30^ B U Q ~5 ht In Jfl o=rfn JO ° 0 < a 3n 1 JilVD dO o OF C u CO 3^ o jo kw nn 3Hi ° OF CA do /.awaan ani ^-0 ° SANTA BARBARA i£ s« ° SANTA BARBARA ° \ SPSITY o m c;g « SANTA BARBARA o vawjMWS V1N S / < o < 6 o AIISK3AIND 3H1 ° wiNunjnv-) jn ARCHAEOLOGISCHE HERMENEUTIK ANLEITUNG ZUR DEUTUNG KLASSISCHER BILDWERKE VON CARL ROBERT // MIT 300 ABBILDUNGEN IM TEXT BERLIN WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG 1919 DEM ANDENKEN AN WOLFGANG HELBIG UND AUGUST MAU MEINE RÖMISCHEN LEHRER GEWIDMET VORWORT Dies Buch verdankt seine Entstehung einer Anregung meines Freundes Wissowa, der der Meinung war, daß die Erfahrungen, die ich wäh- rend einer mehr als vierzigjährigen Lehrtätigkeit in Vorlesungen und Übungen gemacht habe, auch anderen von Nutzen sein könnten. Die Regeln, die ich vortrage, haben sich mir auf rein empirischem Wege er- geben. Die Gesetze der Hermeneutik in ein System zu bringen muß ich philosophischeren Köpfen überlassen. Bei der Beschaffung des bildlichen Materials habe ich , großes Ent- gegenkommen gefunden. Die Bruckmannsche Verlagsbuchhandlung in München hat in dankenswertester Weise die Reproduktion einer Anzahl von Abbildungen aus Furtwänglers Vasenmalerei und Herrmanns Denk- mälern der Malerei gestattet, die G. Reimersche Verlagsbuchhandlung eine Anzahl von Klischees freundlichst zur Verfügung gestellt. Daß die in Betracht kommenden Münzen und Gemmen nach neuen Abdrücken ge- geben werden können, verdanke ich der bewährten Freundschaft von Heinrich Dressel und Robert Zahn. Beim Lesen der Korrekturbogen hat mich Otto Kern mit gewohnter Treue unterstützt. Halle a. S. , am Winckelmannstag 1918. C. R. INHALT Seite Sehen — Zeichnen — Beschreiben i Das Benennen der Figuren 15 Deuten aus der Darstellung allein 88 Deuten aus dem Mythos 137 Deuten aus der Literatur 155 Deuten aus anderen Bildwerken 211 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort 232 Erschließen nicht überlieferter Mythen und Mythenformen aus Bild- werken 259 Fehlerquellen 287 Ergänzungen und Fälschungen 306 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke 338 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum ? . . . . 370 SEHEN — ZEICHNEN — BESCHREIBEN. Die erste Vor- bedingung für das richtige Deuten ist das richtige Sehen. Ob man richtig sieht, kontrolliert man am besten durch Abzeichnen oder Beschreiben oder durch beides. Beim Abzeichnen kommt es für die Hermeneutik nicht so sehr auf die stilistisch getreue Wiedergabe des Kunst- werks an, so hoch diese in anderer Beziehung anzu- schlagen ist, als auf peinlich genaue Beobachtung jeder Einzelheit. Gegenüber einem wohlerhaltenen Bildwerk scheint diese Aufgabe für einen einigermaßen geschulten Zeichner leicht, und doch kann es schon hier vorkom- men, daß neben dem scharfen Sehen noch etwas an- "~\bb 1 deres nötig ist, nämlich das richtige Erkennen, was wiederum eine Bekanntschaft mit gewissen Dingen, also antiquarisches Wissen zur Voraussetzung hat. Hauptsächlich kommt dieses in Betracht, wo es sich um Gewandung, Frisur, Schmuck, Attri- bute, Gerätschaften handelt, die von den heute gebräuchlichen verschieden sind, wie sich denn auch der Fälscher durch nichts so leicht verrät, als durch die unrichtige Wiedergabe solcher Gegenstände. Den Petasos, einen breitkrämpigen Hut, den die Griechen nur aufsetzten, um den Kopf gegen die Sonnenstrahlen zu !ÄC2^W^-^v schützen, hat ein sonst treff- . . " ■ v. . . . . . . . ^ \V \ i'Ä ücher Antikenzeichner bei dem nebenstehenden Jüng- ling auf einer unteritalischen Vase als ein schleierartig vom T^'J Kopf auf den Rücken herab- fallendes Gewandstück miß- verstanden (Abb. i). Auf dem berühmten Prometheus -Sar- kophag des kapitolinischen Museums hält der Berggott Kaukasos in der Hand ein Quellhorn als Anspielung auf den Wasserreichtum des Ge- birges (Abb. 2). Santo Bartoli, der in seinen Admiranda urbis Romae diesen Sarkophag zum erstenmal veröffentlicht hat, glaubte darin eine Abb. 2. Abb. 3. Sehen — Zeichnen Beschreiben Schlangt.' zu sehen, für deren Kopf er die rechte Hand der Figur ansah, und da sein Stich länger als ein Jahrhundert allein maßgebend blieb (Abb. 3), ist über die Bedeutung dieser Schlange gar mancherlei geschrieben und gefabelt worden. Darum bedarf auch der ge- übteste Zeichner der Kontrolle durch den Archäologen, es sei denn, daß er selbst Archäologe wäre. Natürlich steigert sich die Schwierig- keit der genauen zeichnerischen Wie- dergabe bei ungünstiger Aufstellung, hoher Anbringung oder schlechter Er- haltung des Bildwerks. Es ist be- kannt, daß James Stuart »the Athe- nian« die Demeter des Parthenon- Abt,. 4- frieses mit einem Bart gezeichnet hat. Unsere Abb. 4 zeigt eine Gruppe von einer jetzt auf dem englischen Landsitz Woburn Abbey befindlichen Sarkophagplatte, die früher in Ephesos über dem Tor des genuesischen Kastells, der sog. Porte de Persecution, eingemauert war. Man sieht die Leiche des Hektor, die Priamos nach der Aischyleischen Sagenversion mit Gold und Kostbarkeiten auf- wiegen läßt. Ein älterer IMnyger bringt einen wert- vollen Panzer herbei, um ihn auf die andere Wagschale zu legen, der jüngere Phryger ist der Trabant des Priamos, dessen Figur fast ganz ver- loren gegangen ist. Links erblickt man die trauernde Hekabe, ganz in ihren Man- tel gehüllt. Auf der ältesten Abbildung bei Tourncfort (1717), die Abb. 5 wieder- gibt, ist aus der königlichen Greisin eine junge Frau im dorischen Peplos und Schleier geworden; die linke Hand ist übersehen. Hektors Leiche ruht auf einer Erhöhung, die mit einem Tuch bedeckt ist. Der Abb. 5- Sehfehler der Zeichner ältere Trojaner trägt statt der phrygischen Mütze einen Helm. Der Panzer und der linke Arm fehlen. Aus dem jüngeren Trojaner ist ein langbekleidetes Mädchen geworden; der rechte Arm mit dem Schwert ist nicht erkannt. Statt des Speeres sieht man einen kleinen, auf der zweiten Wagschale senk- recht aufgestellten Stab. Bei schlechter Erhaltung liegt für den Zeichner außer der Gefahr zahlreicher Mißverständnisse auch die Verführung zu willkürlicher Ergänzung nahe, namentlich wenn er nicht zu wissenschaft- lichen Zwecken, sondern aus eigener Freude am Kunstwerk, das er viel- leicht für eigene Kompositionen verwenden will, kopiert. An der Außen- seite der Villa Pamphili ist an höchster Stelle eine Sarkophagplatte ein- gemauert, die unsere Abb. 6 nach einer von Ernst Eichler auf einem riesigen Gerüst mit peinlichster Gewissenhaftigkeit angefertigten Zeichnung wieder- gibt. Hier wird uns in zwei Szenen der Mythos von Bellerophon vorgeführt. Rechts sehen wir ihn mit dem Pegasos an der Hand, von Virtus geleitet, vom Palast des Proitos ausziehen. Dieser steht in dem Bühnenkostüm der Könige, mit seinem gewappneten Trabanten, vor ihm. Die in verbreche- rischer Liebe zu dem schönen Fremdling aus Korinth entbrannte Königin Stheneboia, die ihn aus Grimm über seine Sprödigkeit ins Verderben schicken will, sitzt von widerstrebenden Gefühlen zerrissen da; hinter ihr erblickt man zwei flüsternde Dienerinnen. Ein von Stheneboia auf Bellerophon zuschreitender Eros symbolisiert ihre noch immer lodernde Leidenschaft; die alte Amme der Königin redet auf den Scheidenden ein. Links erscheint Bellerophon im Kampf mit der Chimaira. Ein Eros fliegt ihm voran. Die Ecke wird durch zwei von dem Untier bedrohte Lykier eingenommen. Den einen hat es schon zu Boden geworfen, der andere sucht sich durch die Flucht zu retten. Diese Darstellung hat ein Zeichner des Cinquecento, der nicht die abgesägte und eingemauerte Vorderseite, sondern noch den voll- ständigen Sarkophag, allerdings schon in ähnlichem Zerstörungszustand wie heute, vor sich hatte, so wiedergegeben, wie es unsere x\bb. 7 zeigt. Die in einen feierlichen Mantel gehüllte Stheneboia ist in eine sehr luftig ge- kleidete Renaissancedame, ihre Dienerinnen sind in kokette Zöfchen ver- wandelt. Die Amme und der Eros sind zu einer Figur zusammengezogen, einem mit gekreuzten Armen dastehenden Knäbchen, dem der zu einem Apostel umgemodelte Proitos die Hand auf die Schulter legt. Aus dem Trabanten ist eine Art Athene geworden, der Proitos seinen rechten Arm, in einen linken verwandelt, hat abtreten müssen. Die Flügel des Pegasos sind übersehen. Virtus hat ein langes Gewand erhalten; ihre rechte Brust Sehen — Zeichnen — Beschreiben Abb. 6. Abb. 7. ist bedeckt ; offenbar hat sie der Zeichner für Athene gehalten. In der zweiten Szene hat Bellerophon ein so kindlich pausbäckiges Gesichtchen bekommen, daß man meinen möchte, der Zeichner habe ihn für ein Mädchen, etwa eine Amazone, gehalten. Die allerdings schon damals stark zerstörte Chimairä erscheint als ein aufgeregtes, indessen dem Anschein nach ziemlich harmloses Hündchen, gegen das sich der eine Lykier, in gänzlich veränderter Stellung und Haltung, zur Wehr setzt. Der gestürzte Lykier ist weggelassen. Aber auch bei bequem zugänglichen, aus nächster Nähe zu betrachtenden und im ganzen wohlerhaltenen Bildwerken kann durch eine besondere Art Sehfehler der Zeichner partieller Zerstörung der Zeichner geneckt werden. So ist auf einem Sarko- phag im Louvre an der bekannten Gruppe von Amor und Psyche der rechte Unterarm des Amor abgebrochen, aber die zugehörige Hand auf der Wange der Psyche erhalten (Abb. 8). In den Publikationen von Bouillon und Clarac ist diese Hand als ein Bart wiedergegeben (Abb. 9, 10), und so groß ist die suggestive Wirkung solcher Irr- tümer, daß Fröhner, der doch das Relief für seinen Louvre-Katalog genau untersucht hat, schreiben konnte: »Le sculpteur du sarcophage na groupe, car sa Psyche, bien que vetue d'une robe de Abb. 9. Abb. 8. Abb. 10. pas compris ce femme, porte une barbe.« Noch größer als bei zerstörten Skulpturen ist die Gefahr des Mißverständnisses bei zerstörten oder verblaßten Gemälden. Hier liegt es ganz außerordentlich nahe, etwas Verkehrtes hineinzusehen oder etwas Wesentliches zu übersehen. Für jedes von beiden ein Beispiel. Eines der auf Marmor gemalten Bilder, die in Herculaneum gefunden sind, stellt die Rast des müden Silen auf der athenischen Akropolis dar, die durch das Palladion angedeutet ist. Die beiden Töchter des Königs Pandion sind freundlich um ihn bemüht. Die eine hilft ihm das schwere Trinkhorn zum Munde füh- ren, das er aus dem schon ziemlich leeren Schlauch, den er in der Linken hält, gefüllt hat. Die andere be-" obachtet, an den Esel des seltsamen Fremdlings gelehnt, den mächtigen Zug des erprobten Zechers. Abb. 11 zeigt die Wiedergabe in den Pitture d'Ercolano, der das »esattissimo disegno« von Camillo Paderni zu- grunde liegt , ein wahres Schulbeispiel für zeichnerische Mißverständnisse. Aus dem Esel ist ein Pferd, aus dem Palladion ein Väschen gemacht worden, das auf einem runden, nach unten sich verjüngenden Untersatz steht. Aber das sind Kleinigkeiten im Vergleich zu den Mißverständnissen Abb. 11. Sehen — Zeichnen — Beschreiben bei der Gruppe rechts. Hier ist das Trinkhorn als rechter Arm des Silen g< zeichnet, dem in Widerspruch mit der Nacktheit des übrigen Körpers ein Ärmel angezogen ist, vergleichbar den Tintenärmeln unserer Bureau- schreiber. Der wirkliche rechte Arm der Figur ist übersehen, dagegen in den Bildgrund zwischen Arm, Hals. Knie und der Mündung des Trink- horns ein Knabenkopf hineingesehen, zu dem dann Rücken und Schulter hinzuphantasiert sind. Auf Grund dieser Mißverständnisse haben die her- culanensischen Akademiker auf dem Bilde bald die Ermahnung des Achil- leus durch Phoinix, bald Demeter mit ihrem Pferdesohn Arion, Despoina und Anytos, also die Göttergemeinschaft von Lykosura, bald Rhea, die den eben geborenen Poseidon seiner Amme Arne und einem alten Hirt übergibt, gesehen, andere an Kassandra neben dem trojanischen Pferd, vor Äineias, Kreusa und Askanios ihre Sprüche verkündend, oder an Alope und Hippothoon bei seinen ländlichen Pflegeeltern, oder an Camilla und ihren Vater Metabus oder an Stellus, der den Seinigen eine Statuen- gruppe seiner Tochter Epona und deren Mutter der Stute zeigt, oder an eine ebensolche von Philyra und Kronos in Roßgestalt, oder an die Gruppe vi in »Pferd und Mädchen « auf dem athenischen Markt, ja ein hervorragender Forscher hat sogar an eine Szene aus dem Oidipus auf Kolonos gedacht. Interessant ist, daß einer dieser Interpreten, der selbst neun verschiedene Di utungen, die ich im vorhergehenden nicht alle aufgezählt habe, vorträgt, damit beweisen will: scombien il est facile d'expliquer les monuments de l'antiquite. lorsqu'on se borne ä quelques probabilites« . Hat man in diesem Fall einen Knabenkopf in ein Gemälde hineinphanta- siert, so hat man in einem anderen einen solchen übersehen. Eins der be- kanntesten Bilder aus der Domus aurea des Nero hat man auf Grund des Stichs bei Bartoli auf die Legende von Coriolan und seiner Mutter und Gattin bezogen. Fritz Weege, dessen Energie wir die Wiedererschließung des Goldenen Hauses verdanken, ist der erste gewesen, der erkannt hat, daß die vermeintliche Volumnia einen Knaben auf dem Arm trägt, wodurch sich das Bild als eine Illustration von Hektors Abschied entpuppt. Das Beschreiben bildet insofern* vielleicht noch eine bessere Kontrolle für das richtige und genaue Sehen, als bei ihm der Intellekt stärker mitspricht als beim Abzeichnen. Wir handeln zuerst von der Beschreibung der ein- zelnen Figur, darauf von der Beschreibung der Bildwerke, die mehrere Figuren um lassen. Das unerreichte Muster einer Statuenbeschreibung ist die, die Lukian von dem Diskobol des Myron (Abb. 12) gibt: »Den gebückt in der Beschreiben von Einzelneuren Stellung des Werfens Dastehenden,« nennt er ihn, » der sich nach der den Diskus haltenden Hand umwendet, der das eine Bein allmälig biegt, dem man es ansieht, daß er sich während des Wurfes wieder emporrichten wird.« Im Griechischen ist das alles noch viel prägnanter gesagt. Lukian gebraucht für seine Beschreibung nur zweiund- zwanzig Worte, während die Übersetzung deren sechsunddreißig nötig hat. Und in diesem einen Satz ist alles ausgedrückt : das Motiv, die Stellung der Füße, die Körperhaltung, die Kopfwendung, die Funktion der Arme; ja noch mehr: auch die vorhergehende und folgende Stellung dieser so momentan wie keine andere geschauten und wirkenden Statue hört man aus den Worten heraus. Wir ver- langen von dem Schüler, daß seine Be- schreibung möglichst ausführlich sei. Er soll sich vorstellen, daß der' Hörer die Figur, die beschrieben werden soll, nicht vor sich hat, sie noch nie gesehen hat, und er soll durch seine Schilderung er- reichen, daß man sie leibhaft vor sich zu sehen glaubt. Aber um diesem ide- alen Ziele so nahe wie möglich zu kom- men, darf man beileibe nicht mit den Einzelheiten beginnen. Geschlecht und Lebensalter müssen zuerst angegeben werden; dann Stellung und Armhaltung, darauf Haartracht, Gewandung und Schmuck, und zwar dies alles bis ins Kleinste, endlich der Gesichtsausdruck, wenn von einem solchen die Rede sein kann, und zum Schluß muß der Gesamteindruck noch einmal zusammengefaßt werden. Für den archäologischen Schrift- steller gelten natürlich diese Anfängerregeln nicht; auch der Verfasser eines Fundberichts oder eines Katalogs, denen keine Abbildungen beigegeben werden, kann und soll sich viel kürzer fassen, da er auf Leser zu rech- nen hat, denen vieles selbstverständlich ist. Er wird sich daher Lukiani- scher Prägnanz befleißigen und im übrigen nur das Charakteristische und Ab- sonderliche hervorheben. Noch kürzer wird man sich in der Regel fassen können, wenn die Beschreibung nur die Beigabe zu einer Abbildung ist. Abb. Sehen — Zeichnen — Beschreiben Ganz entraten aber kann man ihrer auch in diesem Falle nicht, schon darum nicht, weil der Weg zur Deutung nur durch die Beschreibung hindurchgeht, und auch darum nicht. weil auch die beste Abbildung einer gewissen Er- läuterung bedarf. Bei der Beschreibung einer mehrere Figuren umfassenden Komposition ist die erste Frage, wo man anfangen soll. Hier gibt es viele Möglichkeiten, und zuletzt führt jede zum Ziele, nur auf kürzerem oder längerem Wege. Man kann an dem einen Ende der Bildfläche beginnen und die Figuren der Reihe nach von links nach rechts aufzählen oder umgekehrt. Bei einer fliesartigen Komposition geht das in der Regel ohne Schwierigkeit ab; baut sich aber die Komposition in die Höhe auf, so gerät man häufig in Ver- legenheit und kommt in die Gefahr, Zusammengehöriges auseinander zu reißen, wie es Pausanias bei den Leschebildern in Delphi gegangen ist. Jedenfalls aber ist dies die primitivste Art der Beschreibung. Oder man geht von einer einzelnen Figur aus, entweder von der, die man ohne weiteres benennen zu können glaubt, oder von der, die einem als die auffälligste oder i haiakteristischste, sei es durch ihre Erscheinung, sei es durch ihren Platz auf der Bildfläche, vorkommt. Ersteres ist nicht zu empfehlen, weil dadurch Beschreibung und Deutung leicht miteinander vermischt werden, Dinge, die in der Regel auseinander zu halten sind, namentlich von dem Anfänger. Mit der zweiten Methode kann man Glück haben, weil eine besonders auf- fällige, dem Beschauer gleich in die Augen fallende Figur auch an der dar- gestellten Handlung oder Situation meistens einen hervorragenden Anteil haben wird. Aber die beste Beschreibung ist die, die uns nicht bloß über die einzelnen Figuren, sondern zugleich über das Schema der Komposition Rechenschaft gibt. Man wird also gleich zu Anfang nach dem Schwerpunkt der Handlung oder, was dasselbe ist, nach der Hauptgruppe oder der Haupt- figur zu suchen haben. In der Regel wird diese in der Mitte zu finden sein, so daß von dieser auszugehen eigentlich niemals ein Fehler ist. Aber es gibt auch Fälle, wo die Sache anders liegt. Wir wollen das Gesagte an einem Beispiel praktisch erläutern, der gruppen- reichen Gigantenvase des Louvre, deren Motive dem Gemälde auf der Innen- seite des Parthenosschildes entlehnt zu sein scheinen. Wollen wir diese be- schreiben, so stellen wir zunächst im allgemeinen fest, daß die Darstellungen auf beiden Seiten aufs engste miteinander zusammengehören und Teile des- selben Ganzen sind, ferner daß es sich um eine Schlacht handelt, bei der die eine Partei, die zum Teil beritten oder zu Wagen ist, eine Anhöhe gegen Beschreiben von na^irenreichen Bildwerken Sehen — Zeichnen — Beschreiben / ■ Die melische Gigantenvase \\ die andere von unten anstürmende verteidigt. Wenden wir uns nun zur Einzelbeschreibung, so muß vorausgeschickt werden, daß wir der* Kürze halber dem eben aufgestellten Prinzip untreu werden müssen, indem wir mit der Beschreibung gleich die Benennung verbinden. Übrigens ist dies insofern kein Verstoß gegen die Regeln der Kunst, weil, wie ich im nächsten Abschnitt zeigen werde, dies Gesetz für Figuren, die durch die Attribute ohne weiteres kenntlich gemacht sind, keine Geltung hat, was hier für fast alle zutrifft. Auf der Vorderseite (Abb. 13) ist, wie man auf den ersten Blick erkennt, die Hauptfigur der genau in die Mitte gestellte Zeus. Er schleudert seinen Blitzstrahl gegen einen Giganten und eine Gigantin, eine einzig dastehende Figur, auf die wir unten zurückkommen. Auch das ist ohne weiteres klar, daß zu Zeus das von Nike gelenkte Gespann gehört, das die linke Hälfte der oberen Bildfläche einnimmt, bei welcher Gelegen- heit bemerkt werden mag, daß im archäologischen Sprachgebrauch die Ausdrücke »rechts « und »links « stets vom Beschauer aus gebraucht werden, die Fälle natürlich ausgenommen, wo es sich um Körperteile handelt. Man wird nun zunächst versucht sein, auf die Beschreibung des Zeus und seiner Gegner die seines Wagens folgen zu lassen. Aber bei genauerer Betrachtung wird man inne, daß die Figuren, die diesem Wagen auf der rechten Seite die Wage halten, Dionysos auf einem von orgiastisch aufgeregten Panthern gezogenen Wagen und der berittene Poseidon mit Zeus nur lose zusammen- hängen, dagegen aufs engste mit ihm zusammengehören die links von ihm etwas tiefer gestellten zwei Figuren, Herakles, der auf das von Zeus bekämpfte Gigantenpaar einen Pfeil abschießt, und Athene, die mit dem Fußende ihrer Lanze einen andern Giganten niederstößt. Das lehrt der Augenschein auch den, der noch nicht gelernt hat, daß diese drei Götter die vornehmsten Besieger der Erdgeborenen sind und daher in den Kunstdarstellungen fast stets verbunden erscheinen, z. B. am pergamenischen Altar, und meist die Mitte einnehmen, z. B. auf den Ostmetopen des Parthenon. So auch hier, und man wird weiter bald bemerken, daß diese Göttertrias nebst ihren drei Gegnern in Form einer Pyramide angeordnet sind An die Spitze dieser Pyramide schließen sich nun zu beiden Seiten die bereits erwähnten Figuren der oberen Bildfläche an, links Nike mit dem Wagen des Zeus, rechts Dio- nysos und Poseidon, wobei anzumerken ist, daß diese beiden Götter nach der genannten Trias die wichtigsten Gigantenbekämpfer sind. Jetzt wird sich der Blick unwillkürlich auf die Figuren wenden, die in der unteren Bild- fläche zu beiden Seiten der Pyramide gruppiert sind, und man wird J2 Sehen — Zeichnen — Beschreiben geneigt sein, an dieser Stelle die Beschreibung weiterzuführen, mag man nun zuerst sich nach links wenden, um Artemis und den über ihr angebrachten Apollon, oder nach rechts, um Hermes zu besprechen. Aber sobald man dies versucht, wird man inne werden, daß man so der Komposition nicht gerecht wird. Der einzelne Hermes bildet zu den Letoiden kein genügendes Gegen- gewicht; man müßte also die über jenem befindliche Bogenschützin hinzu- nehmen, die aber augenscheinlich, wenn auch der Vorderseite zugekehrt, zu den Figuren der Rückseite in naher Beziehung steht. Und umgekehrt wendet sich Apollon, obgleich aufs engste mit seiner auf der Vorderseite kämpfenden Schwester verbunden, der Rückseite zu. So wird man inne, daß diese vier Figuren die Bindeglieder zwischen Vorder- und Rückseite darstellen, und also von sekundärer Bedeutung sind. Die Beschreibung wird sich also erst mit ihnen beschäftigen können, wenn sie über die Darstellung a^if der Rückseite ins reine gekommen ist (s. Abb. 14). Hier fesselt den Blick zuerst der Wagen des Ares, der von drei Giganten hart bedrängt wird. Seine Gattin Aphro- dite, die neben ihm steht, duckt sich ängstlich wie eine verschüchterte Taube, während Eros vom Rücken des einen Pferdes herab seinen Kinderbogen gegen die heraufstürmenden Feinde abschießt. Mit dieser Gruppe steht der eine Dioskur in naher Verbindung, der heransprengend dem Ares gegen den dritten ihn von vorn bedrohenden Giganten zu Hilfe kommt. Allein so natürlich diese Fortsetzung der Beschreibung zu sein scheint, korrekt ist sie nicht. Indem man sie versucht, muß man alsbald bemerken, daß Ares auf der Rückseite nicht in gleicher Weise das Zentrum bildet wie Zeus auf der Vorderseite, daß vielmehr hier ein eigentliches Zentrum fehlt. Die Figuren sind in zwei Reihen geordnet, in denen die Bewegung nach rechts auf das entschiedenste vorherrscht. Den Ausgangspunkt dieser Bewegung und die Verbindung der beiden Reihen stellt, gleichsam als Scheitelpunkt eines sehr spitzen -Winkels, die Göttin am linken Ende dar, die mit ihrem Zepter nach einem Giganten stößt. Sie ist die Hauptfigur der Rückseite. Hera die Götterkönigin, wie es auf der Vorderseite der Götterkönig ist. Bei ihr hat die Beschreibung einzusetzen, von ihr ausgehend sich dann mit der oberen Reihe zu beschäftigen, wo ihr einziger ehelicher Sohn Ares nebst seiner Familie im Kampfe steht, unterstützt von einem der Dioskuren, hierauf mit der unteren, wo ihre Tochter Hebe, sowohl durch die frappante Ähnlichkeit mit der Mutter kenntlich gemacht, als durch ihren Platz, mit dem Schwert einen Giganten niederstößt, und vor ihr der zweite Dioskur im Kampf mit einem anderen Erdgeborenen erscheint. Oben eine ge- Die melische Gigantenvase ^3 schlossene Gruppe, unten zwei Einzelgruppen; die Dioskuren übereinander geordnet wie die Letoiden. Nun erst kommen die verbindenden Gruppen auf den Seitenwölbungen an die Reihe, und man erkennt jetzt, wie durch sie das Prinzip der streifenförmigen Anordnung, das die Rückseite beherrscht, vorbereitet wird. Die schon erwähnte Bogenschützin hinter Hera steht aufs engste mit dieser in Zusammenhang ; es ist ihre Dienerin Iris ; die Göttin des Regenbogens hat den Kriegsbogen als Waffe erhalten, wie auch die Ge- nesis in der Geschichte von Noah den Regenbogen für den niedergelegten Bogen des Kriegsgottes Jahwe erklärt. Und damit ist auch die oben ver- mißte Verbindung mit dem links unter ihr angebrachten Hermes gegeben. Götterbote und Götterbotin bilden ein ähnliches Paar wie auf der anderen Seite die Geschwister Apollon und Artemis. Durch ihre Wendung nach links macht Iris den Beschauer auf die Vorderseite aufmerksam, wie Apollon durch die seinige auf die Rückseite. So stark ist der Parallelismus durchgeführt, und daneben der Kontrast, indem das eine Mal der Gott, das andere Mal die Göttin ihren Platz in der oberen Reihe erhalten hat. Noch ein Wort über die bereits oben angedeutete Abhängigkeit dieser Vase von Pheidias' Gemälde an dem Parthenosschild. Es leuchtet ein, daß die Komposition ganz das Eigentum des Vasenmalers ist; wie könnte auch solch ein doppeltes Schema in einem Rund und überhaupt auf einer flachen Bild- fläche verwandt worden sein. Dazu sind die beiden Seiten einer Vase erfor- derlich. Nur die Elemente, Figuren und wohl auch einzelne Gruppen sind von Pheidias entlehnt. Das bestätigt eine Vase aus Eretria, die nur einen kleinen Auszug des Gigantenkampfes gibt, aber meist dieselben Figuren zeigt wie die Pariser Amphora. Hier ist Ares zwischen die beiden Dioskuren in die Mitte gestellt, und alle drei sind zu Fuß und kämpfen von der Höhe. Also beide Male derselbe Eklektizismus. Aus dieser Abhängigkeit von dem Parthenosschild erklärt sich nun wohl auch die amazonenhafte Bildung der Gigantenkönigin. Man muß sich nur erinnern, daß auf der Außenseite dieses Schildes der Amazonenkampf dargestellt war. Als der Vasenmaler auf den bizarren Einfall kam, eine Gigantin, eine dem Mythos absolut un- bekannte Figur, einzuführen, nahm er sich zum Vorbild eine der Amazonen des Pheidias. Die Rückseite der eben beschriebenen Vase ist also einer der Fälle, wo die Be- schreibung nicht von, der Mitte, sondern von der einen Ecke auszugehen hat. Einen ähnlichen Fall stellt die Verleumdung des Apelles dar, deren klassische Beschreibung wir wiederum Lukian verdanken : »Am rechten Ende sitzt ein |4 Sehen — Zeichnen — Beschreiben Mann mit riesigen Ohren, beinahe wie die des Midas; die Hand streckt er der erst von Eerne herankommenden Verleumdung entgegen. Zu seinen bei- den Seiten stehen zwei Frauen, die Unkenntnis, glaube ich, und die Voreinge- nommenheit. Von der anderen Seite schreitet die Verleumdung heran, ein über die Maßen schönes Weib, erhitzt und aufgeregt, indem es Wut und Zorn zur Schau trägt; in der Linken hält sie eine brennende Fackel, mit der anderen Hand schleift sie einen jungen Mann bei den Haaren, der die Arme zum Himmel emporstreckt und die Götter zu Zeugen anruft. Voran schreitet ihr ein bleicher häßlicher Mann, mit stechendem Blick und wie von langer Krankheit abgemagert. In ihm wird man den Neid vermuten dürfen. Und noch andere begleiten die Verleumdung, zwei Frauen, die sie vorwärts treiben, ihr das Gewand zurechtzupfen und ihr Schmuck anlegen. Wie mir der Erklärer des Bildes diese erläuterte, ist die eine die Intrige, die andere die Täuschung. Dahinter aber folgt eine, die ganz trauervoll gekleidet ist, in schwarzem, zerrissenem Gewand; die Reue, meine ich, wird diese genannt. Mit Tränen in den Augen wendet sie sich um, und schüchtern blickt sie, ganz voll Scham, auf die heranschreitende Wahrheit. « Hier ist es ganz sachgemäß, wenn nach der voll uns oben als die primitivste bezeichneten Methode an dem einen Ende angefangen wird, weil sich hier die eine Haupt- figur, der Richter, befindet. Aber selbstverständlich zählt nun Lukian nicht Figur für Figur der Reihe nach auf; ein Stümper würde nach dem Richter und seiner Umgebung erst den Neid, dann Intrige und Täuschung, hier- auf die Verleumdung und ihr Opfer und so weiter genannt haben. Korrekt geht Lukian von der ersten Hauptfigur mit Überspringung von drei Zwi- schenfiguren gleich zur zweiten Hauptfigur, der Verleumdung mit ihrem Opfer, über; dann erst nennt er die drei Gestalten, die ihr vor ausschreiten, hierauf die beiden, die ihr folgen. Und so steht das Kompositionsschema des Bildes dem Leser leibhaftig vor Augen. Rechts eine ruhige Gruppe von drei Personen, der sitzende Richter, den die Unkenntnis und die Vor- eingenommenheit umgeben, links eine bewegte von sieben Figuren, deren Mittelpunkt die Verleumdung bildet, die wie der Richter von zwei Frauen, der Intrige und der Täuschung umgeben ist, während der Neid ihr voran- S( hieltet, Reue und Wahrheit ihr folgen. Auch das Verhältnis von Beschrei- bung und Benennung ist durchaus richtig, wenn man sich gegenwärtig hält, daß hier nicht ein archäologischer Anfänger interpretiert, sondern ein Belletrist zu seinem Publikum. Nur die Benennung der Verleumdung, von der das Bild seinen Namen trägt, wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Die Verleumdung des Apelles \q Alle übrigen Figuren werden nach ihren Merkmalen, vor allem ihrem Ge- baren, prägnant und anschaulich beschrieben, woraus sich dann die Namen mit innerer Notwendigkeit ergeben. Daß der Schriftsteller es so hin- stellt, als habe er fünf Namen selbst erschlossen, einen aber von einem fingierten Fremdenführer erfahren, ist ein jedem Kundigen geläufiger rhetorischer Topos , von dem namentlich Pausanias bis zum Überdruß Ge- brauch macht. Die beiden menschlichen Figuren, der Richter und der Ver- leumdete, bleiben unbenannt, weil sie keine Individuen, sondern Typen sind. Da es sich nun um ein reales Bild handelt und der Beschreibende nach allen Regeln der Kunst verfährt, so konnten moderne Maler, von denen nur Sandro Botticelli und Hans Holbein genannt seien, das Ge- mälde des Apelles, wenn auch in ihrem eigenen Stil, so wiederherstellen, daß man von der Komposition einen vollen künstlerischen Eindruck erhält, was bei den Phantasiegemälden des Philostratos auch dem größten Genie niemals gelingen wird. DAS BENENNEN DER FIGUREN. »Aus einer guten Beschrei- bung muß sich die Deutung von selbst ergeben«, ist ein alter archäologi- scher Grundsatz. Daß er für Lukians Beschreibung der »Verleumdung « zutrifft, haben wir eben gesehen. Und doch bedarf er gewisser Einschrän- kung. Wenn ich ein Bildwerk verstehen oder deuten soll, muß ich von den dargestellten Personen und dem dargestellten Vorgang eine gewisse Vorstellung haben, die ich in vielen Fällen aus der Darstellung allein nicht gewinnen kann, d. h. wenn es sich um ein antikes Bildwerk handelt, wird in den meisten Fällen ein größeres oder geringeres Maß antiquari- schen Wissens erforderlich sein, es sei denn, daß diese Personen keine Indi- viduen, sondern Typen, und daß die Vorgänge solche sind, wie sie auch heute noch in derselben oder ähnlicher Weise vorkommen, was, wie man leicht einsieht, eigentlich nur auf Genreszenen zutrifft. Die Deutung setzt sich, wie angedeutet, aus zwei Funktionen zusammen. dem Benennen der Figuren und dem Erkennen des Vorgangs. Je nach der Natur des Bildwerks wird es sich empfehlen, bald mit dem einen, bald mit dem anderen zu beginnen, bald beides miteinander zu verbinden. Be- stimmte Regeln lassen sich hierfür nicht aufstellen. Betrachten aber müssen wir jede der beiden Funktionen für sich, und naturgemäß beginnen wir mit dem Benennen. it; Das Benennen der Figuren Hier müssen wir, wie gleichfalls schon angedeutet., zwischen Typen und Individuen unterscheiden. Den Vertreter gewisser Berufe, als z. B. den Musiker, den Wagenlenker, den Schmied, den Schuster, den Jäger, den Ackersmann, die Spinnerin wird man häufig an ihrem Gerät oder ihrer Verrichtung erkennen, vorausgesetzt, daß beides den heute gebräuchlichen einigermaßen ähnlich ist. Wie aber soll ich eine Figur als Zeus, eine andere als Achilleus, eine dritte als Anakreon erkennen, wenn ich von diesem Gott, diesem Heros und diesem Sänger niemals etwas gehört habe? Hier genügt also nicht scharfes Sehen und gewissenhaftes Beschreiben, als drittes muß die philologische Bildung hinzutreten. Setzen wir also diese in bescheidenem Maße voraus und fragen zuerst, woran erkenne ich eine Figur als einen Gott, und zwar als diesen bestimmten Gott? Vor einem Menschenalter konnte man hierauf die Antwort hören: »An seinem Gesichtstypus.« Man glaubte damals, die Griechen hätten schon in frühen Zeiten für jeden einzelnen Gott einen bestimmten Gesichtstypus geschaffen, den man beinahe als ein idealisiertes Porträt bezeichnete. Am eifrigsten hat diese Theorie Heinrich Brunn in einer Reihe glänzender Aufsätze vertreten, die er später in seinen »Griechischen Götteridealen« zu einem Buche zusammengefaßt hat. Diese S< lirift ist ein Juwel archäologischer Literatur, aber haltbar ist die Theorie nicht. Schon Julius Lange hat in seinem klassischen Werk »Über die Dar- stellung des Menschen« die Frage aufgeworfen: Hatten die Griechen schon im fünften Jahrhundert ein bestimmtes Atheneideal, wie kommt es dann, daß man diese in dem Bologneser Kopf, der sog. Lemnia, so lange verkannt hat, daß man in diesem Kopf bald eine Amazone, bald sogar einen Jüngling sehen wollte? Und in der Tat ist gerade bei den Atheneköpfen des fünften Jahrhunderts der Gesichtstypus ganz außerordentlich verschieden; man vergleiche z. B. mit dem Bologneser Kopf den der Parthenos, der Myronischen Athene, die der Athenefiguren in den Metopen von Olympia. Erst im vierten Jahrhundert bildet sieh ganz allmählich für die einzelnen Götter ein fester Gesichtstypus heraus; herrschend wird er erst in hellenistischer Zeit. Und auch dann sind die Grenzen noch schwankend. Es ist keines- wegs möglich, wie noch Brunn behauptete, Zeus von Poseidon und Askle- pios bloß nach dem Gesichtsausdruck mit Sicherheit zu unterscheiden. Und maßgebend für die Bildung der Götter ideale waren mitnichten die Schöpfungen des fünften Jahrhunderts. Nicht der olympische Zeus und dir Athene Parthenos sind die Urbilder für die Typen dieser Götter, son- dern die Originale des Zeus von Otricoli und der Athene Velletri, deren Erkennen von Göttern \^ Schöpfer noch nicht mit Bestimmtheit ermittelt sind. Nicht nur für die archaische Zeit, bis tief ins vierte Jahrhundert hinein gilt auch für die Kunst das Wort des Hesiod, daß eines Stammes sind die Götter und die sterb- lichen Menschen. An Gesichtstypus und Körperbildung allein lassen sich Götter und Menschen nicht unterscheiden. Das Schulbeispiel ist die Grab- stele eines Bürgers von Eretria, der dem Poseidon des Parthenonfrieses täuschend ähnlich sieht. Woran also, fragen wir aufs neue, erkennen wir einen Gott, einen bestimmten Gott? Oder ist es nicht richtiger, das Problem dem Künstler ins Gewissen zu schieben und diesen fragen zu lassen : »Wie mache ich meinen Gott als solchen kenntlich?« Das älteste und naivste, aber auch bewährteste Mittel ist die Namensbeischrift. Der be- rühmte französische Bildhauer Falconet, der Schöpfer des Petersburger Standbildes Peters des Großen, schreibt in einem Aufsatz, in dem er die Inferiorität der griechischen Kunst beweisen will und sich insonderheit über Polygnot lustig macht, bezüglich einer Figur aus der Iliupersis : »Echoiax descend de l'echelle du vaisseau de Menelas, tenant un vase de cuivre ä mettre de Teau. II n'y a pas de mal ä representer un serviteur qui va chercher de Feau pour l'equipage; mais c'est une petitesse d'ecrire son nom ä cöte de lui sur le tableau.« Zwar liest man die gescheiten Einfälle des einseitig in der Anschauung seiner Zeit befangenen Künstlers noch heute nicht ohne Ver- gnügen; aber da dem Verfasser jedes Verständnis für historische Entwicke- lung abgelit, verfehlen sie völlig ihr Ziel. Erinnern wir uns doch, daß diese verspotteten Beischriften noch am pergamenischen Altar über den Göttern und unter den Giganten angebracht sind, daß sie sich über die Kaiserzeit hinaus bis tief ins Mittelalter hinein erhalten haben, wo sie in Miniaturen, auf Altar blättern und Mosaiken angebracht sind. Und als man sie, weil sie die Illusion störten, wegließ, hat darunter die Verständlichkeit der Bild- werke nicht doch gelitten? Wir wollen doch auch nicht vergessen, daß wir bis zur Stunde noch nicht wissen, was Tizians Himmlische und ir- dische Liebe eigentlich vorstellt, daß Vasari noch kein Menschenalter nach Rafaels Tod den Piaton und Aristoteles auf der Schule von Athen für Paulus und Barnabas erklären konnte, daß Rembrandts von seinem Schwieger- vater abgewiesener Simson lange Zeit für den Herzog von Geldern galt, der seinen Vater beschimpft. Niemandem wird es einfallen, dem modernen Künstler die Rückkehr zu den alten Namensbeischriften zu empfehlen, obgleich sie keineswegs ganz ausgestorben sind, sondern sich nun in die Kataloge geflüchtet haben. Freilich sollte ein Kunstwerk eigentlich auch lg Das Benennen der Figuren ohne Katalog so unmittelbar verständlich sein, wie ein Schauspiel ohne Theaterzettel. Aber das ist, wo es sich um Stoffe aus der Vergangenheit handelt, nicht immer ein erreichbares Ideal, und künstlerischer Wert und Verständlichkeit fallen keineswegs immer zusammen. Ein zweites äußerliches Mittel, eine Figur, vornehmlich einen Gott kenntlich zu machen, sind die Attribute. Aber dieses appelliert, wenigstens bei dem modernen Beschauer, schon in höherem Grade an seine antiquarischen Kennt- nisse. Den Zeus erkennt man am Blitzstrahle und am Zepter, den Poseidon am Dreizack, den Ares an seinen Waffen, den Hephaistos an Hammer und Zange, den Apollon an Pfeil und Bogen, den Dionysos am Thyrsos, den Her- mes am Kei ykeion, die Dioskuren am Pilos, die Athene an der Bewaffnung und vor allem der Aigis mit dem Gorgoneion, die Artemis an Pfeil und Bogen, die Demeter an der Fackel, Ähren und Mohn, Eros, Nike und Iris an den Flügeln; diese wird von jener meist durch das kürzere Gewand, Stiefel und Kerykeion unterschieden. Dazu kommen die heiligen Tiere, bei Zeus der Adler, bei Poseidon der Thunfisch oder der Delphin, bei Apollon der Schwan, daneben in älterer Zeit der Hirsch, in jüngerer der Rabe, bei Dionysos der Panther, bei Athene die Eule, in älterer Zeit auch die Schlange, bei Hera der Pfau, aber erst seit der hellenistischen Zeit, bei Aphrodite die Taube. Ferner die Bekränzung: bei Apollon Lorbeer, bei Dionysos Efeu oder Weinlaub, und die Gewandung, bei Hermes Petasos oder Pilos, Chlamys und Stiefel oder Flügelschuhe, bei Hephaistos der Handwerker- kittel, die Exomis, und der Pilos, bei Dionysos Panther- oder Rehfell, bei Apollon zuweilen das lange Kitharödengewand. Aber alles dies, was ich hier wie in einer Kinderfibel aufzähle, bedarf doch sehr der Eingrenzung und Beschränkung; denn auch die Attribute, die Tracht, die heiligen Tiere der Götter sind in verschiedenen Zeiten verschieden. So wird Apollon in älterer Zeit öfters in der Rüstung dargestellt und dann von den Interpreten mit Ares verwechselt, wie es z. B. im Giebel des Megarerschatzhauses von Olympia geschehen ist. Ferner: was in späterer Zeit als ein unerläßliches Attribut erscheint, ist es in der früheren keineswegs. Wir können uns Athene nicht anders als mit der Aigis und im Helm, mit Schild und Lanze vor- stellen. Für die archaische Kunst gilt das keineswegs. Wollte man eine Statistik der Athenedarstellungen des sechsten Jahrhunderts aufnehmen, so würden die ohne die Aigis denen mit der Aigis mindestens die Wage halten. Noch die Künstler der Olympiametopen gehen mit den Attributen der Athene sehr sparsam um. Die Aigis trägt sie nur auf der Stymphaliden- Attribute der Götter 19 metope, daneben aber keine anderen Waffen; in der Atlasmetope hat sie nur die Lanze, in der Metope, die die Reinigung des Augeiasstalles darstellt, Lanze und Schild. Noch auf einem athenischen Weihrelief aus der Zeit des Pheidias steht sie ihrem Liebling Herakles ohne alle Waffen gegenüber und ist daher als Hebe verkannt worden, während doch die auf ihren Befehl den Heros bekränzende Nike über die Benennung keinen Zweifel lassen sollte (Abb. 15). Diese Zeit war sich eben noch dessen bewußt, daß Waffen und Aigis aufs Schlachtfeld gehören. Erst in der Zeit der antiken Romantik werden sie zu unerläßlichen Attributen der Göttin, wie im Märchen die Könige mit der Krone zu Bett gehen. Ferner gelten gewisse Eigentümlichkeiten der Tracht nur für bestimmte Zeiten. Aphrodite, die wir uns entweder nackt oder nur leicht bekleidet den- ken, trägt im fünften Jahrhundert meist reiche Gewandung und ein Kopftuch, in derselben Zeit ist für Artemis die Haube Charakter istisch. Ähnlich steht es mit der Beglei- tung und den Attributen. Aphro- dite erscheint seit Mitte des fünften •Jahrhunderts selten ohne einen oder mehrere Eroten; im sechsten Jahr- hundert läßt sich eine Aphrodite mit Eros nur ein einziges Mal aus dem Perser schutt nachweisen. Abb. auf einer schwarzfigurigen Scherbe In der älteren Zeit ist ein beliebtes Attribut der Artemis eine Blume, die seit Mitte des fünften Jahrhunderts gänzlich aus ihrer Hand verschwindet. Auch das Lebensalter, in dem die Götter dargestellt werden, ist bei einigen zu verschiedenen Zeiten ver- schieden. Den Dionysos kennt die archaische Kunst nur mit wallendem Vollbart, seit Mitte des fünften Jahrhunderts kommt der unbärtige Typus auf, ohne daß der bärtige jemals ganz verschwindet. Auch Hermes er- scheint in der archaischen Kunst mit Vollbart, meist mit dem keilförmig zugeschnittenen. Nur die ionische Kunst kennt schon in alter Zeit einen unbärtigen Herinestypus, der seit Mitte des fünften Jahrhunderts aus- schließlich zur Herrschaft kommt. Der zarte Bartflaum, der die Jugendlich- keit des Apollon andeuten soll, sieht auf älteren Bildwerken öfters wie ein gestutzter Vollbart aus, so daß bei dem modernen Beschauer gerade der 20 Das Benennen der Figuren gegenteilige Eindruck als der beabsichtigte hervorgerufen wird. Sollen die äußeren Kennzeichen nicht irreführen, sondern aufklären, so muß man sich mit albn diesen Eigentümlichkeiten und ihren Wandlungen vertraut machen. Man würde aber sehr irren, wenn man meinte, daß der Hauptzweck der Attribute das Kenntlichmachen des Gottes sei. Hierzu reichte die zur Zeit ihres Aufkommens allgemein übliche Namensbeischrift völlig aus. Ihr Zweck ist vielmehr die Macht der Gottheit zum Ausdruck zu bringen. Darum finden wir sie meist da gehäuft, wo sie zur Kenntlichmachung eigentlich über- flüssig sind, bei Kultbildern und Weihegeschenken. Überflüssig insofern, als man in einem Apollon- oder Artemisheiligtum beim Anblick des Kultbildes nicht zweifelhaft sein kann, wer gemeint sei, auch wenn dieses, wie es ja in älterer Zeit tatsächlich der Fall war, im Typus der archaischen Männer- und Frauenstatue mit steif herabhängenden Armen gefertigt war. Und dasselbe gilt von den im Tempelbezirk aufgestellten Votivgaben, die in irgend- welchem Zusammenhang das Bild des Gottes darstellen. Aber die Kultbilder des didymäischen und delischen Apollon zeigten den Gott mit dem Bogen in der einen und auf der anderen Hand dort seinen heiligen Hirsch, hier seine Dienerinnen, die Chariten. Verhältnismäßig einfach ausgestattet ist der olympische Zeus, der in der einen Hand das Zepter, auf der andern die Nike hält, außerordentlich reich dagegen die Parthenos. Nicht nur in der Aigis, mit Helm, Schild und Lanze und mit der Nike auf der Hand ist sie dargestellt, auch ihre beiden heiligen Tiere fehlen nicht; die Schlange hat sich unter dem Schild verkrochen, das Käuzchen auf der Backenklappe ihres Helmes Platz genommen. Auch die als Träger der beiden seitlichen Helm- büsche verwandten Flügelrosse stehen zu ihr in mythologischer Beziehung, während die Sphinx als Trägerin des mittleren Helmbusches und die Greife auf der Innenseite der Backenklappen, was man auch darüber gefabelt haben mag, rein dekorativ sind. Geradezu überladen aber erscheint das Arte- misidol, dessen Abbild uns auf einer attischen Re- liefvase erhalten ist (Abb. 16). Auf dem Rücken hat sie den offenen Köcher, in der Linken den Bogen, in der Rechten die für sie charakteristische Blüte, auf dem Kopf die Haube, von der schon oben die Rede war, über der Schulter das Panther feil. Da- Abb. 16. Attribute der Götter 21 gegen finden wir in mythologischen Szenen die Attribute viel diskreter ver- wandt, und häufig fehlen sie ganz, wie denn Zeus sehr oft nur das Zepter trägt und Athene sich in nichts von einer sterblichen Frau unterscheidet. Neben diesen äußerlichen Merkmalen, Beischriften und Attributen gibt es aber noch andere, die zu der Bestimmung des Gottes führen können. Von einem haben wir eben schon gesprochen, dem Ort der Aufstellung oder Anbringung. Aber viel feiner und künstlerischer als durch Äußerlichkeiten wird eine Figur durch die Handlung, durch die Situation und durch die Gruppierung bezeichnet. Die beiden ersten gehören ins nächste Kapitel, mit der Gruppierung aber müssen wir uns hier beschäftigen. Sehen wir neben Poseidon eine Frau stehen, so wissen wir, auch wenn sie keinen Fisch in der Hand hält: es ist Amphitrite; aber freilich ist diese dann doch, aller- dings mittelbar, auch durch ein Attribut bestimmt, den in der Hand ihres Gatten fast niemals fehlenden Dreizack. Aphrodite erkennen wir, auch wo sie keinerlei Attribute hat, an der Begleitung des Eros. Aber ein Meister- stück der Kenntlichmachung durch Gruppierung sind die Götter am Ost- fries des Parthenon (Abb. 17. 18). Allerdings kommt hier zu der Grup- pierung noch anderes hinzu, vor allem der Platz, wo sie angebracht sind. Auch fehlen die Attribute nicht ganz; aber nur die Hälfte der Figuren ist damit ausgestattet; und sie sind in so diskreter Weise angebracht, daß' sie schon im Altertum wenig in die Augen gefallen sein können. Heute sind sie so zerstört, daß es Jahrzehnte bedurft hat, um sie festzustellen, und doch ist in fast allen Fällen die richtige Benennung auch ohne sie gefunden worden. So können wir hier einmal die Probe machen, wieweit man ohne Zuhilfe- nahme der Attribute mit der Benennung gelangen kann, und untersuchen, welchen Weg man dabei einschlagen muß. Sechs sitzende Paare verschie- denen Geschlechts erkennen wir. Sie sind zu gleichen Teilen zu beiden Sei- ten der hier nicht mit abgebildeten Mittelszene angebracht, die — das dürfen wir heute als gesichertes Ergebnis der Forschung hinstellen, ohne uns mit dem Beweise aufzuhalten — die Übernahme des panathenäischen Peplos durch die zuständigen Behörden verbildlicht. Von diesem Akte abgewandt, blicken die sechs Paare dem panathenäischen Festzug — auch diese Be- nennung dürfen wir als gegeben annehmen — entgegen, der von beiden Seiten herankommt und dessen Spitzen sich bereits aufgelöst haben. Zu- nächst die Vorfrage: woraus schließen wir, daß es Götter sind und nicht, wie einmal wirklich behauptet worden ist, athenische Adelsfamilien? Wir schließen es nicht aus dem alle übrigen Figuren des Frieses weit überragen- 1 las benennen der Figuren den Maß der Leiber. Denn das könnte lediglich durch den Isokephalismus be- dingt sein, d. i. das Gesetz, daß die Köpfe der Figuren., mögen sie nun stehen, s< hreiten, reiten oder sitzen, ungefähr in dieselbe Höhe gestellt sein müssen, damit unter dem oberen Rand kein zu großer Luftraum bleibt. Infolge- dessen müssen sitzende Figuren notwendig in größeren Dimensionen dar- gestellt werden als stehende. Wir schließen es auch nicht aus der Schönheit der Körper und der Würde der Haltung; denn diese eignet auch dem Volk der Athener; sondern aus den beiden geflügelten, also göttlichen Wesen, \ ■< m denen das eine dem innersten Paar der linken, das andere dem äußersten Paare der rechten Reihe beigesellt ist, und zwar so, daß jedes von ihnen offenbar eine Art von dienender Stellung bei der Person einnimmt, neben der es steht. Also müssen die Sitzenden erst recht Götter sein. Da nun die Zahl der sitzenden Götter gerade zwölf beträgt, so könnten einem mit der griechischen Religionsgeschichte weniger Vertrauten die Zwölfgötter einfallen, deren Namen er auf der Schulbank gelernt hat, und er wird viel- leicht versuchen, mit Hilfe dieser Schulweisheit die Figuren zu benennen. Dies würde, selbst wenn es gelänge, ein schwerer methodischer Fehler sein. Denn man soll an jedes Bildwerk voraussetzungslos herantreten und es aus sich selbst zu erklären suchen. In diesem Falle ist aber auch die Voraus- setzung falsch. Denn jene Zwölfgötter, deren Altar der jüngere Peisistratos auf dem athenischen Markte errichtet hatte, trugen im fünften Jahrhundert noch nicht die Namen, die uns heute geläufig sind. Es waren grauenhafte Dämonen, deren Namen man nicht kannte und die man deshalb nach ihrer Zahl bezeichnete. Erst der Maler Euphranor, der die hinter dem Altar ge- legene Halle ausmalte, und dort auch die Bilder der Zwölfgötter anbrachte, hat sie, wohl im Einverständnis oder auf Befehl des damaligen Archon Ba- sileus, wahrscheinlicher noch auf Grund eines Volksbeschlusses, mit den Olympiern identifiziert. Wie wenig man aber selbst bei der nächsten Gene- ration damit durchgedrungen war, lehrt ein Scherz des Komödiendichters Amphis. Bei diesem zählt eine Person die Dinge auf, die zu einem luxuriösen Leben gehören: »Kuchen, süßer Weih, Eier, Sesamgebäck, Parfüm, Kränze, Flötenspielerinnen« ; als er so weit gekommen ist, unterbricht ihn der Mit- unterredner: »Bei den Dioskuren, das sind wol die Namen der Zwölfgötter, die du da aufzählst ?« was keine Pointe haben würde, wenn diese schon damals festgestanden hätten und nicht als etwas ganz geheimnisvolles ge- sucht worden wären. Wollte aber doch jemand, um sich den metho- dischen Umweg zu ersparen, jenen unmethodischen Versuch wagen, so Die Zwölfgötter 23 würde er sich schnell enttäuscht sehen. Denn statt der sechs Götter und sechs Göttinnen, die er erwartet, findet er sieben Götter und fünf Göttinnen. Aber trotz dieser Enttäuschung haben manche doch daran festgehalten, daß hier ein im Kult wurzelnder Zwölf götterverein dargestellt sei; nur sei es ein anderer als der auf dem Markte. Man habe zwischen den Zwölfgöttern der Agora und den Zwölfgöttern der Akropolis zu unterscheiden. So sug- gestiv wirkt die Macht der Zahl, namentlich der Zwölf zahl. Hier werden wieder eine Reihe von Voraussetzungen gemacht, vor denen nicht eindring- lich genug gewarnt werden kann. Hätte es in Athen zwei verschiedene Zwölfgöttervereine gegeben, eine Annahme, die schon an sich an Unwahr- scheinlichkeit nicht zu übertreffen ist, wie könnten dann Dichter, Prosaiker und Inschriften immer nur von den Zwölfgöttern schlechtweg sprechen, ohne ein Distinktiv hinzuzusetzen? Woher weiß man, daß Auswahl und Zu- sammenstellung dieser Götter nicht erst durch die Künstler, oder richtiger durch die Baukommission, zu deren vornehmsten Mitgliedern allerdings außer Perikles auch Pheidias gehörte, geschehen ist? Nach welchen Ge- sichtspunkten, künstlerischen, lokalen, heortologischen oder in der Tat kul- tischen Rücksichten oder auch allen zusammen, das darf man erst fragen, wenn die Benennung geglückt ist. Zuerst muß man möglichst unbefangen und voraussetzungslos sich der Betrachtung hingeben. Damit soll aber nicht gesagt werden, daß jede Art von Voraussetzung un- methodisch und daher unerlaubt sei. Vielmehr ist eine Voraussetzung nicht nur erlaubt, sondern direkt geboten, die nämlich, daß an ihrem eigenen Tempel und als Zuschauerin bei ihrem höchsten Fest Athene nicht nur nicht fehlen darf, sondern einen Ehrenplatz einnehmen muß. Es ist durch- aus methodisch, mit der Suche nach ihr zu beginnen. Und da brauchen wir nicht lange zu suchen. Wir sehen sie in der rechten Reihe der Mitte zunächst sitzen, kenntlich an ihrer mädchenhaften Gestalt. Zu demselben schnellen Resultat würden wir gelangt sein, wenn wir, wie im vorigen Kapitel empfohlen worden ist, die Beschreibung bei der Mitte begonnen hätten. Bloß an ihrem Platz und ihrer Körperbildung haben wir sie erkannt, ob- gleich sie nicht einmal einen Helm aufhat. Scheinbar trägt sie überhaupt keine Attribute; aber das ist wirklich nur Schein. Denn drei in einer Linie liegende Löcher an ihrem rechten Arm, die natürlich in unserer kleinen Abbildung nicht zu erkennen sind, beweisen, daß sie einst eine aus Metall gearbeitete Lanze hielt, und die Ägis liegt abgelegt auf ihrem Schoß und wird von ihrem linken Arm bedeckt, damit ihr getreues in Prozession 24 Das Benennen der Figuren heranschreitendes Volk sich vor ihrem "Anblick, vor allem dem darauf befindlichen Gorgonenhaupt, nicht erschrecke, wie sie auf einer Vase, wo sie ihren Pflegling, den kleinen Erichthonios , aus den Händen der Erd- göttin in Empfang nimmt, das Bruststück der Ägis auf den Rücken ^HWi*5 &■ :~**C . * ' •- *P % Abb. 17. geschoben hat, um dem Knäblein keine Angst einzuflößen (Abb. 19). Aber auf dem Fries gewahrt man bei scharfem Zusehen doch zwei der kleinen umsäumenden Schlangen unter und neben der linken Hand der Göttin. Athenes Partner ist ein bärtiger Gott von robustem Körperbau, der sein Antlitz voll der Göttin zuwendet. Dieser scheint nun wirk- lich kein Attribut zu haben; denn den kurzen Stab, mit dem er sich unter der rechten Achsel stützt, wird man anfänglich als solches nicht anzusprechen wagen. Aber gerade mit diesem Stab hat es eine eigene Bewandtnis. Solch kurze Stäbe, die etwa die Länge unserer heutigen Spazierstöcke haben, sind den Athenern eigentlich fremd. Ihre Spazierstöcke reichen bis über die Schulter, und im Stehen stützen sie sich dabei unter der linken Achsel, wie das die in Abb. 20 wieder gegebene Figur von einem Vasenbilde veranschaulicht. Daß man sich aber auch im Sitzen in solcher Weise stützt, ist sonst unerhört und deutet bei dem kräftigen Gott auf eine Schwäche der rechten Körperseite. In so feiner Weise ist der lahmende Hephaistos charakterisiert. Und nun er- innern wir uns, daß die Panathenäen als altes Fest der Handwerker diesem Gott so gut gelten als der Athene, nur daß er vor deren glänzen- der Gestalt in den Hintergrund gedrängt wurde. Also auch aus reli- giösen Gründen ist er der gegebene Partner Athenes. Dieser Gruppe der beiden an dem Fest in erster Linie beteiligten Götter entspricht in der linken Reihe ein Gott in vornehm lässiger Haltung und Die Götter auf dem Parthenonfries 25 eine majestätische Göttin. Auf den ersten Blick erkennt man Zeus und Hera, ohne daß man sich erst zu sagen braucht, daß nur dem höchsten Götter- paare der Athena und Hephaistos entsprechende Ehrenplatz gebührt. Bei näherem Zusehen gewahrt man auch hier die feinste Art der Charakteri- f «Mi sw "**sfT .. E^ummSLb sierung. Zeus ist der einzige unter den anwesenden Göttern, der auf einem Thronsessel sitzt. Die Armlehne wird von einer Sphinx gestützt, und natür- lich fehlt auch nicht der vom Thron untrennbare Fußschemel. Daß er auch ein Attribut, nämlich das Zepter hielt, wird man heute erst bei sehr genauem Zusehen inne. Erhalten ist nämlich nur das aus Marmor gebildete Mittel- stück; der untere Teil war aus Metall angesetzt, der obere auf den Relief- grund gemalt, eine Technik, die an den Parthenonskulpturen mehrfach zu be- obachten ist. Hera aber trägt wirklich kein Attribut. Sie ist vor allem durch ihren Platz neben Zeus kenntlich gemacht, dann durch ihre stolze Schönheit und königliche Würde. Indem sie mit der Hand den Schleier lüftet, wendet sie das Antlitz voll ihrem Gatten zu, wie in der Gegengruppe Hephaistos der Athene. Bei dieser Bewegung kommen ihre wundervollen Arme zu voller Geltung ; sie sind es, die an dieser Figur die Blicke zunächst auf sich ziehen. Hierin liegt nun Abb. 19. 26 Das Benennen der Figuren wieder eine feine Charakteristik; denn gewiß hat der Künstler dabei im Sinne, daß Homer die weißen Unterarme der Hera zu rühmen pflegt. Übrigens hat der Schöpfer des Frieses hierin einen Vorgänger. Auch auf einer etwa zwei Jahrzehnte älteren Metope von Selinunt, die den Besuch der Hera bei Zeus auf dem Ida nach der Ilias darstellt (Abb. 21), lüftet sie in ähnlicher Weise den Schleier und stellt dabei ihre schönen Arme zur Schau. Man könnte nun weiter sagen, daß auch die hinter Hera stehende Iris dazu beitrage, Hera kenntlich zu machen. Gewiß war das im Altertum der Fall und ist es jetzt wieder, seitdem ihr Kopf mit dem wilden Ausdruck und dem losen Haar vor kurzem gefunden ist. Solange aber dieser fehlte, hätte die Figur an sich auch Nike sein können, und sie wurde als Iris nur durch ihren Platz neben Hera er- kannt, nicht umgekehrt. Denn Nike würde neben Zeus stehen. Ob nun der Interpret gleich bei der Mittelgruppe derselben Reihe fort- fahren oder sich zur rechten Reihe zurückwenden will, kann man seinem Belieben anheimstellen. Auf beiden Wegen wird er zu der richtigen Be- nennung, auf beiden zu demselben zunächst verblüffenden Einblick in das Kompositionsprinzip kommen. Aber konsequenter ist es doch, an den Aus- gangspunkt der Beschreibung anzuknüpfen, und das wollen wir also tun. Die Mittelgruppe der rechten Reihe besteht aus einem bärtigen und einem jugendlichen Gott, der wie Hephaistos und Hera das Gesicht seinem Partner zuwendet. Der ältere Gott ist ohne jedes Attribut; auch kein Bohrloch ist zu entdecken, das darauf deutete, daß einst ein solches angesetzt gewesen wäre. Die erhobene linke Hand scheint vielmehr einen auf das Nahen der Prozession bezüglichen Gestus zu machen. Auch nach seinem Platz können wir ihn nicht benennen, da Hephaistos zu keinem anderen Gott Beziehungen hat und sein Nachbar zur Linken uns noch unbekannt ist. Wir sind also bloß auf seine Erscheinung hingewiesen, und da läßt sich auch nur sagen, daß wir es offenbar mit einem besonders vornehmen Gott zu tun haben. Abb. 21. Die Götter auf dem Parthenonfries 27 Die Benennung aber kann in diesem Falle nur auf disjunktivem Wege ge- funden werden. Zweifellos ist es einer der drei Kroniden; Zeus haben wir schon an anderer Stelle gefunden; also ist es, da Hades bei einem irdi- schen Feste unmöglich ist, Poseidon. Die strahlende Schönheit seines Nachbars läßt in diesem auf den ersten Blick Apollon erkennen. Attribute, obgleich sie überflüssig sind, haben ihm früher nicht gefehlt. Zehn in zwei Reihen gestellte Bohrlöcher in seinem Haar deuten auf einen dichten Lorbeerkranz, ein tiefes Loch in seinem linken Ellbogen auf einen Lorbeer- stamm, den er in der linken Hand gehalten hat. Aber eine innere Be- ziehung läßt sich zwischen Apollon und Poseidon nicht erkennen. Denn daß sie einst bei der olympischen Palastrevolution beteiligt waren, von der die Ilias zu erzählen weiß, und gemeinsam bei Laomedon Frondienste ge- leistet haben, hat mit den Panathenäen so wenig etwas zu tun wie ihr Streit um den Besitz von Delphi. Je näher für den Anfänger, der das reli- giöse und mythologische Material noch nicht vollständig überschaut, die Ge- fahr liegt, durch Kombination heterogener Sagen Beziehungen in ein Bild- werk hineinzulegen, an die der Künstler nicht gedacht hat, um so ängst- licher muß er sich davor hüten. Wir konstatieren also hier eine Zäsur mitten in der zentralen Gruppe der rechten Götterreihe. Ob Apollon zu der folgenden Eckgruppe Beziehung hat, kann erst später untersucht werden, Poseidon aber gehört, wenn auch äußerlich von ihnen getrennt, seinem Wesen nach aufs engste mit Athene zusammen. Teilt er sich doch mit dieser Göttin in den Besitz des Erechtheions, und es würde ihm der Ehrenplatz an ihrer Seite gebühren, wenn es sich nicht um die Panathenäen handelte, an denen Poseidon keinen, Hephaistos aber um so größeren Anteil hat. Wenden wir uns nun zu dem Gegenstück dieser Gruppe auf der linken Seite, so finden wir hier einen jugendlichen Gott mit einer matronalen Göttin gepaart. Zum erstenmal ist das Paar nicht einander zugewandt, sondern beide sitzen im Profil nach links und blicken auf den herankommenden Zug. An dem Jüngling ist zunächst von einem Attribute nichts zu entdecken; charakteristisch scheint vor allem sein kräftiger und doch elastischer Körper- bau. Aber mit Sicherheit ergibt sich die Benennung aus dem Platz, wobei uns allerdings eine gewisse mythologische Kenntnis zu Hilfe kommen muß. Wie nämlich schon oben bei Besprechung der Pariser Gigantenvase an- gedeutet wurde, ist der einzige eheliche und leibliche Sohn des höchsten Götterpaares Ares; denn Hephaistos ist nach der religiösen, allerdings in der Ilias ignorierten Vorstellung von Hera geboren, ohne daß sie von Zeus 28 Das Benennen der Figuren befruchtet gewesen wäre. Der Ehrenplatz vor dem olympischen Königs- paar gebührt also -dem Ares, wie er auch auf der Francoisvase, der Sosias- schale und vielen anderen Bildwerken nebst seiner Gattin Aphrodite diesen Platz, dort allerdings erst die dritte Stelle hinter seinem Oheim Poseidon, einnimmt. Für ihn, den Kriegsgott, paßt nun nicht bloß der kraftvoll ge- schmeidige Körper, vorzüglich wird er auch durch seine nonchalante Stellung charakterisiert ; er hat nämlich das rechte Bein in die Höhe gezogen, während er um das Knie seine beiden Hände verschränkt. Aber damit ist das Wesentliche der Stellung noch nicht erschöpft. Bei genauerem Zu- sehen nimmt man wahr, daß beide Füße in der Luft schweben, jedoch nicht frei ; vielmehr sind an dem fast vertikal stehenden rechten Fuß die Muskeln gespannt, und es scheint, daß der Spann gegen einen unsichtbaren Gegen- stand fest angedrückt ist; und auch der ganze horizontal gestellte linke Fuß muß irgendwie eine Stütze gehabt haben. Von dieser ist nun in der Tat unter dem Knöchel des linken Fußes ein kleiner Rest vorhanden, das Stück eines schräggestellten Stabes. Das untere Ende ist, da es unter- schnitten war, abgebrochen, das obere war, wie beim Zepter des Zeus, gemalt. Verlängert man nun das erhaltene Stück nach oben, so sieht man, daß der Stab zunächst auf den Spann des rechten Fußes traf, der fest dagegen gedrückt war, dann zwischen Beinen und Armen durchgehend auf die rechte Schulter traf, an die er angelehnt war, und im Nacken endete. Es braucht nun kaum noch gesagt zu werden, daß dieser Stab ein Speer war, und daß Ares sich mit den Beinen auf ihm balancierend hin und her- wippte, eine äußerst behagliche Stellung, wovon sich jeder durch den Versuch selbst überzeugen kann. Das alles hat uns das Bildwerk selbst gelehrt, ohne daß wir Parallelen von anderen Monumenten heranzuziehen brauchten. Nachträglich aber sei der Vollständigkeit halber, und wenn man es für nötig findet auch zur Bestätigung, bemerkt, daß das Motiv auf ein älteres Vorbild zurückgeht, auf den Odysseus in einer Illustration der homerischen Gesandtschaft an Achilleus, von der uns auf mehreren Vasen Nachbildungen erhalten sind. Eine von ihnen gibt unsere Abb. 22 wieder. Auch Polygnot hatte in seiner Nekyia die Stellung für Hektor verwandt. Aber auf dem abgebildeten Beispiel steht wenigstens der eine Fuß fest auf dem Boden, in den übrigen erhaltenen Exemplaren tun es beide. Die glück- liche Weiterbildung des Motivs scheint also dem Bildhauer des Parthenon- frieses zu gehören. Die vor Ares sitzende Göttin ist diejenige Figur des Frieses, bei der das Attribut am augenfälligsten ist. Es ist eine große Fackel. Die Götter auf dem Parthenonfries 29 Hierdurch und durch die stark matronalen Körperformen, die den im An- fang dieser Schrift gerügten Sehfehler Stuarts um so unbegreiflicher machen, ist die Figur als Demeter gesichert. Aber zwischen Ares und Demeter be- steht kein innerlicher Zusammenhang. Wir finden hier also die gleiche Zäsur, die wir bei der rechten Reihe an derselben Stelle konstatiert haben. Kehren wir nun zu dieser zurück, um die Eckgruppe zu betrachten. Zwei Göttinnen sitzen hier nebeneinander, beide dem Zug entgegenblickend, wie Ares und Demeter. An das Knie der den Eckplatz einnehmenden und mit dem Finger auf den Zug zeigenden Göttin lehnt ein Eros; dadurch ist sie als Aphrodite bestimmt. Außerdem trägt sie das für diese Göttin im fünften Jahrhundert charakteristische Kopftuch, und ist ihre Zartheit und ihre Besorgtheit um ihre Schönheit durch den großen Sonnenschirm angedeutet, den Eros mit Rücksicht auf den heißen Julitag, an dem das Panathenäenfest gefeiert wird, in der linken Hand hält, nicht zu eigenem Gebrauch, sondern für seine Mutter oder Gebieterin; als welches von beiden Aphrodite hier gedacht ist, läßt sich nicht entscheiden. Spärlicher mit Attributen bedacht ist ihre Partnerin, eine Gestalt von blühender Jungfräulichkeit. Aber schon dies und die charakteristische Haube genügen, um in ihr Artemis zu er- kennen. Außerdem weist ein Bohrloch am kleinen Finger ihrer rechten Hand, und zwar innerhalb von dessen Biegung, darauf hin, daß ihr einst auch die für sie damals charakteristische Blüte nicht gefehlt hat. Wenn nun auch Artemis vertraulich ihre Hand in den Arm der Aphrodite legt, so gehört sie doch ihrem Wesen nach eng mit dem Apollon in der Mittel- gruppe zu sammen, und die oben vertagte Frage, ob dieser zu der Eck- gruppe in Beziehung stand, darf nun bejaht werden. 3Q Das Benennen der Figuren Die entsprechende Gruppe der linken Reihe wird von zwei jugendlichen Göttern gebildet. Sie sitzen voneinander abgewandt; ja vor wenigen Augen- blicken haben sie sich noch gegenseitig den Rücken gekehrt; jetzt aber wendet der nach innen hin sitzende den Kopf dem nahenden Zuge zu und legt vertraulich seinen Arm auf den Nacken seines Partners, der ganz ins Profil gestellt, wie in derselben Reihe Zeus, Ares und Demeter, in der anderen Athene, Poseidon, Artemis und Aphrodite, der Prozession entgegenschaut. Da dieser Partner reich mit Attributen ausgestattet ist, entspricht es der Methode mit ihm zu beginnen. Freilich so augenfällig wie einst, wo sie durch Be- malung hervorgehoben waren, sind diese Attribute heute nicht mehr. Die hohen Stiefel erkennt man selbst an dem Original erst durch Befühlen, nachdem man daraus, daß die Zehen plastisch nicht angegeben sind, auf das Vorhandensein einer Fußbekleidung geschlossen hat. Der auf dem linken Oberschenkel liegende Petasos setzt sich von der über den Schoß geworfenen Chlamys nicht genügend ab, und daß die rechte Hand das Kerykeion hielt, erschließt man erst aus dem dort vorhandenen Bohrloch. Die aufgezählten Attribute lassen in diesem Gott den Hermes erkennen. Aber mit dieser äußerlichen Charakteristik hat sich der Künstler nicht begnügt; vielmehr hat er den Boten der Götter auch dadurch bezeichnet, daß er ihn das linke Bein zurücksetzen läßt, wie einen, der jeden Augenblick aufzuspringen bereit ist , ein Motiv, das sich in der Antike unter anderen bei dem Bronce-Hermes aus Herculaneum, in der Renaissance bei dem Moses des Michelangelo findet. Freilich auch Zeus und Hephaistos ziehen das eine Bein zurück; aber in ganz verschiedener Weise. Niemand wird bei ihnen den Gedanken haben, daß sie vielleicht aufstehen wollten; viel- mehr bieten sie das Bild völliger Ruhe. Im Gegensatz zu Hermes hat sein Partner kein eigentliches Attribut. Denn die Sandalen, die er allein von allen anwesenden Göttern, von Hermes abgesehen, trägt, können als solches kaum gelten. Daß die erhobene Linke keines hielt, ergibt sich aus dem Fehlen jedes Bohrlochs an ihr sowohl, wie auf dem umgebenden Relief- grund; diese Hand wird durch eine Gebärde dem freudigen Staunen Aus- druck gegeben haben, das der Gott beim Anblick des festlichen athenischen Volkes empfindet. Aber ein höchst beachtenswerter Zug ist, daß dieser Gott auf seinen Stuhl ein Kissen gelegt hat, ein Luxus, den sich nicht einmal Zeus gestattet hat. Er macht es sich also gerne bequem, und durch diese Feinheit wie durch die Nachbarschaft der Demeter wird er als Dionysos bestimmt. Also wieder machen wir dieselbe Erfahrung wie bei Die Götter auf dem Parthenonfries 31 der Eckgruppe der rechten Reihe. Die innere Figur steht in so inniger Verbindung mit der äußeren, daß sich die Körper berühren, was bei keiner der vier anderen Gruppen der Fall ist, gehört aber ihrem Wesen nach zu der benachbarten Figur der Mittelgruppe. Überblicken wir noch einmal die ganze Komposition, so werden wir mit Erstaunen inne, daß nicht ein einfaches Schema zugrunde gelegt ist, son- dern mehrere Prinzipien harmonisch miteinander verbunden sind, wie in den Motiven einer Symphonie. Rein äußerlich betrachtet, hat man zweimal drei Götterpaare vor sich. Fragt man aber, wenn die Namen für alle Figuren gefunden sind, nach ihren gegenseitigen Beziehungen und Verwandtschaften, so erkennt man, daß nach diesem Gesichtspunkt auf jeder Seite vielmehr zwei Gruppen von je drei Göttern zu unterscheiden sind, rechts Athene, Hephaistos, Poseidon; links Zeus, Hera, Ares, und wiederum rechts Apollon, Artemis, Aphrodite, links Demeter, Dionysos und Hermes, eine Scheidung, auf die die oben bemerkten Zäsuren zwischen Poseidon und Apollon auf der einen, Ares und Demeter auf der anderen Seite auch äußerlich hin- weisen. Genau genommen aber müßte man die letztgenannten Dreiheiten noch weiter zerlegen in eine Zweiheit und eine Einheit, so daß sich an die Triaden der beiden inneren Gruppen rechts Apollon und Artemis, links Demeter und Dionysos, und an den Eckplätzen rechts Aphrodite, links Hermes anschließen. Aber um sie nicht isoliert erscheinen zu lassen, sind diese mit ihren Nachbarn in nahe körperliche Berührung gebracht. So erblicken wir in der Komposition einen überaus reizvollen Wechsel von Verbinden und Scheiden, Symmetrie und Kontrast, und doch macht sich die Reflexion, die dies Hin- und Herwogen geschaffen hat, nirgends so bemerkbar, daß der künstlerische Eindruck dadurch beeinträchtigt wird, wie es z. B. bei der Gigantomachie an dem pergamenischen Altar der Fall ist. Vielmehr erscheint das, was das Ergebnis langen Nachdenkens gewesen sein muß, als das Einfache und Natürliche. Man hat das Gefühl, als ob es gar nicht anders sein könne. Dasselbe Spiel von Symmetrie und Kontrast wiederholt sich in der Körper- wendung der Figuren. Auf jeder Seite sind vier Götter scharf ins Profil gestellt, und zwar von der Mitte aus gezählt rechts die erste, dritte, fünfte und sechste, links die erste, dritte, vierte und sechste Figur. Dadurch ist erreicht, daß nach der Mitte hin die Symmetrie, nach den Ecken hin der Kontrast vorherrscht, und die Gruppen, in denen beide Figuren ins Profil gestellt sind, rechts die Mitte, links die Ecke einnehmen. Die übrigen vier 32 Das Benennen der Figuren Götter, Hephaistos und Apollon, Hera und Dionysos wenden den Ober- körper dem Beschauer zu ; alle vier sind mit einer ins Profil gestellten Figur gepaart. Streng symmetrisch dreht sich in den beiden inneren Gruppen die zweite Figur der ersten zu. Dasselbe Motiv wiederholt sich bei der Mittelgruppe rechts, während die Mittelgruppe links aus zwei ins Profil gestellten Figuren besteht, also Kontrast statt Symmetrie. Umgekehrt sind in der rechten Eckgruppe beide Figuren ins Profil gestellt; in der linken hingegen wendet die bezüglich der Körperhaltung originellste Figur der Götterreihe, Dionysos, den Oberkörper zwar dem Beschauer, aber nicht seinem Partner zu, da dieser von ihm abgewandt dasitzt, und sein Kopf ist fast ganz ins Profil gestellt. Faßt man die Mittelgruppen und die Eck- gruppen zusammen — und daß man die Komposition auch so betrachten soll, ist durch den größeren Zwischenraum zwischen Hephaistos und Posei- don einerseits und Hera und Ares andererseits angedeutet — , so findet man links einen Chiasmus, indem die einander zugekehrten Figuren die Mitte ein- nehmen, links eine Art Responsion im Raum zwischen Poseidon und Arte- mis'und einen Kontrast in dem zwischen Apollon und Aphrodite. Ähnliches kann man beobachten, wenn man auf das Geschlecht der miteinander ge- paarten Figuren achtet. Die beiden inneren Gruppen bestehen aus einem Gott und einer Göttin, aber rechts nimmt die Göttin, links der Gott den Eck- platz ein. Auch die Mittelgruppe, links besteht aus einem Gott und einer Göttin, rechts hingegen aus zwei Göttern, so daß wir hier einen Kontrast haben. In den Eckgruppen hingegen herrscht wieder Responsion; denn rechts finden wir zwei Göttinnen, links zwei Götter. Die beiden stehenden Gottheiten niederen Ranges, Iris und Eros, haben ihren Platz links neben der inneren Gruppe, rechts neben der Eckgruppe, d.h. das rechte Ende jeder Reihe erhält durch sie ein gewisses Übergewicht. Auch haben wir die Kon- traste: Mädchen und Knabe, und Stellung einmal neben der linken, das andere Mal neben der rechten Figur der zugehörigen Gruppe. Damit wären wir nicht nur mit der Benennung der Götter zu Ende, son- dern hätten auch bereits mit deren Hilfe tiefe Einblicke in das Kompositions- prinzip getan. Aber der Gedankeninhalt des Bildwerks ist damit noch nicht erschöpft, und da dies unbedingt die Aufgabe der Hermeneutik ist, wollen wir die diesem Kapitel durch den Titel gezogenen Schranken in diesem Falle überschreiten und uns noch darüber klar zu werden suchen, welche Erwägungen für die Auswahl der Götter den Ausschlag gegeben haben, und welche Gesichtspunkte neben den eben erörterten formellen für die Grup- Die Götter auf dem Parthenonfries 33 pierung maßgebend gewesen sind. Von dem voreiligen Dilettantismus, der die erste Frage vorwegnehmend hier einen im Kult wurzelnden Götterverein sehen will, ist schon früher die Rede gewesen. Wir brauchen uns mit ihm nicht weiter zu befassen, haben vielmehr umgekehrt mit der Frage zu be- ginnen, ob wir hier nicht, abgesehen von jeder Rücksicht auf Kult und Kultgemeinschaft, die durch Kunst und Poesie typisch gewordenen Olympier vor uns haben. Werfen wir einen Blick auf andere Bildwerke, wo diese möglichst vollständig erscheinen, wie die Francoisvase und die Sosiasschale, so werden wir auch diese Frage verneinen. Auf beiden Vasen finden wir nämlich neben Poseidon Amphitrite, die am Parthenonfries fehlt. Daß auch Leto und Maia unter den Olympiern denkbar wären, lehren die Francois- vase und deren Vorbild, die Sophilosvase, und für Semele ergibt sich das- selbe aus der Sosiasschale. Eine starke Abweichung von der Regel ist es ferner, daß Ares. und Aphrodite nicht als Ehepaar beisammen, sondern weit voneinander getrennt sitzen. Man kann also nicht sagen, daß wir hier einen konventionellen Kreis von Göttern vor uns haben, sondern die Auswahl ist offenbar für diesen besonderen Fall von der Kommission, in der neben Perikles auch Pheidias bei der Entscheidung mitzusprechen hatte, getroffen worden. Maßgebend muß da vor allem die Rücksicht auf das Fest, also die Panathenäen, und den Ort, also die Akropolis, gewesen sein. Betrachten wir die dargestellten Götter unter diesem Gesichtspunkt. Selbstverständlich gegeben ist, wie bereits oben bemerkt, außer Athene und Hephaistos, Poseidon als der mit diesen beiden im Erechtheion verehrte Gott. Dazu kommen Artemis, die auf der Akropolis als Brauronia, Dionysos, der am Südabhang als Eleutherios, Aphrodite, die am Nordwestabhang als Pandemos einen Tempel hat. Und selbstverständlich darf auch der Inhaber des der Burg gegenüberliegenden Areopags nicht fehlen. Bei diesen sieben Gottheiten war also die Rücksicht auf ihre Kultstätten maßgebend. Anders liegt die Sache bei Zeus, Hera und Hermes. Zeus ist ja freilich neben seiner Tochter Athene der eigentliche Herr der Akropolis, wo ihm als Polieus ein uralter Altar geweiht ist ; aber seine Gattin ist auf der Burg nicht Hera, sondern Dione. Hera hat in der Stadt überhaupt keinen Kult, sondern nur in den Demen. Wenn wir hier trotzdem als höchstes Götterpaar Zeus und Hera finden, so war dafür nicht das athenische Kultverhältnis, son- dern die auf das ionische Epos zurückgehende, dogmatische Geltung be- sitzende Mythologie ausschlaggebend. Und ebenso steht es mit Hermes, der in Athen wie in den meisten griechischen Städten keinen Tempel hatte 34 Das Benennen der Figuren und dessen altes im Erechtheion aufbewahrtes Bild hier gewiß nicht in Betracht kommt. Zweifelhaft scheint die Sache bei Apollon und Demeter; Apollon besitzt ja am Nordabhang sein Pythion, Demeter wird vor dem Eingang zu den Propyläen als Chloe verehrt; etwas tiefer am Westabhang lag ihr Eleusinion, auf dem gegenüberliegenden Pnyxgebirge ihr Thesmo- phorion. So könnte also auch die Anwesenheit dieser Götter auf der Nähe ihrer Heiligtümer beruhen, und ich will nicht bestreiten, daß diese mit- gesprochen haben kann. Aber abgesehen davon, daß, wenn an die Kulte der Eleusinia oder der Thesmophoros gedacht wäre, Köre neben ihrer Mutter nicht fehlen dürfte, maßgebend scheint mir hier noch eine andere Beziehung zu sein, zu deren Erkenntnis wir aber erst auf einem kleinen Umweg ge- langen können. Die Anwesenheit der Demeter ist schon an sich in hohem Grade auffallend. Es ist das erste und beinahe einzige Mal, daß sie unter den vornehmen Olympiern ihren Platz hat; denn auf der Francoisvase nimmt sie zwar auch am Götterzuge teil, schreitet aber unter den Göttinnen niederen Ranges, neben Hestia und der Gattin des Chiron, Chariklo. Es muß also mit ihrer Teilnahme an diesem Panathenäenfest eine besondere Bewandtnis haben. Und sollte es ein Zufall sein, daß gerade die beiden Götter, deren Anwesenheit nicht ohne weiteres verständlich ist, auf dem Friese Pendants sind? Nein, ein Zufall ist es nicht. Denn beide haben für das attische Staatsleben eine große Bedeutung. Sie sind zusammen mit Zeus die Schwurgötter bei dem Beamten- und' Richter eid, überhaupt bei jedem politischen Eid. Also dürfen sie auch bei einem so hohen Staatsfeste wie den Panathenäen nicht fehlen, haben sogar Anspruch auf einen Ehrenplatz. Und den hat man ihnen in der Tat gegeben, und nun fällt auch auf die Gruppie- rung ein neues Licht, wobei wir von der Zweiteilung der beiden Reihen aus- zugehen haben. Von den der Mitte zunächst befindlichen Triaden repräsen- tiert die eine drei in demselben Tempel verehrte Gottheiten, die andere ein Ehepaar mit seinem Sohn. Den inneren Eckplatz in der zweiten Triade nehmen die Schwurgötter ein, und zwar so, daß Apollon seiner Schwester Athena, Demeter ihrem Bruder Zeus entspricht. Auf Apollon folgt seine Schwester Artemis, auf Demeter der ihr wesensähnliche, mit ihr zusammen in Eleusis verehrte Dionysos, so daß die Eckplätze für Aphrodite und Hermes übrigbleiben. Im Grunde sind dies Einzelfiguren; aber um diesen Ein- druck nicht aufkommen zu lassen, sind sie, wie bereits bemerkt, mit ihren Nachbarn zu engen Gruppen verbunden. Zum Schluß noch eine Warnung. Wenn es auch feststeht, daß für die An- Die Götter auf dem Parthenonfries 35 Wesenheit der Artemis ihr Kult als Brauronia, für Dionysos der als Eleu- therios, für Aphrodite der als Pandemos maßgebend ist, so wäre es doch gr und verkehrt, auch die Figuren des Frieses mit diesen Kultbeinamen zu bezeichnen und von Artemis Brauronia, Dionysos Eleutherios, Aphrodite Pandemos oder gar Athene Polias zu sprechen. Nicht die Kultbilder werden wiedergegeben, sondern die Idealbilder, wie sie die Kunst, man möchte sagen für ihren täglichen Gebrauch, geschaffen hat; nicht eine bestimmte Kultform des Gottes soll der Beschauer vor sich sehen, sondern das ganze Wesen der Gottheit, wie es in der Phantasie der Dichter und des Volkes lebt, soll ihm zum Bewußtsein kommen. Nur bei Kultbildern und Weih- geschenken ist die Epiklesis berechtigt, wie sie ja auch in den Weihinschriften erscheint. Aber bei der Erklärung einer Vase, die Apollon im Kampf mit dem delphischen Drachen darstellt, von einem Apollon Pythios zu sprechen, ist ein Unfug, der dadurch nicht berechtigter wird, daß er früher vielfach getrieben wurde und auch heute noch nicht ganz ausgestorben ist. Als ein Meisterstück der Charakterisierung haben wir oben die Göttergruppen des Parthenonfrieses bezeichnet, und die methodische Analyse hat dies Urteil durchaus bestätigt. Aber, so könnte man fragen, wie kommt es dann, daß die Wissenschaft so lange gebraucht hat, um für einige Figuren die rich- tige Benennung zu finden, ja daß sie bei manchen auch heute noch nicht allgemein anerkannt ist? Es ist lehrreich, den Ursachen dieser Erscheinung nachzugehen, schon um aus den Fehlern früherer Interpreten zu lernen. ^Natürlich beschränken wir uns auf einige Fälle ; denn alle durchzusprechen, würde zu zeitraubend sein, ist auch nach dem vorher Gesagten nicht nötig. Am hartnäckigsten hat sich für die Artemis die falsche Benennung Peitho behauptet. Hier haben wir zunächst zu fragen: wer ist Peitho? Ursprüng- lich eine Epiklesis der Aphrodite, die die Macht der Überredung bei Liebes- händeln bezeichnet, wird sie gelegentlich zu einer besonderen Persönlich- keit, für welchen Prozeß die Religionswissenschaft den Ausdruck Hypo- stase geprägt hat, und erscheint dann als Dienerin der Liebesgöttin, steht also zu ihr in einem ähnlichen Verhältnis wie Iris zu Hera. Da in dem oben erwähnten Tempel der Aphrodite Pandemos ein Bild dieser Peitho neben der Kultstatue ihrer Gebieterin stand, erfreut sie sich in der attischen Kunst einer gewissen Beliebtheit, und Aphrodite wird von den Vasenmalern gerne in ihrer und des Eros Begleitung dargestellt. Pheidias ließ sie am Sockel seines olympischen Zeus die dem Meer entsteigende Aphrodite bekränzen. Das sind die Funktionen einer Dienerin; aber unerhört ist es, daß eine solche 36 Das Benennen der Figuren Dienerin unter den hohen Olympiern wie eine Gleichberechtigte sitzen und die Hand durch den Arm ihrer Herrin stecken soll. Wollte der Künstler sie an- bringen, so mußte er sie hinter Aphrodite stehen lassen, wie Iris hinter Hera. Hier ist Unbekanntschaft mit der Etikette des Olymp die Fehlerquelle. Als in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das Asklepieion aus- gegraben wurde, kam eine Fülle von Votivreliefs mit dem Bilde des Gottes zutage, das eine unverkennbare Ähnlichkeit mit dem Poseidon des Frieses zeigte. Nach dem oben über die späte Ausbildung individueller Götter- typen und der Gleichheit von Götter- und Menschenköpfen Gesagten kann das nicht wundernehmen. Wäre am Fries der Kopf des Zeus besser er- halten, er würde dieselbe Ähnlichkeit mit Asklepios zeigen wie sein Bruder. Trotzdem hat man auf Grund dieser Ähnlichkeit den Poseidon Asklepios nennen wollen. Der Vater dieses Einfalls konnte freilich nicht wissen, was uns erst zwanzig Jahre später ein Inschriftenfund gelehrt hat, daß der Asklepioskult erst geraume Zeit nach der Vollendung des Parthenon in Attika eingeführt worden ist und daß bis dahin die Athener zu einem ein- heimischen Heilgott Amynos beteten. Aber das hätte er doch wissen müssen, daß dem Asklepios im ganzen klassischen Altertum niemals der Eintritt in den Kreis der Olympier gestattet worden ist; erst der Renaissancekunst blieb das vorbehalten. Hier war Unkenntnis der sozialen Stellung der Heil- götter die Fehlerquelle. Den Ares hat man wegen seines Platzes hinter Demeter Triptolemos nennen wollen. Das ist ein ganz ähnlicher Fall. Als ob ein Heros jemals unter olym- pischen Göttern und vollends auf dem Ehrenplatz neben dem höchsten Herrscherpaar sitzen könnte. Daß man Hermes und Dionysos als die Dios- kuren gedeutet hat, beruht auf ungenauem Sehen; man hatte bei jenem die Attribute, bei diesem das Kissen nicht erkannt. Daß Dionysos und Demeter in antiker Ungeniertheit ihre Beine miteinander verschränken, hat moderner Prüderie zu denken gegeben; nur Geschwister sollen sich das erlauben dürfen. Also hat man den Dionysos für Apollon, Demeter, die mütterlichste aller Göttinnen des Frieses, für die jungfräuliche Artemis und folgerichtig den Apollon für Dionysos, die anmutig-zarte Artemis für die wür- dige Demeter erklärt. Das ist der schlimmste Fehler von allen. Durch ein modernes Vorurteil läßt man sich die Augen für die Körperformen ver- blenden. Auch bei richtiger Benennung hat man zuweilen in die Figuren von außen Züge hineingetragen, an die der Bildhauer nun und nimmer gedacht hat. Interpretationsfehler 37 Poseidon soll Athene den Rücken kehren, weil er den Groll gegen seine siegreiche Rivalin noch nicht überwunden hat. Dann wäre er doch besser ihrem Fest überhaupt fern geblieben. Und sein Pendant Ares kehrt ja gleich- falls seinen Eltern den Rücken zu. Konsequenterweise müßte man hier- aus auf einen Familienzwist schließen. Von den Göttern kommen wir zu den Heroen. Hier ist der Künstler fast noch mehr darauf angewiesen, seine Figuren durch Namensbeischrift oder Handlung, Situation und Gruppierung kenntlich zu machen; denn nur ganz wenige Heroen haben bestimmte Attribute. Jeder denkt hier natür- lich zuerst an Herakles, den man an Löwenfell und Keule erkennt. Aber für die ältere Kunst ist auch dies nur bedingt richtig. Dort fehlen ihm diese Attribute sehr häufig, namentlich auf peloponnesischen Bildwerken; denn das über dem Chiton als Pelz getragene und gegürtete Pantherfell darf man nicht mit der Haut des nemeischen Löwen verwechseln. Die antike Literaturgeschichte bezeichnet bald Peisandros von Kamiros, bald Stesicho- ros von Himera als den Dichter, der dem Herakles zuerst das Löwenfell gege- ben habe ; das bedeutet natürlich für uns nur so viel, daß diese Dichter die beiden ältesten literarischen Zeugen für diese Tracht sind. Und das scheint kein Zufall zu sein. Bei der Gründung von Himeras Mutterstadt Zankle war Chalkis stark beteiligt, und chalkidische Vasen gehören zu den ältesten bild- lichen Belegen für Herakles mit dem Löwenfell. Auch auf den ionischen In- seln scheint diese Heraklestracht früh typisch geworden zu sein. Wenn auf den Metopen von Olympia Herakles nirgends das Löwenfell trägt, obgleich vieles dafür spricht, daß ionische Inselgriechen die Künstler waren, so mag dies auf Anordnung der olympischen Priesterschaft zurückgehen, die den dorischen Typus ihres Heros gewahrt wissen wollte. Bei »dem zweiten Herakles «, dem Theseus, wird die Keule erst später Attribut ; auf älteren Bildwerken führt er sie nur gelegentlich, meist als Wanderstab, wie sie auch Oidipus führt, oder wo er von ihr als Waffe auch wirklich Gebrauch macht. Vielmehr ist aus der Zeit, wo in Athen der Zyklus der Theseustaten ausgebildet wird, und das ist die zweite Hälfte des sechsten Jahrhunderts, für diesen Heros ein Typus charakteristisch, der das spätere Altertum sehr fremdartig berührt haben würde. Er erscheint als naiver Knabe, »wie ein athenischer Straßenjunge «, hat Otto Jahn sehr hübsch gesagt, mit Reise- hut, kurzem Chiton, Chlamys und Schwert, und so beschreibt ihn auch Bakchylides. Bei dem Minotaurosabenteuer und was damit zusammen- hängt, ist sein eigenartiges Attribut die Leier. Diese stammt daher, daß 38 Das Benennen der Figuren er bei dem berühmten Reigentanz, den auf Delos die geretteten Knaben und Mädchen aufführen, dem Chor als Musiker voranschreitet, wie das der eine Streifen der Francoisvase, aber auch andere archaische Vasen ver- bildlichen. Aber er hat sie auch schon beim Kampf mit dem Minotauros. Auf einer Trinkschale des Archikles und Glaukytes hat seine Schutzgöttin Athene die Gefälligkeit, ihm diese Leier so lange zu halten, bis er das Un- geheuer überwältigt hat (Abb. 23). In derselben Szene ist ein Kranz in der Hand der Ariadne so typisch, daß er geradezu als ihr Attribut bezeichnet werden kann. Es ist der Kranz, durch dessen Glanz sie, wie sonst durch das Garnknäuel, den Theseus aus der Finsternis des Labyrinths errettet 4*m ■-"-*wx»»ttvvixw**>* ww»t* ' * """' TvwVv^iÜ Abb. 24. und der zusammen mit der Leier an den Sternenhimmel versetzt wird. Auch auf der ebenerwähnten Vase sieht man ihn in ihrer Hand, und nur an diesem Kranz wird sie auf einer geometrischen Vase, und folgerichtig ihr Gefährte als Theseus erkannt (Abb. 24) und damit festgestellt, daß wir hier die Entführung der Ariadne vor uns haben, die älteste Darstellung aus dem Theseusmythos und eine der äußerst seltenen mythologischen Die Attribute der Heroen 39 Szenen aus der Zeit des geometrischen Stils. Das spätere Altertum aber wußte von diesen Attributen nichts mehr. Aber die meisten übrigen Heroen entbehren bestimmter Attribute. Achil- leus, Hektor, Aias, Diomedes sind in der älteren Kunst weder voneinander noch von gewöhnlichen Kriegern, noch von den Giganten zu unterscheiden, die die ältere Kunst vollkommen menschlich und in der Panoplie darzustel- len pflegt. Des naheliegenden Auskunftsmittels der Schildzeichen hat man sich äußerst selten bedient. Wir kennen dafür nur ein einziges Beispiel, den Schwan, den auf einer Vase des Pamphaios der Aressohn Kyknos als redendes Symbol trägt. Vermutlich ist es noch öfter vorgekommen; aber wo Panofka ähnliches konstatieren wollte, handelt es sich um reine Phantasien. Erst in der römischen Kunst kommt es vor, daß, wohl nach hellenistischen Vorbildern, auf dem Schild Szenen aus dem früheren Leben des Helden angebracht werden, auf dem des Meleagros die Jagd des kaly- donischen Ebers, auf dem des Achilleus dessen Erziehung bei Chiron, wie auch die Bettstufe von Iasons korinthischer Braut mit der Stierbändigung ihres Bräutigams geschmückt ist. Nur wenige Heroen werden durch Attri- bute oder Tracht kenntlich gemacht. Während auch Odysseus in der älteren Kunst genau so aussieht wie die übrigen homerischen Helden, erhält er seit Mitte des fünften Jahrhunderts die Schiffermütze. Bei dem Maler Apollodor von Athen haben die antiken Kunsthistoriker dies Attribut zum erstenmal gefunden. Wenn andere statt Apollodors den zwei Generationen jüngeren Nikomachos als Erfinder dieses Attributs nennen, so zeigt dies, daß es in der zweiten Hälfte des fünften und der ersten des vierten Jahrhunderts noch selten war und sich erst allmählich durchgesetzt hat. Während in der älteren Kunst Griechen und Trojaner einander vollkommen ähnlich sehen, wie sie sich ja auch im Epos in Bewaffnung, Kultur und sogar der Sprache durch nichts unterscheiden, erhält Paris gegen Ende des fünften Jahrhunderts die phrygische Tracht, aber natürlich nur bei friedlichen Szenen, wie dem Urteil über die Göttinnen und der Werbung um Helena, niemals in der Schlacht. Gleichzeitig verliert er das Attribut, das ihn auf älteren Bildwerken kenntlich macht, die Leier, die er früher mit Theseus gemein hatte. Schon in dem dritten Gesang der Dias wird diese erwähnt, und noch zur Zeit Alexanders des Großen wurde sie als Reliquie gezeigt. In derselben Epoche wie Paris erhalten auch die trojanischen Greise, wie Priamos und Anchises, und die Knaben, wie Askanios, phrygische Gewan- dung ; aber außer Paris keiner der Helden. Hektor oder Aineias im gemusterten 40 Das Benennen der Figuren Ärmelchiton und Hosen ist eine unmögliche Vorstellung. Den Aithioper- fürsten Memnon hat Polygnot auf seiner Nekyia dadurch charakterisiert, daß er ihn neben einen Neger knaben stellt. Von dem korinthischen Maler und Bildhauer Euphranor berichten die alten Kunstschriftsteller, er sei der erste gewesen, der die Würde der Heroen zum Ausdruck gebracht habe. Man faßt das meist so auf, als ob er den Heroen individuelle Züge ge- geben hätte; es ist aber sehr fraglich, ob dies in den Worten liegt, und ob diese nicht vielmehr die Erhabenheit der Sta- tuen im allgemeinen bezeichnen sollen, die auch Varro an Eu- phranor rühmt. Je- denfalls kennen wir individuelle Heroen- typen erst seit der hellenistischen Zeit, und auch dann und in der römischen Kaiserzeit nur bei einzelnen Sagengestalten. Achilleus, Hektor und Diomedes werden sich an dem Gesichtstypus allein auch in dieser- Zeit kaum voneinander unter- scheiden lassen. Dagegen ist Odysseus nicht nur an dem äußeren Attribut der Schiffermütze, sondern auch an dem Ausdruck überlegenen Verstandes und reicher Erfahrung kenntlich, wie das Brunn in seinen bereits oben ge- rühmten Götteridealen vortrefflich entwickelt hat. Als Beispiel möge der Kopf einer in Venedig befindlichen Statue hier stehen, die ihn in dem Moment zeigt, wo er seine Gefährten beim Schlachten und Verzehren der Sonnenrinder überrascht (Abb. 25). Auch Aias müßte, so sollte man meinen, am trotzigen Gesichtsausdruck leicht zu erkennen sein. Und doch hat man ihn in der sog. Pasquinogruppe (Abb. 26), von deren in Tivoli frag- mentiert gefundener Replik ich den Kopf hierhersetze, eine Zeitlang ver- kannt, weil die Wunden an der von ihm gehaltenen Leiche dieselben sind, die in der Ilias Patroklos empfängt. Also sollte dieser grimmige Recke Menelaos sein, der dort die Leiche des Patroklos aufhebt, aber nicht allein, sondern mit Hilfe des Meriones. Ein warnendes Beispiel für den Interpreten, Abb. 25. Abb. 26. Heroentypen 41 sich nicht an Nebendinge, wie es in diesem Fall die Wunden sind, sondern an die Hauptsache, die Erscheinung des Helden, zu halten. Jetzt ist die Benennung durch die Auffindung des Bronzebeschlags eines Prozessions- wagens, der nach ihrem Aufbewahrungsort sog. Tensa Capitolina, gesichert, auf der in einer öfters sich wiederholenden Felderreihe das Leben des Achil- leus dargestellt ist. wobei auch die Pasquinogruppe benutzt wird, an einer Abb. 27. Stelle, wo der Zusammenhang keinen Zweifel darüber läßt, daß Aias mit der Leiche des Achilleus gemeint ist (Abb. 27). Sehr geistreich hat sich der Künstler des pergamenischen Telephosfrieses geholfen, indem er seinem Helden die Züge seines Vaters Herakles gab, wie auch nach einer literari- schen Überlieferung von allen Heraklessöhnen Telephos dem Vater am ähn- lichsten sah. Aber in einer so glücklichen Lage war nicht jeder Künstler. Sehr bezeichnend für die Schwierigkeit, die es hat, einen Gott oder Heros ohne Äußerlichkeiten kenntlich zu machen, ist das Schwanken, in dem sich die Begründer der Archäologie gegenüber dem sog. Antinous vom Belvedere befanden. Elisa von der Recke schreibt darüber im Jahre 1805 : »Über eine andere Bildsäule sind die Meinungen sehr verschieden. Die gewöhnlichste nennt sie einen Antinous; Winckelmann findet in ihr den Heros Meleager, Visconti einen Mercur. Zoega aber will an den unförmlichen Fußknöcheln dieser sonst so schönen Figur einen Oidip erkennen, dem in zarter Jugend die. Knöchel durchbohrt wurden, da in dem Werk eines großen Künstlers, wie das Ganze ihn offenbart, jene Unförmlichkeit als absichtlich und be- 42 Das Benennen der Figuren deutend anzunehmen ist. Die Stirn kündet einen Helden an; um den Mund schweben die Grazien des innersten Lebens, und Kraft und Fülle zeigt sich in der ganzen Gestalt, die noch nichts von der tragischen Zukunft andeutet. « Hier sehen wir denjenigen unter den großen Meistern der Ver- gangenheit, der in der Hermeneutik am weitesten vorgeschritten war, Georg Zoega, weil er von einem Detail ausgeht, den schwersten Irrtum begehen. Der Hermes des Praxiteles und die Grabstatue aus Andros haben Visconti Recht gegeben : wir haben die Kopie eines Hermes aus Praxitelischer Schule, viel- leicht von ihm selber, vor uns. Auch der sog. Ares Borghese darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben, weil man bei den Versuchen, ihn zu benennen, gleichfalls von einem Detail ausgegangen ist, das allerdings hier von etwas größerer Bedeutung ist, dem Ring über dem Knöchel des rechten Fußes (Abb. 28). Die einen hielten diesen für eine Schutzvorrichtung und dachten an Achilleus, ein Offenbachischer Gedanke, abgesehen davon, daß die verwundbare Stelle des Peliden tiefer, an der sog. Achilleussehne , liegt. Die anderen an eine Fessel, und benannten die Statue Ares , wobei die Fessel entweder an die Fesselung durch Hephaistos oder an die des spartanischen Kriegsgottes erinnern sollte. Wieder andere wollten darin den - Abb. 28. Halter einer Beinschiene, das Epi- sphyrion, sehen, ohne zu bedenken, daß dann auch über dem linken Knöchel derselbe Ring angebracht sein müßte. Lassen wir dies Detail, wie es die Methode verlangt, vorläufig beiseite und richten unsere Aufmerksamkeit auf den Gesamteindruck, so fällt liier das träumerische Sinnen mit einem kleinen Anflug von Sinnlichkeit, die Mischung von Kraft und Schönheit, Kriegsmut und Eleganz auf. Diese spricht sich vor allem in dem für einen Kriegsmann ungewöhnlich langen, sorgfältig gepflegten Haar aus, das über Der sog. Ares Borghese 43 die Schläfen tief auf die Wangen herabhängt, nicht minder in dem mit reichem Reliefschmuck verzierten Helm. Nur in einer Gestalt der Heldensage finden sich so verschiedenartige Züge vereinigt, in Paris, dem Schönheitsrichter, dem Verführer der Helena, dem Überwinder Achills. Nun erst fragen wir nach dem Ring über dem Knöchel und können über seine Bedeutung nicht zweifel- haft sein. Weder eine Fessel ist er. noch eine Schutzvorrichtung, sondern ein Schmuckstück, das bestimmt ist. die Eleganz der Erscheinung zu er- höhen, eine goldene Fußspange, wie sie sonst nur von Frauen und Knaben, vor allem von Eroten, getragen zu werden pflegt. Aber wie wir die richtige Benennung ohne dies Detail gefunden haben, so hat man auch im Altertum so wenig Gewicht darauf gelegt, daß bei den übrigen erhaltenen Repliken der Statue diese Fußspange weggelassen ist. Unmöglich ist hingegen die Deutung auf Paris für den Bronzejüngling von Antikythera. dessen kurzes Athletenhaar und dessen robuster, jeder Ge- schmeidigkeit und Eleganz entbehrender Körper dem Charakter des Lieb- habers der Helena absolut widerspricht. Und wenn man ihm dieser Be- nennung zuliebe einen Apfel m die Hand gegeben hat. oder umgekehrt, weil man aus der Fingerhaltung auf dieses Attribut schloß, auf die Deutung als Paris verfallen ist, so hat man dabei vergessen, daß der Apfel, ein ge- wöhnliches Liebessymbol des täglichen Lebens, als Siegespreis beim Schön- heitsstreit der Göttinnen erst in der hellenistischen Zeit aufkommt und zum erstenmal auf einem etruskischen Spiegel nachweisbar ist. Möglich, daß er als solcher auf die frühhellenistische Zeit zurückgeht; im vierten Jahr- hundert ist er, schon wegen des damit verbundenen frivolen Nebengedan- kens, unmöglich. Die Deutung der Statue von Antikythera ist noch nicht gelungen; selbst die Frage, ob Gott. Heros oder Mensch, ist noch offen. Sie wird nur dann glücken, wenn es gelingt, aus der Fingerstellung beider Hände die Attribute zu erschließen; denn auch die linke Hand hielt ein Attribut. Am leichtesten wird es dem Künstler gelingen, sich verständlich zu machen, wo es sich um phantastische Mischbildungen handelt. Nur setzen auch diese bei dem modernen Beschauer gewisse mythologische Kenntnisse voraus, die er sich jedoch schon durch die Lektüre römischer Dichter aneignen kann. Aus diesen kann er entnehmen, was ein Satyr, ein Kentaur, ein Triton ist; wie die Alten den Minotauros, die Sphinx, die Skylla, die Sirenen gebildet haben. Nur wird er vielleicht, wie Frau Ilse in der Verlorenen Handschrift wissen wollen, wodurch sich Silene, Satyrn und Pane von- 44 Das Benennen der Figuren einander unterscheiden, und dann erfahren, daß auch diese Typen Wand- lungen unterworfen sind, daß der bocksfüßige Pan in späterer Zeit auch als zierlicher Jüngling gebildet wird, dem vom Tierischen nichts geblieben ist als die Hörner und die Spitzohren, wie auf einer prachtvollen taren- Abb. 29. tinischen Vase (Abb. 29), daß die archaische Kunst nur Silene kennt, die zuweilen Pferdebeine haben, daß das attische Drama diese Silens typen für sein Satyrspiel verwendet und nur eine Differenzierung eintritt -zwischen den Satyrn, die den Chor bilden, und dem Silen, der zu den Schauspielern gehört und sich dann auch in der Mythologie immer mehr zu einer einzelnen Persönlichkeit, dem Erzieher des Dionysos, verdichtet, während neben den Mischbildungen 45 Abb. 30. nunmehr zum Satyr umgetauften alten Silentypus bald gleichberechtigt und fast ihn überwuchernd ein jugendlicher tritt. Stabiler sind die Halb- pferde, die Kentauren; nur muß man auch von diesen wissen, daß neben dem später herrschenden in älterer Zeit auch ein Typus mit menschlichen Vorderbeinen existierte, wie sich Pausanias ausdrückt, oder richtiger gesagt, ein Typus, bei dem an einen vollständigen Menschen- körper ein Pferdeleib und Pferdehinterteil ansetzten (Abb. 30). Auch bei dem Triton kommt in der- selben Epoche eine ähnliche Bildung gelegentlich vor, ein vollständiger Menschenkörper mit einem Fischschwanz im Rücken (Abb. 31). Sonst ent- wickelt sich der Typus des Triton so, daß der ursprünglich unter den Brustmuskeln beginnende Fischschwanz immer tiefer rückt, das menschliche Element also Ausdehnung gewinnt, bis in hellenistischer Zeit eine Gabelung des Typus eintritt ; ent- weder erhalten die Tritone damals zwei Fischschwänze, die in der Mitte der Oberschenkel ansetzen, oder wenn der eine Fisch- schwanz beibehalten wird, treten als drittes Ele- ment die Vorderbeine eines Pferdes hinzu, beides in dem offensichtlichen Bestreben, dem Meerwesen eine größere Beweglichkeit zu geben. Nach diesem Vorbild erhalten jetzt auch die bisher vollkommen menschlichen Giganten Schlangenfüße, die jedoch nicht wie bei den Tritonen in den Schwanz, sondern in den Kopf auslaufen. Eine dem Triton verwandte Bildung ist der in einen Schlangenleib auslaufende, erdgeborene König Kekrops. Die Fabeltiere gehen meist auf die kretisch-mykenische Kunst zurück und sind, vielleicht mit Ausnahme des Minotauros und der Chimaira, ursprüng- lich nicht zur Verbildlichung der mythischen Märchenwesen geschaffen, nach denen wir sie benennen. Man muß sich also hüten, wo sie in älterer Zeit rein dekorativ verwandt sind, von Sphinxen und Sirenen zu sprechen, wird sie viel- mehr, da wir ihre kretisch- mykenischen Namen nicht kennen, korrekt als Löwen- und Vogelfrauen bezeichnen. Wenn nun der von Oidipus bezwungene weibliche Dämon des Phikiongebirges im Typus der Löwenjungfrau darge- stellt wird, so muß das auf dem glücklichen Einfall eines einzelnen Künstlers beruhen, der damit verdienten Erfolg gehabt hat. Weniger glücklich hat ein Abb. 31. 