| Alex Agassiz. | Zibrarp of the Museum | OF | es | COMPARATIVE ZOOLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, PoundeY bp private subscription, In 1861. | Deposited by ALEX. AGASSIZ. | | No. Vi 83. ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN voN D*. CARL BOGISLAUS REICHERT, PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHFNDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D*. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABOR4- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN. FORTSETZUNG VON REIL'’S, REILS UND AUTENRIETH’S J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1864. "Mit achtzehn Kupfertafeln. TESEDZE VERLAG vos VEITET COMP. Kae Br r Br ‘ Inhaltsverzeichniss. Seite Bernstein, Dr., J., in Berlin. Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen Herznervensystems. 614. 633 Dönitz, Dr., W. Ueber die Schleimhaut des Darmcanals. (Hierzu Tafel ER 367 — — Mariotte’scher Fleck bei markhaltigen Nervenfasern der Retina. (Hierzu “Tafel: XVT. BJ* ©. 741 Ebstein, Dr., Wilhelm, Assistenz-Arzt und Prosector am " städ- tischen Krankenhospital zu Allerheiligen in Breslau. Die polypösef Geschwülste des Magens. (Hierzu Taf. II. u.IIl.) 94 —, — Reticulirte Hypertrophie der menschlichen Magenschleim- haut, ein eigenthümliches, bisher noch nicht beschriebenes Verhalten derselben. (Hierzu Taf. XIII. B) . . . . .568 Fick, Dr., Adolf. Ein neuer Blutwellenzeichner. . . . . 583 Grimm, J., stud. med. Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von Vipera berus Lin. (Hierzu Taf. RIIRANT gr Er Ar . 902 Gruber, Dr., Wenzel, Professor der Anatomie in St, Peters- burg. Die Bursae mucosae in der inneren Achselhöhlen- wand." »(Hierzu Taf: Ta. Ar ae . 358 —,-— Vorläufige Mittheilung über die secundären Fusswurzel- knochen des Menschen. . . . 286 —, — Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen "der Mesen- terien. (Hierzu Taf. XL) . . . 478 —, — Zu den Anomalien der Arteria pediaea, (Hierzu Taf. XI. B) 512 —,— Zur Anatomie der Arteria radialis. . . . 434 —,— Ueber dıe Nichtexistenz eines Analogon des anomalen Mus- culus supraclavicularis des Menschen bei Myogale. . . . 667 — ,— Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga in das Atrium dextram cordis beim Menschen (Bildungshem- mung und Thierbildung). (Hierzu Taf. XVI. A) . . . 729 Harpeck, Dr., Carl. Ueber die Bedeutung der nach Silberimpräg- nation auftretenden weissen lücken- und spaltähnlichen Figuren in der Cornea. (Hierzu Taf. VI. A). . . 222 Hartmann, Dr.,, R. Ueber die durch den Gebrauch der Höllen- steinlösung künstlich dargestellten Lymphgefässanhänge, Saftcanälchen und epithelähnlichen Bildungen. (Hierzu Taf. VI. B. Fig. 1—20.) . Fe en Helmholtz, Versuche über das Muskelgeräusch. AR . 766 Hering, Dr., Ewald, Docent der Physiologie in Leipzig. Bemer- kungen zu Volkmann’s neuen Untersuchungen über das Bin- ocularsehen. 10 Bar KLEE BI U —, — Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. : 27 —,— Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung für das Sehen bei ruhendem Blicke . . 278 Hermann, Dr., Ludimar. Ueber die Physiologischen. Wirkun- gen des Stickstoffoxydulgases. : 521 Hoyer, Prof., H. Ein ee zur Histologie der Pacini' hen Körperchen. a . 213 Krause, Dr, W., Professor in Göttingen. Beiträge z zur "systema- tischen” Neurologie des menschlichen Armes. ni Taf. VII sBIe, 1 'w 2.) - . . . 349 Landois, Dr., L. Die normale Gestalt der Pulscurven. N IV Landois, Dr., L. Ueber eine einfache Methode, den Nervus sympa- thieus cervicalis bei Fröschen subeutan zu durchschneiden, nebst einigen Bemerkungen über die Folgen dieser Operation. —,— Ueber die entoptischen Phänomene, welche an der Eintritts- stelle des Sehnerven hervorgerufen werden können. . . DIOBSTHn hn, N. Ueber Kuochenwachsthum. (Hierzu Taf. XIV. N Book: et "Dr., H. Ueber das Bpithel der harnleitenden Wege. (Hierzu Taf. III. B. Fig. 1—&), ..: Mayer, Geh. Med -Rath, Prof., in Bonn. Ueber die fossilen Ueberreste eines menschlichen Schädels und Skeletes in Te Seite 6832 . 686 einer Felsenhöhle des Düssel- oder Neander-®hales. 1 —, — Zur Frage über das Alter und die Abstammung des Men- v. schengeschleehtes.‘.....- “ ..%. - 51096 6 -— Üeber Psorospermien;.. eya-!“ neları.a ul ee). 264 Meyer, Prof., Hermann. Ueber farbige Kreiden für deu anato- mischen Unterricht. . 678 Mettenheimer, Dr. med,, C. Angeborne Atresie einer Choane. 262 Mecznikow, Elias. Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen, ; Se a u —,— Ueber die Gattung Sphaerophrya. (Hierzu Taf. VII. A.) 258 Neumann, Dr., E., in Königsberg i. Pr. Eine Versuchsreihe, betr. "das Absterben der Erregbarkeit in Muskeln u. Nerven. 554 Ranke, Dr., Johannes, Privatdocent der Physiologie in München. Untersuchung über die chemischen Bedingungen der Ermü- dung des Muskels. No. II. . b . 320 Reger, Dr., R. Ueber die Malpighi’schen "Knäuel "der Nieren und ihre sogenannten Capseln. (Hierzu Tafel XIII. A.) . 537 Reichert, C. B. Anatomische Beschreibung dreier, sehr früh- zeitiger Doppel-Embryonen von Vögeln, — zur Erläuterung der Entstehung von Doppel -Missgeburten. (Hierzu Taf. XVII u, XVII.) RER ee a Rosenthal, Dr., J., in Berlin. Studien über Athembewegungen. 456 Schelske, Dr, "Rudolf. Neue Messungen der Fortpflanzungsge- schwindigkeit des Reizes in den menschlichen Nerven. . . 151 Schneider, Dr, Anton. Ueber die Muskeln der Würmer und ihre Bedeutung für das System. . 990 Schultzen, Dr. med., Otto. Mittheilungen aus dem chemischen Laboratorium der Universitätsklinik. . 491 Sczelkow, Dr. Beiträge zur vergleichenden Pneumatologie has Blutes. i i . 516 —, — Die flüchtigen Fettsäuren des Muskels "und ihre Varman rung während des Muskeltetanus. . 672 Stieda, Dr, Ludwig, Privatdocent und Assistenz- A in Ber medieinischen Klinik zu Dorpat. Ein Beitrag zur Anato- mie des Bothriocephalus latus. (Hierzu Taf. 1V. u. V.) 174 — , — Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. (Hierzu N PXEB).: NR . 407 Stricker, Dr., S. Untersuchungen uber die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. (Hierzu Taf. 1.) ß 2. -Weismann, Dr., August, Privatdocent in Freiburg i. Br. Zu Embryologie der Insecten. (Hierzu Taf. VII. B) . . .265 Berichtigungen zu Heft I. 1864. . 264 Ueber die fossilen Ueberreste eines menschlichen Schädels und Skeletes ın einer Felsenhöhle des Düssel- oder Neander - Thales. Von Geh: Med.-Rath Prof. Mayer ın Bonn, Der Fund dieser fossilen Fragmente eines Menschen-Ske- letes oder eigentlich nur der des Schädelfragmentes hat neuer- lich eine so grosse Aufmerksamkeit bei den Naturforschern Englands erregt und sind von diesen darauf, ohne davon mehr als die von Herrn Prof. Schaafhausen (in Müller’s Ar- chiv 1858) in kleinem Maassstabe gelieferte Abbildung der Calvaria des Schädels zu kennen, so weitgreifende Folgerun- | gen gebaut worden, dass ich mich bewogen finde, meine Untersuchungen an diesen fossilen Ueberresten, welche auch mir, bald nach ihrer Auffindung, auf mein Ersuchen an den Bewahrer derselben, Herrn Prof. Fuhlrott in Elberfeld, zur Ansicht mitgetheilt wurden, hier noch nachträglich folgen zu lassen. Prof. Huxley erklärt namentlich, dass der fossile Schädel der Düsselthalhöhle dem des Affen unter allen bis jetzt als vorweltlich erkannten Schädeln am ähnlichsten sei. Dabei und als diesen Satz beweisend, spricht der berühmte Physiologe von einer kurzen Pfeilnaht, welche doch aussen und innen nicht mehr vorhanden und bei der dolichocephalen Form des Schädels früher jeden Falls lang war, ferner von einem Mangel an Raum für die hintern Lappen des Gross- hirns, da doch die Calvaria des Schädels eine nicht unbe- trächtliche Wölbung des obern Theiles der Hinterhaupt- schuppe zeigt. Ein homo pithecoides hätte also demnach vorweltlich in dieser Felsenhöhle, die kleinere Feldhofgrotte Reichert's u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 1 2 Prof. Mayer: genannt, als Troglodyte gewohnt!? Doch lasse ich diese Folgerungen noch zur Seite liegen und bespreche ich zuvör- derst die Charakteristik des Schädelfragmentes und die der übrigen zugleich mit aufgefundenen Knochen, nach den Auf- zeichnungen, welche ich damals bei der nähern Besichtigung dieser fossilen Knochen und Knochenfragmente niederge- schrieben habe. Um nicht bereits darüber Gesagtes zu wie- derholen verweise ich auf die detaillirte und exacte Beschrei- bung dieses fossilen Fundes namentlich in Beziehung auf die genauen Messungen der einzelnen Knochen, welche Prof. Schaafhausen, wie oben bemerkt, gegeben hat. Der vorliegende obere Theil des Schädels oder die Cal- varia ist dolichocephal, indem der Längendurchmesser der- selben vom Arcus superciliaris bis zur Spina oceipitalis 7’ 9 beträgt. Die Circumferenz-Linie der Calvaria verläuft so, dass auf den sehr beträchtlichen Vorsprung der arcus super- ciliares eine Einbuchtung der Stirne folgt, darauf diese sich wieder etwas wölbt, wieder einsinkt und nun um etwas stel- gend eine platte Scheitelwölbung bildet, die nach hinten ab- steigend sich wieder einbuchtet und sodann als beträchtliche Wölbung von der Spitze der Hinterhauptschuppe an, deren Sutura lambdoidea äusserlich und innerlich, obwohl nur schwach, sichtbar ist, nach abwärts reicht, fast noch die ganze Hinterhauptschuppe einnehmend. Die schöne Wölbung des Hinterhauptbeines ist noch dadurch merkwürdig, dass dessen Orista und Spina nur wenig vorspringen, was auf schwache Entwicklung der Nackenmuskeln, nicht wohl auf die Wildheit eines vorgeblichen Zeitgenossen des Gorilla’s, sondern mehr auf niedergedrückten Scelavensinn des Düssel- thal-Troglodyten einen Schluss erlauben könnte. Diesem ent- sprechend, ist natürlich von keiner Crista sagittalis oder einem Vorragen daselbst die Rede, und ist die Stelle der Pfeilnaht vielmehr eingesunken. Ich möchte sagen: zeigt mir einen fossilen Menschenschädel mit Crista sagittalis, wie die des Orang-Outang (dessen Männchen, das Weibchen besitzt selbe nur schwach, s. Mayer in Troschel’s Archiv f. Natur- geschichte 1845), so will ich Euch unsere Abstammung von Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u.s.w. 3 dem Urahn Pithecus zugeben. Ferner ist die Linea semicir- cularis der Schläfen ebenfalls nur schwach angedeutet, was auf schwachen Kaumuskel (musc. temporalis) hindeutet. Die Calvaria besitzt zwar eine feste Consistenz und den fossilen Knochen eigne Härte und Glätte, sowie bräunliche Färbung, zeigt aber keine Hyperossification, sondern zwei Lamellen mit nach hinten zunehmender Diplo&, so dass sie an der Seitenwand 2‘, am Occiput 3‘ Dicke hat. Auch die innere Oberfläche der Calvaria spricht nur für mässige Stärke der Knochenbildung, indem die Falx frontalis nur wenig vortritt, die Falx sagittalis gänzlich fehlt, die Falx cerebelli ossea schwach entwickelt ist und die Eindrücke der Gyri cerebri als Impressiones digitatae, — namentlich 2 Vertiefungen an der innern Lamelle den Arcus supereiliares entsprechend, — und kleinere Impressiones am Seitenwandbein noch wahrnehmbar sind. Die Fossa oceipitalis superior für die hintern Lappen des Grosshirns ist links tief aber schmäler, rechts breiter aber flach. Die Rinne der Arteria meningea media ist unten noch vorhanden, verschwindet aber nach oben. Die Fossae der Glandulae Pacchionii zeigen sich besonders rechts neben der Stelle der Sutura sagittalis ziemlich gross. Ich füge noch hinzu, dass die Fossa ossea für die Glandula lacrymalis am Jochfortsatz des Stirnbeins auf beiden Seiten sehr merklich tief ist. Es ist also eine besonders starke Knochenentwicke- lung nicht vorhanden, das Verschwinden der Sutura sagittalis nach Aussen und Innen, das der Sutura coronaria fast gänz- lieh nach Innen, die Schwäche des Sutura lambdoidea be- stätigen diesen Mangel von Knochenwucherung. Die bisher angeführten Charaktere unsres Schädelfragmentes sprechen somit durchaus nicht für affenähnliche Bildung desselben. Ist dieses aber nicht von dem grossen und breiten Vorsprin- gen der Augenbrauenbogen, worauf von Prof. Schaafhausen und Huxley ein so grosses Gewicht gelegt wird, der Fall? Man hat an den Arcus superciliares die Tuberositas seu Crista superciliaris und die Wölbung der Stirnhöhlen hinter jenen wohl zu unterscheiden. Beide können unabhängig von ein- ander bestehen. Die Crista superciliaris kommt bei den Affen, 1* 4 Prof. Mayer: bei dem Gorilla besonders stark, vor, und giebt dem Ge- sichte den wildthierischen Ausdruck, während gleichzeitig die Sinus frontales völlig mangeln! Bei unserm Feldhofer- Höhlen-Schädel ist dagegen keine Orista superciliaris zuge- sen, wie solche häufig bei menschlichen Schädeln mit Exos- tosis der Diplo@ angetroffen wird, wo sodann die Sinus fron- tales fehlen und die beiden starkknochigen Laminae des Os frontis fest aneinander anliegen. Es ist folgeweise auch durch dieses Vorspringen der arcus superciliares unsers Schädel- fragmentes eine Annäherung zum Affen- oder Gorilla-Typus nicht gegeben. Ebenso verhält es sich mit der Aehnlichkeit desselben mit dem Schädel des Australiers, von welchem ja Prof. Owen vielmehr angiebt, dass die Stirnhöhlen, wie beim Gorilla, fehlen, was jedoch nach mir nicht allgemein der. Fall ist.) Auch Dr. Corbett (on Australian Crania 1) Was den Schädel des Australiers (besser: die Schädel der Austra- lier) betrifft, so ist es unrichtig von einem allgemeinen eigenthümlichen Typus desselben zu sprechen, da die Südsee-Insulaner einen aus den Hauptrassen gemischten Typus zeigen, welcher in jeder Insel oder Inselgruppe, an Seeküste und im Binnenlande ursprünglich schon ver- schieden war; freiwillige oder durch Sturm erzwungene Ein- und Aus- wanderungen der Insulaner haben diese Mischung der Rassen-Charak- tere noch vermehrt, wie auch der berühmte Erdumsegler Hochstetter die Polynesier ein Wandervolk nennt. Auf den kleinen Inselgruppen, den Sandwichs-Inseln , den Marianen, Carolinen, Gesellschafts-Inseln bis zur Oster-Insel herrscht ein malayisch-mongolischer Typus mit deutlich kaukasischer Blendung, welcher in Cook’s und Parkin- son’s Reisebeschreibungen als übertriebene Schönheiten dargestellt wurde. Auf den Sundainseln, auf den Philippinen und auf Neu- Guinea kommt der südäthiopische Typus unter zwei Formen vor. Er- stens als malayisch -äthiopischer Typus oder als kleinäthiopischer in dem Negrillo (in den Asetas, den Orang-Somang) und als mongo- lisch-äthiopischer oder grossäthiopischer Typus im Papua und Alfuru, welcher letztere sich über die grossen Südcontinente von Australien, über Neu-Holland und Neu-Seeland verbreitet. Der mongolisch-äthio- pische Typus kommt in ähnlicher Zeichnung auf Madagaskar und in dem ganzen Südland Afrikas, in den Kaffern, Hottentotten und Busch- männern vor, so dass einige Reisende von einer Ein- oder Auswan- derung zwischen Madagaskar und Australien vermuthungsweise spra- chen. Der Australneger hat auch entweder schwarzes flockiges oder Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s.w. 5 1857) findet die Capacität der Schädel der Australier ebenso gross (Messung mit Sand), als die der Europäer. Die Wöl- bung der Augenbrauenbogen ist zum Theil, wie der Vorsprung der Örista,durch den Musculus corrugator superciliorum veran- lasst, aber es braucht dieser dort nur schwach zu sein, wo der ’Muskel nur die bereits vorgetretene äussere Lamelle des Stirnbeins zu heben hat. Einen wildthierischen Ausdruck verleihen die blossen grössern Sinus frontales dem Gesichte nicht. Man denke nur an unsern gutmüthigen das Aflenvolk an Zahmheit und Dressur weit übertreffenden Jagdhund, wel- cher solche Höhlen im hohen Grade besitzt. Es sind solche vorspringende Augenbrauenbogen überhaupt auch unter civili- in Büscheln stebendes (Pudel) Haar, wie der Hottentotte und Busch- mann, so der Küsten-Neger Papua, oder er hat straffes schwarzes borstiges Haar wie der Kaffer, so der Binnen- oder Berg-Neger Al- furu. Beide haben vorstehende mongolische Wangen. Die Papuas aber besitzen eine aufgerichtete bisweilen hohe Stirne, welche seit Tasmann und Cook bis Hochstetter bestaunt wurde, so dass letzter Naturforscher selbst jüdische Physiognomien unter den Neusee- ländern von Rotorua und Tarawera antraf, die wohl nicht von den Israeliten abstammen mochten, welche einst an Babylons Mauern wein- ten. Die Alfurus dagegen haben einen mehr niedergedrückten Schä- del, und mehr vorragende Kiefergebilde (prognath). Ein ächter Papua- Schädel findet sich abgebildet in den Annales des sc. nat. Tom VII, auch bei v. Baer (Memoires de l’Acad. de St. Petersbourg 1859 T.VIII. No. 5) nach Quoy et Gaimard; ein Alfuru-Schädel ebenfalls bei v. Baer (Tab. VIII b. 4. 5) als Alfuru und ein anderer (Tab. VIII 2) als Papua aufgeführt. Gewöhnlich wird nur der Name Papua ge- braucht. Auch bemerke ich noch einmal, dass das Vorhandensein oder Mangeln der Sinus supraorbitales kein wesentliches Unterscheidungs- zeichen bilden, und sie nur im Allgemeinen klein sind. Man hat, wie ich glaube, für die Südoceanier wenigstens vier besondere 'T'ypen als Rassenabzweigungen anzunehmen, wenn man nicht einen fünften Typus in den noch gänzlich unbekannten Binnenvölkern der grössern Inseln als in den Alfakis ete. vermuthen darf und ein sechster Typus wohl als amerikanisch-malayischer sich durch röthlich braune Haut (nach Hochstetter 10 p. C. in Neuseeland) verrathen möchte. Alle diese Blendungen auf nur zwei Sippen zurückzuführen, wie dieses der geist- reiche v. Baer I. c. that, hiesse die Natur auf das Prokrustes- Bett unsers Systemes spannen! 6 Prof, Mayer: sirten Völkern nicht selten. Ich habe einen Mitschüler ge- kannt, welcher besonderes Talent für theosophische Studien hatte, bei welchem die Augenbrauenbogen weit über das fromme Gesicht vorsprangen. An dem Portrait von Theo- phrastus Paracelsus (A. D. Nürnberg 1572) sieht man die Augenbrauenbogen sehr beträchtlich vortreten, freilich hier auch bei schöner orthocephaler Stirne. Ich verweise noch auf die vielen Beispiele von starker Entwickelung der obern Orbitalbogen, welche Prof. Schaafhausen selbst angeführt hat, und füge nur noch hinzu, dass der Urheber der verglei- chenden Schädellehre der Völker, Blumenbach, ausser an- dern Beispielen hiervon, Tab. XXII Decadum suarum den Schädel eines Sarmata Lituani abbildet, wovon er sagt: sinu- bus frontalibus praesertim ad glabellam horride prominen- tibus; auch an einem Kalmukken-Schädel Tab. XIV treten die Augenbrauenbogen sehr hervor. Unter den Schädeln der von mir geschaffenen craniologischen Sammlung des anato- _ mischen Museums zu Bonn befinden sich mehre solche, deren Stirnhöhlen eine Breite von 7!/,"' bis 7:/,'" besitzen, wie auch die Breite der Stirnhöhlen des Neandercraniums nach meiner Messung nicht mehr als 7!/,‘' beträgt. Ueberhaupt spricht sich die Beobachtung in Betreff der Arcus und Sinus supraorbitales der Rassenschädel gegen die Annahme, dass diese Arcus der Ausdruck niederer thierischer Bildung seien, und vielmehr dahin aus, dass dieselben an Schädeln der kau- kasischen Rasse häufiger und grösser, ebenso doch seltener bei der mongolischen Rasse, noch seltener bei der äthiopi- ' schen angetroffen werden, dass sie endlich dem Austral-Ne- ger zwar nicht fehlen, jedoch nur an wenigen Schädeln sich ‚zeigen. Vide: Sandifort Cranium Judae et Turcae, Cranium Chinensis, Cranium Aethiopis et Boschjesmanni. Wenn Caesar von den germanischen Kriegern sagt, dass die römischen Soldaten die vultus atroces derselben nicht zu ertragen ver- mochten, so reicht dieses Beispiel nicht sehr weit zurück, um für ein grosses Alterthum unsers Craniums beweisend zu sein und werden die Teutonen wohl ihre Bullenbeisser, wie die kleinen Römer ihre Prätorianer, im Kampfe vorangestellt Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s.w. 7 haben. Was den alten germanischen Schädel insbesondere betrifft, so muss ich meine grosse Schüchternheit bekennen, jeden bei uns aufgegrabenen Schädel deshalb für einen ger- manischen zu erklären und tröste mich in dieser "Beziehung mit dem Meister Blumenbach, welcher selbst von sich sagt: per Germaniam inde a Uimbricis tumulis ad austriacos et a Rhenanis ad Lusaticos usque satis magnam copiam huius- modi reliquiarum erutam colligendi occasionem datam esse, und hinzufügt: Quamquam enim nemo dubitaverit exstitisse etiam inter veteres Germanos passim aeque ac inter hodier- nos, et plerasque alias gentes individua vulgarem staturam popularium suorum mire superantia, adeo rara tamen et tunc fuisse ex modo dictis apparet, ut ad exceptiones quod aiunt regulam potius confirmantes pertineant (l. ec. Tab. LXT, pag.5). Ich darf hinzufügen, dass bekanntlich Gall in diese Arcus superciliares respective in die dahinter liegenden Gyri cerebri die Organe des Ortsinnes und in die Wölbungen mehr nach auswärts die Organe des Personensinnes, Farbensinnes und Zahlensinnes verlegt, und zwar vermöge seiner Beobachtun- gen an verschiedenen Individuen. Niemand wird aber dem genialen Manne Scharfsichtigkeit hierbei abzusprechen wagen, und ist die empirische Basis seines Systemes der grössten Aufmerksamkeit werth, wenngleich die detaillirten psycholo- gischen Organe so zu sagen nur disjecta membra mentis sind. — Die dem Arcus superciliaris entsprechende Wölbung der innern Lamelle des Stirnbeins, resp. die Impressio digitata daselbst habe ich meistens angetroffen und findet letztere auch bei unserm fossilen Cranium statt. Es folgt nun aus diesen Expositionen, dass wohl die Crista supraorbitalis, welche hier ja fehlt, aber nicht die Wölbung der Sinus frontales als Zei- chen eines niedern oder affenähnlichen, eynocephalen Schä- deltypus zu halten sei. Dazu kommt nun ferner: dass wir über die Bestimmung der Stirnhöhlen, sowie über die mit ihnen verbundenen und isolirten Diplo&-Höhlen des Schädels der Menschen und der Thiere noch ganz in Ungewissheit sind. Wozu mögen sie dienen? Die Sinus frontales tragen Nichts zur Verstärkung der Geruchsempfindung bei, da in 8 Prof, Mayer; sie eindringende Luft sogleich Reizung hervorbringt und nach Richerand’s Versuchen in sie eingespritzte Riechstofte keine Geruchsempfindung hervorrufen. Was die Cellulae mastoideae betrifft, so genügt zum Wechsel der Luft, — durch die unwill- kürlich auf- und zuklappende Eustachische Trompete (man kann dieses bisweilen deutlich fühlen) — die Trommelhöhle allein, und jene oft so grossen Zellen sind hiezu unnöthig, denn es dringt der ausgeathmete Luftstoss nicht so weit. Dass diese Knochen-Binnenzellen bei den Vögeln das Ge- wicht des Skeletes erleichtern und so den Flug begünstigen, bei den Oetaceen und den grossen Sauriern das Schwimmen im Wasser mit ermöglichen, ist für sich klar. Es braucht auch nicht die eingeathmete Luft aus den Lungen, wie bei den Vögeln grösstentheils, in diese Knochenhöhlen zu treten, sondern der in ihnen vorhandene seröse Dunst ist hiezu schon förderlich. Auch bei den grössern Säugethieren mögen sie, namentlich bei den Belluae das specifische Gewicht des Schä- dels mindern und dessen Beweglichkeit fördern. Vielleicht gilt dieses auch in Etwas vom Menschen, um das Gewicht und den Druck dicker Knochenmasse des Schädels auf das Gehirn zu verhindern, und die Hebung der einen Lamelle der Kopfknochen, durch die Diplo der Sinus frontales, die oft hoch hinauf reichen, und der Sinus occipitales zu erleich- tern. Endlich liegt hierbei auch ein physiognomisches Mo- ment zu Grunde, indem diese Sinus dem Schädel beim Men- schen und Thiere einen specifischen Ausdruck ertheilen und ihm einen eigenthümlichen Charakter verleihen. Um nur beim Menschen stehen zu bleiben, ist ein Sinus jugalis beim ma- layischen und mongolischen Schädel entwickelt vorhanden (s. Mayer über einen Sinus jugalis im Organ der Heilkunde Bd.I, H, 1), der Sinus maxillaris hoch und weit beim kau- kasischen, und sind die Sinus ethmoidales gross beim äthio- pischen Craninm. Es tragen vielmehr diese Sinus zur Schön- heit und zum Adel des Kopfes bei. Man betrachte nur die wunderschöne Wölbung des Schädels des asiatischen Ele- phanten gegen den flachen Kopf des afrikanischen. Auch beim Menschen erhöht er die Stirne, den Gesichtswinkel Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl, Schädels u,s.w. 9 (besser Stirnwinkel), wenn auch nur äusserlich und schein- bar; doch folgt ihm oft der der innern Lamelle. Aber, sagt man, bei unserm fossilen Cranium weicht ‘die Stirne bedeutend zurück. Dieses ist, eine kurze Wölbung abgerechnet, richtig; es wird jedoch dieses Zurücksinken der Stirne durch die grosse Wölbung des Hinterkopfes wieder compensirt. Dass aber eine nicht unbeträchtliche Massen- entwickelung des Gehirns hier vorliege, ergiebt sich aus dem muthmasslichen Kubikinhalte der nur wenig noch zu ergän- zenden Schädelhöhle, welche Prof. Schaafhausen auf 31 Unzen Medicinal-Gewicht berechnet. Bei meinen Messungen von Schädeln Kkaukasischer Form traf ich auf mehre von 32 Unzen Medicinal-Gewicht. Nicht unbeträchtlich darf man die Capaeität unseres Schädels nennen, wenn nach Morton die Capaecität des Schädels beim Neger das Minimum auf 65, beim Inder auf 67 und selbst beim kaukasischen Schädel auf 84 Kubikzoll herabsinken kann. Auch erregte diese grosse Ca- pacität des Neanderthal-Schädels bei dem berühmten Lyell einiges Bedenken (s. Antiquity of Man). Dass man übrigens auch auf die Capacität der Schädelhöhle nur ein relatives Gewicht in Beziehung auf Intelligenz- oder Cultur-Stoffe le- gen dürfe, lehren diese und wiederholte ältere und neuere (R. Wagner) Messungen. So fand auch Morton, dass der wilde Irokese (mit einer Schädelcapaeität von 103 Kubikzoll) und überhaupt der wilde Amerikaner den cultivirtern Tolteken (mit 77 Kubikzoll) hierin weit übertreffe !)! 1) Ich habe in einer früheren Abhandlung über Cephalometrie (in diesem Archiv 1863 Heft 1) drei Grundformen der Schädel für die drei Hauptrassen des Menschengeschlechtes angenommen. Die Eintheilung von Retzius in dolichocephale und brachycephale Schädel ist zu be- schränkt und mengt letztere Form kaukasische und mongolische Schädel untereinander. Nur eine Eintheilung nach allen drei Dimensionen des Schädels ist zureichend und auf die Entwickelung des Gehirns nach seiner Expansion im Schädel basirt. Ich habe aber noch den Durch- messer der Höhe und Breite in drei besondere Maasse zerfallen lassen, während ich den Längendurchmesser im Ganzen als einheitlichen an- nahm und glaube durch solche sieben Hauptmaasse die drei Haupt- rassen mit ihren Unterrassen, der malayischen und amerikanischen 10 Prof. Mayer: Ich führe alle diese Thatsachen nur an um zur Vorsicht zu mahnen, unsern Schädel geradezu wegen dieser seiner anatomischen Charaktere als einen auf der niedrigsten Stufe eraniologischer Entwickelung stehenden zu erklären. Rasse, so wie die verschiedenen grossen Völkerstämme in Beziehung auf Schädeltypns charakterisirt und geschieden zu haben. Es spricht sich in dieser Eintheilung der Rassen nach der Schädelform der Grad und die Varietät der Iutelligenz derselben aus. Insofern kann sie als eine Eintheilung nach dem Wesentlichen der Charakteristik des Men- schen angesehen werden. Es bleiben aber noch die Charaktere des Gesichtstheiles des Schädels, welche, insofern sie conform mit denen des Schädels sind und mit dieser parallel laufen, auch von mir gleich- lautend dreifach abgetheilt wurden und sodann die Charaktere, welche sich im ganzen Körperbau aussprechen, hinzuzufügen, um eine totale Charakteristik einer Menschenrasse zu gewinnen. Hier tritt nun die Degradation der Intelligenz, in Bildungen oder Charakteren, durch _ welche wir dem Typus der Thiere näher rücken, noch deutlicher zu Tage. So ist der Neger nicht blos dadurch ein eigner Typus, dass sein Schädel dolichocephal und sein Gesicht prognath ist, Cranium ob- longum, compressum (ich fand einmal bei einem Mozambique - Neger (zu Paris) das Schläfenschuppenbein eigentlich concav), depressum, son- dern seine Augenhöhle ist kleiner, seine Choanae und Highmorhöhlen enger, die Nasenöffnungen ausgehöhlt, der Zahnrand des Ober- kiefers gewölbt, das Kinn zurückweichend, der Winkel des Unterkie- fers grösser, sein aufsteigender Ast kürzer. Die Arme des Negers sind länger, die Brust ist schmäler, die Beckenöffnung enger, die tubera ischii schwächer, das Heiligbein schmäler, die Beine sind kürzer, Ge- säss und Waden verkümmert, die Ferse hervorstehend, der Plattfuss gekrümmt. So beim Neger zareSoy)v, am deutlichsten beim Negrillo. In jeder Rasse spiegeln sich aber die andern Rassen ab und so in ab- nehmenden Brüchen, in jedem Volksstamm der andere, in jedem Tri- bus die andern bis zu der Familie“) herab, in welchen verschiedenen Familien die ersten Menschen auf der Erde auftraten. Da sich aber das Gesetz der unbeschränkten Mannichfaltigkeit der Formen in der Natur auch in der Sphäre der Menschen-Bildung manifestirt, so kom- men zu diesen Rassencharakteren in der Gliederung des Menschen - Geschlechtes noch andere, welche von den Rassen bis zu den Familıen herabreichen, entnommen von der Verschiedenheit und dem relativen Vorwalten der festen, weichen und flüssigen Theile des Körpers unter- einander, wodurch nach der Constitution oder dem Vorwalten des *) 'Der Name Familie wird in unsern zoologischen Systemen un- richtig für den der Unterordnung gebraucht, indem die Familie ja das letzte Glied der Eintheilung des Menschengenus ist. Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl, Schädels u, s. w. |] Ich muss nun hierbei zugleich einer vorgefassten Meinung entgegen treten, als seien die Menschen der ersten Schöpfungs- periode auf einer tiefen Scala der Intelligenz gestanden und ihre Schädel müssten einen mehr thierischen, pithekoiden Typus zeigen. Die Traditionen aller eultivirten Völker, der Griechen, Israeliten, Aegypter, Hindus und der Chinesen nehmen dagegen eine Abstammung des Menschengeschlechts von göttlichen Vorfahren an. Aber davon abgesehen, darf man die göttliche Allmacht oder, wenn man will, die Macht der Natura naturans nicht willkürlich beschränken und zur Hervorbringung der Mannichfaltigkeit der Geschöpfe Aeonen ohne Ende und ersonnene Zufälligkeiten annehmen, wie die der Darwinischen') natürlichen Züchtung und wie die des Nervensystemes sensibler oder zarter, nach dem des Muskelsystemes kräftiger, irritabler, nach dem des Zell- und Knochensystemes grosser Körperbau zu Tage tritt. Das Temperament des Menschen als Aus- druck der Crasis der flüssigen Theile des Körpers schliesst sich an die Formen der Constitution an und ist seusibles, irritables und phlegma- tisches Temperament. Alle diese verschiedenen Charaktere sind aber als unwesentliche anzusehen, begründen keinen Rassenunterschied und sind daher nur bei Charakterisirung der einzelnen Fractionen der Rassentypen zu verwerthen. 