungsstufe mit 32 Zellen. Fig. 21. Maulbeer- keim (Morula). Fig. 22. Blasenkeim (Blastula). Fig. 23. Derselbe in Einstülpung begriffen (Depula). Fig. 24. Scheiben-Gastrula (Discogastrula). Fig. 2.5 — 30. Oberflächliche oder superficiale Eifurchung eines Krebses (Pe- neus). Fig. 2.5. Stammzelle (Cytula). Fig. 26. Furchungsstufe mit acht Zellen (nur vier sind sichtbar). Fig. 27. Furchungsstufe mit 32 Zellen. Fig. 28. Maulbeer- keim (Morula) und zugleich Blasenkeim (Blastula). Fig. 29. Blasen-Gastrula (Peri- gastrula). Fig. 30. L'ebergang der Perigastrula in den Nauplius-Keim ; vor dem Urdarm {d) hat sich durch Einstülpung von aussen die Schlundhöhle gebildet. (Vergl. die folgenden Tabellen III — VI.) Haeckel. .■^iillimposfenic 4. .\iirt. ^O 178 VIII. Dritte Tabelle. Uebersicht liber die wichtigsten Verschiedenheiten in der Eifurchung und Gastrula-Bilduug der Thiere. Die Thier-Stämnie sind durch die Buchstaben a^g bezeichnet." a Pflanzentliiere. b Wunntliiere. c Weichthiere. d Sternthiere. e GUederthiere. f Mantelthiere. (/ Wirbelthiere. I. Vollständige Furchung Segmtiitatio totalis Holol>la>tis(lift Kior Gastrula ohne gesonderten Nahrungsdotter. Tlologast'riila. 1 Ursprüngliche Furchung {Stymentatio aequalin ). Archiblastisclie Eier. Glocken-Gas trula ( Archigaxtrnla). Taf. II, Fig. 1—6. Viele niedere Pflanzenthiere (Schwämme, Hydrapolypen, Medusen, niedere Korallen). Viele niedere Wurmthiere (Sagittii, Phoronis, viele Nematoden u. s. w. Terebratula, Argiope, Pisidium). Einige niedere Weichtliiere. Viele Sternthiere (Echinodermen). Wenige niedere Gliederthiere (einige Branchiopoden, Copepoden; Tardi- graden, Pteromalinen). Viele Mantelthiere. Die Schädellosen (Amphioxus). II. Ungleichmässige Furchung ( Sefjmentatio inaequalis). Amphiblastische Eier. I Hauben-Gastrula (Amphigastrula) . Taf. 11, Fig. 7—17. Zahlreiche Pflanzenthiere (viele Schwämme, Medusen, I;^oralleii, Si- phouophoren, Ctenophoren). Die meisten Würmer. Die meisten Weichthiere. Viele Sternthiere (Lebendig ge- bärende Arten und einige andere). Einige niedere Gliederthiere (sowohl Crustaceen, als Tracheateii). Viele Mantelthiere. Cyclostomen, Ganoidfisehe, Amphi- bien, Säugethiere (ausgeschlossen die Monotremen). II. Unvollständige Furchung. Segmtiitatio partialix Meroblastische iMer. Gastrula mit gesondertem Nahrungsdotter M e rotjaxtnila . III. Scheibenförmige Furchung {StgmeiUatio discoidalia). Discoblastische Eier. ScheibenGastrula ( Discogastrula.). Taf. III, Fig. 18—24. Tintenfische oder Cephalopoden. Manche Gliederthiere, Asseln, Skor- pione u. A. Urfische, Knochenfische, Reptilien, Vögel, Monotremen. IV. Oberflächliche Furchung (Segmentatio superjicinlis) Periblastische Eier. Blasen-Gastrula ( Perigastrala) . [ Tuf. III, Fig. 25—30. Die grosse Mehrzahl der Glifder- thiere (Crustaceen , Myriapodeii, A räch ni den, Insecten). VIII. 179 Vierte Tabelle. Uebersicht über die vier ersten Keimuugs -Stufen der Thiere mit Rücksicht auf die vier verschiedenen Hauptforraen der Eifurchung. A. Vollständige Eifurchung (Segmentatio totalis). Ursprünxliclie oder primordiale Ei- furchung b. üugleichmässige oder inaequale Ei- furchung. B. Unvollständige Eifurchung ( Segvientatio partialis) . c Scheibeiiartige oder discoidale Eifurchung d. Oberflächliche oder superficiale Ei furchung. Beispiele: Monoxeiiia. Sagitta. Amphioxus. la. Archicytula. Arcliiblastisehe Stammzelle (Taf. II, Fig. 1). Eine einfache Zelle, in der Bildungsdotter und Nahrungsdotter nicht getrennt sind. IIa. Archimorula (Taf. II, Fig. 3). Ein solider, meist kugeliger Haufen von lautt^r gleichartigen Zollen. 1 1 1 u. Archiblastula (Taf. II, Fig. 4). Eine hohle (meist ku- gelige) Hlase, deren Wand aus einer ein- zigen Schicht gleich- artiger Zellen besteht. IV a. Archigastrula Glocken- Gast rulu (Taf. II, Fig 6). Fig. 30— .'je, S. 161. Urdarm It-er, ohne Nahruiigsdotter. Pri- märe Keimblätter ein- schichtig. Beispiele: Cyclostomen. Amphibien. Säugethiere. I b. Amphicytula. Amphiblastische Stammzelle (Taf. II, Fig. 7, 12). Eine einaxige Zelle, die am animalen Pole Bildungsdotter , und am vegetalen Pole Nahrungsdotter ent- hält, beide nicht scharf getrennt. II b. Amphimorula (Taf. II, Fig. 9). Ein rundlicher Haufen aus zweierlei Zellen gebildet, kleinereu am animalen Pole, grösseren am vege- talen Pole. III b. Amphiblastula (Taf. II, Fig. 10) Eine rundliche Blase, deren Wand am ani- malen Pole aus kleinen, am vegeta- len Pole aus grossen Zellen besteht. IV b. Amphigastrula. Hauben- Gastrula (Taf. II, Fig. 11, 17) Fig. 44, 48, S 103, Urdarm theilweis von gefurchtem Nahrung.s- dotter erfüllt. Keim- blätter oft melirscbicbti';'. Beispiele: Fische. Reptilien. Vögel. I c. Discocytula. Discoblas tische Stammzelle (Taf. III, Fig. 18). Eine sehr grosse ein- axige Zelle, die am animalen Pole Bil- dungsdotter, am vege- talen Pole Nahrungs- dotter enthält, beide scharf getrennt. II c. Discomorula (Taf. III, Fig. 21). Eine flache Scheibe aus gleichartigen Zellen zusammenge- setzt, auf dem anima- len Pole des Nahrungsdotters. III c. Discoblastula (Taf. Hl, Fig. 22). Eine rundliche Blase, deren kleinere Hemi- sphäre aus den Fur- cliungszellen , deren grössere aus dem Nahrungsdotter be- steht. IV c. Discogastrula. Schell ien-Ga>trula (Taf. III, Fig. 24) Fig. 54 — 59, S. 201 — 204. Urdarm von un- gefurchtem Nahrungs- dotter erfüllt. Flache Keimscheibe. Beispiele: Crustaceeii. Arachniden. Insecten. I d. Pericytula Periblastische Stamm- zelle. (Taf. III, Fig. 25). Eine grosse Zelle, die an der Peripherie Bildung.sdotter , im Centrum Nahrungs- dotter enthält. II d. Perimorula (Taf. III, Fig. 27). Eine geschlossene Blase; eine Zellen- schicht umschliesst den ganzen centralen Nahrungsdotter, welcher in Theilung begriffene Kerne ein- schliesst. III d Periblastula (Taf. III, Fig. 28). Eine geschlossene Blase; eine Zelleii- schicht umschliesst den ganzen centralen Nahrungsdotter ; alle Kerne sind an die Oberfläche gerückt. IV d. Perigastrula. Blasen-Gastrula (Taf. III, Fig. 29). Furcliungshöhle von ungefuichtem NalirunKsdottfT er- füllt. Urdarm ober- flächlich. X2* 180 VIII. Fünfte Tabelle. Uebersicht über einige der wichtigsten Variationen im Rhythmus der Eifurchung. (Nur die erste Spalte (Sagitta) zeigt den ursprünglichen, palingenetischen , Rhythmus der Furcliung, in regelmässiger geometrischer Progression. Alle übrigen Spalten zeigen abgeleitete, cenogenetische Modifitationen. c = Stammzelle. s = Furchungszellen. e = Exoderm-Zellen. i = Entoderm-Zellen.) I. Pfeiiwurm (Sagitta) II. Amphibium (Frosch.) III. Säugethier (Kaninchen.) IV. Schnecke (Troohns). V. Wurm (Fabricia). VI. Wurm (Cyglogena). \c \c \c Ic Ic Ic 2s *is 2 -s (1 « + 1 i) 2." 2 s (1« 4- li) 2s (le + 1») 4s 4 s 4.. (1e + 2i) 4s 3s (2« -f 1») 3s (2 « — 1 »■) 8s 8.S (4 e + 4 i) (4e + 4*) 8 s (4 c + 4 i) 5 s (4e + 1») 4s 3« + 1») 12 s (8 e + 4 i) 12. (8e + 4i) 12s (8e + 4i) 6s (4« + 2») .5 s (4« + 1») 16." 16. ■< (8e 4- 8») 16.< (8e + 87-) 20 s (16<; + 4/) 10 s {8e + 2 0 6 s {ne + It) 24* (16 e -f 8i) 24.-! (ICe + 8/) 24 s (16c + 8i) 11s (8 c + 3») 7 s (6« + 1») 32« 32 .V (16^ + IC/) 32» (16 e + 16 t) 40 s (32« -1- Si) 19 s (16« + 3») 8 s (7« -1- 1») 48 s (32 e -f 16i) 48 .s (32 e + 16») 44 s (32« + 12») 21« (16« + .')»•) 9 s (8« + l/) 64« (.S'2 e -\- 32 ■/■) 64." (32 e + .H2 '/) 64.' (32 e + 32») 76 s (64« + Vi{) 37 s (32 <; -1- 5») lux (9 e -f 1 /). (64« 1- 32/) (64« -f 32i) 84 s (64 e + 20 »■) ; 38 s (32« + 6») 128.' (64 e. + 64 ti 160.S (128f + 32») 148s (128 f + 20») 70 s (64« + 6») INeunter Vortrag. Die Gastrulatlon der Wirbelthiere. „Es ist klar, dass die ersten Keimungs-Processe der Säugethiere — und vor allen ihre Eifurchung und Gastrulation — keineswegs (wie man bisher irrthümlich glaubte — ) in einer sehr einfachen und ursprünglichen Form verlaufen, sondern im Gegentheil in einer sehr stark modificirteu, zusammengezogenen und abgekürzten Form. Die Keimung der Säugethiere ist sehr stark cenogenetisch ver- ändert, stärker als bei allen anderen Wirbelthieren. Ihre amphiblastische Keimungs- form ist wahrscheinlich durch Rückbildung des Nahrungsdotters aus der discoblastischen Keimungsform ihrer Vorfahren entstanden." Gastrulation der Säugethiere. (1877). Holoblastische Vertebraten : Acranier, Cyclostomen, Amphibien, Säugethiere. Meroblastische Vertebraten: Fische, Reptilien, Vögel. Archigastrula des Amphioxus. Amphigastrula der Cyclostomen und Amphibien. Discogastrula der Fische, Vögel und Reptilien. Epigastrula der Säugethiere. Inhalt des ueuuteu Vortrages. Phylogenetische Kiuheit des Wirbelthier-Slainines. Ontogenetische Kinheit seiner Gastrulation. Historische Beziekungeu der holoblHstischen und meroblastischen Verte- braten. luäquale Eifurchung und Amphigastrula der Amphibien (der schwanzlosen Frösche und der geschwänzten Salamander). Ihre Furchungshöhle (ßlastocoul) und Urdarmhöhle (Rusconische Nahrungshöhle). Ableitung der partiellen Eifurchung aus der totalen. Discoblastische Wirbelthiere, mit Keimscheibe (scheibenförmige Gastrula). Pelagische Knochenfische mit kleinem und Haitische mit grossem Nahrungsdotter. Epigastrula (oder engmündige Scheiben-Gastrula) der Amnioten. Das Hühner-Ei und sein grosser Nahrungsdotter. Discoidale Gastrulation der Sauropsiden (Reptilien und Vögel) und Monoticnicn. Die Primitiv-Rinne des Amnioten-Keims ist der Urmund ihrer Scheiben-Gastrula Phylogenetische Rückbildung des Nahrungsdotters bei den SSngethieren. Eierlegende und lebendig gebärende Mammalien. Gastrulation der Beutel- ratte und des Kaninchens. Superficiale Eifurchung der Gliederthiere. Litteratur ; Ernst Haeckel , 1875. Die Gasti-vla und die Eifurchuii,g der Thiere [Jena. 2!eitschr. für Naturv., Bd. IX.). Gastrulation der Säugethiere {Ebenda Bd. XI, 1877). Francis Balfour, 1880. Handbuch der vergleichenden Embryologie Bd. 11. Berthold Hatschek, 1881. Studien über Entwickelung des Amphioxtis. Johannes Rückert, 1885 — 1889. Zur Keimblattbüdung bei Selachiern. [Fcnier im 11. u. IV. Jahrg. des Anat An».) C. Kupffer, 1882 — 1887. Die Gastrulation an den meroblastischen Eiern der Wirbel- thiere, und die Bedeutung des Primitiv- Stretfs (^Archiv f. Anat. u. Physiol.) Alezander Goette, 1875 — 1890. Beiträge zur Entwichelungsgeschichte der Wirbelthiere. A. Raaber, 1875 — 1883. Die erste Entwickehmg des Kaninchejis. Pnmitivrinne und Urmund. Ueber die Stellung des Hühnchens im Entwickelungsplan u. s. w. Eduard Van Beneden, 1880 — 1886. Becherches aur V embryologie des Mammißres etc. Emil Selenka, 188.3 — 1887. Studien über Entwickelungsgeschichte der Thiere. [Säuge- thiere.) Carl Babl, 1889. Theorie des Mesoderms. {Gastrulation der Vertebraten, S. 155 — 175.) Morpholog. Jahrbuch, Bd. XV. IX. Meine Herren ! l)ie bedeutuiigsvolleii Vorgänge der Gastrulatioii , der Eifur- furcliuiig und Keimblätter- Bildung, zeigen in den verschiedenen Klassen des Wirbelthier - Stammes sehr auft'allende Unterschiede. Nur allein das niederste Wirbelthier, der AmpMoxus , besitzt noch heute die ursprüngliche reine Form jener Vorgänge, die palin- geuetische Gastrulation , die wir im vorhergehenden Vortrage betrachtet haben , und die zur Bildung der Ärchigastrula führt (Fig. 38, S. 167), Bei allen übrigen Verteb raten der Gegenwart sind jene grundlegenden Keimungs-Processe mehr oder minder ab- geändert und durch Anpassung an die Bedingungen der Keimes- Entwickelung (vor allen durch Ausbildung und Umbildung des Nahrungsdotters) modificirt; sie zeigen verschiedene cenogene- tische Formen der Keimblätterbildung und entwickeln sich daher durch eine Metagastrula. Unter sich aber verhalten sich die ein- zelnen Klassen wieder sehr verschieden. Um die Einheit der Er- scheinungen trotz dieser mannichfachen Unterschiede zu erkennen und ihren historischeu Zusammenhang zu begreifen, ist es durchaus noth- wendig, die Einheit des Wir belthier-Stammes beständig im Sinne zu behalten. Diese „phylogenetische Einheit", die ich zuerst 1866 in meiner „Generellen Morphologie" systematisch entwickelt habe (II, p. CXVI — CLX), ist jetzt allgemein angenommen. Alle urtheilsfähigen Zoologen sind jetzt übereinstimmend der Ansicht, dass alle Vertebraten , vom Amphioxus and den Fischen bis zum Affen und Menschen hinauf, ursprünglich von einer gemeinsamen Stammform, einem „Urwirbelthier" abstammen. Also müssen auch die ontogenetischen Processe, mittelst deren jedes einzelne Indivi- duum der Wirbelthiere entsteht, ursprünglich aus einer gemein- samen Urform der Keimung ableit])ar sein, und diese Urform liegt unzweifelhaft noch heute in der Ontogenie des Amphioxus vor. 184 Uugleichmätjsige Eil'urclmug der Anipliibieu. IX. Unsere uächste Aufgabe wird demnach sein, die verschiedenen Gastrulations-Fornien der Wirbelthiere kritisch zu vergleichen und phylogenetisch aus derjenigen des Lanzetthierchens abzuleiten. Aeusserlich betrachtet, zerfallen die ersteren zunächst in zwei Gruppen : die Cyclostomen, Ganoiden, Amphibien und Säugethiere besitzen holoblastische Eier mit totaler inäqualer Färbung; hingegen die meisten Fische, die Reptilien, Vögel und Monotremen haben meroblastische Eier mit partieller discoidaler Furchung. Eine genauere kritische Vergleichuug derselben wird uns jedoch zeigen, dass jene beiden Gruppen keine natürlichen Einheiten dar- stellen, und dass sehr verwickelte historische Beziehungen zwischen ihren einzelnen Abtheilungen existiren. Am klarsten sind diese neuerdings von Carl Rabl in seiner gedankenreichen „Theorie des Mesoderms" (1889) beleuchtet worden ; wir kommen später (im Xn. Vortrage) darauf zurück. Um sie richtig zu verstehen, müssen wir zunächst die einzelnen Modilicationen der Gastrulation in jenen Klassen näher betrachten. Wir begiimen mit derjenigen der Cyclostomen und Amphibien. Das zugänglichste und passendste Uutersuchungs-Object liefern uns hier die Eier der einheimischen Amphibien , der schwanzlosen Frösche und Kröten, sowie der geschwänzten Salamandei-. Ueberall sind sie im Frühjahr in unseren Teichen und Tümpeln leicht massenhaft zu haben, und eine sorgfältige Beobachtung der Eier mit der Lupe genügt, um wenigstens das Aeusserliche der Eifur- chung klar zu erfassen. Um freilich den ganzen Vorgang in seinem inneren Wesen richtig zu verstehen und die Bildung der Keim- blätter und der Gastrula zu erkennen , muss mau die Frosch-Eier und die Salamander-Eier sorgfältig härten, durch die gehärteten Eier mit dem Rasirmesser oder Mikrotom möglichst dünne Schnitte legen und die gefärbten Schnitte unter einem starken Mikroskop auf das Genaueste vergleichend untersuchen^''). Die Eier der Frösche und Kröten haben eine kugelige Gestalt, einen mittleren Durchmesser von ungefähr 2 Millimeter, und werden in grosser Anzahl in Gallertmasseu abgelegt, welche bei den Fröschen dicke Klumpen, bei den Kröten lange Schnüre bilden. Betrachten wir die undurchsichtigen, grau, braun oder schwärzlich gefärbten Eier genauer, so finden wir, dass ihre obere Hälfte dunkler, die untere heller gefärbt ist. Die Mitte der ersteren ist bei man- chen Arten von schwarzer, die entgegengesetzte Mitte der letzteren von weisser Farbe "^ ' ). Dadurch ist eine bestimmte A x e des Eies mit zwei verschiedenen Polen bezeichnet. Um eine klare Vorstellung IX. UngleicJiniässige Eifurcliuug der Anipliiliieii. 185 von der Furchuiig dieser Eier zu geben, ist Nichts geeigiicter, als der Vergleich mit einer Erdkugel, auf deren Oberfläche verschiedene Meridian-Kreise und Parallel-Kreise aufgezeichnet sind. Denn die oberflächlichen Grenzlinien zwischen den verschiedeneu Zellen, welche durch die wiederholte Theilung der Eizelle entstehen, erscheinen auf der Oberfläche als tiefe Furchen, und daher hat dieser ganze Vorgang den Namen Furchung erhalten ='^). In der That ist Fig. 40. Die Furchung des Frosch-Eies (zehnmal vergiössert) A Stammzelle. B Die beiden ersten Furchungszellen. C 4 Zellen. D 8 Zellen (4 animale und 4 vegetative). E 12 Zellen (8 animale und 4 vegetative), i*' 16 Zellen (8 animale und 8 vegetative). G 24 Zellen (16 animale und 8 vegetative). II 32 Zellen. / 48 Zellen. K 64 Zellen. L 96 Furchungszelleii. M 160 Furchungszellen (128 animale und 32 vegetative). aber diese sogenannte ,, Furchung", die man früher als einen höchst wunderbaren Vorgang anstaunte, weiter Nichts als eine gewöhnliche, oft wiederholte Zeilentheilung. Daher sind auch die dadurch ent- stehenden „Furch ungskugelu", die Segmeutellen oder Blasto- meren nichts Anderes als echte Zellen. Die ungleichmässige Furchung , welche wir am Amphibien-Ei beobachten, ist nun vor Allem dadurch ausgezeichnet, dass sie am 18G Ungloichmässige Furchung dos Frosch-Eies. IX. oberen , dunklereu Pole (am Nordpole der Erdkugel bei unserem Vergleiche) beginnt und langsam nach dem unteren, helleren Pole (dem Südpole) hin fortschreitet. Auch bleibt während des ganzen Verlaufes der Eifurchung die obere, dunklere Halbkugel stets vor- aus, und ihre Zellen theileu sich viel lebhafter und rascher; daher erscheinen die Zellen der unteren Halbkugel stets grösser und weniger zahlreich'*'). Die Furchung der Stammzelle (Fig. 40 Ä) beginnt mit der Bildung einer vollstcändigeu Meridianfurche, welche vom Nordpol ausgeht und im Südpol endet (B). Eine Stunde später entsteht auf dieselbe Weise eine zweite Meridian - Furche, welche die erste unter rechtem Winkel schneidet (Fig. 40 C). Da- durch ist das Ei in 4 gleiche Kugelsegmente zerfallen. Jede dieser 4 ersten „Furchuugszellen" besteht aus einer oberen dunk- leren und einer unteren helleren Hälfte. Einige Stunden später ent- steht eine dritte Furche, senkrecht auf den beiden ersten (Fig. 40 D). Diese Ringfurche wird gewöhnlich, aber nicht mit Recht, als „Aequatorialfurche" bezeichnet; denn sie liegt nördlich vom Aequator und wäre also eher dem nördlichen Wendekreise zu vergleichen. Das kugelige Ei besteht jetzt aus 8 Zellen , 4 kleineren oberen (nördlichen) und 4 grösseren unteren (südlichen). Jetzt zerfällt jede der 4 ersteren durch eine vom Nordpol ausgehende Meridian- furche in zwei gleiche Hälften, so dass 8 obere auf 4 unteren Zellen liegen (Fig. 40 E). Erst nachträglich setzen sich die 4 neuen Meridianfurchen laugsam auch auf die unteren Zellen fort, so dass die Zahl von 12 auf 16 steigt (F). Parallel der ersten horizon- talen Ringfurche entsteht jetzt eine zweite, näher dem Nordpol, welche wir demnach dem „nördlichen Polarkreise" vergleichen können. Dadurch erhalten wir 24 Furchungszelleu, 16 obere, kleinere und dunklere, 8 untere, grössere und hellere (G). Aber bald zer- fallen auch die letzteren in 1(3, indem sich ein dritter Parallelkreis in der südlichen Hemisphäre bildet; wir haben also zusammen 32 Zellen (H). Jetzt entstehen am Nordpol 8 neue Meridian- furchen, welche zunächst die oberen dunklen Zellenkreise, dann aber auch die unteren südlichen Kreise schneiden und endlich den Süd- pol erreichen. Dadurch bekommen wir nach einander Stadien von 40, 48, .56 und endlich 64 Zellen (i, K). Die Ungleichheit zwischen den beiden Halbkugeln wird aber immer grösser. Während die träge südliche Hemisphäre lange Zeit bei 32 Zellen stehen bleibt, furcht sich die lebhafte nördliche Halbkugel rasch zweimal hinter einander und zerfällt so erst in 64, darauf in 128 Zellen (L, M). Wir finden also jetzt ein Stadium , in welchem wir an der Ober- IX. Furcliuiigsliöhle und Urdarmhöhle der Kröte. 187 fläche der Eikugel iu der oberen dunkleren Hälfte 128 kleine Zellen, in der unteren Hälfte nur 32 grosse Zellen wahrnehmen, zusammen 160 Furchungszellen. Die Ungleichheit der beiden Hemisphären prägt sich weiterhin immer stärker aus ; und während die nördliche Hemisphäre in eine sehr grosse Anzahl von kleinen Zellen zerfällt, besteht die südliche Halbkugel aus einer viel geringeren Anzahl von grösseren Furchungszellen. Zuletzt umwachsen die oberen dunklen Zellen die Oberfläche des kugeligen Eies fast vollständig, und nur am Südpole, in der Mitte der unteren Halbkugel, bleibt eine kleine kreisrunde Stelle übrig, an welcher die inneren, grossen und hellen Zellen zu Tage treten. Dieses weisse Feld am Südpol entspricht , wie wir später sehen werden , dem U r m u n d e der Gastrula. Die ganze Masse der inneren grösseren und helleren Zellen (sammt diesem weissen Polfelde) gehört zum Entoderm oder Darmblatt. Die äussere Umhüllung von dunkleren kleineren Zellen bildet das E x o d e r m oder Hautblatt. Die oft wiederholte Zeilentheilung, welche so als „Furchung oder Segmentation" an der Oberfläche der Eikugel deutlich zu ver- folgen ist, beschränkt sich aber nicht auf die letztere, sondern ergreift auch das ganze Innere der Kugel. Die Zellen theilen sich also auch in Flächen, welche concentrischen Kugelflächen annähernd entsprechen; rascher in der oberen, langsamer in der unteren Hälfte. Inzwischen hat sich im Inneren der Eikugel eine grosse, mit Flüssig- keit gefüllte Höhle gebildet: die Furchungshöhle oder Keim- höhle (Blastocoel, Fig. 41— 44 i^, ferner s auf den Durchschnitts- bildern Taf. II, Fig. 8—11). Die erste Spur dieser Höhle tritt inmitten der oberen Halbkugel auf, da wo die drei ersten, auf ein- ander senkrechten Furchungs-Ebenen sich schneiden (Taf. II, Fig. 8 s). Bei fortschreitender Furchung dehnt sie sich bedeutend aus und nimmt später eine fast halbkugelige Gestalt an (Fig. 41 F; Taf. H, Fig. 9 s, 10 s). Die gewölbte Decke dieser halbkugeligen Furchungs- höhle wird von den kleineren und schwärzlich gefärbten Zellen des Hautblattes oder Exoderms gebildet (Fig. 41 D); hingegen der ebene Boden derselben von den grösseren und weisslich gefärbten Zellen des Darmblattes oder Entoderms (Fig. 41 Z). Der kugelige Frosch-Keim stellt jetzt eine modificirte K e i m b 1 a s e oder Blastula dar, mit hohler Animal-Hälfte und solider Vegetal-Hälfte. Jetzt entsteht durch Einstülpung vom unteren Pole her und durch Auseinanderweichen der weissen Entodermzellen neben der Furchungshöhle eine zweite, engere, aber längere Höhle (Fig. 41— 44 iV). Das ist die ürdarmhöhle oder die Magen- 188 Hauben-Gastrula der Kröte. IX. höhle der Gastrula, Progaster oder Ärchenteron. Im Amphibien-Ei wurde sie zuerst von Ruscuni beobachtet und demnach die „Rus- conische Nahrungshöhle" genannt. Im Meridianschuitt (Fig. 42) erscheint sie sichelförmig gekrümmt und reicht vom Südpol fast Fig. 41. Fig. 44. Fig. 41 — 44. Vier Medianschnitte durch das gefurchte Ei der Kröte, in vier auf einander folgenden Entwickelungsstufen. Die Buchstaben bedeuten überall das- selbe: i^ Furchungshöhle. £< Decke derselben Ä Riickenhälfte des Keimes. 5 Bauch- hälfte desselben. P Dotterpfropf (weisses kreisrundes Feld am unteren Pole). Z Dotter- zellen des Entoderms („Drüsenkeim" von Remak). N Urdarmhöhle (Progaster, oder Rusconische Nahrungshöhle). Der Urmund (Prostoma) ist durch den Dotterpfropf, P, verstopft, s Grenze zwischen Urdarmhöhle (A) und Furchungshöhle (i*). k k' Durch- schnitt durch den wulstigen kreisförmigen Lippenrand des ürmundes (oder des soge- nannten ,,Rusconischen Afters"). Die punktirte Linie zwischen k und k' deutet die frühere Verbindung des Dotterpfropfes (P) mit der centralen Dotterzellenmasse (Z) an. In Fig. 44 hat sich das £i um 90** gedreht , so dass der Rücken des Reimes (B) nach oben sieht; die Bauchseite {B) ist jetzt nach unten gewendet. Nach Steicker. bis zum Nordpol hin, indem sie einen Theil der inneren Darm- zellenmasse nach oben hin (zwischen Furchungshöhle F und Rücken- haut D) einstülpt. Dass die Urdarmhöhle hier anfangs so eng ist, liegt daran, dass sie grösstentheils von Dotterzellen des Entoderms ausgefüllt ist. Diese verstopfen auch die ganze weite Oefliiung des Ix. Glocken-Gastrula und Hauben-Gastrula. ISÖ Urmundes und bilden hier den sogenannten „Dotterpfropf , der an dem weissen kreisrunden Flecke des Südpols frei zu Tage tritt (P). In der Umgebung desselben verdickt sich das Hautblatt wulstig und bildet hier den „ürmundrand" (das Properistoma), die wich- tigste Keimgegend (Fig. 44, h, k'). Bald dehnt sich die ürdarm- höhle (N) immer weiter aus auf Kosten der Furchungshöhle (F) und endlich verschwindet letztere ganz. Nur eine dünne Scheide- wand (Fig. 43 s) trennt beide Höhlen. Der Theil des Keimes, unter welchem sich die Urdarmhöhle entwickelt, ist die spätere Rücken- fläche (/)). Die Furchungshöhle liegt im vorderen, der Dotterpfropf am hinteren Körpertheile •'^); die dicke, halbkugelige Masse der Dotterzellen bildet die Bauchwand des Urdarms. Mit der Ausbildung des Urdarms hat unser Frosch -Keim die Stufe der Gastrula erreicht (Taf. H, Fig. 11). Aber wie Sie sehen ist diese cenogenetische Amphibien-Gastrula sehr verschieden von der früher betrachteten , echten , palingenetischen Gastrula (Fig. 30 — 36). Bei der letzteren , der Glocke n-Gastrula {Archigastrula) ist der Körper einaxig. Die Urdarmhöhle ist leer, ihr Urmund weit geöffnet. Sowohl das Hautblatt als das Darm- blatt besteht bloss aus einer einzigen Zellenschichte. Beide liegen dicht an einander, indem die Furchungshöhle durch den Einstülpungs- Process völlig verschwunden ist. Ganz anders bei der Hauben- Gastrula {Ämphigastrula) unserer Amphibien (Fig. 41 — 44 ; Taf. II, Fig. 11). Hier bleibt die Furchungshöhle (F) noch lauge Zeit neben der Urdarmhöhle (N) bestehen. Die letztere ist grösstentheils mit Dotterzellen angefüllt und der Urmund dadurch fast ganz verstopft (Dotterpfropf, P). Sowohl das Darmblatt (0) als das Hautblatt {a) besteht aus mehreren Zellenschichten. Endlich ist auch die Grund- form der ganzen Gastrula nicht mehr einaxig, sondern dreiaxig; denn durch die excentrische Entwickelung der Urdarmhöhle werden die drei Richtaxen bestimmt, welche den zweiseitigen (oder bilate- ralen) Körper der höheren Thiere charakterisiren. Bei der Entstehung dieser Hauben-Gastrula können wir nicht scharf die verschiedenen Abschnitte unterscheiden, die wir bei der Glocken-Gastrula als Maulbeerkeim und Blasenkeim auf einander folgen sahen. Das Stadium der Morula (Taf. II, Fig. 9) ist ebenso wenig scharf von dem der Blastula (Fig. 10) geschieden, als dieses von dem der Gastrula (Fig. 11). Aber trotzdem wird es uns nicht schwer fallen, den ganzen cenogenetischen oder gestörten Ent- wickelungsgang dieser Ämphigastrula der Amphibien zurückzuführen auf die echte palingenetische Entstehung der Archigastrula des Amphioxus, 19Ö Keimblase des Salamanders. ix. Diese Zurückführung wird uns erleichtert, wenn wir im An- sclilusse an die Gastrulation der schwanzlosen Amphibien (Frösche und Kröten) noch einen Blick auf diejenige der geschwänzten Amphibien, der Salamander, werfen. Denn bei einem Theile dieser letzteren , die man erst neuerdings genauer untersucht hat, und die phylogenetisch älter sind, verlaufen die Vorgänge einfacher und klarer , als es bei den ersteren , schon länger bekannten der Fall ist. Insbesondere sind unsere gewöhnlichen Wasser- Sala- mander {Triton taeniatus) ein vorzügliches Beobachtungs-Object; ihr Xahrungsdotter ist viel kleiner und ihr Bildungsdotter weniger durch schwarze Pigment - Zellen getrübt , als bei den Fröschen ; auch hat ihre Gastrulation mehr den ursprünglichen, palingenetischen Charakter beibehalten. Nach- dem dieselbe zuerst (1879) durch Scott und Osborne beschrie- ben war, hat namentlich Oscar Hertwig (1881) sie sehr genau untersucht und mit Recht auf ihre grosse Bedeutung für das Verstau dniss der Wirbelthier- Entwickelung hingewiesen '). Fig. 45 Keimblase des Wasser- Salamanders ('Triton), fh Furchungs- bülile, dz Dolterzellen, rz Raiidzone. Nach Hektwig. Die kugelige Keimblase von Triton (Fig. 45) besteht in der unteren, vegetalen Hälfte aus locker zusammengehäuften, dotter- reichen Entoderm-Zellen oder „Dotterzellen" {dz)\ die obere animale Hälfte hingegen umschliesst die halbkugelige Furchungshöhle {fh), deren gewölbte Decke von 2 — 3 Lagen kleiner Exoderm - Zellen gebildet wird. Da wo die letzteren in die ersteren übergehen (im Aequator der kugeligen Blase), liegt die „Randzone" {rz). An einer Stelle dieser Randzone erfolgt die Einstülpung, welche zur Bildung der Gastrula führt. Diese Invaginations-Oetinung, der Urmund (Fig. 46 w) ist ein horizontaler Querspalt mit dorsaler Oberlippe und ventraler Unterlippe. Während der Urdarm (Fig. 47 ud) ein- gestülpt wird, bleibt anfangs noch ein Theil der Furchungshöhle {fh) bestehen. Bald aber wird sie kleiner (Fig. 47) und ver- schwindet zuletzt ganz. Bei der fertigen Gastrula (Fig. 48) besteht das äussere Keimblatt (a/^) aus einer einzigen einfaciien Schicht IX. Hauben-Gastrula des Salamanders. 191 von hohen Cylinder-Zellen. Das innere Keimblatt (ih) ist in der oberen, dorsalen Hälfte gleichfalls nur aus einer einzigen Zellen- schicht zusammengesetzt; diese bildet die Decke der Urdarm- höhle. Der Boden der letzteren dagegen, oder die untere, ventrale Hälfte besteht aus vielen Lagen von grossen Dotterzellen (ds). Dieser Theil des Entoderms, der auch als „D o 1 1 e r k e i m" (Lecltho- hlasius) unterschieden wird, ist beim Wasser-Salamander viel kleiner Fig. 46. Keimblase von Triton (Blastula), von aussen betrachtet, mit dem Querspalt des Urmundes (u). Nach Hertwig. Fig. 47. Sagittal- Schnitt durch einen Haubenkeim (Depula) von Triton (Blasenkeim im Beginne der Gastru- lation). ah äusseres Keimblatt. iJc inneres Keimblatt; fh Fiirchungsböhle ; ud Urdarm ; u Urmund ; dl und vi dorsale und ventrale Lippe des Urmunds ; dz Dotterzellen. Nach Hertwig. BMg. 48. Sagittal-Schnitt durch die Gastrula des Wasser-Salamanders (Triton). Nach Hertwig. Buch- staben wie in Fig. 47, ausserdem : p Dotterpfropf, mk An- lage des mittleren Keimblattes. Fig. 46. Fig. 47. Flg. 48. als beim Frosche. Aber auch hier ragt ein Fortsatz desselben als „Dotterpfropf" (Fig. 48 d) in den Urmund hinein. An den ver- dickten Rändern des letzteren beginnt die Bildung des mittleren Keimblattes (mk). Obgleich demnach die ungleichmässige Eifurchung und Gastrula- bildung der Amphibien mancherlei Piigenthümlichkeiten darbietet, so ist sie doch immer noch verhältnissmässig leicht auf die ur- sprüngliche Piifurchung und Gastrulation des niedersten Wirl)elthieres, des Amphioxus, zurückzuführen; und diese entfernt sich, wie wir 192 Vollständige iiiid unvnll.stäiidigo Eifurclinug. IX. gesehen haben , nur wenig von der einfachsten Archigastrula der Sagitta und Monoxenia (vergl. oben p. 158, Fig. 29—36), Alle diese und viele andere Thierklassen stimmen darin überein, dass bei ihrer Eifurchung das ganze Ei durch wiederholte Theilung in eine grosse Anzahl von Zellen zerfällt. Alle diese Thier-Eier hatten wir nach Remak als Ganz furchende {Eolohlasta) bezeichnet, weil ihr Zerfall in Zellen ein vollständiger oder totaler ist (Taf. II). Bei einer grossen Anzahl von anderen Thierklassen ist das aber nicht der Fall, so namentlich im Stamme der Wirbelthiere bei den Vögeln, Reptilien und den meisten Fischen; im Stamme der Gliederthiere bei den Insecteu , den meisten Spinnen und Krebsen ; im Stamme der Weichthiere bei den Cephalopoden oder Dintenfischen. Bei allen diesen Thieren besteht schon die reife Eizelle, und ebenso die durch Befruchtung daraus entstehende Stammzelle aus jenen zwei verschiedenen und getrennten Bestandtheilen, die wir als Bildungs- dotter oder Nahrungsdotter unterschieden hatten (S. 171). Der Bil- dung s d o 1 1 e r allein ( Vitellus formativus oder Morpholecithus) be- steht aus lebendigem Protoplasma und ist der active, entwicke- lungsfähige und kernhaltige Theil der Eizelle ; er allein ist es, welcher sich bei der Eifurchung theilt und die zahlreichen Zellen erzeugt, aus denen sich der Embryo aufbaut. Der N a h r u n g s d o 1 1 e r hingegen ( Vitellus nutritivus oder Tropholecithus) ist bloss ein passiver Theil des Inhalts der Eizelle, ein untergeordneter Einschluss, wel- cher Xahrungsmaterial oder Den to.pl asma (Eiweiss, Fett u. s. w.) aufgespeichert enthält, und so gewissermaassen eine Vorrathskammer für den sich entwickelnden Embryo bildet. Der letztere entnimmt aus diesem Proviant - Magazin eine Masse von Nahrungsstoil' und zehrt es endlich vollständig auf. Indirect ist so der Nahrungsdotter für die Keimung ;sehr wichtig. Direct ist er aber gar nicht dabei betheiligt. Denn er unterliegt gar nicht oder erst später der Fur- chung und besteht überhaupt nicht aus Zellen. Bald ist der Nah- rungsdotter kleiner, bald grösser, meistens vielmals grösser als der Bildungsdotter ; und daher hielt man früher den erstereu für wichtiger als den letzteren. Da die Bedeutung dieser beiden Eibestaudtheile vielfach irrthümlich gedeutet wurde, muss man stets im Sinne be- halten, dass der Nahrungsdotter erst secundär in der primären Ei- zelle abgelagert ist; ein innerer Einschluss, aber kein äusserer Anhang derselben. Alle Eier, die einen solchen selbstständigen Nah- ruugsdotter besitzen, nannten wir nach Remak Th ei 1 furchende {Merohlaata)] ihre Furchung ist eine unvollständige oder partielle (Taf. III). IX. iS'"aln-nng-srlotter und Bildungstiotter. 19ii Das Verständniss der partielleo Eifurchung und der eigenthüm- lichen, daraus entstehenden riastrula-P'orni bietet grosse Schwierig- keiten dar; und erst in neuerer Zeit ist es uns durch verglei- chende Untersuchung gelungen, dieselben zu beseitigen und auch diese cenogenetische Form der Gastrulation auf die ursprüngliche, palingenetische Form zurückzuführen. Verhältnissmässig leicht ist dies noch bei kleinen meroblastischen Eiern , welche sehr wenig Nahrungsdotter enthalten, so z. B. bei den pelagischen Eiern eines Knochenfisches, deren Entwickelung ich 1875 in Ajaccio auf Corsica beobachtete (Taf. lU, Fig. 18 — 24). Ich fand dieselben in Gallertklumpen vereinigt, schwimmend an der Oberfläche des Meeres; und da die kleinen Eierchen vollkommen durchsichtig waren, konnte ich sehr bequem und Schritt für Schritt die Entwickelung des Keimes verfolgen ' "). Diese Eier sind glashelle und farblose Kügel- chen von wenig mehr als einem halben Millimeter Durchmesser (0,64 — 0,6H mm). Innerhalb einer structurlosen, dünnen, aber festen Eihülle {Ovolemma, Fig. 49c) liegt eine grosse, vollkommen klare und wasserhelle Eiweisskugel {n). An lieiden Polen ihrer Axe hat diese Kugel eine grubenförmige Vertiefung. In der Grube am oberen animalen Pole (der am schAvimmenden Ei nach unten gekehrt ist) liegt eine biconvexe , aus Protoplasma gebildete Linse {p) , welche den Stammkern {h) einschliesst ; das ist der Bildungsdotter der Stammzelle. Vom Umfang dieses linsenförmigen Bildungsdotters geht ringsum eine sehr dünne Protoplasma-Haut aus, welche den Nah- rungsdotter einhüllt. Am entgegengesetzten vegetalen Pole des Eies, in der unteren Grube, liegt eine klare, einfache Fettkugel {f). Die kleine Fettkugel und die grosse Eiweisskugel zusammen l)ilden den Nahrungs- dotter. Der Bildungsdotter allein unterliegt dem Furchungs-Process, der den Nahrungsdotter zunächst gar nicht berührt'«). F\g. 49. Eizelle eines pelagischen Knochen- fisches, p Protoplasma der StammzeUe. k Kern derselben, n Klare Eiweis.skugel des Nahrungs- dotters, f Fettkugel desselben, c Aeussere Eihülle oder Ovolemma. Die Furchung des linsenförmigen Bildungsdotters {p) verläuft ganz unabhängig vom Nahrungsdotter und in ganz regelmässiger geometrischer Progression (vergl. Taf. III, Fig. 18 — 24); nur der H a e c k e 1 . Aiithropogenie, 4 Aufl J O 194 Schcilieiirörrnige Furclmng ilfs Fisch-Eies. IX Hildiiugsdotter mit dem angrenzenden Tlieile des Nahningsdotters in) ist hier im senkrechten Durchschnitt [durch eine Meridian-KbeneJ dargestellt , hingegen der grössere Theil des letzteren und die Ei- hülle weggelassen). Die Stammzelle (Fig. 18) zerfällt zunächst wiederum in zwei gleiche Furchungszellen (Fig. 11)). Aus diesen werden durch wiederholte Theilung erst 4, dann 8, darauf IG Zellen (Fig. 20). Aus diesen entstehen durch fortgesetzte gleichzeitige Theilung 32, dann 64 Zellen u. s. w. Alle diese Furchungszellen sind von gleicher Grösse und Beschaffenheit. Sie bilden schliesslich, dicht aneinander gelagert, eine linsenförmige Masse (Taf. Ill, Fig. 21) ; vergleichbar dem kugeligen iMaulbeerkeim der primordialen Furchung {Morula, Taf. II, Fig. 3). Aus diesem linsenförmigen Maulbeerkeim entsteht nun ein Blasenkeim [Blastula), indem die Zellen des ersteren sich eigenthümlich in c e n t r i f u g a 1 e r Richtung verschieben (Taf. III, Fig. 22). Aus der regelmässigen biconvexen Linse wird eine uhrglasförm i ge Scheibe mit verdickten Rändern. Wie das Uhrglas auf der Uhr, so liegt diese convexe Zellenscheibe auf der oberen , schwächer gewölbten PolHäche des Kahrungsdotters auf. Indem sich zwischen beiden Flüssigkeit angesammelt hat , ist etne kreisrunde, niedrige Höhle entstanden (Fig. 22s). Diese ist die Furchuugshöhle und entspricht der centralen Furchuugshöhle der palingeiKjtischen Blastula (Taf. II, Fig. 4). Der schwach gewölbte Boden der niedrigen FurchungshiUile wird vom Xahrungsdotter (n), die stark gewölbte Decke derselben v(»n den Blastulazellen gebildet. lu der That ist unser Fisciikeim jetzt eine B la se mit excentrischer Höhle, ebenso wie die Blastula des Frosches (Taf. II, Fig. 10) und des Salamanders (Fig. 45). Während aber bei diesen Amphibien die grössere vegetale Hälfte der Keiml)lase von den grossen Dottcr- zellen gebildet ist, wird sie bei unserem Knochenfisch von dem structurlosen, ungefurchten Nahiungsdotter eingenonnnen. Nunmehi' folgt der wichtige Vorgang der Einstülpung, wel- cher zur Gastrulabildung führt. In Folge einer weiteren Vermeh- rung und Verschiebung oder Wanderung der Blastulazellen wachsen nämlich die verdickten Ränder der Zellenscheibe, welche auf dem Nahrungsdotter aufliegen, centripetal nach innen gegen die Mitte der Furchungshöhle (Fig. 23) und kommen hier schliesslich zur Vereinigung. Dieses innere, eingestülpte Blatt, aus einer ein- fachen Zellenschicht bestehend, ist das Entoderm; es legt sich von unten unmittelbar an den oberen, mehrschichtigen Theil der Keini- haut , an das Fxo(b'rni an. Dadurch verschwindet die Fui'chungs- IX. Scheiben-CTRstrula der Kuoclieiilisclie. 