46 Das Benennen der Figuren anderer die Vogelfrauen, die gelegentlich, aber keineswegs ausschließlich und nicht so häufig, wie heute angenommen wird, als Bild der Seele gebraucht werden, für die Sirenen verwandt, die in der Odyssee ungeflügelt und völlig menschlich gedacht sind. Mit Recht hat hier die spätere Kunst Remedur ge- schaffen, indem sie entweder das menschliche Element in der Mischbildung verstärkte oder das tierische ganz ausschaltete. Mit der unplastischen Schil- derung, die die Odyssee von der Skylla gibt, hat die Kunst sich dadurch abgefunden, daß sie ihr einen Fischschwanz gab, sie also als weiblichen Triton bildete, wie Zeuxis zu den Kentauren die Kentaurin hinzuerfand; und da Homer ihre Stimme mit der eines winselnden Hündleins vergleicht, hat man als drittes Element Hundsköpfe hinzugenommen. Dieser Typus, der später von den Malern Androkydes von Kyzikos und Nikomachos von Athen weiter ausgebildet worden ist, hat mit den Worten der Odyssee womöglich noch weniger gemein als die Vogelfrau. Noch ist eine schier unermeßliche Kategorie göttlicher Wesen übrig, deren Kenntlichmachung durch den Künstler und Benennung durch den Be- schauer auf noch weit größere Schwierigkeiten stößt, als die früher befrach- tetet die Allegorien, wie noch Winckelmann sagte, die Personifikationen oder Prosopopöien, wie wir, um jenes zuerst von Quintilian, obendrein in etwas anderem Sinne gebrauchte Wort zu vermeiden, sagen wollen. Man kann getrost behaupten: es gibt kein Ding am Himmel und auf Erden, in der sinnlichen Welt und in der des Geistes, das sich der Grieche und der Römer nicht als Person vorstellen könnte, und wenige, die er sich nicht gelegentlich so vorgestellt hätte. Manche haben sich zu wirklichen Göttern kondensiert, haben Kult und Tempel erhalten; die glänzendste Karriere von allen hat Eros gemacht. Dabei ermöglicht es die große Elastizität des antiken Denkens, an Stelle der göttlichen Person sofort wieder das Natur- objekt oder den abstrakten Begriff treten zu lassen. So spielen denn auch in der Kunst diese Personifikationen eine außerordentlich große Rolle. Wir wollen zunächst die Personifikationen von Naturobjekten und Naturerschei- nungen, dann die von abstrakten Begriffen betrachten. Die Personifikationen der großen Himmelslichter, der Sonne und des Mondes, ferner der Morgenröte, deren Begriff sich aber zu dem der Tageshelle er- weitert, und der Nacht gehören eigentlich zu den Göttern, in deren Genealo- gien sie vom Epos eingereiht werden, haben gelegentlich auch Kult und sind am leichtesten kenntlich zu machen, zumal sich sehr früh ein fester Typus für sie festsetzt, der durch das ganze Altertum hindurch ziemlich konstant Naturpersonifikationen 47 bleibt : also Helios auf einem Viergespann von öfters geflügelten Rossen, in älterer Zeit zuweilen noch durch die über seinem Haupte angebrachte Abb. 32. Sonnenscheibe oder einen Strahlenkranz, in der römischen Kunst durch ein- zelne Strahlen am Haupt noch näher bezeichnet; Selene in älterer Zeit meist reitend, später auf einem Zweigespann von Pferden oder Rindern fahrend, öfters durch die Mondsichel bezeichnet; Eos, fast stets geflügelt, in älterer 48 Das Benennen der Figuren Zeit vor dem Wagen des Helios her bald gleichfalls fahrend, bald reitend, bald laufend, in der römischen Kunst schwebend und meist mit einer Fackel in der Hand, die Nacht im fünften Jahrhundert auf einem Viergespann und geflügelt, später schreitend und vor allem durch die Verschleierung charakte- risiert. Das alles wird der Beschauer auch ohne Namensbeischrift gleich ver- stehen, wie man an dem Abb. 32 wiedergegebenen rotfigurigen Deckel einer attischen Pyxis erproben möge. Vor einer der Säulen, die, wie es in der Odyssee heißt, »Himmel und Erde auseinander halten«, taucht Helios, ausnahmsweise auf einem Zweigespann, aus den Fluten des Okeanos auf. Selen; aie noch am Himmel steht, dreht sich auf ihrem Reitpferd nach ihm um. Die Nacht aber, deren Reich nun zu Ende ist, treibt ihr Vier- gespann zu rasender Eile an. Zwischen ihr und Selene deuten fünf Sterne auf den nächtlichen Him- mel. Sind diese hier nur in ihrer Lichterscheinung dargestellt, so hat man in anderen Fällen gewagt, auch sie zu personifizie- ren. Freilich können sie dann nur durch ihre Um- gebung und ihre Hand- lung kenntlich gemacht werden, wie dies in geist- reicher Weise auf der Vase Blacas (A.bb. 33) geschehen ist, wo sie als Knaben gebildet sind, die sich beim Anblick des aufgehenden Helios ins Meer stürzen. Noch Kühneres haben sich die Künstler der pergamenischen Gigantomachie erlaubt, die freilich allen ihren Figuren den Namen beigeschrieben haben ; sie lassen die Personi- fikationen der Sternbilder den Göttern zu Hilfe kommen, teils in der Gestalt, wie sie auf der Sternkarte des Eudoxos dargestellt waren, so den Löwen, den Orion und selbst das jetzt Hercules genannte, damals namenlose, nach seiner Stellung als Engonasin, d. i. der Knieende, bezeichnete Sternbild, teils in der ihnen vor dem Katasterismos eigenen menschlichen Gestalt, so die große Bärin als die schöne Jägerin Kallisto. Auf römischen Denkmälern wird der Morgenstern häufig als Knabe mit einer Fackel gebildet, der dem Sonnen- wagen vorausschwebt (s.u. Abb. 38), durch dieses Attribut und seinen Platz ohne weiteres kenntlich, ebenso der vor dem Wagen der Luna mit demselben Abb. 33. Naturpersonifikationen 49 Attribut herschwebende Abendstern, der sich zuweilen kopfüber herabstürzt, zuweilen zur Andeutung der Abendkühle einen dicken Mantel trägt. Da nun die Dioskuren mit diesen beiden Sternen identifiziert werden, so erscheinen in der römischen Kunst häufig diese an Stelle des Morgensterns vor dem Sonnenwagen einherreitend, bald beide zusammen, bald einer allein, wo dann der Brauch des Zirkus hineinspielt, die Wagen von einem Beireiter begleiten zu lassen, der bei einem Unfall sofortige Hilfe leistet. Apelles hat es sogar gewagt, die atmosphä- rischen Erscheinungen des Gewitters als drei Frauengestalten darzustellen: Bronte, Astrape und Keraunobolia, den Donner, das Licht und das Einschlagen des Blitzes. In welcher Weise er sie kenntlich gemacht hat, ist nicht überliefert, höchst wahrscheinlich aber doch durch Attribute. Auf römischen Phaethon- Sarkophagen aber, und einmal auch auf einem Prometheus-Sarkophag, wird der Blitz als ein Knabe dargestellt, der mit einer Fackel in der Hand kopfüber zur Erde herabfliegt. Abb. 34 zeigt den be- treffenden Teil dieses Sarkophags. Hier ist die richtige Benennung nur aus dem Zu- sammenhang zu gewinnen; denn man sieht, daß der Knabe dem schmiedenden Vulkan das Feuer bringt. Der Regen ist auf einer Vase des Python und ihrer hier wiedergegebenen abge- kürzten Replik Abb. 35 durch zwei Frauen verbildlicht, die aus Hy- drien Wasser zur Erde niedergießen. Wer nicht mit Blindheit geschlagen ist, erkennt, daß diese Frauen die Wolken personifizieren und mithin Ne- phelai zu benennen sind. Die römische Kunst geht in der Personifikation der Naturerscheinungen noch über die griechische hinaus und zeigt darin meist eine recht glückliche Hand. Auf dem Panzer der Augustusstatue von Prima Porta schwebt dem Wagen des Phöbus eine geflügelte Frauen- figur voran, die in der Linken ein Wassergefäß hält und auf deren Rücken eine Frau mit einer Fackel sitzt (Abb. 36). Die Attribute und der Platz vor dem Sonnengott lassen über die Benennung keinen Zweifel, es ist die Morgenröte, die von der Morgenwolke getragen wird, Aurora auf dem Rücken der Nebula matutina. Auf Proserpina-Sarkophagen läuft neben dem Wagen 4 Abb. 34. 50 Das Benennen der Figuren der ihre entführte Tochter suchenden Ceres eine geflügelte Frauengestalt her, die einen großen Mantel bogenförmig vor sich flattern läßt (Abb. 37). Es ge- hört kein besonderer Scharfsinn dazu, um zu erkennen, daß sie die Finster- nis personifiziert, durch die Ceres mit der am Ätna entzündeten Fackel sich den Weg sucht, und daß sie Caligo zu benennen ist. Aus Hygins Fabelbuch lernen wir, daß man in der späteren Zeit auch die zwölf Tagesstunden per- Abb. 35. sonifizierte ; man nannte sie: Auge, Anatole, Musice, Gymnastice, Nymphe, Mesembria, Sponde, Melete, Acte (d. i. die Frucht der Demeter), Metrie, Cypris, Dysis: Tagwerden, Sonnenaufgang, Musik, Gymnastik, Bad, Mittag, Spende, Nachdenken, Mahlzeit, Trunk, Liebe, Sonnenuntergang, also teils nach dem Stand der Sonne, teils nach der Beschäftigung der Menschen. Mindestens zwei von diesen Tageshoren, die Anatole und die Dysis, haben auch Eingang in die Kunst gefunden. Auf dem oben Abb. 34 wiedergegebe- Naturpersonifikationen 51 nen rechten Ende eines Prometheus -Sarkophags erblickt man unter dem aufgehenden Sonnengott die Anatole mit bogenförmig gewölbtem Mantel, ihr entspricht an dem linken Ende des Sarkophags, das unsere Abb. 38 Abb. 36. zeigt, unter dem Wagen der Luna die ebenso dargestellte Dysis. Wenn die Bedeutung dieser beiden Figuren trotz der trefflichen Charakteristik früher verkannt worden ist* so hat, was gar nicht so selten vorkommt, ein Schriftsteller zeugnis irreführend gewirkt. Plinius erwähnt unter den in der Curia der Octavia aufgestellten Statuen, deren Künstler man nicht kenne, 52 Das Benennen der Figuren Abb. 37. zwei Aurae velificantes sua veste, Personifikationen der linden Lüfte mit segelartig geblähtem Gewand, und diese Lüfte hat man denn in den be- treffenden Figuren des Prometheus- Sarkophags wiederfinden wollen. Aber die linden Lüfte spielen in der grie- chischen Mythologie gar keine Rolle. Und wenn Prokris bei Ovid, als Ke- phalos die linde Morgenluft als aura zu ihm zu kommen einladet, eifer- süchtig wähnt, er rufe einer heim- lichen Geliebten, so beweist gerade dies, wie fremdartig den Alten die Vorstellung einer personifizierten Aura war. Daher kann es auch nichts beweisen, wenn einmal ein Euripi- deischer Chor die Seebrise als Aura anruft; denn das ist ein vereinzelter dichterischer Einfall. Ohne Zweifel haben wir es bei Plinius mit einer römischen Umdeutung oder Falschdeutung zu tun, wofür es auch sonst an Beispielen nicht fehlt. Was die Statuen in Wirklichkeit vorstellten, ist, da wir sie nicht mehr vor Augen haben, schwer zu sagen. Wenn sie wie die übrigen an jener Stelle aufgezählten Bildwerke hellenistisch waren, so könn- ten es ganz gut Anatole und Dysis gewesen sein; denn diese Personifikation kann ganz wohl schon in hellenistischer Zeit geschaffen worden sein, und die Zweizahl scheint diese Annahme zu empfehlen. Aber es könnte auch sein, daß die beiden Statuen in die- selbe Kategorie gehörten wie die sog. Nereiden von Xanthos, auf deren richtige Benennung wir weiter unten eingehen werden und die man auf Grund der Pliniusstelle gleichfalls für Aurae erklärt hat. Den bogenförmig geblähten Mantel als Andeutung des Him- melsgewölbes hat die römische Kunst auch dem personi- fizierten Himmel, dem Caelus, der ihre ureigene Schöp- fung ist, gegeben; meist läßt sie ihn nur bis zur Brust sichtbar sein und stellt ihn bald bärtig, bald unbärtig dar (s. oben Abb. 34 und 36). Zum festen Figurenbestand der römischen Kunst gehören ferner Abb. 38. Naturpersonifikation en 53 die Winde, die sie als geflügelte Männer oder Knaben darstellt und in ein Muschelhorn blasen läßt. Die griechische Kunst hat diese zuerst in den Odysseeillustrationen personifiziert; denn Boreas als Räuber der attischen Königstochter Oreithyia gehört mehr zu den mythologischen Figuren als zu den Personifikationen. Nur Iris, obgleich schon der Etymologie nach der personifizierte Regenbogen, wird vor der byzantinischen Epoche zur Dar- Abb. 39. Stellung der atmosphärischen Erscheinung, deren Namen sie trägt, nie ver- wandt; nur in dem Bogen, den sie auf der Pariser Gigantenvase (Abb. 14) führt, haben wir eine versteckte xAmspielung auf ihre ursprüngliche Natur gefunden. Aber schon das Epos hat ihr viel zu sehr den Stempel der Per- sönlichkeit aufgedrückt, sie zu eng mit den Olympiern verkettet, als daß sie wieder bloße Naturpersonifikation werden könnte. Eine besondere Vorliebe haben ferner die Römer für die Personifikationen des Meeres und des Landes. Jenes vertritt entweder Okeanos oder seine Gattin Tethys, beide durch 54 Das Benennen der Figuren Ruder, Seedrache, Delphin, auch wohl durch Krebsscheren am Kopf, ge- kennzeichnet. Auch diese sind der griechischen Kunst so gut wie fremd; denn daß beide mit anderen Titanen, die hier zum ersten und meist zum ein- zigen Male im Bilde dargestellt werden, am pergamenischen Altar mitkämpfen, ist ein Ausnahmefall. Doch haben wir von Okeanos aus hellenistischer Zeit eine reizvolle Darstellung auf einem Klappspiegel, wo die Personifikationen der drei den Alten bekannten Erdteile an seinem Busen ruhen, Europa und Asien nebeneinander auf der einen, Libyen isoliert auf der anderen Seite (Abb. 39). Tellus wird teils durch ihre gelagerte Stellung, teils durch Attribute, Füllhorn, Ähren, Mohn, Bekränzung, kenntlich gemacht (s. oben Abb. 34 und 36); meist ist sie von einer oder mehreren Putten umspielt, die gern in der Vierzahl erscheinen und dann durch Attribute als die Jahreszeiten charakterisiert werden. Denn auch diese sind ein Lieblingsthema der römischen Kunst. Sie bildet sie bald als geflügelte oder ungeflügelte Knaben, bald als Mädchen, die die Erzeugnisse der von ihnen repräsentierten Jahres- zeit tragen, wie sie zum erstenmal im dritten Jahrhundert in der großen Dionysischen Pompe des Ptolemaios Philadelphos aufgetreten waren, unter- scheidet sie auch durch die leichtere oder schwerere Gewandung. In der beistehenden, einem Sarkophag ent- nommenen Gruppe (Abb. 40) schreitet Abb4°- der Winter mit dem Wildpret und dem Geflügel seiner Jahreszeit voran; es folgt der Herbst mit mancherlei Früchten in einer Schüssel und einem jungen Ziegenböckchen, der Sommer mit einem Blumenkranz, den Beschluß macht der Frühling, der Oliven trägt, deren feinste Sorte in dieser Jahreszeit reif wird. Im Gegensatz zur römischen empfindet die griechische Kunst ihre Erdgöttin Gaia viel mehr als göttliche Person. Meist läßt sie sie nur bis zur Brust oder zu den Knieen aus dem Boden aufsteigen, so wenn sie den kleinen Erich- thonios der Athene übergibt (s. o. Abb. 21) oder für ihre Söhne, die Giganten, um Gnade fleht, ein Typus, den hier und da auch die römische Kunst noch beibehält. In ganzer Figur erscheint Gaia auf einigen älteren Darstellungen der Gigantomachie und wenn sie mit ihrem Sohne Tityos, der sich an Leto vergriffen hat, von den rächenden Pfeilen Apollons bedroht wird. Zum Figureninventar der römischen Kunst gehören auch Berg- und Fluß- Xaturpersonifikationen 55 götter, die sie überall zur Raumfüllung anzubringen liebt, mögen sie nun passen oder nicht, und die in den seltensten Fällen individuell zu benennen sind, wie der Kaukasos in Prometheus-, der Eridanos in Phaethondarstel- lungen. Der Flußgott wird, wie Tellus, durch seine gelagerte Stellung und durch seine Attribute, Urne und Schilf, kenntlich gemacht, der Berggott durch seinen Platz in der Höhe ; meist faßt er einen Baumstamm oder hält einen Ast, auch, wie wir oben Abb. 2 sahen, ein Füllhorn als Anspielung auf die Gebirgswässer, oder es ist ihm, um denselben Gedanken auszudrücken, eine Ouellnymphe zugesellt, die durch die Wasserurne als solche charakte- risiert ist. Meist sind auch diese Nymphen konventionelle, abgebrauchte Figuren. Eine Ausnahme bildet die Abb. 41 wiedergegebene Eckgruppe eines Sarkophags, wo Baum und Quelle als zwei Nymphen personifiziert sind, die eine durch volle Gewandung und Blätterkranz, die andere durch Entblößung, Urne und Schilf vorzüglich charakterisiert. Der griechischen Kunst sind in ihrer Blütezeit Personifikationen von Bergen völlig fremd, denn der Knabe auf der Ficoro- nischen Cista, den man immer wieder als Berg- gott bezeichnen hört, ist, wie schon die Bulla und die Tänie in seiner Hand lehren, Hylas. Und doch hat schon Korinna den Kithairon und den Helikon als Götter gekannt. Aber aus dem dritten Jahrhundert besitzen wir ge- rade vom Helikon eine vorzügliche, im Musenheiligtum von Thespiai ge- fundene Darstellung, so daß die Benennung schon durch diesen Aufstel- lungsort feststände, auch wenn nicht die an tieferer Stelle auf dem Votiv- relief angebrachte Inschrift ausdrücklich des Helikon Erwähnung täte (Abb. 42). Der im Kyklopentypus gebildete Berggott kommt nur bis zur Brust aus dem Gipfel seines Gebirges zum Vorschein, sei es, daß man ihn sich wie Gaia auftauchend denken soll, sei es, daß sein Unter- körper in das Gebirge verwandelt ist, was dem von Korinna erzählten Mythos entsprechen würde. Ungefähr in dieselbe Zeit gehört das Perga- menische Prometheusrelief, auf dem bei der Befreiung des Prometheus der personifizierte Kaukasos zugegen ist, kenntlich gemacht lediglich durch den dargestellten Vorgang. Flußgötter, die gleichfalls erst in der hellenistischen Zeit häufiger werden, finden sich doch wenigstens einmal 56 Das Benennen der Figuren bereits im fünften Jahrhundert im Westgiebel des Parthenon, wo sie in genialer Weise zur Ausfüllung der Ecken verwandt sind. Wie meisterhaft ihre Wesenheit, ohne Attribute, die wenigstens jetzt fehlen und wahr- scheinlich niemals vorhanden waren, zum Ausdruck gebracht ist, zeigt Abb. 43. 44. Hart* an dem plastisch angegebenen Uferrand ist der Jüng- lingskörper so ausgestreckt, daß das linke Bein noch vor diesem Rand, also im Wasser ruht. Auf der Rück- seite erscheint der Uferrand wellig, als ob er vom Wasser umspült wäre. Die Falten der Chlamys wirken wie Wellen, namentlich im Rücken. Aber auch die Körperformen haben etwas, das an leicht bewegte Wellen erin- nert, so daß man auf die Figur das für die Eurotasstatue des Eutychi- des geprägte Wort anwenden kann: »Flüssiger als der Fluß selbst. « Bis vor wenigen Minuten lag er noch be- haglich da; jetzt hat ihn die erregte Szene in der Mitte, der auf seinen Höhepunkt angelangte Streit zwi- schen Athene und Poseidon, aus sei- ner Ruhe aufgeschreckt. Nun richtet er sich langsam auf, indem er sich auf den linken Arm stützt, dreht den Körper in den Hüften nach rechts und wandte, wie die Stellung der Hals- muskeln erkennen läßt, auch den Kopf nach derselben Seite. Ganz erheben kann er sich nicht ; denn er ist an sein Abb. 42. Element gefesselt. Kann man einen Flußgott glänzender charakterisieren? Aber freilich, nur daß wir einen Fluß- gott vor uns haben, erkennen wir durch die aufmerksame Betrachtung der Naturpersonifikationen 57 Figur ; seinen Namen müssen wir auf anders Weise zu ermitteln suchen. Zu- nächst stellen wir fest, daß es ein Fluß der attischen Ebene sein muß. Denn der Vorgang in der Mitte spielt auf der athenischen Akropolis, und nur durch Abb. 43. Abb. 44. eine Figur von ihm getrennt finden wir rechts von dem Flußgott den König Kekrops und seine Kinder. Von Flüssen der attischen Ebene kommen in Betracht der im Westen fließende Kephisos mit seinem Nebenfluß, dem von Pjg Das Benennen der Figuren Dörpfeld wieder entdeckten Eridanos, und der im Osten fließende Ilisos, in dessen Flußbett die Quelle Kallirrhoe entspringt. Blicken wir in die rechte Ecke des Giebels, so finden wir dort auf Faidherbes Zeichnung zwei Figuren, von denen heute nur noch jammervolle Reste erhalten sind, ein gelagertes Mädchen und einen knienden Jüngling (Abb. 45). Daß das Figuren von gleicher Wesenheit sein müssen, wie der Flußgott, dessen Namen. wir frjWrgL,* , - ■ -^ suchen, versteht sich von selbst. Bio, C'--^ Daraus ergibt sich der natürlich schon ■RkJ^^-^V1^ '- längst gezogene Schluß, daß das Mäd- chen die Quelle Kallirrhoe, der Jüng- ling der Fluß Ilisos ist. Also bleibt für den Flußgott der linken Ecke nur die Wahl zwischen Kephisos und Eridanos, und man wird zunächst geneigt sein, sich für den Hauptfluß zu entscheiden, nicht für den Nebenfluß. Nun fehlt aber, wie bereits bemerkt, zwischen 'dem gelagerten Flußgott und der Kekropsgruppe eine Figur, und diese hat Bruno Sauer äußerst glücklich in einem noch heute auf der Akro- polis befindlichen Torso wiedererkannt, der, nach sicheren Merkmalen er- gänzt, eine ähnliche Stellung erhält wie der Ilisos. Wir haben also in der linken Ecke zwei Flußgötter, natürlich den Kephisos und den Eridanos, und da rechts der Hauptfluß die zweite Stelle einnimmt, werden wir das auch für die linke Ecke annehmen. Folglich ist der Sauersche Torso der Kephisos, der gelagerte Flußgott, von dem unsere Betrachtung ausgegangen ist, der Eridanos. Indessen nicht auf dem von uns eingeschlagenen Wege, oder wenigstens nicht auf diesem Wege allein, hat man die Figur als Flußgott erkannt. Ein entscheidendes Gewicht hat man auch dem Umstand beigelegt, daß nach Angabe des Pausanias im Ostgiebel von Olympia die Ecken von Fluß- göttern eingenommen waren. Man hat also die Parthenonfigur nicht nur aus' sich selbst, man hat sie auch aus der Analogie gedeutet, wogegen an sich nichts einzuwenden wäre, wenn man sich dabei nur bewußt bleibt, daß jenes von primärer, dieses nur von sekundärer Bedeutung ist. Das hat man aber nicht getan. Der Ostgiebel von Olympia wurde gefunden; es stellte sich heraus, daß die Eckfiguren keine Flußgötter sind, daß Pau- sanias falsch gedeutet hat oder einer falschen Deutung gefolgt ist, und nun zog man, trotz des Augenscheins, den Schluß, auch im Westgiebel des Parthenon seien die Eckfiguren keine Flußgötter. Ich erzähle diese Ge- Personifikationen -abstrakter Beerifte 59 schichte, weil man etwas aus ihr lernen kann. Es kommt nämlich öfters in der Wissenschaft vor, daß auf einem Irrtum sich die Wahrheit aufbaut. Die richtige Methode der Sarkophaginterpretation hat zuerst Welcker an den Iphigenien-Sarkophagen gelehrt. iVber seine Deutungen waren zum Teil falsch. Daraus sieht man, daß es in der Wissenschaft unendlich mehr auf die Methode als auf die augenblicklichen Resultate ankommt. Unter den Personifikationen abstrakter Begriffe, zu denen wir uns nun- mehr wenden, haben sich Hebe schon durch das Epos, Nike und Eros seit dem fünften Jahrhundert als ausgeprägte Individualitäten in dem Kreis der Olympier ihren Platz erobert, wenn auch als Götter etwas niederen Grades. WTenn Eros und Nike an den Flügeln sofort kenntlich und deshalb schon oben besprochen sind, so ist Hebe, die ein einziges Mal gleichfalls Flügel hat, eigentlich nur durch die Nachbarschaft und höchstens auch die Ähn- lichkeit mit ihrer Mutter Hera kenntlich, wofür wir auf der Pariser Giganten- vase (Abb. 14) ein Beispiel gefunden haben. Die nächst verwandten Personifi- kationen von Alter, Schlaf und Tod, Geras, Hypnos und Thanatos, haben es zu so festen Persönlichkeiten nicht gebracht. Geras, der jüngeren Kunst völlig fremd, erscheint auch im sechsten und fünften Jahrhundert nur im Heraklesmythos, wo die ewige Jugend des Heros, wie sonst durch die Ver- mählung mit Hebe oder die Erlangung der Hesperidenäpfel, dadurch zum Ausdruck gebracht wird, daß er das personifizierte Alter durchprügelt oder verjagt (Abb. 46). Kenntlich ist das Alter durch seine eigenen Wirkun- gen gemacht, indem es als dürrer, gebrechlicher Greis dargestellt ist, also von den Gebresten, die es bringt, selbst betroffen, ein Verfahren, das sonst der griechischen Kunst fremd ist, aber in der römischen Verbildlichung des Winters seine Parallele hat, der nicht nur, wie schon bemerkt, in dicker Gewandung, sondern zuweilen selbst frierend dargestellt wird. Einmal er- scheint das Geras auch als häßlicher, geflügelter Knabe, aber mit den Zügen und dem abgemergelten Körper eines Greises. Für Thanatos und Hypnos, die stets in edler Bildung erscheinen, ist gerade die Beflügelung charakteri- stisch; aber kenntlich sind sie nur, abgesehen von der einmal erhaltenen Namensbeischrift des einen, aus ihrer Verrichtung, indem sie, im Anschluß Abb. 46. 60 Das Benennen der Figuren an eine berühmte Stelle der Ilias, den Toten forttragen oder zur ewigen Ruhe betten. Daß Thanatos einmal das Schwert als Attribut trägt, geht auf' einen Einfall des Tragikers Phrynichos zurück, den auch Euripides übernommen hat. Es wird damit auf das Abschneiden der Stirnlocke als Symbol der Todesweihe angespielt. Seit der hellenistischen Zeit verschwindet Thanatos fast völlig aus den Kunstdarstellungen. Dem bekannten Flügel- knaben mit gesenkter Fackel, der auf römischen Grabmälern so häufig ist, wird man einen griechischen Namen nicht geben dürfen und ihn, da das Genus verbietet ihn Mors zu nennen, als den trauernden Genius des Toten bezeichnen. Anders Hypnos. In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts hat ein uns unbekannter Künstler ihn in ausge- zeichneter Weise so charakterisiert, daß er ihn lautlos dahinschreitend aus einem Hörn den als Flüssigkeit gedachten Schlaf zur Erde nieder- träufeln läßt (Abb. 47). Die Flügel sind von den Schultern in stärkster Verkleinerung an die Schlä- fen als an die Stelle versetzt, wo sich die Müdig- keit zuerst bemerkbar macht ; aber er spendet nicht bloß, er empfindet auch selbst die Schläfrigkeit, ähnlich und doch nicht ganz so wie bei Geras, wo die Wirkung des Alterns auf andere nicht mit zum Ausdruck gebracht ist. Noch weiter geht die römische Kunst, die ihn häufig einschlummernd zeigt, ihn gerne als alten Mann bildet und ihn mit Schmetterlingsflügeln ausstattet, indem sie Schlafen und Wachen zu dem Einpuppen der Raupe und dem Ausfliegen des Schmetterlings in Parallele stellt. So ver- ständlich jener wandernde Hypnos selbst dem modernen Beschauer auf den ersten Blick ist, so schwer fällt es, dasselbe von dem geistreichen Ver- such Lysipps, der Personifikation des richtigen Moments, des Kairos, zu glauben, die wir nur aus spärlichen Nachbildungen und aus Beschreibungen kennen. Als einen Jüngling hatte ihn der Künstler gebildet, der auf den Zehen zu schleichen schien, aber durch die Beflügelung der Füße an- gedeutet, daß dies Schleichen vielmehr eine windschnelle Bewegung be- deuten soll; vorn hing sein Haar lang in die Stirn, der Hinterkopf war kahl; nur den herankommenden Moment kann man ergreifen, nicht den vorüber geeilten. Als Attribut trug die Figur ein Schermesser als An- Abb. Personifikationen abstrakter Begriffe 61 spielung auf die sprichwörtliche Redensart: »Die Sache steht auf des Messers Schneide. « Auch der antike Beschauer, dem diese Redens- art sowie die ganze Vorstellung geläufiger war als uns, wird ohne die Namensangabe, die in der Weihinschrift nicht gefehlt haben kann, die Bedeutung der Statue entweder gar nicht oder erst nach längerem Grübeln gefunden und eine Erklärung der Motive, wie sie uns das be- rühmte Epigramm des Poseidippos, in Form eines Zwiegesprächs zwischen der Statue und dem Betrachter bietet, schmerzlich vermißt haben. Lysipp hat hier mehr ein Rätsel auf- gegeben, als einen abstrakten Begriff klar ver- anschaulicht. Vortrefflich hingegen ist dem älteren Kephi- sodot die Personifikation des Reichtums ge- lungen. Er bildete diesen, den Plutos, als Knaben und gab ihm als Attribut das Füll- horn in die Hand, das der Unterweltsgott von Eleusis, wenn er als Reich- tumsspender, Pluton, gedacht ist, zu halten pflegt. Ist so der Knabe Plutos durch sein Attribut genugsam kenntlich gemacht, so wird es seine Pflege- mutter, die Personifikation des Friedens, Eirene, höchstens nur dadurch, daß sie diesen Knaben auf den Armen trägt. Doch dies ist ein hermeneutisch so interessanter Fall, daß wir einen Augenblick bei ihm verweilen müssen. Bekanntlich hat Brunn eine Nach- bildung der Kephisodotischen Eirene in einer Statue nachgewiesen, die aus Villa Al- bani in die Münchener Glyptothek gekom- men ist. Den Rest des Füllhorns hat der Restaurator nicht erkannt und daraus eine Gewandfalte gemacht, dem Knaben aber hat er ein kleines Kännchen in die Hand ge- geben (Abb. 48). Winckelmann ging von der Haarbinde der Eirene aus, kombinierte diese mit einem literarischen Zeugnis, wonach dies ein Attribut Abb. 48. Abb. 4Q. (32 Das Benennen der Figuren der Ino sei, und kam so zu seiner Deutung : Ino-Leukothea mit dem Bak- chosknaben. Diese Methode, die man einem Winckelmann noch verzeihen kann, wird sich uns unten als eine der verhängnisvollsten Fehlerquellen her- ausstellen. Brunn stellte die richtige Benennung mit Hilfe einer attischen Münze fest, die er mit einer Stelle des Pausanias in Zusammenhang brachte. An dem Füllhorn erkannte er den Plutos, die Benennung Eirene entnahm er dem Pausanias. Fragen wir nun, wie sich die Sache stellen würde, wenn uns das Werk des Pausanias nicht erhalten wäre, wir aber die Statue ent- weder selbst oder in einer genauen, wohlerhaltenen Kopie besäßen, also in dem Zustand, wie sie Münzen wiedergeben, deren eine Brunn zu seiner Ent- deckung geführt hat (Abb. 49). Plutos würden wir sofort richtig benennen, auch erkennen, daß die Frau in einem mütterlichen Verhältnis zu ihm steht; eine griechische Madonna hat man die Gruppe treffend genannt. Aber ob wir auch den. Namen Eirene finden würden? Ich zweifle sehr; wir würden doch die Trägerin des Kindes zunächst nicht für seine Pflegerin, sondern für seine Mutter halten und sie demgemäß Demeter nennen, von der im Anhang der Hesiodeischen Theogonie erzählt wird, daß sie dem Iasion den Plutos geboren habe. Die matronalen Formen würden uns in dieser Auffassung bestärkt haben, und auf einer Vase finden wir sogar die Eirenestatue des Kephisodot zur Erdgöttin umgebildet. Wenn uns nun jemand die richtige Benennung Eirene, unter Hinweis auf die Dichterstellen, wo diese entweder als Spenderin des Reichtums gepriesen wird oder Eirene und Plutos zwei nahverwandte, fast unzertrennliche Be- griffe sind, vorgeschlagen hätte, so würden wir ihm gewiß keinen Glauben geschenkt haben. Also dadurch, daß sie den Plutosknaben auf dem Arm trägt, wird die Göttin als Eirene noch nicht genügend kenntlich gemacht. Auch der antike Beschauer konnte diese Benennung nur aus dem Auf- stellungsort erschließen, was aber in diesem Fall nicht zuzutreffen scheint, oder aus der Weihinschrift kennen lernen. So vortrefflich also Kephisodot den Plutos charakterisiert hat, so wenig ist es ihm bei der Eirene gelungen. Oder richtiger werden wir sagen, die künstlerische Charakteristik dieser Figur war ihm gleichgültig; er verließ sich auf die Inschrift. Und damit steht er in seiner Epoche keineswegs allein. Die gleichzeitigen Vasenmaler, die Vertreter des blühenden Stiles, schwelgen förmlich in solchen Personifikationen abstrakter Begriffe, die sie bald unter sich allein, bald im Gefolge olympischer Gottheiten, bald als Hofstaat der Aphrodite darzu- stellen lieben, wie auf der Abb. 50 wiedergegebenen Dose des Britischen '1 'Y'^HUB *• ■ l^feü K5B 1 ü* '''SI^HS |SirG-§^5fe r»4 E1 C?^ Ml^MÜ^. i< 9hh^^* ^pra ■0? ^ Inp^H Ife-JBtJl IIev N KMli M JMB BW Personifikationen abstrakter Begriffe 63 Museums. Welche Figuren würden wir hier ohne die Beischriften benennen können? Zunächst wür- den wir Aphrodite in der schönen Frau zu erkennen haben, die die Zügel zweier vor ihren Wagen ge- spannten Eroten "hält. Aber daß nach dem Willen des Malers der eine dieser Eroten Pothos, »Liebes- verlangen«, der andere Hedylogos, »Süßwort« , heißen soll, kann kein hermeneutischer Scharfsinn erraten. Vielmehr würden wir den zweiten Eros oder Himeros » Liebesehnsücht « nennen ; denn diese drei For- men des Eros sind sonst die auf Vasen geläufigen; aber Himeros erscheint an einer anderen Stelle unter den Frauen, und Eros fehlt ganz oder, richtiger, wird durch Hedylogos vertreten. Doch dies neben- bei; denn obgleich auch diese Flügelknaben Perso- nifikationen abstrakter Begriffe sind, interessieren uns doch vor allem die Frauen. Von diesen hat die hinter Aphrodite stehende keinen Individualnamen ; der Maler hat nur seiner Befriedigung über die ihm besonders gelungen scheinende Figur durch die Bei- schrift »schön« Ausdruck gegeben. Die übrigen heißen Harmonia, Eudaimonia, Paidia, Eunomia und Hygieia, »Eintracht, Glückseligkeit, Spiel, Ord- nung und Gesundheit« und sind zusammen mit Himeros zu beiden Seiten der von Aphrodite, ihrem Erotengespann und der »Schönen« gebildeten Gruppe zu zwei Gruppen von je drei Figuren geordnet. Beim Aufrollen des Zylindermantels hätte also der Schnitt zwischen Eudaimonia und Paidia ge- macht werden sollen, nicht zwischen Eunomia und Hygieia. Links finden wir demnach Harmonia, Himeros und Eudaimonia, rechts Hygieia, Eunomia und Paidia, und zwar die sitzende Figur dieser Drei- heiten hier in der Mitte, dort an der Ecke der Gruppe. Kein divinatorischer Scharfsinn wäre imstande ge- wesen, diese Namen zu erraten. Und gesetzt, wir wüßten die Namen der Personifikationen, die der 64 Das Benennen der Figuren Maler hat darstellen wollen, nicht if v *mfr. &3 «»»»««1/^ Ä- > *T^. -GS * ä iV t S*r * 1 w :\ *••'> aber zu welchen Figuren sie gehören, so würde auch die richtige Verteilung ein Ding der Unmöglichkeit sein. Denn alle diese Göttinnen sind ganz gleichartig als schöne Frauen und Mädchen mit Schmucksachen und Zweigen, d. h. offenen, noch nicht geschlossenen Kränzen, dargestellt. Höchstens könnte man eine Pointe darin suchen, daß die beiden sitzen- den Göttinnen Harmonia und Eudai- monia Vertreterinnen ethischer Be- griffe sind ; aber wer weiß, ob wir dies nicht gegen die Absicht des Malers hineintragen. So viel steht zweifellos fest, daß dieser auf jede individuelle Charakterisierung verzichtet hat. Und so sind wir auch in großer Verlegen- i lieit, wenn wir sagen sollen, wie das ■£■ Mädchen, ohne Zweifel auch die Per- Bonifikation eines abstrakten Be- griffes, heißt, das mit Dionysos auf der Neapler Vase, die den Gott im Kreise der Schauspieler und des Chors eines Satyrspiels zeigt, das Lager teilt (Abb. 51). Allen Figuren hat der Maler ihre Namen beigeschrieben, nur den Schauspielern nicht und nicht diesem Mädchen. Ferner werden aucli die einzelnen Gattungen des Dramas schon im fünften Jahrhundert perso- nifiziert, Tragödie und Satyrspiel als Glieder des bakchischen Thiasos und als solche von gewöhnlichen Bak- chantinnen nicht zu unterscheiden; dieses z. B. auf einer attischen Vase. wo der sie begleitende Satyr nach dem Personifikationen von Dichtungsarten 65 ®gBgmmmtä!R& r+suaiüiisiEa \ berühmten Komikei Eupolis getaufl ist (Abb. 52), I ragoedia gai nicht ihrem Charakter entsprechend, vielmehr spielerisch mit einem Häschen auf der Hand, das Männchen tnachl auf einer Vase aus dei Mitte des fünften Jahrhunderts (Abb. 53), wo dei Komos als Satyrknabe personifiziert ist, demDionysos aus seinem Kantharos bu trinken gibt. Und ebensowenig ihrem Charaktei entsprechend, aber unendlich groß M 1 igei finden w ii die Bakchanl in 1 1 a godia .ml einei Vase des blühenden Stils in völliger Nacktheil vom Choi (.in/ n müdel .uii einem Felssit z ein geschlafen und von einem lüsternen Satyi beschlichen (Abb. 54). (ibe\ auf der Neaplei Vase handelt es si< h nichl um die rragoedie, londern um das Satyrspiel, und wii müßten die Geliebte des Dionysos unbenannl lassen, wenn uns nichl ein Parallelmonument belehrte, daß in ihi Paidia zu ei kennen ist, die wi] auch auf dei i\ xis Vbb. Sogefunden haben, wo sie abei das Spiel im weitesten Umfang des Begriffs repräsentiei 1 M.I.. J3 66 Das Benennen der Figuren Solcher Verzicht, auf genauere Charakteristik dieser Kategorie von Personi- fikationen ist nach der hellenistischen Kunst eigentümlich. Auf dem Relief des Archelaos von Priene bringen solche Personifikationen dem vergöttlichten Homer in seinem ihm eben von Ptolemaios Philopator in Alexandreia erbauten Tempel ein Opfer dar (Abb. 55). Daß die beiden Frauen, die betend ihre Rechte er- heben, die Tragödie und die Komödie sind, erkennen wir auch ohne die Bei- schriften, aus ihren Mas- ken und aus ihrem Bühnen- kostüm. Aber wer würde ohne die Beischriften er- raten, daß die Weihrauch auf den Altar streuende Priesterin die. Historia — nicht im heutigen Sinne der Geschichtskunde, sondern in dem damaligen weiteren der Wissenschaft überhaupt — , daß der ministrierende Knabe der Mythos, die Fackelhalterin die Poiesis, die aus einem Mädchen und vier Frauen gebildete Corona die Physis, Arete, Mneme, Pistis und Sophia, also die Eigenschaften, die zu einem großen Abb. 54. Abb. 55. Die Apotheose des Homer Qf Dichter gehören, vorstellen sollen, nämlich die Naturanlage, den Charakter, das Gedächtnis, die Glaubwürdigkeit und die Weisheit. Kann man doch zweifelhaft sein, wie die vier letzten untereinander geschriebenen Namen auf die beiden staffelartig angeordneten Frauenpaare zu verteilen sind, bis man gewahr wird, daß wenigstens die Pistis durch den an den Mund gelegten Finger charakterisiert ist. Also ist Sophia ihre Nachbarin, die das Kinn mit der Hand stützt und deren Haupt wahrscheinlich mit Recht verschleiert ergänzt worden ist, Arete die Frau, die mit der Rechten das Gewand emporhebt, Mneme die mit dem naiven Mädchenkopf. Auch auf die das Kultbild des Homer umgebenden Personifikationen empfiehlt es sich noch einen Blick zu werfen, obgleich sie zum Teil in andere Kategorien gehören. Haben wir schon im fünften und vierten Jahrhundert Per- sonifikationen zweier Gattungen des attischen Dramas konstatieren kön- nen, so finden wir hier solche bestimmter Dichtungswerke. Zu beiden Seiten von Homers Götterthron kniet je ein Mädchen, das eine mit einem Schwert in der Rechten, das andere mit der Linken ein Aphlaston, die übliche Verzierung eines Schiffshecks, emporhebend. Durch diese Attribute sowie durch den Platz zu Seiten Homers sind sie auch ohne die Beischriften als Ilias und Odyssee charakterisiert. Archelaos hat sich aber noch weiter den Scherz gemacht, durch einen Frosch und eine Maus, die er unter dem Schemel des Kultbildes angebracht hat, auf die Batrachomyiomachie anzuspielen. Viel großartiger noch und zugleich charakteristischer erscheinen die Personi- fikationen der beiden Homerischen Epen auf einem pompeianischen Silber- becher, wo der Dichter von einem mächtigen Adler zum Himmel empor- getragen wird (Abb. 56). Im Geschmack der Augusteischen Zeit entwickelt sich au3 den Schwanzfedern des Adlers ein Rankenwerk, das den Becher überspinnt, und auf dem links die Ilias mit Helm, Schild, Speer und Schwert, rechts die Odyssee mit Pileus, Ruder und Schwert sitzen; diese bringt, das Haupt traurig in die Hand gesenkt, das Heimweh ihres Helden zum Aus- druck. Hier bedarf es wirklich keiner Beischriften. Zur Zeit des Kaisers Hadrian hat der athenische Bildhauer Iason Ilias und Odyssee als gepan- zerte Jungfrauen dargestellt und leztere daran kenntlich gemacht, daß er an ihrem Panzer Skylla und die Sirenen, den Kopf des Polyphem und den eines Windgottes angebracht. Daraus ergibt sich die Deutung des Pendants als Ilias von selbst, und es ist nicht nötig, daß sie, wie man angenommen hat zu beiden Seiten einer Homerstatue aufgestellt waren, um sie kenntlich zu machen. Wahrscheinlich ist dies aber aus anderen Gründen allerdings, 5* 68 Das Benennen der Figuren zumal auch auf der Schmalseite eines jetzt zertrümmerten, aber in der Renaissance noch vollständig erhaltenen Musensarkophags Homer zwischen Abb. 56. Ilias und Odyssee dargestellt war. Um zum Relief des Archelaos zurück- zukehren, so finden wir dort hinter dem Kultbild Homers noch die Per- sonifikationen von Zeit und Raum mit den Zügen des Königs Ptolemaios Philopator und seiner Gemahlin Arsinoe. Die Zeit, Chronos, ist nur durch große Schulterflügel charakterisiert, und wir würden sie ohne die Bei- schrift kaum benennen können. Ist das aber einmal geschehen, so ver- stehen wir auch die Bücherrolle, die sie mit der rechten Hand empor- hebt. Es ist nicht ein Attribut des Chronos, wie man auf den ersten Blick vielleicht meinen könnte, sondern es sind die Dichtungen Homers, die der Gott der Zeit in treue Obhut genommen hat und vor der Vergessenheit bewahren wird. Der Raum ist als Personifikation der Oikumene, d. h. des bewohnten Teils der Erde, dargestellt. Ihr Attribut ist ein ungewöhnlich hoher cylinderförmiger Kopfputz, die alte "Krone vornehmer Göttinnen, den diese auch von der römischen Kunst übernommene Personifikation auch dort zu tragen pflegt. Wenn sie dem Homer einen Kranz aufsetzt, so soll damit ausgedrückt sein, daß die ganze kultivierte Welt dem Dichter huldigt. Wenn in der römischen Kunst die Personifikationen abstrakter Begriffe deutlicher charakterisiert werden und viel mehr wie Individuen erscheinen, als wie Begriffe, so hängt das damit zusammen, daß in der römischen Personifikationen abstrakter Begriffe 69 Religion die Abstraktionen eine viel größere Rolle spielen als in der griechi- schen. Als Beispiel genügt es, das seit dem Ausgang des dritten vorchrist- lichen Jahrhunderts vor allem von den großen Feldherren Roms hochgefeierte Götterpaar Honos und Virtus anzuführen, für das sich bald ein fester, doch Abb. 57. wohl auf die Kultbilder zurückgehender Typus ausgebildet hat; Honos wird als bekränzter Jüngling mit Füllhorn und Speer, Virtus im Amazonen- typus mit hohen Stiefeln dargestellt. So zeigt sie eine Münze des Galba (s \bb 57), und so schreiten sie am Titusbogen zu beiden Seiten des Triumph- wagens. Außerdem erscheint Virtus auf den Sarkophagen regelmäßig zur Seite der Jäger, sowohl gewöhnlicher wie heroischer; so auf dem berühmten Pisaner Sarkophag neben Hippolytos (Abb. 58). Zuweilen ist auch dort 70 Das Benennen der Figuren Abb. 58. Hönos ihr Begleiter, wie auf einem Theseussarkophag des dritten Jahr- hunderts, wo beide hinter dem Helden erscheinen, als dieser vor Minos tritt, um sich zum Kampf mit dem Mino- tauros zu melden, während zugleich Athene und Aphrodite ihm schützend zur Seite stehen (Abb. 59). Eine römische Eigentümlichkeit ist, daß die ethischen abstrakten Begriffe nicht bloß im allgemeinen, sondern auch im engeren Sinn mit Bezug auf ein einzelnes Individuum personifiziert werden können. Wie es eineCon- cordia Augustorum und eine Pietas Augusta gibt, die, da es sich hier um den Kaiser und seine Familie handelt, auch Kult genießen, so spricht man auch von einer Virtus Quinti und einer Sapientia Titi. Wir haben diese in- teressante Tatsache erst vor wenigen Jahren durch die österreichischen Ausgrabungen in Ephesos kennen gelernt; diese haben eine von Ti. Iulius Celsus Polemaeanus und seinen Nachkommen im zweiten nachchristlichen Jahrhundert erbaute Bibliothek aufgedeckt, an deren Fassade in Nischen die Personifikationen ' der Tugenden des Stifters, seine Arete, seine Sophia, seine Episteme aufgestellt wa- ren. Zwar sind nur die Ba- sen mit den Aufschriften, nicht die zugehörigen Sta- tuen gefunden worden, aber schon diese genügen, um erkennen zu lassen, daß die bisher rätselhaften Frauen- figuren, die auf den Säulen- sarkophagen die Seiten- nischen neben den Porträtstatuen des in dem Sarkophag beigesetzten Ehepaars füllen, die Tugenden dieses Ehepaars repräsentieren. Neben den Personifikationen der Natur in ihren verschiedenen Formen Abb. 59. Personifikationen ethischer und politischer Begriffe 71 und Erscheinungen und denen abstrakter Begriffe gibt es noch eine dritte "Kategorie, die wir die politische nennen wollen; denn wenn auch dieser Name nicht umfassend genug ist, so wird doch damit der Ausgangspunkt bezeichnet. Es handelt sich nämlich um die Personifikation des Staates oder, was bei den Griechen dasselbe ist, der Stadt. In älterer Zeit wird diese durch ihre Hauptgottheit repräsentiert : Athene vertritt Athen, Hera- kles Theben. Aber im vierten Jahrhundert machte sich zum erstenmal bei der Gründung von Megalopolis, bei der vierzig Gaue und Gemeinden mit natür- lich verschiedenen Hauptgottheiten beteiligt waren, das Bedürfnis geltend, die Stadt selbst zu personifizieren und damit gewissermaßen eine neutrale Gottheit zu schaffen. Doch nannte man diese nicht Megalopolis, sondern die Tyche von Megalopolis ; auch erhielt sie keinen eigenen Tempel, sondern wurde in dem des Zeus Soter als Standbild zur Seite des Sitzbilds dieses Gottes aufgestellt, als Pendant zu der auf der anderen Seite stehenden Artemis Soteira. Ob sie durch ein Attribut, etwa das Füllhorn, charakterisiert war, ist nicht überliefert. Auch als es in der Diadochenzeit galt, das neugegrün- dete Antiocheia am Orontes zu personifizieren, diesmal aber als Kultbild für einen eigenen präch- tigen Tempel, nannte man diese Gottheit die Tyche von Antiocheia. Lysipps genialster Schüler, Eutychides, der mit dieser Aufgabe betraut war, versuchte mit Glück die Personifikation dadurch zu charakterisieren, daß er die landschaftliche Lage der Stadt in ihr zum Ausdruck brachte, wo- mit er zugleich dem aus der Tiefe des Empfin- dens mehr an die Oberfläche tretenden Natur- gefühl der Diadochenzeit Rechnung trug. Die Tyche, die ich hier lieber nach einem der Münzbilder (Abb. 60), als nach der in Einzelheiten abweichenden und von dem Ergänzer entstellten kleinen Kopie im Vatikanischen Museum hersetze, sitzt auf dem Berg Silpios, während zu ihren Füßen der Flußgott Orontes mit Schwimmbewegungen aus dem Felsen auftaucht. Ähren in ihrer Rechten deuteten die Frucht- barkeit der Gegend an ; der Münzschneider hat sie durch eine Siegespalme ersetzt; eine Mauerkrone bezeichnet sie als Stadtgottheit. Später wird die Maske der Tyche abgeworfen und die Stadt selbst als Personifikation ge- dacht, die man so gut es gehen will durch Attribute charakterisiert, wobei es freilich vom Zufall abhing, ob die Lage, die Bauwerke, die Abb. 60. 72 Das Benennen der Figuren politische und nationalökonomische Stellung solche an die Hand gaben. Nicht jede Stadt war in der glücklichen Lage wie Alexandreia, die in dem Pharus ein Attri- but ersten Ranges be- saß. Die römische Kunst bringt in ihrer Stadt- göttin Roma vor allem den kriegerischen Cha- rakter zum Ausdruck, so daß sie bald einer Amazone, bald der oben besprochenen Virtus, bald der Athene ähnlich sieht, vor allem in dem Sitzbild des Hadriani- schen Tempels, das von dem Zeus und der Par- thenos des Pheidias stark beeinflußt ist. Von der außerordentlichen Be- liebtheit solcher Städte- personifikationen bei den Römern legt ein ein- dringliches Zeugnis ab ein Sarkophag des drit- ten Jahrhunderts, auf dem das darin bestattete Ehepaar , das Porträt- züge erhalten sollte, als Ostia und Portus dar- gestellt wird (Abb. 61). Ostia, die Frau, sitzt auf dem Oberschenkel der personifizierten Meeres- küste, Ora maritima, die Personifikationen von Städten sehr geschickt durch eine Muschel in ihrer Linken sowie dadurch kenntlich gemacht ist, daß sie den linken Fuß ins Wasser hängen Laßt, während ihr rechter ausgestreckt auf dem Uferrande ruht; Portus, ihr Gatte, hält Abb. 63. ha Das Benennen der Figuren sich mit der Linken an einem neben ihm wurzelnden Rebstock, an dem zwei Putten hinaufgeklettert sind; das Attribut, das er in der erhobenen Rechten hielt, war schon bei der Auffindung abgebrochen, aber ein dem Sarkophag etwa gleichzeitiges antikes Gemälde (Abb. 62), auf dem die- selbe Gruppe, natürlich jedoch nicht als Porträts, wiederkehrt, lehrt uns, daß es ein Trinkhorn war, aus dem er eine Flüssigkeit in die Muscttel der Ora maritima eingießt. Wir haben die Deutung vorweggenommen, jetzt müssen wir sie begründen, oder vielmehr haben wir zu fragen, wodurch es dem Künstler gelungen ist, die Frau als Ostia, den Mann als Portus kenntlich zu machen. Wenn die Frau im Schöße der Ora maritima sitzt, so ergibt sich daraus, daß sie eine Küstenstadt repräsen- tiert, wenn der Mann der Ora maritima etwas eingießt, so schließen wir daraus, daß auch er die Personifikation einer an der Küste oder in ihrer Nähe gelegenen Örtlichkeit darstellt, nicht etwa, woran der An- fänger denken könnte, Dionysos; denn dieser ist in der Kaiserzeit ohne den Thyrsos, den der Rebstock nicht ersetzen kann, undenkbar. Eher könnte man an einen Flußgott denken, dessen Münden in das Meer durch das Eingießen symbolisiert wäre, aber dem widerspricht der Rebstock. Hätten wir also nur diese Gruppe vor uns, wie auf dem Gemälde, so müßten wir auf eine bestimmte Benennung verzichten, aber der Verfertiger des Sarkophags hat durch Anbringung von mancherlei Beiwerk dafür gesorgt, daß wir über die Namen nicht im Zweifel sein können. Neben einer Anzahl von Barken, die, mit Putten besetzt, das lustige Treiben an der Meeresküste vorführen sollen, finden wir links auch ein größeres Schiff, dessen Herr durch den Pileus und den Kopftypus als Odysseus gekennzeichnet ist. Da- durch kommen wir schon einen Schritt weiter. Es muß eine Küste sein, die Odysseus auf seinen Irrfahrten passiert, und so lenkt sich unsere Auf- merksamkeit zunächst auf Kampanien, wo man das Kirke- und Sirenen- abenteuer lokalisiert hat. Aber bei einem römischen Bildwerk kommt auch der mittlere und nördliche Teil der italischen Westküste in Be- tracht, da die etruskische Sage den Odysseus nach Etrurien gelangen und dort sein Ende finden ließ. Nun hat aber der Künstler im Hintergrunde auch noch ein ausführliches Stadtbild angebracht, das der Leuchtturm unverkennbar als einen Hafen charakterisiert. Ist es möglich, diese Hafen- stadt zu identifizieren, so ist damit auch der Name der im Schöße der Ora maritima ruhenden Frau gefunden. Und es ist möglich. Auf einem Relief im Palazzo Torlonia (Abb. 63), das notorisch den Hafen von Ostia dar- Ostia und Portus 75 stellt, bemerken wir rechts einen von einer Elefantenquadriga gekrönten Triumphbogen, links ein Kultbild der Fortuna, beide ins Profil gestellt. Offenbar gehören sie zu den Wahrzeichen von Ostia. Derselbe Bogen und dasselbe Fortunabild finden sich, jedoch in Vorderansicht, auf dem Sarkophag nicht weit von der rechten Ecke. Unter den übrigen dort dar- gestellten Gebäuden fallen am meisten in die Augen links zwei Tempel, rechts, neben dem Elefantenbogen, ein Theater. Bei Tempeldarstellungen pflegt die römische Kunst, um ihrem Beschauer die richtige Benennung zu ermöglichen, die Kultbilder aus dem Innern vor die Fassade zu ver- setzen. So auch hier; wir erkennen daraus, daß der erste Tempel der großen Götierniutter, der zweite der Isis geweiht war. Nun, sowohl diese beiden Tempel als das Theater sind durch die außerordentlich verdienstlichen und ergebnisreichen Ausgrabungen von Ostia zutage gefördert worden. Damit ist die Benennung der Frau als Ostia gesichert. Als der Hafen von Ostia versandete, ließ Kaiser Claudius in der Nähe den Portus Augusti anlegen, den Traian erweiterte. Weiß man das, so ist auch plie Benennung der männlichen Personifikation gegeben; es ist der Portus Augusti oder Portus schlechthin, das heutige Porto. Und nun erkennen wir, daß hier tatsächlich eine Allegorie vorliegt : der neue Hafen schenkt der versandeten Meeresküste zu trinken ein. Wenn ferner in der Richtung von Portus her ein Amor mit gespanntem Bogen auf Ostia zufliegt, so wird damit an- gedeutet, daß das Verhältnis zwischen beiden ein bräutliches ist, wie zwi- schen den menschlichen Ehegatten, deren Züge sie tragen; und dasselbe bedeuten die in dem Rebstock neben Portus spielenden Eroten. Noch ein Wort über den links von der Hauptgruppe angebrachten Caelus, der abweichend von dem gewöhnlichen Typus nicht mit bogenförmig über dem Kopf gewölbten Mantel dargestellt ist, sondern, indem er den einen Zipfel weit zur Seite ausstreckt, aus seinen Falten ein Vogelpaar, eher Tauben als Adler, hervorfliegen läßt, ein glückliches Wahrzeichen für das Braut- paar, zu dem hin der Flug gerichtet ist. Dem Irrtum, als ob dies Zeichen dem Odysseus gelte, hat der Bildhauer dadurch vorzubeugen gesucht, daß er diesen nicht auf die Adler, sondern auf das Brautpaar zurückblicken läßt. Auch er zollt dem neuen Bunde seine Bewunderung, freilich für pedantische Seelen ein unerhörter Anachronismus, aber ein künstlerisch durchaus gerechtfertigter, zu dem wir im weiteren Verlauf unserer Be- trachtungen noch mancherlei Analogien finden werden. Mit den Städtepersonifikationen eng verwandt sind die Personifikationen 76 Das Benennen der Figuren ganzer Länder. Sie sind in der griechischen Kunst sogar noch älter als jene, ohne daß der Versuch zu näherer Charakteristik gemacht wird. Wer würde es z. B. der fliehenden Frau auf der Talosvase (s. unten Abb. 202) ansehen, daß sie eine Personifikation der Insel Kreta sein soll, wenn nicht von ihrer Namensbeischrift wenigstens die beiden ersten Buchstaben erhalten wären? Selbst daß die Szene auf Kreta spielt, würde die Benennung noch nicht rechtfertigen. Dagegen sind auf der Dareiosvase Hellas und Asia vortreff- lich charakterisiert; diese stolz vor einer Aphroditeherme thronend, vor ihr im Erinyentypus der personifizierte Betrug, die Apate, jene bescheiden Abb. 64. und gottvertrauend von Athene zu dem Lenker der Staatenschicksale Zeus geführt und diesem auch von Nike empfohlen (Abb. 64). 'Hier würden sich die Namen, abgesehen von Apate, die man nach Aischylos eher Ate nennen würde, auch ohne die Beischriften haben finden lassen, allerdings wohl kaum ohne Hilfe der Darstellungen auf den unteren Streifen der Vase, die die Beratung des Dareios mit seinen Großen und die Herbeischaffung der Geldmittel für den Zug gegen Griechenland vorführen. Aischylos hatte im Traum von Dareios' Witwe die beiden Länder wahrscheinlich als erster mit ähnlicher Charakteristik personifiziert, und es ist wohl möglich, daß diese Stelle seiner Perser auf die Kunst nicht ohne Einfluß geblieben ist. Von den personifizierten Weltteilen, die am Busen des Okeanos ruhen, ist schon oben S. 54 die Rede gewesen. Die Kunst der Römer zeigt für diese Art von Personifikation, wobei als Folge der Weltherrschaft aus den Ländern Provinzen werden, dieselbe Vorliebe wie für die der Städte. Personifikationen von Ländern und von Staatsorganen 77 Auch in seinen amtlichen Organen wird der Staat personifiziert, und zwar scheint es, daß dieser Gedanke von Athen ausgegangen ist. Unseres Wissens hatte zuerst Parrhasios das personifizierte Volk von Athen, den Demos, gemalt, ungefähr zu derselben Zeit, als ihn Aristophanes auf die Bühne brachte, und die Kunstkenner rühmten diesem Bilde nach, daß in ihm die verschiedenen und einander widersprechenden Eigenschaften des souveränen Volkes zugleich zum Ausdruck gekommen seien, seine Wetterwendigkeit, sein Jähzorn, seine Wankelmütigkeit, seine Ungerechtigkeit, seine Unbe- ständigkeit, seine Nachgiebigkeit, seine Zugänglichkeit, seine Barmherzig- keit und Milde, seine Ruhmredigkeit, sein Stolz und seine Demut, seine Wildheit und Feigheit. Mag dies auch stark rhetorisch übertrieben sein und mag dabei zugleich die Doppelnatur des Aristophanischen Demos, des alten und des junggekochten, vorschweben, — da Parrhasios gerade in der Wiedergabe des Gesichtsausdrucks Meister war, worauf wir im nächsten Abschnitt zurückkommen, so wird doch ein Körnchen Wahrheit darin stecken. Im vierten Jahrhundert hat der Sohn des Pausias, Aristolaos, den Demos gemalt. Eine Statue des Demos von der Hand eines zeitlich nicht bestimmten Bildhauers Lyson stand im Bouleuterion. In der Halle des Zeus Eleutherios hat Euphranor den Demos, die Demokratie, und Theseus als deren Begründer gemalt ; im Piräus stand seine Statue neben der des Zeus, beide von Leochares. Außerhalb Athens, wo er übrigens auch zusammen mit den Chariten einen Kult besaß, kennen wir Statuen des Demos auf der Agora von Sparta, wohl zur Erinnerung an die Reformen Königs Kleo- menes III. Wenn in einer rhodischen Kolossalgruppe aus dem Ende des dritten Jahrhunderts der Demos von Syrakus den von Rhodos bekränzte, so hatten sie die Rolle übernommen, die sonst den Stadtpersonifikationen zufällt. Ob und wie diese Demosstatuen näher charakterisiert waren, wissen wir nicht. Erhalten ist uns sein Bild nur auf attischen Urkundenreliefs des fünften und vierten Jahrhunderts, z. B. auf dem, welches den Vertrag mit Korkyra schmückt, dessen Personifikation zwischen ihm und Athene steht (Abb. 65): Hier hält er kein Attribut und unterscheidet sich in nichts von den sitzenden Göttern des Parthenonfrieses. Daß der Demos der Athener gemeint sei, konnte der antike Beschauer, falls ihm die Figur nicht schon durch ihre Anbringung an solcher Stelle ohne weiteres ver- ständlich war, aus den Eingangsworten des Eides, der in der darunter stehenden Urkunde den Korkyräern vorgeschrieben wird, entnehmen: »Ich will dem Demos der Athener zu Hilfe kommen« usw.; daß die Frau in 78 Das Benennen der Figuren der Mitte die Personifikation von Korkyra sein müsse, lehrte ihn der ganze Inhalt der Urkunde. Daß auch das Korrelat des Demos, der Rat der Fünf- hundert, die Bule, von der Kunst personifiziert wurde, ist literarisch / l *; Abb. 65. r nicht überliefert, wird aber durch ein ähnliches Relief wie das eben be- sprochene erwiesen, das jedoch von keinem Staatsvertrag, sondern von einem Ehrendekret stammt (Abb. 66). Hier steht die Bule hinter Athene, zu der der Geehrte adorierend die Hand erhebt. Ist sie hier durch die Beischrift kenntlich gemacht, so fehlt diese auf einem anderen Relief derselben Kategorie, wo sie und der Demos den Geehrten in Gegenwart der Athene bekränzen (Abb. 67). Sollte, was indessen kaum anzunehmen ist, der antike Beschauer über die Bedeutung der beiden Figuren im Zweifel gewesen sein, so konnte ihn die Eingangsformel der, jetzt verlorenen, Urkunde : »Rat und Volk haben beschlossen« usw., darüber belehren. Daß auch die Römer ihren Senatus Populusque Romanus personi- fiziert haben, versteht sich nach dem früher Bemerkten von selbst; des Vorgangs der Griechen hätte es in diesem Falle nicht be- durft, obgleich dieser immerhin eingewirkt haben mag. Am schönsten sind Senat und Volk von Rom auf dem Traiansbogen in Benevent dargestellt. a 1 - 1. . ■ +-,■-. * y \ - 1 1 / L 1 i ; . i Abb. 66. Personifikationen von Staatsorganen und von Xationalfesten 79 An dieser Stelle mag noch einer besonderen Art von Personifikationen gedacht werden, die zu den eben besprochenen in einer gewissen, wenn auch entfernten Beziehung stehen, der der griechischen Nationalfeste. Als Alkibiades seine großen Wagensiege in Olympia und Delphi errungen hatte, stiftete er auf der Akropolis ein Votivgemälde, auf dem ihn die Olympias und die Pythias, die Personifikationen der olympischen und pythischen Spiele, in derselben Weise bekränzten wie Bule und Demos den Geehrten auf dem attischen Dekret. Das Bild war ein Werk des Aglaophon, des Neffen Polygnots, und von demselben Künstler ließ er auch das Votivgemälde für seinen WTagensieg in Nemea anfertigen, wo aber ein an- deres Motiv gewählt war; denn hier saß Alki- biades im Schoß der Nemea, die von rück- wärts ihre Arme um ihn schlang. Wenn unsere Überlieferung richtig ist, würde also diesmal nicht die Personifikation der Panegyris, sondern die des Ortes dargestellt gewesen sein. Eine solche gab es allerdings auf einem Gemälde des Nikias, wo die personi- fizierte Nemea auf einem Löwen ritt und eine Palmt- in der Hand trug, als Anspielung auf den von He- rakles erlegten Löwen und eine berühmte im Tempelbezirk stehende Palme. Und die Palme ist auch in der römischen Kunst das Attribut der Nemea ge- blieben. Auch auf Vasen, die den Tod des Archemoros darstellen, ist Nemea zugegen. Indessen hat Valckenaer mit Recht angenommen, daß auf dem Gemälde des Aglaophon nicht Nemea, sondern die Personifikation des Festes Nemeas dargestellt gewesen sei. Nur darf man dieser Annahme zu- liebe nicht die Texte unserer beiden Zeugen, Satyros und Plutarch, korri- gieren wollen. Vielmehr handelt es sich um eine falsche Auffassung der Beischrift NEMEAZ. Da es nämlich zuweilen vorkommt, daß der Name Abb. 68. gQ Das Benennen der Figuren nicht im Nominativ, sondern im Genetiv steht, wozu dann ein Begriff wie »Bild«, eiyuhv, zu ergänzen ist, so hat man auch NEMEAZ für den Genetiv Nefiiag gehalten, während es von Aglaophon als der Nominativ Ns^tsüg gemeint war. Wenn weiter überliefert ist, daß in dem Bilde Andeutungen auf den Wagensieg des Alkibiades angebracht gewesen seien, so darf ver- mutet werden, daß der Mantel der Nemeas mit Niken auf Viergespannen geschmückt war, wie wir das öfters auf Vasen aus der Zeit des Aglaophon sehen. Auf einer von diesen ist uns auch eine Nachbildung dieser berühmten Gruppe erhalten, die der Vasenmaler zur Darstellung des im Schöße der Aphrodite ruhenden Adonis umgemodelt hat (Abb. 68). Eine weitere — man möchte sagen Spezialität der griechischen Kunst sind die Personifikationen von Schiffen. So hat Protogenes, wir wissen nicht in wessen Auftrag, für die Propyläen eine Votivtafel gemalt, auf der die berühmtesten Staatsschiffe der damaligen Zeit, der Paralos und die Am- monias, als Mann und Mädchen dargestellt waren und sie als personifizierte Schiffe dadurch kenntlich zu machen gesucht, daß er auf dem Bilde Kriegs- schiffe in kleinen Dimensionen anbrachte. Die Folgezeit hat aber gezeigt, daß das nicht ausreichte ; denn man hat das Bild als Odysseus und Nausikaa mißverstanden, vermutlich weil Paralos wie jener eine Schiff er mutze trug. Und doch lag es für die Griechen außerordentlich nahe, sich die Schiffe als Mädchen zu denken, weil die meisten von ihnen Frauennamen trugen, häufig Beinamen der Artemis, der Schutzgöttin der Häfen und Küsten. Und so kann Aristophanes in den Rittern von einer Volksversammlung der attischen Trieren erzählen, in welcher die Rednerin die Schiffe »Ihr Mädchen« anredet. Das schwierige Problem, die Personifikationen von Schiffen als solche kenntlich zu machen, ist aufs glänzendste an dem Grab- mal eines lykischen Dynasten, dem sog. Nereidenmonument von Xanthos, gelöst. Hier sind die Schiffe als Mädchen dargestellt, die über die durch Wogen mit allerlei Seegetier angedeutete Meeresfläche dahineilen, wobei sie ihre Mäntel wie Segel halten und der Seewind ihre Gewänder aufbläht (Abb. 69). Es ist wirklich nicht Schuld des Künstlers, wenn man ihn miß- verstanden und die Figuren für Nereiden oder Aurae gehalten hat. Daß auch die Aurae jn der Kurie der Octavia möglicherweise hierher gehören, ist bereits oben S. 52 angedeutet worden. Von den Personifikationen kommen wir zu ihrem diametralen Gegensatz, den Darstellungen historischer Personen. Hier könnte man den trivialen Satz an die Spitze stellen, daß der Hermeneut nur solche Personen er- Personifikation von Schiffen. Porträts. 81 kennen kann, deren Gesichtszüge ihm schon anderweitig, d. h. von einem Bildwerk her, das durch Namensbeischrift gesichert ist, bekannt sind. Aber ganz so einfach liegt die Sache doch nicht. Denn die antiken Künstler stellen auch solche Personen dar, deren Ge- sichtszüge ihnen selbst nicht mehr bekannt waren. Daraus ergibt sich zunächst die Schei- dung zwischen realen und idealen Porträts, aber auch diese reicht noch nicht aus. In der älteren Zeit herrscht auch in der Porträtstatue der Typus. Der Miltiades in der delphischen Gruppe des Pheidias wird an sich weder von einem anderen attischen Krieger noch von Ares, der in jener Zeit noch bärtig sein konnte, zu unterscheiden gewesen sein; also auch in diesem Fall war die Namensbeischrift nicht zu entbehren, wie ja auch auf dem Gemälde des Mikon und Panainos die Helden von Marathon durch solche kenntlich gemacht waren, so gut wie die Olympionikenstatuen durch die Weih- inschrift. Reine. Typen sind auch diejenigen historischen Persönlichkeiten, deren sich die Vasenmalerei, abgesehen von König Amasis, der einmal auf einer schwarzfigurigen Vase zwischen zwei nubischen Leibwächtern dargestellt ist, am frühesten be- mächtigt, die lyrischen Dichter. Diese waren durch die Saiteninstrumente wenigstens als Lyriker leicht kenntlich zu machen; unter ihnen Alkaios und Sappho als Lesbier durch das lesbische Saiteninstrument, das Barbiton, diese überdies durch die sie umgebenden Schülerinnen. Allerdings führt auch Anakreon von Teos das Barbiton; aber für diesen weinfrohen Sänger kommt bald ein eigentümlicher Typus auf; er wird im Komos dargestellt, leicht angesäuselt unsicheren Schrittes daherschreitend, dabei spielend und singend. So zeigt ihn eine Lekythos des Vasenfabrikanten Gales, wo er- den langen ionischen Chiton und einen Mantel trägt (Abb. 70), und eine ungefähr gleichzeitige Trinkschale, wo er nur mit dem Mantel bekleidet ist (Abb. 71). Treffend bemerkt Wilamowitz daß die Maler dieser Vasen den Anakreon, als er am Hof der Peisistratiden weilte, sehr gut von Angesicht zu Angesicht gekannt und diesen Aufzug auf den Straßen Athens gesehen Abb. 69. 82 Das Benennen der Figuren haben können. Aber deshalb ist es ihnen doch nicht eingefallen, ihm in- dividuelle oder gar Porträtzüge zu leihen. Er bleibt ein Typus. So I Abb. 70. konnte auch jeder beliebige Athener aussehen. Um so überraschender ist es, daß wir durch zwei Epigramme des Leonidas von. Tarent eine auf dreh- barem Marmorsockel aufgestellte Bronzestatue aus hellenistischer Frühzeit kennen lernen, die den Dichter in derselben Situation, nur noch viel drastischer, darstellte. Der Mantel war ihm auf den Knöchel herabgeglitten, und den einen Schuh hatte er verloren. Da die Vasen der Peisistratidenze.it Dichterporträts 83 damals verborgen in den Gräbern ruhten und sich nirgends eine Spur davon zeigt, daß ihre Darstellungen auf die Kunst der hellenistischen Zeit eingewirkt haben, so ist ein Zusammenhang ausgeschlossen. Der Künstler wird wohl das Motiv einem Lied des Anakreon entnommen haben. Jeden- falls zeigte seine in perikleischer Zeit auf der Akropolis aufgestellte Ehren- statue eine gänzlich verschiedene Auffassung. Der Sänger ist nur mit einer um beide Schultern gewickelten Chlamys bekleidet und singend dar- gestellt , wobei er, um die Reinheit der Töne des Saitenin- struments zu prü- fen, den Kopf etwas zu diesem hinneigt. Von der ganzen Sta- tue ist uns nur eine einzige Kopie (Abb. 72), von dem Kopf hingegen sind uns deren mehrere erhal- ten, eine mit der Auf- schrift » Anakreon der Lyriker « , wo- durch die Benen- nung gesichert ist . Aber aus der Statue selbst war diese schwer zu gewinnen ; Beweis dafür ist, daß man sie vor der Auffindung des signierten Kopfes für Tyrtaios, Pindar oder Alkaios gehalten, dagegen Anakreon in der zu- gleich mit ihr — nämlich am Monte Calvo — gefundenen Sitzstatue er- kennen wollte, die einen leierspielenden Alten darstellt, dessen Haltung eine gewisse innere Erregung erkennen läßt (Abb. 73). Es lohnt sich, hierbei einen Augenblick zu verweilen. Ließen sich die Dichter auch nicht benennen, so war doch die Gattung der Lyrik, die sie vertreten, mit Sicherheit zu bestimmen; denn sitzen kann nur der Chorlehrer. Also war und ist an und für sich für den sitzenden Dichter die Deutung als Simonides, Pindar, Bakchylides möglich, die als Anakreon aber ausgeschlossen. Um- 6* Abb. 72. Abb. 73. g4 Das Benennen der Figuren gekehrt war für den stehenden Dichter die Benennung Pindar unmöglich, während Alkaios und Tyrtaios an sich wohl denkbar waren. Noch vor Auffindung des inschriftlich bezeichneten Anakreonkopfes hatte Carl Dilthey die richtige Benennung gefunden und glaubte auch den Namen des sitzen- den Dichters zu kennen, den er aber niemandem verraten hat. Leider hat er die Abhandlung, in der er jene Entdeckung und diese Vermutung be- gründet hat, nie veröffentlicht. Es wäre außerordentlich interessant zu erfahren, durch welche Methode es dem feinsinnigen Forscher gelungen ist, in einem für die Hermeneutik verzweifelt liegenden Fall die Wahrheit zu finden. Was nun die Gesichtszüge dieses Anakreon betrifft, so kann auch hier von Porträtähnlichkeit noch nicht die Rede sein. Wie sollte auch der genialste Künstler imstande gewesen sein, die Schilderung eines damals Neunzigjährigen, der etwa als kleiner Knabe noch den Anakreon gesehen hätte, im Marmor lebendig zu machen? Wie Haar- und Barttracht die des peri- kleischen Zeitalters sind, so entsprechen auch die Züge dem damaligen Ideal- typus des Mannes, und wenn man mit dem Periklesporträt des Kresilas, das, allerdings noch mit weiser und keuscher Zurückhaltung, individuell geprägt ist, Ähnlichkeit hat finden wollen, so ist diese einzig und allein durch die Gleichheit der Zeit und vielleicht des Künstlers bedingt. Von diesem Anakreon unterscheidet sich das Idealporträt im engeren Sinn dadurch, daß es das in der Volksseele und der Literatur fortlebende Charakterbild einer Per- sönlichkeit vergangener Zeiten zu veranschaulichen, die Individualität durch künstlerische Phantasie zu rekonstruieren versucht, wofür bei Plinius das schöne Wort steht: »Der Wunsch erzeugt die nicht überlieferten Gesichts- züge. « Ein solches Idealporträt ist der sitzende Lyriker. Das berühmteste Beispiel aber ist Homer. Zwar befand sich auch unter den Statuen, die Smikythos um 460 nach Olympia geweiht hatte, sein Bild, ebenso wie das des Hesiod, aber beide gewiß nur als Typen und nur an der Aufschrift kennt- lich. Aber seit dem vierten Jahrhundert versuchte man die Züge zu indivi- dualisieren. Das war am leichtesten, wenn man sich der Form der Homer- legende anschloß, die ihn auf Grund des Apollo nhymnos erblinden ließ. Silanion stellte ihn mit geschlossenen Augen dar, wie die ältere Kunst auch bei Phineus die Blindheit anzudeuten pflegte, und gab den Zügen den Aus- druck unendlicher Ruhe und Friedens. Die rhodische Kunst hingegen, deren geniale Schöpfung das heute bekannteste Homerporträt ist, ließ ihn der Natur entsprechend mit geöffneten Augen leeren Blicks ins Weite starren, gab ihm von Gram gefurchte Züge, aus denen doch zugleich eine Dichterporträts CO tiefe Weisheit spricht, und bezeichnete ihn durch den Lorbeerkranz im Haar als Dichter. Kann diesem Kopf gegenüber niemand über die richtige Benennung im Zweifel sein, so mußte Silanion es sich gefallen lassen, daß die Modernen seinen Homer für den in fünfzigjährigen Schlaf versenkten kretischen Seher Epimenides hielten, als ob ein Schlafender stehend dar- gestellt werden könnte. Schwieriger war es, den Homer zu charakterisieren, wenn man ihn sich nach der anderen Form der Legende sehend dachte. Zwar wo es sich wie in Alexandreia um ein Kultbild handelte, genügte schon der Aufstellungsort für die Bestimmung, auch wenn nicht Ilias oder Odyssee neben ihm knieten (s. Abb. 55). Auf dem Bilde, das ihn über das Rätsel der Schiffer nachdenkend zeigte, wHirde man ihn aus der Situation heraus benennen können, auch wenn die Beischrift fehlte. In anderen Fällen aber konnte man der Namensbeischrift kaum entraten; denn wenn man ihm eine Rolle in die Hand gab, die auf irgendeine Weise als Ilias oder Odyssee kenntlich gemacht war, so ist das doch auch nichts weiter als Charakterisierung durch Beischrift. Für die authentischen Porträts aber gilt der an die Spitze dieser Betrach- tung gestellte Satz ohne Einschränkung. Nur auf Grund der Inschrift eines Exemplars können wir die Persönlichkeit bestimmen. Zwar hat Kresilas den Zwiebelkopf des Perikles dadurch angedeutet, daß man durch die offenen Augenlöcher des korinthischen Helms den Ober köpf sieht. Aber ohne die signierten Hermen hätte man die Benennung kaum gewagt. Von den zahl- reichen behelmten Köpfen derselben und der folgenden Generation ist noch keiner benannt, obgleich sich mit Sicherheit annehmen läßt, daß sich Männer wie Alkibiades und Lysander darunter befinden müssen. Den Timotheos hat Six auf Grund einer Münze erkannt, und wirklich paßt dies dicke Gesicht vorzüglich für den behaglichen Schlemmer. Aber auf dieses Indizium allein ließ sich die Deutung nicht aufbauen. Erst seit der Zeit, wo die Dynasten ihre eigenen Porträts, die Städte die ihrer berühmten Männer auf ihre Münzen zu setzen pflegen, gewinnen wir für die Ikono- graphie ein breiteres Fundament. Aber auch wo wir das gesicherte Porträt einer historischen Persönlichkeit besitzen, bleibt häufig noch die Frage offen, welche anderen Porträtköpfe auf Grund der Ähnlichkeit mit ihr identifiziert werden können. Denn diese Ähnlichkeit ist natürlich graduell sehr verschieden. Hierbei darf man aber zweierlei nicht vergessen. Erstens, daß berühmte Persönlichkeiten in verschiedenem Lebensalter und von verschiedenen Künstlern porträtiert worden sind, zweitens, daß in der gg Das Benennen der Figuren Folgezeit die Züge idealisiert und namentlich bei bedeutenden Herrschern mit den Zügen von Götteridealen vermischt werden, wie sich diese ja selbst häufig unter dem Bilde von Olympiern darstellen ließen. Andererseits aber darf auch nicht verkannt werden, daß Zeitgenossen und vor allem Personen desselben Kreises einander ähnlich zu sein pflegen, und daß diese Ähnlichkeit durch den ausführenden Künstler noch gesteigert werden kann, nicht nur, weil dieser an seinen Stil gebunden ist, sondern auch in der ten- denziösen Absicht, seinen Auftraggeber dadurch zu erfreuen, daß er ihn, wenn er ein Feldherr oder Hofmann war, seinem hohen Herrn ähnlich machte. Dabei kann es auch vorkommen, daß Anleihen bei der Vergangen- heit gemacht werden. In die Porträts des Mithradates Eupator, der auf seine Ähnlichkeit mit Alexander dem Großen so stolz war, werden dessen Hofbildhauer gewiß möglichst viel vom Alexandertypus hineingetragen haben. Bei dieser Sachlage ist es für die Hermeneutik nicht immer leicht, den richtigen Mittelweg zu finden, und daß das Urteil zeitweilig schwankt, ist durchaus verständlich. So haben manche gegenüber den Alexander- und Cäsarköpfen eine große Skepsis walten und nur wenige als authentische Porträts gelten lassen. Demgegenüber ist zu sagen, daß gerade von diesen beiden Herrschern jahrhundertelang eine Unzahl von Porträts geschaffen worden sein müssen, und daß es daher schon ein Gebot der Wahrscheinlich- keitsrechnung ist, im Zweifelsfall lieber zu identifizieren als die Identität zu bestreiten. Ist aber einmal auf Grund inschriftlich gesicherter Porträts eine historische Persönlichkeit erkannt, so läßt sich die Benennung nicht nur auf andere Exemplare übertragen, wovon wir bisher allein gehandelt haben, sondern in besonders günstigen Fällen lassen sich auf Grund der Ähnlichkeit auch andere Köpfe als Familienmitglieder dieser Persönlichkeit bestimmen und zuweilen benennen. So ist es August Mau gelungen, das Porträt des Marcellus, des Sohns der Octavia, zu ermitteln, wobei ihm allerdings die Aufstellung in Pompeji, dessen Patron der Genannte war, zu Hilfe kam. Die früher für Caligula gehaltenen Köpfe hat Studnizka auf Grund der Ähnlichkeit mit Agrippa als das Porträt eines von dessen und der Julia Söhnen bestimmt; daß es C. Cäsar war, ergab sich ihm dann aus einer Münze. Wie hilflos die Hermeneutik im allgemeinen Porträts gegenüber ist, von denen inschriftlich bezeichnete Exemplare nicht existieren, das lehrt am eindringlichsten das Beispiel des früher so genannten Seneca. Nachdem Historische Porträts 37 man erkannt hatte, daß diese Bezeichnung schon aus dem Grunde unmög- lich ist, weil wir von diesem Philosophen ein signiertes Porträt besitzen, hat man es abwechselnd für Piso, den Schwiegervater Cäsars, für Hipponax, Parmenides, Philitas oder Kallimachos erklärt. Und doch besitzen wir auch hier Indizien, die, wenn nicht die Persönlichkeit selbst, so doch die Epoche und den Kreis erkennen lassen, in denen sie zu suchen ist. Erstens beweist die ungeheure Anzahl der erhaltenen Repliken, daß es ein berühmter Mann gewesen sein muß. Zweitens zeigt der Efeukranz, den eine dieser Repliken trägt, daß es ein Dichter war, wobei zu bemerken ist, daß der Efeu in helle- nistischer Zeit nicht bloß den Dramatiker, sondern auch den Lyriker be- zeichnet. Drittens ist er einmal mit einem unbekannten Römer zu einer Doppelherme verbunden, woraus sich ergibt, daß er unter den römischen Dichtern einen Nachahmer besaß, dessen Bestrebungen von dem römischen Publikum als erfolgreich anerkannt wurden. Viertens deuten Haar- und Barttracht auf die Frühzeit des Hellenismus. Diesen vier Bedingungen werden nur die beiden an letzter Stelle genannten Vorschläge gerecht, ohne daß damit gesagt sein soll, daß einer von ihnen das Richtige treffe. Ähnlich, wenn auch nicht ganz so schlimm, erging es dem nur in einem Exemplar erhaltenen schönen Bronzekopf, der wegen einer flüchtigen Ähn- lichkeit mit dem Idealporträt des Lucius Junius Brutus auf römischen Denaren jahrhundertelang für diesen Gründer der römischen Republik galt und als eine Art antiker Nationalheiliger in der Mitte des Cinquecento im Konservatorenpalast aufgestellt wurde. Hier hat die Datierung zwischen acht Jahrhunderten geschwankt. Erst vor kurzem ist man auf die frap- pante Ähnlichkeit der Haar- und Barttracht mit dem inschriftlich ge- sicherten Porträt des Poseidonios aufmerksam geworden und hat erkannt, daß der Dargestellte ein römischer Zeitgenosse und wahrscheinlich auch Anhänger dieses Philosophen gewesen sein müsse. Nur ein Porträt läßt sich ohne Hilfe inschriftlich bezeichneter Exemplare mit Sicherheit feststellen, das des Sokrates, und zwar auf Grund der an- schaulichen Schilderungen, die Piaton und Xenophon von dessen Äußerem geben, namentlich jener im Symposion, wo er die Züge seines Lehrers mit denen der Silene, und im Menon, wo er sie mit einem Zitterrochen ver- gleicht. Wenn man gerade um dieser Übereinstimmung willen geglaubt hat, es mit einem Idealporträt zu tun zu haben, so war das einer der Irr- wege, die die Wissenschaft zuweilen einschlägt, um später desto sicherer den Weg zur Wahrheit zu finden. 88 Deuten aus der Darstellung allein DEUTEN AUS DER DARSTELLUNG ALLEIN. Hier gilt zunächst wieder das über die Benennung Bemerkte. Absolut verständ- lich sind nur solche Vorgänge, die sich auch heute noch in derselben oder ähnlicher Weise abzuspielen pflegen. Szenen der Jagd, des Fischfangs, der Ackerbestellung, der Ernte, wasserholende Mädchen am Brunnen, häus- liche Verrichtungen, Toilettenszenen, werden wir meist ohne antiquarisches Wissen verstehen und auch uns zurechtfinden, wenn das etwa hinzutretende spezifisch Antike nur nicht gar zu fremdartig ist ; manches läßt sich da er- schließen. Machen wir die Probe mit dem Bilde aus Herculaneum, das unsere Abb. 74 wiedergibt. Wir sehen ein Mädchen, das von einer Frau festlich geschmückt wird, während eine zweite majestätisch thronende Frau und ein an ihren SesF'jl gelehntes Mädchen bei diesem Vorgang zugegen sind. Allerlei rituelles Gerät, Lorbeer zweige, die aus einem Elfenbeinkästchen, das auf einem rechts befindlichen Tisch steht, herausquellende heilige Binde und die Kanne unter diesem Tisch belehren uns, daß das Mädchen nicht zur Hochzeit, sondern zu einer heiligen Handlung geschmückt wird, und auch ohne mit dem gottesdienstlichen Altertum näher vertraut zu sein, werden wir schließen, daß es sich um eine Prozession handelt, an der das Mädchen teilnehmen und den Wein für das Trankopfer tragen soll. Die thronende Frau könnte man bei oberflächlicher Betrachtung für die Mutter halten. Aber dem widerspricht, daß sie gar nicht auf die Schmückung achtet, daß sie, wenn auch nicht gerade teilhahmlos, so doch in unnahbarer Hoheit, wie erhaben über Raum und Zeit, dasitzt, es ihrer Dienerin überlassend, sich für den Vorgang zu interessieren. Wer also auch nicht weiß, daß ein solcher Thronsessel nebst dem obligaten Schemel ausschließlich der Gott- heit und dem König zukommt, kann nicht zweifeln, eine Göttin vor sich zu haben, muß schließen, daß dieser Göttin die Prozession gilt, wird in ihrer Begleiterin eine dienende Gottheit erkennen und nach dem im vorigen Abschnitt Bemerkten nicht zögern, beide Aphrodite und Peitho zu be- nennen. Die mit der Schmückung des Mädchens beschäftigte Frau ist also nicht etwa eine ältere Dienerin, sondern seine Mutter. Die Ähnlichkeit des Mädchens mit Aphrodite ist eine Schmeichelei des Malers. Nun wird viel- leicht der Anfänger daran Anstoß nehmen, daß die Schmückung in Gegenwart der Göttin, die doch offenbar im Typus ihres Kultbildes wiedergegeben ist, stattfindet, was streng genommen doch nur möglich sein würde, wenn ent- weder Mutter und Tochter sich in den Tempel begeben hätten oder das Kult- bild in das Privathaus versetzt worden wäre. Hier haben wir es mit jener Genreszenen 89 Abb. 74. Abstraktion von der Örtlichkeit zu tun, die wir im nächsten Abschnitt als eine Eigentümlichkeit der älteren griechischen Kunst noch näher kennen lernen werden, and die auch der späteren Kunst nie ganz abhanden ge- 90 Deuten aus der Darstellung allein kommen ist. Ist es doch ganz dasselbe, wenn, wie wir im vorigen Abschnitt gesehen haben, am Parthenonfries die Olympier bei der Empfangnahme des Peplos und bei der Parthenonprozession zugegen sind ; hier annehmen zu wollen, daß die Götter vom Olymp herabgestiegen sind und ihre Stühle mitgebracht haben, würde eine Pedanterie, aber nicht im Sinne des Künstlers Abb. 75. sein. Alles, was wir eben festgestellt haben, ist aus dem Bilde selbst abgelesen. Wenn man uns dann des weitern belehrt, daß Mädchen, die solcher Ehre gewürdigt waren, zur Erinnerung in dem Heiligtum ein Votivgemälde zu weihen pflegten und daß das Herculanensische Wandbild eine Kopie dieses Tafelbildes ist, das offenbar in diesem Fall von einem bedeutenden Maler geschaffen war, so sind dies gewiß sehr interessante antiquarische und kunsthistorische Tatsachen, aber das inhaltliche Verständnis des Gemäldes wird dadurch nicht gefördert. Genreszeiien 91 Knüpfen wir hieran die Betrachtung einer über ein Jahrhundert älteren Amphora des Vasenmalers Euthymides (Abb. 75), die eine verwandte Dar- stellung, eine Rüstungsszene zeigt, wobei wir uns um die Namensbeischriften vorläufig nicht kümmern. Ein sehr jugendlicher Krieger legt sich eben den Lederpanzer an, während seine Mutter ihm Helm und Schwert bereithält, sein Vater mit hochgezogenen Brauen und erhobenem Zeigefinger ihm aus dem Schatz seiner Erfahrung kluge Lehren erteilt. Als Gestalten der griechi- schen Sage sind die drei Figuren in keiner Weise gekennzeichnet. Waffen und Tracht sind die aus der Zeit der Perser kriege. Ein alter Athener, der seinem nach Marathon ausziehen- den Sohne Ermahnungen mit auf den Weg gibt, so könnte man, wenn man überhaupt individualisieren wollte, den Inhalt des Bildes zu- sammenfassen. Anders auf einer etwas jüngeren, unsignierten Am- phora (Abb. 76), die eine ganz ähn- liche Szene mit fast denselben Figu- ren zeigt. Der ausziehende Krieger ist etwas älter und bereits vollstän- dig gerüstet; er läßt sich von der Frau, die man hier eher für seine Gattin als seine Mutter halten möchte, den Wein für die Abschiedsspende eingießen; der Vater aber steht in tiefes Sinnen verloren, wie in Sorge um den Scheidenden, da. Er trägt auf dieser Vase die Königsbinde und muß also eine bestimmte mythologische Figur sein. Welche würden wir nicht erraten, da der Möglichkeiten allzu viele sind, und das Verständnis der Handlung an sich wird durch die Namensbeischriften nicht erhöht. Wir ent- nehmen aus diesen, daß der Vasenmaler Priamos, Hektor und Hekabe ge- meint hat, und dieselben Namen lesen wir neben den entsprechenden Figuren auf der Amphora des Euthymides. Hier befremdet den Unerfahrenen zu- nächst die große Jugendlichkeit der Hekabe. Bei Euthymides, wo Hektor, was übrigens kaum minder auffallen muß, fast noch ein Knabe ist, kann man sie wohl für seine Mutter halten; aber auf der anderen Vase erscheint sie ihm fast gleichaltrig. Sollte also nicht die Beischrift irreführen? Sollte nicht viel- mehr Andromache gemeint sein? Sollen wir nicht unseren Augen und unse- Abb. 76. 92 Deuten aus der Darstellung allein rem Urteil mehr trauen als dem inschriftlichen Zeugnis, bei dem doch viel- leicht irgendein Versehen oder Mißverständnis untergelaufen sein könnte? Die Frage ist von so prinzipieller Bedeutung, daß wir gleich hier zu ihr Stellung nehmen müssen. Gewiß kommen falsche Namensbeischriften vor, aber die Fälle sind äußerst selten, und die gesunde Methode verlangt, daß ein derartiges Versehen nur da angenommen werden darf, wo sich die Ursache erkennen läßt. So sind einmal auf einer Vase die Namen Telamon und Teukros vertauscht, weil ihre ersten Buchstaben dieselben sind: TEN/ AMO N TEVKPOZ. Auf der Meidiasvase steht der Name Peitho neben einer fliehenden Gespielin der Leukippiden statt neben der Begleiterin der Aphro- dite. Hier hat Meidias auf seinem Vorbilde, dem Leukippidenraub des Po- lygnot, von dem seine Vase einen Auszug gibt, die Namensbeischrift Peitho auf eine falsche Figur bezogen. Anders steht es selbstverständlich mit den falschen Beischriften auf etruskischen Bildwerken. Diese erklären sich daraus, daß der Sinn der griechischen Vorbilder mißverstanden ist, wovon wir unten in anderem Zusammenhang ein drastisches Beispiel geben werden. Bliebe die Möglichkeit, daß die Vasenmaler so ungebildet gewesen wären, Hekabe für die Gattin des Hektor zu halten. Dies führt auf die Frage nach dem Bildungsgrad und der sozialen Stellung der Vasenmaler. Beide werden auch heute noch ganz gewaltig unterschätzt. Die Herren, die am lehmigen Ufer des Eridanos ihre großen Fabriken hatten, nach denen das ganze Stadtviertel seinen Namen Kerameikos trägt, die ihre Fabrikate bis nach der Nordküste des Pontos Euxeinos, nach der Adria und nach Etrurien vertrieben, die zum Dank für ihren Geschäftsgewinn ihrer Schutzgöttin Athene Ergane auf die Akropolis jene zierlichen Mädchenstatuen von der Hand der ersten zeitgenössischen Bildhauer weihten, waren zwar nach antikem Sprachgebrauch Banausen, aber doch keine gewöhnlichen Hand- werker im modernen Sinne. Daß manche von ihnen, und nicht die schlech- testen, wie Brygos, Metöken waren, wird den nicht wundern, der weiß, welche Bedeutung gerade die Metöken für das Kulturleben Athens hatten. Daß sie jenen Bildhauern, die für sie die Koren, marmorne also ewige Diene- rinnen der Göttin, verfertigten, sozial gleich standen, ergibt sich daraus, daß sie mit ihnen verwandtschaftlich verbunden waren. Antenor, der Bild- hauer der Alkmeoniden, der Schöpfer der ersten Tyrannenmördergruppe, der das Weihgeschenk des Vasenfabrikanten Nearchos für die Burg ver- fertigte, war der Sohn des Tafelmalers Eumares, der in der Maler geschichte bei Plinius eine wichtige Stelle einnimmt. Tafelmaler und Vasenmaler Bildungsstufe der Vasenmaler 93 waren aber im sechsten Jahrhundert und noch darüber hinaus, bis zum Auftreten des Apollodor von Athen, dieselben Personen. Daß wir keine signierte Vase von der Hand des eben genannten Eumares besitzen, ist ebenso ein reiner Zufall, wie daß kein Tafelbild des Euphronios die Perser- kriege überdauert und die Aufmerksamkeit der antiken Kunstforschung er- regt hat, als sie aus spärlichen Resten die archaische Periode zu rekonstru- ieren versuchte. Man darf nicht vergessen, daß gerade die Kunst der un- mittelbar vor den Perserkriegen liegenden Jahrzehnte verschüttet war. Wie Antenor der Sohn eines Malers, so ist Euthymides der Sohn eines Bildhauers Pollias, der freilich auch zu den Verschütteten und Vergessenen gehört, von dem aber doch noch eine dunkle Kunde bis zu Vitruv und Plinius gedrungen ist. So konnte es nicht wundernehmen, seinen Namen auf zwei im Perserschutt gefundenen Basen von Koren zu finden, deren eine der Sohn des Vasenmalers Skythes, Kriton, der vermutlich selbst Vasen- maler war, geweiht hatte. Noch bedeutsamer aber ist, daß dieser Pollias schon zwei Generationen vor Polyklet eine Schrift über die Symmetrie verfaßt hat. Er war also nicht nur ein ausübender, sondern auch ein denken- der Künstler. Wollte man nun einwenden, das alles sei nur für die künst- lerische Bedeutung der Vasenmaler, nicht für ihre geistige Bildung be- weisend, so sei an die Verse des Hipponax, der Praxilla und des Theognis erinnert, die auf Vasen den dargestellten Personen in den Mund gelegt werden. Damit ist doch auch die Belesenheit der Maler bewiesen. Daß sie Hekabe und Andromache verwechselt haben könnten, ist also gänzlich ausgeschlossen. Nun hat man sich vor einigen Jahrzehnten durch eine andere Hypothese helfen wollen. Die Vasenmaler hätten den überkommenen Typus einer Genreszene benutzt und diesen dadurch interessant machen wollen, daß sie den Figuren des täglichen Lebens heroische Namen bei- legten. Daran ist so viel richtig, daß in der Tat diesen Darstellungen ein ge- bräuchlicher Typus zugrunde liegt, aber nicht richtig ist, daß die Vasen- maler diesen Typus sklavisch übernommen und nur die Namen hinzugetan hätten. Vielmehr liegt die Sache hier ebenso wie bei den Typen der Einzel- figuren, von denen wir im vorigen Abschnitt gesprochen haben. Wie der- selbe bärtige Männertypus für den Gott, den Heros und den gewöhnlichen Sterblichen verwandt wird, so auch derselbe Typus der Rüstungs-, Kampf- und ähnlichen Szenen sowohl für jeden beliebigen Heros als für den gewöhn- lichen Sterblichen. Wenn also Euthymides und sein jüngerer Kunstgenosse sich dieses Typus .bedienen, so wollen sie keine Genreszenen geben, die sie 94 Deuten aus der Darstellung allein nachträglich durch Beischriften heroisieren, sondern es ist von vornherein ihre Absicht, die Rüstung des Hektor darzustellen. Zu diesem Zwecke modeln sie den Typus ihren individuellen Gedanken gemäß um. Euthymides kam es darauf an, den besorgten Vater vorzuführen, der durch weise Ratschläge den Sohn vor dem drohenden Verderben zu bewahren sucht; eine natür- liche Folge hiervon war es, daß er den Hektor jugendlicher bildete als wir ihn uns nach der Ilias vorstellen; denn der stolze homerische Hektor hätte von seinem Vater schwerlich solche Belehrung angenommen. Der jüngere Vasenmaler, ein Zeitgenosse Polygnots, faßt den Moment tragischer; er läßt Priamos ahnenden Geistes schon den Tod seines Sohnes voraussehen. Aber, so wird man fragen, warum griffen die Vasenmaler, wenn sie Hektors Auszug schildern wollten, überhaupt zu diesem Rüstungstypus und schufen so eine Szene, die in der Ilias gar nicht vorkommt? Warum illustrierten sie nicht lieber seinen Abschied von Andromache und Astyanax, der uns so geläufig ist? Diese Frage greift in etwas über, das uns im nächstfolgenden Abschnitt im Zusammenhang beschäftigen soll, mag aber für diesen einzelnen Fall schon hier erledigt werden. Nicht alle "Vorgänge des Epos werden gleich- mäßig von der Kunst illustriert. Es findet eine Auswahl statt nach Prin- zipien, die erst später erörtert werden können. So ist Hektors Abschied von Andromache vor der hellenistischen Periode in der Kunst nicht nach- weisbar; nichts berechtigt, in Vasenbildern, wo eine Frau ihrem in den Krieg ziehenden Gatten ihr Kind zum Abschiedsgruß hinhält, Hektor und An- dromache zu sehen. Das Gemälde, dessen Anblick Porcia in Velia zu Tränen rührte, war gewiß nicht älter als das dritte Jahrhundert. Vermutlich hielt die Szene erst beim Aufkommen der illustrierten Iliasausgaben ihren Ein- tritt in die Kunst. Damit ist aber die Frage immer noch nicht erledigt, wie die Vasenmaler dazu kamen, Hekabe jugendlich zu bilden. Aus zwei Bildwerken allein läßt sich dies nicht beantworten; hier muß dem Her- meneuten sein Wissen, insbesondere seine Denkmälerkunde, zu Hilfe kommen. Diese belehrt ihn, daß die ältere Kunst bis tief in die Blütezeit hinein die Darstellung alter Frauen ebenso verabscheut wie die von Säuglingen. Sie leiht den Heroinen wie den Göttinnen ewige Jugend. Nur bei Aithra, in der Szene, wo sie nach Trojas Fall von ihren Enkeln Akamas und Demophon aufgefunden wird, macht sie eine Ausnahme. Hier soll die starke Betonung der Greisenhaftigkeit das Mitleid steigern. Wir* haben oben behauptet, daß sich Szenen des täglichen Lebens auch dann verstehen lassen, wenn sie sich heute etwas anders abspielen ; nur dürfe Genrescenen 95 das spezifisch Antike nicht zu fremdartig sein. Als Beweis für diese Behaup- tung wählen wir die Darstellung eines Kinderspiels auf einer Vase (Abb. 77). Ein Knabe trägt den anderen Huckepack, das tun unsere Kinder auch noch heute. Das Fremdartige ist nur. daß damit eine Art Blindekuhspiel verbunden ist, indem der Getragene dem Träger die Augen zuhält. Wie nun die Blindekuh heutzutage erlöst ist, wenn es ihr gelingt, einen der Mitspieler zu fangen und zu benennen, so muß es auch bei diesem antiken Spiel eine Bedingung geben, durch deren Erfüllung der Träger sowohl von seiner Blindheit als von seiner Last erlöst wird. Worin diese Bedingung bestand, lehrt die nähere Betrach- tung des Bildes. Behutsam und wie tastend streckt der Träger seinen linken Fuß vor, und ganz nahe vor diesem Fuß liegen auf der Erde zwei Scherben, so nahe, daß sie der Knabe beim nächsten Schritt berühren muß. Hinter diesen Scherben kauert als eine Art Wächter ein dritter Knabe am Boden, der wie schützend die rechte Hand über sie hält. Es ist ein Moment voll hoher dramatischer Spannung. Schreitet der Träger in derselben Richtung weiter, so berührt er die Scherben und ist erlöst, ändert er die Richtung, so muß er noch länger Blindekuh sein. Wir können also die Regeln des Spiels ohne Mühe aus dem Bilde herauslesen. Nur das eine möchte man vielleicht noch gerne wissen, ob die Zweizahl der Scherben Zufall oder von Bedeutung ist. Der antike Name des Spiels oder vielmehr seine Namen — denn es hat deren mehrere — , die Bezeichnung des Trägers und des Ge- tragenen sind uns in der Literatur überliefert: es hieß »Aufsitzen« oder »In der hohlen Hand«, weil die Blindekuh hohle Hände machen muß, oder »Reiten und Bücken«; der Träger ist der »Esel«, der Getragene »der König «. Wir lernen weiter, daß wir das Spiel und seine Regeln richtig er- kannt haben, daß wir aber nur den zweiten Akt des ganzen Spiels vor 5}lC5lK"lMMMlvM^IJrVll5] Abb. 77. 96 Deuten aus der Darstellung allein uns sehen: »Man stellt einen Stein auf und wirft aus einiger Entfernung danach mit Kugeln oder Steinen. « An Stelle der Steine sind auf der Vase Scherben getreten, und wir ersehen nun, was es mit der Zweiheit für eine Bewandtnis hat; die größere ist das Ziel, die kleinere das Geschoß, das es umgeworfen hat. »Wer nun den Stein verfehlt, muß den, der ihn getroffen hat, so lange tragen, wobei ihm von diesem die Augen zugehalten werden, bis er an den Stein kommt, der der Grenzstein heißt.