1) Uebrigens ist die Theorie Darwins, insofern sie eine successive oder progressive Schöpfung der Thierwelt annimmt, keine neue, sondern ist schon von ältern und neuern Naturforschern aufgestellt worden. Nur trägt diese Theorie bei denselben einen mehr wissenschaftlichen Character, indem sie alle Zufälligkeiten ausschliesst und ausschliessen muss. Wenn Darwin etwa durch zufällige Kahlhäutigkeit eines Go- rilla, woran sein Weibchen Geschmack findet (natürliche Zuchtwahl), ein Geschmack, welcher sich als noble Passion forterbt, die Metamor- phose des Gorillas in ein Menschenkind entstehen lässt, so würden dem Naturforscher jene Kahlhäutigkeit und selbst der Geschmack des Go- rillaweibchens daran nicht als Zufälligkeiten sondern als nothwendige Momente in dem nisus progressivus der Natura naturans erscheinen. Unter den neuern Naturforschern, welche sich für eine progressive Schöpfung oder für eine Evolution der höhern Thiere aus den niedern aussprachen, nenne ich nur G. R. Treviranus, welcher in seiner trefflichen Biologie Band I sagt: „Die (seine) Lebensmaterie habe beim Entstehen der organischen Wesen einen solchen hohen Grad von Evo- lutionskraft besessen, dass aus ihr die ganze Thierreihe vom Infusorium > Prof. Mayer: Wärme- und Witterungs-Wechsels, wodurch z. B die Giraffe ihren langen Hals u. s. f. erhalten hätte, da im Begriffe jener Allmacht vielmehr der der unbegränzten Productivität liegt. So wenig als Sus Scrofa durch zufällige Verlängerung des Rüssels etwa wegen tieferer Pfütze oder durch aristokra- tische, den Thieren angesonnene, natürliche Zuchtauswahl zum Tapir und dieser zum Elephanten geworden, eben so wenig der Ai zum Orang-Outang und dieser zum Menschen! Unsere fossilen osteologischen Funde haben auch solchen Pi- thekoid- und Negroid-Typus gar nicht bewiesen! Die Schädel, welche man in den Höhlen von Engenohl und Chavaux an der Maas mit Knochen antediluvialer Thiere fand, sind blos negroide Formen, wie sie heute noch vorkommen und, da man Holzkohlen und Reste der Knochen verzehrter Haus- bis zum Menschen entsprossen sei; es sei kein Gegengrund gegen diese Ansicht, dass solche Evolution nicht mehr statt habe, wenn sie An- fangs der Schöpfung sich gezeigt habe. Es fände jedoch solche noch jetzt, aber nur im niedern Reiche der Infusorien statt, bei welchen wir eine allmähliche Metamorphose niederer Formen in höhere (wohl nur in sehr beschränkten Gränzen! M.) wahrnehmen könnten.“ Es ist diese Ansicht kein erwiesener Lehrsatz der Physiologie, sondern vielmehr ein blosses Postulat derselben. Man vergleiche auch: White of Man pag. 125: the species of animals vegetables and minerals might be ex- spected to be very different, from what they weıe one or two thou- sand years ago“ und Tauscher: Idee einer fortgesetzten Schöpfung aus organischen Urformen $. 42 u. s. f. Chemritz 1818. Bei der Prüfung der Darwin’schen Theorie ist stets daran zu erinnern, dass unser Verstand die Gattungen und Arten (so wie auch die Ordnungen und Classen) der organischen Wesen bildet und die Natur überall seine Unterschiede wieder theilweise vernichtet und durch Uebergänge aus- gleicht. Daher kömmt es, dass der frühere Naturforscher in der Fauna oder Flora eines Landes nur Arten und Varietäten sieht, während der spätere bei weitern Entdeckungen die Letztern für Subspecies oder Nebenarien oder selbst Arten hält. Die Stufe der Subspecies, Unter- art, scheint in Darwins System gänzlich zu fehlen und hebt er ja selbst den Unterschied von Art und Varietät mit seinen eignen Worten auf, wodurch alle naturbhistorische Logik unmöglich wird. Am tref- fendsten scheint mir in England ein eminenter Ethnologe und Meteo- rolog, Admiral Fitzroy, sich ganz kurz gegen Darwin’s Lehre aus- gesprochen zu haben, worauf ich bei einer andern Gelegenheit zurück- kommen werde. Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s. w. 13 thiere dabei fand, sehr spät erst eingeschleppt. (S. Mayer in d. Sitzungsber. der niederrhein. Gesellschaft 1858.) Die Schädel der Pfahlbauten der Schweiz zeigen den jetzigen helvetischen Typus, die fossilen Schädel der Höhlen von Bra- silien den heutigen amerikanischen Typus, ebenso die der ältesten Grabhügel (Mounts) von Nordamerika. Wilson fand in präceltischen Gräbern auch einen Schädel von kaukasischer Form. In dem Grabe von Schwaan in Meklenburg fand sich eine Reihe von acht Schädeln, wovon einer ein nieder- liegendes Stirnbein zeigte, darüber lag aber ein Schädel mit kaukasischem Typus (Schaafhausen |. c. 5.22), wahrschein- lich ein Hunnengrab, Hunnenschädel des 2ten Zuges der Hun- nen, der durch Meklenburg ging, mit ihrem Chef, einem Ava- ren, die ich für einen kaukasischen Stamm anspreche. Auch Eschricht spricht von der kaukasischen Form (80° Gesichts- winkel), der Schädel aus ältern Gräbern Dänemarks. Was nun nach mir den Rassentypus unseres Feldhoferhöhlen- Schädels betrifft, so ist derselbe nach der allgemeinen Norm (s.oben), wonach die drei Grundformen in den Dimensionen der Höhe, Breite und Länge des Schädels sich aussprechen, die drei Hauptrassen des Menschengeschlechtes repräsentirend; somit der kaukasische Schädel als orthocephal, der mongoli- sche als eurocephal, der äthiopische als dolichocephal sich zeichnet, als ein Schädel von gemischter Form und wegen der beträchtlichen hintern Breite der Schädelhöhle von 5 Zoll, als dolicho-eurocephal oder als eine negroid-mongolische Blen- dung zu betrachten. Sein Längendurchmesser ist 7 Zoll 9 Linien, der vordere Querdurchmesser 3 Zoll 9 Linien, der hintere 5 Zoll, die Höhe 3 Zoll 6 Linien (wahrscheinlich)! Nach Prof. Schaafhausen’s Messung verhielte sich die hintere Breite der Schädelhöhle zur Länge derselben selbst wie 2°/,; Zoll : 3 Zoll. Was das Lebensalter unseres Höhlenschädels betrifft, so mag aus den verwachsenen Näthen zu urtheilen, dasselbe etwas über 50 Jahre betragen. Ausser dem Schädel sind, wie angegeben, noch mehrere einzelne Knochen des Skeletes gefunden, andere leider aus 14 | Prof. Mayer: Unkenntniss des Fundes weggeworfen worden. Ich glaube diesem Rest des Rumpfes und insbesondere dem patholo- gischen Zustande einiger derselben noch eine besondere Aufmerksamkeit widmen zu müssen. Diese noch vorfindli- chen Knochen sind: Zwei Oberschenkelbeine, ein rechtes Oberarmbein, ein verstümmeltes linkes Oberarmbein, ein rechter Radius und das Gelenkende seiner Ulna, eine linke Ulna krankhaft verkümmert, ein Fragment vom rechten Schul- terblatt, das rechte Schlüsselbein, fünf Rippenbruchstücke und ein linkes Darmbein. In Betreff der Maasse dieser Kno- chen vergleiche man Schaafhausen I. ce. 8.5. Das (linke) Darmbein besitzt nur mehr einen Theil des os ilium, welcher oben beschädigt ist. Die Spina anterior superior desselben ist stark, ebenso seine Crista, die Grube des Darmbeins tief, die Linea innominata vorspringend; das os pubis fehlt grösstentheils, das Acetabulum ist geräumig, die Ineisura ischiadica major gross, aber schmal, die Incisura ischiadica minor und ihre Spina nicht mehr vorhanden, die Tuberositas ossis ischii ist sonderbarer Weise aufwärts vor- wärts und einwärts gedreht, dabei mässig stark. Die beiden Oberschenkelbeine sind gleichmässig gebildet, gegen 17 Zoll, also mittelmässig lang, stark, dick und schwer. Sie sind beide nach vorwärts convex gebogen und unten etwas ein- wärts gedreht. Diese Biegung ist nicht normal, und bemerkt man sie wie auch die erwähnte Einwärtsbiegung der tubero- sitales ossis ischi, bei Männern, welche von früher Jugend an als Reiter herangewachsen sind. Der Winkel des fe- mur beträgt 110°, sein condylus ist stark, ebenso der tro- ehanter major et minor, die Crista glutaeorum scharf, der Condylus internus genu vortretend und beide tubera dieser condyli stark. Das rechte Oberarmbein ist 11 Zoll 9 Linien lang, etwas an der obern Hälfte gekrümmt; es ist fest und schwer, aber normal, das Tuberculum maj. et minus und die Linea aspera sind stark vortretend, ebenso der Oondylus in- ternus extensorius und die Trochlea nach Unten; die Fossa ant. major et minor, so wie besonders die Fossa posterior am untern Gelenkende tief. Von der Ulna dextra ist blos Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s. w. 15 das obere Drittheil erhalten. Dieses ist nach hinten convex; Oberarm und Processus coronoides sind normal, die Fossa sigmoidea et semilunaris ebenfalls. Der Radius würde daher, wenn er ganz wäre, 10!/, Zoll betragen. „ Die Knochen des linken Armes zeigen aber einen merkwürdigen Zustand. Vom Humerus sinister ist leider nur das mittlere und untere Drit- theill da. Dieses ist dünner als am rechten Humerus, die Linea aspera jedoch stark, dagegen der Condylus externus et internus im Brachialende schwächer. Die Trochlea ist nach vorn knorrig aufgetrieben, nach hinten scharf gerandet, der Processus capitatus zwar klein, aber ebenfalls rauh und knorrig, Die Fovea anterior humeri major ist breit und gross. Die Fovea minor fast platt. Die Fovea posterior besonders tief und breit. Der Radius sinister fehlt, er kann aber nur $ Zoll 4 Linien betragen haben. Die ganz vorhandene Ulna ist nämlich nur 9 Zoll lang, also um 1'/, Zoll verkürzt, in- dem sie, wenn normal, 10'/, Zoll lang sein dürfte. Ihr Ole- kranon ist sehr grols, dick und knorrig, ihre vier Gelenk- eindrücke sind ungleich und der Processus coronoides stark vortretend. Die Fovea semilunaris für das Capitulum radii nur undeutlich. Die ganze Ulna ist ihrer Länge nach ver- dreht, so dass eine fixe Pronation des Vorderarms stattfand, der Radius vorwärts, die Ulna auswärts zu stehen kam. Die Extremitas carpalis ulnae zeigte nichts Unregelmässiges. Von den übrigen Knochen erwähne ich noch ein Bruch- stück des Schulterblattes und des rechten Schlüsselbeines, so wie fünf Rippenfragmente, vier der rechten Seite, eines der linken, wovon drei dicker aufgetrieben und mehr abgerundet als gewöhnlich sind, aber sonst den andern ähnlich sich ver- halten und nicht wohl für Thier-(Bären-)Rippen zu halten sind. Es ist also hier eine Missbildung des linken Vorderarms vorhanden, mit Verkürzung seiner beiden Knochen, Verkrüm- ' mung und krankhafter Knochenwucherung des ganzen Ellen- bogengelenkes, den humerus und die Ulna besonders betref- fend. Diese Knochen sind dabei zugleich gebogen und mehr oder minder verdreht. Dieselbe nicht normale Biegung be- merkt man am Oberschenkelbein und die Aufgetriebenheit 16 Prof. Mayer: zeigen selbst einige Rippen. Es ist hier, sowie im mindern Grade und vorzugsweise local am linken Vorderarm, eine Verkrümmung vorhanden, wie wir sie so häufig am ganzen Skelete Erwachsener in unsere pathologischen Museen finden, verbunden aber mit einer wirklichen defectiven Missbildung der verkürzten Knochen des linken Vorderarms. Jener Zu- stand von Verkrümmung der Knochen des Skeletes Erwach- sener ist, mit Ausschluss der eigentlichen Missbildung dabei, Folge früherer Osteomalacie oder Rhachitis infantium, aus angeerbtem Krankheitsstoff oder Aufenthalt in feuchter Woh- nung und bei Kartoffelnahrung verursacht, welche Knochen- erweichung später durch eine mit dem Wachsthum kräftiger eintretende Knochenerde-Ablagerung gehoben, worauf die verkrümmten Knochen fest uud hart geworden sind. Zahl- reich sind diese Fälle von Rhachitis adultorum. Dafs auch bei fossilen Thierknochen in Folge des langen Aufenthaltes in Stalaktithöhlen rhachitische Knochenwuche- rungen vorkommen, haben von den Knochen von Ursus spe- laeus v. Walther und ich (mit Abbildungen V. Act. Acad. Leo- pold 1854) gezeigt. In unserm Falle des Menschenskeletes ist aber zugleich eine Missbildung zugegen. Wäre dieses das Skelet des ältesten Menschen, so wäre der älteste Mensch eine Missbildung, und es hätten vorfluthlich schon missge- bildete Menschen, wie heute noch existirt, was den Anhängern der Lehre der Abstammung des Menschengeschlechtes von den Affen, die ja häufig rhachitischer Knochenauftreibung unterlie- gen, willkommen sein könnte. Sollten nun auch einmal Schädel von andern krankhaften Missbildungen sich finden, z. B. von Cagots, Cretins (wovon ich die merkwürdigsten und affen- 'ähnlichsten wohl in dem naturhistor. Museum zu Stuttgart gesehen habe), wie sie jetzt noch vorkommen und wovon die neulich zu uns gekommenen Azteken den Beweis für das noch Vorkommen in den Gebirgsthälern Mexikos liefern (s. m. Abh, in den Verhandl. des naturhistor. Vereins 1857); und ist auch wohl kein Zweifel zu erheben, dafs solche Cretin- Schädel nicht noch unter denen der (frühesten) Pfahlbauern am Wallis-Ende des Lemanersees gefunden werden dürften: Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u.s. w. ]7 — so würden die Pithekophilen wohl ausrufen, jetzt haben wir den Affen-Urahn des Menschen entdeckt, Ecce Homo Simius diluvii testis, wie einst Scheuchzer bei Ansicht des Salamanderskeletes von Oeningen ausrief, das ja consequent nach Darwin fortgeschlossen als Vorgänger der Pfahlbauten - Autochthonen des Zürcher- und Bodensees betrachtet werden müsste. Ich bin somit schliesslich weder für die nicht zu erwei- sende Affenähnlichkeit unseres fossilen Schädels (und Ske- letes) noch für eine sehr tief stehende bis zum Negertypus herabreichende Rassenbildung desselben; ich unterlasse die Folgerungen, welche aus anatomischen Daten für das hohe Alter des Fundes, am wenigsten für das älteste angeführt wer- den, und stelle die Frage über das Alter dieses fossilen Fun- des noch als offen hin, bis sich andere Beweise für ein so- genanntes antediluvianisches Alter vorfinden, wozu nament- lich das Auffinden von Knochen von grossen Säugethieren, wie sie in den devonischen Kalkhöhlen des nachbarlichen Westphalens angehäuft getroffen wurden, gehört. Ich muss zusätzlich gestehen, dass ich den Schädel eines Bewohners der Inseln des Zuydersees, welchen Blumenbach in s. Dec. ultima LXII als den eines Batavi genuini abbildet, mit niederliegender Stirn, hervorragenden Augenbrauenbogen, sehr deprimirtem Scheitel, gebogenem Oberkiefer u. s. f. für viel näher stehend einer niederen Rassen- oder Thierbildung halte, als unsern Feldhoferhöhlen -Schädel. Sehr wünschte ich die gewichtige Stimme des Geh. Hofrathes R. Wagner über diesen und die zwei andern ähnlich geformten (?) sog. Bataver-Schädel zu vernehmen, da ich leider früher nicht die Wichtigkeit dieses Schädels gebührend in’s Auge gefasst habe. Ich habe zwar früher deshalb an meine Freunde in Amster- dam geschrieben aber zur Antwort erhalten, dass sich solche Schädelformen auf den Inseln in dem Zuydersee, von woher der Schädel LXIII der Dekaden Blumenbachs stammen soll, nicht auffinden lassen. Wenn aber die anatomischen Charaktere des vorliegenden Schädelfragmentes und der übrigen Knochenbruchstücke noch Reichert's u. du Bois-Reymond’'s Archiv. 1864. 2 18 Prof. Mayer: nicht einen vollgültigen Beweis dafür liefern, dass dieselben als fossile Ueberreste der ältesten oder ersten Bewohner Eu- ropas angesehen werden müssten, so sind es vielleicht die physikalischen Charaktere derselben, die sie mit andern fos- silen Knochen und namentlich mit denen der in andern Höhlen des devonischen Kalksteins der Nachbarländer, insbesondere Westphalens, aufgefundenen sog. antediluvianischen Thiere gemein haben, welche für ein gleich hohes Alter mit diesen sprechen. Diese physikalischen Charaktere sind: die schon erwähnte Festigkeit, Härte und Schwere der Knochen, na- mentlich die der Röhrenknochen, ferner die Glätte und braune Farbe, insbesondere die auf dem Oberschenkelbein vorfind- lichen Mangan - Eisen - Dendriten. Auf Letztere habe ich zuerst aufmerksam gemacht und bemerkt, dafs ich selbe an den fossilen Knochen von Ursus spelaeus, Elephas primi- genius etc. der Kalksteinhöhlen von Balve und Sundwig an- getroffen habe (Sitzungsberichte April 1858). Es sind aber alle diese Eigenschaften die Folge der Umhüllung der Kno- chen durch die umgebenden eisenhaltigen Lehmschichten und des endosmotischen Eindringens der darin aufgelösten Man- ganeisentheile. Wie viel Zeit zu solchem Eindringen erfor- derlich, ob hierzu ein Jahrhundert hinreiche oder ob dazu Jahrtausende nöthig sind — wir könnten zum Ueberflusse gegen 7000—8000 Jahre bis zum traditionellen Auftreten des ersten Menschen zugeben (s. Mayer, Aegyptens Vorzeit und Chronologie Bonn 1862) — ist durch Beobachtung noch nicht festgestellt. Dass solche Krystallisationen sich sehr bald auf der Oberfläche von Stein, Knochen, Holz bilden — sie fin- den sich in Menge zwischen den Lamellen des Thon- oder Lössschiefers — ist für sich klar; aber ihr Eindringen durch und in die Knochenmasse und die Sideritisirung dieser er- fordert wohl eine geraume Zeit, und eine längere, als Herr von Meyer zugiebt, welcher solche Dendriten auf kaum Jahr altem Papier entstehen gesehen haben will. Aber welche Zeit- periode? Darüber mögen nur sorgfältige Beobachtungen an fossilen Knochen in gleicher Umhüllung entscheiden können. Wir haben aber nun noch die terrestrischen und geologi- Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s. w. 19 schen Verhältnisse des Vorkommens der beschriebenen Knochen in’s Auge zu fassen, welche mehr oder minder ein Licht auf ihre Fossilität zu werfen im Stande sein möchten. Leider ist jedoch die Feldhofergrotte durch den Eisenbahn-Bau ap- planirt worden und in früherer Zeit von den Geologen un- beachtet geblieben. In den benachbarten Höhlen des devoni- schen Kalksteines sind nur Thierknochen, keine Menschen- knochen gefunden worden, in unserer Feldhoferhöhle aber nur die Knochen von einem menschlichen Skelet. Es er- zählten nämlich die Arbeiter, welche die Lehmschichten der Höhle wegschafften, dass sämmtliche Knochen eines Menschen in ihrer natürlichen Stellung beisammen lagen und theilweise verschleudert wurden. Sie lagen in dem Lehmbett blos 2 Fuss, nicht wie Prof. Schaafhausen angab (I. c. S.8) 4—5 Fuss tief unter der Oberfläche desselben begraben. Dieses Lehm- lager reichte noch 6 Fuss bis auf den Boden herab. Es ent- hielt, wie die Lösslager des Bodens der Nachbarschaft, Horn- steingerölle in nicht grolser Zahl. Die kleinere der Feld- hofergrotten, worin das Skelet lag, besass nur eine Höhe von 3 Fuss. Ich beziehe mich in Betreff des Details der Loca- lität dieser Grotte auf die Beschreibung derselben durch Prof. Fuhlrott, dessen wissenschaftlichen Eifer wir die Rettung des interessanten Fundes verdanken, wie solche vor der Ap- planirung der Localität bei dem spätern Eisenbahnbau be- schaffen war, und hebe nur ein Paar Puncte daraus hervor, welche sich auf die Frage, auf welche Weise das vorgefun- dene menschliche Skelet in die Höhle gelangt sein möchte, beziehen und darüber sowie über die damit verbundene Frage nach dem Alter des Fundes vielleicht Licht verbreiten könn- ten. Leider mangeln uns, wie gesagt, die wichtigsten und entscheidendsten geologischen Thatsachen über diese Höhle und darüber, ob das Lehmlager mit dem der westphälischen Grotten übereinstimme, ob nicht Thierknochen verschleudert wurden, ob der Lehm animalische Materie enthielt u.s.f. Wir können wohl annehmen, dafs die weichen und fleischigen Theile dieses Menschenkörpers, früher oberflächlich auf dem Lösslager lie- gend, durch Luft und einströmendes Wasser zersetzt und fau- 9% 20 Prof. Mayer: lend aufgelöst weggeschwenimt, theils so in die untern Schich- ten des Lehmes eingedrungen sind, so dass sich später nur das Skelet erhielt" Dass die Gewalt der Strömung des ein- dringenden Wassers keine beträchtliche war, geht schon dar- aus hervor, dass das Skelet in seiner Stellung nicht gestört wurde, dass dasselbe immer etwa 1—2 Fuss unterhalb dem Wasserlehmspiegel der Höhle, welcher mit dem untern Rande der Eingangsöffnung der Höhle im Niveau lag, vermöge seines Gewichtes verbleiben konnte. Wenn überhaupt nach dem Ge- sagten dieser Menschenkörper von Aussen in die Höhle ge- langte, so konnte dieses entweder lebend als Troglodyte, als armer verwahrloster Mensch oder als Flüchtling geschehen — wie ja auch später der fanatisch verfolgte Neander in den Höhlen gegenüber — oder 2) er konnte darin von sei- nen Mitmenschen begraben worden sein oder 3) durch Wasser- fluthen in die Höhle geschwemmt worden sein. Von diesen drei Fällen ist der dritte nicht wohl zulässig. Es befand sich nämlich unsere betreffende kleinere Feldhoferhöhle an der senkrechten Felsenwand des Thal-Bettes der Düssel in einer Höhe von 60 Fuss über dieser, mit einer nach Norden ge- richteten, nur 2 Fuss hohen bogenförmigen Oeffnung, vor welcher ein nur schmales Plateau lag, wie dieses aus der Be- schreibung der Localität, welche Prof. Fuhlrott (l. c.) ent- warf, hervorgeht. Wasserströme konnten somit nur von der abschüssigen Anhöhe, die sich über der Grotte erhob, von Süden aus und nur durch Widerschlag, da die Oeffnung der Grotte nach Norden lag, in dieselbe gelangen und den auf- gewühlten Löss dahin treiben. Unmöglich konnte also ein mit dem südlichen Wasserstrom schwimmender Menschen- körper auf solchem abschüssigen Wege der Mündung der Grotte gegenüber halt machen, sich gegen sie umwenden und durch die schmale Oeffnung eingetrieben werden. Es musste derselbe nothwendig seiner Schwere nach über das schmale Plateau in den Abgrund des Düsselthales stürzen. Die zweite Erklärungsweise, nach welcher die Feldhofer- grotte für eine uralte etwa präceltische Grabstätte gehalten würde, in welche das Individuum gebracht worden wäre, Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s. w. 91 lässt sich nicht wohl vertheidigen, indem die Gebeine anderer Leichen und die sonstigen Attribute alter Gräber hier gänz- lich fehlen. Es bleibt uns daher nur die erste Hypothese als die wahrscheinliche übrig, dass das Individuum, dem das Skelet angehörte, selbst im Leben in die Grotte hineinkroch um daselbst einen Zufluchtsort zu finden. Vielleicht also ein verwahrloster, verwilderter, verkrüppelter Mensch, eine Art wilder Peter? Die Zeit, wann es geschehen, bleibt unbe- stimmt! Das über dem Skelet befindliche Lehmlager von 2 Fuss konnte bei jeder neuen grossen Ueberschwemmung der Gegend gebildet, weggeschwemmt und wieder erneuert wer- den und liefert keinen positiven Beweis für hohes Alter. Als ich den Schädel zuerst ansichtig wurde, glaubte ich ihn unter den drei Rassen-Typen dem mongolischen Typus in seinen dolichocephalen Abarten zutheilen zu dürfen. Es kam mir diese Hypothese, — denn auf mehr will ich nicht An- spruch machen, — es möchte vielleicht der Schädel von einem Flüchtling des Heeres der Russen herrühren, welches unter General Tschernitscheff und mit Winzigerodes Kosacken mehre Monate in der Gegend von Mettmann oder in der Um- gebung des Düsselthales lagerte, um am 14. Januar 1814 über den Rhein gegen Frankreich zu ziehen. Sollte, sagte ich mir, _ der Schädel der eines (mongolischen) Kosacken sein, so müsste das Oberschenkelbein wie bei Reitern, die von Jugend auf zu Pferde leben, gebogen und etwas unten einwärts gedreht sein. Pallas (Mongol. Völkerschaften) erzählt und bildet ab, dafs die Kinder der Kalmukken sogleich auf einem Löffelstiel reitend gesetzt werden und später frühzeitig auf’s Pferd. Die Muthmaassung hat sich auch, als ich später die andern Knochen zur Ansicht erhielt (s. oben), bestätigt. Die Verkrüppelung des linken Vorderams hinderte den Kosacken nicht, den Zügel des Pferdes gehörig zu führen, und wäre der rechte Arm ja tüchtig zur Handhabung der Lanze. Ich er- wähne diese Vermuthung nur, weil man jede Möglichkeit der Erklärung in Erwägung ziehen darf, ehe man sich zur An- nahme eines Alters des Fundes von Jahrtausenden entschlielst. Auch findet sich an unserm Schädelfragment wohl mehr Aehn- 22 Prof. Mayer: lichkeit mit dem Schädel mongolischer Völkerschaften als mit dem des Affen resp. des Gorilla, welche Ansicht ich oben erhärtete, oder mit dem eines Neuseeländers, der im Durch- schnitt eine malayische Negroidform besitzt (s. oben). Es folgt nun wenigstens aus dem Gesagten, dass uns hier, nicht wie etwa bei andern Funden fossiler Knochenreste von Men- schen, keine evidente zoologische Thatsachen zur Seite ste- hen. Dass solche Thatsachen selbst aber von den berühm- testen Männern dieses Faches noch in der Schwebe gehalten werden, beweisen die neuesten Arbeiten über dieses jetzt so sehr bevorzugte Thema der Paläontologie. Und wirklich möchte eine strenge Kritik nirgends in dem Gebiete der Na- turwissenschaft nothwendiger sein, als bei der in das Dunkel der Vorzeit tief gehüllten Frage über die ersten Anfänge oder über den sog. Ursprung des Menschen - Geschlechtes. Sind doch auch die Traditionen der Völker darüber getheilt, ob man die Quellen ihres Stammbaumes von Oben oder von Unten herleiten müsse. Sehen wir jedoch auf der einen Seite von der fabelhaften Tradition der Abstammung des Menschen von einem Göttergeschlechte, auf der andern Seite von seiner vorgeblichen Abstammung vom Affengeschlecht, wofür noch kein anatomischer oder physiologischer Beweis beigebracht wurde, ab und nehmen wir als der Wahrheit gemässer an, dass der Mensch, wie er jetzt ist, eine Species singularis mit Unterarten oder Rassenunterschieden, auch als besondere Spe- cies entstanden ist und zwar in verschiedenen Rassen-Typen, in verschiedenen Untertypen der Volksstämme und zuletzt der Menschenfamilien, in welchen der Mensch auf alleu Puncten der Erde ursprünglich auftrat. Lassen wir aber auch die Märchen von fossilen Riesen-Knochen, welche Unkenntniss der vergleichenden Anatomie verschuldete, so könnte man doch Funde von Knochen erwarten, welche von einer Men- schenspecies herrührten, die mächtiger an Körper (und Geist) als die gegenwärtige war und sich zu dieser verhielt, wie der Mammuth zu unserm Elephanten als Product der von den Geologen angenommenen, durch die Riesenthiere und Riesenpflanzen der Vorwelt bezeugten gigantischen Natur- Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s. w. 93 kräfte der frühern Erdperiode, — welchem nur widerspricht, dass auch ehemals neben dem Rhinoceros tichorhinus auch das kleine Rh. minutus existirte, dass die fossilen Pferde und Ochsen sowie die Cetaceen von den gegenwärtigen Thieren derselben Genera kaum an Grösse verschieden waren u. s. f. Aber diese Erwartung und Unterstellung von zwei verschie- denen Genera oder Species hominis hat gegen sich, dass der Mensch als letztes Glied der Thier-Schöpfung und an deren Gipfelpunet nur als Einheit oder als eine Species zu Tage treten kann. Stellen wir sonach als Schlusssatz die naturwissenschaft- liche Thesis hin, dass das Menschengeschlecht in verschiede- nen Rassen-Stufen entstanden oder durch göttliche Allmacht geschaffen worden sei, wie auch die Thiere in verschiedenen Rassen, Unterarten und Arten auf der Erde erschienen sind. Ich knüpfe hier gelegentlicher Weise einige Bemerkungen über Fossilität der Menschenknochen überhaupt, oder über die Frage, ob es überhaupt fossile Menschenknochen gebe (unser Fall ist ja als ein noch zweifelhafter betrachtet wor- den), an. Den Ausspruch Cuvier’s, dass keine fossile Knochen existirten, haben neuere Beobachtungen nach ihm mehr als erschüttert. Diese sind die Erfahrungen und Beob- achtungen von Auffindung von Menschenknochen, theils ver- steinert, theils gemengt mit eigentlich fossilen antediluviani- schen Thierknochen; endlich die Entdeckungen von Werk- zeugen und Waffen menschlicher Handarbeit darunter. Zu den jüngsten fossilen Menschenknochen oder zu solchen, welche noch der Alluvialperiode der Erde angehören, darf man die Funde rechnen, welche im Meeressandstein incrustirt vorgekommen sind: als das Skelet von Guadeloupe, das von Quebeck, der Unterkiefer im Corallenfels von Florida und die Menschenknochen im Meeressandstein von Gibraltar. Für solche Incrustirungen aus den Sand- und Kalk-Niederschlägen des Meeres reicht die Alluvialzeit, welche wir auf 7000 bis 8000 Jahre setzen dürfen, vollkommen aus. Ebenso gehören die fossilen Menschenknochen, welche man in den ältesten Pfahlbauten der Seen der Schweiz aufgegraben hat, zu den 24 Prof. Mayer: jüngern fossilen Funden, oder höchstens zu denen der An- fangszeit der Alluvialperiode, weil zur Errichtung solcher Pfahlbauten schon ein bedeutendes Fallen der Gewässer und ein Aufhören der Diluvialstürme erforderlich waren. Es ver- steht sich sodann von selbst, dass die Menschenknochen der- jenigen Pfahlbauten, wobei mit jenen auch Geräthe von Bronze und Eisen vorgefunden wurden, einer viel spätern Zeit und zwar der des Phönizischen Handels von der Mündung der Rhone aus und die noch spätern der Zeit des römischen Com- merciums mit Helvetien angehören müssen. Aehnlich verhält es sich mit dem Alter der sog. Küchenabfälle an Dänemarks Küsten, deren Vorkommen schon ein zur Ruhe gekommenes Meeres-Ufer voraussetzt. Die Menschenknochen, welche man in alten Gräbern Scandinaviens vornehmlich, in den Mounts von Nord-Amerika u. s. f. vorfand, können als blos einge- grabene oder importirte Knochen, als humatile nicht als fos- sile angesehen werden. Mehre der Gräber Scandinaviens sind so oberflächlich, dass sie erst der Zeit der Völkerwan- derung n. Chr. angehören können. Andere und zwar die, worin Gegenstände von Bronze mit den Knochen gefunden wurden, reichen noch weiter zurück, etwa bis zu der Bewe- gung der Völker der Nordküste (Cimmerier) nach Süden (120—112 v. Chr.). Jedoch mögen noch früher vom Pontus Euxinus aus solche Bronzesachen durch Handel zu dem west- lichen Sarmata und von da zu den Ufern Scandinaviens (Ve- nedi) gelangt sein. Wenigstens scheint mir in der Sage der Argonautenfahrt die Andeutung solchen Weges vorzukommen. Dass noch früher phönizische Schiffe an den Gestaden Scan- dinaviens landeten und jene Bronzewaren dahin brachten, wie Nilson mit vielem Scharfsinn darzustellen sucht, dafür scheint mir selbst für die Blüthezeit phönizischer Schifffahrt kein sicher historischer Beleg zu existiren. Erst der Mas- silienser Pytheas (Anfang des 3ten Jahrhunderts v. Chr.) eröffnete dahin den Weg. Der einzige Beweis für das Vor- kommen ächt fossiler Menschenknochen liegt aber in dem Auffinden von Menschenknochen vermengt mit fossilen Kno- chen antediluvialer Fauna (mit Ausnahme offenbar später Ueber die fossilen Ueberreste eines menschl. Schädels u. s. w. 25 hinzugekommener Knochen neuerer Zeit), theils in den Kalk- steinhöhlen, theils in freien Erdlagern, sowie insbesondere noch die Entdeckung von Aexten, Beilen u.s. f. aus Flint- stein in derselben Gemeinschaft von Thierknochen in den Stalaktithöhlen von Kent, sowie insbesondere ın den Diluvial- lagern der Anhöhen des Thales der Somme, welche wir dem wissenschaftlichen Eifer von Boucher de Perthes verdan- ken, ebenso zu Hokne, Bedford und anderwärts. Es haben sich zwar bei den Ausgrabungen in der Gegend von Abbe- ville und Amiens früher keine Menschenknochen mit den Waffengeräthen vorgefunden, aber das Vorhandensein von Objeeten menschlicher Handarbeit liefert ja einen desiderirten Beweis, dass ein Menschenstamm in der Nähe gelebt und ge- wirkt habe. Es hat jedoch später in den Gallerien von Moulin Quignon ein Wallgräber einen menschlichen Unterkiefer als ausgegraben vorgezeigt, allein es ruht der Verdacht der Täu- schung auf diesem Vorgeben, wie dieses nach den Untersu- chungen an Ort und Stelle des Engländers Kreping wahr- scheinlich wird, daher auch diesem Menschenknochen der berühmte Evans ein Requiescat in pace zuruft (s. Athenaeum 1863 July). An diesem Unterkiefer aber die Charaktere einer niedern antediluvialen Menschenrasse bestimmt nachweisen zu wollen, wird keinem praktischen Anatomen einfallen; so wie auch der Gehalt an Gallert desselben keinen sicheren Schlufs auf Fossilität gestattet, auch nicht als ein Chrono- meter, wie Elie de Beaumont annimmt, betrachtet werden kann, da dieser Gehalt nach den Umhüllungen des Knochens ganz verschieden ausfällt. Es würde ausserdem, wie gesagt, das Vorhandensein eines menschlichen Unterkiefers ‘unter den Steinwaffen einen zwar wünschenswerthen aber doch nur ac- cessorischen Beweis abgeben. Da nun die Lager der Hügel des Thales der Somme, worin jene Steingeräthe in fast enormer Zahl sich vorfinden, von den meisten Geologen Frankreichs und Englands als dem Diluvium angehörend erkannt worden sind, — (die Gegenreden von El. de Beaumont, des Meisters der Geologen Frank- reichs, als seien jene Lager in späterer Zeit als depots meubles, 96 Prof. Mayer: Ueber die fossil. Ueberr. eines menschl. Schädels u.s. w. wie noch in neuer Zeit, gebildet, können höchstens für die oberflächlichen Schichten des Terrains der Anhöhen der Somme beweisend sein, aber nicht für diejenigen, wo unter den Lagern antediluvialer Thierknochen und selbst über 600 Fuss tiefer solche Steinäxte aufgefunden worden sind), — so lässt sich kaum ein Zweifel dagegen erheben, dass ein und zwar thätiger Menschenstamm gleichzeitig mit den Thieren der gefundenen Knochen gelebt habe oder auf deren Leichen- feldern noch umhergewandelt sei. Und so wurden früher oder später Menschenknochen mit denen antediluvialer Säuge- thiere hauptsächlich — jedoch fanden sich auch ein Crocodil- knochen darunter — durch atmosphärische Fluthen in wohl früher oben offnen Kalksteinhöhlen oder in Löss-Lagern zu- sammengeschwemmt. Dass hierbei Ueberstürzungen einzelner Lager bei Wiederholung der Sturmfluthen stattfanden, lehren uns die verschiedenen Lager oder Schichten des postpliocenen Bodens der grossen Thäler, welche sich nach abwärts in ana- loger Beschaffenheit wiederholen. Ich breche aber den Fa- den hier ab, um dieser Untersuchung später die erforderliche Ausdehnung und Begründung geben zu können. Dr. Ewald Hering: Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 27 Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. Von Dr. EwALD HERING, Docent der Physiologie in Leipzig. Im Jahre 1861 habe ich in einer Abhandlung über den „Ortsinn der Netzhaut“!) auf Grundlage der Identitätstheorie die noch jetzt allgemein verbreitete Annahme, dass die Rich- tungslinien zugleich die Sehrichtungen seien, angegriffen und die Theorie des binocularen Sehens und insbesondere der Seh- richtungen so entwickelt, wie sie sich als Consequenz der Identität ergiebt. Später habe ich in zwei weiteren Abhand- lungen sämmtliche bisher gegen die Identität erhobnen Ein- würfe, sowie mehrere irrige Ansichten über die Gestalt des Horopters, wie ich glaube, widerlegt, zugleich neue Metho- den zum Nachweise der identischen Stellen gegeben und den Horopter für alle möglichen Augenstellungen?) bestimmt. Seit- 1) Beiträge zur Physiologie. Leipzig bei W. Engelmann. 