11)5 höhle. Hingegen entsteht eine zweite ?Töhle unterhalb des Ento- dernis, die Urdarmhöhle (Fig. öOd). Die untere Hälfte derselben wird von dem abnehmenden Nah- rungsdotter («) ausgefüllt. Damit ist - -'^ \ die Gastrulal)ildung unseres Fisches vollendet. Fig. 50. Scheiben-Gastrula {Disco ff astrula) eines Knochenfisches, e Exoderm. i Ento- (ierm. >r Randwulst oder Urmundrand. // Kiwei.sskii)j;el des Nahrung.sdotter.';. /' Fettkugel desselben, c Aeussere Eihülle (Ovolemma). d Orenze zwischen Entoderm und Exoderm (fiii- lier Furchungshöhle). Zum Unterschiede von den l)eiden früher betrachteten Haupt- formen der Gastrula nennen wir diese dritte Hauptform die Seh ei- l)en -Gas trula (Discog astrula^ Fig. 50). In der That bildet die /ellenmasse, welche dieselbe zusammensetzt, eine kreisrunde, con- cav-convexe dünne Scheibe. Diese Scheibe ist mit ihrer inneren ausgehöhlten Fläche der gewölbten ()l)ertiäche des Xahrungsdotters («) zugewendet. Dagegen ist ihre äussere Oberfläche convex vor- gew'ölbt, wie bei einem Schilde. Legen wir durch die Mitte der Gastrula (in einer Meridian-Ebene des kugeligen P^ies) einen senk- rechten Durchschnitt, so finden wir, dass dieselbe aus mehreren Zellenschichtcu (und zwar in diesem Falle vier) zusammengesetzt ist (Taf. ni, Fig. 24). Lhimittelbar über dem Nahrungsdotter liegt eine einzige Schicht von grösseren Zellen (Fig. 24 «*), welche sich durch ein weicheres, trüberes, grobkörniges Protoplasma auszeichnen und mit Carmin dunkelroth färben. Diese bilden das Darmblatt oder Entoderm, entstanden durch Hereinwachsen der Scheiben- räiider (eingestülpte Keimschicht). Die drei äusseren, darüber lie- genden Schichten hingegen bilden das Hautblatt oder Exoderm (Fig. 24 e). Sie bestehen aus kleineren Zellen, welche sich in Car- min nur schwach färben ; ihr Protoplasma ist fester, klarer, fein- körniger. An dem verdickten Rande der Gastrula, dem Urmuiid- rande (Randwulste oder Properistoma), gehen Entoderm und Exoderm ohne scharfe Gränze in einander über (Hg. bOw). Neuerdings ist diese discoidale Gastrulation der Knochenfische sehr genau von KuPFPKR, Van Bambeke, Whitman und Agassiz u. A. beschrieben worden. Offenbar sind die wichtigsten Eigenthümlichkeiten, welche diese; Scheibengastrula vor den früher l)etrachteten beiden Hauptformen 13* 196 Discoidale Eifurchung der Fiselu'. IX. der Gastrula auszeichnen, durch den grossen Nähr un gsdot ter bedingt. Dieser nimmt an der Furchung gar keinen Antheil und füllt die Urdarmhöhle der Gastrula vollständig aus , indem er zu- gleich aus deren Mundötfnuug weit hervorragt. Stellen wir uns vor, die ursprüngliche Glocken-Gastrula (Fig. 3U— 36) wolle einen kugeligen Nahrungsballen verschlucken, der viel grösser ist, als sie selbst, so wird sie sich beim Versuche dazu in derselben Weise scheibenförmig auf letzterem ausbreiten , wie es hier der Fall ist (Fig. 5()). Wir können also die Scheibengastrula, durch die Zwi- schenstufe der Hauben-Gastrula hindurch , von der ursprünglichen Glocken-Gastrula ableiten. Sie ist phylogenetisch dadurch entstanden, dass sich am vegetalen Pole des Eies ein Vorrath von Nahrungs- material ansammelte und so ein „Nahrungsdotter" im Gegensatze zum „Bildungsdotter" ausbildete. Trotzdem entsteht aber auch hier, wie in den früheren Fällen, die Gastrula durch Einstülpung oder Invagination der Blastula. Wir können demnach auch diese ceno- genetische Form der scheibenförmigen Eifurchung ( Gastru- latio discoidalis) wiederum auf die palingenetische Form der ur- sprünglichen Furchung zurückführen. Während diese Zurückführung bei dem kleinen Ei unseres pelagischen Knochenfisches noch ziemlich leicht und sicher ist, so erscheint sie dagegen sehr schwierig und unsicher bei den grossen Eiern, welche wir bei der Melirzahl der übrigen Fische, sowie bei sämmtlichen Reptilien und Vögeln finden. Hier ist nämlich der Nahrungsdotter erstens unverhältnissmässig gross, ja sogar colossal, so dass dagegen der Bildungsdotter fast verschwindet ; und zweitens enthält der Nahrungsdotter eine Masse von verschiedenen geformten Bestandtheilen, welche als „Dotterkörner, Dotterkugeln, Dottei-plätt- chen, Dotterschollen, Dotterblasen" u. s. w. bekannt sind. Oft hat man diese geformten Dotter - Elemente sogar geradezu für echte Zellen erklärt und ganz irrthümlich behauptet, dass aus diesen Zellen ein Theil des Embryo-Körpers aufgebaut werde'''). Das ist aber durchaus nicht der Fall. Vielmehr bleibt der Nahruiigsdotter ii» allen Fällen, auch wenn er noch so gross wird, ein todter Voi- lath von Nahrungsmaterial, der während der Keimung in den ent- stehenden Darm aufgenommen und von dem Embryo verzehrt wird. Der letztere entwickelt sich bloss aus dem lebendigen Bildungs- dotter der Stammzelle. Das gilt ganz ebenso vchon"1875 (in meiner Abhandlung über „die Gastrula und die Eifurchung der Thiere", p. 65) zu den discoblastischen Verte- braten gestellt. Vielleicht gilt dasselbe sogar noch von einem Theile der Beutelthiere, während ein anderer Theil derselben nach den schönen Untersuchungen von Selenka ein Verbindungs- glied zwischen jenen und den Placentalthieren herstellt. Fig. 60. Ei des Opos- sum {Didelphys) in Vierthei- Inng, nach Selenka. b dio 4 Hlastnmeren r Richtungs- körper, r Kernlose Gerinn- sel, p Eiweisshülle. Fig. 61. Keimblase des Opossum (^Didelphys), nach Selenka a Animal-Pol der Blastula. v V^egetal-Pol. e» Mntterzelle des Entoderms. ex E.xodermzellen. s Sper- midien. ih kernlose Dotter- hallpii (Reste des Nalirungs- dotters). p Eiweisshülle. Das befruchtete Ei der B e u t e hatte oder des Opossum {Didelphys) zer- fällt nach Selenka zuerst in 2, dann in 4 , darauf in 8 gleiche Zellen ; die Eifui- c.liung ist also anfangs eine äquale oder gleichniässigu. Erst im weiteren Verlaufe der Zellen-Theilung sondert sich eine grössere, durch trüberes Plasma und grösse- ;' '/ Fig. 60. Fig. 61. ren Gehalt an Dotterkörnern ausgezeichnete Zelle (die Mutterzelle des Entoderms, Fig. 61 an) von den übrigen Blastomeren ab; letztere vermehren sich rascher, erstere langsamer. Indem sich weiterhin reichliche Flüssigkeit in der Morula ansammelt, entsteht eine kugelige Keimblase, deren Wand von ungleicher Dicke ist, ähnlich der des Amphioxus (Fig. 38 E) und der Amphibien (Fig. 45). Die olicrc oder animale llennsphäre wird von einer grösseren Anzahl 2U6 CTastrulatioii der Beutc4thie.re. tx. kleinerer Zellen gebildet, die untere oder vegetale Halbkugel hin- gegen von einer kleineren Anzahl grösserer Zellen. Eine von diesen letzteren, durch besondere Grösse ausgezeichnet (Fig. 61 en) liegt am Vegetal-Pol der Keimblasen-Axe, an der Stelle, wo sich später der Urmund (Prostoraa) bildet. Diese ist die Mutterzelle des Ento- derms; sie beginnt nun ebenfalls sich durch Theilung zu vermehren, und ihre Tochterzellen (Fig. 62 i) breiten sich, von dieser Stelle ausgehend, allmählig über die Innenfläche der Keimblase, zunächst Fip;. 62 Keimblase des Opossum {Diddphys) im Beginne der Gastrula- tion, nach Selenka. e Exoderm. i Kntoderm. a Animalpol. u Urmund am Vegetal-Pol. / Fur- chungsliöhle d Kernlose Dotterballen (Reste des i-educirten Nalirungsdot- ters). c Kernlose Gerinn- sel (ohne Dotterkörner). nur über ihre vegetale Halbkugel aus. Die trüberen Entoderm- Zellen {i) unterscheiden sich anfangs durch mehr rundliche Form und dunklere Kerne von den höheren und helleren , mehr läng- lichen Exoderm-Zellen (e) ; später werden beide stark abgeplattet, die inneren Keimblatt- Zellen noch mehr als die äusseren. Sehr bemerkenswerth sind die kernlosen Dotterballen und Gerinnsel (Fig. 62 d), welche in der Flüssigkeit der Keimblase bei diesen Beutelthieren sich finden; sie sind als die Reste des phylo- genetisch rückgeliildeten Nahrungsdotters zu deuten, welcher bei ihren Vorfahren , den Monotremen , ebenso wie bei den Reptilien entwickelt war. Im weiteren Verlaufe der Gastrulation vom Opossum geht die eiförmige Gestalt der Gastrula (Fig. 63) allmählig in die kugelige über, indem eine grössere Menge von Flüssigkeit sich in der Blase ansammelt. Zugleich breitet sich das Entoderm (Fig. 64 i) immer weiter an der Innenfläche des Exoderms (e) aus. Es entsteht eine kugelige Blase, deren Wand aus zwei dünnen, einfachen Zelleu- schichten besteht; die Zellen des äusseren Keimblattes sind riuid- IX. Grastrnlation der Placentalthiere. 209 lieber, die des inneren platter. In der Gegend des Urmundes (p) sind die Zellen weniger flach und zeigen reichliche Vermehrung. Von hier geht auch die Bildung des Mesoderms aus, und zwar von der hinteren (ventralen) Lippe des Urmundes oder Prostoma, der sich in einen medianen Längsspalt, die Primitivrinne, auszieht. ^%^-: Fi«. 64. Fig. 6a. Fig. 63. Eiförmige Gastrala des Opossum [Didtlphys), etwa 8 Stunden alt, nach Selenka (von aussen gesehen). Fig. 64. Längsschnitt durch die- selbe Gastrula (Fig. 63). Nach Selenka p Urmund (Prostoma). e Exoderm, j Entoderm. d Dotterreste in der Ur- darmhöhle (m). Noch stärker cenogenetisch abgeändert und abgekürzt, als bei den ßeutelthieren , erscheint die Gastrulation bei den Pla- ceutal-Thieren. Dieselbe ist erst vor 16 Jahren (1875) durch die ausgezeichneten Untersuchungen von Van Beneden bekannt geworden, und zwar zuerst am Ei des Kaninchens. Da aber auch der Mensch zu dieser Unterklasse gehört, und da seine noch unbekannte Gastrulation nicht wesentlich von derjenigen der anderen Placental-Thiere verschieden sein wird, verdient sie die genaueste Untersuchung. Zunächst fällt hier die besondere Eigen thümlichkeit auf, dass schon die beiden ersten Furchungszellen, welche aus der Theilung der befruchteten Eizelle (Fig. 65) hervorgehen, an Grösse und Beschaffenheit verschieden sind ; l)ald sind diese Unterschiede geringer (Fig. 6(^) , bald auffallendei-. Die eine von diesen beiden ältesten Tochterzellen der Cytula — oder den „beiden ersten Blastomeren" — ist etwas grösser, heller und durchsichtiger als die andere. Auch färbt sich die kleinere Furchungszelle in Carinin, Osmium u. s. w. viel intensiver als die grössere. Dadurch offen- baren beide Zellen schon ihre wichtige Beziehung zu den beiden Urkeimblättern : die hellere und festere Furchungszelle H ^ e c k e 1 , Aolhropogenie 4. \u& 1 -I r^lü Eilnreliuni>; der Sänaotiiiere. IX. (Fig. 66 e) ist die jMutterzelle des Exoderms: die dunklere und weichere Furchungszelle (Fig. 66 i) ist die Mutterzelle des Entoderms. Alle Zellen des »äusseren Keimblattes oder Hautblattes sind Abkömmlinge der E x o d e r ni - iMutterzelle (Taf. II. Fig. 13 e). Ebenso sind sämmtHche /elloii des inneren Keimblattes oder Darmblattes Xachkommen derEnto- d er m- Mutterz eile (Taf. II, Fig. 13 i). Dasselbe interessante Verhältniss, welches uns hierin die Säugethiere bieten, zeigen viele niedere 'l'hiere noch mehr ausgesprochen. Bei vielen Würmern /. 1*». zerfällt die Stammzelle bei Ijeginnender Furchung in zwei FurcluniL^s- Fig. 65. Fig 66. Fig. 6.'). Stamnizelle oder Cytula des Säugethieres (vom Kaninclien). k Stamm kern, n Kernkörperclieii j) Frotoplasmn der Staramzrile. z Veränderte Znna pelhi- c'ida. h Aeu.s.ser«; Eiweisshülle. .s Todte Spermazenen. Fig. 66. Beginnende Furchung des Säugethier-Eies (vom Kaninchen). Die Stammzene ist in zwei uiigieiclifi Zellen zerfallen: die hellere Mutterzelle des Hautblattes (c) und die dunklere Mutterzello des Darmblattes (^'). z Zona pellucida h Aeussere Eiweisshülle. s Todte Sjiermazellen. Zellen von sehr ungleicher Grösse und chemischei- Besc.lKiti'cnheit. Die Exoderm-Mutterzelle ist hier oft vielmals kleiner als die Ento- derm-Mutterzelle, welche einen mächtigen Proviant -Vorrnth von Xahrungsdotter enthält. Die beiden ersten Furchungszellen des Kaninchens, wclclie wir demnach als die Mutterzellen der l)eiden primären Keiml)lätter betrachten müssen, zerfallen nun durch gleichzeitige Theilung in Je zwei Zellen (Fig. 67; Taf. II, Fig. 14). Diese vier Furchungs- zellen liegen gewöhnlich in zwei verschiedenen, auf einander senkrechten I'benen (seltener in einer Ebene). Die zwei grösseren und lielleren Zellen (Fig. 61 e), die Tochterzellen der Exoderni- IX. Eifnrchurift- der Säugethiere. '2X1 Mutterzeiie, färben sich iu Carmiu weniger intensiv, als die beiden kleinereu und dunkleren Zellen, die Töchter der Entoderm-Mutter- zelle (Fig. 67?:). Die Linie, welche die Mittelpunkte der beiden letzteren Furchungskugeln verbindet, steht gewöhnlich senkrecht auf der Linie, welche die beiden ersteren verbindet. Nunmehr zerfällt jede von diesen 4 Zellen durch Theilung abermals iu 2 gleiche Tochterzellen ; wir bekommen acht F u r c h u n g s z e 1 1 e n , die Ur- enkelinnen der Stammzelle (Fig. 68). Vier grössere, festere und hellere Zellen liegen in einer Ebene : die Enkelinnen der Exoderm- Fig. 67. Fip. 68. Fig. 67. Die vier ersten Furcliungazellen des Säugethieres (voui Kaninchen). e Die beiden Exoderm-Zellen (grö.sser und lieller). * Die beiden P^ntoderm-ZeUen (kleiner und dunkler), z Zona pellucida. h Aeus.sere Eiweisshülle. Fig- 68. Säugethier-Ei mit acht Furchungszellen (vom Kaninclien). e Vier Kxoderm-Zellen (g:rös.ser und heller), i Vier Kntoderm-Zellen (kleiner und dunkler). X Zona pellucida. h Aeussere Eiweisshülle. Mutterzelle. Vier kleiiieie, weichere und dunklere Zellen liegen in einer zweiten, jener pai-:illelen Ebene: die Enkelinnen der Entodenn- Mutterzelle. Wenn wir die Mittelpunkte von je zwei entgegen- gesetzten Furchungszellen einer Ebene durch gerade Linien ver- binden, so schneiden sich diese letzteren unter rechten Winkeln. Aber die vier Verbindungslinien beider parallelen Ebenen zusammen schneiden sich unter Winkeln von 45 Grad. Jetzt aber verändern die acht Furcliungszellen ihre ursprüng- liche Lage und ihre kugelige Gestalt. Eine von den viei- p]ntoderm- Zelleii tritt in die Mitte des Zellenhaufens und bildet zusammen mit den drei anderen eine Pyramide (oder ein Tetraeder). Die vier Exoderrazellen legen sich über die Spitze dieser Pyramide 14* 212 Eifnrclinnu- der Säugednorf^. J-^>-. haubeuförmig herüber (Taf. II, Fig. 15). Das ist der Anfaug eines Keiniuugsprocesses, den wir als abgekürzte Wiederholung der Ein- stülpung der Keim haut auflassen müssen und der zur Gastrula-Bildung führt. Von jetzt an folgt die weitere Furchuug des Säugethier-Eies einem Rhythmus, der demjenigen des Frosch - Kies im Wesentliclien gleich ist. Während bei der ursprünglichen (oder primordialen) Eifurchung der Rhythmus in regelmässig geo- metrischer Progression fortschreitet (2, 4, uchungen über die Entwicke- lung der Wirbelthiere" die Behauptung aufgestellt, dass in der zweiblättrigen Keimscheibe des frisch gelegten Hühner - Eies ( — unserer Discogasfrula — ), wenige Stunden nach der Bebiiitung das untere Keimblatt sich in zwei Blätter spalte , ein mittleres Keimblatt und ein Drüsenblatt. Später sollte dann das mittlere Keimblatt oder ,, Faserblatt" wiederum durch Spaltung in zwei Blätter zerfallen, in ein inneres „Darmfaserblatt" und ein äusseres „Haut- faserblatt". Das Verhältniss dieser „Dreiblätter-Theorie" von Remak zur ursprünglichen „Vierblätter-Theorie" von Baer ergiebt sich aus folgender Uebersicht : Remak's drei Keimblätter Die vier secun- (Üreiblätter-Theorie). Aensseres i 1. Aeusseres (oder oberes) oder oberes ' Keimblatt Blatt \ (Sensorielles Blatt) (IL Mittleres Keimblatt j (Motorisch - germina- j tives Blatt). I III. Inneres (oder unteres! Keimblatt (Trophisches Blatt). Inneres oder unteres i Blatt dären Keim- blätter. (^Hlastoplatten.) 1. Hautsinnesblatt 2. Hautfaserblatt 3. Darmfaserblatt 4. Darmdrüsenblatt Die zwei prim är en Keimblätter von Baer. Animales Blatt, Exoderm, Hautblatt. Vegetatives Blatt, Eo t od e rm , Darmblatt. Die Keimblätter -Theorie von Remak, in deren weiterem Ver- folge dieser ausgezeichnete Beobachter zu sehr wichtigen Ent- deckungen gelangte, fand bald sehr viel Beifall, um so mehr, als derselbe zuerst die constituirenden Elementar-Theile der Keimblätter 224 Spaltung und Faltung der Keimhlättei'. K. klar erkannte, und durch Anwendung der Zellen - Theorie zuerst der Ontogenie ein histologisches Fundament gab. Die Annahme, dass die secundären Keimblätter aus den primären durch Flächen- Spaltung entstehen — worin Baer und Remak übereinstimmten — wurde auch von solchen Embryologen angenommen , die in an- deren Punkten abweichende Anschauungen vertraten , so z. B. von KöLLiKER, nach welchem „bei den höheren Wirbelthiereu das mitt- lere Keimblatt vom äusseren abstammt". Diese allgemein ange- nommenen Spaltungs - Theorien begannen erst vor 20 Jahren er- schüttert zu werden, nachdem Kowalevsky (1871) gezeigt hatte, dass bei Sagitta ( — einem sehr klaren und typischen Gastru- lations-Objecte — ) die beiden mittleren Keimblätter ebenso wie die beiden Grenzl)lätter nicht durch Spaltung, sondern durch Fal- tung entstehen, und zwar durch secundäre Einstülpung des primären inneren Keimblattes. Diese Einstülpung geht vom Urmunde aus, zu dessen beiden Seiten (rechts und links) ein paar Taschen entstehen ; indem diese beiden „C oel om -Taschen" oder Säcke sich V(mi Urdarm abschnüren, entsteht eine paarige Leibeshöhle (Fig. 75). Dieselbe Art der Ooelouibildung, wie bei Sagitta, wurde später von Kowalevsky auch bei Bra^hiopoden und anderen Wirbellosen, sowie beim niedersten Wirbelthiere, dem Amphioxus, nachgewiesen; weitere Belege dafür lieferten namentlich zwei englische Embryo- logen, denen wir bedeutende Fortschritte in der Ontogenie ver- danken , E. Ray - Lankester und F. Baleouk. Auf Grund dieser und anderer, sowie ausgedehnter eigener Untersuchungen errichteten dann vor zehn Jahren (1881) die Geluüder Oscar und Richard Hertw'ig ihre gedankenreiche „C o e 1 o m - T h e o r i e , Versuch einer Erklärung des mittleren Keimblattes". Um das hohe Verdienst dieser vielfach klärenden und fördernden Theorie richtig zu wür- digen, muss man bedenken, welches Chaos von widersprechenden Ansichten und entgegengesetzten Behauptungen damals das „Meso- derm- Problem" oder die vielem stritt ene „Frage vom Ursprung des mittleren Keimblattes" bildete. Namentlich hatte hier die wun- derliche, von ganz naturwidrigen Voraussetzungen ausgehende „Para- blasten-Theorie" des Leipziger Embryologen His eine entsetzliche Verwirrung angerichtet; nicht nur alle njöglichen , sondern auch verschiedene unmiigliche Ansichten ül)er die Entstehung der secun- dären Keimblätter, die Entwickelung der Gewebe aus denselben, und den Aufbau des Thierkörpers aus diesen Geweben, wurden damals ernsthaft und mit grosser Entschiedenheit discutirt (vergl. de- II 111. Vortrag S. 54). X. Principien der Coeloni-Theorie. 225 In diese grenzenlose Verwirrung brachte die Coelom - Theorie der Gebrüder Hertwig zuerst klares Licht, indem sie hauptsäch- lich folgende Gesichtspunkte feststellte: 1. Die Leibeshöhle entsteht bei der grossen Mehrzahl der Thiere (insbesondere bei allen Wirbel- tliieren) in derselben Weise wie bei Sagitta; am Urmunde stülpen sich ein paar Taschen oder Säcke nach innen, zwischen die beiden primären Keimblätter hinein; indem diese beiden Säcke sich vom Urdarni abschnüren, entstehen ein paar Coelom -Taschen (rechte und linke); durch ihre Verschmelzung bildet sich eine einfache Leibeshöhle (Enterocoel). 2. Wenn diese Coelom -Keime nicht als ein paar hohle Taschen, sondern als solide Zellschichten (in Form von „ein paar Mesoderm-Streife n") entstehen (wie es bei den höheren Wirbelthieren geschieht), so liegt eine secundäre (c e n 0 g e n e t i s c h e) Abänderung jenes primären (palingenetischen) Verhältnisses vor; die beiden Wände der Taschen (innere und äussere) werden durch die räumliche Ausdehnung des grossen Nah- rungsdotters zusammengepresst. 3. Daher besteht das Me so derm von Anfang an aus zwei genetisch getrennten Schichten, die nicht erst durch Spaltung eines primären einfachen Mittelblattes entstehen (wie man früher nach Remak annahm). 4. Diese beiden Mittelblätter haben bei allen W^irbelthieren und bei der grossen Mehrzahl der wirbellosen Thiere dieselbe fundamentale Bedeutung für den Aufbau des Thierkörpers : das innere Mittelblatt oder das „Visceral-Mesoderm" ( Darmfaserblatt) legt sich an das ur- sprüngliche Entoderm an und bildet den faserigen , muskulösen und bindegewebigen Theil der Darm wand {Splanchnopleura) ; dagegen das äussere Mittelblatt oder das „Parietal- Meso derm" (Haut- faserblatt) legt sich an das ursprüngliche Exoderm an und bildet den faserigen, muskulösen und bindegewebigen Theil der Leibes- wand {^Somatopleura). 5. Nur an ihrer Ursprungs-Stätte, am Urmunde und seiner Umgebung, hängen alle vier secundären Keimblätter unmittelbar zusammen; von hier breiten sich die paarigen Mittel- blätter getrennt nach vorne wachsend zwischen den beiden pri- mären Keimblättern aus, an die sie sich divergireud anlegen. 6. Die weitere Sonderung oder Difterenzirung der vier secundären Keimblätter, ihr Zerfall in die verschiedenen Gewebe und Organe findet vorzugsweise im späteren Vordertheile des Keimes, im Kopftheile statt und schreitet von da nach hinten fort, gegen den Urmund hin. Alle Thiere, bei denen erwiesener Maassen die Leibeshöhle dergestalt aus dem Urdarm entsteht (Wirbelthiere, Mantelthiere, Haecliel, ;Anthrnpoerpnie. 4. Aufl. 1 1^ 226 Theorie des Mesoderms. X. Steriithiere, Gliederthiere, ein Theil der Wurmthiere), fassteu die Gebrüder Hertwig unter dem Begriff der En terocoelier zu- sammen und stellten ihnen als zwei anderen Hauptgruppen die Pseudocoelier und Coelenteraten gegenüber, erstere mit „falscher Leibeshöhle", letztere überhaupt ohne Leibeshöhle. Zu den Pseudocoelieru rechneten sie die Weichthiere und einen Theil der Wurmthiere (Plathelmintheu , Bryozoen und Rotatorien); hier sollte die Leibeshöhle entweder einen Rest der Furchungshöhle darstellen (Blastocoel) oder seeundär durch Spaltung oder Lücken- bildung in einem soliden Mesoderm entstehen (Schizocoel). Diese principielle Scheidung und die daraus abgeleiteten systematischen Aufstellungen haben sich indessen später nicht haltbar erwiesen. Auch die durchgreifenden Unterschiede in der Gewebebildung, welche die Gebrüder Hertwig zwischen Enterocoeliern und Pseudo- coeliern aufstellten, sind in dieser Ausdehnung nicht vorhanden. Aus diesen und anderen Gründen ist ihre Coelom-Theorie vielfach angegriffen und theilweise aufgegeben worden. Trotzdem hat sie ein grosses und bleibendes Verdienst für die Lösung der schwierigen Mesoderm-Frage, und ein wesentlicher Theil derselben wird sicher bestehen bleiben. Insbesondere halte ich es für ein grosses Ver- dienst derselben, für alle Wirbelthiere die gleiche Ent- w ickelungs- W eise der beiden Mittelblätter festgestellt und sie als cenogenetische Modificationen auf die ursprüngliche, bei AmpMoxus noch heute bestehende, palingenetische Ii^ntstehungsform zurückgeführt zu haben. Unter den zahlreichen und trefflichen neueren Arbeiten über die Entstehung und Bedeutung der mittleren Keimblätter ragt eine umfassende Arbeit aus neuester Zeit weit hervor, die gedanken- reiche „Theorie des Mesoderras" von Carl Rabl (1889). Dieser ausgezeichnete Prager Anatom, dem die vergleichende Ent- wickelungs-Geschichte so viele glänzende Arbeiten verdankt, hat in wichtigen Punkten die Coelom-Theorie von Hertwig bestätigt, in anderen Beziehungen sie ])erichtigt und ergänzt; ausserdem hat er eine Reihe von neuen fruchtbaren Gedanken in diese funda- mentalen Betrachtungen eingeführt. Insbesondere hat Rabl gezeigt, wie die verschiedene Körpcrgrösse und die davon abhängige Ziihl der Embryonal-Zellen des Keimlings von grossem Einfluss auf die ver- schiedene Erscheinungs-Form der Mesoderm-Bildung ist. Die ver- gleichend-ontogenetischen Untersuchungen von Rabl, ebenso wie von Hertwk ;, l)eruhen auf j) h y 1 o g e n e t i s c h e n Grundlagen und gelangen auf diesem unentbehrlichen Wege zu einer naturgemässen X. Coelomation der Wirbeltliiere. 227 Erklärung der ontogenetischen Thatsachen. Die glänzenden Re- sultate derselben stehen in schrofifem Gegensatze zu den „pseudo- mechanischen" Erklärungen von His, welcher die verwickeltsten historischen Processe als einfache physikalische Erscheinungen mathematisch erklären will, in der That aber Nichts erklärt (vergl. hierüber den III. Vortrag, S. 54). Im Gegensatze zu His und KöLLiKER, welche die phylogenetische Einheit des Wirbel- t hier -Stamm es bestreiten , wird dieselbe durch die Mesoderm- Arbeiten von Rabl und Hertwig aufs Neue klar bewiesen, ebenso wie durch diejenigen von Ray Lankester, Rauber, Kupffer, RüCKERT, Selenka, Hatschek u. A. Uebereinstimmend geht daraus hervor, dass alle die verschiedenen Formen der Coelom - Bildung, ebenso wie diejenigen der Gastrulatiou , in dem grossen Thier- stamme der Vertebraten einem und demselben, streng erblichen Gesetze folgen ; trotz ihrer scheinbaren Verschiedenheit sind alle nur cenogenetische Modificationen eines und desselben palin- genetischen Typus, und diesen ursprünglichen Typus hat uns der unschätzbare Amphioxus bis auf den heutigen Tag getreu bewahrt. Ehe wir nun die maassgebende und leitende Coelomation des Amphioxus näher betrachten, wollen wir noch einen BHck auf die- jenige des Pfeilwurms (Sagitta) werfen, jenes merkwürdigen pelagischen Wurmthieres, das in so vieler Beziehung für die ver- gleichende Anatomie und Ontogenie von Interesse ist. Einerseits die völlige Durchsichtigkeit des glashellen Körpers und seines Keimes, andererseits die typische Einfachheit seiner palingenetischen Entwickelungs-Verhältnisse lassen die Sagitta in vieler Hinsicht als ein höchst lehrreiches Paradigma erscheinen. Die Thierklasse der Chaetognathen, welche nur durch die nahe verwandten Gattungen Sagitta und Spadella vertreten wird, erscheint auch noch in anderer Beziehung als ein höchst merkwürdiger Zweig des formen- reichen Würmer-Stammes. Es war daher sehr dankenswerth, dass Oscar Hertwig (1880) in einer sorgfältigen Monographie die lehr- reiche Anatomie, Systematik und Entwickelungs - Geschichte der Chaetognathen vollkommen aufklärte. Die kugelige Keimblase , welche aus dem befruchteten Ei der Sagitta entsteht, verwandelt sich durcli unipolare Einstülpung in eine typische A r chigastrula, ganz ähnlich, wie ich es von Monoxenia beschrieben habe (vergl. den VIII. Vortrag, S. 158, Fig. 29). Diese eiförmige, einaxige Becherlarve (im Querschnitt kreisrund) wird dadurch zweiseitig (oder dreiaxig), dass aus dem Urdarm ein paar Coelom - Taschen hervorwachsen (Fig. 73, 74). 15* Ü2Ö Coelomation der Sagitta. ■'^. Rechts und liuks bildet sich eine sackförmige Ausstülpung gegen den Oral-Pül hin (wo später der Dauernmnd, w, entsteht). Beide Säcke sind anfänglich nur durch ein paar Falten des Entodernis getrennt (Fig. 73 jw) und hängen noch durch eine weite Mündung mit dem Urdarm zusammen; auch communiciren beide noch kurze Zeit auf der Rückenseite (Fig. 74 D). Bald aber schnüren sich beide Coelom - Taschen vollständig von einander und vom Urdarm ab ; zugleich erweitern sie sich so bedeutend blasenförmig, dass sie Fig. 73. Fig. 75. Fig. 74. Fig. 73. Coelomula von Sagitta (Gastruld init ein paar Coelom-Taschen). Nacli Kowalevsky. hlp Unnuiul, al Urdarni, pv Coeloin-Falten. m Dauermund, Fig. 74. Coelomula von Sagitta, im Qiiersclinitt, nach Hertwig. JJ Kückeii.seite. K Bauchseite, ik Inueres Keimblatt. viv Visceral - Mesoblast. Ih Leibe.'.^höhle. 7iip Parietal-Mesoblast. ak Aeusseres Keimblatt. Fig 75. Querschnitt durch eine junge Sagitta Nach Hertwig. dh Darmhöhle. ik und ak Inneres und äusseres Grenzblatt ; mv und mp inneres und äusseres Mittelblatt. Ih Leibeshöhlen, dm und vm Dorsales und ventrales Mesenterium. den Urdarm ringsum einschliessen (Fig. 75). In der MitteUinie der Rückenseite und der Bauchseite aber bleiben beide Taschen getrennt, indem hier ihre sich berührenden Wände zu einer dünnen verticalen Scheidewand zusammenwachsen, dem Gekröse oder Mesenterium (dm und vm). Demnach besitzt Sagitta zeitlebens eine doppelte oder paarige Leibeshöhle (Fig 75 Ih), und der Darm ist sowohl unten als ol)en durch ein Gekröse an der Leibeswand befestigt, unten durch das Ventral-Mesenterium {vm), ol)en durch das Dorsal-Mesenterium {dm). Das innere Blatt der beiden Coelom- Taschen (Visceral-Mesoblast, mv) legt sich an das Eutoderm {ik) X. Coelomation des Ain})hioxus. 229 an und bildet mit ihm die Darmwand. Das äussere Blatt der- selben hingegen (Parietal- Mesoblast, mp) legt sich an das Exoderm {ak) an und bildet mit ihm die äussere Leibeswand. Somit liegt hier bei Sagitta die ursprüngliche Coelomation der Enterocoelier äusserst klar und einfach vor Augen. In ähnlicher Weise klar und durchsichtig vollzieht sich nun auch die Coelomation desAmphioxus, des niedersten Wirbel- thieres, und der ihnen nächstverwandten, wirbellosen Mantelthiere, der Ascidien. Indessen wird bei diesen beiden Thierstämmen , die wir als C h o r d a t h i e r e ( Chordonia) zusammenfassen können, jener wichtige Process dadurch verwickelter, dass sich gleichzeitig damit noch zwei andere bedeutungsvolle Vorgänge verknüpfen, die Fig. 76. Fig. 76 u. 77. Querschnitte von Amphioxus-Larven. Nach Hatschkk. Fig. 76 im Beginne der Coelom-Bildung (noch ohne Ursegmente), Fig. 77 im Stadium mit vier Ursegmenteu, ak, ik, mk äusseres, inneres, mittleres Keimblatt, hp Hornplatte. mp Markplatte, ch Chorda. * und * Anlage der Coelom-Taschen. Ih Leibeshöhle. Anlage der Chorda aus dem Entoderm , und die Sonderung der Medullär -Platte oder des Nerven-Centrums aus dem Exoderm. Auch hier hat uns der schädellose Amphioxus die wesentlichsten Erscheinungen in der ursprünglichen Form durch zähe Vererbung getreu bis heute erhalten, während bei allen übrigen Vertebraten (den Schädelthieren) dieselben durch embryonale Anpassung mehr oder weniger abgeändert sind. Wir müssen daher auch hier wieder die palingeuetischen Keimungs-Verhältnisse des Lanzetthierchens vollständig kennen , ehe wir die cenogenetischen Keimungs-Formen der Cranioten betrachten. Die Coelomation des Amphioxus, welche erst Kowa- LEVSKY vor 24 Jahren entdeckte, ist später durch die äusserst 230 Coelomatiou des Ainphioxus. X. sorgfältigeu Beobachtuugeu vou Hatschek (1881) ganz genau er- forscht ^Yorden. Danach bilden sich zunächst au der bilateralen, früher von uns betrachteten Gastrula (Fig. 38, 39, S. 167, 168) drei parallele Längsfalten, eine unpaare, exodermale Falte in der Mittel- linie der Rückenfläche , und zwei paarige entoderraale Falten zu beiden Seiten der ersteren. Die breite Exoderm-Falte, welche zu- erst in der Mittellinie der abgeplatteten Rückenfläche auftritt und eine seichte Längsrinne bildet, ist die Anlage des centralen Nerven- systems, des Medullarrohrs ; das primäre äussere Keimblatt zerfällt dadurch in zwei Theile, die mediane Markplatte oder Medullar- platte (Fig. 78 mp) und die Hornplatte («/»;), die Anlage der äusseren Fig. 78. Fig. 79. Fig. 78 u 79. Querschnitte von Amphioxas-Eeimen. Fig. 78 im Stadium mit fünf Somiten, Fig. 79 im Stadium mit elf Somiteu. Nach Hatschek. ak Aeusseres Keimblatt, mp Medullar-Platte, »i Nervenrohr, ik Inneres Keimblatt, dh Darmhöhle. Ih Leibeshöhle. mk Mittleres Keimblatt {mk^ parietales, mk^ viscerales), us Ursegment, ch Chorda. Oberhaut oder Epidermis. Indem die beiden parallelen Ränder der concaven Markplatte sich gegeneinander krümmen und unterhalb der Hornplatte verwachsen, entsteht ein cylindrisches Rohr, das Markrohr oder MeduUar-Rohr (Fig. 79 n) ; dieses schnürt sich ])ald vollständig von der Hornplatte ab. Zu beiden Seiten des Mark- rohrs, zwischen ihm und dem Darmrohr (Fig. 76 — 79 dh) wachsen aus der Rückenwand des letzteren die beiden parallelen Längsfalten hervor, welche die paarigen Coelom-Säcke bilden (Fig. 77 u. 78 Ih). Dieser Theil des Entoderms, welcher also die erste Grundlage des mittleren Keimblattes bildet, ist in Fig. 76—79 dunkler gezeichnet als der übrige Theil des inneren Keimblattes. Die Stellen der mesodermalen Faltung sind in Fig. 76 und 77 mit Sternchen be- zeichnet (* *). Indem an diesen Stellen die basalen Ränder der ausgestülpten Falten verwachsen , entstehen geschlossene Taschen (Fig. 78 im Querschnitt). Der hinterste Theil der beiden parallelen X. Chonlula der Cliordouieii. 231 Mesoderra - Falteu stösst ursprünglich an den Rand des Urmundes an, und steht hier in Verbindung mit den beiden grossen „Urraeso- derm-Zellen oder Promesoblasten", die wir früher betrachtet haben (Fig. 39 2))- Die Keim - Anlagen , welche aus diesen letzteren ent- stehen, kann man mit Rabl als p er isto malen Mesoblast be- zeichnen, im Gegensatze zu den Anlagen der ersteren, des gastra- len Mesoblasten. Während dieser bedeutungsvollen Vorgänge wird bereits zwi- schen beiden Coelom-Taschen die Anlage eines dritten hochwichtigen Organes vorbereitet, der Chorda oder des Axenstabes. Diese ursprüngliche Grundlage des Skelettes, ein solider cylindrischer Knorpelstab, entsteht in der Mittellinie der dorsalen Urdarm-Wand, aus dem entodermalen Zellenstreifen, welcher hier zwischen beiden Cölom-Säcken übrig bleibt (Fig. 76 — 79 ch). Auch die Chorda er- scheint zunächst in Gestalt einer flachen Längsfalte oder einer seichten Rinne (Fig. 77 , 78) ; erst nach ihrer Abschnürung vom Urdarm nimmt sie die Gestalt eines soliden cylindrischen Stranges an (Fig. 79). Man könnte also auch sagen, dass die Rückenwand des Urdarms in dieser wichtigen Periode drei parallele Längsfalten bildet : eine unpaare und zwei paarige. Die unpaare mediane Längs- falte wird zur Chorda und liegt unmittelbar unter der medianen Längsrinne des Exoderms, die zum Medullar-Rohr wird ; die beiden paarigen Längsfalten, rechte und linke, liegen seitlich zwischen der ersteren und letzteren , und werden zu den Coelom-Taschen. Der Theil des Urdarms, welcher nach Abschnürung dieser drei dorsalen Primitiv - Organe übrig bleibt, ist der Dauerdarm (Enteron oder Mesodaeum); sein Entoderm ist das „Darmdrüsenblatt" oder Enteral- Blatt (Enteroblast). Den Keim -Zustand des Wirbelthier - Organismus , welchen die Amphioxus - Larve in dieser Periode (Fig. 80, 81, in der dritten Entwickelungs-Periode nach Hatschek) uns vor Augen führt, nenne ich Chordula oder Chorda-Larve. {Cordula oder Cordyla nannten Strabo und Plinius junge Fischlarven.) Ich schreibe ihm die grösste phylogenetische Bedeutung zu, da er bei allen Chordonien (Tunicaten sowohl als Vertebraten), in der glei- chen wesentlichen Zusammensetzung wiederkehrt. Obwohl die Aus- bildung des grossen Nahrungsdotters die Form der Chordula bei den höheren Wirl)elthiercn stark abändert, bleibt doch ihre wesent- liche Zusammensetzung überall dieselbe. Immer liegt auf der Rückenseite des zweiseitigen, wurmähnlichen Körpers das Nerven- rohr (m), auf der Bauchseite das Darrarolir (d), zwischen beiden, in 232 Ghordula der Wirbelthiere. X. der LäDgsaxe die Chorda (ch) und zu beiden Seiten die paarigen Coelom-Tascheii (c). Ueberall entstehen diese Primitiv-Organe in gleicher Weise aus den Keimblättern, und tiberall ^gehen aus ihnen np h b d r ch n" n' m ne p u Fig. 80. ch Fig. 81. h d z dd ch. n" m n h ch ch Fig. 82. Fig. 83. Fig. 80 und 81. Chordula des ÄmpMoxas. Fig. 80 Medianer Längsschnitt (Ansicht von der linken Seite), Fig. 81 Querschnitt. Nach Hatschkk. In Fig. 80 sind die Coelomtaschen weggelassen, um die Chorda deutlich zu zeigen. Fig. 81 ist etwas schematisch, h Hornpiatte, m Markrohr, n dessen Wand {n' dorsale, n" ventrale), ch Chorda, np Neuroporus, ne Canalis neurentericus. d Darmhöhle, r Darm-Riieken- wand. b Darm- Bauchwand. « Dotterzellen in letzterer, u Urmund. o Mundgrube. p Promesoblasten (ürzellen oder Polzellen des Mesoderms). in Parietalblatt, v Visceral- blatt des Mesoderms. c Coelom. ./ Rest der Furchungshöhle. Fig. 82 und 8.3. Chordula der Amphibien (der Unke). Nach Goettk. Fig. 82 Medianer Längsschnitt (Ansicht von der linken Seite). Fig. 83 Querschnitt (etwas schematisch) Buchstaben wie in Fig. 80 und 81. X. Coelom-Taschen der Chordonien. 233 dieselben Organe des entwickelten Chorda - Thieres hervor. Wir dürfen daraus nach den Vererbungs-Gesetzen der Descen- denz-Theorie den phylogenetischen Schluss ziehen, dass alle diese Chordonien (Mantelthiere und Wirbelthiere) von einer uralten gemeinsamen Stammform abstammen, die wir Chordaea nennen können. Diese längst ausgestorbene Chordaea würden wir, wenn wir sie heute noch lebend vor uns hätten, als eine besondere Klasse von ungegliederten Wurmthieren ansehen {Chordaria). Besonders bemerkenswerth ist dabei, dass weder das dorsale Nervenrohr, noch das ventrale Darmrohr, noch auch die zwischen beiden gelegene Chorda eine Spur von Gliederung oder Metamereu-Bildung zeigt; auch die beiden Coelom - Säcke sind anfänglich nicht segmentirt, (obwohl dieselben beim Amphioxus schon frühzeitig durch Quer- falten in eine Eeihe von Somiten zerfallen). Diese ontogenetischen Thatsachen sind von grösster Bedeutung für die Erkenntniss jener Ahnen-Formen der Wirbelthiere, die wir in der Gruppe der unge- gliederten W^urmthiere oder Helminthen zu suchen haben. Die Coelom-Taschen waren bei diesen uralten Chordarien wahr- scheinlich Geschlechtsdrüsen. Phylogenetisch betrachtet, sind die Coelom-Taschen jeden- falls älter als die Chorda; denn sie entwickeln sich in gleicher Weise , wie bei den Chordonien , auch bei einer Anzahl von Wirbellosen, die keine Chorda besitzen (so z. B. Sagitta., Fig. 73 bis 75). Auch tritt beim Amphioxus die erste Anlage der Chorda später auf als diejenige der Coelom-Säcke. Wir dürfen daher zwi- schen der Gastrula und der Chordula nach dem biogenetischen Grundgesetze noch eine besondere Zwischenform annehmen, die wir Coeloniula nennen wollen, ein ungegliederter, wurmartiger Körper mit Urdarm, Urmund und paariger Leibeshöhle, aber noch ohne Chorda. Auch diese Keimform, die bilaterale C o e 1 o m u 1 a (Fig. 78), kann als die ontogenetische (durch Vererbung erhaltene) Wieder- holung einer uralten Stammform der Coelomarien angesehen werden, der Coelomaea (vergl. den XX. Vortrag). Während die beiden Coelom-Taschen ( — vermuthlich die Go- naden oder Geschlechtsdrüsen der Coelomaea — ) bei Sagitta und anderen Helminthen durch eine vollständige mediane Scheide- wand getrennt bleiben, durch das dorsale und ventrale Mesenterium (Fig. 75 dm und vni, S. 228), bleibt dagegen bei den Wirbelthieren nur der obere Theil dieser verticalen Scheidewand erhalten und bildet das dorsale Mesenterium. Dieses „Gekröse" erscheint später als eine dünne Membran, welche das Darmrohr an der Chord^, 234 Volle und leere Tascheu. X. (oder an der Wirbelsäule) befestigt. Auf der unteren Seite des Darmrohres dagegen fliessen die beiden Coelom-Säcke zusainmeu, indena ihre inneren oder medialen Wände verschmelzen und durch- brochen werden. Die Leibeshöhle bildet dann einen einzigen ein- fachen Hohlraum, in welchem der Darm ganz frei liegt, nur durch das Gekröse an der Rückenwand aufgehängt (Vergl. Taf. IV, Fig. 5). Die Entwickelung der Leibeshöhle und die Gestaltung der Chordula bei den höhereu W irbelthier en wird, ebenso wie diejenige ihrer Gastrula , hauptsächlich dadurch abgeändert , dass der mächtige Nahrungsdotter die Keim-Anlage zusammenpresst und ihren Rückentheil zu scheibenförmiger Ausbreitung zwingt. Diese cenogenetischen Veränderungen sind anscheinend so bedeutend, dass man bis vor zehn Jahren ganz irrthümliche Anschauungen über jene wichtigen Vorgänge festhielt. Fast allgemein glaubte man, dass die Leibeshöhle des Menschen und der höhereu Wirbelthiere durch Spaltung eines einfachen Mittelblattes entstehe, und dass dieses letztere durch Abspaltung aus einem oder aus beiden pri- mären Keimblättern hervorgehe. Erst durch die vergleichend- ontogenetischen Untersuchungen der Gebrüder Hertwk; wurde auch hier der richtige Weg gefunden. Sie zeigten in ihrer Coeloni- Theorie (1881), dass alle Wirbelthiere echte Entero- c Gelier sind, und dass überall ein paar Coelom-Taschen aus dem Urdarm durch Fa Itung entstehen. Die cenogenetischen Chordula- Formen der Schädelthiere müssen daher in ähnlicher Weise aus der palingenetischen Keimform des Amphioxus abgeleitet werden, wie ich das früher für ihre (ras^rw^a-Formen nachgewiesen hatte. Der Hauptunterschied in der Coelomation der Acranier {Amphioxus) und der übrigen Wirbelthiere (Cranioten) besteht darin, dass die paarigen Coelom - Ausstülpungen des Urdarms bei den ersteren von Anfang an als hohle, mit Flüssigkeit gefüllte Bläschen auftreten, bei den letzteren hingegen als leere Taschen, deren beide Blätter (inneres und äusseres) an einander liegen. Im gewöhnlichen Leben pflegt man eine Rocktasche inmier „Tasche" zu nennen, gleichviel ob sie voll oder leer ist. Anders in der Ontogenie, in deren Litteratur überhaupt die gewöhnliche Logik des gesunden Menschen- Verstandes nur schwer zur Geltung gelangt. Hier wird in vielen Lehrbüchern und umfangreichen Ab- handlungen der Beweis geführt, dass Blasen, Taschen oder Säcke nur dann ihren Namen verdienen, wenn sie aufgebläht und mit klarer Flüssigkeit gefüllt sind. Wenn das nicht der Fall ist (z. B. wenn der Urdarm der Gastrula mit Dotter erfüllt, oder wenn die X. Coelomula der Wirbelthiere. 235 ud Wände der leereu Coelom-Taschen an einander gedrückt sind), dann sollen jene Blasen keine Hohlräume mehr sein, sondern „solide Anlagen". Die Entwickelung des mächtigen Nahrungsdot- ters in der Bauchwand des Urdarms (Fig. 82, 83) ist die einfache cenogenetische Ursache, welche die sackförmigen „Coelom- Taschen" der Acranier in die blattförmigen „Coelom-Strejife n" der Cranioten verwandelte. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir bloss mit Hertwig die palingenetische Coelomula des ÄmpJii- oxus (Fig. 77 , 78) mit der entsprechenden cenogenetischen Keim- form der Amphibien (Fig. 86—88) zu vergleichen, und das einfache Schema zu construiren, welches Beide verknüpft (Fig. 84, 85)- Fig. 84. Fig. 85. Fig. 84 und 85. Schematische Querschnitte durch Coelomula-Eeime von Wirbel- thieren. Nach Hertwig. Fig. 84 Querschnitt durch den Urmuud. Fig. 85 Quer- schnitt vor dem Urmund. u Urmund, ud Urdarm, d Dotter, dk Dotterkerne, dh Darm- höhle, Ih Leibeshöhle , mp MeduUar-Platte, ch Chorda-Platte, ak, ih äusseres und inneres Keimblatt, pb parietaler, vb visceraler Mesoblast. Denken wir uns in dem Amphioxus-Keim (Fig. 76—81) die ventrale Hälfte der Urdarm-Wand durch Ansammlung von Nahrungsdotter ausgedehnt, so müssen dadurch die bläschenförmigen Coelom-Taschen {Ih) zusammengedrückt und genöthigt werden, sich in Gestalt dünner Doppelplatten zwischen Darmwand und Leibeswand auszubreiten (Fig. 83, 84); diese Ausbreitung geschieht sowohl in der Richtung nach unten als nach vorn. In unmittelbarem Zusammenhang stehen sie mit diesen beiden Wänden nicht. Der wirkliche ununterbrochene Zusammenhang der beiden Mittelblätter mit den primären Keim- blättern findet sich nur ganz hinten, in der Umgebung des Ur- mundes (Fig. 84 m). An dieser bedeutungsvollen Stelle befindet sich sich ja die Keimungsquelle {„Blastocrene") oder „Wachsthums- 236 Coeloinula der Amphibien. X. Zone", von welcher die Coelomation (ebenso wie die Gastrulation) ursprünglich ihren Ausgang nimmt. An den Coelomula - Keimen des Wasser - Salamanders (Triton) ist es Hertwig gelungen, zwischen den ersten Anlagen der beiden Mittelblätter selbst noch die Reste der Leibeshohlräume nachzu- weisen, welche in der schematischen Uebergangs-Form (Fig. 84, 85) vorausgesetzt wurden. Sowohl auf Querschnitten durch den Urmund selbst (Fig. 86) als vor demselben (Fig. 87), weichen die beiden Mittelblätter (^?