« Man sieht, für das Verständnis des Bildes gewinnen wir aus dieser Beschreibung nur die Erklärung dafür, warum es zwei Scherben sind; denn die Namen können uns gleichgültig sein. Was aber sollen wir zu der Beschäftigung der Frau in dem Bilde sagen, das auf der einen Langseite eines seltsamen Tongerätes angebracht ist (Abb. 78)? Tongeräte die- ser Art — die mit den übrigen genau übereinstim- mende Gestalt des unseren zeigt. Abb. 79 — waren seit langem bekannt und hatten die verschiedenste Erklä- rung erfahren, bis dieses die Lösung des*Rätsels brachte. Die Frau hat das Gerät über ihren Oberschenkel gestülpt ; die rechte Hand liegt auf seinem Rücken, während die linke Hand in einer Weise erhoben ist, als ob sie die andere ablösen wollte. Die Um- gebung, eine Frau am Webstuhl, ein Diener, der einen Korb mit Woll- knäueln herbeibringt, zeigen, daß die Funktion • mit Weben oder Spinnen zusammenhängt, zumal ein leerer oder halbleerer Wollkorb auch vor der so rätselhaft beschäftigten Frau steht. Der Eros ist im Frauengemach eine gewöhnliche Erschei- nung. Hier sind Gerät und Beschäftigung uns so fremdartig, daß nur die literarische Überlieferung helfen kann. Und diese bringt in der Tat die Aufklärung. Sie belehrt uns, daß man die Wolle auf einem Gerät, das man den »Esel«, entsprechend unserem »Bock«, nannte, zu reiben pflegte, um sie für das Spinnen geschmeidiger zu machen. Und nun verstehen wir, was die dritte Frau, deren wir bisher noch nicht Abb. 78. Abb. 79. Genre- und Tierszenen 97 gedacht haben, zu bedeuten hat. Sie hält in der Hand den Wocken, um den die auf dem »Esel« geriebene Wolle gewickelt werden soll. Aber um alles diese festzustellen, bedarf es antiquarischer Gelehrsamkeit. Gänzlich aber können wir selbstverständlich dieser entraten, wo es sich um Tierfabeln, Tierszenen, Tiergeschichten handelt. Ein köstliches Beispiel hierfür liefern zwei Silberbecher aus Bosco reale, deren geistreiche Deutung Heron de Villefosse verdankt wird. Sie schildern in vier Szenen, was ein- mal einem Storchenpaar passiert ist. Wir wollen der Kürze halber von einer methodischen Beschreibung absehen und gleich die Geschichte erzählen. Auf einem alten Baum hat dieses sein Nest gebaut und drei Junge hat die Störchin ausgebrütet. Als aber eines Tages das Elternpaar um Atzung zu suchen ausgeflogen war, wobei die Störchin eine Schlange erbeutet hat, findet es bei seiner Rückkehr arge Verwüstung. Eine große Krabbe hat es sich in dem Neste bequem gemacht. Von den verscheuchten Jungen hat sich eines 'auf den Wipfel eines benachbarten Baumes geflüchtet, ein Asyl, das auch das zweite in ängstlichem Flug zu erreichen strebt. Das dritte — daß es drei Storchkinder sind, lehren die folgenden Szenen — hat sich noch weiter weggeflüchtet, denn wir können es nirgends entdecken. Da hat der Storchvater auf einem anderen benachbarten Baum Posto gefaßt und wirft mit einem kräftigen Stoß seines Schnabels die Krabbe aus dem Nest. Aber noch ein zweiter Feind ist da, der sich zunächst noch ziemlich ruhig verhält, ein dritter Storch — ob ein alter Anverwandter, dem die Obhut über die Kleinen anvertraut ist oder ein alter unglücklicher Nebenbuhler des Storch- vaters, der dessen Familienglück mit Mißgunst ansieht, das können wir freilich nicht erraten. Dieser Tritagonist schnappt nach der Schlange im Schnabel der Störchin, die sich zornig nach ihm umschaut (Abb. 80). In der zweiten Szene hat die Störchin ihre drei Jungen wieder fein säuberlich in das Nest gebettet und hält ihnen die erbeutete Schlange hin. Zwei von den Jungen recken gierig die Hälse danach ; das dritte aber dreht den seinen zur Seite, wo der feindliche Storch, der seinen Posten nicht verlassen hat, mit vorgestrecktem Hals und erhobenen Flügeln einen neuen Angriff auf die Schlange macht. Unterdessen kehrt der Storchvater von einem neuen Beutezug mit einer Heuschrecke im Schnabel zurück. Ein kleiner Vogel auf dem Baum zur Rechten blickt verlangend nach dieser empor (Abb. 81). Aber dieser Leckerbissen erregt auch die Gier des Familienfeindes. Er verzichtet auf die Schlange, die die Störchin nun ruhig ihren Jungen darbieten kann, und sich hoch emporreckend und mit den Flügeln 7 Abb. 82 und 83. Abb. 80 und 81. 100 Deuten aus der Darstellung allein schlagend streckt er seinen Schnabel nach der Heuschrecke aus, die ihm der Storchvater, indem er den Kopf zurückwendet, zu nehmen verwehrt. Der kleine begehrliche Vogel ist nach links hinübergeflogen und sieht dem Kampf der beiden Stärkeren resigniert zu (Abb. 82). In der vierten Szene ist dieser Kampf entschieden. Mit langen Schritten entfernt sich der Stören- fried, nicht ohne den Kopf zornig zurückzuwenden. Der Storchvater über- reicht der Störchin die Beute, die sie mit umgewandtem Hals in Empfang nimmt. Von den Jungen blicken zwei dem geschlagenen Feinde nach, wäh- rend das dritte schon den Hals nach der Heuschrecke empörreckt (Abb. 83). Außer dem schon erwähnten kleinen Vogel bilden eine Schildkröte, ein Krebs, zwei Spinnen und zwei Kaninchen die Zuschauerschaft. Auch menschliche Abenteuer können durch das bloße Bild verständlich gemacht werden, namentlich auf demselben Wege kyklischer Darstellungen, zu denen sich allerdings die griechische Kunst vor der hellenistischen Periode selten entschließt, während sie der orientalischen sehr geläufig sind. Wir wählen daher, über die von uns selbst gesteckten Grenzen ausnahmsweise hinausgreifend, einen Beleg aus dieser. Die phönikische Silberschale, die unsere Abb. 84 zeigt, erzählt, wie Clermont-Ganneau erkannt hat, in ihrem äußeren Streifen — der innere sowie das Mittelbild gehen uns hier nichts an — das Jagdabenteuer eines orientalischen Königs in mehreren Szenen, die wir, sie numerierend, aufzählen wollen: Erste Szene. Auf seinem von zwei Rossen gezogenen Wagen fährt der König, nur von seinem Wagenlenker begleitet, aus dem Tor seiner Stadt heraus. Ein großer ausgespannter Schirm schützt ihn vor den Strahlen der Sonne. In der Linken hält er die Königswaffe, das Beil; am Wagen hängt sein Jagdschießzeug, Köcher und Bogen. Zur Raumausfüllung ist hier wie in den folgenden Szenen ein fliegender Vogel angebracht. Zweite Szene. Diese zerfällt wieder in zwei Unterabteilungen, zu denen beiden gleichermaßen der Wagen gehört, auf dem wir hier nur den Wagen- lenker allein sehen. Der König ist abgestiegen, um dem Waidwerk obzu- liegen. In der ersten Unterszene schießt er, von einem Baum gedeckt, knieend nach einem Hirsch, der vor ihm auf einer Anhöhe herumspringt. In der zweiten Unterszene hat der König die Anhöhe erstiegen und verfolgt den in die Brust getroffenen Hirsch, der reichlich Schweiß verliert. Der König hält in der rechten Hand den Bogen, in der linken drei Reservepfeile. Dritte Szene. Auch diese zerfällt wieder in zwei Unterabteilungen, zu denen gleichermaßen der Wagen gehört. Der Wagenlenker ist abgestiegen und läßt Eine Storchgeschichte. Ein Jagdabenteuer 101 seine Pferde aus einer vorgesetzten Krippe fressen. Der Sonnenschirm ist her- abgenommen. In der ersten Unterszene weidet der König den an einem Baum aufgehängten Hirsch aus. In der zweiten Unterszene sitzt er unter seinem Abb. 84. Sonnenschirm majestätisch auf einem Thron, in der linken Hand das Königs- beil, auf der rechten eine tiefe Trinkschale, vor sich einen säulenartigen Untersatz, auf dem der Krater mit dem Schöpflöffel steht. Der König ist also im Begriff, ein Trankopfer darzubringen. Wem es gilt, lehrt die über 102 Deuten aus der Darstellung allein dem Krater schwebende Sonnenscheibe. Dann aber folgt noch ein Altar, auf dem ein Rippenstück des erlegten Hirsches liegt, von dem Flammen emporschlagen. Darüber schwebt eine geflügelte Gottheit unbestimmten Geschlechts; denn um den Opferduft einzusaugen, beugt sie sich so tief herab, daß nur ihr Oberkopf sichtbar ist, das Gesicht hingegen und der ganze Oberkörper in der Verkürzung verschwinden. Hinter dem Altar erhebt sich ein mit Bäumen bestandener Berg, auf dem ein anderer Hirsch äst und ein Häschen seine Sprünge macht. An der dem Altar zugekehrten Seite dieses Berges kommt aus einer Höhle der menschenähnliche Kopf eines Ungetüms zum Vorschein, das eine Rippe des Hirschbratens zwischen den Zähnen hält. Es muß sie, während der König ganz in Andacht versunken sein Trankopfer darbringt, von dem Altar wegstibitzt haben. Vierte Szene. Hier erblicken wir das Ungetüm in ganzer Figur. Es ist ein riesiger Affe. In der rechten Hand hält er einen Baumzweig, in der erhobenen Linken einen Stein, mit dem er zum Wurf ausholt; aber wen will er treffen? Vor ihm sieht man nur Gebüsch. Dagegen schwebt darüber in der Höhe die uns aus der vorigen Szene bekannte Gottheit; diesmal hat sie Ober- körper und Kopf gerade emporgerichtet, und wir erkennen, daß es eine Göttin ist. In ihren gesenkten Händen aber hält sie, in ganz kleinen Dimen- sionen gebildet, den König mit seinem Wagenlenker auf seinem Wagen unter seinem Sonnenschirm, geradeso, wie wir ihn in der ersten Szene ge- funden haben. Was also ist geschehen? Nach vollbrachtem Opfer und dem darauf folgenden Mahl hat der König zur Rückfahrt seinen Wagen bestiegen, in dem der Wagerilenker wieder den Sonnenschirm aufgepflanzt hat. Aber der Affe, mit seinem gestohlenen Bratenstück nicht zufrieden, will nun die geheiligte Person des Königs selbst attackieren. Er springt aus seiner Höhle heraus und will ihn mit einem Steinwurf zu Boden strecken. Aber der König mit seinem Wagen und seiner Begleitung ist verschwunden. Die für das Opfer dankbare Göttin hat ihn in ihre Hände genommen und hoch in die Luft getragen. Der Affe sucht vergeblich nach dem Ziel seines Wurfes. Fünfte Szene. Die Göttin hat den König mit seinem Wagen wieder auf die Erde niedergelassen. Der König verfolgt nun mit gespanntem Bogen den fliehenden Affen, der von den galoppierenden Pferden überrannt wird. Sechste Szene. Der König ist abgestiegen und erhebt mit der Rechten sein Beil gegen den niedergeworfenen Affen, um ihm den Todeshieb zu geben, 'während er in der Linken noch den Bogen hält. Der Raubvogel, der in Jagdabenteuer eines Königs \Q[ der Absicht, sich an dem Kadaver zu weiden, heranfliegt, gehört gleich- mäßig zu dieser und zu der vorigen Szene. Siebente Szene. Der König kehrt mit seinem Wagenlenker in seine Stadt zurück, beide genau in derselben Haltung wie in der ersten Szene. Um diese Geschichte zu verstehen, bedarf es nicht der geringsten Gelehr- samkeit. Der Name des Königs kann uns gleichgültig sein, wenn er es auch dem Verfertiger der Schale gewiß nicht war, und auch daß die Göttin die Tanit ist, trägt zum Verständnis des Bildwerks nichts Wesentliches bei. Handelt es sich hingegen um mythologische Szenen, so kann man selbst- verständlich die einzelnen Figuren ohne philologisches Wissen nicht be- nennen, aber sich doch in den meisten Fällen sowohl von ihrem gegen- seitigen Verhältnis als von der Bedeutung des Vorgangs schon aus der Dar- stellung allein eine richtige Vorstellung bilden, und das ist der eigentliche Sinn des Wortes, das wir an die Spitze unseres zweiten Abschnitts gestellt haben, daß sich aus einer guten Beschreibung die Deutung von selbst er- geben müsse.. Nehmen wir als erstes Beispiel die in unseren i\bb. 85. 86 wie- dergegebene rotfigurige Vase, auf der die Darstellung auf beide Seiten ver- teilt ist, und betrachten sie zunächst ohne Rücksicht auf die erläuternden Beischriften. Auf der Vorderseite, die drei Figuren enthält, wird ein König von einem gepanzerten Jüngling getötet. Der König gleitet von seinem Thronsessel herab, an dessen einem Bein er sich vergeblich mit der linken Hand zu halten sucht, während er mit der rechten den linken Oberarm seines Überwältigers packt. Denn dieser hat ihn mit kräftigem Griff beim Schopf gefaßt, ihm schon eine tiefe Wunde in der linken Brust beigebracht und stößt ihm eben das Schwert auch in die rechte ; den Kopf aber wendet er nach rückwärts, also dem Vorgang auf der anderen Seite zu, wo etwas seine Aufmerksamkeit erregen muß ; und nach derselben Richtung schreitet ein Mädchen mit ängstlich erhobenen: Händen. Auch durch sie wird der Beschauer darauf aufmerksam gemacht, daß die Darstellung auf der Rück- seite ihre Fortsetzung findet. In der Tat droht von hier Gefahr. Eine Frau kommt hier eiligen Schrittes heran, ein Beil in beiden Händen, mit dem sie zum Schlag gegen den Jüngling ausholt. Aber ein Alter im Pilos fällt ihr rechtzeitig in den Arm, indem er mit der einen Hand das Beil, mit der an- deren den linken Oberarm der Frau anpackt. Ohne weiteres erkennen wir, daß die Frau mit dem König zusammengehört ; es ist die Königin, die ihrem bedrohten Gatten zu Hilfe eilt. Die andere Partei besteht aus dem Jüngling, dem Mädchen und dem Alten; wir werden sogar vermuten, daß die beiden 104 Deuten aus der Darstellung allein ersten Geschwister sind, und wenn wir mit der Gewandung der Zeit einiger- maßen vertraut sind, werden wir noch einiges Weitere feststellen können. Die Frauen- tragen keine Mäntel ; also sind sie im häuslichen Neglige über- rascht worden. Der Pilos, der Reisehut, der gegen Sturm und Regen schützt wie der Petasos gegen die Sonne, ist bei dem Alten nicht auffallend, wohl aber die Chlamys, die sonst nur junge Leute zu tragen pflegen. Pilos und Chlamys bilden das Kostüm des Her- mes und werden von ihm auf seine menschlichen Kol- legen, die Herolde, über- tragen: oder vielmehr von diesen auf den Gott. Also ist der Alte ein Herold. Aus dem Panzer des Jünglings werden wir ferner schließen, daß er von außerhalb ge- kommen ist, vermutlich in Begleitung des Herolds, währends seine Schwester aus dem eben angegebenen Grund ins Haus gehören muß. Endlich ist es unver- kennbar, daß der Künstler mit seinen Sympathien auf seifen des Jünglings steht. Damit ist der Inhalt des Bildes erschöpft. Lernen wir nun aus den Beischriften, daß der Jüngling Orestes, der König Aigisthos, die Frau Klytai- mestra, das Mädchen Chrysothemis und der Alte Agamemnons Herold Tal- thybios ist, so gewinnt dadurch der Vorgang freilich ungemein an Tragik, und unser psychologisches Interesse wird stark gesteigert, da wir nun wissen, daß der Jüngling den Mord seines Vaters rächt und Klytaimestra im Begriff ist, den eigenen Sohn zu erschlagen, um ihren zweiten Gatten zu rächen. Wir freuen uns auch, diesen hoch dramatischen Zug, der in der Überlieferung früh verschüttet ist, aus dieser Vase und ihren Repliken, indem wir sie mit Frag- menten aus der Oresteia des Stesichoros und einer Andeutung in Aischylos' Choephoren vergleichen, wiederzugewinnen. Aber das Wesentliche des Vorgangs hatten wir doch schon vorher aus dem Bilde allein festgestellt. Abb. 85. Der Tod des Aigisthos 105 Auch bei weniger drastischen Szenen ist das möglich. Hierfür soll uns das am Anfang des dritten Jahrhunderts von Novios Plautios in Rom gravierte bronzene Toilettenkästchen, das wir nach seinem früheren Besitzer, dem römischen Antiquar Francesco Ficoroni, die Ficoronische Cista zu nennen pflegen, als Beispiel dienen, obgleich hier die Deutung noch dadurch er- Abb. 86. schwert wird, daß der nach einem Gemälde aus Polygnotischem Kreise arbeitende Künstler Züge seiner italischen Heimat hineingetragen und die charakteristischen Attribute des Originals zuweilen weggelassen oder ver- ändert hat. Auf den ersten Blick erkennen wir, daß die auf dem Zylinder- mantel der Cista in sich selbst zurücklaufende Komposition in drei Gruppen zerfällt, eine Mittel- und zwei Seitenszenen, von denen die linke ebenso lang wie die Mittelszene, die rechte kaum halb so lang ist, eine Disharmonie, die auf dem Original deshalb wegfiel, weil sich hier die Komposition m die Höhe aufbaute und die Figuren zum Teil übereinander angeordnet waren. Nach dem im zweiten Abschnitt aufgestellten Grundsatz beginnen wir mit der Mittelszene, deren streng symmetrische Komposition in die Augen springt (Abb. 88). Ein nackter Jüngling bindet mit großer Kraft- anstrengung einen bärtigen Mann an einen Baum fest. Beide tragen die 106 Deuten aus der Darstellung: allein bis zum Ellbogen reichenden Handschuhe der Faustkämpfer, die im dritten Jahrhundert an Stelle der früher üblichen Riemen getreten sind. Hier treffen wir also gleich auf eine Neuerung des Novios Plautios. Aus dieser Abb. 87. Ausstattung folgt, daß der Jüngere den Älteren im Faustkampf über- wunden hat. Darauf deutet auch die am Boden liegende Hacke, deren man sich zum Auflockern des Bodens der Palästra bediente; ferner die Geräte in der Hand des am Fuß des Baumstamms sitzenden Knaben, in dem wir sofort einen Diener des Siegers erkennen. Er hält nämlich in der Linken das Schabeisen, die Stlengis, und von dem linken Unterarm hängt ihm an einem Bande das bronzene Ölfläschchen, die Lekythos, herab, von der der mittels einer Schnur befestigte Stöpsel bereits abgenommen ist. Bekannt- lich pflegten sich die griechischen Palästriten nach der Übung den ganzen Körper mit Staub und Öl einzureiben, um das Ausbrechen des Schweißes zu verhindern, und diese Kruste dann nach einiger Zeit mittels der Stlengis wieder abzuschaben. Diese sanitäre Maßregel wird alsbald auch der jugend- liche Sieger im Faustkampf vornehmen. Außerdem ist über die linke Schulter des Dieners der Mantel seines Herrn gebreitet, den dieser vor dem Kampf abgelegt hat; wenn er aber in der rechten Hand auch die Schuhe seines Herrn hält, während doch die griechischen Männer und Jünglinge nur San- dalen oder Stiefel und höchstens die Greise persische Pantoffeln trugen, so ist das wieder italische Zutat, die auf der Cista noch viermal begegnet. So gleich bei dem Überwundenen, dessen ausgezogene Stiefel vor seinen Füßen stehen, während sein abgeworfener Mantel darüber auf einem Felsen Die Ficoronische Cista 107 liegt. Daß es sich um keinen Faustkampf gewöhnlicher Art handelt, lehrt die harte Strafe des Besiegten, und so kommt denn auch von rechts Nike mit Kranz und Tänie auf den Sieger zugeflogen. Wenn sie bis auf ein kleines Abb. 88. Mäntelchen nackt erscheint, so ist das wiederum eine Änderung des Novios Plautios, wenn anders nicht die ganze Figur von ihm selbst zugesetzt ist; denn zu Polygnots Zeit ist Nike in mythologischen Szenen noch eine Seltenheit. Noch mehr aber bestätigt die Schwere des Zweikampfs die Anwesenheit der Athene, die, in der Linken die Lanze, die Rechte auf die Hüfte gestützt, mit göttlicher Ruhe, aber doch mit offenbarer Befriedigung auf den Unterlege- nen blickt. Diese drei Haupt- figuren werden zu beiden Seiten von zwei symmetrischen Grup- pen eingefaßt, die von einer stehenden und einer sitzenden Figur gebildet werden. Den Gedanken, daß man rechts die Partei des Besiegten, links die des Siegers zu erkennen habe, wird man sofort abweisen, wenn man den Platz der Athene vor der rechten Eckgruppe beachtet. Vielmehr stehen alle vier auf seifen des Siegers. Den Abb. 89. 10g Deuten aus der Darstellung allein Ehrenplatz neben Athene nimmt ein schöner Jüngling ein, der in der Rechten eine Lanze hält und mit der Linken sein Kinn stützt. Er ist die einzige Figur auf der Cista, die einen Kranz trägt. Außerdem legt er Gewicht auf Schmuck. Nicht nur trägt er an den Füßen, wieder als Zutat des Novios Plautios, Schuhe, die aber bei ihm zierlich ausgeschnitten sind, auch seinen linken Oberarm schmückt ein reiches, ohne Zweifel golden zu denkendes Armband. Man wird hierdurch etwas an den im vorigen Abschnitt besprochenen Paris Borghese erinnert. Hinter diesem Jüngling steht in Rückenansicht ein bärtiger Mann, der sich in vorgebeugter Haltung auf seinen Speer lehnt und die Fesselung des Überwundenen mit einer Art von Kennermiene beobachtet. Es ist dies eine in der Zeit des Polygnot und bei der voraus- gehenden Generation häufig vorkommende Stellung, für die namentlich der Vasenmaler Hieron eine gewisse Vorliebe hat. An der linken Ecke bildet zu dem sitzenden eleganten Jüngling eine scharfe Kontrastfigur ein sitzender vierschrötiger Mann mit behaarter Brust, der sich mit beiden Händen auf seinen Speer stützt und mit trotzigem Ausdruck auf die Fesselung blickt. Die stehende Figur ist hier nicht hinter, sondern vor die sitzende gestellt, was an die Anordnung von Iris und Eros am Parthenonfries er- innert (vgl. oben S. 32). Es ist ein bärtiger Mann gleichfalls mit behaarter Brust und mächtigen Adlerflügeln im Rücken, der, mit dem linken Bein hoch auftretend, das Kinn in die Hand stützt und ebenfalls den Vorgang in der Mitte beobachtet. Fänden wir diese Figur auf einem griechischen Bildwerk, so würden wir in ihr den Windgott Boreas erkennen, und diesen Namen werden wir ihr auch auf der Cista unbedenklich beilegen. Während in der Mittelgruppe die Aufmerksamkeit aller Figuren auf die beiden Faustkämpfer konzentriert ist, scheint man sich in den Seitengruppen um diese gar nicht zu kümmern. Aber in der rechten Seitengruppe sind wenigstens die drei ersten Figuren der Mittelgruppe zugewandt, und so ist es methodisch mit dieser fortzufahren (Abb. 89). Wir erblicken hier die hintere Hälfte eines Schiffes, dessen Vorderteil hinter einem vorspringenden Uferfelsen verschwindet. Am Heck oberhalb des Steuerruders sitzt, die Arme behaglich über das rechte Knie gekreuzt, in bequemer Haltung ein junger Mann, der durch diesen Platz als der Steuermann gekennzeichnet ist ; in seinen Haaren spielt der Seewind. Er ist von allen Figuren der Neben- gruppen die einzige, dessen Blicke auf die Szene der Fesselung gerichtet sein könnten, allerdings nicht auf der Cista, wo die Wölbung des Gefäßes ihm die Aussicht nimmt, sondern nur in der abgerollten Zeichnung; aber Die Ficoronische Cista 1Q9 wahrscheinlicher ist, daß sie ziellos in die Weite gehen. Hinter ihm hat sich ein Fahrtgenosse bequem auf dem Rücken zum Schlafen hingestreckt, wobei er sich ein Kopfkissen untergeschoben hat; die rechte Hand ruht auf der Brust, die linke ist unter den weit in den Nacken zurückgefallenen Kopf gelegt, der Mund geöffnet; man glaubt ihn schnarchen zu hören. Die einzige tätige Figur unter den auf dem Schiff befindlichen ist der hinter ihm knieende junge Mann. Seine Chlamys flattert im Seewind. Er ist im Begriff, einen großen Ledersack wieder zuzuschnüren. Was es mit diesem für eine Bewandtnis hat, lehrt der junge Mann, der behutsam die Schiffs- leiter hinuntersteigt; behutsam, weil seine beiden Hände etwas zu tragen haben, die linke einen Korb, aus dem ein Tuch heraushängt und der ver- mutlich Brot enthält, die rechte ein Henkelt önnchen — vielleicht mit Wein; da dies aber etwas durchaus Ungriechisches ist, so wird es wieder dem Novios Plautios auf Rechnung zu setzen sein. Auf dem griechischen Original wird er wohl einen Weinkrug am Henkel getragen haben. Neben der Schiffs- leiter sitzt ein fünfter junger Mann, der im Begriff ist sich der Schuhe zu entledigen. Das über seine Beine gelegte Ruder charakterisiert ihn als zur Bemannung des Schiffes gehörig, das an seiner Seite hängende Schwert als Heros. Wir lernen aus dieser Seitenszene, daß der siegreiche Faustkämpfer und seine Begleiter nicht in der Gegend, wo sich der Vorgang «abspielt, zu Hause sind. Dagegen wird der Besiegte ein Einheimischer sein. Tn der linken Seitenszene fesselt vor allem unsere Aufmerksamkeit eine Felsenquelle, deren Mündung in einen Löwenkopf gefaßt ist. Links davon ist an einem in den Felsen eingeschlagenen Nagel eine Trinkschale auf- gehängt, die an ihrer Außenseite mit Figuren und Henkelpalmetten verziert ist, in der Weise der frühen rot figurigen Schalen, etwa aus der Fabrik des Epiktet. Aus ebensolcher Schale trinkt ein rechts neben der Quelle stehender junger Mann, der mit einer Chlamys bekleidet ist und in der Linken einen Speer hält. Das Wasser der Quelle ergießt sich in einen unter ihrer Mün- dung schräg am Boden stehenden Krug, der schon ganz gefüllt ist, so daß die Flüssigkeit zurückspritzt. Rechts von dem trinkenden Heros ist ein anderer Heros beschäftigt, einen zweiten, gleichfalls schon gefüllten Wasser- krug beiseite zu stellen; ein dritter lehnt weiter rechts gefüllt am Boden, ein vierter, der jedoch noch leer ist, liegt neben dem vierschrötigen Helden auf der Erde. Die von uns zuletzt besprochene Figur hat also die Aufgabe, vier Krüge mit WTasser zu füllen, und hat sich dieser bereits zum größten Teil HO Deuten aus der Darstellung allein i entledigt. Am rechten Ende dieser Seitengruppe finden wir zwei eng mitein- ander verbundene Jünglinge. Der eine, der durch den Pilos und zwei Speere in der Linken ausgezeichnet ist, steht in vorgebeugter Haltung da, indem er mit dem linken Fuß hoch auftritt und die Arme über dem linken Oberschenkel kreuzt. Sein Gefährte, der in Rückenansicht mit gekreuzten Beinen dasteht, legt zärtlich den Arm um den Hals seines Freundes; er trägt nur einen Leibgurt; sein Gewand hat er auf einen Felsen, der hinter ihm zum Vor- schein kommt, abgelegt; an seiner linken Schulter lehnt die Lanze. Diese Gruppe soll offenbar eine Art Übergang von der linken Seitenszene zur Mittelszene bilden. Weiter sieht man über dem mit dem Füllen der Krüge beschäftigten Jüngling, am Abhang eines Bergs bequem auf seinen Mantel gelagert einen Knaben, der mit der Rechten eine lange Tänie im Winde flattern läßt und dabei die Finger der anderen Hand spielend bewegt. Um den Hals trägt er die Bulla, in der die Amulette gegen jede Art von Zauber verborgen sind. Daß dieses spezifisch italische Schmuckstück unmündiger Knaben eine Zutat des Novios Plautios ist, versteht sich von selbst. Bei den Griechen werden die Amulette offen an einer quer über die Brust laufen- den Schnur getragen und heißen daher Periammata. Es wäre denkbar, daß der Knabe auf dem Original solche Periammata getragen hätte, ist aber deshalb nicht wahrscheinlich, weil die griechische Kunst diese, gewiß der Sitte des täglichen Lebens entsprechend, nur ganz kleinen Kindern zu geben pflegt. Daß durch diese Bulla jeder Gedanke an einen Berggott ausgeschlossen wird, ist schon oben S. 55 gelegentlich bemerkt worden. Er wird es aber nicht minder durch die Tänie; denn diese ist das typische Liebesgeschenk der Liebhaber an schöne Knaben; wir haben also den Liebling eines der hier versammelten Helden vor uns. Ganz am Ende der linken Seitenszene finden wir einen Heros in anfangs befremdlicher, bei genauer Prüfung jedoch leicht verständlicher Beschäftigung. Er setzt nämlich seine Füße genau wie es Faustkämpfer zu tun pflegen, und genau wie diese holt er mit der rechten Hand zum Schlag aus. Und wir verstehen auch, daß dieser Schlag gegen den Sack gerichtet ist, der an dem Ast eines neben der Quellmündung wachsenden Baumes aufgehängt ist. Es gehört nun wirklich nicht viel Scharfsinn dazu, um zu erraten, daß wir es hier mit einer Vorübung zum Faustkampf zu tun haben, und wir gewinnen für das Verständnis des Motivs kaum etwas Wesentliches, wenn wir erfahren, daß ein solcher Sack für die Schwächeren mit Mehl, Feigenkörnern oder Olivenkernen, für die Stär- keren mit Sand gefüllt wurde, daß er Korykos hieß und die Übung Koryko- Die Ficoronische Cista machia. Nur die Haltung des linken Arms wird uns verständlicher, wenn wir lernen, daß der Korykos bei dieser Übung in pendelnde Bewegung gesetzt wurde ; vielleicht hätte sich aber auch das aus der Darstellung selbst erschließen lassen. Auch was das Motiv an dieser Stelle soll, leuchtet ohne weiteres ein. Ein Gefährte des siegreichen Faustkämpfers, der eben er- fahren hat, wie wertvoll diese Kunst werden kann, verliert keinen Augen- blick, um sich in ihr zu üben, in der Hoffnung selbst mit ihr Ehre einzulegen. Zwischen dieser Figur und der Quelle finden wir auf einem Felssitz einen Kahlköpfigen, dem ein zottiges Tierfell den Rücken bedeckt. Mit behag- lichem Grinsen wendet er den Kopf nach dem Übenden hin und versucht sich selbst in der Korykomachie, indem er sich mit beiden Fäusten auf seinen Wanst schlägt. Auch diese Figur muß eine Zutat des Novios Plautios sein, und zwar aus zwei Gründen. Erstens ist dieser Süentypus der griechischen Kunst — nicht nur des fünften Jahrhunderts, sondern überhaupt — fremd, findet hingegen auf italischen Bildwerken seine Parallelen, zweitens ist dieser Silen hier unverkennbar als Hüter der Quelle gedacht; das ist aber eine italische Vorstellung, keine griechische. Aus dieser linken Seitenszene lernen wir die Veranlassung zur Landung der Heroen und damit den Zusammenhang des Ganzen kennen. Die Schiffs- gesellschaft wollte ihren Wasservorrat erneuern, aber ein einheimischer Unhold wehrte ihnen den Zugang zur Quelle und forderte die Fremdlinge zum Faustkampf heraus. Zum Glück hatten diese einen gewaltigen Faust- kämpfer unter sich, der sich auch der Huld Athenes erfreute. Dieser be- siegte den groben Gesellen und band ihn an einen Baum. Und nun schöpfen die Ankömmlinge unbehelligt Wrasser und laben sich fröhlich an dem frischen Trunk. Ist damit nicht alles gesagt? Brauchen wir mehr zu wissen? Freilich die Namen fehlen uns; aber die gehören in das Gebiet der antiquarischen Wißbegierde, die sich nicht durch das bloße Anschauen, sondern nur aus der Überlieferung befriedigen läßt. Auch das ist hier der Fall. Die Mytho- logie belehrt uns, daß die Argonauten auf ihrer Fahrt nach Kolchis das Land der Bebryker anliefen, die man sich in der Gegend des späteren Lampsa- kos wohnend dachte, daß der Bebrykerkönig Amykos ihnen wie allen Fremden die Landung verbot, wenn sich nicht einer von ihnen mit ihm im Faust- kampf messen wollte, daß Polydeukes vortrat und ihn besiegte. Damit haben wir nicht nur die Namen der beiden Hauptpersonen, Polydeukes und Amykos, gewonnen, wir wissen nun auch, daß das Schiff die Argo, die Gefährten des Siegers die Argonauten sind, und verstehen nun auch die 212 Deuten aus der Darstellung allein Anwesenheit der Athene, die die Schutzgöttin dieses Kreises von Heroen ist und bei dem Bau ihres Schiffes wesentlich beteiligt war. Wir stehen nun vor der Frage, ob wir auch die übrigen Figuren, alle oder teilweise, benennen können. Ehe wir aber an diese herantreten, sind ein paar Vor- fragen zu beantworten, die weit über diesen Einzelfall hinaus von prin- zipieller Bedeutung sind. Hat sich Novios Plautios unter jeder Figur einen bestimmten Argonauten gedacht? Diese Frage verschiebt sich sofort zu der weiteren: bedeuteten auf dem griechischen Originalgemälde alle Figuren bestimmte Heroen? Diese zweite Frage ist unbedingt zu bejahen; wir wissen aus des Pausanias Beschreibung der Leschebilder, daß dort alle Figuren Namensbeischriften hatten, die bei den Hauptpersonen dem Epos entnommen, bei den Nebenfiguren frei erfunden waren. Dasselbe haben wir aber auch für dies Argonautenbild vorauszusetzen. Keine so bestimmte Antwort können wir auf die erste Frage geben; wir wissen nicht, wieweit Novios Plautios in der griechischen Mythologie zu Hause war, wir wissen nicht, durch welche bildlichen Zwischenglieder sein Zeichnung mit jenem Originalgemälde zusammenhängt. Die Möglichkeit liegt also vor, daß sich schon auf dem Weg der Vermittelung Mißverständnisse eingeschlichen haben und ebenso die weitere, daß Novios Plautios selbst die Beischriften seiner direkten Vorlagen unrichtig bezogen und die eine oder andere Figur mißverstanden oder überhaupt nicht verstanden hat. Aber für uns ist das gleichgültig; denn uns kommt es nicht darauf an, die Meinung des Novios Plautios, sondern die jenes griechischen Wandmalers zu er- mitteln. Daran reiht sich nun die weitere Frage an: sind wir heute noch im- stande, die Namen aller dargestellten Figuren festzustellen? Ich meine natürlich auf dem Wege der Methode, denn jedes Raten ist in der archäolo- gischen Hermeneutik verpönt, und nichts ist verkehrter, als eine Deutung dadurch zu empfehlen, daß man sie als von vielen oder den meisten ge- billigt bezeichnet. Denn nicht auf den Beifall der Menge kommt es an, son- dern auf den streng wissenschaftlichen Beweis. Hier ist nun folgendes maßgebend. Nebenfiguren, die auf dem Original willkürlich erfundene Namen tragen, zu benennen, darauf müssen wir von vornherein verzichten. Bei den übrigen unterscheiden wir zwischen sicherer und wahrscheinlicher Deutung. Außer Polydeukes und Amykos, Athene und Boreas, auf den wir noch zurückkommen, können wir sofort benennen Iason, Tiphys und Hylas. Iason, der Schützling der Athene, ist natürlich der elegante Jüng- ling, neben dem die Göttin steht und der hierdurch wie durch den Kranz Die Ficoronische Cista 1 13 als der Führer der Argonauten bezeichnet wird. Aufgefaßt ist er ganz, wie ihn Chiron im Faust schildert: »Nachsinnend, kräftig, klug, im Rat bequem, So herrschte Jason, Frauen angenehm. « Den Steuermann haben wir schon aus der Darstellung allein erkannt, wir ge- ben ihm nun den ihm gebührenden Namen Tiphys. Auch die an sich befremd- liche Anwesenheit eines Knaben bei dieser Szene verstehen wir nun: es ist Hylas. Andere Namen lassen sich mit Sicherheit erschließen. Wenn Hylas zugegen ist, kann sein Liebhaber Herakles nicht fehlen. Es ist der trotzige Recke neben Boreas; Novios Plautios hat ihm, vielleicht weil er ihn nicht erkannte, statt der Keule einen Speer, statt des Löwenfells einen Mantel gegeben. Bei der Ruhmestat des einen Dioskuren muß auch der andere zugegen sein; wir erkennen Kastor in dem Heros mit dem Pilos, der um diese Zeit bereits für die Dioskuren charakteristisch zu werden beginnt. Wenn er mit einem anderen Heros als seinem Bruder in vertrauter Gemein- schaft erscheint, so ist das ganz in der Manier Polygnots, der ähnlich auf seiner Iliupersis den Akamas nicht mit seinem Bruder Demophon, son- dern mit Polypoites, dem Sohn des Peirithoos, zu einer Gruppe verbunden hatte. So weit die sicheren Benennungen, nun die wahrscheinlichen, bei denen wir von der Figur des Boreas ausgehen. Was soll er hier? Er ist mi- die Argo der konträre Wind, kann also nur in negativer Weise, indem er nicht bläst, ihre Fahrt begünstigen. Daß aber dies durch seine Anwesen- heit ausgedrückt sein sollte, ist so absurd, daß es nicht erörtert zu werden braucht. Aber seine Söhne, die Boreaden Kaiais und Zetes, gehören zu den vornehmsten und charakteristischsten Argonauten. Werden sie auch meist geflügelt gebildet, so doch auch häufig ungeflügelt. Aus der An- wesenheit ihres Vaters Boreas werden wir auch auf ihre Anwesenheit schließen und den einen von ihnen in dem mit Kastor gruppierten, den anderen in dem trinkenden Heros erkennen. Ein ganz hervorragender Argonaut muß der hinter Iason stehende Bärtige schon wegen dieses Platzes sein. Neben Iason und Herakles ist aber unstreitig der vornehmste der Aiakide Telamon, der Vater des Aias. So werden wir also diesen Helden zu benennen haben, der weiter dadurch kenntlich gemacht ist, daß er seinem Freunde Herakles gerade gegenüber steht. Wir sehen also, daß die Mittelgruppen außer den Göttern und den beiden Kämpfern nur die Aristokratie der Argonauten, Iason, Herakles und Telamon, umfaßt. Hingegen können wir den jungen i i a Deuten aus der Darstellung allein Helden, der sich in der Korykomachie übt, nicht benennen, obgleich auch er sicherlich zu den vornehmeren Argonauten gehören wird. Sämtliche übrigen Figuren, die Schiffsmannschaft im engeren Sinn und der die Krüge füllende Jüngling, werden schon durch ihre Verrichtungen als Personen von ge- ringerem Rang gekennzeichnet, die auf dem Original wohl keine heroischen, sondern erfundene Namen getragen haben werden. Die Benennung, soweit sie sich erreichen läßt, ist hiermit erledigt. Es lohnt sich aber hier, wie bei der Göttergruppe des Parthenonfrieses, auch auf einige verfehlte Deutungen einzugehen, weil sich für die Methode etwas daraus lernen läßt. Allerdings müssen dabei vorgreifend einige Erscheinungen erörtert werden, die erst später in größerem Zusammenhang ganz gewürdigt werden können. Der byzantinische Geschichtschreiber Johannes Malalas berichtet, daß den Argonauten, als sie sich vor Amykos geflüchtet hätten, am europäischen Ufer des Bosporos ein furchtbarer geflügelter Mann erschienen sei, der ihnen Sieg über den Bebrykerkönig verheißen habe. Nach Erfüllung dieser Ver- heißung hätten die Argonauten diesem Geist an dem Platz seiner Erschei- nung unter dem Namen Sosthenes ein Heiligtum gestiftet, das später Kon- stantin der Große auf Grund eines Traumgesichtes dem Erzengel Michael ge- weiht habe. Diesen Sosthenes hat man in dem Boreas der Ficoronischen Cista erkennen wollen. Das ist übel angewandte Gelehrsamkeit. Man hätte sich sagen müssen, daß die aus einem mythologischen Handbuch byzantinischer Zeit geflossene Erzählung des Malalas schon aus dem Grunde mit der auf der Cista vorliegenden Sagenform nichts zu tun haben kann, weil in ihr das wesentliche Moment, der Faustkampf zwischen Amykos und Polydeukes ausgeschaltet oder, richtiger gesagt, durch die Erscheinung des Sosthenes ersetzt wird, abgesehen davon, daß es ein schwerer methodischer Fehler ist, ein Bildwerk des dritten oder, wenn wir das Originalgemälde ins Auge fassen, des fünften Jahrhunderts aus einem byzantinischen Autor interpretieren zu wollen. Auch ein anderes literarisches Zeugnis hat auf die Deutung seinen Schatten geworfen. In dem Epos des Apollonios von Rhodos, das für die Sagenform der Folgezeit so maßgebend geworden ist, daß es die meisten früheren Sagen- formen in Vergessenheit geraten ließ, ist Amykos der König der Bebryker, eine Bezeichnung, die auch wir der Kürze halber vorläufig oben eingesetzt haben. Man hat sich nun gesagt, daß, wenn dieses der Fall war, Vertreter seines Volkes nicht fehlen können und daher bald den Herakles allein, bald ihn und Telamon für Bebryker erklärt, dabei aber vergessen, daß diese Die Sage von Amykos \\5j sich nicht so friedlich unter die Argonauten mischen und der Fesselung ruhig, ohne Zeichen des Schmerzes und Zorns, ja mit einem gewissen neu- gierigen Interesse zusehen dürften. Richtiger hätte man mit der Frage beginnen müssen, ob denn die Sagenform bei Apollonios und auf der Cista dieselbe ist ; und dann würde man alsbald bemerkt haben, daß beide außer dem Zweikampf nichts miteinander gemein haben. Bei Apollonios ist nämlich der Ausgang ein ganz anderer. Amykos wird nicht gefesselt, sondern wäh- rend des Zweikampfs von Polydeukes durch einen Faustschlag oberhalb des Ohres getötet. Alsbald eilen seine Mannen mit Keulen und Spießen herbei, und es entspinnt sich zwischen ihnen und den Argonauten eine regelrechte Schlacht, in der die Bebryker in die Flucht geschlagen werden. Nachdem die Argonauten ihre Gehöfte verwüstet und ihre Herden geraubt haben, ergötzen sie sich die ganze Nacht an einem üppigen Gelage, das durch Gesang und das Leierspiel des Orpheus verschönt wird, und fahren am anderen Morgen weiter. Die Fesselung des Amykos ist uns aber aus älteren Dichtern, Peisandros und Epicharm, bezeugt, und es ist klar, daß seine Untertanen diese nicht dulden können — wenn er welche hat. Theokrit hat sich dadurch geschickt aus der Schlinge gezogen, daß Polydeukes den Amykos weder tötet noch fesselt, sondern schwören läßt, in Zukunft den Zutritt zu der Quelle freizugeben. Also die Fesselung war nur möglich, wenn Amykos kein König, sondern ein einsam am Strande hausender Unhold war, wie Skiron, Antaios und ähnliche Wegelagerer, die wie Amykos Posei- donsöhne sind. So muß es bei Peisandros und Epicharm und in Sophokles' Satyrspiel Amykos gewesen sein, und so ist es auf der Ficoronischen Cista. Ein Nachklang davon findet sich auch noch bei Theokrit, wo er als riesen- hafter Unhold beschrieben wird; freilich haust er dort nicht mehr allein, sondern hat Gefährten, zu denen er aber in ähnlichem Verhältnis steht, wie Polyphem zu den übrigen Kyklopen, und er heißt nicht ihr König, sondern ihr Archegos. Nur bei Theokrit finden wir auch die Quelle erwähnt ; bei Apollonios ist sie ganz ausgeschaltet; aber auch bei Theokrit stoßen die Dioskuren beim Herumstreifen rein zufällig auf sie. Daß die Argonauten die Landung unternehmen, um Wasser zu schöpfen, lernen wir aus der Cista, gehört also gewiß zur ursprünglichen Sagenform. Dagegen können wir über das weitere Schicksal des Amykos weder aus der Cista etwas er- schließen noch wissen wir, wie bei Peisandros, Epicharm und Sophokles der Ausgang war. Das Theokritische Gelübde scheint ausgeschlossen; denn erstens deutet der Dichter nach Wilamowitz' feiner Beobachtung an, daß 116 Deuten aus der Darstellung allein es seine eigene Erfindung ist, und zweitens sind bekehrte Bösewichter etwas der griechischen Sage ganz Unbekanntes. So bleibt nur die Annahme übrig, daß die Argonauten den Gefesselten seinem Schicksal überließen, so kraß dieser Zug uns Modernen auch erscheinen mag. Wir wenden uns nun zu einer Kategorie von Darstellungen, wo zu der Handlung das Wort hinzutritt, d. h. wo wir uns die dargestellten Figuren sprechend oder wenigstens laut denkend oder in Unterhaltung miteinander begriffen vorzustellen haben, und auf den Reden, die sie führen, der Haupt- Abb. 90. nachdruck liegt. T Hier greift die ältere Kunst wie später die mittelalter- liche zu dem bequemen Hilfsmittel, die gesprochenen Worte neben die Figuren zu schreiben, was also der Namensbeischrift entspricht. Aber wie wir diese in vielen Fällen entbehren könnten, so lassen sich auch viel- fach die Worte oder Gedanken der handelnden Personen aus der Darstellung selbst entnehmen. Betrachten wir z. B. die in Abb. 90. 91 wieder gegebene schwarzfigurige Amphora, deren beide Seiten — ein in der griechischen Vasen- malerei verhältnismäßig seltener Fall — zwei Szenen desselben Vorgangs zeigen, also eine kyklische Komposition, wie wir sie auf der phönikischen Schale und den Bechern von Bosco reale fanden. Auf dem ersten Bilde wird noch nicht gesprochen. Die Männer, die sich hier auf Stühlen gegen- Gespräche 117 übersitzen, jeder mit einer Amphora zur Seite, sind mit sich selbst beschäftigt. Der eine füllt aus seiner Amphora mittels eines Hebers eine Flüssigkeit in ein kleines Gefäß. Ein stilisierter Ölbaum, der die Mitte des Bildes ein- nimmt, belehrt uns, daß diese Flüssigkeit Öl ist, daß sich der Vorgang in einem Baumgarten abspielt und daß der von uns besprochene Mann dessen Besitzer ist. Der Hund dieses Besitzers nähert sich mit erhobenem Schwanz neugierig dem zweiten Mann, der ihn mit der linken Hand zu sich heran- lockt. Mit der rechten Hand hebt er einen langen Stab, dessen oberes Ende fehlt, da die Vase an dieser Stelle ergänzt ist: Der Vergleich mit der Rück- Abb. 91. seite zeigt, daß es nicht etwa ein Spazierstock, sondern eine Stange ist, wie sie zum Anbinden junger Ölbäume dient. Der Mann hat sie aus halber Langeweile ergriffen und spielt mit ihr. Was geht vor, und wer sind die beiden Männer? Den einen haben wir schon als Besitzer einer Ölbaum- pflanzung erkannt; es ist ein Ölhändler, der andere der Käufer. Der Ol- li ändler füllt für diesen eine Probe seiner Ware in ein kleines Gefäß. Auf der Rückseite treffen wir dieselben Personen in heftigem Wortgefecht. Der Verkäufer ist aufgestanden, hält nun seinerseits die Stange in der einen Hand und streckt die andere mit gespreizten Fingern vor. Sein Hund ist nicht mehr so friedlich wie in der ersten Szene; er nimmt für seinen Herrn Partei und bellt den Käufer an. Dieser ist sitzen geblieben und blickt starr 118 Deuten aus der Darstellung allein auf die vor ihm stehende Amphora. Dabei hebt er die linke Hand mit ge- spreizten Fingern und senkt die rechte, deren beide kleine Finger einge- schlagen sind. Er rechnet mit den Fingern, er »fünfelt «, wie die Griechen sagen. Auch hier ist der Vorgang ohne weiteres klar. Käufer und Ver- käufer sind zwar im übrigen handelseinig geworden, aber über die Quantität des Öls in Zank geraten. Der Käufer glaubt, daß ihm zu wenig zugemessen worden sei, wogegen sich der Verkäufer energisch verwahrt. Jetzt erst werfen wir einen Blick auf die Beischriften. Von dem Mund des Ölhändlers gehen die Worte aus : »Es ist schon zu viel, es ist übergelaufen ! « Auch vor dem Käufer standen Worte, doch sind nur zwei Buchstaben erhalten, und von diesen ist nur O sicher zu lesen. Da nun der Käufer acht Finger erhebt, ist es möglich, daß dies ein Rest von uztw, »acht «, ist und er etwa sagte : »Das sollen acht Choen [= 3/4 des Metrites = 26, 26 Liter] sein? Das ist doch nicht möglich ! « Auch auf der Vorderseite gehen von dem Ver- käufer Worte aus, die aber nicht seine Rede, sondern seine geheimen Ge- danken wiedergeben: »O Vater Zeus, möge ich reich werden !« d. h. möge ich ein gutes Geschäft machen. Der Vorgang wird zwar durch diese Bei- schritten pointierter, aber verstanden haben wir ihn auch ohne sie. Wir schließen hieran die Szene auf einer rotfigurigen Vase, bei der alles auf das Gespräch gestellt ist (Abb. 92). Ein jüngerer und ein älterer Mann sitzen einander gegenüber ; hinter die- sem steht sein Sklave. Alle drei blicken und zeigen mit einer gewissen Erregung in die Höhe. Bei dem jüngeren Mann ist diese Erregung am stärksten. Er streckt den rech- ten Arm weit vor und weist mit dem Zeigefinger nach oben. Auch der Sklave hebt den Arm ganz hoch, doch sind die Finger gleichmäßig aus- gestreckt. Der Mann, der, um zu sehen, den Oberkörper ganz umdrehen muß, zeigt ebenfalls mit dem Zeige- finger in die Höhe, hebt aber den Arm nicht, sondern biegt ihn nur zu einem rechten Winkel. Was die Auf- merksamkeit der drei Personen erregt, ist eine über dem älteren Mann in die Luft steigende Schwalbe, und wenn wir auch nicht ihre Worte erraten Abb. 92. Gespräche und Gedanken 119 können, so doch deren Sinn. Der Jüngere hat die Schwalbe zuerst bemerkt und macht den Älteren darauf aufmerksam. Der Sklave zeigt seinem Herrn die Stelle, wo sie fliegt, und dieser bestätigt die Beobachtung mit be- dächtig ausgestrecktem Zeigefinger. Und so belehren uns denn die Bei- schriften, daß der Jüngere sagt: »Sieh da, eine Schwalbe«, der Sklave: »Da ist sie«, und sein Herr: »Ja, beim Herakles. Nun ist's Frühling.« Wie wir schon hier die Beischriften im Grunde entbehren können, so ver- zichtet die Kunst sehr bald darauf, die Darstellungen durch sie näher zu erläutern und stärker zu pointieren. In welch hohem Grade sie trotzdem Abb. 93. imstande sind, Gedanken und Worte der dargestellten Figuren zum Ausdruck zu bringen, mag uns eins der in Neumagen gefundenen Reliefs lehren, das um 200 n. Chr. gearbeitet worden ist (Abb. 93). Es fehlt die ganze linke Hälfte und von der erhaltenen rechten der untere Teil. Aber das Vorhandene genügt, um zu erkennen, daß wir es hier mit einer der lebensvollsten Darstellungen zu tun haben, die uns aus dem Altertum erhalten sind. Zwar um den Vorgang im allgemeinen zu verstehen, bedarf es einiges antiquarischen Wissens. Wir müssen mit den damaligen Kulturverhältnissen des Mosellandes und der Tracht seiner Bewohner bis zu einem gewissen Grad vertraut sein, müssen wissen daß sich der Grundbesitz in den Händen reicher Kapitalisten befand, die ihn parzellenweise an kleine Kolonen verpachteten, daß die Tracht in einem Hemd und einem Überwurf, dem Sagum, bestand, und daß man. wenn man über Land ging, an das Sagum hinten eine Kapuze knüpfte, die 120 Deuten aus der Darstellung allein dieselben Dienste leistete, wie den Griechen der Pilos; sie schützte gegen Regen und Sturm. Dies vorausgeschickt, werden wir ohne Mühe in der rech- ten Eckfigur und den beiden in ganz flachem Relief gehaltenen Männern an ihren Kapuzen drei Kolonen, in den drei an dem Tisch sitzenden, wie die Eckfigur, in hohem Relief gearbeiteten Männern drei Bureaubeamte eines Großgrundbesitzers, in dem in flacherem Relief als diese, aber in höherem als zwei von den Kolonen dargestellten, stehenden Mann einen Bureaudiener erkennen. Alle Figuren sind in verschiedener Beschäftigung und in ver- schiedener Stimmung dargestellt. Der Bureaubeamte, der jetzt die linke Ecke des Fragments einnimmt, muß einst das Zentrum der Komposition gebildet haben. Links von ihm müssen noch zwei sitzende Figuren voraus- gesetzt sein, entweder zwei weitere Bureaubeamte, oder nur einer und der Großgrundbesitzer selbst. Vor der einstigen Mittelfigur liegen mehrere zusammengebundene Wachstafeln, das Kontobuch ; in der Rechten hält sie den Stilus ; sie ist eben im Begriff, in eine Schreibtafel, die sie auf das Konto- buch gelegt hat, etwas einzutragen. Es ist der Buchhalter, und es handelt sich um eine geschäftliche Urkunde. Ohne Zweifel bezieht sich diese auf den mit Münzen gefüllten Korb, der vor ihm auf dem Tisch steht. Beides, Geldkorb und Quittung, soll dem wartenden Bureaudiener übergeben wer- den, dessen Züge die strenge Pflichttreue, aber auch das Selbstbewußtsein des bewährten Unterbeamten erkennen lassen. Von dem Geldkorb bis zum Kopfende ist der ganze Tisch mit einem Haufen von Geldstücken bedeckt, die der dort sitzende Beamte mit der Rechten glatt zu streichen bemüht ist. Seine Aufgabe ist es, die Münze in Körbchen zu füllen, die auf dem verlorenen unteren Teil des Reliefs am Boden gestanden haben werden. Der hinter ihm stehende Kolone blickt mit betrübter Miene auf den Geld- haufen. Es will ihm beim Anblick solches Reichtums nicht in den Sinn, daß er auch noch seine sauer erarbeiteten Groschen in die Masse werfen soll. Krampfhaft umklammert seine Linke den Wanderstab und faßt seine Rechte den Riemen, an dem die Tasche mit dem Pachtzins hängt. Der Kolone im Hintergrund hat schon gezahlt; er entfernt sich eilig, indem er den Zeigefinger dem halbgeöffneten Mund nähert. Man glaubt ihn murmeln zu hören. Er berechnet, was ihm noch an Bargeld übrigbleibt. Der dritte Kolone hat seinen Zins eben dem zur Linken des Buchhalters sitzenden Kassierer aufgezählt ; dabei ist es aber nicht glatt abgegangen. Der Kassierer hat mit Kennerblick ein falsches Geldstück entdeckt und hält es dem Schuld- ner mit einem Ausdruck von mitleidsvollem Vorwurf hin: »Wie konntest Gesichtsausdruck und Gebärde 121 du glauben, daß ich das nicht merken würde?« Der Ertappte, ein schon älterer Mann, macht ein unbeschreiblich verlegenes Gesicht; mit gefalteter Stirn und offenem Mund scheint er eine Entschuldigung stammeln zu wollen. Wenn es hier mit seltener Meisterschaft gelungen ist,, die Gedanken der dargestellten Personen erraten zu lassen, so haben daran, wie übrigens auch bei den vorher besprochenen Vasen, zwei Faktoren hervorragenden Anteil, der Gesichtsausdruck und die Gebärde. Mit diesen beiden haben wir uns jetzt zu befassen. Man hat behauptet, daß der Ausdruck., den wir in antiken Köpfen zu lesen glauben, vielmehr auf der Bewegung der Ge- stalten beruhe und daß der Beschauer es sei, der, was immer von Ausdruck in der Gesamtkomposition und in der Haltung ausgesprochen ist, unwill- kürlich in die Gesichter übertrage. In dieser Bemerkung liegt etwas Wahres, doch ist sie nicht allgemeingültig und auch sie bedarf einer starken Ein- schränkung. Zunächst gilt sie durchaus nicht von der archaischen Kunst, die bei der Darstellung von Vorgängen — und nur um diese handelt es sich, nicht um die in keiner bestimmten Situation gedachten Einzelfiguren von Göttern und Menschen — einen starken Gesichtsausdruck, sogar bis zur Grimasse liebt. Man denke an den sog. Blaubart und den Typhon aus dem Hekatompedongiebel. den besorgten Alten des Ostgiebels, die Kentauren und den gebissenen Lapithen des Westgiebels von Olympia, womit zugleich un- gefähr die beiderseitigen zeitlichen Grenzen dieser Richtung bezeichnet sind. Auch auf die hellenistische und römische Kunst wird niemand die Bemerkung beziehen wollen, der sich des pergamenischen Altars und der Traianssäule erinnert. Sie gilt nur für die höchste Blütezeit der Kunst, also etwa für die Jahre 460 — 330, und ist hauptsächlich mit Bezug auf die Zeit des Pheidias gemacht worden. Man darf aber auch hier nicht vergessen, daß ein außer- ordentlich wichtiges Ausdrucks mittel, dessen sich der Bildhauer bedienen konnte, für uns verloren gegangen ist. das Auge, das bei den Marmorfiguren gemalt, bei Bronzestatuen aus anderem Material eingesetzt war. Wir haben uns ja seit vier Jahrhunderten an diese blinde Plastik gewöhnt, und es ist gewiß ein ehrendes Zeugnis für unser Abstraktionsvermögen, daß wir es vermochten. Aber es braucht nur einmal ein Bildwerk aufzutauchen, dessen Augen erhalten sind, wie der obenerwähnte Jüngling von Anti- kythera oder selbst die unerfreuliche Aphroditestatuette aus Pompeii, um uns zum Bewußtsein zu bringen, wie unendlich viel mit dem Auge verloren gegangen ist. Wie noch ganz anders würde der Hermes des Praxiteles auf 122 Deuten aus der Darstellung allein Abb uns wirken, wenn wir die begehrlich funkelnden Augen des Dionysoskindes und die nachdenklich in die Ferne gerichteten seines Pflegevaters sähen, wie ganz anders das Orpheusrelief, an das jene Bemerkung angeknüpft war, wenn wir den resignierten Blick der Eurydike, den schmerzlichen des Or- pheus, den mitleidigen des Hermes wahrnehmen könnten ; wie würde uns die Artemis Farnese dämonisch anblitzen und der träumerisch - sehnsüchtige Blick der knidischen Aphrodite be- zaubern. Was wir bei der Plastik ent- behren müssen, das bietet uns die Ma- lerei und Zeichnung in Fülle, und hier ist es erstaunlich, mit welch einfachen Mitteln es schon die archaische Kunst versteht, dem Gesicht einen der Si- tuation entsprechenden Ausdruck zu geben. Mund, Stirn und vor allem das Auge und die Augenbraue sind hierfür maßgebend, häufig auch die Kopf- haltung. Betrachten wir im Hauptstreifen der Francoisvase, der den Zug der Götter zur Hochzeit des Peleus und der Thetis darstellt, die Figur des Nereus (Abb. 94). Wie spricht sich hier nicht nur in dem erhobenen Zeige- finger, sondern vor allem in dem weit- aufgerissenen Auge und den unnatürlich hoch sitzenden Stirnfalten das Gefühl der Wichtigkeit aus, das er von sich als Braut- vater hat. Oder der Troilos im unteren Streifen (Abb. 95). Wie drückt sich hier in dem großen runden Auge, das gleich- sam vorzuquellen scheint, die Todesangst des von dem schnellfüßigen Peliden verfolgten, unrettbar verlorenen Knaben aus. Der Leser wird bemerken, daß bei diesen beiden Figuren die Form des Auges verschieden wiedergegeben wird. Bei Nereus ist der Umriß der Lider gezeichnet, bei Troilos nur der äußere Augenwinkel durch eine kleine Linie angedeutet; häufiger ist, daß beide Augenwinkel in dieser Weise angegeben werden. Ferner ist in beiden Gesichtern auch der Umriß der Pupille gezeichnet, was keineswegs immer Abb. Gesichtsausdruck 123 der Fall ist. Schon mit diesen bescheidenen Mitteln läßt sich sehr viel erreichen. Man betrachte die Abb. 96 wiedergegebene Scherbe aus dem Perserschutt. Sie stammt von einer Vase, auf der das Parisurteil, wie öfters, so dargestellt war, daß sich der trojanische Königssohn dem heiklen Befehl des Zeus durch die Flucht entziehen will , aber von Hermes daran gehindert wird. Nun vergleiche man die Augen des Paris mit denen des Hermes. Bei jenem ist nur der Umriß der Iris gezeichnet, die die Augen- winkel andeutenden Linien lau- fen nicht horizontal, sondern senken sich. Dadurch erhält das Gesicht einen Ausdruck der Furchtsamkeit. Bei Hermes ist außer dem Umriß der Iris auch der der Pupille an- Jh gegeben. Beide sind *^^ nicht ganz kreisför- mig, sondern mehr als stehendes Oval gezeichnet, wodurch der Augapfel wie verkürzt er- scheint. An Stelle der horizontalen Linie sind der Wirklichkeit mehr entsprechend kleine Winkel ge- treten. Alles dies gibt den Zügen einen drohenden Ausdruck. Im rotfigurigen Vasenstil, wo stets der Umriß der Lider, aber anfänglich in Vorderansicht, ▼ wiedergegeben wird, steigert sich diese Ausdrucks- fähigkeit ungeheuer. Man sollte es nicht für möglich halten, welche Kraft und Mannigfaltigkeit des Ausdrucks dem Auge durch die bloße Zeichnung verliehen werden kann. Ob der Kontur mandelförmig oder geschwungen ist, ob die Iris angegeben ist oder nicht, ob der Augapfel die Mitte einnimmt oder in den einen Augenwinkel gerückt ist, ob er den Abstand zwischen den Augenlidern ganz ausfüllt, oder ob zwischen ihm und dem oberen oder unteren Augenlid ein kleiner Zwischenraum bleibt, oder ob er gar von einem Lide teilweise verdeckt wird, macht für den Gesichtsausdruck unendlich viel aus, und diese Nuancen werden von den Vasenmalern, die sich dieser 124 Deuten aus der Darstellung allein Unterschiede wohlbewußt sind, mit großer Feinheit für ihre Zwecke ver- wandt. Man betrachte das beistehende Vasenbild des Andokides, das den Streit um den delphischen Dreifuß darstellt (Abb. 97). Bei allen vier Figuren ist sowohl der Schnitt des Auges als die Stellung des Augapfels verschieden. Nur bei Herakles ist auch die Iris angegeben. Der Augapfel füllt den Raum zwischen den Lidern vollständig aus. Der Umriß des Auges ist stark ge- schwungen, so daß der äußere Augenwinkel bedeutend höher steht als der Abb. 97. innere. Das gibt dem Dreifußräuber den Ausdruck unbändiger Wildheit. Auch das Auge des Apollon hat einen geschwungenen Kontur, aber sanfter als bei Herakles; die Augenwinkel stehen ungefähr in gleicher Höhe. Aber der Augapfel wird zum Teil durch das untere Lid verdeckt, so daß zwischen ihm und dem oberen Lid ein bedeutender Abstand bleibt. Dadurch erhält das Antlitz des Bestohlenen einen Ausdruck heftigen Zorns. Das Auge der den Herakles begünstigenden Athene hat mandelförmigen Schnitt. Wie bei Apollon wird der Augapfel von dem unteren Lid etwas verdeckt, doch ist der Abstand vom oberen Lid nicht so groß wie bei jenem. Immerhin haben wir auch bei ihr den Eindruck einer gewissen Erregung. Bei Artemis, die mit ihrem Bruder herbeigeeilt ist und nun, hinter ihm stehend, seinen Kampf mit dem verwegenen Räuber beobachtet, ist der Umriß des Auges Gesichtsausdruck 125 sanft geschwungen, so daß er über dem Augapfel einen Bogen bildet. Dieser steht von beiden Augenlidern gleich weit ab. Er schwimmt auf der Hornhaut wie eine kleine Insel auf einem See. Diese Göttin hat ihren Gleich- mut noch so ziemlich bewahrt. Auch auf der oben Abb. 22 wiedergegebenen Vase mit der Gesandtschaft an Achilleus sind die beteiligten Helden vor allem durch die Stellung des Augapfels, daneben aber auch durch den Ausdruck des Mundes charakteri- siert. Bei Odysseus, dem Wortführer, ist der Augapfel ganz in den inneren Winkel gerückt. Das Gesicht erhält dadurch etwas Beobachtendes, Lauern- des, was durch die fest aufeinander gepreßten Lippen noch verstärkt wird. Bei Achilleus hingegen steht der Augapfel genau in der Mitte und wird zum Teil von dem unteren Lid verdeckt, so daß zwischen ihm und dem oberen Lid ein Zwischenraum bleibt wie bei dem Apollon des Andokides. Doch wird der hierdurch ausgedrückte Zorn durch die hängende Unter- lippe, die den bitter Gekränkten charakterisiert, in etwas gemildert. Ebenso wird bei Aias der Augapfel von dem unteren Lid überschnitten und bleibt unter dem oberen ein Zwischenraum; aber der Augapfel steht nicht in der Mitte, sondern ist, wie bei Odysseus, in den inneren Winkel gerückt, und dies, in Verbindung mit dem herabgezogenen Mundwinkel, gibt dem Ant- litz mehr etwas Trotziges als Zorniges. Dagegen ist der alte Phoinix, bei dem man, nebenbei bemerkt, auch die altertümliche, damals schon abge- kommene Frisur und die persischen Pantoffeln beachten wolle, ganz Milde. Der Augapfel verschwindet hier zum Teil im inneren Winkel, und die weichen Lippen verleihen dem Gesicht den Ausdruck der Güte. Bei Diomedes, den die Vasenmaler in Weiterbildung eines in der Ilias angedeuteten, aber nicht ausgeführten Motivs an der Gesandtschaft teilnehmen lassen, kommt wieder der Trotz zum Ausdruck, aber in anderer Weise wie bei Aias. Hier ist der innere Augenwinkel nicht geschlossen, ein Übergang zu der späteren Profil- stellung des Auges, und die Öffnung wird von ' dem Augapfel, den man förmlich blitzen zu sehen glaubt, völlig ausgefüllt. Die Falte neben dem schwellenden Mund vollendet den Ausdruck der Verachtung. Mit denselben Mitteln werden Charakter und Stimmung der anwesenden Personen in einer Genreszene ausgedrückt, mit der ein Alabastron, d. h. ein tönerner Parfümbehälter, wie wir ihn in dem Bilde selbst über dem Sessel angebracht sehen, geschmückt ist. Die inneren Augenwinkel sind hier in den beiden Fällen, wo sie erhalten sind, geöffnet, und waren es wohl auch bei der dritten Person. Abb. 98 zeigt das Bild in seinem jetzigen Erhaltungs- 126 Deuten aus der Darstellung allein Hetärenszene 12r 128 Deuten aus der Darstellung allein zustand, Abb. 99 in der ergänzenden Zeichnung einer vortrefflichen Künst- lerin, die, antiquarisch überall das Richtige treffend, nur in einem Punkte, auf den wir gleich zurückkommen werden, fehlgegangen ist. Die Situation ist schon auf den ersten Blick so klar, daß wir von einer Beschreibung, wie wir sie allerdings von unseren Schülern fordern müßten, absehen und uns gleich mit dem Inhalt beschäftigen dürfen. Ein junger athenischer Lebe- mann, der aber in dieser Kunst noch Neuling ist, wird von einem kuppelnden Knaben bei einer Hetäre eingeführt. Die Ingredienzen für ein fröhliches Mahl bringt er mit. Der Knabe hat davon beide Hände voll; in der rechten hält er an der Schlinge ein totes Rebhuhn, in der linken einen Polypen. Den nach damaligen athenischen Begriffen köstlichsten Leckerbissen trägt der Liebhaber selbst, einen Hahn, von dem nur noch die Halsfedern und das Ende des Kamms erhalten sind. Aber des Umgangs mit solchen Damen noch ungewohnt, bleibt er zögernd und verlegen, auf seinen Krückstock gestützt, stehen. Der jugendliche Kuppler wendet daher den Kopf nach ihm zurück und sieht ihn mit dem unsäglich frechen Blick eines neapolita- nischen Gassenjungen ermunternd an. Die Hetäre hat sich beim Eintritt des Gastes von ihrem Lehnstuhl, über den sie in Ermangelung eines Kissens ihre Nachtmütze gebreitet hat, erhoben. Ihr Haar ist mit einer Binde ge- schmückt, aber Sandalen anzuziehen hat sie nicht für nötig gefunden; und auch noch anderes ist entblößt. Sie markiert das arme, fleißige Mädchen, indem sie zu spinnen fortfährt, ohne den Liebhaber anzusehen, schielt aber dabei auf die Delikatessen in den Händen des Knaben. Und nun die Augen und der Ausdruck. Bei dem Liebhaber ist ihr Schnitt mandelförmig, der Augapfel steht genau in der Mitte, die Braue ist nur wenig gewölbt. Bei dem Knaben sind die Lider zusammengekniffen, so daß sie den Aug- apfel oben und uiilen etwas bedecken, die Augenbraue ist stärker gebogen, das Grinsen des Mundes trotz der Zerstörung unverkennbar. Bei der Hetäre ist der Kontur des Auges geschwungen, der Augapfel aus der Mitte ein wenig nach rechts gerückt, die von der Schläfe her anfänglich horizontal laufende Braue bildet nach der Nase hin einen kleinen Bogen. Der derb sinnliche Mund ist ein wenig geöffnet. Durch alles das erhält das Gesicht einen Ausdruck von grenzenloser Verschmitztheit. Der Künstlerin, der wir die Ergänzungen verdanken, sind diese feinen Charakterzüge ent- gangen. Bei ihr ist aus der abgefeimten Dirne eine ehrsame, allerdings etwas früh verblühte Hausfrau, aus dem angehenden Lebemann ein gut- mütiger Philister, aus dem frechen Bengel ein artiger Sklavenknabe Augenbilduns 129 geworden. Gibt es für die Wichtigkeit der Augenbildung einen sprechen- deren Beleg? Als Beispiel für den Ausdruck des ins Profil gestellten Auges soll uns die berühmte Milanische Philoktetvase dienen (Abb. ioo). Auf einem Hügel sitzt der verlassene Heros unter einem Baum. Neben ihm liegt sein letztes und höchstes Gut, Bogen und Köcher. Den kranken verbundenen Fuß hat er zur Linderung der Schmerzen auf eine Bodenerhöhung gestellt und gibt ihm mit der linken, um das Knie gelegten Hand einen weiteren Halt. Mit der rechten Hand stützt er sich auf den Hügel. Der gesenkte Kopf, der geöffnete volle Mund bringen seinen tiefen Schmerz zum Ausdruck, vollendet aber wird dieser erst durch das weit geöffnete Auge, dessen Aug- 'apfel dicht unter das obere Lid ge- rückt ist, so daß ihn ein verhältnis- mäßig großer Abstand von dem un- teren trennt. Die Richtung des Blickes aber geht ohne bestimmtes Ziel in die Weite. Durch alles dieses erhält das Antlitz den Ausdruck unendlicher Schwermut, und leicht er- gänzt die Phantasie das Meer, an dessen Ufer der Einsame sitzt und über dessen Wogen seine Blicke sehnsüchtig schweifen. Mit Recht hat Milani in diesem Vasenbilde einen Nachklang des berühmten Gemäldes des Parrhasios vermutet, und es ist kein Zufall, daß sich Sokrates bei Xenophon gerade mit Parrhasios über die Möglichkeit, seelische Empfin- dungen im Bilde darzustellen, unterhält und dabei an erster Stelle das Auge nennt. Nachdem zuerst die uns bei dem typischen Charakter der griechi- schen Kunst höchlich überraschende, aber auch sonst mehrfach bezeugte Tatsache erwähnt ist, daß die Künstler, um das höchste körperliche Schön- heitsideal zu erreichen, verschiedene Modelle miteinander kombinieren, fragt Sokrates weiter: »Wie nun? Stellt ihr auch das Glaubwürdigste, An- mutigste, Freundlichste, Begehrenswerteste, Liebenswürdigste, was es gibt, im Bilde dar, den Charakter der Seele? Oder ist der nicht darstellbar?« »Wie sollte«, erwidert darauf Parrhasios, »das darstellbar sein, Sokrates, was weder ebenmäßige Form noch Farbe noch eine der Eigenschaften be- 9 _^T - H m^ MB] Abb. ic 130 Deuten aus der Darstellung allein sitzt, von denen du eben gesprochen hast, noch überhaupt sichtbar ist? « Und Sokrates: »Ist es nun nicht den Menschen verliehen, den einen freund- lich, den anderen feindlich anzusehen?« »Das will ich meinen«, antwortet Parrhasios. »Und kann man das nicht in den Augen zum Ausdruck bringen ? « »Allerdings. « »Und glaubst du, daß bei Freud und Leid ihrer Freunde die Teilnehmenden dasselbe Gesicht zeigen?« »Mitnichten; bei der Freude werden ihre Mienen hell, beim Leid finster. « »Und kann man nicht auch das darstellen?« »Allerdings.« »Aber auch das Vornehme und Edle sowie das Niedrige und Gemeine, das Besonnene und Verständige sowie das Frevel- hafte und Geschmacklose kommt sowohl durch das Antlitz als durch die Stellung der Menschen sowohl in der Ruhe als in der Bewegung zum Aus- druck. « »Da hast du recht «, sagte Parrhasios. »Ist nun nicht auch das darstellbar? « »Allerdings. « So würde Xenophon den Parrhasios nicht antworten lassen, wenn er nicht in seinen Bildern auf die Charakterisierung der Figuren durch Gesichts- ausdruck und Stellung großes Geweht gelegt hätte, wie wir es an dem Philoktet auf der eben besprochenen Vase sehen. Daß dem Gesichtsausdruck in der Malerei eine immer größere Rolle zufiel, seit man nicht nur die Linien der Züge wiederzugeben, sondern auch die Köpfe durch die Schattierung stärker zu modellieren begann, liegt auf der Hand. In beinahe noch höherem Grade gilt das von der Plastik. Das ist eine so allgemein bekannte Tatsache, daß wir bei ihr nicht länger zu verweilen brauchen. Schon ein Blick auf das oben besprochene Neumagener Relief genügt. Mindestens so wichtig wie der Gesichtsausdruck ist die Gebärde. »In der Gebärde allein liegen zu wenig Ausdrucksmöglichkeiten«, las ich einmal in einem Zeitungsartikel, der sich — und in diesem Punkte mußte man ihm recht geben — gegen den Mißbrauch des für wissenschaftliche Zwecke so unschätzbaren Kinematographen zu dramatischen Darstellungen wendete. Nichts kann verkehrter sein als diese Behauptung. Schon in der Hand allein, auch wenn ihr nicht die Stellung, Hebung, Senkung, Drehung, Biegung des Armes zu Hilfe kommt, liegen unendlich viel Ausdrucksmöglichkeiten. Nur ist uns Modernen — mit Ausnahme der Südländer — ihr Gebrauch und das Verständnis dafür abhanden gekommen. Im Altertum aber war die Geste die unzertrennliche Gefährtin des Wortes. Niemals ruhte während der Rede die Hand, wie man es heute noch z. B. bei den Neapolitanern beobachten kann, und so ist es kein Zufall, daß die einzige brauchbare Vorarbeit, die Gebärdensprache 131 wir über die antike Gestikulation besitzen, einen Neapolitaner, den Canonico Jorio, zum Verfasser hat. Der Mangel einer ausgebildeten Gebärdensprache macht sich am empfindlichsten bei der heutigen Schauspielkunst geltend; bei längerer Rede weiß der heutige Akteur mit seinen Händen absolut nichts anzufangen, weil die Fühlung zwischen Wort und Geste verloren gegangen ist, und Verständige pflegen sich damit zu helfen, daß sie irgendeinen Gegen- stand ergreifen, z. B. ein Buch, um darin zu blättern und es dann wieder hinzulegen, oder sie lassen die Finger auf dem Tisch und der Stuhllehne spielen. Vollständig wird die Ratlosigkeit, wenn es sich um ein antikes Drama mit seinen langen Reden, die deshalb auf die Hälfte zusammengestrichen werden, handelt, oder um ein Stück, das in der Antike spielt. Da faßt denn solch moderner Aiax oder Ödipus mit der Hand immer wieder an den Schwert- griff, stößt mit der Lanze oder dem Zepter unaufhörlich auf den Boden, wirft den Mantel bald über die eine, bald über die andere Schulter, und ebenso machen sich die modernen Antigonen und Iphigenien unaufhörlich an ihrer Toilette zu schaffen, ahnungslos, daß sie damit etwas in antikem Sinne höchst Unanständiges tun. Denn im Altertum legte man auf die gefällige Drapierung das höchste Gewicht, war aber das Gewand der Sitte entsprechend angelegt und die Falten zurecht gezogen, so blieb es eine so unverrückbare Hülle des Körpers wie ein Panzer von Erz. Kein anständiger Athener würde auf der Straße oder in Gesellschaft die Lage seines Mantels auch nur um einen Zentimeter verschoben haben. Man betrachte die Neapler Statue des Aischines, der sich selbst einmal in einer Rede über diesen Punkt äußert, oder die zierlichen Terrakottadamen aus Tanagra. Der antike Schauspieler hielt sein Attribut in der linken Hand, wie es genau so, nach dem Muster der Bühne, die Könige und Helden auf den Bildwerken tun, die rechte blieb für die Gestikulation frei und bewegte sich mit be- ständig wechselnder Fingerstellung innerhalb eines Kreises, dessen untere Grenze durch den Nabel und dessen obere durch die Augenbrauen bezeichnet wurde. So ist denn auch in der Kunst die Rolle der Gebärde eine ganz ge- waltige, und zum Verständnis der Darstellung trägt ihre richtige Beobach- tung und Deutung unendlich viel bei. Schon die früher besprochenen Bild- werke haben uns hierfür zahlreiche Belege gegeben, und bei der Besprechung der Vasen mit dem Ölhandel und der ersten Schwalbe und des Neumagener Reliefs hat die Gebärdensprache unser Verständnis wesentlich gefördert. Aber auch in den anderen Abbildungen findet der Leser vieles hierher Ge- hörige. Wie sprechend ist nicht schon auf der geometrischen Vase Abb. 24 132 Deuten aus der Darstellung allein der Gestus des linken Arms, mit dem Theseus die entführte Ariadne zum Besteigen des Schiffes einladet. Wie aufgeregt ist das Zwiegespräch, das auf der Akropolisscherbe Abb. 96 Hermes und Paris mit den Händen voll- führen. Besser als beigeschriebene Worte drückt hier die Fingerstellung die Stimmung der Streitenden aus. Wie drückt sich in den erhobenen Armen des einen Sterns auf der Sonnenaufgangsvase Abb. 33 die staunende Be- wunderung des aufgehenden Sonnengotts, wie in den gespreizten Händen der Chrysothemis auf der Aigisthvase Abb. 86 die Angst um den Bruder aus. Welches Leben liegt in der Hand, die auf der Kinderspielvase Abb. 77 der hockende Knabe wie zum Schutz über die Scherben ausstreckt, welche Empfindung in den Händen des Philoktet Abb. 100. Wie zittern dem auf die schlafende Bakchantin Tragodia loshüpfenden Satyr die Hände vor lüsterner Gier (Abb. 54). Scheinbar identische Gesten erhalten durch kleine Nuancen der Fingerstellung ganz verschiedene Bedeutung. Der erhobene Zeigefinger bedeutet bei dem Peleus der Francoisvase (Abb. 94) wichtig- tuendes Selbstgefühl, bei dem Priamos des Euthymides (Abb. 75) eindring- liche Warnung. Zeus auf der Dareiosvase Abb. 64 und Phoinix auf der Vase mit der Gesandtschaft an Achill Abb. 22 halten ihrem Mitunterredner, jener der Hellas, dieser dem Diomedes, die nach oben gekehrte Hand hin, die sie beide etwas hohl machen. Aber während bei Phoinix die vier Finger fest geschlossen sind, läßt Zeus die beiden kleinen Finger sich spielend be- wegen. Jener macht dem hochmütigen Diomedes Vorstellungen, dieser gibt der bittflehenden Hellas zwar kein festes Versprechen, flößt ihr aber doch Mut ein: »Die Lage ist zwar schwierig, aber vertraue auf mich.« Noch ein anderes Beispiel sei hier angereiht, weil es sich sowohl durch besonders charakteristische und drastische Bewegungen einzelner Figuren als auch durch lebhaften Ausdruck der Augen auszeichnet, der selbst in der keineswegs auf der Höhe stehenden Publikation, die wir in Ermangelung einer besseren in Abb. 101 zu wiederholen genötigt sind, noch zur Geltung kommt. Ich meine die Darstellung der Abstimmung über die Ansprüche des Aias und des Odysseus an die Waffen des Achilleus auf einer Trinkschale des Duris. Athene, die die Abstimmenden zugunsten des Odysseus beeinflußt, streckt gebieterisch ihren Arm, dessen Finger in lebhafter Bewegung sind, über die Seite des Abakos aus, auf der die Stimmsteine für ihren Günstling nieder- zulegen sind. Prachtvoll drückt sich das Gefühl der Wichtigkeit und Ver- antwortlichkeit in der Art aus, wie die beiden Abstimmenden und der Parteigenosse des Aias, der zum Abstimmen herantritt, ihre Steine halten. Fincrerstellunaf 133 Agamemnon, der den seinen für Odysseus abgegeben hat. mißt beim Ab- treten mit befriedigtem Blick das Übergewicht der für diesen abgegebenen Abb. 102. 134 Deuten aus der Darstellung allein Stimmen. Und nun die beiden Parteien. Abgewandt, das Haupt mit dem Mantel verhüllt, die Stirn traurig in die Hand stützend, steht der unterlegene Aias da, vorgebeugt mit erhobenen Händen, deren Finger gespreizt und vor Gier gekrallt sind, der Sieger im Rechtstreit, Odysseus. Ganz besonders effektvoll war die Gestikula- tion der Athene in der Marsyasgruppe des Myron. Freilich erkennt man das nicht an der berühmten Frankfurter Kopie, deren Ver- fertiger der Göttin, weil sie ihm durch den Helm nicht hinreichend charakterisiert schien, einen Speer in die rechte Hand gegeben hat, der für die dargestellte Situation, wo die Göt- tin beide Hände für das Flötenspiel frei haben muß, so unpassend wie möglich ist. Wohl aber sieht man es auf den Münzen, wo es auch dem heißesten Wunsch der Forscher nicht gelungen ist, eine sichere Spur dieses Speers zu entdecken (Abb. 102). Die linke Hand streckt sie gebieterisch über die weg- geworfenen Flöten aus : »Liegen bleiben sollen sie, niemand rühre sie an.« Dieses Motiv ist in allen Nachbildungen beibehalten. Die Rechte aber streckt sie mit weit auseinander gespreiz- ten Fingern von sich, eine ausdrucksvolle Geste des Abscheus und des Ekels. Aus dem Gesagten ergibt sich, daß es dem Interpreten nicht warm genug ans Herz ge- legt werden kann, auf die Gestikulation und namentlich die Bewegung der Hände und die Stellung der Finger so sorgfältig wie möglich zu achten. Freilich fehlt uns zu vielen der unendlich mannigfaltigen Ge- bärden der Schlüssel, und während sie dem antiken Beschauer das Ver- ständnis des Bildes ohne weiteres erschlossen, sind wir häufig in der um- gekehrten Lage, aus der erkannten Situation die Bedeutung der Geste erraten zu müssen. Die antiken literarischen Zeugnisse sind über diesen Punkt außerordentlich dürftig, eben weil es sich um eine Sache handelt, Abb. 10^. Haltung der Hände 135 die im Altertum jedermann geläufig war. Aber wir hören z. B., daß die auf den Kopf gelegte Hand tiefe Trauer bedeutet, daß man die Rede mit drei erhobenen Fingern, dem Daumen, Zeige- und Mittelfinger, zu begleiten pflegte (s. Abb. 96). Will man eine heftige innere Bewegung in sich ver- schließen, ohne sie die Anwesenden merken zu lassen, so verschränkt man die Finger der beiden Hände und preßt die Daumen krampfhaft aufeinander. Diesen Gestus hat Timomachos seiner berühmten Medea gegeben (Abb. 103). Einen ähnlichen Gestus macht auf der Iliupersisschale des Brygos die zum Tod gehende Polyxena, als sie zugleich mit ansehen muß, wie Neoptolemos den Astyanax zerschmettert und ihren auf seinen Hausaltar geflüchteten Vater bedroht (Abb. 104). Da aber Akamas ihre Rechte gefaßt hat, kann sie die Hände nicht verschränken, sondern krallt die Finger der nach unten gekehrten Linken. Das Verkennen dieses Gestus hat dazu geführt, daß man dieser Figur Gleichgültigkeit gegen das Los des Priamos und des Asty- anax vorgeworfen und an der Richtigkeit der Namensbeischrift gezweifelt hat Höchste Bewunderung vor weiblicher Schönheit bringt man dadurch zum Ausdruck, daß man den Zeigefinger auf die Spitze des Daumens herab- biegt und die Hand in dieser Stellung an den Mund legt. Diesen Gestus macht, wie Gerhard Krahmer beobachtet hat, auf der Schmalseite eines Hippolytos-Sarkophags, die Phädra in ihrem Liebeskummer zeigt, eine der vor der Königin stehenden Dienerinnen (Abb. 105). Das ist aber so gut 136 Deuten aus der Darstellung allein JLoJUUülJLOJbllXjJ wie alles, was uns überliefert wird; alles übrige — und wie unendlich viel ist das — müssen wir aus den Bildwerken selbst entnehmen. Von Zeuxis wird erzählt, er sei dem Vor- wurf, daß er seinen Heroinen zu große Hände zu geben pflege, mit dem Hinweis auf Homer begegnet, der auch von den feisten Händen der Athene und der Penelope rede. Die Anekdote ist sicherlich nicht histo- risch, aber wie in ähnlichen Fällen die ihr zugrunde liegende Tatsache. Zeuxis muß danach ungewöhnlich große Hände geliebt haben. Hat sich der Maler der Philoktet- vase (Abb. ioo), auf der wir ebensolche Hände finden, in dieser Beziehung genau an sein Vorbild gehalten, was in hohem Grade wahrscheinlich ist, so hat er diesen Geschmack mit seinem Zeitgenossen und Rivalen Parrhasios gemein. Aber der Grund für diesen Geschmack ist gewiß nicht der ihm in den Mund gelegte. Sollte die Stellung der Finger, zumal das Spiel ihrer einzelnen Glieder, auf dem Bilde zur Gel- tung kommen, so mußte der Hand eine gewisse - Größe gegeben werden. Aus demselben Grunde finden wir schon auf schwarzfigurigen Vasen diese großen Hände mit ungewöhnlich fein artikulierten Fingern und ebenso, nur weniger fein artikuliert, anderthalb Jahrtausende später in den illustrierten Terenzhandschriften, wovon Abb. 106 ein Beispiel gibt. Gewiß schlössen sich die Maler dieser Handschriften in dieser Beziehung genau an ihre letztlich auf die Aus- gabe des Atticus zurückgehende Vorlage an; denn, wie bereits oben hervorgehoben wurde, für das antike Spiel war der Gestus der Hand von der allergrößten Bedeutung. Abb ]c6 Abb. ios Große Hände 137 D EU TEX AUS DEM MYTHOS. Wollen wir uns bei mythischen Szenen nicht damit zufrieden geben, den Sinn der Situation oder Handlung kennen zu lernen, wollen wir auch die Namen der handelnden Personen wissen, in den Zusammenhang der Geschichte, ihre Vorstadien, ihre Ent- wicklung und ihren Ausgang einen Einblick gewinnen, so sind hierfür mytho- logische Kenntnisse ebenso unentbehrlich wie für das Benennen der Figuren. Wir schöpfen unser mythologisches Wissen ausschließlich aus der antiken Literatur, und ganz gewiß hat die Poesie auf die Ausbildung und Ver- breitung der [Mythen viel stärker eingewirkt, als heute von manchen zu- gegeben wird. Aber es ist doch ein Unterschied, ob die Quintessenz einer Geschichte, gleichsam ihr Rohstoff, den wir den Kern des Mythos nennen wollen, zur Darstellung gebracht ' wird, Dinge, die im Altertum jedes Kind wußte, oder seine von der Poesie ins Detail ausgearbeitete Form. Wir trennen also das Deuten aus dem Mythos von dem Deuten aus der Literatur, und beginnen mit jenem. Da ist es nun von vornherein klar, daß wir diejenigen Mythen am leichtesten erkennen werden, in denen entweder ein Fabelwesen vorkommt, welche Gattung, wie wir im. zweiten Abschnitt gesehen haben, am leichtesten zu benennen ist, oder ein durch seine Attribute ohne weiteres kenntlicher Heros, oder bei denen beides zusammentrifft. Oidipus vor der Sphinx, Belle- rophon im Kampf mit der Chimaira, Perseus, der die [Meduse tötet, sind uns sofort auch ohne Namensbeischrift verständlich. Ebenso alle Heraklesstatuen, namentlich wenn der Heros sein Löwenfell trägt und Keule und Bogen führt; aber auch wo das nicht der Fall ist. werden wir aus dem Gegner, habe er nun Tier- oder Menschengestalt, mag es eine Hydra, ein Löwe, der Kerberos oder der dreileibige Geryo- neus, ein oder mehrere Kentauren sein, den Namen des Überwinders erschließen. Das gilt z. B. von einem der ältesten Bildwerke zur Heldensage, das wir besitzen, einer geometri- schen Fibel (Abb. 107); wenn wir dort die Hydra erblicken, so schließen wir, daß die beiden nackten Männer in Spitzhüten Herakles und Iolaos sein müssen, und finden diesen Schluß dadurch bestätigt, daß auch der von Hera gesandte Krebs nicht fehlt, der Herakles bei diesem Kampf in die Beine zwickt. Abb. 107 13s Deuten aus dem Mythos Umgekehrt kann aber auch das Fabelwesen, wenn es in ungewöhnlicher Bildung erscheint, nach seinem Besieger und der Art der Besie'gung be- stimmt werden. So auf einer geometrischen Reliefvase die Medusa, die hier, analog dem ältesten Kentaurentypus, als eine Frau gebildet, an deren Rücken ein Pferdeleib ansetzt (Abb. 108). Bei Theseus, der durch Attribute we- niger kenntlich ist, wird diese Art der Sehlußfolge die Regel sein. Sehen wir einen Jüngling im Kampf mit dem Minotauros, so ist es Theseus, im Kampf mit einer wilden Sau, so ist es wieder Theseus. Weiter kommt auch die Art, wie der Gegner über- wunden wird, in Betracht. Stürzt ein Jüngling einen Unhold einen Ab- hang hinab, so ist es Theseus und Skiron, auch wenn das Becken, in dem dieser die Wanderer ihm die Füße zu waschen zwang, und die Schildkröte, die deren Leichen auffraß, fehlen. Bindet ein Jüngling den Unhold an einen Baum, so ist es Theseus und Sinis, erschlägt er ihn mit einem Hammer, so ist es Theseus und Prokrustes, auch wenn das Bett fehlt. Ähnlich steht es mit der Göttersage. Reitet ein Mädchen auf einem Stier, so haben wir Zeus und Europa, sitzt neben einer Kuh ein Riese mit sternübersätem Leib, so haben wir Io und Argos vor uns. Reicht die aus der Erde aufsteigende Gaia der Athene einen Knaben, so stellt das die Geburt des Erichthonios vor (Abb. 19). Tötet Apollon einen ungefügen Riesen, so ist es Tityos, der sich an der hehren Leto vergriffen hat. Kämpfen mehrere Götter mit einer Anzahl gewappneter Männer, so stellt das den Gigantenkampf vor (Abb. 13, 14). Aber auch Szenen ohne jedes Fabel- wesen, Szenen, an denen weder ein Gott noch ein durch seine Attribute charakterisierter Heros teilnimmt, können aus dem Vorgang selbst ohne weiteres verständlich sein. Sehen wir mehrere Männer einen riesigen Eber jagen, so ist das die kalydonische Jagd, auch wenn die für diese charak- teristischste Figur, Atalante, fehlen sollte. Stoßen sich zwei Krieger gegen- seitig die Schwerter in den Leib, so haben wir Eteokles und Polyneikes vor uns. Damit ist eigentlich alles gesagt, und wir könnten diesen Abschnitt mit der Bemerkung schließen, daß die ältere Kunst solche drastischen Dar- Haupt- und Nebenfiguren 139 Stellungen wie die aufgezählten eben ihrer bildlichen Verständlichkeit wegen bevorzugt, wenn nicht gewisse Eigentümlichkeiten gerade dieser Kunst- stufe schon hier zu erörtern wären. Da sind zunächst die Nebenfiguren. Selten beschränkt sich die Kunst auf die Hauptfiguren, die in ähnlichem Sinne den Kern der Darstellung bilden, wie wir oben von dem Kern des Mythos gesprochen, haben. Häufig sind zuschauende Personen zugegen, deren Bestimmung nicht immer ganz einfach und deren Anwesenheit nicht immer gleich verständlich ist. Zwar die hilfreichen Götter, Athene und Her- mes, die ihren Lieblingsheroen Herakles, Theseus, Perseus und vielen anderen zur Seite stehen, machen keine Schwierigkeit ; was aber soll man dazu sagen, wenn auf der oben Abb. 23 wiedergegebenen Trinkschale des Archikles und Glaukytes nicht nur Athene, sondern auch Ariadne mit ihrer Amme, die, nebenbei bemerkt, Korkyne hieß und auf Naxos Heroenkult genoß, und sogar die athenischen Knaben und Mädchen zugegen sind, die Knaben mit Barten, die aber, wie oben auseinandergesetzt ist, gerade den zartesten Flaum bedeuten. Freilich sind die Kinder nicht vollzählig, nur zwölf statt vierzehn, aber daran ist nur der Platzmangel schuld. Wie kommen nun Ariadne, ihre Amme und diese Kinder in das finstere Labyrinth, in dessen Irrgängen sich Theseus nur mit Hilfe des Knäuels der Minostochter oder der leuchten- den Krone der Amphitrite zurechtfinden kann? Um dies zu begreifen, muß man wissen, daß die griechische Kunst erst sehr allmählich zu einer so festen Lokalisierung der Vorgänge gelangt, wie wir sie von der modernen ge- wohnt sind. Wie sie die Örtlichkeit höchstens nur durch einen Baum, einen Altar, einen Brunnen andeutet, und auch das meist nur in solchen Fällen, wo diese Gegenstände für den Vorgang von Belang sind, so behält sie sich die Freiheit vor, sich von dem vorausgesetzten Lokal jederzeit zu emanzipieren; denn die Frage nach dem Ort ist ihr entweder gleichgültig oder sekundär. Nichts liegt ihr ferner, als die Handlung in einen fest umgrenzten Raum einzuschließen. Als Archikles und Glaukytes die Figuren des Theseus, Minotauros und der Athene zeichneten, haben sie sich vielleicht gesagt, daß diese Personen sich im Innern des Labyrinths befinden, vielleicht auch nicht. Aber auch im ersten Falle ist ihnen die Vorstellung eines geschlossenen Rau- mes vollständig entschwunden, als sie die Figuren der Ariadne, der Amme und der Kinder hinzusetzten. Es gibt übrigens noch krassere Fälle. Auf der um- stehend in Abb. 109 wiedergegebenen korinthischen Amphora ist dargestellt, wie Ismene in ihrem Schlafgemach erstochen wird ; während ihr Liebhaber Periklymenos, mit dem sie ertappt worden ist, entflieht, ist der Knappe 140 Deuten aus dem Mvthos Abstrahieren von der Örtlichkeit 141 des Tydeus, Klytios, bei dieser Tat hoch zu Roß zugegen. Sowenig wie man sich bei Archikles und Glaukytes zwischen Theseus und Ariadne auf der einen, zwischen Athene und den hinter ihr stehenden Kindern auf der an- deren Seite die Umfassungsmauern des Labyrinths vorstellen darf, so wenig hier zwischen Periklymenos und Klytios das Tor des thebanischen Königs- palasts. Als der Korinther den berittenen Knappen hinzusetzte, hatte sich bei ihm die Vorstellung des Schlafgemachs schon verflüchtigt, und er fürchtete auch nicht, jemand könne daran Anstoß nehmen, daß nun Peri- klymenos dem Diener seines Feindes gerade in die Arme läuft. Diese Abb. Fähigkeit, sich von einer festen Lokalisierung zu emanzipieren und den Raum gleichfalls kautschukartig auseinander zu ziehen, ist übrigens auch der späteren Kunst nicht ganz verloren gegangen. Selbst auf den Sarko- phagen finden sich dafür noch Beispiele. So stellt die rechte Eckszene des Abb. iio wiedergegebenen Alkestis-Sarkophags den Moment dar, wo Hera- kles die aus der Unterwelt befreite Alkestis zu ihrem Gatten zurückführt. Über der Höhle des Kerberos reichen sich Admet und Herakles in Gegen- wart der drei Parzen die Hände. Hinter Herakles folgt die durch die Ver- hüllung noch als Schatten bezeichnete Alkestis, und hinter dieser wieder finden wir das Königspaar der Unterwelt, den thronenden Pluto und die neben ihm stehende Persephone. In die Wirklichkeit übersetzt, würde diese Szene einen Raum einnehmen, der vom Innern der Unterwelt bis zu dem Palast des Admet reicht. Aber unter diesem Gesichtspunkt darf man natürlich die Darstellung nicht betrachten. 142 Deuten aus dem Mythos Abb. in. Die Nebenfiguren, von denen wir ausgegangen sind, werden nun nicht nur der Raumfüllung wegen zugesetzt; es spielt bei ihrer Einführung auch das hinein, was man das kompletive Verfahren genannt hat; es sollen alle bei der Handlung beteiligten oder an ihr interessierten Personen auf dem Bilde angebracht werden. So ist auf anderen Darstellungen vom Tod des Mino- tauros auch Minos zugegen, z. B. auf dem Abb. in wiedergegebenen rot- figurigen Krater, obgleich hier zwei Säulen andeuten, daß der Vorgang im Innern des Labyrinths spielt, und obgleich - hier Ariadne zu Theseus da- durch in engste Beziehung gesetzt ist, daß sie in beiden Händen den golde- nen Kranz hält, um ihm bei seinem Kampfe zu leuchten. Es dürfte uns auch gar nicht wundernehmen, wenn wir einmal Aigeus bei der Heldentat seines Sohnes gegenwärtig fänden, obgleich das auf keinem der bis jetzt bekannten Exemplare der Fall ist. Sind doch auf der Rückseite des eben besprochenen Kraters inschriftlich bezeichnet die drei Brüder des Aigeus, Pallas, Nisos und Lykos, sowie der Sohn des Erechtheus, Orneus, angebracht (Abb. 112), zwar außerhalb der Säulen, aber doch an dem Vorgang im Innern lebhaften Anteil nehmend, wie die Kopfwendung des Orneus und Xi-os, bei jenem außerdem der ausgestreckte Arm, beweist, also streng genommen in Kreta anwesend zu denken. Als Beleg für die eben aufgestellte B auptung und als weiteres Beispiel für das kompletive Verfahren setze ich hier einen schwarzfigurigen attischen Teller her, auf dem die Rüstung Kompletives Prinzip 143 des Achilleus dargestellt ist (Abb. 113). Den Kern der Darstellung bilden Achilleus, der sich die Beinschienen anlegt, und seine Mutter Thetis, die Schild und Speer für ihn bereit hält. Als Nebenfiguren hätten dem Maler zu Gebote gestanden einerseits die Umgebung des Achilleus. also z. B. Phoinix und Automedon, anderer- seits die Schwestern der Thetis, also zwei Nereiden, die wir sonst gewöhn- lich bei dieser Szene gegenwärtig finden, oder auch nur eine Nereide und Hephaistos, der auf dem Krater des Nearchos bei dem Auszug des Achilleus zugegen ist, oder Athene. Der Maler hat es aber vorgezogen, uns die ganze Familie des Achilleus vorzuführen. Deshalb brachte er links den Vater Peleus und rechts den Sohn Neoptolemos an. Man beachte: Peleus war nie vor Troja, und Achilleus hat den Sohn, den er Abb. 113. nach dem Epos bei der Eroberung von Skyros mit der Tochter des be- siegten Königs erzeugt hatte, niemals mit Augen gesehen. Neoptolemos trifft zwar später mit seinem Großvater Peleus zusammen; aber niemals 144 Deuten aus dem Mythos waren die drei Generationen auf einem Fleck vereinigt. Aber danach fragt die Kunst nicht, und das ist ihr gutes Recht. Auf ähnliche Erscheinungen stoßen wir, wenn ein ausgeprägtes allgemeines Schema auf bestimmte mythische Figuren übertragen wird. Wir haben im vorigen Abschnitt ein ähnliches Rüstungsschema wie das eben besprochene Abb. 114. für Hektors Auszug verwandt gefunden. Dieser Typus wird in der Folge dahin erweitert, daß dem ausziehenden Hopliten ein leichtbewaffneter Gefährte beigesellt wird. So finden wir ihn auf einem Kantharos des Epi- genes für Achilleus und Patroklos verwandt; die eine Seite (Abb. 114) zeigt den Auszug des Patroklos, der als Hoplite erscheint. Die göttliche Mutter seines Freundes, Thetis, bietet ihm die Schale mit dem Trankopfer. Als Leichtbewaffneter ist ihm Antilochos beigegeben, der nach dem Tod des Patroklos in der Gunst des Achilleus an dessen Stelle tritt, und so ergab sich dem Epigenes für den in dieser Szene obligaten Alten von selbst die Benennung Nestor. Auf der anderen Seite (Abb. 115) ist der Auszug des Achilleus dargestellt. Da Thetis schon für die erste Szene verbraucht ist, übernimmt es eine ihrer Schwestern, die Nereide Kymothea, dem Peliden die Schale mit dem Trankopfer zu überreichen. Den Leichtbewaffneten hätte es nahegelegen Automedon, den Alten Phoinix zu benennen; Epigenes hat es vorgezogen, diesen als Agamemnon zu bezeichnen, vielleicht um damit auf dessen Versöhnung mit Achilleus anzuspielen, jenem aber hat er den Namen Ukalegon gegeben, der bei Homer einem alten Trojaner beigelegt wird. Nach demselben Gesichtspunkt sind die Außenbilder der berühmten Kodros- schale zu beurteilen, deren Innenbild, das der Vase ihren Namen gegeben Kompletive Figuren 145 hat, weil es den ins Feld ziehenden König Kodros mit einem sonst nicht be- zeugten alten Athener Ainetos zeigt, uns hier nicht weiter beschäftigen soll. Nur darauf mag hingewiesen werden, daß diese inhaltlich einzig dastehende Darstellung zeigt, wie sehr der Maler vom attischen Lokalgeiste durchtränkt war, was uns die umstehenden Außenbilder, die dasselbe Schema wie der Abb. 115. Epigenes-Krater, nur um eine Figur bereichert, zeigen, bestätigen werden. Das eine (Abb. 116) zeigt den Auszug der beiden in der Ilias als Mitstreiter vorkommenden attischen Heroen, Aias und Menestheus. Natürlich ist Aias der Hoplite, Menestheus der Leichtbewaffnete. Der Alte, von dem Aias sich verabschiedet, ist nun aber nicht als Telamon bezeichnet, der in Athen nichts zu suchen hat, sondern als der Pandionide Lykos, die zu dem Schema gehörige Frau nicht als Aias' Mutter Periboia, sondern als die Nymphe Melite, die Vertreterin des Demos, in dem der Sohn des Aias, Eurysakes, sein Heiligtum hat. Als weitere weibliche Teilnehmerin an der Szene er- scheint Athene, die von Menestheus auf Aias zueilend beide zur Eile zu mahnen scheint. Als Gegenstück zu dem Auszug dieser beiden attischen Helden der Ilias sollte auf der anderen Seite der Auszug des eigentlichen Nationalhelden Theseus angebracht werden (Abb. 117). Aber hier stieß der Maler auf einige Schwierigkeit. Am nächsten hätte es ja gelegen, ihm die Rolle des Hopliten zu geben ; aber wer sollte dann der Leichtbewaffnete sein? Nun kennt die Theseussage einen Heros Phorbas, der auch ein Heroon in Athen besaß. Nach einer Tradition war er der Lehrer des Theseus im Ringkampf, nach Pherekydes dessen Wagenlenker, der ihm die Amazone Antiope rauben half ; in der Tat finden wir ihn auf der Vase des Kachrylion an diesem Vorgang beteiligt, jedoch nicht als Wagenlenker, sondern als 146 Deuten aus dem Mythus Hopliten, und auch an dem Amazonenkampf seines Herrn nimmt er auf den Bildwerken hervorragenden Anteil. Diesen Phorbas griff nun der Vasen- maler auf, gab ihm die Rolle des Hopliten, dem Theseus die des Leicht- bewaffneten, was bei dem Altersverhältnis beider durchaus gerechtfertigt Kompletive Figuren |4 ( war, und deutete zugleich dadurch an, daß es sich nicht um den Auszug nach Kreta handelt, der zu dem Auszug gegen Troia kein passendes Gegen- stück bilden würde, sondern um den in den Amazonenkrieg. Der Alte, von dem sich Theseus verabschiedet, mußte naturgemäß als Aigeus, die bei dem Abschied anwesende Frau als Aithra bezeichnet werden, und da Athene schon für die andere Seite verbraucht ist, wird an die entsprechende Stelle zwischen die beiden Helden Medeia, die rechtmäßige Gattin des Aigeus gesetzt und ihr das Amt übertragen, den Helm des Phorbas zu halten. Dabei kümmert es den Maler nicht und soll auch den Beschauer nicht küm- mern, daß Aigeus beim Amazonenkrieg seines Sohnes nicht mehr am Leben war, daß Medeia und Aithra nicht gleichzeitig in Athen weilen können, und daß von einer Übersiedelung Aithras ins Haus des Aigeus der Sage sonst nichts bekannt ist. Allein nicht nur die Angehörigen der Heroen, auch die der von ihnen über- wundenen Unholde pflegen als Nebenfiguren angebracht zu werden. So sehen wir auf den schwarzfigurigen und rotfigurigen Vasen, die Herakles im Kampf mit Antaios oder Geryoneus darstellen, eine oder mehrere Frauen bald erschreckt entfliehen, bald mitleidsvoll herbeieilen. Verkehrt wäre es, diese Frauengestalten als Ortsnymphen oder Lokalpersonifikationen auf- zufassen; denn diese Art Wesen spielte damals noch kaum eine Rolle. Es sind die Weiber und Töchter der Unholde. Aber nicht minder verkehrt wäre es, in den mythologischen Handbüchern nach ihrem Namen zu suchen. Zwar weiß Pherekydes von einer Gattin des Antaios Iphinoe zu berichten, der Herakles nach der Tötung ihres Gatten beiwohnt und die von ihm einen Sohn Palaimon gebiert; und dasselbe berichtet die Lokalsage von Tingis von ihrer Eponyme Tingo; der Sohn dieser Tingo und des Herakles hieß Sophax und ist der Ahnherr der Könige von Mauretanien. Aber nicht nur die zweite Sage scheidet wegen ihrer Jugend und ihres ganzen Charakters aus; auch die Pherekydeische wird man nicht heranziehen dürfen. Es wäre eine nicht auszudenkende Frivolität, in der mitleidig entsetzten Gattin des Antaios das künftige Heraklesliebchen zu sehen. In dem einzigen Fall, wo diese Frau eine Beischrift hat, heißt sie Andronoe, ein offenbar erfun- dener Name. Aber selbst wenn sie einmal die Beischrift Iphinoe hätte, wäre jeder Gedanke an deren Verhältnis zu Herakles fernezuhalten. Es ist daher korrekt, von jeder mythologischen Benennung solcher Neben- figuren abzusehen und sie nur als die Frauen und Töchter des Antaios, Geryoneus usw. zu bezeichnen. Etwas Analoges finden wir auf römischen J 10 Deuten aus dem Mythos Sarkophagen. In der Mittelszene des Sarkophags Abb. 110, dessen rechte Eckszene uns oben beschäftigt hat, finden wir die sterbende Alkestis mit den Porträtzügen der Toten. An ihrem Sterbelager stehen Admetos, ihre beiden Kinder, ein Knabe und ein Mädchen, sowie am Kopfende eine kla- gende Dienerin, alles dies nach dem Euripidcischen Stück. Aber außer- dem sind noch ein alter Mann und eine alte Frau zugegen, die in lebhafter Weise ihren Schmerz bekunden. Es ist klar, daß dies nicht die Eltern des Admet sein können, die durch ihre Weigerung, an ihres Sohnes Statt in den Tod zu gehen, die Ursache für das Selbstopfer der Alkestis geworden sind. Bei ihnen wäre solche Äußerung der Teilnahme pure Heuchelei, und für dergleichen war natürlich auf einem Sarkophag kein Platz. Aber auch Alkestis' eigene Eltern, Pelias und Anaxibie, können nicht gemeint sein, selbst wenn es sich der Künstler erlaubt hätte, sich Pelias noch am Leben vorzustellen und seine Schlachtung durch die eigenen Töchter zu ignorieren. Es sind die Eltern der unter dem Bilde der Alkestis dargestellten Verstorbe- nen, der Priesterin der großen Götter mutter, Metilia Acte, und auch hier ist es korrekt, auf jede mythologische Benennung zu verzichten und nur von dem Vater und der Mutter der Alkestis zu sprechen. Aber wie jede Regel, hat auch diese ihre Ausnahme. Wenn auf den Vasen, die darstellen, wie Eurystheus beim Anblick des von Herakles herbeigeschleppten erymanthischen Ebers sich in ein Faß versteckt, ein alter Mann und ein Mädchen erschreckt her- beieilen, so sind wir nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, in diesen seinen Vater Sthenelos und seine Tochter Admete zu erkennen; denn das sind im Mythos ganz festsitzende, ausgeprägte Figuren, die damals jedem Kind bekannt waren. Ebenfalls auf dem kompletiven Verfahren beruht es, wenn auf archaischen Bildwerken sowenig wie die Einheit des Ortes die Einheit der Zeit festgehalten wird und mehrere einander folgende Momente in einen zusammengezogen werden. Wenn man früher diese Erscheinung als Prolepsis bezeichnet hat, so war dieser Ausdruck recht unglücklich gewählt, denn alle diese Momente werden als gleichwertig empfunden. Maßgebend ist vielmehr das Bestreben, die Fabel möglichst vollständig darzustellen. Das Schulbeispiel hierfür ist die Selinuntische Metope mit der Enthauptung der Medusa (Abb. 118). Hier ist die Gorgo im sog. Knielaufschema entfliehend dargestellt. Trotz- dem steht Perseus ruhig neben ihr und schneidet ihr, in Gegenwart der Athene, die nur durch ihre Anwesenheit bei dieser Szene als solche kennt- lich gemacht ist, mit der Harpe den Kopf ab. Aber den Pegasos, der erst Zusammengezogene Handlung. Das Wunder 149 Abb. 118. nach der Enthauptung ihrem blutenden Rumpf entspringt, hält Medusa schon im Arm und preßt ihn mütterlich an sich. Etwas anderes ist es, wenn in der Mitte des Artemistempels von Korkyra die Medusa als riesiges Apo- tropaion zwischen ihren beiden Kin- dern, Pegasos und Chrysaor, ange- bracht ist. Hier ist der Gedanke an ihre Enthauptung durch Perseus ganz ausgeschaltet. Pegasos und Chrysaor sind gewissermaßen als ihre Attri- bute hinzugesetzt, etwa wie der de- lische Apollon die Chariten auf der flachen Hand trägt und der» olym- pische Zeus und die Parthenos beide die Nike. Endlich haben wir uns mit der bild- lichen Darstellung des Wunders zu befassen, zunächst dem der Verwandlung. Hier ist zu unterscheiden, ob die Verwandlung nur eine momentane und mehrfach wechselnde ist oder, wenn nicht eine endgültige, so doch längere Zeit anhaltende. Der erste Fall liegt bei dem Ringkampf des Peleus mit Thetis und dem des Herakles mit Nereus vor. Hier werden in der älte- ren Kunst die Verwandlungsformen, in die sich Nereus und Thetis nach- einander kleiden, Löwe, Panther. Schlange, in kleineren Dimensionen neben den in ihrer natürlichen Ge- stalt dargestellten Gottheiten ange- bracht und beteiligen sich lebhaft am Kampf (Abb. 119). Auch der Panther und die Schlange, die in der Gigantomaehie zu seiten des Diony- sos kämpfen, sind ursprünglich nichts anderes als die Verwandlungs- formen dieses Gottes. Die entwickelte Kunst kann solche Naivität nicht mehr vertragen; sie löst die Verwandlungsformen vom Körper der Abb. 119. 