2) Ich habe (S. 197) im dritten Hefte meiner „Beiträge zur Phy- siologie* (Leipzig im April 1863.) eine Methode angegeben, nach wel- cher man durch eine einfache geometrische Construction für jede be- liebige Augenstellung die Gesammtheit derjenigen Netzhautpuncte fin- den kann, welche dem Horopter entsprechen, welche also den, mit- tels der Richtungslinien auf die Netzhäute projicirten Horopter dar- stellen. Die Netzhaut wurde dabei als Ebene, d. h. auf eine, die Netzhautmitte tangirende Ebene projieirt gedacht. Die Gesammtheit jener Puncte bildet bei den meisten schiefen Convergenzstellungen eine Curve, welche selbstverständlich auf beiden Netzhäuten dieselbe und zwar eine Hyperbel ist. Damit ist zugleich die Gestalt der Ho- roptercurve selbst bestimmt; denn mit zwei Projectionen dieser Curve mittels der Richtungslinien auf zwei unter bekanntem Winkel zu ein- ander geneigte Ebenen (die Netzhäute) ist die Curve selbst gegeben. 98 Dr. Ewald Hering: dem ist eine Reihe von Abhandlungen verschiedener Autoren über die Identität, die Sehrichtungen, die Augenbewegungen, den Horopter etc. erschienen und ich habe die Erfahrung ge- macht, dass in diesen Abhandlungen noch mancherlei Ansich- ten verfochten wurden, die mit der consequent durchgeführ- ten Identitätstheorie in lebhaftem Widerspruche stehen, gleich- viel ob der Autor sich dabei als Anhänger oder Gegner die- ser Theorie erklärte, und dass anderseits Thatsachen als neu und überraschend angesehen wurden, welchen als naheliegen- den Consequenzen der Identität von früheren Bearbeitern des Gegenstandes nur eine beiläufige Erwähnung geschenkt wurde. Wenn ich nun hieraus schliessen darf, dass es noch immer vielfach an einer durchdringenden Vertrautheit mit jener Theorie fehlt, obwohl eine solche auch von den Gegnern der Theorie verlangt werden kann, so ist es zu entschuldigen, dass ich hier das schon einmal ausführlicher Besprochene einer nochmaligen gedrängteren und übersichtlicheren Darstellung Zugleich wird nach dieser Methode die Curve einigermassen anschau- lich, als welche man, weil sie im Raume gewunden ist, doch auf dem Papiere nur in ihren Projectionen zeichnen kann. Neuerdings hat nun auch Helmholtz (Archiv für Ophthalmologie, Bd. IX, Abth. II, S. 159, im October 1863.) angegeben, dass er den Horopter berechnet habe. Er hat die von mir (l. c.) gemachten Angaben bestätigt; doch ist das Heft der Verhandlungen des naturwissensch. Vereins zu Heidelberg, welches seinen Vortrag enthalten soll, noch nicht erschienen, wenig- stens hier noch nicht eingetroffen. Ich glaube jedoch, dass der ge- niale Forscher für das ganze Horopterproblem eine analytische Formel gegeben haben wird, welchenfalls ich den Nichtmathematikern meine Methode, welche nur die ersten Elemente der Geometrie voraussetzt, in Erinnerung bringen wollte Ich begnügte mich mit derselben, weil der Nichtmathematiker eine analytische Formel nicht zu deuteu ver- steht, während für den Mathematiker das ganze Horopterproblem über- haupt keine Schwierigkeit hat. — Was den Horopter der Meissner’- schen Secundärstellungen betrifft, so ergaben meine Rechnungen und Versuche eine Bestätigung der von Müller und Pr&vost gemachten Angaben; für die Meissner’schen symmetrischen Tertiärstellungen fand sich die Richtigkeit einer Angabe Meissners, vorausgesetzt, dass man seine falsche Formel für die Horoptergrade corrigirt. Nie aber kann, dem Gesagten zufolge, der Horopter ein blosser Punct sein. Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 29 unterwerfe. Das grosse Gewirr scheinbar sich widersprechen- der T'hatsachen des Binocularsehens gewinnt im Lichte der consequent durchgeführten Identitätslehre eine überraschende Klarheit. Aber es sind nicht sowohl die Gegner jener Lehre, welche diese Klarheit trüben, als vielmehr diejenigen, welche die Lehre zwar im Allgemeinen anerkennen, im Besondern aber immer wieder gegen sie verstossen. Uebrigens ist wohl anzunehmen, dass die Zeit der Angriffe auf die Identität nun zu Ende ist, um so mehr, als sich neuerdings auch ein so scharfsinniger Forscher, wie Helmholtz, als Vertreter der- selben documentirt hat. Wenn ich im Folgenden nachweise, dass die Identität wirklich besteht, so halte ich deshalb doch die Hypothesen, die man zur Erklärung der Identität gemacht hat, keines- wegs für bewiesen. Ich verstehe hier unter Identität nur ein factisch gültiges Gesetz, nach welchem die Bilder beider Netzhäute localisirt werden. Die Identität der Netzhäute. Es war zunächst Bedürfniss, eine Methode zur Bestim- mung der identischen Stellen zu finden, welche exacter als die Müller’sche Methode der Druckfiguren ist. Letzteres gilt nun von zwei verschiedenen Methoden, die ich anwandte, um die Existenz und Lage identischer Stellen nachzuweisen. 1) Methode der scheinbaren Uebertragung eines Nachbildes aus einem Auge in’s andre. Erzeugt man sich in einem Auge ein beliebiges lebhaftes Nachbild, schliesst sodann das Auge und blickt mit dem andern auf eine matt- schwarze und ausserdem stark verdunkelte Fläche, so er- scheint das Nachbild des geschlossenen Auges auf dieser mit dem andern Auge fixirten Fläche und zwar genau an der Stelle, deren Netzhautbild identisch liegt mit dem Nachbilde im andern Auge. Man controlirt dies durch Marken, die man auf der dunklen Fläche anbringt. Dabei ist ganz gleich- gültig, wohin das andre (nachbildführende) Auge gerichtet ist, ob parallel oder convergent zu dem geöffneten. Hier- durch ist bewiesen, dass es für die Lage eines im Ge- 30 Dr. Ewald Hering: sichtsfelde erscheinenden Bildes gleichgültig ist, ob dasselbe auf der einen Netzhaut oder auf identischen Stellen der an- dern erzeugt wird. Untersucht man auf diese Weise mittels kreisförmiger Nach- bilder die einzelnen (um die Netzhautmitte gelegten) Parallel- kreise und mittels „linearer“ Nachbilder die durch die Netzhaut- mitte gelegten Meridiane, so kann man die „Identität“ glei- cher Parallelkreise und gleicher Meridiane (innerhalb gewisser natürlicher Grenzen) nachweisen, womit die durchgängige Identität des auf diese Weise untersuchten Netzhautgebietes dargethan ist. Man zeichne z. B. auf eine farbige Ebene mit beliebigem Radius eine nicht zu feine Kreislinie von complementärer Farbe, stelle die Ebene senkrecht zur Blickrichtung des einen, z. B. des rechten Auges, während man das andere schliesst, und fixire anhaltend und fest den Mittelpunct der Kreislinie, so dass man ein langdauerndes Nachbild der letzteren erhält. Auf einer anderen mattschwarzen Ebene deute man eine Kreis- linie von demselben Durchmesser durch einzelne Marken an und verdunkle dann die Ebene so stark, dass man diese Mar- ken, so wie ihren ebenfalls markirten Mittelpunet nur eben noch erkennt. Sobald man im rechten Auge das Nachbild erzeugt hat, schliesst man dieses Auge und blickt nun mit dem linken auf die dunkle Ebene, welcher man denselben Abstand vom linken Auge giebt, den zuvor die farbige Fläche vom rechten Auge hatte. Nach einiger Zeit sieht man das Nachbild des rechten geschlossenen Auges im Gesichtsfelde des linken Auges auftauchen. Fixirt man dabei streng den Mittelpunct des durch die Marken angedeuteten Kreises, so deckt das Nachbild diese Marken. Das im rechten Auge er- zeugte Nachbild wird also genau eben da gesehen, wo dem linken Auge die den Kreis andeutenden Marken erscheinen, Nachbild und Marken aber liegen auf identischen Stellen. Um bei diesem Versuche die benutzten Ebenen auch wirk- lich vertical zur Gesichtslinie zu stellen, bringt man im Mittel- puncte der Kreise eine feine lange Nadel senkrecht zur Ebene an; erscheint dieselbe in totaler Verkürzung, d. h. so zu sa- Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 31 gen als Punct, so steht die Gesichtslinie senkrecht zur Ebene. Etwaige kleine Verzerrungen der Kreise in Folge einer Asym- metrie der brechenden Medien rechne ich nicht mit ein; bei mir sind sie so unmerklich, dass ich sie getrost vernach- lässigen darf. Benutzt man statt der Kreise gerade Striche zur. Erzeu- gung des Nachbildes, so muss darauf geachtet werden, dass die Trennungslinien der einen Netzhaut zum nachbilderzeu- genden Striche dieselbe relative Lage haben, wie die Tren- ' nungslinien der andern Netzhaut zur markirten Linie der dunklen Fläche. Denn es kann, wenngleich jener Strich und diese Linie parallel liegen und der Kopf stets vertical steht, doch die eine Netzhaut im Vergleich zur andern um die Seh- axe ein wenig verdreht sein. 2) Methode der gegenseitigen Substitution iden- tischer Netzhautstellen. Stellt man beide Gesichtslinien parallel und senkrecht zu einer verticalen Ebene bei einer solchen Lage der Visirebene zum Kopfe, dass die horizon- talen Trennungslinien in der Visirebene liegen,!) und mar- kirt man die Stellen, wo je eine Gesichtslinie senkrecht auf die Ebene trifft, so erscheinen beide Marken als eine. Legt man nun um die eine Marke einen Halbkreis nach links, um die andre nach rechts, so setzen sich beide Halbkreise zu einem Vollkreise zusammen; man sieht also dasselbe, als wenn man nur einem Auge einen entsprechenden ganzen Kreis darbietet: Beweis, dass ein Parallelkreis der einen Netzhaut für die räumliche Auslegung gleichwerthig ist dem entspre- chenden Parallelkreise der andern Netzhaut, dass einer dem - andern substituirt werden kann. Zieht man ferner aus der einen Marke eine Linie in beliebiger Richtung über die Ebene 1) Dies ist für meine Augen nicht, wie gewöhnlich angenommen wird, bei allen Neigungen der Visirebene, sondern nur bei einer ganz bestimmten der Fall. Meine Augen sind also trotz dem Parallelismus der Gesichtslinien nicht immer in der Primärstellung. Diesen Punct werde ich anderswo näher besprechen. Ferner muss ich bemerken, dass die von v. Recklinghausen und neuerdings von Volkmann angegebne Asymmetrie in meinen Augen nicht merklich vorhanden ist. 32 Dr. Ewald Hering: und aus der andern Marke eine solche in genau entgegen- gesetzter Richtung, so setzen sich beide in der Erscheiuung zu einer durch das ganze Sehfeld gehenden Graden zusam- men, machen somit denselben Eindruck, wie eine, nur einem Auge dargebotne, durch den Fixationspunct gehende Grade. Macht man den Versuch mit Kreisen von verschiedenen Durch- messern und Linien von verschiedenen Lagen, so kann man nachweisen, dass jedem Parallelkreise und jedem Meridiane der einen Netzhaut ein Parallelkreis und Meridian der an- dern Netzhaut so entspricht, dass es für die blos räumliche Wahrnehmung gleichgültig ist, ob man die Netzhautbilder auf dem einen oder andern erzeugt. Auf diese Weise lässt sich sehr exact die durchgehende Identität beider Netzhäute innerhalb der selbstverständlichen Grenzen darthun. Die Gestalt der Netzhaut ist für diese Methode zunächst ganz unwesentlich: Die Netzhaut könnte eben, gefaltet oder irgendwie gekrümmt sein, immer würde durch vorstehende Versuche bewiesen sein, dass identische Stellen solche sind, deren Richtungslinien mit den Gesichtslinien Winkel von glei- cher Grösse und Lage einschliessen. Ausserdem hat die Me- thode den Vorzug, dass sie nicht das Einfachsehen zweier Netzhautbilder zum Criterium ihrer identischen Lage macht; denn die stereoskopischen Erscheinungen haben den Glauben an dieses Criterium erschüttert. Den Apparat, der die Vorbedingungen der hoscheianen Versuche erfüllt, d. h. den Parallelismus der Gesichtslinien, die zur Gesichtslinie senkrechte Lage der Beobachtungsebene und den „Parallelismus* der Trennungslinien fortwährend zu controliren erlaubt, habe ich in $. 73 meiner Beiträge aus- führlich beschrieben. Ich brauche wohl nicht noch zu erwähnen, dass die Con- tinuität der binocular zusammengesetzten Linientheile keine vollständige ist. Das Ende der einen schwarzen Linie hebt durch Contrast das Weiss der Grundfärbung, und letzteres übertönt deshalb das anstossende Ende der andern Linie, und zwar erscheint immer nur ein Ende deutlich, während das andre vom Weiss des Grundes übertönt wird. DasWe- Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 33 sen des Versuches wird dadurch nicht beeinträchtigt; denn so oft ein Ende sichtbar wird, erscheint es wirklich da, wo es der Theorie nach erscheinen soll. i Wessen Augen die von v. Recklinghausen beschriebene Asymmetrie zeigen, muss den daraus entstehenden Fehlern bei dem Versuche berücksichtigen. Was ist Sehrichtung? Unter Sehrichtung verstehe ich die räumliche Relation einer Gesichtserscheinung zum Bilde meines Leibes. Ich sage zum Bilde meines Leibes, weil mein Leib, wie ich mir ihn in jedem Augenblicke vorstelle und ihn theilweise (z. B. Hände, Füsse etc.) anschaue oder fühle, eben auch nur etwas Subjectives ist, so gut wie sämmtliche Gesichtserschei- nungen. Der Leib, wie er für mein Bewusstsein da ist, exi- stirt ebensogut nur in der Vorstellung, wie alles Uebrige, womit gar nicht bestritten wird, dass dem Allen etwas Reelles entspricht. Die Aufgabe ist nun, zu bestimmen, in wie- weit der Ort eines Bildes auf der Netzhaut bestim- mend ist für die Relation, in welcher das entsprechende Anschauungsbild zum gleichzeitigen Vorstellungsbilde unsers Leibes im Sehraume auftritt, oder kurz gesagt, für die Richtung, in der es uns erscheint. Indem wir die Lage alles Erscheinenden auf uns selbst beziehen, wird also das Bild unsers Leibes zum Ausgangs- punete der Sehrichtungen. Wir haben ausserdem in Folge der Gefühle, welche durch die Augenbewegungen veranlasst werden, das Bewusstsein, dass unsre Augen es sind, von denen unser Blick gleichsam in den Sehraum ausstrahlt. Aber weil die Bewegungen der Augen stets combinirte sind, und wir nicht ein Auge unabhängig vom andern bewegen können, so kommt uns nicht die Richtung eines jeden Auges für sich zum Bewusstsein, sondern nur die Richtung, nach welcher der gemeinsame Blick beider Augen geht (in welcher sich gleichsam die Spitze unsers binocularen Blickes relativ zum Kopfe befindet). Man kann demnach sagen, wir haben ein ungefähres Bewusstsein von der Lage der Halbirungslinie Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 3 34 Dr. Ewald Hering: des Convergenzwinkels der Gesichtslinien. Wenn wir sym- metrisch eonvergiren, sieht das rechte Auge nach links, das linke nach rechts, während dem nicht physiologisch Unter- richteten über die Richtung!) seines Blickes nichts weiter zum Bewusstsein kommt, als dass er eben geradaus sieht, d.h. in der Richtung der Halbirungslinie des Convergenzwinkels. Sieht er convergirend nach links, so ist das rechte Auge stärker nach links gewandt als das linke, gleichwohl ist er sich nur ungefähr bewusst, unter welchem Winkel der ge- meinsame Blick beider Augen nach links gerichtet ist, d. h. also, welche Lage eine, die Spitze des Blickes mit dem Kopfe verbindende Linie im Vergleich zur Medianebene hat. Will man sich diese Richtungen des binocularen Blickes mathe- matisch versinnlichen, so muss man dies durch Linien thun, welche vom Gesichte nach vorn ausstrahlen, wozu man sehr praktisch die Halbirungslinien der Convergenzwinkel benutzt. Die uns bewusste Richtung des binocularen Blickes ist nun jederzeit auch die Richtung, in der uns das eben fixirte Ding erscheint, d. h. die Sehrichtung der Netzhautmitten, die directe oder die Hauptseh- richtung. Um das fixirte Ding herum aber erscheinen die Bilder der peripherischen Netzhaut. Die Sehrichtungen der- selben gehen also z. B. bei symmetrischer Convergenz nicht vom Kopfe gradaus, sondern mehr oder weniger nach rechts, links, oben, unten etc. Diese Richtungen sind die indirec- ten oder Nebensehrichtungen. Soviel zur vorläufigen Orientirung; die Beweise für das Gesagte liegen im Folgenden. Sogenannte identische Netzhautstellen haben eine wirklich identische Sehrichtung. Bekanntlich hält man jetzt allgemein die Richtungslinien, oder wie ich sie lieber nenne, die Lichtrichtungen zu- 1) Dass der Grad der Convergenz mitbestimmend ist für die schein- bare Ferne des Gesehenen kommt hierbei, wo wir nur von den Richtungen des Sehens sprechen, nicht in Betracht (s. unten). Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 35 gleich auch für die Sehrichtungen.!) Demnach wäre z.B. die linke Gesichtslinie die Sehrichtung der linken Netzhaut- mitte, die rechte Gesichtslinie die der rechten, und die Bil- der der Netzhautmitten müssten stets auf diesen Gesichts- linien erscheinen, sofern nicht ein Irrthum über die Augen- stellungen vorläge. | Nun aber lässt sich, was zunächst die Sehrichtung der Netzhautmitten d.h. also die Hauptsehrichtung be- trifft, leicht zeigen, dass die bezüglichen Bilder nicht noth- wendig auf den Gesichtslinien, wohl aber stets in der Rich- tung gesehen werden, welche unser binocularer Blick inne hat, d. h. also auf der Halbirungslinie des Convergenzwin- kels der Gesichtslinien, voraussetzt, dass uns die Richtung unsers Blickes richtig bewusst ist. Bei bewusstem Blicke geradaus (paralleler oder symmetrisch convergenter Stellung der Gesichtslinien) erscheinen also die Bilder der Netz- hautmitten stets auf der Medianlinie,?) gleichgültig ob sie sich im rechten oder linken Auge befinden. Werden sie innerhalb dieser ihrer gemeinschaftlichen Seh- richtung, d. h. auf der Medianlinie zugleich in einer der Wirk- lichkeit entsprechenden Entfernung gesehen, deckt also ihr scheinbarer Ort ihren wirklichen, so liegen sie selbstverständ- 1) Volkmann sagte sich zwar (in Rud. Wagners Handwörterb. d. Physiol.) von dieser früher auch von ihm verfochtenen Ansicht los, ohne jedoch eine neue Theorie der Sehrichtungen zu entwickeln. Was er nämlich über die Richtungen des Sehens sagt, bezieht sich lediglich auf die Localisation des Sehfeldes im Ganzen und inwiefern dieselbe von den willkürlichen oder unwillkürlichen Bewegungen der Augen, des Kopfes und Körpers abhängig ist. Seine Auseinander- setzung über den scheinbaren Ort der Doppelbilder ist sogar ganz aus dem Standpnncte der Richtungslinientheorie geschrieben, und Volk- mann hat durch diese specielle praktische Anerkennung jener irrigen Theorie zur Ausbreitung derselben, wie ich glaube, viel beigetragen trotz seiner gleichzeitigen ausdrücklichen Opposition gegen die Theorie im Allgemeinen. 2) Medianlinie ist die Linie, welche in der jeweiligen Visirebene auf der Mitte der Verbindungslinie beider mittleren Knotenpuncte senk- recht steht. 3” 36 Dr. Ewald Hering: lich auch im Durchschnittspuncte der Gesichtslinien, was aber nicht nothwendig, sondern für das Wesen der Sache zu- fällig ist. Denn nicht weil die Gesichtslinien sich im wirklichen Orte des Dinges schneiden, sehen wir letzteres an diesem Orte, sondern die Gesichtsli- nien schneiden sich im Erscheinungsorte des Din- ges, weil wir dasselbe in die richtige Tiefe, d.h. an seinen wirklichen Ort versetzen, wobei uns die willkürliche Augenbewegung, Luft- und Linearperspective und allerhand Wahrscheinlichkeitsgründe leiten, deren Er- örterung ich einer besondern Abhandlung über die Tiefen- wahrnehmung vorbehalte. Es ist nun durch Versuche zu beweisen, dass die Bilder der Netzhautmitten nicht nothwenrdig auf der Gesichtslinie, wohl aber stets (symmetrische Augenstellung vorausgesetzt) auf der Medianlinie erscheinen. Man halte z. B. eine Nadel in die Medianebene und fixire ihre Spitze, während man etwa vor einem offnen Fenster steht. Man sieht die Nadelspitze einfach, die dahinter ge- 'legne Landschaft doppelt, und weil sich die Doppelbilder der letzteren übereinanderschieben, so wird im Wettstreite der Sehfelder Manches unterdrückt, Anderes aber, besonders was sich scharf vom Horizonte abhebt, erscheint noch ganz deutlich. Es befinde sich nun z. B. in der Gesichtslinie des einen Auges am Horizonte ein Baum oder ein Blitzableiter, so erscheint uns derselbe hinter der Nadelspitze und zwar in der Medianebene unseres Kopfes. (Das Doppel- bild des Baumes im andern Auge liegt excentrisch und kommt hier überhaupt nicht in Betracht, da wir es nur mit den Bildern der Netzhautmitte zu thun haben.) Trotzdem also, dass die beiden Gesichtslinien sich ganz nahe dem Kopfe durchschneiden, erscheint uns das auf der einen Netzhaut- grube gelegne Bild des Baumes in weiter Ferne, aber nicht etwa auf der Gesichtslinie des betroffenen Auges, sondern in der Medianebene, d. h. grade vor uns. Verdeckt man jetzt das andre Auge, so behält man zunächst ganz densel- ben Eindruck: man sieht gerade vor sich die Nadel und da- Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 37 hinter den Baum, beide in der Medianebene. Erst nachträg- lich überzeugt man sich durch Bewegungen oder durch Ue- berlegung, dass zwar die Nadel wirklich in der Medianebene liegt, der Baum aber weit abseits nach rechts oder links, d.h. auf der Gesichtslinie des bezüglichen Auges; und öffnet man das andre Auge, so ist man frappirt, wie falsch man locali- sirt hat. Wäre wirklich die Gesichtslinie die Sehrichtung der Netzhautmitte, so hätte der Baum ebenfalls weit nach rechts oder links von der Medianebene erscheinen müssen. Der Versuch wird dadurch etwas beeinträchtigt, dass bei Einstel- lung der Gesichtslinien auf die nahe Nadel, der ferne Baum mit Zerstreuungskreisen erscheint. Dies hindert jedoch unter passenden Umständen nicht, ihn noch deutlich genug zu se- hen. Man muss natürlich die Nadel nicht allzu nah an’s Gesicht bringen und wenn man sehr kurzsichtig ist, eine Brille tragen. Man wird vielleicht sagen wollen, der ferne Baum werde gar nicht in der Ferne gesehen, er erscheine ebenfalls da, wo die Gesichtslinien sich kreuzen, d.h. ebenso nahe wie die Nadel, und nur unser Urtheil belehre uns darüber, dass er ferner sei als die Nadel. Freilich belehrt uns unser Urtheil darüber, dass der Baum ferner ist, als die Nadel, aber die Folge dieses Urtheils ist eben, dass man den Baum nun wirklich ferner sieht, genau ebenso, wie wenn man die Nadel nur mit einem Auge be- trachtet und daher in der Ferne einen Baum sieht. Sollen etwa auch hierbei Nadel und Baum in gleicher Ferne er- scheinen? Man bedenke, welehes Miniaturbäumchen wir se- hen würden, wenn der Baum uns wirklich in der Nähe der Nadel erschiene. Um aber diesen Einwand noch zwingender zu wider- legen, mache ich folgenden Versuch: Ich erzeuge mir auf den Netzhautmitten von einer farbigen, auf complementärem Grunde liegenden Oblate ein Nachbild, halte dann eine feine Nadel nahe vor’s Gesicht und fixire ihre Spitze, während ich ein Blatt Papier von der Farbe der Oblate 6—10 Zoll da- hinter halte. Nadel und Nachbild erscheinen einfach; aber 38 Dr. Ewald Hering: das Nachbild erscheint hinter der Nadel auf dem Papiere, die Nadelspitze und der Mittelpunct des Nachbildes erschei- nen also hintereinander auf der Medianlinie.e Wer nun hier noch einwenden will, das Nachbild erscheine eigentlich in gleicher Nähe wie die Nadel, d.h. im Durchschnittspuncte der Gesichtslinien, und seine Entfernung werde nur falsch „beurtheilt,* der bringe, so’ lange das Nachbild noch deut- lich ist, das farbige Papier rasch an die Nadel heran, und sofort wird er das Nachbild in gleicher Nähe wie die Nadel — nun aber entsprechend und unter Umständen sehr viel kleiner sehen als zuvor: unumstösslicher Beweis,’ dass das Nachbild zuvor wirklich hinter der Nadel gese- hen wurde, d. h. hinter dem Durchschnittspuncte der Ge- sichtslinien, also auf keiner von beiden Gesichtslinien,' son- dern auf der gemeinsamen Sehrichtung der beiden Netzhaut- mitten, d.h. auf der Medianlinie. Sollte das Nachbild auf den Gesichtslinien bleiben und doch wirklich entfernter und entsprechend grösser gesehen werden, so müsste es jen- seits der Nadel als ein doppeltes, rechts und links von der Medianlinie gelegenes Bild erscheinen. Es können also die auf der Netzhautgrube gelegenen Bilder bei einer und derselben Stellung der Gesichtslinien in ver- schiedener Entfernung vom Gesichte auf der Medianlinie zur Erscheinung kommen. Dies beweist, dass für sie kein Zwang vorhanden ist, auf den Gesichtslinien zu erscheinen; wohl aber ist es unumgänglich, dass sie auf der Medianlinie erscheinen. Hiervon giebt es keine Ausnahme. So kommt es denn auch, dass man trotz parallel gestellter Gesichtslinien die auf beiden Netzhautmitten gelegenen glei- chen Bilder unter Umständen in grosser Nähe sehen kann. Macht man auf ein Papier zwei schwarze Marken, Buchstaben oder dergl. von gleicher Form, Grösse und Lage, und zwar in derselben Distanz von einander, welche die beiden mittleren Knotenpuncte haben: stellt man dann seine Gesichtslinien parallel und senkrecht zum Papier, sodass jede Netzhaut- mitte das Bild des ihr gegenüber stehenden Buchstaben er- hält, so sieht man bekanntlich einen einfachen Buchstaben Das Gesetz der identischen Sehrichtungen, 39 auf dem ziemlich nahe erscheinenden Papiere, nicht aber ein in weiter Ferne gelegenes riesenhaftes Papier mit einem riesenhaften Buchstaben. Auch hier also erscheint das Bild der beiden Netzhautmitten einfach in der Medianlinie, aber weit diesseits der Stelle, an welcher sich die Gesichtslinien durchschneiden. Nicht die Gesichtslinie, sondern die Median- linie ist demnach die Sehrichtung der Netzhautmittelpuncte. Dem etwaigen Einwande, dass wir uns hier über die Au- genstellung täuschen und durch das Bewusstsein der Nähe des Papiers und das Einfacherscheinen des Buchstabens ver- anlasst werden, eine der Nähe des Objectes entsprechende Convergenz der Gesichtslinien anzunehmen, wird weiter unten begegnet werden. — Dass man bei parallel gestellten Gesichts- linien zunächst veranlasst ist, die einfach erscheinenden Dinge in grosser Ferne zu sehen, und dass es anderer An- haltpuncte für das Urtheil bedarf, um dieser Anregung nicht zu folgen, sondern die Erscheinung wirklich in der Nähe zu sehen: dies weiss ich sehr wohl. Aber hierauf kommt es gar nicht an, sondern darauf, dass die Bilder der Netzhaut- mitten durchaus nicht immer auf der Gesichtslinie, wohl aber stets auf der (wirklichen oder vermeintlichen) Medianlinie er- scheinen. Dass unter gewöhnlichen Umständen die nähern Dinge, wenn sie fixirt werden, annähernd oder genau im Kreuzungspuncte der Gesichtslinien erscheinen, rührt wie er- wähnt nur daher, dass wir in diesen Fällen das Vermögen haben, das einfach erscheinende Bild innerhalb seiner Seh- richtung, d.h. auf der Medianlinie in die der Wirklichkeit entprechenden Entfernung zu versetzen. Worauf zber dies Vermögen beruht, ist hier nicht zu erörtern; genug es be- steht. Die Medianlinie ist also die gemeinsame Seh- richtung der Netzhautmitten, sobald die Gesichts- linien (parallel oder convergent) symmetrisch zur Me- dianebene liegen. Innerhalb dieser Sehrichtung werden unter allen Umständen die Bilder der bei- den Netzhautmitten untergebracht, gleichviel ob sie congruent sind oder nicht. Die Entfernung, in 40 Dr. Ewald Hering: welcher die Bilder auf der Medianlinie erscheinen, d.h.ihreSehferneistnicht vom Durchschnittspuncte der Gesichtslinien bedingt, sondern resultirt aus anderweiten Ursachen. ” Sind wir uns bewusst, unsre Augen nach oben oder unten gerichtet zu haben, so ändert selbstverständlich auch die Seh- richtung der Netzhautmitten, d.h. die Hauptsehrichtung ihre relative Lage zum Kopfe. Diese Lage entspricht durchaus der Vorstellung, die wir uns von der Neigung unsrer Augen machen; ist diese Vorstellung aus irgend welchem Grunde eine falsche, so wird auch die Lage der Hauptsehrichtung eine falsche, d. h. der Wirklichkeit nicht entsprechende sein. Sind wir uns bewusst, unsre Augen nach der Seite ge- richtet zu haben, gleichviel, ob die Gesichtslinien dabei pa- rallel oder convergent sind, so macht die Hauptsehrichtung einen Winkel mit der Medianebene, welcher abhängt von der Vorstellung, die wir uns von der Grösse der Seitwärtsdre- hung unseres Doppelauges machen. Auch hier ist nicht ent- fernt daran zu denken, dass ein nicht physiologisch Gebil- deter (z. B. bei gleichzeitiger Convergenz der Gesichtslinien) irgend welches Bewusstsein der Einzelstellung jedes Auges habe, sondern er ist sich nur ungefähr bewusst, wie weit nach rechts oder links der gemeinsame Blick beider Au- gen überhaupt gerichtet ist. Irren wir uns über die Stellung unserer Augen, glauben wir sie z. B. nach vorn gerichtet, während sie seitwärts se- hen, so entspricht die Hauptsehrichtung gleichwohl der Me- dianlinie und wir sehen das gerade vor uns, was in Wirk- lichkeit seitwärts liegt. Soviel von der Sehrichtung der Netzhautmitten. Betrach- ten wir nun die verticalen Trennungslinien, so ergiebt sich der Satz, dass die auf denselben liegenden Bilder (symmetrische Augenstellung vorausgesetzt) stets in der_ Medianebene erscheinen und zwar oberhalb der Vi- sirebene (oder Medianlinie) wenn sie der untern, un- terhalb wenn sie der obern Hälfte der verticalen Trennungslinien angehören. Wollen wir uns nun auch Das Gesetz der identischen Sehrichtungen, 41 hier die relative Lage der Anschauungsbilder oder Sehdinge zu unserm Kopfe durch Linien versinnlichen, so müssen die- selben also sämmtlich in der Medianebene liegen und, je nach der Excentricität des Netzhautbildes verschiedene Winkel mit der Medianlinie einschliessen, ohne dass damit gesagt sein soll, dass der Bogen dieses Winkels und der Bogen der Ex- centrieität des Netzhautbildes stets genau derselbe sein müsse. Die Sehrichtungen der verschiedenen identischen Punctpaare der verticalen Trennungslinien divergiren von unserm Kopf aus innerhalb der Medianebene nach vorn. — Dass Alles, was sich auf den verticalen Trennungslinien abbildet, bei symme- trischen Stellungen stets in der Medianebene, aber keineswegs immer zugleich auf den bezüglichen Richtungslinien erscheint, lässt sich durch ganz analoge Versuche, wie die oben ange- gebenen, nachweisen: Blicke ich, mit dem Rücken gegen das Fenster, überhaupt gegen die Lichtquelle gekehrt, nach einem etwas fernen Ge- genstande, z. B. einem Bilde an der gegenüberstehenden Wand und bringe dann, während ich den fernen Gegenstand fixire, bei vorwärts gestrecktem Arme meinen Zeigefinger von der Seite her in die Gesichtslinie des einen Auges, so erscheint das eine direct gesehene Doppelbild des Fingers ebenso wie der fixirte Gegenstand in der Medianebene, während das an- dre, indirect gesehene Doppelbild des Fingers seitlich er- ‘scheint. Das Fingerbild in der Medianebene ist unter Um- ständen wie durchsichtig, ich sehe das fixirte Object durch den Finger hindurch, keineswegs aber scheint mir der letz- tere in derselben Entfernung, wie der Fixationspunet zu lie- gen, was doch der Fall sein müsste, wenn das Fingerbild auf den Richtungslinien seines Netzhautbildes und zugleich innerhalb der Medianebene erscheinen sollte. Der Finger erscheint vielmehr in einer seiner wirklichen Lage ungefähr entsprechenden Nähe, der fixirte Gegenstand in einer der Wirk- lichkeit ungefähr entsprechenden Ferne. Will man sich das Verhältniss recht zum Bewusstsein bringen, so bedenke man, wie riesenhaft uns der Finger vorkommt, wenn man ihn, ent- sprechend dem Theile der Wand, den der Finger dem einen 49 Dr. Ewald Hering; Auge verdeckt, an die Wand malt, oder wie winzig umge- kehrt das fixirte Object der Wand erscheint, wenn man es auf ein in der Entfernung des Fingers gelegenes Papier in solcher Verkleinerung zeichnet, dass sein Netzhautbild so gross bleibt wie zuvor. Auf die jetzt sehr übliche Behaup- tung, dass uns die Doppelbilder stets in derselben Ferne er- scheinen, wie das eben fixirte Object, komme ich als auf eine der Theorie zu Liebe gemachte und den Thatsachen widersprechende Behauptung ausführlich zurück. Man pflegt gewöhnlich anzugeben, die Ortstäuschungen, denen man beim einäugigen Sehen ausgesetzt ist, rührten le- diglich daher, dass man die Netzhautbilder innerhalb ihrer Richtungslinien in falsche Entfernungen versetze. Ich be- streite natürlich nicht, dass die Tiefenschätzung beim einäu- gigen Sehen unsicherer ist als beim doppeläugigen. Der Grund der Ortstäuschungen aber liegt nicht immer hierin, sondern oft auch in der falschen Richtung, in der wir ein Ding sehen. Man halte z.B. einen Bleistift in der Entfer- nung von !