& und vh) streckenweise aus einander, und lassen die paarigen Leibeshöhlen als schmale Spalträume erkennen. Am Fig. 86. Fig. 87. Fig. 86 uud 87. Querschnitte durch Coelomula-Keime von Triton. Nach Hert- wig. Fig. 86 Quersclmitt durch den Urmuiid; Fig. 87 Querschnitt vor dem Ur- mund. u Urmund, dh Darmhöhle, dz Dotterzellen, dp Dotterpfropf, ak, ik äusseres und inneres Keimblatt ; pb parietales, vh viscerales Mittelblatt, ch Chorda. Urmunde selbst (Fig. 87 m) kann man durch diesen von aussen in sie hineingelangen. Nur hier am Urmundrande ist der unmittel- bare Uebergang der beiden Mittelblätter in die beiden Grenzblätter oder primären Keimblätter nachweisbar. Auch die Anlage der Chorda zeigt bei diesen Coelomula-Keimen der Amphibien (Fig. 88) genau dieselben Verhältnisse wie beim Amphioxus (Fig. 76 — 79). Sie entsteht aus dem entodermalen Zellen- streifen, welcher die mediane Rückenlinie des Urdarmes bildet und den Raum zwischen den beiden flachen Coelom-Taschen einnimmt (Fig. 88 A). Während sich hier in der Mittellinie des Rückens das Nervencentrum anlegt und als „Medullar-Rohr" vom Exoderm abschnürt, erfolgt gleichzeitig, unmittelbar darunter, die Abschnürung (ler Chorda vom Entoderm (Fig. 88 A, B, C). Unterhalb der llndoblastisclie Chorda-Bildung. 23' Chorda bildet sich (aus der ventralen Entoderra-Hälfte der Gastrula) der Dauer darm oder die bleibende Darmhöhle {Enteron) (Fig. 88 B, dh). Das geschieht dadurch, dass die beiden dorsalen, ursprünglich durch die Chorda-Platte (Fig. 88 A, ch) getrennten Seitenränder des Darm-Drüsenblattes {ik) unterhalb der Chorda in der Mittellinie zusammenwachsen und nunmehr für sich allein die Auskleidung der inf A. mf ;\ - -M Ih '^\Cs-X- f^ »Dn/ A- mp ch ak II ih ih '-^ dh - d ch inh Ih -/ 0 Fig. 88 A, B, 0. Querschnitte durch den Rückentheil von drei Triton-Keimen. Nach Hertwig. In Fig. A hegiiiiieii die Mediilljir-VVülste (die paifilleieii Kiiiider der Markplatte) sich zu erheben; in Fig. B wacliseii sie gegen einander; in Fig. 0 sind sie vereinigt und bilden das Medullär- Rohr, mp MeduUar-Platte, mf Meduilar-Falten, n Nervenrohr, cJi Chorda, Ih Leibesiiöhle, mk^, mk^ parietaler und visceraler Mesoblast, MW Urseguienthölilen, ah Kxoderm, ih Futoderm, Uz üotterzelleu, dk Darmhöhle. 238 Palingenetisclie und cenogenetische Coelomation. X. Darmhülile {dh) bilden (Enteroderm, Fig. 88 C). Alle diese wichtigen Veränderungen vollziehen sich zuerst vorn im Kopftheile des Keimes, und schreiten von da nach hinten fort; hier am hinteren Ende bildet die Umgebung des Urmundes, der bedeutungsvolle Urmund- rand (das Proper istoma) noch lange die Keimungsquelle {Blasto- crene\ oder die Neubildungszone für weitere Entwickelung. Man braucht nur aufmerksam die vorstehenden Figuren (82—88) vergleichend zu betrachten , um sich zu überzeugen , dass in der That die cenogenetische Coelomation der Amphibien von der palin- genetischen Form der Acranier (Fig. 76 — 81) direct sich ableiten lässt. Mit Recht konnte daher Hertwig auf Grund jener Ver- gleichung den folgenden wichtigen Satz aufstellen: „Schluss des bleibenden Darras an der Rückenseite, Abschuürung der beiden Leibessäcke vom inneren Keimblatt und Entstehung der Chorda dorsalis sind somit bei den Amphibien wie beim Amphioxus Pro- cesse, die auf das Innigste in einander greifen. Auch hier beginnt die Abschnürung der genannten Theile am Kopfende des Embryo und schreitet langsam nach hinten fort, wo noch lange Zeit eine Neubildungs - Zone bestehen bleibt, durch deren Vermittlung das Längenwachsthum des Köi-pers bewirkt wird." Derselbe Satz gilt nun aber auch für die A m n i o t e n , die drei höheren Wirbel thier-Klassen, obgleich hier durch die colossale Aus- l)ildung des Nahrungsdotters und die entsprechend stärkere Ab- plattung der Keimscheibe die Vorgänge der Coelomation noch mehr abgeändert und viel schwieriger zu erkennen sind. Da jedoch die ganze Gruppe der Amnioten erst, in verhältnissmässig später Zeit aus der Klasse der Amphibien sich entwickelt hat, muss auch die Coelombildung der ersteren von derjenigen der letzteren direct ab- zuleiten sein. In der That ist das auch der Fall; selbst schon aus älteren, ganz objectiven Darstellungen lässt sich errathen, dass auch hier die wesentlichen Verhältnisse dieselben bleiben. So bildete Kölliker schon vor dreissig Jahren, in der ersten Auflage seiner „Entwickelungsgeschichte des Menschen" (1861, S. 47) einige Querschnitte des Hühner-Keimes ab, deren Verhältnisse sich ohne weiteres auf die vorher geschilderten zurückführen und im Sinne von Hertwig"s Coclom-Theorio deuten lassen. Ein Querschnitt durch den Keim des l)ebrüteten Hühner-Eies gegen Ende des ersten Brüte-Tages zeigt in der Mittellinie der Rückenfläche eine breite exodermale Medullarrinne (Fig. 89 Rf), unterhalb deren Mitte die Chorda ich) und zu l)eiden Seiten derselben ein paar breite Mesoderm-Blätter {sp). Diese enthalten einen engen Spaltraum {uwh), der nichts X. Coelomation der Amnioten. 239 Anderes ist als die Anlage der Leibeshöhle. Die beiden Blätter, welche diese einschliessen, das obere Parietal - Blatt {hpl) und das untere Visceral-Blatt {df), sind nach aussen hin auf einander ge- presst, aber deutlich unterscheidbar. Noch klarer wird dies etwas später, wenn die Medullar-Furche bereits zum Nervenrohr geschlossen ist (Fig. 90 mr). Durch eine Längsfalte ist hier das Mesoderm Fig. 89. ...ung "f- ^ßpl Fig. 90. Fig. 89. Querschnitt durch den Coelomula-Keim des Vogels (von einem Hühner-Ei am Ende des ersten Tages der Bebrütung). Nach Kölliker. h Hornplatte (Exoderm), m Medullarplatte, Rf Rückenfalten derselben, Po Markfurche, cA Chorda, uv^p media- ler (innerer) Theil der Mittelblätter (Medial-Rand der Coelom-Taschen), sp lateraler (äusserer) Theil derselben oder Seitenplatten, uwh Anlage der Leibeshöhlen, dd Darm- drüsenblatt. Fig. 90. Querschnitt durch den Vertebrella-Keim des Vogels (von einem Hühner-Ei am zweiten Brütetage). Nach Kölliker. h Hornplatte, mr Medullar-Rohr, ch Chorda, u\o ürsegtnente, uwh Ursegment-Höhle (medialer Coelom-Rest), sp Laterale Coelom-Spalte, hpl Hautfaserblatt, t^Darmfaserblatt, ung Urnieren-Gang, ao Primitive Aorten, dd Darmdrüsenblatt. bereits in zwei Abschnitte jederseits zerfallen, eine innere (mediale) Ursegment-Platte {uw) und eine äussere (laterale) Seitenplatte ; so- wohl in der ersteren {uwK) als in der letzteren imp) ist der enge Coelom - Spalt sichtbar. Derselbe erweitert sich später zur secun- dären Leibeshöhle , indem das parietale Hautfaserblatt Qi'pl) und das viscerale Darmfaserblatt {df) auseinander weichen. Von besonderer Wichtigkeit ist dabei die Thatsache , dass die vier secundären Keimblätter auch hier bereits scharf geschieden und leicht von einander zu trennen sind. Nur in einem ganz be- schränkten Bezirke hängen dieselben eng zusammen und gehen thatsächlich in einander über ; und das ist der Bezirk des U r - m u n d e s , welcher bei den Amnioten zu einer dorsalen Längs- spalte, der P r i m i t i v r i n n e , ausgezogen ist. Die beiden seitlichen 240 Ooelouiation der Amnioten. 5t. Lippenränder derselben bilden den Primitivstreif, der schon längst als die wichtigste Keimungsquelle und der Ausgangspunkt weiterer Processe erkannt ist (die „Axenplatte" von Remak). Quer- schnitte durch diesen „Priraitiv-Streif (Fig. 91 und 92) zeigen uns, dass schon sehr frühzeitig (bei der Discogastrula des Hühnchens schon wenige Stunden nach der Bebrütung) die beiden primären Keimblätter im Primitiv-Streif (x) verwachsen, und dass von dieser verdickten Axenplatte aus (y) die beiden Mittelblätter rechts und links zwischen die ersteren hineinwachsen. Die beiden Lamellen I /l I '"' / "' ^' EEEOaiEIEDSlllßÜil Fi}<. 91 und 92. Querschnitt durch den Primitiv-Streif (Urinund) des Hühn- chens ; Fig. 91 wenige Stunden nach Beginn der Bebrütung, Fig. 92 etwas später (nach Waldeyer). k Hornplatte, n Nerven platte, m Hautfaserblatt, / Darmfaserblatt, d Darmdrüsenblatt, y Primitivstreif oder Axenplatte, in welcher alle vier Keimblätter zusammenhängen, x Anlage der Chorda, u Gegend der späteren Üruieren-Anlage. der Coelomblätter, das parietale Hautfaserblatt (m) und das viscerale Darmfaserblatt (f) erscheinen noch dicht aufeinander gepresst, und weichen erst später auseinander, um die Leibeshöhle zu bilden. Zwischen den inneren (medialen) Rändern der beiden platten Coelom- Taschen liegt die Chorda (Fig. 92 x), welche auch hier aus der Mittellinie der Rückenwand des Urdarms hervorgeht. Ganz ebenso wie die Coelomation der Vögel und Reptilien verhält sich auch diejenige der Säugethiere. Das ist von vorn- herein zu erwarten, da ja auch die eigenthümliche Gastrulation der Säugethiere phylogenetisch aus derjenigen der Reptilien hervor- gegangen ist. Hier wie dort entsteht aus dem gefurchten Ei eine Discogastrula stenostoma, eine zweiblättrige Keimscheibe mit engem, hinterem Urmund oder Primitiv-Streif (vergl. oben S. 203). Auch hier stehen die beiden primären Keimblätter nur in der Aus- X. Coelomula der Säugethiere. 241 dehnung des Primitiv - Streifs (au der Invaginations - Stelle der Blastula) in unmittelbarem Zusammenhang (Fig. 93 pr) , und von dieser Stelle aus (vom Properistom oder Urmundrande) wachsen rechts und links die beiden Mittelblätter (mJc) zwischen die ersteren hinein. An der schönen Abbildung, welche Van Beneden von der Coelomula des Kaninchens gegeben hat (Fig. 93), kann man zugleich sehr deutlich sehen , dass jedes der vier secundären Keimblätter bloss aus einer einzigen Zellenschicht besteht. nie mp pr ul ah inlc ,h Kig. 93. Querschnitt durch die Primitivrinne (Oder den Urmund) eines Ka- ninchens, nach Van Bknkden. -pr Urmund, ul LJrmund-Lippen (Primitiv-Falten), ah und ik äusseres und inneres Keimblatt, mk mittleres Keimblatt, mp Parietal-Hlatt, mv Visceral-Blatt des Mesoblasten. Als eine Thatsache, welche für unsere Anthropogenie die grösste Bedeutung und ein hohes allgemeines Interesse besitzt, müssen wir schliesshch hervorheben , dass auch die vierblättrige Coelomula des Menschen ganz dieselbe Bildung wie diejenige des Kaninchens Ttik ul Fig. 94 Querschnitt durch den Urmund (od. die Primitivrinne) eines Menschen (im Coelomula - Stadium). Nach Graf Spkk. Buch- staben wie in Fig. 9.S. (Fig. 93) liesitzt. Ein Querschnitt, welchen Graf Spee durch den Primitivstreif einer sehr jungen menschlichen Keimscheibe geliefert hat (Fig. 94), zeigt uns ganz deutlich, dass auch hier die vier secundären Keimblätter nur im Primitiv- Streifen untrennbar zu- H n c c Ic !• 1 . .\ntliropoKenio. 4. Aufl. 16 242 Homologie der secuii) und dem visceralen Mesoblasten {mv). Durch diese übereinstimmenden Ergebnisse der besten neueren Untersuchungen (die noch durch zahlreiche einzelne Beobachtungen vieler, hier nicht erwähnter Forscher bestätigt werden) ist die Einheit des Wirbelthier-Stammes auch in der Coelo- raation, ebenso wie in der Gastrulation, erwiesen. Hier wie dort erscheint der unschätzbare Amphioxus — der einzige lebende Ueberrest der Acranier — als das ursprüngliche reine Urbild, welches diese wichtigsten Keimungs- Vorgänge uns in palingenetischer Form durch zähe Vererbung bis heute getreu conservirt hat. Aus diesem primären Bildungs-Typus lassen sich alle die verschiedenen Keimungs-Formen der übrigen Wirbel thiere, der Cranioten, durch secundäre Abänderungen cenogenetisch ableiten. Die von mir be- hauptete allgemeine Entstehung der Gastrula durch Einstülpung der Blastula ist nunmehr für alle Wirbelthiere klar erwiesen ; in gleicher Weise aber auch die von Hertwig behauptete Entstehung der mittleren Keimblätter durch Einstülpung von ein paar Coelom- taschen, die vom Urmundrande ausgehen. Wie die Gastraea- Theorie die Entstehung und die Homologie der zwei primären Keim- blätter, so erklärt die Coelom-Theorie diejenige der vier secundäreu Keimblätter. Immer ist die Ursprungs - Stätte derselben das „Properistoma", der ursprüngliche Urmund-Rand der Gastrula, an welchem die beiden primären Keimblätter unmittel- bar in einander übergehen. Ausserdem ist aber die Coelomula desshalb höchst wichtig, weil unmittelbar daraus die Chordula hervorgeht, die ontogenetische Wiederholung jener uralten, typischen, ungegliederten Helminthen- Form, welche zwischen dorsalem Nervenrohr und ventralem Darm- rohr eine axiale Chorda besitzt. Diese bedeutungsvolle Chordula (Fig. 80 — 83) liefert uns einen werthvollen Stützpunkt für unsere Phylogenie; denn sie bezeichnet das wichtige Moment unserer Stammesgeschichte, in welchem sich der Stamm der C h o r d o n i e n (Mantelthiere und Wirbelthiere) von den divergirenden übrigen Stämmen der Metazoen (Gliederthieren , Sternthieren , Weich- thieren) für immer tiennte. X. 243 Sechste Tabelle. Uebersicht über die verschiedenen Gastrulations-Formen der Wirbelthiere. Klassen oder Haupt- gruppen der Wirbel- thiere. Eier und Nahxungsdotter. Besondere Form der Gastrula. Urmund, Prostoma (= Gastrula-Mund, = Blastoporus). I. Acrania (Amphioxus) Scliädellose. II. Cyclostoma (Petromyzon) Pricken. III. Fisces (Selachii , Ganoides partim, Teleostei) Fische. IV. Ganoides (partim) (Accipenseriden oder Störe). V. Amphibia (geschwänzte Sala- mander und schwanz- lose Frösche). VI. Amniota meroblasta (Keptilia, Aves, Mono- trema). VII. Didelphia (Marsupialia) Beutelthiere. VIll. Placentalia Placent.'il-Thiere odei Clioriata (Zottenhaut-Thiere) Eier der Schädellosen klein , holoblastisch. ohne selbstständigen Nahrungsdotter. Eier der Pricken klein , holoblastisch, mit gefurchtem Nahrungsdotter. Eier der meisten Fische meroblastisch, mit mehr oder weniger grossem , ungefurch- tem Nahrungsdotter. Eier der Störe (Chon- droganoiden) klein, holoblastisch, mit rückgebildetem , ge- furchtem Nahrungs- dotter. Eier der Am])hibien klein , holoblastisch, mit rückgebildetem, gefurchtem Nahrungs- dotter. Leptogastrula bilateralis. Urdarm leer. Ento- derm eine einfache Zellenschicht. Amphigastrula cyclostoma. ürdarm gefüllt mit gefurchtem Nahrungs- dotter. Discogastrula eurystoma. Urdarm gefüllt mit un- gefurchtem Nahrungs- dotter, meistens mit Dottersack. Amphigastrula eurystoma. Urdarm gefüllt mit gefurchtem Nahrungs- dotter. Amphigastrula stenostoma. Urdarm in der Bauch- wand mit Dotterdrüse Eier der meroblasti- | Discogastrula sehen Amnioten sehr { stenostoma. gross, mit volumi- Ürdarm-Wand mit nösem, ungefurchtem | grossem , bauchstän- Nahrungsdotter. ' digem Dottersack. Eier der Beutelthiere klein. Nahruiigsdottei verflüssigt. Die vier ersten Blastomeren gleich. Eier der Placental- thiere klein. Nahrungsdotter ver- flüssigt. Die zwei ersten Blastomeren ungleich. Epigastrula didelphium Urdarm-Wand mit kleiner Dofterblase (Nabelblase). Epigastrula monodelphium. Ürdarm-Wand mit kleiner Dotterblasu (Nabelblase). Urmund eng , kreis- rund, am Vegetal-Pol der Hauptaxe ; Dorsal- Lippe oben. Ventral - Lippe unten (am Hin- terende). Urmund eng, kreis- rund, am Vegetal-Pol der Hauptaxe. Dorsal- Lippe oben, Ventral- Lippe unten. Urmund sehr weit, kreisrund, vom ganzen Umfang der Keim- scheibe gebildet. Dor- sal-Lippe hinten, Ven- tral-Lippe vorn. Urmund weit , vom Aequator der Eikugel gebildet. Dorsal-Lippe hinten, Ventral-Lippe vorn. Urmund eng , mit Dotterpfropf am Aboral-Pol. Dorsal- Lippe oben, Ventral- Lippe unten. Urmund eng, spalt- förmig, als „Primi- tivrinne" oder Primitivstreif erschei- nend. Dorsal-Lippe vorn , Ventral-Lippe hinten. Urmund sehr eng, als Primitivrinne auftretend, spalt- förmig. Urmund sehr eng, als Primitiv- rinne auftretend, spaltförmig. la 244 X. Siebente Tabelle. Uebersicht über die Namen der Keimblätter. Schichtenbau. (Synonyme der vier secundären Keimblätter). 1. Exoderma. Aeusseres Keinabhitt. K p i b I a s t. Ectoblastus Blatt (Kmpfinduiigs- Schitht>. Ectoblast. II. Mesoderma. Mittleres Keimblatt. M e s o b 1 a s t. Mesoblastns Sensorisches Motorisch-germinatives Blatt (Bewegungs-Sehicht und Zeu-^ungs- Schicht). Meaoblast und Mesenchym. S i n n e s b 1 a 1 1. M u s k e 1 b 1 :i 1 1. G e f ä s s b 1 a 1 1. Neuralblatt Parietal-Blatt. Visceralblatt. Aeusseres Grenzblatt. Aeusseres Mittelblatt., Inneres Mittelblatt. I Methorium externum. Fibrosum exteiiium. , Fihro»um internvvi. A u i m a 1 es Decke II blatt. A n i m !i 1 e s Faserblatt. Neuroblast Ijamlna neuroilermalis H a u t s i n II e s - blatt. Ectoblast (Haupt-Producte: Sinneszellen und Nerven ; O b e r h a u t). Hautschicht. Epidermis. Myoblast Lamiva iiiodermalis . li autfaser- blatt Dermoblast (Haupt-Producte : M u s k e 1 z e 1 1 e n und Skelet ; L e d e r li au t). Vegetales Faser blatt. Oonoblast Lamina inogastralts. D a r m f a s e r - blatt. Angioblast (Haupt-Producte : Geschlechts- zellen und Blutgefässe; G e f ä s s li a u t). iFli i s c li s c h i c h t. G e f ä s s s c h i c h t. Myoderviis. Haemodermia. 111. Entoderma Inneres Keimblatt. H y p o b 1 a s t. EndoblastuB Trophisehes Blatt (Ernährungs- Schiclit). Entoblast S c h 1 e i m b 1 a 1 1. Enteralblatt Inneres Grenzblatt. Mtthorium internmn. Vegetales Deckeublatt. Enteroblast Lamina endogastralis- l) a r m d r ü s e n - blatt. Endoblast (Haupt-Producte: Drüsen Zellen und Darm-Epithel ; Sohle i m li a u t ) S c h 1 ei in .sc li i c 1) t. (rastrodcrmis. Leibeswand S o in a t o p 1 e 11 r a Aiiiinales Dnppelblatt. Darmwand S p I a n c h n o p 1 e u r a. \'egctale.s DuppelMatt. X. 245 Achte Tabelle. Uebersicht über die vier Hauptgruppen der Metazoen , welche nach der Zahl der Keimblätter unterschieden werden können. Eeimgruppe . Keimblätter. I. Einblättrige T Ii i e r e. Monoblastica (ohne Urdarm). II. Z w e i b lät tr ig e Th i ere. Diploblastica (mit Urdarm). III. Dreiblättrige T h i e r e . Triploblaetica (mit Darmhöhle — Gastrocanal-System, stets ohne After — ohne Leibeshöhle). 1. Blastoderma (Keimhaut). 1. Exoderma (Ectoblastus). 2. Entoderma (Endoblastus). IV. V ie r b 1 ä 1 1 ri g e Thiere. Tetrablastica (mit Darmhöhle und mit Leibesbeshöhle; meistens mit After und mit Blutgefässen). 1. Exoderma Hautblatt. 2. Mesoderma (in Form von Mesen- chym) Mittelblatt. 3. Entoderma Darmblatt. 1. Nearalblatt Hflutsinnesblatt N c u r o b 1 a s t. 2. Farietalblatt Hautfaserblatt Myoblast. 3. Visceralblatt Darmf.iserblatt G o n obl a s t. 4. Enteralblatt Darmdrüsenblatt Enterobla Sit. Keimform. Thierklassen. Blastula. Blasenlarve (mit Keimhöhle oder Blastocoel). Gastrula. B e c h e r 1 a r V e (mit Urdarmhöhle und Urmund ; Progaster und Prostoma). Mesomula. Massenlarve oder Embryo mit massivem Mesenchym zwischen den beiden primären Keim- blättern. Coelomula. T a s c h e n 1 a r v e oder Embryo mit Darmhöhle und Leibeshöhle. Darmwand aus den beiden inneren Blättern (Darm- blättern) gebildet, Leibeswand aus den beiden äusseren (^Hautblättern). Blastaeaden (Volvocina, Catallacta, Magosphaera). Gastraeaden (Physemaria, Olynthus, Hydra. Die niederen Coelen- terien). Die meisten Coelenterien (Spongien, Acraspeden, Korallen, Ctenophoreii, Platoden). Niederste Coelomarien. Die meisten C oe loma rie u : Helminthes (grosse Mehrzahl). Mollusca, Echinoderma, A r t i c u 1 a t a, (Annelides, Crustacea, Tracheata). T u n i c a t a , Vertebrata (Acrania, Craniota), 246 X. Neunte Tabelle. Uebersicht über die sechs Fundamental- Organe (A) und die drei Körperhöhlen (B) der Chordula, und ihre Entstehung aus den Keimblättern. A Die Fundamental-Organe der Chordiila. I. und II. Die beiden! „ , , . Grenzblätter oder I Sonderung der vier primären Keimblätter. I. Primitiv-Organe des äussetpu oder oberen Keimblattes: Ezoderm oder Ectoblast (Animales Blatt) Ep ib las t. 1. Oberhaut der Chordula (= Exoderm der Gastrula). 2. Dorsaler Median- Theil der Oberhaut. 1. Cer a t 0 b H o r n p 1 a t (Decken-Ectoblast) last, r tte I blast). I 2. N eu r o b 1 as t. Markplatte {Nervenplatte) Nerven-Ectoblast. Epidermis. Oberhaut (und ihre Anhänge). ( 2. Medullar-Bohr. Nerveu-Centrum (Gehirn und Rücken- Imark) und peripheres V Nervensystem. II. Primitiv-Organe des inneren oder unteren Keimblattes; Entoderm oder Endoblast (Vegetales Blatt) Hypoblast. 3. Median-Theil der Riickenwand des Urdarms. 4. und 5. Die beiden Blätter der Coelom- Taschen (Aeussereund innere Lamelle). Paarige Seitentheile I der Rückenwand desj Urdarms. ! Bauchwand des Urdarms. 3. Chordablast ; (Chorda- Platte) (Axen-Endoblast). 4. Parietal- Mesoblast (Aeusseres Blatt der Coelom-Taschen) . Lederplatte. 5. Visceral- M esoblast (Inneres Blatt der Coelom-Taschen). Gefässplatte. 6. Enteroblast (Decken-Endoblast). (Darm-Endoblast.) 3. Chorda dorsalis (Axenstab) Skelet-Axe. f 4. Hautfaser-Blatt (Aeusseres Mittel- ' blatt) Musculöses Faserblatt V der Leibeswand. [ 5. Darmfaser-Blatt I (Inneres Mittelblatt). I Musculöses Faserblatt I der Darmwand. /6. Darmdrüsen-Blatt. I Enteroderm '(Epithelien des Darm- Irohrs und der Darm- l drüsen). B. Primäre Höhlen im Leibe der Chordula. I. Animale Höhle. II Vegetale Höhlen. Wand gebildet von Exoderm -F^pitheiien. Jw ände gebildet von Entoderm-Epithelien. Unpaares Nerven- rohr. '2 a. und 2 b. Paarige Coelom-Taschen. Unpaares röhr Darm- Höhle des Nerven- rohrs. Medullar-Canal 2 a und 2 b. Rechte [und linke Leibeshöhle Coeloma. Höhle des Dauer- darms. Gaatrocoel Elfter Vortrag. Die Wlrbelthier-Natur des Menschen. „Erkenne Dich selbst ! Das ist der Quell aller Weisheit, sagten grosse Denker der Vorzeit, und man grub den Satz mit goldenen Buchstaben in die Tempel der ßötter. Sieb selbst zu erkennen, erklärte Linne für den wesentlichsten unbestreitbaren Vorzug des Menschen vor allen übrigen Geschöpfen. In der That weiss ich keine Untersuchung, welche des freien und denkenden Menschen würdiger wäre, als die Er- forschung seiner selbst. Denn fragen wir uns nach dem Zwecke unseres Daseins, so werden wir ihn unmöglich ausser uns setzen können. Für uns selbst sind wir da!" Karl Ernst Baer (1824). Stammes-Einheit der Wirbelthiere. Wesentlicher Charakter der Vertebraten-Struetur. Amphioxus und Prospondylus, Urwirbel- thiere. Chorda als centrales Axen-Skelet. Animaler Rückenleib mit Nervenrohr. Vegetaler Bauchleib mit Darmrohr. Kopfhälfte mit Gehirn und Kiemendarm, Bumpfhälfte mit Rückenmark und Leberdarm. Inhalt des elften Vortrages. Die Bundesgenossenschaft der vergleichenden Anatomie und Ontogenie. Stellung des Menschen im zoologischen System. Die Typen oder Stämme des Thierreichs. Die phylogenetischen Beziehungen der zwölf Thierstämme. Protozoen und Metazoen. Coelenterien und Coelomarien. Die Einheit dos Wirbelthierstammes, mit Inbegriff des Menschen. Wesentliche Charakter-Züge der Vertebraten. Amphioxus und das hypothetische Urwirbelthier (Prospnndylus). Scheidung des einfachen bilateralen Körpers in Kopf und Rumpf. Axenstab oder Chorda. Die Antimeren oder symmetrischen Körper- hälften. Medullar-Rohr oder Nervenrohr (Gehirn und Rückenmark). Drei Paar Sinnesorgane (Nasen . Augen , Ohren). Chordascheide (Perichorda). Musculatur. Lederhaut. Oberhaut. Leibeshöhle. Darmcanal. Kiemendarm in der Kopfhälfte ; Leberdarm in der Rumpfhälfte. Kiemen und Lungen. Magen und Dünndarm. Leber. Blutgefässe und Herz. Vornieren (Pronephridien). Segmentale Geschlechts-Organe (Gonaden). Metamerie oder Gliederung der Wirbelthiere. Litteratur : Johannes Möller, 18.H3 Handbuch der Physioloijie des Menschen. {IV. Auf,. 1844.) D er s elb e , 18.35 — 1843. Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Carl Oegenbaur, 1874. Grundriss der vergleichenden Anatomie. {II. Aiiß. 1878.) Thomas Huxley, 1863. Die Stellung des Menschen in der Natur. Derselbe, 1873. Handbuch der Anatomie der Wirbelthiere. Carl Gegenbaur, 1883. Lehrbuch der Anatomie des Menschen. [IV. Auß. 1890.) Robert Wiedersheim, 1884. Grundriss der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere. {IL Auß. 1888.) Derselbe, 1887. Der Bau des Menschen als Zeugniss für seine Vergangenheit. XT. Meine Herren ! Auf dem labyrinthisch verschlungenen Wege unserer indivi- duellen Entwickelungsgeschichte haben wir jetzt bereits mehrere feste Stützpunkte durch die Erkenntniss jener bedeutungsvollen Keimformeii gewonnen, die wir als Cytula, Morula, Blastula, Gastrula, Coelomula, Chordula unterschieden haben. Vor uns liegt aber nun- mehr die schwierige Aufgabe, die complicirte Gestalt des mensch- lichen Körpers mit allen seinen verschiedenen Theilen , Organen, Gliedern u. s. w. aus der Gestalt der einfachen Chordula abzu- leiten. Die Entstehung dieser vierblättrigen Keimform aus der zweiblättrigen Gastrula haben wir bereits früher betrachtet. Die beiden primären Keimblätter, welche den ganzen Körper der Gastrula bilden, und die beiden, zwischen ihnen entwickelten Mittelblätter der Coelomula sind die vier einfachen Zellschichten oder Epithelien, aus denen allein sich die verwickelte Gestalt des ausgebildeten menschlichen und thierischen Körpers aufbaut. Die Erkennt- niss dieses Aufbaues ist so schwierig, dass wir uns zunächst nach einer Bundesgenossin umsehen wollen, die uns über viele Hinder- nisse hinweghelfen wird. Diese mächtige Bundesgenossin ist die Wissenschaft der ver- gleichenden Anatomie. Sie hat die Aufgabe, durch Verglei- chung der ausgebildeten Körperformen bei den verschiedenen Thier- gruppen die allgemeinen Gesetze der Organisation zu erkennen, nach denen der Thierkörper sich aufbaut; zugleich soll sie durch kritische Abschätzung des Unterschiedsgrades zwischen den ver- schiedenen Thierklassen und den grösseren Thiergruppen die syste- matischen Verwandtschafts - Verhältnisse derselben feststellen. Während man früher diese Aufgabe in einem teleologischen Sinne auffasste und in der thatsächlich bestehenden zweckmässigen Or- ganisation der Thiere nach einem vorbedachten „Bauplane" des Schöpfers suchte, hat sich neuerdings durch Feststellung der De.' 250 Die Typen-Theorie von Cuvior und Baer. !SI. scendenz - Theorie die vergleichende Anatomie viel mehr vertieft ; ihre philosophische Aufgabe hat sich dahin gesteigert, die Ver- schiedenheit der organischen Formen durch die Anpassung, ihre Aehnlichkeit durch die V e r e r b u n g zu erklären. Zugleich soll sie in der stufenweise verschiedenen Form - Verwandtschaft den ver- schiedeneu Grad der Bluts - Verwandtschaft zu erkennen , und den Stammbaum des Thierreiches annähernd zu ergründen suchen. Die vergleichende Anatomie ist hierdurch in die innigste Verbin- dung einerseits mit der vergleichenden Ontogenie, anderseits mit der Systematik der organischen Körper getreten. Wenn wir nun fragen, welche Stellung der Mensch unter den übrigen Organismen nach den neuesten Errungenschaften der ver- gleichenden Anatomie und Systematik einnimmt, wie sich die Stel- lung des Menschen im zoologischen Systeme durch Vergleichung der entwickelten Körperformen gestaltet, so erhalten wir darauf eine ganz bestimmte und bedeutungsvolle Antwort; und diese Antwort giebt uns für das Verständniss der embryonalen Entwickelung und für ihre phylogenetische Deutung ausserordentlich wichtige Auf- schlüsse. Seit CuviER und Baer, seit den gewaltigen Fortschritten, welche durch diese beiden grossen Zoologen in den ersten Decen- nien unseres Jahrhunderts herbeigeführt wurden, ist die Ansicht zu allgemeiner Geltung gelangt, dass das ganze Thierreich in eine ge- ringe Anzahl von grossen Hauptabtheilungen oder Typen zerfällt. Typen nennt man sie , weil ein gewisser typischer oder charak- teristischer Körperbau innerhalb jeder dieser Abtheilungen sich constant erhält. Neuerdings, nachdem wir auf diese berühmte Typenlehre die Descendenz-Theorie angewendet haben, sind wir zur Erkenntniss gelangt, dass dieser gemeinsame „Typus" die Folge der Vererbung ist; alle Thiere eines Typus stehen in dem Ver- hältnisse unmittelbarer Blutsverwandtschaft zu einander, sind Glieder eines Stammes und können von je einer gemeinsamen Stammform abgeleitet werden. Cuvier und Baer nahmen vier solche Typen an: die Wirbelthiere {Verfehrata), Gliederthiere {Ärticulata), Weich- thiere (Mollusca) und Strahlthiere (Radiata). Die drei ersten von diesen vier alten Typen bestehen auch noch heute und können als natürliche phylogenetische Einheiten, als Stämme oder Phylen, im Sinne der Descendenz-Theorie aufgefasst werden. Ganz anders steht es mit dem vierten Typus, den Strahlthieren. Diese Radiaten, im Anfange unseres Jahrhunderts noch sehr wenig bekannt, bildeten damals die Rumpelkaüimer, in welcher man alle niederen, nicht zu jenen drei ersten Typen gehörigen Thiere zusammenwarf. Als man XI. Die zwölf Stämme des Thierreichs. 251 sie dann im Laufe der letzten sechzig Jahre genauer kennen lernte, ergab sich , dass darunter mindestens vier bis acht verschiedene Typen unterschieden werden müssen. Somit ist die Gesammtzahl der thierischen Stämme oder Phylen jetzt auf acht bis zwölf ge- stiegen (vergl. den XX. Vortrag). Diese zwölf Stämme des Thierreichs sind nun aber keineswegs coordinirte, von einander unabhängige Typen, sondern stehen in be- stimmten, theilweise subordinirten Beziehungen zu einander und haben eine sehr verschiedene phylogenetische Bedeutung. Sie dürfen daher nicht einfach in einer Reihe hinter einander aufgeführt werden, wie bis vor zwanzig Jahren fast allgemein geschah und auch heute noch in vielen Lehrbüchern geschieht. Vielmehr müssen dieselben in drei subordinirte Hauptgruppen von ganz verschiedenem Werthe zusam- mengefasst und die einzelnen Stämme nach denjenigen Principien phylogenetisch geordnet werden, welche ich zuerst 1872 in meiner Monographie der Kalkschwämme (I, S. 465) aufgestellt und sodann in den „Studien zur Gastraea - Theorie" weiter ausgeführt habe. Demnach haben wir zuerst die einzelligen Urthiere {Protozoa) von den vielzelligen Darmthieren {Metazoa) zu trennen; nur diese letzteren, nicht jene ersteren, zeigen die wichtigen Vorgänge der Eifurchung und Gastrulation ; nur die Metazoen besitzen einen Urdarm, bilden Keimblätter und Gewebe. Die Metazoen, die Gewebthiere oder Darmthiere, zerfallen dann wieder in zwei Hauptabtheilungen, je nachdem sich zwischen den beiden primären Keimblättern eine Leibeshöhle entwickelt oder nicht; wir können diese beiden Hauptgruppen als Niederthiere ( Coelenteria) und Oberthiere ( Coelomaria) unterscheiden ; erstere werden auch oft Zoophyta oder Coelenterata genannt, letztere Bila- teria oder Bilaterata. Diese Unterscheidung ist um so wichtiger, als die Niederthiere (ohne Coelom) niemals Blut und Blutgefässe besitzen ; auch fehlt ihnen stets der After. Die Oberthiere hingegen (mit licibeshöhle) besitzen meistens auch einen After, sowie Blut und Blutgefässe. Zu den Niederthieren oder Coelenterien ge- hören vier Stämme: die Histonagi (die ältesten Metazoen, Blastae- aden und Gastraeaden), die Schwämme (Spongiae)^ die Nessel thiere (Cnidaria) und die Plattenthiere {Piatodes). Hingegen können wir unter den Oberthieren oder Coelom arien nicht weniger als sechs Stämme unterscheiden ; unter diesen bilden die tiefstehenden Wurm- thiere (Helminthes) die gemeinsame (von den Platoden abgeleitete) Stammgruppe, aus welcher sich die fünf übrigen, typischen Stämme der Coelomarien entwickelt haben: die ungegliederten VVeichthiere 252 Die Wirbelthier-Natnr des Menschen. XI. {Mollusca), die fünfstrahligen Steriithiere {Echinoderma), die Glieder- thiere (Ärticulata), die Mantelthiere {Tunicata) und die Wirbelthiere {Vertebrata). Der Mensch ist seinem ganzen Körperbau nach ein echtes Wirbelthier, und entwickelt sich aus dem befruch- teten Ei genau in derselben charakteristischen Weise, wie alle übrigen Vertebraten. Ueber diese fundamentale Thatsache kann gegenwärtig nicht der mindeste Zweifel mehr bestehen, und ebenso- wenig darüber, dass alle Wirbelthiere eine natürliche phylogene- tische Einheit bilden, einen einzigen Stamm. Denn sämmt- liche Glieder dieses Stammes, vom Amphioxus und den Cyclostomen bis zu den Affen und Menschen hinauf, besitzen dieselbe charakte- ristische Lagerung, Verbindung und Entwickelung der Central- Organe, und entstehen in gleicher Weise aus der gemeinsamen Keimform der Chordula. Ohne nun hier auf die schwierige Frage von der Herkunft dieses Stammes einzugehen, müssen wir doch jetzt schon die wichtige Thatsache feststellen, dass der Vertebraten- Stamm zu sechs von den elf übrigen Stämmen in gar keiner directen verwandtschaftlichen Beziehung steht; diese sechs entfernteren Phylen sind die Infusorien, Spongien, Cnidarien, Mollusken, Articu- laten und P^chinodermen. Dagegen bestehen wichtige , und zum Theil nähere phylogenetische Beziehungen zu den fünf übrigen Stämmen: zu den Rhizopoden (durch die Amoeben), zu den Histo- nagen (durch die Blastula und Gastrula), zu den Platoden und Helminthen (durch die Coelomula), sowie zu den Tunicaten (durch die Chordula). In welcher Weise diese phylogenetischen Beziehungen bei dem gegenwärtigen Zustande unserer Kenntnisse zu deuten sind, und welche Stellung demnach die Wirbelthiere im Stammbaum des Thierreichs einnehmen, das werden wir später zu untersuchen haben (im XX. Vortrage). Gegenwärtig wird es unsere nächste Aufgabe sein, die Wirbelthier-Natur des Menschen noch schärfer in's Auge zu fassen und vor Allem die wesentlichen Eigenthümlich- keiten der Organisation hervorzuheben , durch welche sich der Vertebraten - Stamm von den elf übrigen Stämmen des Thierreichs durchgreifend unterscheidet. Erst durch diese vergleichend - ana- tomischen Betrachtungen werden wir in den Stand gesetzt, uns auf dem schwierigen Wege unserer Keimesgeschichte zurecht zu finden. Denn die Entwickelung selbst der einfachsten und niedrigsten Wirbelthiere aus jener einfachen Chordula (Fig. 80—83) ist immerhin ein so verwickelter und schwer zu verfolgender Vorgang, XI. Der wesentliche Wirbelthier-Charakter. 253 dass man nothwendig die Grundzüge der Organisation des ausge- bildeten Wirbelthieres bereits kennen muss, um den Gang seiner Entwickelung zu begreifen. Ebenso nothwendig ist es aber auch, dass wir uns l)ei dieser übersichtlichen anatomischen Charakteristik des Wirbelthier-Organismus nur an die wesentlichen. Thatsachen halten, und alle unwesentlichen bei Seite lassen. Wenn ich Ihnen demnach jetzt zunächst eine ideale anatomische Darstellung von der Grundgestalt des Wirbelthieres und seiner inneren Organisation entwerfe, so lasse ich alle untergeordneten Eigenschaften bei Seite und beschränke mich nur auf die wichtigsten Charakter-Züge. Allerdings wird Ihnen da wahrscheinlich Vieles als sehr „wesent- lich" erscheinen , was im Lichte der vergleichenden Anatomie und Entwickelungsgeschichte nur von untergeordneter, secuudärer Be- deutung, oder selbst ganz unwesentlich ist. Unwesentlich in diesem Sinue sind z. B. Schädel und Wirbelsäule, unwesentlich sind ferner die Extremitäten oder Gliedmaassen. Freilich besitzen diese Körper- theile eine sehr hohe physiologische Bedeutung: ja sogar die höchste ! Aber für den morphologischen Begrili" des Wirbel- thieres sind sie deshalb unwesenthch, weil sie nur den höheren Wirbelthieren zukommen, den niederen aber fehlen. Die niedersten Wirbelthiere haben weder Schädel und Wirbel, noch besitzen sie Extremitäten oder Gliedmaassen. Auch der menschliche Embryo durchläuft ein Stadium, in welchem er ebenfalls noch keinen Schädel und keine Wirbel besitzt, in welchem der Rumpf noch vollständig einfach erscheint, in welchem von Gliedmaassen, von Armen und Beinen noch keine Spur vorhanden ist. In diesem Stadium der Entwickelung gleicht der Mensch und jedes andere höhere Wirbel- thier wesentlich derjenigen einfachsten Vertebraten-Form , welche nur noch ein einziges, gegenwärtig lebendes Wirbelthier zeitlebens bewahrt. Dieses einzige niederste Wirbelthier, das die allergrösste Beachtung verdient, nächst dem Menschen unzweifelhaft das interes- santeste aller Wirbelthiere, ist das berühmte, schon mehrfach von uns betrachtete Lanzetthierchen oder der A m p h i o x u s (Taf. X und XI). Da wir dasselbe später (im XYI. und XVII. Vor- trage) genau untersuchen werden , will ich hier nur ein paar vor- läufige Bemerkungen darüber vorausschicken. Der Amphioxus lebt im Sande des Meeres vergraben , er- reicht eine Länge von 5 — 7 Centimeter und hat in vollkonnnen ausgebildetem Zustande die Gestalt eines ganz einfachen länglich- lanzetförmigen Blattes. Desshalb wurde er Lanzetthierchen genannt. Der schmale Körper ist von beiden Selten zusammengedrückt, nach 254 Amphioxus, das reale Urwirbeltliier. Xl. voru und hiuten fast gleichmässig zugespitzt, ohne jede Spur von äusseren Anhängen, ohne Gliederung des Körpers in Kopf, Hals, Brust, Unterleib u. s. w. Seine ganze Gestalt ist so einfach, dass sein erster Entdecker es für eine nackte Schnecke erklärte. Erst viel später, .vor einem halben Jahrhundert, wurde das merkwürdige kleine Wesen genauer untersucht, und nun stellte sich heraus, dass dasselbe ein wahres Wirbelthier ist. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass dasselbe die grösste Bedeutung für die vergleichende Anatomie und Ontogenie der Vertebraten, also auch für die Phylo- genie des Menschen besitzt. Denn der Amphioxus verräth uns das wichtige Geheimniss des Ursprungs der Wirbelthiere aus den wirbel- losen Wurmthiereu, und schliesst sich in seiner Entwickelung und seinem Körperbau unmittelbar an gewisse niedere Mantelthiere, an die A seidien an. Wenn wir nun durch den Körper dieses Amphioxus mehrere Schnitte legen, erstens senkrechte Längsschnitte durch den ganzen Körper in der Richtung von vorn nach hinten, und zweitens senk- rechte Querschnitte durch denselben von rechts nach links, so be- kommen wir anatomische Bilder, die für uns sehr lehrreich sind. (Vergl. Fig. 95—99 und Taf. X und XL) Sie entsprechen nämlich im Wesentlichen dem Ideale, welches wir uns durch Abstraction mit Hülfe der vergleichenden Anatomie und Ontogenie von dem Urtypus oder dem Urbilde des Wirbelthier es überhaupt entwerfen können ; von der längst ausgestorbenen Stammform, welcher der ganze Stamm seinen Ursprung verdankt. Da wir die phylogenetische Einheit des Vertebraten-Stammes für zweifellos halten und für alle Wirbelthiere, vom Amphioxus bis zum Menschen hinauf, die geraeinsame Abstammung von einer uralten Stammform annehmen, so sind wir auch berechtigt, uns von diesem U r w i r b e 1 - thi G Y a (Prospondylus oder Vertebraea) eine bestimmte morpho- logische Vorstellung zu machen. Wir brauchen an den realen Durchschnitten des Amphioxus nur geringe und unwesentliche Aenderungen vorzunehmen, um zu einem solchen idealen anatomi- schen Bilde oder Schema von der Urform des Wirbelthieres zu gelangen , wie uns Fig. 95 — 99 zeigt. Der Amphioxus weicht so wenig von dieser Urform ab, dass wir ihn geradezu in gewissem Sinne ebenfalls als ein modificirtes „Urwirb elthier" bezeichnen können. (Vergl. Taf. X und XI mit Fig. 95—99.) Die äussere Gestalt unseres hypothetischen Urwirbelthieres war jedenfalls sehr einfach , und wahrscheinlich derjenigen des Lanzetthieicheus mehr oder weniger ähnlich. Der bilaterale oder XI. Prospondylus, das ideale Üiwirbeltliier. 255 zweiseitig-symmetrische Körper wird langgestreckt und seitlich zu- sammengedrückt gewesen sein (Fig. 95 — 97), im Querschnitt oval (Fig. 98, 99). Aeussere Gliederung und äussere Anhänge, in Form von Gliedmaassen, Beinen oder Flossen, fehlten. Dagegen ist viel- leicht die Scheidung des Körpers in zwei Hauptabschnitte, Kopf und Rumpf, bei unserem Prospondylus deutlicher gewesen, als bei seinem wenig veränderten Urenkel, dem Ämphioxus. In beiden Thieren enthält die vordere Körperhälfte oder der Kopf andere Hauptorgane als der Rumpf, und zwar eben so wohl auf der Rückenseite als auf der Bauchseite. Da diese wichtige Scheidung auch bereits bei den Ascidien zu finden ist, jenen bedeutungsvollen wirbellosen Stammverwandten der Wirbelthiere, so dürfen wir an- nehmen, dass sie bereits bei den P roch ordonien bestand, den gemeinsamen Vorfahren beider Stämme. Sie ist auch bei den jugendlichen Larven der Cyclostomen (Tai XI, Fig. 16) sehr aus- gesprochen, und das ist um so interessanter, als diese palingenetische Larvenform auch in anderer Hinsicht ein wichtiges Bindeglied zwischen den höheren Wirbelthieren einerseits und den Schädel- losen {Äcrania) anderseits darstellt. Der Kopf der Acranier, oder die vordere Körperhälfte (sowohl des realen Ämphioxus, als des idealen Prospondylus), enthält in der Bauchhälfte den Kiemendarm und das Herz, in der Rücken- hälfte das Gehirn und die Sinnesorgane. Der Rumpf hingegen, oder die hintere Körperhälfte, schliesst in der Bauchhälfte den Leberdarm und die Geschlechtsdrüsen ein , in der Rückenhälfte hingegen das Rückenmark und den grössten Theil der Musculatur. Auf dem Längsschnitte durch das Urbild des Wirbelthieres (Fig. 95) zeigt sich in der Mitte des Körpers ein dünner und bieg- samer, aber fester Stab von cylindrischer Gestalt, welcher vorn und hinten zugespitzt endet (cA). Derselbe geht der ganzen Länge nach mitten durch den Körper hindurch und bildet als centrale Skelet- Axe die ursprüngliche Grundlage des späteren Rückgrates oder der Wirbelsäule. Es ist der Axenstab oder die Chorda dorsalis, auch Chorda vertehralis, Wirbelstrang, Axeustrang, Wii'belsaite, Rückensaite, Notochorda oder kurzweg Chorda genannt. Dieser feste, aber zugleich l)iegsame und elastische Axenstab besteht aus einer knorpelartigen Zellenraasse und bildet das innere Axen-Skelet oder centrale Gerüst des Körpers, welches ausschliesslich die Wirbelthiere und Mantelthiere besitzen, und welches allen übrigen Thieren gänzlich fehlt. Als erste Anlage des Rückgrats besitzt er bei allen Wirbelthieren, vom Ämphioxus bis zum iMenscheu liinauf, 256 Das ideale Urwirbelthier. oh .'