15t: Deuten aus dem Mythos ringenden Thetis los, so daß sie als ihre heiligen Tiere erscheinen, die ihr zu Hilfe eilen, wie auf der Abb. 120 wiedergegebenen Vase. Diese bietet auch interessante Belege für zwei der vorher erörterten Erscheinungen, die Freiheit in der Wahl der Nebenfiguren und die Unabhängigkeit von einer Abb. 120. festen Lokalisierung. Als Wagenlenker des Peleus fungiert nämlich Akastos, der zwar früher sein Freund, damals aber sein tötlicher Feind war. Und die Götter der athenischen Akropolis, Poseidon, Athene, diese sogar neben ihrem heiligen Ölbaum, Aphrodite, Peitho, Eros und Pan läßt der patrio- tische Vasenmaler dem Vorgang zuschauen, obgleich dieser doch meilen- weit entfernt an der Sepiasküste spielt. Wie verkehrt es. wäre, hieraus auf eine Version des Mythos zu schließen, die den Ringkampf des Peleus und der Thetis an die Küste von Attika verlegte, braucht nicht gesagt zu werden. Handelt es sich hingegen um eine endgültige oder länger andauernde Ver- wandlung, so schlägt die Kunst je nach dem Charakter der Fabel ver- schiedene Wege ein. Ergibt es sich aus der Handlung von selbst, daß in dem Tier ein göttliches oder mensch- liches Wesen steckt, so stellt sie ein- fach die Verwandlungsform dar. Bei Zeus als Stier oder als Schwan ver- bietet schon die Situation ein anderes Verfahren. Auch Io wird zuerst als wirkliche Kuh dargestellt, bis die Ge- stalt, in der sie im attischen Theater auftrat, nämlich als Mädchen mit Kuhhörnern und allenfalls^ Kuhohren, in die Kunst eindrang. Ebenso ver- hält es sich mit Aktaion, den Aischy- los ebenso wie die Io auf die Bühne Verwandlungen 151 gebracht hatte; auch bei ihm wird die Verwandlung nur durch ein Hirsch- geweih und Hirschohren angedeutet. Niemals aber kann ein umgehängtes Tierfell die Verwandlung bedeuten, schon deshalb nicht, weil es der Be- schauer für einen zum Schutz gegen die Kälte angelegten Pelz gehalten haben würde. Wenn auf der Metope von Selinus der sich gegen seine von Artemis auf ihn gehetzten Hunde vergeblich wehrende Aktaion ein Hirsch- fell trägt (Abb. 121), so liegt hier die rationalistische Sagenversion des Stesichoros vor, daß die Göttin ihn nicht wirklich verwandelt, sondern ihm, um seine Hunde zu täuschen, ein Hirschfell übergeworfen habe. Umgekehrt werden die von Kirke verwandelten Gefährten des Odysseus erst in der späteren Zeit als wirkliche Schweine gebildet. In der Blütezeit der Kunst haben sie nur den Kopf, den Schwanz und allenfalls die Füße eines Schweines, und sehr humorvoll wird auf einer attischen Vase (Abb. 122) der Moment vorgeführt, wo sich das im Verwand- lungsprozeß befindliche Opfer der Kirke an sei- nen Schweinskopf greift, weil es merkt, daß da etwas nicht in Ordnung ist. Nur auf den paro- distischen Vasen aus dem Kabirion bei Theben, deren eine unsere Abb. 123 zeigt, ist die Metamorphose fast vollendet; nur das linke Hinterbein hat seine menschliche Form beibehalten. In der archaischen Kunst erscheinen die verwandelten Gefährten nicht nur TplSIlSIlBliaB Abb. 122. Abb. 123. mit dem Kopf eines Schweines, sondern auch mit Köpfen anderer Tiere, eines Esels, eines Stiers, eines Widders, eines Schwans usw., und dasselbe 152 Deuten aus dem Mythos finden wir noch in hellenistischer Zeit auf etruskischen Urnen. Maßgebend hierfür war nicht nur das Streben nach Variation, sondern die Erzählung der Odyssee, daß Kirke zwar nicht die Gefährten des Odysseus, aber ihre früheren Opfer auch in Löwen und Wölfe verwandelt hat. Die Phantasie der Künstler hat das dann noch weiter ausgemalt. Auf höchst originelle Weise ist auf einem etruskischen Spiegel (Abb. 124) die Zwitternatur des Teiresias, der zeit- weilig in ein Mädchen verwandelt war, angedeutet. Der von dem Seelenführer Hermes zu dem Totenbeschwörer Odys- seus geleitete Schatten des thebani- schen Sehers stützt seine gebrochene Gestalt zwar nach Männerart auf einen Stab, hat aber die Züge eines Mädchens und trägt Weiberschuhe, während sein Gewand zwischen Männermantel und Frauenchiton die Mitte hält. Dagegen ist die Kunst völlig außer- stande und macht fast nie den Ver- such, es zum Ausdruck zu bringen, wenn ein Gott die Gestalt eines Men- schen annimmt. Es bleibt ihr nichts übrig, als ihn auch in solchen Fällen in seiher wahren Gestalt zu zeigen und durch seine gewöhnlichen Attribute kenntlich zu machen. In der Ilias ver- führt Athene in der Gestalt des Deiphobos den Hektor, sich dem Achilleus zum Kampf ji bellen. In den Darstellungen dieser Szene erscheint die Göttin in ihre. .wichen Typus mit Ägis, Helm und Lanze. Als Hermes den Priamos ins Griechenlager geleitet, nimmt er die Gestalt eines jungen Myrmidonen an. Die Kunst zeigt ihn auch in dieser Situation als den Götter- boten mit dem Kerykeion. Einen der seltenen Ausnahmefälle, wo ein Gott in menschlicher Metamorphose dargestellt ist, werden wir weiter unten ken- nen lernen. So begnügt sich denn auch die Kunst, wenn das Aussehen eines Menschen durch Zauberei verändert wird, mit leisen Andeutungen. Die Verwandlung des Odysseus in einen Bettler wird nur ganz diskret dadurch bezeichnet, daß er den die eine Schulter und Brust frei lassenden Arbeiter- kittel, die Exomis, trägt, und auch dies nur in seltenen Fällen. Abb. 124. Verwandlungen 153 Abb. 125. Den Moment der Metamorphose selbst hat die Kunst nur äußerst selten darzustellen gewagt. Eine der Kirkevasen, auf denen dies versucht ist, .w -, . haben wir eben kennen gelernt (Abb. 122). Bekannt ist, daß auf dem Lysikratesmonument die Verwand- lung der tyrrhenischen Seeräuber in der Weise dar- gestellt ist, daß sie als Fische mit Menschenbeinen gebildet sind (Abb. 125). Daphnes Verwandlung deuten pompejanische Bilder dadurch an, daß ihr aus Kopf, Schultern und anderen Stellen Lorbeer zweige her vor wachsen. In derselben Weise wird auf den Phaethonsarkophagen die Verwandlung der Heliaden in Pappeln veranschaulicht, nur daß auch das Wurzelschlagen dadurch bezeichnet wird, daß häufig die eine kniet, eine andere bis zur Hälfte im Boden steckt, der Oberleib einer anderen aus einem Pappelstamm zum Vorschein kommt, Abb. 126. Hiermit ist die bekannte Borghesische Daphnestatue zu vergleichen, deren Füße schon in der Erde stecken, und deren fest zusammen- gedrückte Beine den Eindruck eines Baum- stamms machen , aus dem dicke Lorbeerzweige hervorsprießen. Das größte Wunder der griechischen Göttersage ist die Geburt der Athene aus dem Haupte des Zeus. Sehen wir, wie es auf dem Madrider Puteal dar- gestellt ist, dessen plastischer Schmuck, wie Hauser nachgewiesen hat, nach dem berühmten Altar des jüngeren Kephisodot, der vor dem Tempel des Zeus Soter im Piräus stand, ko- piert ist (Abb. 127' r^ der Mitte finden wir den nacn . .^hts thronen- den Zeus mit seinen gewöhnlichen Attributen, Zepter und Donnerkeil. Von ihm aus fliegt Nike mit einem Kranz auf die vollgewappnete Athene zu, die zwar den Kopf nach ihrem Vater zurückwendet, aber sonst in stürmischer Bewegung nach rechts begriffen ist. Wären uns nur diese drei Figuren erhalten, so würde niemand hier etwas anderes erkennen können als die auf ein Schlachtfeld, sei es das trojanische sei es das Abb. 126. Abb. 127. 154 Deuten aus dem Mythos marathonische, forteilende Athene. Aber nun erblicken wir hinter Zeus noch eine vierte Figur, einen jugendlichen Gott, mit einem Beil in der Hand, der sich eilig nach links entfernt. Durch dieses Beil wird er als Hephaistos be- zeichnet, und aus seiner hastigen Flucht, seinem nach Athene zurückgewand- ten Kopf und dem erschreckten Gestus der linken Hand erraten wir, daß er eben durch einen Beilschlag das Haupt des Zeus von seiner Lieblingstochter entbunden hat und daß die Geburt der Athene dargestellt sein soll. Das heißt das Wunder nicht verbildlichen, es heißt es umschreiben. Betrachten wir nun, wie derselbe Vorgang auf einer seh war zfigur igen Vase dargestellt ist (Abb. 128). Auch hier finden wir Zeus nach rechts thronend, umgeben Abb. 128. von einem auserlesenen Kreis von Göttern, unter denen uns am meisten die vor Zeus stehende Geburtshelferin Eileithyia, die mit erhobener Rechten den die Entbindung fördernden Gestus macht, und Hephaistos, der sich, wie auf dem Puteal, mit dem Beil in der Hand schleunig entfernt, interessieren. Aber aus dem Haupt des Zeus steigt eben in voller Rüstung die in ganz kleinen Dimensionen gebildete Athene heraus, und die anwesenden Götter heben in staunender Bewunderung die Hände. Hier sehen wir das Wunder leibhaft vor uns. Die Puppenhaftigkeit der Göttin kann wohl der moderne Beschauer lächerlich finden, dem der religiöse Glaube an dies Wunder ver- loren gegangen ist, niemals aber der antike, der ihn sich bewahrt hatte und die heilige Geschichte von Kindesbeinen auf so dargestellt zu sehen gewohnt war. Es ist mir immer unbegreiflich gewesen, wie die Meinung Die Geburt der Athene 155 aufkommen und sich jahrelang behaupten konnte, im Ostgiebel des Par- thenon sei dies Wunder nicht wirklich dargestellt, sondern umschrieben gewesen. DEUTEN AUS DER LITERATUR, Für die Erklärung von Bild- werken kommt vor allem die Poesie, und hauptsächlich Epos und Drama, seltener die Lyrik in Betracht, die Prosa nur ausnahmsweise, wobei wir die mythographische Literatur in die Poesie, deren Niederschlag sie ist, miteinbegreifen. Zunächst kommt es darauf an, sich von dem Verhältnis der Kunst zur Poesie eine richtige Vorstellung zu machen. Dieses ist näm- lich in den verschiedenen Perioden ein verschiedenes. In der älteren Zeit, etwa bis zur Epoche Alexanders des Großen, liegt es der Kunst durchaus fern, die Dichtung illustrieren zu wollen. Sie stellt nur den Mythos nicht in seinem Urzustand, sondern in der Form dar, die er durch die Dichter er- halten hat und die durch ihren übermächtigen Einfluß populär geworden ist. So wird der Künstler in vielen Fällen nicht direkt aus dem Gedicht, sondern aus der von diesem befruchteten Volksvorstellung schöpfen. Darum bleibt aber das Abhängigkeitsverhältnis von der Poesie doch bestehen, wenn es auch vielfach ein indirektes ist. Damit ist schon gesagt, daß sich die Kunst keineswegs an den Wortlaut des Gedichts bindet. Sie erlaubt sich ihm gegenüber dieselben Freiheiten wie gegenüber dem Rohstoff des Mythos. So spielt denn auch hier das kompletive Verfahren eine große Rolle. Zunächst hinsichtlich der Nebenfiguren. Daß Thetis, als sie ihrem Sohne die Waffen überbringt, häufig von ihren Schwestern, den Nereiden, ja auch von Hephaistos begleitet wird und daß auch Athene zuweilen diesem Vorgang beiwohnt, ist schon oben gelegentlich bemerkt worden. Und für die spätere Kunst ist es ein beliebter Vorwurf, Thetis und ihre Schwestern mit den von Hephaistos geschmiedeten Wraffen auf Seetieren über das Meer nach der Troas reiten zu lassen. Beim Parisurteil ferner läßt schon die archaische Kunst zuweilen Priamos zugegen sein und die Göttinnen außer von Hermes auch von Iris geleitet werden. Vollends am Ende des fünften Jahr- hunderts kann sich der blühende Stil der Vasenmalerei im Hinzufügen solcher Nebenfiguren kaum genug tun. Hera wird von Hebe, Athene von Nike, Aphrodite von Peitho und Eroten begleitet, ja auch die früher besprochenen Personifikationen abstrakter Begriffe, wie Eudaimonia, Eutychia, bilden den Hofstaat der Göttinnen. Dagegen geschieht es allerdings unter dem Einfluß der Poesie, nämlich des Proömiums der Kyprien, wenn auch die 156 Deuten aus der Literatur intellektuellen Urheber des Vorgangs, Zeus, Themis und Eris, zugegen sind, nur daß diese in dem Epos gewiß nicht die drei Göttinnen auf den Ida begleitet haben. Und damit berühren wir einen wichtigen Punkt, das Kombinieren zweier 'oder mehrerer Stellen oder Szenen des Gedichts mit- einander, so daß nun die Situation eine andere Färbung erhält oder eine ganz neue Situation entsteht, an die der Dichter gar nicht gedacht hat, und so der Künstler selbst zum Dichter wird. Auf einer korinthischen Wein- kanne (Abb. 129), auf der die Hauptfiguren inschriftlich bezeichnet sind und daher gleich von uns benannt werden können, finden wir den auf einer Kline gelagerten Achilleus, der sich, ein Gestus des tiefsten Schmerzes, mit der Rechten an seinen Kopf faßt. Vor der Kline steht ein mit Speisen reich bedeckter Tisch, unter ihr ein Schemel. Die Szene spielt also in seinem Zelt, und dies ist noch weiter durch aufgehängte Waffen angedeutet, ein Paar Beinschienen und ein Schild mit einem riesigen Gorgoneion, das, genau in der Mitte angebracht, als Apotropaion auch den Inhalt der Szenen-Verschmelzung 157 Weinkanne gegen jeden bösen Zauber feien soll. Mitleidig beugt sich Thetis zu ihrem Sohne nieder; hinter ihr steht Odysseus, beide Hände vorgestreckt, die Linke mit ausgestrecktem Daumen und Zeigefinger, dem vereinfachten Redegestus. An dem Kopfende der Kline sieht man den greisen Phoinix, der mit der Rechten denselben Gestus macht wie Odysseus mit der Linken. Endlich findet man noch hinter Odysseus eine, hinter Phoinix zwei durch keine Beischriften bezeichnete Frauen, deren Arme unter ihren Mänteln verborgen sind. Hier sind drei Szenen des 19. Gesangs der Ilias kontaminiert. Illustrieren — denn hier darf man einmal von Illu- stration sprechen — wollte der Maler die V. 303 ff. Nach der Versöhnung mit Agamemnon versammeln sich im Zelte des Achilleus die Vornehmsten der Achäer und flehen ihn an, sich zur Schlacht mit Speis und Trank zu stärken — das deutet der reich bedeckte Tisch an. Er aber weigert sich und schickt alle fort bis auf sechs, die beiden Atriden, Odysseus, Nestor, Idomeneus und Phoinix. Von diesen hat der Maler nur zwei dargestellt, Odysseus und Phoinix, nicht bloß aus Raummangel, sondern auch weil ihm die Anbringung anderer Personen wichtiger war. Doch mag bei dieser Gelegenheit gleich eingeschaltet werden, daß das eklektische Verfahren der antiken Kunst ebenso geläufig ist wie das kompletive. Die Zurückgeblie- benen, hier also nur Odysseus und Phoinix, suchen durch freundliches Zureden den Schmerz des Achilleus zu mildern — daher der Redegestus dieser beiden. Vergeblich; er fährt fort zu klagen und gedenkt in schmerz- licher Erinnerung daran, daß ihm früher Patroklos das Mahl vorzusetzen pflegte — daher die an den Kopf gelegte Hand. In der Ilias wird nun weiter erzählt, daß Zeus Athene herunterschickt, um dem Nüchternen Nektar und Ambrosia einzuflößen, damit seiaÄKniee in der Schlacht nicht erlahmen. Dieses Motiv hat der Maler fallen lassen; statt Athene führt er Thetis ein und läßt diese ihren Sohn trösten. Aber auch das ist dem 19. Gesang ent- nommen, in dessen Beginn Thetis dem Achill die Waffen überbringt, dann aber aus der Handlung ausscheidet. Der Maler hat also die Mitte des Ge- sangs mit dessen Anfang kombiniert und nicht umsonst die aufgehängten Waffen so augenfällig gemacht. Zwischen den im Bilde zu einer Einheit verschmolzenen Szenen liegt in der Ilias die Versöhnung mit Agamemnon und die Rückgabe der Briseis, und es wird erzählt, wie diese bei dem An- blick des toten Patroklos in Tränen ausbrach und die Frauen in ihre Weh- klage einstimmen, scheinbar um Patroklos, in Wahrheit um das eigene Leiden. Gemeint sind hier die sieben Sklavinnen, die Agamemnon außer 158 • Deuten aus der Literatur Briseis dem Achilleus neben anderen reichen Gaben als Buße übergibt, und die zugleich mit ihr das Zelt betreten. Aber auch hier ist der Maler vom Text abgewichen. Wenn wir hinter Odysseus eine einzelne Frau sehen, so ist damit unzweifelhaft Briseis gemeint. Die anderen sieben Sklavinnen sind weggelassen, nicht nur aus Raummangel, sondern weil sie für die Szene nicht in Betracht kommen. Aus gleichem Grunde fehlen die Geschenke; die Leiche des Patroklos aber deshalb, weil durch sie die Aufmerksamkeit von Achilleus abgelenkt werden würde, auf den das ganze Interesse des Beschauers konzentriert bleiben soll. Gewiß, der Maler hätte ebensogut Achilleus an der Leiche des Patroklos darstellen können. Aber dann hätte der Tisch mit den Speisen wegbleiben müssen. So aber hat er sich zum Thema gewählt: »Achilleus enthält sich aus Schmerz über den Verlust seines Freundes von Trank und Speise. « Aber haben wir nicht wenigstens zwei der von Agamemnon geschenkten Sklavinnen in den am rechten Ende stehenden Frauen zu erkennen? Nein. Denn ihr Platz hinter Phoinix beweist, daß sie nicht mit Briseis gekommen sind, sondern zum älteren Ge- sinde des Achilleus gehören. Es sind die aus dem Schluß des 9. Gesanges bekannten Beischläferinnen des Achilleus und Patroklos, die Lesbierin Diomede und die Skyrerin Iphis, für die die Künstler eine besondere Vor- liebe haben, obgleich sie nur an dieser einen Stelle erwähnt werden. So gießt z. B. in dem Innenbild einer Trinkschale aus der Fabrik des Euphro- nios nicht Briseis, sondern Diomede ihm Wein ein. Fassen wir das Gesagte zusammen, so ergibt sich, daß hier der Maler den größten Teil des 19. Gesanges der Ilias, nämlich die Verse 1 — 356 illustriert hat, indem er sie zu einer einzigen Szene zusammenzog. Wir erkennen aber zugleich, daß er mit dem Inhalt der Ilias, obgleich diese doch in einem ihm fremden Dialekt ab- gefaßt war, in alle Einzelheiten hinein wohlvertraut und keineswegs lite- rarisch so ungebildet war, wie es von seinesgleichen häufig angenommen wird. Die Erfahrungen, die wir hier über die Verschmelzung mehrerer Szenen durch die Kunst mit einer erhaltenen poetischen Quelle gemacht haben, berechtigen uns, dieselben Folgerungen auch dann zu ziehen, wenn das illustrierte Gedicht verloren ist. In dem Epos von Trojas Zerstörung, das unter dem Namen des Lesbiers Lesches ging, war erzählt, wie Neoptolemos den Astyanax am Fuß faßt und von dem Turm der trojanischen Mauer herunterschleudert und zerschmettert, und wie derselbe Neoptolemos den Priamos von seinem Hausaltar, auf den er sich geflüchtet hatte, herabriß Szenen-Verschmelzung 159 und am Tor seines Palastes niederstach. Nach dem, was wir über die kom- pletive Tendenz namentlich der archaischen Kunst gelernt haben, wird man es selbstverständlich finden, daß sie diese beiden Taten des Achilleus- sohns miteinander verband. Dadurch wird das Grausige der Handlung ge- waltig gesteigert; Priamos muß unmittelbar vor seinem eigenen Ende den Tod seines letzten Enkels mit eigenen Augen mit ansehen. Und da Neo- ptolemos, wie er den am Fuß gefaßten Knaben zerschmettert, für die Kunst ein sehr dankbarer Vorwurf war, so legte sie diesen dem Typus zu- grunde und verband damit die Figur des Priamos, wie er, Gnade für seinen Enkel flehend, beide Arme vorstreckt. Auch hier ist der Künstler wieder zu einem die Situation weiterbildenden und steigernden Dichter geworden. So gewinnt es öfters, z. B. auf der oben (Abb. 104) wiedergegebenen Schale des Brygos, den Anschein und ist vielleicht wirklich so gemeint, daß Neo- ptolemos den Astyanax an dem Schädel seines Großvaters zerschmettert. Diese Kraßheit wird aber zuweilen dahin gemildert, daß entweder Priamos bereits tot über den Altar hingestreckt daliegt oder, wie auf der Vivenzio- vase, die Leiche des Astyanax auf seinem Schoß hält, während Neoptolemos den tödlichen Schlag gegen sein Haupt führt. In allen diesen Fällen aber wird Priamos nicht wie in der poetischen Quelle, die auf den homerischen Bechern wortgetreu illustriert wird, neben dem Altar, sondern auf dem Altar erschlagen, wie dies für ein anderes Epos von Trojas Untergang, das dem Arktinos von Milet zugeschrieben wurde, bezeugt ist. Man braucht aber deshalb nicht anzunehmen, daß die Kunst den Tod des Priamos .nach Arktinos, den des Astyanax nach Lesches darstellte, also nicht nur zwei verschiedene Szenen desselben Epos, sondern zwei verschiedene Epen mit- einander kombinierte, obgleich auch diese Möglichkeit zuzugeben ist. Viel- mehr ergab sich aus der Verbindung beider Mordtaten, daß Priamos auf dem Altar erschlagen werden mußte. Die Übereinstimmung mit Arktinos kann also auf Zufall beruhen. Das Bedürfnis, kompletive Figuren einzusetzen, steigert sich natürlich in demselben Maße als die Bildfläche größer wird, und in solchen Fällen glaubt man oft die Mühe zu erkennen, die der Künstler gehabt hat, die nötigen mythologischen Füllfiguren aufzutreiben. Andererseits gerät aber dadurch auch der Erklärer in Gefahr, diesen Nebenfiguren ein größeres Gewicht zu- zumessen, als ihnen zukommt. Beweis die berühmte Medeiavase aus Canossa (Abb. 130). Nach einem Kompositionsschema, das bei diesen wahrschein- lich in Tarent fabrizierten Vasen besonders beliebt ist, nimmt die Mitte 160 Deuten aus der Literatur ein dem Typus der Grabkapellen nachgebildeter Tempel ein, der den Königs- palast vorstellt. Unter diesem Tempel zieht sich, den mittelaltrigen Pre- dellen vergleichbar, ein Fries von Figuren hin, während zu beiden Seiten des Tempels die Figuren in zwei Reihen übereinander angeordnet sind, so Abb. 130. jedoch, daß die Eckfiguren der unteren Reihe etwas tiefer stehen und so zu dem unteren Fries überleiten. Man kann daher auch von einer drei- streifigen Komposition sprechen, nur daß die beiden oberen Streifen in der Mitte durch den Palast unterbrochen werden. Die Vase von Canossa illu- striert die Medeia des Euripides, dies Resultat dürfen wir der Kürze halber vorwegnehmen. Im Palast stürzt die Braut des Iason — sie hat hier so- Die Medeia des Euripides 1Q1 wenig wie bei Euripides einen Eigennamen, sondern wird nur durch die am Architrav angebrachte Inschrift als Kreonteia, d. i. Kreonstochter, be- zeichnet — die Tochter Kreons also stürzt, da sie die verhängnisvollen Hochzeitsgeschenke Medeias angelegt hat, lichterloh brennend auf den Thronsessel ihres Vaters nieder, der sie vergeblich mit der linken Hand zu stützen sucht, während die ans Haupt gelegte Rechte den uns schon be- kannten Gestus der Trauer macht. Kreon trägt das Bühnenkostüm der Könige, das von einem Adler bekrönte Theaterzepter ist seiner Hand ent- fallen. Diese Szene entspricht der Botenerzählung bei Euripides. Die Braut, so wird dort der Medeia berichtet, tänzelt mit den Gaben Medeias, demPeplos und der Krone, geschmückt im Zimmer auf und ab: »Doch nun begann ein fürchterliches Schauspiel. Plötzlich erbleichend wankte sie zurück Und konnte nur noch eben ihren Sessel Erreichen, eh' sie schlotternd niederbrach. Hellbrennend fährt sie aus dem Sessel auf Und flieht und wirft das Haupt und schüttelt wild Die Locken, um die Krön' herauszuschleudern. Allein das Gold sitzt fest im Schopf, und heller Flammt von dem Schütteln angefacht das Feuer. Die Schmerzen überwält'gen sie, sie stürzt Zu Boden, kaum noch für den eignen Vater Erkennbar. Augen, Stirn und alle Form Des lieblichen Gesichtes ganz entstellt. Denn mit dem Flammenstrome rann vom Kopfe Das Blut herab, und von den Gliedern tropfte Von deinen Zaubergiften weggefressen Das Fleisch wie Kien im Feuer — schaudervoll. Wir mußten zusehn, denn wir hüteten Uns ängstlich alle, durch die fürchterliche Wirkung belehrt, den Körper zu berühren. Allein ihr armer ahnungsloser Vater Warf sich, sobald er in das Zimmer stürmte, Mit lautem Wehgeschrei auf ihre Leiche Und küßte sie und schlang um sie die Arme.« (Wilamowitz.) 162 Deuten aus der Literatur Es ist lehrreich zu sehen, welche Momente aus dieser sich in beständig wech- selnden Bildern abspielenden Katastrophe der Künstler aufgegriffen hat. zu welchen Änderungen er durch die verschiedenen Bedingungen der reden- den und der bildenden Kunst veranlaßt worden ist. Mit Recht hat er von vornherein davon abgesehen, den entstellten Körper der Braut zu zeigen. Er zeichnet sie noch in ihrer vollen Schönheit und illustriert nur die Verse, die schildern, wie mit den Flammen von ihrem Kopf das Blut herab- rinnt. Aus den verschiedenen Situationen, in denen uns der Dichter die Brennende vorführt, greift der Künstler nicht die letzte heraus, wo sie leblos zu Boden stürzt, sondern die erste, wo sie sich auf einen Sessel wirft, der nicht ohne Feinheit als der Thron ihres Vaters charakterisiert wird. Hieraus ergibt sich von selbst, daß Kreon bei seinem Eintreffen seine Tochter noch nicht in den letzten Zügen findet, was auch den Erfordernissen der Kunst entspricht und auf den Sarkophagen ebenso ist. Er schlingt also nicht wie bei Euripides um die Sterbende die Arme, sondern sucht die Sinkende mit dem linken Arm zu stützen. Ein Kästchen mit geöffnetem Deckel, das an den Stufen des Palastes steht, deutet die unmittelbare Ursache der Ka- tastrophe an: es war der Behälter für den verzauberten Kopfputz. Der unterste Streifen zeigt den Kindermord der Medeia, der freilich im Drama erst erfolgt, als ein Trabant des Iason ihr vom Tode des Königs und seiner Tochter sichere Kunde gebracht hat. Aber doch kann man darin keinen Verstoß gegen die Einheit der Zeit sehen; denn an sich ist es sehr wohl denkbar, daß sie, der tödlichen Wirkung ihrer Geschenke sicher, sofort ans Werk schritt, nachdem ihre Kinder zurückgekehrt waren, und daß die Königstochter die durch deren Heimweg in Anspruch genommene Zeit be- nutzte, um Gewand und Kopfputz anzulegen; auch wirkte ja das Gift, wie wir gesehen haben, nicht sofort, sondern erst na.ch einiger Zeit. Medeia also, in der phrygischen Tracht, die seit Mitte des fünften Jahrhunderts für sie charakteristisch ist, hebt ihren einen Knaben bei den Haaren empor und hält in der Rechten das gezückte Schwert, um ihn zu erstechen. Dabei hält sie ihn über einen Altar, den wir uns neben dem Eingang des Palastes zu denken haben. Hier haben wir wieder den weiterdichtenden Künstler. Die Rachetat der Medeia wird hierdurch zugleich als ein Opfer gekenn-, zeichnet. Den anderen Knaben sucht ein Trabant zu retten, indem er ihn aus den Augen der Mutter entfernt. Hierfür sind zwei Stellen des Dra- mas maßgebend. Als in diesem Medeia hinter der Szene das Schwert gegen ihre Kinder zückt, hört man von dorther den Ruf des einen : Die Medeia des Euripides 163 »Weh mir, wo find' ich vor der Mutter Schutz?« (Wil.) Damit wird eine Stelle aus dem Prolog kombiniert. Dort ermahnt die Amme den Pädagogen, die Knaben von den Augen der Mutter fern zu halten : »Halte streng darauf, Daß sie dem Gram der Mutter nicht begegnen. Ich sah's in ihren Augen wetterleuchten, Und auf die Kinder schoß ein böser Blick. « (Wil.) Und später treibt sie selbst die Knaben fort : »Beeilt euch, Kinder, geschwind in das Haus, Geht nicht zu der Mutter, grüßet sie nicht. ' . Ihr dürft ihr vor Augen nicht kommen, ihr müßt Ausweichen der Wut des erregten Gemüts, Selbstherrischen Wesens gefährlichem Dräun. Fort, fort, nun schleunigst, ihr Knaben, hinein. « (Wil.) Aber auf der Vase ist es ja gar nicht der Pädagog, der den einen Knaben fortfuhren will, sondern ein speerbewaffneter Trabant, ohne Zweifel aus dem Gefolge des Iason, und gewiß schwebt dabei der Trabant vor der im Drama den Botenbericht gesprochen hat, obgleich dieser hier nicht voran- gegangen sein kann — wenigstens wenn wir an der Einheit des Moments strikte festhalten, was uns bis jetzt möglich gewesen ist. Zu dieser Änderung wurde der Künstler dadurch veranlaßt, daß er den Pädagogen anderweitig verwenden wollte. Wir sehen ihn in seinem charakteristischen Bühnen- kostum oberhalb der eben besprochenen Gruppe auf den Palast des Königs zueilen. Er muß also schon Kunde von dem eingetretenen Unglück be- kommen haben. Wie. sie ihm geworden ist, hat der Maler nicht versäumt anzudeuten. Denn an ihm vorbei eilt, in entgegengesetzter Richtung, eine ]unge Dienerin, die aus dem Palast gekommen sein muß, was durch das typische Kunstmittel ausgedrückt wird, daß sie den Kopf dorthin zurück- wendet und mit dem ausgestreckten linken Arm dorthin zeigt. Sie hat in hastigen Worten dem Pädagogen alles erzählt. Auch für die Einführung dieser Figur bot der Text der Tragödie einen Anhalt. Der Bote meldet an der oben von uns ausgelassenen Stelle : »Die Mägde stürzten Wirr auseinander, eine nach dem Vater, Die andre nach dem Bräutigam, das Leiden Des Mädchens zu verkünden.« (Wil.) 1(34 Deuten aus der Literatur Daß auf der Vase die erste dieser beiden Botinnen gemeint ist, ergibt sich daraus, daß sie sich nach derselben Seite entfernt, von der Kreon gekommen sein muß. Es wäre pedantisch, zu fragen, warum sie nicht mit dem König, den sie gerufen hat, in den Palast zurückkehrt. Dennoch wollen wir auch diese Frage nicht unbeantwortet lassen. Der Hauptgrund ist, daß der Künstler sie brauchte, um den Pädagogen von dem Geschehenen zu infor- mieren. Aber auch psychologisch läßt sich die Sache motivieren: das Mäd- chen fürchtet sich zu ihrer Herrin zurückzukehren, die sie von Pan besessen glaubt. Kompositionen aber erfüllt die Gruppe die Aufgabe, von dem unteren zu dem mittleren Streifen überzuleiten. Haben wir bisher die Einheit des Moments, trotz leichter Trübungen, doch im ganzen gewahrt gefunden, so wird sie empfindlich gestört durch die Figur des von rechts mit Lanze und Schwert in Begleitung eines Trabanten herbei- stürzenden Iason. Die Hast, mit der er läuft, und die Richtung, woher er kommt, wird durch das umgeworfene Becken' über ihm bezeichnet. Dar- aus entnehmen wir, daß er aus dem Palast kommt. Aber daß er seine Braut im Sterben allein gelassen haben sollte, ist doch ein unerträglicher Gedanke. Nur nachdem sie den letzten Seufzer ausgehaucht hatte, konnte Jason an Medeia und die Kinder denken. Hier wird also ein späterer Moment angenommen als bei der Mittelgruppe; und dennoch wäre es durchaus verkehrt, von zwei aufeinander folgenden Szenen zu sprechen. Denn nicht nur daß mehrszenige Kompositionen auch noch auf tarentinischen Vasen etwas Unerhörtes sind, durch die vermittelnde Gruppe des Pädagogen und der Dienerin auf der einen, das umgestürzte Becken auf der anderen Seite wird die Einheit der Handlung nachdrücklich betont. Was Iason in der Tragödie vor seinem letzten Auftreten tut, wird.zwar nicht ausdrück- lich gesagt, läßt sich, aber leicht erschließen. Wir haben oben gehört, daß eine Dienerin ihn zu ihrer, wie sie glaubt, erkrankten Herrin gerufen hat; aber er kommt zu spät. Als ein Trabant nach dem Tode der Königstochter den Palast verlassen hat, um der Medeia das Geschehene zu melden, war Iason dort noch nicht eingetroffen. Aber wenn er dann mit den Worten auftritt : »Ihr Frauen dort, ihr steht der Türe nahe, Ist sie, die diese Greueltat verübte, Ist sie noch da, Medea?« (Wil.) so bestätigen diese, was sich ja eigentlich von selbst versteht, daß er mittler- weile im Palast gewesen ist, die Leichen gesehen und die Todesursache von Die Medeia des Euripides 165 dem Gesinde erfahren hat. Sein Auftreten wird von Euripides vor allem durch die Sorge um seine Knaben motiviert, für die er — dadurch mit der bestehenden Sagenversion sich abfindend — die Rache der Korinther fürchtet: Medeia selbst mag dieser immerhin verfallen. »Doch an die Kinder denk' ich, nicht an sie. Sie mag die Rache der Korinther treffen, Nur meiner Söhne Leben möcht' ich retten, Daß nicht des Königshauses nächste Freundschaft, Wenn sie der Mutter ihre Mördertücke Vergilt, auch an den Kindern sich vergreift.« (Wil.) In dem Drama kommt Iason zu spät; denn seine Kinder sind bereits das Opfer, zwar nicht der Korinther, aber der eigenen Mutter geworden; auf der Vase langt er gerade im Augenblick der Tat an, und an sich wäre es nicht ausgeschlossen, daß er den einen Knaben noch retten könnte, ob- gleich dieser Gedanke natürlich dem Vasenmaler gänzlich fernlag. Aber allerdings müssen wir konstatieren, daß hier zwei verschiedene Momente in einen zusammengezogen worden sind, weil so viel von der Handlung, wie irgend möglich ist, im Bilde vorgeführt werden soll. Aus diesem Bestreben ist es auch zu erklären, daß der Schlangenwagen, auf dem Medeia am Schluß des Stückes erscheint, schon zugegen ist; er ist zwischen Iason und Medeia in die Mitte gestellt, aber natürlich mindestens für jenen unsichtbar zu denken. Da er aber eines Lenkers bedarf und Medeia dies noch nicht sein kann, wird als solcher eine der in jener Zeit besonders beliebten Personifika- tionen der Affekte eingeführt, die rasende Leidenschaft, von der Medeia beherrscht wird, Oistros, der als Attribut wie die Erinyen in jeder Hand eine Fackel hält. Wir konstatieren, daß wir hier zum erstenmal eine Figur vor uns haben, für deren Einführung der Text der Tragödie keinen Anhalt bot. Wenden wir uns nun zur rechten Seite des mittleren Streifens, so finden wir dort eine weißhaarige geschleierte Frau, die mit allen Zeichen des Ent- setzens nach rechts entweicht. Auch bei ihr wird, wie bei der Dienerin auf der linken Seite, durch die Rückwendung des Kopfes betont, daß sie aus dem Palast entwichen ist, doch flieht sie nicht wie jene abwärts, sondern seitwärts. Durch diese Richtung ihrer Bewegung wie durch deren eben konstatierten Ausgangspunkt ist der Gedanke an die Amme der Medeia, der sonst recht naheliegen würde, ausgeschlossen. Doch ist auch diese 166 Deuten aus der Literatur Figur aus dem Dichtertext entnommen. In jenem Botenbericht heißt es, nachdem die Königstochter auf dem Sessel niedergebrochen ist. weiter: »Es stand eine alte Kammerfrau dabei, Die fing zu kreischen an. Sie mochte denken, Es war' ein Anfall wie den Menschen Pan Und manche Götter schicken, und sie wollte Den Schrecken scheuchen: da bemerkte, sie Am Munde weißen Schaum, die starren Augen Und alles Blut gewichen aus den Wangen, Gleich sprang sie von dem Kreischen zu dem dumpfen Wehruf der Trauer um. « (Wil.) Diese Kammerfrau haben wir in der Greisin auf der Vase vor uns, und der Maler ist nur darin vom Dichter abgewichen oder vielmehr er hat das von diesem angeschlagene Motiv so weitergesponnen, daß er die Alte beim Tod ihrer Herrin erschreckt aus dem Palast entweichen läßt. Die Rollen die wir eigentlich von Iason erwarten würden, wäre dieser nicht anderweitig beschäftigt, der sterbenden Königstochter zu Hilfe zu eilen, übernimmt ein Jüngling, den die Beischrift als Hippotes bezeichnet. Diese Figur ist dem Euripideischen Drama absolut fremd, aber in der korinthi- schen Königsliste führt der Sohn des Kreon diesen Namen; aus dieser hat ihn also der Maler entnommen und in der Figur einen Bruder der sterbenden Königstochter eingeführt. Danach kann es nicht zweifelhaft sein, daß die an der entsprechenden Stelle der linken Seite herbeieilende Frau, die ihre rechte Hand mit der uns jetzt schon sattsam bekannten Trauergebärde an den Kopf legt und durch die Beischrift als Merope bezeichnet wird, die Mutter ist. Auch diese Figur kommt bei Euripides nicht vor, auch der sonstigen Literatur über die Medeiasage ist sie fremd ; aber zwei andere korinthische Königinnen führen diesen Namen, erstens, wie allgemein bekannt, die Pflegemutter des Oidipus, zweitens die Gemahlin des Sisyphos. Es ist nun ebensogut möglich, daß der Vasenmaler den Namen aus einem dieser beiden Sagenkreise auf die von ihm eingeführte Gemahlin des Kreon über- tragen hat, wie daß sie in der korinthischen Königsliste wirklich so hieß. Damit aber auch die Familie der Medeia vertreten sei, steht rechts auf einem Felsen, den Übergang aus dem unteren in den mittleren Streifen vermittelnd, der Schatten ihres Vaters Aietes, in der Tracht eines asiatischen Königs, und sieht der grausigen Tat seiner Tochter zu. Es ist für die Einfügung Die Medeia des Euripides 167 dieser Figur ganz gleichgültig, ob es eine uns zufällig nicht überlieferte Sage gab, nach der Aietes nach der Flucht seiner Tochter und der Ermordung des Apsyrtos aus Gram starb oder sich selbst den Tod gab, was hier weder behauptet noch bestritten werden soll. Für den Vasenmaler war einzig maß- gebend, daß er den Aietes als kompletive Figur nötig hatte, und da er nicht mehr so naiv war wie seine früheren Kollegen, die attische Heroen nach Kreta und den Peleus nach Troja versetzten, konnte er den Lebenden nicht brauchen, sondern nur den Toten. Ein schwerer methodischer Fehler wäre es nun, wollte man aus der An- wesenheit dieser drei dem Euripides fremden Figuren schließen, daß trotz der von uns aufgewiesenen eklatanten Übereinstimmungen mit den Text- worten nicht dessen »Medeia«, sondern ein jüngeres Drama, eine sogenannte nacheuripideische Tragödie die poetische Vorlage sei. Es gehört nur eine geringe Kenntnis des attischen Dramas und seiner Entwicklung dazu, um sich zu sagen, daß ein Stück, in dem die ganze Familie des Kreon, Vater, Mutter, Sohn und Tochter, Personen waren, ein Ding der Unmöglichkeit ist, während eine »Medeia« , in der der Schatten des Aietes den Prolog sprach, an sich wohl denkbar wäre. Wen aber dies alles nicht überzeugt, der achte auf die Figur des Hippotes. Durch diese wird die ganze Voraus- setzung der Handlung unmöglich. Denn die Haupttriebfeder für Iasons Treubruch ist doch die Aussicht auf den Thron von Korinth. Hat aber Kreon einen lebenden Sohn, so ist diese Hoffnung illusorisch. Rein kompletive Figuren sind ferner die nach dem festen Kompositions- schema der tarentinischen Vasen den oberen Streifen einnehmenden Götter. Nicht immer wird es dem Vasenmaler so leicht solche zu finden, die mit der unten sich abspielenden Handlung in naher Beziehung standen, wie in diesem Fall. Außer der Gönnerin des Iason, Athene, erblicken wir solche Götter, die während ihres Erdenwallens an der Fahrt der Argo teilgenommen haben, Herakles und die Dioskuren, die alten Kameraden des Iason. Es brauchen aber keineswegs nur Nebenfiguren zu sein, die der Künstler über seine poetische Quelle hinausgehend der Szene hinzufügt; oft werden auch Figuren hinzugesetzt, durch die die bildliche Darstellung eigentlich erst verständlich wird, während sie in der Dichtung aus irgendeinem Grund nicht zugegen sind oder nicht zugegen sein können. Das ist z. B. auf den Bildern von Hektors Lösung der Fall. In der Ilias trifft Priamos den Achill, wie er eben seine Mahlzeit beendet hat, in Gesellschaft des Automedon und Alkimos. Die Leiche des Hektor liegt außerhalb des Zeltes beim Grabmal 168 Deuten aus der Literatur des Patroklos im Staub, und ihr Anblick sollte dem Vater erst am anderen Morgen gestattet werden, nachdem sie gewaschen, gesalbt, gebettet und auf den Wagen gelegt war, und so wäre es geschehen, hätte nicht Hermes in der Nacht den Priamos geweckt und samt dem Leichnam nach Troja zurückgeleitet. Im Bilde aber müssen wir die Leiche des Hektor sehen, um überhaupt den Inhalt der Bitte zu verstehen, ja schon um die beiden Hauptfiguren als Priamos und Achilleus zu rekognoszieren. So sehen wir denn auf der Reliefplatte, die den Griff eines griechischen Spiegels schmückt (Abb. 131), den Körper des Hektor, an dem die Leichenstarre vor- trefflich ausgedrückt ist, am Boden liegen. Der alte Priamos berührt bittend das Kinn des Achil- leus, während er in der Ilias seine Kniee umfaßt und ihm die Hände küßt. Hinter Priamos steht Hermes, der bei Homer das Zelt des Achilleus in dieser Szene nicht betritt. Dagegen sind Alki- mos und Automedon weggelassen; auch fehlt jede Andeutung des eben beendeten Mahles. Zu diesen Abweichungen von seiner poetischen Vor- lage, zu dieser Mischung des eklektischen Ver- fahrens mit dem kompletiven sah sich der Künstler durch die metopen- artige Form der Bildfläche veranlaßt. Wo aber eine breitere Bildfläche zur Verfügung steht, da versäumt die ältere Kunst nicht darauf hinzu- weisen, daß Achilleus seine Mahlzeit eben beendet hat. So auf einer trotz ihrer flüchtigen Zeichnung sehr lehrreichen Lekythos (Abb. 132). Hier sehen wir Achilleus ähnlich wie auf der oben besprochenen korinthischen Weinkanne, auf der Kline gelagert, neben sich den Speisetisch, und ähnlich wie dort deutet ein Paar von aufgehängten Beinschienen das Zelt an. Die Abweichung von der homerischen Sitte, daß Achilleus beim. Mahle nicht sitzt, sondern, wie es zur Zeit des Vasenmalers Sitte war, liegt, beruht auf dem die ganze griechische Kunst beherrschenden anachronisti- schen Prinzip, die Sagengestalten den zurzeit bestehenden Kulturzuständen anzupassen. Aber vor dem Speisetisch liegt lang ausgestreckt der riesige Körper des toten Hektor; und so kommt hier, rein durch die Kunst, in die Situation der der Poesie absolut unbekannte gräßliche Zug hinein, daß Achill über der Leiche seines Todfeindes seine Mahlzeit hält. Auf Achill Abb. 131. Hektors Lösune 169 eilt von links in heftigster Bewegung, wie sie der älteren Kunst eigentüm- lich ist, der greise Priamos in fast hüpfender Bewegung zu. Achill aber hält ihm mit der ausgestreckten Rechten eine Trinkschale entgegen. Falsch wäre es, hierin einen weiteren Ausdruck des Hohns gegen den Getöteten und dessen Vater zu sehen ; vielmehr haben wir hier wieder dasselbe kom- pletive Verfahren wie auf der korinthischen Vase. Das Motiv ist einer späteren Abb. 132. Stelle des 24. Gesangs entnommen; dort nötigt Achilleus, nachdem er die Leiche freigegeben und für die Bestattung in der oben geschilderten Weise vorbereitet hat, nicht ohne eine gewisse Gewaltsamkeit den Priamos, Speise und Trank zu sich zu nehmen. Dies ist hier gleich mit der Ankunft des Priamos verbunden, und der Beschauer entnimmt daraus, daß Priamos' Bitte gewährt werden wird. Was nun endlich die Nebenfiguren betrifft, so sind dies andere, als wir vielleicht erwarten würden. Automedon und Alkimos fehlen, ebenso Hermes. Hinter Priamos steht ein speertragender Jüngling neben einem Pferd. Ein Unerfahrener könnte vielleicht auf den Gedanken kommen, daß damit Hermes in der Gestalt eines jungen Myr- midonen gemeint sei. Aber das verbietet das im vorigen Abschnitt erörterte Prinzip, wonach auch verwandelte Götter in ihrer wahren Gestalt mit ihren Attributen dargestellt werden. Ein Begleiter des Priamos ist es allerdings, jedoch ein menschlicher, und das Pferd ist an Stelle des Wagens getreten, auf dem Priamos in der Ilias nach dem Griechenlager fährt; auch dies einer der üblichen Anachronismen. Ein zweiter Begleiter ist die hinter dem Pferd stehende Figur, die, wie man trotz der flüchtigen Zeichnung leicht erkennt, das Kostüm des phrygischen Bogenschützen, Lederkoller und Mütze trägt. Auf einem Krater im Stil des Vasenmalers Brygos (Abb. 133) ist das Gräß- liche der Situation insofern noch gesteigert, als hier der Körper des Hektor, 170 Deuten aus der Literatur an dem die tödliche Brustwunde angegeben ist, nicht vor dem Speisetisch, sondern unter der Kline liegt, so daß Achilleus hier recht eigentlich über der geschändeten Leiche des Erschlagenen schmaust und zecht. Denn diesmal hat er seine Mahlzeit noch nicht beendet. Der Tisch ist mit Schüsseln, Fleischteilen und eßbaren Kräutern reich bedeckt ; und der Pelide hält in der Linken ein Stück Eingeweide, in der Rechten das Messer. Hinter dem Kopfende der Kline steht, ein weiterer Anachronismus, sein junger Mund- schenk, ein bekränzter schöner Knabe, mit der Schöpfkelle in der einen, dem Sieb, dem rjtyiög, in der anderen Hand. Aufgehängte Waffen, ein korinthischer Helm, ein Schild wieder mit großem Gorgoneion, ein Schwert und zwei Kriegsmäntel deuten auch hier das Innere des Zeltes an. Ein Hektors Lösung Hl diesem Vasenmaler eigentümlicher, in der Ilias nirgends angedeuteter Zug ist es, daß Achilleus beim Anblick des Priamos den Kopf abwendet. Dieser erscheint gefaßter und königlicher als in der Ilias und auf den bisher be- sprochenen Bildwerken. Er stürmt weder heran, noch umfaßt er die Knie des Achilleus, noch berührt er sein Kinn ; würdevoll schreitet er, auf seinen Stab sich stützend, heran, und da der Maler das reiche Lösegeld vorführen wollte, das in der Ilias viel später Achilleus selbst und seine Gefährten vom Wagen des Priamos abladen, so gibt er statt des Herolds Idaios, der sich bis jetzt auf Bildwerken überhaupt nicht gefunden hat, dem König zwei Männer und zwei Mädchen zur Begleitung, jene mit Gefäßen aus Edel- metall auf den Schultern und in den Händen, diese mit großen Körben auf den Köpfen, schöne Gestalten, auf deren Anbringung im Bilde es dem Künstler wohl vor allem ankam und die in ihrer wundervollen Haltung wie Vorstufen der Figuren am Parthenonfries anmuten. Trotz dieser Ab- weichung vom Dichtertext ist die Einheit des Moments hier vollständig gewahrt. Nicht aber die Einheit des Orts; denn wenn wir auf der Rück- seite (Abb. 134) die übrigen Fürsten der Achäer versammelt finden, zu wenig charakterisiert, als daß wir sie einzeln benennen könnten, so haben wir uns diese gewiß im Zelt des Agamemnon zu denken, das durch eine Säule angedeutet ist. Vergleichen läßt sich die Anbringung der attischen Heroen auf der Rückseite der oben besprochenen Minotaurosvase (Abb. 112) ; aber hier schwebt doch wohl wieder die Stelle der Ilias vor, wo Achilleus den Priamos nach vollendeter Mahlzeit in der Vorhalle zu Bette schickt, damit nicht ein zufällig zu Besuch kommender achäischer Heerführer den König von Ilion bei ihm finde, seine Anwesenheit dem Agamemnon melde, und so die Auslieferung des Hektor verzögert werde. Das kompletive Verfahren, von dem wir ausgingen, ist nun keineswegs auf die archaischen Illustrationen der Dichter beschränkt. Selbst die Kunst der römischen Kaiserzeit wendet es noch an, fast noch in stärkerem Maße, und wir können zum Beleg eine Darstellung desselben Vorgangs wählen, dessen Wiedergabe auf drei griechischen Bildwerken uns soeben beschäftigt hat. Siö findet sich auf der Rückseite des ephesischen Sarkophags, dessen Mittelgruppe uns schon oben, als wir vom Zeichnen handelten, beschäftigt hat (Abb. 4). Jetzt müssen wir die ganze Komposition ins Auge fassen (Abb. 135). Wie bei allen jüngeren Darstellungen dieser Szene ist nicht die Ilias, sondern Aischylos' Drama : »Die Phryger oder Hektors Lösung « die Quelle, in dem dieser, anknüpfend an Achills hyperbolische Drohung in 172 Deuten aus der Literatur der Ilias, er werde den Leichnam nicht herausgeben, und wenn ihn Priamos mit Gold aufwiegen würde, dies wirklich geschehen ließ. Die Gruppe an der rechten Ecke ist zwar sehr zerstört, läßt sich aber mit Sicherheit er- gänzen, denn wenn wir hier den auf einen Speer gestützten linken Unter- arm eines gepanzerten Mannes und den gebeugten Rücken einer in den Mantel gehüllten Figur erkennen, so läßt sich aus dem Zusammenhang leicht erschließen, daß sie Priamos vor Achill vorstellte. Hinter Priamos steht ein Speerträger, der in der römischen Kunst bei Königen niemals fehlt und hier an die Stelle des homerischen Idaios getreten ist. Von der Mittelgruppe war schon früher kurz die Rede. Auf der einen Schale liegt Abb. 135. die Leiche des Hektors, zu der anderen trägt eben ein Phryger einen kost- baren Panzer hin. So weit ist alles ohne Anstoß und wird sich auch bei Aischylos nicht anders abgespielt haben, nur daß bei ihm die Wägung hinter der Szene erfolgt sein muß. Aber dann finden wir neben der Wage in tiefer Trauer Hekabe, die bei Aischylos unmöglich Person gewesen sein kann und von dem Sarkophagarbeiter als kompletive Figur hinzu- gefügt worden ist. Aber noch mehr. An der linken Ecke sitzt, gleichfalls tief betrübt, Andromache mit einer trauernden phrygischen Dienerin an ihrer Seite, und vor ihr erblicken wir den kleinen Astyanax, also weitere kompletive Figuren, die ganze Familie des Hektor sollte angebracht werden. Auch das ließe man sich noch gefallen, obgleich das Sitzen der Andromache an solchem Ort und in solcher Situation unnatürlich und nur dadurch moti- viert ist, daß sie das Pendant zu dem Achilleus an der anderen Ecke bilden Die Phrvger des Aischvlos . 173 soll. Aber der Erfinder dieser Komposition ist aoch weiter gegangen. Asty- anax schmiegt sich nicht, wie wir erwarten würden, ängstlich an seine Mutter an, er wird von dieser trotz seines Sträubens fortgeführt, und zwar von Odysseus. Das ist ein Vorgang, den wir aus Arktinos' Iliupersis und aus Euripides' Troerinnen kennen, der vielleicht auch bei Sophokles vorkam, von Accius und Seneca verwertet wird, und auf einem Terrakottarelief als Szene aus einer römischen Tragödie dargestellt ist: Odysseus führt den Sohn des Hektor zum Tode, also eine andere Version wie die der kleinen Ilias, die wir auf den attischen Vasen gefunden haben. Der Künstler wird sie aus Euripides oder Sophokles gekannt haben und hat sie mit der Aischyleischen Version von Hektors Lösung kombiniert. Aber nicht darin liegt das uns Befremdende, sondern darin, daß dieser Vorgang erst lange Zeit nach Achills Tod bei der Zerstörung der Stadt und nicht im Griechen* lager, sondern in Troja sich abspielt. Zwei zeitlich und örtlich weit aus- einander liegende Ereignisse sind hier eng miteinander verbunden. Denn es ist unmöglich, etwa zwei verschiedene Szenen zu unterscheiden, indem man zwischen Hekabe und Odysseus einen Schnitt macht. Erstens nämlich widerspricht einer solchen Trennung der Augenschein, zweitens die Er- wägung, daß Andromache und Astyanax nur mit Rücksicht auf die Figur des Hektor hier angebracht worden sind und daher von ihr nicht getrennt werden dürfen, drittens das unumstößliche Gesetz, daß bei griechischen Sarkophagen niemals auf derselben Seite mehrere Szenen dargestellt wer- den, während das bei römischen sehr gewöhnlich ist. Wir haben hier also die Tatsache zu konstatieren, daß der Ort ebenso kautschukartig gedehnt ist wie auf den früher behandelten griechischen Bildwerken, und vor allem auf dem Alkestis-Sarkophag (Abb.no), daß aber auch die Einheit der Zeit so wenig gewahrt wird, daß zwei durch Jahre getrennte Ereignisse als ein- ander gleichzeitig vorgeführt werden. In letzterer Beziehung läßt sich hiermit eine kleine Gruppe von Hippolytos- Sarkophagen vergleichen, wenn auch hier der Zeitabstand nicht Jahre, sondern nur Stunden beträgt. Ich setze ein in Spalato gefundenes Exemplar hierher (Abb. 136). Vorauszuschicken ist, daß die poetische Quelle der er- haltene Hippolytos des Euripides, bekanntlich die zweite dramatische Bearbeitung dieses Sagenstoffs durch den Dichter, ist. Links sieht man wie auf der oben in anderem Zusammenhang erwähnten Schmalseite (Abb. 105) die liebeskranke Phaidra, also eine Illustration des ersten Epeisodions. Eine Dienerin redet ihr tröstend zu ; zwei andere sehen einander bedeutungs- 174 Deuten aus der Literatur voll an. Ein an ihre Kniee gelehnter Eros deutet in leicht verständlicher, oft wiederkehrender Symbolik ihren Liebeskummer an.*» Rechts folgt die Amme in der für diesen Stand charakteristischen Tracht, Kopftuch und von der Schulter abgleitendem Untergewand. Sie hat den Hippolytos, der, wie wir aus dem von einem Diener am Zaum geführten Pferd und den beiden Hunden entnehmen, im Begriff ist auf die Jagd zu gehen, eine schriftliche Liebeserklärung der Phaidra überbracht und berührt zutraulich seinen Arm. Hippolytos hält die geöffnete Schreibtafel sinnend in der Hand. Diese Gruppe illustriert das zweite Epeisodion des Dramas oder, genauer gesagt, ms» Abb. 136. den diesem vorangehenden hinter der Szene spielenden Vorgang. Aber in der Form desselben weicht das Bildwerk stark von der Dichtung ab. Bei Euripi- des verrät die kupplerische Amme dem Hippolytos mündlich die verbreche- rische Leidenschaft seiner Stiefmutter ; hier teilt diese selbst ihm ihren Lie- beskummer schriftlich mit. Es ist aber ein methodischer Fehler, aus dieser Abweichung auf eine andere poetische Quelle, etwa den ersten »Hippolytos« des Euripides oder die »Phaidra« des Sophokles, zu schließen oder an eine Anspielung auf die Ovidische Heroide zu denken. Vielmehr ist in der Kunst das Diptychon der typische'Ausdruck für die Liebeserklärung. Im Drama aber, das von dem gesprochenen Wort beherrscht wird, wäre ein schrift- licher Antrag, wenn nicht eine Absurdität, so doch eine Stilwidrigkeit. Und was die* vermutete Abhängigkeit von der Heroide betrifft, so finden wir schon auf einem pompe janischen Bilde dritten Stiles Phaidra dargestellt, wie sie sich den eben diktierten Brief von einer Dienerin noch einmal vorlesen Der Hippolytos des Euripides 175 läßt. Hier ist an einen Einfluß Ovids schon ans chronologischen Gründen nicht zu denken, ganz abgesehen davon, daß das Bild so gut wie sicher die Kopie eines viel älteren Originals ist. Wenn nun auf dem Sarkophag Hippo- lytos, als sich die Amme ihm nähert, gerade zur Jagd aufbrechen will, während er bei Euripides im Anfang des Stücks von ihr zurückkehrt, so ist das die schon so oft von uns beobachtete Verknüpfung zweier Szenen, die zugleich der Charakteristik des Helden dient. Bis hierher ist die Einheit des Moments vollkommen gewahrt. Blicken wir hingegen auf die rechte Ecke, wo als Pendant zu Phaidra Theseus thront, so ändert sich das Bild. Denn Theseus kehrt bei Euripides erst von seiner Reise zurück, als Phaidra sich den Tod gegeben hat. Aber noch ärger ist, daß er hier in dem Moment dargestellt wird, wo er den tödlichen Sturz des Hippolytos und die Erfüllung seines Fluches von dessen Begleiter erfährt, desselben Hippolytos, den wir in der Mitte der Bildfläche zur Jagd aufbrechen sehen. Hier wird man also zuerst wirklich an eine spätere Szene denken. Aber dieser Annahme wider- spricht die symmetrische Anordnung der Figuren der Phaidra und des Theseus; es widerspricht ihr ferner die Tatsache, daß bei dieser beson- deren Klasse römischer Sarkophage Mehrszenigkeit ebenso unerhört ist wie bei den griechischen, und endlich ist der Künstler beflissen gewesen, durch die beiden zwischen den Boten und die Mittelgruppe eingeschobenen Figuren die Einheit der Handlung nochmals stark zu betonen. Denn diese stehen zwar der Situation nach zu der Theseusgruppe in Beziehung, gehören aber ihrer sozialen Stellung nach zu Phaidra und Hippolytos. Hinter dem Boten steht ein Mädchen, das eins von Phaidras Kindern auf dem Arm trägt und dadurch als deren Dienerin bezeichnet ist. Ohne Zweifel ist es dieselbe, die bei Euripides zuerst den Selbstmord der Königin bemerkt und ihn durch laute Rufe aus dem Innern des Hauses dem Chor kundtut. Denn daß dies nicht, wie in einigen Handschriften und Ausgaben angenommen wird, durch die kupplerische Amme geschieht, ergibt sich mit Notwendigkeit daraus, daß diese nach dem Mißlingen ihres Anschlags von Phaidra auf ewig aus ihrer Nähe verbannt wird. Diese Dienerin wendet ihren Kopf nach dem alten Pädagogen des Hippolytos zurück, der bei Euripides im Anfang des Stücks seinen Herrn vor dem Zorn der Aphrodite warnt. Hier haben wir also wieder den die Dichtung weiterführenden Künstler. Wir sollen uns vorstellen, daß dieser Pädagog gegen die Beschuldigungen Einspruch erhebt, die Phaidras Dienerin gegen Hippolytos vorbringt. Eine solche Szene kommt bei Euripides nicht vor, wo Phaidra ihre Anklage schriftlich hinterläßt, 176 Deuten aus der Literatur wäre aber an sich wohl denkbar. Andererseits sollen wir uns aber auch vor- stellen, daß diese Dienerin vorher ihre Anklage vor Theseus vorgebracht und durch den Hinweis auf das eheliche Kind des Theseus, das sie ihm hinhielt, die angebliche Schuld seines Bastardsohnes noch vergrößert hat, und daß dann erst der Augenzeuge von Hippolytos' Sturz aufgetreten ist. Aber zwischen den hier im Bilde vereinigten Vorgängen müßte in Wirk- lichkeit geraume Zeit verflossen sein, in die sehr inhaltvolle Ereignisse fallen, das Gespräch des Theseus mit seinem Sohn, seine Verfluchung, sein Auszug aus Troizen, sein tödlicher Sturz. Wir haben es also mit einer künst- lerischen Antinomie zu tun. Die Komposition zeigt eine einheitliche Szene und zerfällt doch wieder in zwei oder mehrere zeitlich weit auseinander liegende Vorgänge. Formell ist sie einheitlich, ihrem Inhalt nach aber nicht. Diesem Verfahren liegt die Tendenz zugrunde, sämtliche in dem Stück auf- tretende Personen, mit Ausnahme der beiden Göttinnen Aphrodite und Artemis, hier zusammenzustellen, und zwar jede in der für sie charakte- ristischen Situation. Man könnte damit die in den illustrierten Ausgaben vor jedem Stück zusammengestellten Maskengruppen oder die Art ver- gleichen, wie in gewissen alten Dramen alle Personen dem Publikum vor- gestellt werden oder der Inhalt des Stücks pantomimisch angedeutet wird, nur daß bei letzterem Verfahren, da es sich um eine Folge von Szenen han- delt, Widersprüche nicht entstehen. Noch auf ein Detail sei nebenbei hin- gewiesen. Hippolytos und die Amme, die genau die Mitte der Komposition einnehmen, tragen die Porträtzüge des in dem Sarkophag beigesetzten Ehe- paars. So sehr war damals dem Mittelstand das Gefühl für das Ethische im Mythos abhanden gekommen, daß eine Bürgersfrau keinen Anstoß daran nahm, als Kupplerin dargestellt zu werden. Einer ähnlichen programmatischen Darstellung wie auf dem Hippolytos- Sarkophag, jedoch ohne bestimmte Situation oder Handlung, begegnen wir schon auf einem 800 Jahre älteren Bildwerke, einer Pyxis des korinthischen Vasenmalers Chares, der frühesten Illustration zur Ilias oder richtiger zum troischen Sagenkreis, die wir besitzen (Abb. 137). Hier sind die vornehmsten Helden, sowohl von achäischer als trojanischer Seite, durch Beischriften be- zeichnet, zusammengestellt — beritten nach dem schon oben erwähnten Anachronismus ; denn zur Zeit des Chares hatte der homerische Kriegswagen schon längst dem Reitpferd Platz gemacht. Das feindliche Verhältnis bei- der Parteien ist dadurch angedeutet, daß sie einander entgegenreiten; doch haben die Griechen das Übergewicht. Vorne reitet Achilleus, gefolgt von Programmatische Darstellungen 177 seinem Freund Patroklos, dann kommen Protesilaos, Nestor und Palamedes. Hier- auf folgen zu Fuß zwei Knappen; sie haben die Aufgabe, die Pferde ihrer Her- ren zu halten, wenn diese zum Kampf absteigen; denn gekämpft wird nur zu Fuß, wie auch in der Ilias mit Ausnahme des fünften Gesangs. Die Pferde dienen, wie die Streitwagen, nur zur Beförderung der Helden. Der Führer der Trojaner ist selbstverständlich Hektor, hinter dem Memnon und Sarpedon herreiten. Auch hier geht es nicht ohne chronologischen Widerspruch ab; denn als Memnon inTroja eintrifft, ist Sarpedon bereits gefallen, und von den dargestellten Griechen sind Pro- tesilaos und Palamedes schon lange tot. Beachtung verdienen auch die einigen der Pferde beigeschriebenen Namen. Dem Achilleus wird das Urroß Orion oder Arion, das von Poseidon erzeugte, gegeben, dessen die Ilias im 23. Gesang gedenkt; Patroklos reitet das zweite Wagehpferd seines Freun- des, den Balios, Protesilaos den Podargos, wie ein Pferd des Hektor im 8. Gesang heißt, der dort ausnahmsweise ein Vierge- spann hat, Hektor den Xanthos, ein Name, der seinem Leibpferd mit dem des Achil- leus gemeinsam ist. Man sieht jetzt, warum dieser den Orion erhalten hat. Memnon sitzt auf Aithon, der im 8. Gesang zum Gespann des Hektor gehört. Alle diese Namen sind also der Ilias entnommen, aber Chares war in dieser nicht so sicher belesen wie sein Landsmann, dessen Illustration zum 19. Gesang (Abb. 128) uns oben beschäftigt hat; und so konnte es ihm begegnen, daß er den Prote- silaos auf einem trojanischen Pferd reiten läßt. 178 Deuten aus der Literatur Wir haben oben gesehen, wie Aischylos aus einem Iliasvers eine neue Sagen- version entwickelt. Daß auch der Künstler ähnliches vermag und unter- nimmt, haben wir schon aus mehreren kleinen Zügen gelernt, die sich aber fast unwillkürlich aus dem kompletiven Prinzip ergaben. Daß es aber auch mit Bewußtsein geschieht, wollen wir zeigen. Zunächst gehört es hierher, wenn Diomedes mit zu den Gesandten gehört, die den Achilleus versöhnen sollen, was schon oben kurz angedeutet worden ist, hier aber etwas näher ausgeführt werden muß. Diomedes ist nämlich indirekt der Anstifter dieser Gesandtschaft. Als Agamemnon in der Versammlung, mit der der 9. Gesang anhebt, zaghaft an Flucht denkt, ist er es, der energisch widerspricht und erklärt, nötigenfalls mit Sthenelos allein Ilion erobern zu wollen. Das gibt Nestor den Anlaß, Agamemnon die Berufung eines engeren, nur aus den Geronten gebildeten Ausschusses zu empfehlen, indem er dann vorschlägt, bei Achilleus einen Versöhnungsversuch zu machen. Als dieser Versuch miß- glückt ist und alle anderen betroffen schweigen, erklärt Diomedes in der Ver- sammlung, die den Schluß des Gesanges bildet, dem Agamemnon, er hätte den Achilleus gar nicht bitten und durch Geschenke locken lassen sollen ; da- durch habe er ihn nur übermütiger gemacht. Diese Stellung des Diomedes zur Gesandtschaft kann im Bilde nur so ausgedrückt werden, daß er selbst daran teilnimmt, aber seinen Unmut über diesen ihm widerstrebenden Ver- Schaffung neuer Sagenmotive durch die Kunst 179 such nicht verbirgt, was auf der oben besprochenen Vase Abb. 22 vortreff- lich zur Darstellung gebracht ist. Oder ein anderer Fall, der mit dem Verfahren des Aischylos noch größere Ähnlichkeit hat. Im 1. Gesang erklärt Agamemnon, er wolle zwar die Chryseis ihrem Vater zurückschicken, sich aber als Ersatz die Briseis nehmen und sie sich aus dem Zelt des Achilleus persönlich holen, führt aber später diese Drohung nicht wörtlich aus, sondern schickt seine Herolde Eurybates und Talthybios. Aber im Bilde muß es natürlich einen viel größeren Ein- druck machen, wenn er die Briseis persönlich wegführt. Das hat sich denn auch der Vasenmaler Hieron nicht entgehen lassen (Abb. 138). Unter Be- nutzung eines zu seiner Zeit beliebten Typus der Entführung läßt er Aga- memnon, den er, um seine Gewalttätigkeit auch äußerlich zu betonen, ge- panzert zeichnet, die zaghaft folgende Briseis bei der Hand mit sich führen, während der Herold Talthybios hinterher schreitet. Aber zu unserer Über- raschung folgt auf diesen noch Diomedes, mit dem Petasos im Nacken und zwei Lanzen in der Hand, und dieser lenkt, indem er sich umschaut, unsere Aufmerksamkeit auf die Rückseite der Vase (Abb. 139). Hier er- blicken wir den sitzenden Achilleus. Also werden wir zunächst glauben, daß hier das Zelt des Peliden dargestellt sei, aus dem Briseis eben her- ausgeholt worden ist, und zum Teil wird sich uns das bestätigen. Jedoch statt des Patroklos, den wir in diesem Fall bei Achilleus zu finden erwarten ]30 Deuten aus der Literatur würden, ist er von Odysseus, Aias und Phoinix umgeben. Das sind aber die drei Helden, aus denen in der Ilias die viel später erfolgende Gesandt- schaft besteht, und den auf den Bildwerken ihnen angereihten Diomedes haben wir soeben auf der Vorderseite gefunden. Will nun Hieron damit andeuten, daß die erstgenannten drei bei der Wegführung der Briseis die Partei des Achilleus ergreifen, daß sie die Gewalttat des Agamemnon ver- urteilen und den Gekränkten trösten wollen, während der sich dem Pe- liden gleichwertig dünkende Diomedes auf Seiten Agamemnons steht und ihn bei seinem Raub begünstigt? Keineswegs. Sondern die Sache liegt folgendermaßen. Hieron hat die Gesandtschaft an Achilleus darstellen wollen und sich dazu des oben von uns erläuterten Typus bedient. Er ändert diesen nur insofern, als er alle Mitglieder der Gesandtschaft, auch Odysseus, stehend zeichnet. Nun bot ihm der Entführungstypus nur drei, der Gesandt- schaftstypus fünf Figuren. Diese Differenz ließ sich aber leicht beseitigen, wenn er eine Figur aus dem letzteren auf die Vorderseite versetzte, und dazu bot sich ihm ganz von selbst der hochmütige Diomedes, den er nun aus dem Zelt des Achilleus sich trotzig entfernen läßt. Es würde also ein Fehler sein, wenn man zwischen ihm und Talthybios einen Einschnitt machen und Diomedes ausschließlich zu der Szene auf der Rückseite in Beziehung setzen wollte. Vielmehr gehört er gleichmäßig zu beiden Szenen. Denn machen wir uns nur einmal klar, welcher Gedanke der Verbindung dieser Szenen zugrunde liegt. Dem Gewaltakt des Agamemnon wird sein vergeblicher Versuch, ihn zu sühnen, gegenübergestellt, was man auch so ausdrücken kann: die Szene auf der einen Seite, die Gesandtschaft, wird durch die Szene auf der anderen, die Entführung der Briseis, motiviert. Denn welche der beiden Szenen für Hieron die wichtigere war und die Grund- lage für die Anknüpfung der anderen bildete, können wir natürlich nicht wissen, und die Bezeichnungen als Vorder- und Rückseite sind hier, wie in vielen anderen Fällen, ziemlich willkürlich. Indem der Maler nun den Dio- medes zur Entführungsszene zieht, ihn aber durch sein Rückwärtsblicken, wodurch er zugleich das genaue Gegenstück zu Agamemnon wird, seine Herkunft aus der Gesandtschaftsszene deutlich verraten läßt, gewinnen wir den Eindruck, daß beide Vorgänge sich zu derselben Zeit abspielen müssen. So sind sie gleichzeitig und sind es doch auch wieder nicht; aber- mals haben wir hier eine bildliche Antinomie. Selbstverständlich ist auch jene extreme Form des kompletiven Verfahrens, die die verschiedenen Stadien desselben Vorgangs zu einer einzigen zu- Zusammen2:ezo2'ene Hancllunc 181 sammenzieht, den auf poetischer Quelle aufgebauten Bildwerken ebenso geläufig wie jenen, die den Rohstoff des Mythos wiedergeben. Der Perseus- metope von Selinunt, die uns oben als Beispiel hierfür gedient hat, tritt in dieser Beziehung als würdiges Gegenstück zur Seite die älteste Odysseus- illustration, die wir besitzen, die Vase des Aristonothos (Abb. 140). Hier ist die Blendung des. Polyphem im engen Anschluß an den Wortlaut der Odyssee dargestellt. Wie dort sind es außer Odysseus vier von seinen Ge- fährten, die den angeglühten Pfahl dem Kyklopen in sein einziges Auge stoßen. Odysseus faßt wie dort das hintere Ende des Pfahls. Nur wenn p*o*\oTM4 *fAWW\ « ,7* ►"« r« Ü Abb. 140. dort gesagt wird, daß er, sich auf dies Ende aufstützend, den Pfahl wie einen Bohrer im Auge des Polyphem herumgedreht habe, so ist das von Aristo- nothos so mißverstanden, als habe er sich mit dem Fuß irgendwo einen Stütz- punkt gesucht. Und da die Malerei bis zum fünften Jahrhundert imstande ist, sich auch die dekorative Umrahmung der Bildfläche, wo es erwünscht ist, als etwas Körperliches vorzustellen, stemmt Odysseus mit aller Macht das eine Bein gegen den seitlichen Rahmen. Hätte nun der Maler sich da- mit begnügt, nur den Akt der Blendung darzustellen, so hätte er den Ky- klopen liegend zeichnen müssen, wie er seinen Rausch ausschläft; und so verfährt denn auch die spätere Kunst. Aristonothos aber wollte auch den Moment hineinziehen, wo Polyphem vor den entsetzlichen Schmerzen er- wachend den Pfahl aus seinem Auge herausreißt, während Odysseus und seine Gefährten sich furchtsam zurückziehen. So richtet sich denn bei ihm der Kyklop fast senkrecht auf, indem er sich mit dem linken Arm auf den Boden stützt, und faßt mit der .Rechten den Pfahl schon an, als er ihm eben ins 182 Deuten aus der Literatur Auge gestoßen wird. Wie gut Aristonothos seine Odyssee im Kopf hatte, beweist er durch Anbringung einer der dort erwähnten Käsedarren, deren ge- flochtenen Boden er, der' Perspektive noch unkundig, in der Manier der geometrischen Kunst nach oben aufgeklappt zeichnet, weil er sonst als Stäbchen erscheinen und nicht verstanden werden würde. Noch weiter als Aristonothos geht in dem Zusammenfassen mehrerer Stadien der Handlung der Maler einer Trink- schale (Abb. 141), die zu einer, wie wir seit kurzem wissen, in Sparta fabri- zierten Vasengattung gehört. Früher hielt man sie für kyrenäisch, weil auf ihrem berühmtesten Vertreter König Arkesilas dargestellt ist. Hier sitzt der Kyklop völlig aufrecht da und hält in den Händen die Unterschenkel eines eben verzehrten Opfers. Odys- seus reicht ihm den gefüllten Becher, den zu ergreifen das Ungetüm keine Hand frei hat, zielt aber gleichzeitig mit der Spitze des Pfahls, den er und drei Gefährten auf den Schultern tragen, nach dem Auge Polyphems. Auf die zur Raumfüllung angebrachte Schlange kommen wir in dem Abschnitt über Fehlerquellen zurück. Indessen von so drastischen Experimenten kommt man alsbald zurück und versucht die möglichst erschöpfende Darstellung auf anderem Wege zu erreichen, wobei es freilich auch nicht immer gelingt, die Einheit des Moments streng festzuhalten. Besonders lehrreich ist hierfür die Troilos- darstellung auf der Francoisvase, deren Hauptfigur Abb. 95 wir schon oben bei Besprechung des Gesichtsausdrucks kennen gelernt haben. Jetzt müssen wir uns mit der ganzen Szene beschäftigen (Abb. 142). Wir gehen von dem Kern des Typus, der Mitte, aus. In Todesangst galoppiert Troilos dahin, ein zweites Pferd zur Seite. Er hat die Tiere am Stadtbrunnen tränken wollen und ist dabei von Achilleus überrascht worden. Seine Schwester Polyxena, die ihn begleitet hat, um Wasser zu schöpfen, flieht vor ihm her; die Hydria, die sie in der Eile hat fallen lassen, erblickt man unter den Pferden ihres Bruders. In langem Satze springt Achilleus hinter ihm Abb. 141. Verbindung verschiedener Momente 183 her. Erhalten ist nur sein linkes Bein und die Hälfte seiner Lanze. Dies würde genügen, auch ohne die Vergleichung anderer Bildwerke, um die Figur in der Phantasie zu ergänzen. Auch die Namensbeischrift ist ver- loren; aber, auch für die Benennung können wir der Hilfe anderer Bilder entraten, da es durch literarische Zeugnisse hinlänglich feststeht, daß Achil- leus es war, der den Troilos erschlug. Jener hat sich ganz allein aus dem Lager in die nächste Nähe der Stadt gewagt. Aber der Schutz der Götter ist mit ihm. Hinter ihm steht, ohne alle Attribute, nur durch die Beischrift kenntlich gemacht, Athene, die mit ausgestrecktem Arm nach Troilos hin- wies. Dann folgt Hermes, der Begleiter der Helden bei listigen Abenteuern, wie es hier der Hinterhalt am Brunnen ist. Er wendet sich mit bedeutsam erhobenem Zeigefinger zu der Mutter des Achilleus, Thetis. um. Hiermit ist der eigentliche Vorgang erschöpft. Aber der Maler wollte auch den Aus- gangspunkt und das Ziel von Troilos' Flucht zur Anschauung bringen, zumal ihm die ausgedehnte Bildfläche dies nicht nur ermöglichte, sondern auch erwünscht erscheinen ließ; zugleich wollte er auf den Kampf hinweisen, den nach der Ermordung des Knaben Achilleus mit dessen tapferen Brüdern ganz allein zu bestehen hat, die erste Feldschlacht im Trojanischen Krieg, der nur das Landungsgefecht, in dem Protesilaos fiel, vorausgegangen ist. So zeichnet er denn rechts die Stadtmauer von Troja, vor der, wie in Frie- denszeiten, König Priamos auf einem Steinsitz arglos Platz genommen hatte. Aber jetzt sucht er sich mit angstverzerrtem Gesicht zu erheben, indem er sich mit der gespreizten Linken auf seinen Steinsitz stützt. Denn der her- anlaufende Antenor, dessen Kopf man sich nach rückwärts gewandt er- gänzen muß, bringt ihm Nachricht von der Todesgefahr, in der seine beiden Kinder schweben. Auch in die Stadt ist diese Kunde schon gekommen. Denn aus dem halbgeöffneten Stadttor eilen des Troilos' Brüder, Hektor und Polites, zur Hilfe heraus. Legt man einen streng chronologischen Maßstab an, so ist es schon unwahrscheinlich, daß Antenor so bald die Gefahr bemerkt und berichtet haben soll; daß aber auch die beiden Priamiden davon gehört und Zeit gehabt haben sollen sich zu rüsten, das ist unmöglich. Indessen, das Recht zu solcher chronologischer Elastizität wird man dem Künstler gerne einräumen. Stärker ist die Disharmonie mit der Szene am Brunnen, von wo die Flucht des Troilos und der Polyxena ausgeht. Zwar Apollons, des Schutzgottes der Trojaner, Anwesenheit und, daß er seine Teilnahme am Schicksal des Troilos durch Heben des linken Arms bezeugt, ist ganz in der Ordnung, aber nicht, daß in diesem aufregenden Augenblick ein trojanischer 184 Deuten aus der Literatur Knabe und ein trojanisches Mädchen beschäftigt sind, Wasser aus dem Brunnenhaus zu holen. Der Knabe, den die Inschrift als Troon — eine Kurz- form gerade wie der Name des Troilos selbst — bezeichnet, beugt sich, während er seine Hydria unter den einen Löwenkopf stellen will, weit vor, um nicht ins Wasser treten zu müssen. Die unter dem zweiten Löwenkopf stehende Hydria gehört dem Mädchen; es steht auf dem Trittstein und ist daher nicht in Gefahr, sich die Füße naß zu machen. Die Beischrift bezeichnet es als Rhodia. Daß es keine Nymphe oder Lokalgöttin sein kann, weiß der Leser aus dem früher, im zweiten Abschnitt, über diese Art von Wesen Erörterten und entnimmt es außerdem aus der Beschäftigung des Mädchens. Rhodia wendet sich nach dem fliehenden Troilos um und erhebt ent- setzt beide Arme. Wie soll man sich nun die Anwesenheit dieser beiden Figuren erklären? Waren sie schon am Brunnen, als Achilleus aus seinem Hinterhalt hervorsprang und Troilos und Polyxena entflohen? Dann wür- den sie doch auch die Flucht ergriffen haben. Oder sind sie erst später an den Brunnen gekommen? Das läßt sich noch weniger ausdenken, denn alsdann müßten sie auf ihrem Weg von der Stadt an Polyxena, Troilos und Achilleus vorübergekommen sein. Insofern beruhte der Versuch, Rhodia als Göttin aufzufassen, auf einem richtigen Gefühl, nur daß diese Benennung durch die eben angeführten Gründe ausgeschlossen ist. In Wahrheit liegt die Sache so : zu einem Brunnenhaus gehören nun einmal wasser schöpf ende Figuren. Und so läßt Klitias den Troon ruhig Wasser schöpfen, während Rhodia die Gefahr des Troilos bemerkt und so von der Eckgruppe zur Mittel- gruppe überleitet. Aber eine Disharmonie liegt hier unzweifelhaft vor. Jedoch wolle man dabei nicht vergessen, daß die griechische Kunst erst ganz allmählich und offenbar unter dem Einfluß des Dramas dazu gelangt, eine Verletzung; der zeitlichen Einheit 185 vollkommen einheitliche Handlung, in der alle Personen zu dem Haupt- vorgang in Beziehung gesetzt werden, zu gestalten, und daß selbst dann noch kleine Disharmonien bleiben, wie wir an der Medeiavase Abb. 130 gesehen haben. Es kann aber auch Fälle geben, wo die zeitliche Einheit von einem höheren Gesichtspunkt aus absichtlich verletzt wird. Handelt es sich um eine Bildfläche von ungewöhnlicher Länge, die sich nicht mit einem Blick überschauen, sondern nur im Vorüberwandeln betrachten läßt, so daß das Auge die einzelnen Figuren und Szenen nicht zugleich, sondern nacheinander in sich aufnimmt, so kann es sich empfehlen, dies Nacheinander auch in der Komposition selbst zum Ausdruck zu bringen, so daß weder eine einzige in demselben Augenblick sich abspielende Szene noch eine kyklische Szenen- folge, wie auf der phönikischen Silberschale Abb. 84, sondern eine allmäh- lich und unmerklich fortschreitende Handlung vorgeführt wird. So ver- fuhren Polygnot und seine Schule. Die Marathonschlacht des Mikon und Panainos entwickelte sich so, daß rechts die Athener und Plataier bei der ersten Attacke dargestellt waren, in der Mitte das Kampfgetümmel seine Höhe erreicht hatte, links die Perser zu ihren Schiffen flohen. Auf der Iliupersis des Polygnot war in der Mitte Neoptolemos noch mit Morden beschäftigt, während rechts sein eigenes Zelt und das des Menelaos bereits abgebrochen, ein Schiff beladen wurde, die gefangenen Trojanerinnen ihres Loses harrten und Helena Toilette machte. Dasselbe Prinzip liegt dem Par- thenonfriese zugrunde. Wir sehen zuerst die Reiter sich formieren, befinden uns also noch im Kerameikos, schreiten dann an dem bereits geordneten Teil des Reiterzugs, den Wagen, den schönen Greisen, den Musikern, den Metoeken mit den Hydrien, den Opfertieren vorüber, erblicken, zur Fassade Jgß Deuten aus der Literatur umbiegend, die Mädchen mit den Opfergerätschaften und befinden uns plötzlich auf der Akropolis, wo sich die Spitze des Zuges bereits aufgelöst hat und der Peplos schon übergeben ist. Eine neue Periode beginnt, als nicht mehr der durch die Dichtung ausgeprägte Mythos, sondern das Dichtwerk selbst illustriert werden soll. Aber dennoch ist der Unterschied nicht so groß wie man glauben sollte. Denn nicht nur daß jene ältere Methode, nicht sowohl das Textwort als den Inhalt zu illu- strieren, in voller Geltung bleibt, auch bei der Buchillustration wahrt sich der Künstler eine gewisse Freiheit-; Das durch Tradition geheiligte kom- pletive Verfahren wird beibehalten ; bietet es doch so viele Vorteile, nament- lich für die Illustration des Dramas, daß man von selbst darauf hätte ver- fallen müssen, wenn man es nicht überkommen hätte. Auch scheut man sich keineswegs, aus mehreren aufeinander folgenden Szenen, wenn sie eng miteinander zusammenhängen, eine einzige zu machen und vom Wortlaut des Textes mehr oder weniger abzuweichen. Wir können uns von dieser im dritten Jahrhundert einsetzenden Textillustration, die übrigens auch auf die große Kunst nicht ohne Einfluß geblieben ist, aus ihren Nachklängen auf den homerischen Bechern, die ihren Namen daher haben, weil sie meist Szenen aus Ilias und Odyssee oder Dramen aus dem trojanischen Sagen- kreis illustrieren, auf den ilischen Tafeln und den Sarkophagen und aus den mit dem Altertum durch viele Mittelglieder zusammenhängenden mittelalterlichen Bilderhandschriften der Ilias, der Aeneis und des Terenz annähernd eine Vorstellung machen. Beginnen wir mit einem homerischen Becher, auf dem uns drei Szenen aus den Phoinissen des Euripides vorgeführt werden (Abb. 143). Die eine und größte davon zerfällt wieder in zwei Teile, die im Bilde dicht nebeneinander gerückt, in Wahrheit auf zwei verschie- denen Schauplätzen spielen, aber durchaus gleichzeitig sind. Links haben wir uns das Schlachtfeld zu denken, auf dem der Zweikampf zwischen Eteo- kles und Polyneikes soeben beginnt. Zur Darstellung ist ohne Rücksicht auf die Schilderung des Botenberichts ein charakterloser, hundertmal vor- kommender Kampftypus gewählt, der nur durch die Anwesenheit der per- sonifizierten Stadt Theben — selbstverständlich eine freie Zutat des Künst- lers — ein besonderes Gepräge erhält. Rechts befinden wir uns vor dem thebanischen Königspalast. Iokaste winkt eben Antigone heraus, die sie aufs Schlachtfeld begleiten soll, um womöglich den Zweikampf der Brüder noch zu verhindern. Das entspricht genau dem Text des Dramas. Vor Iokaste sehen wir, durch die Beischrift bezeichnet, den Boten, der den Bericht vom Buchillustration 187 188 Deuten aus der Literatur Schlachtfeld gebracht hat, die Königin antreiben, ihm dorthin zu folgen. Auch dies entspricht genau dem Text ; und wenn er als Krieger charakterisiert ist, so hat das gewiß auch Euripides so gemeint und haben die antiken Regis- seure es so gehalten. Nur die eine kleine Abweichung liegt vor, daß im Stück dieser Bote schon abgegangen, also auf das Schlachtfeld vorausgeeilt ist, als lokaste ihre Tochter herausruft. Es sind also im Bilde zwei unmittelbar aufeinander folgende Szenen zu einer einzigen zusammengezogen, und die Möglichkeit, daß dies in einer illustrierten Buchausgabe ebenso gewesen sei, 6.KCCH15 .VH112HLLX CuHiX CLlllftiO SytAIS M.£k£fklX MULifk .V?OLeSCtHffj 11 >££.UU> *-v/..(? «w*t ti*rT4f*iiio (o<>.«r .«nttitliJ Abb. 144. wird sich nicht bestreiten lassen. Von den beiden kleinen Nebenbildern illu- striert das eine die Szene zwischen Kreon und Teiresias, das andere die zwi- schen Kreon und Antigone. Hier ist jedesmal eine Figur ausgelassen, dort Me- noikeus, was um so verwunderlicher ist, als sich um sein Schicksal das ganze Gespräch dreht , während die Tochter des Teiresias , Manto, die in dem Stück stumme Person war und mithin von einem Statisten gespielt wurde, gewissenhaft angebracht ist, hier Oidipus, von den Leichen der lokaste und der beiden Brüder, die in dieser Szene auf der Bühne lagen, ganz zu schwei- gen. In diesen beiden Fällen ist es aber so gut wie sicher, daß diese Aus- lassungen dem Verfertiger des Bechers zur Last fallen und in dem Raum- Euripides- und Terenz-Illustrationen 189 mangel ihren Grund haben. In illustrierten Ausgaben können in diesen Szenen Menoikeus und Oidipus unmöglich gefehlt haben, obgleich wir ähnliche Aus- lassungen gleich in den Terenzhandschriften finden werden. Aber zunächst wollen wir aus diesen ein Beispiel für Szenenzusammenlegung betrachten. Wir wählen dazu die vierte Szene aus dem zweiten Akt des Heauton timorumenos, die im Parisinus so dargestellt ist, wie unserer Abb. 144 zeigt. Clinia umarmt seine geliebte Antiphila, während die erfahrene Hetäre Bacchis gönnerhaft zusieht. Hierbei ist in der Komödie außerdem nur noch ^ X tntutiln keeincommoAitm eurra(<(e-TC*f- Abb. 145. der Sklave Syrus zugegen, in der Illustration aber ist auch Clitipho dabei, der, neidisch auf das Glück seines Freundes, auf Bacchis hinweist, die er auch gerne begrüßen möchte. Aber Syrus tritt mit großen Schritten heran und streckt die rechte Hand aus, um seinen jungen Herrn wegzuziehen, so daß dieser den Kopf nach ihm umwendet. Das ist der Schluß der vorher- gehenden dritten Szene, wo Clitipho, als er der Bacchis entgegeneilen will, von Syrus zurückgehalten und ins Haus vorausgeschickt wird, worauf er mit den auf den zurückbleibenden Clinia bezüglichen Worten: »O der glückliche Mann« abgeht. Dagegen ist das große Gefolge der Bacchis so- wenig dargestellt wie die Leichen der lokaste und ihrer Söhne auf dem Phoi- nissenbecher. Die andere Art, zwei Szenen miteinander zu verbinden, ist 190 Deuten aus der Literatur die uns von den Sarkophagen her geläufige, daß dieselbe Person zweimal dargestellt ist. Das ist der Fall bei der vierten Szene aus dem dritten Akt der Hecyra, die wir gleichfalls nach dem Parisinus geben (Abb. 145). Links unterhalten sich die beiden Sklaven, Parmeno und Sosia, über die Mühsale der Seefahrt, die dieser hinter sich hat; rechts wird Parmeno zu seinem höch- sten Ärger von Pamphilus auf die Akropolis gesandt, um dort einen fingierten Gastfreund und Fahrtgenossen seines Herrn zu erwarten. »Lauf, « sagt Pamphilus eben zu ihm. »Ich kann nicht, so müde bin ich, « antwortet der Abb. 146. Sklave. Die einzige Abweichung vom Terenztext ist hier, daß Pamphilus nicht auch bei dem Gespräch der beiden Sklaven zugegen ist, das er in dem Stück von .der Haustür aus belauscht. Aber so wirksam das auf der Bühne war, im Bilde würde die Anwesenheit des Pamphilus nur stören. Sosia geht aber auch im Stück schon ab, ehe Parmeno seinen Herrn erblickt und anredet. Endlich ein Beispiel für kompletive Figuren aus der Andria, wieder nach dem Parisinus. Dargestellt ist die erste Szene des dritten Akts (Abb. 146). Die Sklavin Mysis führt die Hebamme Lesbia zu der vor der Entbindung stehenden Heldin des Stücks, Glycerium. Der alte Simo und der verschla- gene Davos belauschen ihr Gespräch. Mysis rühmt der Hebamme die Treue des Pamphilus, der versprochen habe, das Kind aufziehen zu lassen. Als Terenz-Illustrationen 191 \ Simo das von seinem Sohn hören muß, fährt er zurück, und Davos wünscht ihm, daß er taub oder Mysis stumm sei. So weit entspricht die Illustration genau dem Terentianischen Szenenbild ; aber links erblicken wir — wie die markierte Tür und der in der Mitte zusammengenommene Vorhang andeuten, im Innern des Hauses — noch zwei Frauen: die kreißende Glycerium, die von der Magd Archylis gestützt wird. Beide treten im Stück nicht auf. Man hört nur während der hier illustrierten Szene Glycerium aus dem Innern des Hauses heraus im Momente der Entbindung die Juno Lucina anrufen, und Archylis wird im Anfang der Szene von der zurückkehrenden Hebamme, die ihr ins Haus sprechend Verhaltungsmaßregeln gibt, angeredet, ist aber dabei so wenig sichtbar wie im ersten Akt, wo Mysis, gleichfalls ins Haus hinein, mit ihr spricht. Der Illustrator hat diese Gruppe hinzugefügt, um die Verständlichkeit zu erhöhen, und man wird ihn deshalb loben ; natür- lich mußten auch diese Figuren mit maskenhaften Gesichtern gezeichnet werden, aber es war ja so einfach, sie in den Masken zu zeichnen, die sie getragen haben würden, wenn sie aufgetreten wären. Noch viel größere Freiheit hat man in der Komplettierung, wenn die Illustration vom Text losgelöst selbständig auftritt. Das ist z.B. bei den Sarkophagen der Fall, auf denen Szenen aus griechischen Tragödien in kyklischer Folge angebracht sind. Abb. 147 zeigt die linke Eckszene eines Sarko- phags mit Darstellungen aus den Phoi- nissen. Es ist die große Streitszene zwi- schen Eteokles und Polyneikes in Gegen- •M7 wart ihrer Mutter. Daß Eteokles von einem Trabanten begleitet ist, entspricht seiner Würde als König und war gewiß auf der Bühne ebenso. Daß beide Brüder bewaffnet sind, ist durch den Krieg bedingt. Aber daß Polyneikes in der Rechten das gezückte Schwert trägt, ist aus einer früheren Szene in die illustrierte hineingetragen, aus sei- nem ersten Auftreten, wo er mit entblößter Waffe überall umherspäht, überall Gefahr wittert: »Hier war' ich. Durch die Tore haben mich Die Wächter ohne Schwierigkeit gelassen. Dies könnte mir verdächtig sein. — Nun sie 192 Deuten aus der Literatur In ihrem Netz mich einmal haben, dürfte Wohl ohne Blut kein Rückweg für mich sein. Ob nicht ein Fallstrick irgendwo hier laure, Muß ich die Augen allerorten haben. — Doch dieses Schwert sei meine Sicherheit ! — Horch! Wer ist da? — Wahrhaftig! Ein Geräusch Setzt mich in Furcht ! Auch dem Beherztesten Dünkt alles grauenvoll, wenn er den Fuß In Feindes Land gesetzt.« (Schiller.) Aber schon am Schluß dieses Monologs, beim Anblick der schützenden Altäre, steckt er das Schwert wieder ein: »Doch in der Nähe hier ist Schutz. Altäre Der Götter stehen da . . . Gut. Ich will Das Schwert der finstern Scheide wiedergeben. « (Schiller.) Ferner ist es eine künstlerisch durchaus berechtigte Steigerung, wenn lokaste sich den Söhnen zu Füßen wirft und ihre Brust, die beide genährt hat, ent- blößt, während sie bei Euripides nur die Erinyen des Oidipus anruft. Wenn dasselbe Motiv sich auch bei Seneca findet und wenn bei ihm auch Polyneikes noch in dieser Szene das Schwert gezückt hat, so möchte man annehmen, daß der römische Dichter hier dasselbe Gemälde im Sinn hat, auf das die Sarkophagdarstellung zurückgeht. Während bei Euripides nur diese vier Personen auf der Bühne sind, hat der Künstler auf eigene Hand die Figuren des Oidipus und der Antigone hinzugesetzt und die Vor- liebe, die die Schwester in dem Stück für ihren vertriebenen Bruder kund- gibt, dadurch zum Ausdruck gebracht, daß er sie mit der Hand seine Schulter berühren läßt. Beides widerspricht direkt dem Wortlaut der Szene, an deren Schluß Polyneikes den Eteokles vergeblich anfleht, ihm den Anblick seines eingekerkerten Vaters und der Schwestern zu gewähren: »POL. Ich gehe. Meinen Vater nur vergönne Mir noch zu sehen. ET. Nichts. POL. Die Schwestern doch? Die zarten Schwestern! ET. Nie und nimmermehr!« (Schiller.) Der Künstler aber will uns die ganze Familie der feindlichen Brüder vor- führen, wie wir ähnliches in derselben Zeit auf dem Sarkophag aus Ephesos (Abb. 135), in archaischer Zeit auf dem Teller mit Achills Wappnung (Abb. 113) beobachtet haben. Die Phoinissen und die taurische Iphigeneia des Euripides 193 Nicht unter den Begriff des Kompletiven fällt es, wenn Personen, die für die Situation von Bedeutung sind, die aber aus bühnentechnischen Grün- den in dem Stück entweder überhaupt oder in der illustrierten Szene von Statisten gegeben werden, im Bilde gleichfalls dargestellt sind, während, wie wir sahen, nebensächliche Komparserie, wie das Gefolge der Bacchis im Heauton timorumenos wegbleibt. Indem diese stummen Personen im Bilde den redenden gleichwertig erscheinen, kann der Fall eintreten, daß die Szene noch mehr psychologisch vertieft wird, als es dem Dichter ver- gönnt war. In der taurischen Iphigenie des Euripides treten in der Szene zwischen Thoas und der Titelheldin Orestes und Pylades als stumme Per- sonen, überdies mit verhülltem Kopf, auf, weil der Schauspieler, der bisher den Pylades gespielt hat, die Rolle des Königs übernehmen muß. Thoas kümmert sich nicht um sie, wird im Spiel kaum einen Blick auf sie geworfen haben, weil ihm Iphigenie durch ihre geschickte Rede jeden Argwohn benommen hat. Wie sollte er ihren Plan durchschauen, wenn sie ihn ihres Hasses gegen alle Hellenen, von denen sie auch ihren angeblich noch lebenden Vater und ihren Bruder Orestes nicht ausnimmt und den sie mit ihrer Opferung in Aulis motiviert, in starken Ausdrücken versichert, wenn sie ihn bittet, die Gefangenen fesseln und durch eine Wache begleiten zu lassen?. Nun betrachten wir die Illustra- tion dieser Szene auf einem rö- mischen Sarkophag (Abb. 148). Iphigenie steht da mit dem Götteridol, das sie, angeblich um es zu entsühnen, tatsächlich um es zu rauben, zum Meere tragen will. Rechts sitzt Thoas mit seinen Speerträgern, links stehen die gefesselten Gefangenen von zwei Skythen bewacht. Schon aus der Komposition ergibt sich mit Notwendigkeit, daß sie ihre Blicke auf Thoas richten und er sie betrach- ten muß, während sie im Stücke nur die kurzen Augenblicke sichtbar sind, als sie aus dem Tempel heraus über die Bühne geführt werden und dem Thoas von Iphigenia geboten wird, in diesem Moment das Antlitz mit dem Gewand zu verhüllen, damit nicht die Befleckung der Muttermörder auf ihn sich übertrage. Wie viel stärker nun in dem dieser Darstellung zugrunde 13 ttnmjf .',/.i.i> Ci'it.: Abb. 148. 194 Deuten aus der Literatur liegenden Bilde die Stimmung dieser Personen zum Ausdruck kam, zeigt ein pompe janisches Wandgemälde (Abb. 149). Hier tritt Iphigeneia mit dem Bilde eben aus dem Podientempel heraus, während wir Thoas und die beiden Gefangenen zu beiden Seiten der Treppe ebenso gruppiert finden wie auf dem Sarkophag. Dadurch wird die Abweichung von dem Text der poetischen Vorlage, wo ein langes Gespräch zwischen dem König und der Priesterin dem Auftreten des Orestes und Pylades vorausgeht, noch stärker fühlbar. Die Aufmerksamkeit des Thoas muß sich nun nicht sowohl auf Iphigeneia als auf die Gefangenen konzentrieren. Und in der Tat sehen wir ihn sie, die er zum erstenmal vor sich sieht, mit mißtrauischen Blicken betrachten. Orestes blickt resigniert zu Boden; wenn der König Verdacht schöpft, ist alles verloren. Pylades aber, der Vielgewandte, in dem hier wirklich schon mehr von dem Goe- theschen Odysseusverehrer steckt als bei Euripides, läßt seine Augen be- obachtend nach allen Seiten umher- wandern. Hinter Thoas sehen wir seinen Leibwächter, einen schönen Skythenknaben, hinter Orestes und Pylades die von Iphigeneia erbetene Wache, den Mund mit dem Gewand verhüllt, damit kein profaner Laut die heilige Handlung der Reinigung störe. Auf den Stufen des Altars liegt die brennende Fackel, mit der Thoas während der Abwesenheit der Iphigenie den entweihten Tempel reinigen soll, daneben steht der Krug mit dem Weihwasser. Alles dies genau nach dem Wortlaut des Textes. Es ist nun interessant festzustellen, daß diese psychologisch so fein durchgeführte Gruppe der beiden Freunde nicht für diese Situation, so vorzüglich sie für sie paßt, erfunden, sondern einem Gemälde des Timomachos entnommen ist, das eine andere frühere Szene des Euripideischen Dramas illustriert. Auf der pompe janischen Nachbildung dieses Tafelbildes (Abb. 150) ist von der Gruppe der Freunde gerade so viel erhalten, um feststellen zu können, daß sie mit der auf dem eben be- sprochenen Bilde vollkommen identisch war. Auch hier tritt Iphigeneia eben aus dem Tempel heraus, aber ohne das Götterbild. Eine neben ihr Abb. 149. Die Iphigeneia des Tiinornachos 195 stehende Tempeldienerin hält das Schwert, mit dem die Todesweihe durch Abschneiden der Stirnlocke vollzogen werden soll, und das Geläß mit dem Weihwasser. Andere Mädchen, unter denen wir uns die gefangenen Grie- chinnen, die bei Euripides den Chor bilden, vor- zustellen haben, füllen die Vorhalle. Es ist die erste Begegnung Iphigeneias mit ihrem Bruder, lange vor der Erkennung. Durch einen Traum, der ihr, wie sie wähnt, den Tod des Orestes ver- kündet hat, in höchste Erregung versetzt, ist sie entschlossen, gegen ihre Landsleute, die sie einst selbst opfern wollten, mitleidslos ihres Amts zu walten, aber beim Anblick des Orestes regt sich das schwesterliche Blut. Diesen Konflikt, der nach antiken Zeugnissen auf dem Original mit höchster Meisterschaft zum Ausdruck gebracht war, hat der pompejanische Kopist nicht wieder- zugeben vermocht. Nur die Regung des Mit- leids ist dadurch ausgedrückt, daß Iphigenie ihre Schritte hemmt, verlegen an ihren Mantel- saum faßt und sinnend auf Orestes blickt, als ob aus grauer Vergangen- heit ein Erinnerungsbild vor ihr auf- tauche. Kompletive Figuren hat Ti- momachos nicht hinzugefügt. Thoas ~bb wäre bei dieser Szene nicht nur über- flüssig, sondern im höchsten Grade störend gewesen. Seine Anwesenheit hätte die Erkennung der Geschwister unmöglich oder für diese selbst ver- hängnisvoll gemacht. In den Terenzhandschriften sind, wie wir gesehen haben, die Personen mit Masken gezeichnet, und vor jedem Stück sind die vorkommenden über- sichtlich in Scrinien zusammengestellt. Solche Maskengruppen, und zwar bestimmter Stücke, jedoch in einer auf die Hauptpersonen beschränkten Auswahl, finden sich auch auf pompe janischen Sockelbildern, jedoch nicht in Scrinien, sondern so gruppiert, daß sich ihr gegenseitiges Ver- hältnis daraus entnehmen läßt. So sehen wir in einer Gruppe von Masken der neueren Komödie (Abb. 151) links das Liebespaar und den ihm wohl- wollenden Sklaven. Ein Saiteninstrument deutet an, daß die Liebhaberin 196 Deuten aus der Literatur Abb. 151. eine Zitherspielerin war, die Weinflasche darunter auf ein in dem Stück stattfindendes Gelage. Rechts finden wir die Gegenspieler, das grämliche Elternpaar des Liebhabers. Die Maske in der Mitte hieß der Lykomedeios, vielleicht nach dem Schauspieler, der sie erfunden hat. Er scheint in dem Stücke den Vermittler gespielt und könnte z. B. in der Liebhaberin seine verlorene Tochter wiedergefunden haben. Ebenso finden wir aber in Pompeji auch tragische Maskengruppen, z. B. in demselben Hause die Abb. 152. Maskengruppen 197 der Euripideischen »Andromeda « (Abb. 152); rechts auf dem Felsen die Maske der Titelheldin, am Fuß des Felsens ihre Eltern, Kepheus und Kas- siopeia; gegenüber Perseus mit der unsichtbar machenden Kappe, die als Flügelhut mit einem Greifenkopf als Spitze gebildet ist, daneben das Sichel- schwert, die Harpe, mit der er die Medusa enthauptet hat, und die Tasche, in der er ihr Haupt verbirgt, die Kibisis. Der Kopf des Meerungeheuers in der Mitte wird kompletive Zutat des Wandmalers sein. Kein Zweifel, daß diese tragischen Maskengruppen ebenso auf die Buchillustration zurück- gehen, wie die komischen, und daraus ergibt sich, daß dort auch in den Abb. 153. einzelnen Szenen die auftretenden Personen mit Masken und im Theater- kostüm gezeichnet waren. Das wird die Regel gewesen sein. Ob daneben illustrierte Ausgaben existierten, in denen die Personen, wie auf den home- rischen Bechern, den Wandgemälden und Sarkophagen, ohne Maske, in idealer Bildung und die jungen Männer in heroischer Nacktheit dargestellt waren, wissen wir nicht, müssen aber auch diese Möglichkeit offenhalten. Auch die Szenenbilder jener ersten allein sicher zu kontrollierenden Gattung illustrierter Tragödienausgaben werden bisweilen von den pompe janischen Wandmalern kopiert, so auf dem berühmten Fries der Casa del centenaio, aus dem ich die Illustration der Euripideischen Medeia hersetze (Abb. 153). 