/, Fuss gerade vor sich und fixire ihn zunächst binocular; hierauf schliesse man z.B. das linke Auge, bringe den Zeigefinger der rechten Hand in der Entfernung von wenigen Zollen so vor’s Gesicht, dass er den Bleistift von unten her bedeckt und führe nun mit diesem Finger einen raschen Stoss gegen den Bleistift: dann wird man das erste Mal rechts vorbeischiessen. Dies kommt daher, dass uns der Finger ebenso wie der Bleistift in der Medianebene er- scheint, weil er sich wie dieser ziemlich genau auf der ver- ticalen Trennungslinie abbildet, während er doch in Wirk- lichkeit abseits von der Medianebene nach rechts liegt. Wir führen nun den raschen Stoss, den das Auge der Schnellig- keit wegen nicht controliren kann, in gewohnter Weise gerade- aus und nicht, wie es zum Treffen nöthig wäre, nach links, fahren also rechts vom Ziel vorbei. Hierauf beruht auch das bekannte Fehlschlagen des Lichtputzens beim einäugigen Se- hen, nicht aber auf falscher Fernschätzung. Noch schlagender ist folgender Versuch, weil er weniger der Störung durch Reflexion über die einfache Sinneswahr- Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 43 nehmung ausgesetzt ist: Man erzeuge sich durch Fixation eines entsprechend gelegenen, feinen farbigen Papierstreifens ein langdauerndes „identisches* Nachbild auf beiden verti- ealen Trennungslinien. Fixirt man jetzt, mit dem Nachbilde in beiden Augen, ein senkrecht zur Medianlinie gehaltenes Blatt, so erscheint das binoculare Nachbild als ein einfacher farbiger, vertical durch den Fixationspunct gehender Streifen auf dem Papiere. Bis hierher stimmt die Beobachtung mit der Richtungslinientheorie'). Dreht man aber nun das Blatt um eine durch den Fixationspunct gelegte (der Grundlinie pa- rallele) horizontale Axe, so müssten nach jener Theorie die zuvor verschmolzenen Nachbilder sich in zwei auflösen, die sich im Fixationspuncte durchkreuzen, vorausgesetzt, dass die Nachbilder wirklich auf dem Papiere erscheinen und dass die Neigung desselben wahrgenommen wird. Dagegen lehrt die Beobachtung, dass allerdings die Neigung des Papiers wahrgenommen wird, dass aber das binoculare Nachbild nich doppelt sondern einfach auf dem Papiere erscheint und zwar da, wo die Medianebene das Papier durchschneidet: Beweis, dass die Netzhautbilder der verticalen Trennungslinien stets in der Medianebene und nicht nothwendig sondern nur zufällig im Durchschnitte ihrer Richtungslinien erscheinen und dass den „identischen“ Stellen der verticalen Trennungslinien eine und dieselbe, d. h. eine einfache, identische Sehrichtung zu- kommt. Ueber die bei diesem Versuche, den Wundt ange- geben hat, möglichen Irrungen vgl. $. 53 des zweiten Heftes meiner Beiträge. Soviel über die Medianebene als: Erschei- nungsort der Bilder der verticalen Trennungslinien. Wir be- gegnen hierbei zugleich zum ersten Male der sogenannten Umkehrung der Netzhautbilder. Ich frage nun hier gar nicht 1) Ich nehme an, dass die Augen sich in Meissner’scher Secun- därstellung befinden. Ist dies nicht der Fall, so erscheint das Nach- bild zwar ganz ebenso, aber diese Thatsache verträgt sich dann nicht mit der Richtungslinientheorie, und letztere muss zur Erklärung die Hülfshypothese machen, dass uns die Neigung der Trennungslinien zur Visirebene nicht bewusst wird und wir nach wie vor annehmen, die Augen befänden sich in Secundärstellung, 44 Dr. Ewald Hering: danach, wie dieselbe zu erklären sei, sondern constatire ein- fach die Thatsache, dass Bilder auf der untern Hälfte jener Trennungslinien sich im Sehraume in solcher Relation zum Vorstellungsbilde unsers Leibes localisiren, dass sie vom Kopfe aus in die Richtung nach oben erscheinen und dass die Bil- der der obern Hälfte sich entgegengesetzt verhalten. Nicht um Erörterung einer Umkehr des Bildes durch Projection handelt es sich, sondern lediglich darum, festzustellen, nach welchen Gesetzen die Bildchen bestimmter Netzhautstellen sich im Sehraume um das Vorstellungsbild unsers Leibes gruppiren. Wie alle Bilder der verticalen Trennungslinien in der Medianebene, so erscheinen alle Bilder der horizon- talen Trennungslinien in der Visirebene, gleichgültig ob diese Trennungslinien auch wirklich in der Visirebene liegen (Primär- und Secundärstellung Meissner’s) oder nicht (Tertiärstellung ete.). Die Sehrichtungen der in der Visirebene erscheinenden Bilder divergiren nach vorn. Dass je zwei Deckstellen auch hier eine und dieselbe Sehrichtung haben, brauche ich nach dem oben Angeführten kaum noch hervorzuheben. — Einige einfache Versuche mögen noch Platz finden: Halte ich einen Finger z. B. in einer Entfernung von 1 Fuss vor’s Gesicht und dahinter ein beliebiges Object, wel- ches fixirt und langsam weiter entfernt wird, so zerfällt der Finger in Doppelbilder, die nicht etwa mit dem fixirten Ob- jeete in immer grössere Ferne rücken, sondern lediglich ihre seitliche Distanz vergrössern, während der Fixationspunct entfernt wird. Bei dem Versuche setze ich voraus, dass der Finger gut beleuchtet ist und nicht zu weit ausserhalb der deutlichen Sehweite liegt. Schon wenn man, mit dem Rücken gegen das Fenster gestellt, einen Finger vor die Augen hält und auf die gegen- über stehende Wand blickt, sieht man, dass die Doppelbilder des Fingers keineswegs riesenhaft vergrössert auf der Wand zu liegen scheinen, wie die Richtungslinientheorie fordert, sondern ungefähr in einer Entfernung, die der wirklichen des Fingers entspricht, Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 45 Dieser vielfältig 'abzuändernde Versuch zeigt wieder das quasi Doppelsehen mit identischen Stellen innerhalb der ein- fachen Sehrichtung derselben. Das Bild des Fingers liegt in einem Auge da, wo im andern ein Theil der Wand ab- gebildet ist, beide Bilder erscheinen deshalb in einer und der- selben Richtung, aber nicht auch an demselben Orte, sondern werden in verschiedener Entfernung gesehen, nicht blos ge- dacht; denn ein auf die betreffende Stelle der Wand gezeich- neter Finger, der ein gleich grosses Netzhautbild wie der wirkliche Finger giebt, erscheint riesenhaft gross, wenn gleich die Augenstellung und überhaupt alle andern Verhältnisse die nämlichen sind. Hält man den Finger zwei Fuss entfernt und dicht davor z. B. einen Bleistift, den man fixirt und allmählich dem Ge- sichte nähert, so kommen die Doppelbilder des Fingers nicht etwa mit heran, sondern treten lediglich seitlich auseinander, indem sie nach wie vor ungefähr so fern erscheinen, als der wirkliche Finger fern ist. Liegt der Fixationspunct dem Ge- sichte nahe, so erscheint ein auf Papier gezeichneter Finger, den man in die Entfernung des Fixationspunctes bringt und genau auf derselben Netzhautstelle abbildet, die zuvor der wirkliche Finger einnahm, höchst winzig. Beweis genug, dass der Finger wirklich ferner gesehen wird, als der Fixa- tionspunct. Man sieht, dass wir hier auf die vielbesprochene Frage nach dem Orte der Doppelbilder gekommen sind. Nach der Identitätslehre J. Müllers ist der Ort der Dop- pelbilder abhängig von der Lage der entsprechenden Bilder auf der Netzhaut. Diese Behauptung würde ohne Weiteres anzunehmen sein, wenn das Doppelnetzhautbild immer als eine Fläche erschiene, wie dies z. B. bei Betrachtung des Sternhimmels der Fall ist. Bei letzterem darf man allerdings sagen, man habe das Netzhautbild der Doppelnetzhaut, zwar „verkehrt“ und „vergrössert“, doch aber mit ungefähr den- „selben innern Raumverhältnissen, d. h. den relativen Lagen der Einzeltheile des Bildes untereinander, vor sich. Für ge- wöhnlich aber sehen wir die Einzeltheile des Netzhautbildes, 46 Dr. Ewald Hering; mehr oder minder der Wirklichkeit entsprechend, in verschie- denen Entfernungen vor uns, gleichgültig ob wir dabei nur ein Auge oder beide Augen offen haben. Nur wenn wir uns, wie dies der Maler thut, bemühen, Alles ungefähr in einer Fläche vorzustellen, was uns übrigens trotz aller Anstrengung, selbst beim einäugigen Sehen nie recht gelingen will, erhal- ten die Einzeltheile des Sehfeldes wieder annähernd dieselbe Relation zu einander, die ihre Bildchen auf der Netzhaut haben, und ihr Ort ist dann unmittelbar bestimmt durch die relative Lage ihres Netzhautbildes. Aber für gewöhnlich kommt wie bekannt ein zweiter Factor hinzu, das ist die verschiedene Ferne, in der die Einzeltheile ein und desselben Gesammtnetzhautbildes gesehen werden. Der Erscheinungsort eines Netzhautbildchens ist bestimmt einmal durch die Richtung, in welcher es erscheint und welche ihrerseits abhängt von der relativen Lage des Bildchens auf der Netzhaut, zweitens durch die Ferne, in der es innerhalb der, dem- betreffenden Netzhautpunete zukommenden Seh- richtung versetzt wird, welche Ferne von bekannten, hier nicht zu erörternden Umständen abhängt. Von einem Dop- pelbilde gilt das Nämliche, wie von den Netzhautbildern über- haupt: sein scheinbarer Ort ist zunächst bestimmt durch die der betreffenden Netzhautstelle zugehörige Sehrichtung; wo, d. h. in welcher Ferne es innerhalb dieser Sehrichtung er- scheint, ist von Nebenumständen abhängig, auf deren Erör- terung ich hier nicht eingehe. Dieselben sind nämlich sehr verschiedene, gleichsam für jedes Netzhautbildchen indivi- duelle. Daher ist es ganz falsch, von einem Orte der Dop- pelbilder im Allgemeinen zu sprechen. Nur die Sehrichtung der Doppelbilder lässt sich allgemein bestimmen, weil sie eben von der Lage des entsprechenden Netzhautbildes ab- hängt; der Sehort ist dabei von ganz untergeordneter Wich- tigkeit. Das oben beispielsweise beschriebene Verhalten der Dop- pelbilder eines Fingers ist nach der Theorie der identischen Sehrichtungen selbstverständlich, während es mit der Rich- tungslinientheorie in directem Widerspruche steht. Wenn ein Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 47 vor dem Fixationspuncte liegender Finger in gekreuzten Dop- pelbildern erscheint, die nicht entfernter liegen, als das ein- fache Bild des Fingers liegt, falls derselbe fixirt wird, so befinden sich diese Doppelbilder selbstverständlich nicht auf den Richtungslinien. Daher half man sich zeither mit der Ausrede, die Doppelbilder erschienen in derselben Entfernung wie der fixirte Punct auf einer Fläche, die man durch den Fixationspunct gelegt dachte. Denkt man sich die Doppel- bilder unsers Versuchs auf ihren Richtungslinien, durch den Durchschnittspunet beider Richtungslinien hindurch, bis zu jener Fläche hinausgetragen, so würden sie dann allerdings auf dieser Fläche als gekreuzte Doppelbilder ankommen, wie es auch die Identitätslehre fordert: da sie aber nicht in jener Fläche, sondern viel näher erscheinen, so folgt, dass ent- weder die Identitätslehre falsch ist, oder dass die Richtungs- linien nicht die Sehrichtungen sind. Ausserdem ergiebt eine einfache geometrische Betrachtung, dass die nach der Rich- tungslinientheorie ausgeführte Construction der z. B. in der Visirebene liegenden Doppelbilder auf einer durch den Fixa- tionspunct gehenden Geraden (wie man diese Construction in jedem Lehrbuche finden kann) andre relative Entfernun- gen der Doppelbilder vom Fixationspuncte ergiebt, als die Entfernungen der entsprechenden Netzhautbildchen vom Bilde des Fixationspunctes sind. Ich gehe auf die Erörterung dieser Widersprüche nicht weiter ein, weil ich denke, dass es nur des Hinweises auf dieselbe bedarf, um sie auch sofort ein- zusehen. Man kann die Lage der Doppelbilder nicht gleich- zeitig aus der relativen Lage ihrer Netzhautbildchen und aus der Projection nach Richtungslinien erklären. Wenn es gleich- wohl bisher von den Anhängern der Identitätslehre geschehen ist, so ist dies eben nur möglich geworden, weil Niemand auf den Widerspruch aufmerksam gemacht hat. Wie die Sehrichtungen der Trennungslinien, so verhalten sich nun auch die Sehrichtungen jedes andern Paars identischer Meridiane. Ich will hier noch einen bekann- ten Versuch einschalten, um die einfachen Sehrichtungen be- liebig excentrischer identischer Stellen zu demonstriren. 48 N Dr. Ewald Hering: Man stelle beide Gesichtslinien parallel und biete jedem Auge insbesondere eine Kreislinie, deren Ebene in ihrem Mittelpuncte senkrecht auf der betreffenden Gesichtslinie steht. Sind beide Kreise gleich gross und in gleicher Entfernung vom Auge, so sieht man die zwei Kreislinien haploskopisch, d. h. sie fallen in eine zusammen, weil sie sich auf identi- schen Stellen abbilden. Man sieht eine Kreislinie, deren Ebene in ihrem Mittelpuncte senkrecht auf der Medianlinie, d. i. der Hauptsehrichtung steht. Liegen beide Kreislinien auf einem Papier, so sieht man die einfache Kreislinie in der ungefähren Entfernung des Papieres; sind die Kreise aus Draht, und hängt z. B. jeder an einem Faden vor einem Auge, während man vor einer freien Aussicht steht, so kann man den einfachen Kreis riesenhaft in weiter Ferne sehen: überhaupt lässt sich derselbe je nach den Umständen in sehr verschiedener Ferne zur Anschauung bringen. Dabei rückt jedes Einzeltheilchen des Kreises auf seiner, ihm ‘unabänder- lich zukommenden Sehrichtung näher oder ferner, der Kreis bleibt, wo man ihn auch sieht, auf dem Kegelmantel, wel- cher von der Gesammtheit der Sehrichtungen aller jener ein- zelnen Paare identischer Stellen gebildet wird, auf denen sein Bild in beiden Augen liegt, und die Spitze dieses Kegel- mantels trifft ungefähr auf die Nasenwurzel. Von einem $e- hen nach Richtungslinien kann bei diesem Versuche nicht die Rede sein. Liegen die Kreislinien auf einem Papiere, so erscheint wie gesagt der Kreis sammt dem Papier in einer der wirklichen Entfernung des Papiers ungefähr entsprechen- den Nähe, während doch die Richtungslinien der Kreisbilder sich bei parallelen Gesichtslinien erst in unendlicher Ferne schneiden. Wollte aber Einer sagen, man täusche sich hier- bei über die Stellung der Gesichtslinien und nehme dieselben als convergent an, so ist zu bedenken, dass die Richtungs- linien eines in beiden Augen um die Netzhautmitte gelegten Kreises sich bei beliebiger Convergenz der Gesichtslinien im Allgemeinen in einer Curve vierten Grades, nie aber in einem Kreise durch- schneiden, und dass man bei dem eben beschriebenen Ver- Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 49 suche nicht einen zur Medianlinie verticalen Kreis, sondern bestenfalls einein der MedianebeneliegendeEllipse sehen müsste, wenn die Richtungslinientheorie richtig wäre. Es hat sich also ergeben, dass die Bilder je zweier iden- tischen Stellen stets in einer einfachen Richtung erscheinen, d. h. dass sogenannten identischen Stellen eine gemeinsame und daher wirklich identische Sehrichtung zukommt. Der Ausdruck „identische Stellen“ ist unpassend, denn eine Stelle der einen Netzhaut kann mit einer, Stelle der andern Netz- haut nicht eigentlich identisch sein, weshalb ich die Bezeich- nung „Deckstellen“ vorziehe; wohl aber ist es ganz cor- rect ausgedrückt, wenn man sagt: zwei Deckstellen kommt eine identische Sehrichtung zu. Denkt man sich die mittleren Knotenpuncte beider Augen so zusammengelegt, dass zugleich die Trennungslinien der Netzhäute zusammenfallen, denkt man sich ferner dies ein- fache Auge in der Mitte zwischen den beiden wirklichen Augen gelegen und auf der einfachen Netzhaut desselben die Bilder beider wirklichen Netzhäute vereinigt, so fallen allerdings, schematisch genommen, die Richtungslinien dieses einfachen idealen Auges mit den wirklichen Sehrichtungen zusammen. Sämmtliche von der einen idealen Netzhaut durch den Kno- tenpunct nach vorn gezogenen Linien repräsentiren nämlich die Sehrichtungen. Denkt man sich dies ideale Auge mit Bewusstsein nach rechts, links, oben oder unten gedreht (wie man das wirkliche Doppelauge entsprechend zu drehen pflegt), so ändert natürlich die Hauptsehrichtung und mit ihr das ganze System der indireeten Sehrichtungen seine relative Lage zum Kopfe. Accommodirt man gleichsam jenes ideale Auge für die Nähe (welcher „Accommodation“ die verschiedene Convergenz der wirklichen Augen entspricht), so erscheinen die Netzhautbilder entsprechend der Grösse jener „Accom- modation* näher, bleiben aber dabei stets auf den, ihnen ganz unabhängig von dieser „Accommodation“ zukommenden Sehrichtungen. Dies soll selbstverständlich nur ein anschau- liches Bild für die wirklichen Verhältnisse sein. Resumiren wir noch kurz unsre Ergebnisse: Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv, 1864. A 50 Dr. Ewald Hering: Bei binocularem Sehen und symmetrischer Augen- stellung erscheinen normaler Weise alle auf den verticalen Trennungslinien liegenden Bilder in der Medianebene des Kopfes oder, was dasselbe heisst, des (subjectiven) Sehrau- mes, gleichviel ob die verticalen Trennungslinien senkrecht zur Visirebene liegen oder nicht; alle auf den horizontalen Trennungslinien liegenden Bilder aber erscheinen in der Visir- ebene, gleichgültig ob diese Trennungslinien in der Visir ebene liegen, oder zu ihr geneigt sind. Die Bilder eines be- liebigen andern identischen Mer dianpaares liegen auf einer durch die Medianlinie gelegten Schnittebene des Sehraumes, deren Neigung zur Medianebene oder Visirebene abhängt von dem Winkel zwischen dem bezüglichen Netzhautmeridiane und der verticalen oder horizontalen Trennungslinie. Jeder be- liebigen durch die Medianlinie gelegten Schnittebene des (sub- jeetiven) Sehraumes entspricht also ein bestimmtes identisches Meridianpaar. Die gemeinsame Sehrichtung beider Netzhaut- mitten ist die Medianlinie. Je zwei identische, excentrisch gelegne Netzhautpuncte haben ebenfalls eine gemeinsame Seh- richtung, gelegen in derjenigen Schnittebene des Sehraumes, welche dem bezüglichen Netzhautmeridiane entspricht. Der Winkel, welchen diese (indirecte) Sehrichtung mit der Haupt- sehrichtung (Medianlinie) einschliesst, ist abhängig von dem Bogen, unter welchem die bezüglichen Netzhautpuncte von den Netzhautmitten abstehen, ohne dass jedoch jener Winkel und dieser Bogen stets genau gleich gross sein müssten. Denkt man sich beide Augen in ein ideales vereinigt, wel- ches in der Mitte zwischen beiden wirklichen Augen liegt, so kann man sich den mittleren Knotenpunct dieses idealen Auges als den Ausgangspunct der Sehrichtungen denken, welche wie Radien von einem Mittelpuncte in den Sehraum ausstrahlen. In Betreff der weiteren Erörterung und ausführlicheren Begründung des hier entwickelten Gesetzes der Sehrichtungen muss ich auf meine „Beiträge zur Physiologie“ verweisen. Ich erwähne noch, dass ich dort statt „Richtungslinie“* Licht- richtung sage, um von vornherein den physikalischen Be- Das Gesetz der identischen Sehrichtungen. 51 griff der Richtungslinie und den psychologischen Begriff der Sehrichtung streng auseinanderzuhalten. Ferner nenne ich die horizontale und verticale Trennungslinie den Längs- und Quermittelschnitt der Netzhaut, was ausser andern Grün- den schon deshalb gerechtfertigt ist, weil sie nur selten wirk- lich vertical resp. horizontal liegen. Identische Stellen aber nenne ich Deckstellen, weil sich ihre Bilder stets der Richtung nach und oft auch dem Orte nach decken. Schliesslich sei erwähnt, dass die Visirlinien ebenso- wenig die Sehrichtungen sind wie die Richtungslinien. Visir- linie nennt Helmholtz die Linie, welche durch zwei Aussen- puncte gezogen ist, deren Netzhautbilder sich mit ihren Cen- tren decken. Wird der eine Punct fixirt, so erscheint der andere als ein Zerstreuungskreis, in dessen Centrum das scharfe Bild des ersten Punctes liegt. Die Visirlinien ge- hören, wie man sieht, ebenso wie die Richtungslinien nur dem objectiven Raume an. Im subjectiven oder Seh- raume erscheinen beide Puncte zwar in einer und derselben Richtung, aber diese ihre Sehrichtung fällt keineswegs mit der entsprechenden Visirlinie zusammen, wie oben gezeigt worden ist. Helmholtz steht allerdings in dem bis jetzt erschienenen Theile seines ausgezeichneten Werkes über phy- siologische Optik auf dem Standpuncte der Richtungslinien- theorie (wie sich dies a. A. auf S. 96 u. S.159 zeigt), aber das Schlussheft seines Werkes wird Helmholtz zur ge- naueren Untersuchung der Sehrichtungen Veranlassung geben, und es ist nicht zu bezweifeln, dass er sich noch nachträg- lich von jener Theorie lossagen wird. Denn die Consequenzen der Richtungslinientheorie führen, wie ich dies schon früher (l. e. II. Heft. 88.55 — 63) gezeigt habe, zu unerträglicher Colli- sion mit den Thatsachen, was in greller Weise in den Abhand- lungen von Wundt und Nagel hervortritt; ausserdem zwin- gen jene Consequenzen nothwendig zur Verwerfung der Iden- tität. Nun hat aber Helmholtz in seiner neuesten Abhand- lung über Augenbewegungen (s. o.) die Identität als erwie- sen angesehen, woraus man vielleicht schliessen darf, dass er Jetzt die Richtungslinientheorie bereits fallen gelassen hat. 4* 52 N Dr. S. Stricker: Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. Von Dr. S. STRICKER, Assistenten des physiologischen Instituts und Privat- Docenten an der Wiener Universität. (Elierzu sat]. Indem ich mich in der vorliegenden Arbeit zumeist auf Durchschnitte und auf Beobachtungen im durchfallenden Lichte beziehe, die Batrachier-Eier sich aber bekanntlich wegen ihrer Undurchsichtigkeit und Consistenz zu solchen Beobachtungen scheinbar wenig eignen, will ich vorerst über die Methode berichten, nach welcher ich die genannten Eigenschaften für die Untersuchung unschädlich machte. Wenn man eine Gruppe von Eiern oder Larven in mässig verdünnte Chromsäure legt, so werden dieselben nach ein bis zwei Tagen intensiv gelb gefärbt und bekommen eine eigenthümlich weiche Consistenz. Waren die Eier noch in ihren Gallerthüllen!), so werden sie in derselben Zeit durch die Chromsäure isolirt, so dass man sie aus einer flachen Schale leicht herausheben kann. Lässt man ein solches Ei sodann eine oder mehrere Stunden im Wasser liegen, so wird es etwas härter und lässt sich mit glatten Schnittflächen nach den verschiedensten Richtungen spalten. 1) Bei Bufo viridis bildet sich etwa am dritten Tage der Ent- wickelung oberhalb eines jeden Eies ein wie mit einem Locheisen ge- schlagenes Loch in der cylindrischen Gallerthülle, und die Eier sprin- gen gleichsam durch dieses Loch hinaus und bleiben nur durch einen Faden mit dem Gallertstrange in Verbindung. Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 53 Ich spalte nun in der Regel das zu untersuchende Ei in zwei Hälften und behandle diese sodann mit absolutem Alko- hol und Terpentin. Dadurch werden die Präparate so durch- scheinend, dass man die Veränderung in den Keimblättern durch die Ungleichmässigkeit der Trübung wahrnehmen kann’ Man erkennt derart die Anlagen des centralen Nervensystems, der Chorda dorsalis, der Schädel und Gesichtstheile früher, als sich dieselben im auffallenden Lichte kenntlich machen. Eine solche mit Terpentin getränkte Eihälfte. an welcher ich mich nunmehr über den Stand und die Richtung der Uran- lagen unterrichten kann, lege ich mit dem convexen Rücken auf einen Objectträger, und tropfe darauf eine stark erhitzte Mischung von Stearin und weissem Wachs. Bevor diese auf das Ei gebrachte Mischung erkaltet, überzeuge ich mich mit der Lupe noch einmal von der Richtung, welche namentlich die centrale Nervenanlage hat und zeichne mir diese auf der erkaltenden Masse ab. Wenn ich die letztere sodann von dem Objectträger abhebe, was namentlich dann leicht gelingt, wenn dieser vorher mit Terpentin benetzt wurde, ist das Ei darin eingebettet. Unter steter Befeuchtung des Präpa- rates und des zu verwendenden Messers mit Terpentin ge- lingt es sodann die Eihälfte nach vorsätzlichen Richtungen in fast beliebig dünne Scheibchen respective Halbkreise zu zerschneiden. Das Präparat, welches auf dem Messer haften bleibt, schwemme ich endlich durch Terpentin auf einen Ob- jecetträger und bette es innerhalb eines aus dünnem Papier geschnittenen Walles in Damorlack ein. Solche Präparate können mit den stärksten Vergrösserun- gen untersucht werden und bleiben, soweit meine jetzigen Erfahrungen reichen, jahrelang unverändert. Das Schneiden so kleiner und so locker verbundener Mas- sen erfordert immerhin einige Geschicklichkeit, jedoch wird diese wohl Jedem zuzusprechen sein, der sich überhaupt mit Erfolg an mikroscopische Arbeiten wenden kann. Die Prüfung der hier zur Sprache kommenden Verhält- nisse sowie der Entwickelung der Batrachier überhaupt er- fordert in solcher Weise nicht, dass man sich ausschliesslich 54 Dr. S. Stricker: damit beschäftige, dass man sich durch andauernde, minu- tiöse Präparationen jene Sachkenntniss erwerbe, welche zum Erkennen der bisher nur im auffallenden Lichte beobachteten Anlagen nothwendig ist. Denn die Bilder, welche sich auf derlei Schnitten darbieten, sind oft so bestimmt, zeigen so deutlich Zelle an Zelle gereiht und zu Gruppen vereinigt, dass sie eben nur eine Deutung zulassen. Wohl bin ich trotz jahrelanger Beschäftigung in diesem Gebiete noch nicht über fragmentarische Kenntnisse hinausgekommen. Die Ursache hiefür liegt aber einerseits darin, dass ich bis in die letzte Zeit nicht in der Lage war, mein Material auch nur einige Monate intact zu erhalten. Die Eier wurden brüchig oder weich und ich bemühte mich vergebens dasselbe mit Erfolg zu bearbeiten. Gegenwärtig kann ich indessen das einmal gesammelte Material durch abwechselndes Aufbewahren in verdünnter Chromsäure oder Wasser das ganze Jahr hin- durch erhalten. Wenn ich dann jedesmal nur das zu prä- parirende Ei gerade so lange im Terpentin lasse bis aller Alkohol verdrängt wird, kann ich den Erfolg des Schnittes mit Sicherheit voraussagen. Andererseits bietet aber die Beobachtung von dünnen Schnitten einen viel weiteren Gesichtspunet; sie stellt uns wenigstens die Aussicht die Entwickelungsgeschichte der Ba- trachier, insofern sie eine anatomische Frage ist, zu erschö- pfen; ja sie stellt uns die Aussicht den einzelnen Zellen von der Furchung ab folgen zu können. Diesen Ansprüchen aber gerecht geworden zu sein kann ich bis jetzt nicht beanspruchen. Was die älteren Larven betrifft, so können hier die Durch- schnitte ohne viel Vorbereitung ausgeführt werden. Man braucht sie nur einige Tage in absolutem Alkohol liegen zu lassen um sie in beliebig dünne Scheibchen zerschneiden zu können. Will man sie jedoch mit der Nadel aufpräpariren, so thut man gut sie durch zwei oder drei Tage in Chromsäure auf- zubewahren, weil dadurch das Pigment entfärbt wird. Bevor ich nun auf die Entwickelung selbst eingehe, will ich früher einzelne Gebiete des Kopfknorpelskeletes, über welche noch Meinungsverschiedenheiten obwalten, beleuchten, damit Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier, 55 wir zu einem verständlichen Bilde desjenigen Objectes gelan- gen, mit, dessen Aufbau wir uns beschäftigen sollen. Da die Larven, namentlich wenn sie sich unter günstigen Ver- hältnissen rasch entwickeln, gewissermaassen einer steten Metamorphose unterworfen sind, indem gewisse ursprünglich bindegewebige Membranen. allmälig in Knorpel übergehen, muss ich mich vorerst auf junge Larven beschränken, und zwar, um das Alter näher zu bestimmen, mit solchen, .bei denen der Darmcanal seiner ganzen Länge nach eben voll- endet wurde. Wenn wir uns aus dem Kopfe einer solchen Larve einen dünnen Durchschnitt verschaffen, welcher annäherungsweise an der Austrittsstelle der Sehnerven senkrecht auf die Län- genachse des Thieres geschnitten ist, so ergiebt sich an dem- selben folgender Befund. Der Hirnquerschnitt ruht auf einer dünnen, mässig nach unten ausgehöhlten Membran, welche zu beiden Seiten des ersteren an je ein Scheibchen befestigt ist. (Fig. 1g.b.). Bei stärkerer Vergrösserung zeigt jene Membran ein wellig- faseriges Aussehen; man kann sich jedoch leicht überzeugen, dass sie aus langgestreckten spindelförmigen Zellen zusam- mengesetzt ist, deren Fortsätze ihr dieses Aussehen verlei- hen. Fig. 1a. Die Scheibehen sind dreieckig, mit abgerun- deten Seiten und Spitzen und bilden einen Complex von Knorpelcapseln, deren ich in je einem Scheibehen etwa vierzig zählen kann. In je einer Knorpelcapsel liegt zumeist ein mit einem punctförmigen Kerne versehenes Körperchen; zuweilen ist dieses in Theilung begriffen, und zuweilen sind deren auch zwei vorhanden. Indem die dünne Basalmembran zu beiden Seiten an je ein solches Scheibchen gelangt fasert sie sich auf und um- spinnt das letztere mit einem Zuge locker aneinander liegen- der spindelförmiger Zellen. Nur an der zum Hirnquerschnitt zugewendeten Seite des Scheibchens liegen diese Zellen dichter aneinander und setzen sich dermaassen nach oben fort, bis sie die allgemeine Decke erreichen, und indem dieses zu bei- 56 Dr. 8. Stricker: den Seiten geschieht, mit dieser zusammen‘ die Höhle ab- schliessen, in welcher der Hirnquerschnitt liegt. Stellen wir nun diesem Präparate ein zweites gegenüber, bei welchem es uns gestattet ist die Schädelbasis in der Vo- gelperspective zu betrachten. Um sich ein solches Präparat zu verschaffen ist es zweckmässig, die Larve zwei bis drei Tage in mässig concentrirter Chromsäure liegen zu lassen, sodann die Haut abzuziehen und die untere Leibeswand zu entfernen. Es gelingt dieses sehr leicht, wenn man je ein Kiefergerüste mit feinen Pincetten fasst und so die Larve auseinander reisst. Die obere Hälfte derselben wird hernach so auf den Objectträger gelegt, dass das Gehirn nach oben sieht, und endlich wird dieses, sowie die Augen mit einem Häkchen abgehoben. Es zeigt sich sodann, dass das Hirn von seinem vorderen Ende an bis nahe an die Gehörorgane auf einem mässig über den Grund erhöhten Rahmen auflag. Fig. 2. | Die seitlichen longitudinalen Leisten dieses Rahmens sind ziemlich dünn und biegen sowohl an ihrer vorderen als hin- teren Grenze nach innen, das ist, gegen die Mittellinie um und verschmelzen daselbst. Die hintere Verschmelzungsstelle ist gleichzeitig der vordere Abschnitt einer Platte, in deren Mittellinie die Chorda dorsalis liegt, ohne mit ihrer stum- pfen Spitze den vorderen Rand der Platte zu erreichen. Zu beiden Seiten der Chorda-Spitze und auf einem Abstande von nur einigen Knorpelzellen treffen wir auf die inneren Gren- zen der Gehörorgane, durch welche die Platte nunmehr ver- deckt wird. Von rückwärts endlich schieben sich über die- selbe Rückenmuskeln, so dass sie auch nach dieser Richtung nicht über die Grenzen der Gehörorgane zu verfolgen ist. (Fig. 2.) Durch die vordere Verschmelzung der seitlichen Leisten ist ein Querbalken gegeben, auf dessen weitere Verbindungen wir späte zu sprechen kommen. Mitten in dem Rahmen ist eine durchsichtige mässig ver- tiefte Membran ausgespannt. Die letztere zeigt bei stärkerer Vergrösserung zahlreiche spindelförmige oder auch runde Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 57 Körperchen in einem structurlosen Felde, während der Raum, den der Querbalken einnimmt, von aneinander stossenden Knorpelkapseln erfüllt ist. Vergleichen wir nun die Befunde, welche sich aus beiden bisher gezeichneten Präparaten ergeben haben, so müssen wir es zunächst als ausgemacht annehmen, dass die Knorpel- scheibchen des ersten Bildes Durchschnitte jener seitlichen Leisten sind, welche sich uns in der Vogelperspective prä- sentirten. Beide Präparate unterstützen sich daher in dem Beweise, dass die Mitte der Schädelbasis nur von zwei seitlichen Knor- pelleisten oder Balken begrenzt wird, während zwischen ihnen eine Membran ausgespannt ist, welche nicht Knorpel ist. Rathke!) hat sich über dieses Verhältniss allerdings schon unzweideutig geäussert. „Die Balken,“ sagt er, „stellen zwei schmale, nur wenig dicke Streifen dar, welche aus derselben gallertartigen sulzigen Masse bestehen, als die Belegmasse der Wirbelsaite; nur sind sie von dem dünnen Zwischentheil nicht scharf abgegrenzt.