• k mn a r ms XI. Fig. 97. b - Fig. 98. Fig. 95 — 99. Das ideale Urwirbelthier (Prospondylns). Schema. Fig. 95. Seiten-An- .sicht (von links). Fig. 96. Rücken-Ansicht. Fig. 97. Baucli-Ansicht. Fig. 98. Querschnitt durch den Kopf (links durch die Kiementasche, Fig. 99. rechts durch die Kiemenspalte) Fig. 99. Querschnitt durdi den Rumpf (rechts ist ein Vornieren-Csnal getroflfen). a Aorta, af After, au Auge, b Seitenfurche (Urnieren- gang), c Coelom (Leibeshöhle), d Dünndarm, e Parietal-Auge (Epiphysis), / Flossen- XI Körperhälften der Wirbelthiere. 257 überall dieselbe fundamentale Bedeutung. Aber nur beim Amphioxus und den Cyclostomen bleibt der Axenstab in seiner einfachsten Gestalt zeitlebens bestehen. Beim Menschen und allen höheren Wirbelthieren hingegen ist er nur im frühesten Keimzustande zu finden und wird später durch die gegliederte Wirbelsäule ersetzt. Der Axenstab oder die Chorda ist die reale feste Hauptaxe des Wirbelthier-Körpers, welche zugleich der idealen Längsaxe ent- spricht und uns zur Orientirung über die allgemeinen Lagerungs- Verhältnisse der wichtigsten Organe der Vertebraten als feste Richtschnur dient. Wir stellen uns dabei den Wirbelthier - Körper in seiner ursprünglichen, natürlichen Lagerung vor, wobei die Längs- axe horizontal oder wagerecht liegt, die Rückenseite nach oben, die Bauchseite nach unten (Fig. 95). Wenn wir durch diese Längs- axe in ihrer ganzen Länge einen senkrechten Durchschnitt legen, so zerfällt dadurch der ganze Körper in zwei Seiteuhälften, welche symmetrisch gleich sind : rechte und linke Hälfte. In beiden Hälften liegen ursprünglich ganz dieselben Organe, in derselben gegen- seitigen Lagerung und Verbindung; nur ihr Lagen-Verhältniss zur senkrechten Schnittebene oder Mittelebene ist gerade umgekehrt; die linke Hälfte ist das Spiegelbild der rechten. Beide Seitenhälften nennen wir Gegenstücke oder Antimeren. In jener senk- rechten Schnittebene, welche beiden Hälften trennt, geht vom Rücken zum Bauche, entsprechend der Pfeilnaht des Schädels, die Pfeil- a X e (Sagittal-Axe) oder Rücken-Bauch-Axe (Dorsoventral-Axe). Wenn wir hingegen durch die Chorda einen horizontalen Längs- schnitt legen, so zerfällt dadurch der ganze Körper in eine dorsale oder Rückenhälfte, und in eine ventrale oder Bauchhälfte. Diejenige Schnittlinie, welche quer durch den Körper hindurch von der rechten zur buken Seite geht, ist die Queraxe, Frontal-Axe oder Lateral-Axe. (Vergi Taf. IV und V, S. 320) «4). Die beiden Körperhälften des Wirbelthieres, welche durch diese horizontale Queraxe und zugleich durch die Chorda getrennt werden, haben eine ganz verschiedene Bedeutung. Die Rückenhälfte ist vorzugsweise der an i male Theil des Körpers und enthält den grössten Theil der sogenannten animalen Organe, des Nerven- saum der Haut, g Gehörbläschen, gh Gehirn, h Herz, i Muskelhöhle (dorsale Coelom- tascbe), h Kiemendarin, ha Kiemen-Arterie, hg Kiemen-Gefässbogen, h& Kiemenspalten, l Leber, ma Magen, md Mund, mi Muskeln, na Nase (Geruchsgrube), n Nieren- Canälchen, u Oetfnungen derselben, o Oberhaut, /»Schlund,»- Rückenmark,« Geschlechts- drüsen (Gonaden), t Lederhaut (Corium), xi, Nieren-Oeffnungen (Poren der Seitenfurche), V Darmvene (Hauptvene), x Chorda, y Hypophysis (Hirnanhang), z Schlundrinne oder Kiemenrinne (Hypobranchial-Rinne). Haeckfl, Anthropogenie. 1. Aufl. 17 g58 Markrohr oder Medullar-Rohr. XL Systems, Muskel-Systems, Knoclien-Systems u. s. w. ; Werkzeuge der Bewegung und Empfindung. Die Bauchhälfte hingegen ist wesentlich der vegetale Theil des Körpers und enthält den grössten Theil der vegetalen Organe des Wirbelthieres : das Darm- und Gefäss-System , das Geschlechts - System u. s. w. ; Werkzeuge der Ernährung und Fortpflanzung. Demnach ist an der Bildung der Rückenhälfte vorzugsweise das äussere, dagegen an der Bildung der Bauchhälfte vorzugsweise das innere Keimblatt betheiligt. Jede der beiden Hälften entwickelt sich in Gestalt eines Rohres und umschliesst eine Höhlung, in welcher ein anderes Rohr eingeschlossen ist. Die Rückenhälfte enthält die enge, oberhalb der Chorda gelegene Rückgrathöhle oder den Wirbel - Canal , in welchem das röhrenförmige Centralnerven-System , das M a r k r o h r , liegt. Die Bauchhälfte hingegen enthält die viel geräumigere, unterhalb der Chorda gelegene Eingeweidehöhle oder Leibeshöhle, in welcher der Darmcanal mit allen seinen Anhängen liegt. Das Mark röhr oder Medullar-Rohr, wie man das cen- trale Nervensystem der Wirbelthiere oder das Seelen-Organ in seiner ursprünglichen Anlage nennt, besteht beim Menschen und bei allen höheren Wirbelthieren aus zwei sehr verschiedenen Theilen: dem umfangreichen Gehirn , w'elches im Kopfe innerhalb des Schädels liegt, und dem langgestreckten Rückenmark, welches sich von da aus über den ganzen Rücken-Theil des Rumpfes erstreckt (Taf. V, Fig. 11 — 16 n). Auch bei unserem Urwirbelthier ist diese Zusammen- setzung bereits angedeutet. Die vordere Körperhälfte, welche dem Kopfe entspricht, umschliesst eine kolbenförmige Blase, das Gehirn igh); dieses setzt sich nach hinten in das dünnere cylindrische Rohr des Rückenmarks fort (r). Es besteht also dieses hochwichtige Seelen-Organ, welches die Empfindung, den Willen und das Denken der Wirbelthiere bewirkt, hier noch in höchst einfacher Gestalt. Die dicke Wand des Nervenrohrs, welches unmittelbar über dem Axenstabe durch die Längsaxe des Körpers verläuft, umschliesst einen engen, mit Flüssigkeit erfüllten Central - Canal (Fig. 95 — 99 r). In derselben einfachsten Gestalt tritt das Medullar-Rohr noch heute vorübergehend im Keime aller Vertebraten auf (vergl. Taf. V, Fig. 11 — 1.3), und in derselben einfachsten Form besteht es noch heute zeitlebens beim Amphioxus ; nur ist in dessen cylindrischem Mark- rohr der Unterschied von Gehirn und Rückenmark kaum angedeutet. Das Markrohr des Lanzetthierchens verläuft als ein dünnes, langes Rohr von fast gleichem Durchmesser, oberhalb der Chorda, beinahe XI. Sinnesorgane. Pericliorda. Musculatur. ^59 durch die ganze Länge des Körpers (Taf. XI, Fig. 15), und nur ganz vorn zeigt eine geringe Anschwellung desselben das Rudiment eine Hirnblase an. Wahrscheinlich hängt diese Eigenthümlichkeit des Amphioxus mit der theilweisen Rückbildung seines Kopfes zu- sammen, da einerseits die Ascidien-Larven (Taf. X, Fig. 5), ander- seits die jungen Cyclostomen (Taf. XI, Fig. 16) die Scheidung des blasenförmigen Gehirns oder Kopfmarks von dem dünneren, röhren- förmigen Rückenmark deutlich zeigen. Auf derselben phylogenetischen Ursache beruht vermuthlich auch die mangelhafte Beschaffenheit der Sinnesorgane des Amphioxus, die wir später (im XVI.) Vortrage besprechen werden. Prospondylus dagegen hat wahrscheinlich drei Paar Sinnes-Organe besessen , wenn auch nur von sehr einfacher Beschaffenheit : ein Paar Geruchs - Grübchen , ganz vorne (Fig. 95 , 96 na) , ein Paar Augen (au) in der Seitenwand des Gehirns, und dahinter ein Paar einfache Gehörbläschen (g). Vielleicht war auch oben auf dem Scheitel noch ein unpaares „Scheitel- Auge" (Parietal- Auge oder Pineal-Auge) vorhanden {Epiphysis, e). In der senkrechten Median - Ebene , oder der Mittel - Ebene, welche den zweiseitigen Körper in eine rechte und linke Hälfte theilt, liegt bei unseren Schädellosen unterhalb der Chorda das Mesenterium und Darmrohr, oberhalb das Markrohr, und über diesem eine membranöse Scheidewand der beiden Körperhälften oder Anti- meren. Mit dieser Scheidewand hängt die bindegewebige Masse zusammen, welche sowohl das Markrohr als die darunter gelegene Chorda scheidenartig umhüllt und daher Chorda-Scheide {Peri- chorda) genannt wird ; sie entsteht aus jenem dorsalen und medialen Theile der Coelom-Taschen, welchen wir beim Embryo der Cranioten als Skeletplatte oder „Sclerotom" kennen lernen werden. Wäh- rend bei letzteren aus dieser Chorda-Scheide der wichtigste' Theil des Skelets hervorgeht, Wirbelsäule und Schädel, bleibt sie dagegen bei den Acraniern in einfachster Form bestehen, als eine weiche Connectiv - Masse , von welcher dünne, membranöse Scheidewände zwischen die einzelnen Muskelplatten oder Myotome hineingehen (Fig. 95, 96 ms). Rechts und links von der Chorda-Scheide, beiderseits des Mark- rohres und des darunter gelegenen Axenstabes, erblicken wir bei allen Wirbelthieren die mächtigen Fleischmassen, welche die Mus- kulatur des Rumpfes zusammensetzen und die Bewegungen des- selben vermitteln. Obwohl dieselben bei den entwickelten Wirbel- thieren ausserordentlich maunichfaltig gesondert und zusammengesetzt 17* 260 Seitenrumptmnskeln. Lede.rliaut und Oberhaut. XI. sind (entsprechend den vielen difterenzirten Theilen des Knochen- gerüstes), so können wir doch bei unserem idealen Urwirbelthiere nur zwei Paar solcher Hauptmuskeln unterscheiden, welche parallel der Chorda durch die gesammte Länge des Körpers hindurchgehen. Das sind die oberen (dorsalen) und unteren (ventralen) Seiten- r u m p f ni u s k e 1 u. Die oberen (dorsalen) Seitenrumpfmuskeln oder die ursprünglichen Rückenrauskeln (Fig. 99 ms) bilden die dicke Fleischmasse des Rückens. Die unteren (ventralen) Seiten- rumpfmuskeln oder die ursprünghchen Bauchmuskeln bilden dagegen die fleischige Bauchwand. Erstere sowohl als letztere sind gegliedert, und bestehen aus einer Doppelreihe von Muskelplatten (Fig. 95, 96 ms) ; die Zahl dieser Myotonie bestimmt die Zahl der Rumpfglieder oder Metameren. Die Myotome entwickeln sich eben- falls aus der Wand der Coelomtaschen (Fig. 99 i). Nach aussen von diesem Fleischrohr finden wir die äussere feste Umhüllung des Wirbelthier-Körpers, welche Lederhaut oder Leder, Corium oder Cutis genannt wird (Taf. IV, l). Diese derbe und dichte Umhüllung besteht in ihren tieferen Schichten vorzüg- lich aus Fett und lockerem Bindegewebe, in ihren oberflächlichen Schichten aus Hautmuskeln und festerem Bindegewebe. Sie geht als zusammenhängende Decke über die gesammte Oberfläche des fleischigen Körpers hinweg und ist bei allen Schädelthieren von beträchtlicher Dicke. Bei unseren Acraniern hingegen ist die Leder- haut nur eine dünne Bindegewebs - Lamelle , eine unbedeutende „Lederplatte" (Lamella corii, Fig. 95—99^). Unmittelbar über der Lederhaut liegt aussen die Oberhaut {Epidermis, o) ; die allgemeine Hülle der ganzen äusseren Ober- fläche. Aus dieser Oberhaut wachsen bei den höheren Wirbelthieren die Haare, Nägel, Federn, Krallen, Schuppen u. s. w. hervor. Sie besteht nebst allen ihren Anhängen und Producten bloss aus ein- fachen Zellen und enthält keine Blutgefässe. Ihre Zellen hängen mit den Endigungen der Empfindungs-Nerven zusammen. Ursprüng- lich ist die Oberhaut eine ganz einfache, bloss aus gleichartigen Zellen zusammengesetzte Decke der äusseren Körperoberfläche, eine permanente „Hornplatte". In dieser einfachsten Form, als ein- schichtiges Epithel, wird sie bei allen Vertebraten angelegt und besteht sie bei den Acraniern zeitlebens. Später verdickt sie sich bei den höheren Wirbelthieren und sondert sich in zwei Schichten, eine äussere, festere Hornschicht und eine innere, weichere Schleim- schicht; sodann wachsen auch aus ihr zahlreiche äussere und innere XI. Leibeshöhle und Darmcanal. 261. Anhänge hervor, nach aussen die Haare, Nägel, Krallen u. s. w., nach innen die Schweissdrüsen, Talgdrüsen u. s. w. Wahrscheinlich erhob sich bei unserm Urwirbelthier in der Mittellinie des Körpers die Haut in Gestalt eines senkrecht stehen- den Flossensauraes (/"). Einen ähnlichen, um den grössten Theil des Körpers herumgehenden Flossensaum besitzen noch heute der Amphioxus und die Cyclostomen ; einen gleichen finden wir am Schwänze der Fischlarven und Froschlarven oder Kaulquappen vor. Nachdem wir diese äusseren Körpertheile der Wirbel thiere und die animalen Organe betrachtet haben, welche vorzugsweise die Rückenhälfte, oberhalb der Chorda einnehmen, wenden wir uns zu den vegetalen Orgauen, die grösstentheils in der Bauchhälfte, unterhalb des Axenstabes liegen. Hier finden wir bei allen Schädel- thieren eine grosse Leibeshöhle oder Eingeweidehöhle. Die um- fangreiche Leibeshöhle, die den grössten Theil der Eingeweide um- schliesst, entspricht nur einem Theile des ursprünglichen Coeloms, das wir im X. Vortrage betrachtet haben ; man kann sie daher als Met a- coel unterscheiden. Gewöhnlich wird sie jetzt kurzweg als Coe- 1 0 m bezeichnet ; früher hiess sie in der Anatomie „Pleuroperitoneal- höhle". Beim Menschen und bei allen übrigen Säugethieren (aber nur bei diesen!) zerfällt dieses Coelom im entwickelten Zustande in zwei verschiedene Höhlen, welche durch eine quere Scheidewand, das muskulöse Zwerchfell, vollständig getrennt sind. Die vordere oder Brusthöhle (Pleura - Höhle) enthält die Speiseröhre, das Herz und die Lungen ; die hintere oder Bauchhöhle (Peritoneal- Höhle) enthält Magen, Dünndarm, Dickdarm, Leber, Milz, Nieren u. s. w. Bei den Embryonen der Säugethiere aber bilden diese beiden Höhlen, ehe das Zwerchfell entwickelt ist, eine einzige zu- sammenhängende Leibeshöhle, ein einfaches Coelom, und so finden wir dieses auch bei allen niederen Wirbelthieren zeitlebens vor. Ausgekleidet ist diese Leibeshöhle mit einer zarten Zellenschicht, dem Coelom-Epithel. Bei den Acraniern ist das Coelom so- wohl dorsal als ventral gegliedert, wie ihre metameren Muskel- taschen und Ürogenital-Organe deutlich beweisen (Fig. 99). Das wichtigste von allen Eingeweiden in der Leibeshöhle ist der ernährende Darmcanal, dasjenige Organ, welches bei der Gastrula den ganzen Körper darstellt. Dasselbe ist bei allen Wir- belthieren ein langes, von der Leibeshöhle umschlossenes, strecken- weise mehr oder weniger diöerenzirtes Rohr und besitzt zwei Oefi- nungen: eine MundöflFnung zur Aufnahme der Nahrung (Fig. 95, 97 md) und eine Afteröffnung zur Abgabe der unbrauchbaren Stoffe 262 Gekröse. Athmungsdarm und Verdauungsdarm. XI. oder Excremente {af). Au dem Darmcanal (Tat". IV, V d) hängen zahl- reiche Drüsen, die von grosser Bedeutung für den Wirbelthierkörper sind und alle aus dem Darm hervor wachsen. Solche Drüsen sind die Speicheldrüsen, Lunge, Leber und zahlreiche kleinere Drüsen. Fast alle diese Anhänge fehlen noch den Acraniern; nur ein paar ein- lache Leberschläuche (Fig. 95, 97 l) waren wahrscheinlich schon bei der Stammform der Wirbelthiere vorhanden. Die Wandung sowohl des eigentlichen Darmcanales, als aller dieser Anhänge besteht aus zwei verschiedeneu Schichten : die innere , zellige Auskleidung ist das Darmdrüsenblatt, die äussere , faserige Umhüllung hin- gegen entstellt aus dem D arm faserblatt; sie ist grösstentheils aus Muskelfasern zusammengesetzt, welche die Verdauungsbewe- gungen des Darmes bewirken, und aus Bindegewebsfasern, welche eine feste Hülle bilden. Eine Fortsetzung derselben ist das Ge- kröse oder Mesenterium, ein dünnes, bandförmiges Blatt, mittelst dessen das Darmrohr an der Bauchseite der Chorda befestigt ist, ursprünglich die dorsale Scheidewand der beiden Coelom - Taschen (Taf. IV, Fig. 8 t). Der Darmcanal ist bei den Wirbelthieren sowohl im Ganzen als in den einzelnen Abtheilungen mannichfaltig umge- bildet, trotzdem die ursprüngliche Grundlage überall dieselbe und höchst einfach ist. In der Regel ist das Darmrohr länger (oft viel- mals länger) als der Körper, und daher innerhalb der Leibeshöhle in viele Windungen zusammengelegt, besonders im hinteren Theile. Ausserdem ist dasselbe beim Menschen und den höheren Wirbel- thieren in verschiedene, oft durch Klappen getrennte Abtheilungen gesondert: Mundhöhle, Schlundhöhle, Speiseröhre, Magen, Dünn- darm, Dickdarm und Mastdarm. Alle diese Theile gehen aus einer ganz einfachen Anlage hervor, die ursprünglich (wie beim Amphioxus zeitlebens) als ein ganz gerader cylindrischer Canal unter der Chorda von vorn nach hinten läuft (Taf. XI, Fig. 15, 16). Da der Darmcanal in morphologischer Beziehung als das älteste und wichtigste Organ des Thierkörpers angesehen werden kann, so ist es von Interesse, seine wesentliche Beschaffenheit beim Wirbel- thiere scharf ins Auge zu fassen und von allen unwesentlichen Theilen abzusehen. In dieser Beziehung ist besonders zu betonen, dass der Darmcanal aller Wirbelthiere eine sehr charak- teristische Trennung in zwei Haupt-Abtheilungen zeigt, eine vordere und eine hintere Kammer. Die vordere Kammer ist der Kopf darm oder Kiemendarm (Fig. 95—97 p, Je) und dient vorzugs- weise zur Athmung. Die hintere Abtheilung ist der Rumpf- darm oder Leberdarm und besorgt die Verdauung {ma, d). XI. Kiemeiispalteii und Kieuiciibogeii. Kiemenrinne. 263 Bei allen Vertebraten bilden sich schon frühzeitig rechts und links in der vorderen Abtheilung des Kopfdarms eigenthümliche Spalten, welche in der innigsten Beziehung zu dem ursprünglichen Atli- mungsgeschäfte der Wirbelthiere stehen, die sogenannten Kiemen- s palten (ks). Alle niederen Wirbelthiere, der Amphioxus, die Pricken, die Fische, nehmen beständig Wasser durch die Mund- öfifnung auf und lassen dieses Wasser durch die seitlichen Spalten des Schlundes wieder austreten. Das Wasser, welches durch den Mund eindringt, dient zur Athmung. Der in demselben enthaltene Sauerstoff wird von den Blutcanälen eingeathmet, welche sich auf den zwischen den Kiemenspalten befindlichen Leisten, den „Kiemen- bogen" ausbreiten, (Jcg). Diese ganz charakteristischen Kiemen- spalten und Kiemenbogen finden sich beim Embryo des Menschen und aller höheren Wirbelthiere in früher Zeit seiner Entwickelung ebenso vor, wie sie bei den niederen Wirbelthieren überhaupt zeit- lebens bleiben (Taf. VI — IX). Die Kiemenbogen und Kiemenspalten sind jedoch bei den Säugethieren, Vögeln und ReptiHen niemals als wirkliche Athmungsorgane thätig, sondern entwickeln sich allmählich zu ganz anderen Theilen. Dass sie aber trotzdem anfänglich in derselben Form wie bei den Fischen auftreten, das ist einer der interessantesten Beweise für die Abstammung dieser drei höheren Wirbelthier-Klassen von den Fischen. Nicht minder interessant und bedeutungsvoll ist ein Organ, welches bei allen Wirbelthieren aus der Bauchwand des Kiemen- darms sich entwickelt , die Kiemenrinne oder Hypobranchial- Rinne. Bei den Acraniern wie bei den Ascidieu besteht dieselbe zeitlebens als eine drüsige, flimmernde Rinne, welche vom Munde aus in der ventralen Mittellinie des Kiemendarms nach hinten läuft und kleine Nahrungskörperchen dem Magen zuführt (Fig. 98 ^). Bei den Cranioten hingegen entwickelt sich daraus die Schilddrüse (Thyreoidea), jene vor dem Kehlkopf gelegene Drüse, welche, patho- logisch vergrössert, den Kropf (Struma) bildet. Aus dem Kopfdarm entstehen aber nicht allein die Kiemen, die Werkzeuge der Wasser- Athmung bei den niederen Vertebraten, sondern auch die Lungen, die Organe der Luftathmung für die fünf höheren Klassen. Hier bildet sich nämlich aus dem Schlünde des Embryo frühzeitig eine blasenförmige Ausstülpung und gestaltet sich bald zu zwei geräumigen, später mit Luft gefüllten Säcken. Diese Säcke sind die beiden luftathmenden Lungen, welche an die Stelle der wasserathmenden Kiemen treten. Jene blasenförmige Ausstülpung aber, aus der die Lungen entstehen, ist nichts Anderes 264 Lunge und Schwimmblase. Leberdarm. Lymphgefässe. XI, als die bekannte luftgefüllte Blase , welche bei den Fischen die Schwimmblase heisst und als hydrostatisches Organ oder Schwimmapparat das specifische Gewicht des Fisches erleichtert. Den niedersten beiden Wirbelthier - Klassen , den Acraniern und Cyclostomen, fehlt diese Einrichtung noch ganz. Die zweite Hauptabtheilung des Vertebraten-Darms, der K u m p f- darm oder Leberdarm, welcher die Verdauung besorgt, ist bei den Acraniern (im Gegensatze zu den Cranioten) sehr einfach gebildet; er besteht aus zwei verschiedenen Kammern. Die erste Kammer, unmittelbar hinter dem Kiemendarm, ist der blasenförmig erweiterte Magen (wa); die zweite, engere und längere Kammer ist der ge- rade gestreckte Dünndarm (tZ); er öffnet sich hinten an der Bauchseite duich den After (a/). Nahe der Grenze beider Kammern mündet in die Darmhöhle die Leber, in Gestalt eines einfachen Schlauches oder Blindsackes (Z); bei Ämphioxus ist dieselbe un- paar (Taf. XI, Fig. 15 Ib) ; bei Prospondylus hingegen war sie ver- muthlich paarig. (Fig. 95, 911). In den engsten morphologischen und physiologischen Beziehungen zum Darmcanal steht das Gefäss-System der Wirbel thiere, dessen wichtigste Bestandtheile sich aus dem Darmfaserblatt ent- wickeln. Dasselbe besteht aus zwei verschiedenen, aber unmittelbar zusammenhängenden Abtheilungen, dem Blutgefäss-System und dem Lymphgefäss-System. In den Hohlräumen des ersteren ist das rothe Blut , in denen des letzteren die farblose Lymphe enthalten. Zum Lymphgefäss-System gehören zunächst die eigentlichen Lymphcanäle oder Saugadern, welche durch alle Organe verbreitet sind und die verbrauchten Säfte aus den Geweben aufsaugen und in das venöse Blut abführen ; ausserdem aber auch die Chylusge- fässe, welche den weissen Chylus oder Milchsaft, den vom Darm be- reiteten Ernährungs-Saft, aufsaugen und ebenfalls dem Blute zuführen. Das Blutgefäss-System der Wirbelthiere ist sehr mannich- faltig ausgebildet, scheint aber ursprünglich bei den Urwirbelthieren in so einfacher Form bestanden zu haben, wie dasselbe bei den Ringelwürmern (z. B. den Regenwürmern) und beim Ämphioxus noch heute zeitlebens fortbesteht. Demnach würden vor allen als wesentliche ursprüngliche Hauptbestandtheile desselben zwei grosse unpaare Blutcanäle zu betrachten sein , welche in der Faserwand des Darmes liegen und in der Mittel -Ebene des Körpers längs des Darmcaiials verlaufen, das eine über, das andere unter demselben. Diese beiden Hauptcanäle geben zahlreiche Aeste an alle Körpertheile ab und gehen vorn und hinten im Bogen in XI. Blutgefässe. Herz. Nieren. 265 einander über ; wir wollen sie die Urarterie und die Urvene nennen. Erstere entspricht dem Rückengefässe , letztere dem Bauchgefässe der Würmer. Die Urarterie oder Principal- Ar terie, ge- wöhnlich Aorta genannt (Fig. 95 a) liegt oben auf dem Darm, in der Mittellinie seiner Rückenseite, und führt sauerstoftreiches oder arterielles Blut aus den Kiemen in den Körper hinein. Die Ur- vene oder Principal- Vene (Fig. 97 f) liegt unten am Darm, in der Mittellinie seiner Bauchseite, und wird daher auch Vena suh- intestinalis genannt ; sie führt kohlensäurereiches oder venöses Blut aus dem Körper zu den Kiemen zurück. Vorn an der Kiemenab- theilung des Darmes hängen beide Hauptcanäle durch mehrere Ver- bindungs-Aeste zusammen, welche bogenförmig zwischen den Kiemen- spalten emporsteigen. Diese „Kiemengefässbogen" {kg) verlaufen längs der Kiemenbogen und betheiligen sich direct am Athmungs- geschäft. Die vordere Fortsetzung der Principal-Vene , welche an der Bauchwand des Kiemendarms verläuft und jene Gefässbogen nach oben abgiebt, ist die Kiemenar terie {Jca). An der Grenze zwischen beiden Theilen des Bauchgefässes erweitert sich dasselbe zu einem contractilen spindelförmigen Schlauche (Fig. 95, 97 Ji). Das ist die einfachste Anlage des Herzens, welches sich später bei den höheren Wirbelthieren und beim Menschen zu einem vierkam merigen Pumpwerk gestaltet. Beim Amphioxus fehlt das Herz, wahrscheinlich in Folge von Rückbildung. Bei Prospondylus hingegen bestand das ventrale Kiemenherz wahrscheinlich in der- selben einfachsten Form, wie wir es noch heute bei den Ascidien und beim Embryo der Cranioten finden (Fig. 95, 97 h). Die Nieren, welche bei allen Wirbelthieren als Werkzeuge der Ausscheidung oder als Harnorgane thätig sind, zeigen in den verschiedenen Abtheilungen dieses Stammes sehr raannichfaltige und verwickelte Verhältnisse; wir werden dieselben im XXIX. Vortrage näher betrachten. Hier sei nur kurz erwähnt, dass dieselben bei unserem hypothetischen Urwirbelthiere wahrscheinlich in ähnlicher Form bestanden, wie sie noch heute der Amphioxus zeigt; als so- genannte Vornieren (Pro^owep/ira). Diese setzten sich ursprüng- lich aus einer Doppelreihe von kleinen Canälchen zusammen, welche die verbrauchten Säfte oder den Harn direct aus der Leibes-Höhle nach aussen abführten (Fig. 99 n). Die innere Mündung dieser Vornieren-Canälchen (Pronephridia) öiihete sich mit einem Flimmertrichter in die Leibeshöhle ; die äussere Mündung hingegen in eine Seitenrinne der Epidermis, eine paarige Längsrinne in der Seitenfläche der äusseren Haut (Fig. 99 b). Durch Verschluss 266 Geschlechtsdrüsen oder Gonaden. XL dieser Rinue in der Seitenlinie rechts und links entstand der V o r- u i e r e n g a n g. Bei allen Crauioten entwickelt sich derselbe sehr fi'ühzeitig in der Horni^latte (Taf. IV, Fig. 4 m, 5 w) ; beim Amphioxus ist er in einen weiten Raum, die Mantelhöhle oder den „Peribranchial- Raum" verwandelt (Taf. X, Fig. 13 c). In nächster Beziehung zu den Nieren stehen die Geschlechts- Organe der Wirbelthiere. Bei den allermeisten Gliedern dieses Stammes sind sie zu einem einheitlichen Urogenital-System ver- bunden ; nur bei wenigen Gruppen erscheinen Harn- und Geschlechts- werkzeuge getrennt (bei Amjjhioxus, den Cyclostomen und einigen Abtheilungen der Fisch -Klasse). Beim Menschen, wie bei allen höheren Wirbelthieren, erscheint der Geschlechts-Apparat oder das „Sexual-System" aus verschiedenen Theilen zusammengesetzt, die wir im XXIX. Vortrage betrachten werden. In den niedersten beiden Klassen unseres Stammes aber, bei den Acraniern und Cyclostomen, bestehen sie bloss aus einfachen Geschlechtsdrüsen oder Gonaden, den Eierstöcken {Ovaria) des weiblichen Geschlechts, und den Hoden {Spermaria) des männlichen Geschlechts; erstere liefern die Eier, letztere das Sperma. Bei den Cranioten finden wir immer nur ein Paar solcher Gonaden ; beim Amphioxus hingegen zahlreiche Paare, metamerisch geordnet. In gleicher Weise werden sie auch bei unserm hypothetischen Prospondylus bestanden haben (Fig. 95, 97s). Diese seg mentalen Gonaden-Paare sind die ursprünglichen V entral-Hälften der Coelom-Taschen. Die Organe, die wir soeben in unserer allgemeinen Betrach- tung des Ur- Wirbel thieres aufgezählt und bezüglich ihrer charakte- ristischen Lagerung untersucht haben , sind diejenigen Theile des Organismus, welche bei allen Wirbelthieren ohne Ausnahme in den- selben gegenseitigen Beziehungen , wenn auch höchst mannichfaltig modificirt, wiederkehren. Wir haben dabei vorzugsweise den Quer- schnitt des Körpers (Fig. 98, 99) in das Auge gefasst, weil an diesem das eigenthümliche Lagerungs-Verhältniss derselben am deutlichsten in die Augen fällt. Wir müssen jedoch, um unser Urbild zu vervollständigen, nun auch noch die bisher wenig berücksichtigte Gliederung oder Metameren - Bildung desselben hervorheben, die vorzüglich am Längsschnitt (Fig. 95—97) in die Augen fällt. Beim Menschen, wie bei allen entwickelten Wirbel- thieren, ist der Körper aus einer Reihe oder Kette von gleichartigen Gliedern zusammengesetzt, welche in der Läugsaxe des Körpers hinter einander liegen, den Körper - Segmenten, Folgestücken oder Metameren. Beim Menschen beträgt die Zahl dieser gleich- XI. C-fliederuiig" oder Metamerenbilduiig. 267 artigen Glieder oder Metameren am Rumpfe drei und dreissig, dagegen bei vielen Wirbelthieren (z. B. Schlangen, Aalen) mehrere hundert. Da diese innere Gliederung oder Metamer ie sich vorzugsweise an der Wirbelsäule und den diese umgebenden Muskeln ausspricht, nannte man die Gliederabschnitte oder Meta- meren früher auch wohl U r w i r b e 1. Indessen wird die Gliederung in erster Linie keineswegs durch das Skelet bestimmt und ver- ursacht, sondern vielmehr durch das Muskel-System und durch die segmentale Anordnung der Nieren und Gonaden. Nun wird allerdings die Zusammensetzung aus solchen Urwirbeln oder inneren Metameren gewöhnlich mit Recht als ein hervorstechender Charakter der Wirbelthiere hervorgehoben, und die verschiedenartige Sonderung oder Differenzirung derselben ist für die verschiedenen Gruppen der Wirbelthiere von grösster Bedeutung. Allein für die zunächst vor uns liegende Aufgabe, den einfachen Leib des Ur- wirbelthieres aus der Chordula abzuleiten, sind die Gliederabschnitte oder Metameren von untergeordneter Bedeutung, und wir brauchen erst später darauf einzugehen. Wenn wir von allen unwichtigen, weil secundär gebildeten Theilen hier ganz absehen , und vorläufig bloss jene wesentlichen, primären Theile in Betracht ziehen, so vereinfacht sich unsere Auf- gabe bedeutend. Sie läuft dann im Wesentlichen auf das Problem hinaus, den soeben geschilderten Organismus des „ü r w i r b e 1 1 h i e r e s" aus der einfachen Keimform der Chordula (Fig. 80 — 83) abzuleiten, deren Entstehung aus der Coelomula und Gastrula wir bereits kennen. Jener einfachste Vertebraten-Körper ist, wie man gewöhnlich sagt, aus zwei symmetrischen doppelten Röhren zusammengesetzt : aus einer unteren Röhre, welche das Darmrohr umschliesst (der Leibeswand), und aus einer oberen Röhre, welche das Markrohr um- schliesst (dem Wirbelkanal). Zwischen Markrohr und Darmrohr liegt der Axenstab oder die Chorda, als wesentlichster Theil des inneren Axen-Skelets, das die Wirbelthiere als solche charakterisirt. Vom Amphioxus bis zum Menschen hinauf wiederholt sich überall dieselbe charakteristische Lagerung dieser wichtigsten Organe. (Vergl. Taf. IV und V nebst Erklärung, S. 320.) Wir werden also jetzt zu untersuchen haben, wie sich diese Organe aus den vier secundären Keimblättern der Chordula hervorbilden. 268 XL Zehnte Tabelle. Liebersicht über die wichtigsten Organe der Provertebraten (der hypo- thetischen Urwirbelthiere) und deren Entwickelung (Prospondylus). Vier secrmdäre Keimblätter. Synonyme der Keimblätter. Fandamental-Organe der Urwirbelthiere. I. Sinnesblatt (Hautsinnesblatt). Neuroblast Lamina neoralis. Aeusseres Grenzblatt. Hautblatt oder Haulschicht (von Baer). Primäres animales Blatt. 1. Oberhaut (Epidermis) (Einfache Zellendecke der äusseren Körperfläehe). 2. Nervensystem (Sensorium). 2 A. Markrohr (Nerven Ceutrum). 2. B. Peripheres Nerven-System. 3. Sinnesorgane (Sensilla). 3 A. Nasen (Geruchsgruben). 3 B. Augen. 3. C. Gehörbläschen. II. Muskelblatt (Hautfaserblatt). Myoblast. Lamina parietalis. Aeusseres Mittelblatt. Fleischblatt oder Fleischschicht (von Baer). (Grösstentheils ver- wendet zur Bildung der Episomiten und der Somatopleura.) Lederhaut Corium (Cutis-Platte). Rampfmnskelwand ( Motoriom) (Metamere Muskelplatten : dorsale und ventrale). Chorda-Scheide (Perichorda) (Skelet-Basis). III. Oefässblatt (Darmfaserblatt). Go n 0 b las t. Lamina visceralis. Inneres Mittelblatt. Gefässblatt oder Gefässschicht (von Baer). (Grösstentheils ver- wendet zur Bildung der Hyposomiten und der Splanchnopleura.) 10. Vomieren (Pronephridia)! (Metamere Coelom-Canälchen). Geschlechtsdrüsen (Gonaden) (Metamere ventrale Coelomtaschen). Gefäss-System (Vasorinm). 9. A. Ventral-Herz (venös) und Prin- cipal-Vene. 9. B. Dorsale Aorta (Principal- Arterie). Darmmuskelwand nnd Gekröse (Faserwand des Darms, Mesenterium). 10. A. Skelet und Musculatur der Kiemenbögen (Visceral-Skelet). 10. B. Muskelwand des Leberdarms. IV. Drnsenblatt. (Darmdrüsenblatt). E n t e r 0 b 1 a s t. Lamina enteralis. Inneres Grenzblatt. Schleimblatt oder Schleimschicht (von Baer). Primäres vegetales Blatt. LI. Chorda dorsalis (Notochorda) (Axenstab), ungegliedert, 12. Darm-Epithelium (Gastrodermis) 12, A. Epithel des Kopfdarm.s oder Kiemendarms. 12. B. Epithel des Rumpfdarms oder Leberdarms. Zwölfter Vortrag. Keiiiiscliild und FruchtlK^f. ,.Die Eier haben ihre Stammesgeschichte wie die ausgebildeten Formen ; die complicirtesten sind die Eier der Säugethiere, da während ihrer Phylogenese zweimal ein Nahrungsdotter erworben wurde, und zweimal wieder verloren ging. Sowie aber einerseits die Menge des Nahrungsdotters einen entscheidenden Einfluss auf die Furchung und die gesammte weitere Entwickelung nimmt, so muss dasselbe anderseits auch von der verschiedenen Vertheilung des Nahrungsdotters gelten. Caki. Kai!I,. Keimung der Amnioten. Keim und Dotter. Keimscheibe und Dottersack. Darmrohr und Dotterdrüse. Keimschild oder Embryonal- Anlage. Keimdarmblase der Säugethiere. Fruchthof und Dauerleib. Stammesgeschichte der Dotterbildung. Inhalt des zwölften Vortrages. Cenogenetischo Keimungs-Eigenbeiteu der Amuioten. Das classische Vogel-Ei als Quelle vieler Irrthünier. Falscher Gegensatz vou Keim und Dotter. Zugehörigkeit des Dotters zur vegetalen Keimhälfte. Dotterkeim und Dotterdrüse der Amphibien. Flache Keimscheibe der Vögel und Reptilien. Abschnürung derselben vom Dottersack. Primäre, secundäre und tertiäre Stufenfolge der Vertebraten-Keimung. Die sogenannte Keimblase der Säugethiere (Keimdarmblase oder Blastocyste). Ihre Entstehung durch abgeänderte Brutpflege. Abstammung der lebendig gebärenden Säugethiere von eier- legenden. Häutung ihrer Epigastrula (Deckschicht). Verwandlung der zweiblättrigen in die vierblättrige Keimscheibe. Heller und dunkler Fruchthof. Keimschild (Em- bryaspis) oder Rückenschild (Notaspis), Embryonal-Anlage. Verhältniss des Frucht- hofs zum Dauerleib (Menosom). Die wiederholte Erwerbung und der wiederholte Verlust des Nahrungsdotters in der Wirbelthier-Reihe. Einfluss dieser cenogenetischeu Processe auf die Umbildung der Gastrula. Litteratur : M. P. ErdI , 1845. Bit EntwickeLung des Menschen und des Hühnchens im Eie (31 Kupfe r tafeln ) . Kobert Remak, 1850. Bildung der AxenplatU. Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere, § 12. Alexander Ecker, 1851 — 1859. Icones physiologicue. Erläuterung s- Tafeln ^ixir Physiologie and Eiitv:iekclung»geschichte Eduard Van Beneden, 1880. fiecherches sur V embryologie des Mammiferes. {Ärch. de hiologie, Bd. I — V.') Paul Sarasin und Fritz Sarasin, 1887 — 1890. Zur Entivickelungsgeschichte und Ana- tomie der ceylonesischen Blindwühle {Ichthyophis glutinosusy Emil Selenka, 1883 — 1886. Studien über Entunckelungsgeschichte der Thiere. lieft 1—lV. Oscar Hertwig, 1886. Lehrbuch der Entwickelung sgeschichte des Menschen und der Wirbelthiere {III. Aufl. 1890). Carl Babl, 1889. Die iinederholte Erwerbung und der wiederholte Verlust des Nahrungs- dotters. Morpholog. Jahrb , Bd. XV. 8. l.')5— 175. Xll. Meine Herren! Die drei höheren Wirbelthier -Klassen, welche wir als Am- uioteu oder „Amnionthiere" zusammenfassen, die Säugethiere, Vögel und Reptilien, unterscheiden sich in vielen Beziehungen ihrer EntWickelung sehr auffallend von den fünf niederen Klassen des Stammes, den Amnionlosen (Anamnia oder Ichthyoda). Alle Am- nioteu zeichnen sich aus durch den Besitz einer eigenthümlichen Keimhülle, des Amnion oder der „Wasserhaut", sowie eines be- sonderen Keim - Anhanges , der Allantois. Ferner besitzen alle Amnionthiere einen ansehnlichen Dottersack, der bei den Reptilien und Vögeln mit Nahrungsdotter, bei den Säugethieren mit einer klaren, diesem entsprechenden Flüssigkeit gefüllt ist. In Folge dieser cenogenetischen Keim - Bildungen werden die ursprünglichen Entwickelungs - Verhältnisse der Amnioten so eigenthümlich abge- ändert, dass es sehr schwer fällt, sie auf die palingenetischen Kei- mungs-Vorgänge der niederen amnionlosen Wirbelthiere zurückzu- führen. Den Weg dahin zeigt uns die Gastraea-Theorie, indem sie die Keimung des niedersten Wirbelthieres , des schädellosen Am- p h i o X u s als die ursprüngliche betrachtet, und aus ihr durch eine Reihe von allmähhchen Abänderungen die Gastrulation und Coelo- mation der Schädelthiere oder Cranioten ableitet. Verhängnissvoll für eine naturgemässe Auffassung der wich- tigsten Keimungs - Vorgänge der Verteb raten war besonders der Umstand, dass alle älteren Embryologeu, von Malpighi (1687) und WoLFF (1759) bis auf Baer (1828) und Remak (1850), immer von der Untersuchung des Huhn er -Eies ausgingen, und die hier ge- wonnenen Erfahrungen auf den Menschen und die übrigen Wirbel- thiere übertrugen. Nun ist aber dieses „classische Haupt-Objeet der Embryologie", wie wir uns bereits überzeugt haben, eine Quelle der gefährlichsten Irrthümer. Denn der mächtige kugelige Nah- rungsdotter des Vogel -Eies bedingt zunächst die flache, scheibeu- 272 Gregensatz von Keim und Dotter. XIl. förmige Ausbreitung der kleinen Gastrula, und weiterhin eine so eigenthümliche Ent^Yickelung dieser kreisrunden dünnen „Keim- scheibe" , dass die Kämpfe über deren irrthümliche Deutung einen grossen Theil der embryologischen Litteratur füllen. Einer der unglücklichsten hieraus entsprungenen Irrthümer war die Auffassung eines ursprünglichen Gegensatzes von Keim und Dotter. Dabei wurde der letztere als ein fremder, ausser- halb des eigentlichen Keimes gelegenen Körper betrachtet, während er in der That doch nur einen Theil desselben, ein „embryonales Ernährungs - Organ" darstellt. Viele Autoren Hessen „die erste Spur des Embryo" erst später auftreten, aussen auf dem Dotter; bald wurde die zweiblättrige Keimscheibe selbst, bald nur der mittlere axiale Theil derselben, im Gegensatze zu dem gleich zu besprechenden „Fruchthofe", als „die erste Anlage des Embryo" aufgefasst. Im Lichte der Gastraea - Theorie ist es kaum nöthig, auf das Verfehlte dieser früher herrschenden Anschauung und der gefährlichen sich daraus ergebenden Trugschlüsse hinzuweisen. In der That ist schon die „erste Furchungszelle" oder die Stamm- zelle der Keim selbst, und Alles, was daraus hervorgeht, ge- hört zum „Embryo". Wie die voluminöse ursprüngliche Dotter- masse im ungefurchten Ei der Vögel nur einen Einschluss der riesig vergrösserten Eizelle selbst darstellt, so ist auch später der Inhalt ihres embryonalen Dottersackes ( — gleichviel ob er schon gefurcht oder noch ungefurcht ist — ) nur ein Theil des Entoderms, welches den Urdarm bildet. Das zeigen ganz klar die amphiblastischen Eier der Amphibien und Cyclostomen, welche den Uebergang von den archiblastischen dotterlosen Eiern des Amphioxus zu den grossen dotterreichen Eiern der Reptilien und Vögel erläutern. Gerade bei der kritischen Vergleichuug dieser schwierigen Verhältnisse offenbart sich der unschätzbare Werth phylogenetischer Betrachtungen für die Erklärung verwickelter ontogenetischer That- sachen, und die Nothwendigkeit, die cenogenetischen Erscheinungen von den palingenetischen zu trennen. Für die vergleichende Onto- genie der Wirbelthiere ist dies besonders desshalb klar, weil hier die phylogenetische Einheit des Stammes auf Grund der wohlbekannten Thatsachen der Paläontologie und der vergleichen- den Anatomie von vornherein feststeht. Wäre diese Stammeseinheit, auf der Basis des Amphioxus, stets im Auge behalten worden, so würden sich nicht immer noch jene Irrthümer wiederholen. Wie die unrichtige Auffassung der Dotterbildung die meisten und besten älteren Beobachter irre geführt hat, so geschieht das XII. Dotterkeim, Dotterdrüse und Kcimsclieibc. 