198 Deuten aus der Literatur Es ist die Szene, wo der Pädagoge mit den Knaben von seinem verhängnis- vollen Gang in Kreons Palast zurückkommt. Aber auch hier finden wir dieselbe Vermischung zweier Szenen wie in den Terenzillustrationen. Um die Absicht der Medeia deutlich zu machen, gibt ihr der Maler, vielleicht schon der Buchillustrator, das nackte Schwert in die Hand, das sie bei Euripides erst zweihundert Verse später zieht und dessen Anblick die Knaben und den Pädagogen eigentlich erschrecken müßte. Sind also selbst solche in Kostüm genaue Illustrationen für Theaterfragen überhaupt und für die Rekonstruktion des Bühnenbildes im besonderen nur mit Vorsicht zu be- nutzen, so gilt das um so mehr von solchen Bildern, die, bei aller Abhängig- keit von dem Tragikertext, diesen doch nicht eigentlich illustrieren wollen, sondern selbständige Kunstwerke sind. Als Beispiel nehmen wir die Medeia des Timo machos. Dem Künstler schwebte ohne Zweifel der kurze Monolog vor, den Medeia spricht, bevor sie ins Haus geht, um die Kinder zu töten: »Ihr Tod ist unvermeidlich. Da er's ist, Will ich sie töten, die ich sie gebar, , Auf, wappne dich, mein Herz, was zaudern wir, Die schwere grause Tat der Not zu tun? Auf, meine Hand, entschließ dich, nimm das Schwert, Nimm^, tu den Sprung ins Meer verlornen Lebens. Weich werden darfst du nicht, darfst an die Kinder Nicht denken, die du liebst, die du gebarst. Nur diesen kurzen Tag vergiß die Kinder, Dann magst du um sie weinen. Du erschlägst Sic zwar, doch liebst du sie. Ich ärmste Mutter. « (Wilamowitz.) Die beste Kopie der Hauptfigur haben wir oben in anderem Zusammen- hang kennen gelernt (Abb. 103). Aber die linke Hälfte des Herculanensischen Gemäldes, aus dem sie stammt, war schon bei der Ausgrabung so schlecht erhalten, daß man sich nach dem üblen Brauch der damaligen Zeit damit begnügte, nur die Figur der Medeia aus der Wand herauszuschneiden, den Rest des Bildes aber an Ort und Stelle ließ, wo er elend zugrunde gegangen ist. Bevor dieser Tatbestand durch den Maler Donner festgestellt wurde, war es eine die Archäologie lebhaft beschäftigende Kontroverse, ob Timomachos Medeia allein oder mit den Kindern dargestellt habe. Aus pompe janischen Kopien, die sich" aber in der Wiedergabe der Medeia große Freiheiten er- lauben, und aus den Sarkophagen ersehen wir, daß die Kinder spielend Die Medeia des Timomachos 199 Abb. 154. 200 Deuten aus der Literatur dargestellt waren. Ein wundervoller Kontrast, diese ahnungslos spielenden Knaben und die von dem schwersten innersten Konflikt zerrissene Mutter. Aber nur in diesem Motiv stimmen die Kopien untereinander überein; die Art des Spiels ist auf allen verschieden. Auf den pompe janischen Bildern spielen sie entweder in Gegenwart des Pädagogen mit Astragalen (Abb. 154. 155) oder Verstecken, auf den Sarkophagen jagen sie sich um einen Ball, und da diese Monumentenklasse der Vorlage weit unselbständiger gegen- übersteht als die pompejanischen Bil- der, hat sie den Anspruch, in dieser Beziehung das Gemälde des Timoma- chos am getreuesten wiederzugeben. Nun bot aber auch für dies Spiel der Kinder der Text der Tragödie einen Anhalt, allerdings an einer weit zu- rückliegenden Stelle, dem Prolog, wo die Knaben von ihrem Pädagogen be- gleitet aus der Palästra zurückkehren, und wenn wir nun diese auf den Sar- kophagen durch die übliche Walze angedeutet finden, so bestätigt das die eben geäußerte Vermutung, daß dort die Kinder nach Timomachos kopiert sind. Es braucht kaum ge- sagt zu werden, daß niemals, auch nicht in einer sog. nacheuripideischen Tragödie, die spielenden Kinder bei dem Monolog ihrer Mutter zugegen sein konnten. Auf die Wiedergabe des Bühnenbildes haben also sowohl Timomachos als seine Kopisten ver- zichtet; geht doch einer von diesen so weit, die Medea sitzend zu malen (Abb. 154), was, wie jedes Kind weiß, in der Tragödie unerhört ist, wo nur Schutzflehende, Trauernde, Kranke und Sterbende sitzen. In der Komödie ist es bekanntlich anders. Auch in der Namengebung bewahren sich die Illustratoren die denkbar größte Selbständigkeit gegenüber dem Text. Auf der Tabula iliaca sind in der Illustration der Patroklie um den besorgt zurückgebliebenen Achilleus, übrigens schon an sich eine der Ilias fremde Situation, Phoinix und Dio- medes, der doch zu dieser Zeit verwundet in seinem Zelt liegt, versammelt. Abb. 155. Freiheiten der Illustratoren. Szenen-Auswahl 201 Auf einem Homerischen Becher heißen die von Kirke verwandelten Ge- fährten des Odysseus Thestor, Theophron, Mantichos, lauter Namen, die in der Odyssee nicht vorkommen. Auch mit der Frage nach der Auswahl der Szenen müssen wir uns noch kurz beschäftigen. In der Periode der Illustration, wo der ganze Verlauf der Dichtung im Bilde vorgeführt werden soll, wird jede Szene illustriert oder kann es wenigstens werden. Anders früher. Hier müssen zwei Perioden unterschieden werden. In der ersten, di? wir etwa bis zum Ende des sechsten Jahrhunderts ansetzen können, werden nur solche Vorgänge illustriert, die einen drastischen Charakter haben und daher dem Rohstoff des Mythos nahestehen. So aus der Odyssee die Abenteuer mit dem Kyklopen, mit Kirke, mit den Sirenen, aus der Ilias Hektors Schleifung und Lösung, aus den Kyprien die Tötung des Troilos, aus der Aithiopis der Tod des Achilleus und der Selbstmord des Aias, aus der Iliupersis der Tod des Priamos und des Astyanax und die Bedrohung der Helena durch Menelaos, aus der Thebais der Doppelmord des Eteokles und Polyneikes. Daneben Rüstungs- und Kampfszenen, die aber nur durch Beischriften individualisiert sind, im übrigen nach einer festen Typik dargestellt werden. Mit den Rüstungs- szenen dieser Art haben wir uns schon oben in anderem Zusammenhang beschäftigt ; auf die Kampfszenen müs- sen wir hier etwas näher eingehen; es handelt sich dabei regelmäßig um einen Zweikampf. Das primitive Schema stellt die beiden Krieger in Hopliten- rüstung einfach einander gegenüber; es wird dann in der Art erweitert, daß entweder zwischen beiden ein Toter liegt, um den gekämpft wird, oder daß hinter den Kriegern kompletive Fi- guren stehen oder daß beides der Fall ist. So kämpfte auf dem Kypselos- kasten Koon mit Agamemnon um die Leiche seines Bruders Iphidamas, den dieser getötet hatte, also die Illustra- tion einer Episode aus dem n. Ge- sang der Ilias. Unter den erhaltenen Vertretern dieses Typus ist einer der ältesten ein in Kamiros gefundener Teller, auf dem Menelaos und Hektor 202 Deuten aus der Literatur um die Leiche des Euphorbos kämpfen (Abb. 156), eine Episode aus dem 17. Gesang der Ilias, die sich aber dort anders abspielt. Allerdings tötet auch dort Menelaos den Euphorbos, als dieser Anspruch auf die Waffen des gefallenen Patroklos macht, und spoliiert ihn, allerdings will auch dort Hektor, von Apollon in Gestalt des Mentes angestachelt, den Tod des Pan- thoiden rächen; aber mehr noch ist es ihm um den toten Patroklos und die von diesem getragenen Waffen des Achilleus zu tun, und so ist von der Leiche des Euphorbos weiter in dem Gesang nicht mehr die Rede. Vor dem an der Spitze der Trojaner anstürmenden Hektor weicht Menelaos von der Leiche des Patroklos zurück, die nun von Hektor spoliiert wird. Und als Menelaos den Kampf wieder aufnimmt, ist er nicht mehr allein, sondern der Telamonier Aias steht ihm bei. Um die Leiche des Euphorbos wird in der Ilias zwischen Hektor und Menelaos überhaupt nicht gekämpft, aber hieraus den Schluß zu ziehen, der Maler des Tellers von Kamiros habe jene Partie des 17. Gesangs in einer anderen Fassung gelesen als wir, war ein schwerer methodischer Fehler. Als kompletive Figuren werden entweder andere griechische und trojanische Helden verwandt, die dann als Knappen der Kämpfenden erscheinen, oder die Mütter der Kämpfenden oder schützende Götter. Als Beispiel für den ersten "Fall soll uns eine korinthische Vase dienen (Abb. 157). Auf der Vorderseite kämpfen miteinander Achilleus und Hektor, auf der Rück- seite Aias und Aineias; diese beiden Helden treffen in der Ilias nur einmal aufeinander, im 14. Gesang, wo Aineias im Verein mit Polydamas, Agenor, Sarpedon und Glaukos den von Aias durch einen Steinwurf gefällten Hektor gegen den Ansturm der Achäer so lange schützt, bis der Betäubte von seinen Gefährten in Sicherheit gebracht wird. Es ist aber sehr fraglich, ob der Vasenmaler an diese Stelle gedacht hat. Er wollte nur die beiden Helden, die die Ilias selbst als die stärksten unter den Achäern und Troern nach Achilleus und Hektor bezeichnet, sich gleichfalls im Zweikampf miteinander messen lassen. Hinter jedem der vier Streiter ist nun ein berittener Be- gleiter angebracht, der das Roß seines vor ihm streitenden Herrn am Zügel hält. Auf der Vase des Chares fanden wir die Knappen zu Fuß hinter ihren reitenden Herren herlaufen ; aber weitaus gewöhnlicher ist es, daß sie selbst beritten sind. In der Benennung dieser Knappen ist der Vasenmaler höchst willkürlich verfahren. Der Knappe des Achilleus ist der alte Phoinix, der für dies Amt recht wenig geeignet ist, der des Hektor der Lykier Sarpedon, der schon im 16. Gesang gefallen ist, der des Telamoniers Aias der lokrische Kampfszenen 203 Aias, der des Aineias heißt Hippokles, ein Name, der in der Ilias über- haupt nicht vorkommt und dieser Figur nur mit Rücksicht auf ihre Funktion Abb. 157 a- beigelegt ist. Endlich hat sich der Maler noch den Scherz gemacht, den Raum unter dem einen Henkel durch die Gestalt des im sogenannten Knielauf- schema fliehenden Dolon auszufüllen, der weder mit dem Kampf auf der Abb. 157 b. Vorderseite noch dem auf der Rückseite etwas zu tun hat, sondern eine kleine Szene für sich bildet. Den ersten Anstoß, die Mütter der Kämpfenden einzuführen, gab wohl die Memnonepisode der Aithiopis, in der nach der Seelenwägung des Zeus, 204 Deuten aus der Literatur der Thetis und Eos beigewohnt haben, beide Göttinnen auf das Schlachtfeld eilen. Aber von dem Zweikampf zwischen Achilleus und Memnon ist das Schema auch auf andere Zweikämpfe übertragen worden, und wir sind keineswegs berechtigt, aus der Anwesenheit zweier Frauen ohne weiteres den Schluß zu ziehen, daß die Kämpfer Achilleus und Memnon sein müssen. Als Beispiel für die Anwesenheit von Göttern wählen wir einen bereits etwas fortgeschrittenen Typus. Denn je mehr wir uns der Zeit der Perser kriege nähern, um so lebhafter macht sich das Bedürfnis nach Individualisierung des alten Schemas geltend. So wird in der streng rot- figurigen Vasenmalerei der Zweikampf zwischen Achil- leus und Hektor so darge- stellt, daß dieser niedersin- kend seinem Überwinder entweder das gezogene Schwert entgegenhält oder es erst aus der Scheide zieht (Abb. 158). In der Ilias sind bei diesem Kampf zugegen Apollon auf Seiten des Hektor, Athene gleichfalls auf Seiten des Hektor, aber ihn in Gestalt seines Bruders Dei- phobos arglistig betrügend. Daß die Kunst solche Verwandlungen prin- zipiell nicht darstellt, ist schon oben in anderem Zusammenhang bemerkt worden. Sowohl aus diesem Grunde als um der Symmetrie willen muß Athene ihren Platz hinter Achilleus erhalten. Apollon aber kann dem Hin- sinkenden nicht mehr helfen. Die Seelenwägung des Zeus hat gegen Hektor entschieden. »Er war dem Hades verfallen, und Phoibos Apollon verließ ihn. « Diesen Iliasvers legen nun die Vasenmaler ihrer Darstellung des Apollon zugrunde; sie zeichnen ihn, wie er sich anschickt, das Schlachtfeld zu verlassen, führen aber zugleich das wunderschöne Motiv ein, daß er dem Sieger Achilleus den Pfeil zeigt, der ihm einst am skäischen Tor den Tod bringen wird. Auch hierfür bot der Iliastext die Handhabe, die Worte des sterbenden Hektors: »Doch denke daran, mich rächen die Götter Künftig an jenem Tag, wo Paris und Phoibos Apollon Dich, so tapfer du bist, hinstrecken am skäischen Tore. « (Nach H. G. Meyer.) Im Banne des Schemas 205 Diesen Typus von Hektors Tod hat der Vasenmaler Duris auf den Zweikampf zwischen Hektor und Aias, von dem der 7. Gesang der Ilias er- zählt, übertragen (Abb. 159). Dem Hektor wird seine über- kommene Stellung gelassen, Aias erscheint in der des Achilleus, Athene behält ihren Platz hinter dem Sieger, Apol- lon den seinen hinter dem Hinsinkenden, nur entfernt er sich nicht, sondern eilt, der veränderten Situation ent- sprechend, dem Hektor zu Hilfe. In der Ilias wohnen beide Götter dem Zweikampf in Vogelgestalt bei. Daß Du- ris davon Abstand genommen hat, dies anzudeuten, ver- steht sich nach dem früher Bemerkten von selbst. Den großen Stein, mit dem Aias den Hektor zu Fall bringt, benutzt Duris, um die für die Kunstgesetze seiner Zeit unerträgliche Lücke zwischen den Streitern auszufüllen, und seine bizarre Gestalt rührt daher, daß sein Umriß der Form dieser Lücke angepaßt werden mußte. Die Naivität, daß Aias, wie auf der Vor- lage Achilleus, in beiden Hän- den Schild und Lanze hält und also streng genommen 206 en aus der Literatur keine Hand frei hatte, um den Stein zu schleudern, war für Duris und dessen Zeit- genossen in keiner Weise an- stößig. Mit diesem Zweikampf, der sich nicht während der Feld- schlacht entwickelt, sondern auf Grund einer Herausfor- derung erfolgt, stellt Duris den unter ähnlichen Bedin- y gungen stattfindenden Zwei- kampf zwischen Menelaos und Paris zusammen, der den In- halt des 3. Gesanges bildet (Abb. 160). Er illustriert aber einen der Herausforderung vorhergehenden Moment, wo Paris beim Anblick seines starken Gegners sich in die Front zurückzieht: _ »Doch als ihn Alexandras sah, in der vordersten Reihe, Schrak er zusammen und wich ; ihm sank der Mut und er barg sich Unter der Schar der Ge- fährten, dem grausigen Tod zu entrinnen. « (Nach H. G. Meyer.) Aber welche beiden Götter sollten nun hinter den Kämp- fenden angebracht werden ? Nahe hätte es ja gelegen, hin- ter Alexandros Aphrodite zu Zweikampf zwischen Menelaos und Paris 20" stellen, die später den tödlich Bedroh- ten in der Nebelhülle entführt. Aber wen konnte er dann hinter Menelaos stellen ? Athene war für die andere Seite bereits verbraucht, und die ande- ren Griechenfreunde unter den Göttern, Poseidon und Hera, sind viel zu vor- nehm, um wegen solcher Bagatelle bemüht zu werden. Duris fand einen ebenso originellen wie glücklichen Aus- weg. Er bringt Aphrodite nicht hinter Paris, sondern hinter Menelaos an, läßt sie mit unhörbaren Schritten heran- kommen, wobei sie mit göttlicher Nonchalance an einer stilisierten Blüte riecht, und die Schwerthand des Mene- laos leise berühren, um den Stoß zu hemmen. Hinter Menelaos aber stellte «s er Artemis als Gegenstück zu ihrem i Bruder auf der anderen Seite. So ist hier die Kämpfergruppe von zwei Göt- tinnen umgeben, die beide denselben Streiter begünstigen. Außer den Kampf- und Rüstungssze- nen liebt die archaische Kunst beson- ders Wettkämpfe; so führt sie die Wagenrennen und die übrigen Agone vor, die zur Leichenfeier des Pelias und des Patroklos stattfinden. Das ent- spricht der Freude des sechsten Jahr- hunderts am ritterlichen Sport. Zu den Rüstungs- und Abschiedsszenen kann man auch den Auszug des Am- phiaraos rechnen. Aber er ■ nimmt unter ihnen eine besondere Stellung ein ; denn hier handelt es sich um einen hochtragischen Moment. Eriphyle, 208 Deuten aus der Literatur H3 Abb. 162. von Polyneikes durch das Halsband der Harmonia bestochen, zwingt den Gatten, an dem Zug gegen Theben teilzunehmen, der ihm, wie er durch seine Sehergabe weiß, den Tod bringen wird. Er will das verräterische Weib töten, läßt sich aber durch das Flehen seiner Kinder erweichen und bestellt seinen ' ältesten Sohn Alkmaion zu seinem Rächer, wie das am ausführlichsten auf dem be- rühmten korinthischen Kra- ter Abb. 161 dargestellt ist. Das ist eine Handlung von so packender Gewalt, in der psychologische und ethische Motive der verschiedensten Art wie in einem Brennpunkt zusammen- strömen, daß man ihre Verbildlichung wohl als einen kunsthistorischen Anachronismus bezeichnen darf. Denn erst mit dem Anfang des fünften Jahrhunderts tritt sonst das Ethische und Psychologische in sein Recht. Zwar verschwinden natürlich die Dar- stellungen des eigentlichen mythischen Kerns, der drastischen Begeben- heiten nicht wieder aus dem Bereich der Kunst; aber daneben treten die Situationsbilder, die Gelegenheit geben, Charakter und Stimmung der be- teiligten Personen zu zeichnen, oft Momente von großer Spannung, die wir z. T. schon früher in anderem Zusammenhang kennen gelernt haben. Die Wegführung der Briseis und die Gesandtschaft an Achilleus aus der Ilias, die Begegnung mit Nausikaa, die Beschwörung des Teiresias, die Heim- kehr nach Ithaka mit ihren verschiedenen Begebenheiten aus der Odyssee, Telephos und Philoktet aus den Kyprien, Oidipus vor der Sphinx und viele ähnliche Szenen werden jetzt mit Vorliebe von der Kunst behandelt, vollends als das Drama eintritt und die Stoffe umgestaltet und der Regisseur dem Künstler' vorarbeitet, indem er selbst Bilder, und zwar, was die Kunst nicht immer getan hat, zeitlich und örtlich scharf umschriebene Bilder schafft. Aber dies im einzelnen weiter darzulegen, würde uns ins Unend- liche führen. Wir schließen daher hier unsere Betrachtung über das Ver- hältnis von Kunst und Poesie mit dem Bewußtsein, daß wir diesen Stoff auch nicht annähernd erschöpft haben, und daß er überhaupt nicht zu erschöpfen ist. Viel seltener sind natürlich Illustrationen von Prosawerken, doch fehlen auch sie nicht ganz. In einem Zimmer des unter Villa Farnesina gefundenen, Illustrationen von Prosaschriften 209 in die Zeit Cäsars gehörigen Hauses wird auf einem Fries ein hellenistischer Schelmenroman in kyklischer Szenenfolge illustriert, und ähnliches wird gewiß noch öfter vorgekommen sein. Eine Szene aus diesem Fries muß hier ihren Platz finden, weil sie einen äußerst interessanten, bis jetzt einzig Abb. 163. • dastehenden Fall der Hermeneutik darstellt. Aus sich selbst können wir die Darstellung nur so weit deuten, als wir erkennen, daß es sich um einen juristischen Fall handelt, und daß zuerst der kritische Vorgang, dann die richterliche Entscheidung vorgeführt wird, wie dies auch in den voran- gehenden und folgenden Szenen geschieht ; denn in diesem Teil des Romans war eine Serie salomonischer Urteile erzählt. Während nun in anderen Fällen das Vergehen, Straßenraub, Vergewaltigung usw., leicht verständlich ist, erscheint es hier ganz dunkel. Wir sehen einen Kahn mit einer Ziege auf dem Wasser treiben; am Ufer steht ein Baum; ein Mann, der durch Hut und Speer als Jäger kenntlich gemacht ist, eilt auf das Ufer zu und deutet mit vorgestreckter Rechten nach dem Kahn. In dieselbe Richtung zeigt ein zweiter Mann, barhäuptig, mit Kittel und Fell bekleidet; neben ihm weidet eine Ziege ; es ist also ein Hirte, dem vermutlich auch die Ziege im Kahn gehört (x\bb. 162). In der zweiten Szene (Abb. 163) stehen Jäger und Hirte als die streitenden Parteien lebhaft gestikulierend vor dem Richter. Dieser wird durch das Zepter und die beiden bewaffneten Trabanten hinter ihm als König bezeichnet ; ein vor seinem Thron stehender Beamter zeigt auf die • Streitenden , hat also wohl das Amt des Introdukteurs. Hinter den Parteien, wo wir uns die Eingangstür zu denken haben, stehen, diese bewachend, ein dritter Trabant und ein zweiter Beamter. Das ist alles, was sich feststellen läßt. Worüber sich aber Hirt und Jäger streiten, bleibt ein Rätsel, das, so sollte man meinen, nur zu lösen wäre, wenn der hier illustrierte Roman in* Ägypten gefunden würde, was ganz gut eines Tages geschehen kann. Aber so lange brauchen wir nicht zu warten. Richard Engelmann hat erkannt, daß~derselbe Rechtsfall in dem Schäferroman des 14 210 Deuten aus der Literatur Longos vorkommt, sei es nach jenem Schelmenroman, sei es aus gemein- samer Quelle, vermutlich einer ionischen Novelle. Hier liegt also die Sache so, daß das Bildwerk nicht aus seiner eigenen literarischen Quelle, sondern aus einem anderen inhaltlich mit dieser übereinstimmenden Literaturwerk erklärt wird. Die zugrunde liegende Geschichte sieht aber bei Longos so aus. Zur Zeit des Winters fahren junge Männer von Methymna in die Mark von Mytilenc, um sich dort mit jeder Art von Jagd zu vergnügen. Nach dem ersten Tag übernachten sie bei den Landleuten und ziehen ihren Kahn ans Land. Ein dort ansässiger Winzer, der ein Seil brauchte, stiehlt ihnen nächtlicherweile das Schiffstau. Sie halten, als sie es am Morgen bemerken, ihre Gastfreunde für die Schuldigen und fahren ärgerlich weiter. Nach kurzer Fahrt landen sie aufs neue, binden ihr Bot in Ermangelung eines Taues mit einem grünen Weidenast fest (vgl. Abb. 88) und begeben sich auf die Hasenjagd. Dabei verscheuchen ihre Hunde eine Ziegenherde, die sich an den Meeresstrand flüchtet und dort vergeblich nach Weide sucht, bis die keckeren Ziegen den improvisierten Weidenstrick erblicken und ihn zernagen. Das freigewordene Schiff wird von Wind und Wellen ins hohe Meer hinausgetrieben mitsamt den Habseligkeiten, die die Methymnaeer darin zurückgelassen hatten. Als diese das Unglück gewahr werden, stürzen sie ans Meer, und da sie jede Möglichkeit, wieder in den Besitz des Kahns zu gelangen, ausgeschlossen sehen, halten sie sich an den Ziegenhirten, fangen ihn, schlagen ihn und wollen ihn binden. Aber die auf das Geschrei herbei- eilenden Bauern bestehen auf richterlicher Entscheidung, und diese lautet, daß den Hirten und seine Ziegen keine Schuld treffe, sondern Wind und Wellen die Schuldigen seien, über die der Richter keine Strafgewalt besitze. Bei Longos ist der Hirte der Hauptheld des Romans, der zarte Daphnis, und der Richter ein Rinderhirt. Auf dem Fries ist der Ziegenhirt schon älter, und Recht spricht ein König. Weitere Abweichungen sind, daß auf dem Fries nur ein einziger Jäger erscheint; das kann in dem Schelmenroman ebenso gewesen sein, kann aber auch auf abkürzender Darstellung beruhen. Ferner ist es auf dem Fries auch nur eine einzige Ziege, die Schuld an dem Unheil trägt, und überdies ist sie in den Kahn geklettert und treibt mit diesem fort. Dieser Zug geht ganz sicher auf den Schelmenroman zurück; denn dadurch wird der Konflikt in feinster Weise verschärft. Nun hat nicht nur der Jäger seine Sachen, sondern auch der Hirt seine Ziege verloren, und während bei Longos nur Daphnis der Angeklagte, die Jäger die Kläger sind, klagen sich hier Hirt und Jäger gegenseitig an. Illustrationen von Prosaschriften 211 Abb. 164. Ein einzig dastehender Fall ist es, daß sogar eine Stelle oder richtiger eine Situation aus einem Platonischen Dialog illustriert wird, das Gespräch des Sokrates mit der mantineischen Seherin Diotima, von dem dieser im Gastmahl erzählt. Es findet sich in gleicher Weise auf einem pompeja- nischen Bronzekästchen wie am Henkel eines versilberten Tongefäßes aus Orvieto (Abb. 164). Diotima sitzt, die Beine übereinander schlagend, auf einem Klappstuhl, ihre Worte mit einem geheim- nisvollen Gestus der erhobenen Rechten be- gleitend. Sokrates hört ihr, auf seinen Spazierstock gestützt, mit etwas geneigtem Kopf aufmerksam zu. Zwischen beiden steht der Gegenstand ihres Gesprächs, Eros, das Haupt auf ein Kästchen geneigt, in dem man aber beileibe nicht eine Anspielung auf Mysterien sehen darf. Es ist ein Toiletten- kästchen, ein Behälter für »das Rüstzeug Cupidos« , das er, durch die tiefen Worte der Seherin über sein eigenes wahres Wesen belehrt, mit nach- denklichen Blicken für immer schließt. Dagegen hat sich die Vermutung, daß auf einigen etruskischen Spiegeln die Parabel des Prodikos von Herakles am Scheideweg dargestellt sei, nicht bestätigt. Denn die Figur, die man dort als die Personifikation der Tugend, Arete, hat ansprechen wollen, kann unmöglich so gedeutet werden. Sie ist nackt und geflügelt, wie auf etruskischen Monumenten Nike dargestellt zu werden pflegt, und präsentiert dem Herakles auf einer Schüssel allerlei Leckerbissen. Es ist offenbar die Begleiterin der Herakles gegenübersitzen- den nackten Frau, der angeblichen Personifikation des Wohllebens, der Hedone, die in Wahrheit entweder Aphrodite oder eine der zahlreichen Geliebten des Herakles ist. Daß für die Deutung historischer Darstellungen die antiken Geschichts- werke heranzuziehen sind, obgleich sie in den seltensten Fällen den Künst- lern selbst als Quelle gedient haben, ist eine Binsenwahrheit, die nur der Vollständigkeit halber am Schluß dieses Abschnitts erwähnt werden mag. D EU TEX A l TS ANDERN BILD WERKEN. »Qui unum monu- mentum videt, nullum videt, qui mille monumenta videt, unum videt«, war der Wahlspruch Eduard Gerhards. Er wollte damit sagen, daß bei 14* 212 Deuten aus andern Bildwerken der die antike Kunst beherrschenden Typik ein sicheres Urteil über das einzelne Bildwerk nur gewonnen werden kann, wenn alle verwandten Dar- stellungen verglichen worden sind. Namentlich für die Hermeneutik ist diese Vergleichung der Bildwerke von höchster Bedeutung. O. Jahns Verdienst ist es, sie in eine feste Methode gebracht zu haben. Wir wollen das an ein- zelnen, möglichst verschiedenartigen Beispielen erläutern Selbstverständlich ist, daß vor allem bei fragmentierten Bildwerken die voll- ständig oder besser erhaltenen Repliken herangezogen werden müssen. Mit deren Hilfe gelingt es dann aber auch, selbst jammervoll zerstörte Darstellungen zu deuten und in der Phantasie zu ergänzen. Von dem Relief auf der Schmalseite eines griechischen Achilleussarko- phags, die unsere Abb. 165 zeigt, ist heute nichts mehr da als in der linken unteren Ecke die Hinterbeine eines Pferdes und in der Nähe des rechten Randes ein Bruch, in dessen Umrissen ein ge- übtes Auge einen menschlichen Ellenbogen erkennen kann. Wenn man nun erwägt, daß auf der Vorderseite und der andern Schmal- seite Szenen aus dem Leben des Achil- leus angebracht sind, dort die Ent- deckung des in Mädchentracht auf Skyros versteckten durch Odysseus und Diomedes, hier sein Abschied von König Lykomedes, so wird man mit einiger Wahrscheinlichkeit den Schluß ziehen, daß auch diese trümmer- hafte Darstellung sich auf Achilleus bezogen haben wird. Das wäre dann die Art zu deuten, die uns in einem der nächsten Abschnitte beschäftigen wird. Einem aufmerksamen Betrachter wird ferner die Stellung der Pferde- beine auffallen, die für ein wirkliches Pferd sehr ungewöhnlich ist. Wenn er nun diese Beobachtung mit jenem Schluß kombiniert, so wird ihm ein- fallen, daß Achills Erzieher ein Halbpferd, der Kentaur Chiron, war, und er wird dann, auch ohne Hilfe anderer Bildwerke, zu dem Resultat gelangen, daß hier Chiron, und zwar a^uf seinen Hinterbeinen sitzend, dargestellt war, und daß der Rest des Ellenbogens von der Figur des Achilleus her- rührt. Aber über die Situation, in der die beiden dargestellt waren, läßt sich aus dem spärlich Erhaltenen nichts erschließen. Vergleichen wir nun die entsprechende Schmalseite einer vollständig erhaltenen Replik (Abb. 166) so erkennen wir, daß dargestellt war, wie Chiron seinen Zögling im Faust- kampf unterrichtet. Achill streckt nach den Regeln der Kunst den linken Abb. 165. Chiron und Achilleus 213 Arm vor und holt mit dem rechten zum Schlag aus (vgl. oben Abb. 87). Der auf seinen Hinterbeinen sitzende Kentaur korrigiert die Haltung seines vorgestreckten Arms. Ein ähnlicher Fall ist es, wenn ein Bildwerk zwar vollständig erhalten, aber aus einer größeren Komposition verkürzt ist und vielleicht nur eine ein- zelne Gruppe wiedergibt, aus der sich der Zusammenhang der Handlung für den, der nicht, wie der antike Beschauer, den vollständigen Typus kennt, nicht erraten läßt. Namentlich auf , „., , . Vasen begegnet dergleichen nicht all- zuselten. So finden wir auf einer der aus Athen nach Nola exportierten Am- phoren eine Frau, die mit einem Beil in der Rechten und mit fingernd vor- gestreckter Linken nach rechts eilen will, aber von einem bärtigen Mann, dem der Reisehut im Nacken hängt, zurückgehalten wird (Abb. i6ya). Wen die Frau bedroht, ist aus der Darstel- lung nicht zu entnehmen. Nun kommt es allerdings gerade bei Nolanischen Vasen nicht selten vor, daß die Rück- seite zu der Vorderseite in naher Be- ziehung steht, und dort erblicken wir einen nach rechts fliehenden nackten Jüngling, der in der linken Hand einen Schlauch trägt, wie er von den Griechen auch als Packsack benutzt wurde, also einen Reisenden (Abb. 167 b). Jahn glaubte, daß dies der von der Frau Bedrohte sei und deutete das Vasen- bild auf den Kresphontesdes Euripides, dessen komplizierte Handlung kurz anzudeuten wir nicht um- gehen können, wenn wir ein sicheres Urteil gewinnen wol- len. Polyphontes hat den rechtmäßigen König von Mes- senien, Kresphontes, ermordet und dessen Witwe Merope gezwungen, sich ihm zu vermählen; doch ist es '.^ "\< ^ dieser gelungen, ihr und des Kres- Abb. i67*. phontes Kind, das denselben Namen Abb. l6jit Abb. 166. 214 Deuten aus andern Bildwerken wie sein Vater trägt, nach Aitolien zu flüchten und dort heimlich auf- ziehen zu lassen. Die Handlung beruht auf dem Zusammentreffen dreier Faktoren. Erstens setzt Polyphontes auf den Kopf des jungen Kres- phontes einen Preis aus. Zweitens macht sich dieser um dieselbe Zeit nach Messenien auf, um als ein zweiter Orestes den Mord seines Vaters zu rächen. Zu diesem Zwecke führt er sich bei Polyphontes mit der falschen Angabe ein, er habe den Kresphontes, der er selbst ist, er- schlagen, wird gastfreundlich aufgenommen und begibt sich, von der Reise ermüdet, früh zur Ruhe. Drittens sendet um dieselbe Zeit Merope den alten Diener, der zwischen ihr und dem aitolischen Gastfreund der heimliche Mittelsmann ist, zu diesem, um sich nach dem Ergehen ihres Sohnes zu erkundigen. Der Alte erfährt, daß der junge Kresphontes ver- schwunden ist, und meldet das schleunigst heimkehrend der entsetzten Merope. Nun kann diese nicht länger zweifeln, daß der Fremdling wirklich der Mörder ihres Sohnes ist, und will ihn im Schlaf erschlagen; aber der alte Diener kommt zur rechten Zeit dazu, erkennt in dem Schlummernden den Kresphontes und hemmt den Schlag. Der weitere Verlauf des Stücks, das natürlich mit dem Tod des Polyphontes schloß,, geht uns hier nicht weiter an. Otto Jahn wollte nun auf der Vorderseite Merope und den alten Diener, auf der Rückseite Kresphontes erkennen. Daß dieser nicht schlafend dar- gestellt ist, würde nach den Erfahrungen, die wir in den vorigen Abschnitten gemacht haben, dieser Deutung nicht widersprechen, aber seine ganze Bildung, wie der Reisesack in seiner Hand bezeichnen ihn als Diener. Ver- gleicht man nun die oben besprochene Aigisthvase (Abb. 85), so liegt die richtige Deutung auf der Hand. Die Figuren auf der Vorderseite sind Kly- taimestra und Talthybios; Aigisth und Orest sind ausgelassen. Der Maler durfte annehmen, daß die vollständige Komposition dem Käufer oder Be- schauer so bekannt sei, daß er sich die fehlenden Figuren leicht hinzudenken konnte. Der fliehende Jüngling auf der Rückseite ist ein dienender Reise- begleiter des Orestes. Die richtige Deutung war schon vor einem Jahr- hundert von Miliin ausgesprochen, ist aber von Jahn abgelehnt worden. Indessen steckt auch in seiner Deutung ein Körnchen Wahrheit. Denn Euripides hatte, als er die Handlung ganz oder wenigstens größtenteils erfand, die Stesichoreische Version vom Tod des Aigisth im Auge, die auf jener Vase illustriert wird. Ferner kann es vorkommen, daß inschriftlich nicht bezeichnete Figuren, die sich weder nach ihrer äußeren Erscheinung, noch aus dem Zusammen- Die Kresphontes des Euripides. Die Kinder der Megara 215 hang deuten lassen, mit Hilfe von Repliken, wo sie Beischriften haben, benannt werden können. Die berühmte Münchener Unterweltsvase liefert uns hierfür gleich zwei Beispiele. In ihrem oberen Streifen, der nach dem früher Bemerkten auf Vasen dieser Gattung eigentlich den olympischen Göttern gehört, denen aber der Hades verschlossen ist, sieht man auf jeder Seite eine Gruppe von drei Figuren. Links (Abb. 168) eine sitzende Frau mit zwei Knaben, in denen man auf den ersten Blick ihre Kin- der erkennt, was dadurch bestätigt wird, daß sie auf die Schulter des einen ihre Hand legt. Beide haben tief traurigen Gesichtsausdruck; der eine stützt sich auf zwei Speere, der zweite trägt auf der einen Hand eine Schüssel und hält in der anderen das Gerät der Palästra. Schabeisen und Ölfläschchen (vgl. oben Abb. 88). Jeder trägt um -den Leib eine breite Binde, unter der Blutstropfen her- vorquellen; sie sind also eines gewaltsamen Todes gestorben, was auf Amphion und Zethos, die man früher mit ihrer Mutter Antiope hier dar- gestellt glaubte, nicht zutrifft; auch sind diese nicht als Kna- ben gestorben, sondern haben mindestens das Mannesalter er- reicht. Es wäre nun vielleicht für einen scharfsinnigen Inter- preten möglich gewesen, aus diesen Indizien die richtige Be- nennung zu finden, wenn er da- mit die Hauptfigur des unteren Streifens, Herakles, der den Kerberos entführt, kombiniert hätte. Indessen ist das nicht ge- schehen. Erst eine in Altamura gefundene, durch abgeschmackte Ergänzungen entstellte, aber an dieser Stelle intakte Replik im Museum von Neapel hat die Aufklärung gebracht Abb. 169. 216 Deuten aus andern Bildwerken (Abb. 169). Hier finden wir dieselbe Gruppe mit geringfügigen Änderungen wieder. Die Knaben halten keine Attribute, und nur der neben seiner Mutter stehende trägt den Verband. Die Mutter ist mit dem ihr gegenüberstehen- den Knaben im Gespräch begriffen, wie die erhobenen Hände beider er- kennen lassen; der andere Knabe legt die Hand auf ihren Oberschenkel. Hier bezeichnen nun die Beischriften die Knaben als Herakleidai, die Mutter als Megara. Es sind die von Herakles in seinem Wahnsinnsanfall getöteten Söhne und seine Gattin. Als Gegenstück zu dieser Gruppe zeigt die Münchener Vase auf der anderen Seite (Abb. 170) einen stehenden und einen sitzenden Jüngling, und eine sitzende Frau, die in der Rechten das gezückte Schwert, in der Lin- ken die Scheide hält. Die Jünglinge tragen keulenartige Stäbe und den Petasos. Sie sind nach dem Ort, wo wir sie finden, ohne Schwierigkeit zu benennen, was denn auch sofort nach der Entdeckung der Vase ge- schehen ist. Zwei als Wanderer ge- kennzeichnete Jünglinge in der Un- terwelt, von denen der eine auf einem Felsen sitzt, der andere neben ihm steht, das können nur Peiri- thoos und Theseus sein, Peirithoos, der die Köre rauben wollte und den deren Gatte zur Strafe an einen Felsen festwachsen ließ, Theseus, der, das' Ideal der Freundestreue, ohne ihn nicht zur Oberwelt zurückkehren will, sondern sich durch die Fesseln des Ehrgefühls, die stärker sind, als sie ein Schmied anzufertigen vermag, festgehalten fühlt. Um so größere Schwierigkeit macht die Benennung der Frau, in der man denn auch gründlich fehlgegangen ist. Durch das ge- zückte Schwert fühlten sich die einen an die kindermordende Medeia er- innert, ohne zu bedenken, daß dann doch auch die getöteten Kinder nicht fehlen dürften. Andere wieder gaben, dieser Figur zuliebe, die nach sicherer Methode gefundene Benennung der Jünglinge als Theseus und Peirithoos auf und. deuteten die Gruppe als Elektra, Orestes und Pylades. Die Vase von Altamura ist an dieser Stelle so zerstört und so lächerlich ergänzt, daß sie keine Aufklärung gibt; diese brachten erst die jetzt in Karlsruhe Abb. 170. Peirithoos und Theseus im Hades 217 befindlichen Fragmente einer weiteren Replik (Abb. 171). Die Frau mit dem gezückten Schwert, die dort rechts von Peirithoos steht, wird durch die Beischrift als die personifizierte Strafe, Dike, bezeichnet. Peirithoos, gleichfalls mit Namensbeischrift, ist hier nicht nur an den Felsen fest- gewachsen, sondern die Hände sind ihm auch auf den Rücken gefesselt. Theseus fehlt, sei es, daß er rechts weggebrochen ist, sei es, daß, wie auf anderen Repliken, die Sagenversion befolgt war, nach der ihn Herakles mit sich nimmt. Dann würde er vor diesem im unteren Streifen an- gebracht gewesen sein. Wir kommen jetzt zu einem höchst merkwürdigen Fall, wo die Beischriften eines Bildwerks durch die eines anderen als falsch erwiesen und korrigiert werden. Natür- lich kann das nur eintreten, wenn ein bar- barischer Künstler, der zwar von der helle- nischen Mythologie eine ungefähre Vorstel- lung, aber keine festsitzende Kenntnis hat. seine griechische Vorlage mißversteht, und das begegnet nicht selten den Etruskern. Dafür ist der Stoschsche Cameo mit den fünf argivischen Helden das beste Beispiel (Abb. 172). Auf diesem erblickt man drei sitzende und zwei stehende Krieger, alle durch Beischriften bezeichnet. Links, das Haupt traurig auf die Hand geneigt, Polyneikes (Phylonice), in der Mitte, die Hand auf einen Speer gestützt, Amphiaraos (Amphiare), rechts die Hände um das hochgezogene Knie verschränkt Par- thenopaios (Parthanäpae). Die beiden anderen Helden tragen volle Rüstung. Hinter Polyneikes steht, wie dieser mit gesenk- tem Kopf, Tydeus (Tyte), hinter Amphiaraos Adrast (Atresthe), der ein Gespräch mit Par- thenopaios zu führen scheint. Auf den ersten Blick wird der Leser erkannt haben, daß wir hier nichts anderes vor uns haben, als die Ge- sandtschaft an Achilleus, deren charakteristi- schster und zugleich dem Cameo am nächsten stehender Repräsentant, die Lekythos des Ber- liner Museums (Abb. 22). auf der alle Figuren Abb. i72 Abb. 171 218 Deuten aus andern Bildwerken durch Beischriften bezeichnet sind, uns schon wiederholt beschäftigt hat. Man sieht, aus Achilleus ist Polyneikes ,aus Odysseus Parthenopaios, aus Aias Amphiaraos geworden, aus Diomedes Tydeus, aus Phoinix Adrast. Ohne Zweifel hat der etruskische Gemmenschneider wirklich geglaubt, auf seiner Vorlage fünf von den sieben gegen Theben zu Felde ziehenden Hel- den, und zwar in der Szene vor sich zu haben, wo Polyneikes und Tydeus „Hilfe heischend als Schutzflehende zu Adrast kommen. Und mit diesem Sagenstoff war er, wie die Gruppierung verrät, auffallend vertraut. Links linden wir die zwei aus ihrer Heimat Vertriebenen nebeneinander, beide mit betrübt und demütig gesenkten Köpfen. Unpassend ist nur, daß der eine bewaffnet ist und der andere nicht. Rechts die drei Argiver, König Adrast mit seinem Schwager, dem Seher Amphiaraos, und Parthenopaios, wobei dem Künstler entweder die Sage vorschwebt, daß dieser ebenfalls ein Sohn des Talaos und also ein Bruder des Adrast ist, oder die, daß er am Hofe von Argos aufwächst. Durch die gebeugte Haltung des Amphiaraos soll wohl angedeutet werden, daß er als Prophet seinen und der Kriegskameraden Tod voraussieht. Befremdlich ist, daß Adrast sich an Parthenopaios wendet, es sei denn, daß dieser, wie eben an- gedeutet, als sein Bruder gedacht ist, den er in diesem kritischen Augen- blick, wo ihn die Warnung seines Schwagers auf der einen, das Flehen der Ankömmlinge auf der anderen Seite in einen schweren Konflikt ver- setzt, um seinen Rat bittet. So hat' der Cameenschneider oder wahr- scheinlich ein anderer etruskischer Künstler, vielleicht ein Maler, dessen Werk er kopiert, aus der mißver- standenen griechischen Vorlage eine neue durchaus charakteristische Si- tuation geschaffen, die man als Illu- stration zur Sage von den Sieben wohl geltenlassen kann. Überraschend ist nun, daß dasselbe Mißverständnis der griechischen Vorlage noch auf einem zweiten etruskischen Bildwerk wiederkehrt, so daß es in jenem Lande weitverbreitet, wenn nicht Etruskische Mißverständnisse griechischer Vorlagen 219 allgemein gewesen zu sein scheint. Auf einem etruskischen Spiegel (Abb. 173) sitzen Adrast und Amphiaraos einander gegenüber, während Tydeus mit dem Halsband der Harmonia in der Hand zwischen ihnen steht und auf Adrast einredet, offenbar um die Warnungen des Sehers zu entkräften. Alle Figuren sind durch Beischriften bezeichnet. Adrast, auch hier wie auf dem Cameo bewaffnet, erscheint in der Stellung des Aias; Amphiaraos ist aus dem Achilleus der griechischen Vorlage umgebildet, Tydeus aus dem Diomedes. Ist in diesen Fällen aus Mißverständnis ein anderer griechischer Mythos dem in der Vorlage illustrierten substituiert, jedoch so, daß immer noch eine vernünftige, ja charakteristische Situ- ation herauskommt, so fehlt es auch nicht an Beispielen dafür, daß in der Phantasie der etruskischen Künstler die griechischen Sagen bunt durchein- ander liefen. Ein anderer etruskischer Spiegel (Abb. 174) zeigt die von grie- chischen Bildwerken her wohlbekannte Szene, wie Telephos sich des kleinen Orestes bemächtigt hat und mit ihm auf den Hausaltar Agamemnons geflüchtet ist, ihn zu erstechen drohend, wenn ihm nicht Gehör und Heilung seiner Wunde durch Achilleus gewährt wird, und wie Agamemnon in höchster Aufregung herbeistürzt, um das Leben seines Kin- des zu retten. Dieser Vorgang ist auf dem Spiegel mit voller Deutlichkeit zum Ausdruck gebracht, aber neben Agamemnon liest manTaseos, neben Orestes Pilonikos Taseos, neben Telephos Luqorcos. Der Zeichner hat also begriffen, daß der bedrohte Knabe der Sohn des zu Hilfe eilenden Mannes sein muß ; zugleich sich aber dunkel erinnert, daß der Thrakerkönig Lykurgos, von Dionysos mit Wahnsinn geschlagen, einen Knaben — allerdings seinen eigenen Sohn Dryas — ermordet. Daher die falsche Beischrift: Luqorcos. Wie er aber freilich darauf verfallen konnte, den Agamemnon Taseos d. i. doch wohl Theseus und den Orestes Pilonikos zu benennen, das läßt sich nicht erraten. Abb. 174. 220 Deuten aus andern Bildwerken Von besonderer Wichtigkeit ist die Vergleichung ähnlicher Bildwerke bei der Kategorie archaischer Darstellungen, die keine drastische, auf den ersten Blick kenntliche Handlung, wie die Tötung des Minotauros, sondern Situationen darstellen, die leichtverständlich zu machen die künstlerischen Mittel jener Zeit nicht ausreichen. Da gilt es nachzusehen, ob sich nicht derselbe Typus auf anderen gleichzeitigen Bildwerken in größerem Zu- sammenhang findet, der auch auf die an sich rätselhafte Darstellung sein Licht wirft, oder auf 'jüngeren Bildwerken, wo er weiter entwickelt und individuell gestaltet ist. Auf einer kleinen schwarzfigurigen Amphora (Abb. 175) sitzen sich zwei Männer gegenüber. Der eine, auf einem Lehnsessel, hat den Mantel über den Hinterkopf gezogen und er- hebt im Gespräch die gleichfalls vom Mantel bedeckte Hand, der an- dere, auf einem Klappstuhl, trägt einen Helm auf dem Kopf, hat das eine Bein über das andere ge- schlagen und umfaßt mit der Linken sein Knie, während er sein Gegen- über forschend anblickt. Aufgehängte Waffen, ein Schwert und ein Paar Beinschienen, sowie ein am Boden stehender Helm deuten an, daß die Szene in einem Zelte spielt, aber die Figuren zu benennen würde man auf Grund der Darstellung allein nicht wagen; vergleichen wir aber die Abb. 24 wieder- gegebene Vase, die uns erst eben wieder beschäftigt hat, so erkennen wir, daß es sich um eine abgekürzte Darstellung der Gesandtschaft an Achilleus handelt, die sich auf die beiden Hauptfiguren, den Peliden und Odysseus, beschränkt. Mit besonderem Glück hat Georg Loeschcke diese Methode auf die spar- tanische Stele angewandt. Diese zeigt auf ihrer einen Seite (Abb. 176) einen bärtigen Mann, der einer Frau das Schwert auf die Brust setzt, während er sie zugleich mit der Linken am Hinterkopf faßt. Die Frau, die ihren Mantel über das Haupt gezogen hat, berührt die Stirn des Mannes, als wolle sie um Erbarmen bitten, und sucht den Stoß aufzu- halten, indem sie die linke Hand an die Schwertklinge legt. Und doch wird jeder zunächst den Eindruck haben, daß ihr Flehen umsonst und sie dem Tode verfallen ist. So hat man in der Szene bald den Mutter mord Abb, 175. Menelaos und Helena 221 des Alkmaion, bald den des Orestes erkennen wol- len; aber das heißt raten und nicht deuten. Und wenn man die eine Vermutung durch den Hinweis darauf, daß in Sparta die Orestessage besonders populär gewesen sei, die andere durch die große historische Bedeutung des Zugs der Sieben hat stützen wollen, so fällt jenes unter den Begriff des Deutens aus dem Fundort, dieses unter den der willkürlichen Hypothese, Methoden, die wir in einem späteren Abschnitt als zwei der schlimmsten Fehlerquellen kennen lernen werden. Vergleicht man nun, wie Loeschcke getan, das Bild der Ihu- persis auf einer schwarzfigurigen Vase Abb. 177, so findet man dort neben der Darstellung vom Tod des Priamos und des ^stvanax, von welcher Verbindung früher die Rede war, die Gruppe der fpartams hen Basis wieder, der weiter rechts ein am Boden hegen- der Toter hinzugefügt ist. Also handelt es sich um emen V^ngJ« Troias Zerstörung, um welchen, kann nicht zweifelhaft sein. Stellt doch ^reig^tthenlndpunkt des trojanischen Kriegs, das Resultat der zehn- Abb. 176. Abb. 222 Deuten aus andern Bildwerken jährigen Belagerung, die Wiedergewinnung der Helena dar. Zwar will sie der schwer beleidigte Gatte töten, aber ihre Schönheit gewinnt über seinen Rachedurst den Sieg. Menelaos und Helena ist also die Gruppe zu benennen, und der Tote ist Helenas zweiter trojanischer Gatte, Deiphobos, den Menelaos erschlagen hat. Also so diskrete Mittel wie das Berühren der Stirn und das Anfassen der Schwertklinge genügten dem archaischen Künstler, um aus- zudrücken, daß Helena vor ihrem Gatten Gnade finden wird. Die spätere Kunst ist deutlicher, indem sie zu verstehen gibt, daß Helena der Macht ihrer Schönheit das Leben zu verdanken hat. Sie entnimmt daher ent- weder aus der Iliupersis des Lesches das Motiv, daß Menelaos beim An- blick ihrer schönen Brüste das Schwert fallen läßt, oder sie läßt Aphrodite dazwischen treten oder verbindet beides miteinander. Aber nicht nur Bildwerke, die dieselben Figuren in demselben Typus und derselben Situation zeigen, also im eigentlichen Sinn Repliken sind, können zur Deutung unverständlicher Darstellungen helfen, das können auch solche, auf welchen die Situation eine andere ist, aber die Hauptpersonen dieselben bleiben. Denn indem wir diese in zwei verschiedenen Momenten beobachten, fällt aus dem einen auf den anderen Licht. Ein lehrreiches Beispiel hierfür ist ein besonders schönes und daher von den Pompejanern mit Vorliebe zur Zimmerdekoration verwandtes Bild, das Wolfgang Heibig bei Abfassung seines grundlegenden Katalogs in Ermangelung einer bestimmten Deutung »Aus dem Kreise der Artemis« getauft hat (Abb. 178). Die auffallend jugend- liche Artemis -- kenntlich an der Tracht als Jägerin und der für sie auf den pompe janischen Bildern, aber auch sonst charakteristischen Zacken- krone — - erhebt erschreckt und wie abwehrend die Hand über eine Äußerung, die ein vor ihr stehender Jäger eben getan hat. Auch die drei im Mittel- und Hintergrund angebrachten Frauen äußern teils Verwunderung, teils Schrecken. Die eine, die über Artemis hinter einem Felsen hervorblickt und durch den feinen weißen Schleier als eine vornehme Göttin bezeichnet wird, nähert ihre Hand dem Mund, als ob sie dem Jäger Schweigen gebieten wollte. Über ihre Schulter blickt ein mit Wiesenblumen bekränztes Mäd- chen, an dessen Schulter zwei Jagdspeere gelehnt sind, besorgt auf den Sprechenden. Noch deutlicher äußert die rechts von dem Jäger sitzende Frauengestalt, die auf einer anderen Replik ein Pedum in der Hand hält und einen Nimbus um das Haupt trägt, durch die erhobene Rechte ihren Schrecken. Da diese Figuren zu wenig charakterisiert sind, um auf den ersten Blick benannt werden zu können, ist es methodisch, von ihrer Deutung ► Aus dem Kreise der Artemis« 223 so lange abzusehen, bis wir über den dargestellten Vorgang ins klare ge- kommen sind. Für dessen Erkenntnis ist von besonderer Wichtigkeit der Abb. 178. 224 Deuten aus andern Bildwerken Eros, der sich an den Schenkel der Artemis anschmiegt und mit einem Pfeil nach ihrer Brust zielt. Daraus ersehen wir, daß der Jäger der keuschen Göttin eine Liebeserklärung macht. Aber noch mehr: so sehr Artemis ent- setzt ist, sie wird ihn erhören. Denn die Anwesenheit und das Gebaren des Eros läßt sich kaum so auffassen, daß er »diese Gelegenheit benutzt, um die jungfräuliche Göttin schwanken zu machen«, sondern kann, so sollte man meinen, nach der antiken Kunstsprache nur bedeuten, daß Artemis in Liebe zu dem Jäger entbrennt, wofür es genügt, auf die oben abgebildete Gruppe der liebeskranken Phaidra zu verweisen (Abb. 105). Hier steckt das Rätsel. Eine verliebte Artemis ist der Mythologie, soweit wir sie kennen, unbekannt, und die Vorstellung scheint auch dem Wesen dieser Gottheit zu widersprechen. Hier liegt also einer der Fälle vor, wo wir aus dem Bildwerk einen literarisch nicht bezeugten Mythos erschließen müssen, worüber wir in einem der nächsten Abschnitte handeln werden. Aber während bei den Beispielen, die uns dort beschäftigen sollen, die me- thodische Interpretation des Bildwerks genügt, um den Mythos zu erkennen, ist das hier anders. Denn vergebens suchen wir nach dem Namen des Jägers. Am meisten würde der Situation diejenige Form der Orionsage entsprechen, nach der dieser Jäger sich der besonderen Gunst der Göttin erfreut, aber das Verhältnis ein durchaus keusches ist. Dennoch können beide der üblen Nachrede nicht entgehen, worüber Apollon so ergrimmt, daß er durch eine List seine Schwester dazu bringt, ihren Liebling ahnungslos zu töten. An diese Sage hat man denn auch gedacht, muß sie dann aber dahin ändern und ergänzen, daß Orion, mit dem platonischen Verhältnis nicht zufrieden, der Göttin einen Antrag macht und nach anfänglichem Sträuben Erhörung findet, so daß die bösen Zungen ganz recht hatten. In der Tat, ist der Jäger Orion, so muß man eine solche Sagenform postulieren; denn weder die, wonach er der Artemis Gewalt antun will, noch die, wo er sich seiner Kunst als Schütze rühmt, kann auf die dargestellte Situation Anwendung finden. Zu noch kühneren Hypothesen wird man gezwungen, wenn man den Jäger Aktaion nennt. Denn diese Sage muß man dann völlig umkrempeln, mag man von ihrer älteren oder ihrer jüngeren Form ausgehen. In jener ist er nämlich der Liebhaber der Semele, den Artemis auf Befehl des Zeus aus dem Wege räumt, in dieser, wo er Artemis im Bade erblickt, das unschul- dige Opfer der eigenen Neugier. Und nun soll man annehmen, daß er durch verliebte Vermessenheit sich selbst ins Verderben gestürzt habe ? Bei diesen vergeblichen Deutungsversuchen mußte immer wieder der Zweifel auftauchen, »Aus dem Kreise der Artemis« 225 ob auf das Gebaren des Eros so viel Gewicht zu legen ist und ob man, statt Artemis um den Ruhm ihrer Keuschheit zu bringen, nicht lieber annehmen sollte, daß hier der Maler ein typisches Motiv einmal nicht ganz korrekt verwandt habe. Dieses Dilemma wurde durch ein vor 18 Jahren in Pompeji gefundenes Bild gelöst (Abb. 179). Hier finden wir eine Gruppe, bei der man bei flüchtigem Hinsehen zuerst an Aphrodite und Adonis denken möchte. Denn ganz ähnlich sehen wir diese auf pompejanischen Bildern und Sarkophagen gepaart (Abb. 180), so ähnlich, daß diese Adonisgruppe für den Maler die Vorlage gewesen sein muß, die er für seine Zwecke um- formte. Denn der Jäger auf dem Bilde lehnt sich nicht an sein göttliches Liebchen an, sondern sitzt in aufrechter, fast stolzer Haltung da, die Göttin zwar nicht, wie man gemeint hat, ehrfurchtsvoll, aber mit Ekstase anblickend, als wolle er an sein unerhörtes Glück nicht glauben. Die Göttin ist ihrem Vorbild in der Adonisgruppe ähnlicher geblieben. Zärtlich legt sie den linken Arm um den Nacken ihres Geliebten und berührt liebkosend sein Kinn, indem sie ihn mit verliebten Blicken betrachtet. So gut dies alles auf Aphrodite passen würde, sie ist es nicht; der kurze Chiton, die Jagd- stiefel, der Köcher auf ihrem Rücken, auch das zum Wirbel hinaufgekämmte Haar kennzeichnen sie als Artemis. Und wie auf jenem ersten Bilde lehnt an ihrem Schenkel ein Eros, aber nicht mehr mit dem Pfeil, der seine Arbeit getan hat; ruhig hält er in der Linken den Bogen, stützt behag- lich die Wange auf die Rechte, und die Zackenkrone der Artemis hat er sich selbst auf das Haupt gesetzt. Das bedeutet dasselbe, wie wenn die Eroten mit den Waffen des großen Alexander, wie auf der »Roxane« des Aetion, oder, wie so häufig auf späteren Bildwerken, mit denen des Hera- kles ihr Spiel treiben oder gar wie auf einigen Sarkophagen mit den Attri- buten aller Götter erscheinen : den Sieg der Liebe über die größten Götter und die stärksten Menschen. Aber hier ist der Triumph des Eros doch noch größer, die keuscheste der Göttinnen ist seiner Allgewalt erlegen. Ein zweiter Eros blickt über die linke Schulter des Jägers vergnügt auf die verliebte Göttin hin. Also wirklich. Es gab eine Sage, in der Artemis in sinnlicher Glut zu einem schönen Jäger entbrennt. Der Eros auf dem ersten Bilde deutet die nahende Leidenschaft der Göttin an, und wieder einmal bewährt sich der Grund- satz, daß, was auf dem Bilde dargestellt ist, stets für des Künstlers eigent- liche Meinung zu gelten hat. Wer ist nun dieser beglückte Jäger? Eugen Petersen gebührt das Verdienst, den richtigen Namen gefunden zu haben : '5 226 Deuten aus andern Bildwerken Abb. 179. es ist weder Orion noch Aktaion, es ist der keusche Hippolytos. Aber weder seiner Beweisführung noch seinen Folgerungen können wir uns an- schließen und verfahren daher ohne Rücksicht darauf nach den Regeln der Kunst. Im Prolog des erhaltenen Euripideischen Stücks berichtet des Hippolytos' Feindin Aphrodite: Artemis und Hippolytos 227 »Der Sohn des Theseus und der Amazone, Hippolytos, des frommen Pittheus Zögling, Verwirft den Glauben dieser seiner Heimat Trozen, erklärt mich für die niedrigste Der Himmlischen, verschmäht der Liebe Freuden Und hat sich ewger Keuschheit angelobt. Doch Artemis, die jungfräuliche Schwester Apollons, ehrt und preist er als die höchste Der Himmlischen, und stets an ihrer Seite Geht er dem Waidwerk mit der Meute nach, Gewürdigt übermenschlicher Gesellschaft. Das gönn' ich ihnen gern. Wie sollt' ich nicht? Doch was Hippolytos an mir gefrevelt, Das räch' ich, heute noch. Rasch ist's getan. « (Wilamowitz.) Wilamowitz in seinem Kommentar sieht in den Worten »stets an ihrer Seite« eine beabsichtigte Zweideutigkeit. Die Herrin im Reiche der Liebe lächele und könne darauf rechnen, daß ihrer Insinuation ein Lächeln des Einverständnisses im Publikum entsprechen werde. »Ihr würde das Verhältnis zwischen Hippolytos und Artemis ja ganz recht sein, wenn es so unrein wäre, wie ihr Hohn es scheinen läßt. « Ich weiß nicht, ob er recht hat; aber jedenfalls war in diesen Versen ein Anhaltspunkt gegeben, an den anknüpfend ein hellenistischer Dichter oder Künstler nach dem im vorigen Abschnitt besprochenen Verfahren das keusche Verhältnis in ein sinnliches ver- wandeln konnte. Und so sehen wir denn auf dem ersten Bild und seinen Repliken Hippo- lytos der Göttin seine Liebe bekennen — daß er ihr nicht etwa von Phaidras Leidenschaft spricht, beweist der Eros neben Artemis, der, wie immer und immer wieder betont werden muß, weil es immer und immer wieder außer acht gelassen wird, nur auf die eigenen Empfindungen der Göttin bezogen werden kann. Das neue Bild aber zeigt den Liebesbund zwischen der Göttin und dem Sterblichen. Abb. 180. 15" 228 Deuten aus andern Bildwerken Aber wenn wir nun doch einmal die Umbildung einer Fabel konstatieren müssen, warum nicht der von Orion, die ja auch, wie wir eben sahen, nahe genug gelegen nätte? Hat nicht Orion denselben Anspruch wie Hippolytos? Wie soll man zwischen beiden die Entscheidung treffen? Der Einwurf ist berechtigt. Aber die Entscheidung bringt das erste Bild und seine Re- pliken, was freilich erst möglich war, nachdem durch das Auffinden des zweiten Bildes die Deutung auf Hippolytos in den Gesichtskreis der Interpreten trat. Das ist eine in der Hermeneutik häufige Wechselwirkung, die nur Kurzsichtigkeit als einen Zirkelschluß bezeichnen kann; denn die Kunst der Deutung hat viele Methoden, die wir hier freilich jede einzelne für sich betrachten müssen, die sich aber in Wirklichkeit mannigfacli kreuzen und miteinander kombiniert werden müssen, wofür uns ja schon unsere bisherigen Betrachtungen einige Beispiele geliefert haben. In unserem Falle tritt nun neben das Deuten aus einem anderen Bildwerk das Deuten aus der Literatur. Ist einmal die Möglichkeit aufgetaucht, daß der Jäger Hippo- lytos ist, so haben wir das Euripideische Stück genau darauf zu prüfen, ob es nicht weitere Berührungspunkte mit den Bildern enthält. Und diese Erwartung täuscht uns nicht. Ich denke dabei nicht an den Chiton, den Hippolytos bei der Liebeserklärung trägt. Hierin eine Anspielung auf seine Einweihung in die eleusinischen Mysterien zu sehen, ist von seiten des Inter- preten eine deplacierte Gelehrsamkeit, eine üble Fehlerquelle, und wäre von seiten des Künstlers eine Geschmacklosigkeit. Wohl aber bringt die Ent- scheidung eine der drei anwesenden Frauen, deren Benennung wir vorher vertagt haben. Im zweiten Teil des Prologs legt Hippolytos vor der Statue der Artemis einen Kranz von Wiesenblumen mit den Worten nieder: »Dir bring' ich, Herrin, diesen frischen Kranz, Den ich auf nie Versehrter Aue wand. Dort wagt der Hirt die Herde nicht zu treiben, Nie hat der Sichel Schneide sie berührt, Und nur die Biene schwärmt im Lenz darin. Jungfräulich ist die Au. Es wartet ihrer Nicht eine von des Walds gefäll'gen Nymphen: Die Keuschheit selbst tränkt sie mit frischem Naß, Und der Gemeinheit gönnt sie keine Blume. Dort pflückt die Unschuld nur, die eingeboren, Nicht anerzogen tief im Herzen wohnt. « (Wilamowitz.) Aidos, Kynegetike, Poimenike 229 Läßt sich die Aidos, die Wilamowitz mit »Keuschheit« übersetzt, besser verbildlichen als durch die Frau im weißen Schleier, die, über das Liebes- werben des Hippolytos entsetzt, die Hand schweigengebietend an den Mund legen will? Haben wir hier aber ein auf das Euripideische Stück zurück- gehendes Motiv festgestellt, so ist damit die Benennung des Jägers als Hippolytos gesichert. Nun können wir auch an die Benennung der beiden anderen weiblichen Zuschauerinnen herantreten. Wenn wir in Aidos die Per- sonifikation eines abstrakten Begriffs gefunden haben, wie solche nach dem früher Bemerkten auf antiken Bildwerken ungemein häufig, dem antiken Beschauer daher ohne weiteres verständlich, für den modernen aber, wo die Beischrift fehlt, schwer zu benennen sind, so werden wir auch in den beiden jugendlichen Frauengestalten solche Abstraktionen vermuten. Wir werden also das über die Schulter der Aidos herablugende Mädchen mit den — auf unserer Abbildung nicht erkennbaren, aber auf dem Original mit Bestimmtheit konstatierten — Jagdspeeren nicht für eine von Artemis' Jagdnymphen, sondern für die Personifikation von Hippolytos' Lieblings- beschäftigung, der Jagd, für die Kynegetike, erklären. Das andere Mädchen aber wird durch das Attribut des Pedums deutlich als die Personifikation des Hirtenlebens, die Poimenike, gekennzeichnet. Man wende nicht ein, daß nach den angeführten Versen kein Hirt die heilige Wiese betreten darf. Diese Verse sollen ja gar nicht illustriert werden, sie gaben nur die Anregung, die der Künstler selbständig weiterspinnt, und konnte er eine Waldwiese besser andeuten als durch die Gestalten der Kynegetike und der Poimenike ? Es braucht kaum gesagt zu werden, daß auch für das Verständnis von Details die Kenntnis anderer Bildwerke von großer Wichtigkeit sein kann und daß in solchen Fällen die verglichenen Bildwerke keineswegs Repliken zu sein brauchen. Auf der einen der oben be- sprochenen Anakreon- Vasen, der des Gales (Abb. 71), sollen, so hat man geglaubt, die beiden Jüng- linge den Dichter ziemlich derb necken. Die Vergleichung anderer Komosdarstellungen , die teilweise auch schon von dem Herausgeber heran- gezogen, aber nicht ganz richtig verwertet wor- den sind, lehren etwa ganz anderes. Der Ko- mast mit dem Skyphos auf der Linken, den er angeblich dem Anakreon zum Hohn, obgleich dieser Abb. 181. keine Hand frei hat, hinreicht, während er in 230 Deuten aus andern Bildwerken Abb. 182. der Rechten einen Stock hält, kehrt sehr ähnlich auf dem Innenbild einer Schale wieder, die Paul Hartwig für eine Jugendarbeit des Euphronios er- klärt (Abb. 181). Hier sieht man, daß der Ephebe den vollen Skyphos auf der linken Hand balanciert, während er den Stock in der anderen Hand dazu benutzt, sich im Gleichgewicht zu halten. Das ist ein beliebtes Komos- kunststück, das auf Vasen recht oft dargestellt wird. Auf einer Schale des Hieron (Abb. 182) führt es der Ephebe links mit einem großen Kantharos aus. Und hier finden wir auch die Pa- rallelfigur zu dem Epheben, der auf der Vase des Gales mit geschwungenem Stock vor Anakreon herschreitet. Er hat hier seinen Platz hinter einem Zither Spieler, der aber augenblicklich sein Instrument nicht rührt, weil die ihm folgende Flötenspielerin an der Reihe ist Musik zu machen. Und nun wird man doch wissen, was der er- hobene Stock bedeutet ? Die Komasten schlagen damit in etwas ungefüger Weise den Takt, vgl. auch Abb. 182 a. Oder ein anderes Beispiel. Auf einer rotfigurigen Trinkschale ist dargestellt, wie Theseus die schlafende Ariadne verläßt (Abb. 183). Hermes, der ihm dies im Auftrag des Zeus befohlen hat, weist ihm mit vorgestrecktem Arm Abb. 182 a. Taktschlagen. Sandalen 231 den Weg. Dionysos, Ariadnes neuer Gemahl, kündet seine nahe Ankunft durch einen Weinstock mit prachtvollen Trauben, den er über der Schlum- mernden aufsprießen läßt, und durch eine Halskette an, die ihr Eros über- bringt. Theseus beugt sich nieder, um mit der rechten Hand seine Sandale vom Boden aufzuheben, aber das scheinbare Stäbchen, das er in der linken hält, hat dem ersten Herausgeber vieles Kopfzerbrechen gemacht, obgleich seine Bedeutung eigentlich leicht zu erraten gewesen wäre. Wir wählen aber doch lieber den sicheren Weg der Vergleichung. Was hängt auf dem Abb. 184 wiedergegebenen Vasenbild neben der geschlossenen Schlafzimmertür einer athenischen Bürgersfrau, auf die eine Sklavin, sich nach einer säumigen Kollegin umschauend, zueilt, an der Wand? Eine San- dale, deren Sohle dem Beschauer zu- gekehrt ist. Und daneben? Ebensol- ches Stäbchen, wie es Theseus in der Linken hält, aber hier setzt rechts an dieses Stäbchen Riemenwerk an. Kein Zweifel, es ist die andere Sandale, die von der Seite gesehen wird, so daß die Sohle wie ein Stäbchen erscheint. Auch auf der Ariadnevase war dies Abb. 184. Riemenwerk mit Purpurrot auf den Firnis gemalt; da aber die Farbe ver- blaßt ist, hat der moderne Zeichner dies Detail übersehen. Der Archäolog aber muß wissen, daß es im fünften Jahrhundert feste Praxis der Vasen- 232 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort maier ist, ausgezogene Schuhe so zu zeichnen, daß der eine in Ober- oder Unteransicht, der andere in Seitenansicht erscheint und, da die Perspek- tive noch nicht ausgebildet ist, das Ansehn eines Stäbchens erhält. Einer der bedeutendsten lebenden Philologen hat kürzlich gegen die Ansicht von Otto Jahn, daß erst Apuleius das Märchen von Eros und Psyche er- funden oder richtiger einen weitverbreiteten Märchenstoff auf diese alle- gorisch gemeinten Figuren übertragen habe, eine Gruppe von Terrakotten ins Feld geführt, die neben diesem bald schlummernden, bald sich in auf- rechter Stellung liebkosenden Paar eine Laterne zeigen. Das sei, so meint er, die Laterne, mit der Psyche trotz des Verbots die Züge des schlummern- den Eros beleuchten werde, und da ihm seine archäologischen Gewährs- männer versicherten, daß diese Terrakotten älter seien als die Zeit des Apuleius, glaubte er damit Jahns Meinung widerlegt. Was ihm aber seine archäologischen Gewährsmänner verschwiegen haben, ist, daß die Laterne in der römischen Kaiserzeit gar kein so seltenes Attribut des Eros ist. So trägt z. B. auf einem Sarkophag im Vatikan (Abb. 185), wo die Eroten bakchischen Thiasos spielen oder parodieren (das Wort im antiken Sinn ohne komischen Beigeschmack verstanden), der dritte Eros die Laterne in der Rechten. Es ist die Laterne, die dem zu seinem Schätzchen schleichenden Lieb- haber seinen nächtlichen Pfad erhellt, und so gehört auch bei den Terrakottengruppen die Laterne nicht der Psyche, sondern dem Eros. Und beide repräsentieren hier ebenso ein beliebiges Liebespaar unter der Maske von Eros und Psyche, wie wir auf pompejanischen Wänden und auf Sar- kophagen Eroten als Krieger, Jäger, Wettfahrer, Schmiede, Goldarbeiter, kurz unter jeder beliebigen Gestalt finden. Gegen Jahns Ansicht besagen also diese Terrakotten nicht das geringste. »Qui unum monumentum videt, nullum videt. « Abb. 185. DEUTEN AUS AUFSTELLUNG, UMGEBUNG, PEN- DANTS, FUNDORT. Dies ist ein höchst gefährliches Experiment, das zwar gelegentlich einmal glücken kann, aber zum Prinzip erhoben direkt gemeingefährlich wirkt. Beginnen wir mit der Aufstellung. Wenn wir oben gesagt haben, daß Kult- und Votivstatuen schon durch ihren Ort, den Tempel und seinen Bezirk, genügend kenntlich gemacht seien, so bedarf selbst dieser Satz insofern Tempelskulpturen 233 einer gewissen Einschränkung, als in einem Tempelbezirk auch andere Götterbilder als das des göttlichen Besitzers aufgestellt werden können. Und nun gar bei den dekorativen Tempelskulpturen ist die höchste Vorsicht geboten. Der einst weitverbreitete Wahn, als ob sie stets eine Beziehung auf die in dem Tempel verehrte Gottheit haben müßten, ist durch die Tat- sachen gründlich widerlegt. Wenn man früher den Tempel der Aphaia mit großer Zuversicht der Athene zugeschrieben hat, weil das Bild dieser Göttin in beiden Giebeln die Mitte einnimmt, so ward diese Zuversicht durch Furtwänglers Ausgrabungen, die den Namen der wahren Besitzerin festgestellt haben, schmählich vernichtet. Und mögen die Schlachtszenen, die Athene hier überwacht, trojanische sein oder andere, mit der artemis- haften Aphaia können sie auf keinen Fall etwas zu tun haben. Den Namen des sog. Theseions hat man sich vergeblich aus seinen Skulpturen zu er- mitteln bemüht; heute wissen wir, daß es weder dem Herakles noch dem Theseus gehört haben kann, obgleich deren Taten die Metopen schmücken und überdies des Theseus Kentaurenkampf den Westfries. Am Fries von Phigaleia ist zwar der Kentaurenkampf zu dem Herrn des Tempels, dem Apollon Epikurios, dadurch in Beziehung gebracht, daß er mit seiner Schwester auf einem Hirschgespann den Lapithen zu Hilfe kommt; aber was hat die Amazonenschlacht des Herakles mit Apollon zu tun? Am Zeustempel zu Olympia verherrlichen freilich die Metopen den vornehmsten Heros der Kultstätte, den Herakles; aber die modernen Versuche, die An- bringung des Kentaurenkampfs im Westgiebel aus Kultbeziehungen zu er- klären, sind geradeso kläglich gescheitert wie der des Pausanias, 'der sie dadurch motivieren will, daß Peirithoos der Sohn des Zeus und Theseus der Urenkel des Pelops sei. Freilich, der Ostgiebel würde zu der Lokalsage von Olympia in engster Beziehung stehen, wenn ihn Pausanias richtig auf die Wettfahrt des Pelops und des Oinomaos gedeutet hätte. Aber wir werden unten in anderem Zusammenhang sehen, daß" diese Deutung schweren Bedenken unterliegt. Gestehen wir es uns also doch ehrlich ein, daß der Gott und sein Mythos für die Wahl der zum Tempelschmuck bestimmten Szenen bis über die Mitte des fünften Jahrhunderts hinaus nur ausnahms- weise maßgebend war, daß das rein künstlerische Interesse überwog, und daß die Vorliebe für den Kentaurenkampf sich aus Polygnots berühmtem Bilde erklärt, dessen Motive die Bildhauer immer und immer wieder für sich verwerteten. Nur der Parthenon nimmt eine Ausnahmestellung ein. Hier finden wir im Ostgiebel Athenes Geburt, im Westgiebel ihren Streit 234 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort mit Poseidon, in den Metopen Gigantomachie, Kentaurenkampf, Amazonen- schlacht und Iliupersis, eine Zusammenstellung, die größtenteils durch Po- lygnot beeinflußt ist, der in dem Theseion, d. h. dem wirklichen, Amazonen- kampf und Kentaurenkampf, in der bunten Halle Amazonenkampf und Iliupersis zusammengestellt hatte, denen dann am Parthenon die Giganten- schlacht, an der Athene einen so glänzenden Anteil nahm, als göttliches Vorbild für diese Heroenkämpfe angereiht oder vielmehr vorangestellt wurde. Denn was wir eben für den äußeren Tempelschmuck festgestellt haben, gilt keineswegs auch für die Gemälde im Innern der Tempel. Hier finden wir, wenigstens bei den von Polygnot ausgemalten, nicht nur eine enge Beziehung auf den Besitzer des Heiligtums, sondern auch einen Zu- sammenhang der Bilder untereinander. Im Anakeion die Haupttaten der Dioskuren, Argofahrt und Raub der Leukippiden, im Theseion Theseus in den drei Hauptstadien seines Lebens, als Knabe auf dem Meeresgrund bei seinem göttlichen Vater Poseidon, als Jüngling seinem Freund Peirithoos beim Kampf mit den Kentauren beistehend, als Mann und König die in Attika eingefallenen Amazonen zurückschlagend. Bei der Ausschmückung des aus der Perserbeute erbauten Tempels der Athene Areia in Plataiai war die Beziehung auf die Schlacht von Plataiai für den Gegenstand der Bilder, Untergang der Sieben vor Theben und Freiermord des Odysseus, maßgebend. Welcker hat den zugrunde liegenden symbolischen Gedanken sehr schön so formuliert: »Vor Theben ging das ganze angreifende Heer unter, und Odysseus unterdrückte die Feinde im eigenen Haus, wie die Hellenen bei Platää die in das Heiligtum eingedrungenen und auf' ihrem Boden frech sich festsetzenden Perser. Den beiden Niederlagen solcher, die rechtmäßigen Besitz gewaltsam und übermütig an sich zu reißen trach- teten, wird der Untergang der Perser verglichen, und Pallas ist^s, welcher, wie' der Sieg überhaupt, auch diese neueste Thebais und Freiermord ver- dankt wird. « Auch wo es galt, Profangebäude auszumalen, wenn man bei den Griechen, die alles unter den Schutz der Gottheit stellten, überhaupt von solchen sprechen darf, war Polygnot auf den Zusammenhang der Bilder unter sich und ihre symbolische Bedeutung sorgfältig bedacht. Am inter- essantesten ist in dieser Beziehung sein Bilderzyklus in der bunten Halle. Hier waren zwei historische Schlachten der jüngsten Vergangenheit, die bei Marathon und die bei Oinoa, mit zwei mythischen Kriegen, dem Ama- zonenkampf und der Iliupersis, zusammengestellt. Die beiden historischen Schlachten bildeten auch insofern einen Kontrast, als die eine gegen Bar- Bilderzyklen 235 baren, die andere gegen Hellenen, die Spartaner, im Bunde mit Argos ausgefochten worden war; jene ward auf attischem Boden, diese auf pelo- ponnesischem, also in der Fremde geschlagen, und so spielt auch von den mythischen Kämpfen der eine, die Amazonenschlacht, in Attika, der andere, die Iliupersis, in der Fremde, in der Troas. Bei Marathon und gegen die Ama- zonen kämpfen die Athener allein, bei Oinoa und vor Troja im Bunde mit Argos, und die Amazonenschlacht ist das mythische Gegenstück zu Marathon. Ein solcher Reichtum an Pointen, wie wir ihn bisher nur bei der Götter- gruppe des Parthenonfrieses gefunden haben. Bei den Bildern in der Lesche der Knidier zu Delphi, Trojas Zerstörung und Odysseus im Schattenreich, ist der Zusammenhang klar, sind aber die Beziehungen auf die Stifter und die pythische Lokalsage so zahlreich, daß wir hier darauf nicht näher ein- gehen können. Wir konstatieren also : in der Wandmalerei tritt die Beziehung auf den Ort der Anbringung früher zutage als bei der Tempelskulptur. Liegt es daran, daß der Schmuck der Innenwände für das Auge in engere Verbindung mit dem Kultbild tritt als der der Außenseite ? Oder hat auch in dieser Hinsicht Polygnot der Kunst neue Wege gewiesen? Wir wissen es nicht, da wir über die Wandmalerei vor Polygnot fast gänzlich ununterrichtet sind. Denn wenn neuerdings der iVthener Mikon nicht mehr für den Gehilfen und Schüler Polygnots, sondern für einen älteren Meister gilt, dem der Thasier viel, sehr viel zu verdanken habe, so ist das eine der Seifenblasen, die von Zeit zu Zeit in der Archäologie — es scheint beinah nach einem bestimmten Naturgesetz — fliegen gelassen werden, um so größeren Beifall finden, je weniger sie bewiesen oder beweisbar sind, und nach kurzem Schillern zer- platzen, wobei sich die Düpierten meist mehr schämen als der Knabe, der sie geblasen hat. Zu denken aber gibt es doch, daß die Gemälde auf den Schranken des Zeus von Olympia weder untereinander in Zusammenhang noch zu dem Gotte in irgendwelcher näheren Beziehung stehen. Wir Modernen gewöhnen uns ja schwer an die Vorstellung, daß in der ältesten griechischen Kunst die Figurenreihen keinen höheren Wert als die Ornament- streifen und die mythischen Szenen keinen höheren als ein exotisches oder ein Fabeltier hatten. Und doch ist dem so. Auf dem Deckel der korinthischen, Vase, die nach dem englischen Reisenden Dodwell benannt ist (Abb. 186), stehen als völlig gleichwertig nebeneinander zwei um einen Wasservogel antithetisch gruppierte Sphinxe, eine Eberjagd und eine Abschiedsszene, die letzten beiden, die miteinander gar nichts zu tun haben, gleichfalls 236 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort durch einen Wasser vogel getrennt, so daß sie den Sphinxen beinah gleich- wertig erscheinen. Am Architrav des Tempels von Assos wechseln mythische Szenen mit Sphinxen und Tierkämpfen in bunter Reihenfolge ab. Aber auch wenn die Tiere ihren besonderen Streifen erhalten oder ganz weggelassen sind, wird Szene auf Szene regellos aneinander gereiht. So war es auf Abb. 186. den Bronzereliefs, die die Wände des Tempels der Athene Chalkioikos in Sparta und das Gewand des Kultbildes schmückten, so auf den Marmorreliefs des amykläischen Throns und den Holzreliefs des Kypseloskastens, wo nur die Vermählung des Iason mit der Medeia in Gegenwart Aphrodites, Apol- lons und der Musen als Hauptszene hervorgehoben war. So können wir es noch' heute an der Francoisvase sehen. Das will jetzt vielen nicht in den Sinn. Sind auch die Zeiten vorüber, wo man die chronologische Ungeheuerlichkeit beging, in ihren Bildern eine Illustration zu des Em- Bunte Szenenreihung 237 pedokles Lehre von Haß und Liebe zu finden, so gibt es doch auch jetzt noch sinnige Gemüter, die nach einem tieferen Zusammenhang dieser teils pathetischen teils lustigen Szenen suchen. Ja, als der künstlerisch und kunst- historisch gleich wertvolle Giebel von Korkyra uns nebenher noch die un- schätzbare Aufklärung brachte, daß auch die ältesten Giebelkompositionen nicht einheitlich waren, sondern wahllos Szene an Szene reihten, Menelaos und Helena und Gigantenkampf, so daß sie wirken wie Metopen, zwischen denen die Triglyphen fortgelassen sind, da gab es doch noch Verstockte, die, unfähig umzulernen, sich der erkannten Wahrheit verschlossen und von einem Kampf der alten und der neuen Götterwelt träumten. Und unter dem Banne dieses Vorurteils konnte es geschehen, daß das große Pu- blikum jetzt von dem Gorgotempel auf Korkyra spricht, obgleich Artemis als Herrin des Heiligtums urkundlich feststeht, und als ob Gorgo je einen Kult gehabt haben könnte. Oder will man sich auch zu solcher Annahme entschließen, die hart an eine religionsgeschichtliche Fälschung streift? Es wäre also ein schwerer methodischer Fehler, eine unverständliche mytho- logische Szene aus einer ihr benachbarten verständlichen unter der Vor- aussetzung deuten zu wollen, daß zwischen beiden inhaltlich ein Zusammen- hang bestehen müsse. Und doch gibt es Fälle, wo solche Deutung aus der Nachbarschaft möglich und erfolgreich ist. Indem die Künstler die ihnen zur Verfügung stehenden Typen bunt und wahllos sich folgen lassen, kann es geschehen, daß zwei benachbarte Szenen aneinander haften bleiben und eine Art Ehe miteinander eingehen, obgleich sie inhaltlich nichts miteinander gemein haben. So finden wir öfters die kalydonische Jagd und die Tötung des Minotauros miteinander verbunden. Hierfür kann unmöglich maß- gebend gewesen sein, daß Theseus später unter den kalydonischen Jägern erscheint. Denn wie gesagt geschieht das erst später, auf den Bild- werken erst seit dem fünften Jahrhundert, und somit fehlt er gerade da, wo der Jagd der Kampf mit dem Minotauros gegenübergestellt wird. Vielmehr beruht die Verbindung dieser beiden Szenen lediglich auf Gewohn- heit, auf einer Art von bildlicher Tradition. Diese bildliche Tradition kann nun für die Hermeneutik äußerst wichtig werden. Nur mit ihrer Hilfe ist es Loeschcke gelungen, auch die zweite Darstellung auf der spartanischen Stele zu deuten (Abb. 187). Wieder stehen sich hier ein Mann und eine Frau gegenüber; er legt den linken Arm um ihren Nacken, sie erhebt den rechten Arm zu seinem Haupt. Den Gegenstand in der linken Hand hatte der erste Herausgeber für eine Harpe gehalten, mit der der Mann die Frau 238 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort bedrohe. Später erkannte man, daß dieser links gebrochene Gegenstand eine Art von Reifen ist, der von beiden Figuren gehalten wird. Nun verfuhr man nach der Methode, von deren Verkehrtheit wir eben gesprochen haben. Man suchte nach einem inhaltlichen Zusammen- hang mit der Darstellung auf der anderen Seite. Wer dort die Ermordung der Eriphyle sah, wollte hier wiederum Eriphyle erkennen, wie sie von Poly- neikes durch das Halsband der Harmonia bestochen wird. An sich nicht übel; nur begreift man nicht, wie der Sohn des Oidipus sich bei dieser Gelegen- heit erlauben kann, die Gattin des Amphiaraos zu umarmen. Wer die Szene der anderen Seite auf den Tod der Klytaimestra deutete, glaubte hier die Wiedererkennungsszene zwischen Orestes und Elek- tra zu erkennen. Den Kranz — als solcher wurde der Reifen aufgefaßt — sollte Elektra ihrem Bruder reichen, um im voraus das Gelingen seiner Tat anzudeuten. Ist dies schon ein äußerst bedenklicher Einfall, so wird die Unmöglichkeit der Deutung auch für den Blödesten dadurch erwiesen, daß die beiden Männer ganz verschiedene Haar- und Barttracht haben, also nach dem feststehenden Sprachgebrauch der antiken Kunst nicht dieselbe Person vorstellen können. Einen ganz anderen Weg schlug Loeschcke ein. Die Szene, wie Menelaos Helena be- droht, war -ganz in demselben Typus wie auf der Stele auch auf dem Kypselos- kasten dargestellt. »Menelaos im Panzer geht mit dem Schwert auf Helena los, um sie zu töten, « berichtet Pausanias. Die Nachbarszene aber zeigte nach demselben Schriftsteller : »Einen Mann im Chiton mit'einer Trinkschale in der Rechten und einem Halsband in der Linken; nach beiden greift Alk- mene. Das bezieht sich« , fügt er erklärend hinzu, »auf die Erzählung der Hellenen, daß Zeus der Alkmene unter der Gestalt des Amphitryon beige- wohnt habe.« Die kleine Abweichung, daß auf der Stele das Halsband das einzige Geschenk des Zeus ist, will so wenig besagen, wie daß in der anderen Szene Menelaos keinen Panzer, sondern den Chiton trägt. Nachdem uns aber durch Loeschcke die Augen geöffnet worden sind, werden wir gewahr, daß der Künstler den Vorgang, wenigstens für seine Zeitgenossen, vortrefflich zu charakterisieren gewußt hat. Alkmene trägt keinen Mantel; sie befindet sich also im Innern des Hauses, in ihrem Schlafgemach. Zeus trägt, im Gegensatz zu Menelaos, gestutztes Haar, das mit einer Binde geschmückt Szenenverkoppelung und Szenenzyklen 239 ist; scheinbar ist er bartlos, aber der Kontur des Kinns läßt darauf schließen, daß er mit jenem kurzen Bart dargestellt sein soll, der, wie oben bemerkt, die zarte Jugend, den keimenden Flaum, bezeichnet; und ganz gewiß hat hier die Bemalung der Plastik nachgeholfen. Er ist als der elegante Stutzer oder, sagen wir lieber gleich, als der junge Ehemann Amphitryon gekenn- zeichnet, der höchst seltene, ja vielleicht der einzige Fall, wo die Verwand- lung eines Gottes in einen Menschen im Bilde ausgedrückt ist. Ganz anders liegt die Sache bei kyklischen Szenenfolgen; hier läßt sich selbstverständlich eine Szene aus der anderen deuten; aber hier wird man auch äußerst selten in die Lage kommen, über die Bedeutung einer Szene im unklaren zu sein. In der schwarzfigurigen Vasenmalerei tritt diese kyklische Zusammenstellung noch sehr bescheiden auf, zunächst so, daß Vorder- und Rückseite zueinander in Beziehung treten. Ein Beispiel hier- für haben wir oben auf der Amphora mit dem Ölhandel kennen gelernt (Abb. 90. 91). Behebt wird sie dann im strengen rotfigurigen Vasenstil, wo namentlich bei Trinkschalen gern nicht nur die beiden Außenbilder zuein- ander (s. Abb. 159. 160). sondern auch zu dem Innenbild in Beziehung gesetzt werden, z. B. außen Troilos von Achill ereilt und die sich rüstenden Trojaner, innen Schlachtung des Troilos, außen Streit zwischen Aias und Odysseus um die Waffen Achills und die Abstimmung der Achäer (Abb. 101), innen Odysseus giebt die Waffen an Neoptolemos zurück. Und hier treffen wir auch zum ersten und einzigen Mal in der ganzen Geschichte der Vasen- malerei auf den Fall, daß zwei oder drei zeitlich auseinander fallende Szenen auf derselben Seite des Gefäßes zusammengestellt sind, also auch dieselbe Per- son zwei- oder dreimal dargestellt ist. Diese Ausnahme wird zugunsten der Theseustaten gemacht, die sich in der Peisistratidenzeit großer Beliebtheit erfreuen und damals zu einem Kyklos zusammengefaßt werden; so finden wir denn bei Euphronios auf dem einen Außenbild die Abenteuer mit Skiron und Prokrustes, auf dem anderen die mit Kerkyon und dem Marathonischen Stier, im Innenbild Theseus auf dem Meeresgrund bei seiner göttlichen Stiefmutter Amphitrite. Oder die Abenteuer mit Skiron, Kerkyon und dem Stier auf der einen, mit Sinis, Minotauros und Prokrustes auf der anderen Seite. Hier wird das Verfahren der Buchillustration anachronistisch vor- weggenommen, und wie dort ist man sorgfältig beflissen, die Identität des Helden dadurch deutlich zu machen, daß er stets in derselben Tracht er- scheint. Aber dieser Zusammenhang zwischen den Bildern desselben Gefäßes ist keineswegs ein unverbrüchliches Gesetz. Die freie Aneinanderreihung 240 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort bleibt daneben in voller Kraft. Auf einer andern Trinkschale aus der Fabrik des Euphronios zeigt das eine Außenbild Herakles mit dem Erymanthischen Eber, das andere einen Vorgang auf dem trojanischen Schlachtfeld, das Innenbild eine Hetärenszene; auf einem Krater aus derselben Fabrik ist des Herakles Ringkampf mit Antaios zusammengestellt mit einem Flöten- konzert. Gerade diese Verbindung von Genre und Mythos ist neben den kyklischen Bildern zu jener Zeit außerordentlich beliebt, und es ist nicht nur ein müßiges, sondern ein geradezu verderbliches Spiel des Scharfsinnes, wenn man einen mystischen Gedankenzusammenhang zwischen Eurystheus im Faß und der sich entkleidenden Hetäre zu finden sich bemüht. Das sind Nebenpfade der Interpretation, vor denen gerade der Anfänger sich nicht ängstlich genug hüten kann. Wie wenig das kyklische System im fünften Jahrhundert zu ausschließlicher Herrschaft gelangt, zeigt der Relief- schmuck des Heroons von Gjölbaschi, wo Darstellungen aus den verschie- densten Sagenkreisen bunt aneinander gereiht sind, rein aus Freude am Mythos und seiner künstlerischen Wiedergabe — wenn man so will, wie in einem plastischen Bilderbuch. Damit soll jedoch nicht bestritten werden, daß in einzelnen Ausnahme- fällen auch aus den Nachbarszenen die richtige Deutung gefunden werden Abb. 18S. kann, auch wo es sich nicht um eine Verkuppelung handelt, die auf bild- licher Tradition beruht, wie auf der spartanischen Stele. Die beiden Bei- spiele, an denen ich dies zeigen will, kann man in bedingtem Sinn auch zu den kyklischen Kompositionen rechnen, aber allerdings nur in recht be- dingtem. Das eine wähle ich aus der archaisch-griechischen, das andere aus der späteren römischen Kunst. Wir haben oben gelegentlich erwähnt, daß Der Architrav von Assos 241 » uiwni II in ■■ ■ «■,»,■ *«$ AV.DIVS a auf dem Architrav von Assos zwischen Tiergruppen und Tierkämpfen auch mythische Szenen eingestreut sind. Es sind deren drei : Herakles mit dem Triton ringend und im Kampf mit den Kentauren. Nun finden wir aber plötzlich ein Trinkgelage (Abb. 188). Da nun eine Genreszene an dieser Stelle vollkommen aus- geschlossen ist, muß es sich auch bei diesem Gelage um einen my- thischen Vorgang handeln, und da die beiden anderen Szenen dem Heraklesmythos entnom- men sind, gebietet die Logik, dasselbe auch für die dritte an- zunehmen. Also haben wir hier das für Herakles so verhängnis- volle Gastmahl bei Eurytos von Oichalia vor uns, obgleich Iole fehlt. Die Figur rechts ist Hera- kles, dem Eurytos eben eine Tänie reicht; dann folgen Iphi- tos und ein weiterer Sohn des Eurytos, etwa Toxeus. Das zweite Beispiel ist die Ära 'Casali, deren Reliefs ein die ar- chäologische Hermeneutik seit Jahrhunderten beschäftigendes Problem sind (Abb. 189 — 192). Auf der Vorderseite (Abb. 189) steht inmitten eines Eichkran- zes, der Corona civica, die Weih- inschrift: Ti. Claudius Faven- M tinus D. D. Unter dem Eich- 4 kränz liegen Ares und Aphrodite gefesselt auf ihrem Ruhelager. Auf die Schulter des beschämt das Haupt senkenden Ares legt ein Eros tröstend die Hand. Aphrodite blickt, die gefesselte Hand erhebend, Hilfe suchend nach oben. Ein hinter der Lehne des Bettes zum Vorschein kommender zweiter Eros macht genau dieselbe 16 EM ***; i.umtis.um* ■; 242 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort Gebärde. In den oberen Zwickeln über dem Kranz sind der Sonnengott und Hephaistos angebracht. Hephaistos, im Pilos und Exomis, mit der Zange in der Linken, blickt befriedigt auf sein Werk herab; Helios, der ihm den Ehebruch seiner Gattin ver- raten hat, ist auf seinem Vier- gespann dahinfahrend darge- stellt. Wir haben also eine Illu- stration des Demodokosliedes aus der Odyssee vor uns. Ohne weiteres verständlich sind fer- ner die Bilder der Rückseite (Abb. 190). Hier wird in vier Szenen, die streifenförmig über- einander gestellt sind, die Ge- schichte von der Erzeugung und Geburt des Romulus und Remus erzählt. Im oberen Streifen schleicht Mars zu der schlafenden Rhea Silvia heran, über der sich ein Feigenbaum, die Ficus ruminalis, erhebt. Der Flußgott Tiber beobachtet den Vorgang, indem er die rechte Hand auf die Brust legt. Hier ist also der Beischlaf des Gottes mit der Vestalin von Alba longa auf den Palatin ver- legt, eine künstlerische Kühn- heit, die über alles, was wir früher von freien Lokalisierun- gen kennen gelernt haben, weit hinausgeht. Zwar die Ficus ruminalis könnte man sich zur Wenn sie die römische Legende vom Palatin auf das Comitium versetzt werden läßt, warum nicht auch von Alba longa? Aber der Tiber beweist unwiderleglich, daß wir uns an der Stelle des späteren Roms befinden. Ebendort befinden wir uns auch in Abb. iqo. Not auch in Alba longa denken. Die Ära Casali 243 der zweiten Szene, wie abermals der hier die linke Ecke einnehmende Tiber beweist. Rhea Silvia reicht, auf einem Felsen sitzend, den Zwillingen die Brust. Vor ihr stehen zwei Abgesandte des Amulius, die ihr die Kinder abverlangen. Die Mutter wendet den Kopf hilfesuchend zu dem Mars der ersten Szene empor, eine Bezugnahme auf eine frühere Si- tuation, wie sie sich auf römischen Bildwerken bisweilen findet und die zu den absichtlichen Verstößen gegen die zeitliche Einheit gehört, von denen wir oben ausführlich gehandelt haben. Auch in der dritten Szene ist der Tiber gegen- wärtig, diesmal wieder am rechten Ende, wie im oberen Streifen, aber nicht aufrecht sitzend wie dort, sondern bequem gelagert. Der Bildhauer war ersichtlich bemüht, Abwechslung in seine Darstellung zu bringen. In gleicher Höhe mit dem Tiber lagert in der Mitte der Berggott Palatinus, zuerst von Brunn richtig benannt. Unterhalb des Tiber haben die Diener des Amulius eben die Zwillinge aus- gesetzt. Links aber steht über die Ausgesetzten wachend ihr gött- licher Vater in voller Rüstung, mit der Linken ein Tropäum schul- ternd, in der Rechten die gezückte Lanze, also als Mars gradivus charakterisiert. Im untersten Strei- fen endlich steht in einer Höhle die Wölfin, aus deren Zitzen Romulus und Remus trinken, umgeben von den beiden Hirten, die die Zwillinge finden. Die Nebenseiten (Abb. 191. 192) sind nur in drei Streifen eingeteilt; aber nur einer dieser Streifen enthält ein Bild, das auf den ersten Blick verständ- 16* 191, 244 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort lieh ist, der obere der rechten Nebenseite (Abb. 191). Hier ist das Paris- urteil mit solcher Deutlichkeit dargestellt , daß wir von einer Beschreibung und Besprechung absehen können. Das Problem dreht sich also um die fünf übrigen Streifen. Bleiben wir zu- nächst bei der linken Nebenseite. Unter dem Parisurteil finden wir einen Zweikampf um einen Gefalle- nen. Der eine der beiden Kämpfer wird durch den Kopftypus, die Bar- häuptigkeit, die zwischen seinen Füßen sichtbar werdende Keule und die hinter ihm stehende Athene als Herakles bestimmt. Auch der un- terste Streifen zeigt einen Zwei- kampf; aber diese Szene enthält nur zwei Figuren, einen Krieger auf einem Viergespann, der gegen einen Fußkämpfer anstürmt. Die linke Nebenseite (Abb. 192) zeigt in ihrem oberen Streifen zwei hintereinander herfahrende Viergespanne. Auf dem ersten steht ein Wagenlenker, dessen Mantel im Wind hoch em- porflattert. Auch auf dem zweiten . erblickt man einen Wagenlenker ; aber hinter ihm stürzt ein gepanzer- ter Mann aus dem Wagen heraus. Über diesem kommt aus einem Torbogen eine Frau mit gelöstem Haar und gesenktem rechtem Arm heraus. Unter dem Torbogen wer- den in flachstem Relief, zu beiden Seiten des Kopfes der eben be- schriebenen Frau, zwei voneinander abgekehrte Köpfe sichtbar. Die beiden anderen Streifen enthalten eine einheitliche Darstellung, einen Opferzug, der im unteren Streifen beginnt. Voran schreitet der Tubabläser. Es folgt ein von einem bärtigen Mann geführter Opferstier, neben dem zwei ver- Abb. 19». Die Ära Casali - 245 hüllte Personen einherschreiten. Hieran schließt sich im mittleren Streifen ein zweiter Opferstier, der gleichfalls von einem bärtigen Mann geführt wird. Den Schluß bilden zwei Jünglinge, jeder mit einem Pferd, das er am Zügel führt. Es leuchtet ein, daß für die Auswahl dieser Szenen ein bestimmter Grund-, gedanke maßgebend gewesen ist, daß hier von einem wahllosen Aneinander- reihen, wie wir es früher oft gefunden haben, nicht die Rede sein kann. Das ist sowohl durch die Bestimmung des Monuments als durch den Geist .der Epoche, in der es gearbeitet ist, ausgeschlossen. Diesen Grundgedanken gilt es zu ermitteln, und es entspricht der Aufgabe dieses Buches, wenn wir uns da zunächst mit der Auffassung beschäftigen, die lange Zeit in dog- matischer Geltung stand und auch jetzt noch Vertreter findet. Sie lautet, wenn wir von ihren verschiedenen Brechungen absehen, in der Hauptsache so: Venus und Mars als zwei der bedeutendsten Götter Roms in einem Abenteuer vereinigt auf der Vorderseite, Roms Ursprung auf der Rück- seite, troische Sagen als dessen Vorbereitung auf den Nebenflächen. Von dieser Voraussetzung sind nur die beiden ersten durch das Bildwerk gegeben ; die dritte ist zunächst eine reine Hypothese, die lediglich darauf beruht, daß der einzig ohne weiteres verständliche Streifen der Nebenflächen eine troische Sage, das Parisurteil, enthält. Aber folgt daraus, daß nun auch die fünf anderen Streifen troische Sagen enthalten müssen? Man hat dies geglaubt und den Zusammenhang mit Troja zum Maßstab der Richtigkeit der Deutung gemacht. Sehen wir zu, mit welchem Erfolge. Zunächst hat man die Heraklesszene auf dessen Kampf mit Laomedon gedeutet. Aller- dings hat man sich selbst dagegen einige Einwürfe gemacht, aber nicht die- jenigen, die, wie wir gleich sehen werden, diese Deutung unmöglich machen, sondern solche, die wegen ihres völligen Mangels an Methode als warnen- des Beispiel hier nicht fehlen dürfen. Erstens hat man gesagt, Laome- don sei kein Vorgänger Roms, womit man meinte, kein Ahnherr der Rhea Silvia , da Aineias nicht von Laomedon , sondern von dessen Oheim Assa- rakos abstamme und somit einer anderen Linie des Geschlechts des Tros an- gehöre. Er sei also »unpassend in Darstellungen römischer Sagengeschichte «. Ein Meisterstück von deplacierter Gelehrsamkeit. Zweitens, die Deutung widerspreche der Zeitfolge, da Laomedons Tod seinen Platz vor dem Paris- urteil haben müsse. Also zwei ganz willkürliche Voraussetzungen werden hier gemacht, erstens, daß jede Szene auf den Nebenseiten nicht nur dem troischen Sagenkreis angehören, sondern auch zu der Gründung Roms in 246 I'cuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort ndeiner, wenn auch noch so entfernten Beziehung stehen müsse. Zweitens, daß die Vorgänge in chronologischer Reihenfolge geordnet seien. Die Grundidee, die es noch zu suchen gilt, wird als gegeben angenommen. Daß der Vater dieser Einwürfe dann den Herakles für Telephos erklärt, der doch die Keule seines Vaters niemals führt, und die Szene auf dessen Kampf mit Thersandros deutet, sei als Kuriosum nur nebenbei angemerkt. Mit Recht hat man auf den eisten kindlichen Einwand kein Gewicht gelegt, aber den zweiten doch dadurch entkräften zu müssen geglaubt, daß man die supponierte Grundidee etwas modifizierte. Troische Szenen, ja, die sind obligatorisch, aber nicht solche, die zur Gründung Roms direkt in Be- ziehung stehen, sondern solche, die die Ursachen für Trojas Untergang sind. Denn Trojas Fall sei die Voraussetzung für die Flucht des Aineias und somit die Gründung Roms. Diese Ursachen für Ilions Untergang seien aber nicht nach der Chronologie, sondern nach ihrer Wichtigkeit geordnet. Die verhängnisvollste Begebenheit sei das Parisurteil, weil dadurch der Zorn der Hera und der Athene erregt worden sei. Also gebühre diesem der erste Platz; erst an zweiter Stelle komme der Wortbruch des Laomedon gegen Herakles, und aus diesem Grunde sei hier sein Tod angebracht. Man fragt verwundert : warum denn dieser ? warum nicht das Verbrechen selbst ? Denn durch den Tod des Laomedon wird dieses doch gesühnt, und über- haupt . was hat der Wortbruch Laomedons, sein Tod und die erste Zerstörung Trojas mit der Flucht des Aineias und der Gründung Roms zu tun? Auch das ist wieder deplacierte Gelehrsamkeit. Aber eine weitere Schwierigkeit hat man in der Benennung des Gefallenen gefunden. Man wollte in ihm Oikles, den Vater des Amphiaraos, sehen, -der nach einer Überlieferung, auf die wir gleich zurückkommen, beim Feldzug des Herakles gegen Troja seinen Tod findet, aber mit Recht dagegen eingewandt, daß, wie seine Lage deutlich ergebe, er nicht zur Partei des Herakles gehöre, sondern von dessen Hand gefallen sein müsse. Sehr richtig. Deshalb hat man ihn unbenannt gelassen und gemeint, dieser eine Tote solle die ganze Niederlage bezeichnen, die mit Laomedons Fall verbunden war. Aber der Augenschein lehrt doch, daß es sich beim Kampf des Herakles mit seinem Gegner gerade um diesen Toten handelt. Es ist ein später Ausläufer des griechischen Zweikampf- s< hemas, als dessen ältesten Vertreter wir den Euphorbosteller kennen gelernt haben (Abb. 156). Schon dies genügt, um die Deutung auf die Tötung des Laomedon zu widerlegen. Aber es gibt noch viel gewichtigere Gegen- gründc. Die Geschichte von Herakles' Feldzug gegen Troja ist — abgesehen Die Ära Casali 247 von der Befreiung der Hesione, die ihre Popularität dem Kallimachos ver- dankt — der Kunst und Poesie vollkommen fremd. Denn den Ostgiebel von Aigina wird heute niemand mehr damit in Verbindung bringen wollen. Das alte Epos, in dem sie erzählt war, ist sehr früh vergessen gewesen. Was wir bei den Mythographen darüber lesen, geht auf zwei Prosaquellen zu- rück, die die Geschichte in zwei verschiedenen Fassungen erzählen. Nach der einen schießt Herakles, als er durch eine Bresche in die Stadt eingedrungen ist, den Laomedon und seine Söhne bis auf Priamos mit seinen Pfeilen nieder. Nach der anderen teilt er seine Truppen. Die eine Hälfte läßt er unter Oikles' Oberbefehl bei der Flotte zurück, mit der anderen zieht er gegen die Stadt. Laomedon unternimmt mit eilig zusammengelesener Mann- schaft einen Handstreich auf die Schiffe, wobei Oikles seinen Tod findet. Darauf zieht er gegen die Stadt, trifft dort auf Herakles und die von ihm geführten Truppen und wird im Kampfgetümmel erschlagen. Von einem Zweikampf zwischen Herakles und Laomedon weiß keine dieser Überliefe- rungen etwas; von Oikles nur die zweite. Aber bei dessen Tod befindet sich Herakles an einer weitentfernten Stelle. Die Szene auf der Ära Casali stimmt zu keiner von diesen beiden Versionen, und sie trotzdem auf Laomedon und Herakles zu deuten, bliebe auch dann bare Willkür, wenn sie sich nicht sowohl aus anderen Bildwerken als aus der Literatur mit absoluter Sicher- heit deuten ließe und schon längst von Abeken gedeutet wäre. Wenn wir diesen Umstand nicht schon früher erwähnt haben, so geschah es, um an die so lange Zeit als kanonisch geltende Erklärung mit möglichster Un- befangenheit heranzutreten. Der einzige Zweikampf, den Herakles nicht mit Keule oder Bogen, sondern mit regulären Waffen, wie hier mit Schwert und Schild, besteht, ist der mit dem Aressohn Kyknos, und auf den zahl- reichen Bildwerken, die diesen darstellen, finden wir regelmäßig Athene an seiner Seite. Der Tote ist also Kyknos, um dessen Leiche sein Vater Ares mit Herakles kämpft, bis der Blitzstrahl des Zeus beide trennt. Wenn man diese evidente Deutung verworfen hat, so geschah es lediglich auf Grund der voreiligen Hypothese, daß auf den Nebenseiten nur Vorgänge aus dem trojanischen Mythenkreis dargestellt sein könnten. Denn daß auf der Replik dieser Szene, die sich auf einem Bronzebecher in Bonn (Abb. 193), und zwar gleichfalls in Verbindung mit der Geschichte der Rhea Silvia, findet, der Gegner des Herakles als Schildzeichen die Wölfin mit den Zwillingen führt, während doch des Ares Kampf mit Herakles viele Jahrhunderte früher fällt, wird hoffentlich heute niemand mehr einwenden und hätte niemals einge- 248 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort wandt werden sollen. Auf einem römischen Bildwerk könnte Ares selbst beim Gigantenkampf die Wölfin als Schildzeichen führen. ,_.;.