“ In der neuesten Zeit hat aber Kölliker?), indem er sich mehr der gegnerischen Behauptung Reichert’s°?), dass näm- lich die Schädelbasis ganz knorpelig sei, anschloss, dem gal- lertartigen sulzigen Charakter der Balken keine Beachtung geschenkt. Demgemäss begnügte er sich mit der Meinung, dass die Schädelbalken derbere Streifen in einer zusammen- hängenden Basis seien. Insofern es die Batrachier angeht ist aber die gallert- sulzige Oonsistenz ein eben so bestimmtes Charakteristikon als der mikroscopische Befund. Wo immer man mit der Lupe ein ähnlich consistentes Gebilde antrifft, kann man mit Bestimmtheit voraussagen, es sei ein Knorpelgewebe. Und 1) Entwickelungsgeschichte der Natter 1839. 2) Entwickelungsgeschichte des Menschen und der höheren Wirbel- thiere 1861. 3) Vergleichende Entwickelungsgeschichte des Kopfes der nackten Amphibien, 58 Dr. 8. Stricker: Rathke sagt uns, es verhalten sich die seitlichen Balken so bei der Natter wie bei Batrachiern und Fischen. Die Rathkeschen paarigen Schädelbalken sind also Knor- pelbalken und die Mitte des Schädelgrundes der Batrachier ist zu einer gewissen Zeit des Entwickelungslebens nicht knor- pelig. Zu beachten bleibt dabei noch, dass die untere Fläche des Schädelgrundes an die Auskleidung der Schlundhöhle grenzt und diese zeigt an ihrer freien Fläche ein mosaikartig angeordnetes Epithel. Um jeder Täuschung zu entgehen muss die letztere daher entfernt werden, eine Operation, welche ohne viel Mühe ausgeführt werden kann. Hätte die hier angeregte Frage nur eine histologische Be- deutung) so brauchte man ihr nur geringen Werth beizu- messen. Denn die Basalmembran, welche wir kaum anders denn als Bindegewebe ansprechen können, geht während einer späteren Zeit des Larvenlebens ebenfalls in Knorpel über, und dann sind die Schädelbalken nicht derbere, sondern dickere Seitentheile des gleichmässig knorpeligen Schädel- grundes. Die Schädelbalken sind aber in morphologischer Beziehung von ganz besonderem Belange; sie sind in ihrem Entstehen vom eigentlichen Schädelgrunde unabhängig; ja ich möchte sagen, dass diese schöne Entdeckung Rathke’s den vorzüglichsten Lichtpunct bildet, von welchem aus ein be- stimmtes Erkennen der Schädelentwickelung möglich wird. Kehren wir nochmals zu dem in Fig. 1 abgebildeten Quer- schnitte zurück und betrachten wir die Gebilde, welche den Hirnhüllen nach aussen anliegen. Wir finden hier zu jeder Seite ein Auge, welches von oben und aussen durch die all- gemeine Decke, zu beiden Seiten durch etwas lockeres Binde- gewebe und nach unten durch eine aus mehreren Stücken bestehende Unterlage begrenzt ist. Diese Stücke sind von innen nach aussen gezählt: der Querschnitt eines Rathke- schen Balkens, etwas lockeres Bindegewebe, zwei durch- schnittene Muskelbündel und endlich abermals ein Knorpel- stückchen. Das in Fig. 2 abgebildete Präparat giebt uns über diese Stücke genügenden Aufschluss. Es präsentirt sich da zu beiden Seiten des Schädelgrundes abermals je ein Knor- Untersuchungen über die Entwickeluug des Kopfes der Batrachier. 59 pelrahmen, dessen innere Leiste durch einen Rathkeschen Balken gebildet wird. Die äussere Leiste ist nur in ihrem hinteren Abschnitte sichtbar, weil die vordere Hälfte durch ein Knorpelblatt gedeckt ist, welches von der äusseren Kante derselben mit breiter Basis ausgehend, sich in Form eines Dreiecks über den Rahmen hinüberschiebt, um mit abge- rundeter Spitze das vordere Ende des Rathkeschen Balkens zu erreichen, wo beide durch ein kurzes Band verbunden sind. Indem dieses Knorpelblatt theilweise auch den vor- deren Querbalken des Rahmens (Gaumenknorpel, Duges- Reichert) deckt, wird dadurch ein Knorpelcanal gebildet, der nun die vordere knorpelige Grenze der Orbitalbasis aus- macht (Fig. 2). Die dreieckige Knorpelplatte bezeichneten Duges und Reichert übereinstimmend als Orbitalfortsatz. Bezüglich der äussern longitudinalen Leiste aber, welche in ihrer gan- zen Ausdehnung nur bei der Betrachtung von unten sichtbar wird, divergiren die Anschauungen Reicherts von denjeni- gen, welche Duges!) vertreten hat. Um diese Streitfrage zu beleuchten, muss ich an das interessante Verhältniss an- knüpfen, welches, wie schon Reichert dargethan hat, das Verständniss der Entwickelung des Batrachierkopfes in ho- hem Grade erschwert. Die genannte äussere Leiste trägt einen über die Orbitalbasis nach vorn unten und aussen vor- ragenden Fortsatz, an dessen Spitze das Unterkiefergerüste durch ein Gelenk angeheftet ist. (Fig. 4n.) Das Gelenk für den Unterkiefer liegt also in der Larve vor der Orbita. Erst zur Zeit als die Schwanzflosse verkümmert, rückt der eben geschilderte Gelenkfortsatz nach rückwärts bis nahe an das Gehörorgan, wobei das Unterkiefergerüste mit unglaublicher Schnelligkeit die nöthige Verlängerung erhält. Duges glaubte nun, dieser Vorgang werde dadurch zu Wege gebracht, dass die äussere Leiste der Länge nach in zwei Hälften getheilt werde. Die innere Hälfte, glaubte er, bleibe nun in ihrer Lage als Flügelknorpel zurück, die äussere Hälfte aber mit 1) Recherches sur l’osteologie et la myologie des Batraciens 1834. 60 Dr. S, Stricker: welcher der Orbital- und Gelenkfortsatz (apophyse orbitaire und tympanique) verbunden ist, drehe sich um einen hinteren fixen Punct nach aussen. So hat er es wenigstens durch eine schematische Abbildung veranschaulicht. Demzufolge nannte er die Leiste Jame pterygo-tympanique. Reichert zählt den Gelenkfortsatz, den Orbitalfortsatz sammt der äusseren Leiste zum Quadratbeinknorpel, und sagt dass dieser durch allmählichen Schwund jener Leiste an das Gehörorgan herangezogen werde. | Ich konnte bei Hyla und Bombinator niemals eine Spaltung der sogenannten lame pterygo-tympanique wahrnehmen, wohl aber, dass sie allmählich dünner wird, Auch sah ich stets, dass der Orbitalfortsatz in gerader Linie nach hinten rückt. Ich muss mich daher der Anschauung Reicherts an- schliessen. Die Kraft, welche diese sonderbare Bewegung ausführt, möchte ich theilweise in der Thätigkeit des Musculus mas- seter suchen. In der Larve inserirt sich dieser relativ mächtige Muskel am hinteren Querbalken des Orbitalrahmen, zieht zwischen äusserer und innerer Leiste und unter dem Auge nach vorne, , durchsetzt den früher beschriebenen Knorpelcanal, und biegt sodann nach der Richtung des Gelenkfortsatzes ab, um sich mit der Hauptmasse seiner Fasern am Unterkiefergerüste hart oberhalb des Gelenkes anzuheften. Die Wanderung des Or- bitalfortsatzes geschieht also gegen den fixen Punct dieses Muskels hin. Gleichzeitig verkürzt sich aber der Muskel, bis er am Ende des genannten Vorganges von der hinteren Orbitalgrenze fast senkrecht zum Unterkieferaste herabsteigt. Die Wanderung entspricht also wenigstens dem Muskelzuge. Die weiteren hier stattfindenden Vorgänge will ich nicht in den Bereich meiner Betrachtungen ziehen, sondern mich nun dem Aufbaue der Kopfknorpel zuwenden. Die von mir nicht berührten Knorpelstücke, nämlich Stirn- fortsätze sammt oberem Zwischenkiefer und Zungenbein sind von Duges und Reichert treffend geschildert, und dürften Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 61 zur Orientirung die in den Abbildungen gegebenen Andeu- tungen hinreichen. Gehen wir nun auf einen frühen Zustand des Entwickelungs- lebens zurück und fassen wir ein Ei in’s Auge, an welchem der Dotterpfropf kaum mehr sichtbar ist. Ein solches Ei stellt uns eine Kugelschale dar, innerhalb welcher sich eine von Formelementen freie Flüssigkeit befindet. Das untere Drittel dieser Kugelschale ist verdickt, und ragt mit seiner hügeligen inneren Fläche in die Höhle hinein. Der obere Abschnitt der Schale oder die Rückenhälfte des Eies ist nun das ei- gentliche Terrain für unsere Beobachtung. Zur leichteren Uebersicht denken wir uns diesen Theil durch einen horizon- talen Schnitt abgetragen, auf den convexen Rücken gelegt und wollen nun einer Reihe von Veränderungen folgen, welche bei der Beobachtung im durchfallenden Lichte wahrnehmbar sind!). Ursprünglich erscheint die ganze Schale gleichmässig durchscheinend, bis auf eine gegen die Peripherie zu gele- gene Stelle, an welcher sich ein mit freiem Auge eben wahr- nehmbares Scheibehen durch eine dichte Trübung auszeichnet. Es entspricht dieses Scheibchen dem Dotterpfropfe sammt der ihn umgebenden knopfartigen Verdickung der inneren Eiwand oder des inneren Keimblattes. (Bei Bufo cinereus und fuscus ist der Knopf so gross, dass er mit freiem Auge gut sichtbar und so erhaben ist, dass er den hügelartigen Vorsprung der verdickten unteren Wand nahezu berührt.) Bald darauf ergeben sich weitere Trübungen, und zwar ein vom Knopfe ausgehender und geradlinig gegen den Pol hinziehender Streifen, und eine diesen Streifen mit offenen Schenkeln zwischen sich fassende hufeisenförmige Platte. Allmählich nähernsich die Schenkel der Platteund wir haben eine birnförmige Trübung vor uns, deren hinteres schmales Ende dem Knopfe entspricht, deren Längenachse gegen den oberen Pol hinzielt und innerhalb deren breiterem Kopfende eine kleine durchscheinende Stelle noch an das frühere Huf- eisen erinnert (Fig. 5). 1) Fig. 5 in meinen Untersuchungen über die ersten Anlagen in Batrachier-Eiern. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie XI, Bd. 3. Hft. 1861. 62 Dr. S. Stricker: Zu beiden Seiten des breiten Kopfendes erscheinen nun zwei angelagerte und ebenfalls als Trübung sichtbare Seiten- theile und hinter diesen alsbald ein zweites Paar ähnlich zu Tage tretende Plättchen. (Vergl. Fig. 5.) Die räumliche Ursache der hier wahrgenommenen Er- scheinungen wollen wir nun an Querschnitten zu ergründen suchen. Ein Durchschnitt senkrecht auf die Längenachse und durch das breite vordere Ende der vorhin genannten hufeisenförmi- gen Trübung geführt bringt uns, insofern er die Hälfte einer Kugelschale umfasst, einen Halbkreis zur Anschauung, an welchem sich vier parallele Schichten nachweisen lassen. Die äusserste Schichte besteht nur aus einer Zellenreihe, welche in der Mitte an der zunächst darunter liegenden zweiten Schichte so enge anliegt, dass zwischen beiden keine lineare Trennungsspur vorhanden ist. In der ganzen übrigen Peri- pherie ist aber eine scharfe‘ Trennung zwischen erster und zweiter Schichte ausgeprägt (Fig. 7). Diese letztere ist in einer dem Querschnitte des vorderen breiten Endes der Trü- bung entsprechenden Ausdehnung verdickt und umfasst von beiden Seiten der Verdickung ausgehend als eine anfangs auf zwei und endlich auf eine Zelle im Durchmesser beschränkte Schichte die ganze Peripherie der Kugelschale. Nun folgt auf unserem Querschnitte nach innen noch eine dritte und vierte Schichte, welche mehr gegen die Mitte zu aus nur je einer Zellenlage bestehen, während sie sich gegen die Peripherie hin mässig verdicken. Wollen wir nun diese Zellenlagen nach Remak als mo- torisches und als Drüsenblatt bezeichnen und gleich dabei hervorheben, dass sich uns das erstere als eine so dünne Lage präsentirt. Selbstverständlich:: ist unser Querschnitt durch das Kopfende der Oentralnerven-Anlage geführt, ist die ver- dickte Stelle der zweiten Schichte eben diese Anlage selbst und die räumliche Ursache der Trübung, und somit das mo- torische Blatt an dem genannten Orte die Anlage der Schädel- basis. Nicht selten beobachtete ich genau in der Mitte des Schnittes ein dem motorischen Blatte anhaftendes kleines Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 63 Zellenklümpchen, was mich an eine rudimentäre Chorda er- innert, und ich muss auch vorgreifend hinzufügen, dass jene streifenartige Trübung, welche zwischen die Schenkel des Hufeisens hineinreichte, als Ausdruck der sich bildenden Chorda sich gegen das vordere Ende hin so unbestimmt ver- liert, däss sich daraus wohl nicht mit Bestimmtheit schliessen lässt, wie die Chorda nach vorne zu aufhöre. Aber an zahl- reichen Durchschnitten fand ich auch jenes Klümpchen von Zellen nicht und gegenüber dem bestimmten Charakter, wel- chen die Chorda auf dem Querschnitte schon bei ihrem er- sten Auftreten zeigt, ist es uns kaum gestattet dieselbe noch am vordersten Hirnende zu suchen, viel weniger dürfte sie aber dort mit der Nadel aufzupräpariren sein. Geht man mit dem Querschnitte etwas weiter gegen das hintere Ende oder gegen das Rudiment des Pfropfes zurück, so wird zunächst die verdickte Stelle des vereinigten zweiten und ersten Blattes in der Mitte verdünnt und dadurch die Anlage des Gehirns gleichsam zweilappig, indem zu beiden Seiten der Verdünnung je ein Wulst zu liegen kommt. Zu- folge dieses Verhältnisses erscheint dieser Stelle entsprechend an der inneren Fläche der in Rede stehenden Kugelschale eine kleine Bucht, als deren Ausdruck jene lichtere Stelle am vorderen Ende der birnförmigen Trübung zu nehmen ist, deren ich früher gedachte. Je weiter man zurückgeht, um so mehr verdünnt sich die Anlage des Nervensystems und um so mehr nimmt das mo- torische Blatt an Masse zu. Mit dieser Massenzunahme er- scheint auch die Chorda dorsalis auf dem Querschnitte als ein ringsum isolirtes Scheibehen, welches gegen das hintere Ende allmählich dicker wird. Fig. 15. Bei den in Rede ste- henden Eiern findet man zu beiden Seiten des vorderen En- des der centralen Nervenanlage das motorische Blatt mit der darüber liegenden Nachbarschichte in naher Berührung, Wird aber der Schnitt Eiern entnommen, an welchen die dem Kopfende seitlich angelagerten Trübungen wahrnehmbar sind, so ergiebt sich, dass zwischen dem motorischen Blatte und den seitlichen Verlängerungen der Nervenanlage jeder- 64 Dr. S. Stricker: seits eine kleine Zellengruppe neu hinzugetreten ist. Fig. 8. Der Beginn dieser Bildung fällt in jene Zeit, um welche auf der Oberfläche des Eies die breite Rückenfurche sichtbar wird, und die Lage der neu entstandenen Zellengruppen entspricht den seitlichen Grenzen des breiten vorderen Endes jener Furche. Die genannte Zellengruppe nimmt bald an Masse zu und eine annäherungsweise dreieckige Form an. (Fig. 9.) Die neuen Zellenanlagen geben offenbar die Begründung für die wahrgenommenen seitlichen Trübungen, deren, wie oben angeführt, zwei zu jeder Seite vorhanden sind. Das vordere Paar umfasst jederseits den abgerundeten Winkel, welcher durch die seitliche Ausbuchtung des vorde- ren breiten Endes der Rückenfurche gebildet wird, und dehnt sich sodann, indem es nach vorne zu wächst, derart aus, dass jeder Theil die vordere Grenze der centralen Nerven- anlage erreicht und in der Mittellinie mit seinem Gespann zusammentrifft. (Vergl. Fig. 5.) Dieser Vorgang ist einerseits dadurch zu erkennen, dass man eine Reihe von Eihälften im durchfallenden Lichte in der früher angegebenen Weise beobachtet, andererseits aber dadurch, dass man sich eine entsprechende Reihe von Quer- schnitten verschafft. Zum leichteren Verständnisse sei angeführt, dass wir uns das centrale Nervensystem nunmehr als einen nach der Fläche gekrümmten leierförmigen Wulst vorstellen müssen, welcher mit einem Theile seines Durchmessers nach unten hervorragt. Das vordere Ende dieses hervorragenden Wulstes ist nun von den Trübungen oder von den entsprechenden Zellengruppen umgeben. Wir wollen nun diese paarig aufgetretenen Zellengruppen als Plattenpaare bezeichnen und uns vorläufig nur mit dem vorderen Paare beschäftigen. | Indem sich die Rückenfurche schliesst und das vordere Ende derselben sich allmählich nach den Seiten hin ausbuchtet ist die Anlage der Augen gegeben. Vergleiche Fig. 7 und 8. Die beiden runden Ecken am vorderen Ende der centralen Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 65 Nervenanlage sind demgemäss die äusseren Wände der pri- mären Augenblase. Das vordere Plattenpaar hat also schon bei seinem ersten Auftreten die Rudimente der Augenblasen seitlich umfasst; nunmehr bildet es gleichsam eine aus zwei Hälften bestehende Spange für das vordere Ende des cen- tralen Nervensystems, deren Enden sich über die Augenbla- sen nach rückwärts erstrecken. Um diese Zeit nun giebt das Ei seine kugelige Gestalt auf und wird länglich oval. Das vorderste geschlossene und nach beiden Seiten ausgebuchtete Ende der Rückenfurche, oder des jetzigen Oentralcanals, respective dessen Wandung gehört nunmehr der vorderen Begrenzung des länglichen Thierchens, während der hintere Rest des centralen Nerven- systems dessen obere Begrenzung bildet. Die seitlichen Leibeswände des Eies müssen durch diese Formveränderung etwas abgeplattet werden, und damit ist auch eine Lagenveränderung der vorderen das Hirnende um- fassenden Platten gegeben (vergl. Fig. 11). Die Seitentheile derselben werden nämlich mässig nach rückwärts geschoben, so dass ihre gegenwärtige Lage in folgender Weise aufzu- fassen ist. Je ein Theil der Platte beginnt hinter der Augen- blase, umkreist deren hinteren und unteren Umfang und ge- langt sodann an die vordere untere Begrenzung des centralen Nervensystems, an dessen Mittellinie sich beide Theile be- rühren. Von der ganzen vorderen unteren Grenze des Hirns aus- gehend, wuchern nun beide Theile senkrecht nach abwärts, um so die vordere Grenze des Thierchens zu verlängern; andererseits geht aber von jedem hinter je einer Augenblase gelegenen Theile der Platten eine Zellenwucherung aus, welche über die Augenblase hinweg nach vorne schreitet, und diese so weit umwächst!), dass nur an der vordersten Peripherie eine kleine Stelle frei bleibt, wo die Augenblase an das nach vorne gelegene Geruchsorgan grenzt. Hiermit ist nun ein 1) Abbildungen über dieses Verhältniss finden sich in Eckers Ico- nes physiol. und Remak Entwickelungsgeschichte. Reichert’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. an 66 Dr. S. Stricker: Verhältniss geschaffen, welches von anderen Autoren in man- nichfacher Weise gewürdigt wurde, und ich will über das- selbe nicht hinausgehen, ohne die verschiedenartigen Ansich- ten kritisch zu beleuchten. Reichert beginnt seine Ver- handlung über die Entwickelung des Batrachier-Kopfes da- mit, dass er ein Paar aneinanderliegende Fortsätze .be- schreibt, welche an der vorderen Begrenzung des Thieres von den Augenrudimenten nach abwärts reichen. Er nannte sie Visceralfortsätze und glaubte, dass sie von Visceralstrei- fen auswachsen. Ueber diese letzteren werden wir aber gar nicht weiter aufgeklärt. Er sagt uns nicht wie sie entstehen, welche ihre Grenzen sind und welchem weiteren Schicksale sie unterliegen. | Es ergiebt sich also aus Reicherts Arbeiten selbst, dass die Visceralfortsätze nicht den Anfang der Kopfknorpelbil- dung ausmachen, da vor ihnen die Visceralstreifen da ge- wesen sein sollen. Zumal aber diese als vollendet in die Lehre eingeführt werden, ist eine auf die frühere Periode bezügliche Lücke zugestanden. ‘Es ist ferner zugestanden, dass die Visceralfortsätze keine selbständigen Gebilde sind, zumal sie doch eben von den Visceralstreifen auswachsen. Wir sehen also, dass die von Reichert gemachte Ent- deckung nach seinen eigenen Aussagen nach zwei Richtungen hin der Ergänzung bedarf. Ecker verlieh dem ersten Visceralbogen schon weitere Grenzen. Er zeichnete denselben beiläufg in den Dimen- sionen, in welchen wir oben die seitliche Platte verlassen haben. Ein Gleiches thut auch Remak, nur nennt er den Visceralbogen eine Sinnesplatte, weil sie die Sinnesorgane umwachse. Nach dem oben Angedeuteten ist damit unleugbar ein Fortschritt gegeben. Aber bei beiden Autoren vermisst man bei dieser Frage jene Genauigkeit, dessen die Beschreibung eines so mannichfachen Veränderungen unterworfenen Ge- bildes in hohem Grade bedarf. Wir erfahren abermals nicht, wie es gewachsen, welches seine Grenzen nach innen, und welche Metamorphosen es endlich eingeht. Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 67 Wollen wir uns nur die sich von selbst aufdrängende Frage vorlegen, ob diese Sinnesplatte selbständig, oder nur der äussere Rand der Schädelbasis sei, so wird mein obiger Aus- spruch daraus zur Genüge gerechtfertigt. Es muss üorigens zugestanden werden, dass ein gründ- liches Erkennen der hier statthabenden Vorgänge überaus grosse Schwierigkeiten bereite. Das Bloslegen der Gebilde in der Weise, wie es die genannten Autoren ausgeführt, kann kaum zu einem Resultate führen. Denn es gehen innerhalb der Platte Veränderungen vor sich, welche bei ihrem ersten Entstehen im auffallenden Lichte auch von den geübtesten Augen nicht erkannt werden mögen. Sind aber die Verände- rungen weiter vorgeschritten, dann ist es für die Orientirung zu spät. Aus dem bisher beschriebenen Zustande geht das nahezu vollendete Kopfskelet fast mit einem Schlage hervor. Und soweit es mich betrifft, suchte ich lange Zeit vergeblich nach befriedigenden Theorien für einen Vorgang, den zu ver- folgen ich nicht in der Lage war. Setzen wir nun den Fall, so wie er bisher allgemein und auch von mir festgehalten wurde, dass die Schädelbalken nur eben Seitenränder der Schädelbasis seien. Was soll dann aus jener Platte werden, welche von dem Visceralbogen im Sinne Eckers über das Auge hinüberwächst und so an die Seite des Gehirns zu liegen kommt? Dieser Visceralbogen giebt doch anerkannter Weise die äussere Knorpelleiste des Orbitalrahmens, von welcher sich niemals ein Gebilde an das Hirn hinaufzieht. Was aber das Gehirn in Wirklichkeit seit- lich bedeckt, geht von der oberen Kante des Rathkeschen Balkens aus.‘ Wo ist endlich die Anlage für den Masseter gegeben, und wie kommt er in den Knorpelcanal hinein, da ein Wachsen des Orbitalfortsatzes gar nicht zur Beobachtung kommt? Ich habe schon erwähnt, wie ich mir aus allen möglichen Gebieten dünne und durchsichtige Schnitte zu beschaffen wusste. An solchen wurde ich nun gewahr, dass sich an der Stelle der Platte, welche das Auge von unten begrenzt, und innerhalb derselben eine rundliche Zellengruppe von der ei %* d 68 Dr. S. Stricker: Umgebung isolirt und einen von derselben verschiedenen Charakter annimmt (vergleiche Fig. 18). Während sich an der Peripherie des Querschnittes theils dicht an einander- liegende, theils durch helle Zwischenräume getrennte Zellen vorfanden, bot die in der Mitte befindliche und durch einen Contour isolirte Gruppe ein Aussehen, wie man es nur bei Muskelentwickelung gewahr wird. Zahlreiche helle Körner, wie sie in Furchungskugeln gefunden werden, lagen dicht übereinander. Ich schloss daraus, dass ich hier die Anlage des Musculus masseter vor mir habe. Der Durchschnitt der Platte nimmt aber die ganze Breite eın, auf welcher das Auge liegt, das heisst, sie stösst nach innen und oben an die Hirnbasis.. Wenn sich nun im Innern der Platte ein Muskel isolirt, und an dessen innerer Seite noch Zellen liegen bleiben, die bis an das Hirn stossen, so muss ich in diesen die Anlage jener Gebilde suchen, welche in der Larve zwischen Masseter und Hirnbasis gefunden wer- den; Gebilde auf welche sich gerade die Bemerkung bezog, dass sie wegen der Raschheit ihres Zustandekommens kaum zu verfolgen sind. Eine Reihe senkrechter Durchschnitte aus der Augenge- gend brachte mich zu der Ueberzeugung, dass der Masseter, soweit er in der Orbitalbasis liegt, aus der Achse der Platte abgegrenzt wird. Die ihn umgebenden Zellen sind aber nicht überall gleichmässig angeordnet. Am vordersten Abschnitte der Orbitalbasis waren diese Zellen fast ringsherum dicht angereiht, eine Anordnung, aus welcher sich mit Rücksicht auf die Localität auf Knorpelanlage schliessen lässt. An mehr nach rückwärts gelegenen Schnitten war die Anordnung ungleichmässig, nur erschien immer eine am Gehirn anlie- gende Zellengruppe dichter. Derlei Präparate gaben nun der Ansicht Raum, dass alle die Gebilde, welche bei der ausgebildeten Larve an der Or- bitalbasis gefunden werden, aus einer einzigen Zellenmasse durch Bildung von Grenzlinien entstehen. Die von Remak für die Entwickelung der Muskelplatten Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 69 am Rumpfe aufgestellten Gesetze konnten diese Ansicht nur unterstützen. Die Zellenmasse, aus welcher sich am Kopfe Knorpel, Bindegewebe und Muskel abscheiden, gehört zwar nicht direet dem motorischen Keimblatte an; aber sie ist auf demselben zu beiden Seiten des Hirns gewachsen und verschmilzt mit ihm im Laufe der Entwickelung. Dass ich diese ursprünglich gesondert vorführte beruht auf einer anatomischen Thatsache; sie sind eben durch eine Grenzlinie von einander geschieden. Gleichwohl kann man sie als die nach aufwärts wachsenden Theile des motorischen Blattes auffassen. Nur muss dabei die immerhin wichtige Zu- gabe festgehalten werden, dass dieselben Zellenmassen oder ihre Verlängerungen von den Autoren als Visceralfortsätze in dem einen oder anderen Sinne respective als Sinnesplatten angesehen wurden. Bei der genauen Prüfung aller vorliegenden Verhältnisse war die aus jenen Präparaten abstrahirte Vorstellung die einzige, welche mich bezüglich der Kopfknorpelbildung nach allen Richtungen befriedigen konnte. Dass die seitlichen Platten nach vorne unter dem vorder- sten Hirnabschnitte verschmelzen war ein für allemal festge- stell. Nicht minder auch, dass die Visceralfortsätze im Sinne Reichert’s nur die Verlängerungen derselben nach abwärts sind. Diese Fortsätze liegen ursprünglich parallel und nahe an- einander. Nun bildet sich zwischen ihnen der Zugang zur Visceralhöhle derart, dass sie um dieser letzteren gleichsam einen Ring bilden. Der untere Theil des Ringes gehört dem Unterkiefer an, der obere Theil aber bleibt die vorderste Unterlage des Hirns. Diese Unterlage ist aber mit der vor- deren Verschmelzung der Rathkeschen Balken identisch. Also gehört der vordere Querbalken des Knorpelrahmens der Schädelbasis unstreitig den seitlichen Platten an und müsste selbst im Sinne Reichert’s den Visceralfortsätzen angehören. Unter allen Verhältnissen muss auch die directe Verlängerung dieses Querbalkens nach aussen und unten, der Gaumenknorpel nämlich, dieser seitlichen Platte angehören. 70 Dr. S. Stricker: Dass ich nun an dieser Stelle den Muskel schon in seiner Entstehung von Knorpelanlage umringt fand, beweist, dass der Gaumenknorpel sammt dem Orbitalfortsatz aus einer Anlage entstehen. Wenn ich nun weiter sehe, dass der Rathkesche Balken nicht unter dem Gehirne, sondern an der Seite desselben liegt; wenn ich sehe, dass das dünne ein- zellige Blatt, welches ursprünglich unter dem Hirne lag, als eben so dünnes Blatt bis in ein vorgerückteres Alter der Larven verbleibt; dass endlich auf demselben zu beiden Sei- ten des Hirns nur je eine Zellenmasse entsteht, in deren Mitte sich der Masseter abscheidet; so muss ich den Rathke- schen Balken eben dieser Zellenmasse zuzählen. Ich muss also annehmen, dass der ganze Knorpelrahmen der Orbital- basis sammt dem dazwischen liegenden Muskel und Binde- gewebe aus je einer seitlichen Platte entsteht, deren Verlän- gerung nach abwärts durch die Bildung der Mundöffnung nach der Seite hin ausgebaucht, zu einer Hälfte des Unter- kiefergerüstes umgestaltet wird. Sehen wir nun ab von den Stirnfortsätzen mit dem dazu gehörenden oberen Zwischenkiefer, welche ersteren aus dem vorderen Querbalken der Schädelbasis erst dann auswachsen, wenn die hier gezeichneten Verhältnisse vollendet sind, so sehen wir, dass alles, was am Kopfe von vor den Gehör- organen angefangen, knorpelig ist, aus dem einen Paare seitlicher Platten gebildet wird, welche zu einer frühen Le- bensperiode als longitudinale Blastemstreifen das vorderste Hirnende von beiden Seiten schienenartig begrenzen. Die Zellenwucherung, welche vom hinteren Ende dieser Schiene ausgeht und über das Auge hinüberwächst, geht nicht direct in Knorpel über, sondern wird zuerst zu einer aus Bindegewebe bestehenden Membran. Um die Zeit, als diese Wucherung vollendet wird, ist der die Augenblase mit der Hirnhöhle verbindende Canal noch ziemlich weit und wird nun von den neugebildeten Zellen nach Art einer Schlinge um- fasst. (Vergl. Fig. 13 und 14.) Das Auge verlängert sich einigermaassen nach aufwärts, der Canal respective dessen Wände werden auf die Dimensionen der bleibenden Sehner- Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 7] ven reducirt und die über ihm liegende Zellenmasse wuchert einerseits nach aufwärts um das Gehirn seitlich zu bedecken und folgt andererseits dem sich verengernden Sehnervencanal. Endlich kommt das Verhältniss zu Stande, dass eine Mem- bran, die von der oberen Kante eines Rathkeschen Balkens ausgehend, sich seitlich an das Gehirn anlegt, hart oberhalb jener Kante vom Nervus opticus durchbohrt wird. Ich habe früher erwähnt, dass hinter dem ersten Platten- paare ein zweites als Trübung sichtbar wird, und zwar ent- spricht dieses der Stelle, wo etwas später das Gehörbläschen sichtbar wird. Auf dem Querschnitte ergiebt sich, dass auch das zweite Plattenpaar aus einer Zellenwucherung entsteht, welche zu beiden Seiten des centralen Nervensystems auf dem motorischen Blaätte stattfindet, und ich muss dabei aber- mals hervorheben, dass es eine Zeit giebt, in welcher die so entstandene Zellenmasse von dem unterliegenden Blatte durch einen Contour getrennt ist. (Fig. 16.) Dass sie andererseits von ihrem Nachbarn nach vorne gleichfalls durch eine Grenzlinie geschieden ist, muss ich nach den Befunden auf Längenschnitten ebenso aufrechter- halten. Wohl besteht aber diese Trennung nicht lange, son- dern bei einigermassen vorgerückten Larven setzt sich die vordere Platte ununterbrochen nach rückwärts fort. Dieses zweite Plattenpaar wuchert nun an der Seite des länglichen Thierchens und auf der einmal gegebenen Basis nach abwärts (Fig. 6), kommt sodann äusserlich als ein Paar von Wülsten zum Vorschein und bildet, indem sich beide an der unteren Grenze des Thieres vereinigen, einen wirklichen Bogen, ganz so, wie ihn Reichert als zweiten Visceral- bogen beschrieben hat. In Beziehung auf diesen Bogen stehen sich folgende An- sichten einander gegenüber: Reichert lässt denselben von der Schädelbasis ausgehen. Die obere Abtheilung desselben soll sich nun jederzeit an den ersten Visceralbogen anlegen, um den Orbitalrahmen zu vollenden, die untere Abtheilung aber in Theile des Zungen- beins übergehen. 