273 nicht selten auch noch heute. Ein Beispiel aus neuester Zeit liefern die schönen Untersuchungen „Zur Entwickelungsgeschichte und Anatomie der ceylonischen Blindwühle {Ichthyopkis glutinosusY'- . Die beiden trefiflichen Beobachter Paul und Feitz Sarasin gelangen ina dritten Hefte dieser Forschungen (1889) zu dem Satze, „dass die beiden Keimschichten der Gastrula nicht dem Ectoderra und Entoderm, sondern dem Blastoderm und Dotter der Vertebraten entsprechen", und glauben damit „nunmehr das Fundament für eine vergleichende Entwickelungsgeschichte des Thierreichs gelegt" zu haben, Hiernach „besteht die Gastrula aus zwei Schichten; von denen die innere der Lecithoblast, die äussere das Blastoderm" ist. Das Missverständniss der Thatsachen und Begriffe , welches diesen Sätzen zu Grunde liegt, klärt sich auf durch die Erwägung, dass in allen Fällen der Dotter ein Theil der vegetalen Keimhälfte ist. Wie in dem einzelligen Keime (der Stamm- zelle) der uugefurchte Nahrungsdotter nur eine Inhalts - Portion der vegetalen Eizellen-Hemisphäre ist, so müssen wir auch an dem vielzelligen Keime den gefurchten Nahrungsdotter stets als einen Theil der ventralen Urdarm- Wand betrachten. Der „D o 1 1 e r k e i m" oder LecitJioUast von Sarasin ist nur ein beschränkter Theil des Entoderms, und zwar derjenige Theil, welcher sich in der Bauch-Wand des Urdarms aus dessen Mittelstück entwickelt ; er ist als „D 0 tterd r ü se" (-Leci7A«£Zem«) ebenso nur ein untergeord- neter drüsiger Bestandtheil des ganzen Darmrohrs, wie später die aus diesen hervorwachsenden Darmdrüsen, Leber, Lunge u. s. w. Hingegen ist der dorsale Keimtheil, welchen Sarasin als „Blasto- derm" jenem ventralen Lecithoblast gegenüberstellt, keineswegs die ursprünghche ( — alle Embryonal -Zellen umfassende! — ) Keimhaut, das wahre „Blastoderm", sondern vielmehr der Rest des Eutoderms und das ganze Exoderm. Wie in diesen, so hat auch noch in vielen andern Fällen das ceno- genetische Verhältniss des Keimes zum Nahrungsdotter bis auf die neueste Zeit eine ganz irrthümliche Auffassung der ersten und wichtigsten Keimungs-Vorgäuge bei den höheren Wirbelthieren be- dingt, und eine Menge von falschen Gesichtspunkten in deren Onto- genie eingeführt. Bis vor zwanzig Jahren ging die Keimesgeschichte der höheren Wirbelthiere allgemein von der Ansicht aus, dass die „erste Anlage des Keimes" eine flache blattförmige Scheibe sei; und gerade desshall) wurden ja auch die Zellenschichten, welche diese Keimscheibe (auch „Fruchthof" genannt) zusammensetzen, als „Keimblätter" bezeichnet. Diese flache Keimscheibe {Blasto- HaccUcl, Antlirnpn2;cnie. -1. Aufl. J^g 274 Keimscheibe und Dottersack. XII. discus)^ die anfangs kreisrund, später länglich-rund ist, und die am gelegten Hühner-Ei oft als Narbe, Hahnentritt oder Cicatricula bezeichnet wird, liegt au einer Stelle aussen auf der Oberfläche des grossen kugeligen Xahrungsdotters auf. Wir haben uns überzeugt, dass dieselbe Nichts Anderes ist, als die scheibenförmig abgeflachte Gastrula der Vögel (Discogastrula). Im Beginne der Keimung wölbt die flache Keimscheibe sich nach aussen und schnürt sich nach innen von der darunter gelegenen grossen Dotterkugel ab. Die flachen Blätter werden dadurch zu Röhren, indem ihre Ränder sich gegen einander krümmen und verwachsen (Fig. 100). Während der Keim auf Kosten des Nahrungsdotters wächst, wird der letztere immer kleiner; er wird von den Keimblättern völlig umwachsen. Späterhin bildet der Rest des Nahrungsdotters nur noch einen kleinen kugeligen Sack, den Dottersack oder die Nabel- blase {Saccus vitellinus oder Vesicula umbilicalis, Fig. \00 nb). Dieser ist vom Darmblatt umschlossen, hängt durch einen dünnen Stiel, den Dottergang {Ductus vitellinus) mit dem mittleren Theile des Darmrohres zusammen, und wird schliesslich bei den meisten Wirbelthieren vollständig in letzteres aufgenommen {H). Die Stelle, an welcher dies geschieht und wo der Darm sich zu- letzt schliesst, ist der Darmnabel. Bei den Säugethieren , wo der Rest des Dottersackes ausserhalb liegen bleibt und verkümmert, durchbohrt der Dottergang bis zuletzt die äussere Bauchwand. Bei der Geburt reisst der „Nabelstrang" hier ab und die Verschluss- stelle bleibt als „Hautnabel" in der äusseren Haut zeitlebens be- stehen. Indem nun die frühere Keimesf;eschichte der höheren Wirbel- thiere, vorzugsweise auf das Hühnchen gestützt, den Gegensatz zwischen Keim (oder Bildungsdotter) und Nahrungsdotter (oder Dottersack) als einen ursprünglichen betrachtete, musste sie auch die flache, blattförmige Anlage der Keimscheibe als die ur- sprüngliche Keimform ansehen, und das Hauptgewicht darauf legen, dass aus diesen flachen Keimblättern durch Krümmung hohle Rinnen und durch Verwachsung ihrer Ränder geschlossene Röhren würden. Diese Auffassung, welche die ganze Darstellung der Keiraesge- schichte der höheren Wirbelthiere bis vor zwanzig Jahren beherrschte, war grundfalsch. Denn die Gastraea-Theorie, die hier ihre volle Bedeutung entfaltet, belehrt uns, dass das wahre Sachverhältniss ursprünglich gerade umgekehrt ist. Die becherförmige Ga- strula, in deren Körperwand die beiden primären Keimblätter xn. Absciinürung des Darmes vom Dottersack. 275 von Anfang an als geschl'ossene Röhren auftreten , ist die ursprüngliche Keimform der sämmtlichen Wirbelthiere , wie ^der sämmtlichen wirbellosen Metazoen ; und die flache Keimscheibe mit ihren oberflächlich ausgebreiteten Keimblättern ist eine spätere, secundäre Keimform , entstanden durch die cenogenetische Aus- Fi(r- 100. Absohnürnng des scheibenförmigen Sängethier-Keims vom Dotter- sack, im Querschnitt (schematisch). A. Die Keimseheibe (h, hf) iie^t flach an einer Seite der Keimdarmblase (kb). B. In der Mitte der Keimscheibe tritt die Markfurche (wir) und darunter die Chorda auf (ch). C. Das Darmfaserblatt {df) hat das Darm- drüsenblatt (dd) rings umwachsen. D. Hautfaserblatt (Ä/) und Darmfaserblatt (df) trennen sich in der Peripherie; der Darm [d) beginnt sich von dem Dottersack oder der Nabelblase («6) abzuschnüren. E. Das Markrohr [mr) ist geschlossen ; die Leibes- höhle (c) beginnt sich zu bilden. F. Die Urwirbel (w) sondern sich ; der Darm {d) ist fast ganz geschlossen. Q. Die Urwirbel (?o) beginnen Markrohr {jnr) und Chorda (cA) zu umwachsen ; der Darm {d) ist von der Nabelblase (nV) abgeschnürt. H. Die Wirbel (w) haben Markrohr (mr) und Chorda umwachsen; die Leibeshöhle (c) ist ge- schlossen, die Nabelblase verschwunden. Amnion und seröse Hülle sind weggelassen. Die Buchstaben bedeuten überall dasselbe : h Hornplatte. mr Markrohr, ä/ Haut- faserblatt, w Urwirbel. ch Chorda, c Leibeshöhle oder Coelom. df Darmfaserblatt. dd Darmdrüsenblatt, d Darmhöhle, rib Nabelblase. bildung des grossen Nahrungsdotters, und die nachträgliche all- mähhche Ausbreitung der Keimblätter auf seiner Oberfläche. Die thatsächlich eintretende Krümmung dieser Keimblätter und ihre Verwachsung zu Röhren ist demnach kein ursprünglicher, primärer, sondern ein viel späterer, tertiärer Entwickelungs-Vorgang. In der Phylogenie der Wirbelthier- Keimung würden somit folgende drei historische Stufen der Keimes-Entwickelung zu unterscheiden sein : 18* 276 Primäre, secundäre uud tertiäre Keimung. Xtl. A. Erste Stufe: Primärer (palingenetischer) Vorgang der Keirabildung. B. Zweite Stufe: Seeandärer (cenogenetischer) Vorgang der Keimbildung. C. Dritte Stufe: Tertiärer (cenogenetischer) Vorgang der Keimbildung. Die Keimblätter bilden von Anfang an geschlossene Röhren, indem die ein- blättrige Hohlkugel (Bla- stula) durch Einstülpung in die zweiblättrige Ga- strula verwandelt ist. Kein Nahrungsdotter. (Aiiqjhioxus.) Die Keimblätter breiten sich blattförmig aus, indem sich im ventralen Entoderm Nahrungsdotter anhäuft und aus der Mitte des Darm- rohres ein grosser Dotter- sack entwickelt. (A'mi)hibien.) Die Keimblätter bilden eine öache Keimscheibe, deren Ränder sich gegen einander krümmen, zu einer geschlos- senen Röhre verwachsen und vom ventralen Dottersack abschnüren. {Amnioten.) Da diese Auffassung, eine logische Folgerung der Gastraea- Theorie, durch die vergleichenden Untersuchungen der Gastrulation im letzten Decenniura vollauf bestätigt worden ist, muss der bisher übliche Gang der Darstellung gerade umgekehrt werden. Der Dot- tersack ist dann nicht, wie bisher, in ursprünglichem Gegensatze zum Keime oder Embryo zu behandeln, sondern als ein wesent- licher Bestandtheil desselben, als ein Theil seines Darmrohres. Der Urdarm (Progaster) der Gastrula hat sich demnach bei den höheren Thieren in Folge der cenogenetischen Ausbildung des Nah- rungsdotters in zwei verschiedene Theile gesondert : in den Dauer- darm oder Nachdarm {Metagaster) oder den sogenannten „blei- benden Darmcanal" und in den Dottersack {Lecithoma) oder die sogenannte „Nabelblase". Sehr klar wird das durch die verglei- chende Ontogenie der Fische und Amphibien bewiesen. Denn hier unterliegt anfänglich noch der ganze Dotter der Furchung und bildet in der Ventral -Wand des Urdarms eine aus „Dotterzellen" zusammengesetzte „Dotterdrüse". Später wird er aber so gross, dass ein Theil des Dotters ungefurcht bleibt und in dem ausser- halb abgeschnürten Dottersack aufgezehrt wird. Wenn wir die Keimesgeschichte des Amphioxus, des Frosches, des Hühnchens und des Kaninchens vergleichend studiren (Taf. II, III), so kann nach meiner Ueberzeugung über die Berech- tigung dieser, seit 20 Jahren von mir vertretenen Auffassung kein Zweifel mehr sein. Demnach werden wir im Lichte der Gastraea- Theorie unter allen Wirbelthieren einzig und allein die Bildungs- Verhältnisse des Amphioxus als die ursprünglichen, von der palingenetischen Keimungsform nur wenig abweichenden zu be- trachten haben. Bei den Cyclostomen uud beim Frosche sind diese XII. Vergleichende Keimesgeschichto der Wirbolthicre. 277 Verhältnisse im Ganzen noch massig cenogenetisch abgeändert, sehr stark dagegen beim Hühnchen und am stärksten beim Kaninchen. In der Glocken - Gastrula des Amphioxus, wie in der Hauben-Ga- strula des Petromyzon und des Frosches liegen die Keimblätter von Anfang an als geschlossene Röhren oder Blasen vor (Taf. II, Fig. 6, 11). Hingegen tritt der Keim des Hühnchens (am frisch gelegten, noch nicht bebrüteten Ei) als flache kreisrunde Scheibe auf, und es war nicht leicht, die wahre Gastrula-Natur dieser Keim- scheibe zu erkennen ; Rauber und Goette haben diese schwierige Aufgabe zuerst gelöst. Indem die Scheiben -Gastrula den colossalen kugeligen Dotter umwächst, und indem sich dann der „Nachdarm" oder bleibende Darm von dem aussen befindlichen Dottersack ab- schnürt, begegnen wir allen den Vorgängen, die wir in Fig. 100 schematisch dargestellt haben; Vorgänge, welche bisher als Haupt- acte betrachtet wurden, während sie eigentlich nur Nebenacte sind. Höchst verwickelt und eigenthümlich gestalten sich die ent- sprechenden Vorgänge der Keimung bei den Säugethieren. Sie sind hier früher ganz unrichtig beurtheilt worden; erst die 1875 ver- öffentlichten Untersuchungen von Eduard van Beneden ^''), und die nachfolgenden Beobachtungen von Selenka, Kupffer, Rabl u. A. haben darüber Licht verbreitet, und uns gestattet, dieselben mit den Principien der Gastraea- Theorie in Einklang zu bringen und auf die Keimung der niederen Wirbelthiere zurückzuführen. Ob- gleich nämlich im Ei der Säugethiere gar kein selbstständiger, vom Bildungsdotter getrennter Nahrungsdotter existirt, und obgleich demgemäss ihre Furchung eine totale ist, so bildet sich dennoch bei den daraus entstehenden Embryonen ein grosser „Dotter- sack" (Lecithoma), und der sogenannte „eigentliche Keim" breitet sich auf dessen Oberfläche blattförmig aus, wie bei den Reptilien und Vögeln, die einen grossen Nahrungsdotter und partielle Fur- chung besitzen. Wie bei den letzteren, schnürt sich auch bei den Säugethieren die flache, blattförmige „Keim Scheibe" {Blastodis- cus) vom Dottersacke ab, ihre Ränder krümmen sich gegen einander und verwachsen zu Röhren. Wie ist nun dieser auffallende Widerspruch zu erklären? Nur durch höchst eigenthümliche und sonderbare, cenogenetische Modi- ficationen der Keimung, deren eigentliche Ursachen in der abge- änderten Brutpflege der Säugethiere liegen. Offenbar hängen dieselben damit zusammen, dass die Vorfahren der lebendig gebärenden Säugethiere eierlegende Amnionthiere waren und erst allmählich die Sitte des Lebendig-Gebärens annahmen. Darüber 278 Sogeuannte Keimblase der Säugethiere. XII. kann kein Zweifel mehr sein, seitdem (1884) nachgewiesen wurde, dass selbst heute noch die Monotremen, die niedersten und ältesten Säugethiere, Eier legen (vergl. S. 206). Ihre nächsten Nachkommen, die Beutelthiere, gewöhnten sich daran , die Eier bei sich zu be- halten und in ihrem Eileiter auszubilden ; dieser wurde dadurch zum Fruchtbehälter (Uterus). Eine ernährende Flüssigkeit, welche von der Wand des letzteren abgeschieden wurde und durch die Wand der Keimblase durchschwitzte, diente nunmehr zur Ernährung des Keimes und verdrängte den Nahrungsdotter, an dessen Stelle sie trat. So wurde der ursprüngliche Nahrungsdotter der mero- blastischen Monotremen allmählich rückgebildet und verschwand zuletzt so vollständig, dass die partielle Eifurchung bei ihren Nach- kommen, den übrigen Säugethieren, wieder in die totale überging. Aus der Discogastrula der ersteren wurde idie eigenthüraliche Epigastrula der letzteren. Nur durch diese phylogenetische Autfassung Iwird die Bildung und Entwickelung der eigen thümlichen, früher ganz irrig gedeuteten Keimblase der Säugethiere verständlich. Dieser blasen- Fi(f. 101. Fig. 102. Fig 101. Die Keimdarinblase (Blastocystit oder Gaatrocystis) vom Kaninchen (sotrenaimte ,.Keiml)lasH'' oder Vesicula blastodermica der Autoren) a Aeussere Ei- hülle (Ocolemma). b Hautblatt oder Exoderm, die gesammte Wand der Keimdotter- blase bildend c Hauten von dunkeln Zellen, das Darmblatt oder Entoderm darstellend. Fit; 102 Dieselbe Keimdarmblase im Durchschnitt. Buch^tabeu wie in Fig. lOl. d Hohlraum der Keimdarmblase. Nach BisCHOFF. förmige Zustand des Säugethierkeims ist schon vor 200 Jahren (1677) von Regner de Graaf entdeckt worden. Derselbe fand im Fruchtbehälter des Kaninchens vier Tage nach der Befruchtung kleine, kugelige, frei liegende, wasserhelle Bläschen, die eine doppelte Hülle hatten. Aber Graaf's Darstellung fand keine Anerkennung. Erst im Jahre 1827 wurden diese Bläschen von Baee wieder ent- XII. Sogenannte Keimblase der Säugetbiere. 279 deckt und darauf von Bischoff 1842 beim Kaninchen genauer be- schrieben (Fig. 101, 102). Man findet sie beim Kaninchen, beim Hunde und anderen kleinen Säugethieren schon wenige Tage nach der Begattung im Fruchtbehälter (Uterus oder Gebärmutter). Es werden nämlich die reifen Eier der Säugethiere, nachdem sie aus dem Eierstock ausgetreten sind, entweder schon hier oder gleich darauf im Eileiter durch die eingedrungenen, beweglichen Spermazellen befnichtet ^2). (lieber Fruchtbehälter und Eileiter vergl. den XXIX. Vortrag.) Innerhalb des Eileiters geschieht die Furchung und die Ausbildung der Gastrula. Entweder schon hier im Eileiter, oder erst nachdem die Gastrula des Säugethieres in den Fruchtbehälter eingetreten ist, verwandelt sie sich in die kugelige Blase, welche Fig. 101 von der Oberfläche, Fig. 102 im Durchschnitt zeigt. Die äussere dicke, structurlose Hülle, welche dieselbe umgiebt, ist die veränderte ursprüngliche Eihülle {Ovolemma oder Zona pellucida), verbunden mit einer Eiweissschicht, welche sich äusserlich angelagert hat. Wir nennen diese Hülle von jetzt an die äussere Eihaut, das primäre Chorion oder Prochorion (a). Die davon um- schlossene eigentliche Wand der Blase besteht aus einer einfachen Schicht von Exoderm-Zellen (&), welche durch gegenseitigen Druck abgeplattet, meist sechseckig sind ; durch ihr feinkörniges Proto- plasma schimmert ein heller Kern hindurch (Fig. 103). An einer Stelle (c) dieser Hohlkugel liegt innen eine kreisrunde Scheibe an, aus dunkleren und weicheren, mehr rundlichen Zellen gebildet, den trübkörnigen Entoderm-Zellen (Fig. 104). Fig. 103. Vier Exoderm-Zel- len von der Keimdarmblase des Kaninchens. Fig. 104. Zwei Entoderm- Zellen von der Keimdarmblase des Kaninchens. Fig. 103. Fig. 104. Die charakteristische Keimform, welche das entstehende Säuge- thier jetzt besitzt, ist bisher gewöhnlich als „K e i m b 1 a s e" (Bischoff), „sackförmiger Keim" (Baer), „bläschenförmige Frucht" oder „Keim- hautblase" bezeichnet worden (Vesicida hlastodermica oder kurz Blastosphaera). Die Wand der Hohlkugel, welche aus einer ein- zigen Schicht von Zellen besteht, nannte man „Keim haut" oder Blastoderma, und hielt sie für gleichbedeutend mit der gleichnamigen iJSO Keiuiluiutl)l;i.sc des Ainpliioxus i^Blustula). XII. Zellen Schicht, welche die Wand der echten Keimhautblasc oder ßlastida beim Amphioxus (Taf. II, Fig. 4) und bei sehr vielen wir- bellosen Thieren bildet (z. B. bei Monoxenia, Fig. 29, F, G). All- gemein galt früher diese echte Keimhautblase für gleichwerthig oder homolog der Keimblase der Säugethiere. Das ist aber durchaus nicht der Fall! Die sogenannte „Keimblase der Säuge- thiere" und die echte Keimhautblase desAmphioxus und vieler Wirbellosen sind gänzlich verschiedene K e i m z u s t ä n d e. Die letztere {Blastula) ist palingenetisch und geht der Gastrulabildung voraus! Die erstere {Vesicula hlastoder- mica) hingegen ist cenogenetisch und folgt der Gastrulabildung nach! Die kugelige Wand der Blastula ist eine echte Keim- haut (JBlastoderma) und besteht aus lauter gleichartigen Zellen (Blastoderm-Zellen) ; sie ist noch nicht in die beiden primären Keimblätter ditferenzirt. Die kugelige Wand der Säugethier-„Keim- blase" ist hingegen das differenzirte Hautblatt (Exoderma)^ und an einer Stelle liegt demselben innen eine kreisrunde Scheibe von ganz verschiedenen Zellen an : das Darmblatt {Entoderma). Der kugelige, mit klarer Flüssigkeit gefüllte Hohlraum im Innern der echten Blastula ist die F u r c h u n g s h ö h 1 e. Hingegen der ähnliche Hohlraum im Inneren der Säugethier-Keimblase ist die Dotter- sackhöhle, die mit der sich bildenden Darmhöhle zusammen- hängt. Diese „ürd arm höhle" geht bei den Säugethieren unmittelbar in die Furchungshöhle über, in Folge der eigeuthümlichen cenogenetischen Abänderungen ihrer Gastulation, welche wir früher betrachtet haben (vergl. den IX. Vortrag, S. 209). Aus allen diesen Gründen ist es durchaus nothwendig, die secundäre „Keimdarmblase" der Säugethiere (Gas^röc^s^is oder Blastocysüs) als einen eigenthümlichen, nur dieser Thierklasse zu- kommenden Keimzustand anzuerkennen und von der primären „Keimhautblase" {Blastula) des Amphioxus und der Wirbel- losen scharf zu unterscheiden. Die Wand dieser „Keimdarmblase" der Säugethiere besteht aus zwei verschiedenen Theilen. Der weit- aus grössere Theil ist einschichtig, bloss aus dem Exoderm gebildet. Den kleineren Theil, nämlich die kreisrunde Scheibe, welche aus beiden primären Keimblättern gebildet ist, kann man mit Van Be- neden Keimdarmscheibe (Gastrodiscus) nennen. Bei vielen Säugethieren stellt sich schon frühzeitig eine Art Häutung der Epigastrula ein. Das primäre Exoderm ist theil weise vergänglich (eine vorübergehende „Umhüllungshaut" oder „RAUBEii'sche Deck- XII. Keimclaniibla.sc der Säugcthiere (Blastocystib). 281 Schicht"), und wird ersetzt durch ein secundäres Exoderm, welches vom Rande der Keimdarmscheibe aus sich entwickelt. Der kleine, kreisrunde, weissliche und trübe Fleck, den diese „Keimdarmscheibe" an einer Stelle der Oberfläche der hellen und durchsichtigen, kugeligen „Keimdarmblase" bildet, ist den Natur- forschern schon seit langer Zeit bekannt und mit der „Keimscheibe" der Vögel und Reptilien verglichen worden. Bald ist sie demnach geradezu „Keimscheibe" {Discus Uastodermicus) genannt worden, bald Embryonalfleck, {^.Tache embryonnaire'"'')^ gewöhnlich Frucht- hof {Area germinativa). Von diesem Fruchthofe geht die weitere Entwicklung des Keimes zunächst aus. Hingegen wird der grössere Theil der Keimdarmblase der Säugethiere nicht zur Bildung des späteren Körpers direct verwendet, sondern zur Bildung der vor- übergehenden „Nabelblase". Von dieser schnürt sich der Embryo- Körper um so mehr ab, je mehr er auf ihre Kosten wächst und sich ausbildet; beide bleiben nur noch durch den Dottergang (den Stiel des Dottersackes) verbunden; und dieser unterhält die un- mittelbare Communication zwischen der Höhle der Nabelblase und der sich bildenden Darmhöhle (Fig. 100). Der Fruchthof oder die Keimdarm- Scheibe der Säugethiere besteht anfänglich (gleich der Keimscheibe der Vögel und Reptilien) bloss aus den beiden primären Keimblättern, Exoderm und Ento- derm. Sehr bald aber tritt in der Mitte der kreisrunden Scheibe zwischen beiden eine dritte Zellenschicht auf, die Anlage des Mittelblattes oder Faserblattes {Mesodermd). Dieses „mittlere Keimblatt" besteht, wie wir im X. Vortrage gezeigt haben, von Anfang an aus zwei getrennten epithelialen Lamellen, aus den beiden Blätter n der Co elom-Taschen (parietalem und visceralem, vergi. S. 241). Nur sind diese beiden dünnen Mittelblätter bei allen Amnioten (in Folge der mächtigen Dotter- bilduug) so fest aufeinander gepresst, dass sie ein scheinbar ein- aches Mittelblatt vorspiegeln. Eigentlich ist also bei allen Am- nioten die Mitte des Fruchthofs bereits aus vier Keimblättern zu- sammengesetzt, aus den beiden Grenzblättern (oder primären Keim- blättern) und den dazwischen liegenden beiden Mittelblättern (Fig. 93, 94). Diese vier secundären Keimblätter sind deutlich zu unterscheiden, sobald am hinteren Rande des Fruchthofs die soge- nannte Sichelrinne (oder ,, Keimsichel") sichtbar wird. In der Peri- pherie besteht der Fruchthof der Säugethiere nur aus zwei Keim- blättern; die übrige Wand der Keimdarmblase besteht anfänglich bloss aus einem einzigen, dem äusseren Keimblatte. 282 Truchthof und Keimscheibo der Amnioten. XII. Nunmehr wird aber die ganze Wand der Keimdarmblase doppelschichtig. Während nämlich die Mitte des Fruchthofes sich durch die Zellenwucherung der Mittelblätter mächtig verdickt, breitet sich gleichzeitig das innere Keimblatt aus und wächst all- seitig am Rande der Scheibe weiter. Ueberall eng an dem äusse- ren Keimblatte anliegend, wächst es an dessen innerer Fläche allenthalben herum, überzieht zuerst die obere, dann die »untere Halbkugel der Innenfläche und kommt endlich in der Mitte der letzteren unten zum Verschluss (vergl. Fig. 105—109). Die Wand der Keimdarmblase besteht demnach jetzt überall aus zwei Zellen- schichten : Exoderm aussen, Entodem innen. Nur in der Mitte des kreisrunden Fruchthofes, welcher durch Wucherung der Mittel- blätter immer dicker wird, besteht dieselbe aus allen vier Keim- blättern. Gleichzeitig lagern sich auf der Oberfläche der äusseren Eihaut, des Ovolemma oder Prochorion, welches sich von der Keim- darmblase abgehoben hat, kleine structurlose Zotten oder Wärzchen ab (Fig. 107—109 a). Wir können nun zunächst sowohl die äussere Eihaut als auch den grössten Theil der Keimblase ausser Acht lassen und wollen unsere ganze Aufmerksamkeit dem Fruchthofe und der vier- blättrigen Keimscheibe zuwenden. Denn in dieser allein treten zu- nächst die wichtigsten Veränderungen auf, welche die Sonderung der ersten Organe zur Folge haben. Es ist dabei ganz gleichgültig, ob wir den Fruchthof des Säugethieres (z. B. des Kaninchens) oder die Keimscheibe eines Vogels oder eines Reptils (z. B. Eidechse oder Schildkröte) untersuchen. Denn bei allen Gliedern der drei höheren Wirbelthierklassen, die wir als Amnioten zusammenfassen, sind die zunächst auftretenden Keimungs- Vorgänge im Wesentlichen ganz gleich. Der Mensch verhält sich darin nicht anders, als das Kaninchen, der Hund, das Rind u. s. w. ; und bei allen diesen Säugethieren erleidet der Fruchthof im Wesentlichen dieselben Ver- änderungen, wie bei den Vögeln und Reptilien. Bei weitem am häufigsten und am genauesten sind dieselben beim Hühnchen ver- folgt, weil wir uns bebrütete Hühner-Eier aus jeder Altersstufe und jederzeit in beliebiger Menge verschafi'en können. Auch die kreis- runde Keimscheibe des Hühnchens geht unmittelbar nach Beginn der Bebrütung (innerhalb weniger Stunden) aus dem zweiblättrigen Zustand in den vierblättrigen über, indem sich von der Primitiv- rinne aus zwischen Exoderm und Entoderm das zweiblättrige Meso- derm entwickelt (Fig. 89—92). XII. Keimdariublabe imd Jfruchtliof der Säugethiere. 283 Fig. 1Ü5. Fig. 106. Fig. 107. Fii n>6. F\s. 106. Kaninchen-Xi ans dem Pruchtbehälter, von 4 Millimeter Durch- messer. Die Keimdarmblase (i) hat sich etwas von der glatten äusseren Eihülle oder dem Ovolemma (a) zurückgezogen. In der Mitte der Keimhaut ist die kreis- runde Keimscheibe (Blastodiscus, c) sichtbar, an deren Rande (bei d) .sich die innere Schicht der Keimblase bereits auszubreiten beginnt. (Fig. 105 — 109 nach Bischoff.) Fig. 106. Dasselbe Kaninchen-Ei, von der Seite gesehen (im Profil). Buch- staben wie bei Fig. 105 Fig. 107. Kaninchen-Ei aus dem Fruchtbehälter, von 6 Mm Durchmesser. Die Keimhaut ist bereits in grosser Aus- dehnung doppel.schichtigfJ). Die äussere Ei- hülle (Ovolemma) wird zottig oder warzig (a). Fig. 108. Dasselbe Kaninchen-Ei, von der Seite gesehen (im Profil). Buchstaben wie bei Fig 107. Fig. 109. Kaninchen-Ei aus dem Fruchtbehälter, von 8 Mm. Durchmesser. Die Keimhautblase ist bereits fast ganz doppelschichtig (*), nur unten (bei d) noch ein- schichtig. Fig. 109. 2x4 Heller und dunkler Fruchthof der Amuioteu. XII. Die erste Veränderung der kreisrunden Keimscheibe des Hühn- chens besteht nun darin, dass die Zellen an ihrem Randtheile rings- um sich rascher vermehren und in ihrem Protoplasma sich dunklere Körnchen ansammeln. Dadurch entsteht ein dunklerer Ring, der sich mehr oder weniger scharf von der helleren Mitte der Keim- scheibe absetzt (Fig. HO). Letztere bezeichnen wir von jetzt an als hellen Fruchthof {Area pellucidd), den dunkleren Ring als dunkeln Fruchthof {Area opaca). (Bei auffallendem Licht, wie in Fig. 110—112, erscheint umgekehrt der helle Fruchthof Fig. 110, Fig. 111. Fig. 110. Kreisrnnder Fruchthof des Kaninchens, gesondert in den centralen hellen Fruchtbof (Area pellucida) und den peripherischen dunklen Fruchthof (Area opaca). Wegen des durchschimmernden dunklen Grundes erscheint der helle Frucht- hof dunkler. Fig. 111. Ovaler Fruchthof, aussen der trübe weissliche Saum des dunklen Fruchthofs. dunkel, weil der dunkle Grund mehr durchschimmert; dagegen er- scheint der dunkle Fruchthof mehr weisslich.) Die kreisrunde Ge- stalt des Fruchthofes geht nunmehr in eine elliptische und gleich darauf in eine ovale über (Fig. 111, 112). Das eine Ende erscheint breiter und mehr stumpf abgerundet, das andere schmaler und mehr spitz; ersteres entspricht dem vorderen, letzteres dem hin- teren Theile des späteren Körpers. Damit ist schon die charak- teristische, zweiseitige oder bilaterale Grundform des Körpers an- gedeutet, der Gegensatz von Vorn und Hinten, von Rechts und Links. Deutlicher wird dieselbe bald durch den medianen Primi- tivstreif, der am hinteren Ende auftritt. Frühzeitig erscheint in der Mitte des hellen Fruchthofes ein trüber Fleck, der ebenfalls aus der kreisrunden Form bald in die länglich-runde oder ovale Gestalt übergeht. Anfangs ist diese XII. Sogenannte Embryonal-Anlage. Keimschild. 285 schildförmige Trübung nur sehr zart, kaum bemerkbar; bald aber grenzt sie sich deutlicher ab und tritt nunmehr als ein länglich- runder oder ovaler Schild vor, von zwei Ringen oder Höfen umgeben (P'ig. 112). Der innere hellere Ring ist der Rest des hellen Fruchthofes, der äussere dunklere Ring ist der dunkle Frucht- hof; der trübe schildförmige Fleck selbst aber ist die erste Anlage der Rückentheile des Embryo. Wir bezeichnen ihn kurz alsKeim- Schild {Embryaspis) oder Rückenschild (Notaspis) ^ ^). Remak hat ihn „Doppelschild" genannt, weil er durch eine schildförmige Verdickung des äusseren und des mittleren Keimblattes entsteht. In den meisten Schriften wird dieser Keimschild als „die erste Keimanlage oder Embryonal-Anlag e", als „Urkeim" oder „die erste Spur des Embryo" beschrieben. Aber diese Bezeichnung, die sich auf die Autoritäten von Baer und Bischopf stützt, ist irrthüra- ch. Denn in Wahrheit be- steht ja der Keim oder Embryo schon in der Stammzelle , in der Gastrula und in allen folgen- den Keimzuständen. Hingegen ist der Keimschild bloss die erste Anlage der am frühesten sich besonders ausprägenden Rückentheile. Pig. 112. Ovale Keimscheibe des Kaninchens, UDgefähr lOmal vergröss. Da die zarte , halb durchscheinende Keimscheibe auf schwarzem Grunde liegt, so erscheint der helle Fruchthof als ein dunklerer Ring, hingegen der (nach aussen davon gelegene) dunkle Prucht- hof als ein weisser Ring. Weisslich erscheint auch der in der Mitte gelegene ovale Keimschild, in dessen Axe die dunkle Markfurche sichtbar ist. (Nach Bischoff.) Da die alten Bezeichnungen „Embryonal-Anlage und Fruchthüf" in vielfach verschiedenem Sinne gebraucht werden und dadurch eine verhängnissvolle Verwirrung in der ontogene- tischen Litteratur entstanden ist, müssen wir hier ausdrücklich die eigentliche Bedeutung dieser wichtigen Keimtheile bei den Amnioten erläutern. Schon vor vierzig Jahren hat Remak (§ 12) darauf hin- gewiesen, dass es ganz falsch ist, den Keimschild oder „Baer- schen Schild" als den „zukünftigen Embryo" oder „die erste Spur des Embryo" zu bezeichnen. Denn schon die primären Keim- 286 Keimschild, Menosoma. Fruchthof, Embryorgane. Xll. blätter bilden die wahre „Erabryonal-Anlage". Trotzdem hat sich jene ältere eigenthümliche Bezeichnung, Dank der grossen Autorität von Baer und Bischoff, vielfach bis in die neueste Zeit erhalten. So sagt z. B. KöLLiKER, einer der angesehensten und einflussreich- sten Embryologen, noch in der neuesten Auflage seiner „Entwicke- lungsgeschichte des Menschen" (1884, S. 29, 88): „In der Mitte des hellen Fruchthofes (vom Hühnchen) treten erst später die ersten Spuren des Embryo auf" ; und in der Keimblase des Kaninchens „erscheint da, wo dieselbe dreiblätterig ist, ein weisser, runder, undurchsichtiger Fleck, der Embryonalfleck (Area embryonalis), der nichts Anderes ist, als die erste Anlage des Embryo". Die Missverständnisse, die sich an diese und ähnliche Auflassungen knüpfen, haben viele und schwere Irrthümer in der Deutung der embryonalen Bildungs- Verhältnisse herbeigeführt. Diesen gegenüber muss ich ausdrücklich folgende Sätze hervorheben: 1. die soge- nannte „erste Spur des Embryo" der Amnioten, oder der Keim seh ild (Embryaspis) , in der Mitte des hellen Fruchthofs, beruht nur auf frühzeitiger Sonderung und Ausbildung der mittleren Rückentheile; 2. daher ist die passendste Bezeichnung für die- selbe der Ausdruck Rü cken s c hi 1 d (iV^o^asjpis), den ich schon vor langer Zeit dafür vorgeschlagen habe; 3. der Fruchthof (Area germinaüva oder Area embryonalis)^ in dem frühzeitig die ersten embryonalen Blutgefässe auftreten , steht nicht als äusserer „Hof" im Gegensatz zu dem „eigentlichen Embryo", sondern er ist ein Theil desselben; 4. ebenso ist auch der Dottersack oder die Nabelblase (der „Rest der Keimblase") kein fremder äusserer An- hang des Embryo, sondern ein äusserlich gelegener Theil seines U r d a r m s , eine embryonale „Darmdrüse" ; 5. der Rückenschild schnürt sich allmählich von dem Fruchthof und Dottersack ab, indem seine Ränder nach unten wachsend sich gegen einander krümmen und zu Bauchplatten (Laminae ventrales) ausdehnen; 6. der Dottersack und die Gefässe des Fruchthofs, welche sich bald auf seiner ganzen Oberfläche ausbreiten, sind demnach Embryorgane oder „vergängliche Embryonal- Theile", die nur vorübergehende Be- deutung für die Ernährung des keimenden späteren Leibes be- sitzen letzterer kann im Gegensatze dazu als Dauer leib (Meno- soma) bezeichnet werden. Die Beziehung dieser cenogenetischen Bildungs-Verhältnisse der Amnioten zu den palingenetischen Keimungs- Formen der älteren amnionlosen Wirbelthiere lässt sich in folgendem Satze zusammen- fassen: Die ursprüngliche Gastrula, welche bei den Acraniern, Xn. Stammesgeschichte der Wirbelthier-Eiei'. 287 Cyclostomen und Amphibien vollständig in den Keimleib übergeht, sondert sich bei den Amnioten frühzeitig in zwei Theile : in den K e i m s c h i 1 d (Embryaspis), welcher die dorsale Anlage des Dauer- leibes (Menosoma) darstellt, und in die vergänglichen Embryonal- Organe des F ru ch th o fs und seiner Blutgefässe, welche bald den ganzen Dottersack umwachsen. Die Verschiedenheiten, welche die verschiedenen Klassen des Wirbelthier-Stammes in diesen wichtigen Keimungs- Verhältnissen zeigen , lassen sich nur dann völlig ver- stehen , wenn wir gleichzeitig einerseits ihre phylogenetischen Be- ziehungen ins Auge fassen , anderseits die cenogenetischen Ver- änderungen der Keim - Anlagen , welche durch die wechselnde Brutpflege, die bald zunehmende, bald abnehmende Masse des Nahrungsdotters herbeigeführt wurden. Die wiederholte Erwerbung und der wiederholte Verlust des Nahrungsdotters machen sich hier als sehr wichtige cenogenetische Vorgänge in der Stammesge- schichte der Wirbelthiere geltend. Niemand hat dieselben neuer- dings klarer beurtheilt und richtiger geschildert, als Carl Rabl in seiner ausgezeichneten „Theorie des Me soder ms". Er betont mit vollem Rechte, dass „die Eier ihreStammesgeschichte ebenso gut wie die ausgebildeten Formen haben", und unterscheidet unter den Eiern der Wirbelthiere: 1. primär dotterarme (Acranier und Cyclostomen), 2. primär dotterreiche (Selachier) , 3. secundär dotterarme (Ganoiden und Amphibien), 4. secundär dotterreiche (Teleostier, Reptilien, Vögel, Monotremen), 5. tertiär dotterarme (Didelphe und placentale Säugethiere). Die Veränderungen , welche diese wiederholte Zunahme und Abnahme der ernährenden Dottermasse in der Form der Gastrula und besonders in der Lage und Gestalt des ürmundes herbei- führte, haben wir bereits im IX. Vortrage besprochen, als wir die verschiedenen Formen der Gastrulation im Wirbelthier-Stamme ver- glichen. Der Urmund oder das Prostoraa ist ursprünglich eine einfache, kreisrunde Oeffnung am Aboral-Pol der Längsaxe ; seine dorsale Lippe liegt oben, die ventrale unten. Beim holoblastischen Amphioxus ist der Urmund ein wenig excentrisch, auf die Rückenseite verschoben (S. 168, Fig. 39). Die Oetfnung erweitert sich mit dem Wachsthum des Nahrungsdotters bei den Cyclo- stomen und Ganoiden; bei den Stören liegt sie fast am Aequator des kugeligen Eies, die Bauchlippe (a) vorn, die Rückenlippe (])) hinten (Fig. 113 B). Bei der weitmündigen, kreisrunden Scheiben- Gastrula der Selachier oder Urfische, die sich ganz flach auf 288 Cenogenetische Verschiebung des Urmundes. XII. Fig. 113. Medianer Längsschnitt durch die Gastrula von vier Wirbelthieren. Nach Raul. A Discogastrula eines Haifisches (Pristiurus). B Ani|)liigastrula eines Störfisches {^Accipenser) . C Amphigastrula eines Ampliibiums {l'riton). D Epigastrula eines Amnioten (Schema), a ventrale, b dorsale Lippe des Urmundes. dem mächtigen Nahrungsdotter ausbreitet, erscheint der vordere Halbkreis der Scheiben-Peripherie als ventrale, der hintere als dor- sale Lippe (Fig. 113 A). Auf dem Wege von den discoblastischen Selachiern zu den amphiblastischen Amphibien nimmt die Masse des Nahrungsdotters wieder so sehr ab, dass er der totalen Fur- chung unterliegt. Der Urmund wird hier wieder klein und eng (Fig. 113 0, db)\ er erscheint durch den Dotterpfropf verstopft, liegt auf der Grenze von Rückenfläche und Bauchfläche des Keimes (am Aboral-Pol seiner Aequatorial-Axe) und zeigt daher wieder- um eine obere dorsale und untere ventrale Lippe (a, &). Eine neue (secundäre) Ausbildung von mächtigem Nahrungsdotter er- folgte wiederum bei den Stammformen der Amnioten, den aus Amphibien hervorgegangenen Protamnioten oder Proreptilien (Fig. 113 B). Die Anhäufung der Dottermassen geschah aber hier nur in der Bauchwand des Urdarms, so dass der hinten gelegene XII. Palingenetische und ceuogenetisclie Gastrulation. 28^ eüge Urmund nach oben gedrängt wurde, und als spaltförmige „Pri mitiv-Rinne" auf den Rücken der scheibenförmigen ,,Epi- gastruia'-'- zu liegen kam ; nunmehr musste (umgekehrt wie bei den Selachiern, Fig. 113 A) die dorsale Lippe (6) vorn, die ventrale (a) hinten liegen (Fig. 113 D). Dieses Verhältniss vererbte sich von da auf alle Amnioten, gleichviel ob sie den grossen Nahrungs- dotter beibehielten (Reptilien und Vögel) oder abermals rückbildeten (Säugethiere). Diese phylogenetische Beurth eilung der Gastrulation und Coelomation, sowie ihre kritische Vergleichuug bei den ver- schiedenen Wirbelthieren verbreitet klares und volles Licht über viele ontogenetische Erscheinungen, über welche noch vor zwanzig Jahren die unklarsten und verworrensten Vorstellungen herrschten. Insbesondere offenbart sich hier deutlich der hohe wissenschaftliche VVerth des biogenetischen Grundgesetzes, der scharfen kritischen Trennung der palingenet is chen und cenog enetischen Processe. Den Gegnern dieses Grundgesetzes bleibt daher auch die wahre Bedeutung jeuer auffallenden Erscheinungen völlig ver- schlossen. Erstaunliche Beispiele solchen Mangels an jedem tiefereu Verständniss liefern noch in neuester Zeit namentlich Wilhelm His in Leipzig und Victor Hensen in Kiel. Trotzdem diese fleissigen Beobachter seit mehr als zwanzig Jahren mit der genauen Beschreibung ontogenetischer Thatsachen sich abmühen, sind ihnen dennoch deren phylogenetische Ursachen bis heute völlig verschlossen geblieben. Die angeblichen „mechanischen" Erklärungen, welche sie zu Hülfe nehmen, sind völlig ungenügend (vergl. S. 55). Hier wie überall in der Keimesgeschichte finden wir den wahren Weg des Verständnisses nur durch die Stammesgeschichte. :kel, Aiitliniiicgeuie. 4. Aiill. 1 J 290 xii. Elfte Tabelle. Uebersicht über die Zusammensetzuüg des Amuioteu-Embryo aus Dauerleib (Menosoma) uud vergänglichen Keiiuorganen (Embryorgana). 1 Bestandtheile erster Ordnung Bestandtheile Bestandtheile des Amnioten-Keims zweiter Ordnung. iritter Ordnung. I. D ii u e r 1 e i b. Menosoma. Derjenige (kleine) Theii des K e i m s c h i 1 d Embryaspis = Embryonal-Fleck (Area embryonalis) oder ,,Em br yonal- A n 1 a g e", oder ,, Erste Spur des I. A. U ü c k e n 1 e i b (= Urwirbelplatten). Episoma = S t ii m m z 0 n e (Rückenschild). .a. b. c. Hirnblase und Kopfplatten. Rückenmark und Urwirbelplatten. Chorda (axiales Entoderm) Ainnioten-Keims \ a. Bauchplatteii (Mitteltheil der Keim- Embryo". I. B. (Parietale Seiten- scheibe oder B a u c h 1 e i b . platten , Somati)- Discogastrula), (= Üoppelschild (== Seitenplatten). pleura). welcher sich zum [von Remak] Hyposoma b. Darmplatten bleibenden Körper oder „HAKii'scher = F a r i e t a 1 z 0 n e (Viscerale Seiten- entwickelt. Schild''.) (Bauchplatten). platten, Splanchno- i ' ^ pleura). . II. AI. a. F r u c h t h 0 f Heller Fruchthof. 11. A. Area germinativa Area pellucida. üottersack. | oder Gefässhof b. Dunkler Fruchthof. Lecithoma [Area vasculosa) Area opuca. II. Saccus vütUhms. II. A 2 c. Dotter - Frnclithof. K e i ni 0 r g a n e. Embryorgana. N a b e 1 b 1 a s e . Vesica umbilicalis. . Area vitellina. Derjenige (grosse) Theil des Amnioten- Keims, welcher keinen Antheil an der Zu- . sammeusetzung des bleibenden Körpers nimmt, sondern sich zu vorübergehenden sogenannten ,,extraembrjonalen" Keim-Organen aus- bildet. II. B. U r h a r n sa c k. Allantois (= Harnblase der Amphibien). II, Bl. Intrafötale Allantois. II. B2. I Extrafötale Allantois. ,&. Harnblase ( Vesica urinaria) . Harugang. Urackus. GefJisskuchen. Placenta. II. C. K e i ni h ii 1 1 e n. Embryolemma. II. C 1 . Amnion. Wasserhaut. (Fruchtsack). II. 0 2. Serolemma. Serumhaut („Seröse Hülle"), durch Zotten- bildung übergehend in die Zotten haut. Chorion. I 0 1. Amnionhöhle l (AmniocoeloH). 0 2. Serumhöhle. Serocoelon. (= Exocoeloma oder luteramnion- höhle, oder Extra- fötal-Ooelom). Dreizehnter Vortrag. KUckenleib und ßauchleib. „Es mag bequemer sein, den altgewohnten Weg weiter zu wandeln, und in der zusammenliangslosen Einzeltbrschung die einzige uissenschaftliclie Aufgabe zu sehen, in jeuer Häufung des thatsächlichen Materials, welches die Empirie seit langer Zeit anzusammeln begonnen hat. Diese Thatsachen bleiben aber uuverwerthet, wenn t.ie nicht synthetisch erfasst und unter einander in logische Verbindungen gebracht werden. Dies geschieht durch die Morphologie. Sie zeigt der Anatomie die wechselseitigen Beziehungen der Organisationen, und lehrt sie in der Entwickelungsgeschichte die niederen Zustände erkennen, aus denen die höheren phylogenetisch hervorgingen." Carl Geüenbaur (1876). Urmund oder Primitivrinne. Markfurehe und Nervenrohr. Mark- darmgang oder neurenterischer Canal. Sandalen-Form des Keimschildes. Episoma und Hyposoma, Stammzone und Parietal- zone. Darmrohr und Nabelblase. Rückenwand und Bauchwand. Kopfdarm und Beekendarm. l'J* Inhalt des dreizehuteu Vortrages. Elitwickelung des RückenscLildes (Notaspis). Primitivriiine (Urmund) in der HiiiteiLälfte, Medullaniniie in der Vorderbälfte des Rückeuscliildes. Verbindung beider Mediau-Rinnen durch den Markdariugang oder Urdarm-Nerven-Gang (Canalis iieuren- tericus). Keuroporus. Die ovale Form des Keimscliildes gebt über in die Sandalen- Form. Souderuug von Rückeuleib (Episoma oder Stamirizone) und Bauclileib (Hyposoma oder Parietalzoue). Trennung beider durch die Seitenfurche. Sonderung von Urwirbelplatten und Seitenplatten. Querscbnitt-Studien an dem soblenförmigen Amuioteu-Keiiu. Abschuürung des Medullar-Rohrs von der Hornplatte. Entstehung des geschlossenen Darmrohrs aus dem flachen Darmblatte des Keimschildes. Nabel- bildung. Abschuürung des Säugethier-Keimschildes von der Keimdarinblase. Hant- nabel und Darmiiabel Hildung des Amnion, der Allantois und der Nabelblase Aehuliche Bildung von Rückenwand und Bauchwand. Kopfdarinhöhle und Becken- darmhi'ihle. Muudgrube und Aftergrube. Uriiierengänge. Erste Blutgefässe. Litteratur : Carl Gegenbaur , 187G. Die Slelhuiy nnd Bedeutung der Morpholoyie. [Morphol. Jahrb. 1. Bd.) A. Rauber, 187C. Prlmitivrinne und Urmund. {^Morphol. Jahrb. 11. Bd.) JJtrselbe, 1877. Fr iniitiv streifen und Neurula der Wirbelthierc . — Nocli ein Blasto- 2)orus. {Zaol. Anz. 1883.) C. Kupffer, 1882 — 1884. Die Gastrvlation der Wirbelthlere nnd die Bedeutung des Primitiv Streifs. {Arch. f. Anat, u. Phys.) C. K. Hoffmann, 1884. Beiträge zur ErUwiclcelungsgeschlchte der Heptllien. [Zeitschr. f. tv. Zool. 40. Bd., und Morphol. Jahrb. 