-' Wir haben, wie wir sehen, zwei Parteien. Beide verlangen troische Szenen, aber die eine solche, die sich auf die Gründung Roms, die andere solche, die sich auf die Zer- störung Trojas beziehen. Man wird nun gespannt sein, wie sie sich mit den unteren Streifen abfinden, sogar hierin die Probe auf das Exempel sehen. Aber wir werden bitter enttäuscht. Die erste Partei deutet auf Aineias und Protesilaos, was absolut nicht paßt, da Prote- silaos schon bei der Landung ge- tötet wird, was doch irgendwie : angedeutet sein müßte. Vorsich- tiger ist man auf der anderen Seite. Man schlägt unter allem Vorbehalt den Zweikampf zwischen Patroklos und Sarpedon vor ; des Lykiers Tod werde einerseits als eine Niederlage Trojas beklagt und sei anderer- seits die »Veranlassung von Patro- klos' Tod und so mittelbar zur Rache Achills an Hektor « ; also nicht was wir sehen, sondern was sich aus ihm entwickeln wird, ent- spricht den von jenen Interpreten selbst eigenmächtig formulierten Bedingungen. Aber diese sind denn doch ehrlich und besonnen genug, um einzusehen, daß das nicht viel mehr als ein bloßes Raten ist, und kommen zu einem Resultat, das Die Ära Casali 249 allerdings nahe an Bankrotterklärung grenzt: bei dem Mangel einer be- stimmten Charakterisierung und schlagender Analogie müsse man auf eine bestimmte Deutung verzichten. Ob wirklich die Charakterisierung so mangelhaft ist und Analogien fehlen, wollen wir vorläufig dahingesi sein lassen, da uns ja das Bildwerk ein Beispiel dafür sein soll, wie man eine Darstellung aus ihrem Zusammenhang mit den Nachbarszenen erklären kann. Sonst würde ich schon hier die Behauptung wagen, daß ein geübter Interpret auch diese Szene, selbst wenn er sie isoliert fände, aus der Lite- ratur hätte deuten können. Aber besser ist's, wir verschieben die Deutung auf später und wenden uns jetzt zur linken Nebenseite. Der obere Streifen wird seit langen Jahren einmütig auf Hektors Schleifung bezogen, und in dieser Überzeugung hat man sich auch durch die vielen Sonderbarkeiten, die die Darstellung unter dieser Voraussetzung enthält, nicht irre machen lassen. Man muß sich nämlich dann zu dem Eingeständnis verstehen, daß Hektor nicht an den Wagen gebunden ist, sondern, wie man sich euphemistisch ausdrückt, von ihm herabhange. Es sieht aber in Wahr- heit ganz so aus, als ob die Figur aus dem Wagen herausstürze, also über- haupt nicht geschleift werde. Und während sowohl in der Ilias als auf allen Bildwerken, die diese Szene darstellen, der Leichnam des Hektor bei der Schleifung nackt ist, wäre er hier noch mit der Rüstung bekleidet, Achilleus aber, den man doch hier gerüstet sehen müßte, trüge das Wagenlenker- kostüm. Daß man neben Andromache, wie nun natürlich die Frau vor dem Torbogen zu benennen wäre, mindestens Astyanax, eigentlich auch Priamos, zu sehen erwarten müßte, mag noch hingehen; man kann ihr Fehlen durch Raummangel entschuldigen. Aber was soll man zu dem zweiten Wagen sagen, der vor dem des Achilleus hergaloppiert ? Hat sich der Pelide für die Schleifung seines Todfeindes einen Schrittmacher angenommen? So bringt man seine guten Augen und seine gesunde Vernunft dem Vorurteil zum Opfer, daß hier um jeden Preis eine Szene aus dem trojanischen Sagenkreis dargestellt sein müsse. Denn die richtige Deutung liegt auf der Hand, ist schon vor einem Jahrhundert ausgesprochen worden, "und wenn wir ihrer nicht schon bei der Beschreibung gedacht haben, so haben wir diese Zurückhaltung aus demselben Grunde geübt wie bei der Kyknosszene. Jeder, der einmal einen Pelops-Sarkophag gesehen hat, weiß, daß hier die Wettfahrt zwischen Pelops und Oinomaos, und zwar genau wie dort, unter den Formen eines römischen Wagenrennens dargestellt ist. Der siegreiche Pelops fährt. voran, Oinomaos stürzt eben aus seinem von Myrtilos gelenkten Wagen heraus; 250 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort er ist gerüstet, noch in Erinnerung an das alte Sagenmotiv, daß er den Pelops, wenn er ihn einholt, mit der Lanze töten wird. Hippodameia steht nicht wie in der alten Sage auf dem Wagen des Pelops, sondern sieht, wie immer auf römischen Bildwerken, dem Wagenrennen zu. Wen aber das alles noch nicht überzeugt, der achte doch einmal auf die beiden Köpfe unter dem Torbogen. Das sollen Dienerinnen der angeblichen Andromache sein? Aber sie sind doch unverkennbar männ- ~J 2 ji lieh. Und warum blicken sie nicht auf die Wagen, sondern stehen im Profil und sind voneinander abgewandt? Braucht man noch ein Wort darüber zu verlieren, daß es die abgeschnittenen Köpfe der früheren Freier der Hippodameia sind, die auch auf den Sar- kophagen stets an dieser Stelle erscheinen? Bedürfte es noch einer Bestätigung, so würde diese ein wenig beachtetes Terrakottarelief bringen, auf dem dieselbe Darstellung genau wiederholt ist und die abgeschnittenen Köpfe ganz deutlich sind (Abb. 194). Unter der Voraussetzung, daß dieser obere Streifen Hektors Schleifung darstellte, hat man die beiden unteren Streifen auf dessen Leichenfeier bezogen. Mit jener Deutung fällt auch diese, und wir haben kaum noch nötig, darauf hinzuweisen, daß von einem blutigen Opfer bei Hektors Bestattung weder die Ilias noch die sonstige mythische Überlieferung etwas weiß, daß keine der Personen als mythische charakterisiert ist, daß Stieropfer bei Leichenfeiern ungewöhnlich, wenn überhaupt beleg- bar sind, kurz, daß wir nichts anderes vor uns haben als einen römischen Opferzug. Rekapitulieren wir das bisher Erkannte: eine Szene aus dem troischen Sagenkreis, das Parisurteil, eine aus dem Heraklesmythos, seinen Kampf mit Kyknos, eine aus der Tantalidensage, Wettfahrt des Pelops und Oino- maos, die römische Stammsage, Erzeugung und Geburt von Romulus und Remus, endlich einen römischen Opferzug. Das ist eine bunte Reihe, und doch muß sie sich aus den oben dargelegten Gründen auf einen bestimmten Gesichtspunkt zurückführen lassen, und von diesem aus dürfen wir aucli darauf rechnen, die noch ungedeutete Kampfszene im untersten Streifen der rechten Nebenseite bestimmen zu können. Der Schlüssel muß in der Darstellung auf der Vorderseite liegen, zu der wir uns jetzt zurückwenden. Die Ära Casali 251 Freilich werden wir es dabei nicht machen wie jener, der (ich erzähle eine wahre Geschichte) dort für die Hauptfigur den Hephaistos hielt. Denn da zu dessen Handwerk auch das Schließen ,claudere' gehöre, so sei er als Schutz- patron der Claudii zu denken, welcher Gens der Stifter des Altars angehöre, und wenn er auch in der dargestellten Szene als Hahnrei keine beneidens- werte Rolle spiele, so sei diese doch insofern sehr glücklich gewählt, als er hier in der Kunst des Schließens ein Meisterstück abgelegt habe. Die Haupt- figuren sind ohne Zweifel Ares und Aphrodite, oder sagen wir lieber von nun an, da wir uns vornehmlich in römischen Vorstellungskreisen bewegen, Mars und Venus. Auf diese muß sich die Stiftung des Ti. Claudius Faventinus beziehen, also der Altar, wenn es wirklich ein solcher ist, diesem Götterpaar geweiht sein. Da aber dessen Namen in der Weihinschrift nicht genannt sind, was man auf einem Altar erwarten würde, auch die Form des Monu- ments für einen Altar nicht recht passend erscheint, so hat man es mit Recht für eine Basis erklärt, die bestimmt war, kleine Statuen des Mars und der Venus, vermutlich in der bekannten Gruppierung, zu tragen. In diesem Falle durften die Namen der Götter in der Weihinschrift fehlen. Nun muß man ja zugeben, daß die Situation, in der wir das gefeierte Götterpaar auf der Hauptseite erblicken, keine sehr rühmliche ist. Aber einerseits muß man bedenken, daß es überhaupt keine andere Geschichte gab, in der beide gemeinsam eine Rolle spielten, andererseits sich an das erinnern, was wir bei Besprechung des Hippolytossarkophags (Abb. 136), auf dem die Tote als Kupplerin erscheint, festgestellt haben, daß nämlich das ethische Emp- finden für den Inhalt des Mythos der römischen Kaiserzeit größtenteils abhanden gekommen war. Es empfiehlt sich, dies auch für die Beurteilung der übrigen Szenen fest im Auge zu behalten. Das Programm lautete also nicht : »Römische Urgeschichte nebst troischen Szenen als Prolog «, sondern »Mars und Venus« . Dabei ist aber der Kriegsgott mehr berücksichtigt als die Liebesgöttin; denn im Kriegsdienst hatte sich Ti. Claudius Faventinus die Corona civica erworben, und der Empfang dieser Dekoration war ohne Zweifel der direkte Anlaß für die Weihung des Bildwerks. Für einen Römer war nun als selbstverständlich gegeben die Geschichte von der Erzeugung des Romulus und Remus durch Mars, die denn auf der Rückseite in behag- licher Breite vorgeführt wird. Ob sich dabei Auftraggeber und Künstler daran erinnerten, daß auch Venus in diese Geschichte insofern hineinspielt, als sie die Ahnfrau der Rhea Silvia ist, mag dahingestellt bleiben; nötig ist es nicht, und da sie nicht als gegenwärtig dargestellt ist, wie mehr- 252 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort mals bei diesem Vorgang auf Sarkophagen, nicht einmal wahrscheinlich. Blieben noch die Nebenseiten auszufüllen. Auf diesen wird Venus mit einer einzigen Szene abgefunden, aber mit einer für sie sehr ruhmvollen, dem Parisurteil. Aber welche Vorgänge sollte man zur Verherrlichung des Mars wählen? Man durchblättere die griechischen Handbücher der Mythologie; man findet, abgesehen von der Gigantomachie, die aber hier natürlich ausgeschlossen war, keine Geschichte, wo er sich sonderlich mit Ruhm bedeckt. Hier müssen Künstler und Besteller und ihre gelehrten Berater, falls sie solche befragten, in arge Verlegenheit geraten sein. Am glimpf- lichsten kommt Ares noch in seinem Kampf mit Herakles weg; zwar büßt er seinen Sohn Kyknos ein, aber er wird doch nicht geradezu besiegt, son- dern der Kampf bleibt unentschieden. So wurde also dieser Mythos in dem mittleren Streifen unter dem Parisurteil angebracht. Daß man ihn nicht als unrühmlich empfand, beweist der Umstand, daß er sich auch auf dem Bonner Becher findet, und zwar wie auf der Basis neben der Geschichte von Rhea Silvia. Das lehrt zweierlei: erstens, daß auch dieser Becher den Mars verherrlichen sollte, und zweitens, daß der Kampf mit Herakles und die Vermählung mit Rhea Silvia in der römischen Kunst durch eine ähnliche bild- liche Tradition miteinander verkoppelt waren, wie wir sie oben bei der ar- chaisch-griechischen festgestellt haben. Auch im unteren Streifen muß nach dem bisher Erkannten einer der beiden Kämpfer Mars sein; es fragt sich nur, ob der auf dem Wagen oder der Fußkämpfer. Die Frage läßt sich mit absoluter Sicherheit aus der Eigentümlichkeit des Kampfes beantworten, die eben darin besteht, daß der eine der Streiter zu Wagen, der andere zu Fuß ist. Denn sehr mit Unrecht hat man behauptet, jener werde »nach Entsendung des Wurfgeschosses « gezwungen sein, den Wagen zu verlassen. Vielmehr lehrt der Augenschein, daß die Lanze nicht zum Wurf, sondern zum StoTß erhoben ist. Der Krieger kämpft vom Wagen herab, und das kommt in der gesamten griechischen Poesie und Mythologie nur ein einziges Mal vor, im fünften Gesang der Ilias, wo Diomedes ganz wider sonstigen epischen Brauch seinen Wagen auch beim Zweikampf nicht verläßt. Aus diesem Gesang muß also die Szene entnommen sein, und wirklich finden wir dort gegen Schluß Diomedes im Zweikampf mit Ares, und die einzige Abweichung von der Basis besteht darin, daß dort Athene dem Diomedes Wagenlenkerdienste leistet. Aber dieselbe Abweichung, über die wir eigent- lich nach dem früher über die Selbständigkeit der Illustratoren gegenüber dem Text Bemerkten kein Wort zu verlieren brauchten, findet sich auch Aresmythen 253 Sartischen Fragment einer ilischen Tafel (Abb. 195), ja dort ist die auf dem Freiheit dem Wortlaut gegenüber noch größer, da auch Ares zu Wagen ist, während er auf der Basis, wie in der Ilias, zu Fuß kämpft; er hat näm- lich seinen Streitwagen vorher an Aphro- dite abgetreten. Andererseits ist die Ähn- lichkeit des Diomedes auf der Basis mit dem auf dem Sartischen Fragment so groß, daß beide letztlich auf dasselbe Abb. 195. Vorbild, d. h. dieselbe illustrierte Ilias- ausgabe, zurückgehen müssen. Der Ausgang des Zweikampfes ist nun aller- dings noch weniger glorreich als des mit Herakles. Aber Not kennt kein Gebot; und dazu kommt die ethische Gleichgültigkeit gegen den Inhalt, die wir für die Basis schon konstatiert haben. Daß aber Claudius Faventinus und sein Künstler gleichzeitig daran gedacht haben sollten, daß auch Aphrodite an diesem Zweikampf insofern beteiligt ist, als Ares ihre Ver-' wundung an Diomedes rächen will, ist nicht eben wahrscheinlich, und ich führe diesen Einfall nur an, um vor ihm zu warnen. Nun waren aber auch die Aresmythen, soweit sie die Kunst überhaupt in ihr Bereich gezogen hat, gründlich erschöpft, und man mußte sich für die linke Nebenseite nach anderen umsehen, auch wenn sie zu Ares nur in einer ent- fernteren Beziehung standen. So verfiel man auf die Geschichte von der Wettfahrt des Oinomaos und Pelops. Oinomaos war der Sohn des Ares, der seinem Vater aus den §chädeln der überwundenen Freier seiner Tochter einen Tempel bauen wollte. War auch sein Ende nicht rühmlich, man setzte sich darüber hinweg und brachte es im oberen Streifen an. Die beiden unteren Streifen aber benutzte man, um hier das Opfer zu verewigen, das Ti. Claudius Faventinus bei der Weihung des Denkmals dargebracht hatte. Ist doch der Stier das obligate Opfertier des Mars. Dieser Grundgedanke für die Auswahl der Szenen ist zwar nicht so geistreich und tiefsinnig wie die Verknüpfung der Urgeschichte Roms mit Trojas Zerstörung, dafür aber dem Bildungsgrad des Stifters und seines Künstlers besser angemessen. Zum Schluß wolle man noch eins beachten. Wir haben die Basis Casali als Beispiel für Deuten aus Nachbarszenen gewählt, weil diese Methode in einem Maße auf sie angewandt worden ist, wie fast auf kein anderes Bild- werk. Im Grunde aber war das Beispiel schlecht gewählt, und wir hätten, dieser bedenklichen Deutungsmethode auch hier ganz entraten können. Denn für die einzige Szene, die uns nicht auf den ersten Blick klar war, 254 Deuten aus Aufstellung, Umgebung, Pendants, Fundort den Zweikampf zwischen Ares und Diomedes, würde das Deuten aus der Literatur und aus anderen Bildwerken ausgereicht haben. Den Bilderzyklen verwandt sind die Pendants. Im Grunde kann man es ja schon Pendants nennen, wenn die Bilder auf der Vorder- und Rückseite einer Vase zueinander in Beziehung stehen, wie auf der Amphora mit dem Ölhandel (Abb. 90. 91). Aber im eigentlichen Sinne kann man von Pendants nur sprechen, wenn es sich um zwei oder mehrere selbständige Bildwerke handelt. In der alexandrinischen Kunst, die pointierte Kontraste liebt, werden gewiß die Pendants eine bedeutende Rolle gespielt haben. Wir kennen aber eigentlich nur ein einziges Beispiel aus der Plastik, die be- rühmten, später in Rom befindlichen Gruppen eines unbekannten Künstlers, von denen eine Chiron und den jungen Achilleus, die andere Pan mit dem zarten Daphnis darstellte, beide beim Musikunterricht: jener unterrichtet seinen Zögling auf der Zither, dieser den seinen auf der Syrinx. Hier haben wir den Kontrast zwischen dem starken Heldenknaben und dem zarten Hirtenjungen, dem ernsten Kentauren und dem geilen Pan. Der stolze Achill gehorcht willig den Weisungen seines Erziehers, Pan berührt lüstern den geschmeidigen Leib des Daphnis, der unter dieser Berührung zusammen- schauert. Am meisten pflegt man unter den pompe janischen und römischen Wandgemälden nach Pendants zu suchen; aber gerade da ist äußerste Vorsicht geboten. Die Sache verhält sich so. Als im ersten Jahrhundert vor Christus jene neue Wanddekoration entstand, die einen Prospekt in die Mitte setzte, fragte man, wenn man ihn, was zuweilen, aber keineswegs immer geschah, mit mythologischer Staffage versehen wollte, nicht nach inhalt- lichem Zusammenhang. Was hat z.B. im Haus der Livia auf dem Palatin die verwandelte Io mit dem verliebtem Polyphemzu tun? Die Pointe, wenn überhaupt eine solche vorhanden ist, liegt in der Gegenüberstellung von Gebirgs- und Küstenlandschaft. Dann folgt die Periode, wo die Mittelfelder Tafelgemälde imitieren, zugleich aber aus den Prospektbildern den land- schaftlichen oder architektonischen Hintergrund entnehmen. In dieser Zeit trifft man nun in Pompeji zuweilen in der Tat auf Pendants oder sogar kleine Zyklen. Abgesehen von der Porticus des Apollon, die mit Szenen aus der Ilias, wahrscheinlich nach dem Bilderzyklus des Theon von Samos, geschmückt war, finden wir z. B. im Atrium des Hauses des tragischen Dichters gleichfalls Iliasillustrationen und im Peristyl desselben Hauses die Opferung der Iphigeneia. Der Trimalchio von Pompeji, M. Lucretius, hat sein Triclinium mit zwei dionysischen Bildern, der Gott als Knabe Gegenstücke 255 und bei dem Triumph über die Inder, geschmückt, und als drittes Herakles bei der Omphale hinzugefügt, was insofern zu jenen beiden in Beziehung steht, als auch hier ein Thiasos, allerdings der der großen Göttermutter, sich breit macht. Aber wie wenig das die Regel war, ergibt sich aus folgenden Beobachtungen. Wenn in einem Hause sich zwei Bilder befinden, die den- selben Mythos illustrieren, oder zwei verschiedene Geschichten eines und desselben Gedichtes, so werden (v Erschließen nicht überlieferter Mythen imd Mythenformen aus Bildwerken ►wär's nicht von je mein Plan gewesen, daß der Schoß Alkmenes meinen größten Sohn gebären soll. « Die Gegenwart der Eos würde sich zur Genüge daraus erklären, daß Zeus ihr geboten hatte, mit ihrem Erscheinen zu zögern und die Liebesnacht auf die dreifache Dauer einer gewöhnlichen Nacht zu verlängern. Es ist aber auch möglich, daß sie den Prolog sprach, wie die Echo in der »Andro- meda «. Denn nach dem unverbrüchlichen Gesetz der antiken Tragödie durfte das Publikum durch die Aufklärung am Schluß nicht überrascht werden, sondern mußte über die Voraussetzungen der Handlung von Anfang an unterrichtet sein. Allerdings konnte das auch Hermes übernehmen, wie bei Plautus. obgleich dadurch die Sache einen frivolen Anstrich erhalten würde, der besser in die Komödie paßt als in die Tragödie. Sprach aber wirklich Eos den Prolog, so würde Moliere, indem er in seinem Vorspiel den von Plautus übernommenen Mercure sich mit der Nacht unterhalten läßt, intuitiv sich mit einem Motiv aus der ersten und maßgebenden drama- tischen Behandlung nahe berührt haben. Der Diener des Amphitryon, Antenor, kann zwar eine kompletive Figur sein; da er aber in der abgekürzten Darstellung auf der Replik (Abb. 35) allein ohne Amphitryon erscheint, wird er doch wohl in dem Stück Person gewesen und mit Alkmene einen Dialog gehabt haben. Aber einen Individualnamen darf er nach der festen Praxis der griechischen Tragödie dort nicht geführt haben; nur als »Diener des Amphitryon« kann er eingeführt gewesen sein. Den Namen »Antenor« hat ihm Python aus freier Erfindung beigelegt. Das zweite Bildwerk, das wir hier besprechen wollen, klärt zwar nicht so die ganze Handlung des illustrierten Stücks auf, wie diese Vase des Python, wirft aber doch auf eine bisher völlig dunkle Tragödie etwas mehr Licht. Wir gehen diesmal von dem Bildwerk selbst aus, einem tarentinischen Krater im Museum zu Boston (Abb. 213. 214). Der typische Tempel in der Mitte ist liier durch die aufgehängten Waffen, einen Rundschild, zwei Beinschienen, einen pilosförmigen Helm und die beiderwRäder eines Streitwagens, den man nach dem Gebrauch auseinander zu nehmen pflegte, als Zelt bezeichnet. In diesem sitzt auf einem Lager Achilleus. Er ist also der Herr des Zeltes. Die Linke aufgestützt, in der Rechten den Speer, blickt er düstern Angesichts nach rechts. Neben ihm steht in tiefer Betrübnis, den Mantel über den Hinterkopf gezogen, das Haupt in die Hand gestützt, Phoinix. Achills Blicke sind auf Diomedes gerichtet, der mit dem Pilos auf dem Kopf und mit einer Die Bostoner Achilleusvase 279 Lanze herangestürmt kommt, im Begriff, das Schwert aus der Scheide zu ziehen. Menelaos, der ihm eiligst gefolgt ist, hält ihn zurück, indem er mit der Linken seinen linken Arm faßt und die Rechte auf seinen Rücken legt. Der hoch aufflatternde Zipfel seiner Chlamys kennzeichnet die Hast seines Laufes, mit der er den Trabanten des Diomedes, der seinem Herrn nicht so schnell folgen konnte, überholt hat. Dieser, einfach als Ätoler »Aitolos« bezeichnet, bildet die Vermittelung zwischen dem mittleren und unteren Streifen. In diesem sehen wir den Trabanten des Menelaos, Laodamas oder Hippodamas oder wie man den am Anfang verstümmelten Namen sonst er- gänzen mag. Er ist gleichfalls weit hinter seinem Herrn zurückgeblieben; aber das ist dadurch motiviert, daß er, beide Arme ausbreitend, entsetzt zu- rückblickt, als ob er sich von dem Anblick dessen, was er dort sieht, trotz des Grauens nicht losreißen könne. Dort liegt nämlich in der Mitte des unteren Bildstreifens der Leichnam des Thersites, daneben sein abgeschlagener Kopf. Wir erkennen also, daß diese vier Figuren, Laodamas, Aitolos, Menelaos und Diomedes sich in einer Schleife vom unteren Streifen zu dem Zelt in der Mitte hinbewegen. Links kniet, als Pendant zu Laodamas, der Freund und Wagenlenker des Achilleus, Automedon, im Helm mit Schild und Lanze. Man gewinnt daraus den Eindruck, daß er wie eine Schildwache die Leiche des Thersites bewacht. Von links schreitet, der Gruppe von Diomedes und Menelaos entsprechend, zwar gleichfalls eilig, jedoch gemessenen Schritts, Agamemnon auf das Zelt des Achilleus los. Er trägt das Bühnenkostüm der Könige, hält in der Rechten das Theaterzepter mit dem Adler und macht mit der etwas gehöhlten und nach oben gekehrten Linken eine überaus sprechende Gebärde, als lege er dem Achilleus die beiden Seiten eines Konflikts abwägend vor. Ihm folgt sein Trabant, der das Pendant zu Aitolos bildet und wie dieser zwischen dem unteren und mittleren Streifen vermittelt. Der Maler hat ihm den Dutzendnamen Phorbas beigeschrieben. Im Pilos, mit der Linken die Lanze schulternd, macht er, drei Finger der Rechten ausstreckend, den Gestus gespannter Aufmerksamkeit. Wir lassen den oberen Streifen mit den Göttern vorläufig beiseite und suchen zunächst in den Sinn der dargestellten Handlung einzudringen. Dieser ist leicht zu fassen. Achilleus hat dem Thersites den Kopf abgeschlagen und läßt den Leichnam durch Automedon bewachen. Er selbst sitzt grimmig gestimmt in seinem Zelt, nur in Gesellschaft des Phoinix, der über die Tat seines Zöglings tief traurig ist. Da sieht Achill den Diomedes heran- stürmen und das Schwert aus der Scheide ziehen, offenbar um den an Ther- 'vii Erschließen nicht überlieferter Mythen und Mythenformen aus Bildwerken 280 Abb. 213. Die Bostoner Achilleusvase 281 Abb. 214. OQO Krschlieben nicht überlieferter Mythen und Mythenformen aus Bildwerken sites begangenen Mord zu rächen. Aber Menelaos hält ihn fest und ver- hindert den drohenden Zweikampf der beiden Helden; denn natürlich würde Achilleus den Angriff des Diomedes nicht ruhig abwarten, sondern gleichfalls sein Schwert ziehen, das er nicht umsonst an der Seite trägt. Gleichzeitig naht von der anderen Seite Agamemnon, um den Streit durch ruhige Erwägung zum Austrag zu bringen. Das alles, also das Wesentliche, und noch manches mehr, was wir uns aber für später aufsparen, läßt sich aus dem Bildwerk allein feststellen. Was meldet nun die literarische Überlieferung? Der Tod des Thersites war in der Aithiopis erzählt. Achill tötet ihn, weil er ihn höhnt und ihm vorwirft, er habe sich noch, nachdem er der Amazonenkönigin Penthesileia den Todes- stoß gegeben hat, in die Sterbende verliebt. Auf welche Weise Achill den verächtlichen Spötter in der Aithiopis tötet, wird nicht überliefert; nach I.vkophron mit einer Waffe, für die der Dichter eine seltene Glosse {rQÜcptfe) gebraucht, die bald als Speer, bald als Schwert erklärt wird. Letzteres stimmt mit dem Vasenbild überein. Nach den Scholien zu Sophokles' Phi- loktet und Ouintus Smyrnaios hingegen tötet er ihn durch Ohrfeigen. In der Aithiopis entsteht nach dem Mord ein Aufstand, das heißt die Achaierfürsten teilen sich in zwei Parteien. Die Lösung erfolgt so, daß Achilleus nach Lesbos fährt, dort dem Apollon, der Artemis und der Leto ein Opfer darbringt und dann durch Odysseus von der Blutschuld entsühnt wird. Daß auf dem Vasenbild Diomedes sich zum Rächer des Thersites aufwirft, beruht auf der Blutsverwandtschaft beider; denn Ther- sites ist der Sohn des Agrios, dieser aber der Bruder von Diomedes' Groß- vater Oineus. Literarisch bezeugt ist der Versuch des Diomedes, seinen Oheim zu rächen, nur bei Ouintus Smyrnaios, der, wie das Vasenbild lehrt, hier einer sehr guten Quelle, vermutlich einer ausführlicheren Hypothesis der Aithiopis, als die des Proklos, folgen muß, und so wird es auch auf dieses Epos zurückgehen, daß bei Quintus der zwischen Achilleus und Diomedes drohende Zweikampf durch Zureden der Achaierfürsten verhindert wird — gerade wie auf der Vase. Die einzige dramatische Behandlung des Stoffes, die wir kennen, ist »Achilleus der Thersitestöter « von Chairemon, einem Dichter aus der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts. Unzweifelhaft wird dieses Stück auf der Bostoner Vase illustriert ; denn daß die Aithiopis nicht die Quelle ist, bedarf keines Beweises. Bestätigt wird dies durch eins der beiden aus dem Stück des Chairemon enthaltenen Fragmente, das vor- züglich zu der bisher erkannten Handlung paßt: Der »Achilleus Thersitoktonos« des Chairemon 283 »Nicht ich begann den Streit, Vergeltung üb' ich nur. « Das sind natürlich Worte des Diomedes aus seinem Dialog mit Menelaos. Durch die Zurückführung des Vasenbildes auf Chairemon werden zwei falsche Ansichten über diesen Tragiker beseitigt. Erstens beweist die Vase, daß Chairemons Dramen nicht, wie man aus einer falsch aufgefaßten Stelle von Aristoteles' Poetik hat schließen wollen, bloß -zum Lesen bestimmt waren, was ja übrigens ein literarhistorischer Anachronismus wäre, sondern daß sie aufgeführt worden sind. Zweitens wird die Vermutung, daß »Achil- leus der Thersitestöter« ein Satyrspiel gewesen sei, durch die Vase wider- legt. Das ist das reinliche und nicht zu unterschätzende Resultat unserer bisherigen Betrachtung. Aber noch bleiben eine ganze Anzahl von Fragen übrig, die nicht so glatt zu erledigen sind. Zunächst, wie viele von den auf der Vase dargestellten Figuren waren Personen des Stücks? Denn nach den Erfahrungen, die wir bei der Medeiavase (Abb. 130) gemacht haben, müssen wir damit rechnen, daß auch kompletive Figuren eingestreut sind. Sicher waren Personen der Tragödie Achilleus, Thersites, Diomedes und die beiden Atriden. Selbstverständlich werden auch die üblichen Trabanten, die Doryphoroi, nicht gefehlt haben, aber die waren stumme Personen und daher namenlos. Die Namen Phorbas, Laodamas und Aitolos hat ihnen der Vasenmaler aus eigener Phantasie beigeschrieben. Zweifelhaft aber ist die Sache bei Automedon und Phoinix. Daß Achilleus die Leiche Abb. 215. des Ermordeten bewachen läßt, ist ein so eigentümlicher, fast einzig da- stehender Zug, daß er gewiß auf Chairemon zurückgeht. Aber der Wächter oder der Befehlshaber der Wache könnte in der Tragödie namenlos und erst Ofi { Ersehließen nicht überlieferter Mythen und Mythenformen aus Bildwerken von dem Vasenmaler nach dem Wagenlenker des Achilleus benannt worden sein. Bei Phoinix macht es bedenklich, daß er außerordentlich an den Nestor auf der Vase derselben Fabrik erinnert, die des Aischylos' »Phryger i »der Hektors Lösung« illustriert (Abb. 215). Auch der Platz ist fast derselbe, nur steht dort zwischen ihm und Achilleus Athene. Mag nun dieser Nestor bei Aischylos Person gewesen oder von dem Vasenmaler hinzugefügt sein, oder mag dieser Typus eines trauernden Alten zum festen Typenvorrat der tarentinischen Vasenmaler gehört haben, auf alle Fälle ist diese Uber- einstimmung verdächtig, und wir müssen bei dieser Sachlage die Frage unentschieden lassen, ob Phoinix bei Chairemon Person war oder nicht. Besonders schwierig ist die Frage, wie in der Tragödie der Mord des Thersites motiviert war. Bei Lykophron lesen wir, daß Thersites der n Penthesileia die Augen ausgestochen habe. Noch abenteuerlicher klingt die Erzählung des Scholiasten zu Sophokles' Philoktet, Thersites habe dem Achilleus vorgeworfen, daß er der Leiche der Penthesileia bei- gewohnt habe, wie bei Herodot Periandros der toten Melissa. Aber gerade diese Übereinstimmung macht die Geschichte verdächtig. Sie sieht aus wie der Einfall eines Paradoxographen, der im Streben nach pikanter Stei- gerung die Erzählung des Herodot auf Achilleus — wenn auch nur als Ver- leumdung des Thersites übertragen hat. Dagegen könnte die bei Lyko- phron vorhegende Version an sich auf Chairemon zurückgehen; aber dann liegt es 111 der Natur der Sache, daß Achilleus den Thersites sofort, also an der Leiche der Amazone, tötet. Da nun auf dem Vasenbild die Leiche der Amazone nicht dargestellt ist, während doch ihre Anbringung schon aus kompletiven Gründen sich empfohlen hätte, so dürfen wir folgern, daß bei Chairemon diese Schändung der Toten durch Thersites nicht vor- kam. Vermutlich hat der Tragiker das Motiv des Epos beibehalten und den schmähsüchtigen Thersites dem Peliden nur Verliebtheit in die von ihm Getötete vorwerfen lassen, wie dies auch bei Quintus Smyrnaios ge- 5( hieht. Und nun müssen wir eines Umstandes gedenken, den wir uns mit Bedacht bis auf diese Stelle der Untersuchung aufgespart haben. Rings um die Leiche des Thersites herum liegt allerlei umgestürztes Gerät. Ein Becken, wie wir es an genau derselben Stelle auch auf der Medeiavase (Abb. 130) gefunden haben, aber außerdem ein Trinkbecher, eine Wein- kanne, 'ine Opferschüssel, ein umgestürzter Dreifuß, ein von seinem Posta- ment herabgeworfener Krater und neben ihm eine Opferschale, ein Weih- «erbecken, dessen Schüssel von ihrem Ständer abgebrochen ist. Beider Der »Achilleus Thersitoktonos< des Chairemon 285 , P^rmordung des Thersites ist es also nicht ohne heißen Kampf und wildes Getümmel abgegangen. Dreifuß und Weihwasserbecken deuten auf ein Heiligtum, das Opfergerät auf eine Opferhandlung. Wir lernen daraus: bei einem Opfer, das durchaus nicht gleich auf den Tod der Penthesileia ge- folgt zu sein braucht, hat Thersites seine spöttischen Bemerkungen ausge- stoßen, darauf entstand ein großer Tumult, bei dem Achilleus dem Frechen, der sich wohl mit dem Stocke, den wir neben ihm liegen sehen, zu ver- teidigen suchte, das Haupt abschlug. Dadurch wird aber seine Schuld wesentlich vergrößert, denn nun sind auch die Götter verletzt. Anderer- seits sehen wir, daß Achill die Leiche bewachen läßt, was doch nur bedeuten kann, daß er deren Bestattung hindern will. Für Diomedes handelt es sich also nicht nur um die Blutrache, sondern auch um die letzten Ehren für den Toten. Das ist der Konflikt, dessen Lösung auszudenken recht schwierig ist. Genügte das Opfer auf Lesbos und die Entsühnung durch Odysseus, wie sie in der Aithiopis stand, den Göttern und Diomedes ? Hier fällt zu- nächst auf, daß Odysseus auf der Vase fehlt. Das ist um so merkwürdiger, als dieser doch sonst stets der getreue Genosse des Diomedes zu sein pflegt. Aber das ist offenbar eine Konzession, die Chairemon an die Ilias machen mußte, in der Odysseus den Thersites für den elendsten aller Achäer erklärt und mit Stockschlägen traktiert. Da war es doch völlig unmöglich, ihn als Rächer des Toten auftreten zu lassen. Nun hätte ja auch ein anderer die Entsühnung übernehmen können, z. B. Agamemnon. Aber diese Lösung des Konflikts dürfte kaum befriedigen. Sehen wir, ob die Götter in der oberen Reihe Aufklärung bringen. Hier sitzt links über Agamemnon die ge- flügelte Rachegöttin Poina, erinyenhaft, das gezückte Schwert in der Rech- ten. Das scheint auf eine schwere Vergeltung hinzuweisen, und man wird sogar in Erwägung ziehen, ob Chairemon vielleicht unter Ausschaltung der Memnonepisode auf die Ermordung des Thersites alsbald den Tod des Achilleus folgen ließ. Doch sehen wir weiter. Rechts sitzt als Pendant zu Poina Athene. Sie hat ihren Schild wie ein Kissen über ihren Sitz gebreitet, trägt die Ägis, hält die Lanze, ist aber ohne Helm. Vielmehr ist ihr Haar mit einem kunstvollen Diadem geschmückt. Die ganze Erscheinung hat etwas Festliches, wozu auch der strahlende Blick des Auges paßt. Vor ihr steht Hermes, in der Linken Kerykeion und Petasos, die Rechte auf ein langes Schilfrohr gestützt, von dem oben eine breite Tänie herabflattert. Läßt sich auch dies Attribut bei dem Mangel von bildlichen Analogien und literarischen Zeugnissen nicht erklären, so deutet doch die Tänie un- 286 Krschlieben nicht überlieferter Mythen und Mvthenformen aus Bildwerken zweifelhaft auf Glück und Sieg. So scheint es, daß doch noch die Olympier, vor allem Athene, den Mörder des Thersites vor der Poina bewahren werden. Natürlich wird er in die Bestattung des P^rmordeten einwilligen, seine Leiche herausgeben müssen und vielleicht, daß dann ein Maschinengott, nach dem Bilde Athene oder Hermes, den Diomedes besänftigt. Doch das sind bloße Vermutungen, die über das, was sich unmittelbar aus dem Bilde herauslesen läßt, hinausgehen. Aber solche Vermutungen anzustellen, ist auch eine Pflicht des Interpreten. Er darf sich nicht mit dem bequemen Hinweis auf die Ars nesciendi begnügen. Er muß die Voraussetzungen und die Folgen der dargestellten Handlung aus dem Bilde heraus zu rekonstruieren suchen; und wenn er nicht mit Sicherheit das Richtige treffen kann, wenigstens die verschiedenen Möglichkeiten erwägen. Das ist gewissermaßen die Probe auf das Exempel. Der jugendliche Pan, der als Pendant zu Hermes neben Poina steht, ist für die Handlung ohne jede Bedeutung. Es ist eine bei den tarentinischen Vasenmalern sehr beliebte Füllfigur, die allerdings hier von besonderer Schönheit ist. Wenn wir so häufig in der glücklichen Lage sind, Tragödien aus den Bild- werken rekonstruieren oder die auf anderem Wege gefundene Rekonstruktion aus den Bildwerken ergänzen zu können, so ist das bei der Komödie fast niemals der Fall. Die Darstellungen aus der unteritalischen Volksposse, der Phlyakenkomödie, die hier allein in Betracht kommen, lassen zwar meist die einzelne Situation scharf erkennen, gestatten aber fast nie einen Schluß auf die Handlung als Ganzes und auf ihren Verlauf. Eine der seltenen Aus- nahmen ist die Szene der Helenageburt (Abb. 216). Leda, die wir zu der Zim- mertür hineinlugen sehen, hat das Ei, das sie von dem Schwan befruchtet ge- legt hat, in ihrem Arbeitskörbchen ver- borgen. Ein Sklave hat sie dabei be- obachtet und die Sache seinem Herrn, Tyndareos, verraten. Dieser findet denn auch das Ei, aber es ist so hart, daß er es nicht zu zerbrechen vermag. Die vergeblichen Versuche dies aus- zuführen werden in der Komödie einen breiten Raum eingenommen haben. Endlich holt er einen mächtigen Hammer und schlägt das Ei entzwei, und zu seinem Erstaunen, zum Schrecken des zuschauenden Sklaven und zum Abb. 216. Phlyakenkomödien 287 Ergötzen der lauschenden Leda kommt statt des erwarteten Riesenkükens heraus die kleine Helena. Was aber von den Phlyakenvasen gilt, gilt auch von den Szenen aus der neueren Komödie auf pompejanischen Bildern. Gänzlich versagen die Bildwerke für die alte Komödie. Denn es ist ein Irrtum, wenn man auf einer Phlyakenvase (Abb. 217) eine Illustration zum Prolog der »Frösche« des Aristophanes zu finden geglaubt hat. Gewiß, die Ähnlichkeit ist unbestreitbar. Wie bei Aristophanes schlägt Herakles mit der Keule gewaltig gegen eine Haustür, und wie dort reitet sein Sklave, der das Reisegepäck seines Herrn in üblicher Weise an einem Stock über der Schulter trägt, auf einem Esel. Aber es besteht doch ein wesentlicher Unterschied. Auf der Vase ist es der wirkliche Herakles, in den »Fröschen« der als Hera- kles verkleidete Dionysos, und auf dem Kontrast der Löwen- haut mit dem langen Krokos- gewand, der Keule mit den weichlichen Schuhen beruht eben die erschütternde Komik. Der Vasenmaler hat also nicht die Aristophanische Szene, son- dern eine ihr sehr ähnliche aus einer Phlyakenkomödie illustriert. Natür- lich kann dies Zusammentreffen nicht zufällig sein. Zu seiner Erklärung gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder hat der Phlyakograph den Aristo- phanes kopiert oder beide gehen auf dieselbe Quelle zurück; mit anderen Worten, der an die Tür polternde Herakles und sein Sklave auf dem Esel waren ein beliebtes Motiv der dorischen Volkskomödie, sowohl der unter- italischen als der megarischen. Letzteres ist weitaus das wahrschein- lichere, zumal das Motiv, wie wir sahen, bei Aristophanes eine Steigerung erfahren hat. Abb. 217. FEHLERQUELLEN. Diese können objektiver und subjektiver Art sein, je nachdem sie aus der Beschaffenheit des Bildwerks oder aus dem Charakter des Interpreten sich ergeben. Fehlerquellen der ersten Art haben wir schon gelegentlich einige kennen gelernt, so schlechte Erhaltung und unrichtige Namensbeischriften. Aber hier soll von solchen die Rede sein, die auf gewissen Eigentümlichkeiten eines Bildwerks oder einer Klasse von L>SS Fehlerquellen Bildwerken beruhen, darum versteckter sind und leichter irreführen. Es handelt sich dabei meist um gewisse Gepflogenheiten der Vertreter be- stimmter Kunstgattungen, die uns Modernen fremd sind, und die erst mehr- fach beobachtet sein müssen, ehe man hinter das Geheimnis kommt. Ist dies gelungen, so erschließt sich uns zuweilen das Verständnis ganzer Bilder- gruppen auf einmal. Etwas derartiges ist z. B. die Emanzipation von ört- licher und zeitlicher Einheit, die uns schon wiederholt begegnet ist. wie auf archaischen Vasen so auf römischen Sarkophagen. Eine im Effekt ähn- liche, in der Ursache verschiedene Manier der etruskischen Urnenarbeiter ist vor kurzem von Lisa Hamburg erkannt worden. Betrachten wir z. B. das bei- stehende Exemplar Abb. 218. Auf einem'bekränzten Altar sitzen ein bärtiger und ein unbärtiger Jung- ling vor einem heiligen Be- zirk, auf dessen Mauer zwei abgeschnittene Men- schenköpfe liegen, während hinter ihr einer der Bäume des Hains sichtbar wird. Vor jedem dieser Jüng- linge steht eine Frau mit gezücktem Schwert. Wem fielen da nicht sofort Ore- stes, Pylades und Iphige- neia ein, und diese Deutung dem Bildwerk zu geben hat sich Gustav Körte nur da- durch abhalten lassen, weil ja dann Iphigeneia zweimal dargestellt wäre. Und doch trifft diese Deutung das Richtige. Denn man erwäge, gesetzt, die beiden Priesterinnen stellten verschiedene Personen vor und es wäre nicht der durch Euripides unsterblich gewordene Mythos, sondern eine Parallelsage gemeint, so müßte in dieser die durch Menschenopfer geehrte Gottheit des Heiligtums zwei Priesterinnen gehabt haben, was unerhört und unmöglich ist. Also ist in der Tat Iphigeneia zweimal dar- gestellt, und doch ist es nur eine einzige Szene und derselbe Moment. Das für diese Urne maßgebende Prinzip der Symmetrie hat dazu geführt, die Figur der Iphigeneia zu wiederholen. Und doch ist die zweite Iphigeneia keineswegs ein bloßes Spiegelbild der ersten. Sie hebt das Schwert, um an Abb. 218. Verdoppelung von Figuren 289 pmjTmraffrc*«? 'D rmmmm/AVtf&agagas Pylades die Lockenweihe zu vollziehen, während jene erste das Schwert gesenkt in der Linken hält und mit erhobener Rechte auf ihren noch un- erkannten, in schwere Gedanken versunkenen Bruder einredet. Aus der beträchtlichen Reihe weiterer Beispiele für das uns zunächst fremdartige Verfahren wähle ich noch eines aus, das denselben Mythos, aber eine spätere Szene darstellt (Abb. 219). Von dem Artemistempel her schreiten, an einem Pfeiler auf dem ein Kessel als Votivgeschenk aufgestellt ist vorüber, Orestes und Pylades auf das Stadttor zu. Jeder trägt auf der linken Schulter eine Iphigeneia, die das primitive holzscheitförmige Artemisidol in der Hand hält. Wie die Heroine selbst, so ist hier auch das Götterbild der Symmetrie zuliebe verdoppelt. Die früher vorgeschlagene Deutung auf den Raub der Leukippiden ist, ab- gesehen davon, daß diese sich sträuben müßten, durch dieses doppelte Idol ausgeschlossen. Denn wenn auch Phoibe und Hilaeira einmal als Prie- sterinnen der Athene und der Artemis bezeichnet werden, so ist es doch weder überliefert noch mit dem Wesen der Sage ver- einbar, daß sich Kastor und Polydeukes nicht nur die schönen Mädchen, son- dern auch die von diesen behüteten Götterbilder rauben. Auf der Innenseite des Stadttors steht, den Raub ihres Idols begünstigend, Artemis, kenntlich an den hohen Jagdstiefeln und dem geschürzten Gewand; vielleicht hielt auch die Hand, wie auf den Repliken, eine Fackel, die jetzt abgebrochen ist. Der Platz am Tor ist für sie besonders passend, da diese Gottheit die Hüterin des Ein- und Ausgangs ist. -Als ihr Pendant erscheint links König Thoas, der erschreckt entweicht. Er ist sowohl der Symmetrie wegen wie als kom- pletive Figur hier angebracht, wodurch seine Anwesenheit hinreichend ge- rechtfertigt ist. Sollte aber jemand finden, daß sich der König eigentlich dem Raub des Bildes und seiner Priesterin widersetzen müßte, dem steht es frei, das Verhalten der Figur zu der Erscheinung der Artemis am anderen 19 Abb. 219. 290 Fehlerquellen Ende in Beziehung zu setzen. Beim. Anblick der Göttin, die mit der Ent- führung einverstanden ist, und deren rechter Arm in diesem Fall vielleicht rinen gebietenden Gestus machte, verzichtet Thoas darauf, die Fremden festzuhalten, und weicht erschreckt zurück. Vielleicht trifft man in der Tat damit die Meinung des Künstlers. Artemis spielt dann auf der Urne dieselbe Rolle, wie bei Euripides Athene. Nur hat der Verfertiger oder der Schöpfer seiner Vorlage gewiß nicht an die Schlußszene der tau- rischen Iphigeneia gedacht, auch nicht aus einer verlorenen lite- rarischen Quelle geschöpft. Das neue Motiv erwuchs ganz von selbst aus der rein künstlerischen Konzeption, eine Erscheinung, für die wir schon früher mehrere sprechende Beispiele gefunden haben. Zu einer Fehlerquelle kann auch das dekorative Beiwerk werden, wenn man ihm übertriebenes Gewicht bei- legt. Am Fries des Knidierschatz- hauses in Delphi wird die Arm- lehne des an der Spitze der linken Götterreihe sitzenden Gottes von zwei Figuren gestützt, einer fliehen- den Mänade und einem sie verfol- genden Silen (Abb. 220). Dadurch verführt, haben einige den Gott für Dionysos gehalten, während sein Platz unwiderleglich beweist, daß es nur Zeus sein kann. Eine Fehlerquelle anderer Art sind die falschen Erklärungen antiker Autoren. Eine solche haben wir schon früher kennen gelernt, des Pausanias' Deutung der olympischen Arion-Metope auf die Rosse des Diomedes. Daß derselbe Si hriftsteller die Mittelfigur des Westgiebels von Olympia, den Apollon, fälschlich Peirithoos nennt und ebenso unrichtig die Eckfiguren des Ost- giebels für die Flußgötter Alpheios und Kladeos erklärt, geben heute auch seine blindesten Verehrer zu, aber an seiner Deutung des Ostgiebels auf das Abb. 220. Dekoratives Beiwerk. Interpretationsirrtümer der Alten 291 pW Wettrennen zwischen Oinomaos und Pelops hält man noch immer fest. Und doch ist diese Deutung schlechter- dings unmöglich ; denn die Darstellung widerspricht nicht nur jeder überlieferten, sondern jeder denkbaren Version des Mythos von Pelops. Welche der mehr als vierzehn verschiedenen Rekonstruktionen wir unserer Widerlegung zugrunde legen, ist ganz gleichgültig. Ich greife die von J. Six heraus, weil sie zu denen gehört, die in der Mitte einen Altar ansetzen, für den sich jetzt so viele be- geistern, und dessen Möglichkeit zugegeben werden muß (Abb. 221). Daß die Mittelfigur Zeus ist, wird durch ihre Erscheinung und ihren Platz erwiesen. Hier ist einer der seltenen Fälle, wo die Deutung aus der An- bringung berechtigt ist. Dies ist aber auch die einzige Figur, die Pausanias richtig benannt hat. Zu beiden Seiten des Zeus stehen je ein Mann und eine Frau, wobei es für unsere Deduktion wiederum ganz gleichgültig ist. ! ob die Männer oder die Frauen dem Gotte zunächst | stehen und welche wir links, welche rechts einordnen; auch wie die Arme der Frauen zu ergänzen sind, kommt für uns nicht in Frage. Von den Männern ist der eine unbärtig, der andere bärtig. Beide tragen Helme und stützen sich mit der einen Hand auf einen Speer. Der ältere hat über beide Schultern eine Chlamys geworfen und stemmt den rechten Arm auf die Hüfte, der jüngere trägt am linken Arm einen Schild und ist jetzt völlig nackt. Aber wie die an charakteristischen Stellen des Obeikörpers angebrachten Bohrlöcher beweisen, hatte man ihm nachträglich einen Metallpanzer angelegt. Die- sen jüngeren nennt Pausanias Pelops und die Frau neben ihm Hippodameia, jenen älteren Oinomaos und seine Nachbarin Sterope. Das Ganze aber soll die Vorbe- reitung für die Wettfahrt darstellen. Nun ist es aber für diese charakteristisch, und zwar zu allen Zeiten und in allen Versionen, daß Pelops seinen Wagen selbst lenkt. Das kann er nicht, wenn er Speer und Schild hält, da er dann keine Hand frei hat; auch der Panzer 191 292 Fehlerquellen mußte seine Beweglichkeit außerordentlich beeinträchtigen. Oinomaos aber lenkt nicht selbst, sondern überläßt das seinem Wagenlenker Myr- tilos; die Aufgabe des Königs ist's, den unbequemen Freier seiner Tochter mit dem Speer zu durchbohren, wenn er ihn auf seinem Wagen eingeholt hat. In seiner Hand ist also der Speer ganz in Ordnung; auch Schild und Panzer würden für ihn so passend sein, als sie für Pelops unpassend sind. Schon das genügt, um die Deutung des Pausanias zu widerlegen. Aber auch alles andere paßt so schlecht wie möglich. Ich will nicht zu sehr betonen, daß Sterope kein glücklich gewähltes t Pendant zu ihrer Tochter Hippodameia ist; denn sie nimmt nicht wie diese an der Wettfahrt teil, hat also -an der Handlung geringeren Anteil als diese oder eigent- lich gar keinen, bildet mithin zu Hippodameia kein genügendes Gegen- gewicht. Das mag man auf die geringe Fähigkeit des Künstlers schreiben, eine harmonische Komposition zu schaffen. Aber wenigstens Myrtilos müßte doch zugegen und als Wagenlenker durch den typischen langen Chiton kenntlich gemacht sein. Doch auch ihn sucht man unter den er- haltenen Figuren vergeblich; weder die beiden gelagerten Männer in den Ecken, noch die beiden sitzenden, noch die beiden knienden, können Wagen- lenker sein, von dem hockenden Knaben und dem knienden Mädchen ganz zu schweigen, wobei wiederum gar nichts darauf ankommt, wie man diese Figuren anordnen will. Pausanias freilich will den Myrtilos in einem vor den Pferden des Oinomaos sitzenden Mann erkannt haben, aber da der Platz des Wagenlenkers nicht vor den Pferden, sondern höchstens neben ihnen, eigentlich aber auf dem Wagen ist, ein Wagenlenker auch nicht zu sitzen pflegt, sondern zu stehen, und höchstens wegen des Raumzwangs kniend gedacht werden könnte, so hat man die Unrichtigkeit auch dieser Benennung jetzt allgemein zugegeben. Und dasselbe gilt denn für die Deutung der entsprechenden Figur vor dem Wagen des Pelops als dessen Wagenlenker Sphairos oder Killas, abgesehen davon, daß, wie aus dem oben Bemerkten hervorgeht, ein Wagenlenker des Pelops überflüssig und zu Myrtilos eben- sowenig ein gleichwertiges Pendant wäre wie Sterope zu Hippodameia. Vollends ist der Altar, wenn man ihn zugeben will, für die Deutung auf Oinomaos und Pelops alles andere als eine Stütze. Ein Opfer hat aller- dings nach einer uns literarisch und bildlich bezeugten Version vor der Wettfahrt stattgefunden, aber ganz anders, als es hier dargestellt sein würde oder dargestellt gewesen sein kann. Dies Opfer hatte den Zweck, den Ab- stand zwischen dem vorausfahrenden Freier und dem verfolgenden Oinomaos 294 Fehlerquelk-n zu bestimmen : denn ein Vorsprung mußte jenem natürlich gelassen werden. Oinomaos schlachtet also zu diesem Behuf einen Widder; sobald das Opfer beginnt, fährt der Freier mit Hippodameia auf seinem Wagen ab, sobald es vollendet ist, folgt Oinomaos mit Myrtilos als Wagenlenker auf dem srinigen. So verbildlicht denn auch den Vorgang eine Vase im Neapler .Museum (Abb. 222). Vor einem Artemisidol, das auf einer hohen Säule steht, erblickt man einen brennenden Altar. Neben diesem steht Oinomaos, wie wir ihn nach dem oben Gesagten zu sehen erwarten, im Panzer und Helm, und an seiner Schulter lehnt der Speer. Ein bekränzter Opferdiener hält ihm das Weihrauchkästchen und den mit Myrtenzweigen besteckten Opfer- korb {y.arovr) hin, in dem, von der heiligen Gerste bedeckt, das Opfer- messer liegt. Der König legt seine Linke auf das Kästchen und greift mit der Rechten nach dem Opferkorb, um das Messer herauszuholen. Der zum Opfer bestimmte Widder wird von einem zweiten bekränzten Opfer- diener herangebracht. Hinter diesem sitzt abgewandt, aber den Kopf nach der Opferzeremonie hinwendend, der Trabant des Königs, der typische Speer- träger. Neben ihm liegt der Schild seines Herrn, auf den achtzuhaben seine Aufgabe ist. Rechts fahren eben Pelops und Hippodameia ab; beide blicken sich nach Oinomaos um, Pelops mit unverkennbar mißtrauischem Aus- druck. In der oberen Bildfläche hält Myrtilos das Gespann für den König bereit. Vor ihm sitzt des Pelops Beschützer Poseidon. Seine Anwesenheit zeigt, daß der Sieg nicht, wie bei den attischen Tragikern, durch die Be- stechung des Myrtilos, sondern durch die pfeilschnellen Rosse errungen werden wird, die der göttliche Liebhaber dem schönen Pelops geschenkt hat. Poseidon ist im Gespräch mit Athene, die dem Pelops das Geleit zu geben scheint, wohl auf Bitten ihres göttlichen Oheims. Dann folgt Zeus als der Herr von Olympia. Ganymedes mit seinem gewöhnlichen Attribut, 'lim Reifen, ist ihm zugesellt, weil er zu dem Göttervater in demselben Verhältnis steht wie Pelops zu Poseidon, also ein feiner Parallelismus. Die dem Zeus gegenübersitzende Göttin läßt sich mit Sicherheit nicht benennen, hat aber den größten Anspruch darauf, für Aphrodite zu gelten, sowohl nach ihrer Erscheinung als mit Rücksicht auf den dargestellten Vorgang. Auch auf einer anderen Vase, die die Ankunft des Pelops bei Oinomaos darstellt, ist gerade diese Göttin zugegen. Befremden muß es, daß das Opfer nicht wie in der literarischen Überlieferung dem Zeus, sondern der mis dargebracht wird; aber das ist nur Schein. In Wahrheit gilt auch hier das Opfer dem Zeus und nicht der Artemis, schon aus dem Grund, weil Die Wettfahrt des Pelops und Oinomaos 295 dieser Göttin keine Widder geopfert werden, sowenig wie irgendeiner anderen Göttin, es sei denn bei großen Staatsfesten wie den Panathenäen. Was soll dann aber ihr Bild an dieser Stelle? Es gehört keineswegs zu dem Altar, hinter dessen Mittelachse es gar nicht steht, sondern bezeichnet den Ein- gang zur Rennbahn; denn, wie bereits oben gesagt, ist Artemis die Hüterin jedes Ein- und Ausgangs. Und in der Tat stand auch am Eingang des olympischen Hippodroms ein Altar der Artemis. Das ist schwerlich Zufall; aber eine so genaue Kenntnis der Lokalität von Olympia wird man dem Vasenmaler nicht zutrauen. Wohl aber dem Künstler der Vorlage, auf die die Darstellung durch irgendwelche Kanäle zurückgeht, und es ist gar nicht ausgeschlossen, daß diese ein nach Olympia geweihtes Votivbild war. Da- gegen würde es deplacierte Gelehrsamkeit sein, eine subjektive Fehlerquelle, auf die wir schon öfters gestoßen sind, wollte man für Poseidon und Athene daran erinnern, daß auch diese beiden Gottheiten im olympischen Hippodrom als Hippios und Hippia Altäre hatten. Ihre Anwesenheit ist durch ihr Interesse an Pelops hinlänglich gerechtfertigt. Kehren wir nach dieser Abschweifung zum Ostgiebel des Zeustempels zu- rück. Ein Widder ist nicht da und kann niemals dagewesen sein, ebenso- wenig ein anderes Opfertier. Ist also der Altar wirklich gesichert und war eine Opferhandlung dargestellt, so kann es nicht die für das Wettrennen zwischen Oinomaos und Pelops bezeugte gewesen sein; überhaupt könnte es sich nur um ein Trankopfer handeln, und so wäre es unter den beiden eben bezeichneten Voraussetzungen nicht unmöglich, daß Treu und Stud- niczka recht haben, wenn sie der einen der beiden Frauen eine Opferschale in die Hand geben. Wenn es nun also das Wettrennen zwischen Oinomaos und Pelops nicht sein kann, was ist dann in Wahrheit dargestellt? Nun, ich meine, jeder, der unbefangen und vorurteilslos die Darstellung betrachtet, kann hier nichts anderes erkennen als den Auszug zweier Krieger, eines älteren und eines jüngeren, nicht zu einer Wettfahrt, sondern in einen Kampf. Neben ihnen stehen nicht ohne Bangen ihre Frauen, und wenn die eine von ihnen libierte, so haben wir den alten Typus der Abschieds- und Auszugsszene vor uns, von dem schon oben ausführlich die Rede war. Hinter den Kriegern werden ihre Streitwagen angeschirrt. Die übrigen Figuren sind teils Angehörige und Freunde der Scheidenden, von denen einer, der berühmte sitzende Greis, von trüber Ahnung erfüllt ist, teils, und darin hat Pausanias recht, Pferdeknechte. Aber auch die Wagenlenker können nicht gefehlt haben, nur können es nicht die sitzenden Figuren 29(3 Fehlerquellen sein, die Pausanias für sie hält. Nun läßt sich aber auf anderem Wege und auf Grund von Erwägungen, die von den hier angestellten gänzlich unab- hängig sind, der Nachweis erbringen, daß uns vier Figuren fehlen. Unter diesen werden sich ohne Zweifel auch die beiden Wagenlenker befunden haben. So weit können wir das Bildwerk aus sich selbst erklären, be- nennen aber können wir die Figuren nicht. Denn Kriegsauszüge gibt es viele; hier aber fehlt jede nähere Charakteristik, und ebenso fehlt uns die literarische Tradition. Und 'wenn wir im Westgiebel den Kentaurenkampf finden, einen Mythos, der mit Olympia nicht das geringste zu tun hat, so müssen wir mit derselben Möglichkeit aucli für den Ostgiebel rechnen, so daß es uns nicht wundern darf, daß keine der speziell olympischen Sagen auf die Darstellung passen will. Aber, so wird vielleicht mancher fragen, mußte nicht Pausanias, mußte nicht ein Grieche den Sinn eines griechischen Kunstwerks besser verstehen als wir? Gerade dies ist ein Vorurteil, vor dem nicht ernst genug gewarnt werden kann. War ein Bildwerk nicht ohne weiteres verständlich, oder waren, wenn dies für die Handlung der Fall war, die Figuren nicht durch Attribute oder Beischriften kenntlich gemacht, so war der Grieche ebenso auf die Her- meneutik angewiesen wie wir; denn eine lokale Tradition über die Bedeutung einer Darstellung kann sich höchstens hundert Jahre erhalten haben, am wenigsten können die Fremdenführer ihre Träger gewesen sein, deren Bildung und Zuverlässigkeit man früher gewaltig überschätzt hat. Auch Beischriften konnten bei Tempelskulpturen wegen ihrer hohen Anbringung nicht viel helfen. Die gemalten Namen auf dem Fries des Knidierschatzhauses wird man zwar zur Not haben lesen können, aber die mythischen Namen auf der Tänie der Architravbalken vom Tempel der Athene Alea in Tegea, die die Figuren in den Metopen bezeichnen, sind so schwach eingeritzt, daß sie von unten mit bloßem Auge überhaupt nicht lesbar gewesen sein können. Sie waren offenbar nicht für den Beschauer berechnet, sondern sie sollten den Bauarbeiter belehren, welche Metope an diese Stelle gehörte. Nicht zur Erläuterung dienen sie, sondern als Versatzmarken. So sehen wir denn auch, daß Pausanias und sogar Lukian öfters so tun, als ob sie die Deutung erst vor dem Bildwerk auf methodische Weise gefunden hätten. Ist dem aber so, so sind wir nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, antiken Häutungen, die sich uns als unsicher, bedenklich, unmöglich erweisen, unsere uen gegenüberzustellen. h bedenklicher als die objektiven sind die subjektiven Fehlerquellen, Patriotische Deutungen der Italiener 297 weil hier psychologische Momente hineinspielen. Zunächst ist auch jeder Interpret ein Kind seiner Zeit und von deren Anschauungen und Bestre- bungen abhängig. Die römischen Antiquare von der Renaissance bis tief ins 18. Jahrhundert hinein betrachteten die Bildwerke vor allem als Denk- mäler und Zeugnisse ihrer eigenen Vergangenheit, wollten ihre Geschichte, ihre Sage und ihre Poesie darauf wiederfinden. Die Gruppe des Galliers, der nach verlorener Schlacht sein Weib getötet hat und nun sich selbst den Todesstoß gibt, galt ihnen für Pätus und Arria, die schöne attische Schutzflehende des Palazzo Barberini, vielleicht Alkmene in der Situation, wie wir sie auf der oben besprochenen Vase (Abb. 212) gefunden haben, galt ihnen für Dido auf dem Scheiterhaufen, Portus und Ostia auf dem oben erläuterten Sarkophag (Abb. 61) für Äneas und Dido, die Sarkophage mit Achill unter den Töchtern des Lykomedes deuteten sie auf den Raub der Sabinerinnen. Überall war hier der Wunsch des Gedankens Vater, und dabei machten sie noch einen zweiten Fehler, vor dem um so eindring- licher gewarnt werden muß, als er auch heute noch häufig begangen wird. Sie gaben sich mit der ersten Deutung, die ihnen gerade einfiel, zufrieden, zumal wenn sie ihnen aus subjektiven Gründen besonders genehm war, ohne zu fragen, ob nicht andere Deutungen denselben oder höheren Anspruch auf Wahrscheinlichkeit machen könnten, mit anderen Worten, sie über- sprangen die nötigen Vorstufen jeder wissenschaftlichen Hermeneutik, das Sehen, Beschreiben und Deuten des Bildwerks an sich, ohne Rücksicht auf Benennung der Figuren, und so ist es kein WTunder, daß sie so oft den rechten Weg verfehlt haben. Als Winckelmann und Zoega mit diesem unwissenschaftlichen Verfahren gründlich aufgeräumt und griechische Kunst und griechische Sage in ihr Recht eingesetzt hatten, kam eine andere Ten- denz zur Geltung, die nicht minder verhängnisvoll war: man betrachtete die Kunstwerke als Quellen für die Religionsgeschichte. Das sind sie natür- lich und können es sogar in hohem Grade sein, aber nicht alle und nicht unbedingt. Kultbilder und Votivgeschenke sind es selbstverständlich. Auch zum Schmuck oder Gebrauch bestimmte Gegenstände können uns über Religionsanschauungen und Kultgebräuche wichtige Aufklärungen geben. Aber das sind nur verhältnismäßig seltene Fälle. In der Regel ist es nicht die religiöse, sondern die mythologische Anschauung, die in den Kunst- werken zum Ausdruck kommt, und vollends über die Geheimlehren können sie uns so gut wie keine Aufschlüsse geben. Das war es aber gerade, was man damals unter Creuzers faszinierendem Einfluß verlangte und teilweise auch 2| >8 Fehlerquellen heute noch verlangt. Die Bildwerke sollen die aus begreiflichen Gründen -ehr dürftigen literarischen Zeugnisse ergänzen. Daß aber aus ebendenselben Gründen Mysterien bildlich noch weniger dargestellt werden dürfen, es sei denn, wo es sich um Geräte handelt, die für den Mysterienkult bestimmt sind, wie die Kabirionvasen, hat man sich in seiner Verblendung nicht gesagt. Und doch ist das eigentlich selbstverständlich und wird durch die Funde bestätigt. Wie gering ist unter den zahlreichen, auf dem Boden von Eleusis gefundenen Bildwerken die Zahl derer, die auf die Mysterien Bezug haben. Zwar hat es damals so wenig wie heute an Besonnenen gefehlt, die daran erinnerten, daß man geheime Lehren und Zeremonien doch nicht auf Gefäßen, die dem täglichen Gebrauch dienen, auch von Profanen benutzt und von Sklaven gehandhabt werden, habe darstellen können, und daß man ein Eßzimmer nicht mit Mysterienszenen bemalen dürfe. Man blieb taub für die Stimme der Vernunft. Harmlose Vasen mit mythologischen und Gi-nreszenen wurden unter dem Titel: Mysteres de la Grande-Grece heraus- gegeben. Und wo man nicht religiöse Gebräuche oder Kulthandlungen abgebildet glaubte, da sah man doch heilige, den Uneingeweihten verbor- gene Sätze und Dogmen der Mysterienlehre sinnbildlich zum Ausdruck gebracht. Damit war der Phantasie Tür und Tor geöffnet und der Circulus \ itiosus fertig; denn jene »den Ungeweihten verborgenen Sätze und Dogmen der Mysterienlehre« mußte man doch erst willkürlich aus denselben Bild- werken herauslesen, die ihnen zur Bestätigung dienen sollten. Wenn auf giner Vase, was unzähligemal vorkommt, Dionysos mit einer Mänade schäkert, so ist diese Ariadne oder, wie man damals sagte, Ariadne-Kora-Libera, und man lehrte, daß dies eine Götterheirat sei, und zwar eine vorbildliche Götterheirat; denn auch jede menschliche Heirat sei nach griechischer Ansicht ein Mysterium gewesen und mit bakchischem Zeremoniell begangen worden. Aus anderen Bildwerken erschloß man einen Geheimdienst des Herakles und ein Liebesverhältnis zwischen ihm und Athene; und da in der Mystik das Ei eine große Rolle spielt, ließ sich ein geistvoller Forscher dazu verführen, die Leiber der Todesgöttinnen auf dem Harpyienmonument von Xanthos für Eier als Sinnbilder eines verborgenen Lebenskeims anzu- sehen, und wußte diesen Gedanken so bestechend durchzuführen, daß er bei seinen Zeitgenossen beinah ungeteilten Beifall fand. Schmückt ein Vertreter des blühenden Vasenstils den Ida beim Parisurteil mit Frucht- bäumen, so wollte er uns dadurch »nach dem südlichen Libyen versetzen, in den Garten des Zeus, in den lieblichen Lustgarten der Aphrodite oder Die Suche nach Mysterien 299 auf die Hügel der Grazien«. Hier feiern Venus und Paris ein Siegesfest. Denn da Zeus, Helios u. a. gegenwärtig sind, erhält diese Vorstellung vom Parisurteil »einen kosmischen Charakter, sie wird als eine Begebenheit vor- gestellt, wobei die großen Naturmächte und Weltregenten als urteilende Zeugen auftreten und gleichsam, wie in der Tragödie, den Chor bilden«. Klymene (Abb. 223), die als eine jener kömpletiven Figu- ren, von denen oben die Rede war, dem Vorgang zusieht, ist nach dieser Lehre »die Tochter des Okeanos und der Tethys, die Gattin des Helios und von ihm Mutter des Phaethon und der Heliaden. Mit der links abwärts ge- wendeten ausgebreiteten Rechten scheint sie die nächt- lichen Schatten und Gewässer abzuweisen, aus denen sie heraufgestiegen. (In Wahrheit stützt sie sich damit auf eine Terrainwelle.) Das Erscheinen dieser Klymene in dieser Szene gehört zu dem kosmischen Charakter unseres ,,, Vasenbildes und hat dieselben Motive wie die Auf- Abb. 223. fahrt des Helios über derselben Handlung. Die aus dem Okeanos hervorgegangene Göttin des nächtlichen Lichtes will beim Urteile des Paris ebensowohl gegenwärtig sein, wie ihr Gemahl Helios, der Gott des Tageslichts «. Das wäre also eine Probe von jenen heiligen, dem Unein- geweihten verborgenen Dogmen der Mysterienlehre. Bei dieser Anschauung konnte es nicht fehlen, daß man auf Nebendinge unbilliges Gewicht legte und darüber nicht nur das Gefühl für das Kunstwerk als solches, sondern auch das Verständnis der Darstellung als Ganzes verlor. Überall witterte man ein Mysterium, alles hatte symbolische Bedeutung. Ionische Säulen deuten »die Örtlichkeit der Totenopfer« an; denn sie sind der Erdgöttin gewidmet. Trägt Hermes einen mit Sternchen verzierten Mantel, so ist er dadurch als Argost öter bezeichnet. Das Liknon. der Korb, der demselben Gott in seiner frühesten Kindheit als Wiege dient, erinnerte Panofka an einen geflochtenen Filzschuh, und er erwog, ob »dieser Wiegenkorb in Form eines Schuhes als ein dem Hermes ausschließlich zukommendes Gerät zu betrachten sei, weil der Schuh überhaupt als Attribut eines Läufers ein ausdrucksvolles Symbol für Hermes bildet «. Sind dies im Grunde harm- lose Spielereien, so wird die Sache von dem Moment an bedenklich, wo ein solches vermeintliches Symbol als Kriterium für die Benennung einer Figur verwandt wird. Eine schwarzfigurige Amphora des Britischen Museums, die hier abzubilden sich nicht verlohnt, zeigt auf beiden Seiten dieselbe Fehlerquellen Darstellung, den so beliebten Eintritt des Herakles in den Olymp; der einzige Unterschied, abgesehen von einer gleichgültigen Nebenfigur, ist, daß Herakles das eine Mal vor der Majestät seines Vaters zaghaft sich zur Umkehr wendet, das andere Mal zuversichtlich auf ihn losschreitet. Zeus erscheint beidemal sehr ähnlich, aber auf der einen Seite hat die Rücklehne -.ln.s Sessels die Gestalt eines Frauenkopfs. Dieser Gegensatz ist in Gerhards Augen entscheidend und bewegt ihn, in dem Gott auf der Rückseite Pluto zu erkennen. »Das Haupt einer Sphinx schmückt als unterirdisches Symbol den Sitz jenes Unterweltsgottes, während der übrigens ähnliche Gott im entgegengesetzten Bilde an gleicher Stelle das Lichtsymbol eines Schwans zeigt. « Hier wird »die Gunst « des Unterweltsgottes »für Herakles erheischt «. dort »nahen sich nach erlangter Gnade des Hades die rückkehrenden Per- sonen dem heiter thronenden Göttervater «. Athene aber trägt in der Unter- weltszene in der Rechten als »Sinnbild des Lichts im Dunkel« eine Eule, und ihr Schild ist »mit dem Bild eines Herrschers im Sonnenflug, dem siegreichen Bilde des Adlers, ausgezeichnet «. Der mit dieser Mysterienlehre eng verwachsene Synkretismus hat dann dazu verführt, auch Gestalten aus anderen Religionen auf griechischen Bildwerken zu erkennen. Das be- rühmteste Beispiel hierfür ist, daß man den über das Meer fahrenden Dio- nysos auf einer Trinkschale des Exekias für Noah erklärt hat. Diese grundverkehrte Methode hat Otto Jahn in ihr Nichts zurückverwiesen, und obgleich es hier und da noch unter der Asche glimmt und zuweilen kli-ine Flämmchen emporzucken, wird doch kein Urteilsfähiger heute mehr eine Deutung aus eleusi nischer und orphischer Geheimlehre für ernst nehmen. Aber die Erbschaft hat der Animismus angetreten. Moriz Haupt pflegte in seinem Kolleg zu sagen: »Wenn irgendwo ein Hahn durch ein Gedicht läuft, so schreien die Mythologen: Feuer! « Die Zeiten sind andere geworden, nicht die Interpreten. Wenn er einen Vogel auf einer Vase erblickt, so flüstert der Religionsforscher: Eine Seele. Und sind doch stets ganz harmlose Vögel, die meistens nur der Raumfüllung dienen, ebenso wie die Schlange auf dem lakonischen Teller mit der Blendung des Polyphem (Abb. 141), die man bald als Symbol der Klugheit des Odysseus, bald als solches der Wut des Schmerzes, von dem der Kyklop gepackt wird, erklärt hat. Sehr s< hwer wird auch unseren Zeitgenossen die Vorstellung, die doch Goethe natürlich war, daß der Heide Sarkophage und Urnen mit Leben ver- zierte; auch hier sucht man überall nach Symbolen und Mysterien. Gewiß fehlt es hier nicht an solchen symbolischen Bezügen. Daß man auf den Sarg Deuten aus dem Animismus 301 einer Ehefrau den Alkestismythos, auf denen von früh verstorbenen Jüng- lingen die Mythen des Phaethon, Endymion, Adonis, Meleagros, Hippolytos darstellte, ist gewiß symbolisch gemeint, zumal wenn der Hauptheld die Porträtzüge des Toten erhält; aber wie wenig fest diese Symbolik sitzt, ersieht man daraus, daß der Tod des Hippolytos zwar auf griechischen, niemals aber auf römischen Sarkophagen dargestellt wird, dagegen stets Hippolytos auf der Jagd. Als Weidmann, wie Hippolytos einer war, sollte der verstorbene Jüngling gefeiert werden, wie auch auf den Meleagros- Sarkophagen die kalydonische Jagd bei weitem überwiegt. Und wie ver- blaßt mußte die Symbolik sein, wenn man in der Kuppelszene, wie wir oben gesehen haben, der Amme die Züge der Ehefrau geben konnte. Häufig begnügt man sich aber damit, an den Sarkophagen tragische Ereignisse anzubringen, die zwar von Tod und Verderben erzählen, aber eine besondere Beziehung zu dem Bestatteten nicht haben, den Untergang der Niobiden oder den Fall Trojas, oder durch Poesie und Kunst besonders populär ge- wordene Sagen, wie die von Medeia und von Pelops, wo es gewiß niemand eingefallen ist, die Verstorbene mit Medeia oder Kreusa oder Hippodameia, oder den Verstorbenen, wenn es ein solcher war, mit Iason oder Kreon, Pelops oder Oinomaos zu identifizieren. Neben das Symbolische stellt sich das Mythologische mit überlegener Kraft. Und so haben denn auch die Sarkophage mit Tritonen und Nereiden absolut nichts zu schaffen mit der Überführung des Verstorbenen nach den Inseln der Seligen. Ein sym- bolischer Gedanke ist allerdings auch hier der Ausgangspunkt, aber ein sehr schlichter und durchsichtiger. Wie einst die Nereiden dem Achilleus die von Hephaistos geschmiedeten Waffen gebracht haben, indem sie auf Del- phinen und anderen Seetieren über das Meer schwammen, so werden an dem Sarkophag des römischen Ritters Nereiden in derselben Situation angebracht mit den Waffen des Veistorbenen in den Händen. Bald gesellen sich zu den Nereiden die Tritonen, die Waffen werden vergessen, Tritonen und Nereiden treiben auf den Wogen ihr verliebtes Spiel, neckende Eroten beleben die Szene, bis dann die mittleren Paare zu Trägern des Medaillons werden, das die Brustbilder des verstorbenen Ehepaars hält. Ähnlich verhält es sich mit den bakchischen Sarkophagen. Hier ist der Ausgangs- punkt der indische Triumph des Dionysos. Daneben tritt bald der einfache Thiasos, bis auch hier zuletzt die Kentaurengespanne des Liber und der Libera Träger des Medaillons mit den Porträts werden. Mit bakchischen Mysterien hat das alles nicht das geringste zu tun, höchstens, daß häufig Fehlerquellen die mystische Cista erscheint, die aber ein integrierender Bestandteil des Thiasos ist. Aber nicht bloß' das Ganze, auch jedes Detail soll eine mystisch- symbolische Bedeutung haben. Zerfleischt ein Löwe einen Hirsch, verfolgt Abb. 224. unserer Kenntnis von der Technik der Alten auch die Geschicklichkeit des Fälschers; in mancher Hinsicht kann man sagen, daß dieser keine Grenzen gesetzt sind. Daher empfiehlt es sich, neben den stilistischen und technischen Kriterien auch die gegenständlichen zu Rat zu ziehen, wie wir bisher getan haben. Es fehlt nicht an Fällen, wo ein vod Kennern nach sorgfältigster Prüfung des Originals aus technischen Gründen für echt erklärtes Kunstwerk aus sachlichen Gründen ohne Autopsie als Fälschung erkannt worden ist. Ein drastisches Beispiel hierfür ist die früher in der Sammlung Tyszkiewicz befindliche Phrixosschale, ein technisch ebenso raffiniertes wie inhaltlich stümperhaftes Machwerk (Abb. 257). Es ist eine weißgrundige Trinkschale von staunenswerter Dünnwandigkeit, ein Meisterwerk der Keramik. »La coupe n'a que l'epaisseur d'une feuille de papier, et lorsqu'on la souleve, on ne sent aucun poids «, schreibt ihr Herausgeber W. Fröhner, und da ich sie wiederholt in der Hand gehabt habe, kann ich diese Angabe bestä- tigen. Das Innenbild zeigt auf weißem Grund fünf Figuren, vier große und eine zwerghaft gebildete. Alle sind durch Beischriften bezeichnet. Links sieht man König Athamas und hinter seinem Stuhl seine zweite oder dritte Gemahlin Ino. Ihm gegenüber stehen seine Kinder erster Ehe Helle und Phrixos. Während Athamas ruhig und wie beschwichtigend die linke Hand erhebt, gestikulieren diese lebhaft; namentlich Helle, die in theatra- lischer Pose mit zurückgesetztem linken Fuß dasteht, die Rechte auf die 334 Ergänzungen und Fälschungen Brust legt, die Linke gesenkt vorstreckt und zum Himmel emporblickt, während Phrixos mit erhobener Linken den Gebetsgestus macht, aber nicht nach oben, sondern auf seinen Vater blickt. Oben wandelt über einen durch eine Terrainwelle angedeuteten Bergrücken in winziger Figur die geflügelte Xephele, beide Arme vorstreckend. Hinter ihr trottet ein Vierfüßler, über dessen Gattung wir später sprechen werden. Im Kreisabschnitt unter Abb. 257. diesem Bilde steht die Künstlersignatur, in der der Name des Verfertigers bis auf die Endung — theus verstümmelt ist. Nennen wir ihn mit dem Herausgeber der Schale, W. Fröhner, Antheus ; da es sich um eine fingierte Person handelt, kommt ja auf die Richtigkeit des Namens nichts an. Dieser Antheus also hat sich trotz der Beischriften keineswegs so verständlich machen können, wrie der Fälscher des Deckels der Cista Pasinati. Wenig- stens hat ihn W. Fröhner nicht verstanden. Dieser resümiert zunächst die Phrixosfabel wie folgt: »Athamas, roi d'Orchomene, eut deux femmes: une mortelle Ino, qu'il repudia sur l'ordre d'Hera, et une immortelle, Ne- Die Phrixosschale Tyszkiewicz 335 phele, dont il eut deux enfants: Phrixos et Helle. Ayant appris que son mari ne discontinuait pas de voir et d'aimer sa premiere femme, Nephele le quitta: puis Phrixos et Helle, exposes aux rancunes d'Ino, et sentant leur vie menacee, resolurent de fuir ä leur tour la maison paternelle. « Diese Weisheit entstammt größtenteils einem Iliasscholion, das den Namen des Philostephanos trägt und in der übelsten Weise aus euripideischen und sophokleischen Motiven kontaminiert ist, wie denn des Athamas fortgesetzter heimlicher Verkehr mit seiner ersten Frau der obenerwähnten »Ino* des Euripides nachgebildet ist, bei dem jedoch die zweite Frau nicht Nephele, sondern Themisto ist. Die Flucht der Kinder aber hat Fröhner einer ganz anderen Quelle, nämlich Hygins Fabelbuch, entnommen, und so in unmetho- discher Weise zwei verschiedene Sagenversionen miteinander kontaminiert, wobei die Erzählung Hygins nicht einmal richtig wiedergegeben wird ; denn bei diesem ist die Situation gerade umgekehrt. Nicht Ino ist es, die ihre Stiefkinder bedroht, sondern sie selbst wird, als ihre Intrigen an den Tag gekommen sind, von Athamas dem Phrixos übergeben, auf daß er sie zur Strafe töte. Da schlägt Dionysos, um seine Tante und Pflegerin zu retten, Phrixos und Helle mit Wahnsinn, so daß sie in- die Wälder gehen und dort umherirren. Daß sie aus Furcht vor der bösen Stiefmutter, wie im Kinder- märchen, aus dem Hause fliehen, beruht einzig auf der Autorität W. Fröhners. Dieser fährt dann fort : »Mais quel est le moment precis du drame que l'ar- tiste a voulu fixer? Le moment decisif, je pense, justement celui que les auteurs anciens, jusqu'ici nos seules sources, ont passe sous silence. Nephele, la deesse des nuages, quitte son epoux infidele; eile s'elance dans les airs, eile est dejä loin et va bientöt disparaitre. Les enfants supplient le roi de ne pas la laisser partir. II faut donc supposer qu'il y ait eu prealablement, entre Ino et Nephele, une scene de Jalousie, oü le roi prenait la defense de sa premiere femme, et qui finissait par le depart de l'epouse divine. Une teile scene convenait surtout au theätre grec. Depuis Eschyle, la fable d' Athamas exercait le genie. des poetes dramatiques, et l'envolement de Nephele avec son chien (für einen solchen hält also Fröhner den Vierfüßler) ressemble bien ä un truc de theätre. « Schade, daß uns dies Meisterstück eines antiken Kotzebue nicht erhalten ist ; der Haushund, der seiner Herrin besser die Treue hält als ihr Gatte, muß sich auf der athenischen Bühne wundervoll ausgenommen haben. Aber diese Szene nat Antheus gewiß nicht darstellen wollen, auch wenn sie überhaupt existiert hätte. Die Kinder bitten nicht für ihre Mutter, sondern für sich. Phrixos soll infolge der In- 336 Ergänzungen und Fälschungen trigen seiner Stiefmutter, die ein gefälschtes delphisches Orakel unter- geschoben hat, dem Zeus geopfert werden. Helle bittet ihren Vater inständig um das Leben ihres Bruders und richtet ihre Blicke hilfesuchend gegen den Himmel. Phrixos betet. Ino, die Urheberin des Ganzen, steht kalt und abwartend hinter ihrem Gatten. Aber schon naht die Hilfe, Mutter Nephele, von dem Widder begleitet, der das Geschwisterpaar über das Meer entführen wird. Aber warum schwebt die personifizierte Wolke ihrer Natur entsprechend nicht in der Luft; zumal sie doch Flügel hat? Tut sie das doch selbst auf der Vase des Assteas, wo ihr diese fehlen? Warum wandelt sie über einen Bergrücken? Hier hat Antheus dieselbe Hygin- fabel benutzt wie Fröhner; denn dort wird weiter erzählt, daß den wahn- sinnig im Walde herumirrenden Kindern ihre Mutter Nephele begegnet und einen vergoldeten Widder (ein solcher ist augenscheinlich das Tier auf der Vase) mit sich führt. Diesen Satz des Hygin hat Antheus im oberen Teil der Bildfläche illustriert, wie denn für die Fälscher in den letzten Jahr- zehnten des vorigen Jahrhunderts Hygin und Ovid die Autoren waren, denen sie am liebsten den Stoff für ihre Machwerke entnahmen. Nament- lich gilt das von den Schöpfern der sog. myrrhinäischen Terrakotten, deren eine, die vom Herausgeber als histoire mysterieuse bezeichnet wird, die rührende Geschichte von Pyramus und Thisbe aus den Metamorphosen illustriert. Schon durch diese Hyginbenutzung ist Antheus als ein Künst- ler aus dem Ende des 19. Jahrhunderts erwiesen, aber noch gravierender sind die Einzelheiten seiner Zeichnung. Die winzige Nephele hat nur in den die Gräber und Leichen umschwebenden Seelchen auf den weiß- grundigen Lekythen ihre Analogie, und an diese wird Antheus auch wohl gedacht haben. Aber sonst ist solcher Größenunterschied auf Vasen des fünften Jahrhunderts etwas Unerhörtes. Vielleicht aber hat Fröhner die Absicht des Malers richtig erraten, wenn "er meint, daß Nephele in weiter Ferne zu denken sei und bald verschwinden werde. Also Perspektive. Aber wie bescheiden tritt diese im fünften Jahrhundert auf polygnotischen Vasen auf. Erst auf pompejanischen Bildern werden zuweilen die in weiter Ferne gedachten Personen kleiner gebildet, aber auch dort ist der Größenunter- schied niemals so übermäßig wie auf dieser Schale. In der Geschichte der griechischen Malerei scheint Antheus nicht sonderlich bewandert zu sein. Etwas Ähnliches ist dem Maler bei dem Sessel begegnet, wo er jedoch an Perspektive nicht gedacht haben kann; er ist nämlich so klein und niedrig, daß weder Athamas noch Ino darauf sitzen können. Gänzlich unantik Die Phrixosschale Tyszkiewicz 337 ist ferner die Gestikulation. Athamas, Helle und Phrixos gestikulieren alle drei mit der linken Hand. Das gehört auf antiken Bildwerken zu den allergrößten Seltenheiten. Man gestikuliert entweder mit der rechten Hand oder mit beiden Händen, und deshalb hält man das Attribut fast stets in der linken Hand, wie selbst der Zeus des Pheidias sein Zepter, dessen Parthenos ihre Lanze. Hier aber hält Athamas das Zepter in der Rechten. Daß Ausnahmen vorkommen können, habe ich eben schon zugegeben; aber gleich drei auf einer Vase, die nur vier Figuren enthält, das ist doch ein wenig arg. Daß Helle die rechte Hand auf ihre Brust legt, erinnert an den ähnlichen Gestus, den Lavinia auf dem Deckel der Cista Pasinati (Abb. 252) mit ihrer Linken macht, und der uns auch dort ein sicherer Beweis für die Fälschung gewesen ist. Am kompromittier endsten aber ist der Mantel des Phrixos. Schlimm war es ja schon, wenn Latinus auf jenem Deckel seinen Mantel von vorn über die Schulter geworfen hatte, aber es war doch wenigstens die linke ^Schulter. Phrixos aber hat in der- selben Weise seinen Mantel über die rechte Schulter ge- worfen, so daß die linke Hälfte der Brust frei bleibt, und das ist der unerhörteste Verstoß gegen antike Drapierung, der sich überhaupt denken läßt. Die richtige Drapierung zugleich mit der richtigen Gestikulation veranschaulicht die beistehende Skizze Abb. 258. Und nun wolle man bedenken, welch großes Gewicht gerade die Athener auf die Drapierung des Himations legten, wie grotesk also ein solches Bild auf sie wirken mußte, nicht anders, als ob jemand seinen Rock so anziehen wollte, daß das Rücken- stück auf die Brust zu stehen käme. Sowenig heute ein Maler eine Figur in solchem Anzug zeichnen würde, es sei denn, um einen komischen Effekt zu erzielen, sowenig kann ein antiker Künstler diesen Phrixos gezeichnet haben. Nur ein moderner kann es gewesen sein, der von griechischer Gewandung keine Ahnung hat. Die Sache verhält sich also so. Auf eine attische Schale von feinster Technik, aber ohne figürlichen Schmuck hat um das Jahr 1890 Herr Antheus diese Szene aus dem Phrixosmythos gezeichnet. Durch eine Untersuchung des Originals, die man 1899 im Britischen Museum vorge- nommen hat, ist dies aus den sachlichen Fehlern der Darstellung gewonnene Resultat lediglich bestätigt worden. Es hat sich herausgestellt, daß die Zeichnung zuweilen die Fugen der Bruchstücke, aus denen die Schale zu- Abb. 258. 338 Ergänzen triimmerhafur Bilc sammengesetzt ist. überschneidet, also erst hergestellt ist, als das Gefäß n einmal zerbrochen und wieder zusammengesetzt war. Der Leser er- sieht aber hieraus, welch große Bedeutung für das Erkennen von Fälschungen und Ergänzungen die genaue Beobachtung solcher sachlichen Details hat. Am meisten gilt dies von der Gewandung. Denn diese zu verstehen und licht ig wiederzugeben fällt den Fälschern am schwersten. ERGÄNZEN TRÜMMERHAFTER BILDWERKE. Auch hier- bei hat die Hermeneutik ein gewichtiges Wort mitzusprechen, denn wenn man ein Fragment ergänzen will, muß man erst aus dem Erhaltenen schließen. was dargestellt war oder dargestellt ge- wesen sein kann, und das ist Sache der Hermeneutik. Dann freilich tritt die ge- naue Untersuchung des Originals in ihr Recjjt, oder richtiger, sie muß mit der Hermeneutik Hand in Hand gehen. Und auch zum Prüfstein für die Richtigkeit einer Ergänzung kann die Hermeneutik werden. So haben wir oben aus sagen- geschichtlichen Gründen festgestellt, daß die Ergänzung des Jünglings vom Antiky- thera als Paris mit dem Apfel in der Hand unmöglich ist. Dasselbe gilt von der jetzt allgemein angenommenen Ergänzung des Hermes des Praxiteles mit der Traube in der erhobenen Rechten (Abb. 259). Sicher ist, daß der Gott in dieser Hand nicht sein eigenes Attribut, das Kerykeion, gehalten haben kann, denn die Höhlung in der lin- ken Hand lehrt, daß diese das Kerykeion umschloß; sicher ist, daß es ein Gegenstand gewesen sein muß, der die nli< hkeit des Dionysoskindes erweckt, so daß es das Händchen ver- langend danach ausstreckt. Aber eine Traube kann es nicht gewesen sein. Warum nicht, da es doch alle versichern und glauben? Aus religiösen Grün- den. Ein fester Glaubenssatz der Dionysosreligion ist es, daß dieser Gott Weinstock — zwar nicht geschaffen oder durch ein Wunder hervor- geht hat (denn der Schöpfungsbegriff ist. wie nicht bestimmt genug Abb. Der Hermes des Praxiteles 339 betont werden kann, der griechischen Götterlehre absolut fremd) wohl aber ihn gefunden, den Menschen gezeigt und seine Kultur ge- lehrt hat, so daß in diesem Sinne der Wein ein Geschenk des Dionysos ist. Wenn aber Hermes dem Dionysoskind die Traube zeigt, so ist diese ja etwas schon damals Bekanntes. Nicht Dionysos, sondern Hermes oder ein anderer Gott ist der Finder, und das widerstreitet dem griechischen Dogma. Hoffentlich wird niemand zu der Erklärung die Ausflucht nehmen, der Kindergott zeige seinem Pflegling die Traube gewissermaßen prophe- tisch oder proleptisch. Denn ein Prophetengott ist Hermes nicht, und Prolepsis ist nur eine Verzweiflungskonstruktion unbeholfener und un- geschulter Interpreten; die antike Kunst weiß von ihr nichts. Eine solche Vorstellung wäre ebenso, absurd, wie wenn einer ein Bild malen wollte. in dem ein alter Genovese dem kleinen Christoph Kolumbus einen Erd- globus mit Amerika zeigt, oder ein Stück schreiben, in dem Rat Goethe zu seinem Sohne sagt : »Wolfgang, wenn du deinen Lebenswandel nicht änderst, wirst du nie den Faust verfassen. <• Man sehe doch die zahl- reichen Bildwerke durch, die Szenen aus der Jugend des Dionysos darstellen, eine Traube oder einen Wein- stock wird man auf keinem finden. Nun beruft man sich aber für die Traube auf eine pompejanische Wand- malerei (Abb. 260). Hier steht ein Satyr genau in der Stellung des Praxitelischen Hermes, also diesem getreu nachgebildet, und dieser |V* hält mit der Rechten in der Tat eine Traube hoch, nach der ein Knäblein seine beiden Händchen ausstreckt. Aber zwischen der Statue und diesem Bilde ist doch ein wesentlicher Unterschied. Im Bilde ist es eben ein Satyr und nicht Hermes, das Dionysoskind aber kann wohl - außer von Hermes auch von Silen auf den Armen getragen werden, nie und nimmermehr aber von einem jugendlichen Satyr. Folglich ist das Kind auf dem Bild nicht der kleine Dionysos, sondern entweder ein Satyrknäblein oder ein menschliches Kind, wie solche auf Sarkophagen häufig von Satyrn getragen werden, so auf dem schon oben erwähnten bakchischen Sarkophag Abb. 261. 340 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke aus Bordeaux, wo ein Satyr solchem Knäbchen ein junges Häschen zeigt (Abb. 261). Der pompejanische Stubenmaler hat also das Motiv des Praxitelischen Hermes auf einen Satyr übertragen und den unbekannten Gegenstand, der das Verlangen des Dionysoskindes erregt, mit einer Traube vertauscht. Was aber dieser unbekannte Gegenstand war, läßt sich mit Sicherheit nicht bestimmen. Eine Kinderklapper oder eine Puppe, wie sie auf einem Sarkophag Silen dem Dio- nysoskinde bringt, würde zu spiele- risch sein, ein junges Tier, wie der ebenerwähnte Hase oder ein kleiner Panther, die Gruppe zu unruhig machen. Denkbar wäre ein kleiner Thyrsos, der dem Kerykeion des Hermes entsprechen würde, und wirklich gibt es eine rotfigurige Vase, auf der eine Mänade dem von Hermes getragenen Dionysosknaben einen Miniaturthyrsos hinhält, (Abb. 262). Aber mehr als eine entfernte Möglichkeit ist das nicht. Wie man verstümmelte Reliefs ergänzt, wollen wir uns zuerst an der rechten Hälfte desselben Theseus-Sarkophags klarmachen, dessen linke Hälfte (Abb. 59) wir bereits oben, als von Honos und Virtus die Rede war, kennen gelernt haben. Wir erinnern uns, daß Theseus vor Minos dargestellt ist, und daß außer den genannten Figuren noch Athene und Aphrodite zugegen sind. Aphrodite ist von Eros, Minos von einem bärtigen Trabanten be- gleitet, Theseus trägt die Porträtzüge des Toten mit dem kurzrasierten Haar, wie es zu Anfang des dritten Jahrhunderts Mode war. Auf der rechten Hälfte (Abb. 263) begegnet uns dieser Porträtkopf noch zweimal. Hier war also Theseus zweimal dargestellt, und folglich enthielt diese Hälfte zwei verschiedene Szenen. In der ersten sehen wir das Vorderteil eines Schiffes, das durch den Torbogen, der die beiden Hälften trennt, kupiert wird. Daß es das Vorderteil ist, erkennt man u. a. am Sporn und dem Auge an der Schiffswandung. In dem Schiff sitzen zwei, wie das auf Sar- kophagen üblich ist, in kleineren Dimensionen dargestellte Ruderer. Der vordere, der ganz erhalten ist, wendet seinen bärtigen Kopf nach rechts zurück. An dem anderen sind der Kopf und die beiden Arme abgebrochen, doch erkennt man an den Ansätzen, daß beide Arme gesenkt waren und natürlich den Griff des Ruders hielten, und daß der Kopf im Profil stand, Ein Theseus-Sarkophac 341 wozu die gebeugte Haltung stimmt. Von der Takelage ist der untere Teil des Mastes und dreier Taue erhalten, von denen zwei straff gespannt sind, das dritte am Schiffsschnabel befestigte schlaff herabhängt. Auf dem Mast und zwischen den Tauen bemerkt man zwei runde Ansätze, so- genannte Puntelli, die beweisen, daß hier ein in hohem Relief gearbeiteter Gegenstand, der nur durch diese Puntelli mit dem Grunde zusammenhing, weggebrochen ist. Zur Takelage kann dieser Gegenstand nicht gehört haben, einmal wegen des Platzes der Puntelli und zweitens des hohen Reliefs wegen. Also war hier noch, eine kleine menschliche Figur — vielleicht auch deren zwei — angebracht, von denselben Dimensionen wie die Ruderer und wie diese zur Bemannung gehörig. Sie wird am Mast empor - geklettert sein, um das Se- gel aufzuziehen. Daher ist das Tau am Schiffsschnabel noch schlapp. Eine ähn- liche Figur findet man auf dem Sarkophag mit Ostia und Portus (Abb. 61) in dem Schiffe rechts. The- seus, der in dem Schiffe steht, hält in der Linken das in der Scheide steckende Schwert, das an einem quer über die Brust laufenden Wehrgehäng befestigt ist. Der obere Teil der Scheide mitsamt dem Schwertgriff ist abgebrochen, jedoch mit Sicherheit zu ergänzen. Auch die rechte Hand fehlt; sie wird schwerlich ein Attribut gehalten, sondern einen Gestus gemacht haben, vielleicht einen des Bedauerns über Ariadne, die er nach der Götter Willen zu verlassen gezwungen ist. Diese sehen wir in dem bekannten Typus schlafend am Ufer liegen. Ich sage schlafend, obgleich sie die Augen offen hat; denn das erklärt sich daraus, daß der Kopf gleichfalls Porträtzüge trägt, jedenfalls die der Ehefrau; der Sarkophag war also nicht bloß für den Gatten, sondern für das Ehepaar bestimmt, worauf auch seine Höhe hindeutet. Natürlich ist dem Kopf der Ariadne auch die Modefrisur des beginnenden dritten Jahrhunderts gegeben. Von einem vor Ariadne stehen- 342 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke den -Mann sind nur die Beine und die linke Hand erhalten, die den Griff eines in der Scheide steckenden Schwertes gefaßt hält. Darüber ist ein halbkreisförmiges Stück aus der Vorderseite des Sarkophags ausgebrochen, und wie diese Lücke auszufüllen ist, das ist das Problem, das uns haupt- sächlich zu beschäftigen hat, über dem wir aber auch die Ergänzung der einzelnen Figuren nicht vernachlässigen dürfen. Daß die eben betrachtete Szene denselben Vorgang vorstellt, den wir schon früher auf einer attischen Trinkschale (Abb. 183) in viel geistreicherer Auffassung gefunden haben, braucht kaum gesagt zu werden. An der Ecke finden wir Theseus zum drittenmal, zwischen seinen Füßen sieht man den Oberkörper des getöteten Minotauros. In der Linken hält er die Keule, mit der er ihn erschlagen hat. Der untere Teil ist weggebrochen, doch erkennt man noch am Gewand der Eckfigur eine von diesem her- rührende Bruchstelle. Der rechte Arm war gebogen, und die Hand machte wohl den Redegestus. Den Kopf wendet er einem an der Ecke befindlichen bärtigen Mann mit beginnender Glatze zu, den die Exomis, der rechte- S< hulter und Brust unbedeckt lassende Kittel, als Handwerker charakte- risiert. Mithin ist es Dädalus, der Erbauer des Labyrinths, den nach einer Sagenform Theseus nach Athen zurückführt. Diese Sage scheint hier vorzuliegen, aber in der Form, daß Dädalus auch bei der Entführung der Ariadne seine Hilfe leiht. Die Eckszene setzt sich nämlich auf der rechten Schmalseite fort (Abb. 264), wo man neben dem Körper des toten Minotauros zwei Trabanten und die verhüllte Ariadne erblickt, die, den Zeigefinger an den Mund legend, Schweigen gebietet. Wenn Dädalus in der zuerst besproche- nen Szene fehlt, so hat das seinen Grund einmal im Platzmangel, vor allem aber darin, daß seine Anwesenheit bei dem dort dargestellten Vor- stehend wirken würde. Zwischen Theseus und Dädalus wird im Hinter- grund der Kopf des Hermes sichtbar, kenntlich an dem Flügelhut, der Ein Theseus-Sarkophag 343 leider in unserer Abb. 263 durch den darauf fallenden Schatten verdunkelt wird, dagegen in Abb. 265 deutlich ist. Natürlich ist er als Schutzgott des Theseus gedacht, wie Athene und Aphrodite auf der linken Hälfte. Diese Eckszene fällt, wie man sieht, zeitlich vor die links vorhergehende Szene, was den nicht befremden wird, der weiß, daß sich die Sarkophag- arbeiter in der Anordnung der Sze- nen an kein festes Prinzip binden, und daß die natürlichste, die von links nach rechts, keineswegs die herrschende ist. In dem vorliegen- den Fall war für die Anordnung der Wunsch maßgebend, die Figur der Ariadne, da sie die tote Ehefrau repräsentiert, in die Mitte der rech- ten Hälfte zu bringen, wie der The- seus der ersten Szene die Mitte der linken einnimmt. Das hatte aber weiter zur Folge, daß die Figuren der beiden letzten Szenen ineinan- der geschoben werden mußten, ein gleichfalls auf Sarkophagen nicht seltener Fall; es leuchtet nämlich ohne weiteres ein, daß die verstüm- melte Figur hinter Ariadne, da sie dem Theseus der Eckszene zuge- wandt ist, zu dieser gehört. Wie ist also die Lücke zu ergänzen? Sehen wir zuerst zu, wie man sie wirklich ergänzt hat (Abb. 265). Der Restaurator ist dabei so klug gewesen, sich seine Modelle auf der linken Hälfte zu suchen, und da er bemerkte, daß der Unterkörper hin- ter Ariadne mit dem des Trabanten an der linken Ecke eine große Ahn- ;;44 Ergänzen (xümmerhafter Bildwerke lichkeit zeigt, hat er den Oberkörper nach diesem restauriert. Nur bildete er den Kopf unbärtig und ließ die Figur die eine Hand auf die Brust legen, ein Theatergestus , den wir auch bei der Lavinia (Abb. 252) und bei der Helle (Abb. 257) gefunden haben und für den die Ergänzer und Fälscher eine große Vorliebe zu haben scheinen. Natürlich ist die Ergänzung in diesem Punkte falsch. Aber im übrigen war der Ergänzer auf der rechten Spur. Nun blieb aber über Ariadne noch eine Lücke zu füllen. In diese hat der Ergänzer eine bis zur Hälfte sichtbare Athene und den Kopf des Honos ein- gesetzt. Die Köpfe hat er nach der linken Hälfte genau kopiert, nur daß er den der Athene nach der entgegengesetzten Seite wandte ; die Draperie auf der Brust der Athene mußte mißraten, weil es ihm hier an einem Vor- bild und an Verständnis fehlte. Ist diese Ergänzung richtig? Gewiß nicht. Honos ist ohne Virtus nicht denkbar. Nun könnte man ja diese an Stelle der Athene setzen, aber das verbietet sich durch zwei in diese Lücke gehörige Frag- mente, die dem Ergänzer gute Dienste hätten leisten können, wenn er sie verwertet oder auch nur beachtet hätte. Ich habe diese Fragmente im Jahre 1884. als der Sarkophag noch nicht ergänzt war, bei seinem damaligen Be- sitzer gesehen, aber keine Erlaubnis erhalten, sie zu zeichnen oder zu photo- graphieren. Nur eine Beschreibung durfte ich mir von ihnen machen. Es >ind ein Stück vom oberen Rand, enthaltend einen nach rechts gewandten bärtigen Kopf in hohem Relief und darunter die vom Gewand bedeckte Brust, und eine sehr verstümmelte erhobene rechte Hand. Also nicht Athene stand in der Lücke zwischen Theseus und dem Trabanten des Minos, sondern eine männliche bärtige Figur. Kann es noch zweifelhaft sein, wer diese gewesen sein muß? Ein Trabant ist auf Sarkophagen ohne seinen Gebieter nicht denkbar. Eine Szene, in der sich Theseus mit Dädalus über sein glücklich bestandenes Abenteuer unterhält, ist zu inhalt- los, um von der Kunst dargestellt zu werden. Nur König Minos kann die fehlende Figur gewesen sein. Ihn wird man in die Lücke einzusetzen haben. Theseus tritt, nachdem er den Minotauros getötet hat, wieder vor ihn hin, wird aber von Dädalus an Ariadne erinnert und zu schleuniger Ab- fahrt gedrängt. Handelte es sich hier um ein ziemlich vollständiges Bildwerk mit einer verhältnismäßig kleinen Lücke, so besprechen wir jetzt ein Bruchstück, flas nur einen kleinen Teil der ganzen Komposition repräsentiert (Abb. 266). Hier muß wieder Deutung und Ergänzung Hand in Hand gehen. Am meisten in die Augen fällt ein Jüngling in phrygischer Tracht, von dem nur der Ein Sarkophag-Fragment 345 Abb. 266. Oberkörper erhalten ist, aber die Biegung des Leibes und die Rückenlinien verraten, daß er sitzt. Der linke Unterarm fehlt, aber die Hand ist an der Stirn erhalten; er faßte sich also nachdenklich an den Kopf. Da nun ihm gegenüber der Kopf einer Athene und der Oberkörper einer Frau erhalten sind, die «durch Schleier und Zepter als Hera kenntlich gemacht ist, so ist hierdurch schon die Deutung auf das Parisurteil sichergestellt. Da von Aphrodite nichts erhalten ist, muß diese unterhalb von Athene und Hera angebracht gewesen sein; also waren die Figuren nicht, wie auf dem eben besprochenen Theseus-Sarkophag , in einer Reihe, sondern staff eiförmig übereinander angeordnet. Der von uns der Aphrodite angewiesene Platz wird bestätigt durch den rechts von Hera verstümmelt erhaltenen Oberkörper einer Nike, die abwärts schwebt, ohne Zweifel auf die Siegerin im Schönheitsstreit Aphrodite zu. Mit der jetzt ver- lorenen Rechten wird sie ihr einen Kranz gereicht haben, und die linke Hand trug vermutlich den für Nike in der römischen Kunst typischen Palm- zweig. Zwischen Paris und den Göttinnen sitzt auf einem Felsen ein in klei- nen Dimensionen dargestellter Berggott, der die rechte Hand verwundert an seinen mit einem Sonnenhut bedeckten Kopf legt ; die Ergänzung seines lin- ken Armes, von dem die auf den Sitz aufgestemmte Hand erhalten ist, er- gibt sich von selbst. Da Paris mit seinem Kopf bis zum oberen Rand reicht und außerdem sitzt, kann seine Figur nicht die ganze Höhe der Bildfläche ein- genommen und nicht bis zum unteren Rand gereicht haben. Folglich muß unterhalb von ihm noch etwas angebracht gewesen sein, z. B. seine Herde. Ferner kann zwischen Paris und Aphrodite Hermes nicht gefehlt haben und ebensowenig neben der Liebesgöttin einer ihrer Eroten. Hinter Nike ist der Rest eines Pfeilers erhalten, dessen Stirnseite mit einem Putto geschmückt ist. Einen solchen Pfeiler haben wir eben auf dem Theseus-Sarkophag gefunden, wo er zur Szenentrennung diente. Dieselbe Bedeutung muß er auch hier haben; die Sarkophagvorderseite, deren Rest uns hier erhalten ist, hat also mindestens zwei Szenen enthalten. Von der zweiten Szene ist aber nichts als der nach rechts gewandte Oberkörper der Athene übrig. Mit Bestimmtheit dürfen wir annehmen, daß diese Szene zum Parisurteil in Beziehung gestanden, einen vorausliegenden oder folgenden Vorgang vorgestellt habe. Aber erraten werden wir diesen Vorgang kaum können. 346 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke Wahrend wir also die erste Szene aus sich allein deuten und der Hauptsache nach ergänzen konnten, müssen wir für die zweite zu dem bewährten Mittel der Vergleichung mit anderen Bildwerken schreiten, durch das es uns früher gelungen ist, selbst die bis auf geringfügige Reste zerstörte Sarkophag- seite mit Chiron und Achilleus vollständig zu rekonstruieren (Abb. 165. 