72 Dr. S. Stricker: ‚ Auch Rathke bringt die zweite Schlundschiene mit dem Zungenbein in Zusammenhang, nur soll sich in demselben ein vom Herzen ausgehendes Gefäss befinden. Remak endlich fasste das Verhältniss anders auf. Nach ıhm soll die Sinnesplatte nach rückwärts wachsen, um auch das Gehörorgan einzuhüllen. Damit entfällt also der obere Abschnitt des sogenannten zweiten Visceralbogens. Sodann beschreibt Remak eine hinter der Sinnesplatte liegende Kie- menplatte, aus welcher sich die einzelnen parallelen Wülste durch Einbuchtung des Drüsenblattes bilden sollen. Unstreitig sprechen viele Momente zu Gunsten dieser Auf- fassung. Einerseits sieht man, wie oben erwähnt wurde, eine di- recte Verlängerung der ersten Platte nach rückwärts bis unter das Gehörorgan. Zu dieser Zeit ist ferner auch der grössere untere Abschnitt des sogenannten zweiten Visceralbogens nach oben zu von der darüber liegenden Zellenmasse äusser- lich (Fig. 17) und auch im durchfallenden Lichte (Fig. 17a) durch eine Grenzlinie geschieden. Endlich sind die neben- einander stehenden Wülste wirklich nur durch Einbuchtungen des Drüsenblattes getrennt, und lässt sich anfangs kaum ein anatomisches Merkmal angeben, wodurch sie sich von ein- ander unterscheiden. Bezüglich des Zusammenhanges des oberen Abschnittes mit der ersten seitlichen Platte habe ich mich bereits dahin. geäussert, dass ich zu einer frühen Zeit eine bestimmte Tren- nungsspur finde. Ich muss also annehmen, sie wären im Laufe der Entwickelung miteinander verschmolzen, wie dies auch Reichert angiebt. Nur setze ich hinzu, ist die Bil- dung des Orbitalrahmens nicht das Resultat dieser Verschmel- zung, sondern dadurch wird bloss jene Continuität erzeugt, welche wir in der entwickelten Larve zwischen der Orbital- basis und der knorpeligen Unterlage der Gehörorgane erzielt. Wäre diese Trennungslinie übrigens auch nicht vorhanden, so könnte ich mich der Anschauung Remaks dennoch nicht anschliessen; denn ich sehe die Zellenmasse, welche dem Gehörorgane als Unterlage dient, und es später theilweise Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 73 umwächst, als Trübung im durchfallenden Lichte, und auf dem Querschnitte zur Zeit als die Rückenfurche noch ziemlich weit offen liegt. Nun gelang es mir zwar bis jetzt nicht den ersten Spuren des Gehörorgans mit Bestimmtheit zu folgen; aber soviel darf ich aussagen, dass um jene Zeit noch nichts da sei, was man mit einem solchen Namen belegen könnte. Ich sehe aber ferner sowohl im durchfallenden Lichte als Trübung wie auf dem Querschnitte, dass die Zellenmasse, welche dem Birn anliegt und auf welcher später das Gehör- bläschen liegt, Sich direct nach abwärts verlängert. Ich muss demgemäss den ersten Kiemenwulst oder zweiten Visceralbogen nach den Dimensionen aufrecht erhalten, wie ihn Reichert beschrieb, und annehmen, dass der oberste Abschnitt, auf welchem die Gehörorgane aufliegen, von dem unteren Theile abgegrenzt wird, welcher letztere allmählich eine schiefere Stellung einnimmt, sich mit dem oberen Ende an die Orbitalbasis anlegt um Suspensorium und Körper des Zungenbeins mit den daran hängenden Muskeln zu bilden. Was das Wachsthum dieses Bogens anbelangt glaube ich mich an Reichert’s Ausdruck halten zu dürfen, dass er nämlich hervorwächst. Die Beobachtung an einer Eihälfte im durchfallenden Lichte, wo man es deutlich sieht, dass sich die ihm entsprechende Trübung allmählich weiter vor- schiebt spricht zu deutlich dafür. Dass das Drüsenblatt zwi- schen den einzelnen Kiemenwülsten eingestülpt ist ist kein Kriterium für deren Erstehung. Denn eine solche Einstül- pung ist auch nach vorn zwischen den beiden ersten Visceral- fortsätzen im Sinne Reichert’s und doch sind diese gewiss nicht erst dadurch abgegrenzt worden. Es tritt nun an uns die Frage heran, wie wir diese ersten zwei hintereinander liegenden Plattenpaare zu nennen haben. Das erste derselben dient zu so mannigfachen Zwecken, dass wir kaum einen Namen finden dürften, welcher dessen ganzen Bedeutung entsprechen könnte. Wir haben gesehen, dass sich aus demselben Knorpel Muskel- und Bindegewebe entwickeln und ich werde ein anderes Mal noch Gelegenheit haben, näher auf die Nervenstämme und Ganglien einzugehen, welche 74 Dr. S. Stricker: diesen Plattenpaaren ihre Entstehung verdanken. Es bleibt uns also nur übrig, sie nach ihrer Lage zu bezeichnen und ich möchte den von Rathke eingeführten Namen der Schlund- schienen beibehalten, weil die Aeusserungen dieses Autors zwar nicht umfassend genug aber mit so viel Vorsicht ge- halten sind, dass sie unseren weiteren Begriffen keinen Ein- trag thun. Rathke sagt: „In der vordersten und längsten dieser Schienen bildet sich jedenfalls eine Seitenhälfte des . Unterkiefers, in der zweiten ein Horn des Zungenbeins, und aus jeder darauf folgenden bei Fischen und Batrachiern ein Kieme.“ Ich will also mit Rathke von einem ersten, zweiten Paare und von hinteren Schienen sprechen, welche ich durch die Zahl in der Reihe benenne und glaube dazu um so eher berechtigt zu sein, als alle Schienen auf demselben Boden, das ist auf dem sogenannten motorischen Blatte wachsen, und als aus jeder derselben histologisch differente Gebilde entstehen. Die erste Schiene habe ich in Bezug auf diese letzte That- sache hinreichend besprochen. Die Besprechung der hinteren Schienen aber behalte ich mir wegen so mannichfach interes- santer histologischer Vorgänge für ein nächstes Mal bevor. Um nun in Kürze die besprochenen Beobachtungen wieder- zugeben will ich zusammenfassen, dass sich erstens auch am Kopfe Muskel und Knorpel auseiner Unterlage her- ausbilden, dass sich ferner die gesammte ursprüng- liche Knorpel- und Muskelanlage des Knopfes von vor den kehörorganen angefangen aus einem Paar von Schienen entwickeln, mögen diese Knorpelnun dem Schädel oder dem Gesichte angehören; dass sich endlich das ursprüngliche mittlere Keimblatt selbstständig nur insofern an der Schädelbildung betheiligt, als es die Mitte des Schädelgrundes bildet, welche zu einer frühen Zeit’des Larvenle- bens nicht knorpelig ist. Untersuchungen über die Entwickelung des Kopfes der Batrachier. 75 Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Querschnitt aus dem Kopfe einer jungen Krötenlarve, die untere Visceralwand weggelassen, a Auge. p Sehnerv. v Hirnquerschnitt. gd Schädelgrund. b Rathkescher Balken. S Auskleidung der Schlundhöhle mit einer daran hängenden Papille. h häutige Schädelwand. Fig. 1a. Rathkescher Balken mit einem Stück daran hängendem membranösen Schädelgrund stärker vergrössert. Fig. 2. Vogelperspective auf einen Schädelgrund mit den Seiten- theilen. b Rathkescher Balken. o processus orbitalis. x Gaumenknorpel. t lame ptergyo-tympanique Duges. hg Gehörorgan. k Knorpelplatte um ce Chorda dorsalis. 1 Gelenkgrube für das Zungenbein-Suspensorium, & Gelenksfortsatz für den Unterkiefer (apophyse-tympanique Duge&s). n Stirnfortsätze (Reichert). gd Schädelgrund. m Musculus masseter. Fig. 3. Ein Querschnitt durch den Kopf einer jungen Larve (die untere Visceralwand abermals weggelassen). Der Schnitt ist nach der Richtung geführt, wie es der Pfeil in Fig. 2 bezeichnet. gd Schädelgrund ist bier knorpelig und geht direct in z (Gaumen- knorpel) über. Dieser krümmt sich nach aussen und oben und wird sodann ÖOrbitalfortsatz; welcher aber nicht an seiner breitesten Stelle getroffen ist. m Masseter, a und v wie in Fig. 1. Fig. 4 Ein Stück Larvenskelet von innen respective von unten gesehen. z Gaumenknorpel geht nach vorne in den Gelenkfortsatz für den Unterkiefer g über und nach rückwärts in die äussere Leiste des Orbitalrahmens. z Zungenbein - Suspensorium. zu Meckelscher Knorpel (Reichert). n, a, v, m wie früher. i ein Bandapparat, welcher das Geruchsorgan deckt. Fig. 5. Eine Ei-Rückenhälfte, an welcher die Rückenfurche noch weit offen liegt, im durchfallenden Lichte beobachtet. d, d, erste und zweite Schiene als Trübung sichtbar. v centrale Nervenanlage. c Wirbelsaite. Fig. 6. Ein schräger Abschnitt aus einem bereits länglichen Ei- chen auf den Rücken gelegt und im durchfallenden Lichte betrachtet. d, d, wie früher. a centrales Nervensystem mit der Augenausbuchtung. Fig. 7, 8, 9 und 10 sind senkrechte Durchschnitte aus Rücken- hälften und veranschaulichen die Bildung der Rückenfurche. di Quer- schnitt einer vorderen seitlichen Schiene. Fig. 10a giebt die Schnitt- richtung an. Fig. 11. Schnitt aus einem bereits länglichen Eichen nach der in Fig. 10a angegebenen Richtung. Die Rückenfurche ist geschlossen, die vorderen Schienen sind etwas nach rückwärts gewichen und hinter ihnen die zweiten Schienen als Wülste sichtbar. 76 Dr.S.Strieker: Unters. üb. d. Entwickel. d. Kopfes d. Batrachier, Fig. 12. Aehnlich geführter Schnitt aus einem älteren Thierchen. Die Augenblasen sind weiter ausgebuchtet. d die vordere Schiene ist auf dieser Höhe ganz hinter das Auge getreten. Diese Stelle ist es auch, von welcher sich eine Zellenmasse über das Auge hinüberschiebt, so dass, wenn man nun senkrecht auf die Längenachse schneidet, wie dieses in Fig. 13 und 14 abgebildet ist, sowohl über als unter dem Auge Theile der vorderen Schiene zum Vorschein kommen. Der Schnitt, welcher in Fig. 13 abgebildet ist, lag im rip: rate hart hinter dem, welcher in Fig. 14 gezeichnet ist und beide sind etwas schräge von oben nach unten und vorne geschnitten, wie dies etwa der doppelte Pfeil in Fig. 11a andeutet. a die Augenaus- buchtung, welche nun die tiefste Stelle am centralen Nervensystem einnimmt. Die Zellenmasse, welche über dem Auge liegt, wird zum grössten Theile in jene Platte umgestaltet, welche in Fig. 1 mit h be- zeichnet ist. Die Zellenmasse, welche unter dem Auge liegt, ist der hinterste Abschnitt des ersten Visceralbogens im Sinne Reichert’s. Hinter dem Auge fliessen die Zellenmassen zusammen, wie dieses in Fig. 13 bei der Linie a angedeutet ist. Fig. 15 ist ein Querschnitt aus der Mitte der Rückenhälfte eines Eies, an welchem die Rückenfurche kaum noch wahrnehmbar bei stär- kerer Vergrösserung nach einem von Dr. Melhikoff verfertigten Prä- parate abgebildet. c Wirbelsaite von den Seitentheilen scharf abge- grenzt, darüber liegt das centrale Nervenblatt hier von der äussersten Zellenschichte so getrennt, wie es die Zeichnung eben giebt. Ich habe mich in jeder Einzelheit möglichst getreu an die Natur gehalten und glaube, dass dieses Bild ein beredteres Argument gegen die Durch- führbarkeit eines Hornblattes bei den Batrachiern abgeben mag, als es durch Worte geschehen kann. Fig. 16. Querschnitt aus der Gegend der Basis der zweiten Schiene, welche hier durch d, repräsentirt wird. Fig. 17. Senkrechter Schnitt aus einer Larve, an welcher die äusseren Kiemen zu wuchern beginnen, etwas schräge von oben nach unten und hinten geführt. m Masseter, welcher sich im Centrum des- jenigen Theiles der vorderen Schiene isolirt, welcher unter dem Auge liest. a Auge mit schon angedeutetem Pigmentstratum der Chorioidea. Die Zellenmasse, welche über dem Auge liegt, ist tiefer herabgewu- chert, so dass dadurch der Sehnerv auf sein bleibendes Volumen zu- rückgeführt wird. Durch Schiefstellung des Schnittes ist der Sehnerv nicht sichtbar. » schelnt mir einen Muskel anzudeuten und zwar den- jenigen, welcher in der Larve auf dem Orbitalfortsatze liegt. S Drüsen- blatt. z ist jener untere T’'heil der zweiten Schiene, welcher in das Zungenbein übergeht und wegen der schrägen Schnittrichtung getrof- fen ist. Dr. L. Landois: Die normale Gestalt der Pulscurven. Si | Die normale Gestalt der Pulseurven. Von Dr. L. Lannoıs, Privatdocent und Assistent für den physiologischen Unterricht an der Universität Greifswald. Sobald man sich überzeugt hatte, dass die blosse Beta- stung der Arterien durchaus keinen sichern Anhalt geben konnte in Betreff der genaueren Verhältnisse der Expansion und Contraction der Gefässwände, war’ hierdurch zugleich die Anforderung gestellt, durch Apparate der Unzulänglich- keit des Tastsinnes zu Hülfe zu kommen. Unter den man- nichfaltigen zu diesem Zwecke angewandten Instrumenten tritt uns zuerst die Gruppe derjenigen entgegen, bei denen das Blut aus einem quer durchschnittenen Gefässe in eine Röhre strömt und hier entweder selbst bei der Systole und Diastole auf- und absteigende Bewegungen macht, oder einem in der Röhre befindlichen heterogenem Fluidum diese seine Bewegungen mittheilt. Hales') der zuerst (1744) auf diese Weise experimentirte, kam zu dem Resultate, dass die Dauer der Expansion zu der der Contraction der Arterienwand beim Pulse sich verhalte wie 1:2 (mittlere Celerität). Poiseuille?) (1825) verbesserte den Hales’schen Apparat und Ludwig?) (1847) richtete denselben zur graphischen Darstellung der Pulscurven ein und gab seinem nunmehr allgemein bekann- ten Instrumente den Namen Kymographium. Das Ludwig’sche Instrument ist hingegen als Pulscur- 1) Statik des Geblüts, Uebers. Halle 1847. 2) Rech. sur la force du coeur aort. Paris 1828. 3) Müller’s Archiv 1847. 78 i Dr. L. Landois: venzeichner nicht anwendbar, da das in der Röhre befind- liche einmal in Bewegung gesetzte Quecksilber eine so ener- gische Eigenschwingung zeigt, dass die feineren Nüancen im auf- und absteigenden Theile der Curve hindurch völlig ver- wischt werden, wie die Vergleichung der Ludwig’schen Curven mit andern zur Genüge zeigt. Ausserdem wies Red- tenbacher !) auf mathematischem Wege die Unzulänglich- keit des Apparates für die Oonstruction der Pulscurven nach. Eine andere Reihe von Apparaten, deren Erfinder H£r- rison?) ist (1837), ist so eingerichtet, dass eine mit einer Flüssigkeit gefüllte Röhre unten mit einer nicht zu straff ge- spannten Membran verschlossen wird. Diese letztere wird auf einer oberflächlich verlaufenden Arterie angebracht. Der Puls hebt die Membran und somit die ganze darüber liegende Flüssigkeitssäule, aus deren Bewegung man auf die Gestalt der Pulswellen schliessen kann. Wenngleich die ersten Ver- suche mit Instrumenten dieser Art höchst unvollkommen wa- ren, so führten sie jedoch durch Chelius (1350)°) zur Ent- deckung des in der letzten Zeit so vielfach besprochenen Phänomens der Dikrotie des normalen Pulses. Chelius fand, dass während der Dauer eines ganzen Pulses das Queck- silber in seinem Instrumente im ersten Viertel der Zeit steige, im zweiten theilweise zurücksinke, im dritten. auf diesem Puncte verharre und endlich im vierten völlig bis zum ur- sprünglichen Stande zurückkehre. Mit einem nach demsel- ben Principe, dem Ohelius’schen sehr ähnlichem Instru- mente hat vor Kurzem auch Naumann gearbeitet. (Zeitschr. f. rat. Med. Bd. X’ VIII. 1863.) N (3 i Ungünstiger waren die Versuche von Poiseuille (1829) und Chelius mit Apparaten, die so construirt waren, dass eine ganze Extremität in einen mit starren Wänden verse- henen Behälter gebracht und der Raum rings um das Glied mit Flüssigkeit erfüllt wurde. An einer Stelle des Behälters 1) Bei Vierordt, Lehre vom Arterienpuls. Braunschweig 1855. 2) cf. Piorry, Traite de Diagnostie ete. _ Paris 1837. 3) Prager Vierteljahrschr. 1850. Bd. 21. Die normale Gestalt der Pulscurven. 79 war eine feine mit dem Innern desselben communicirende, ebenfalls theilweise mit Flüssigkeit erfüllte Röhre angebracht, an welcher man bei jeder Systole ein Steigen und bei jeder Diastole ein Sinken beobachtete. Die letzte Gruppe der Instrumente beruht auf dem Prin- cipe des Hebels, als deren bekannteste und am häufigsten angewandte der Sphygmograph von Vierordt'!) (1855) und der von Marey?) (1860) construirte „Sphygmographe ä& pression elastique* gelten. Ozermak zeigte die Bewe- sung der Arterienwand beim Pulse durch ein Spiegelchen, welches an einer Nadel befestigt ist. Letztere wird in die Epidermis über einer oberflächlichen Arterie eingestochen. Durch den Puls wird die Nadel in Bewegung gesetzt und letztere theilt als Hebel dem Spiegelchen die Bewegung mit. Ein helles vom Spiegel reflectirtes Licht wird auf einem ent- stehenden Schirm aufgefangen und zeigt so in vergrössertem Maassstabe die Bewegung der Arterienwand an. Endlich hat Naumann noch ein zweites Instrument construirt, wel- ches das Princip des Manometers mit dem des Hebels ver- einigt, wodurch er sehr brauchbare Curven erzielte. Die Beschreibung des Apparates übergehe ich und verweise auf die eitirte interessante Schrift. Alle diejenigen Instrumente, welche sich als brauchbar erwiesen haben, bieten das bekannte Phänomen der Dikrotie dar, d.h. sie zeigen, dass die Arterienwand während der Diastole nicht einfach vom ausgedehnten in den zusammen- gezogenen Zustand übergehe, sondern dass dieselben wäh- rend dieses Vorganges noch einmal eine kleinere Ausdehnung erleide. Deutlich bekunden dies die Instrumente von Che- lius, Marey und Naumann. Der Sphygmograph von Vierordt zeichnet gewöhnlich keine dikrote Pulscurven. Indess man urtheilt offenbar unrichtig, wenn man behauptet (Fick) »), das Vierordt’sche Instrument sei zu schwerfällig, 1) Lehre vom Arterienpuls. Braunschweig 1855. 2) Journal de Physiologie. Tom. III April 1860. — Arch. generales de Medecine. Fevr.'1861. 3) Mediz. Physik. $S. 475. 80 Dr. L. Landois: um die leichten Bewegungen der Arterienwand während der Dikrotie nachahmen zu können. Vierordt hat vielmehr sei- nen Apparat oftenbar zu gleichmässig äquilibrirt, was er für einen Vorzug des Instrumentes hält. Bei einem grösseren als gewöhnlichen Druck auf die Arterienwand erhielt er constant dikrote Curven (Lehre vom Arterienpuls 9. 35), ebenso bei einem Hemiplegischen, glaubte er, sei eine zu starke Span- nung der die Arterie bedeckender Faseia antibrachii Schuld an diesen „pseudo-dikroten* Curven. Das Vierordt’sche Instrument ist demnach nicht absolut als unbrauchbar zu verwerfen, sondern nur die Methode der Anwendung, die der Verfertiger selbst befolgte, ist eine un- richtige. Vierordt hat mit scharfen Waffen gegen die Ansicht an- gefochten, die dikrote Pulscurve sei eine normale, durch specifische Eigenthümlichkeit des Pulses hervorgebrachte Er- scheinung, vielmehr erklärt er die Phänomene, die Chelius mit seinem Instrumente erzielte, sowie die mit seinem eige- nen Instrumente zum Theil verzeichneten dikroten Curven für Artefacta, und nennt die Ourven schlechthin pseudo-dikrote. Die Dikrotie werde, so behauptet er, lediglich dadurch her- vorgebracht, dass der niedersinkende Hebel, resp. die nieder- sinkende Flüssigkeitssäule nicht sofort zur Ruhe kommen könne; sondern nach dem Gesetze der Trägheit noch einmal nachschlage. Hiergegen aber haben sich die meisten neueren Autoren mit Entschiedenheit ausgesprochen, indem sie die Dikrotie des Pulses als ein jedem normalen Pulse zukommendes Phänomen erklärten: Marey, Brondgeest'), Neumann, Wolff?), denen ich mich vollständig anschliesse. Brond- geest hat mit einem Marey’schen Sphygmographen ge- arbeitet, an dem eine Vorrichtung angebracht war, um die Bewegungen, die etwa in Folge der Trägheit des einmal be- wegten Hebels sich markiren könnten, fern zu halten; und 1) Arch. f. d. holländ. Beiträge. 1862. Bd. III. S. 110. 2) Arch. f. Heilkunde. 1863. Hft. 4. Die normale Gestalt der Pulscurven. 81 dennoch sah er stets dikrote Curven. E. Mach!) brachte an dem Marey’schen Sphygmographen 2 Modificationen an, von denen namentlich die zweite zweckmässig dahin zielt, dass der Schreibhebel ganz genau und prompt der die Ar- terie belastenden Feder folge. Ich habe meine Untersuchun- gen mit dem einfachen nicht modificirten Marey’schen In- strumente ausgeführt; ich habe die Dikrotie niemals vermisst und ich werde unten den Beweis führen, dass die 2. Eleva- tion nie und nimmer durch einfache Nachschwingung in Folge der Trägheit des einmal schwingenden Hebels herbeigeführt wird, sondern dass dieselbe nur als der Ausdruck der spe- eifischen Eigenthümlichkeit des Pulses gelten kann. Die Dikrotie erreicht am Pulse ihr Höhestadium, wenn man die 2. Erhebung, oder richtiger gesagt die Erhebung im absteigenden Curvenschenkel sogar durch das Tastgefühl beobachten kann: im Pulsus dierotus der Pathologen, wie er beim Typhus und nicht selten bei Intermittens zur Er- scheinung kommt. Auch hier zeichnet das Marey’sche Instrument die Erhe- bung im absteigenden Curvenschenkel, nur grösser als in sol- chen Fällen, wo die Dikrotie nicht mehr getastet werden kann. Freilich ©. Wolff behauptet, auch an normalen Pul- sen Dikrotie fühlen zu können, was mir nicht gelingt. Wenn es demgemäss richtig ist, dass der Pulsus dierotus der Pathologen nur ein gesteigerter Grad der normalen Puls- wellenform ist, wie Naumann jüngst mit guten Gründen erörtert hat, so müssen auch die Theorien, die man zur Er- klärung der Erscheinung des Pulsus dierotus construirt hat, auf die Entstehung der Dikrotie der normalen Pulscurven angewandt werden können. Ich beabsichtige es nicht, die verschiedenen Ansichten über den Pulsus dicrotus vorzutragen, wie sie von Galen, Albers, Parry, Hamernik, Volkmann, Duchek, 1) Wochenblatt d. Zeitschr. d. K.K. Gesellsch. d. Aerzte in Wien. No. 15 Apr. 1863. Theorie des Pulswellenzeichners K. Acad. d. Wiss. Wien April 1863. Dec. 1862. Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 6 82 Dr. L. Landois: Buisson und Anderen ersonnen sind, zu erörtern, da Vier- ordt dieselben bereits besprochen hat!), sondern ich will nur die eine derselben, deren Urheber Buisson ist und die jüngst in Naumann einen guten Verfechter gefunden hat, auseinander setzen und dieselbe durch neue Beweise zu stützen suchen. Die Dikrotie entsteht in folgender Weise: Durch die Systole des Ventrikels wird in dem Arterien- system eine Welle erregt, die nacheinander von der Aorta bis zur Peripherie alle Gefässe in eine beträchtliche Aus- dehnung und Spannung versetzt. Sobald diese ihren höch- sten Grad erreicht, wirken die Muskelfasern und die Elasti- cität der Arterien im umgekehrten Sinne, das Gefäss verengt sich wieder und übt so einen Gegendruck aus. Das Blut wird zum Ausweichen gebracht, da es der Compression selbst so gut wie gar nicht fähig ist. Am peripherischen Ende der arteriellen Bahn verliert sich die hierdurch entstehende Welle allmälig in den stets enger werdenden Röhren, gegen das Centrum aber sich wendend wird sie nur wenig geschwächt, prallt hier von den Semilunarklappen ab und geht als posi- tive Welle noch einmal zurück. So kann die Welle einmal, zweimal, dreimal den besagten Weg durchlaufen. Es ist daher Unrecht, wenn man —- wie es auch Naumann thut — behauptet, der Puls sei unter normalen Verhältnissen dikrot; die Pulswelle ist vielmehr, allgemein ausgedrückt, polykrot. Ich habe gefunden, dass bei gewöhnlicher Pulsfrequenz die Curve der Femoralis, Brachialis und Radialis trikrot ist (ebenso sehe ich es bei Traube?) und Naumann an der Radialis), dikrot ist sie an der Dorsalis pedis. Naumann giebt folgende Beweise an, dass die Dikrotie der Pulscurve in der eben geschilderten Weise zu Stande komme. Das Längenverhältniss der beiden Senkungslinien, aus denen der absteigende Schenkel der dikroten Pulscurve besteht, wechselt mit dem Orte der Beobachtung des Pulses und zwar so, dass die erste derselben um so länger wird auf 1)baNa.20. 2) Med. Centr, Ztg. 1860. No. 95. Die normale Gestalt der Puiscurven. 83 ‘ Kosten der zweiten, je mehr der Puls nach der Peripherie zu fortgeschritten ist, und umgekehrt. — Ferner sagt er, dass dagegen die zwischen den beiden Momenten der arte- riellen Contraction liegende — an seinem Manometer durch abermaliges Steigen der Flüssigkeit sich kund gebende — diastolische Welle um so kleiner wird, je weiter sich der Puls vom Herzen entfernt. Ich werde weiter unten für die Richtigkeit der Sache noch andere neue Beweise vorführen. Um die Erscheinung der Dikrotie genau zu ermitteln, hielt ich es für nothwendig, das Phänomen zuerst in seiner einfachsten Form zu studiren, nämlich ausserhalb des Kör- pers an elastischen Kautschukschläuchenr und dem Dünn- darme von Kaninchen. 1. Versuchsreihe. Der Versuchsschlauch von Kautschuk, den ich be- nutzte, war 109!/, Zoll P. lang, sein Durchmesser im Lichten betrug 4'!/, Mm., die Dicke seiner Wand 1 Mm. An diesem war ein anderer Schlauch befestigt, von 87 Zoll Länge, dessen Durchmesser im Lichten 4 Mm., dessen Wände 1'!/, Mm, dick waren. Den Schluss des ganzen Rohres bildete eine mit ver- jüngter Oeffnung (2'!/;, Mm.) ausgezogene Glasröhre. Das Anfangsstück des Schlauches wurde mit einer Wasser- leitung in Verbindung gesetzt und der Schlauch selbst hori- zontal auf einer grossen Tischplatte der Länge ausgebreitet. Nur die erste Strecke des Versuchsrohres von 109!/, Zoll Länge wurde zu den Versuchen benutzt. Diese hatte, sobald der Schlauch von dem unter einem ziemlich hohen Drucke stehenden Wasser durchströmt wurde, eine Länge von 110?/, Zoll. Am Ende dieses Schlauches wurde der Marey’sche Sphy- gmograph durch Pfriemen befestigt. In bestimmter Entfer- nung von demselben wurde der Schlauch durch eine aufge- drückte scharfkantige Messingleiste verschlossen und die Wellen wurden im Rohre dadurch erregt, dass von Zeit zu Zeit die Messingleiste gelichtet und wieder niedergedrückt wurde; so erregte das jedesmal eingelassene Wasser eine 6* 84 Dr. L. Landois: positive Welle, die sich in der Richtung gegen den Sphy- gmographen fortbewegte. Die Zeit zwischen Aufheben und Niederdrücken der Messingleiste betrug !/,,,; Minute und wurde nach dem Schlage eines empfindlichen Pendels bemessen. Die Untersuchungen von E. H. Weber!) über Wellen- bewegungen im elastischen Kautschukrohre führten zu dem Resultate, dass die Geschwindigkeit der Fortbewegung der Wellen (11259 Mm. = 33 Fuss 19 Zoll P. in 1 Secunde) unab- hängig ist von der Grösse oder Kleinheit der Wellen (wes- halb sie nicht langsamer werden, nachdem sie bereits einen langen Weg zurückgelegt haben), unabhängig ferner davon ist, ob sie schnell oder langsam erregt werden und nur höchst unbedeutend beeinflusst werden von der Spannung der Schlauchwandungen. Es ergiebt sich hieraus, dass Un- tersuchungen über Geschwindigkeit der Fortbewegung von Wellen im Kautschukrohre auch ohne Rücksicht auf die ge- nannten Eigenthümlichkeiten genaue Resultate liefern werden müssen. Vergleichen wir unsern elastischen Schlauch mit einer Arterie, so entspricht offenbar die Verschlussstelle an der Messingsleiste den Seminularklappen, denn beide ver- schliessen nach Erregung der Pulswellen das Rohr am Orte des Ursprungs der Welle. Entsteht nun in der That die di- krotische Erhebung (die nebenbei bemerkt stets bei dieser Versuchsreihe auf das deutlichste beobachtet wurde) dadurch, dass während der Diastole eine positive Welle anfangs cen- tralwärts laufend, sodann von den Semilunarklappen eben- falls als positive Welle zurückgeworfen und in die Arterie wiederum hineinläuft, so muss offenbar die dikrotische Er- 'hebung um so später erfolgen je weiter die centrale Ver- schlussstelle vom Sphygmographen entfernt ist. Denn die Welle bedarf ja um einen grössern Weg zu machen auch offenbar einer längern Zeit. Diese meine Deduction bestä- tigte sich an dem Kautschukschlauche auf das vollständigste. Die Verschlussstelle, die anfangs nur 8 Zoll vom Sphygmo- 1) Berichte über die Verhdlg. d, k. sächs. Ges. d. Wiss. zu Leipzig. 1850. /S. 164, Die normale Gestalt der Pulscurven. 85 graphen entfernt war, wurde nach und nach immer um 10 Zoll weiter entfernt verlegt, so dass der Abstand nachein- ander 8, 18, 28, 38, 48, 58, 68, 78, 88, 98, 108 Zoll betrug. Bei einem Abstand von 8 und 18 Zoll waren die Wellen tri- krot, in den übrigen grössern Abständen stets tetrakrot, es musste also in den ersten Fällen die Welle zweimal, in den andern dreimal von der Verschlussstelle zurückgeworfen sein. In allen Fällen aber war der Abstand der Erhebungen im absteigenden Öurvenschenkel sowohl von dem Pulscurven- gipfel, als auch unter sich um so grösser, je weiter der Ab- stand der Verschlussstelle vom Sphygmographen war. Die Messung geschieht auf der Basis der Curve als Abseisse (gleich Länge der Zeit) zwischen den einzelnen von den Gi- Figur 1, Curven am Kautschukschlauche dargestellt, » Bei RN pariser Zoll Entfernung hin je der Verschlussstelle von TRH, dem Sphygmographen. d. 78 / pfeln der Erhebungen gefällten Ordinaten. — Hieraus folgt, dass in der That die im absteigenden OCurvenschenkel sich constant zeigenden Erhebungen durch eine nacheinander wie- derholt von der Verschlussstelle reflectirte positive Welle ge- bildet wurden, Weiterhin spricht hierfür der bereits von Naumann erwähnte Umstand, dass dieselben um so kleiner werden, je weiter der besagte Abstand ist, d.h. für den Körper ausgedrückt, je weiter peripherisch der Sphygmo- graph applieirt wird. (Der andere von Naumann am Men- schen gefundene Beweis, den ich oben erwähnte, kann ich 36 Dr. L. Landois: an meinen Öurven nicht constatiren.) :Das Phänomen der Polykrotie zeigt sich dann, wenn man nur absteigende Our- venschenkel verzeichnen lässt, dadurch dass man das vorher völlig durchgängige Rohr plötzlich verschliesst. Doch ge- horcht auch hier die Erscheinung durchaus den eben ent- wickelten Gesetzen. Aus der besprochenen Versuchsreihe ergiebt sich ferner zur Evidenz, dass die Erscheinung der Polykrotie unmöglich von den Eigenschwingungen des einmal bewegten Schreib- hebels abhängen kann. Wäre dies der Fall, so müssten die- selben stets in gleicher Weise erfolgen, auch bei ungleicher Entfernung zwischen Verschlusstelle und Sphygmograph, was nicht der Fall ist. 2. Versuchsreihe. Diese zweite Versuchsreihe hatte zum Zweck, das Zurück- prallen der positiven Welle von der Verschlussstelle direet mit den Augen zu beobachten. Zwar ist die im elastischen Rohre sich fortbewegende Welle keine fortlaufende Masse, sondern nur eine sich fortbewegende Form, nichtsdestoweniger aber bewegen sich dennoch die Wassertheilchen oder kleine in dem Wasser suspendirte Körperchen, während eine Bergwelle vorübergeht, in derselben Richtung ein Stück vorwärts, in welcher die Welle fortschreitet. Da wir es hier nur mit po- sitiven oder Bergwellen zu thun haben, so muss jedesmal die Richtung, nach welcher kleine Körperchen in dem Wasser sich hinbewegen, auch zugleich die Richtung des Laufes der positiven Welle anzeigen. Ich nahm eine Glasröhre, deren Wand an einer Stelle eine feine Durchbohrung hatte und liess durch das Bohrloch ein zartes Fädchen bis in die Mitte des Lumens hineinragen, verschloss dann die seitliche Oeff- nung genau, und schaltete die Röhre in den Versuchsschlauch ein. Das Glasröhrchen vertrat die Stelle des Sphygmogra- phen, das Fädchen zeigte in seiner Bewegung den Lauf der Wellen auf den deutlichste an. Es wurde nun die bekannte Verschlussstelle anfangs nahe, sodann stets weiter von der Röhre gegen die Wasserleitung hin verlegt und jedesmal die Die normale Gestalt der Pulscurven. 