11. Bd.) C Kupffer, 1887. Ueber den Canalis nem-entericus der WirbeUhiere. Johannes Rückert, 1888. Ueber die Eidstehung der Excreiions-Organt bei 8darhiern. [Arch. f. Anat. u. Phys.) Berthold Hatschek, 1888. Ueber den Schichlenban vom Amphio.f.ns. [Anal. Anzeiger /V. 062). Carl Babl, 1888. Ueber die Diff'ertnzirung des Jllesodernis. [Anat. Anzeiger S. 6G7.) J W. van Wijhe, 1889. Ueber die Mc so demi- Segmente des Ihimpjts ■und die Eat- v'ickeluny des Exrrelions-tSi/stenis bei iSelachiern. XIII. Meine Herren ! JJie frühesten und jüngsten Keira-Zustände des Menschen sind uns, aus den früher schon erörterten Gründen, theils noch gar nicht, theils nur sehr unvollkommen bekannt. Da aber die späteren darauf folgenden Keimformen sich beim Menschen genau ebenso verhalten und entwickeln, wie bei allen übrigen Säugethieren , so unterliegt es nicht dem geringsten Zweifel, dass auch jene früheren Vorläufer ganz dieselben sind. Konnten wir uns doch schon an der Coelomula des Menschen (Fig. 94, S. 241), an Querschnitten durch ihren Urmund überzeugen, dass ihre paarigen Coelom- Taschen sich ganz ebenso entwickeln, wie beim Kaninchen (Fig. 93) ; mithin wird auch der besondere Verlauf der Gastrulation der- selbe sein. Ebenso wie bei allen übrigen Säugethieren, bildet sich nun auch beim Menschen der Fruchthof aus, und in dessen axialem Mitteltheil der Kei m s chi\d (Embrpaspis), dessen Bedeutung wir im vorhergehenden Vortrage betrachtet haben. In übereinstimmender Weise erfolgen nun auch die nächsten Veränderungen dieses Keim- schildes, oder des sogenannten „Erabryonal-Flecks" {Area emhryo- nalis, fälschlich früher als „erste Spur des Embryo" aufgefasst — ). Diese Veränderungen sind es nun, die wir vor Allem weiter ins Auge zu fassen und zu verfolgen haben. Der wichtigste Theil des ovalen Keimschildes ist zunächst das schmälere hintere Ende; denn in seiner Median-Linie tritt zunächst der Primitiv-Streif auf (Fig 116 p s). Die schmale Längs- rinne oder Medianfurche in demselben, die sogenannte „Pri- miti v-Ri n ne", ist, wie wir bereits wissen, der Urmund der Gastrula. Bei den stark cenogenetisch modificirten Gastrula- Keimen der Säugethiere ist dieses spaltförmige Prostoma so lang ausgedehnt, dass es bald die ganze hintere Hälfte des Rücken- schildes durchzieht; so bei einem Kaninchen-Embryo von 6 — 8 Tagen 2U4 Riickcuschild der Säuüicthicrc. XIII. (Fig. 11(3 i»-). Die beiden wulstigen parallelen Ränder, welche diesen medianeu Längsspalt begrenzen, sind die lateralen Uriuuud- Lippeu, rechte uud linke. Somit wird bereits durch diesen Primi- tiv-Streifeu die zweiseitige, dipleure oder bilateral - symmetrische Fig. 114. Keimblase eines 7 Tage alten Kaninchens mit ovalem Keimschild {ag). A von oben, B von der Seite gesehen. Nach Köllikek. ag Rückenschild (Notaspis) oder Embryonal-Fleck [Area embryonalis). In Fig. B ist die obere Hälfte der Keim- blase aus beiden primären Keimblättern gebildet, die untere (bis ge) nur vom äusseren. A B Fig. 115. Ovaler Kaninchens (Fip- 115 A Stunden, Fig. 115 B von KöLLiKKR. ps Primitiv-Streif, pr Primitiv- liinne. ar' Primitivrinne (Urmund). stz Dorsalzone (Stammzone), pz Ventralzone (Parietalzone). In dem schmäleren Mitteltheil sind die drei ersten Ursegmente sichtbar. glichen wird, bleibt bei allen Amnion-Thieren längere Zeit bestehen. Alle Säugethiere, Vögel und Reptilien haben in diesem Stadium wesentlich die gleiche Bildung, und ebenso auch noch kürzere oder längere Zeit, nachdem die Abschnürung der Ursegmente in den Coelom - Lappen begonnen hat (Fig. 126). Der Keimschild des Menschen nimmt diese Sandalen-Form bereits in der zweiten Woche seiner Entwickelung an; gegen Ende dieser Woche besitzt unser Sohlen-Keim eine Länge von ungefähr einer Linie oder zwei Milli- metern. Die vollkommene bilaterale Symmetrie des Wirbel- thier-Körpers, welche schon in der ovalen Form des Keim- schildes (Fig. 112) durch den medianen Primitiv-Streif angedeutet war, tritt in der Sandalen - Form desselben noch schärfer hervor (Fig. 125—128). Immer deutlicher sondern sich im sohlen förmigen Keimschilde die axialen Organe der Mittelebene (hinten Primitiv- Xlll. Rückenleib und Bauclileib. 301 ^SfiiSSSS a V vcl af tnh J,1v Streif, vorn Medullar-Rohr, darunter die Chorda), und die lateralen Organ-Bezirke, welche rechts und links von jenen symmetrisch sich entwickeln. In diesen Seiten - Bezirken des Keimschildes sondert sich nun deutlich eine dunklere ^^ centrale und eine hellere periphere Zone ; erstere wird als „Stamm- zone" bezeichnet (Fig. 127 stz)^ letztere als „Parietal-Zone" {'pz) ; aus der ersteren entsteht die dorsale, aus der letzteren die ven- trale Hälfte der Leibeswand. Die sogenannte „Stamm- zone" des Amnioten-Keiras wird besser als R ü c k e n s c h i 1 d {Notaspis) bezeichnet ; denn aus ihr geht die ganze Rückenhälfte des späteren Körpers (oder des 'llllHIiHHIl Fig. 127. Sandalenförmiger Keim- —j-fe Schild eines Kaninchens von neun Tagen. et," Nach KÖLLIKER. (Rücken-Ansicht, von oben.) stz Stammzone oder Rückenschild (mit 8 Paar Ursegmenten). pz Parietalzone oder Bauchzone. ap HeUer Fruchthof. af Amnion-Ii'alte. h Herz, ph Pericardial- Hölile. vo Vena omphalo - mesenteria. ab Augenblasen, vh Vorderhirn, mh Mittelhiru, '■ 'l:IlJ'!'|'J1'fiR';';''^^^^^ ' hJi Hiuterhirn. uv^ Ursegment (Urwirbel). -^- - Dauerleibes) hervor, d. h. der Rückenleib {Einsoma). Die so- genannte „Parietal-Zone" hingegen wird passender Ventral- Zone oder Bauchschild genannt (Hypaspis); denn aus ihr entstehen die „Seitenplatteu", welche sich später von der Keimdarmblase ab- schnüren und den Bauchleib (Hyposoma) bilden, d. h. die Bauch- hälfte des bleibenden Körpers, mit der Leibeshöhle und dem davon umschlossenen Darmrohr. Die sohlenförmigen Keimschilder aller Amnion-Thiere sind noch auf der Stufe der Bildung, welche Fig. 127 von einem Kaninchen und Fig. 128 von einer Beutelrattö zeigen, so ähnlich, dass man sie entweder gar nicht oder nur durch ganz untergeordnete Merk- male in der Grösse einzelner Theile unterscheiden kann. Auch der Sandalen - Keim des Menschen ist auf dieser Bildungsstufe nicht von demjenigen anderer Säugethiere zu unterscheiden, und insbe- sondere demjenigen des Kaninchens sehr ähnlich. Dagegen er- 802 Sandalea-Keim der Säugetkiere. Xllt scheinen diese flachen Sandalen-Keime der Amnioteu sehr verschieden von den entsprechenden Keimfornien der holoblastischen niederen Wirbelthiere, insbesondere der Acrauier (Aniphioxus) ; und dennoch ch hh ap - ■ " j ch pr h Fifi 128. Sandalenförmiger Keimscbild eines Opossum (Didelphys) von drei Tagen (72 Stunden). Nacli Sklenka. (Rückenansiclit, von oben.), stz Slammzone oder Kücken.scliild (mit 8 Paar Ursegmenten). pz Parietalzone oder Bautlizone. ap Heller Fruclithof. ao Dunkler Fruditliof. hh Herzhälften, v Vorderende, h Hinter» eude. In der Mittellinie schimmert die Chorda {ch) durch da.s helle MeduUar-Rohr (») durch. M Ursegment. pr Primitiv-Streif (Urmund). ist der wesentliche Körperbau der ersteren ganz derselbe, wie der- jenige, den wir bei der Chordula der letzteren finden (Fig. 80—83) und bei den seginentirten Keimfornien, die unmittelbar daraus hervorjiehen. Der untlallende äussere Unterschied ist auch hier XlII. Querschnitte durch den Keimschild. 303 wiederum dadurch bedingt, dass bei deu paliugeuetischeu Keiiueu des Ampbioxus (Plg. 80, 81) und der Amphibien (Fig. 82, 83) Darrawand und Leibeswand von Anfang an geschlossene Röhren bilden , während dieselben bei den cenogenetischen „Keimscheiben'' der Amnioten durch die colossale Ausdehnung des Dottersackes zu blattförmiger Ausbreitung an dessen Oberfläche gezwungen sind. Um so bemerkenswerther ist es, dass die frühzeitige Scheidung von Rücken- und Bauchhälfte bei allen Vertebraten sich in gleicher, streng erblicher Weise vollzieht. Hier wie dort, bei jenen Acranieru wie bei diesen Cranioten , sondert sich schon um diese Zeit der Rückenleib {Exnsomci) vom Bauchleibe {Hyposoma). In dem mittleren oder medialen Körpertheile ist ja diese Sonderung schon früher dadurch erfolgt, dass sich die axiale Chorda zwischen dem dorsalen Nervenrohr und dem ventralen Darmrohr ausbildet. Aber in dem äusseren oder lateralen Körpertheile wird sie erst dadurch bewirkt, dass die paarigen Coelom-Taschen durch eine frontale Ein- schnürung jederseits in zwei Stücke zerfallen, in einen dorsalen Episomiten (Rückensegment oder „Urwirbel") und einen ven- tralen Hyposomiten (Bauchsegment). Ersterer liefert beim Amphioxus je eine Muskeltasche, letzterer je eine Geschlechtstasche oder Gonade. (Vergl. den Querschnitt des Urwirbelthieres, Fig. 98, 99, S. 256.) Diese wichtigen Sonderungs-Processe im Mesoderm, welche wir im nächsten Vortrage eingehender betrachten werden, gehen Hand in Hand mit bedeutungsvollen Veränderungen im Exoderm, während das Eutoderm zunächst noch wenig sich verändert. Wir studireu diese Vorgänge am besten auf Querschnitten, welche wir senkrecht auf die Fläche durch den sohlenförmigen Keimschild legen. Ein solcher Querschnitt durch einen bebrüteteu Hühnerkeim, am Ende Fig. 129. Querschnitt durch den Keimschild eines Hühnchens, am Ende des ersten Brütetiiges. Nach Köllikeu. h Honiplatte. m Marlcplatte, die Kückenf'urche (yi/) bildend, ch Chorda, uith Coelomspalte. mcp Dorsaler Theil des Mesoderms. sp Ventraler Tlieil (Seitenplatten), dd Darmdrüsenblatt. des ersten Brüte -Tages, zeigt uns das Darmdrüsenblatt als ein ganz einfaches Epithel , welches blattförmig auf der Aussentläche des Nahrungsdotters ausgebreitet ist (Fig. 129 dd). Aus der dor- 304 Ürwirbelplatten und Seitenplatten. XIll. saleu Mittellinie dieses Entoderms hat sich die Chorda (ch) abge- schnürt; rechts und links von dieser die beiden Mesodermhälften oder die paarigen „Coelom - Lappen". Ein schmaler Spalt in den letzteren deutet die Leibeshöhle an {uwh) ; durch sie werden die beiden Lamellen der Coelom-Taschen getrennt, die untere (viscerale) und die obere (parietale). Die breite, von der Markplatte (m) ge- bildete Rückenfurche (Bf) ist noch weit ofien, wird aber durch die parallelen Medullär - Wülste von der lateralen Hornplatte (h) ge- schieden. Während nun die Medullär- Wülste höher werden und sich gegen einander krümmen (Fig. 130 w), bildet sich im Mesoderm jederseits eine diesen parallele Längsfurche, die Seitenfurche (Sulcus lateralis). In dieser Seitenfurche liegt anfangs der „Ur- nierengang (Fig. 131 tmg). Indem die Seitenfurche das Mittelblatt völlig durchschneidet, zerfällt dasselbe in zwei getrennte Abschnitte: der innere oder mediale Theil (w) ist die „Ursegment-Leiste", welche den grössten Theil der „Stammzone" bildet und nachher durch Gliederung in die Somiten - Kette zerfällt (in Fig. 127 und 128 bereits mit 8 Paar Somiten); der äussere oder laterale Abschnitt Fig. 130. Querschnitt durch den Keimschild von einem Hühnchen am Ende des ersten Brüte-Tages, etwas weiter entwickelt als Fig. 129, ungefähr 20uial ver- grössert. Die beideu Ränder der Markplatte (m), welche als Markwülste (w) die letztere von der Hornplatte (/t) abgrenzen, krümmen sich gegeneinander. Beiderseits der Chorda (ch) haben sich die Ursegmeutplatteu (m) von den Seitenplatten [sp) ge- sondert, d Darmdrüsenblatt. Nach Kemak. hingegen ist die „Seitenplatte" (Fig. 130 sp); sie erscheint, von oben gesehen, als „Parietal - Zone" und spaltet sich dann in die beideu Faserblätter. In der vorderen Hälfte des Keimschildes welche dem späteren Kopfe entspricht, tritt keine Trennung ein zwischen der inneren Urwirbelmasse und der äusseren Seitenplatte. Der mediale , innerste Theil der Seitenplatten , welcher die Urseg- ment-Leiste oder „Urwirbelplatte" berührt, heisst Mittel platte (Fig. 131 m2)). Unterhalb derselben erscheinen die ersten Blut- gefässe, die „primitiven Aorten" (ao). Während dieser Vorgänge geschehen bedeutende Veränderungen im Hautsin nesblatte oder im äusseren Keimblatte. Die fort- dauernde Erhöhunti und das beständige Wachsthum der beideu XIII. Markrohr und Hornplatto. Urnierengang. oOf) Rückenwülste führt uämlich dahin, dass jetzt diese beiden erhabenen Leisten sich mit ihren oberen freien Rändern gegen einander krümmen, immer mehr nähern (Fig. 130 w) und schliesslich ver- wachsen. So entsteht aus der offenen Rückenfurche, deren obere Spalte enger und enger wird, zuletzt ein geschlossenes cylindrisches Rohr (Fig. 131 mr). Dieses Rohr ist von der grössten Bedeutung; es ist die erste Anlage des Central-Nervensystems, des Gehirns und des Rückenmarkes : das Markrohr oder Medullarrohr {Tubus me- dullaris). Früher hat man diese ontogenetische Thatsache als ein wunderbares Räthsel angestaunt; wir werden nachher sehen, dass sich dieselbe im Lichte der Descendenz-Theorie als ein ganz natürlicher Vorgang herausstellt. Ihre phylogenetische Erklärung liegt darin, dass das Central-Nerven System das Organ ist, durch welches aller Ver- kehr mit der Aussenwelt, alle Seelenthätigkeit und alle Sinneswahr- nehmungen vermittelt werden ; also muss es sich ursprünglich aus der äusseren Oberfläche des Körpers, aus der Oberhaut oder Epi- dermis entwickelt haben. Später schnürt sich das Markrohr voll- ständig vom äusseren Keimblatte ab, wird von den Medialtheilen der Urwirbel umwachsen und nach innen hineingedrängt (Fig. 141). Der übrig bleibende Theil des Hautsinnesblattes (Fig. L31 7^) heisst Fig. 131. Querschnitt durch den Keimschild (von einem bebrüteten Hühneben am zweiten Brütetage), iingefälir lOümal vergrössert. Nach K<1lmker. h Hornplatte. mr Medullarrohr. ^mg Urnierengang. wo Ursegmente. hf Hauttaserblatt, mp Mittel- platte, df Darmfaserblatt, sp Coelomspalte. ao Primitive Aorta, dd Darmdrüsenblatt. nunmehr Hornplatte oder „Hornblatt", weil sich aus ihm die gesammte Oberhaut oder Epidermis mit den dazu gehörigen Horn- theilen (Nägeln, Haaren u. s. w.) entwickelt. (Vergl. Taf. IV und V, S. 320, nebst Erklärung). Sehr frühzeitig scheint sich aus dem Exoderm noch ein an- deres, ganz verschiedenes Organ zu sondern, nämlich derUrnie ren- gang (ung). Dieser ist ursprünglich ein ganz einfacher, röhien- fönniger, langer Gang, ein gerader Canal, der beiderseits der Ur- wirbel-Leisten (an deren äussei'er Seite) von vorn nach hinten läuft (Fig. V)2 unp). Er entsteht, wie (!s scheint, seitlicli vom Markrolir Il.u'tlci'l. .'\ntln'oii(i-,-iiic. 4. Aiill. 2U 306 Spaltungsproducte des üusseren und inneren Keimblattes. XIII. aus der Hornplatte, in der Lücke, welche zwischen den Urwirbel- platten und den Seitenplatten sich findet. Schon zu der Zeit, in welcher die Abschnürung des Markrohres von der Hornplatte er- folgt, wird der Urnierengang in dieser Lücke sichtbar. Nach an- deren Beobachtern soll die erste Anlage desselben nicht vom Haut- siunesblatte, sondern vom Hautfaserblatte geliefert werden. Das innere Keimblatt oder das Darmdrüsenblatt (Fig. 131 dd) bleibt während dieser Vorgänge ganz unverändert. Erst etwas später zeigt dasselbe eine ganz flache, rinnenförmige Fig. 132. Drei schematisclie Querschnitte durch den Keimschild des höheren Wirbelthieres, um die Entstehung der röhrenförmigen Organ-Anlagen aus den ge- krümmten Keimblättern zu zeigen. In Fig. A sind Markrohr (n) und Darmrohr (o) noch ofifene Rinnen ; die Urnierengänge (m) sind noch Seiten-Rinnen in der Oberhaut (A). In Fig. B ist das Markrohr {n) und die Rückenwand bereits geschlossen, während das Darmrohr (n) und die Bauchwand noch offen sind ; die Urnierengänge (u) sind von der Hornpiatte (h) abgeschnürt und innen mit segmentalen Urnieren-Canälchen in Verbindung. In Fig. C ist sowohl oben das Markrohr und die Rückenwand, als unten das Darmrohr und die Bauchwand geschlossen. Aus allen offenen Rinnen sind ge- schlossene Röhren geworden; die Urnieren sind nach innen gewandert Die Buch- staben bedeuten in allen drei Figuren dasselbe: h Hautsinnesblatt, n Markrohr oder Medullarrohr. u Urnierengänge. x Axenstab. s Wirbel-Anlage, r Rückenwand, i Bauch- wand, c Leibeshöhle oder Coelom. / Darmfaserblatt, t Urarterie (Aorta), v Urvene (Subintestinal- Vene), d Darmdrüsenblatt, o Darmrohr. (Vergl. Taf. IV und V.) Vertiefung in der Mittellinie des Keimschildes, unmittelbar unter der Chorda. Diese Vertiefung heisst die Darmrinne oder Darm- furche. Sie deutet uns bereits das künftige Schicksal dieses Keim- blattes an. Indem nämhch diese ventrale Darmrinne sich allmäh- lich vertieft und ihre unteren Begrenzungsränder sich gegen einander krümmen, gestaltet sie sich in ähnlicher Weise zu einem geschlossenen Rohr, dem Darm röhr, wie vorher die dorsale Medullarfurche zum Markrohr wurde. Das Darmfaserblatt (Fig. 132/), welches dem Darmdrüseublatt (d) anliegt, folgt natürlich der Krümmung des letzteren. Mithin wird von Anfang an die entstehende üanj^- XIII. Abschnürnng des Embryo von der Keimdarmblase. B07 wand aus zwei Schichten zusammengesetzt, inwendig aus dem Darmdrüsenblatt, auswendig aus dem Darmfaserblatt. Die Bildung des Darmrohres ist derjenigen des Markrohres insofern ähnlich, als in beiden Fällen zunächst in der Mittellinie eines flachen Keimblattes eine geradlinige Rinne oder Furche ent- steht. Darauf krümmen sich die Ränder dieser Furche gegen ein- ander und verwachsen zu einem Rohre (Fig. 132). Aber doch sind beide Vorgänge im Grunde sehr verschieden. Denn das Markrohr schliesst sich in seiner ganzen Länge zu einer cylindrischen Röhre, während das Darmrohr in der Mitte otfen bleibt und die Höhlung desselben noch sehr lange in Zusammenhang mit der Höhlung der Keimdarmblase steht. Die offene Verbindung zwischen beiden Höh- lungen schliesst sich erst sehr spät, bei Bildung des Nabels. Die Schliessung des Markrohres erfolgt von beiden Seiten her, indem die Ränder der Rückenfurche von rechts und von links her mit einander verwachsen. Die Schliessung des Darmrohres hin- gegen erfolgt nicht bloss von rechts und von links, sondern gleich- zeitig auch von vorn und von hinten her, indem die Ränder der Darmrinne von allen Seiten her gegen den Nabel zusammen- wachsen. Ueberhaupt steht dieser ganze Vorgang der secundären Darmbildung bei den drei höheren Wirbelthier-Klassen im engsten Zusammenhange mit der Nabelbildung, mit der Abschnü- rung des Embryo von dem Dottersack oder der Nabelblase. (Vergl. Fig. 100, und Taf. V, Fig. 14, 15.) Um hier Klarheit zu gewinnen, müssen Sie das Verhältniss des Keimschildes zum Fruchthof und zur Keimdarmblase scharf ins Auge fassen. Das geschieht am besten durch Vergleich ung der fünf Stadien, welche Fig. 133 — 137 Ihnen im Längsschnitt vor- führen. Der Keimschild (e) der anfangs nur wenig über die Fläche des Fruchthofs hervorragt, beginnt bald bich stärker über dieselbe zu erheben und von der Keimdarmblase abzuschnüren. Dabei zeigt der Keiraschild, von der Rückenfläche betrachtet, immer noch die ursprüngliche einfache Sandalenform (B'ig. 125—128). Von einer Gliederung im Kopf, Hals, Rumpf u. s. w,, sowie von Gliedmaassen ist noch Nichts zu bemerken. Aber in der Dicke ist der Keim- schild mächtig gewachsen, besonders im vorderen Theile. Er tritt jetzt als ein dicker, länglich-runder Wulst stark gewölbt über die Fläche des Fruchthofes hervor. Nun beginnt er sich von der Keim- darmblase, mit welcher er an der Bauchfläche zusammenhängt, voll- ständig abzuschnüren und zu emancipiren. Indem diese Abschnü- rung fortschreitet, krümmt sich sein Rücken immer stärker; iu 20* o^'H Absclinürniio; des Embrvo von dor KeiiiidarmLlase. XIII. l'l-. i;!:5. Fiir 1:54. Kis 135. Fig. i:i7. Fig. 133 — 137. Fünf schematische Längsschnitte durch den reifenden Säuge- thier-Eeim und seine Eihüllen. In Fig. 133 — 136 geht der Längssdinitt (iiirch die Sagittal-Ebene oder die Mittelebene des Körpers, welche rechte und linke Hälfte scheidet; in Fig. 137 ist der Keim von der linken Seite gesellen. In Fig. 133 um- schliesst das mit Zotten (d') besetzte Proehorion (d) die Keimbiase, deren Wand aus den beiden primären Keimblättern besteht. Zwischen dem äusseren (a) und inneren (t) Keimblatte hat sicli im Bezirke des Fruchthofes das mittlere Keimblatt (m) ent- wickelt. In Fig. 134 beginnt der Embryo (e) sich von der Keimblase (ds) abzuschnüren, während sich rings um ihn der Wall der Amnionfaite erhebt (vorn als Kopfscheide, Ars. hinten als Schwanzscheide, ss). In Fig. 135 stossen die Ränder der Amnionfaite (am) oben über dem Rücken des Embryo zusammen und bilden so die Amniunhölile (ah) ; indem sich der Embryo [e) stärker von der Keimbiase (ds) abschnürt, entsteht XIII. Absclinüruug des Embryo von der Keiindurmldase. 300 der Darmcanal (dd), aus dessen hinterem Ende die Allautois hervorwäclist {al). lu Fig 136 wird die Allautois (al) }i;rösser; der Dottersack t,ds) kleiner. In Fig. 137 zeifjt der Embryo bereits die Kiemenspaiten und die Anlagen der beiden Beinpaare ; das Chorion hat verästelte Zotten gebildet. In allen 5 Figuren bedeutet : e Embryo. a Aeubseres Keimblatt, m Mittleres Keimblatt. i Inneres Keimblatt. am Amnion. [ks Kopfscheide, äs Schwanzscheide), ah Amuiou-Höhle. as Amiiionscheide des Nabel- stranges, kh Keimdarmblase, ds Dottersack (Nabelblase), df/ Dottergang df Darm- faserblatt, dd Darmdrüsenblatt, al AlJantois. vl = hh Herzgegend d Dotterhaut (Ovolemma oder Prochorion), d' Zöttchen desselben, sh Seröse Hülle (Serolemma). sz Zotten derselben. <"/* Zottenhaut oder Chorion. chz Zotten desselben, st Terminal- Vene, r Paricoelom oder Serocoelom (der mit Flüssigkeit gefüllte Raum zwischen Amnion und Chorion). Nach Köllikeu. V^ergl. Taf V, Fig. 14 und 15. demselben Verhältnisse, als der Embryo wächst und grösser wird, nimmt die Keimblase ab und wird kleiner, und zuletzt hängt die letztere nur noch als ein kleines Bläschen aus dem Bauche des Em- bryo hervor (Fig. 137 ds). Zunächst entsteht in Folge der Wachs- thumsvorgänge, die diese Abschnürung bewirken, rings um den Embryo-Körper auf der Oberfläche der Keimblase eine furchenartige Vertiefung, eine Grenzfurche, die wie ein Graben den erstereu rings umgiebt, und nach aussen von diesem Graben bildet sich durch Erhebung der anstosseuden Theile der Keimblase ein ring- förmiger Wall oder Damm (Fig. 134 ks). Um diesen wichtigen Vorgang klar zu übersehen, wollen wir den Embryo mit einer Festung vergleichen, die von Graben und Wall umgeben ist. Dieser Graben besteht aus dem äusseren Theile des Fruchthofes und hört auf, wo der Fruchthof in die Keimdarm- blase übergeht. Die wichtige Spaltung in dem mittleren Keimblatte, welche die Bildung der Leibeshöhle veranlasst, setzt sich peri- pherisch über den Bezirk des Embryo auf den ganzen Fruchthof fort. Zunächst reicht dieses mittlere Keimblatt bloss so weit, wie der Fruchthof; der ganze übrige Theil der Keimdarmblase besteht anfangs nur aus den zwei ursprünglichen Grenzblättern, dem äusse- ren und inneren Keimblatt. So weit also der Fruchthof reicht, spaltet sich das mittlere Keimblatt ebenfalls in die beiden Ihnen bereits bekannten Lamellen, in das äussere Hautfasserblatt und in das innere Darmfaserblatt. Diese beiden Lamellen weichen weit auseinander, indem sich zwischen beiden eine helle Flüssigkeit an- sammelt (Fig. 135 am). Die innere Lamelle, das Darmfaserblatt, bleibt auf dem inneren Blatte der Keimdarmblase (auf dem Darm- drüsenblatte) liegen. Die äussere Lamelle hingegen, das Hautfaser- blatt, legt sich eng an das äussere Blatt des Fruchthofes, an das Hautsinnesblatt an und hebt sich mit diesem zusammen von der Keimdarmblase ab. Aus diesen beiden vereinigten äusseren La- mellen entsteht nun eine zusammenhängende Haut. Das ist der 310 Bildung' clor Amninn-Hülle. XIII. ringförmige Wall, welcher riugs um den ganzen Embryo immer höher und höher sich erhebt und schliesslich über demselben zu- sammenwächst (Fig. 134 — 137 am). Um das vorhin gebrauchte Bild der Festung beizubehalten, stellen sie sich vor, dass der Ring- Wall der Festung ausserordentlich hoch wird und die Festung weit überragt. Seine Ränder wölben sich wie die Kämme einer über- hängenden Felswand, welche die Festung einschliessen will ; sie bilden eine tiefe Höhle und wachsen schliesslich oben zusammen. Zuletzt liegt die Festung ganz innerhalb der Höhle, die durch Ver- wachsung der Ränder dieses gewaltigen Walles entstanden ist. (Vergl. Fig. 138—142 und Taf. V Fig. 14.) Indem in dieser Weise die beiden äusseren Schichten des Fruchthofes sich faltenförmig rings um den Embryo erheben und darüber zusammenwachsen, bilden sie schliesslich eine geräumige sackförmige Hülle um denselben. Diese Hülle führt den Namen Fruchthaut oder Wasserhaut, Amnion (Fig. 137 am). Der Embryo schwimmt in einer wässerigen Flüssigkeit, welche den Raum zwischen Embryo und Amnion ausfüllt und Amnion-Wasser oder Fruchtwasser genannt wird (Fig. 136, 137 ah). Später kommen wir auf die Bedeutung dieser merkwürdigen Bildung zu- rück. Zunächst ist sie für uns von keinem Interesse, weil sie in keiner directen Beziehung zur Körperbildung steht. Unter den verschiedenen Anhängen, deren Bedeutung wir später erkennen werden, wollen wir vorläufig noch die Allantois und den Dottersack nennen. Die Allantois oder der Harnsack (Fig. 135, 136 al) ist eine birnförmige Blase, welche aus dem hin- tersten Theile des Darmcanales hervorwächst; ihr innerstes Stück verwandelt sich späterhin in die Harnblase ; ihr äusserstes Stück bildet mit seinen Gefässen die Grundlage des Gefässkuchens oder der Placenta. Vor der Allantois tritt aus dem oflenen Bauche des Embryo der Dottersack oder die N a b e 1 b 1 a s e hervor (ds), der Rest des ursprünglichen Keimdarmblase (Fig. 133 kh). Bei weiter entwickelten Embryonen, bei denen die Darmwand und die Bauchwand dem Verschluss nahe ist, hängt dieselbe als ein kleines gestieltes Bläschen aus der Nabelöffnung hervor (Fig. 136, 137 ds). Ihre Wand besteht aus zwei Schichten : innen aus dem Darmdrüsen- blatt, aussen aus dem Darmfaserblatt. Sie ist also ein bläschen- förmiger Anhang des eigentlichen Darmrohrs, eine „embryonale Darmdrüse". Je grösser der Embryo wird, desto kleiner wird dieser Dottersack oder Lecithoma. Anfänglich erscheint der Em- bryo nur als ein kleiner Anhang an der grossen Keimdarmblase. XIII. Bildung des Harnsackes und des Dottersackes. 311 Später hingegen erscheint umgekehrt der Dottersack oder der Rest der Keimdarmblase nur als kleiner beuteiförmiger Anhang des Em- bryo (Fig. 100). Er verliert schliesslich alle Bedeutung. Die sehr weite Oeffnung, durch welche anfangs die Darmhöhle mit der Nabelblase communicirt, wird später immer enger und verschwindet endlich ganz. Der Nabel, die kleine grubenförmige Vertiefung welche man beim entwickelten Menschen in der Mitte der BauchJ wand vorfindet, ist diejenige Stelle, an welcher ursprünglich der Rest der Keimdarmblase, die Nabelblase, in die Bauchhöhle eintrat, und mit dem sich bildenden Darm zusammenhing. (Vergl. Fig. 14 und 15 auf Taf. V, S. 320.) Die Entstehung des Nabels fällt mit dem vollständigen Ver- schluss der äusseren Bauchwand zusammen. Die Bauchwand der Amnioten entsteht in ähnlicher Weise, wie die Rückenwand. Beide werden wesentlich vom Hautfaserblatte gebildet und äusserlich von der Hornplatte, dem peripherischen Theile des Hautsinnesblattes, überzogen. Beide kommen dadurch zu Stande, dass sich die vier flachen Keimblätter des Keimschildes durch entgegengesetzte Krüm- mung in ein Doppelrohr verwandeln : oben am Rücken den Wirbel- Canal, der das Markrohr umschliesst, unten am Bauche die Wand der Leibeshöhle, welche das Darmrohr enthält (Fig. 132). Wir wollen zuerst die Bildung der Rückenwand und dann die der Bauchwand betrachten (Fig. 138 — 142). In der Mitte der Rückenfläche des Embryo liegt ursprünglich , wie Sie wissen , un- mittelbar unter der Hornplatte {h) das Markrohr (mr), welches sich von deren mittlerem Theile abgeschnürt hat. Später aber wachsen die Urwirbelplatten (uw) von rechts und von links her zwischen diese beiden ursprünglich zusammenhängenden Theile hinein (Fig. 140, 141). Die oberen inneren Ränder beider Urwirbelplatten schieben sich zwischen Hornplatte und Markrohr hinein , drängen beide auseinander und verwachsen schliesslich zwischen denselben in einer Naht, die der Mittellinie des Rückens entspricht. Die Verschmelzung dieser paarigen „Rückenplatten" und der mediane Schluss der Rückenwand erfolgt ganz nach Art des Markrohres, welches nunmehr von diesem Wirbelrohr umschlossen wird. So entsteht die Rücken wand, und so kommt das Markrohr ganz nach innen zu liegen. Ebenso wächst später die Urwirbelmasse unten rings um die Chorda dorsalis herum und bildet hier die Wirbelsäule. Hier unten spaltet sich der innere untere Rand der Urwirbelplatten jederseits in zwei Lamellen , von denen sich die obere zwischen Chorda und Markrohr, die untere hingegen zwischen 312 Eiitstclmn.u- (k-r JJiickciiwaii'l iiuil dci' Bauchw'aml. XIII. Chorda und Darmrohr eiuschiebt. Indem sich beide Lamellen von beiden Seiten her über und unter der Chorda begegnen, umschliessen sie dieselbe völlig und bilden so die röhrenförmige, äussere Chorda- Scheide, die skeletbildende Schicht, aus welcher die Wirbelsäule hervorgeht (Perichorda, Fig. 132 C,s; Fig. 140 wh, 141). (Vcrgl. Fig. 3—8 auf Taf. IV und die folgenden Vorträge.) Ganz ähnliche Vorgänge wie hier oben am Rücken bei Bildung der Rückenwand, treft'en wir unten am Bauche bei Entstehung der Fiu'. 138. Fig. 139. Fig. 138 — 141. Querschnitte durch Embryonen (von Hühnern). Fig 138 vom zweiten, Fig. 139 vom dritten, Fig. 140 vom vierten und Fig. 141 vom fünften Tage der Bebrütuug. Fig. 138 — 140, nach KÖllikkr, gegen lOOmal vergrössert ; Fig 141, nach Remak, etwa 20mal vergrössert. h Hornplatte. mr Markrohr, uiifj Urnierengang. Uli Urnierenbläschen. Ap Hautfaserblatt. m, = mu^mp Muskelphitte. uv^ Urwirbel- platte {wh häutige Anlage des Wirbelkörpers, wb des Wirbelbogens, v^q der Kippe oder des Querfortsatzes), uwh Urwirbelhöhle. ch Axenstab oder Chorda, sh Chorda- scheide. J/t Bauch wand, «/hintere, w vordere Rückenmarks-Nervenwurisel, o =a/ =^ «,wi Amnionfalte. p Leibeshöhle oder Coelom. df Darmfaserblatt, ao primitive Aorten. ta secundäre Aorta, cc Cardinal- Venen. d=dd Darmdrüsenblatt. dr Darinrinne. In P'ig. 138 ist der grösste Theil der rechten Hälfte, in Fig. 139 der grösste Theil der linken Hälfte des Querschnittes weggelassen. Von dem Dottersaek oder dem Rest der Keimblase ist unten nur ein kleines Stück Wand gezeichnet. (Vergl. die Querschnitte Taf. IV, Fig. 3— 8.j XIII. Entstcluiim- der Rückcuwaud und der Baucliwand. 313 Fig. 141. Bauch wand an (Fig. 132 &, Fig. 139 ä^, Fig. 141 bh). Dieselbe bildet sich am flachen Keimschilde der Amnioten aus der oberen 314 Entstehung der Rückenwaud und lim Amnion (Wasserhaut). Ir 110 Aorta. la an Urmund (Prostoma). vid l Bauchmuskeln. mg hh Brustbein [sternum). inh c Leibeshöhle (eoeloma). »>l> '■, Brusthöhle {cavitas pleurae). 11 f,, Bauchhöhle {cavitas peritonei). "i ) umschlossen, ebenso die Chorda und ihre Scheide von beiden Hälften des Wirbelkörpers {vk). Die Lederplatte (l) hat sich ganz von der Muskelplalte (mp) gesondert. Die Hornplatte (A) ist an der Spitze der Hinterbeine (a;) stark verdickt. Die Geschlechtsleisten (g) ragen weit in die Leibeshöhle (c) vor, und liegen ganz nahe dem Vornierengang (m). Das Darm- rohr (d) ist durch ein Gekröse (t) unterhalb der Haupt-Aorta (t) und der beiden Cardinalvenen (n) an der Rückenfläche der Leibeswand befestigt. Unten ist mitten in der Bauchwand der Stiel der Allantois sichtbar (al). Fig. 9. Querschnitt durch den Brustkorb des Menschen (Schematisch). Das Mark- rohr (n) ist vom entwickelten Wirbel (w) ringförmig umschlossen. Von dem Wirbel geht rechts und links eine bogenförmige Rippe ab, welche die Brustwand stützt (i-p). Unten auf der Bauchfläche liegt zwischen rechter und linker Rippe das Brustbein oder Sternum (bb). Aussen über den Rippen (und den Zwischenrippenmuskeln) liegt die äussere Haut, gebildet aus der Lederplatte (l) und der Hornplatte (/t). Die Brust- höhle (oder der vordere Theil des Coeloms, r), ist grösstentheils von den beiden Lungen (In) eingenommen, in welchen sich baumförmig die Luftröhrenäste verzweigen. Diese münden alle zusammen in die unpaare Luftröhre (Ir), welche weiter oben am Halse in die Speiseröhre («r) einmündet. Zwischen Darmrohr und Wirbelsäule liegt die Aorta (t). Zwischen Luftröhre uud Brustbein liegt das Herz, durch eine Scheide- wand in zwei Hälften getrennt. Das linke Herz (hl) enthält nur arterielles, das rechte Erklärung der Längsschnitte auf Taf. V. 323 (hr) nur venöses Blut. Jede Herzhälfte zerfällt durch ein Klappenventil in eine Vor- kammer und eine Kammer. Das Herz ist hier schematisch in der (phylogenetisch) ursprünglichen symmetrischen Lagerung (in der Mitte der Bauchseite) dargestellt. Beim entwickelten Menschen und Affen liegt das Herz unsymmetrisch und schief, mit der Spitze nach links. Taf. V. Schematische Längsschnitte durch Wirbelthiere. Alle Längsschnitte der Taf. V sind von der linken Seite gesehen. Fig. 10. Längsschnitt durch die Gastrula eines ürwirbelthieres [AmpM- oxus, vergl. Fig. 1, Taf. IV, Querschnitt, und Fig. 38, 39, S. 167.) Die ürdarm- höhle (d) öffnet sich hinten durch den Urraund (an). Der Körper besteht bloss aus den beiden primären Keimblättern. Am Bauchrande des Urmundes ist eine von den beiden grossen Polzeilen des Mesoderms sichtbar. (Coelom-Polzellen, cp.) Fig 11. Längsschnitt durch die Chordnla (Fig. 80—83, S. 232). Das dorsale Markrohr (/«) ist liinteii durch den neurenterischen Canal (<*«) mit dem Darmrohr (du) verbunden ; zwischen beiden liegt die axiale Chorda {<"h). Fig. 12. Seiten-Ansicht eines Ürwirbelthieres {Prospondylus, Fig. 95 — 99, S. 256) ; von der linken Seite. Die axiale Chorda {ch) trennt Episom und Hyposom. In der Kopf-Hälfte i^t oben das Gehirn (iie), unten der Kiemendarm {ks) sichtbar, mit 8 Paar Kiemenspalten ; in der Rumpfhälfte oben das Rückenmark {nr) und die Muskelplatten (w/p) ; unten die segmentalen Gonaden {g). a After, o Mund. mh Mundhöhle. q Sinnesorgane, hz Herz. Fig. 13. Längsschnitt durch einen TJrfisch (Proselachius), einen nächsten Ver- wandten der heutigen Haifische und hypothetischen Vorfahren des Menschen. (Die Flossen sind fortgelassen.) Das Markrohr hat sich in die fünf primitiven Hirnblasen (Wj — Wg) und in das Rückenmark [nrj gesondert (vergl. Fig. 15 und 16). Das Gehirn ist vom Schädel (.s), das Rückenmark vom Wirbelcanal umschlossen (über dem Rücken- mark die Wirbelbogen, w7> ; unter demselben die Wirbelkörper v:k- unter letzteren ist der Ursprung der Rippen angedeutet). Vorn hat sich aus der Hornplatte ein Sinnes- organ entwickelt (q). Das Darmrohr (d) hat sich in folgende Theile gesondert : Mund- höhle (mh), Schlundhöhle mit sechs Paar Kiemenspalten (Jes), Schwimmblase (= Lunge, lu), Speiseröhre (sr), Magen (mg), Leber (Zi) mit der Gallenblase (i), Dünndarm (dd) und Mastdarm mit der Afteröffnung (a). Unter dem Enddarm liegt die Geschlechts- drüse (g), höher die Urniere (un). Unter der Schlundhöhle liegt das Herz, mit Vor- kammer (hv) und Herzkammer (hk). Fig. 14. Längsschnitt durch den Embryo eines Amnioten (oder höheren Wirbel- thieres), um das Verhalten des Darmrohres zu den Anhängen zu zeigen. In der Mitte tritt aus dem Darmrohr der langgestielte Dottersack (oder die Nabelblase) hervor (rf«) ; ebenso ragt hinten aus dem Darm die langgestielte AUantois hervor {al). Unter dem Vorderdarm das Herz (hz). ah Amnionhöhle. Der ventrale Theil des Amnion [ah) umfasst scheidenartig die Stiele des Lecithom und der AUantois (Nabelstrang). Fig. 15. Längsschnitt durch einen menschlichen Embryo von fünf Wochen (vergl. Fig. 14). Das Amnion und die Placenta nebst dem Urachus ist weggelassen. Das Markrohr hat sich in die fünf primitiven Hirnblasen (»^ — n^) und das Rücken- mark (nr) gesondert (vergl. Fig. 13 und 16). Das Gehirn umgiebt der Schädel (s) ; unter dem Rückenmark die Reihe der Wirbelkörper (v:k). Das Darmrohr hat sich in folgende Abschnitte differenzirt: Schlundh«- — i/i' ?/ Fig. 144. Fig. 145 Fig. 146- Fig. 144 — 146. SoMenförmiger Keimschild des Hühnchens, in drei aufeinander folgenden Stufen der Entwickelung, von der Rückenfläche gesehen, ungefähr 20mal vergrössert, etwas schematisch. Fig. 144 mit 6 Urwirbelpaaren. Gehirn eine einfache Blase {hb). Markfurche von x an noch weit offen ; hinten bei » sehr erweitert, mp Markplatten, sp Seitenplatten, y Grenze zwischen Schlundhöhle (sA) und Kopfdarm (vd). Fig. 145 mit 10 Urwirbel-Paaren. Gehirn in drei Blasen zerfallen: v Vorder- hirn, rn Mittelhirn, k Hinterhirn. c Herz, dv Dottervenen. Markfurche hinten noch M-eit offen (z). mp Markplatten. Fig. 146 mit 16 Urwirbel-Paaren. Geliirn in fünf Blasen zerfallen: v Vorderhirn, z Zwischenhirii. m Mittelhirn, h Hinterliirii. n Nach- hirn, a Augenblasen, g Gehörblasen, e Herz, dv Uottervcncn, mj) Markplatte, mo Urwirbel. 332 Zahl dov Mctamereii oder Somitoii. XIV. Das Mesoderm des Kopfes der Amnioten entwickelt sich aus deu uDgethcilten „K opfpl atteii", welche sich durch Mangel der Gliederung von den „Urwirbel-Platten" des dahinter gelegenen Rumpfes auffallend unterscheiden. Wir werden aber sehen, dass jene einfache Beschaffenheit der Kopfplatten keine ursprüngliche, sondern eine cenogenetische ist. Bei niederen Wirbelthieren er- scheint auch der Kopftheil deutlich gegliedert, mindestens aus 9 Somiten zusammengesetzt; und beim Embryo einiger paligene- tischer Urfische haben sich neuerdings sogar 12—14 Ursegmente des Kopfes nachw^eiseu lassen. Bei den höheren Wirbelthieren sind aber diese „Kopf-Somiten" (— ähnlich wie auch die Kopf-Metameren der höheren Gliederthiere — ) so frühzeitig verschmolzen, dass es erst den scharfsinnigen Untersuchungen von Gegenbaur (1872) ge- lungen ist, sie auf dem Wege der vergleichenden Anatomie nach- zuweisen. Später wurde dieser Nachweis mit Hülfe der verglei- chenden Ontogenie von Anderen bestätigt ; wir werden im XXVI. Vor- trage bei der „Schädeltheorie" darauf zurückkommen. Die Zahl der Metameren, sowie der embryonalen So- miten oder „Ursegmente", aus denen sie hervorgehen, ist bei den Wirbelthieren äusserst verschieden, je nachdem der hintere Körper- theil kurz oder durch Ausbildung eines Schwanzes verlängert ist. Beim erwachsenen Menschen ist der Rumpf (mit Inbegriff des rudimentären Schwanzes) aus 33 Metameren zusammengesetzt, deren festes Centrum in der axialen Wirbelsäule ebenso viele Wirbel bilden (7 Halswirbel, 12 Brustwirbel, 5 Lendenwirbel, 5 Kreuz- wirbel, 4 Schwanzwirbel). Dazu müssen aber nun noch minde- stens neun Kopf Wirbel gerechnet werden, welche ursprünglich den Schädel ( — wie bei allen Schädelthieren — ) zusammensetzen. Die Gesammtzahl der Ursegmente unseres menschlichen Körpers würde demnach mindestens 42 betragen; sie würde auf 45—48 steigen, wenn man (nach neueren Untersuchungen) die Zahl der ur- sprünglichen „Schädel-Segmente" auf 12 — 15 schätzt. Bei den schwanzlosen Menschen-Affen oder Anthropoiden ist die Gesammt- zahl der Metameren dieselbe wie beim Menschen, oder nur um ein bis zsvei Somiten verschieden; viel grösser aber ist sie bei den langschwänzigen Affen und den meisten übrigen Säugethieren. Bei langgestreckten Schlangen und Fischen steigt dieselbe auf mehrere Hundert (bisweilen über vierhundert). Um die wahre Natur und Entstehung der Körper - Gliederung beim Menschen und den, höheren Wirbelthieren richtig zu verstehen, ist es uuerlässlich , sie mit derjenigen der niederen Vertebraten XIV. Gliederung des Ämphioxus. 333 kritisch zu vergleichen und dabei den phylogenetischen Zusammen- hang aller Glieder dieses Stammes beständig im Sinne zu behalten. Dabei liefert uns wieder die palingenetische Entwickelung des un- schätzbaren Ämphioxus den wahren Schlüssel für die verwickeltereu und cenogenetisch modificirten Kei- mungs-Verhältnisse der Cranioten oder Schädelthiere. Auch hier wieder sind es die mustergültigen Untersuchungen von Hatschek, welche diese bedeutungsvollen, von Fig. 147. Keim des Ämphioxus, 16 Stunden alt, vom Rücken gesehen. Nach Hatschek. d Urdarm. u Urimmd. p Pol- zellen des Mesoderms. c Coelomtaschen, m deren erstes Ursegment. n Medullar-Rohr. i Entoderm. e Exoderm. s Erste Segment- Falte. KowALEVSKY vor zwanzig Jahren entdeckten Verhältnisse des niedersten Wirbelthieres uns in aller wünschenswerthen Klarheit vor Augen geführt haben. Die Gliederung des Ämphioxus fängt schon sehr frühzeitig an, früher als bei den Cranioten, Kaum sind die beiden Coelom-Taschen aus dem Urdarm hervorgewachseu (Fig. 147 c), so beginnt auch schon das blinde, vorderste Stück derselben (der vom Urmund, w, entfernteste Theil) sich durch eine Querfalte (s) abzuschnüren ; das ist das erste Ursegment (m). Gleich darauf beginnt auch der hintere Theil der Coelom-Taschen durch neue Querfalten in eine Reihe von Stücken zu zerfallen (Fig. 148). Die transversalen Einschnitte der Coelom-Säcke liegen in einer verticalen, zur Längsaxe des Körpers senkrechten Ebene und be- ginnen auf deren Rückenseite (Fig. 149). Von da nach unten fort- schreitend, schneiden sie in dieser Transversal -Ebene vollständig durch und theilen so jeden Coelom-Sack in eine Reihe von rundlich- würfelförmigen Bläschen. Das vorderste von diesen Ursegmenteu (mSj) ist das erste und älteste; in Fig. 148 und 149 sind bereits fünf gebildet. Eines hinter dem anderen schnüren sie sich so rasch ab, dass 24 Stunden nach Beginn der Entwickelung bereits 8, und 24 Stunden später schon 17 Paare fertig sind. Ihre Zahl nimmt zu, indem der Keim nach hinten fortwächst und sich verlängert, und von den beiden Ur-Mesoderm-Zellen aus (am Urmunde) immer neue Zellen gebildet werden (Fig. 150—152). 334 Vertebratiou dos Amphioxus. XIV. ih (Vi j(.< vsh 11 vsh mh Fig:. 