166). Wir vergleichen also eine Sarkophagplatte der Villa Medici, die zwar in ihrer ganzen Ausdehnung erhalten ist, deren Figuren aber zum größten Teil jäm- merlich verstümmelt sind (Abb. 267). Es würde uns zu weit führen, wenn Abb. 267. wir liier die Ergänzung jeder einzelnen Figur so diskutieren wollen, wie wir es bei dem Fragment getan haben. Nur das Wichtigste kann hervorgehoben werden; der Hauptnachdruck ist aber auf das zu legen, was wir für das fragliche Fragment lernen können. Auch hier finden wir zwei Szenen, jedoch ohne den die Trennung bezeichnenden Pfeiler. Die erste, das Parisurteil, stimmt im ganzen mit dem überein, was wir auf dem Fragment sehen oder für es erschlössen haben. Der Hauptunterschied ist, daß Paris, der hier seinen Kopf auf die Hand stützt, seinen Platz im unteren Teil der Bildfläche hat. Es galt also den Raum über ihn zu füllen, was durch seine Herde geschieht, wie wir dasselbe für den unteren Teil des Fragments angenommen haben. Athene und Hera nehmen wieder den oberen Teil der Bildfläche ein, nur haben sie die Plätze getauscht. Nike erscheint an derselben Stelle wie auf dem Fragment. Unterhalb von Hera finden wir Aphrodite, die von einem Eros am Gewand zu Paris hingezogen wird, zwischen ihr und Paris Hermes, der, mit dem rechten Fuß auf eine Erhöhung tretend, auf Paris einredet,- alles, Der Paris-Sarkophag Medici 347 wie wir es auch für das Fragment erschlossen hatten. Der Berggott ist weg- gelassen; dafür erscheinen an der linken Ecke hinter Paris zwei Quell- nymphen, die vielleicht auch auf dem Sarkophag, von dem das Fragment herrührt, nicht gefehlt haben. In der zweiten Szene finden wir Athene genau wie auf dem Fragment, d. h. bis zum oberen Rand reichend und mit der Wendung nach rechts. Neben ihr, aber tiefer gerückt, Hera, noch tiefer, mit ihren Füßen den unteren Rand berührend, Aphrodite, der Nike voraneilt, in deren Linken hier die Palme erhalten ist. Der Weg der Göt- tinnen geht zu Zeus, der mit dem Blitzstrahl in der Linken und seinen Adler neben sich über der Personifikation des Himmels, Cälus, thront und dem der neben ihm stehende Hermes über den Ausfall des Urteils Bericht er- stattet. Naturgötter und Naturpersonifikationen füllen vor und hinter Zeus die obere Bildfläche und den Raum unter ihm. Oben Helios auf seinem Wagen, dem die Dioskuren voransprengen, weiter Selene und die Nacht, unter dieser, jetzt stark zerstört, aber auf einem alten Stich erhalten, ein Windgott, dann ganz unten der Berggott Olympos, vor diesem Okeanos und Tethys, hinter ihm Tellus mit ihrem heiligen Tier, dem Rind. Noch eine Figur ist übrig, die gerade auf der Scheide der beiden Szenen steht, ein Krieger, der mit der Linken den Schild hochhebt und in der verlore- nen Rechten, wie die leere Schwertscheide an seiner Seite lehrt, das gezückte Schwert gehalten haben muß. Ihn Ares zu nennen, würde nicht nur ein bloßes Raten, sondern ein schwerer methodischer Fehler sein, da dieser beim Parisurteil nichts zu suchen hat. Wir haben hier eine einfache Gleichung mit einer Unbekannten. Wenn, abgesehen von den Quellnym- phen, die reine Staffage sind, von den sechs Hauptfiguren der ersten Szene in der zweiten fünf wiederkehren, so ergibt sich daraus, daß in dieser auch die sechste wieder vorkommen muß oder wenigstens wahrscheinlich vorge- kommen sein wird. Diese sechste ist aber Paris, und er ist der Krieger. Die phrygische Gewandung und den Hirtenstab hat er abgelegt; er rüstet sich zum Raub der Helena und zum Kampi mit den Achäern. Diese zweite Szene stellt also die Rückkehr der drei Göttinnen vom Ida zum Olymp vor. Auf dem Fragment ist von ihr nur die Figur der Athene übrig. Daß unterhalb von ihr Hera und Aphrodite, vor dieser Nike, in der rechten oberen Ecke Zeus und Hermes angebracht waren, versteht sich jetzt von selbst. Aber Paris hat gefehlt und vielleicht waren auch die Naturgott- heiten und Naturpersonifikationen weniger reichlich vertreten. Noch beachte man, daß infolge der höheren Anbringung hier der sitzende 348 Ergänzen triimmerhafter Bildwerke »BS mm ^KffX^ky '•'•'A'.W.UA' » » ».».* * * * * "X*.**" - - >>' - "*^^H5S5SBSf ***** "umii. fffmwrsfjmr.'f**** Abi». 263. Attische Vasenfragmente 349 Paris der ersten Szene das Pendant zu dem sitzenden Zeus der zweiten gewesen ist. Bei der Ergänzung von Vasen ist vielleicht in noch höherem Grade als bei der von Reüefs die Untersuchung des Originals von wesentlicher Bedeutung. Technik, Färbung, Verlauf der Rotationsspuren geben hier sehr wichtige Fingerzeige. Wie wir aber im vorigen Kapitel gesehen haben, daß man Vasen auch ohne Anschauung des Originals als Fälschungen erkennen kann, so läßt sich auch die Ergänzung von Vasenscherben bloß nach den Abbildungen diskutieren, namentlich wenn sie so zuverlässig wiederge- geben und nach Technik und Zustand so vorzüglich erläutert sind, wie die aus dem Perserschutt stammenden Vasenfragmente von Botho Graef, aus denen wir darum die ersten Beispiele wählen wollen. Sehr wesentlich ist es dabei, die Form des zerstörten Gefäßes zu ermitteln, was in allen Fällen versucht werden muß. Läßt sich diese nicht mit Bestimmtheit fest- stellen, so muß man wenigstens die Möglichkeiten erwägen und die Un- möglichkeiten ausschalten. Ob es sich um ein hohes Gefäß, wie Krater, Amphora, Hydria, oder um ein niedriges, wie Kantharos oder Trinkschale handelt, darüber wird sich in der Regel Klarheit gewinnen lassen. Betrachten wir z. B. die nebenstehenden dreizehn nach Technik und Zeichnung von derselben schwarzfigurigen Vase stammenden Fragmente (Abb. 268), so beweisen uns die großen Figuren auf den vier in die oberen Reihen ge- stellten, daß diese ein hohes Gefäß gewesen sein muß ; nur wissen wir noch nicht, ob dieses nur auf einer Seite dekoriert war oder auf beiden; im ersten Fall war es eine Hydria, im zweiten eine Amphora oder ein Krater. Weiter aber lehren uns vier weitere in den unteren Reihen stehende Fragmente, auf denen wir Tiere in kleineren Dimensionen bemerken, daß mindestens noch ein zweiter Bilderfries dagewesen sein muß, die Deko- ration sich also, wie bei der Francois vase, auf mehrere Streifen verteilte. Haben wir dies festgestellt, so gilt es jedem einzelnen Fragment nach Mög- lichkeit seinen Platz anzuweisen, wobei man vor allem nach Stücken vom Rande und vom Fuß sucht. Ein Randstück ist das Fragment in der linken oberen Ecke. Der Rand ladet weit aus und ist mit Blattstäben, Punkt- reihen, Punktborden und Streifen verziert, welche Motive sich auch auf den Ornamentstreifen zwischen den Bilderfriesen wiederholen, nur daß dort noch ein plastischer Rundstab hinzukommt. Darunter ist noch vom Hals der Rest eines Palmettenornaments erhalten. Auch vom Fuß hat sich ein Fragment gefunden, das Graef in seinem Text abbildet, auch dies 350 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke mit Blattstäben, Punktborden und plastischem Stab verziert; da es aber für die Dekoration des Bauches nichts ergiebt, wäre es überflüssig, es hier zu wiederholen. Nunmehr müssen wir die Stücke suchen, die dem Fuß am nächsten standen. Als ein solches gibt sich sofort das rechts in der zweiten Reihe von unten stehende zu erkennen; denn hier nimmt der Ornament- streifen ungewöhnlich großen Raum ein, hat also offenbar zum Fuße übergeleitet: über schwarzen, roten und weißen Strichen die Punktborde, darüber weiße und rote Striche, dann ein breites schwarzes Band, durch drei rote dickere und einen weißen schmäleren Strich belebt, darauf ein plastischer Stab, darüber ein rotes Band, auf dem ein Streifen für eine Inschrift ausgespart war. Einen anderen Rest dieser Inschrift finden wir auf dem Fragment daneben; das Ornament darunter, soweit es erhalten ist, entspricht durchaus dem eben besprochenen. Außerdem ist aber hier über dem Inschriftstreifen ein zweiter plastischer Stab erhalten, so daß diese rote Borte oben und unten durch solch einen Rundstab eingefaßt wurde. Die Inschrift zu ergänzen, ist zwar noch nicht vollständig gelungen; doch steht von ihrem Inhalt das Wesentliche fest. Danach hat ein Töpfer dies Gefäß als Erstlingsspende {cmaqy^) von seinem Verdienst der Athene als Schützerin seines Handwerks, also als Ergane, geweiht. Von dem auf diesen unteren, bloß ornamentierten Teil des Gefäßes folgenden Bildstreifen ist auf demselben Fragment ein Rest erhalten, ein nach links gewandter verstümmelter Eber. Der unterste Streifen war also ein Tierfries. Das Hinterteil dieses Ebers und außerdem einen von ihm abgewandt dasitzen- den verstümmelten Greifen finden wir auf dem rechts darübergestellten Fragment. Einen weiteren Rest dieses Tierstreifens enthält das Fragment in der untersten Reihe rechts, das Hinterteil eines nach links schreitenden Stieres und den vorderen Teil einer Sirene; darunter das uns nun schon sattsam bekannte Ornament, jedoch statt der Inschrift die Punktborde; denn natürlich kann die Inschrift nicht ganz um das Gefäß herumgelaufen sein; sie wurde, wo sie aufhörte, durch die Punktborde abgelöst. Zum Tierfries gehört weiter noch das Fragment in der zweiten Reihe rechts mit dem Hinterteil eines Löwen, von dem abgewandt ein zweiter gestanden hat, wie aus dem kleinen Rest seines Schweifes zu erschließen ist. Hier erkennt man auch, wenn auch sehr zerstört, den über dem Tierfries laufenden Ornament- streifen; etwas besser ist er auf dem Fragment daneben erhalten und voll- ständig auf dem in der untersten Reihe links: ein rotes von der Punktborde durchschnittenes Band, oben und unten durch einen plastischen Stab be- Attische Vasenfragmente 351 grenzt, also ganz dem Inschriftband entsprechend. Von dem Tierfries ist hier noch der Rücken eines Tieres, wie es scheint, der eines Stiers, erhalten, aber vor allem verdanken wir diesem Fragment Aufklärung über den zweit- untersten Streifen, von dem auf ihm ein Rest erhalten ist, die Beine einer laufenden Figur, die durch die Beischrift als Ikaros bezeichnet ist. Also eine mythische Darstellung, und zwar die älteste bildliche von des Ikaros und natürlich auch seines Vaters Daidalos Flucht aus Kreta. Da die Beine den Boden nicht berühren, war er fliegend dargestellt, d. h. wie es in der griechischen Kunst bis gegen Ende des fünften Jahrhunderts üblich ist, auch in der Luft Schrittbewegungen machend. Die am Rücken befestigten künstlichen Flügel werden natürlich nicht gefehlt haben. Über den weiter links befindlichen Rest wären genauere Angaben des Herausgebers er- wünscht gewesen. Man könnte an das untere Ende eines Zepters und den Zipfel eines Mantels denken; dann würde hier König Minos gestanden haben; doch ließe sich das nur vor dem Original entscheiden. Dasselbe Ornament wie unter dem Ikaros-Streifen kehrt auf dem Fragment in der zweiten Reihe links wieder, doch kann dieses nach den figürlichen Resten nicht zu derselben Darstellung gehört haben. Der am linken Bruch er- haltene linke Fuß rührt, wie die Beischrift lehrt, von einem wegschreitenden Hephaistos her. Rechts von diesem ist der untere Teil eines nach rechts gewandten Mannes erhalten, dessen Chiton mit schwarzem Firnis nur grundiert ist, also zur Aufnahme von Deckfarbe bestimmt war. Dasselbe finden wir bei dem Chiton des Mannes, dessen mittlerer Teil auf dem dar- über gestellten Fragment erhalten ist, und da überdies am Saum seines Mantels dasselbe Ornament zu bemerken ist wie an* dem Mantelzipfel des eben besprochenen Fragments, so rühren beide Reste von derselben Figur her, und sind die Fragmente so anzuordnen, wie es Graef getan hat und unsere Abbildung es zeigt. Auf dem oberen Fragment ist weiter noch das Mittelstück eines Stabes erhalten, den dieser nacli rechts schreitende Mann in der rechten Hand gehalten hat, ferner eine zurückgestreckte linke Hand. die dem Hephaistos gehören muß und die, weil es die linke ist und nicht die rechte, beweist, daß dieser sich im Fortgehen umgedreht hat. Das ist aber die typische Bewegung dieses Gottes bei der Athenegeburt (s. Abb. 127. 128); nachdem er das Haupt des Zeus mit seinem Beile gespalten, flieht er erschrocken vor der herausspringenden Athene, sieht sich aber auf der Flucht noch einmal nach dem neugeborenen Wunder um. Also ge- hören diese beiden Fragmente zu einer Darstellung der Geburt der Athene. 352 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke Und in der Tat finden wir auf einem dritten Fragment, in der obersten Reihe rechts, den nach rechts sitzenden Zeus, dessen Haupt wir uns so ergänzen müssen, daß eben Athene daraus hervorkommt. Hinter dem Thron des Zeus steht an ihrem typischen Platz die göttliche Geburtshelferin Eileithyia, von der das Mittelstück mit dem erhobenen rechten Arm erhalten ist. Diese drei Fragmente können also nicht mit dem Ikaros-Fragment zu der- selben Darstellung, aber sie könnten vielleicht zu demselben Streifen ge- hören, so daß dieser auf der Vorderseite die Geburt der Athene, auf der Rückseite die Flucht des Daidalos und Ikaros aus Kreta gezeigt hätte. Allein dies ist durch die ganz verschiedene Größe der Figuren ausgeschlossen. Man wird vielleicht einwenden, daß Ikaros deshalb kleiner gebildet sei, weil er ein Knabe ist. Aber trotzdem verlangen die beiden unverbrüchlichen Gesetze der archaischen Kunst, der Isokephalismus und der Horror vacui, daß seine Figur die ganze Höhe des Bildstreifens ausfüllte. Und daß dem wirklich so war, beweist die Anbringung der Namensbeischrift zwi- schen seinen Beinen. Wäre über seinem Kopf noch leerer Raum geblieben, so hätte der Maler gewiß die Inschrift benutzt, um diesen auszufüllen. Deshalb kann dies Fragment nicht von demselben Streifen herrühren wie die Reste der Athenegeburt. Wir konstatieren also: die Vase enthielt zwei Streifen mit mythologischen Darstellungen übereinander, von denen der eine doppelt so hoch war wie der andere. Da wir oben festgestellt haben, daß der Ikarosstreifen über dem Tierfries stand, erhält der hohe Streifen, wie sich gebührt, den obersten Platz, und es folgen einander unter dem Pal- mettenornament von oben nach unten: Athenegeburt, Flucht des Daidalos und Ikaros, Tierfries. Der kundige Leser wird nun schon bemerkt haben, daß dies genau dieselbe Anordnung ist wie am Bauch der Frangoisvase. Auch dort haben wir einen höheren Streifen mit dem Zug der Götter zu Peleus und Thetis, der beide Seiten des Kraters einnimmt, darunter einen niedrigeren mit dem Tod des Troilos auf der einen, der Rückkehr des He- phaistos in den Olymp auf der anderen Seite, und ganz zu unterst den Tier- fries; nur sind an diesem Paradestück schwarzfiguriger Keramik auch Mündung, Hals und Fuß mit Bilderstreifen verziert. Prüfen wir nun die drei noch übrigen Bruchstücke, die nach den Größenverhältnissen der darauf erhaltenen Figurenreste zum oberen Streifen gehört haben müssen. Auf dem einen, das links von dem Zeus-Fragment steht, finden wir das Mittelstück einer nach rechts stehenden Frau im Peplos mit Überschlag, aber ohne Mantel; hinter ihr Reste von zwei weiteren Frauen, die Staffel- Attische Vasenfragmente 353 artig hintereinander geschoben sind; die hintere, ebenfalls im Peplos mit Überschlag, hebt mit der Linken ihren Mantel empor, die vordere, deren Überschlag ein Schuppenmuster trägt, hebt die linke Hand flach empor, während der rechte Arm, wie ein kleiner Rest erkennen läßt, gesenkt war. Namentlich der erwähnte Handgestus entscheidet dafür, daß das Frag- ment zur Athenegeburt gehört ; denn er ist nach antikem Glauben ein die Entbindung fördernder. Nach ihrer Richtung müssen diese Frauen, die wir somit gleich als Göttinnen bezeichnen können, hinter dem Thron des Zeus gestanden haben. Für ihre Benennung gibt der erhaltene Anfangs- buchstabe einer Namensbeischrift einen Anhalt, die wie die des Hephaistos von oben nach unten lief; es ist ein B. Nun kann sich diese Beischrift an sich sowohl auf die rechts von ihr befindliche einzelne Göttin als auf das Göttinnenpaar beziehen. Im ersteren Fall kommen Hera und Hebe in Betracht; aber gegen Hera spricht der Mangel des Mantels, die Göttin muß ein Mädchen sein. Hebe also wäre möglich. Bezog sich aber die Beischrift auf die beiden Frauen links, so kann sie nur BOPAI gelautet haben; dann finden wir hier also die Hören, und natürlich kann in diesem Fall auch die dritte Höre nicht gefehlt haben. Also war es die sogenannte Dreifrauengruppe, und dann ist es weiter wahrscheinlich, daß der Mantel, den die hintere Höre emporhebt, um alle drei geschlungen war wie bei den Hören auf der Francoisvase und auf einer einstmals Sabouroffschen Vase so- gar um neun Frauen (Abb. 269). Dies paßt so gut, daß es sich empfiehlt, die Beischrift in der Tat auf diese Gruppe zu beziehen, zumal auch bei Hephaistos der Name rechts von der Figur steht. Für die einzelne Göttin ist dann außer Hebe auch die Benennung Artemis möglich. Auf dem Fragment in der Mitte der zweitunter- sten Reihe ist der vorgestreckte linke Unterarm eines Mannes, dahinter sein weißer Mantel und davor ein roter Gewandrest erhalten, der zu dem gemeinsamen Mantel der Hören gehören kann, auf dem Fragment daneben eine linke Fußspitze, die dem Gott auf dem Hephaistosfragment gehören könnte. Dann würde der rote Gewandrest wieder vom Mantel der Hören herrühren. Der Rich- tung nach muß auch dieser Gott seinen Platz hinter dem Thron des Zeus gehabt haben. Rechnen wir nun zusammen, wieviel Figuren wir außer 354 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke Zeus auf diesem Bildstreifen feststellen können: Eileithyia, Artemis, die Hören, denen wir hier ihrer Anordnung halber nur den Wert von zwei Figuren geben dürfen, einen unbekannten Gott, einen Gott mit Stab, in dem wir nun unbedenklich Poseidon mit dem Dreizack erkennen dürfen, endlich den fliehenden Hephaistos, das sind sieben Figuren. Gehört aber die linke Fußspitze nicht dem Poseidon und stammt der Gewandrest davor nicht Abb. 270. vom Mantel der Hören, so erhöht sich diese Zahl auf elf. Wir wollen aber die kleinere Zahl in Rechnung setzen. Zeus mußte natürlich die Mitte ein- Vfchmen, und vor ihm mußten ebensoviel Götter stehen wie hinter ihm. Somit umfaßte die Darstellung mindestens fünfzehn Figuren. Daß dies bei einer Hydria möglich ist, beweist die Caeretanische mit der Tötung des Busiris. Immerhin ist es bei einer attischen Hydria ungewöhnlich, und die Ähnlichkeit der Streifenanordnung mit der auf der Francoisvase scheint mehr für die Annahme eines Kraters zu sprechen, dessen oberer Bildstreifen Attische Vasenfragmente 355 eine einheitliche Szene enthält. Entscheiden aber läßt sich die Frage nicht. Auch die Einordnung der Fragmente mit Poseidon und Hephaistos einer-,' des mit den Hören und der präsumptiven Artemis anderseits, sowie des Fragments mit der Fußspitze bleibt ungewiß. Daß ein so vornehmer Gott wie Poseidon so weit von seinem Bruder entfernt gestanden haben sollte, scheint befremdlich. Man hat daher mit der Möglichkeit zu rechnen, daß Artemis, die Hören und der auf sie folgende Gott, der wohl Apollon sein wird, links von Poseidon und Hephaistos, und wenn es wirklich ein Krater war, möglicherweise auf der Rückseite standen. Wir reihen hier einen Fall an, in dem die Zugehörigkeit zu demselben Gefäß trotz vollkommener Übereinstimmung des Tons, des Firnisses und der Technik zweifelhaft erscheinen muß (Abb. 270). Von den neun Fragmenten stammt das oberste rechts sicher Wieder von einer Athenegeburt; man sieht die in, kleinen Dimensionen gemalte Athene, wie sie gewappnet und den Speer zückend dem Haupt ihres Vaters entsteigt, rechts von ihr die ersten Buchstaben ihres Namens. Das Fragment stammt vom oberen Rand, der mit Blattstäben dekoriert ist und dessen Form lehrt, daß das Gefäß ein Skyphos war. Derselbe Rand mit der gleichen Verzierung findet sich bei den anein- ander schließenden Fragmenten daneben, die also mit dem ersten zusammen- gehören, und da die darauf befindlichen Figurenreste nach rechts gewandt sind, links von ihm zu stellen sind. . Erhalten ist darauf der obere Teil der Köpfe einer Dreifrauengruppe, die durch die leicht zu ergänzende Beischrift als die Moiren bezeichnet wird. Denn daß dieser Name zu dieser Gruppe gehört und nicht etwa zu einer vorher weggebrochenen, folgt aus dem in der schwarzfigurigen Keramik feststehenden Gesetz, nach dem horizontal ge- stellte Namensbeischriften stets von den Köpfen der Figuren ausgehen müssen. Der hinter den Moiren sichtbare Rest eines B, das von einer Bei- schrift herrührt, die von oben nach unten lief, ist also der Rest der Künstler- signatur, die auch in dem Hauptstreifen der Francoisvase in gleicher Rich- tung von oben nach unten läuft. Von dem dann folgenden Hermes ist nur das vordere Stück des Hutes erhalten, dagegen die Namensbeischrift vollständig. Das Fragment links unten zeigt das Mittelstück eines nur mit einem roten Mantel bekleideten Mannes, der nach rechts schreitend die linke Hand einer Frau hält, von der außer dem zugehörigen Arm nebst dem darüber fallenden Mantelteil nichts erhalten ist. Seinen linken Arm streckt dieser Mann gebogen vor, wo noch ein kleines Stück von dem Mantelsaum einer dritten Figur erhalten ist. Unmöglich können 23^ 356 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke diese drei Figuren mit der Athenegeburt in Verbindung gebracht werden, unmöglich für zuschauende oder herantretende Götter gelten. Erstens weil der Abstand zwischen den einzelnen Figuren bedeutend kleiner als zwischen Hermes und den Moiren ist, die als geschlossene Dreifrauen- gruppe natürlich für eine einzige Figur rechnen. Gleichheit der Intervalle ist aber in der schwarzfigurigen Keramik ein streng beobachtetes Ge- setz. Zweitens würde es der Situation widersprechen, daß der Mann die Frau bei der Hand führt. Dies heute so geläufige und oft nichtssagende Anfassen ist bei den Griechen auf ganz wenige Fälle beschränkt. Daß ein Gott einer Göttin aus Aufregung, etwa über den Anblick der Athene, die Hand drücken sollte, widerspricht absolut der Gepflogenheit der Griechen. Ebensowenig fassen die Teilnehmer an einer Prozession einander bei dei Hand. Man denke doch nur an den Götterzug auf der Francoisvase oder an den Parthenonfries. Ich kenne überhaupt nur drei Fälle, in denen man sich die Hand gibt. Erstens bei der Begrüßung, aber nur bei ganz intimer, zweitens bei der Heimführung einer Braut oder der gewaltsamen Entführung eines Mädchens; doch ist es hier gewöhnlicher, daß die Entführte bei der Handwurzel gefaßt wird. Endlich drittens beim Reigentanz. Für die frag- liche Scherbe kommen nur die beiden letzten Fälle in Betracht. Aber gegen eine Heimführung spricht der gebogene linke Arm des Mannes, der doch mit der vorherschreitenden Figur in Verbindung gebracht werden muß. d. h. er faßte mit der linken Hand die rechte Hand dieser Figur, und diese war eine zweite Frau. Das entscheidet für den Reigentanz, und der Ver- gleich mit den tanzenden Knaben und Mädchen auf der Francoisvase Abb. 271. (Abb. 271) oder dem Reigen auf zwei anderen aus dem Perserschutt stammen- den Scherben (Abb. 272) bringt diese Erklärung zur Evidenz. Natürlich handelt es sich wie auf der Francoisvase so auch auf diesen Gefäßen von der Akropolis nicht um einen beliebigen Tanz, sondern um den in Kult und Mythos, Bild und Lied so hoch gefeierten Reigen, den die vierzehn dem Minötauros entronnenen Knaben und Mädchen unter Theseus' Füh- rung auf der Insel Delos getanzt haben. Stammt nun dieses Fragment Attische Vasenfragmente 357 von demselben Skyphos wie die mit der Athenegeburt, so kann es nur zu dessen Rückseite gehört haben. Hingegen läßt sich die zwischen die Frag- mente der Athenegeburt gestellte Scherbe sowohl mit dieser als mit dem Reigen auf Delos in Verbindung bringen; sie enthält den Rest einer nach links gewandten weiblichen Figur; er- halten sind die linke Hand, der untere Teil des über den linken Arm fallenden Mantels und ein winziges Stück von der Rückseite des mit einem streifen- förmig gemusterten Peplos bekleide- ten Körpers. Dies kann sowohl eine Abb. 272. vor Zeus stehende Göttin als die dem Reigen entgegensehende Ariadne ge- wesen sein, wie die auf der Francois- vase, die in Gewandung und Haltung des linken Arms mit diesem Rest genau übereinstimmt. Drei weitere Fragmente rühren hingegen von der Darstellung eines Amazonenkampfs her. Auf die einzelnen Figuren näher einzugehen, würde uns zu weit abführen. Die Ergänzungen sind so einfach, daß sie dem Leser selbst überlassen bleiben können. Nur darauf mag hingewiesen werden, daß auf dem größten wieder eine Drei- frauengruppe vorliegt, jedoch eine lebhaft bewegte und aufgelöste. Somit haben wir Reste von drei verschiedenen Darstellungen konstatiert, Athene- geburt, Reigentanz auf Delos und Amazonenschlacht. Will man nun nicht annehmen, daß der Skyphos zwei Figurenstreifen hatte, wofür es meines Wissens kein Beispiel gibt, so muß man den Schluß ziehen, daß die acht Fragmente von zwei verschiedenen Gefäßen stammen. Es fragt sich nur, ob der Reigentanz oder ob die Amazonenschlacht mit der Athenegeburt zusammengehört. Diese Frage wird durch den Charakter der Beischriften ebenso einfach wie sicher gelöst. Auf den Scherben mit der Amazonen- schlacht sind die Buchstaben kleiner und haben einen anderen Ductus. Noch entscheidender aber ist das ganz verschiedene Prinzip ihrer Anbringung. Auf den Scherben mit der Athenegruppe sind die Buchstaben aufrecht mit großen Zwischenräumen gestellt; sie wirken ornamental. Auf den Scherben mit der Amazonenschlacht sind die Beischriften zur Ausfüllung des leeren Raumes zwischen den Köpfen verwandt, laufen meist von oben nach unten und schlagen auch gelegentlich ihrem Zweck entsprechend einen Schnörkel. Es ist undenkbar, daß auf demselben Gefäß ein so grundverschiedenes 358 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke Prinzip befolgt gewesen sein sollte. Also gehört der Reigentanz zu dem Skyphos mit der Athenegeburt, die Amazonenschlacht zu einem anderen Gefäß, dessen Form sich nicht genau bestimmen läßt ; denn außer dem Sky- phos kommen noch Amphora, Hydria, ja selbst der Krater in Betracht. Auch ist mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der Amazonenkampf bei der Ausdehnung, die er gestattet und eigentlich verlangt, sich über Vorder- und Rückseite hin erstreckte. Von einem Amazonenkampf stammt auch die in Technik und Stil mit diesen drei Fragmenten genau übereinstim- mende Scherbe in der rechten unteren Ecke. Graef hat nur darum Be- denken getragen, sie demselben Gefäß zuzuschreiben, weil auf ihr das Theta mit einem Punkt geschrieben ist, dagegen auf dem einen Bruchstück von der Athenegeburt in älterer Weise mit dem Kreuz. Daß dies nicht ganz ausschlaggebend ist, gibt Graef selbst zu, da sich dasselbe Schwanken auch auf der Francoisvase findet. Jetzt, wo sich herausgestellt hat, daß die Amazonenschlacht nicht mit der Athenegeburt zusammengehören kann, hindert absolut nichts mehr, diese Scherbe mit den übrigen Resten der Amazonenschlacht zu verbinden. Haben wir uns bisher mit der Ergänzung solcher Gefäße beschäftigt, von denen mehrere Bruchstücke vorhanden sind, so wenden wir uns jetzt zur Ergänzung und Deutung einzelner Scherben und beginnen auch hier mit einer solchen, die im Perserschutt gefunden ist (Abb. 273). Das Bruchstück stammt vom Hals einer Lutrophoros, ffl^y das sind Gefäße, in denen in Athen das y£»r -W*' — MRl Brautbad aus der Kallirrhoe für die Yflm.A s*^djl^ \Mmwf Braut geholt wurde. Reste von viei fll 91 f ^7'" ten. Bei flüchtigem Hinsehen könnte ]i I \\mmPw ' nvdn versucht sein an das Parisurteil '*"ÜP " zu (lenken; denn links steht, an der Abb. 273 geschuppten und mit Schlangen ge- säumten Ägis kenntlich, Athene, die den linken Arm erhob, vor ihr eine Göttin, die wohl Hera sein könnte. Beiden voran schreitet ein Mann mit einem Stecken in der Linken, der seine Hand in die Rechte eines ruhig dastehenden, dem Ankommenden zugewandten Mannes legt. Also Hermes, der die drei Göttinnen zu Paris führt; hinter Athene ist die Figur der Aphrodite weggebrochen. Was könnte einfacher sein? Aber bei weiterem Nachdenken ergeben sich unüberwindliche Rückführung der Briseis 359 Schwierigkeiten. Die Handreichung ist zwischen einem Gott und einem Menschen kaum denkbar, es sei denn, daß der Gott Menschengestalt an- genommen hätte; sonst ist solche vertrauliche Herablassung eines Gottes unerhört. Paris pflegt auf schwarzfigurigen Vasen im langen ionischen Chiton dargestellt zu werden (s. Abb. 96). Hier würde er das über die linke Schulter in mustergültiger Weise drapierte Himation tragen, und außerdem ist in seiner Linken der Rest eines Zepters oder Speeres zu erkennen. Noch größere Bedenken erregt die vermeintliche Hera. Wie sie mit der Linken den Mantel lüpft und die Rechte mit zuckenden Fingern vorstreckt, gleicht sie mehr einem schüch- ternen Mädchen als der Götter königin. Abgesehen von der charakteristischen Geste der Rechten hat Hie- ron ganz ähnlich die von Agamemnon fortgeführte Briseis dargestellt (Abb. 138), und diese Überein- stimmung, obgleich sie wohl eine zufällige ist, leitet uns doch auf den richtigen Weg. Es handelt sich um ein Mädchen, das unter dem Schutz der Athene von einem Manne ihrem Geliebten oder Bräutigam zugeführt wird. Es ist die Rückführung der Briseis, die Männer sind der Herold Talthybios und Achilleus. Also wiederum eine Illu- stration zum 19. Buch der Ilias, freilich ganz anderer Art als auf der oben besprochenen korinthischen Vase (Abb. 129). Mehr als diese vier Figuren braucht die Darstellung nicht enthalten zu haben. Nun machen wir eine Probe mit einer Scherbe, auf der nur der Rest einer einzigen Figur erhalten ist (Abb. 274). Es ist ein Fragment vom Innen- Abb. 274. 360 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke bild einer weißgrundigen Trinkschale, ein Frauenkopf mit einer Binde im Haar, hinten von dem hochgezogenen Mantel bedeckt, vor ihm das Ende einer Namensbeischrift, die mit Sicherheit zu Polyneikes zu ergänzen ist. Auch dieser war also dargestellt, mehr Figuren aber als diese zwei kann das Bild des Raums wegen nicht enthalten haben. Der Besitzer A. Rhuso- pulos hatte den Kopf in seiner Publikation um etwa 45 Grad mehr nach unten gedreht, als ob die Frau in gebückter Stellung gezeichnet gewesen wäre, und wollte das Bild auf Antigone deuten, die ihren Bruder Poly- neikes bestattet. Allein solche Neigung des Körpers ist, wie Conze er- kannt hat, durch die Nackenlinie ausgeschlossen; auch laufen auf diesen Innenbildern die Beischriften in der Regel in horizontaler Richtung. Da- mit ist es um die Deutung auf Polyneikes' Bestattung geschehen: denn nun kann Polyneikes nicht mehr auf der Erde oder in den Armen der Frau gelegen, sondern muß ihr aufrecht gegenüber gestanden haben. Darum könnte die Frau immer noch Antigone in einem früheren Augenblick ge- wesen sein. Aber dagegen spricht ein wichtiges Detail, das obere Ende einer stilisierten Blüte an ihrem Hals. Diese Blüte muß von ihrer rechten Hand gehalten worden sein. Dies Motiv schließt den Gedanken an Antigone aus, und so kommen nur die Gemahlin des Polyneikes Argeia und Eriphyle, die Gemahlin des Amphiaraos, in Betracht. Hier entscheidet nun der gierige Blick des Auges, der nur für Eriphyle paßt, die von Polyneikes mit dem Halsband der Harmonia bestochen wird, ihren Gatten Amphiaraos kraft der ihr über diesen gegebenen Macht zur Teilnahme am Feldzug gegen Theben zu zwingen. Die Überreichung dieses Halsbandes an Eriphyle war also der Inhalt des Bildes. Haben wir hier eine auf zwei Figuren beschränkte Darstellung aus dem Rest der einen und der Namensbeischrift der anderen rekonstruiert, so kommen wir nun zu einem Fall, wo von einem viele Figuren umfassenden Bilde nur Reste von drei Figuren übrig sind. Es ist eine in Ruvo gefundene Scherbe eines großen Tarentiner Kraters, dessen Besitz das Hallesche Uni- versitätsmuseum Heinrich Heydemann verdankt (Abb. 275). Am meisten erhalten ist von der Figur des Poseidon, dessen geneigter Kopf einen tief- trauernden Ausdruck zeigt. Die Rechte ist auf den Dreizack gestützt; aus der Haltung des Oberkörpers dürfen wir schließen, daß er saß. Rechts von ihm bemerkt man das linke Füßchen eines Kindes, dessen Knöchel mit einer Spange geschmückt sind. Da es horizontal in der Luft schwebt, muß es geflogen, also ein Eros gewesen sein, woraus sich weiter ergibt, daß rechts Einzelscherben 361 Aphrodite folgte. Links von Poseidon sieht man einen bogenförmig geblähten Mantel und links davon, etwas höher, das flatternde Haar seines Trägers. Dieser muß schon zur Hauptdarstellung in der Mitte in Beziehung stehen, während Poseidon und Aphrodite die obere rechte Ecke einnahmen. Daß diese zuschauenden Götter auf tarentinischen Vasen in den beiden oberen Ecken oder in der ganzen oberen Reihe typisch sind, haben wir ja schon wiederholt bemerkt. Es muß sich also um einen Vorgang gehandelt haben, an dem Poseidon und Aphrodite Anteil nehmen, und wenigstens für jenen einen sehr schmerzlichen. Wollte man nun an den Tod des Hippolytos Abb. 275. erinnern, den Poseidon* durch sein dem Theseus gegebenes Versprechen ge- bunden, notgedrungen herbeiführen muß, dessen eigentliche Anstifterin aber Aphrodite ist, und wollte man weiter in dem Träger des Mantels eine jener auf dieser Vasenklasse so beliebten Personifikationen abstrakter Begriffe sehen, wie den Oistros auf der Medeiavase, die hier das Scheuwerden der Hippolytosrosse veranschaulichen sollte, so würde man das für einen Ein- fall halten, der sich allenfalls diskutieren ließe, der aber weit davon entfernt wäre, evident zu sein. Hier kann also wiederum nur die Vergleichung mit anderen vollständiger erhaltenen Bildwerken helfen, und diese ergibt, daß der Einfall das Richtige getroffen hat. Auf einem gleichfalls in Ruvo gefundenen Krater (Abb. 276) finden wir in der unteren der beiden Figurenreihen, in die 362 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke hier die Komposition zerfällt, Hippolytos auf seinem Viergespann. Unter den Pferden taucht der von Poseidon aus dem Meere gesandte Stier auf, bei dessen Anblick die Tiere scheu werden und durchgehen, so daß ihr Lenker die Gewalt über sie verliert, vom Wagen stürzt und zu Tode geschleift wird. Dies Scheuwerden der Rosse wird dann weiter noch durch eine erinyenhafte Gestalt veranschaulicht, die ihnen mit der Linken eine Schlange entgegen- hält und mit der Rechten eine brennende Fackel gegen sie stößt, und die nach Analogie anderer Darstellungen, wo sie inschriftlich bezeichnet ist, Lyssa, die Personifikation der Wut, zu benennen ist. Hinter dem Wagen eilt entsetzt der alte Pädagog des Hippolytos herbei, der ihn in dem Prolog des Euripideischen Dramas vor dem Zorn der Aphrodite gewarnt hat. Die Der Tod des Hippolytos 363 obere Reihe wird ganz von den Göttern eingenommen. Rechts sitzt Posei- don, der mit ausgestreckter Rechten der vor ihm sitzenden Aphrodite Vor- stellungen zu machen scheint ; sie hört ihn aber gar nicht an, sondern wendet trotzig den Kopf von ihm weg. Neben ihr schwebt Eros, der auf der linken Hand eine Schale hält und zugleich von einem Finger dieser Hand das Rädchen für den Liebeszauber herabhangen läßt. Dann folgt Athene als Stadtgöttin und Schutzgöttin des Theseus, Apollon, der allerdings zu dem Abb. 277. Vorgang in keiner Beziehung steht und an dessen Stelle man vielmehr Arte- mis erwarten würde, und endlich an der linken Ecke Pan, der auf tarentim- schen Vasen gerne an dieser Stelle angebracht wird, wo wir ihn auch schon auf dem Thersiteskrater gefunden haben (Abb. 213). Alle drei Figuren der Scherbe und außerdem die mit Sicherheit erschlossene Aphrodite finden wir auf dieser Vase wieder, meist auch an denselben Stellen, nur daß Poseidon und Aphrodite die Plätze getäuscht haben. Ein hübscher Einfall ist es, beide miteinander in Konnex zu setzen, während auf der Scherbe Poseidon in sich versunken traurig dasitzt. Eros, der dort auf seine Mutter zufliegt, schwebt auf der Vase neben ihr. Durch diese finden wir auch bestätigt, daß der geblähte Mantel und die fliegenden Haare der Lyssa gehören, die indessen 364 Ergänzen trümmerhafter Bild werkt hier nicht, wie auf dem Krater, von vorn herangestürmt, sondern vom Him- mel herabgeschwebt sein wird. Hierin stimmt die Scherbe mit einer dritten Replik überein, die als solche trotz ihrer Zerstörung mit großem Scharfsinn von A. Kalkmann erkannt worden ist. Es ist die Rückseite des berühmten Kraters aus Ceglie (Abb. 277), auf dessen Vorderseite die Vermählung des Herakles — nicht mit Hebe, wie man gemeint hat, sondern mit Megara — dargestellt ist. In der Mitte dieser Rückseite fehlt ein. großes Stück, so daß wir auch hier wieder vor der uns in diesem Kapitel gestellten Aufgabe stehen, Trümmerhaftes zu ergänzen. Durch einen am Hals in der Mitte des Palmettenornaments angebrachten schießenden Eros (Abb. 278), durch die Anwesenheit des Poseidon, eines Satyrs und eines Pan wurde Gerhard auf den an sich gar nicht üblen Gedanken gebracht, daß das Liebesaben- teuer des Meergottes mit der Danaostochter Amymone, das den Inhalt eines Äschyleischen Satyrspiels gebildet hat, dargestellt gewesen sei, und daher ließ er die Mitte von F. Wolff so ergänzen, wie es die Abbildung zeigt. Allein Poseidon gehört augenscheinlich nicht zu den handelnden, sondern zu den zu- schauenden Figuren, und die große Flügelfigur vor ihm bleibt bei dieser Deutung unerklärt. Von ihr ausgehend vermutete Furtwängler eine Dar- stellung von Eos, wie sie' den Kephalos raubt. Betrachten wir zuerst die zuschauenden Götter: über Poseidon steht Artemis mit zwei Jagdspeeren und ihrem Hund, vor ihr sitzt Aphrodite im Gespräch mit einer stehen- den Göttin, die nur Peitho sein kann, und zu dieser Gruppe darf der gerade darüber im Palmettenornament angebrachte Eros in Beziehung gesetzt werden. Weiter links ist die obere Hälfte einer Lanze erhalten und links darunter der Haarschopf eines weiblichen Kopfes. Hier stand also, etwas tiefer gerückt, Athene. Das sind lauter Götter, die an Hippolytos feindlich oder freundlich interessiert sind; auch die auf der Ruveser Vase vermißte Artemis fehlt diesmal nicht. Den Ausschlag aber gibt der gebückte alte Mann in der linken oberen Ecke im Pilos, kurzem Chiton, Mantel und hohen Stiefeln. In der Rechten hält er einen Kranz, in der Linken einen verstümmelten Gegenstand. Panofka glaubte darin eine Sichel zu er- kennen, was ihn dazu verführte, die Figur als Aristaios, den bekannten Gott von Keos, zu erklären, eine zur Heiterkeit stimmende Deutung. Bei ge- nauerem Zusehen erkennt man in dem Rest das obere Ende eines Krumm- stabs, wie ihn die Pädagogen zu tragen pflegen, und auch das Kostüm ist Zwei homerische Becher 365 das übliche der Pädagogen. Vergleichen wir nun die Ruveser Vase, so ergibt sich, daß es der Pädagog des Hippolytos ist, der mit dem Kranz die Leiche seines Zöglings schmücken will. In der Lücke war also außer Athene Hip- polytos auf seinem Wagen und darunter der auftauchende Stier dargestellt, außerdem die Lyssa, von der der linke Flügel und der linke Fuß mit dem geblähten Ende des Chitons erhalten sind. Auch hier kam also Lyssa von oben herabgeflogen, wie auf der Halleschen Scherbe. Doch wird sie auf dieser schwerlich Flügel gehabt haben. Denn erstens vertragen sich diese schlecht mit dem geblähten Mantel; und zweitens müßte doch etwas von ihnen erhalten sein. Daß auf dem Krater von Ceglie der Satyr und der Pan die dämonischen Bewohner der Landschaft sind, die durch das tragische Ereignis aus ihrer Ruhe aufgescheucht, durch lebhafte Gebärden ihren Anteil kundgeben, bedarf kaum der Erwähnung. Mit Hilfe der Kratere von Ceglie und von Ruvo können wir uns nun auch den Krater, von dem die Hallesche Scherbe herrührt, einigermaßen rekonstruieren. Für die untere Reihe dürfen wir mit Bestimmtheit Hippolytos auf seinem Wagen, den Stier und den Pädagogen postulieren, für die obere, die die Götter zeigte, kommen außer Poseidon und Aphrodite Artemis, Athene, Apollon und Pan in Be- tracht. Aber der Möglichkeiten sind hier so manche, daß es Spielerei wäre, sich für eine von ihnen zu entscheiden. Als letztes Beispiel wählen wir zwei Fragmente von homerischen Bechern (Abb. 279. 280); sie enthalten Illustrationen zur Odyssee, die, ein bisher noch nicht beobachteter Fall, in zwei Streifen übereinander angeordnet sind. Im oberen Streifen des ersten (Abb. 279) finden wir inschriftlich be- zeichnet Odysseus, wie er auf Ortygia sein Floß zimmert. Mit Püos und Schurz bekleidet, sitzt er rittlings auf einem Balken, in den er mit einem Beil einen Pflock eintreibt; vor ihm liegt eine Klammer und steht ein großer Drillbohrer, an den eine Leiter angelehnt ist. Hinter ihm sieht man den Mast und einen kleineren Balken mit unklarer Bekrönung. Das alles entspricht genau den Versen im 5. Gesang der Odyssee: »Nun brachte Kalypso Bohrer; er machte die Löcher und schlug durch hölzerne Pflöcke Bänder darauf; so zwang er die mächtigen Bäume zusammen. Wie der Schiffsbaumeister zunächst aus Balken den Boden Anlegt, wenn er ein Lastschiff baut, so schuf sich Odysseus Erst ein tüchtiges Floß. Er errichtete dann an den Rändern 366 Ergänzen trümmerhafter Bildwerke Rippen und nagelte Bretter darum. Dann ließ er den hohen Mastbaum ein, mit der Rahe daran; auch schuf er ein Steuer.« (Hans Georg Meyer.) Abb. 27g M-J Dann ist ein Stück weggebrochen, und jenseits der Lücke bemerkt man das Ende des Balkens, dann den unteren Teil von zwei Frauen; ohne Zweifel sind das Kalypso und eine Dienerin mit dem Stoff für das Segel: »Kalypso brachte die Leinwand Für sein Segel; er schuf auch dies mit der richtigen Einsicht. « (H. G. M.) Auf dem unteren Streifen unterscheiden wir zwei Szenen. Links zwei Speise- sofas, auf dem je drei Männer gelagert sind. Die Inschrift gibt an, daß es die Freier sind. Neben dem zweiten befindet sich ein jugendlicher Schenke. Links stand vor den Freiern Penelope, wie uns das Ende ihrer Namensbeischrift belehrt; von ihrer Figur ist nichts erhalten. Das ist eine Illustration zu der Szene des 1. Gesanges, wo Penelope, die in ihrer Kammer den Gesang Szenen aus der Odyssee 367 des Phemios von der unglücklichen Heimfahrt der Achäer gehört hat, von zwei Dienerinnen begleitet in den Männersaal herabsteigt, den Sänger wegen des Inhalts seines Liedes zur Rede stellt, aber von Telemach in ihr Gemach zurückverwiesen wird. Bei der ^^^S^^v^^- Genauigkeit, mit der diese Be- ^Ö^KT>äfe^ S£ «^ eher den Text der Dichtung illu- strieren, darf mit Sicherheit an- genommen werden, daß hinter Penelope zunächst ihre beiden Mägde, dann Telemach, endlich der Sänger Phemios angebracht gewesen sind. Die rechts an- schließende Szene spielt im Schlafzimmer des Telemach. Durch die Türe ist eben die alte Amme eingetreten, die durch die Beischrift als solche bezeichnet ist. Sie nimmt aus den Händen des auf seinem Bett sitzenden Telemach den Chiton in Emp- fang, den dieser eben ausge- zogen hat. Das ist die Schluß- szene des i. Gesangs, die auch in der Odyssee unmittelbar an die Szene im Megaron anschließt: (Telemach) »setzte sich drinnen Auf sein Lager und zog das Gewand aus, das er der alten Dienerin reichte.« (H. G. M.) Es versteht sich von selbst, daß im unteren Streifen noch weitere Szenen aus dem i., im oberen noch weitere aus dem 5. Gesang illustriert waren. Im unteren Streifen des zweiten Fragments (Abb. 280) ist der Schiffbruch des Odysseus dargestellt. Der im Meer schwimmende Dulder greift eben nach einem treibenden Balken des vom Sturm zertrümmerten Floßes, das wir hinter ihm mit gebrochenem Mast und geblähtem Segel erblicken, die Illustration einer späteren Stelle des 5. Gesangs: »Einen der Balken erhaschte der Held noch; rasch wie der Reiter Auf sein Rennpferd war er hinauf. « (H. G. M.) Abb. 280. ogg Ergänzen trümmerhafter Bildwerke Der obere Streifen zeigt einen zur Reise gerüsteten Jüngling mit dem Pilos auf dem Kopf und einem Stock über der Schulter, an dem er sein Gepäck 1 langen hat. Obgleich von der Namensbeischrift nur O sicher gelesen ist, kann dies, wie Franz Müller gesehen hat, seiner ganzen Erscheinung nach nur Telemachos sein. Auch die Ergänzung und Deutung des übrigen wird diesem, für das Vaterland gefallenen Gelehrten verdankt. Telemach reicht seine Rechte einem links stehenden Mann, der ihm die Hand auf die Schul- ter legt. Außer dem linken Arm und der rechten Hand ist von diesem Mann nur ein Rest des linken Unterschenkels erhalten. Von rechts tritt an Telemach eine Frau heran, die mit der Rechten ein Gewandstück hochhebt und in der Linken ein Gefäß hält, offenbar Geschenke für den Scheidenden. Wenn aber hier Telemach von einem Mann und einer Frau Abschied nimmt, so können diese nur Menelaos und Helena sein. Also illustriert diese Darstellung den Anfang des 15. Gesangs. Da sagt Menelaos zu Telemach: »Gedulde dich nur ; denn schöne Geschenke Geb ich dir mit in den Wagen — du sollst sie sehn. « (H. G. M.) Helena aber schenkt ihm ein selbstgewebtes Gewand für seine künftige Gemahlin : »Nun trat mit dem schimmernden Prachtkleid Helena vor, in der Schönheit Glanz, mit blühenden Wangen. »Freund«, so sagte sie, »dies will ich dir schenken; du sollst es Als Erinnerungszeichen an Helenas Hände bewahren. Trage die künftige Braut an dem Hochzeitstage das Festkleid; Doch bis dahin soll es die würdige Mutter im Hause Sorgsam hüten. Und du, mein Freund, sei glücklich und kehre Froh nach Hause zurück, zu der Heimatstadt, zu den Deinen.« (H. G. M.) i diesen Peplos also hebt Helena mit der Rechten hoch empor. Was hat es aber mit dem Becher in ihrer Linken für eine Bewandtnis ? Hier haben wir es mit einer der Freiheiten zu tun, wie sie sich auch die getreusten Illustra- toren erlauben, wovon wir früher ausführlich gehandelt haben. Dieser Becher gehört zu den Geschenken des Menelaos, die er in der oben zitierten Rede seinem jungen Gastfreund versprochen hat, und in der Odyssee gibt er ihn dem Telemach selbst in die Hand: »Damit gab er den Becher in Telemachs Hände.« (H. G. M.) Die Abenteuer des Odysseus und des Telemachos 369 Der Künstler wollte aber wohl das schöne Motiv, wie Menelaos dem jungen Reisenden väterlich die eine Hand auf die Schulter legt und ihm mit der anderen die Rechte drückt, nicht preisgeben, und so ließ er Helena dem Tele- mach auch den Becher reichen. Aber es kommt noch etwas anderes hinzu, was vielleicht das eigentlich Maßgebende war. Das Hauptgeschenk des Menelaos ist nämlich nicht dieser Becher, sondern ein Krater: »Du sollst von den Ehrengeschenken, Die mein Schatzhaus hütet, das Prachtstück haben, den Mischkrug Ganz von Silber, ein Werk des Hephästos, golden am Rande. Ich empfing's von Phaidimos einst, dem Sidonierkönig, Als er mich gastlich entließ, dir gönn' ich es aber von Herzen. « (H. G. M.) Und während er Telemachos den Becher reicht, setzt sein Bastardsohn Megapenthes diesen Krater vor diesen hin: »Den Mischkrug Trug Megapenthes herbei.« (H. G. M.) Nun finden wir aber rechts hinter Helena die Inschrift AftP[A], das ist »Geschenke «, und darunter steht der eben erwähnte Krater. Der Künstler wollte offenbar den Becher von dem Krater nicht allzuweit trennen, was der Fall gewesen wäre, wenn ihn Menelaos wie in der Odyssee dargereicht hätte. Aber konnte er nicht dasselbe erreichen, wenn er die Geschenke hinter Menelaos stellte? Dann hätte es doch dieser Abweichung vom Dichter- texte nicht bedurft? Nein, das konnte er nicht, weil der Platz auf der anderen Seite des Königs einer Person gebührt, die unmöglich fortbleiben konnte, dem treuen Reisegefährten des Telemach, dem Nestoriden Peisistratos. Neben dem Krater ist nach der Angabe des verdienten Finders und Her-, ausgebers dieser Scherben Arvanitopulos noch der Rest eines Fußes er- halten, der auf der Abbildung fehlt. Ohne Zweifel ist es der Fuß dessen, der den Krater in der Odyssee herbeibringt, des Megapenthes. Auch dieser Becher muß in seinem unteren Streifen noch weitere Szenen aus dem 5., und in seinem oberen solche aus dem 15. Gesang enthalten haben. Nun handelt aber dieser in seinem weiteren Verlauf von Odysseus bei Eumaios ; sollte diese Szene hier gefolgt sein? Um dies zu entscheiden müssen wir uns erst klarmachen, welche Bedeutung dieser doppelte Bilderstreifen hat. Es kann nämlich kein Zufall sein, daß auf beiden Gefäßen der eine Streifen die Erlebnisse des Odysseus, der andere die des Telemachos verbildlicht. 24 370 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? Offenbar sollen die Abenteuer des Vaters zu denen des Sohnes in Parallele gesetzt werden. Am Tage, wo Telemach den Besuch des Mentes empfängt, zimmert Odysseus ein Floß; am Tage, wo Telemach von Menelaos Ab- schied nimmt, leidet sein Vater Schiffbruch. Freilich zur Odyssee stimmt dieser Synchronismus nicht, wie jeder sich durch Nachrechnen leicht über- zeugen kann, er geht daher schwerlich auf einen Grammatiker zurück; für uns kommt es aber nicht sowohl auf die korrekte Durchführung des Prinzips als auf dieses selbst an. Danach kann der obere Streifen des zweiten Bechers nur weitere Erlebnisse des Telemach vorgeführt haben, und zwar solche, die auf denselben Tag fallen. Solche sind aber nur, daß ihn Athene aufweckt und zur Abreise mahnt, und daß er mit Peisistratos nach Pherä zu Diokles fährt, wo er übernachtet. Das mag als zu geringfügig erscheinen. Erwägt man aber, mit welcher Gewissenhaftigkeit auf diesen Bechern alles illustriert wird, wovon die beiden Becher mit dem Freiermord, aber auch der untere Streifen unseres ersten Bechers mit der Szene in Telemachos' Schlafgemach hinlänglich Proben geben, so wird man es für durchaus mög- lich halten, daß auch das Erwachen in Sparta und die Rückfahrt nach Pylos der Illustration nicht unwert befunden wurden. FALSCH GEDEUTETES, UNGEDEUTETES, UNDEUT- BARES, UND WARUM? »Combien il est facile d'expliquer les monuments de Pantiquite lorsqu'on se borne ä quelques probabilites «, bewies einmal ein russischer Archäolog, indem er für das oben besprochene Marmorbild aus Herculaneum (Abb. n) neun verschiedene Deutungen zur Wahl stellte. Aber man soll sich eben nicht auf Wahrscheinlichkeiten beschränken, sondern die eine Wahrheit suchen, die meistens sehr einfach ist Im Verhältnis zu der Riesenmasse der uns erhaltenen Bildwerke ist die An- zahl der ungedeuteten eine verschwindend geringe. Dennoch gibt es solche, die bisher jeder Erklärung spröde widerstanden haben und darum immer wieder den Ehrgeiz einzelner reizen, sich an der Lösung des Rätsels zu versuchen. Meist geht es dann aber auch wie beim Rätselraten. Man tappt aufs Geratewohl zu, statt methodisch vorzugehen, und die Sache wird um keines Haares Breite gefördert. Nach dem oben Erörterten sollte man meinen, daß sich der Inhalt des verbildlichten Vorgangs stets fest- stellen lassen müsse, wenn man auch darauf verzichten muß, die Personen zu benennen und den Mythos zu erkennen. In der Regel trifft das auch zu, Schutzflehende Frauen auf einem Altar 371 aber doch nicht immer. Den Ursachen dieser Erscheinung nachzugehen, ist die Aufgabe dieses letzten Abschnitts. Zuerst ein paar Beispiele, wo sich der Vorgang erkennen läßt, die Namen der handelnden Personen jedoch nicht zu ermitteln sind. Wir beginnen mit einem Fall, in dem die Sache besonders günstig zu liegen scheint, da uns auf drei Vasen dieselbe Szene oder richtiger zwei verschiedene Stadien derselben Szene, was uns noch willkommener sein muß, vorgeführt werden (Abb. 281. 282. 283). Auf allen dreien bilden den Mittelpunkt zwei reich- geschmückte vornehme Frauen, die sich mit Bittzweigen auf einen Altar geflüchtet haben, und auf allen dreien sieht man auf der einen Seite von ihnen einen jungen, auf der anderen einen alten durch das Zepter als König bezeichneten Mann. Auf der ersten Abb. 281, die sich in der Sammlung Jatta zu Ruvo befindet, steht der Jüngling rechts und ist durch den Pilos, den er an einer Schleife in der Rechten hält, durch die beiden Speere in seiner Linken und durch die hohen. Reisestiefel als Ankömmling aus der Fremde charakterisiert. Der König steht links, trägt Bühnenkostüm und hält in der Rechten das Zepter. Beide blicken einander scharf an. Die eine Schutzflehende hebt die Hand bittend zu dem König empor. Einen etwas späteren Moment veranschaulicht die zweite in Conversano befind- liche Vase (Abb. 282). Die beiden Männer haben ihre Plätze getauscht. Der Jüngling ist auch hier als Reisender durch Stiefel und Pilos bezeichnet, nur daß ihm dieser im Nacken hängt. Der König hält auch hier das Zepter! trägt aber kein Theaterkostüm. Beide haben die Schwerter gezogen und stürmen aufeinander los. Die bittende Handbewegung der einen Schutz- flehenden gilt hier dem Jüngling. Dieser hält über die ausgestreckte Hand des Mädchens schützend oder beschwichtigend seine Linke. Die Bittzweige sind dem Mädchen entfallen und liegen vor dem Altar am Boden. Ebenso aufgeregt ist die Szene auf der dritten Vase, die sich in der Petersburger Er- mitage befindet (Abb. 283). Hier wird der Jüngling als Ankömmling durch den Petasos, der ihm im Nacken hängt, und durch einen Wanderstab cha- rakterisiert, den er eben aus der Hand hat fallen lassen. Das umgestürzte Becken zwischen seinen Füßen deutet die Hast an, mit der er herangestürmt kommt. Zu gleichem Zweck haben wir es früher auf der Medeia- und der Thersitesvase (Abb. 130. 214) angebracht gefunden. Der König, so wenig wie auf der zweiten Vase im Theaterkostüm, hat sein mit einem Adler be- kröntes Zepter ebenso weggeworfen wie der Jüngling seinen Stab, zugleich aber seinen Schild. Bedeutsam ist, daß der König bereits das gezückte 24* 372 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? Schwert hält, während der Fremde das seine erst aus der Scheide zieht. Der Herrscher also ist es, der vom Wortgefecht zu Handgreiflichkeiten über- geht; er ist der Angreifer. Dieser Vase eigentümlich ist die alte Priesterin, als solche durch den riesigen mit heiligen Wollbinden geschmückten Tempel- schlüssel bezeichnet, den sie in der Linken hält. Sie tritt dem aufgeregten König entgegen und scheint ihn mit erhobener Rechten beschwichtigen zu wollen. Die Schutzflehenden blicken sich hier traurig an. Das Heiligtum, in das sie sich geflüchtet haben, wird auf der ersten Vase durch einen Dreifuß Abb. 281. und aufgehängte Binden, auf der zweiten durch zwei Säulen und zwei Lor- beerbäume, auf der dritten durch eine Hydria auf einer ionischen Säule, zwei Bukranien, die bekannten Wagenräder, das umgestürzte Becken und wiederum einen Lorbeerbaum bezeichnet, von dem hier eine heilige Woll- binde herabhängt. Auf der ersten Vase sieht man in der oberen Reihe teil- nehmende Götter; in der Mitte Athene mit Ägis, Schild und Lanze; sie blickt auf den rechts neben ihr abgewandt dasitzenden Apollon, der die Leier hält und dem sein Schwan zur Seite steht, links gleichfalls nach rechts blickend Hermes. Das ist der Tatbestand, den nüchterne Betrachtung aus den drei Der lokrische Mädchentribut 373 Vasen herausliest. Sehen wir nun, wie weit die drei bisher gemachten Deu- tungsversuche ihm gerecht werden. Der erste dieser Versuche sieht in den Schutzflehenden die beiden Mädchen, die die Lokrer auf Befehl des del- phischen Orakels zur Sühne für Aias' Frevel an Kassandra als Tempel- dienerinnen niedrigster Klasse nach Troja senden mußten. Obgleich sie dort Abb. 283. V> ein asketisches Leben .trauriger Art führten, galt es doch dem religiösen Fanatismus für eine hohe Ehre, hierzu ausersehen zu werden. Andererseits erschwerten es die Trojaner den Mädchen auf jede Weise, diesen Tempel- 274 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? dienst anzutreten. Sobald sie den trojanischen Boden betreten hatten, waren sie vogelfrei. Mit Steinen, Keulen, Lanzen verfolgte man sie, und wer sie totschlug, durfte staatlicher Belobigung gewärtig sein. Daher mußten sie bei Nacht, auf Umwegen und unter Anwendung mancher List den Tempel der Athene Ilias zu erreichen suchen, wo sie dann ihres Leben sicher waren. Nun frage man sich, ob diese reichgeschmückten Damen mit ihren feinen Gewändern danach aussehen, als ob sie eine nächtliche stundenlange Flucht über Stock und Stein hinter sich hätten. Und wozu nehmen sie auf dem Altar Platz, wozu die Bittzweige? Das Atheneheiligtum, der Ort ihrer Be- stimmung und ihr künftiger Aufenthalt , mußte ihnen doch schon allein hinlänglichen Schutz gewähren. Nach der angeführten Deutung soll das aber nicht der Fall gewesen sein; der König und der Jüngling sollen das. Asylrecht so wenig respektieren, daß sie mit Schwertern auf die Frauen lösgehen. Also nicht Gegner sollen diese beiden Männer sein, sondern ein König und sein Trabant, wobei übersehen wird, daß der jüngere auf allen drei Vasen als Ankömmling bezeichnet ist. Denn die an sich schon bedenk- liche Ausrede, untergeordneten Künstlern oder Handwerkern werde es immer begegnen, daß sie nebensächliche Züge in ihrem Bild ebensostark betonen wie die wichtigen, verschlägt hier nicht, da diese Charakteristik auf allen drei Exemplaren wiederkehrt. Und nicht einander sollen die Männer be- drohen, sondern allem Asylrecht zum Hohn die Frauen. Aber selbst wenn dies alles möglich wäre, bleibt doch als unüberwindliche Schwierigkeit der König. Wer soll das sein? Natürlich ein König von Troja. Aber Priamos ist doch mit seinem ganzen Geschlecht zugrunde gegangen. So sieht man sich gezwungen, einen nirgends bezeugten Nachfolger des Priamos zu postu- lieren, der keineswegs logisch daraus zu folgern ist, daß Ilion nach dem richtigen Glauben seiner Bewohner auch später noch bestanden hat. Darum braucht es doch kein monarchischer, es kann ein demokratischer Staat mit dem Athenetempel als Mittelpunkt gewesen sein. Zwischen Priamos und Lysimachos kennen Sage und Geschichte keinen König von Ilion. Allerdings hat uns die Mythographie die Namen der ersten dieser Mädchen, Periboia und Kleopatra, aufbewahrt; aber daß ein attischer Tragiker auf den Einfall gekommen sein sollte, diesen ersten Mädchentribut, auch wenn man ihn in mythische Zeit zurückprojizierte, zu dramatisieren, etwa wie Phrynichos den Fall von Milet oder Aischylos die Schlacht bei Salamis, das wäre etwas in der Entwicklungsgeschichte des Dramas so einzig Da- stehendes, daß man es nur mit Kopfschütteln lesen würde; es zu postu- Antigone und Ismene bei Ion von Chios 375 lieren geht wirklich nicht an. Dieser erste Deutungs versuch hat also die Probe nicht bestanden. Er tut der Überlieferung Gewalt an und wird den Darstellungen nicht gerecht. Die beiden anderen Deutungsversuche erklären die Schutzflehenden für Antigone und Ismene und berufen sich hierfür auf einen Dithyrambos des Ion von Chios, in dem erzählt war, daß beide Schwestern in dem Tempel der Hera von Laodamas, dem Sohn des Eteokles, verbrannt worden seien. Schon diese Prämisse ist bedenklich. Freilich, daß auch ein Dithyrambos auf die Kunst einwirken kann, dafür ist Stesichoros das klassische Beispiel. Aber Stesichoros gehörte im Anfang des fünften Jahrhunderts zur klassischen Schullektüre. Ob aber die Dithyramben des Ion von Chios noch lange gelesen wurden, vollends in Unteritalien, wo diese Vasen gemalt worden sind, ist doch mehr als fraglich. Allerdings könnten sie auf attische Vor- bilder zurückgehen, aber .es kommt hinzu, daß die für das Altertum maß- gebende Version der Antigonesage die des Euripides gewesen ist, die von der des Ion total abwich, und daß wir diese euripideische Version gerade auf unteritalischen Vasen dreimal illustriert finden. Indessen, wenn alles sonst zu Ion stimmt, müssen wir diese Bedenken fallen lassen. Das ist aber keineswegs der Fall. Von Vorbereitung zum Verbrennen der Mädchen ist auf den Vasen nichts wahrzunehmen. Vielmehr sollen Laodamas und der Jüngling mit Schwertern auf die Schutzflehenden eindringen, also auch nach dieser Deutung das Asylrecht verletzen — in beinah beispielloser Weise. Denn nur einmal kommt es im Mythos vor, daß ein Schutzflehender auf dem Altar erschlagen wird, Priamos auf seinem Hausaltar von Neo- ptolemos. Aber das schien dem religiösen Gefühl der Griechen so kraß, daß es bald dahin gemildert wurde, daß Neoptolemos den Priamos von dem Altar herabreißt und an dem Tor seines Palastes erschlägt. Auch das ist freilich noch ein schwerer Frevel. Die gewöhnliche Praxis ist, einen Schutz- flehenden, den man nicht begnadigen will, verhungern zu lassen oder einen Scheiterhaufen um den Altar zu schichten, so daß er entweder verbrennen oder das Asyl verlassen muß, wofür wir oben auf den Alkmenevasen (Abb. 35. 212) ein Beispiel gefunden haben. Dagegen ist kein übermäßiges Gewicht darauf zu legen, daß unter den teilnehmenden Göttern auf der ersten Vase gerade Hera, in deren Heiligtum sich doch der Vorgang abspielen soll, fehlt. Es ist zuzugeben, daß, wie bereits oben bemerkt, die unteritalischen Vasen- maler in der Auswahl der zuschauenden Götter oft willkürlich verfuhren, wie denn auf der einen Hippolytosvase (Abb. 276) sogar dessen Schutz- 376 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? göttin Artemis fehlt. Den Jüngling läßt dieser Deutungsversuch unbenannt, sieht also vermutlich wie der erste in ihm einen Trabanten des Königs. Auch dieser Deutungs versuch wird den Darstellungen nicht gerecht und muß zwischen ihnen und ihrer supponierten poetischen Quelle Widersprüche annehmen, die sich in keiner Weise aus künstlerischen Gründen rechtfertigen noch aus den Gepflogenheiten der Vasenmaler herleiten lassen. Der dritte Deutungsversuch sucht aus der Darstellung möglichst viel für die Religionsgeschichte zu gewinnen, leidet also an einer der bedenklichsten Fehlerquellen. Aus der Kombination von Zeugnissen, die etwas absolut anderes besagen, wird geschlossen, daß der Hera auf dem Kithairon Menschen- opfer dargebracht worden seien. Zu solchem Menschenopfer, und zwar für die Rettung Thebens, sei nun auch das Schwesternpaar erkoren. Laodamas wolle sie auf dem Kithairon verbrennen lassen. Die unmögliche Annahme, daß er zugleich die Schutzflehenden mit dem Schwerte bedrohe, hat dieser Deutungsversuch mit den beiden anderen gemeinsam. Dagegen erkennt er richtig den Antagonismus zwischen dem König und dem Jüngling. Dieser repräsentiere den Chor, der großmütig die Mädchen beschützen wolle. Selbst wenn eine solche Vertretung des Chors durch eine Einzelfigur auf Vasen zu belegen oder wahrscheinlich zu machen wäre, würde diese Erklärung durch das Reisekostüm der Figur ausgeschlossen sein. Müssen wir uns nun wirklich bei dem oben festgestellten Tatbestand be- ruhigen? Können wir nicht etwas weiter kommen? Ich glaube doch; denn wir haben bis jetzt ja nur diesen Tatbestand festgestellt, die Konsequenzen daraus aber noch nicht gezogen. Zunächst ist klar, daß der König der Herrscher des Landes ist, in dem der Vorgang spielt, und daß sich die Frauen vor ihm auf den Altar des Hauptheiligtums der Stadt geflüchtet haben. Das kann viele Gründe gehabt haben, zwischen denen die Entscheidung schwer fällt. Um nur eine Möglichkeit anzuführen, der König kann die eine der Frauen zur Ehe mit sich zwingen wollen, wie bei Euripides Polydektes die Danae oder Theoklymenos die Helena. Da naht aus der Ferne der Be- freier, Sohn der einen oder Bruder von beiden. Zwischen ihm und dem Herrscher entbrennt ein Wortwechsel; bald greift der König nach dem Schwert; der Jüngling zieht das seinige; da tritt die Priesterin beschwich- tigend dazwischen. Mit Recht nimmt der erste Erklärungsversuch an, daß die Darstellung auf eine Tragödie zurückgeht ; ist doch kaum etwas im at- tischen Drama so beliebt wie Schutzflehcnde in einem Heiligtum. Aber es ist klar, daß wir keine genaue Wiedergabe des Bühnenbildes vor uns Verschollener Tragödienstoff 377 haben können; denn dann müßten vier oder fünf Personen gleichzeitig auf der Bühne gewesen sein. Erinnern wir uns dessen, was wir früher von dem kompletiven Verfahren und der Gepflogenheit der alten Künstler durch Zu- ' sammenziehen mehrerer Szenen ein möglichst vollständiges Bild der Hand- lung zu geben, gelernt haben, wofür die Medeiavase in München (Abb. 130) das klassische Beispiel ist, so fällt es gar nicht schwer, sich den Gang des Stückes einigermaßen zu rekonstruieren. Die beiden Frauen sitzen von Anfang an auf dem Altar oder sie flüchten sich im ersten Epeisodion darauf. Der König tritt auf, versucht vergeblich die Frauen zu bewegen, daß sie den Altar verlassen, und geht mit der Drohung, den Scheiterhaufen schichten zu lassen, ab. Ehe er zurückkehrt, kommt der Jüngling und verhilft den Frauen zur Flucht. Warum er selbst nicht auch entflieht, können wir nicht erraten. Der König kommt zurück; wütend über die Entführung der Frauen stellt er den Jüngling zur Rede. Ein Zweikampf steht bevor, ein solcher kann aber in einer attischen Tragödie nicht stattfinden. Darum muß die Priesterin dazwischentreten. Ob sie selbst schon die Lösung brachte, ob später noch ein Maschinengott auftrat, wer wollte sich vermessen, das zu sagen? Weiter ließe sich noch die Frage aufwerfen, ob der Vorgang vielleicht in einem Tempel des Apollon spielt, nicht sowohl weil dieser auf der ersten Vase zugegen ist, als wegen der Lorbeerbäume auf den beiden anderen. Doch werden solche so häufig ohne jede Beziehung angebracht, daß die Sache unentschieden bleiben muß. Ebensowenig gibt die Anwesenheit Athenes eine Garantie dafür, daß der Schauplatz Athen oder die Frauen Athenerinnen sind. Kennten wir nun eine Geschichte, in der sich zwei Frauen auf einen Altar flüchten und von einem Jüngling befreit werden, so würde uns ge- holfen sein. Aber in der Literatur sucht man nach einer solchen Sage ver- gebens, und so ist lediglich die lückenhafte Überlieferung daran schuld, daß wir das letzte Wort nicht sprechen können. Ähnlich liegt der Fall bei einem pompe janischen Gemälde (Abb. 284), das zweimal als Pendant des oben behandelten Hippolytosbildes (Abb. 178) erscheint, woraus aber, wie früher gezeigt, auf eine inhaltliche Beziehung durchaus nicht geschlossen werden darf. Ein reich mit Schmuck behangenes nacktes Mädchen, das nur um die Beine einen kleinen Mantel geschlagen hat, hält in der Hand ein Nest, in welchem zwei, auf einer Replik drei winzige geflügelte Kindlein sitzen. Ein neben ihm sitzender Jüngling mit zwei Jagdspeeren in der Hand blickt es verliebt an. Zwei Mädchen im Hinter- grund betrachten erstaunt dies wunderbare Nest, während ein rechts 378 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? sitzender Jüngling mit einem Pedum in der Rechten und ein hinter ihm stehendes Mädchen, das die Hand auf seine Schulter legt, zwar gleichfalls aufmerksam, aber weniger erstaunt die Hauptgruppe betrachten. Auf dem zuerst bekannt gewordenen Exemplar dieses Bildes waren die Flügel der Kleinen nicht deutlich, sind jedenfalls von den Zeichnern nicht erkannt worden. Das entschuldigt einigermaßen die Deutung auf Tyndareos und Leda mit den aus den Eiern geschlüpften Dioskuren und ihrer Schwester Helena, sowenig die Erscheinung des Paares und seine Umgebung für diese Heroen passen. Um so anerkennenswerter ist es, daß Hirt schon damals den erotisch-genrehaften Charakter der Darstellung erkannte. Auf den später gefundenen Exemplaren, wie dem hier abgebildeten, sind denn auch die Flügel der Kindlein ganz deutlich ; es sind kleine Eroten. Die hellenistische Poesie hat den hübschen Gedanken gehabt, die Eroten als kleine Vögel aufzufassen, und die Kunst hat dies dankbare Motiv begierig aufgenommen. So ist auf einer römischen Wand Psyche als Terrakottafigur dargestellt, wie sie mit Leimruten auf den Fang des losen Vogels Eros auszieht. Allgemein bekannt sind die pompejanischen Bilder, auf denen ein alter Mann oder ein altes Weib einer vornehmen Frau Eroten, die in einem Vogel- käfig sitzen, zum Verkauf anbietet. Eines von ihnen hat Goethe zu seinem berühmten Gedicht: »Wer kauft Liebesgötter?« angeregt. In der Freiheit aber hausen die Eroten natürlich' auf Bäumen, wo sie wie wirkliche Vögel ihre Nester haben. Zwei mit solchen Erotennestern besetzte Bäume sieht man im Vatikanischen Museum; die kleinen sind noch nicht flügge und haben deshalb noch keine Flügel. Ein solches Nest hat der junge Jäger auf seinem Waidgang im Wald gefunden und seinem schönen Liebchen gebracht, das die seltsamen Vögel verwundert betrachtet. Dem jungen Hirten und seiner Gespielin hingegen ist dergleichen nichts Neues. Da der Liebhaber ein Jäger ist, hat man an Adonis und Aphrodite gedacht. Aber gerade diese Deutung ist absolut ausgeschlossen. Jede Göttin, jede Heroine, jede Sterb- liche kann sich von ihrem Liebhaber ein Erotennest schenken lassen, sich darüber wundern und freuen, nur Aphrodite nicht, die Mutter der Eroten. Wäre Daphnis als Jäger bezeugt, so könnte man an diesen und seine sizilische Nymphe denken; aber Daphnis ist ausschließlich Hirte. So müssen wir auf die Benennung verzichten, da wir das alexandrinische Gedicht nicht besitzen, das dem Bild zugrunde liegt. Auch über die Benennung der neu- gierigen Mädchen hinter dem Liebespaar ist nicht ins reine zu kommen. Es können die Dienerinnen der Schönen, es können Nymphen des Gebirges, Das Erotennest 379 Abb. 284. es können aber auch Personifikationen abstrakter Begriffe sein, wie wir solche auf dem Hippolytosbild (Abb. 178) gefunden haben. Seit neunzig Jahren vexiert die Interpreten ein pompejanisches Bild, das 380 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? Abb. 285. man nach der relativ besten Erklärung »Zephyros und Chloris « zu nennen pflegt (Abb. 285). Erst kürzlich wieder ist es Gegenstand einer lebhaften Kontroverse zwischen zwei italienischen Archäologen geworden, die ein »Zephyros und Chloris< 381 Abb. 206. Musterbeispiel sein kann, wie man nicht argumentieren soll. In tiefem Schlummer liegt eine schöne Frau im Schoß des geflügelten Schlafgotts Hypnos, der eine Schüssel mit dem Schlafsaft in der Linken hält und nach 382 Falsch Gedeutetes, Umgedeutetes, Indeutbares, und warum? oben blickt. Ein Eros zieht den Mantel von dem üppigen Leib der Schläferin ab. Rechts lehnt an einen Felsen eine mit einer Girlande umwundene bren- nende Fackel von der Form, wie man sie öfters in der Hand der Demeter findet. Sie kann nur der schlafenden Frau gehören. Im Vordergrund fließt ein Bach. Aus der Luft schwebt ein nackter geflügelter Jüngling auf die Schläferin zu. Im Haare trägt er einen Kranz von Blättern und Primeln, Primeln und einen Zweig hält er auch in der Linken; über der Stirn wachsen ihm zwei kleine Flügel. Er ist es, auf den die Blicke des Hypnos gerichtet sind. Über diesem sitzt auf einem Felsen eine Frau, die um den Unter- körper ein violettes Gewand geschlagen hat, während der entblößte Ober- körper reich mit Brustbändern, Hals- und Armspangen geschmückt ist. Neben ihr steht ein Eros, der mit beiden Händen schräg einen langen Stab hält, wie man richtig erkannt hat, den Stil eines Sommerschirms, der sich auf dem oberen weggebrochenen Teil des Bildes befunden haben muß. Ein zweiter Eros wird hinter der rechten Schulter der Frau sichtbar; er hält in beiden Händen ihren Mantel, als wolle er ihn ihr umlegen. Während nun diese Frau sich mit der Rechten auf ihren Felssitz stützt, faßt sie mit der Linken den einen Zipfel eines gelben Schleiers, der sich im Bogen über dem Kopf des Jünglings wölbt, unter dessen linkem Flügel wieder zum Vorschein kommt und über seinen linken Oberarm geworfen ist, wo ihn der eine Eros gleichsam festklemmt. So hat es den Anschein, als ob die sitzende Frau im Bunde mit diesem Eros den geflügelten Jüngling mittels dieses Gewandstüc-ks eingefangen hat und ihn nun zu der Schläferin herabzieht. Die Ähnlichkeit dieser Komposition mit dem in mehreren Repliken vor- liegenden Bilde, das den sich der schlafenden Ariadne nahenden Dionysos zeigt, springt sofort in die Augen (Abb. 286) und ist daher auch von den herculanensischen Akademikern erkannt worden, die sich keinen Augenblick bedacht haben, das Bild auf Dionysos und Ariadne zu deuten — trotz der Flügel des angeblichen Dionysos. Eben dieser Flügel wegen haben Besonnene diese Deutung aber alsbald in die Rumpelkammer verwiesen, aus der man sie aber kürzlich wieder hervorgeholt hat, indem man die Beflügelung von den bakchischen Mysterien herleitete, eine Panazee, die deshalb niemals versagen kann, weil wir von diesen Mysterien so gut wie nichts wissen. Der Vater dieses Gedankens hätte gut getan, seiner Erklärung als Motto die Worte voranzustellen, die Theodor Amadeus Hoffmann einer seiner vorzüglichsten Figuren in den Mund legt : »Gestehen will ich, daß, betrachtet man die Sache aus dem gewöhnlichen Gesichtspunkt, die höchste Unwahr- >Zephyros und Chloris« 383 scheinlichkeit gegen meine Behauptung spricht. Aber das schöne unerforsch- liche Geheimnis, die sublime Mystik tritt uns ja überall in den Weg, und das Unwahrscheinlichste ist oft das einzig Wahre. « Das Schema jenes berühmten Ariadnebildes wird nun aber auf römi- schen Reliefs auch für Mars und Rhea Silvia an- gewandt (Abb. 287), und da hier Mars aus der Höhe herabschwebt, wie der Flügeljüngling auf dem Bilde, hat man flugs auch dieses auf Mars und Rhea Silvia bezogen. Freilich will die Beflügelung für den Kriegsgott so wenig passen wie für Diony- sos, aber da kam man auf den geistreichen Einfall, nicht Mars in eigener Person, sondern sein Bild, wie es Rhea Silvia im Traum sieht, sei gemeint. Als Traumerscheinung' sei der Jüngling durch die Beflügelung bezeichnet, und damit der Blick in die Zukunft, den die schlafende Rhea Silvia tut, vollständig sei, sollen die beiden geflügelten Knäb- chen unter den Armen des Schwebenden keine Eroten, es sollen Romulus und Remus, die später noch zu gebärenden Zwillinge sein. Diese absurde Deutung war von verdienter Kurzlebigkeit, aber der Begriff des Traumbilds war nun einmal in die Diskussion geworfen und sollte so bald nicht daraus verschwinden. Ein dritter Interpret ver- suchte die beiden Deutungen miteinander zu verbinden. Die Schlafende sollte, wie nach der ersten, Ariadne sein, der Jüngling ein von ihr gesehenes Traumbild, aber nicht eine bestimmte göttliche oder menschliche Person, sondern der Traumgott Oneiros selbst, der herabschwebt, die Verlassene zu trösten. Neuerdings aber hat die Ansicht, daß es doch eine Person in Gestalt eines Traumgesichts sein müsse, wieder einen Vertreter gefunden. Diesmal sollte der Schwebende Äneas, die Schlafende Dido und das Ganze eine Illustration zu dem Anfang des vierten Buchs der Äneis sein, wo Dido von Äneas geträumt hat und ihrer Schwester Anna ihr Liebesleid klagt; nur schade, daß Dido, als sie diesen Traum hat, nicht an einem Bach im Gebirge, sondern in ihrer königlichen Schlafkammer im weichen Bett liegt, und daß niemand in der fast nackten Schläferin des Bildes die Königin von Karthago erkennen würde, selbst wenn man sich den nackten Äneas und diese sonst nicht zu belegende Art ein Traumgesicht zu verbildlichen ge- Abb. 287. 384 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? fallen lassen wollte. Diese Deutung ist nicht aus dem Bilde herausgelesen, sondern mit höchster Willkür in sie hineingetragen. Ein Nebensprosse dieser Traumdeutungen war es, wenn man in dem geflügelten Jüngling nicht Oneiros, sondern Hypnos, der doch unten schon einmal da ist, sehen wollte. Diesem Hypnos verspricht bekanntlich Hera in der Ilias die Charitin Pasithea zur Gemahlin, wenn er den Zeus einschläfern wolle. So sollte denn die Schläferin diese Pasithea sein. Aber nirgends steht zu lesen, daß diese schläft, als ihr Hypnos naht; dies wäre ja um so absurder, als Hypnos sonst den Schlaf zu bringen, nicht Schlafende aufzuwecken pflegt. Und überdies spielt diese Pasithea in Poesie und Kunst niemals eine Rolle; erst Nonnos und Ouintus Smyrnäus graben sie aus der Ilias wieder aus. Alle diese ver- kehrten Deutungen sind entweder von anderen Bildwerken übertragen oder mit deplacierter Gelehrsamkeit in das Gemälde hineingelesen, ohne daß man dieses selbst befragt hat, was es uns zu sagen hat. Zunächst deutet die der Schläferin gehörige blumenumwundene Fackel darauf hin, daß diese keine Heroine ist, sondern eine hohen Göttin, und ebensowenig kann der geflügelte Jüngling ein Heros, er muß ein Gott sein; aber unter den olym- pischen Göttern sucht man beide vergeblich. Was dann den Vorgang selbst anlangt, so ist es klar, daß der Jüngling die Schlafende wecken und sich mit ihr vermählen wird; darum wird sie von einem Eros enthüllt. Das ist aber kein Göttermythos, sondern ein Naturmythos, eine Allegorie, wobei die Beteiligten Personifikationen sind. Insofern war es gar nicht übel, wenn sich der Abbate Janelli an die Geschichte erinnerte, die Ovid in den Fasten von Zephyros und Flora, die eigentlich Chloris geheißen haben will, erzählt. Sie war eine schöne Nymphe; zur Frühlingszeit erblickt sie der Windgott Zephyros; sie flieht, er verfolgt sie, holt sie ein, tut ihr Gewalt an, erhebt sie aber dann zu seiner Gemahlin, zur Mutter der Blumen, deren Fest im Frühling begangen wird. Die Erscheinung der beiden Figuren würde für Zephyros und Flora ganz gut passen, aber daß Flora geschlafen habe, davon steht bei Ovid nichts und entspricht auch weder ihrer Na- tur noch der Fabel. Dieser Schlaf der künftigen Braut ist offenbar das eigentlich Charakteristische; er gemahnt an Dornröschens Schlaf und den Brünhildens. Und erinnern wir uns, daß das Attribut der Schläferin eine Fackel ist, wie sie Demeter zu halten pflegt, so liegt es außerordentlich nahe, in ihr die im Winterschlaf befangene Erdgöttin zu sehen. Darum könnte für den geflügelten Jüngling doch die Benennung Zephyros beibehalten Mrrden; denn, wie Welcker erinnert, ist er bei Lucrez der Vorbote des Früh- Der Winterschlaf der Erdgöttin 385 lings; dem Ver und der Venus schreitet er voran, und wenn erzählt wird, daß er sich mit einer Höre vermählt, aus welcher Verbindung die personi- fizierte Frucht, der Karpos, ersprießt, so sieht das beinah wie eine Parallele zu der aus unserem Bilde erschlossenen Vorstellung aus. Nur wird man sich hüten, deshalb auch auf dem Bilde die Schlafende Hora zu nennen; denn eine schlafende Höre ist ebenso undenkbar wie eine schlafende Flora. Erwägt man aber, daß der geflügelte Bräutigam Primeln im Haar und in der Hand trägt, so wird man in diesem lieber den Frühlingsgott selbst, den personifizierten Ver, erblicken. Er ist es, der die Erde aus ihrem Winter- schlaf erweckt und sich mit ihr vermählt. Aphrodite aber ist in gewisser Weise die Pronuba. Mit Hilfe ihrer Eroten hat sie um den Frühling mit ihrem Schleier eine Art Schlinge geschlagen und läßt ihn in dieser zu seiner Braut herabgleiten. Wie eng Ver und Venus in der Vorstellung der Römer verbunden sind, kann außer dem eben zitierten Lucrezvers das Pervigilium Veneris lehren. In der Literatur läßt sich allerdings dieser Naturmythos oder sagen wir lieber diese allegorische Einkleidung, nicht nachweisen, und trotz der germanischen Parallele braucht er durchaus keine Volksvorstellung gewesen zu sein. Sondern so gut -jederzeit ein Dichter auf diesen anmutigen Einfall kommen konnte, ebensogut der Künstler oder der Besteller des Bildes. Und der Umstand, daß Repliken des Bildes in Pompeji bis jetzt noch nicht gefunden sind, und daß der Künstler sich in seiner Erfindung so eng an das Ariadnebild anlehnt, könnte uns in der Auffassung bestärken, daß das Bild ein Original ist, nach einem eignen Gedanken des Bestellers gemalt. Und andererseits haben wir selbst das Recht und die Pflicht, eine solche Vorstellung aus dem Bilde allein, wenn dieses nur eine deutliche Sprache redet, ebensogut zu erschließen wie einen nicht überlieferten Mythos. Haben wir doch einen ganz ähnlichen Fall und sogar eine ganz ähnliche Vorstellung oben bei Pandora gefunden. So könnte es scheinen, daß wir das Bild hier an unrechter Stelle eingereiht haben, und daß ihm ein Platz in einem früheren Kapitel gebührt hätte. Aber hier tritt nun ein seltsamer Umstand hinzu, der die Deutung zu erschüttern scheint. Es gibt nämlich doch eine Replik, wenn auch nicht auf einem Wandgemälde, so auf einem Sarko- phag, und hier ist die Verbindung, in der die Szene erscheint, völlig rätsel- haft. Freilich ist dieser Sarkophag heute nicht mehr erhaltenoder wenigstens verschollen, und man könnte daher geneigt sein, die mancherlei Seltsam- keiten auf Rechnung des Zeichners zu setzen. Indessen befindet sich diese Zeichnung im Codex Coburgensis, dessen Wiedergaben sich, wo wir sie kon- 25 386 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? trollieren können, stets als außerordentlich zuverlässig erwiesen haben. Niemals gibt der Zeichner Ergänzungen wieder, niemals ergänzt er selbst auf seinem Blatt, und also müssen wir annehmen, daß diese Sarkophag- seite in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts ganz so aussah wie in der Zeichnung Abb. 288, demnach ganz intakt und ohne jede Ergänzung war. An der rechten Ecke finden wir nun die drei Hauptfiguren des Gemäldes wieder, nur nach der anderen Seite gewandt. Der geflügelte Jüngling streckt hier, vom Himmel herabfliegend, seinen linken Arm aus, auf den die Frau ihre rechte Hand legt. Diese sitzt aufrecht, ist also wach, aber daß sie vorher ge- ^|Mpw— — iw 1— ■■« iij «urmwii ■ 1 m ■■■— rL-j^^^ourr-r. - .-.-•> kiii» «■>■*■. ,r *3 - üb*? '/.<* Abb. 288. schlafen hat und erst beim Nahen des Jünglings erwacht ist, zeigt der hinter ihr sitzende Schlaf gott, an dessen Beine sie ihren Rücken anlehnt. Somit stünde der Deutung auf den Frühlingsgott und die Erdgöttin nichts im Wege, auch nicht der im Bogen geblähte Mantel, der sich auch sonst zu- weilen bei Tellus findet. Wer aber ist der von Wellen umgebene Mann links von dieser Gruppe, der den linken Arm ausstreckt und einen Fisch- schwanz zu haben scheint? Beim ersten Anblick wird man ihn für einen Triton halten, aber für einen solchen paßt weder der wilde Kopf mit dem gesträubten Haar noch der sehr kräftige Oberkörper. Auch pflegen, wie wir oben gelernt haben, Tritone in der späteren Kunst entweder zwei Fisch- schwänze zu haben oder, wenn nur einen, zwei aus den Hüften heraus- wachsende Pferdevorderbeine. Ferner muß die Möglichkeit in Rechnung gestellt werden, daß die Figur einen Schlangenschwanz hat. Sehr seltsam verhält es sich nun mit dem sie umgebenden Wasser. Es sind nämlich keines- wegs die Wellen eines Meers oder eines Flusses. Vielmehr ist es eine ein- zige Welle, die von dem linken Unterarm des Flügeljünglings ausgeht oder hinter ihm zum Vorschein kommt. Sie gabelt sich, da ihr der Wundermann seinen linken Arm entgegenstreckt, und umflutet nun klatschend von beiden Eine rätselhafte Sarkophag-Darstellung 387 Seiten seinen Körper. Das alles hat auf anderen Bildwerken keine Analogie. Soll die Welle Regen vorstellen, so würde man erwarten, daß sie aus einem Gefäß, Urne oder Hörn (s. Abb. 2. 35. 36. 212. 291), herauskäme. Man könnte sich ein solches in der rechten Hand der Frau ergänzen, aber dann müßte der Coburgensis-Zeichner den Rest übersehen haben, und das anzunehmen würde ein methodischer Fehler sein. Und wie sollte die Erdgöttin Regen spenden? Von dem Frühlingsgott würde man sich das eher vorstellen können. Und wer ist der Schlangenfüßler ? Ein Gigant? Aber Giganten haben zwei Schlangenfüße. Bliebe die Deutung auf Typhon. Das alles ist völlig rätsel- haft. Zur Not könnte man sich die Sache ja so zurechtlegen. Der typhon- artige Dämon ist der Unhold, in dessen Gewalt die schlafende Erdgöttin sich während ihres Winterschlafs befindet. Der Frühlingsgott überschüttet ihn mit Regen und treibt ihn so in seine Höhle zurück. Aber das alles ist nir- gends überliefert und läßt sich nicht ohne große Zugeständnisse an die eigene Phantasie aus dem Bildwerk herauslesen. Hier sind wir an der Grenze der wissenschaftlkhen Hermeneutik angelangt. Diese zu überschreiten wollen wir anderen überlassen. Betrachten wir die übrigen Figuren, so wachsen die Schwierigkeiten, anstatt daß wir Aufklärung erhalten. Der nur mit seinem Oberkörper sichtbare Mann links, der einen runden Hut trägt und die Hand, wohl vor Staunen über die Flügelfigur, vor das Gesicht hält, scheint ein Sterblicher von niederem Stand zu sein. Dann beginnt offenbar eine andere Szene. Oder vielleicht sind es auch ihrer zwei. Jedenfalls werden wir gut tun, mit unserer Betrachtung weiter links einzusetzen, wo wir den Flügel- jüngling wiederfinden. Aber diesmal läuft quer über seine Brust ein Band, wie es zum Tragen des Köchers dient. Es ist also unverkennbar Eros, und diesen Namen müssen wir konsequenterweise nun auch dem Bräutigam der Erdgöttin in der zweiten Szene geben. Die Vorstellung, daß Eros sich auf der Erde vermählt, hätte an sich nichts Befremdliches, aber auf das pom- pe janische Bild ließe sie sich wegen der dort gegenwärtigen fünf kleinen Eroten nicht übertragen. Also müßte dort ein anderer Naturmythos zu- grunde liegen wie auf dem Sarkophag, eine Annahme, die nicht ohne Be- denken ist. In der ersten Szene des Sarkophags steht nun Eros vor einem Mann im Arbeiterkittel, der auf einem Felsen sitzt und ein kleines Kind auf seinem Oberschenkel hält. Mit dem Hammer in seiner Rechten berührt er die Stirn dieses Kindes in einer Weise, als ob er ihm den Kopf bis zum Scheitel aufschlitzen wollte. Daß das Kind, das mit einem langen dewand bekleidet ist, kein Kunstwerk, sondern lebendig ist, erhellt aus der Art, 25* ogg Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? wie es den linken Arm hochhebt und sich mit dem rechten am Arm des Operateurs festhält. Eros sieht dieser Operation aufmerksam zu und hält mit der Linken einen Nagel bereit, den offenbar der Mann im Kittel auch noch gebrauchen wird. Zwischen Eros und dem Sitzenden sieht man eine Frau, die den Kopf abwendet und den linken Arm erschreckt ausstreckt. Das Kopftuch charakterisiert sie als Amme, und sie gleicht so sehr der über die Ermordung der Klytämestra entsetzten Amme auf den Orestes- Sarkophagen, daß sie augenscheinlich dorther entlehnt ist. Man wird um die Annahme, daß das Kind dieser Amme abgenommen worden ist, kaum herumkommen. Links sitzt in auffällig ruhiger Haltung Athene auf einem Stuhl, über den ein Kissen gelegt ist. Die Linke stützt sie auf ihre Lanze. Hinter ihr ist ihr heiliger Ölbaum angebracht. Rechts von dem Sitzenden bemerkt man einen Rundbau mit überhöhtem Dach, den man mit der Tholos von Epidauros vergleichen möchte, wenn nicht die Ringhalle fehlte. In dies Gebäude ist eben ein mit einem Kittel bekleideter Mann, der in Rückenansicht dargestellt ist, eingetreten. Sein Kopf und seine linke Körper- hälfte verschwinden bereits in der Tür. Mit der erhobenen Rechten scheint er eine Gebärde des Staunens zu machen. Durch einen Baum von ihm getrennt, folgt ein zweiter Mann, der mit der Exomis bekleidet auf einem Felsen sitzt und den Kopf senkend mit der Rechten einen Gestus des Be- dauerns zu machen scheint. Ob diese beiden Männer eine Szene für sich bilden, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. Für ihre Absonderung könnte die große Ähnlichkeit des Sitzenden mit dem Mann, der in der ersten Szene das Kind auf dem Schoß hält, sprechen; auch der Felssitz ist fast genau derselbe. Sei dem wie ihm wolle, der dargestellte Vorgang ist so ganz eigener Art, so ohne jede Analogie auf anderen Bildwerken und in der Lite- ratur, daß wir ratlos dastehen. Die beiden bisher versuchten Deutungen versagen gänzlich. Die von Panofka auf die Schöpfung der Pandora in Gegenwart der drei Kabiren und der Eileithyia oder Hekate und auf die Geburt von Aphrodite Euploia aus dem Meere, wobei ihr Eros seinen Arm zum Aufstützen darbietet, Peitho (der Schlafgott) ihr zu ihrer Er- hebung behilflich ist und Okeanos ringsum Strömung verbreitet, gehört in das archäologische Kuriositätenkabinett. Aber auch Otto Jahn war diesmal ausnahmsweise nicht glücklich, wenn er an Daidalos und Ikaros dachte; denn von allem anderen zu schweigen, sind die Flügel des Jüng- lings augenscheinlich keine künstlichen, sondern natürliche. Hätten wir nun die Szene rechts richtig auf die Vermählung des Frühlingsgotts oder Die angeblichen Admet-Bilder 389 des Eros mit der Erdgöttin bezogen, so dürften wir erwarten, daß von dieser Erklärung auch Licht auf die Vorgänge links fiele. Da sich diese Erwartung nicht erfüllt, wird dadurch auch die Deutung der Szene rechts erschüttert und auch die Erklärung des pompejanischen- Bildes, das von jener Szene kaum zu trennen ist, kann nicht mehr für so wahrscheinlich gelten, wie es uns anfänglich schien. Enthalten hier die immer wiederholten Deutungsversuche das Eingeständ- nis, daß die Lösung noch nicht gefunden ist, so hat bei einem noch viel rätselhafteren Gemälde eine handgreiflich falsche sich länger als ein halbes Jahrhundert beinah unwidersprochen behauptet. In sechs Exemplaren ist uns diese merkwürdige Komposition nur mit leichten Variationen erhalten. Wir setzen die beiden wichtigsten und am besten erhaltenen her (Abb. 289. 