87 Wellen gerade so erregt wie bei den sphygmographischen Versuchen. Hierbei zeigte das flottirende Fädchen jedesmal die charakteristische Bewegung: zuerst wurde es durch die Welle nach der Peripherie, sodann wiederum in der Rich- tung gegen die Verschlussstelle und endlich wieder gegen die Peripherie hinbewegt. Und zwar erfolgten die 2. und 3. Bewegung um so später, je weiter der Abstand der Ver- schlussstelle von dem Fädchen war, vollkommen ähnlich den Bewegungen des Schreibhebels des Sphygmographen, wenn er die Erhebungen im absteigenden Ourvenschenkel zeichnet. 3. Versuchsreihe. Die folgenden Versuche bezweckten ebenfalls den Gang der Wellen, welche die Polykrotie veranlassen, direct mit den Augen zu beobachten. Es wurde hierzu der Dünndarm eines Kaninchens genommen; derselbe wurde vom Mesen- terium frei präparirt und sodann in den Versuchsschlauch eingeschaltet. Der Wasserdruck wurde hingegen bei diesen Versuchen um Vieles schwächer genommen, als bei den vo- rigen Versuchen. Die Wellen, welche man in einem nur mässig mit Wasser gefüllten und gespannten Darme erregt, bewegen sich in demselben mehr als zehnmal langsamer, als in dem Kautschukrohre. „Daher eignen sich,“ wie E. H. Weber trefflich bemerkt und worin ich ihm vollkommen beipflichten muss, „die in einem mit Wasser erfüllten Darme erregten Wellen sehr, um die Wellen unmittelbar mit den Augen zu verfolgen und die den Wellen zukommenden Er- scheinungen zu beobachten. Hier sieht man ohne Weiteres das Fortschreiten der positiven Wellen und der negativen Wellen. Man sieht die Reflexion derselben an dem geschlosse- nen Ende des Darmes, wobei die Bergwelle sich nicht in eine Thalwelle verwandelt, sondern Bergwelle bleibt und umgekehrt.“ Am Darme wurde der Sphygmograph applieirt und die Verschlussstelle in wechselnder Entfernung angebracht. Es wurde nun stets beobachtet, dass beim Oeffnen zuerst eine 88 Dr. L, Landois: positive Welle gegen den Sphygmographen lief und dessen Schreibhebel erhob. Beim Verschluss lief sodann eine posi- tive Welle in der Richtung vom Sphygmographen gegen die Verschlussstelle, prallte hier ab, blieb positive Welle und hob als solche wiederum peripherisch laufend den Schreib- hebel zum zweiten Male. Es bedarf kaum der Erwähnung, dass auch hier wie in den früheren Versuchen die Zeit zwi- schen der ersten und zweiten Erhebung um so länger war, je grösser der Abstand zwischen Sphygmograph und Ver- schlussstelle genommen wurde. 4, Versuchsreihe. Es kam nun darauf an, das sicher gewonnene Resultat auch an den Arterien des menschlichen Körpers zu verfolgen. Ich habe zu meinen Versuchen gewähl; die Arteriae femo- ralis (in der Schenkelbeuge) und dorsalis pedis, die bra- chialis (in der Plica cubiti) und die radialis. Es liess sich also vorher bestimmen: Je weiter vom Oentrum (Herz) eine Arterie gelegen ist, um so später muss die di- krote Erhebung an derselben zur Beobachtungkom- _ men. Und so verhält es sich in der That. Vergleichen wir zuerst die Femoralis mit der Pediaea. (Die Länge der Ar- terie betrug bei einem Erwachsenen, dessen obere Spitze des Trochanter major vom untern Ende des Mal. extern. 3l!/,, Zoll misst, 34!/, Zoll.) Die Versuchsperson war ein erwachsener ziemlich grosser Mann. Bei einer Pulsfrequenz von 78 in der Minute war die Pulswelle an der art. femoralis Figur 2. INDIE ARE d a a Curve von der art. femoralis. b Curve von der art. pediaea. Die normale Gestalt der Pulscurven. 89 sehr deutlich trikrot, an der Art. dorsalis pedis dikrot. Nach den Ausmessungen meiner Curven wäre die dikrotische Er- hebung an der pediaea weggefallen bei einer Pulsfrequenz von etwas mehr als 181 Schlägen in der Minute. Bei dieser Frequenz ist die Curve an der Femoralis noch sehr deutlich dikrot, sie würde erst einspitzig werden bei einer Pulsfrequenz von 272 Schlägen in der Minute. — Die Art. brachialis und radialis lieferten bei der Pulsfrequenz von 78 Schlägen in der Minute bei derselben Versuchsperson beide trikrote Cur- ven. (Der Abstand der Art. brachialis von der radialis be- trug an einem Erwachsenen, dessen Abstand des Uondylus externus vom proc. styloideus radii 10!/,, Zoll ist, 8!/, Zoll.) Die Curve an der Radialis wäre nur dikrot bei einer Fre- quenz von 83 Schlägen, die der Brachialis ist alsdann noch trikot. Die Radialcurve wird nur als einspitzig gezeichnet bei einer Frequenz von 157 Schlägen, die Brachialeurve noch dikrot. Die Brachialeurve wird erst einspitzig bei einer Puls- frequenz von 182 Schlägen. Ich muss jedoch bemerken, dass die Ausmessung der Öurven kein absolut genaues Resultat liefern kann, jedoch reicht ein minder genaues für unsere Zwecke völlig aus. Aus eben demselben Grunde kann man die erhaltenen Curven nicht dazu verwerthen, aus dem spä- tern Auftreten der dikrotischen Erhebung an den peripheri- schen Arterien die Schnelligkeit der Fortbewegung der Puls- welle im Arterienrohre zu berechnen. E. H. Weber fand die Schnelligkeit des ‚Pulses in 1 Sec. = 9240 Mm. = 28!/, Fuss und er fügt hinzu: „Aus dieser grossen Geschwindigkeit, mit welcher die Pulswelle fortschreitet, darf man sie sich nicht als eine kurze Welle vorstellen, die längs der Arterie fortläuft, sondern so lang, dass nicht einmal eine einzige Pulswelle Platz in der Strecke vom Anfang der Aorta bis zur Arterie der grossen Zehe hat. Diese Beschreibung der Gestalt der Pulswellen steht nicht mit den Abbildungen im Widerspruch, welche Ludwig und Volkmann mittelst des Kymographiums von ihnen gegeben haben. Das Instrument ist so eingerichtet, dass es die Länge der Welle ausserordentlich verkürzt. Volk- mann’s Pulswellen sind verzeichnet, als schritten sie in 90 Dr. L. Landois: 1 Secunde 6 Mm. fort, während sie nach meinen Bestimmun- gen 9240 Mm. fortgehen. Sie sind also im Bilde ungefähr 1540 mal kürzer dargestellt, als sie in der Wirklichkeit sind.“ Aehnlich verkürzt zeichnet aber auch der Sphygmograph die Pulswellen und der kleinste Fehler beim Ausmessen der Cur- ven würde in Wirklichkeit eminente Ungenauigkeiten hervor- rufen. Das Phänomen, dass bei entfernt liegenden Arterienstäm- men die dikrotische Erhebung später eintrifft, als an nahen, können wir auch an unserem Körper ohne alle Instrumente leicht zur Anschauung bringen. Es giebt im menschlichen Körper zwei Stellen, an denen dikrotische Pulsbewegungen auf das Leichteste wahrgenommen werden können. Die eine von ihnen bietet, wie allgemein bekannt ist, der Unterschenkel der mit der Kniekehle auf dem Knie des andern Beines ru- henden Unterextremität (Arter. poplitea). Ich stimme Nau- mann vollkommen aus seinen angeführten Gründen bei, dass die zweite Schwingung des Unterschenkels beim Pulse nicht Folge der Trägheit der Bewegung, sondern der Ausdruck der eigenthümlichen Pulswellenform ist. Die zweite Stelle bietet der Unterkiefer dar. Nähert man nämlich den Unter- kiefer bis auf einen höchst feinen Abstand dem Oberkiefer, so wird man bei jedem Pulsschlage in der Art. maxillaris externa deutlich hören, wie die Schneidezähne des Unter- kiefers gegen die des Oberkiefers anschlagen und zwar nicht in einem Anschlag, sondern in 2 deutlich abgesetzten kur- zen Stössen. Man vollführt dieses höchst einfache Experiment am besten bei ruhiger Rückenlage. Vergleicht man nun die Doppelhebung des Schenkels mit der Doppelhebung des Un- terkiefers, so findet man leicht, dass die Pause zwischen beiden Hebungen am Schenkel länger ist, als am Kiefer. Und so muss es nach der entwickelten Theorie sein! — Ich glaube durch die verschiedenen Reihen von Experi- menten den entschiedensten Beweis geliefert zu haben, dass das Phänomen der Polykrotie eine dem normalen Pulse eigen- thümliche Erscheinung ist und nicht durch Eigenschwingun- gen des Instrumentes bedingt ist, und ferner, dass das- Die normale Gestalt der Pulscurven. 91 selbe durch eine mehrmals nacheinander von den Semilunar- klappen der Aorta zurückgeworfene positive Welle veranlasst wird. Wenn dem so ist, so fällt damit zugleich die noch neulich von Duchek'!) verfochtene Theorie, die Dikrotie entstehe durch eine von der Peripherie zurückgeworfene Welle. Und von wo soll die Reflexion statt haben? Wo ist der feste Punct, an welchem die primäre Bergwelle zurück- prallt? Die primäre positive Pulswelle läuft vielmehr der Arterienwand entlang, folgt ihren Verzweigungen bis zu stets kleineren Röhren, wo sie erlischt. Ueber die Erhebungen im aufsteigenden Schenkel der Pulscurven. Ich komme zu einem andern Gegenstand, über den, so- weit mir die einschlägige Literatur bekannt geworden ist, bis jetzt noch keine Beobachtungen vorliegen, nämlich zu den Erhebungen im aufsteigenden Schenkel der Pulscurven. Wenn wir an unserm elastischen Versuchsschlauche durch Erhebung der Messingleiste plötzlich das Wasser zuströmen lassen, ohne den Schlauch nachlıer wieder zu comprimiren, so dehnt die mit Kraft eintretende Flüssigkeit das Rohr aus und hebt den Schreibhebel des Sphygmographen, Aber der Gipfel der grösstmöglichen Ausdehnung wird nicht mit einem Schlage erreicht, sondern die Elastieität des Rohres wirkt dem Wasserdruck entgegen und somit erreicht der Schreib- hebel absatzweise schräg ansteigend den Gipfel der grössten Dehnung. Wir haben demnach an den so dargestellten Zeich- nungen von blos aufsteigenden Ourvenschenkeln mehrere Ab- sätze zu unterscheiden. Zuerst geht der Schreibhebel eine Strecke weit gerade senkrecht aufwärts. Diese erste Anstei- gung ist um so länger, je näher die Erregungsstelle der Wellen (Oeffnungsstelle) dem Sphygmographen liegt. Ueber- haupt je näher diese beiden, um so eher und mit um so wenigeren Absätzen erreicht der Schreibhebel den Gipfel und umgekehrt. 1) Wien. med, Jahrb. 1862. 9 Dr. L. Landois: Figur 3. en a Abstand zwischen Oeffnungsstelle und Sphygmograph = 18'' P. b Abstand zwischen Oeffnungsstelle nnd Sphygmograph = 58'' P. Sowie ein an einer elastischen Schnur befestigtes Gewicht- stück, wenn man es niederfallen lässt, nicht sofort mit einem Schlage die möglichst tiefste Stellung an seiner alsdann mög- lichst stark gespannten Schnur einnimmt, sondern erst eine Strecke weit gerade abwärts sinkt und alsdann in wogenden Bewegungen absatzweis bis zur tiefsten Stellung weiter sinkt, ebenso ist die Bewegung der durch das einströmende Wasser plötzlich gespannten Röhrenwandung zu erklären. Damit aber an den Curven diese Erhebungen im aufstei- genden Schenkel sichtbar werden und sich bilden können, ist es durchaus nothwendig, dass eine gewisse Zeit lang das Wasser einströmt (die positive Welle dauert) ehe wieder geschlossen wird. Schliesst man früher, so werden die Er- hebungen undeutlich und es scheint alsdann, als wäre der Gipfel der Curve zwei- oder vielspitzig. In der That aber gehören diese Gipfelzacken dem aufsteigenden Schenkel an. Bei meinen Curven, die bei einer Dauer zwischen Oeff- nen und Schliessen von !/,s, Minute verzeichnet sind, sind die Erhebungen im aufsteigenden Schenkel überall deutlich. !) 1) ef. Figur 1, Die normale Gestalt der Pulscurven. 95 Bei einer Distanz von 8, 18, 28, 38 Zoll erscheinen die Er- hebungen als Gipfelzacken, schon bei 48 Zoll Abstand der Druckstelle vom Sphygmograph erscheinen sie als Erhebun- gen des aufsteigenden Schenkels und werden als solche mit wachsendem Abstande stets deutlicher. Je schneller die Oeff- nung der Schliessung folgt, um so abortiver werden diese Gebilde und so erreichte ich auf 20'' Distanz bei einer Dauer zwischen Schliessung und Oeffnung von 0,16 Sekunden zuerst einspitzige Curven an dem Kautschukschlauche. Im menschlichen Körper geht das Oefinen und Schliessen der Aortenklappen so schnell nach einander vor sich, dass in der Regel die besagten Erscheinungen an den normalen Pulscurven fehlen. In jenen Zuständen hingegen, in denen eine grosse Masse Blut in die Aorta hineingeworfen wird, so dass zwischen Oeffnung und Schliessung eine längere als die gewöhnliche Zeit verstreicht und somit die primäre positive Pulswelle länger wird, erscheinen auch sofort die Erhebun- gen am aufsteigenden Curvenschenkel, so namentlich bei der Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels, wie sie bei Klappenfehlern des Ostium arteriosum und namentlich bei Horbus Brightii vorkommen. Ich verweise hier auf eine Puls- curve von Traube!) von einem Kranken mit bedeutender Dilatation und Hypertrophie des linken Ventrikels, die nicht durch Klappenfehler, sondern durch Sklerose des Aorten- systems hervorgerufen war. Traube sagt in Betreff der Curve, „die Systole, besonders das Ende derselben, erfolgte langsamer als normal * Die richtige Interpretation der Curve liegt vielmehr in dem oben Erörterten. 1) Med. Centr. Ztg. No. 95. 1860. 94 Dr. Wilhelm Ebstein: Die polypösen Geschwülste des Magens. Von Dr. WILHELM EBsTEIn, Assistenz- Arzt und Prosector am städtischen Krankenhospital zu Allerheiligen in Breslau. (Hierzu Taf. II. u. III. A.) Mit dem Namen „Polyp“, den zuerst Gallen!) für ge- stielte Tumoren der Nase wählte, bezeichnet man bekannt- lich seit Alter’s her mehr oder weniger deutlich gestielte Ge- schwülste, welche auf den Schleimhäuten ihren Sitz haben. Die Alten hatten hier, wie in einer grossen Reihe von an- dern Fällen, wo man nur die Form kannte, vom innern Wesen aber Nichts wusste, jene das Bestimmende und Na- mengebende sein lassen. Es ist uns bislang aber nicht ge- lungen, diesen Namen, so wenig er den Structurverhältnissen der Geschwülste, auf welcher heut zu Tage die ganze Ein- theilung derselben beruht, entspricht, aus der Mediein zu eliminiren. Ich glaube aber, dass die Wissenschaft dadurch in keiner Weise eine Einbusse erleidet, sobald man nur, der Mangelhaftigkeit einer blossen Formbezeichnung eingedenk, derselben eine das innere Wesen, die Structur bezeichnend, beifügt. Die Polypen der verschiedenen Schleimhäute haben neben vielen gemeinsamen Eigenschaften auch eine grosse Reihe von Verschiedenheiten und in der vorliegenden Arbeit habe ich es mir zur Aufgabe gestellt, die Geschichte der gestiel- ten Geschwülste des Magens — mit Ausnahme der gestielten 1) Aeg. lib. VI cap. 25. Die polypösen Geschwülste des Magens. 95 Carcinome — etwas sorgfältiger zu betrachten und das ihnen Eigenthümliche genauer zu beleuchten. Wie man frühzeitig die Polypen im Allgemeinen, insbe- sondere die des Uterus und der Nase, welche den Aerzten zuerst bekannt waren, einer genaueren Aufmerksamkeit wid- mete, so haben auch Fälle von Magenpolypen in der älteren pathologisch-anatomischen Literatur ihre Stelle gefunden. So erwähnt Amatus Lusitanus!), gestorben 1562, eines Fleisch- gewächses, welches nahe am Pylorus anfıng. Morgagni?) ferner beschreibt einen Fall, wo sich in dem Magen einer Frau, die nie über Magenbeschwerden geklagt hatte, an des- sen innerer Haut ein Fleischgewächs an einem dünnen Stiele befand. Aeusserlich hatte es mit jener Haut einerlei Farbe, innerlich aber bestand es aus röthlich weissem Wesen. In der neueren Literatur finden wir Fälle von Magenpolypen bei Andral?°) sowie eine grössere Anzahl in den Bulletins de la societe anatomique de Paris in den Jahrgängen 1833, 1846, 1847, 1849, 1850, 1855, deren Mittheilung ich insgesammt der Güte des Herrn Prof. Lebert, Directors der hiesigen medicinischen Klinik, verdanke, welchem ich dafür an dieser Stelle meinen besten Dank sage. Ausserdem gedenke ich hier der entsprechenden Capitel in den Werken von Lebert®), Rokitansky°) und Förster‘). Was die Häufigkeit des Vorkommens der Magenpolypen im Allgemeinen anlangt, so scheinen dieselben nach den Er- fahrungen, die ich darüber gewonnen habe, nicht selten zu sein. Denn ich habe unter einer Anzahl von ca. 600 Auto- psien 14 Fälle davon gesammelt. Was die Häufigkeit des Vorkommens dieser Geschwülste 1) Curat. medic. centuriae septem. Observat. 23. Venet. 1557. 2) De sede et caussis morborum. Epistol. XVI $. 36. 3) Grundriss der pathologischen Anatomie von Dr. Andral; her- ausgegeben von Becker. Leipzig 1830. 2. Theil pag. 33. | 4) Lebert, Traite d’anatomie pathologique generale et speciale. Paris 1857—1863. I. pag. 268, II. pag. 180. 5) Lehrbuch der pathol. Anatomie. Wien 1861. 3. Band pag. 154 6) Handbuch der pathologischen Anatomie II. Aufl. Leipzig 1862. 96 Dr. Wilhelm Ebstein: im Magen im Vergleich mit der Häufigkeit derselben in an- dern Organen anlangt, so sind die Polypen der Nase und des Uterus von allen die häufigsten. Frühere Pathologen, wie Meckel, meinten, dass Polypen in Organen, welche nicht weit von der Körperoberfläche entfernt sind, häufiger gefunden würden. Aber wenn dies richtig wäre, müssten, wie Harpeck') richtig bemerkt, die Polypen des Mastdarms weit häufiger vorkommen, welche, wenn sie auch öfter beob- achtet werden als Magenpolypen, doch viel seltner sind als die Polypen der Nase, des Uterus, des äusseren Gehörgan- ges, der Highmors-Höhlen und der Pharynx. Was die Frequenz des Vorkommens bezüglich der ein- zelnen Abschnitte des Verdauungscanals anlangt, so fehlen mir darüber eigne Erfahrungen. Die Fälle von Polypen der Speiseröhre hat Middeldorpf?) zusammengestellt, es sind dies ausser seinem eignen, von ihm zuerst mit Erfolg ope- rirten Falle, die Beobachtungen von Vimont, Rokitansky (Wiener Museum) und Dallas (Edinburger Museum) und ein nicht ganz klarer Fall von Vater, wo sich, nachdem der Kranke mit reichlichem Blute eine Fleischmasse von der Grösse und Länge eines Fingers ausgebrochen, in der Leiche im untern Theil des Oesophagus, der durch Hypertrophie verengt war, eine Narbe fand. Im Oesophagus also schei- nen nach diesen spärlich in der Literatur aufgezählten Fällen die Polypen von allen Theilen des Verdauungsrohres am sel- tensten vorzukommen. Ueber die Polypen des übrigen Theiles des Verdauungscanals finden sich bei Andral?°) nähere Mit- theilungen. Sie finden sich nach ihm im Zwölffingerdarm und im Dünndarm überhaupt seltner als im Magen. Doch hat Billard bei einem neugebornen Kinde gegen die Mitte der zweiten Krümmung des Dünndarms einen gestielten, ro- then unregelmässigen, einer Erdbeere gleichenden Auswuchs von der Grösse einer Bohne gefunden, welcher fest an der 1) de polypis reci. Dissert. inaug. Vratisl. 1855. 2) de polypis oesophagi atque de tumore ejus generis prium pro- spere exstirpato commentatio Vratislaviae 1857, pag. 3. 3) l. c. pg. 33 et seg. Die polypösen Geschwülste des Magens. 97 Schleimhaut anhing und sehr viel Blut enthielt und Cru- veilhier !) hat zwei sehr grosse gestielte Polypen mit blu- menkohlartig zerklüftetem obern Ende in einem invaginirten Stück des Dünndarms beschrieben und abgebildet. Im Coe- cum sowie am Grimmdarm und am Anfang des Mastdarms finden sie sich nach Andral häufiger. Er hat im Coecum ca. 20 violett-rothe, conische, bohnengrosse Körperchen ge- funden, deren Structur genau mit der der Schleimhaut über- einstimmte. Am häufigsten sind sie nach ihm am untersten Ende des Mastdarms. Der ausgezeichnetste mir bekannt ge- wordene Fall von polypösen Vegetationen der gesammten Dickdarmschleimhaut, deren Zahl sich auf Tausende belief, ist von Prof. H. Luschka?) beschrieben worden. Die Beob- achtung von Andral, dass sich nicht selten solche Ge- schwülste gleichzeitig im Magen und an irgend einer andern Stelle des Darms finden, besonders wo das lleum in das Coe- cum übergeht, habe ich in einem der von mir beobachteten bald näher zu beschreibenden Fälle (Beobachtung 18) be- wahrheitet gefunden. Andral erwähnt einen von ihm in der Charite de Paris beobachteten Fall, wo nahe am Pylorus ein pilzähnlicher. be- deutend grosser Auswuchs sich erhob, ein zweiter dem’ vo- rigen ähnlicher an der Vereinigungsstelle von Jejunum und Ileum und endlich ein dritter ganz ähnlicher etwas über dem Coecum. — Schliesslich will ich hier, das Vorkommen der Magenpolypen betreffend, anführen, dass meist kleine und unschuldige Polypen von Gurlt auch beim Pferd und beim Hunde beobachtet worden sind. TR Bevor ich nach diesen rk Bere zu der Naturgeschichte der Magenpolypen in specie übergehe, scheint es mir nöthig zu sein, die mir zugänglich gewesenen fremden und eigenen Beobachtungen hier genauer aufzuführen, um so zwanglos aus den Einzelbeobachtungen allgemeine Thatsachen ableiten zu können. 1) Anatomie pathologique du corps humain. Livraison XXII, Pl. VI. 2) Virchow’s Archiv Band XX, 1, u. 2. Heft $. 133 u. ft. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv, 1864. 7 98 Dr. Wilbelm Ebstein: A. Fremde Beobachtungen. l. Beobachtung. M. Ripault') legt einen Magen vor, der mit gestielten Tumoren, — wahren Polypen dieses Organs, — durchsäet war. Weitere Mittheilungen über diesen Fall fehlen. 2. Beobachtung?). Dieser Fall gehört Richard an und ist folgender: Auf der Magenschleimhaut eines Mannes von 50 Jahren, der in Folge einer chronischen Pleuritis und einer alten Diarrhoe mit Kachexie gestorben war, fand sich eine Zahl von 50 Tumoren, beinahe in regelmässige Reihen gestellt, und zwar in Querreihen, besonders neben dem Pylorus, gegen den un- tern Theil. Diese Tumore zeigen sich von der Gestalt kleiner Knöpfe, von kleinen hemisphärischen Erhabenheiten, weisslich, von der Grösse grosser Erbsen, bedeckt mit einem graulichen Schleim, welcher in Menge aus ihrem Innern hervorquillt, wenn man sie drückt, ein nur wenig stärkerer Druck zer- stört sie vollständig. Einige sind anstatt einfach gestielt zu sein ein wenig dick und ein wenig gestielt. Alle sind mit der Schleimhaut beweglich, an der sie hängen und deren Consistenz sie beinahe haben. Ihr Durchschnitt bietet eine Art röthlichen Gewebes dar. Diese kleinen Tumoren, welche nicht krebsig und nicht tuberculös sind, gleichen sehr ByBen trophischen Follikeln (?). 3. Beobachtung?). Blain de Cormiers zeigt submucöse Wucherungen des Magens, beobachtet bei einer Frau von 60 Jahren. Der Magen zeigt an verschiedenen Stellen, besonders aber am Orificium pyloricum schwarze Verlängerungen, hervorgegan- gen aus Vegetationen, von denen die einen beinahe 1 Centi- meter Länge haben, welche unter der Schleimhaut entwickelt sind. Diese Vegetationen sind unter dem Mikroskop weder Krebs noch varicöse Tumoren, durch die Gefässe des Magens 1) Bulletins de la societ€ anatomique de. Paris 1833 pg. 63. 2) Bulletins de la soc. ete. 1846. pg. 209. 3) Bulletins de la soc. etc. 1847. pg. 399. Die polypösen Geschwülste des Magens, 99 gebildet. Es sind angehäufte Zellen (?), welehe den Anblick von Auswüchsen oder submucösen Polypen gewähren. 4. Beobachtung). Dieser Fall betrifft eine polypenförmige Hypertrophie der Magenschleimhaut, welcher von Leudet der anatomischen Societät vorgelegt wurde. Louis Loemont, Schuster, 52 Jahre alt, starb nach eintägigem Aufenthalt im Hospital. Er bot während seiner Anwesenheit kein schwereres Symptom, welches so nahen Tod hätte vorhersehen lassen. Anamnestisch wurde Folgendes über ihn ermittelt. Er war seit Jahren potator und seine physischen und geistigen Kräfte hatten gleichmässig abge- nommen. Seine Extremitäten, besonders die oberen, zitterten fortwährend. Sein Appetit war bis ans Ende erhalten, nie Schmerzen im Magen oder Erbrechen, aber häufig bisweilen langdauernde Diarrhoen. Seine ehemals beträchtliche Körper- fülle hatte einer ausserordentlichen Magerkeit Platz gemacht. Autopsie. Die Lungen lassen beim Druck eine blutig lufthaltige Flüssigkeit auspressen. Der Magen ist von normaler Ausdehnung, gesunder Farbe, die Muskelfasern desselben erscheinen ein wenig hypertro- phisch. Seine Höhle enthält nur ein wenig durchsichtiger geruchloser Flüssigkeit. Die Schleimhaut ist weisslich in dem grossen Blindsack und der Pylorusgegend, leicht röth-- lich, längs der grossen Curvatur vorzüglich, und auf der obern und untern Fläche bemerkte man eine reichliche An- zahl.von warzigen Erhabenheiten, 150 — 200, die das Volu- men einer kleinen Nuss haben, die einen gestielt, die andern zahlreicheren mit breiter Basis. Ihre Oberfläche ist glatt, ohne Spur von Oeffnungen oder Löchern, Unter diesen Er- habenheiten sind die neuen an warzenförmigen Schleimhaut- fortsätzen von derselben Natur oder vereinigt durch hervor- stehende Verlängerungen der Schleimhaut. Ihre Farbe ist weisslich, ähnlich der der Schleimhaut, welche nicht warzig 1) Bulletins de la soc. ete 1847. pg. 206. 1® 100 "DrsiWilkelm. Eibstein: ist und gesund erscheint. Sie sind beim Berühren weich und daher geben sie dem drückenden Finger nicht das Gefühl der Fluctuation. Ihre Basis oder ihre Oberfläche durchläuft kein Gefäss. Indem man sie einschneidet findet man sie be- stehend aus einem Innengewebe, welches nicht die Charak- tere eines krebsigen Productes hat. Diese Hypertrophie der Magenschleimhaut scheint sich in die gesunde Schleimhaut, die sie vereinigt, fortzusetzen. Sie sind auf dem submucösen (Gewebe beweglich. — Auf die an diese Beobachtung gleich hinterher angeknüpfte mikroskopische Untersuchung dieser Geschwülste von Fredault, so wie auf den darüber bei- gefügten Bericht von Delpech komme ich bei der Bespre- chung der inneren Anatomie dieser Geschwülste noch einmal zurück. 9. Beobachtung). ‚Barth hatte einen ähnlichen aber weniger ausgedehnten Befund wie Leudet vor, die einen unter der Form eines einfachen Vorsprungs der Schleimhaut, die andern mehr hervorragende Leisten, die eine von ihnen mehr hervorragend von der Grösse einer grossen Erbse wurde von einem lan- gen Stiele getragen. Es war klar zu constatiren, dass es sich in diesem Gewebe um eine einfache Verdickung. der Schleimhaut und des submucösen Bindegewebes handelte. 6. Beobachtung). Barth legt der Societät einen sehr gefässreichen Mas genpolypen vor, welcher aus erectilem Gewebe gebildet zu sein scheint. Er sitzt über der Pylorusklappe und er schnürt sich im Niveau einer Hypertrophie der Muskelschicht. ab. Eine grosse Anzahl von Gefässen treten, zwischen Schleim- haut und Muskelschicht zum Polypen. Mercier hat früher (1837 oder 1838) der Gesellschaft einen analogen Fall ge- zeigt, in dem 3 oder 4 gestielte Wucherungen auf der innern Oberfläche des Magens hervorragten. Auf. dem verdickten Ende eines jeden von ihnen sah man ein Bluteoagulum. 1) Bulletins de la soc. ete. 1847. pg. 212. 2) Bulletins de la soc. etc. 1849, pg. 47. Die polypösen Geschwülste des Magens. 101 7. Beobachtung'). Lemaitre zeigt den Magen eines am Magenkrebs ge- storbenen Menschen, man gewahrt in der Nachbarschaft der Cardia in der Nähe der kleinen Curvatur einen sehr weichen, gefässreichen Polypen von 3 Öent. Länge, auf der Schleim- haut wurzelnd, mit einem beinahe fadenförmigen Stiel. 8. Beobachtung’). Caron zeigt einen Polypen der Magenhöhle von der Grösse einer kleinen Bohne, von weicher Consistenz, ‚welcher von der Magenschleimhaut allein gebildet ist. Seine Anwesenheit that sich durch kein bemerkenswerthes Symptom im Leben kund. B. Eigene Beobachtungen. 9. Beobachtung. Den von mir bald näher zu beschreibenden Magen ver- danke ich ebenso wie die Krankengeschichte und den übrigen Leichenbefund der Güte des Hrn. Prof. Lebert, auf dessen Klinik der Fall zur Beobachtung kam. Ich entnehme fol- gende Data: Julius Fischbach, Seifensieder, 44 Jahre alt, wurde am 11/, 1862 auf die medieinische Klinik aufgenommen. Bis vor 1!/; Jahre ganz gesund stellten sich von da ab Diarrhoe und schlechter Appetit ein. Intermittens hat er in seiner Jugend kurze Zeit gehabt. Anfangs litt die Ernährung wenig. Später trat enorme Abmagerung ein. Der Patient zeigte sich bei seiner Aufnahme fieberlos, die Ernährungsstörung war sehr hochgradig. Hautfarbe gelbbraun. Appetit gering. Stühle wässrig, häufig. Die physikalische Untersuchung ergiebt in den Thoraxorganen nichts Abnormes. Die physikalische Un- tersuchung der Organe des Abdomens ergiebt eine bedeu- tende Hypertrophie der Leber und eine Vergrösserung der Milz um das Doppelte. Der Urin enthält sehr bedeutende Mengen Eiweiss, ist sauer, trübe, hellgelb. Sp. Gew. 1014. Oedeme fehlen. Der Kranke collabirte schnell, mehr und 1) Bulletins de la soc. anatom., etc. 1850. pg. 179. 2) Bulletins de la soc, anatom. etc, 1855. pg. 84, 102 Dr. Wilhelm Ebstein: mehr und starb am 25. Juli 1862 Nachts 2 Uhr. Autopsie 24 Stunden nach dem Tode. Im Gehirn nichts Besonderes. Die Capillargefässe des Gehirns amyloid entartet. Lungen und Herz gesund. Leber sehr gross, rechter Lappen erheblich kleiner als der linke. Grösste Breite der Leber: 7'],", davon 4 auf den rechten Lappen, grösste Länge rechts 7’, links 9'//". Cha- rakteristische Amyloid-Leber. Milz, 6‘ lang, 3?/," breit, 2" dick, Sagomilz. Nieren beiderseits sehr vergrössert, charakteristische amy- loide Degeneration derselben 43/,"" lang, 2°/," br., 1!/,' dick. Mesenterialdrüsen bis zu Bohnengrösse geschwellt. Die Jod-Schwefelsäurereaction giebt ein positives Resultat, Dieselbe lässt auch die Darmzotten violett gefärbt hervor- treten. Die Darmschleimhaut ist grau gefärbt, einzelne soli- täre Follikel geschwellt. Die kleinen Gefässe des Pankreas sind ebenfalls amyloid entartet. Der Magen ist normal gross und bietet ausser dass seine Schleimhautgefässe amyloid entartet sind, bis auf eine bald näher zu beschreibende Partie nichts Abnormes. Dieselbe ist in Fig. 1 in natürlicher Grösse abgebildet. Ungefähr einen Centimeter nämlich vom Pylorus (B) entfernt, welcher voll- kommen wegsam erscheint, beginnt, ziemlich scharf, mit et- was welligem Rande anfangend, eine 4!/, Cent. in die Ma- genhöhle hineinragende, nicht die ganze Circumferenz der Magenhöhle einnehmende, sondern die kleine Curvatur frei- lassende, die übrige Schleimhaut überragende Partie (D). Während die übrige Schleimhaut glatt erscheint, finden sich hier kleine (auf der Zeichnung nicht markirte) Zotten, welche flottiren, wenn sich der Magen unter Wasser befindet. Diese Partie wird durch seichte, meist dem Pylorusring parallel laufende, weiter nach der Magenhöhle zu aber mehr diver- girende Furchen, welche durch andere, diese meist recht- winklig aber nur unvollkommen schneidende Furchen in se- cundäre kleinere Felder getheilt werden, welche aber nur an der Randpartie von einander geschieden sind in Längsstreifen Die polypösen Geschwülste des Magens. 