148 und 149 Keim des Amphioxus, 20 Stunden alt, mit fünf Somiten (oder „Urwirbel- l'aaren"). Fig. 148 von der linken Seite, Fig. 149 von der Kücken - Seite Nach Hatschek. V Vor- der-Ende, ÄHinter-Ende, dk, mk, ih äusseres, mitt- leres, inneres Keimblatt; dh Darmrohr, n Nerven- rolir, tu Canalis neuren- tericus , nsh Coelom- Taschen (oder Ursegment- höhlen). us^ Erstes (vor- derstes) Ursegment. Fig. 149. Diese typische Gliederung der beiden einfachen Coelom-Säcke beginnt beim Lanzetthierchen sehr früh, ehe dieselben noch vom Urdarm abgeschnürt sind, so dass anfangs jede Ursegment - Höhle {ush) noch durch eine enge Oeffnung mit dem Urdarm comnuini- cirt, ähnlich einer „Darmdrüse". Sehr rasch aber schliesst sich diese Oeffnung durch vollständige Abschnürung, und zwar ebenfalls von vorn nach hinten regelmässig fortschreitend. Die geschlossenen Ijläschenförmigen Somiten dehnen sich dann stärker aus, so dass ihre obere Hälfte nach oben zwischen Exoderm {ak) und Nerveu- rohr (w), die untere Hälfte zwischen Exoderm und Darmrohr (dh) spaltförmig hineinwächst (Fig. 153 c, linke Hälfte der Eigui-) Später trennen sich beide Hälften vollständig, indem eine laterale Längsfalte zwischen beiden durchschneidet (mÄi, rechte Hälfte von Fig. 153). Die dorsalen Ursegmente {sd) liefern die Rumpf-Musku- latur, und zwar in der ganzen Länge des Köi-pers (Fig. 151) ; ihre Höhle verschwindet später. Die ventralen Somiten hingegen lassen aus ihrem obersten Abschnitt die Pronephridien oder Vornieien- Canälchen entstehen, aus dem unteren die segmentalen Anlagen der Geschlechtsdrüsen oder Gonaden. Die Scheidewände der musku- lösen Dorsal -Stücke {Myotonie) bleiben bestehen und bedingen XIV. Gliederung des Amphioxus. 335 Fig. 150. Fig. 151. Fig. 152. Fig. 150 — 152. Keim des Amphioxus, 24 Standen [alt, mit 8 Somiten. Nacli Hatschek. Fig. 150 und 151 Seiten-Ansicht (von links). Fig. 152 Rücken-Ansicht. In Fig. 150 sind nur die Umrisse der 8 Ursegmente gezeichnet, in Fig. 151 ihre Höhleu und Muskelwände. V Vorderende. H Hinterende, d Darm, du untere, dd obere Darmwand, ne Canalis neurentericus. uv Ventrale, vd dorsale Wand des Nervenrohrs. np Neuroporus. dv Vordere Darmtasche, ck Chorda, pm Polzellen des Mesoderms (ms). Fig. 153. Querschnitt durch die Mitte eines Amphioxus- Keimes mit 11 Ursegmenten. Kacli Hatschek. Links ist das Ursegment noch ein- fach, rechts bereits durch die Lateral-Falte (mk^) in eine dorsale und ventrale Hälfte zerfallen, n/r., mk, ih äusseres, mittleres, inneres Keimblatt, w Nervenrohr, rh Chorda, dh Darmrohr, sd Dorsal- Somit, SV Ventral- Somit, c Coelom. die dauernde Gliederung des Vertebraten-Organismus. Dagegen die Scheidewände der ausgedehnten Yen tral- Stücke (6rOMo^ome) ver- dünnen sich und verschwinden später theilweise, so dass ilire Hohl- räume zu der Bildung des JVletacoels oder der einfachen bleibenden 1 ieibeshöhle zusammenfliesseu. Wesenthch in derselben Weise, wie bei diesem uralten Acranier, vollzieht sich die Körper-Gliederung, von den Coelom-Taschen aus- 336 Gliederuug der Cyclostomeh. XIV. gellend, auch bei den übrigen Wirbelthieren, den Cranioten. Wäh- rend aber dort zuerst die transversale Theilung der Coelom-Säcke (durch verticale Querfalteu) auftritt und dann die dorsoventrale Theilung (durch die horizontale Längsfalte) nachfolgt, ist es bei den Schädelthiereu umgekehrt : zuerst zerfällt hier jede der beiden lang- gestreckten Coelom-Taschen durch eine laterale Längsfalte in einen dorsalen Abschnitt (Ursegment-Platten) und in einen ventralen Ab- schnitt (Seiten-Platten). Nur die ersteren ^Yerden dann durch die nachfolgenden verticalen Querfalten in die einzelnen Ursegniente zerlegt; die letzteren hingegen (beim Amphioxus vorübergehend segmeutirt) bleiben hier ungetheilt und bilden durch Auseinander- weichen ihrer parietalen und visceralen Platten jederseits eine von Anfang au einheitliche Leibeshöhle. Unzweifelhaft ist auch in diesem Falle wieder das Verhalten der jüngeren Cranioten als das ceno- genetisch modificirte zu betrachten und von dem palingenetischen Keimungs-Processe der älteren Acranier abzuleiten. P^ine interessante Mittelstufe zwischen den Acraniern und den Fischen bilden in diesen, wie in vielen anderen Beziehungen die Cyclostomen (Myxiuoiden und Petromyzonten , vergl. den XXI. Vortrag). Insbesondere steht die Entwickelung ihrer Muskel-Seg- mente (aus den Dorsal-Somiten) näher derjenigen des Amphioxus als der übrigen Wirbelthiere (der Gnathostomen). Das hängt da- mit zusammen, dass auch den Cyclostomen, ebenso wie den Acra- niern, die Wirbelsäule noch fehlt, und dass in beiden Gruppen die Körper-Gliederung noch einen sehr einfachen und primitiven Cha- rakter trägt; insbesondere bleibt die Kopf -Bildung noch auf einer sehr tiefen Stufe stehen , und paarige Gliedmaasseu fehlen voll- ständig. Viel verwickelter gestalten sich diese Keimungs - Verhält- nisse bei den Fischen, mit denen die lange Reihe der kiefermüu- digen, mit zwei Paar Extremitäten versehenen Wirbelthiere beginnt. Unter den Fischen sind es vor Allen wieder die Selachier oder Ur fische, welche uns in diesen , wie in vielen anderen phylogenetischen Fragen die wichtigste Auskunft ertheilen (Fig. 154, 155). Besonders die sorgfältigen Untersuchungen von Rückert und Van Wi.jhe haben hier werthvolle Aufschlüsse gegeben. Die Pro- ducte des mittleren Keimblattes werden hier schon theilweise zu der Zeit deutlich, wo noch die dorsalen Ursegmenthöhlen (oder Myocoelen , h) mit der ventralen Leibeshöhle {Ih) zusammenhängen (Fig. 154). In der rechts daneben stehenden Figur 155, einem wenig älteren Keime, sind diese Höhlen bereits getrennt. Die äussere oder laterale Wand des dorsalen Ursegmentes liefert die Lederplatte XIV. Glie-derung der Selachier. 337 oder Cutisplatte {cp\ die Grundlage der bindegewebigen Lederhaut. Aus seiner inneren oder medialen Wand dagegen entwickelt sich die Muskel-Platte {mp, die Anlage der Rumpf- Muskulatur) und die Skelet-Platte, die Bildungsmasse der Wirbelsäule {sk). Fig. 154. Fig. 155. Fig. 154 und 155. Querschnitte durch Haifisch-Embryonen (durch die Gegend der Vorniere). Nach Wijhe und Hertwig. In Fig. 155 sind die dorsalen Urseg- menthöhlen (A) bereits von der Leibeshöhle {Ih) getrennt, während sie etwas früher (in Fig. 154) noch zusammenhängen, nr Nervenrohr, ch Chorda, seh Subchordaler Strang, ao Aorta, sk Skeletplatte. m.p Mu.slvelplatte. cp Cutisplatte, w Verbindung der letzteren (Wachsthumszone) vn Vorniere, ug Urnieren-Gang. uk Urnieren-Canälcheu. US Absebnürungs-Stelle desselben, tr Urnieren-Trichter parietales, mh,, viscerales), ih Darmdrüsenblatt. iiÄ; iMittleres Keimblatt (nik, Sehr klar ist die Gliederung der Coelora-Taschen und die Ent- stehung der Ursegmeute aus ihrer Dorsal-Hälfte auch bei den Amphibien, insbesondere bei den Wasser-Salamandern {Triton), zu beobachten (vergl. oben Fig. 88, A,B, C; S. 237). Die Höhle der ursprünglich einfachen Coelom-Säcke (Fig. 88 Ä und rechte Hälfte von B) bleibt hier sowohl im dorsalen als im ventralen Segmente sichtbar, auch nachdem beide durch die Lateral-Falte getrennt sind (Fig. 88 C und linke Hälfte von B). Ein horizontaler Längsschnitt oder Frontal-Schnitt durch einen solchen Salamander-Keim (Fig. 150) zeigt sehr klar die paarige Reihe dieser bläschenförmigen dorsalen Ursegmente, die sich von den ventralen Seitenplatten abgeschnürt haben und beiderseits der Chorda liegen. H a e c U e 1 , Anthropnfenic. 4 Anfl. 22 338 Gliederung der Amuioten. XIV. ush Fig. 156. Frontal-Schnitt (oder horizontaler Längsschnitt) durch einen Triton-Keim, mit drei paar Ursegmenten. ck Chorda, ms Ursegmente. ush ihre Höhle, ak Hornplatte. Die M e t a 111 e r i e der A ra n i o t e n , der drei höheren Wirbelthier- Klassen, stimmt zwar in allen wesentlichen Vor- gängen mit derjenigen der eben betrach- teten niederen Vertebraten überein ; sie zeigt aber im Einzelneu mehrfache Abweichungen, in Folge von cenogenetischen Störungen , welche in erster Linie ( — gleich der abweichenden Bildung der Coelom-Taschen — ) durch die Masseu- Entwickelung des mächtigen Nahrungsdotters l)edingt sind. Da durch den Druck des letzteren die beiden Mittelblätter von Anfang an aufeinander gepresst erscheinen, und da die solide Anlage des Mesoderms den ursprünglichen Charakter des hohlen Taschen-Paares anscheinend verleugnet, so treten auch die l^eiden Mesoderm- Ab- schnitte, welche jederseits durch die laterale Einfaltung getrennt werden — die dorsale „Ursegment-Platte" und die ventrale „Seiten- platte" ~ anfänglich als solide Zellplatten auf (Fig. 91—94, S. 240) Wenn dann in dem sohleuförmigen Keimschilde die Gliederung der Soraiten-Leisten beginnt und ein Paar Urwirbel hinter dem anderen sich entwickelt, nach hinten an Zahl stetig wachsend, so ersclieineii auch diese würfelförmigen Somiten (oder die früher sogenannten „Urwirbel") als solide Würfel, aus Mesodenn-Zellen zusammengesetzt (Fig. l.'il, S. 305). Trotzdem tritt auch in diesen soliden „Ur- wirbeln" vorübergehend eine centrale Höhle auf, die „Urwirbelhöhle" (Fig. 157 uwh). Dieser bläschenförmige Zu- stand der Urwirbel ist phylogenetisch von hohem Interesse; wir Fig. 157. Querschnitt durch einen Hühnerkeim vom zweiten Brütetage, nach KÖLLIKER. mr Medullar-Rohr. rh Chorda, uvi ürwirhe], U7iy Urnierengänge, ao Ur- aorta, uuh Urwirbelhöhle, «h Urnieren, /* Hornplatte, af Amnioii-Falte, hp Hautfaser- blatt, df Darmfaserblatt, 2> Coelom, dd Darmdrüsenblatt. XIV. Vertebration der Amnioteri. 339 dürfen ihn nach der Coeloni-Theorie als eine, durch Vererbung be- dingte Wiederholung der bläschenförmigen Dorsal-Soniiten von Amphioxus (Fig. 147—153) und den niederen Vertebraten (Fig. 154 bis 156) auffassen. Eine physiologische Bedeutung besitzt diese rudimentäre „Urwirbelhöhle" für den Araniotenkeim nicht; sie ver- schwindet frühzeitig, indem sie durch Zellen der Muskelplatte aus- gefüllt wird. Eine weitere Abweichung der Ursegmentbildung zeigen die Amuioten darin, dass die Entwickelung der Muskelplatteu von der innneren (medialen) Wand ihrer Soraiten hinübergreift auf die äussere (laterale) Wand ; daher betheiligt sich hier auch diejenige Zellenschicht des „Hautfaserblattes", welche unmittelbar unter der Cutisplatte (der späteren Lederhaut, Fig. 155 cp) liegt, lebhaft an dem weiteren Wachsthum der Muskelplatte. Letztere wächst von hier aus nach allen Seiten , insbesondere auch nach unten in die lateralen Seitenplatten der Bauchwand (die • „Bauchplatten") hinein. ary Fig. 158. Querschnitt durch den Embryo eines Hühnchens vom vierten Biüte- tage, etwa lOOmal vergrösseit. Die Urwirbel haben sich in die äussere Muskeiplatte {mp) und die innere Skeletplatte gespalten. Letztere beginnt unten als Wirbelkörper (?(>A) die Chorda [rh), oben als Wirbelbogen {ivb) das Markrohr (m) zu umfassen, dessen Höhle (mh) schon sehr eng ist. Bei wq setzt sich die Muskelplatte in die Bauchwand (hp) fort, hpr Lederplatte der Itückenwand. h Hornplatte. a Amnioo. nng Urnierengang. un Urnierencanälchen. ao Urarterie (Aorta), vr Cardinal-Vene. df Darmfaserblatt Jd Darmdrüsenblatt, dr Darmrinne. 22* 340 Entstehung der Wirbel. XIV. Der iimerste mediale Theil der Ursegment-Platteu, welcher un- mittelbar der Chorda (Fig. 158 ch) und dem Medullar-Rohr (m) an- liegt, bildet bei allen höheren Vertebraten die Wirbelsäule (die den niedersten noch fehlt), und kann daher als Ske 1 et- P la tte be- zeichnet werden; in jedem einzelnen Urwirbel nennt man sie ^,Sklerotom" (im Gegensatz zur aussen anliegenden Muskelplatte, dem „Myotom"). Phylogenetisch betrachtet, sind die Myotonie viel älter als die Skierotome. Der untere oder ventrale Theil jedes Skierotoms (die innere untere Kante des würfelförmigen Urwirbels) spaltet sich in zwei Lamellen, welche die Chorda urawaclisen und so die Grundlage der Wirbelkörper bilden {tvJi). Die obere Lamelle dringt zwischen Chorda und Markrohr, die untere zwischen Chorda und Darmrohr ein (Fig. 132, S. 306). Indem nun von rechts und links her die entgegenkommenden Lamellen von zwei gegenüber liegenden Urwirbelstücken sich vereinigen, entsteht eine ringförmige Scheide um dieses Chorda-Stück. Daraus wird später ein Wirbel- körper, d. h. die massive untere oder Bauchhälfte des Knochen- ringes, welcher als „Wirbel" im eigentlichen Sinne das Markrohr umgiebt (Fig. 159—161). Die obere oder Rückenhälfte dieses Knochenringes, der Wirbel bogen (Fig. IbSwh) entsteht in ganz ähnlicher Weise aus dem oberen Theile der Skelet-Platte, d. h. also aus der inneren oberen Kante des würfelförmigen Urwirbels. Indem von rechts und links her die medialen oberen Kanten zweier gegenüberstehender Urwirbel über dem Markrolu- zusammenwachsen, erfolgt der Verschluss des Wirbelbogens. Fij^. 160. Fig. 1.59. Der dritte Halswirbel des Menschen. Fig. 160. Der sechste Brustwirbel des Menschen. Fig. 161. Der zweite Lendenwirbel des Menschen. Fig. 161. Der ganze secundäre Wirbel, der solchergestalt aus der Ver- wachsung der Skeletplatten von einem Paar Urwirbelstücken ent- steht und in seinem Körper ein Chorda-Stück umschliesst, besteht anfangs aus einer ziemlich weichen Zellenmasse; diese geht später XIV. Entstehung des Schädels. 341 über in ein festeres, zweites, knorpeliges Stadium, und endlich in ein drittes, bleibendes, knöchernes Stadium. Diese drei verschie- denen Stadien sind überhaupt am grössten Theile des Skelets der höheren Wirbelthiere zu unterscheiden: zuerst sind die meisten Skelettheile ganz zart, weich und häutig; dann werden sie später im Laufe der Entwickelung knorpelig und endlich verknöchern sie. Vorn am Kopftheile des Embryo tritt bei den Amnioten die Spaltung des mittleren Keimblattes in Urwirbel und Seitenplatten überhaupt nicht ein, sondern die dorsalen und ventralen Somiten treten hier von Anfang an verschmolzen auf und bilden die soge- nannten „Kopfplatten" (Fig. 143 l, S. 316). Aus diesen ent- steht der Schädel, die knöcherne Umhüllung des Gehirns, sowie die Muskeln und die Lederhaut des Kopfes. Der Schädel entwickelt sich nach Art der häutigen Wirbelsäule. Es wölben sich nämlich die rechte und die linke Kopfplatte über der Hirnblase zusammen, umschliessen unten das vorderste Ende der Chorda, und bilden so schliesslich rings um das Hirn eine einfache, weiche, häutige Kap- sel. Diese verwandelt sich später in einen knorpeligen Urschädel oder Primordialschädel, wie er bei vielen Fischen zeitlebens sich erhält. Erst viel später entsteht abermals aus diesem knorpeligen Urschädel der bleibende knöcherne Schädel mit seinen verschiedenen Theilen. Der Knochenschädel des Menschen und aller anderen Amnioten ist viel höher differenzirt und eigenthümlicher umgebildet, als derjenige der niederen Wirbelthiere, der Amphibien und Fische. Da der erstere aber phylogenetisch aus dem letzteren entstanden ist, so müssen wir auch für jenen, ebenso wie für diesen, die ur- sprüngliche Entstehung aus den Skierotomen von zahlreichen (min- destens neun) Kopf-Somiten annehmen. Während die typische Gliederung des Wirbelthier-Körpers im E p i s 0 m a oder Rückenleibe überall auf den ersten Blick hervor- tritt und durch die Metamerie der Muskelplatten und Wirbel ( — Myotome und Skierotome — ) handgreiflich ausgesprochen ist, erscheint sie dagegen im Hyposoma oder Bauchleibe mehr ver- deckt und theilweise versteckt. Trotzdem sind diese ventralen Hyposomiten der vegetalen Körperhälfte nicht weniger wichtig und bedeutungsvoll, als jene dorsalen Episomiten der animalen Körp er half te. Die Segmentirung betrifft hier in der Bauchhöhle folgende wichtige Organ-Systeme: 1. die Go- naden oder Geschlechtsdrüsen (Gonotome), 2. die Nephridien oder Nieren (Nephrotome), 3. den Kopfdarm mit seinen Kiemenspalten (Branchiotome). ?ti'2 Gliedenmii des Bauchleibes. XIV. Die M e t a m e r i e des H y p o s o m s oder die Gliederung der ventralen Körperhcälfte ist namentlich desshalb weniger auffallend, weil hier bei allen Schädelthieren die Gonocoele — d. h. die Höhlen der ventralen Ursegmente, in deren Wand sich die Ge- schlechts-Producte entwickeln — schon seit uralten Zeiten ver- schmolzen sind, und durch Auflösung ihrer Scheidewände eine ein- zige grosse Leibeshöhle gebildet haben. Dieser cenogenetische Vor- gang ist so alt, dass das Metacoel in den Seitenplatten der Crani- oten überall von Anfang an als ein einfacher ungegliederter Spaltraum auftritt, und dass auch die Anlage der Gonaden ( — die Geschlechtsleiste — ) fast immer ebenso unsegmentirt erscheint. Um so interessanter ist es, dass nach der wichtigen Entdeckung von RücKERT diese sexuale Anlage bei den Selachiern noch heute zuerst segmental auftritt, und die einzelnen Gonotonie erst secun- där zu einer einfachen Geschlechtsdrüse jederseits verschmelzen. Amphioxus, als einziger überlebender Repräsentant der Acranier, giebt uns auch hier wieder die wichtigsten Aufschlüsse; denn bei ihm bleiben die Geschlechtsdrüsen — und somit auch die ventralen Leibeshöhlen ! — zeitlebens segmentirt. Das geschlechts- reife Lanzetthierchen trägt rechts und hnks vom Darm eine Reihe von metameren Säckchen, die beim Weibchen mit Eiern, beim Männchen mit Sperma gefüllt sind. Diese segmentaleu Gonaden sind ursprünglich nichts Anderes, als wahre Gonotome, ge- trennte Leibeshöhlen, die aus den Hyposomiten des Rumpfes ent- standen sind. Dass man dieselben bisher meistens verkannt und dem Amphioxus irrthümlich eine einfache Leibeshöhle zugeschrieben hat, liegt daran, dass man die letztere mit der grossen Mantelhöhle (oder dem Peribranchial-Raum) verwechselt hat. Die Gonaden sind insofern die wichtigsten von den segmen- talen Organen des Hyposoms, als sie die phylogenetisch ältesten sind. Denn Geschlechtsdrüsen (als taschenförmige Aussackungen des Gastrocanal-Systeras) finden sich schon bei den meisten Coel- enterien; auch bei den Cnidarien, denen die Xephridien noch fehlen. Letztere treten zuerst (als ein paar einfache „ürnieren- Canäle" oder Excretions-Röhren) bei den Platoden (Turbellarien) auf und haben sich wahrscheinlich von diesen einerseits auf die Arti- culaten (Anneliden), anderseits auf die ungegliederten Prochordonien vererbt, und von diesen auf die gegliederten Vertebrateii. Die älteste Form des Nieren-Systems in diesem Stamme bilden die seg- mentalen P r o n e p h r i d i e n oder die „metameren Vornieren- Canälchen", in ähnlicher Anordnung, wie sie kürzlich Boveri beim XIV. Gliederung der Geschlechtsdrüsen. 343 Amphioxus entdeckt hat. Das sind kleine Canälchen, welche in der Frontal-Ebene des Körpers, beiderseits der Chorda, zwischen Episom und Hyposom liegen (Fig. 162 w); ihre innere trichter- förmige Mündung geht in die einzelnen Leibeshöhlen, ihre äussere auf die Seitenfurche der Ober- haut nach aussen. Ursprünglich haben sie wohl eine doppelte Function gehabt, die Abführung des Harns aus dem Myocoel der Episomiten, und die Ausführung der Geschlechtszellen aus dem Gonocoel der Hyposomiten. Fig. 162 Querschnitt durch den Rumpf eines ürwirbelthieres (Prospon- dylus). a Aorta, b Seitenfurche (Ur- nierengang), d Dünndarm, / Flossen- saum der Haut, i Muskelhöhle (dorsale Coelomtasche), ms Muskeln, n Nieren- Canälchen, o Oberhaut, r Rückenmark, s Gesclilechtsdrüsen (Gonaden), t Leder- haut (Corium), y Darmvene (Hauptvene), X Chorda. Die interessanten Untersuchungen, welche neuerdings Rückert und Van Wijhe über die Mesoderm-Segmente des Rumpfes und das Excretions-System der Selachier angestellt haben, lehren uns, dass diese „Urfische" auch hierin sich eng an den Amphioxus an- schliessen. Der Querschnitt des Haitisch-Embryo in Fig. 154 (S. 337) zeigt uns die dorsale und ventrale Hälfte der Coelom-Tasche noch in offener Verbindung. In der Mitte des Querschnittes, in der Frontal-Axe, geht das enge Myocoel (oder die spaltförmige „Muskel- höhle" des Rücken - Segmentes) durch einen engen Verbindungs- Canal (vb) unmittelbar über in das weite Gonocoel (Ih) oder die Leibeshöhle des Bauchsegmentes, aus deren Epithel sich die Ge- schlechtszellen entwickeln. Jener enge Verbindungs-Canal (vh) wird zum Pronephridium oder „Vornieren-Canälchen" , welches die Ab- scheidungs - Producte beider Leibeshöhlen (den Harn der dorsalen Muskelhöhle und die Geschlechtszellen der ventralen Geschlechts- höhle) nach aussen führt. Später (Fig. 155, S. 337) trennen sich beide Höhlen durch eine Scheidewand. Dann geht die innere Mün- dung des Nephrocanales nur noch in die untere , ventrale Höhle. Die äussere Mündung fand auf der äusseren Hautfläche statt, und zwar wahrscheinlich in jener Lateral-Furche der Oberhaut, aus wel- cher sich bei den Cranioten durch Abschnürung der „Urnierengang" 344 Gliederung des Darmrohrs. XIV. entwickelt (Fig. 157 mig). Beim Aniphioxus münden sie noch heute, wie kürzlich Boveri entdeckt hat, in den entsprechenden Theil der secuudär entstandenen „Mantelhöhle". Auch bei allen höheren Wirbelthieren entwickeln sich die Nieren, obwohl später ganz anders gebildet, aus den gleichen An- lagen, welche aus jenen segnientalen Pronephridien der Acranier secundär hervorgegangen sind. Die Theile des Mesoderms, in wel- chen ihre ersten Anlagen auftreten, werden gewöhnlich als „Mittel- platten" oder Gekrösplatten , und ihre segmentalen Abschnitte als Mesomeren bezeichnet. Da in dem Coelom - Epithel dieser Mittelplatten, und zwar nach innen (medialwärts) von den inneren Trichter-Mündungen der Nephrocanäle , die ersten Spuren der Go- naden auftreten , rechnen wir diesen Bezirk des Mesoderms besser zum Bauchleib oder Hyposoma. Das wichtigste und älteste Organ des Vertebraten - Hyposonis, der Darmcanal, wird gewöhnlich als ein ungegliedertes , nicht der Segmentirung unterworfenes Organ beschrieben. Man kann aber auch umgekehrt behaupten, dass er das älteste von allen raeta- meren Organen der Wirbelthiere ist; denn die Doppelreihe der Coelom-Taschen wächst ja selbst aus der Rückenwaud des Urdarms, beiderseits der Chorda, hervor. In dem rasch vorüber gehenden Zeitraum, in welchem beim Amphioxus - Keime jene segmentalen Coelom - Säckchen noch mit dem Urdarm in offener Verbindung stehen, erscheinen sie geradezu wie eine paarige Kette von meta- meren Darradrüsen. Aber hiervon abgesehen , zeigt sich bei allen Wirbelthieren ursprünglich eine bedeutungsvolle Gliederung des Kopfdarms, welche dem Rumpfdarm fehlt, die Segmentirung des Kiemendarms, oder die sogenannte „Bran chioraerie". Die Kiemenspalten, welche ursprünglich bei den älteren Acra- niern die Wand des Kopfdarms durchbrechen , und die Kiemen- bogen, durch welche sie getrennt werden, waren vermuthlich ebenso „segmental" und auf die einzelnen Metameren der Kette vertheilt, wie die Gonaden im Ruuipfdarm, und wie die Nephridien (Fig. 103 Jcs). Auch beim Amphioxus werden dieselben noch heute seg- mental angelegt. Vielleicht bestand bei den älteren (jetzt längst ausgestorbenen) Acraniern eine Arbeitstheilung der Hypo- somiten in der Weise, dass diejenigen des Kopfdarms die Ath- mung, diejenigen des Rumpfdarms die Zeugung übernahmen. Jene entwickelten sich zu Kiementaschen , diese zu Geschlechts- taschen. Pronephridien können in beiden vorhanden gewesen sein. Bei den Wirbelthieren der Gegenwart ist die Branchiomerie so ab- XIV. Metamerie des Kiemendarms. 345 geändert, und bei den Amnioten so reducirt, dass von vielen For- schern sogar ihre Metamerie geläugnet wird. Bei den Amnioten ist überdies ihre respiratorische Function ganz verloren gegangen. Trotzdem haben sich in ihrem Keime allgemein gewisse Theile derselben durch zähe Vererbung erhalten. na e au y md p ha leg ks h l d v s af f Fig. 163. Optischer Längsschnitt dnrch das TJrwirbelthier {Prospondylus). a Aorta, af After, au Auge, d Dünndarm, e Parietal-AuKe (Epiphysis), / Flossensaum der Haut, g Gebörbläschen, gh Gehirn, h Herz, h Kiemendarm, ka Kiemen-Arterie, hg Kiemen-Gefässbogen, hs Riemenspalten, l Leber, ma Magen, md Mund, tos Muskeln, na Nase (Geruchsgrube), o Oberhaut, p Schlund, r Rückenmark, s Geschlechtsdrüsen (Gonaden), t Lederhaut (Corium), v Darmvene (Hauptvene), x Chorda, y Hypophysis (Hirnanhang). Sehr frühzeitig schon zeigen sich beim Embryo des Menschen, wie aller übrigen Amnionthiere , zu beiden Seiten des Kopfes jene merkwürdigen und wichtigen Gebilde, die wir mit dem Namen Kiemenbogen und Kiemenspalten belegen (Taf. I, VI — IX ; Fig. 164 — 166 Z'). Sie gehören zu den charakteristischen und nie- mals fehlenden Organen des Amnioten - Keimes und treten überall an derselben Stelle und in der gleichen Anordnung und Structur auf. Es bilden sich nämlich rechts und links in der Seitenwand der Kopfdarmhöhle, und zwar in deren vorderstem Theile, erst ein Paar, dann mehrere Paare sackförmiger Ausbuchtungen, welche die ganze Dicke der seitlichen Kopfwand durchbrechen. Dadurch ver- wandeln sie sich in Spalten, durch welche man von aussen frei in die Schlundhöhle eindringen kann. Zwischen diesen Kiemen- s palten oder Schlundspalten verdickt sich die Schlundwand und verwandelt sich in eine bogenförmige oder sichelförmige Leiste: Kiemenbogen oder Schlundbogen. In dieser sondern sich die Muskeln und Skelettheile des Kiemendarms ; an ihrer Innenseite steigt später ein Gefässbogen empor (Fig. 163 Äa). Die Zahl der Kiemenbogen und der mit ihnen abwechselnden Kieraenspalten be- trägt bei den höheren Wirbelthieren jederseits 4 bis 5 (Fig. 166 d-, f^ f\ f")- Bei einigen Fischen (Selachiern) und bei den Cyclo- stomen sind deren noch heute 6 oder 7 zu finden. Die älteren 346 Primäre und secundäre Gliederung. XIV. Wirbelthiere liabcn deren nocli mehr besesseu. Ursprünglich hatten diese merkwürdigen Gebilde die Function von Athmungs-Grganen: Kiemen. Bei den Fischen tritt noch heute allgemein das zur Athmuug dienende Wasser, welches durch den Mund aufgenommen wird, durch die Kiemenspalten an den Seiten des Schlundes nach J ^Vt, Fiu. 165. Fig. 166. Fig. 164. Fig. 164, 165. Kopf eines Hühner-Embryo, vom dritten Brüte-Tage ; 164 von vorn; 165 von der rechten Seite, n Nasenanlage (Geruchsgrübchen), l Augen-Anlage (Gesichtsgrübchen, Linsenhöhie). g Ohr-Anlage (Gehörgrübchen), v Vorderhirn, (jl Augenspalte. Von den drei Paar Kiemenbogen ist der erste in einen Oberkiefer- Fortsatz (o) und einen Unterkiefer-Fortsatz (?i) gesondert. Nach Köllikek. Fig. 166. Kopf eines Hunde-Embryo, von vom. a Die beiden Seitenhälften der vorderen Hirnblase. b Augen-Anlagen, c Mittlere Hirnblase. de Das erste Kiemenbogen-Paar (c Oberkiefer -Fortsatz , ä Unterkiefer-Fortsatz). /, /', /"" Das zweite, dritte und vierte Kiemenbogen-Paar. ffhik Herz (^rechte, h linke Vorkammer; j linke, h rechte Kammer), l Ursprung der Aorta mit drei Paar Aortenbogen, die an die Kiemenbogen gehen. Nach BißCHOFF. aussen. Bei den höheren Wirbelthieren verwachsen sie später. Die Kiemenbogen verwandeln sich theihveise in die Kiefer, theilweise in das Zungenbein und die Gehörknöchelchen. Aus der ersten Kieraen- spalte wird die Paukenhöhle des Gehör-Organs. (Vergl. Taf. I und VI— IX, erste und zweite Reihe). Die primäre Gliederung des Wirbelthier-Köipcrs, welche von den Ursegmenten des Mesoderms ausgeht, betrifft demnach die meisten und wichtigsten Organ-Systeme desselben ; im Episom in erster Linie Muskeln und Skelet, im Hyposom Nieren und Gonaden, ausserdem den Kiemendarm. Dazu kommt nun noch eine secun- däre Gliederung anderer Organ- Systeme, welche von der ersteren abhängig und durch sie bedingt ist. So bemerken wir in späteren Stadien die Entwickelung einer segmentalen Anordnung der peri- pheren Nerven und Blutgefässe; erstere geht aus vom Episom, letztere vom Hyposom. Nur wenige Theile des Vertebraten-Orga- XIV. Metamerie der Vertebrateu. 347 nismus unterliegen gar keiner Metamerie ; so die äussere Hautdecke des Körpers, das Tegnient. Die Oberhaut {Epidermis) bleibt von Anfang an ungegliedert und geht aus der einheitlich ange- legten Hornplatte hervor. Aber auch die darunter liegende Leder- h a u t (Cutis) ist nicht metamer , obwohl sie aus den segmentalen Anlagen der Cutisplatte (der lateralen Lamelle der Episomiten, Fig. 154, 155 cp) hervorgeht. Auch in diesen wichtigen Beziehungen stehen die Wirbelthiere in auöallendem und durchgreifendem Gegen- satze zu den Gliederthieren. Ausserdem besitzen nun die meisten Vertebraten noch eine Anzahl von ungegliederten oder monomeren Organen, die locale Producte, durch Anpassung einzelner Körperstellen an bestimmte Special-Functionen entstanden sind. Solche sind im Epi- som die höheren Sinnes-Organe, und im Hyposom die Gliedmaassen, das Herz und die Milz, sowie die einzelnen grossen Darmdrüsen : Lunge, Leber, Pancreas u. s. w. Das Herz ist ursprünglich weiter nichts, als eine locale spindelförmige Erweiterung des grossen unpaaren Bauchgefässes oder der Principal- Vene, und zwar an der Stelle, wo die „Subintestinal-Vene" übergeht in die „Branchial- Arterie", an der Grenze von Kopf und Rumpf (Fig. 166). Die drei höheren Sinnes- Organe, Nase, Auge und Ohr, werden ursprünglich bei allen Cranioten in gleicher Form angelegt, als drei Paar Hautgrübchen an der Seite des Kopfes. Das Geruchsorgan oder die Nase erscheint in Form von ein Paar kleinen Grübchen oberhalb der Mundöffnung , ganz vorn am Kopf (Fig. 165 n). Das Gesichtsorgan oder das Auge tritt dahinter an der Seite des Kopfes auf, ebenfalls in Gestalt eines Grübchens (Fig. 165 l, 166 fe) , welchem eine ansehnliche blasenförmige Ausstülpung der vordersten Hirnblase jederseits ent- gegenwächst. Weiter hinten erscheint ein drittes Grübchen an jeder Seite des Kopfes, die erste Anlage des Gehörorgan es (Fig. 165 g). Von der späteren, höchst bewunderungswürdigen Zusammen- setzung dieser Organe ist jetzt noch keine Spur zu bemerken, ebensowenig von der charakteristischen Bildung des Gesichtes. Wenn der Embryo des Menschen diese Stufe der Entwickelung erreicht hat, ist er von dem Keime aller höheren Wirbelthiere noch kaum zu unterscheiden (vergl. Taf. I und VI— IX). Alle wesent- lichen Theile des Körpers sind jetzt angelegt : der Kopf mit dem Urschädel, den Anlagen der drei höheren Sinnes-Organe und den fünf Hirnblasen , sowie mit den Kiemenbogen und Kiemenspalten ; der Rumpf mit dem Rückenmark, der Anlage der Wirbelsäule, der 348 Entstehung der Gliedmaassen. XIV. Kette von Metameren, das Herz und die Hauptblutgefäss - Stämme, und endlich die Urnieren. Der Mensch ist in diesem Keim-Zustande bereits ein höheres Wirbelthier, und doch zeigt er noch keine wesentlichen morphologischen Unterschiede von dem Embryo der Fig. 167. Querachnitt durch die Schultergegend und die Vorderbeine (Flügel- Anlage) eines Hühner-Embryo vom vierten Brüte-Tage, etwa 20mal vergrössert. Neben dem Markrobr sind jederseits drei hellere Stränge in der dunkeln Rückenwand siebt- bar, welche sich ein Stück weit in die Anlage des Vorderbeines oder Flügels (e) fort- setzen. Der oberste derselben ist die Muskelplatte, der mittlere ist die hintere, und der unterste ist die vordere Wurzel eines Rückenmarks-Nerven. Unter der Chorda ist in der Mitte die unpaare Aorta, jederseits derselben eine Cardinal- Vene sichtbar, und unter dieser die Urnieren. Der Darm ist fast geschlossen. Die Bauchwand setzt sich in das Amnion fort, das den Embryo als geschlossene Hülle umgiebt. Nach Reuak. Säugethiere, der Vögel, der Reptilien u. s. w. (Taf. VL—IX, oberste Querreihe). Das ist eine ontogenetische Thatsache von der grössten Bedeutung! Aus ihr folgen die wichtigsten phylogene- tischen Schlüsse. Nun fehlt aber noch vollständig jede Spur der Gliedmaassen. Obgleich Kopf und Rumpf bereits getrennt, obgleich alle wichtigen inneren Organe angelegt sind , ist doch von Gliedmaassen oder „Extremitäten" in diesem Stadium der Entwickeluug noch keine Andeutung vorhanden. Diese entstehen erst später. Auch das ist eine Thatsache von allerhöchstem Interesse. Denn sie beweist uns, dass die älteren Wirbelthiere fusslos waren, wie es die niedrigsten lebenden Wirbelthiere (Amphioxus und die Cyclostomen) noch heute sind. Die Nachkommen dieser uralten fusslosen Wirbelthiere haben xiv. Entstehuno; der Gliedmaassen. 349 erst viel später, im weiteren Laufe ihrer Entwickelung, Extremitäten erlmlten, und zwar vier Beine: ein Paar Vorderbeine und ein Paar Hinterbeine. Diese sind überall ursprünglich ganz gleich angelegt, obgleich sie später höchst verschiedenartig sich ausbilden: bei den Fischen zu den Flossen (Brustflossen und Bauchflossen), bei den Vögeln zu den Flügeln und Beinen, bei den kriechenden Thieren zu Vorderbeinen und Hinterbeinen, bei den Atten und Menschen zu Fig. 168. Querschnitt durch die Beckengegend und die Hinterbeiue eines Hüliuer-Embryo vom vierten Brütetage, etwa 40mal vergrössert. h Hornplatte. w Markrohr. _^ Canal des Markrohrs, u Urnieren. x Chorda, e Hinterbeine, b Allantois- Canal in der Bauchwand, t Aorta, v Cardinal-Venen. a Darm, d Darmdrüsenblatt. / Darmfaserblatt, y Keim-Epithel, r Rückenmuskeln, c Leibeshöhle oder Coelom. Nach Waldeyer. Armen und Beinen. Alle diese Theile entstehen aus derselben ganz einfachen ursprünglichen Anlage, welche aus der Rumpfwand secun- där hervorwächst (Fig. 167, 168). Sie erscheinen überall in Gestalt von zwei Paar kleinen Knospen , die anfangs ganz einfache , rund- liche Höcker oder Platten darstellen. Erst allmählich gestaltet sich sich jede dieser Platten zu einem grösseren Vorsprunge, an welchem ein innerer, schmälerer Theil von einem äusseren, breiteren Theile sich sondert. Letzterer ist die Anlage des Fusses oder der Hand, ersterer die Anlage des Armes oder des Beines. Wie gleichartig die ursprüngliche Anlage der Gliedmaassen bei den verschiedensten Wirbelthieren ist, zeigt Ihnen Taf. VI— IX, S. 352. 350 Vergleichung von Wirbelthier-Iteimen. XTV. Die sorgfältige Untersuchung und denkende Vergleichung der Embryonen des Menschen und anderer Wirbelthiere in diesem Sta- dium der Ausbildung ist höchst lehrreich und otienbart dem den- kenden Menschen tiefere Geheimnisse und schwerwiegendere Wahr- heiten, als in den sogenannten „OÖ'enbarnngen" sämmtlicher Kirchenreligionen des Erdballes zusammengenommen zu finden sind. Vergleichen Sie z. B. aufmerksam und nachdenkend die drei auf- einander folgenden Entwickelungsstadien, welche auf den vier nach- stehenden Tafeln VI — IX von vierzehn verschiedenen Amnioten dargestellt sind: 1. Eidechse (E), 2. Schlange (Ä), 3. Crocodil (K), 4. Schildkröte (T), 5. Huhn (G), 6. Strauss (Z), 7. Beutelratte (B), 8. Schwein (Ä), 9. Reh (C), 10. Rind (i?), 11. Hund (H), 12. Fleder- maus (JP), 13. Kaninchen (L) und 14. Mensch (M). In dem ersten Stadium der Entwickeluug (in der ersten Querreihe oben, I), in welchem zwar der Kopf mit den fünf Hirn- blasen und Kiemenbogen schon deutlich angelegt ist, die Glied- maassen aber noch gänzlich fehlen, sind die Embryonen aller Wirbel- thiere vom Fische bis zum Menschen hinauf theilweise nur ganz unwesentlich, theilweise noch gar nicht verschieden. Im zweiten Stadium (in der mittleren Querreihe, II), wo die Gliedmaassen an- gelegt sind, beginnen bereits Unterschiede zwischen den Embryonen der niederen und höheren W irbelthiere aufzutreten ; doch ist der Embryo des Menschen auch jetzt noch kaum von demjenigen der höheren Säugethiere zu unterscheiden. Im dritten Stadium endlich (in der unteren Querreihe, III), wo die Kiemenbogen bereits ver- schwunden und das Gesicht gebildet ist, treten die Differenzen viel deutlicher hervor und werden von nun an immer auffallender. Das sind Thatsachen, deren fundamentale Bedeutung nicht ül)er- schätzt werden kann! ^^^) Wenn überhaupt ein innerer ursächlicher Zusammenhang zwischen den Vorgängen der Keimesgeschichte und der Stamraes- geschichte besteht, wie wir nach den Vererbungs-Gesetzen an- nehmen müssen, so ergeben sich aus diesen ontogenetischeu That- sachen unmittelbar die wichtigsten phylogenetischen Schlüsse. Denn die durchgreifende wunderbare Uel)ereinstimmung in der indivi- duellen Entwickelung des Menschen und der übrigen Wirbelthiere ist nur dadurch zu erklären, dass wir die Abstammung derselben von einer gemeinsamen Stammform festhalten. In der That wird diese gemeinsame Descendenz jetzt auch von allen urtheilsfähigen Naturforschern zugegeben, welche keine übernatürliche Schöpfung, sondern eine natürliche Entwickelung der Organismen annehmen. XIV. 351 Dreizehnte Tabelle. Uebersicht über die fundamentalen Gegensätze in der Organisation der Vertebraten und Articulaten. (Vergl. S. 327—330.) Vertebration der Wirbelthiere (Acranier und Cranioteu.) Articulation der Gliederthiere. (Anneliden, C r u s t a c e e ii Tracheaten). 1. Epidermis ohne Cuticala, nicht gegliedert, ohne Chitin-Decke. 2. Skelet axial , mit Chorda und mit Chorda- Scheide. (Inneres Axen-Skelet). 3. Muskulatur periskeletal (aus der Wand hohler Coelom-Taschen gebildet, mit Myocoel). 4. Nervencentrum dorsal, ursprünglich un- gegliedert (Rückenmark). (Einfaches Medullarrohr). 5. Herz ventral , aus dem Bauchgefiiss der Helminthen entstanden. G. Darm mit Kiemenkammer (Kopfdarm in einen Kiemenkorb ver- wandelt, mit Kiemeuspalten und ventraler Hypobranchial-Rinne). 7. Nephridien ursprünglich segmental, mit Myocoel-Verbindung, und mit pri- märem Vornieren-Gang). 8. Gonaden ursprünglich segmeiital , aus dem visceralen Mesoblast entstanden. 9. Leibeshöhlen (rechte und linke) früh- zeitig durch ein FrOntal-Septum in ein dorsales Myocoel und ein ventrales Gonocoel getheilt (Episomiten und Hypo- somiten). 1. Epidermis mit Cuticular-Fanzer (aus Chitin gebildet, gegliedert). 2. Skelet tegmental. ohne Chorda und ohne Chorda-Scheide. (Aeusseres Haut-Skelet). 3. Muskulatur endoskeletal (aus soliden Mesoderm-Streifen gebildet, ohne Myocoel). 4. Nervencentrum ventral , ursprünglich gegliedert (Bauchmark). (Doppelte Bauchganglien-Kette). 5. Herz dorsal, aus dem Rückengefäss der Helminthen entstanden. 6. Darm ohne Kiemenkammer (Kopfdarm niemals mit Kiemenspalteu ; Hypobranchial-Rinne fehlt vollständig). 7. Nephridien ursprünglich segmeiital, ohne Myocoel - Verbindung, und ohne primären Vornieren-Gang. 8. Gonaden ursprünglich segmeutal , aus dem parietalen Mesoblast entstanden. 9. Leibeshöhlen (rechte und linke) ohne Frontal-Septum ; daher keine Trennung in dorsale Episomiten und ventrale Hyposomiten. Erklärung von Tafel VI, VII, VUI, IX. Vier vergleichende Tafeln von Aumioteii-Embryoueii, aus zwölf verschiedenen Ordnungen. Die vier Tafeln VI — IX sollen die mehr oder minder bedeutende Ueberein- stimmuug versinnlichen, welche hinsichtlich der wichtigsten Formverhältnisse zwischen dem Embryo des Menschen und dem Embryo der höheren Wirbelthiere (Amnioteu) in frühen Perioden der individuellen Entwickelung besteht. Diese Uebereinstimmung ist um so vollständiger, in je früheren Perioden der Entwickelung die Embryonen des Menschen mit denen der übrigen Wirbelthiere verglichen werden. Sie bleibt um so länger bestehen, je näher die betreffenden ausgebildeten Thiere stammverwandt sind, entsprechend dem ,, Gesetze des ontogenetischen Zusammenhanges systematisch ver- wandter Formen" (vergl. den folgenden Vortrag, S. 357). Taf. VI und VI[ stellen die Embryonen von sechs verschiedenen Sauropsiden in drei verschiedenen Stadien dar , und zwar von vier Reptilien und von zwei V ö gel n. Taf. VIII und IX zeigen die Embryoneu von acht verschiedenen S ä u g e t h i e r e n aus den entsprechenden drei Stadien. Die Zustände der drei verschiedenen Ent- wickelungs-Stadien, welche die drei Querreihen (I., II., III.,) darstellen, sind möglichst entsprechend gewählt. Die erste (oberste) Querreihe, I., stellt ein sehr frühes Stadium dar, mit Kiemen- spalten, ohne Beine. Die zweite (mittlere) Querreihe, II., zeigt ein etwas späteres Stadium, mit der ersten Anlage der Beine, noch mit Kiemenspalteo Die dritte (unterste) Querreihe, III., führt ein noch späteres Stadium vor, mit weiter entwickelten Beinen, nach Verlust der Kiemenspalten. Die Hüllen und Anhänge des Embryo- Körpers (Amnion, Dottersack, Allantois) sind weggelassen. Sämmtliehe 24 Figuren sind schwach vergrössert, die oberen stärker, die unteren schwächer. Zur besseren Vergleichung sind alle auf nahezu dieselbe Grösse in der Zeichnung reducirt. Alle Embryonen sind von der linken Seite gesehen ; das Kopfende ist nach oben, das Schwanzende nach unten, der gewölbte Kücken nach rechts gekehrt. Die Buchstaben bedeuten in allen 24 Figuren dasselbe, und zwar .* v Vorderhirn, z Zwischenhiru, m Mittelhirn, h Hinterhirn, n Nachhirn, r Rückenmark, e Nase, a Auge, o Ohr, k Kiemeu- bogen, (■ Herz, vj Wirbelsäule, / Vorderbeine, b Hinterbeine, s Schwanz*"*). 