290). Die drei Hauptpersonen sind ein Jüngling auf einem Thron oder einem mit einem Tierfell belegten Steinsitz, neben ihm eine bräutlich ge- schmückte Frau, und ihnen gegenüber auf einer niedrigen breiten Bank ein Jüngling, der seine Chlamys wie einen Schurz um den Leib geschlagen hat und in der Linken eine geöffnete Buchrolle hält, auf die er mit dem rechten Zeigefinger hinweist. Einmal (Abb. 290) hält er diese Rolle weit von sich ab und blickt prüfend auf sie hin, wie ein Maler, der den Effekt eines Bildes aus einiger Entfernung beobachten will. Durch den Inhalt dieser Rolle wird das junge Paar in seelische Erregung versetzt, die sich aber auf den verschiedenen Exemplaren verschieden äußert. Das eine Mal (Abb. 290) sitzt der junge Mann tief nachdenklich da und legt drei Finger seiner linken Hand an die gesenkte Stirn, als ob er über ein unendlich schwieriges Problem nachsänne. Die junge Frau, deren Antlitz einen tief schmerzlichen Ausdruck trägt, umschlingt ihn mit dem rechten Arm und legt ihre Linke an seinen linken Unterarm, als ob sie ihn trösten und schützen wollte. Um- gekehrt ist es ein anderes Mal (Abb. 289) diese Frau, die ihrerseits nach- denklich dasitzt. Dabei lehnt sie sich zurück und stützt das Kinn auf die linke Hand; der Mund hat einen herben, die Augen einen sinnend träume- rischen, das ganze Antlitz aber zugleich einen etwas hochmütigen Ausdruck. Außer diesen drei den Mittelpunkt bildenden Personen sind regelmäßig noch vier Figuren gegenwärtig, unter ihnen als die einzig zu benennende Apollon mit einem Nimbus um das Haupt (Abb. 289), entweder bloß mit einem Köcher auf dem Rücken (Abb. 290) oder mit Köcher und Bogen. Die Anordnung dieser Figuren ist aber verschieden. Ist die Komposition wie Abb. 290 eine pyramidale, so bildet Apollon die Spitze und erhebt alles 390 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? Abb. 289. überragend die rechte Hand mit dem Redegestus. Stehen die vier Figuren in einer Reihe hinter einer Schranke, so erscheint Apollon am rechten Ende Die angeblichen Admet-Bilder 391 Abb. 290. und richtet seine Augen auf das junge Paar (Abb. 289). Neben ihm ist offen- bar die wichtigste Person eine weibliche Gestalt, die einen ähnlichen Schleier 392 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? trägt wie die junge Frau und also auch eine Braut sein könnte. Stets macht sie mit der erhobenen Rechten einen Gestus des Schreckens. In der pyra- midalen Komposition steht sie rechts von Apollo etwas tiefer, in der reihen- weisen befindet sie sich links von ihm und blickt ihm mit ängstlicher Span- nung ins Gesicht. Die beiden übrigen Figuren sind ein alter Mann und eine alte Frau, offenbar ein Ehepaar. In der pyramidalen Komposition sind sie rechts angebracht, der Mann etwas höher als die Frau. Das Antlitz des Mannes trägt einen schmerzlich sinnenden Ausdruck; seine Arme sind gesenkt und werden durch den Körper der Frau verdeckt. Diese steht in gebückter Haltung da und legt grübelnd Daumen und Zeigefinger an ihr Kinn. In dem anderen Kompositionsschema bildet dies Paar das Gegen- stück zu Apollon und seiner Nachbarin; die Frau macht mit der Rechten dieselbe Gebärde des Schreckens wie diese. Der Mann senkt das Haupt auf seine beiden Hände, die er auf einen Stab stützt. Auf anderen sehr zerstörten und daher nicht publizierten Exemplaren erkennt man hinter dem sitzenden Jüngling noch ein oder zwei Trabanten, wodurch dieser als ein König bezeichnet wird. Die alte Deutung der herculanensischen Akade- miker auf die Wiedererkennung zwischen Orestes und Iphigeneia durch den von dieser dem Pylades übergebenen Brief, ist zu kindlich, als daß wir uns mit ihr abzugeben brauchten ; ebenso ihre Variante, die die in Delphi spielende Erkennung zwischen Orestes und Elektra auf dem Bilde dargestellt sehen will. Um so eingehender müssen wir uns mit der herrschenden Deutung befassen. Sie erklärt das sitzende Paar für Admetos und Alkestis; der vor ihnen sitzende Jüngling überbringt von Delphi das Orakel, das dem Admet baldigen Tod verkündet, wenn nicht ein anderer sich bereit erklärt, für ihn zu sterben; auf diesen wichtigen Zusatz, den Admet überhört hat, macht der- Bote, »dem man zu bequemerer Mitteilung einen leichten Sitz angeboten hat«, eben aufmerksam. Das alte Paar sind die Eltern des Admet; sie halten sich vorsichtig fern, »der Vater mit mattherzigem Bedauern, die Mutter mit ausgesprochen egoistischer Berechnung«; sie wollen nicht statt ihres Sohnes in den Tod gehen. Alkestis aber »zeigt sich schon bereit, das ver- langte Opfer für ihren Gatten zu bringen «. Apollon, der das Orakel erteilt hat, ist selbst zugegen. Die stehende Frau gehört das eine Mal (Abb. 289) zu den Menschen, das andere Mal (Abb. 290) zu den Göttern. Es ist ursprüng- lich die Brautjungfer, aus der aber auf anderen Bildern die Ehegöttin gewor- den ist — also Hera teleia oder Iuno pronuba? Denn andere Ehegöttinnen gibt es nicht. Aber so sieht die Gestalt denn doch nicht aus. »Diese Figur Die Sage von Admet und Alkestis 393 ist sehr wesentlich, « hören, wir dann, »da wir nun erkennen, daß die kaum gefeierte Hochzeit so unterbrochen wird. « Sehr wesentlich ist sie allerdings, aber um so weniger genügt diese dürftige Erklärung, und daß sie bei der Deutung auf Admetos und Alkestis eben überhaupt nicht zu erklären ist, genügt allein schon, um dieser den Stab zu brechen. Aber weit wichtiger ist, daß die hier vorliegende Situation sich mit keiner der überlieferten oder überhaupt denkbaren Versionen der Sage in Ein- klang bringen läßt. Admet war ein früher Tod beschieden, entweder durch die Moiren oder durch Artemis, die er beim Hochzeitsopfer vergessen hatte. Apollon aber, der zur Buße für die Tötung der Kyklopen in seinem Hause als Knecht weilt, erwirkt von den Moiren oder von seiner Schwester eine Milderung des Verhängnisses. Jenes ist überliefert, die erfolgreiche Bitte an Artemis müssen wir für die andere postulieren. Denn auf keine Weise geht es an, mit dem kompilierenden Mythographen Apollodor beide Ver- sionen so miteinander zu verbinden, daß die Moiren die Vollstreckerinnen des Grolls der Artemis sind. Es widerspricht durchaus der Vorstellung von dem Wesen dieser uralten Göttinnen, vor deren Macht sich sogar Zeus beugen muß, sie zu Schergen einer Olympierin zu erniedrigen. Worin diese von Apollon erreichte Milderung bestand, ist schon oben angedeutet worden. Admet soll am Leben bleiben, wenn ein anderer für ihn in den Tod geht, wozu Alkestis hochherzig bereit ist, während Admets Eltern sich weigern. Nun ist es doch selbstverständlich, daß Apollon dieses von den Moiren oder seiner Schwester erlangte Zugeständnis persönlich seinem Herrn mit- teilt. Denn bis zum Todestag der Alkestis bleibt er in dessen Palast; erst da ist seine Knechtschaft zu Ende, und im Prolog des für die Sagenanschauung des gesamten Altertums maßgebenden Euripideischen Stücks sehen wir ihn das Haus des Admet verlassen, eine Szene, die auch auf römischen Sarko- phagen illustriert wird, also in der Kaiserzeit allgemein bekannt war. Wie absurd ist es nun, daß Admet nach Delphi schickt, um dort denselben Gott zu befragen, den er täglich zu Hause sieht und spricht. Und gesetzt, es hätte eine Version gegeben, nach der Apollons Knechtschaft schon früher zu Ende gewesen wäre, so hätte er bei seinem nahen Verhältnis zu Apollon, das nach einer Sagenform sogar ein erotisches war, gewiß nicht nötig gehabt, sich an die Pythia statt direkt an den Gott zu wenden. Wenn man die Ein- führung dieses Motivs für eine erlaubte künstlerische Freiheit erklärt hat, für die, wer mit der alten Kunst vertraut sei, keine Belege verlangen werde, so muß ich bestreiten, daß die Freiheit des antiken Künstlers so weit geht, 394 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? die einfachsten Gesetze der Logik zu verletzen. Wenn Apollon aus Liebe zu Admet diesem eine Milderung seines Schicksals erwirkt, so wird er auch selbst aus eigenem Antrieb seinen Erfolg dem jungen König mitteilen und es nicht diesem überlassen, das delphische Orakel zu befragen. Und wie sollte dieser zu solcher Frage überhaupt kommen, da er doch in diesem Fall von Apollons Verhandlung mit den Moiren oder mit Artemis keine Ahnung haben kann. Aber wir vergessen, durch das Orakel soll ja Admet nicht nur jene mildernde Bedingung, sondern überhaupt zum ersten Male von dem ihm drohenden frühen Tod erfahren. Damit wird die Absurdität auf die Spitze getrieben. Admet weiß bisher von seinem Verhängnis noch nichts; was soll ihn denn da veranlassen, nach Delphi zu schicken und obendrein gerade an seinem Hochzeitstag, an dem angeblich die Szene spielen soll? Lediglich das Verlangen, einen Blick in die Zukunft zu tun? Das erinnert doch gar zu sehr an das Dienstmädchen, das zur Kartenlegerin geht. Also wenn die Rolle überhaupt ein Orakel enthält, so ist die Deutung auf Admet und Alkestis völlig ausgeschlossen. Aber ob die Rolle diese Bedeutung hat, ist überhaupt recht fraglich ; denn Orakel werden sonst ge- wöhnlich auf Bleitäfelchen oder auf Schreibtafeln geschrieben, Rollen kommen zwar gelegentlich auch vor, sind jedoch selten. Nur die Wander propheten, die mit den Orakeln des Bakis oder des Laios hausieren gehen, tragen diese in Rollen aufgezeichnet mit sich, wie aus der Wahrsagerszene in Aristophanes' Vögeln allgemein bekannt ist; aber wie ein solcher wandernder Prophet sieht der feine Jüngling, der die Rolle hält, gar nicht aus. Er sieht aber auch nicht aus wie ein Bote oder wie einer, der eine lange Wanderschaft hinter sich hat. Solche Personen pflegt die antike Kunst mit Hut und Stiefeln, am liebsten auch mit dem Wanderstab auszustatten; von allem dem sehen wir hier nichts. Auch das Sitzen würde für einen Boten merk- würdig sein. Daß man ihm »zu bequemerer Mitteilung einen leichten Sitz angeboten hat«, ist ja sehr gnädig von dem jungen Königspaar, aber zur Aufhellung der Situation trägt es nicht gerade bei; denn Boten pflegen Sonst ihren Auftrag stehend auszurichten. Nimmt man hingegen an, daß hier die Rolle ihre gewöhnliche Bedeutung hat, daß sie ein Buch ist, so würde sich das Sitzen des Jünglings sehr einfach durch die An- nahme erklären, daß der Jüngling dies Buch dem Paar vorliest oder vor- gelesen hat. Ehe wir diese Spur, die zwar nicht zum Ziele führt, aber uns vielleicht doch etwas vorwärts bringt, ■ weiter verfolgen, müssen wir eines Umstands ge- Deutungsmöglichkeiten 395 denken, den man als Stütze für die eben widerlegte Deutung hat gebrauchen, wollen. Eine Replik dieses Bildes findet sich einmal in einem am Peristyl gelegenen Zimmer in dem obersten Teil einer Wand angebracht. Im Ta- blinum desselben Hauses, das von diesem Zimmer durch den Atrium und Peristyl verbindenden Gang getrennt und nach der entgegengesetzten Himmelsrichtung orientiert ist, steht eingeritzt: PELIAS und darunter ALCESTIS. Diesen Graffito wollte man zu dem Gemälde in Beziehung setzen. Man hätte ihn in Erinnerung an jene Darstellung hingekritzelt, die sich doch in einem ganz anderen Zimmer befindet und von dem Tabli- num aus gar nicht gesehen werden kann. Nun ist freilich auch bei jener falschen Deutung Pelias auf dem Bilde gar nicht dargestellt; konnte es auch gar nicht sein, da er längst begraben war. Aber der Kritzler habe eben geringe mythologische Kenntnisse besessen und damit den auf dem Bilde gegenwärtigen Vater des Admet gemeint, also Pheres und Pelias mitein- ander verwechselt. Aber selbst einem gekritzelten Text gegenüber muß es als methodischer Grundsatz gelten, zuerst zu versuchen, ob sich das, was dasteht, nicht erklären läßt, ehe man einen Irrtum statuiert. So wie die beiden Namen untereinander gestellt sind, besagen sie, Pelias ist der Vater der Alkestis, und diese richtige genealogische Tatsache wird der Knabe, denn um einen solchen handelt es sich offenbar, in Erinnernug an das eben aus seinem mythologischen Handbuch Gelernte oder, wenn er schon in einem vorgerückteren Alter stand, in Erinnerung an die Lektüre der »Peliaden« oder der »Alkestis« des Euripides hier verewigt haben. Selbst wenn also der Graffitto auf derselben Wand stände wie das Gemälde, würde er zu dessen Erklärung nichts beitragen, sowenig wie der Hexameter auf dem obenerwähnten Hesionebild, obgleich dieser doch auf die Bild- fläche selbst aufgemalt ist. Wir haben eben die Möglichkeit erörtert, daß der Jüngling dem Königs- paar aus einem Buche vorgelesen hat. Betrachten wir die Rolle näher, so sehen wir, daß sie links aufgerollt ist, rechts aber Rand hat ; ist diese Wieder- gabe korrekt, so würde daraus folgen, daß das Buch eben zu Ende gelesen worden ist, und der Inhalt dieses Buches oder vielleicht nur dessen Schluß würde es sein, der alle Anwesenden, mit Ausnahme des Apollon, in solche Aufregung versetzt. Die Gefühle, die bei ihnen erweckt werden, sind Schrecken, Niedergeschlagenheit, vor allem aber nachdenkliches Grübeln; um etwas Rätselhaftes muß es sich handeln, das aufzuklären sich der junge König, seine Gattin und die alte Frau bemühen. Allerdings kann auch 396 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? ein Orakel, um auch diese Auffassung hier nochmals zu erwägen, rätsel- haft sein, aber der dem Admet gewordene Schicksalsspruch ist ganz un- zweideutig, paßt also absolut auch nicht zur Stimmung der beteiligten Personen. Aber an eine Orakelsammlung wie die des Bakis könnte man in der Tat vielleicht denken, da sich sonst kaum ausdenken läßt, welcher Literaturgattung das Buch angehört. Der Inhalt des Gehörten muß nun die Anwesenden persönlich nahe berühren, sowohl das junge und das alte Paar, wie die Frau neben Apollon. Es muß auch das alte Paar zu dem jungen Paar in enger Beziehung stehen, in diesem einen Punkte hat die von uns abgelehnte Erklärung recht. Es müssen die Eltern oder die Pflege- eltern entweder des Königs oder der Königin sein. So weit läßt sich unter der Voraussetzung, daß es sich um die Lektüre eines Buches handelt, mit einiger Wahrscheinlichkeit kommen. Von hier an aber beginnt das weite Reich der Möglichkeiten, wo an Stelle des Schlusses das Experiment tritt. Wenn wir es einmal mit einem solchen versuchen wollen, so werden wir am zweckmäßigsten von der Frau neben Apollon ausgehen, deren große Bedeutung für den Vorgang schon früher von uns hervorgehoben worden ist. Wir haben sie wegen ihres bräutlichen Gewandes mit der Königin ver- glichen, aber daß sie selbst Braut sei, folgt daraus noch nicht. Nur eine vornehme Frau, eine Heroine, muß es sein. Beachtet man nun, wie sie auf dem einen Bilde ängstlich, aber nicht ohne ein gewisses Zutrauen auf Apollon blickt, als ob sie von diesem Rettung hoffe und erwarte, so liegt die Ver- mutung nahe, daß sie die Geliebte dieses Gottes, daß der junge König, um dessen Schicksal es sich offenbar handelt, die Frucht dieser Liebe ist, die beiden Alten seine Pflegeeltern sind* daß dieser Sohn des Apollon durch eine Heldentat die Hand einer reichen Königstochter gewonnen hat, wie Oidipus die der lokaste, und daß das Buch eine dunkle Hindeutung auf seine wahre Abkunft enthält. Überliefert ist diese oder eine ähnliche Geschichte nir- gends, und wenn wir sie hier rekonstruieren, tun wir es nur, um zu zeigen, wie die der dargestellten Situation zugrunde liegenden Voraussetzungen ungefähr beschaffen gewesen sein können. Wir verfahren dabei nicht anders wie ein Künstler bei dem ersten Entwurf einer großen Komposition; viel- leicht kann er später einiges verwerten, vielleicht wird alles verworfen. Aber der erste Versuch muß doch einmal gemacht werden. Verwerflich ist ein solcher nur dann, wenn eine solche Hypothese als Faktor in eine weitere Beweisführung eingesetzt wird. Fragen wir nun, warum das be- sprochene Gemälde unter den undeutbaren bleiben muß, so liegt dies Der sog. Alope-Sarkophag 397 daran, daß die Vorgeschichte der dargestellten Szene zu kompliziert ist, als daß wir sie aus dem Bilde erschließen und der Künstler sie auf ihm mit genügender Klarheit zum Ausdruck bringen konnte. Auch ein Sarkophag, auf dem eine ähnliche Gruppe eines trauernden Braut- paars vorkommt, hilft uns nicht weiter. Denn selbst wenn dieselben Per- sonen gemeint sein sollten, was wenigstens möglich ist, sind sie hier so wenig zu benennen wie auf den pompejanischen Bildern. Denn fast alles auf diesem Sarkophag ist unklar ; auch er gehört zu den falsch gedeuteten und undeutbaren Bildwerken, so daß seine Besprechung in diesem Abschnitt um so weniger fehlen darf, als die Deutungsbedingungen bei ihm ganz eigentümlich sind. Den heutigen Zustand der Vorderseite, die jetzt in der Vorhalle der Villa Pamfili eingemauert ist, zeigt eine sorgfältige Zeichnung Ernst Eichlers (Abb. 291). Vor einem dorischen mit einer Girlande festlich geschmückten Portal sitzen auf einer Kline ein Mann und eine Frau; diese zieht in gebückter Haltung den Mantel, der einem Brautschleier ähnlich ist, fest um sich, der Mann legt seinen rechten Arm um den Nacken der Frau und stützt sich mit der Linken auf seinen Sitz; seine Gesichtsmaske ist ergänzt, wahrscheinlich war sie ursprünglich nur abbozziert und sollte die Porträtzüge des Toten erhalten. Das Paar ist also in ähnlicher Stimmung wie das auf den pompejanischen Gemälden, jedoch ist hier die Frau die Trostesbedürftige und es fehlt der Vorleser. Links von dieser Gruppe sitzt auf einem Podium ein Krieger in römischer Rüstung; die Rechte streckt er vor. Hinter ihm steht vollständig gewappnet sein Trabant, die Rechte auf die Lanze, die Linke auf den am Boden stehenden Schild gestützt. Diesem Krieger wird von zwei Jünglingen ein Gefangener vorgeführt, dessen Ober- körper ergänzt ist. An den Füßen trägt er hohe Stiefel. Ergänzt sind auch der linke Arm der ersten, der Kopf und fast die ganze rechte Seite der zweiten Jünglingsfigur. Eine Frau hält dem Krieger ein Kind hin, das bittend die Ärmchen emporhebt. Offenbar ist es das Weib des Gefangenen. Diese Szene ist auf den römischen Schlacht-Sarkophagen typisch: sie zeigt den Imperator, dem der besiegte feindliche König, meist in phrygischer Tracht, vorgeführt wird. Wären nur diese beiden Mittelszenen erhalten, so würde man zweifeln können, ob überhaupt ein Mythos und nicht einfach Vorgänge aus dem Leben des Verstorbenen nach dem für die Sarkophage der Vita communis üblichen Schema dargestellt wären. Mit dieser Annahme lassen sich aber die beiden Eckszenen nicht in Einklang bringen. Links sieht man nämlich ein Gebäude von ländlichem Charakter, von dessen Mänianum 398 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? eine Frau herabblickt. Ein lediges ungezäumtes Roß hebt den Kopf zu dieser Frau empor. Hinter diesem Pferd stehen zwei Figuren, ein Jüngling, der mit der Linken seinen Mantel anfaßt und den rechten Arm nach der Frau ausstreckt, und eine Figur, deren Geschlecht sich nicht bestimmen läßt, die aber nach ihrem langen Gewand zu urteilen wohl weiblich sein wird. Keine der beiden Frauen hält ein Attribut. Am rechten Ende sitzt auf einem Felsen eine Frau, die ihren Mantel über den Hinterkopf gezogen hat und den rechten Arm wie in feierlicher Rede erhebt. Über ihr lagert auf einem Felsen eine in kleineren Dimensionen gehaltene Quell- nymphe mit einer Wasserurne auf dem Knie. Vor ihr steht ein bärtiger Mann in geschürztem Untergewand, Mantel und Stiefeln, mit einem Speer in der Linken. Er blickt nachdenklich auf die Frau, während er mit der Rechten seinen Mantel berührt. Ein ähnlicher bärtiger Mann, jedoch ohne Untergewand und Stiefel, steht hinter ihm; in der Rechten hält er einen Speer, mit der Linken führt er ein Pferd am Zügel. Vor ihm kauert ein kleiner Hund, der den Kopf nach der Frau hin erhebt. Das wären vier Szenen, es ist aber die Möglichkeit offen zu lassen, daß ein paar von ihnen zusammengehören. Durch die ledige Stute in der ersten, durch die Frau mit dem Kind in der zweiten Szene fühlte sich Winckelmann an die Fabel von Alope erinnert, wie sie Hygin im wesentlichen nach einem Drama des Euripides erzählt. Diese Geschichte glaubte er hier dargestellt ; nur das sitzende Paar wußte er in dieser nicht unterzubringen und nahm daher an, daß hier eine Szene aus einem ganz anderen Mythos, nämlich Admetos und Alkestis, mitten unter die Alopeszenen gesetzt sei. Ein seltsames Spiel des Zufalls; denn die falsche Deutung der pompejanischen Bilder, an die wir die Besprechung Die Alope-Sage 399 dieses Sarkophags anknüpfen, auf Admet und Alkestis war zu Winckel- marns Zeit noch nicht aufgestellt. Welcker, der gegen eine solche Ver- bindung verschiedener Mythen in demselben Bildwerk mit Recht Ein- spruch erhob, behielt doch die Deutung auf die Geschichte der Alope bei, suchte auch das bräutliche Paar aus ihr zu erklären und modifizierte auch sonst die Einzelheiten von Winckelmanns Erklärung. An Welckers Exegese knüpfte dann wieder Stephani an, nicht ohne sie in manchen Punkten zu bemäkeln und durch seine »so wesentlichen als sicheren Resultate « zu er- setzen. Aber an der Beziehung auf die Alopesage hat nicht nur er, haben auch alle anderen festgehalten. In den Antiken Bildwerken in Rom von Friedrich Matz figuriert die Sarkophagplatte unter diesem Namen, und selbst Wilamowitz, obgleich er das Mangelhafte der Einzelerklärung er- kannte, zweifelte doch keinen Moment daran, daß das Bildwerk jene Euripi- deische Tragödie illustriere. Sehen wir nun, wie sich die Erzählung Hygins zu der Darstellung verhält. Der Mythograph berichtet: Alope, die Tochter des eleusinischen Königs Kerkyon, hat das Kind, das sie dem Poseidon heimlich geboren hatte, durch ihre Amme aussetzen lassen. Eine Stute, die sich .verlaufen hat, nährt das Kind, das darauf von dem Pferdehirten gefunden und nach Hause getragen wird. Ein anderer Pferdehirt bittet, ihm das Kind zu überlassen, was der Finder auch tut, aber erst nachdem er dem Findling sein kostbares Gewand ausgezogen hat. Als der andere Hirte auch dieses verlangt, entspinnt sich ein Streit, zu dessen Austrag sie sich an König Kerkyon wenden. Dieser verlangt das Gewandstück zu sehen und erkennt es als einen Fetzen von einem Kleide seiner Tochter. Darauf gesteht die Amme in ihrer Angst, daß das Kind der Alope gehöre. Der erzürnte König sperrt seine Tochter ein und läßt das Kind zum zweiten- mal aussetzen. Wiederum wird es von einer Stute genährt, wiederum von den Hirten gefunden, die ihm nunmehr den Namen Hippothoos bei- legen. Als dann Theseus den Kerkyon getötet hat, bittet ihn Hippothoos um das Reich seines Großvaters, das ihm dieser gern überläßt, da er ja selbst ein Poseidonkind, also des Bittenden Bruder ist. Alope aber wird von Poseidon in eine Quelle verwandelt. Der Krieger in der zweiten Szene soll nun Kerkyon sein. Ihm wird der Hirt vorgeführt, der das Kind ge- funden hat. Gleich das stimmt nicht zu Hygin; denn bei diesem sind es zwei Hirten, nicht einer, die freiwillig, nicht gezwungen, vor den König treten, damit dieser den Streit schlichte. Es muß also eine Sagenform postu- liert werden, nach der dem König von anderer Seite die Kunde zugetragen 400 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? wird, ein Hirt habe ein mit kostbarem Gewand bekleidetes Kind gefunden. Da aber von diesem Gewand auf dem Sarkophag nichts zu entdecken ist, ging Stephani noch einen Schritt weiter und ließ die Kunde sich darauf beschränken, daß ein Hirt ein Kind gefunden habe, was doch, sollte man meinen, den König weiter nicht interessieren noch zur Vorladung des Hirten veranlassen konnte, es sei denn, daß er schon vorher gegen seine Tochter Alope Verdacht geschöpft hätte. Mit diesem Gewandstück wird aber zu- gleich das einzige Mittel, zur Identifizierung des Kindes eliminiert. Dies Kind, der kleine Hippothoos, soll nun der von der Frau gehaltene Knabe sein, der die Händchen bittend zu dem Krieger emporhebt. Nun macht aber die Benennung der Frau Schwierigkeit. Nach Winckelmann wäre es die Frau des Hirten, von der aber bei Hygin gar nicht die Rede ist, nach Welcker die Amme der Alope, deren Geständnis also schon erfolgt sein müßte. Aber wie kommt sie in den Besitz des Kindes, wie kommt dies Kind überhaupt vor den König? Der gefangene Hirt kann es doch nicht mitgebracht haben, weil er keine Hand frei hat; also müßte es einer der Trabanten mitgenommen und in die Arme der Amme gelegt haben. Wie aber ist diese so plötzlich da? Hat sie der König zitiert? Das ließe sich nur unter der schon einmal gemachten Voraussetzung begreifen, daß dieser bereits auf Alope Verdacht hätte. Man sieht, mit Hygin stimmt die Szene nicht überein, und die neue Version, die man unter der Annahme, daß der Krieger Kerkyon, der Gefangene der "Hirt sei, aus der Darstellung heraus- lesen wollte, strotzt von Ungereimtheiten. Dazu kommt endlich noch, daß die Stiefel, die der Hirt anhat, für einen solchen so unpassend wie mög- lich sind. In dem ledigen Pferd der ersten Szene wollte man nun die Stute, die den Hippothoos genährt hat, in der Frau auf dem Mänianum die ge- fangen gesetzte Alope sehen. Aber diese Frau, die sich friedlich vom Balkon herab mit zwei Leuten unterhält, macht doch so wenig den Eindruck einer Gefangenen, die im Kerker des Todes harrt, als das Landhaus das eines Gefängnisses. Und wenn dies Pferd die Nährerin des Hippothoos ist, wo bleibt dann dieser selbst ? »Die Stute «, schreibt Welcker entschuldigend und rechtfertigend, »hat sich der Mutter des Kindes, welches sie säugt, genähert, angezogen durch den mit ihrem Kind übereinstimmenden Ge- ruch . . . Auf diese Art hat der Künstler den in dieser Geschichte so bedeut- samen Zusammenhang des Hippothoos mit einem Rosse sinnreicher als durch das Säugen unmittelbar und ohne Unterbrechung oder Störung der anderen Szenen behandelt. « Wir hätten in diesem Zuge eine Probe seiner Vergewaltigung der Sagenüberlieferung 401 eigentümlichen Erfindung, Während mit der Tragödie das andere zusammen- hange, daß zwei Figuren sich mit der dem Tode geweihten Alope unter- halten; an eine Entweichung der Alope und an eine andere Wendung ihres Schicksals sei indessen nicht zu denken, da sie nach der attischen Sage von ihrem Vater wirklich getötet werde. Wenn aber diese Unterhaltung für den Verlauf der Geschichte belanglos ist, warum stellt sie dann der Künstler überhaupt dar? Und ob der Einfall, die säugende Stute mit Hilfe ihres Geruchsorgans die Alope suchen und finden zu lassen, nicht weit über das hinausgeht, was sich ein Künstler erlaubt und erlauben darf, scheint doch, von Fragen des Geschmacks ganz abgesehen, recht fraglich; denn an den Scharfsinn des Betrachters und Interpreten werden dadurch unerhörte Anforderungen gestellt. Stephani hingegen legt dieser Szene eine weit größere Bedeutung bei. Theseus, der nach einer anderen Sagen- version der Liebhaber der Alope und Vater des Hippothoos ist, werde hier in Begleitung der Amme von der Stute zum Gefängnis der Alope geführt. »Beide Liebende besprechen eben mit größter Vorsicht den Plan zur Flucht. « Bei diesem Unternehmen würden sie aber, so meint Stephani, von Kerkyon gestört, dadurch werde der Ringkampf beider Heroen und der Tod des Kerkyon herbeigeführt, Theseus aber befreie die Alope und genieße ihre Liebe. Man fragt sich verwundert, wie sich das mit des Poseidon Liebe zu Alope und der Geburt des Hippothoos, wegen deren doch Alope ein- gekerkert wird, verträgt ; aber Stephani nimmt eine Kombination der beiden sich gegenseitig ausschließenden Sagenformen an. Theseus, der als Gast bei Kerkyon weilt, verliebt sich in dessen gefallene Tochter, gerade als die Aussetzung des Kindes an den Tag zu kommen droht. Voll Scham und Furcht sucht Alope Schutz bei dem jungen Heros; sie hat sich nicht in ihm getäuscht; denn er verheißt ihr seinen Beistand. Das sei in der Gruppe auf der Kline zum Ausdruck gebracht, die der Gerichtsverhandlung gleich- zeitig und mit ihr zu einer Szene zusammenzufassen sei. Hierin war ihm Welcker vorangegangen, der gleichfalls den jungen Mann für einen Lieb- haber oder Bruder der Alope hielt. Wenn nun von den bisher betrachteten Szenen die erste wenigstens das Pferd, die zweite das Kind mit der Hygin- schen Fabel gemeinsam hat, so sagt diese von einer solchen zweiten Lieb- schaft kein WTort, und nur mit größter Gewaltsamkeit läßt sich die Situation der Szene an der rechten Ecke aus ihr heraus- oder in sie hineinlesen. Die Quellnymphe soll Alope, die sitzende Frau die Amme der Alope, der eine der beiden Männer Hippothoos sein, darin stimmen die Vertreter der Alope- 26 402 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? Hypothese miteinander überein; nur in der Auffassung der Situation weichen sie voneinander ab. Nach Winckelmann findet Hippothoos, der mit seiner Abkunft unbekannt unter Hirten aufgewachsen ist, auf der Jagd die Amme seiner Mutter an einer Quelle sitzen und erfährt von ihr, wer seine Eltern sind. Nach Welcker kennt Hippothoos diese längst, kennt auch die Amme, und dargestellt sei, wie er Theseus zu ihr hinführt, um sich von ihr seine Abstammung von Kerkyon, dessen Reich er für sich in Anspruch nimmt, bestätigen zu lassen; die Quellnymphe aber sei die verwandelte Alope. Den Gipfel der Geschmacklosigkeit erreicht Stephani. Angesichts der auch von Hygin hervorgehobenen Tatsache, daß Theseus Sohn des Poseidon ist, findet er es anstößig, daß dieser mit der Geliebten seines Vaters geschlecht- lichen Umgang pflegt. Einmal, meint er, habe es der Gott geduldet, daß sein Sohn deren Liebe genossen habe, dann aber, um die Fortsetzung des Verhältnisses zu verhindern, Alope in Abwesenheit des Theseus in die Quelle verwandelt, die wir oben gelagert sehen; dies also nach Welcker. Theseus habe, als er die Geliebte bei seiner Rückkehr nicht mehr vorfand, sich an den Hirten gewendet, bei dem der kleine Hippothoos aufwächst. Mit diesem und der klugen Stute, die ihn schon einmal zu seiner Geliebten geführt habe, sei er auf die Suche gegangen, habe die Amme an der neuen Quelle Alope sitzend gefunden und von ihr alles erfahren. Wir sehen also, daß die Darstellungen zu Hygin absolut nicht stimmen, und daß man, um die Deutung auf Alope festhalten zu können, ganz neue Geschichten erfinden muß, die an Unwahrscheinlichkeit nichts zu wünschen lassen. Schon hierdurch ist diese Erklärung abgetan; es kommt aber hinzu, daß, wie sich nachweisen läßt, die einzige Szene, die allenfalls zu ihr stimmen würde, die angebliche Gerichtsverhandlung, ganz etwas anderes vorstellt. Diese Szene ist, wie wir gesehen haben, am meisten durch Er- gänzung entstellt. Wir besitzen aber von ihr wie von dem ganzen Sarko- phag eine Zeichnung aus dem Anfang des siebzehnten Jahrhunderts, die höchstwahrscheinlich den ursprünglichen Zustand wiedergibt (Abb. 292). Ich mache diese Einschränkung, weil die Zeichnung aus dem »papiernen Museum« des Cassiano dal Pozzo stammt, jener großartigen Sammlung von Zeichnungen nach antiken Reliefs, und weil auf manchen dieser Zeich- nungen das Fehlende von den Künstlern mehr oder weniger glücklich auf dem Papier ergänzt ist. In diesem Falle scheint das aber nicht geschehen zu sein, denn in allem übrigen stimmt die Platte mit dem Relief, wie wir es noch heute sehen, genau überein. Der Sarkophag war, als die Zeichnung Der ursprüngliche Zustand des Sarkophags 403 Abb. 202. angefertigt ward, noch nicht zersägt, sondern bis auf die hintere Ecke der rechten Schmalseite intakt, und endlich spricht die höchste innerliche Wahr- scheinlichkeit dafür, daß die zweite Szene wirklich ursprünglich so aussah, wie sie auf dem Blatt erscheint. Hier trägt nun der vermeintliche Hirt eine phrygische Mütze, und seine Hände sind gefesselt. Dadurch wird die Darstellung der Vor- führung eines besiegten Bar- barenkönigs auf den Sarkopha- gen der Vita communis, mit der wir sie schon oben verglichen haben, noch ähnlicher, und es kann keine Frage sein, daß hier dasselbe gemeint sei. Die Amme mit dem angeblichen Hippo- thoos ist die Gattin dieses Ge- fangenen, die ihr Kindchen den Sieger um Gnade für seinen Vater bitten läßt. Also ist der Held der dargestellten Geschichte ein Heros, der einen phrygischen König bekriegt und besiegt. Auf der linken Schmalseite (Abb. 293) sehen wir diesen Helden, genau wie in der Szene auf der Vorder- seite kriegerisch gerüstet, von einem Mann und einer Frau, vermutlich seinen Eltern, Abschied nehmen, um in den Krieg zu ziehen. Man könnte weiter ver- muten, daß derselbe Held der Bräutigam in der dritten Szene ist und daß er sich die Braut in einem Krieg errungen hat. Wenn er nicht nur jetzt, wo sein Gesicht ergänzt ist, sondern auch auf der Zeichnung des dal Pozzo und der älteren des Coburgensis, in der leider das linke Drittel der Vorderseite fehlt, 26* Abb. 293. 404 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? unbärtig erscheint, so kann das damit zusammenhängen, daß der Kopf, worauf ich schon früher hingewiesen habe, abbozziert war; abbozzierte Köpfe pfle- gen aber die Zeichner des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts auch dann unbärtig wiederzugeben, wenn von dem Bildhauer Bärtigkeit vor- gesehen war. Den Grund, warum der Held und seine Braut so traurig sind, würden wir nur erraten können, wenn wir den Zusammenhang der Ge- schichte kennten. Es ist aber auch möglich, daß es mit der Unbärtigkeit seine Richtigkeit hat und daß das Paar mit dem identisch ist, das wir in der ersten Szene neben dem Pferde erblicken. Dann würde der siegreiche Krieger in der Geschichte nur eine Nebenfigur sein, was aber unwahrschein- lich ist, da wir ihn auch auf der linken Schmalseite finden. Aber die Eck- szenen bleiben in beiden Fällen so gut wie unverständlich. Zwar haben schon die früheren Interpreten richtig erkannt, daß die Frau in der rechten Eck- szene den beiden Männern etwas verkündet. Die Quellnymphe über ihr braucht nur zur Raumfüllung angebracht zu sein, kann aber auch andeuten sollen, daß die Alte ihren Wohnsitz an einer Quelle hat. Auf jeden Fall wird man in ihr eine Prophetin, eine Art von Sibylle, sehen dürfen. Den einen der beiden Männer, und zwar den vorderen, der offenbar die Haupt- person wird, wird man nun geneigt sein, mit dem Kriegshelden zu identifi- zieren, nur befremdet es, ihn nicht in der Rüstung zu sehen; die hohen Stiefel, das geschürzte Gewand, der Speer in seiner Linken, sein von seinem Begleiter am Zügel gehaltenes Roß und der Hund deuten, wie schon Winckelmann erkannt hat, darauf hin, daß er sich auf der Jagd be- findet. In der linken Eckszene macht das ledige Roß die meiste Schwierigkeit ; beachtet man, wie es den Kopf zu der Frau auf dem Mänianum emporhebt und das Maul öffnet, so möchte man ihm mehr als tierischen Intellekt zutrauen und in ihm einen verwandelten Heros oder eine verwandelte Heroine sehen. Nun wissen wir gerade von einer Prophetin, die in eine Stute verwandelt worden ist, die Tochter des Kentauren Chiron, Hippe, die Geliebte oder Gattin des Aiolos. Aber diese Spur hilft nicht weiter; denn aus der Aiolossage, soweit wir sie kennen, lassen sich die dargestellten Szenen nicht erklären. Auch die kranke oder sterbende, Tod eines jugendlichen Jägers 405 auf einer Kline liegende Figur, die auf der rechten Schmalseite dargestellt war, fördert das Verständnis nicht (Abb. 294). So können wir zwar den Sinn der einzelnen Szenen einigermaßen feststellen, aber sie untereinander in Zusammenhang zu bringen oder gar die Personen zu benennen ist un- möglich. Der Vollständigkeit halber muß auch über die Hyginsche Fabel noch ein Wort gesagt werden. Der Leser wird schon selbst bemerkt haben, daß die in ihr zutage tretende Duplizität, die zweimalige Aussetzung des Kindes, das zweimal von einer Stute gesäugt und zweimal von einem Hirten gefunden wird, darauf beruht, daß der Mythograph nach seiner Gepflogenheit zwei verschiedene Quellen miteinander kontaminiert hat. Nach der einen ließ Alope, nach der anderen ihr Vater Kerkyon das Kind aussetzen. Daß die erste das Drama des Euripides war, lehrt die Nach- ahmung Menanders in seinem »Schiedsspruch « und ein Fragment, in dem von der Hilfe, die Frauen einander leisten, die Rede ist. Den Schöpfer der zweiten Version kennen wir nicht. Die Verwandlung der Alope in eine Quelle paßt zu beiden Sagenformen. Zu den falsch gedeuteten und undeutbaren Bildwerken gehört auch ein an der Via Appia gefundener und dort jetzt an einem Grabmal eingemauerter Sarkophagdeckel (Abb. 295). Die Darstellung zerfällt in eine große Haupt- und eine kleine Nebenszene. In jener wird ein verwundeter, auf ein Fels- Abb. 295. stück hingesunkener Jüngling von einem Gefährten unter den Achseln gestützt. Ein zweiter Gefährte hält seinen linken Arm und legt die Rechte klagend ans Gesicht. Dieselbe Gebärde macht ein dritter Gefährte. Ein vierter, der im Begriff scheint niederzuknien, hält mit beiden Händen eine große Schüssel, blickt aber von dem Verwundeten weg nach rückwärts. Von links naht sich dieser Gruppe mit wankenden Schritten ein alter Mann, der mit einem langen Chiton und einem Mantel bekleidet ist; die Linke streckt er bedauernd aus. Hinter ihm steht, den rechten Arm nach dem Verwundeten hin ausstreckend, ein bärtiger Mann, dessen kräftiger Körper- bau an Herakles erinnert ; doch scheint das über seinen linken Arm fallende 406 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? Gewandstück keine Löwenhaut, sondern eine Chlamys zu sein. Es folgt die Gruppe der drei Parzen, von denen die eine sich mit dem linken Ell- bogen auf einen Pfeiler stützt und in der Hand einen Gegenstand hält, von dem sich bei seiner Zerstörung nicht entscheiden läßt, ob er eine Rolle oder eine Schreibtafel ist. Eins von beiden aber war er sicher. Den Ab- schluß bilden drei Jagddiener. Der eine legt seine Linke auf einen am Boden stehenden Schild und stützte seine Rechte auf einen Speer, von dem noch das Mittelstück erhalten ist; ob er einen Helm trug, ist nicht sicher. Den bärtigen Kopf wendet er nach rückwärts, offenbar nach dem Verwundeten hin. Der zweite Jagddiener faßte, wie sich aus der Haltung seiner ver- stümmelten Arme mit Sicherheit erschließen läßt, die Leine des nach links fortlaufenden Hundes. Der dritte Jagddiener steht in Vorderansicht ruhig da, in der Rechten eine Lanze, von der nur noch ein kleiner Rest erhalten ist. Zu seiner Linken ist ein Baum angebracht. In der kleineren Szene an der rechten Ecke sitzt auf einem Stuhl ein Herrscher mit zeusartigem Ge- sichtstypus, der seine Rechte auf einen großen Dreifuß zu legen scheint. Der linke Arm ist gebogen und mag einmal ein Zepter gehalten haben. Vor ihm kniet ein Jüngling, der seinen linken mit der Chlamys umwickelten Arm flehend erhebt; die rechte Hand ist mit dem größten Teil des Armes abgebrochen, wird aber jedenfalls auch eine Gebärde des Bittens gemacht haben. Hinter diesem Jüngling steht ein mit Ärmeltunika und Mantel bekleideter Gefährte, der seinen gesenkten Kopf traurig auf die rechte Hand stützt. Ohne weiteres ist klar, daß der Bittflehende in der kleineren Szene dieselbe Person ist wie der Verwundete oder sagen wir jetzt lieber gleich der Sterbende in der großen. Auch seinen Gefährten wird man nach der Übereinstimmung der Gewandung dort in dem Jüngling mit dem Becken wiedererkennen. Ferner lehren die drei Jagddiener, daß dieser Sterbende seine Wunde auf einer Jagd, vermutlich von einem Eber, erhalten hat; das Becken enthält das Wasser zum Waschen der Wunde; auch auf den Bildwerken mit dem Tod des Adonis ist stets ein solches Becken angebracht. Weiter zeigt die Gegenwart der Parzen, daß dem Jüngling dieser Tod auf der Jagd vom Schicksal bestimmt und wahrscheinlich auch prophezeit war. Der heranwankende Alte, der sehr an den Oineus bei Meleagers Heimtragung erinnert, kann nur der Vater des Jünglings sein. Auch der heraklesähnliche Mann hinter ihm muß eine bestimmte Person sein, die in der dargestellten Fabel eine gewisse Rolle gespielt hat. Wenn in der kleineren Szene der Herrscher die Hand an den Dreifuß legt, so ist das ein Gestus des Schwörens; Vermeintliche Herodot-Illustration 407 er gewährt also nicht nur dem Jüngling seine Bitte, sondern ruft auch dabei die Götter zu Zeugen an. Endlich erhellt aus dem Gesagten, daß die kleinere Szene der großen zeitlich vorausgehen muß. Das ist es, was das Bildwerk selbst uns lehrt. L. Canina hat nun, einer Anregung des Bildhauers Tenerani folgend, die Darstellung auf die ionische Novelle von Atys und Adrastos bezogen, die wir bei Herodot lesen. Atys ist ein Sohn des Kroisos; ein Traum hat diesem prophezeit, daß Atys durch eine Eisenspitze umkommen werde. Daher hält er den Jüngling von Krieg und Jagd fern und verschließt auch in seinem Palast sorgfältig alle Waffen, und als ihn einmal die Myser bitten, ihnen gegen einen Eber, dessen sie nicht Herr werden können, seinen Sohn nebst erlesenen Jünglingen und Jagdhunden mitzugeben, will er ihnen zwar die anderen Jünglinge und die Hunde zur Verfügung stellen, nicht aber auch den Atys. Darauf verlegt sich dieser, den das müßige unkriegerische Dasein schon längst verdrießt, aufs Bitten. Er stellt seinem Vater vor, daß auf dieser Jagd ja nur der Hauer des Ebers zu fürchten sei, vor dem ihn der Traum nicht gewarnt habe, nicht aber eine Eisenspitze, wie in der Feldschlacht, und Kroisos gibt nach. Nun weilte aber damals an seinem Hofe ein Sohn des Gordias und Enkel des Midas, Adrastos. Dieser hatte aus Versehen den eigenen Bruder getötet, war deshalb von seinem Vater verbannt, aber von Kroisos aufgenommen und von der Blutschuld ge- reinigt worden und lebte seitdem im Hause des Lyderkönigs. Diesen gibt Kroisos seinem Sohn als Begleiter mit, auf daß er seinen Sohn vor jeg- licher Gefahr behüte. Aber das Unglück will es, daß gerade Adrastos, als er seinen Speer auf den Eber schleudert, diesen verfehlt, dagegen den Atys tödlich verwundet, und so sich das Traumgesicht erfüllt. Die Geschichte endet so, daß Adrastos in Verzweiflung den Kroisos bittet, auch ihn zu töten, und als dieser sich dessen weigert und ihm verzeiht, sich am Grab- mal des Atys selbst ersticht. Von dieser Geschichte stimmt mit der Darstellung an dem Sarkophagdeckel überein der Tod auf der Jagd. Es paßt auch die Gegenwart der Parzen, die nicht nur eine erlaubte bildliche Andeutung des Traumgesichts sein würden, sondern die auch nach der ionischen Legende diesen Tod über Atys verhängt haben müssen, auch wenn Herodot diesen selbstverständlichen Punkt nicht ausdrücklich hervorhebt. Hingegen alles andere paßt nicht. Wäre der dargestellte Jüngling nicht durch den Zahn des Ebers, sondern durch einen unglücklichen Speerwurf umgekommen, so dürfte dieser Speer nicht fehlen: er müßte entweder noch in der Wunde stecken oder heraus- 408 Talsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? gezogen am Boden liegen. Ferner vermißt man Adrastos; denn der herakles- artige Mann äußert seine Teilnahme zu ruhig, um für diesen unschuldig Schul- digen gelten zu können. Wenn ferner die kleine Szene anfangs aus der Hero- dotischen Novelle verständlich zu werden scheint, so stellt sich das bei näherem Zusehen alsbald als ein Irrtum heraus. Denn der majestätische Herrscher dieser Szene kann mit dem gebrechlichen Greis, der zu seinem sterbenden Sohn hinwankt, unmöglich identisch sein. Gesetzt aber, man wollte sich über diese Schwierigkeit hinwegsetzen, so bleibt doch noch die Unmöglichkeit bestehen, den bittflehenden Jüngling befriedigend zu deuten. Zwei Namen können für ihn in Betracht kommen, Adrastos und Atys, und wenn es Adrast ist, für diese zwei Situationen: wie er Kroisos anfleht, ihn von der Blutschuld zu reinigen, oder wie er — und das war Caninas Meinung — ihm seine Schuld am Tod des Atys mitteilt und um den Gnaden- stoß bittet. In beiden Fällen wäre das Knien passend, obgleich Herodot davon nichts sagt und diese Form der tiefsten Demütigung, die Proskynese, im Altertum nur selten vorkommt. Aber abgesehen davon, daß in beiden Fällen der traurige Begleiter unerklärt bleibt, haben wir oben gesehen, daß dieser Bittflehende mit dem Sterbenden in der zweiten Szene identisch sein muß. Also kann es Adrast unter keinen Umständen sein. Bliebe die Mög- lichkeit, daß es Atys wäre, wie er seinen Vater bittet, ihm die Teilnahme an der Jagd zu erlauben. Aber daß dieser in seinem heißen Verlangen nach diesem Abenteuer so weit gegangen wäre, sich seinem Vater zu Füßen zu werfen, verträgt sich wirklich nicht mit antiker Sitte und Anschauung. Und wieder macht auch bei dieser Erklärung der trauernde Begleiter Schwie- rigkeit. Für Adrastos ist er zu sehr als Nebenfigur bezeichnet, und einer der erkorenen Jünglinge, die den Atys begleiten, kann es auch nicht sein; denn wo es zum fröhlichen Waidwerk gehen soll, haben diese doch keine Ursache, traurig zu sein. Das sind die inneren Gründe, die die Deutung auf die Geschichte von Atys und Adrastos unmöglich machen; dazu kommt noch der äußere, daß in der römischen Kaiserzeit mindestens Kroisos in phrygischer Tracht dargestellt sein müßte. Wir müssen uns also darauf beschränken, festzustellen: die größere Szene stellt den Tod eines Jüng- lings auf der Jagd, die kleinere denselben Jüngling als Bittflehenden vor einem majestätischen Herrscher dar. Worum er aber bittet — jedenfalls muß es etwas Großes sein — , können wir ebensowenig erraten, als wie die beiden Szenen miteinander zusammenhangen; wir würden es aber wahr- scheinlich können, wenn uns auch der zu diesem Deckel gehörige Sarkophag- Angebliche Darstellung der Legende von Kleobis und Biton 409 kästen erhalten wäre, auf welchem gewiß noch weitere Szenen aus dem- selben Mythos verbildlicht waren. Teneranis und Caninas Deutung leidet aber, abgesehen von ihrer Unrichtig- keit, auch an dem methodischen Fehler, daß sie als Quelle Herodot annehmen. Denn niemals im Altertum sind die von Herodot berichteten Geschichten und Novellen illustriert worden; auf die Kunst hat sein köstliches Werk in keiner Weise eingewirkt. Schon aus diesem Grunde ist die Deutung eines in Venedig befindlichen Reliefs auf Kleobis und Biton abzuweisen; obgleich sie bis auf die neueste Zeit immer wieder Verteidiger gefunden hat. Betrachten wir das Relief zuerst in seinem jetzigen Zustand, also mit allen seinen modernen Ergänzungen und Zutaten (Abb. 296). Viermal erkennen wir ein paar kleine nur mit der Chlamys bekleidete Knaben und schließen hieraus sofort, daß wir es mit vier verschiedenen aufeinander folgenden Szenen, also einem Zyklus, zu tun haben. In dreien von diesen Szenen kehrt dieselbe vornehme Frau wieder, die ihren Mantel schleier- artig über das Haupt gezogen hat. In der ersten Szene steht sie auf einem Wagen, der nicht nur wegen seiner kunstvollen Speichen und das die Wan- dung ersetzende Gitter, sondern vor allem deshalb merkwürdig ist, weil er für die Frau viel zu klein ist und sie in Wirklichkeit nicht zu tragen ver- möchte. Diese Frau faßt mit der Linken den Saum ihres Schleiers; der rechte Arm ist gehoben. Vor den Wagen sind, so scheint es, zwei Rinder gespannt ; hinter diesen stehen die beiden erwähnten Knaben, deren einer 410 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? die Deichsel anpackt und hochhebt. Die zweite Szene spielt vor einem Tempel mit vier korinthischen Säulen an der Front und einem von zwei Schlangen umgebenen Blumenkorb im Giebel. Vor diesem Tempel steht jene Frau mit zwei brennenden Fackeln in den erhobenen Händen, die Blicke zum Himmel emporgerichtet. Vor der Frau liegen die beiden Knaben nach vorne hingestreckt am Boden; die Arme des einen sind schlaff aus- gestreckt, von dem zweiten ist nur der Kopf sichtbar. In der dritten Szene fährt auf einem Zweigespann von Pferden eine Frau eilig dahin; die linke Hand faßt den einen Zipfel des bogenförmig über ihrem Haupte flatternden Mantels; die Stelle, wo ihre die Zügel haltende Rechte saß, ist noch am Bruch zu erkennen. Die beiden Knaben fassen, neben den Pferden her- laufend, das eine von ihnen am Zügel. In der vierten Szene finden wir die Frau aus den beiden ersten auf einem Felssitz wieder; die beiden Knaben flüchten sich in ihren Schoß. Unten ist felsiges Terrain angegeben, das sich von der zweiten Szene an zu einem niedrigen Plateau erhebt; Bäume mit sehr sorgfältig ausgearbeitetem Blattwerk sind über die Darstellung reichlich verteilt. Der wackere Lorenz Beger, der dies Relief nur aus dem Codex Pighianus kannte, hat es im Jahre 1692 auf Kleobis und Biton bezogen, und diese Deutung hat sich bis heute erhalten. Für diese Geschichte war schon im Altertum und ist auch heute noch Herodot die einzige Quelle, von der alle übrigen antiken Gewährsmänner abhängig sind. Zwar sind auch die von Herodot erwähnten Ehrenstatuen der Beiden in Delphi wieder- gefunden, auch ist von der Weihinschrift durch Premersteins Falkenauge so viel gelesen, daß die Identität gesichert ist. Auch in dieser ist vom Führen oder Fahren der Mutter oder einer Mutter die Rede, aber ob die Geschichte dort genau so lautete wie bei Herodot, ob sie nicht dieser oder sein Gewährs- mann aus den kurzen Andeutungen der Inschrift herausgesponnen hat, ob es mit jenem Fahren oder Führen nicht eine ganz andere Bewandtnis hatte, das sind Fragen, die sich zurzeit nicht beantworten lassen und die auch für unsere Untersuchung deshalb belanglos sind, weil es ganz aus- geschlossen ist, daß das Relief, wenn es wirklich mit dem argivischen Brüder- paar etwas zu tun haben sollte, von jener delphischen Inschrift abhängen könnte, sei es auch durch noch so viele Kanäle. Herodot also berichtet, daß die argivische Herapriesterin Kydippe, als einmal die Ochsen, die sie in den 45 Stadien, d. i. zwei Stunden, entfernten Tempel bringen sollten, ausgeblieben waren, von ihren eigenen Söhnen, die sich ins Joch spannten, dorthin gefahren worden sei, daß hierauf die gerührte Mutter die Göttin bat. Die Erzählung des Herodot ^.\\ ihren Söhnen das höchste irdische Glück zu verleihen, und daß sie diese nach dem Opfer entschlummert fand; denn ein sanfter Tod irt der Jugend sei das höchste Glück. Die erste Szene sollte also darstellen, wie Kydippe von ihren Söhnen in das Heraion gezogen wird. Aber gleich das stimmt nicht; die Rinder sind ja hier nicht ausgeblieben, sondern schon angespannt. Nicht die Söhne ziehen den Wagen, sondern die Rinder. Die Söhne schreiten nur neben ihnen her, weisen ihnen den Weg, treiben sie an, haben vielleicht auch beim Anspannen geholfen, wobei es freilich unklar ist, welchen Zweck es haben soll, die Deichsel anzufassen. Aber alles das ist doch nicht eine so außerordentliche Tat, daß man sich dadurch Ehrenstatuen in Delphi verdient und dafür des höchsten irdischen Glücks gewürdigt wird. Ferner, nach der Erzählung Herodots wird man sich Kleobis und Biton als robuste Gestalten vorstellen, und so erscheinen sie auch in den delphischen Statuen ; hier dagegen sind es zarte Knaben. Ebensowenig stimmt die zweite Szene. Hier sollen wir Kydippe sehen, wie sie jenes Gebet an Hera richtet, zu ihren Füßen die schlummernden oder entschlafenen Knaben. Aber die Frau hält ja zwei brennende Fackeln, ist also die Fackelhalterin, die Da- duchos; zwischen dieser und der Priesterin ist aber ein Unterschied wie zwischen Küster und Pfarrer. Und die Knaben schlafen weder noch sind sie tot. Ihre Augen sind, wie man selbst auf der Photographie ganz deut- lich erkennt, geöffnet. Und übrigens wer würde sich, wenn er nach solcher körperlichen Ermüdung schlafen will, auf den Bauch legen? Für die beiden letzten Szenen vollends versagt Herodot ganz; hier muß die Phantasie aushelfen. Also die Wagenlenkerin der dritten Szene ist entweder die Aeter- nitas, die personifizierte Ewigkeit, deren Wagen von den verklärten Jüng- lingen geleitet wird, oder Selene, die sie einem neuen Lebensmorgen ent- gegenführt. Die vierte Szene aber stellt dar, wie Kleobis und Biton im Jenseits von Hera begrüßt oder mit ihrer gleichfalls verstorbenen Mutter vereinigt werden, wofür man sich auf Hygin beruft, der in einer Erweiterung der Herodotischen Erzählung Kydippe bald ihren Söhnen in den Tod nachfolgen läßt. Daß solche Hypothesen in keiner Weise den Anspruch auf Wissenschaftlichkeit machen können, braucht kaum ausgesprochen zu werden. Ehe wir nun fragen, in welcher Richtung vielleicht die richtige Deutung zu suchen sein wird, müssen wir uns zunächst über die Ergänzungen klar werden, stehen hier also vor einer Aufgabe, in deren Lösung wir in einem früheren Abschnitt einige Übung erworben haben. Das hier vorliegende 4 1 2 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum ? Bildwerk ist sogar geradezu ein Musterbeispiel dafür, wie sich Ergänzungen schon auf der bloßen Abbildung feststellen lassen, nur schade, daß die Photographie eigentlich schon zu viel verrät, da auf ihr die Fugen deut- lich zu erkennen sind. Modern ist zunächst in der ersten Szene das Rad mit seinen ornamental behandelten Speichen, die so in der antiken Kunst niemals vorkommen, modern der Felsgrund unter den liegenden Knaben; denn es fehlt das linke Bein und die linke Hälfte des Oberkörpers des einen, so daß es jetzt aussieht, als ob er im Boden festgewachsen wäre. Hier- durch aufmerksam gemacht, wird man sich auch erinnern, daß es auf Sar- kophagen mit nur einer Figurenreihe — und als ein solcher gilt das Relief allgemein — unerhört ist, daß nicht alle Hauptfiguren mit ihren Füßen bis zum unteren Rand reichen, sondern zum Teil, wie hier, auf erhöhtem Terrain stehen. Hieraus folgt, daß unten ein moderner Streifen angesetzt ist, und auf der Photographie ist in der Tat die Fuge deutlich zu sehen. Ebenso erkennt man dort an den Fugen, daß auch oben ein Streifen angesetzt ist, auf dem die wenig antik anmutenden Baumkronen stehen, sowie daß der Baum an der linken Ecke ganz modern ist. Daß es seltsam berührt, den einen Kna- ben ganz zwecklos die Deichsel hochheben zu sehen, ist schon bemerkt wor- den. Ganz unverständlich ist es auch, daß beide Knaben in der dritten Szene das Beipferd beim Zügel halten, nicht jeder eines der beiden Pferde, und überhaupt begreift man nicht, wie dieses Zügelstück mit den von der Lenkerin straff angezogenen Zügeln zusammenhängt. Aber hierüber kann nicht die Photographie, könnte nur eine genaue Untersuchung des Originals Auskunft geben, wenn wir nicht dieser durch die vortreffliche Zeichnung des Codex Coburgensis, deren Kopie die von Lorenz Beger veröffentlichte des Codex Pighianus ist, enthoben würden (Abb. 297). Diese zeigt die Platte in ihrem alten Zustand, und mit Erstaunen werden wir gewahr, daß der Er- gänzer viel weiter gegangen ist, als wir ohne dies bildliche Dokument hätten annehmen dürfen. Gleich in der ersten Szene bemerken wir eine das Gitter überschneidende Bruchstelle, die unmöglich zu einem Wagen gehören kann, vielmehr wie die Kuppe eines kleinen Felsens aussieht. Nichts ist über- haupt da, was auf das Vorhandensein eines Wagens schließen läßt. .Wie man sich den Wagen der Kydippe in Argos, wo man es doch wissen mußte, dachte, lehrt eine dort geprägte Münze, das einzige erhaltene'Bildwerk, das wirklich Kleobis und Biton vor dem Wagen ihrer Mutter darstellt (Abb. 298). ist ein auf Rädern laufender Thronsitz, vor den sich die braven Söhne gespannt haben. Somit fällt jeder Grund weg, das Gitter für das Obergestell Der ursprüngliche Zustand des Reliefs 413 Abb. 297. eines Wagens zu halten. Es sieht vielmehr aus wie ein Balkon oder eine Warte, wozu die fragmentierte Felskuppe gut stimmen würde. Und auch die Deichsel ist das Werk des Restaurators; es war ein Strick, den beide Knaben anfassen; das von der Hand des zweiten Knaben gehaltene Ende ist von der Überarbeitung verschont ge- blieben und noch heute intakt. Auch die Gurte um den Hals der Tiere sind ver- dächtig, da sie auf der Coburgensis-Zeich- nung fehlen. Also waren die Ochsen nicht an einen Wagen gespannt, sondern bloß gekoppelt. Erst der Ergänzer hat sie mit dem Wagen, der ganz sein eigenes Werk ist, in Verbindung gebracht. Offenbar wurde er dazu durch Begers Deutung veranlaßt, die er oder sein gelehrter Berater, wenn nicht aus diesem selbst, so doch aus Montfaucon, der Begers Ab- bildung und Erklärung wiederholt, gekannt haben muß. Somit haben wir hier den pikanten Fall, daß ein unvollständiges Bildwerk nach Maßgabe einer falschen Deutung ergänzt und überarbeitet worden ist, und zwar im achtzehnten Jahrhundert, wahrscheinlich in dessen zweiter Hälfte. Weiter erkennen wir, daß in der zweiten Szene die Ärmchen des vorderen Knaben ergänzt und zum Überdecken der Fuge benutzt sind. Die Knaben sehen aus, als ob sie von einer kleinen Anhöhe herab am Boden liegend nach etwas spähten oder in der Erde nach etwas suchten. In der dritten Szene finden 414 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? wir zunächst die rechte Hand der Wagenlenkerin an der Stelle, die wir für sie erschlossen hatten, noch erhalten. Die Knaben aber halten in der rechten Hand nicht den Zügel des einen Pferdes, sondern jeder den Rest einer Fackel. Für die vierte Szene lehrt die Zeichnung nichts Neues. Die Überarbeitung hat sich aber auch auf das Beiwerk erstreckt. Im Giebel des Tempels sehen wir hier einen Kranz mit langer Schleife, eine für das Tympanon außerordent- lich häufige und beliebte Dekoration. Dem Ergänzer war sie nicht pikant genug; er hat aus dem Kranz einen Blumenkorb, aus der Schleife zwei Schlangen gemacht und damit denn auch glücklich erreicht, daß ein Er- klärer diese für Abbilder der daemones und als umbrarum famuli und den Tempel für eine Art Grabädikula erklärte. Und nun hierdurch unsere Augen geschärft sind, werden wir leicht selbst auf der Photographie erkennen, daß auch alles andere retuschiert ist, die Säulen des Tempels, die Baum- stämme, was namentlich durch eine Vergleichung mit der Coburgensis- Zeichnung deutlich wird, und die Figuren, namentlich deren Gesichter, die weiter gebracht sind, als es bei römischen Reliefs üblich ist. Hierdurch getäuscht, hat ein Interpret an dem Kopf der verhüllten Frau die Haar- tracht der mittleren Antoninenzeit und Porträtzüge erkennen wollen; aber gerade Porträtköpfe werden auf Sarkophagen niemals so stark modelliert, sondern stets flach gehalten. Nachdem wir so den Tatbestand festgestellt haben, wollen wir versuchen, auch in dem Verständnis des Dargestellten wenigstens noch etwas weiter zu kommen. Den einzigen Angriffspunkt für eine Deutung bietet die Frau auf dem Zweigespann. Man hat sie Selene nennen wollen, und richtig ist, daß diese häufig in diesem Typus auf Bildwerken verschiedener Art, nament- lich aber auf den römischen Sarkophagen, als Gegenstück zu Helios ange- bracht wird. Dieser fehlt hier, aber nicht darin liegt die Hauptschwierigkeit, sondern darin, daß auch die Mondsichel fehlt, die Selene sonst stets auf den Sarkophagen entweder über der Stirn oder über den Schultern im Rücken zu tragen pflegt. Von einer solchen ist aber jetzt keine Spur mehr zu ent- decken, und wenn sie früher dagewesen wäre, so würde sie der sehr sorg- fältige und gewissenhafte Zeichner des Coburgensis gewiß nicht übersehen ] uiben. Aber auch Eos wird in demselben Typus dargestellt, und an diese wird man daher denken dürfen. Für die beiden ihren Wagen begleitenden Knaben hat ein Interpret, der im übrigen ganz in der falschen Begerschen Deutung befangen war, daran erinnert, daß auf römischen Sarkophagen häufig Helios und Eos von Hesperos und Phosphoros begleitet werden und Kosmischer Deutungsversuch 415 daß auch auf der Vase Blacas (Abb. 33) die Sterne als Knaben gebildet sind. Das war ein sehr glücklicher Gedanke, der nun in den Fackeln, die die Knaben nach der Coburgensis-Zeichnung in den Händen hielten, eine starke Stütze erhält. Versuchen wir, ob wir auf diesem Wege weiterkommen. Die Mutter von Hesperos und Phosphoros wie aller Sterne überhaupt würde natürlich die Nacht sein. Für diese paßt die Erscheinung der majestätischen Frau, namentlich ihre Verhüllung, durchaus, und wenn wir die beiden Sterne in der vierten Szene in den Schoß der Nacht flüchten sehen, so ist das ein ähnlicher künstlerischer Gedanke, wie wenn sie auf der Vase Blacas ins Meer tauchen: den Glanz des Sonnenlichts können sie nicht ertragen. Weniger leicht fügen sich die beiden anderen Szenen. In der ersten würde die Nacht von einem Hügel oder vielleicht von ihrem umhegten Garten her zusehen, wie die beiden Sterne ein Paar gekoppelte Ochsen vor sich her treiben. Aber hier darf vielleicht daran erinnert werden, daß nicht nur bei den griechischen Dichtern der Abend ßovkvrog, das ist die Zeit des Ochsen- abspannens, heißt, sondern auch bei den römischen Dichtern die heim- kehrenden Ochsen die nahende Nacht bezeichnen. Dieses bildlich so aus- zudrücken, daß die ersten Sterne die abgespannten Ochsen nach Hause treiben, wäre eine leichtverständliche Metapher. Ebenso könnten die Fackeln, die die Frau in der zweiten Szene in den Händen hält, allegorisch eine helle Mondscheinnacht andeuten, so daß wir vier Phasen der Nacht- zeit vor uns hätten: den Einbruch des Abends, die eigentliche Nacht, das Erscheinen der Morgenröte, die Flucht der Sterne in den Schoß der Nacht, weil der Aufgang der Sonne bevorsteht. Das mag manchem recht ver- führerisch erscheinen; aber dennoch kann die Deutung nicht für gesichert gelten, denn sie erklärt weder, was die beiden Sterne, wenn es solche sind, in der zweiten Szene, wo sie auf dem Bauch liegen, betreiben, noch was der Tempel in dieser Szene bedeutet. Dazu kommt noch folgende Schwierig- keit. Wir wissen nicht, wie hoch das unten fehlende Stück war; denn wenn wir oben die jetzige Ergänzung deshalb getadelt haben, weil in ihr die Figuren mit den Füßen nicht bis zum unteren Rand reichen, — keine Ergänzung wird vermeiden können, daß die Füße der Ochsen nicht bedeutend tiefer zu stehen kommen als die Nacht in der zweiten und vierten Szene und das Gespann der Selene in der dritten. Dieser Ubelstand würde erst dann be- seitigt werden, wenn unten noch eine oder mehrere Figurenreihen folgten, also diese vier Nachtphasen nicht der eigentliche Inhalt des Bildes, sondern sein oberer Abschluß wären. Dann könnte man auch die Lage der Knaben 416 Falsch Gedeutetes, Ungedeutetes, Undeutbares, und warum? in der zweiten Szene so erklären, daß sie Fackeln in den Händen hielten und vom Firmament herab die Vorgänge auf der Erde beleuchteten, also das Scheinen der Sterne verbildlichen sollten. Aber auch dagegen erhebt sich ein neues Bedenken. Wenn wir oben vier Phasen der Nacht haben, so müßten wir auch unten vier Szenen postulieren, und dann würde der Platz für jede einzelne von diesen etwas eng. Endlich, wenn das Relief wirklich von einem Sarkophag herrührt, würde bei dieser Annahme der Tempel im oberen Teil der Bildfläche zwar nicht ganz ohne Analogie, aber doch ungewöhnlich sein. Dagegen kommt es sehr oft vor, daß auf Sarkophagen mit nur einer Figurenreihe ein solcher Tempel als Haus des Hades die Mitte einnimmt, wie es hier der Fall ist. Aber wir wissen ja nicht einmal mit Sicher- heit, ob wir es wirklich mit einem Sarkophag zu tun haben. In seinem jetzigen Zustand sieht die Platte gar nicht danach aus, aber das mag Schuld des Überarbeiters sein. Denn der auf der Coburgensis-Zeichnung in der linken oberen Ecke erscheinende Torbogen spricht wieder sehr für einen Sarkophag. Entscheidung könnte nur eine genaue Untersuchung der Rück- seite bringen, die von sachkundiger Seite bis jetzt noch nicht vorgenommen worden ist. Wenn aber so vieles unsicher und unerklärt ist, so muß die Hermeneutik haltmachen. Eine ihrer wichtigsten Pflichten ist, den Punkt zu erkennen, wo ihr Grenzen gesteckt sind. In Fällen wie dieser soll man aus dem Bildwerk alles herausholen, was es uns selbst zu sagen hat, und daraus die notwendigen Schlüsse ziehen. Man mag auch Möglichkeiten seiner Bedeutung erwägen, aber stets in dem Bewußtsein, daß es nur Möglich- keiten sind, die vielleicht einst zu Wegweisern werden können, aber nicht als feststehende Faktoren in andere Rechnungen eingestellt werden dürfen. Aber niemals darf man in ein Bildwerk etwas hineintragen, sei es aus eigener Phantasie sei es aus anderen Bildwerken oder der Literatur, wenn der Zusammenhang nicht evident ist. Und so verführerisch es auch sein mag, hier dem eigenen Witz freies Spiel zu lassen, der Interpret muß die sittliche Pflicht der Entsagung üben und des Worts des Apelles eingedenk sein: manum de tabula. ANMERKUNGEN SEHEN— ZEICHNEN— BESCHREIBEN. S. i. Abb. i nach Mon. d. Inst. X 26. 27. Abb. 2 nach Robert Ant. Sarkophag -Reliefs III 355. Abb. 3 nach Santo Bartoli Admiranda ant. Ro- man, tav. 66. 67. S. 2. Abb. 4 nach Robert a. a. O. II 47 c. Abb. 5 nach Tournefort Voyage au Levant III p. 391. S. 4. Abb. 6. 7 nach Robert a. a. O. III Taf. VIII. IX 34. 34". S. 5. Abb. 8 nach Robert a. a. O. III 356. Abb. 9 nach Clarac Mus. d. sculpt. II pl. 209, 298 nr. 768. Abb. 10 nach Bouillon Mus. d. ant. III pl. 9, 1 ; Fröhner Not. d. 1. sculpt. ant. au Louvre I p. 443 ss. nr. 490. Abb. 11 nach Pitture d'Ercolano I tav. 3. Genaue Wieder- gabe des heutigen Zustands nach einem Aqua- rell von Gillieron bei Robert Der müde Silen (XXIII. Hallisch. Winckelmannsprogramm 1899). S. 6. Santo Bartoli Admiranda tav. 83. Fritz Weege Arch. Jahrb. XXVIII 19 13 S. 215. S. 7. Abb. 12 nach Arte I p. 133. — Luk. Phi- lops. 18 xov diGXEvovxa, xov inixExvcpoxa xaxä xb g-/7:[ak x7? ucpEGEw;, unEGXoauuEvov eis xijv öiGxocpöqov, rjoifia bx7M$ovxa xto txino)} ioixbxu lvvavv.GxriGOf.iivM /uexc< xi~s ßo).r]g. S. 8. Über den Parthenosschild s. Robert Arch. Märch. 24, Arch. Zeit. XLII 1884, 47. S. 9. 10. Abb. 13. 14 nach Wien. Vorlegebl. Ser. VIII 7 (Monuments publies par la societe pour l'en- couragement des etudes grecques 1875 pl. 1.2. S. 13. Die Vase aus Eretria 'Ecp^uenig c] xf] zltußolf,, tteoc di cdxbv egic'.gi dvo yvvalxEs, Ayvoic'i /uoi doxet xcu Ttto- '/j;\pis- hioiü&Ev dh ttoogeqxexcu rt Jictßo'f.r;, yvvcuov e\? vneoSoVrv näyxctlov, vttÖ&eojaov 1)1 xcu Tiaqc.xEXivruii'ov, olov dr xijv ?.vxxkv xa\ xr,v boyijv ieixvvovatt, tf, uiv c'.qiaxEQci dr.dct xcaojuivtjv iyovGa, x>j eieqk di veaviav xwu xwv xqixüv GvoovGc. x«; xeIok; ooiyovxa Elg XOV 0VQC.VOV XCU fAC'.OXVOOUEVOV xoi? (reois. i;yEiT«i di uvt}Q wxQog xcd a/Lioocpog, ruh dedoQxio? xcu toixiog xolg Ix vogov pccxnag xc.XEGxlrjxöai. xovxov ovv elvat xov i, xai ovlior 0ECog ii't£v&£f noüiog tyqaipE nV.ov'O&vaaeZ. l'Iin. XXXV 108 (Nicomachus) Ulixi primus addidit pileum, vgl. Serv. Aen. II 44. — Leier des Paris 11. i"54, Plutarch Alexand. 15. S. 40. Memnon bei Polygnot Paus. X 31, 7. — Über Euphranor Plin. XXXV 128 hie primus videtur expressisse dignitates heroum; Varro d. vit. Rom. fr. I (Charisius I 126 Klein) Euphranoris altitudinem. — Abb. 25 nach Gipsabguß; s. Fr. Müller Odyssee -Illustrationen 144 f. Abb. 26 desgl. S. 41. Abb. 27 nach Rom. Mitt. XXI 1906 S. 350 Fig. 6. Es wäre nicht unmöglich, daß das Original der Gruppe das Kultbild des Tempels war, den die Rhodier dem Heros bei seinem Grabe auf Cap Rhoiteion errichtet hat- ten; es wurde von Antonius nach Rom ent- führt, aber von Augustus wieder zurückgegeben. Strab. XIII 595, Plin. n. h. V 125. — Der Tele- phosfries Winnefeld Altertum, von Pergam. III Taf. 31 ff. Paus. X 28, 8 [Avyrj) yvvaix&v, bnöacug eis xo ttvib 'JtJgaxXi« atpixiaS-ai XiyovGt, fxäXiGxa drj ncu&ct toixoxa iiExz xo> nctXQi. — Der sog. Antinous des Belvedere, Ame- lung Sculpt. d. Vatik. Mus. II Taf. 12 Nr. 53. S. 42. Abb. 28 nach Brunn-Bruckmann Denkm. d. Sculpt. 63, s. Robert Votivgemälde eines Apo- baten (XIX. Hall. Winckelmannsprogr. 1895) S. 21 ff. , anders Furtwängler Statuencopien (Abb.. der Münch. Akad. XX 1896) S. 566 f. Fesselung des Ares Paus. III 15, 7, s. S.Wide Lakon. Culte 147 ff. S. 43. Die Statue von Antikythera 'Ji(p. iiQy. 1902 Tiiv. 7 — 12; M. Bie- ber Arch. Jahrb. XXV 1910 S. 163 ff. Der Apfel des Paris, Welcker Alt. Denkmäler V 379. Robert Gott. gel. Anz. 1917 S. 372. S. 44. Abb. 29 nach Arch. Jahrb. XXIX 1914 S. 169 Abb. l mit Benutzung des von der Reimerschen Verlagsbuchhandlung freundlichst überlasse- nen Klischees. S. 45. Abb. 30 nach Journ. of hell, stud., Atl. pl. 2. Abb. 31 nach Rom. Mitt. II 1887 Taf. 8 (F. Dümmler Kl. Schrift. III Taf. 7). — Über die Chimaira Robert Arch. Miscellen S. 9 ff . (Sitz.-Ber. d. Münch. Akad. 19 16); über die Sphinx Oidip. I 48 ff. - S. 46. Über die Sirenen Fr. Müller Odyssee-Illustra- tionen 3, 1 ff. — Quint. VIII 6, 44 allegoria, quam inversionem interpretantur, aut aliud ver- bis, aliud sensu ostendit, aut etiam interim con- traria. S. 47. Abb. 32 nach Furtwängler Samml. Sabouroff I Taf. 63 , s. Robert Herrn. XIX 1884, 467 ff. S. 48. Abb. 33 nach Wien. Vorlegebl. Ser. II 9 (Mon. d. Inst. II 55). — Die Sternbilder am pergamenischen Altar Ro- bert Herrn. XLVI 191 1 S. 230 ff. S. 49. Plin. n. h. XXXV 96 (Apelles) pinxit et quae pingi non possunt, tonitrua fulgetra fulgura, quae Bronten Astrapen Ceraunobolian appellant. — Abb. 34 nach Robert Saskophag- Reliefs III 357. S. 50. Abb. 35 nach Engelmann Arch. Stud. z. d. Trag. 55 Fig. 19. S. 51. Abb. 36 nach Rom. Mitt. XXV 1910 S. 32 Abb. 2. S. 52. Plin. n. h. XXXVI 29 du- Zu Seite 7i 419 aeque Aurae veliticantes sua veste. — Abb. 37 nach Robert Sarkoph.-Rel. III 373. Abb. 38 nach demselben a. a. O. III 357. — Ovid. Met. VH 812 ff. S. 53. Winde auf Odyssee-Illu- strationen Fr. Müller a. a. O. 131. 145. — Abb. 39 nach Arch. Zeit. XLII 1885 Taf. 2, 2. S. 54. Pompe des Ptolemaios Philadelphos Athen. V 198 B. — Abb. 40 nach Robert a. a. O. II 1. — Tityosvase Mon. d. Inst. I 23. — Gigantenvase Graef Vas. d. Akropolis Taf: S4 Nr. 1632 c. S. 55. Abb. 41 nach Robert a. a. O. III 352'. — Korinna Berl. Klassikertexte V 284. — Das Pro- metheusrelief Winter Altert, von Pergamon III Taf. 37. Milchhöfer Die Befreiung des Pro- metheus Berl. Winckelmannsprogr. XLII 1882). S. 56. Abb. 42 nach Bull. d. corr. hell. XIV 1890 pl. 9, s. Preller Griech. Myth. 4 I 487 A. 4. — Plin. XXX IV 78 Eutychides Euro tarn fecit, in quo artem ipso amne liquidiorem plurimi dixere. S. 57. Abb. 43. 44 nach Arch. Jahrb. XXX 1915 S. 238 f. Abb. I. 2, mit Benutzung der von der G. Reimerschen Verlagsbuchhandl. zur Verfügung gestellten Klischees. S. 58. Der attische Eridanos Dörpfeld Athen. Mitt. XIII 1888 S. 211 ff. — Abb. 45 nach Omont Sculpt. de Parthen. pl. III. — Sauer Athen. Mitt. XXXV 1910 S. 65 ff. — Pausanias V 10, 7. S. 59. Welcker Griech. Trag. III 1 164 ff. Die Iphigenien-Sarkophage Robert a. a. O. II 167 — 180. — Hebe geflügelt auf der Sosias-Schale Ant. Denkm. I Taf. 1. Furtwängler-Reichhold Vasen- mal. 123. — Abb. 46 nach Philol. IV 1891 Taf. 1. — Thanatos und Hypnos Robert Than. (XXXIX Berl. Winckelmannsprogr. 1879) S. 1 ff. S. 60. Abb. 47 Broncestatuette in Wien, Photographie nach Gipsabguß. — Der Kairos des Lysippos. O. Jahn Bericht der sächs. Ges. 1853 S. 49 ff. E. Curtius Arch. Zeit. XXXIII 1875 S. 1 ff. S. 61. Poseidippos Anth. XVI 275 A. Tis nöß-ev b n).c'cGzt]S', B. —iv.vüvtos. A. ovvouu d/ xig\ B. Avainnog. A. ab 61 zig; B. Kaipbg b 7zavdctuc'(Tü)Q. A. Tinte 6* in axQtt ßißrjxas; B. hei xooyäca. A. xi de xuQGovg noGolv eyeig 6icpveig; B. mxau vnrjve/utog. A. %eiql & 6e?ixeo7j 11 cpeocig svqov; B. uvdnäai 6eZyucc, g, xaXkiwv (paii'oixEi'og xwv yvvaixEiojv ngoGomcov. In der Poesie ist die Vorstellung schon älter, Pind. Isthm. II 25 f. a&v7iv6(p xi viv ucnd- Covxo rpwvü xQvatKg iv yövuGiv ninxovxa Nixag, in der Kunst sind die Gruppen der Chloris und Thyia auf dem delphischen Ne- kyiabild des Polygnot (Paus. X 29, 5), der Aglao- phons Oheim war, und die sog. Tauschwestern im Westgiebel des Parthenon die Vorbilder. Die Nemea des Nikias Plin. n. h. XXXV 27 Nemeam sedentem supra leonem palmigeram ipsam; auch der nemeische Sieger des Eupom- pos trug eine Palme, Plin. XXXV 75 victor certamine gymnico palmam tenens, vgl. Bull. d. corr. hell. V 1881 pl. 3. — Abb. 68 nach Milani Mon. scelti del Mus. di Firenze tav. 4. S. 80. Paus. I 22, 7 i'nniov di 01 (d. Alkibiades) vixqg xrtg iv Ns/uin ioxl arj/uEia iv xjj yQ«cp>/. — Über Protogenes Plin. XXXV 101 argumentum esse, quod, cum Athenis celeberrimo loco Mi- nervae delubri propylon pingeret, ubi fecit nobilem Paralum et Hammoniada, quam qui- dam Nausicaan vocant, adiecerit parvolas navis longas in iis quae pictores parerga adpellant. — Aristoph. Equ. 1300 ff. cpaali' ('.X'/.rjkaig 1-vveX- &eiv xi'.g XQiT]QEig ig ?.6yov, xal fAiav Xi'^ai xiv avxGtv rjxig ijv ysQaixiga' ,ovdi nwduvEG'&E xavx, tu naQ&ivoi, iv x>j no'/.Et; xx'/..' S. 81. Abb. 69 nach Photographie. Robert XXI Hall. Winckelmannprogr. S. 34. — König Amasis Wien. Vorlegebl. 1889 Taf. III 3 b. Sappho auf Vasen Mus. ital. d. ant. classica II tav. 3. 4. 6. S. 82. Abb. 70 u. 71 nach Mon. d. Line. XIX 190S tav. III und p. 96 fig. 11. Leo- nidas Anth. XVI 306 noiaßvv lAvcxgiovxa yvdc.v GE(7C().(cyf.tii'ov o'ivü) &Üeo divwiov GioETixbv vueq'Je Xi&ov, wg b yioojv '/.iyvoi- aiv vri oufiaöiv vyoci dtd'oqxwg i<%Qi xal aGincyülisiv 'iXxEXui ccjU7i£}(6vav diGGuiv d° «oßvXiduiv xtjv LU(V /uiccv, oia [.isdvn )./;£, io).EO£i', iv e>° iiioc/. qixvov aQaos nödec (ui).nEi cP rjE Bä&v'Alov icplusgov 7E 3feyi- oxia, alwQÜv nu).d[xa xhv dvGEQioza yü.vv /.t).. diveorov GXQETixbv vtieq&e ?J&ov be- Zu Seite 71 — 129 421 deutet, daß die Statue auf einem Marmorsockel stand, der sich drehen ließ, und da das Mate- rial dieses Sockels angegeben wird, muß die Statue aus anderem, also aus Bronze gewesen sein. Ders. ebd. 307 i'd'' wff o noiaßvs Ix iti&u; Ai'c.y.otiov vneaxiXiaxai, y.c.l xo Xlotioz tXxetat toü/oi yviwv xütv 61 ß?.cwxiwy xo uir outas cpvXaoaei, &ux£ooi> d° äniöXtaev ut's.iodsxat dt xicv yi'f.vv diaxQexwv tjroi Bü- d-vXXov ?; xaXov Msyiaxi«. S. v. Wilamowitz Sappho und Simonides 102 ff. S. 83. Abb. 72 u. 73 nach Photographie. S. 84. Plin. XXXV 9 pariuntque desideria non traditos voltus, sicut in Homero evenit. — Über die von dem Ar- , giver Glaukos gefertigte Statuengruppe des Smikythos Paus. V 26, 2. — Über den Homer des Silanion Winter Arch. Jahrb. V 1S90 S. 163 fr. S. 85. Homer und die Fischer Mon. d. Inst. X 35, 2. Homer in einer Rolle lesend O. Jahn Griech. Bilderchronik. Taf. II 1, 4. S. 86. Porträt des Marcellus Mau Atti d. R. Accademia di Napoli XV 1891 S. 133 ff. S. 87. Doppelherme des Seneca und des Sokrates Arch. Zeit. XXXVII 18S0 Taf. 5. — Der sog. Brutus Arndt Griech. und Rom. Porträts 445. 446. — Über das Porträt des Sokrates Loeschcke Arch. Anz. 19 14, 515. DEUTEN AUS DER DARSTELLUNG ALLEIN. S. 88. Über die Wollbinde Wolters Arch. Jahrb. XXIV 1909 S. 57fr. S. 89. Abb. 74 nach Herrmann Denkm. d. Malerei Taf. 3 mit freundlicher Erlaubnis der Bruck- mannschen Verlagsbuchhandlung. S. 90. Abb. 75 nach Furtwängler- Reichhold Vasen- malerei Taf. 14 mit freundlicher Erlaubnis der Bruckmannschen Verlagsbuchhandlung. S. 91. Abb. 76 nach Gerhard Auserl. Vasenb. Taf. 248. S. 92. Vase mit Telamon und Teukros R. Ro- chette Mon. in. 71, 2. Über Peitho auf der Meidiasvase Robert Marathonschlacht XVIII Hallisches Winckelmannsprogr. 1895) 60 f. S. 93. Über Antenor und Eumares Robert Herrn. XXII 1887 S. 129. Über Pollias ders. Arch. Jahrb. XXX 191 5 S. 241 ff. S. 94. Das Gemälde in Velia Plutarch. Brut. 23. S. 95. Abb. 77 nach Arch. Zeit. XXXVII 1879 (1880) Taf. 5. S. 96. Abb. 78 und 79 nach Ecpru. hay. 1892 (1893) niv. 13, s. Poll. VII 32. X 125. S. 98. 99. Abb. So— 83 nach Monum. Piot V 1899 pl- 13- 14. S. 100. Clermont - Ganneau 1'Imagerie phenicienne p. 16 ss. S. 101. Abb. 84 nach Mon. d. Inst. X 31, 1. S. 104. 105. Abb. 85. 86 nach Robert Bild und Lied 154 (Mon. d. Inst. VIII 15 . S. 106. 107. Abb. 87—89 nach Wien. Vorlegebl. 1889 Taf. 12. S. 11 1. O. Jahn Die Ficoronische Ciste 1852; Behn Die Fico- ronische Ciste 1907. S. 114. Apollon. Arg. II I ff. S. 115. Über Peisandros und Epi- charm Schol. Apollon. II 98. Theokrit. XXII 2 7 ff-; vgl. v. Wilamowitz Textgeschichte der griech. .Bukoliker 186 ff. Sophokles Auv/.o; actx. Athen. IX 400 B. S. 116. 117. Abb. 90. 91 nach Robert Bild und Lied S. 82 (Mon. d. Inst. II 44b). S. 118. Abb. 92 nach Mon. d. Inst. II 24. S. 119. Abb. 93 nach Photo- graphie. S. 121. Der freundlich lächelnde »Blaubart« wird mit Unrecht für den dritten Kopf des grimmigen Typhon gehalten. Ant. Denkm. I 1888 Taf. 30. Wiegand Porossculpt. Abb. 88. 89. — Polychrome Aphrodite-Statuette aus Pompeii Arch. Zeit. XXXIX 1S81 Taf. 7. S. 122. Abb. 94 u. 95 nach Furtwängler-Reich- hold Ant. Vasenmalerei Taf. 1. 2, mit freund- licher Erlaubnis der Bruckmannschen Verlags- buchhandlung. Durch ein bedauerliches Ver- sehen ist die linke Hand des Peleus nicht mit auf die Abbildung gekommen. S. 123. Abb. 96 nach Graef Vasen der Akropolis II Taf. 47, 725. S. 124. Abb. 97 nach Furtwängler -Reichhold Vasenmalerei Taf. 133 mit freundlicher Erlaub- nis der Bruckmannschen Verlagsbuchhandlung. S. 126. 127. Abb. 98. 99 nach Brueckner Le- bensregeln (LXII. Berl. Winckelmannsprogr. 1907) Taf. 1 und S. 7. S. 129. Abb. 100 nach Milani II mito di Filottete. — Xenophon Mem. III 10, 4 Ti yuo; i(fr, xo 7itd-«rcöxc'. 'i(pr., uturxhv s'i'tj, oj Zwy.oc.xE,\ 422 Anmerkungen o urßt av/AiAExqiav txrjE. XQthfxa fxr}XE mv av Einag aoxi jurjöhu 1%ei urt6i bX(og bqaxöv taxiv; yJo ovv, tq>rn yiyvExai iv av&Qwno) xö xe (pü.otpQÖvois xal xb i%&oiog ßkinEiv tiqÖ; rivag; "EfXoiyB SoxbI, i(prr Ovxovv xovxö y£ fiifirßov iv xolg bu/xaffi; Kai /udka, 'Kf,r:. Eni 61 xolg xoiv rpikwv aya&olg xal xolg Xttxols b{j,oiv ivxbg xr,v ytloa i/iov .... ixslvoi fjiiv ys layvvovxo t'Sio xrtv ytloa lyovxEg ItyEiv vgl. Quintilian XI 3, 137. Über die Gestikulation des Redners Quintilian XI 3, 65 ff. S. 133. Abb. 101 nach Wien. Vorlegebl. Ser. VI I (Mon. d. Inst. VIII 41). Abb. 102 nach Arch. Jahrb. XXIII 1908 S. 125, mit Benutzung des von der Reimerschen Verlagsbuchhandlung freundlich zur Verfügung gestellten Klischees. S. 134. Abb. 103 nach Photographie von Som- mer. S. 135. Apuleius Met. II 21 porrigit dexteram et ad instar oratorum conformat ar- ticulum , duobusque infimis conclusis digitis ceteros eniinus porrigit. Quintilian XI 3 , 85 manus vero, sine quibus trunca- esset actio, vix dici potest, quot motus habeant, cum paene ipsam verborum copiam consequantur. — Alkiphr. IV 19, 5 xav xolg noooxrjvioig ioxr/a xobg öaxxvkovg ifiavxfl nitCovoa, i'wg av xnoxa'kia>] xb Itiaxnov. — Abb. 104 nach Furt- wängler-Reichhold a. a. O. Taf. 25 mit freund- licher Erlaubnis der Bruckmannschen Verlags- buchhandlung. S. 136. Abb. 105 nach Ro- bert Sarkophag-Pel. III 152 b. Abb. 106 nach Robert Masken der neueren Komödie (XXV Hallisches Winckelmannsprogr. 191 1) S. 105 Fig. 122 (Omont Comedies de Terence fol. 134). DEUTEN AUS DEM MYTHOS. S. 137. Abb. 107 nach Americ. Journ. of archeol. XV 191 1 p. 3 fig. 2. S. 138. Abb. 108 nach Bull. d. corr. hell. XXII 1898 pl. 5. S. 139. Korkyne Plutarch Thes. 20. S. 140. Abb. 109 nach Robert Oidipus I S. 122 (nach einer der Freundlichkeit Pottiers verdankten Photo- graphie). S. 141. Abb. 110 nach Robert Sarkophag-Rel. III 26. S. 142. 143. Abb. in. 112 nach 'E(fT]/Li. uqy. 1885 reiv. 11. 12. Abb. 113 nach Wien. Vorlegebl. Ser. II 6, 1. — Die Vase des Kachrylion Wien. Vorlegebl. D 7. S. 148. — Der Krater des Nearchos Graef Vasen von der Akropolis Taf. 36 Nr. 611. S. 144. 145. Abb. 114. 115 nach Wien. Vorlegebl. Ser. B Taf. 9, 2 (Ann. d. Inst. XXII 1850 tav. d'agg. H. I). S. 146. Abb. 116. 117 nach Wien. Vorlegebl. Ser. I 4. — Mit der Athene auf der Kodrosschale vgl. den Festordner auf dem West- fries des Parthenon, Michaelis Parthenon Taf. IX Platte III 3. — Dies Zusammenpressen des ganzen Verlaufs einer Begebenheit in einen einzigen Mo- ment, zu dessen Erkenntnis sich die Archäologie erst allmählich durchgerungen hat, ist bereits Goethe und seinem Freunde Heinrich Meyer aufgefallen; s. den Briefwechsel der beiden, Schriften der Goethe - Gesellschaft XXXII. Meyer schreibt am 22. Juli 1788 (S. 2 ff.): »Ich weiß nicht, ob Sie sich im Cabinet des Far- nesischen Pallasts umgesehen und ob Sie sich vielleicht noch des Gemählds von Ulysses, dem Circe den bezauberten Trank reicht, er- innern. Kunstbücher und Künstler und Anti- quare machen gemeiniglich die Anmerkung dar- über, daß es von einem alten Basrelief oder geschnittenem Stein entlehnt sei, und dabei bleibt's, so daß man fast glauben möchte, es wäre, seit Annibal .Carracci es gemahlt hat, nicht wieder jemand gewesen, der darin eine von den allerweisesten und ausgedachtesten Vorstellungen erkannt, die vielleicht besser und klärer als iede andere uns mit der Art bekannt Zu Seite 129 — 156 423 macht, vermittelst welche die alte Kunst ihre Gegenstände gedacht und vorgestellt hat. Die Göttin sitzt auf einem Thron, die goldene Ruthe in der Rechten; mit der andern reicht sie dem ankommenden Helden die Schale. Diesem sieht man seine Wanderschaft an, er hält den Spieß in der Hand, der ihm wie zum Stabe dient, und nimmt den Trank, zuversicht- lich, daß er ihm nicht schaden wird. Mercur kömmt und legt heimlich die Pflanze, die wider Zauberei hilft, in das Getränk und verbirgt sich dabey hinter Ulyssen, daß ihn Circe nicht sehen soll. Einer der verwandelten Gesellen, zwar menschlicher Gestalt, nur mit einem Schweinskopf, liegt vorne im Winkel. Die Schönheit der Anlage des Ganzen , das Viel- bedeutende der Figuren und hauptsächlich die Weisheit, mit welcher der Künstler zwei Er- zählungen des Dichters in einer Vorstellung zusammen gezogen , um dieselbe deutlich zu machen, das alles verdient Bewunderung und zeugt von der großen Einsicht und Erkenntnis der Natur der bildenden Künste. Hierüber würde sehr viel zu schreiben sein und Bei- spiele anzuführen und Folgerungen daraus zu ziehen.« Nach einem halben Jahr, am 20. Ja- nuar 1789, kommt er auf den Gegenstand zu- rück 'S. 19 f. : »Um das, was ich schon ehe- mals wegen dem Bilde von Ulysses und Circe im Farnesischen Pallaste gesagt, daß nähmlich die Alten in der Kunst die Deutlichkeit der Wahrheit vorangesetzt, noch unwidersprech- licher zu machen, will ich von vielen nur ein einzig Exempel aus einem der alten Bilder zu Portici anführen. In demselben hat der Künst- ler in einer der allerschönsten Gruppen die den Hyllus raubenden Nymphen vorgestellt. Zur Seite sieht man den rufenden Hercules, der ihn sucht. Hätten auch die Herrn Kunst- richter des Raphaels Verklärung auf diese Weise bedacht, so würd' ihnen die zweyfache Hand- lung nicht mehr so sehr, anstößig vorgekommen seyn; allein schon oft geschah's und wird noch weiter geschehen, daß bey diesen Menschen, die den Stein der Weisen gefunden zu haben glauben, Gold zu Bley geworden ist.« Darauf erwidert Goethe am 27. Februar 1789 (S. 28 f.): »Man ist in den neueren Zeiten, nach meinen Begriffen, selten wieder auf die Spur der alten Denkart gekommen, und wenn auch ein Meister sich ihr näherte, so verließen die Nachfolger solche gleich. In unsern Tagen scheint sie mir ganz verschwunden. Eben der Punkt, wo wir uns wegen Circe vereinigten, ist ein Haupt- punkt. Die Alten sahen das Bild als ein ab- und eingeschloß'nes Ganze an, sie wollten in dem Räume alles zeigen, man sollte sich nicht etwas bey dem Bilde denken, sondern man sollte das Bild denken und in demselben alles sehen. Sie rückten die verschiedenen Epochen des Gedichtes, der Tradition zusammen und stellten uns auf diese Weise die Succession vor Augen, denn unsere leiblichen Augen sollen das Bild sehen und genießen. Das hat Car- rache wol gefaßt. Mercur legt eine Pflanze in den Becher, wenn er beym Homer dem Ulyß die antimagische Pflanze lange vorher gibt u. s. w. Wie erbärmlich quälen sich nicht neuere Künstler um die kleinsten historischen Umstände.« S. 149. Abb. 118 nach Photo- graphie. — Der Giebel von Korkyra IJoc./.t. 191 1 S. 164 fr., s. Robert Gott. gel. Nachr. 1912 S. 481fr. — Abb. 119 nach Hartwig Meister- schalen Taf. 24. S. 150. Abb. 120 nach O ver- beck Her. Galler. VIH 1. Abb. 121 nach Photo- graphie. S. 151. Abb. 122 nach Arch. Zeit. XXXIV 1875 Taf- H- Abb. 123 nach Journ. of hell. stud. XIII 1892/93 pl. 4. Vgl. Fr. Müller Odyssee-Ulustrat. 56 ff. S. 152. Od. /. 212 s. (\uipi de uii' Iv/.oi ijeai* dqiaieoot rjdi t.ioyies', xovs uvir; xuii&eliei', inet y.u/.cc (pc(Qf.i(c/' ido)/.ey. Abb. 124 nach Ger- hard Etr. Spieg. II 240. S. 153. Abb. 125 nach einer Photographie des Gipsabgusses. Abb. 126 nach Robert Sarkophag-Rel. III 340. Abb. 127 nach Wien. Vorlegebl. Ser. FX 3. Hauser Österr. Jahresh. VI 1903 S. 79 ff. S. 154. Abb. 128 nach Mon. d. Inst. III 44. DEUTEN A US DER LI TER A TUR. S. 1 5 6. Abb. 129 nach Arch. Jahrb. VII 1892 Taf. 1. s.Robert Herrn. XXXVI 1901 S.391 ff. S. 160. 424 Anmerkungen Abb. 130 nacb Wien. Vorlegebl. Ser. I Taf. 12 (Miliin Tomb. d. Conose Taf. 7). S. 161. Eur. Med. 1 167 ff. xovv&ivÖE /uivxoi öeivov tjp &iu/.i ttfsif yqoiuv yuq uXXücuau XEyqiu nuXiv /tooel TQiuovOit xwXa xul /ubXig ip&üvEi ,'tqbvoioiv iunEffovau t'>£wr uo'/.eIv ('.viaXbXviE , nniv y bofc (ft« cxoiAii yionovi'x« Xsvxbv atpoöy, bu[A('iiti)v 6° Uno xooccg (jxQt(povoc.v, aifia X OVX EVOV XQo'C' eIx (ci'xluoXrroi/ ^xev bXoXvyrjg [Aiyuv xwxvxbv. S. 167. Bei Diodor. IV 48, 4 (aus Dionysios Skytobr.) wird Aietes in der Schlacht von Meleager getötet. S. 168. Abb. 131 nach Historische und philolog. Aufsätze für E. Curtius Taf. 4. S. 169. Abb. 132 nach Archäol. Zeit. XII 1854 Taf. 72, 3. II. ü 618 f. ((XX' aye ö'/] xtu vöbt /aeu^ujue^u, cFie ysocit, aixov. S. 170. Abb. 133. 134 nach Mon. d. Inst. VIII 27. S. 171. II. ß 650 fr. ixxbg [Atf 6rt Xi'io , yioov cpiXs, /.irjig *A%aiiäv h'&äd' iniXd-tjGii' ßovX^cpboog , ot xi uoi ttlel ßovXc.g ßovXEVOvai nantjfAEvoi, tj &itutg iaxiv. xwv e'i xig ge 'iöoixo &07}.v cfi« vvxxe. lltXuiVC'.l' , CCVXlx' UV t^ElTTOl MyCijXEfXl'OVl Tioiixivi Xa<äv, xai xev uvv.ßX^Gig Xvoiog vexooIo yivoixo. S. 172. 11. X 348 fr. üg ovx tafr' bg ar;g ys xvvug xErpc.Xtjg änccXa'/.- xoi, ovo" ei xev dsxüxig xai isixoffi vtjoix* unoiva Qxrjacoa' tv&ad* uyovxEg, vnooywv- xc.i di xul u.XXw ovo" ei xev o' uvxbv yovaöi tQvaaofrui uvibyt] /Juoäuvidrtg IToiuuog' ovd' üg ai ys nbxvicc jurjxrjn ev&e/uev?] Xe'/e- eggi yorjoExai, bv xexev uvxrj, uXXä xbvsg xs xul oioivol xuxu nüvxa däaovxui. Schol. vTiEQßoXixiög XiyEi- b ds AlayvXog In uXrr &Eiug üvxiotcc&juov yovabv riETioi^xE noog xb "Exxoqog ou/uu iv Qv$iv. — Abb. 135 nach Robert Sarkophag-Rel. II 47 c. S. 173. Das Terrakottarelief Österr. Jährest. VIII 1905 Taf. 5, von Rohden u. Winnefeld Architekt. Tonreliefs Taf. 81. S. 174. Abb. 136 nach Photographie. S. 177. Abb. 137 nach Wien. Vorlegebl. 1888 Taf. I 3 (Archäol. Zeit. XXII 1864 Taf. 184). S. 178. 179. Abb. 138. 139 nach dens. Ser. C 6 (Mon. d. Inst. VI, VII 19). S. 181. Abb. 140 nach Wien. Vorlegebl. 1888 Taf. 18 (Mon. d. Inst. IX 4). Od. 1 335 xia- auQEg, uvxuo iyw nijiiniog jaexu xoloiv iXiy- fJ.rjv. 382 ff. 01 [aev fioyXov tXbvxsg iXuivov, b!-vv in' uxoio, bip&uX/uü) ivioEiaav iyw ö" icpvnEO&sv uEQ&Elg öivEov, wg bxs xig xqvjiw ddqv vrtiov uvt,q xovnuvw. Siehe Fr. Müller Odyssee-Illustrationen S. 2 ff . S. 182. Abb. 141 nach Mon. d. Inst. I 7, 1. S. 184. 185. Zu Seite 160 — 198 425 Abb. 142 nach Furtwäligler- Reichhold Vasen- malerei Taf. 11. 12, mit freundlicher Geneh- migung der Bruckmannschen Verlagsbuchhand- lung. S. 1S6. Eur. Phoin. 1264 ff. a> Tixvov, tSeXd-' sJvuyovr fibuiov naqog' ovx Iv yo- uiic.ic ovdt ttuq&evevuuoi vvv 001 nooyionel d'utuöviov xuTÜGTuoig, aXX' tcv&q' uoioxia xui xuaiyv^xi» oi&Ev Big O-üvaxov ixvEvovxE xwXvaai ae ö'el £bv iojih tg ajt uh nqbg hXXfjXoiv fruvsiv. S. 187. Abb. 143 nach Robert Oidipus I S. 452 Abb. 58. S. 188. 189. 190. Abb. 144. 145. 146 nach H. Omont Comedies de Terence Fol. 62. Fol. 116. Fol. 13. S. 191. Abb. 147 nach Robert Sarkophag-Rel. II 184. Eur. Phoin. 261 ff. xu uiv nvXatqwv ■/j.jjhu''. u Eiotdi'iuio 1S1 tvriExtiug xti^iiov tiato juoXeiv. 0 xai didoixu u?'; its Sixxvoiv ? nioxbv 'EXXug oidev ovSiv. 00 ix' inl dto/jü, nobanoloi . . . I

.(<ßo); S. 194. Abb. 1^.9 nach Photographie. S. Rodemvaldt Kompos. d. pom- peian. Wandgem. 165 f. Eur. a. a. O. I2i5f. I<1> ob dt uiviov uixov nob vuwv xj, &e<» — 00 xi xqrjfta (low; I'P ayvitsov nvQoij ui- Xad-qov. S. 195. Abb. 150 nach Arch. Zeit. XXXIII 1S75 (1876) Taf. 13. Plin. n. h. XXXV 136 Timomachi aeque laudantur Orestes Iphi- genia in Tauris; Anth. XVI 128 uuivexui ' /(ftyivEtw nc'c'/.tv dt luv tid'og 'Ooioxov ig yXvxEqrjv avuysi (hvtjgtiv buatuoovv^g' xrjg dt yo'/.ioouiv^g xui ad't).(ftov siaooo- Morjg o'ixTO) xai fiavirj ßXififiu ovvEiiiytxui, vgl. Eur. a. a. O. 472 ff. q>tv- xig aqa fiTftijq / Tc/niß' bfiag noTE rruxtjo x ud~e).qir t\ ei yeywarc xvyyüvEi ; o'iiov oieoeigu d'inxv- ■/(av VEaviwv u>'üd's?.cfog iaxui. S. 196. Abb. 151 u. 152 nach Arch. Zeit. XXXVI 1878 1879) Taf. 5 u. 3. Über den Lykomedeios s. Robert Masken d. neueren att. Komödie S. 7 ff. S. 197. Abb. 153 nach Mon. d. Inst. XI 31. S. 198. Eur. Med. 1002 ff. II AI. dianoiv' , ucpEivxut Ticideg oid'e aol cpvyrg, xui dioou vi'pcpt; ßaaiXig uautvr; ytoolv täiiux ' elqrjvr) äi xuxeZ&ev xixvoig. tu. xi ovy/v&Eio' inxrr xug, rjvix Evxv%Elg. JPlin. a. a. O. XXXV 136 Timomachus Byzantius Caesaris dictatoris aet.ate Aiacem et Mediam pinxit ab eo in Veneris Genetricis aede positas LXXX talentis venun- datas. Ovid. Trist. II $26 inque oculis facinus barbara mater habet. Anth. XVI 135 Ttyiij Tijuouayov oiooyrv xui CijXov iui'cE Mrj- d'eirg, xixvcjv slg [äoqov iXxouivcov. xfj u'tv yuo avvivEVOEv tni Zicpog, >) (J° uvuvevei, oo)£eiv xai xxe'iveiv ßov'/.ouir/; xixtu. Anti- philos ebd. 136 Tuv bXoav Mr^Biav bxy tyoucfc TiuouüyoK yeio £aX(p xui xixvoig uvxiuEÖElxouive.v, uvoiov aqaxo uöy&ov, 'iv' rj&Ea Sioab. xaqaSg, ojv xb u.tv tig ooyuv veve, xb d? sig i'/.eov. üiupia J° ia?.r;oioOEV bau xvnov iv yuo utteiXü d'uxovov, iv J° IXiat 9-wubg avaaxqicpEXUi. uoxei d" u ui?.~ '/.r-aig, tcpu aocpög' uifxu öh xixvwv Itiqetie Mr;i xov /eoI Tiuouü%ov (dan. Ausonius 129), s. ferner 137 — 141. — Euripides a.a.O. 1240 ff. TTt'.vxiog ocp' uvuyxrj xux&uvtiv iriEt df yqr';. r,[AEig xxevovuev, o'iriEq iSsifvauui r. äXX' tV bnXiCov, xuod'iu. xi juiXXousv xn feiva xuvuyxuiu u'r ttouooeiv xuxü; uy , u> xüXuivu yEiq iuv, Xußi Sirpog, Xüß\ tont 426 Anmerkungen ngog ßaXßl&a Xvnrjqav ßiov, xal ^u"? xccxia&fjs jUTjd* ('.vafivrja^Jjs xixvtav tag (piXxccd-*, v [iTjviucc y£vw/uai rjf.iaxt xo> oxe xiv oe ITaQig xal g ovv ivör^EV M).E^avSqog &£0£i&r;g Iv noo/uäyoioi (pavivia, y.aiEnXrjy?] cpilov rjxoQ' /us ©r]Oku*g 7ialg,i4fxuCövog xoxog}* InnbXvxog, ayvov LTix&Eüyg naiösvfxaxa, ^.övog noXixiöi' xTjO&e yrjg TqoiZrjvictg ?Jysi xaxioxrjv dcei- /Liovwi' nscpvxErai, avaivExai &s Xixxqa xov xpccvEi yd/uiov og etieigiv EI.Evriv hnoy.XElvui, drjXct ü)g c(Xi] di iyoii' . . . oquov und e%(ov- zicpog. S. 239. Theseusvase des Euphronios Furtwäng- ler-Reichhold Vasenmalerei Taf. 5. Andere Theseusschalen Museo italiano di antichita classica tav. 2-4; Journ. of hell. stud. X 1889 pl. 1. 2. XXX 1910 pl. 1. 2. XXXIII 1913 pl. 20 — 22. — Die Schale des Euphronios mit dem erymanthischen Eber Furtwängler- Reich- hold a. a. O. Taf. 23. — Der Antaioskrater ebd. Taf. 92. 93. -S. 240. Abb. 188 nach Pho- tographie. S. 241 ff. Abb. 189 — 192 nach Melanges d'archeologie et d'histoire 1903 pl. III. IV. Brunn Kl. Schrift. I 35 ff.; Amelung Sculpturen des vatican. Museums II 236 ff. S. 247. Herakles und Laomedon Apollod.II 6,4; Diod. IV 32. S. 248. Abb. 193 nach einer der Freundlichkeit Lehners verdankten Photo- graphie. S. 250. Abb. 194 nach Arch. Zeit. XXII 1864 Taf. 1S1, 2. S. 253. Abb. 195 nach Arch. Jahrb. IX 1894 S. 148, 9 mit Be- nutzung des von der Reimerschen Verlagsbuch- handlung zur Verfügung gestellten Klischees. S. 254. Plin. XXXVI 29; O. Jahn Griech. Bil- derchronik S. 41 A. 272; Sauer bei Reitzenstein Epigr. u. Skol. 279 ff. S. 255. Das Marseiller Sarkophagfragment Robert Ant. Sarkophag-Rel. II 176. Petta und Euxenos Aristoteles bei Athen. XIII 36 p. 576. S. 256. Abb. 196 nach einer der Freundschaft R. Zahns verdankten Photo- graphie, vgl. Beschreib, d. ant. Sculpt. S. 340 Nr. 353. S. 257. Abb. 197 nach Furtwängler Ant. Gemmen III S. 267 Fig. 146. S. 258. W. Klein Gesch. d. griech. Kunst I 213 f. ERSCHLIESSEN NICHT ÜBERLIEFER- TER MYTHEN UND MYTHENFORMEN AUS BILDWERKEN. S. 260 f. Abb. 198. 199 nach Gerhard Auserl. Vasenb. III 159. S. 261 Eur. Hippol. 34 s. &rjosvg KExooniuv XelnEt y&öva uiccaucc (psvywv täiiaxog IlctXXavxi- dW; Plutarch. Thes. 13 ; Apollodor Epit. 1, 1 1 : Hygin. fab. 244 Qui cognatos suos occiderunt: 428 Anmerkungen Theseus Aegei filius Pallantem (Pandionis) filhim, Aegei fratrem. — Apollodor I, 9, 26, 3 eiys de cp'/.ißu /niuv unb uvyivog xuxuxe'ivovguv &XQI XWV OlpVQWV /.((ZK dt XO XtQLlU Xl]g (fkE- ßbg rtXog di/;oEiaxo yuX/.ovg . . . iZunuxrjfrstg de bno Mrjdeiag uni&uvEV, wg pitv tvioi Xt- yovai, diu xpao/uäxwv avxiö piuviuv M^deiug tfj.ßaXovatjg, wg de xtvsg, inoa-jfoiiivrjg noirr geiv avxbv u&avuxov xal xbv ?jXov tSeXovar]g, ixqvtrxog xov nuvxbg iywoog abxov unofru- velv xiveg de avxbv xo^EvS-evxu vno Jloi- uvxog eis xb acpvobv zeXevxijGui Xeyovaiv. S. 262. Apollon. Rhod. IV 1645 ff. &XX' r\xoi xb iiev aXXo diuug xul yvict xexvxxo yuX- xtog ^J3 i'coQTjyxog' vrial dt 01 taxe xivovxog avoiy'i uiuaxÖEOGu xaxu arpvqbv uvxuq b xiv ye Xenxbg VfjirjV, fftMyS", e/E, neiocixu xul fravaxoio, ... 1 661 ff. /} de nxvya noocpvqeoio ^QoayouifTj ixinXoio nuntiäwv ixuxeq^ev ß/rrux' en3 i/.oib(piv ysiobg öi t %Etql iie/uuq- rxwg Alaovidrjg tx6iii£e diu x'krjdug iovauv. ifd-a (f uoidjjaiv LiEilicGEXo, utXns dt Ktjoag Övuoßbnovg, Aiduo Ooug xvvug, ai nEQi nä- auv Tjioa divEvovaui ini £woZoiv ayävxai. xovg yovvuCo/uevT] xqig luv naoExix'kEX uoi- daig} xolg dt Xixaig' &euevt] dt xaxbv vbov, iy^od'onoiatv bpiuuai yaXxeioio TdXw ij.it- yrjQBP bnwnüg' XsvyuXiov J° ini ol nqiev ybXov, ix d' uidr'ku deixrjXa nooi'uXXEV, im- £axpeXbv xoxiovau. Ztv nüxEQ. ij iityct drj lioi ivl (poEoi öa/ußog urjxui, ei dl] iiy vovaoiai xvnJiGi xe piovvov bXe&Qog dvxiusi, xal drj xig unbnoo&Ev uiij.ii yuXinxEi' wg b ye yüXxElbg Tiio iwv vnbsi^E duur.vui Mijdeiijff ßoiinj no- 'kvcpicnuitxov' v.v de ßuosfug b^\'iL,iüv Xctiyyug, iovxiiitv bopiov ixeoftui, viEXQuiio axbvvyt yoipixpE Gfpvobv ix dt oi lywo xrjxouivto i'xe).og fxo'/.iß«) QtEV ov d' ixt tfrjobv Eiaxrjy.Ei nQoßXTjog inEXißEßuoig oxont?.oio. uXX wg xig x iv bnEOOl nEkwQirj v\pb&i nEvxrj, xtjv xb &ools ni'kixtaaiv 1Y>' rjuinXrjyu linbvxEg vXo- xbuoi d'nviiolo xuxt'j).v&ov ?} d" vnb vvxxl (nn>](jtv tuev 7ioü)Xu xivüaaexut, vaieoov uvxb novLivbd-ev icuytlau xuxtjqitiev äg b ye noa- o'tv axcipidxois xsiwg ittv imaxud'bv [jwqeizo, vnirqov uvx' uuEvrjvbg unrinovi xutitieoe d'ovTMo. S. 263. Abb. 200 nach. Wien. Vor- legebl. Ser. IV 5 (Bull. nap. III tav. II. III). S. 264. Abb. 201 nach Journ. of hell. stud. VIII 1887 p. 400. Od. t 518 ff. ws d" oxe ITuvdüoEO) xovQt] y).wnr;ig M>]6wv xulbv usi- dtjaiv iuoog viov laxauivoio, dsvd'aiwv iv TlEXÜlotai Xud-E^OIAtl't] TlV/AVOlGll', V, XE &U[X<< XQwnwGu ytEi noAvrjyiu cpwvjjv, nuld0 blo- CpVQOlltV^'IxvXoV XpD.OV, OV 710XE %UkXW XXEIVE öi ucpoud'iug, xovoov Zij&oio uvuxxog, xxl. Schol. yuuel cJt Z?t&og tiev Arjdbvu xrjv xov TTuvdaoiov. xwv de yivtxui^IxvXog xui Nqig. IxvXov de *} Lir,xr]Q Ar^wv ccnoxxeivEi diu vvxxbg öoxovau elvui xbv Afxcpiovog nuldu, £?]Aovgu xijv xov 7iqoeu]lievov yvvulxu, 6x1 xuvxt] piev fjirav Hj- naldsg, uvxjj de dvo. iiponiiu de xuvxrj b Zevg xrtv noivrjv, rj d' ev/exui oQvig yeviö&ui, xal tioiei abxrjv b Zsvg uTqdbvu. &qt]vei de «et txoxe xbv'Ixvkov, wg cprjai ^EQEXvd^g. S. 265. Vgl. das Sprichwort xi&aai£siv ovx iniaxuiui. — Hyg. fab. 4 Ino Euripides. Athamas in Thessalia rex cum Inonem uxorem, ex qua duos filios (sustu- lerat), periisse putaret, duxit Hypsei filiarn Themistonem uxorem, ex ea geminos filios pro- creavit. postea reseiit Inonem in Parnasso esse, quae bacehationis causa eo pervenisse. misit qui eam adducerent. quam adduetam celavit. reseiit Themisto eam inventam esse, sed quae esset nesciebat. coepit velle filios eius necare. rei consciam, quam captivam esse credebat, ipsam Inonem sumpsit, et ei dixit, ut filios suos candidis vestimentis operiret, Inonis filios nigris. Ino suos candidis, Themistonis pullis operuit. tunc Themisto deeepta suos filios oeeidit. id ubi reseiit, ipsa se neeavit. S. 266. Abb. 202 nach Hermes XLIX 1914 S. 18 (Journ. of hell. stud. XXI 1901 pl. 1; Harri- son Prolegomena p. 281 fig. 72). S. 267. Abb. 203 nach Robert Ant. Sarkophag -Rel. III 120. — Über den Ausfall der Kerberos- Metope Robert Pausanias als Schriftsteller S. 64 ff. S. 268. Paus. V 10, 9 xu nobg Jioiirid^v xbv Oqüxu. — Abb. 204 nach Aus- grab, von Olympia III Taf. XLV 8. Abb. 205 nach Journ. of hell. stud. XIII 1892/93 pl. 8. Zu Seite 261 — 288 429 S. 269. Abb. 206 nach Bonner Studien S. 250. Abb. 207 nach einem der Freundschaft R. Zahns verdankten Abdruck vergrößert. Vgl. Furtwängler Ant. Gemmen Taf. VIII 59. S. 270. Abb. 208 nach Tischbein Collection of engravings from ancient vases II 19. S. 271. Hes. Aan/Hq. 119 fr. sagt Herakles zu Iolaos: ov &' thg naoog f) x(o noxauüi Xiaaov xiuo)qovu£vog. — Schol. Pind. Ol. III 53 i] Tavyixtj ?, xov 'Ax'/.avxog r'tvyüxTjo, rtviiva Jibg ßov).r]&ivxog ßiaaaa&ai eis tluffov ttExißaXs r) 'AqxEuig. Eur. Hei. 381 ff. av xe nox AqxEfxig izEyoqtvGaxo yqv- ooxiqax' i'/.acpov Mioono; Tiravi&a xovqav xa'/.Xoovvag evexev. Pind. Ol. III 29 ff. yov aöxEQuiv kXacpov &r)Xeiav a'iovfh' , av noxe Tavyixa ('.i'xiÖeig' 'Oq&ojoir. tyqaibEv Isoav. Schol. avxtj (Taygete) 'AxXavxos &vyäi?;q, iccpiiotooE ö't xrv 'i'/.c.cpov xj, Mqxiuitit. Xiytxai yaq bxt, r\vixa 'Ilqay.Xt^g naqioysv avxrjv Einvo&Ei, xbxt Evqifrt} inl xov xqayjj.ov 1(1x7}$ yEyqauuivov Tavyixrj Ieqcv avifri- xev 'Aqxiixidi. Apollodor H 5, 3, I Mqxiixidog iSQtt. Eur. Herakl. 375 ff. xäv xe yqvaoxäqa- vov dboy.av noixi'/.bvujxov av).rlxtiqav ayqoj- tjxür xxtivaj frrqoccbvov freav Oivwäxiv ayaXXst. — Abb. 210 nach Gerhard Auserles. Vasenb. III 101. S. 273. Abb. 211 nach Ger- hard a. a. O. III 99. S. 274. Pind. Ol. III 26 ff. iv&a (in Istrien) Aaxovg Innoaba d-vyäxrq &i£ax' iX&bvx' Aqy.aöiag itnb dsiqäv xai no'/.v- yväunxcov itvyiöv, si'xi viv ftyytXiais Evnv- o&iog i'vxv' avayxa nuxqb&tv yqvaby.tqtav D.atpov frr).Eiav c'i . Schol. Soph. Phil. 445. Quint. Smyrn. I 742 ff. Prokl. Aithiop. xa\ Ix xovxov axäsi; yivsxcu xolg jiyaiolg ntql xov f-JEqaixov q>6vov. fxzxlt dt xavxa HyüJ.Evg Eig yltaßov nlsl, xai frvaag Mn6).'/.o>vi xc'i Mqxtiadi xcd slrjxol xad-aiqexai xov rpovov in' 'Od'vootujg. Quint. Smyrn. I 767 ff. TvdEid'rtg d" aoa fjovvog iv 'Aqytioig j4j[1%t)i yojtxo &£oaixao ds&ovnoxog, ovvtx uq avxov tvytx aep aifiaxog Eivai, Intl nO.tr og fjhv ayavov Tvdiog bßqiuog vlög, b (J° 'Ayqiov loo&ioto, Ayqiov, box' Ötvr)og adeX- (ptbg tn).EXo diov Olvtvg cJ° vlia yeivax' aqriov iv jdavaoiai Tv&ia' xov d' ixixvxxo ncag a&Evaobg diouiß^g. xovvsxa ©Eqaixao nsql xxauivoio ya'/.irp&r;. xai vi xe UrJ.Eioivog ivavxiov i^qaxo yEiqag, tl turj /xiv xuxiovicr Myatüiv cpiqxaxoi visg noXXct naqrjyoqiovxag buü.adbv, iog öt xai avxcv UrjXei&qv §x£QJo9ev iortxvov t) yaq e/libXXov rßt] xai 'iicpisaaii' hqiduaivEiv oi aqtoxoi Aqyt'naV xovg yaq qe. xaxbg yö).og bxqvvtGXEV aXX 01 juev nsni- &ovzo naqaKfaaii;Giv txaiqcov. Chairemon fr. 3 (Suid.) wg ovy vnäqyutv, a'/.'/.a xilho- qovuEvog. S. 283. Abb. 215 nach Wien. Vorlegebl. Ser. I Taf. 3 (Mon. d. Inst. V Ii). S. 286. Abb. 216 nach Ausonia II 1907 S. 252 Fig. 6. S. 287. Abb. 217 nach Wien. Vor- legebl. Ser. III Taf. 9. 2. FEHLERQUELLEN. S. 28S. L. Hamburg Observationes hermeneuticae in urnas etruscas. 430 Anmerkungen Berolini, Weidmann 1916. — Abb. 218 nach G. Körte Urne etrusche II 2 tav. 78, 3. S. 289. Abb. 219 nach G. Körte a. a. O. II I tav. 38, 3. S. 290. Abb. 220 nach Fouilles de Delphes IV Sculpture) pl. XL S. 291. Abb. 221 nach Arch. Jahrb. XII 1897 zu S. 169 Abb. 9 mit Benutzung des von der G. Reimerschen Verlags- buchhandlung überlassenen Klischees. Paus. V 10, 6 f. xa de ev xolg aexolg, eaxiv e/.inooofcv fftXonog // nobg Olvouaov twc inntov afXiXi.ec ixi fjiXXovaa xal xb eqyov xov dqo/xov naoa aurpoxlowv lv naoaffy.Evfj. dibg de äyaX/naxog xaxct uiaov 7iE7ioi?]luiyov fidXiaxa xov iiExbv, iaxiv Oivo/uaog lv de^i^t xov Zlibg InixEi/uEVog xqavog xjj xecpaXtj, nana de avxov yvvrj Exe- Qonrj, ftvyaxeQiov xal avxr] xwv AxXavxog' MvqxiXog dt, bg r/Xavve x(p Olvoiiaip xb äo/ua, xä&T]Xai 7TQO XWV 17171 0)V, Ol dt EIOIV UQl&fAOV Ol 1717101 XEGOltQEg, [AEXCl de avXOV EIGIV avdoEg ovo' dvouaxa fxev ocpiaiv ovx iaxiv, &eqci- heveiv de aqa xovg "mnovg v.al xovxoig nooa- exlxay.xo vnb xov Olvouaov. nohg avxiö de y.axaxeixai iw neoaxt KXccdeog ■ t%£i de xai lg xa aXXa naq 'HXeicov rifxag noxaittöv fia- Xiaxa fisxa ys yiXcpeiöv. xa de ig aoioxEoa utio xov sdiog b IIi).o\p xal ImxodäfiEia xcd b xe T}vio%6s toxi xov JleXonog xal innoi dvo iE avdqeg, Innoxofxoi d)] xcd ovxoi xm niXoTti. xal avO-ig b äexbg xaxeioiv lg gxevov, xal xaxa xovxo }JXq>£ibg In' avxov nEnoirjxai. xm de avdol, bg rviö-/£i xm LT1X0711, Xoyo) fAtv xä Tqoi£i]vmv Inxlv bvo/ja EcpaiQog, b de li^y^x^g icpaaxEv b Iv'OXv/uttiu K'iXXav elvai. S. 292. Diod. IV 73, 3 b /xev Oivöfxaog t&vE y.oibv xiö 4ii, b de txvijcxEvouEvog e£(OQfia xltioinnov IXavvwv ao/ua' ayia'&tvrwv de xwv lEIHO)', XOXE UQ%£GÜUl XOV dobflOV XOV OlVO- uaov xal duliXEiv xov fxvrjaxrjoa, i%ovxa doov xal rjvioyov xbv MvqxiXov. Paus. V 14, 6 xov de 'Hcpaiaxov xbv ßwtu6v eioiv 'HXeuov o'i bvotua£ovoiv sIqe'iov 4iög' Xeyovai de 01 aixol ovxoi xal wg Olvouaog Inl xov ßw/uov xovxov &voi xm Aqeim ^Jii, bnöxe xwv'Inno- daui lag [äv^gx^omv xa'&'iQxaa'&ai /.1Ü.X01 xivl lg "inziiav auiXXav. S. 293. Abb. 222 nach Arch. Zeit. XI i853Taf. 55. S. 295. Paus.V 15, 6 anb de xttg aioag, rtv 01 'HXeioi xaXovoiv 'Ayvünxov, xbv aq%iXkxxova Inovofxä^ovxEg xm oixodotui'][xaxi, anb xavxqg Inaviovxi laxlv ev ds!jia ßwpbg Aoxi/uidog. S. 299. Abb. 223 nach Gerhard Apulische Vasenbilder Taf. D 2. — Gerhard Auserl. Vasenb. III 128. Cat. of the vases in the Brit. Mus. II B 166. S. 300. Exe- kias-Schale, Furtwängler-Reichhold Vasenmal. Taf. 42. S. 302 f. Abb. 224 nach Arch. Anz. 1906 S. in Abb. 1. Abb. 225 nach ebend. 1895 S. 133, 69, beide mit Benutzung der von der G. Reimerschen Verlagsbuchhandlung freund- lich zur Verfügung gestellten Klischees. Abb. 226 nach Robert Ant. Sarkophag-Rel. II 167. S. 304. Heibig Wandgemälde Taf. 14 Nr. 1132 b. Nissen Pompeianische Studien 354. Mau Bull, d. Inst. 1879, 68 f. S. 305. Eur. Ion 455^ IlQourjd-El Tixavi Xo%£v&£ZGav, danach Apollo- dor I 3, 6. — Robert Ant. Sarkophag-Rel. III 337—341- 343- 344- — Verg. Aen. X 186. Die richtige Benennung ist von Fröhner ausge- sprochen worden. ERGÄNZUNGEN UND FÄLSCHUNGEN. S. 306. Matz und v. Duhn Ant. Bildw. in Rom II S. 72 ff. Nr. 231 1. S. 308 f. Abb. 227. 228 nach Photographien von Faraglia. S. 311. Abb. 229. 230 (M. D. II 2268). 231. 232 (Dütschke Ant. Bildw. in Oberital. I 52, 114), alle vier nach Eichlers Zeichnungen. Abb. 233 nachdem Berolinensis (Dosio) Fol. 12. S. 312. Abb. 234- 235 nach Eichlers Zeichnungen. Abb. 236 nach Photographie, vgl. Clarac Mus. d. sculpt. pl. 127, 148 nr. 421. Abb. 237 nach Eichlers Zeichnung. S. 313. Abb. 238 nach einer Frl. Dr. Bieber verdankten Photographie; vgl. M. Bieber Mus. Frideric. in Cassel Taf. XXXIV 86. S. 314. Abb. 239 (Dütschke I 128), 240 (Dütschke II 191), beide nach Zeichnungen von Eichler. S. 316. Abb. 241 nach Galleria Giustiniani 1631 II 76. Matz und v. Duhn II 3404. S. 317. Abb. 242 nach Robert Ant. Sarkophag-Rel. III 253. S. 318. Abb. 243 nach Robert a. a. O. III 315. Abb. 244 nach III 318. Abb. 245 nach III 262 a. S. 319 Abb. 246 nach Wien. Vorlegebl. Ser. E 2 (Mon. Zu Seite 288— ^66 431 d. Inst. VIII 9), vgl. Winkler Bresl. phil. Abh. III 1888 S. 19, wo auch die Ergebnisse von Stud- niczkas Nachprüfung des Originals veröffentlicht sind; völlige Klarheit über alle Einzelheiten würde nur eine chemische Reinigung und noch besser ein Zerlegen der Gefäßes in seine Be- standteile bringen können. S. 320. Abb. 247 nach Wien. Vorlegebl. Ser. E I Miliin Tomb. de Canose Taf. 3). S. 321. Abb. 248 nach Wien. Vorlegebl. Ser. E 2. S. 322. Abb. 249 nach Wien. Vorlegebl. Ser. E 3, . Ein nackter Pelops nur mit phrygischer Mütze (Ausonia VII 1912 S. III Fig. i] ist eine Ausnahme, die die Regel bestätigt. S. 324. Abb. 250 nach einem Probe-Kupferdruck. S. 325. Abb. 251 nach Robert Sarkophag -Rel. II 25. S. 327. Die Hauptfassade der Villa Borghese bei Manilli Villa Borghese 1650 und in der Umarbeitung dieser Beschreibung von Montelatici 1700. S. 328. Abb. 252 nach Mon. d. Inst. VIII 8, 1 ; vgl. H. B. Walters Bronces in the British Mus. p. 122 nr. 741. S. 330. Abb. 253 nach Mon. d. Inst. VIII 8, 2. S. 331. Abb. 254 nach Mon. d. Inst. VIII 7. Abb. 255 nach Robert Ant. Sarkophag.-Rel. IU 281. S. 332. Abb. 256 nach Winckelmann Werke. Dresd. Ausgabe V Taf. 7. S. 334. Abb. 257 nach W. Fröhner La collection Tyszkiewicz pl. 12. Schob II. A H 86 A&uuug b AiöXov /uhi' n«i>, ßaaikevs dt 07]ßüji', yfipas 'Ii'io trjv Küduov nal&tts tax* ovo, Aiuqyov xul Ms).i/.iQT7jy. y.atu "Hqas ()'t Tioüaie.yiie. unoriEfxxpüuEvos rrjV \ZVw xul lniyr]fias Nscpil^v 'iayzv !§ aviijs dvo rxul- cJW, "E't.h]v je y.c.l $qi£oi>, uiyvvfiEvov de uvibv h'.froa rjj 'Ivot xunoriTEvauau rj Ne- (pi).ri >px£l0> rtC(/lt' & tt/S olxiae inixQat^- ac.au ?i Y»'w tmiov'/.evae toi? v;? NetpiXrjs nuiaiv . . . r) iaioqiu tiuqu i'/.oai£(pui>o). Hyg. fab. 2 . . . rex facinore cognito uxorem suam Ino et filium eius Melicerten Phrixo dedit necandos. quos cum ad supplicium duceret, Liber pater ei caliginem iniecit et Ino suam nutricem exipuit. . . . fab. 3 Phrixus et Helle insania a Libero obieeta cum in silva errarent, Nebula mater eo dicitur venisse et arietem inauratum adduxisse, Neptuni et Theophanes filium, eumque natos suos ascendere iussit et Colchos ad regem Aeetam Solis filium transire ibique arietem Marti immolare. S. 336. Die Vase des Assteas Bull. nap. VII 34, dan. Wien. Vorlegebl. Ser. B 2. S. 337. Abb. 258 nach Hermes XXX 1895 S. 159. ERGÄNZEN TRÜMMERHAFTER BILD- WERKE. S. 338. Abb. 259 nach Ausgrab, von Olympia, HI Sculpturen Taf. LUE. S. 339. Abb. 260 nach Arch. Jahrb. II 1887 Taf. 6. Abb. 261 nach Photographie, vgl. S. 430 zu S. 312. So rauben bei Euripides Bakch. 7546". die Mänaden die Kinder aus den Häusern. S. 340. Abb. 262 nach Wien. Vorlegebl. Ser. A Taf. XII 1 a. S. 341 ff. Abb. 263—265 nach Robert Sarkophag -Rel. III 430. 430 b. 430'. S. 345. Abb. 266 nach Robert a. a. O. II 12. S. 346. Abb. 267 nach dems. II 11. S. 348. Abb. 268 nach Graef Vasen von der Akropolis Taf. 28 Nr. 601. S. 353. Abb. 269 nach Furt- wängler Samml. Sabouroff I Taf. 51. S. 354. Abb. 270 nach Graef a. a. O. Taf. 24 Nr. 597. — Die Busiris -Hydria Furtwängler- Reichhold Vasenmal. Taf. 51. S. 356. Abb. 271 nach Wien. Vorlegebl. 1888 Taf. 3. S. 357. Abb. 272 nach Graef a. a. O. Taf. 29 Nr. 596. S. 358. Abb. 273 nach Graef a. a. O. Taf. 67 Nr. 1174. S. 359. Abb. 274 nach Robert Oidipus I S. 371 Abb. 5o(A.Rhusopulos77eoi Eixövog Avxiyövrjg, 1885;. Conze Arch. Anz. 1S89 S. 8. S. 361. Abb. 275 nach Photographie. S.362. Abb. 276 nach Arch. Zeit. XLI 1883 Taf. 6. S. 363 f. Abb. 277. 278 nach Gerhard Apul. Vasenb. B 1. 2. Kalkmann Arch. Zeit. a. a. O. S. 48 fr. S. 365. Od. e 246 ff. TÖcpncc t)5 sveyxe TiosTou KaXvipw diu S-ecuof Ttrqjp'Ev ö° uou ttuvtcc xal /jofxooev u'/.?./;).oiaii', y6[.i(poiaiv cj° uou xrtv ye xal aofiopigtiiv uouaaEi'. oaaov ris t' td\i(pos VTjbg xoqviäaETUL ävr)Q cpoqTiö'og evoeu;?, iv eIöu)? TExioavvüüJv, xbaaov tn evoeiui' a'/EÖir^y noii^aut' 'OdvaaEvg. r/oiu dt airtcu£ , ünuoioi' &u[xtati' aiuuivEaaiv, noiEf utccq (iaxqii i'^wg MxoE'iä^g. S. 369. Od. o 113 ff. d'iÖQöv d°, Offo' EV luäj o'lXIO XElfAl'J.l« XElTC'.l, Öwßü) O xaXXiaxov xcd xi/urjEGzaiof lanv. dwaa xoi xorrloa xEXvy/xivov' aoyvoEog de loxtv än«g, XQvoo> d° Ini yEÜ.Ec. xexQaaviai • loyou d° tlcpaiaxoio' noQEf ö'i i g dQäoavxag «y&' biov $civeI. S. 395. Bull. d. Inst. 1879, 69; Sogliano Pitt. mur. nr. 306. S. 398. Abb. 291 nach Robert Ant. Sarkophag-Rel. III 436. Matz und v. Duhn Ant. Biklw. in Rom Nr. 2888. S. 399. Hygin. fab. 187. S. 403 f. Abb. 292. 293. 294 nach Robert a. a. O. III 436 ". 436 a'. 436b'. S. 405. Abb. 295 nach dems. III 439. S. 407. Herod. I 24 ff. S. 409. Abb. 296 nach Robert a. a. O. III 438. S. 410. Hero- dot I 31. — v. Premerstein Österr. Jahresh. XIII 1910 S. 45 fr. Dittenberger und v. Hiller Syll. I3 5. S. 413. Abb. 297 nach Robert a. a. O. III 438". Abb. 298 nach einem der Freund- lichkeit H. Dresseis verdankten Gipsabdruck, Robert Archaeolog. Mise. S. 1 ff. [Sitz.-Ber. der Münch. Akademie 1916). Druck von Breitkopf & Hurtel in Leipzig. \ vüvsava vinvs o / 9 5ft o AUSaSAlNfl 3HJ. O o OF CALIFORNIA o io juvagn am o \ o THE UNIVERSITY o / 0 > u •. 0 SANTA BARBARA ° HE LIBRARY OF % o THE UNIVERSITY o s K B SANTA BARBARA ° 0 OF CALIFORNIA u ep 3 0 dO AÜVÜ9I1 3HJ. ° o vüv^ava vinvs 0 9 m ° AilSü3AINn 3H1 o THE LIBRARY UNIVERSITY OF CALIFORNIA Santa Barbara THIS BOOK IS DUE ON THE LAST DATE STAMPED BELOW. CD in % Ä AFTER AJ/jy-gg X),;- ., ,--:.-,—= Series9482 ;•