1. Eidechse (Lacerta) E. 1 8. Schwein (Sus) S, Y. Schlange {Cohiber) A. 9. Eeh {Capreolus) C. 3. Krokodil {Alligator) K. 10. Rind {Bos) R. 4. Schildkröte (Okelone) T. ' 11. Hund {Canü) H. r>. Huhn {Üalluä) G. 6 StraaSB (Struthio) Z. 7 Beutelratte (Uidtlphya) B. 12 Fledermaus {Rhinulophua) F, 13. Kaninchen [Lexms) L. 14. Mensch (Homo) M. , [nÜiropogcruc . R'.Aafl. Koplilien- Keime. Taf. VI VI- /#-..'' P- i:i ) 'W \ \[ ^J ((^^ J 1/ III ,^. L^ fe^# KU ,v in E.Haockeldel. E. Eidechse Lacerta. Litli Ansi.v A.Giltsch, tifiiö A. Schlaii^e Coluber K. Krokodi Alligator. Anthropogenie^, I\. Au[l. Sauropsiden-Keime. Taf'MI. N:^^1 --k %=är Ti # ---X \-' c ' ^^•. f -I ' n h- GII ^-^-.C^4^' /#; ^ \ÜJ I: 'ii»Kf ü ]ii " ZlII Haecke! dei T. Schildkröte Chelojie. G.Huhn Gallus. Lifh.ATist.v. A.Sillsch, Jena. Z.Strauss Struthio. Antliropo(fcme, IV. Aufl. Säiigethier- Keime Taf m. EHaecksl del. B. Beutelthier S. Schwein Didelphys. Sus. C. Reh Capreolus. l.i(h. Anst.v. A.Siltsch, clena. R. Rind Bos. Aritkropogenie, KAu/l-. Säugethier- Keime Tai:iX. E.Haeckel del. Lilji. Anst.v. A.Siltsch, elena H.Hund F Fledermaus L.Kaninchen . M Mensch Canis. Rhinolophus. Lepus Homo. Fünfzehnter Vortrag. Keiinhülleii uiichichte. Litteratur. Alexander Ecker, 1851 — 1859. Icones physiologicae. Erläuterungstafeln zur Physio- logie und Enticickelungsgeschichte, Taf. 25 — 31. Albert Kölliker, 1861. Enttaickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. II. Aufl. 1884. {S. 86—188.) William Turner, 1877. Same general Observations an the Placenta loith especial refe- rence to the Theory of Eoolution. Journ. of Anat. and P/tysiol. Derselbe, 1878. On the Placentation of the Apes vith a comparison icith that of tlie Human Female. Phil. Irans., Vol 169. Van Beneden und Charles Jtilin, 1884. Recherches sur la formation des annexes foetales chez les Mammif&res. Archiv de Biol., Tom. V. C. K. Hoffmann, 1884. Grondtrekken der venjelijkende o%itvnckelings-geschiedenis. {Mit vielen Litteratur- Angaben.) Oscar Hertwig, 1886. Lehrbuch der Entunckelungsgeschichte des Menschen. (III. Au/i. 1890.) X.—XIII Capitel Emil Selenka, 1883 — 1887. Studien über die Entwickelungsgeschühte der Tliiere. (/. Maus. II. Nagethiere. III., IV. Opossum.) A. Fleischmann, 1889. Embryolugische Untersuchungen über einheimische Ravhthiere. Emil Selenka, 1890. Zur Entwickelung der Affen. {Berlin. Akad. Sitzungsber. 48.) Derselbe, Zur Entstehung der Placenta des Menschen (Biol Centralbl. X, 24). XV. Meine Herren! Unter den vielen interessanten Erscheinungen, welche in dem bisherigen Gange der menschlichen Keimesgeschichte uns aufge- stossen sind, bleibt eine der wichtigsten Thatsachen, dass die Ent- wickelung des menschlichen Körpers von Anfang an genau in der- selben Weise erfolgt, wie bei den übrigen Sau gethier e n. In der That finden sich alle die besonderen Eigenthümlichkeiten der individuellen Entwickelung, welche die Säugethiere vor den übrigen Thieren auszeichnen, ebenso auch beim Menschen wieder; schon die Eizelle, mit ihrer eigenthümlichen E.ü\\e (Zona pellucida, Fig. 13), zeigt bei allen Säugethieren denselben typischen Bau. Man hat schon längst aus dem Körperbau des ausgebildeten Menschen den Schluss gezogen, dass derselbe im Systeme des Thierreiches seinen natürlichen Platz nur in der Klasse der Säugethiere finden könne. Bereits Linne stellte ihn hier 1735 in seinem grund- legenden „Systema naturae" mit den Affen in einer und der- selben Ordnung (Primates) zusammen. Durch die vergleichende Keimesgeschichte wird diese Stellung lediglich bestätigt. Wir über- zeugen uns, dass auch in der embryonalen Entwickelung, wie im anatomischen Bau, der Mensch sich durchaus ähnlich den höheren Säugethieren und am ähnlichsten den Alien verhält. Wenn wir nun unter Anwendung des biogenetischen Grundgesetzes das Verständniss dieser ontogenetischen Uebereinstimmung suchen, so ergiebt sich daraus ganz einfach und nothwendig die Abstammung des Menschen von anderen Säugethierformen. Der gemeinsame Ursprung des Menschen und der übrigen Säugethiere von einer einzigen uralten Stammform kann uns danach nicht mehr zweifelhaft sein; und ebensowenig die nächste Blutver'wandtschaft des Men- schen und der Affen. Die wesentliche Uebereinstimmung in der gesammten Körper- forra und im inneren Bau ist beim Embryo des Menschen und der 23* 356 Gesetz des ontogenetischen Zusammenkanges. XV. übrigen Säugethiere selbst noch in demjenigen späten Stadium der Eutwickelung vorhanden, in welchem bereits der Säuge thier-Körper als solcher unverkennbar ist. (Vergl. S. 352, Tat". VI — IX, zweite Reihe.) Aber in einem etwas früheren Stadium, in welchem bereits die Gliedmaassen, die Kiemeubogen, die Sinnesorgane u. s. w. au- gelegt sind, können wir die Embryonen der Säugethiere noch nicht als solche erkennen und noch nicht von denjenigen der Vögel und Reptilien unterscheiden. (Taf. VI — IX, oberste Querreihe.) Wenn wir noch frühere Stadien der Entwickelung betrachten, so sind wir nicht einmal im Stande, irgend einen wesentlichen Unterschied im Körperbau zwischen den Embryonen dieser höheren Wirbel- thiere und denjenigen der niederen, der Amphibien und Fische, aufzufinden. Gehen wir endlich bis zum Aufbau des Körpers aus den vier secundären Keimblättern zurück, so werden wir durch die Wahrnehmung überrascht, dass diese vier Keimblätter bei allen Wirbelthiereu dieselben sind und überall in gleicher Weise am Aufbau der Grundorgane des Körpers sich betheiligen. Wenn wir dann nach der Herkunft dieser vier secundären Keimblätter fragen, so fiuden wir, dass sie überall in gleicher Weise aus den beiden primären Keimblättern sich entwickeln; diese letzteren aber haben bei sämmtlichen Metazoen (d. h. bei allen Thieren mit Ausnahme der einzelligen Urthiere) dieselbe Bedeutung. Endlich sehen wir, dass die Zellen, welche die beiden primären Keimblätter zusammen- setzen, überall durch wiederholte Spaltung aus einer einzigen ein- fachen Zelle, aus der Stammzelle oder befruchteten Eizelle, ihren Ursprung nehmen. Diese merkwürdige Uebereinstimmung in den wichtigsten Kei- mungs-Verhältnissen des Menschen und der Thiere kann nicht genug hervorgehoben werden. Wir werden sie später für unsere mono- phyletische Descenden z- Hypothese, d. h. für die Annahme der einheitlichen, gemeinsamen Abstammung des Menschen und aller Metazoen von der Gastraea verwerthen. Die ersten Anlagen der wichtigsten Körpertheile und vor allen des ältesten Haupt-Or- ganes, des Darmcanales, sind ursprünglich überall identisch; sie erscheinen immer in derselben einfachsten Form. Alle die Eigen- thümlichkeiten aber, durch welche sich die verschiedenen kleineren und grösseren Gruppen des Thierreiches von einander unterscheiden, treten im Laufeder Keimes-Eutvvickelung erst allmählich nach einander auf, und zwar um so später, je näher sich die betreifenden Thiere im System des Thierreiches stehen. Diese letztere Erscheinung lässt sich in einem bestiuimten Gesetze formuliren, welches gewisser- XV. Früheste Kcimzxi.ständc des Meiisclicu. 357 maassen als Zusatz oder Anhang zu unserem biogenetischen Grund- gesetze betrachtet werden kann. Das ist das Gesetz des on- togenetischen Zusammenhanges systematisch ver- wandter Thierformen. Dasselbe lautet: Je näher sich zwei erwachsene, ausgebildete Thiere ihrer ganzen Körperbildung nach stehen, je enger dieselben daher im Systeme des Thierreiches ver- bunden sind, desto länger bleibt auch ihre embryonale Form identisch, desto längere Zeit hindurch sind die Embryonen, die Jugendformen derselben überhaupt gar nicht oder nur durch unter- geordnete Merkmale zu unterscheiden. Dieses Gesetz gilt für alle Thiere, deren Keimesgeschichte in der Hauptsache ein erblicher Auszug der Stammesgeschichte ist, bei denen die ursprüngliche* Form der Entwickelung durch Palinge nesis getreu vererbt wird. Wo hingegen diese letztere durch Cenoge nesis oder Entwickelungs-Störung abgeändert ist, da finden wir jenes Gesetz beschränkt, und zwar um so stärker, je mehr neue Ent- wickelungs- Verhältnisse durch Anpassung eingeführt sind (vergl. den I. Vortrag, S. 6— 12)»«»). Wenn wir dieses Gesetz des ontogenetischen Zusammenhangs der systematisch (und daher* auch phylogenetisch) verwandten Formen auf den Menschen anwenden und mit Beziehung auf dasselbe die frühesten menschlichen Zustände rasch an uns vorübergehen lassen, so fällt uns zuerst im Beginne der Keimesgeschichte die morpho- logische Identität der Eizelle des Menschen und der übrigen Säugethiere auf (Fig. 1, 13). Alle Eigenthümlichkeiten, welche das Säugethier-Ei auszeichnen, besitzt auch das menschliche P^i ; insbe- sondere jene charakteristische Bildung seiner Hülle {Zona pellucida), welche dasselbe von dem Ei aller übrigen Thiere deutlich unter- scheidet. Wenn der Embryo des Menschen ein Alter von vierzehn Tagen erreicht hat, bildet er eine kugelige Keimblase ( — oder richtiger „Keimdarmblase" — ) von ungefähr 4 mm Durchmesser. Eine verdickte Stelle ihrer Wand bildet einen einfachen, sohlen- förmigen Keimschild von 2 mm Länge (Fig. 178). Auf der Rücken- seite desselben zeigt sich in der Mittellinie die geradlinige Me- dullär-Furche, begrenzt von den beiden parallelen Rückenwülsten oder Markwülsten. Hinten geht dieselbe durch den neurenterischen Canal in den Urdarm oder die Primitivrinne über. Von dieser geht die Einstülpung der beiden Coelom-Taschen in der gleichen Weise aus, wie bei den übrigen Säugethieren (vergl. Fig. 93, 94, S. 241). In der Mitte des sohlenförmigen Keimschildes beginnen bald darauf die ersten Ursegmente aufzutreten. Der menschliche 358 Menschliclier Embryo m der dritten Woche. XV. Embryo ist in diesem Alter nicht zu unterscheiden von demjenigen anderer Säugethiere, z. B. des Kaninchens und des Hundes. Eine Woche später, also nach dem Verlaufe von einundzwanzig Tagen, hat der menschliche Embryo bereits die doppelte Länge er- reicht ; er ist jetzt zwei Linien oder gegen fünf Millimeter lang und zeigt uns bereits in der Seiten-Ansicht die charakteristische Krüm- mung des Rückens, die Anschwellung des Kopfendes, die erste An- lage der drei höheren Sinnesorgane und die Anlage der Kiemen- spalten, welche die Seiten des Halses durchbrechen (Fig. 169 HI; Fig^l69. Menschliche Keime oder Embryonen aus der zweiten bis fünfzehnten Woche, in natürlicher QrÖBse, von der linken Seite gesehen, der gewölbte Rücken nach rechts gekehrt, (grösstentheils nach Ecker). II. Mensch von 14 Tagen, III. von .3 Wochen, IV. von 4 Wochen, V. von 5 Wochen, VI. von 6 Wochen, VII. von 7 Wochen, VIII. von 8 Wochen, XII. von 12 Wochen, XV. von 15 Wochen. Taf. IX, Fig. MI). Hinten aus dem Darme ist die Allantois lier- vorgewachsen. Der Embryo ist bereits vollständig vom Amnion um- schlossen und hängt nur noch in der Mitte des Bauches durch den Dottergang mit der Keimblase zusammen , die sich in den Dotter- sack verwandelt. Es fehlen aber in diesem Entwickelungs-Stadium noch vollständig die Extremitäten oder Gliedmaassen ; weder von XV. Menschliclier Embryo in der vierten Woche. 359 Armen noch von Beinen ist eine Spur vorhanden. Das Kopfende hat sich allerdings schon bedeutend vom Schwanzende gesondert oder ditiereuzirt ; auch treten vorn die ersten Anlagen der Hirn- blasen, sowie unten am Vorderdarm das Herz schon mehr oder weniger deutlich hervor. Aber ein eigentliches Gesicht ist noch nicht ausgebildet. Auch suchen wir vergebens nach irgend einem besonderen Charakter, welcher in diesem Stadium den menschlichen Embryo von dem der anderen Säugethiere unterschiede. (Vergl. die Figuren der obersten Reihe auf Taf. VI — IX.) ^**^) Abermals eine Woche später, nach Ablauf der vierten Woche, am 28. — 30. Tage der Entwickelung, hat der menschliche Embryo eine Länge von vier bis fünf Linien oder ungefähr einem Ceuti- meter erreicht (Fig. 169 IV; Taf. IX, Fig. M II). Wir können jetzt deutlich den Kopf mit seinen verschiedenen Theilen unter- scheiden: im Inneren desselben die fünf primitiven Hirnblasen (Vorderhirn, Mittelhirn, Zwischenhirn, Hinterhirn und Nachhirn); unten am Kopfe die Kiemenbogen, welche die Kiemenspalten trennen,; an den Seiten des Kopfes die Anlagen der Augen, ein Paar Grüb- chen der äusseren Haut, denen ein Paar einfache Bläschen aus der Seitenwand des Vorderhirns entgegenwachsen (Fig. 170, 171 a). ..l_ vg '"J Fig. 170. Sehr junger Menschen-Embryo, aus der vierten Woche, 6 imn lang (der Gebärmutter eiuer Selbstmörderin 8 Stunden nach ihrem Tode entnommen), nach Raul. « Na.sengrübchen. a Auge, u Unterkiefer, z Zungenbeinbogen, k', k'' dritter und vierter Kiemenbogen. h Herz, s ürsegmente. vg Vordergliedmaasse (Arm), hg Hintergliedmaasse (Bein). ;3G0 Menschlicher Embrvo in der fünften Woche. XY "Weit hinter den Augen, über dem letzten Kieraenbogen, ist die l)läschenförmige Anlage des Gebörorganes sichtbar. In sehr starker, fast rechtwinkeliger Krümmung geht der sehr grosse Kopf in den Rumpf über. Dieser hängt in der Mitte der Bauchseite noch mit der Keimdarmblase zusammen ; allein der Embi-yo hat sich schon stärker von derselben abgeschnürt, so dass sie bereits als Dottersack her- aushängt. Wie der vordere Theil, so ist auch der hintere Theil des Körpers sehr stark gekrümmt, so dass das zugespitzte Schwanz- ende gegen den Kopf hin gerichtet ist. Der Kopf ist mit dem Gesichtstheil ganz auf die noch offene Brust herabgesunken. Die Krümmung wird bald so stark, dass der Schwanz fast die Stirn berührt (Fig. 169 V; Fig. 171). Man kann dann eigentlich drei oder vier besondere Krümmungen an der gewölbten Rückenseite unterscheiden, nämlich eine S c h e i t e 1 k r ü ra m u n g oder „vordere Kopfkrümmung" in der Gegend der zweiten Hirublase, eine Nacken- krüramung oder „hintere Kopfkrümmung" am Anfang des Rückenmarks, und eine Seh w a n z k r ü m m u n g am hintersten Ende. Diese starke Krümmung theilt der Mensch nur mit den drei höhereu hh vtj - -^ Ki^. 171. Menschen-Embryo aus der Mitte der fünften V/oche, 9 mm lan^, nach Kahl. Buchstaben wie in der Kig. 170; ausserdem: sk Scheitelkriimmung. ok Oberkiefer, lih Halsbucht. Wirbelthier-Klassen (den Amnionthieren), während sie bei den nie- deren viel schwächer oder gar nicht ausgesprochen ist. Der Mensch hat in diesem Alter von vier Wochen einen recht ansehnlichen Schwanz, der doppelt so lang als das Bein ist. Die Anlagen der . {uihwpocienie. IV.Aiift. Menscheil- Keime. Taf.m. AGiltscKJeni XV. Menschlicher Emhryo von vier and fünl" Wochen. 361 Gliedmaasseu sind jetzt bereits deutlich abgesetzt: vier ganz ein- fache Knospen von der Gestalt einer rundlichen Platte, ein Paar Vorderbeine (vg) und ein Paar Hinterbeine (hg) , die ersteren ein wenig grösser als die letzteren'^*). Wenn wir den menschlichen Embryo in diesem einmouatlichen Alter öffnen (Fig. 172) , so finden wir in der Leibeshöhle bereits Fig. 172. Menschlicher Embryo, vier Wochen alt, von der Bauchseite, geöffnet. Brustwand und Bauchwand sind weggeschnitten, so dass der Inhalt der Brusthöhle und Bauchhöhle frei liegt. Auch sind sämmtliche An- hänge (Amnion, Allantois, Dottersack) entfernt, ebenso der mittlere Theil des Darmes, »t Auge. 3 Nase. 4 Ober- kiefer. 5 Unterkiefer. 6 zwei- ter, 6" dritter Kiemenbogen. 00 Herz (o rechte, o' linke Vorkammer; v rechte, v linke Kammer), b Ursprung der Aorta. /Leber {u Nabel- vene), e Darm (mit der Dot- terarterie, bei a abgeschnit- ten), j' Dottervene, m ür- niere. t Anlage der Ge- schlechtsdrüse. >• Enddarm (nebst dem Gekröse, z, ab- geschnitten), n Nabelarterie. u Nabelvene. 7 After. 8 Schwanz. 9 Vorderbein. 9' Hinterbein. (Nach Coste.) Fig. 173. Menschlicher Embryo, fünf Wochen alt, von der Bauchseite, geöffnet (wie Fig. 172). Brustwand, Bauchwand und Leber sind entfernt. 3 Aeusserer Nasen- fortsatz. 4 Oberkiefer. 5 Unterkiefer. z Zunge. v Rechte, v linke Herzkammer. o' Linke Herzvorkammer. b Ursprung der Aorta. b'b"b"' Erster, zweiter, dritter Aorten- bogen, c c c" Hohlvenen, ae Lungen (y Lungenarteric). e Magen, m Urnieren. (j Linke Dottervene, s Pfortader, a Rechte Dotterarterie, n Nabelarterie, v. Nabelvene). X Dottergang, i Enddarm. 8 Schwanz. 9 Vorderbein. 9' Hinterbein. Die Leber ist entfernt. (Nach Coste.) 172. Fig. 173. den Darmcanal angelegt und von der Keimblase grösstentheils ab- geschnürt. Mund- und After-Oeffnung sind auch schon vorhanden. Aber die Mundhöhle ist noch nicht von der Nasenhöhle getrennt und das Gesicht überhaupt noch nicht gebildet. Hingegen zeigt 362 Menschlicher Euil^ryo im zweiten Monate. XV. das Herz bereits alle vier Abtheiluugen ; es ist sehr gross mul füllt fast die ganze Brusthöhle aus (Fig. 172 ov). Hinter ihm liegen die ganz kleinen Anfänge der Lungen versteckt. Sehr gross sind die Urnieren (m), welche den grösstcn Theil der Bauchhöhle er- füllen und von der Leber ( f) bis zum Beckendarm hinreichen. Sie sehen also, dass jetzt, am Ende des ersten Monats, alle wesent- lichen Körpertheile bereits fertig angelegt sind. Dennoch sind auch in diesem Stadium noch keine Merkmale vorhanden, durch welche sich der menschliche Embryo von dem des Hundes oder des Kanin- chens , des Rindes oder des Pferdes , kurz von dem aller höheren Säugethiere wesentlich unterschiede. Alle diese Embryonen besitzen jetzt noch im Ganzen die gleiche Gestalt und sind von dem Men- schen höchstens durch die gesammte Körpergrösse oder durch ganz unbedeutende Unterschiede in der Grösse der einzelnen Theile ver- schieden. So ist z. B. der Kopf im Verhältnisse zum Rumpfe beim Menschen ein wenig grösser als beim Rinde. Der Schwanz ist beim Hunde etwas länger, als beim Menschen. Aber das Alles sind, wie Sie sehen, ganz geringfügige Differenzen. Hingegen ist die ganze innere Organisation , die Form , Lage und Zusammen- setzung der einzelnen Körpertheile beim Embryo des Menschen von vier Wochen und bei den Embryonen der anderen Säugethiere aus den entsprechenden Stadien im Wesentlichen dieselbe. Anders verhält es sich schon im zweiten Monate der mensch- lichen Entwickelung. Fig. 169 stellt einen Menschenkeim bei VI von 6 Wochen, bei VH von 7 Wochen und bei VIH von 8 Wochen in natürlicher Grösse dar. Jetzt beginnen allmählich die Ihiter- schiede mehr hervorzutreten, welche den menschhchen Embryo von demjenigen des Hundes und der niederen Säugethiere trennen. Schon nach 6, und noch mehr nach 8 Wochen sind bereits bedeu- tende Differenzen sichtbar, namentlich in der Kopfbildung (Taf. IX, Fig. MIII etc.). Die Grösse der einzelnen Abschnitte des Gehirns ist jetzt beträchtlicher beim Menschen ; der Schwanz umgekehrt erscheint kürzer. Andere Unterschiede sind zwischen dem Menschen und den niederen Säugethieren in der relativen Grösse innerer Theile zu finden. Aber auch in dieser Zeit ist der menschliche Keim von dem Embryo der nächstverwandten Säugethiere, der Affen, namentlich der anthropomorphen Affen, noch sehr wenig verschieden. Die Merkmale, durch welche wir den Embryo des Menschen von demjenigen der Affen sofort unterscheiden können, treten erst später deutlicher hervor. Selbst in einem weit vorgeschritteneren Stadium der Entwickelung, wo wir den menschlichen Embryo gegenüber XV. Embrvo des Menschen und des Affen. 363 demjenigen der Hufthiere augenblicklich erkennen, ist derselbe dem Embryo der höheren Affen noch höchst ähnlich. Endlich erscheinen später auch diese Merkmale, und wir können während der letzten vier Monate des menschlichen Embryo - Lebens , vom sechsten bis neunten Monate der Schwangerschaft, den menschlichen Embryo auf den ersten Blick sicher von demjenigen aller übrigen Säuge- thiere unterscheiden. Dann machen sich auch bereits die Unter- schiede der verschiedenen Menschen-Rassen, namentlich hinsichtlich der Schädelbildung, geltend. (Vergl. Taf. XII— XIV.) Die auffallende Aehnlichkeit , welche zwischen den Embryonen des Menschen und der höheren Affen sehr lange Zeit besteht, ver- schwindet übrigens bei den niederen Affen viel früher. Am längsten bleibt sie natürlich bei den grossen anthropomorphen Affen bestehen (Gorilla, Schimpanse, Orang, Gibbon). Die physiognomische Aehn- lichkeit in der Gesichtsbildung, durch welche uns diese Menschen- Affen überraschen , nimmt jedoch mit dem zunehmenden Alter immer mehr ab. Dagegen bleibt sie zeitlebens bei dem merk- würdigen Nasen -Affen von Borneo bestehen (Fig. 174), dessen Fig. 174. Fig. 175. Fig. 174. Der Kopf des Nasenaffen {Semnoptthecus nasicus) von Borneo. Nach Brehm. Fig. 175. Der Kopf der Miss Julia Fastrana. Nach einer Photographie von HiMTZE. schön geformte stattliche Nase mancher Mensch, bei dem dieses Organ zu kurz gerathen , mit Neid betrachten wird. Wenn man das Gesicht dieses Nasen - Affen mit demjenigen von besonders affenähnlichen Menschen (z. B. der berüchtigten Miss Julia Pastrana, Fig. 1 75) vergleicht, so wird der erstere als eine höhere Entwicke- lungsforra gegenüber den letzteren erscheinen. Bekanntlich sind viele Menschen der Ansicht, dass gerade in ihrer Gesichts- bildung sich das „Ebenbild Gottes" unverkennbar abspiegele. Wenn der Nasenaffe diese sonderbare Ansicht theilt, dürfte er 364 Hüllen imd Anhänge des nicuscliliclicn Embryo. XV. daniuf wohl mclir Anspruch erheben , als jene kurznasigen oder mit Stumyfuase versehenen Menschen^"''). Diese stufenweise fortschreitende Sonderung, die zunehmende Divergenz der menschlichen von der thierischen Form , welche auf dem Gesetze des ontogenetischen Zusammenhanges der systematisch verwandten Formen beruht, offenbart sich nun nicht allein in der Bildung der äusseren Körperform, sondern ebenso auch in der Ge-_ staltung der inneren Oigane. Sie offenbart sich ferner ebenso in der Gestaltung der Hüllen und Anhänge, die wir aussen um den Embryo herum finden , und welche wir jetzt zunächst etwas näher betrachten w^ollen. Zwei von diesen Anhängen, das Amnion und die Allantois, kommen nur den drei höheren Wirbelthierklassen zu, während der dritte, der Dottersack, sich bei den meisten ^Virbelthieren findet. Dieser Umstand ist von hoher Bedeutung und liefert uns wesentliche Anhaltspunkte zur Feststellung des menschlichen Stammbaumes. Was nun zunächst die äussere Eihülle betrifft, welche das ganze im Fruchtbehälter der Säugethiere eingebettete Ei umschliesst, so verhält sich diese beim Menschen ebenso wie bei den höheren Säugethieren. Ursprünglich ist das Ei, wie Sie sich erinnern werden, von dem glashellen, structurlosen Ovolemma oder der Zona pellu- cida umschlossen (Fig. 1, 13). Aber sehr bald, schon in den ersten Wochen der Entwickelung, tritt an deren Stelle die bleibende Z o t - tenhaut (Chorion). Dieselbe entsteht aus dem äusseren Falten- blatte des Amnion, dem Serolemma oder der sogenannten „serösen Hülle", deren Bildung wir sogleich betrachten werden. Bei ihrer Entstehung ist die „seröse Hülle" eine ganz einfache, glatte, rings geschlossene Blase; sie umgiebt den Embryo mit seinen Anhängen wie ein weiter, überall geschlossener Sack; der Zwischenraum zwischen beiden, mit klarer, wässeriger Flüssigkeit erfüllt, ist das Serocoelon oder die Interamnionhöhle („extra - embryonale Leibes- höhle"). Aber frühzeitig bedeckt sich die glatte Ausseufläche des Sackes mit sehr zahlreichen kleinen Zotten, die eigentlich hohle Ausstülpungen von der Form eines Handschuhfingers sind (Fig. 176, 190 z, 191 cJiz). Dieselben verästeln sich und wachsen in die entsprechenden Vertiefungen hinein, welche die schlauchförmigen Drüsen der Schleimhaut des mütterlichen Fruchtbehälters bilden. So erhält das Ei seine bleibende feste Lage (Fig. 176 — 181). Schon an menschlichen Eiern von 8—12 Tagen ist diese äussere Eihaut, die wir kurzweg Zottenhaut nennen werden, allenthalben mit kleineu Zotten bedeckt und bildet eine Kugel oder XV. Menschliclie Keime von zwei bis drei Wocheri. 365 ein Sphäroid von 6—8 Millimeter Durchmesser (Fig. 176—178). Indem sich im Inneren eine grössere Menge von Flüssigkeit an- sammelt, dehnt sich die Zottenhaut immer mehr aus, so dass der Embryo nur einen kleinen Theil vom inneren Raum der Eiblase erfüllt. Zugleich werden die Zotten des Chorion immer zahlreicher und grösser. Ihre Aeste verzweigen sich stärker. Während die 4'"'^^'f\% Fig. 17G. Fig. 177. Fig. 179. Fig. 180. Fig. 176. Menschliches Ei von 12 — 13 Tagen (?), nach Allen Thomson. 1. Nicht geöffnet, in natürlicher Grösse. 2. Geöffnet und vergrössert. Innerhalb der äusseren Zottenhaut (Chorion) liegt auf der grossen Keimdarmblase links oben der kleine ge- krümmte Keim. Fig. 177. Menschliches Ei von 10 Tagen, nach Allen Thomson, in natürlicher Grösse und geöffnet ; in der rechten Hälfte oben rechts der kleine Keim. Fig. 178. Menschlicher Keim von 10 Tagen, aus dem vorigen Ei genommen, zehnmal vergrössert. a Dottersack, b Nackentheil (wo die Markfurche schon ge- schlossen ist). <: Kopftheil (mit offener Markfurche), d Hintertheil (mit offener Mark- furche), e ein Fetzen vom Amnion. Fig. 179. Menschliches Ei von 20 — 22 Tagen, nach Allen Thomson, in natür- licher Grösse, getändig zusammengewachsen. (Nach Remak.) Vergl. im üebrigen Fig. 191, Fig. 192 und Fig. 193; sowie Taf. V, Fig. 14. Embryo überhaupt zu bemerken und über das Centralorgan des- selben , das Herz. Die ersten Blutgefässe und das Herz , sowie auch das erste Blut selbst, entwickeln sich aus dem Darmfaser- blatte. Deshalb wurde das letztere auch von früheren Embryo- logen geradezu „Gefässblatt" genannt. Die Benennung ist in einem gewissen Sinne ganz richtig. Nur ist sie nicht so zu ver- stehen, als ob alle Blutgefässe des Körpers aus diesem Blatte her- vorgingen , oder als ob das ganze Gefässblatt nur für die Bildung von Blutgefässen verwendet würde. Beides ist nicht der Fall. Blutgefässe können auch in anderen Theilen, insbesondere in den ver- schiedenen Producten des Hautfaserblattes, selbständig sich bilden. Das Gewebe, welches die Blutgefässe zusammensetzt, gehört zu jenen secundären Producten des Mesoderms, welche nicht als epi- theliale Platten sich abspalten, sondern überall in Lücken zwischen den Epithel - Producten der Keimblätter auftreten können und von Hertwig unter dem Begriffe des Zwischenblattes oder M es eu- ch y ms abgetrennt werden. Das innere Gefäss - Epithel scheint jedoch aus dem Eutoderm zu entstehen. 37fi Erster Blutki-eislani' des Embiyo. XV. Das Herz und die Blutgefässe, sowie überhaupt das ganze Gefäss- System, gehören keineswegs zu den ältesten Theilen des thierischen Organismus. Schon Aristoteles hatte angenommen, dass das Herz beim bebrüteten Hühnchen zuerst von allen Theilen gebildet werde; und viele spätere Schriftsteller theilten diese An- nahme. Das ist aber keineswegs der Fall. Vielmehr sind die wich- tigsten Körpertheile , namentlich die vier secundären Keimblätter, Markrohr und Chorda, längst angelegt, ehe die erste Spur des Hlutgefäss-Systems erscheint. Diese Thatsache ist, wie wir später sehen werden, ganz im Einklang mit der Phylogenie des Thier- reichs. Die Niederthiere oder Coelenterien (Gastraeaden, Cni- darien, Platoden), zu welchem auch ein Theil unserer älteren thie- rischen Vorfahren gehört, besitzen weder Blut, noch Herz. Die ersten Blutgefässe des Säugethier- Embryo kennen Sie bereits aus den früher von uns untersuchten Querschnitten (Fig. 138—141, S. 312). Es sind das erstens die beiden Urarterien oder „primitiven Aorten", welche in den engen Längsspalten zwi- schen Urwirbeln, Seitenplatten und Darmdrüsenblatt liegen (Fig. 131 ao^ 138 ao)\ und zweitens die beiden Hauptvenen oder „Cardinal- Venen", welche etwas später nach aussen von ersteren, oberhalb der ürnierengänge , auftreten (Fig. 139—146 vc). In ganz derselben Weise und in Zusammenhang mit diesen ersten Gefässen entsteht aus dem Darmfaserblatte auch das Herz, und zwar in der unteren Wand des Vorderdarmes, weit vorn an der Kehle, wo das Herz bei den Fischen zeitlebens liegt. Das Herz der Wirbelthiere ist ursprünglich nichts als eine locale Erweiterung jenes medianen venösen Bauchgefässes , welches an der unteren Wand des Darmes verläuft, und welches wir früher bei unserem Urwirbelthiere als Principal-Vene kennen gelernt haben (Fig. 95, 97 V, S. 256). Das einfache spindelförmige Herz, welches hier an der Grenze von Kopf und Rumpf anzunehmen ist, tritt an derselben Stelle , gleich hinter dem Kiemendarm , auch bei den Embryonen der Schädelthiere auf, so bei den Cyclostomen (Taf. XI, Fig. 16 h) und bei den Fischen. Durch die Contraction seiner Muskelwand wird das venöse Blut, welches die Subintestinal- Vene zuführt, in die Kiemen-Arterie (an der Unterseite des Kiemendarms) getrieben. Auch bei den Amphibien ist diese einfache Anlage des Herzens unpaar. Bei den Amnioten hingegen tritt die erste Anlage paa- rig auf, in Gestalt von zwei getrennten Herzhälften (Fig. 127 h). Beide Hälften rücken aber bald zusammen und verschmelzen in der ventralen Mittellinie der Kopfdarmwand zu einem einfachen XV. Erste Anlage des Herzens. 377 unpaaren Schlauch. Jene paarige Anlage ist eine spätere ceno- geuetische Erscheinung, bedingt durch die flache Ausbreitung des Keimschildes auf der voluminösen Dotterblase. Die einfache spindelförmige Anlage des Herzens, die sich von der Bauchwand des Kopfdarms abschnürt, besteht aus beiden Keimblättern der Darm wand , indem eine kleine Ausstülpung des Darmdrüsenblattes in den Schlauch aufgenommen wird. Aus dieser entsteht das Endocard, die epi- theliale innere Zellen-Auskleidung des Her- zens. Seine dicke Muskelwand dagegen, das M y 0 c a r d , wird durch die Zellen des Darm- faserblattes oder des visceralen Mittelblattes gebildet. Aus diesen gehen auch die rothen Fig. 195. Menschlicher Embryo vou 14—18 Tagen, von der Bauchseite geöfinet. Unter dem Stirn- fortsatze des Kopfes (t) zeigt sich in der Herzhöhle (p) das Herz (c) mit der Basis der Aorta (&). Der Dottersack (o) ist grösstentheils entfernt (bei x Ein- mündung des Vorderdarmes), g Primitive Aorten (unter den Urwirbeln gelegen), i Enddarm, a Allantois {u deren Stiel), v Amnion. (Nach Coste.) Blutzellen hervor, sowie die ersten Gefässanlagen, die mit dem Herzen zusammenhängen. Auch diese sind anfangs solide, runde Zellen- stränge, Dann höhlen sie sich aus , indem Flüssigkeit in ihrer Axe abgesondert wird. Einzelne Zellen lösen sich ab, schwimmen frei in der Flüssigkeit umher und werden so zu Blutzellen. Das gilt ebensowohl von den Arterien oder „Schlagadern" (die das Blut aus dem Herzen wegführen), als von den Venen oder „Blut- adern" (welche das Blut zum Herzen zurückleiten). Die weissen Blutzellen (Lymphzellen oder Leukocyten) sind Wanderzellen, welche frei im Mesenchym zu entstehen und erst secundär in die Blut- gefässe einzuwandern scheinen. Anfänglich liegt das Herz aller Wirbelthiere in der Bauch- wand des Kopfdarms selbst, oder in dem ventralen Mesenterium („Herzgekröse"), durch welches diese eine Zeitlang mit der Leibes- wand zusammenhängt. Bald aber schnürt sich das Herz von seiner Urspruugsstätte ab, und kommt nun frei in eine Höhle zu liegen, die Herzbeutelhöhle (Fig. 196 c). Kurze Zeit hängt es noch durch die dünne Platte des Mesocardium oder Herzgekröses (hg) mit ersterer zusammen. Nachher liegt es ganz frei in der Herzbeutel- 378 Herzliöhlc und Herzirfkröse. XV. höhle und steht uur noch durch die von ihm ausgehenden Gefäss- stämme mit der Darmwand in directer Verbindung (Fig. 196). Das vordere Ende des spindelförmigen Herzschlauches, der bald eine S-förmig gekrümmte Gestalt annimmt (Fig. 198), spaltet sich in einen rechten und linken Ast. Diese beiden Röhren sind bogen- förmig nach oben gekrümmt und stellen die beiden ersten Aorten- Bogen dar. Sie steigen in der Wand des Vorderdarmes empor, den sie gewissermaassen umschlingen , und vereinigen sich dann oben, an der oberen Wand der Kopfdarmhöhle, zu einem gi-ossen un- paaren Arterien-Stamm, der unmittelbar unter der Chorda nach hinten verläuft und der Aorten-Stamm genannt wird (Fig. 197 Äo). Das erste Aortenbogen - Paar steigt an tler Innenwand des ersten Fig. 196. Schematischer Quer- schnitt durch den Kopf eines Säugethier-Embryo. h Hornplatte. VI Markrohr (Hirnblase), mr Wand desselben, l Lederplatte, s Schädel- Anlage, ch Chorda. k Kiemen- bogen. mp Muskelplatte. ^ Herz- höhle, vorderster Theil der Leibes- höhle (Coelom). d Darmrohr, dd Darmdrüsenblatt, d/ Darmmuskel- platte, hg Herzgekröse, hw Herz- waud. hk Herzkammer, ab Aorten- bogen, a Querschnitt des Aorten- stammes. Kiemenbogen - Paares empor und liegt also zwischen dem ersten Kiemenbogen (k) nach aussen und dem Vorderdarm (d) nach innen, gerade so wie diese Gefässbogen beim erwachsenen Fische zeit- lebens liegen. Der unpaare Aorten-Stamm, welcher aus der oberen Vereinigung dieser beiden ersten Gefässbogen hervorgeht, spaltet sich alsbald wieder in zwei parallele Aeste, die beiderseits der Chorda nach hinten verlaufen. Das sind die Ihnen bereits bekannten „primitiven Aorten'', die auch hintere Wirbel-Arterien heissen (^r^enae vertehrales posteriores). Hinten geben nun diese beiden Arterien- stämme jederseits unter rechten Winkeln 4—5 Aeste ab, welche aus dem Embryokörper hinüber in den Fruchthof treten und Nabelgekrös-Arterien ( Arter iae omphalo-mesentericae) oder Dotter-Arterien (Ärteriae vitellinae) heissen. Sie stellen die XV. Dotter-Arterien oder Nabel-Gekrös-Arterien. 379 erste Anlage eines Fruchthof-Kreislaufes dar. Die erste Gefäss- bildung geht also über den Embryokörper hinaus und erstreckt sich bis zum Rande des Fruchthofes. Anfangs bleiben sie auf den dunkeln Fruchthof oder den sogenannten ,,Gefässhof" (Area opaca oder Area vascuJosa) beschränkt. Später aber dehnen sie sich über die ganze Oberfläche der Keimdarmblase aus. Der ganze AA S,Ce^. «Jt— /' Fig. 197. Dotter-Gefösse im Fmchthofe des Hühner-Keims, am Ende des drit- ten Brütetages, nach Baxfour. Der abgelöste Fruchthof ist von der Bauchseite ge- sehen ; die Arterien sind schwarz, die Venen hell gezeichnet. H Herz. AA Aorten- bogen. Av Aortenstamm. ROfA Rechte Dotter- Arterie. 8T Sinus terminalis. LOJ und ROf Linke und rechte Dottervene. SV Sinus venosus. DO Ductus Cuvieri. SeaT und VCa Vordere und hintere Cardinal-Vene. Dottersack erscheint zuletzt von einem Gefässnetze überzogen. Diese Blutgefässe haben die Aufgabe, Nahrungsstoöe aus dem Inhalte des Dottersackes zu sammeln und dem embryonalen Körper zuzuführen. Das geschieht durch Venen , durch rückführende Gefässe , welche erst vom Fruchthofe und später vom Dottersacke in das hintere Ende des Herzens hineintreten. Diese Venen heissen Dotter- Venen ( Venae vitellinae) ; sie werden auch häutig Nabel gekrös- Venen ( Venae omphalomesentericae) genannt. -Ä> 380 Dottcr-Yoiicn oder Nabcl-Gc^krös-Veneii. XV. Der erste Blutkreislauf des Embryo (Fig. 197—200) zeigt also bei den drei höheren Wirbelthier-Klassen folgende einfache Anord- nung : Das ganz einfache schlauchförmige Herz (Fig. 200 d) spaltet sich vorn so\Yohl als hinten in zwei Gefässe. Die hinteren Gefässe sind die zuführenden Dottervenen. Sie nehmen Nahrungssubstanz aus der Keimblase oder dem Dottersack auf und führen diese dem Embrvokörper zu. Die vorderen Gefässe sind die abführenden Kiemenbogen-Arterien, welche als aufsteigende Aortenbogen das vordere Darmende umschlingen und in dem Aorten-Stamm sich vereinigen. Die beiden Aeste, die aus der Spaltung dieser Haupt- arterie entstehen, die „primiti- ven Aorten", geben rechts und links die Dotter- Arterien ab, welche aus dem Embrvokörper a v|- Fig. rJ8. Kahnförmiger Keim 1 des Hundes, von der Bauchseite, etwa ^' lOtnal vergrössert Vorn ist unter ,' der Stirn das erste Paar Kiemenbogen sichtbar; darunter das S-förmig ge- bogene Herz, neben welchem seitlich die beiden Gehörbläschen liegen. Hin- ten spaltet sich das Herz in die bei- j den Dottervenen, die sich im (ringsum , abgerissenen) Fruchthof ausbreiten. Im Grunde der offenen Bauchhöhle liegen zwischen den Urwirbeln die - primitiven Aorten, von denen fünf Paar Dotterarterien ausgehen. (Nach BTSfHOFF.) austreten und in den Fruchthof übergehen. Hier und in der Peripherie der Nabelblase unterscheidet man zwei Schichten von Gefässen, die oberflächliche Arterien-Schicht und die untere Venen-Schicht. Beide hängen zusammen. Anfangs ist dieses Gefäss-System nur über die Peri- pherie des Fruchthofes bis zu dessen Rande ausgedehnt. Hier am Rande des dunkeln Gefässhofes vereinigen sich alle Aeste in einer grossen Randvene (Vena terminalis, Fig. 200 a). Später ver- schwindet diese Vene, sobald im Laufe der Entwickelung die Ge- fässbildung weiter geht, und dann überziehen die Dotter-Gefässe den ganzen Dottersack. Mit der Rückbildung des Nabelbläschens werden natürlich auch diese Gefässe rückgebildet, welche bloss in der ersten Zeit des Embryo-Lebens von Bedeutung sind. An die Stelle dieses ersten Dottersack-Kreislaufes tritt später XV. Erster Blutkreislauf: iiu i)ottersack. 381 der zweite Blutkreislauf des Embryo, derjenige der Allantois. Es entwickeln sich nämlich mächtige Blutgefässe auf der Wand des Ur-Harnsackes oder der Allantois, ebenfalls aus dem Darmfaser- blatte. Diese Gefässe werden grösser und grösser und hängen auf das engste mit den Gefässen zusammen, welche sich im Körper Fig. 199. Keimschild und Frachthof eines Kaninchens, bei dem die erste Anlage der Blutgefässe erscheint, von der Bauchseite gesehen, etwa lOmal vergrössert. Das hintere Ende des einfachen Herzens (a) spaltet sich in zwei starke Dotterveneu, welche in dem dunkeln (auf dem schwarzen Grunde hell erscheinenden) Fruchlhofe ein Ge- fässnetz bilden. Am Kopfende sieht man das Vorderhirn mit den beiden Augenblasen [b, b). Die dunklere Mitte des Keimes ist die weit offene Darmhöhle. Beiderseits der Chorda sind 10 Urwirbel sichtbar. (Nach Bischoff.) des Embryo selbst entwickeln. So tritt allmählich die secundäre Allantois-Circulation au die Stelle der ursprünglichen, primären Dottersack-Circulation. Nachdem die Allantois bis an die Innen- wand des Chorion herangewachsen ist und sich in die Placenta verwandelt hat, vermitteln ihre Blutgefässe allein die Ernährung des Embryo. Sie heissen Nabel-Gefässe ( Vasa umhilicaliä), und sind ursprünglich doppelt : ein Paar Nabel-Arterien und ein Paar Naljel- Venen. Die beiden N a b e 1 - V e n c n ( Venae umhili- cales, Fig. 172 w, 173 m), welche Blut aus der Placenta zum Herzen hinführen, münden anfänglich in die vereinigten Dotter- Venen ein. Später vergehen die letzteren und zugleich verschwindet die rechte Nabel-Vene ganz, so dass nunmehr bloss ein einziger, 382 Zweiter Blutkreislauf: in der Allantois, XV. mächtiger Venen-Stamm, die linke Umbilical-Vene, alles ernährende Blut von der Placenta in das Herz des Embryo führt. Die beiden Arterien der Allantois oder die Nabel -Arterien {Arteriae um- hilicales, Fig. 172 w, 173 n) sind weiter Nichts als die letzten, liintersten Enden der beiden primitiven Aorten, die sich später Fig. 200. Keimschild und Fruchthof eines Kaninchens, bei dem das erste Blut- i^efäss-System völlig ausgebildet ist, von der Bauchseite gesehen, etwa 5mal ver- grössert. Das hintere Ende des S-förmig gekrümmten Herzens (d) spaltet sich in zwei starke Dottervenen, von denen jede einen vorderen Ast (b) und einen hinteren Ast (<•) abgiebt. Die Enden derselben vereinigen sich in der ringförmigen Grenzvene (a). In dem Fruchthofe ist das gröbere (tiefer gelegene) venöse Netz und das feinere (mehr oberflächlich gelegene) arterielle Netz sichtbar. Die Dotter-Arterien (/) münden in die beiden primitiven Aorten («). Der dunkle Hof, welcher wie ein Heiligenschein den Kopf umgiebt, entspricht der Vertiefung der Kopfkappe (Nach Bischoff.) mächtig entwickeln. Erst nach Beendigung des neunmonatlichen Embryo-Lebens, wenn der menschhche Embryo durch den Geburts- Akt als selbständiges physiologisches Individuum in die Welt tritt, hört die Bedeutung dieses Nabelkreislaufes auf Der Nabelstrang (Fig. 186 al), in welchem jene mächtigen Blutgefässe vom Embryo zur Placenta gehen, wird mit der letzteren als sogenannte „Nach- geburt" entfernt, und gleichzeitig mit der Lungen-Athmung er- scheint nun eine ganz neue, auf den Körper des Kindes allein be- schränkte Form des Blutkreislaufes^"'). XV. 383 Vierzehnte Tabelle. Uebersicht über die Keimplatteu der Wirbelthiere {Lamellae embryonales) und ihre Bedeutung für die Fundamental-Organe und Gewebe. Keimblätter. Blastophylle. Laminat embryonales. Keimplatten. Blastoplatte u. Lamellae embryonalets. Fundamental-Organe der Wirbelthiere. Gewebe der Wirbelthiere. A. Exoderm. Aeusseres Keimblatt. Epiblast oder E c t o b 1 a s t. Oberes Grenzblatt. Hautblatt. C. I. Episomiten (Epimeren). Dorsale S om i t e u. Ursegmente der Rückeuhälfte. „Stammzone" der Amnioten. 1. Hornplatte Lamella cornualis. 2. Markplatte Lamella medul- laris. 3. Sinnesplatten (Locale Producte des Sinuesblattes). 1. Oberhaut Epidermis. 2. Nervensystem (Medullarrolir). 3. Sinnes-Organe (Sensilla). Cutisplatte (^Lamella coriaris). Muskelplatte {^Lamella muscu- laris) Skeletplatte (Sclerotome) {Lamella sklera- lis). i 4. Corium (Leder- haut). Seiten - Rumpf- muskeln (Myotorae) Epithelial-Gewebe der Oberhaut, der Mundhöhle und der Aftergrube. Ganglienzelleu und Nervenfasern. Diflfereuzirte Sinnes-Epithelieu. Cutis, Bindegewebe und glatte Muskeln des Mesen- chyms. i Animales Muskel- jgewebe (quergestreift). Chorda- Scheide | Stützgewebe des und ihre Fortsätze oar///f //.'. ////7 TafXlI •:äc!iErd! il.h.Aiisi'/A6iltsch,(iJenä. Anthropoiicnk B.Aufl TaCm Mach Erdl ih An-3t.vA<5ch dena 3 9999 05493 444 1 Boston Public Library Central Library, Gopley Square Division of Reference and Research Services The Date Due Card in the pocket indi- cates the date on or before which this book should be returned to the Library. Please do not remove cards from this pocket. ■-fi /^•\\v '•'.S.5^- !•?»- \' itnwiMj, m w 1 ■i\ V\'t m^-Zi^ m :^> /// 8191 «11 "j •• \ PmSDhS H iifflll •i. • ' V ^MiwMMK.m 1 i^'>ii">- ^^ ^^