103 getheilt. Durch die Abrundung der Ecken derselben bekommt diese Stelle im Allgemeinen ein warziges Ansehen, Auf dieser so beschaffenen Grundfläche findet sich zuvörderst bei (E) eine gestielte, 6—7 Mm. lange, glatte, 1 Mm. dicke Wucherung, welche auf einem ungetheilten Stiele aufsitzend, nach oben sich verbreiternd durch zahlreiche fache Einschnitte am obern Ende ein gefranztes Ansehen erhält. Ausser dieser gestiel- ten Wucherung finden sich noch solche, welche mit breiter Basis aufsitzen (F), mehr oder weniger Kugelsegmente dar- stellend, eine Höhe von 5—6 Mm. und einen Durchmesser von ebensoviel haben. Macht man einen Durchschnitt durch die Häute des Magens an der Stelle, wo die eben geschil- derte Partie der Schleimhaut mit der benachbarten nicht ver- änderten zusammenstösst, so lässt sich zunächst eine Ver- dickung der Muskelhaut des Magens nicht constatiren, aber man findet nicht nur die Schleimhaut, sondern auch die Sub- mucosa an Dicke zunehmend, und zwar scheint die Verdik- kung dieser hinter der jener nicht sehr zurückzustehen. Macht man einen senkrechten Durchschnitt durch die gestielte Wu- cherung so wie auch durch die mit breiter Basis aufsitzenden “Wucherungen, so sieht man zuvörderst hier die Submucosa sich spitzwinklig erheben und an der Stelle, welche der höch- sten Höhe der Wucherung entspricht, gleichfalls ihre höchste Höhe erreichen und dieselbe von einer erheblich verdickten Schleimhaut überzogen werden. Ueber die feinern Structur- verhältnisse dieser sowie der bald nachher zu beschreibenden Geschwülste wird in einem besondern Abschnitt die Rede sein. 10. Beobachtung. Dieser Fall findet sich in der pathologisch - anatomischen Sammlung der hiesigen medieinischen Klinik und wurde von mir nach dem Weingeist-Präparat beschrieben. 2!/, Centi- meter vom Pylorus entfernt, an dem sich nichts Pathologi- sches findet, sieht man auf der sonst bis auf einzelne klei- nere, bald nachher zu beschreibende polypöse Excrescenzen im Allgemeinen glatten, nur wenige Längsfalten zeigenden Magenschleimhaut, vier Schleimhautwülste, welche auf ein- ander zustrebend sich zu einem mit einer breiten Basis auf- 104 Dr. Wilhelm Ebstein: sitzenden kegelförmigen Stiel von 5 Mm. Höhe und ebenso- viel grösstem Durchmesser vereinigen. An der Spitze theilt sich dieser Stiel in 2 Aeste, einen kürzern dem Pylorus nä- hern 6 Mm. langen und einen längern 1 Cm. langen, an de- ren jedem ein kolbiges, sehr zahlreiche 1—2 Mm. lange Zotten tragendes Ende aufsitzt. Die grösste Länge des Polypen be- trägt 3 Cm. Macht man einen Durchschnitt durch diese Ge- schwulst, so sieht man die Schleimhaut erheblich verdickt und in der Mitte derselben die von der submucösen Schicht ausgehende spitzwinklig oben.endende Wucherung, die sich fast durch die ganze Länge des Polypen hindurch erstreckt. Die Schleimhaut erscheint auch an den übrigen Theilen des Polypen mit dicht stehenden Zotten besetzt, welche aber weit niedriger sind, als am kolbigen Ende. Ausser diesen grös- sern Polypen finden sich noch 3 kleinere; der erste an der grossen Ourvatur in der Nähe des Fundus von 8 Mm. Länge, der kleinste nahe der kleinen Curvatur an der hintern Ma-- genwand ungefähr in der Mitte zwischen Cardia und Pylorus und der grösste derselben an der kleinen Curvatur von 1,5 COmtr. Länge. | ll. Beobachtung. Bei einem 66 jährigen Manne, der an Üaries des rechten. Fussgelenks auf der hiesigen chirurgischen Klinik gestorben war — Sander — fand sich in dem sonst normalen, mit einer in mässig starke Falten gelegten Schleimhaut ausgekleideten Magen in der Gegend des Pylorus auf einem Raume von eirca 10)" 6 erbsengrosse halbkuglige Erhebungen auf der Innenfläche. Dieselben waren von einer ganz normalen nur einen stärkern Gefässreichthum als die Umgebung zeigenden Mucosa überzogen, standen getrennt von einander und zwi- schen ihnen zeigte sich ein erbsengrosser an einem 5 Mm. langen, fadenförmigen Stiele hängender weicher Polyp, der auf seiner Oberfläche ebenfalls zahlreiche, kleine Blutpuncte zeigte. Beim Durchschnitt der zuerst erwähnten halbkugligen Pro- minenzen sah man schon makroskopisch die hier stattfindende Mitbetheiligung der Submucosa, indem auch sie eine halb- kugelförmige Dickenzunahme zeigte, welche sich gegen die Die polypösen Geschwülste des Magens, 105 normal breite Umgebung scharf absetzte. Daneben war die Schleimhaut ebenfalls bedeutend verbreitert. 12. Beobachtung. Dieser Fall von Magenpolyp, welcher in Fig. 2 in natür- licher Grösse abgebildet ist, fand sich bei einer 77 jährigen Frau — Hillmann — welche auf der ersten innern Station des Allerheiligen-Hospitals behandelt worden war. Sie hatte nie an Magenbeschwerden irgend welcher Art gelitten. Es fand sich bei ihr neben Schrumpfung der Bicuspidal-Klappe und einem Morbus Brightii im ten Stadium, im Magen, der sonst keinerlei pathologische Veränderungen darbot, an der hintern Magenwand 1,5 Cent. von der Stelle, wo sich die Oesophagus - Schleimhaut leicht zackig gegen die Magen- schleimhaut absetzt, eine 3,5 Cent. breite und 2 Cent. lange ovale Zone der Schleimhaut mit dichtstehenden, kurzen, un- ter dem Wasser flottirenden Zotten besetzt (CO). Am untern Rande dieser Zone, mehr dem Fundus zu, findet sich an einem kurzen, höchstens 5 Mm. langen und ebenso dicken, gleichfalls mit Zotten besetzten Stiele (b) ein an der Basis etwas mehr als 1 Cent. breiter, nach der Spitze zu sich ver- jüngender, stumpfspitzig endender, weicher Polyp von 2 Cent. Länge. Er hat die Form eines Taubenherzens; seine Ober- fläche ist bläulich roth, unter Wasser sieht man ihn sich auf- blättern und durch mehr weniger tief in das Gewebe des- selben eindringende Einschnitte in eine grössere Reihe von Geschwülsten theilen, die theils nur schmale Zotten darstellen, theils aber grössere, rundliche, selbst die Grösse einer kleinen Erbse erreichende Vegetationen bilden. 15. Beobachtung. Dieser Polyp fand sich bei einem, gleichfalls auf der er- sten Abtheilung des Allerheiligen-Hospitals nach kurzem Auf- enthalt unter den Erscheinungen des Hirnödems gestorbenen Mannes — Peter Köbner. — Bei der Section am 1. No- vember 1862 ergab sich ausser seröser Durchfeuchtung der Hirnsubstanz und starkem Oedem beider Lungen im Magen, der von normaler Ausdehnung war und eine im Uebrigen normale Schleimhaut hatte, eine in der Gegend des Pylorus 106 Dr. Wilhelm Ebstein: . befindliche, 4 Mm. von demselben an beginnende und 3,3 Cent. in die Magenhöhle hinein sich erstreckende Zone der Schleim- haut. Hier zeigten sich zuvörderst sehr zahlreiche, kleine, im Wasser flottirende Zotten; sie sind blutreich und in den Interstiten zwischen denselben sieht man die blass und nor- mal gefärbte Schleimhaut. Eingeschlossen in diese Zone findet sich nahe an der Pylorusgränze dieses Schleimhaut- Abschnittes eine kreisrunde, 1 Gent. im Durchmesser habende, ebenfalls mit Zotten, die aber um das Doppelte bis Dreifache grösser sind, besetzte Stelle und in der Nähe des Pylorus kleiner anfangend an Länge nach der innern und vordern Gränze immer mehr zunehmen, wo sie 3—4 Mm. lang sind. Hier erhebt sich von der Schleimhaut ein rundlicher mit un- gefähr ebenso langen Zotten besetzter Stiel von 3 Mm. Länge, der sich in 3 Aeste theilt, einem hintern, längsten 1,5 Cent. lang, der etwas kolbig endet, einem vordern, mittellangen, der 1 Cent. lang ist und einem mittlern, kürzesten von 6 Mm. Länge. Diese Aeste zeigen zahlreiche tiefe Einschnitte, die theilweis bis zu ihrem Ursprunge, bis zum erst beschriebenen Stiele reichen, und unter Wasser sieht man diese secundären mit ihren tertiären durch weiteres Auswachsen entstandenen Aeste flottiren. Macht man einen Durchschnitt durch diesen Polyp, so sieht man auch hier die Submucosa kegelförmig aufsteigen und darüber die mit den Zotten besetzte hypertro- phische Schleimhaut. 14. Beobachtung. Der nun zu schildernde Polyp ist der grösste, den ich zu beobachten Gelegenheit hatte. Ich habe auch in der Lit- teratur keinen von dieser Grösse auffinden können. Derselbe fand sich bei dem 48jährigen Arbeiter — Gottl. Fiedler — der am 20. Dee. 1862 auf die erste Abtheilung des Allerhei- ligen-Hospitals wegen einer Pleuro-Pneumonia traumat. lobi dextri medii aufgenommen wurde. Der Krankengeschichte des zeitigen Assistenzarztes der Abtheilung meines Freundes Dr. Löwy entnehme ich folgende Data: Patient hatte 3 Tage vor seiner Aufnahme an der entsprechenden Stelle des Thorax einen heftigen Stoss erlitten, behielt nachher daselbst Die polypösen Geschwülste des Magens. 107 beim Athemholen einen heftigen Schmerz und hatte Tags darauf einen starken Frostanfal. Am erwähnten Tage in’s Hospital aufgenommen zeigte er stark fiebernd bei der ob- jectiven Untersuchung die Localerkrankung. Der Kranke erlag der sich schnell über die ganze rechte Lunge ausbrei- tenden Pneumonie unter den Erscheinungen des Lungenödems,. Erbrechen hat er bei seiner Anwesenheit hier nie gehabt. Die anatomischen Data über seine Magenverdauung ergaben keine positiven Anhaltspuncte. Die Section am 30. Dee. 1862 bestätigte die gestellte Diagnose; im Uebrigen zeigte sich ausser dem nunmehr näher zu schildernden Magen nichts Pathologisches. Der Magen stark ausgedehnt, enthält reichliche, dünn- flüssige, schmutzig graue Ingesta. Die Schleimhaut des Fun- dus ist verfärbt, schiefergrau, zeigt kleine punctförmige hä- morrhagische Erosionen, ist im Uebrigen bis auf die jetzt zu beschreibende, in Fig. 3 in natürlicher Grösse abgebildete Pylorusgegend normal. Vom Pylorus aus (C) erstreckt sich in die Magenhöhle hinein eine an der hintern Wand 5 Cent., in den übrigen Theilen etwas schmälere Zone (a) der Schleim- haut, welche zuvörderst an dem zumeist nach innen gelegenen Theile sich zu kleinen Wülsten erhebt (1), die an der hintern Partie des Magens dichter gedrängt stehen, als an der untern und vordern, wo selbst einige kleine umschriebene Stellen (2 und 2’) ganz frei von denselben sind. Diese Partie gränzt sich im Allgemeinen scharf gegen die weiter nach innen in der Magenhöhle gelegene Schleimhaut (3) ab; die Wülstchen sind dem Pylorus entweder parallel, oder 2 derselben stossen untereinander zusammmen und laufen einem andern Wülst- chen parallel. Diese Zone hat im Allgemeinen eine Breite von 2 Cent.; von da ab erhebt sich die Schleimhaut, welche bisher die Umgebung nur wenig überragt hat, zu weit stär- kern Wülsten (4), welche zum Theil gegen den Pylorusring (C) verlaufen, zum Theil aber convergirend nach der vor- dern Wand des Pylorusendes zustreben. Diese Wülste ste- hen entweder dicht gedrängt aneinander und lassen nur kleine Furchen zwischen sich, oder es liegen zwischen ihnen vier- 108 Dr. Wilhelm Ebstein: eckige etwas unter dem Niveau derselben gelegene Partien (5). An der vordern Magenwand, direct am Pylorus, finden sich 3 starke Schleimhautwülste, von denen der Äusserste (6) zum Theil vom Pylorus kommt, zum Theil wie die andern beiden (7 und 8) entsteht, indem sich. die vorher beschriebenen im Verlauf zum Pylorus immer mehr verdicken. Diese 3 Wülste, von denen jeder ungefähr 2 Cent. lang ist, vereinigen sich nun zu einem Stiel (9) von 2 Cent. Länge, an dem eine in die Magenhöhle frei hineinragende 3,5 Cent. lange Geschwulst (10) hängt. Der eben beschriebene Stiel ist von der Stärke eines kleinen Fingers und dem Anschein nach von normaler Schleimhaut überzogen. Zwischen dem Stiel und der sich an demselben schliessenden Geschwulst findet sich eine Einker- bung (11), woran sich eine Verdickung der Geschwulst schliesst, die nun im Allgemeinen Daumdicke erreicht und mit Aus- schluss einer tiefer gelegenen (12), unregelmässig begränzten, etwas dw@kler gefärbten Partie, mit Zotten reichlich besetzt ist (10°). Am obern sich etwas verjüngenden, kolbigen Ende (13) findet sich noch eine herzförmige, leicht prominente, scharf umgränzte, ebenfalls zottige Partie (14). Auf Fig. 4 findet sich die Abbildung eines Längsschnittes durch die Wurzel des Po- Iypen und seine Umgebung. Wir sehen bei (A) die Muscu- laris des Magens, bei (a) die Verdickung derselben am Py- lorus; (B) stellt die Submucosa dar, die allmählich dicker werdend bei (b) sich spitzwinklig erhebt und circa 1 Mm. im Durchmesser habende, makroskopisch deutlich sichtbare, durch mit Carmin rothgefärbte Gelatine-Masse, ‘welche durch eine grössere Magenarterie injieirt wurde, angefüllte, ziemlich zahlreiche Gefässdurchschnitte zeigt. Die Tunica nervea setzt sich dann bei (bb) in den Stiel des Polypen fort, (C) stellt die Schleimhaut dar, welche ebenfalls nach dem Stiele des Polypen zu dicker werdend, denselben in seiner ganzen Dicke einkleidet. Der Polyp zeigt auf dem Durchschnitt eine ziem- lich feste Consistenz, von der Einkerbung an zwischen Stiel und eigentlichem Polypen nimmt die Submucosa, die wir di- rect in die Mitte des Stieles sich fortsetzen sehen, an Mäch- tigkeit zu, grössere Gefässdurchschnitte sieht man nicht mehr Die polypösen Geschwülste des Magens. 109 und die am Stiele sehr dicke Schleimhaut verjüngt sich er- heblich, erhält Zotten und verschwindet an einer eben näher. geschilderten Stelle (11) gänzlich. 15. Beobachtung. Bei einem an Lungentuberculose am 14. December 1862 auf der ersten innern Abtheilung im Hospital gestorbenen Manne — August Schlabitz — fand sich neben beider- seitiger disseminirter Lungentuberculose, im Magen, dessen Schleimhaut blass und frei von Ulcerationen ist, an der hin- tern Wand ungefähr in ihrer Mitte ein etwa bohnengrosser, glatter gestielter Polyp mit normaler Umgebung; der Stiel ist fadenförmig 8 Mm. lang; keine Zottenbildung, Schnittfläche röthlich, Consistenz weich. o. 16. Beobachtung. Bei einer auf der ersten innern Station des Hospitals ge- storbenen 39jährigen Frau — Kammhoff — fand sich ne- ben Tuberculose beider Lungen, fettiger Degeneration der Leber und tuberculösen Darmgeschwüren im Magen, dessen Schleimhaut in zahlreiche Längsfalten gelegt war, auf einer derselben, entsprechend der Curvatura major in ihrer Mitte ein kleiner etwas über erbsengrosser gestielter Polyp von glatter Oberfläche, blassrother Schnittfläche und weicher Con- sistenz. Die Umgebung wie die ganze Schleimhaut des Ma- gens bot sonst nichts Abnormes dar. en 17. Beobachtung. Bei einem auf der 2. medicinischen Abtheilung gestorbe- nen Arbeiter — Carl Freier — fand sich bei der Section am 30. Januar 1863 neben fettiger Entartung der Musculatur der linken Herzkammer im Magen, der normal ausgedehnt und dessen Schleimhaut sonst von gesunder Beschaffenheit mit schleimigen, gallig gefärbten Massen bedeckt war, circa in der Mitte der grossen Curvatur ein gestielter, ziemlich weicher, am obern Ende in 2 Aeste sich theilender 2,3 Cm. langer Polyp; in der Nähe des Pylorus finden sich zerstreut einige kleine, erbsengrosse mit breiter Basis aufsitzende Ve- getationen. Auf dem Durchschnitt sieht man sowohl bei den gestielten als auch bei den ungestielten Geschwülsten die oben mehrfach geschilderte Betheiligung der Submucosa. 110 Dr, Wilhelm Ebstein: 18. Beobachtung. Bei einer auf der 2. innern Abtheilung des Hospitals am 21. März 1863 gestorbenen 81jähr. Frau — Josepha Schnei- der — fanden sich neben einer apoplektischen Narbe im corp. striatum, colloider Entartung und bedeutender Vergrösserung der Thyreoidea, Hyperthrophie des linken Ventrikels, zahl- reichen Gallensteinen, Vorfall des Uterus, im Magen, der von normaler Ausdehnung ist und dessen sonst blasse und normale Schleimhaut mit zähem Schleim bedeckt ist, etwas unter der Oardia an der hintern Magenwand einige kleine gestielte, nahezu kuglige, sowie mehrere mit breiter Basis aufsitzende, grössere und kleine Kugelabschnitte darstellende, etwas über erbsengrosse Excrescenzen, die auf dem Durch- schnitt, wie ich mehrfach bereits beschrieben, sich gebildet zeigen durch eine entsprechende Verdickung der Submucosa und der Schleimhaut selbst. Auf der Schleimhaut des Ileum, einmal circa 1 Fuss über der Klappe, das andere Mal circa 2 Fuss höher hinauf, findet sich je eine der im Magen be- schriebenen anologe etwa erbsengrosse, kurz gestielte Ge- schwulst. 19. Beobachtung. Bei einem auf der ersten innern Station des Hospitals an einer carcinomatösen Oesophagus-Stenose verstorbenen 70- jährigen Arbeiter — Christian Hütte — findet sich neben einem zellenreichen Medullar-Careinom mit spärlichem Gerüst des untern Viertels der Speiseröhre und secundären Krebs- knoten in der Leber von gleichem Charakter, im Magen, dessen Höhle eng erscheint und zahlreiche unverdaute Speise- reste enthält, und in dessen, im Fundus glatte und blasse, sowie in der Pylorusgegend in reichliche Längsfalten ge- legte Mucosa, welche pigmentirt erscheint, zahlreiche hirse- korngrosse, opake weisse Knötchen (solitaire Drüsen) einge- bettet sind — ganz nahe im Pylorus ein ceylindrischer 2 Cm. langer, am obern kolbigen Ende schwarz pigmentirter, auf der Schnittfläche röthlicher, ziemlich weicher Polyp. 20. Beobachtung. Bei einem auf der ersten innern Abtheilung des Hospitis Die polypösen Geschwülste des Magens, 1li gestorbenen 59jährigen Arbeiter fand sich bei der am 20. April 1863 gemachten Section neben spärlicher, beiderseitiger Lun- gentuberculose, neben sehr zahlreichen tubereulösen, vom Colon ascendens anfangenden, durch den ganzen Dünndarm sich er- streckenden, gürtelförmigen Darmgeschwüren, exquisiter Le- bereirrhose mit Milztumor und hochgradigem Ascites im stark ausgedehnten Magen, dessen Schleimhaut blass, glatt und nor- mal ist, in der Mitte der grossen Ourvatur, ein oben ausge- franzter, 1,5 Cent. langer, weicher, glatter, mit flachen Zotten bedeckter Polyp. Die Zotten finden sich auch auf der den Polypen zunächst umgebenden Schleimhaut. 21. Beobachtung. Bei einem auf der zweiten innern Abtheilung des Hospi- tals an einer in Folge von Intermittens-Cachexie eingetretenen amyloiden Degeneration gestorbenen Klemptnergesellen — Robert Shiam — 353/, Jahr alt, fanden sich bei der Sec- tion am 13. Mai 1863 neben fettiger Entartung der Musculatur des rechten Herzventrikels, einer Sago-Milz, amyloider De- generation der Nieren, sowie der Schleimhautgefässe des ge- sammten Verdauungscanals, in dem Magen, der in sehr aus- geprägter Weise alle Zeichen des chronischen Catarrhs an sich trug und dessen ziemlich ausgedehnte Höhle flüssige, flockige Speisereste enthielt, in der Nähe des Pylorus, so wie an diesem selbst und zwar hier mehr auf einem Haufen zusam- mengedrängt, rundliche und mehr cylindrische Wucherungen von 0,5—1 Cent. Höhe, deren oberes Ende dunkelroth gefärbt erscheint und welche auf dem Durchschnitt eine entsprechende Verdickung der Submucosa, sowie der Mucosa selbst a 22. Beobachtung. Bei einer auf der zweiten medieinischen Abtheilung des Hospitals an einer Pneumonie des untern linken Lappens ge- storbenen 56 Jahr alten emphysematösen Frau — Charlotte Päler — fand sich neben Bestätigung der gestellten Diagnose in dem normal ausgedehnten, mit einer in mässig reiche Längs- falten gelegten und auf der höchsten Höhe der letzteren reiche Capillargefässinjeetion zeigender Schleimhaut ausgekleideten Magen, 1,5 Cent. vom Pylorus entfernt, ein-erbsengrosser, auf 112 Dr. Wilhelm Ebstein: dünnem, kurzem Stiele aufsitzender Polyp. Derselbe hat auf der Schnittfläche eine blassröthliche Färbung und zeigt eine festweiche COonsistenz. 23. Beobachtung. Bei einem auf der zweiten Hospitalabtheilung an einem zu einer doppelseitigen Parotitis sich hinzugesellendem Glottisödem gestorbenen 57 jährigen Schlossergesellen — Friedr. Schwa- nenbek — fand sich neben einer Parotitis suppurativa, einem Oedema glottidis acutum, einer Pleuro-Pneumonia lobi medii et inferioris dextri in stadio hepatisationis griseae im Magen, der leer war, eine normale Ausdehnung hatte und dessen Schleimhaut in mässige Längsfalten gelegt war, eine stärkere als normale Füllung der kleinen Gefässe durchweg eine schie- fergraue Färbung zeigte, in der Nähe des Pylorus 1 Cent. von ihm entfernt an .der grossen Curvatur ein ceylinderförmiger, oben einfach abgerundet endender 1 Cent. langer Polyp, von mässig weicher Consistenz, blasser Schnitt- und glatter Ober- fläche. 24. Beobachtung. Bei einem auf der ersten innern Abtheilung des Hospitals gestorbenen Mann, 68 Jahre alt, — David Sims — fand sich neben allgemeiner Atherose des Arteriensystems und Throm- 'bosirung der untern Hohlvene von Einmündung der beiden venae renales an durch venae iliacae hindurch bis zur Klappe der Ceruralvrenen der Magen normal gross, stark gefaltet und auf der Schleimhaut desselben vom Pylorus an bis zur Mitte desselben sehr zahlreiche Zotten, analog den Darmzotten und zwischen durch einzelne, polypöse weiche, mit 2—3 Mm. lan- gen Zotten reichlich besetzte Wucherungen von Erbsengrösse. Aus den angeführten Einzelbeobachtungen lässt sich in Bezug auf die Naturgeschichte der polypösen Wucherungen folgendes Allgemeine feststellen: 1) Was das Geschlecht anlangt, so scheinen sie sich bei Männern noch einmal so häufig zu finden als bei Frauen, denn abgesehen von ö Fällen, wo die Angabe des Geschlechtes fehlt, finden sich von den übrigen 19 Fällen 13 bei aa nur 6 bei Frauen. Die polypösen Geschwülste des Magens. 113 2) Alter. Die Angabe desselben fehlt eben bei jenen 5 Fällen, bei denen die Angabe des Geschlechts fehlt; unter den übrigen Fällen findet sich bis zum Alter von 35 Jahren kein Fall, im Gegensatz zu den Polypen des Mastdarms, die bei Kindern am häufigsten beobachtet werden. Zwischen 35—40 Jahren finden wir 2 Fälle Zwischen 40—50 Jahren finden wir 5 Fälle Zwischen 50—60 Jahren finden wir 5 Fälle Zwischen 60—70 Jahren finden wir 5 Fälle Zwischen 70—90 Jahren finden wir 2 Fälle. Aus dieser Zusammenstellung lässt sich, glaube ich wenig- stens, soviel schliessen, dass erst bei Leuten über 40 Jahre sich häufiger Magenpolypen finden. 3) Die Zahl derselben, in der sie vorkommen, ist eine sehr verschiedene; wir finden in 12 Fällen unter unsern 24 dieselben einzeln vorkommen, in einem Falle sehen wir sie die Zahl von 50, in zwei andern sogar die Zahl von 150 bis 200 erreichen. 4) Die Form derselben unterliegt ebenfalls mancherlei Abweichungen, sie sind entweder kuglig oder mehr minder balbkuglig, zeigen bisweilen eine pilzförmige Gestalt, andere gehen nach unten spitz zu, während ihr oberes Ende mehr kolbig ist und besonders die eine Seite derselben geradlinig und scharf abfällt, wodurch die, auch bei Polypen auf an- dern Schleimhäuten gar nicht seltene Form eines Tauben- herzens zu Stande kommt; wieder andre sind cylindrisch und enden oben entweder einfach abgerundet oder kolbig an- schwellend und noch andere Formen nehmen, sich wieder und wieder theilend, eine baumförmige Gestalt an. 5) Farbe. Dieselbe hängt zumeist und am häufigsten ab von dem Grade der Füllung der Blutgefässe an der Ober- fläche, kann aber auch durch abgelagertes Pigment, schiefer- grau und grauschwarz werden. 6) Oberfläche. Sie ist entweder glatt oder mit Zotten besetzt und dies ist der Hauptunterschied, den ihre Ober- fläche zeigt. Dieselbe ist zumeist mit einem reichlichen, Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 8 114 Dr. Wilhelm Ebstein: schleimigen Belage bedeckt, indem sich unter dem Mikro- skop neben Molecular-Masse, Fetttröpfchen etc. Cylinderepi- thelzellen, rundliche Zellen und Kerne grösserer Anzahl fin- den. Die Gefässinjection der Oberfläche ist bald bedeutender, bald geringer, meist dem Allgemein-Zustand entsprechend; bisweilen jedoch zeigen die Gefässe der Oberfläche eines Po- lypen eine stärkere Entwicklung. 7) Was den Zusammenhang mit dem Mutterboden anlangt, so sind die polypösen Wucherungen entweder ge- stielt, oder sitzen mit mehr minder breiter Basis auf; der Stiel zeigt bedeutende Verschiedenheiten in Bezug auf Länge und Dicke, welche letztere zwischen der eines dünnen Zwirn- fadens bis zu einem Durchmesser von 5—8 Mm. schwankt. Die mit breiter Basis aufsitzenden Vegetationen kommen meist vergesellschaftet mit gestielten Polypen vor, weit seltener werden sie allein im Magen angetroffen. 8) Was die Anordnung der polypösen Geschwülste anlangt, wenn sie in einem Magen in grösserer Anzahl ge- fanden werden, so finden wir sie entweder isolirt stehend, zerstreut an verschiedenen Stellen des Magens — dies ist der seltenere Fall — oder sie finden sich dann in einer Gruppe, mehr weniger dicht stehend an einer Stelle der Magenschleim- haut vereinigt. 9) Was das Verhältniss des Mutterbodens — der Magenwandung — zu den Polypen betrifft, so ist derselbe a) vollkommen unverändert; es finden sich gestielte und ungestielte Wucherungen auf normaler Magenwand. b) Die Umgebung des Polypen zeigt in grösserer oder ge- ringerer Ausdehnung Zottenbildung auf der Schleimhaut; ich habe dies nur gesehen, wenn die Oberfläche des Polypen selbst Zottenbildung zeigt. Meist findet sich in diesen Fällen, wie wir noch später zu sehen Gelegenheit haben werden, die Bindesubstanz zwischen den einzelnen Magendrüsen Pernern) und diese selbst auseinander gedrängt. €) Die gestielten und ungestielten Geschwülste finden sich auf einem ingrösserem Umfange veränderten Mutter- Die polypösen Geschwülste des Magens. 115 boden, indem sowohl die Schleimhaut als die Submucosa im Allgemeinen eine Verdickung erfahren hat. 10) Die Grösse dieser Geschwülste schwankt inner- halb sehr verschiedener Gränzen. Man kann im Allgemeinen festhalten, dass, wenn diese Geschwülste in grösserer Anzahl im Magen vorkommen, sie nie eine bedeutende Grösse er- reichen; sie schwanken zwischen der Grösse einer Erbse und der einer Haselnuss, über die sie kaum hinausgehen dürften. Kommen dieselben vereinzelt vor, so können sie eine grössere Länge erreichen. Nach Lebert können sie 2—3 Cent. lang werden. Ich habe aber einen Fall mitgetheilt, wo ein Polyp die Länge von 7,5 Cent. erreichte. Neben einem grösseren Polypen finden sich nicht selten mehrere kleinere an andern Stellen des Magens. 11) Was den Sitz des Polypen in der Magenhöhle an- langt, so haben dieselben ihre Prädilections-Stelle, und zwar ist es dieselbe, die auch die Carcinome des Magens haben, nämlich des Pylorus und seine Umgebung. Es gilt dies nicht nur von den isolirt vorkommenden Magenpolypen, sondern auch von denen, die in grössern Gruppen auf unveränderter und selbst veränderter Magenwand sich so vorfinden. Ob dies in der hier in mancher Beziehung vor andern Stellen des Magens Verschiedenheit darbietenden Structur der Magen- schleimhaut, welche Frerichs') also charakterisirt: „Am längsten und breitesten sind die Drüsen an der Portio pylo- rica; die Schleimhaut ist hier dieker und reichlicher mit Bindegewebe versehen,“ seinen Grund hat, will ich dahin gestellt sein lassen. Unter den 24 von mir aufgeführten Fällen von Magen- polypen finden sich in der Regio pylorica 12, in 6 Fällen fanden sich dieselben an der grossen Curvatur, in nur 2 Fällen finden wir Polypen an der Cardia, unter diesen findet sich ein grösserer (vgl. Beobachtung 12); der Sitz der übri- gen Polypen war an verschiedenen andern Magengegenden. 1) Artikel „Verdauung“ Wagners Handwörterbuch der Physiologie Bd, 3. Abth, 1. S. 747. 8* 116 Dr. Wilhelm Ebstein: In dem von Caron mitgetheilten Falle (Beobachtung 5) fehlt die Angabe des Sitzes des Polypen. Auffallend war es mir, nie eine derartige Geschwulst im Saccus coecus zu finden. 12) Was das Vorkommen des Magenpolypen zusam- men mit andern pathologischen Befunden anlangt, so haben wir dieselben bei so verschiedenen Krankheiten gefunden, dass ich mir daraus allgemeine Gesichtspuncte abzuleiten nicht er- lauben möchte. Dagegen verdient vielleicht das Zusammen- Vorkommen mit andern Erkrankungen des Magens eine Er- wähnung. Es sind die Fälle nicht selten, in denen Magen- carcinome und daneben gestielte Polypen vorkommen. Der Fall von Lemaitre (Beobachtung 7) gehört hierher. Das zweimalige Vorkommen von polypösen Excrescenzen der Ma- genschleimhaut neben ausgedehnter amyloider Degeneration, nicht nur der drüsigen Organe des Abdomens, sondern auch der Gefässe der Schleimbaut des Verdauungscanals, in specie der Schleimhaut des Magens (Beobachtung 10 und 21) will ich hier einfach constatiren. Nur 2mal fand sich im Magen der Zustand, den wir als chronischen Katarrh bezeichnen, ne- ben Polypenbildung im Magen in ausgezeichneter Weise. In allen übrigen Fällen kamen sie in solchen Magen vor, an denen ich nichts Pathologisches auffinden konnte. 13) Ein klinisches Interesse haben diese Geschwülste bis jetzt noch nicht gehabt, da es noch nicht festgestellt ist, ob sie Symptome hervorrufen, und dann immer noch die Frage sein würde, ob es Anhaltspuncte giebt, dieselben auf eine Neu- bildung dieser Art zu beziehen. Der in Beobachtung 14 mit- getheilte Fall wäre am ehesten geeignet gewesen, wegen seiner Länge und Dicke, dann wegen seiner Lage eine Ste- nosirung des Pylorus hervorzubringen. Allein der Kranke bot während seines Aufenthaltes im Hospital nie Symptome dar, welche darauf hätten schliessen lassen und leider starb er zu früh um ihn längere Zeit genauer zu beobachten. Anam- nestisch war in dieser Beziehung, da er keine Angehörigen hatte, später nichts mehr festzustellen. 14) Von einer Behandlung des Magenpolypen kann natür- lich unter diesen Umständen nicht die Rede sein, und ich würde Die polypösen Geschwülste des Magens, 7 diesen Punct hier gar nicht erwähnen, wollte ich hier nicht eines Falles von Quain !) gedenken, der als Fall von Natur- heilung eines Magenpolypen grosses Interesse hätte, wofern es sicher constatirt wäre, dass es sich hier um eine derartige Geschwulst gehandelt hätte. Der Fall, wie er in Canstatt’s Jahresbericht vom Berichterstatter Hartmann mitgetheilt wird, ist folgender: „Ein 19jähriges Mädchen, das lange an gastrischen Beschwerden gelitten hatte, entleerte beim Er- brechen einen Polypen von der Grösse einer Wallnuss, der- selbe schien mit einem dünnen Stiele auf der Schleimhaut aufgesessen zu haben, war sehr vasculös und zeigte die be- kannten Charaktere der Schleimhautpolypen;* weitere Mit- theilungen über diesen Fall fehlen leider. Ueber die Structur der Magenpolypen. In den ältern Beobachtungen vermissen wir eine genauere Untersuchung der histologischen Structur dieser Geschwülste vollständig und auch in den oben mitgetheilten Beobachtun- gen französischer Autoren fehlt eine genauere Beschreibung derselben. Es schien Barth (Beobachtung 6), als ob der von ihm 1849 der Societe anatomique vorgelegte Polyp aus erec- tilem Gewebe gebildet wäre. Fredault fand bei der mi- kroskopischen Untersuchung des Falles von Leudet (vergl. Beobachtung 4): 1) keine Spur von Blutgefässen in den beschriebenen po- lypösen Geschwülsten, 2) fand er ihre Structur nicht krebsig, sondern sie schien ihm zusammengesetzt durch eine abnorme Entwickelung aller Lagen der Schleimhaut, 3) fand er die unter der Schleimhaut liegende Submucosa ganz gesund und kam zu dem Resultat, dass es sich um eine polypiforme Hypertrophie der Schleimhaut handle und Delpech, der einen Bericht über die Leudet’sche Beobach- tung lieferte, kam zu der Ansicht, dass jeder der erwähnten 1) Lancet I. 13. 1857. (mitgetheilt aus Canstatt’s Jahresbericht 1857, III. 182.) 118 Dr. Wilhelm Ebstein; Excrescenzen und polypösen Vegetationen aus einer Weiter- entwickelung einer Zotte entstanden sei. In neuerer Zeit ist durch eine Reihe genauer Arbeiten von Frerichs'), Bill- roth?), Lebert (l. c.), Middeldorpf (l. e.), Harpeck (l. e.), Luschka (l. ce.) die Structur der Polypen im Allge- meinen sowie auch insbesondere auf den einzelnen Schleim- häuten aufgehellt worden. Ueber die Structur der Magen- polypen in specie sind mir keine genauern mikroskopischen Untersuchungen, ausser den in den Werken von Rokitansky und Förster gemachten Angaben, bekannt geworden. Ich will hier von den oben angeführten einzelnen Beobachtungen die Structur einzelner genauer erörtern. Die übrigen von mir beobachteten Fälle finden in ihnen sämmtlich, wenn man von kleinen unwesentlichen Verschiedenheiten absieht, ihre Typen, unter die sie sich mühelos rubrieiren lassen. Was die von mir befolgte Untersuchungsmethode anlangt, so habe ich einen Theil des Objects zur frischen Untersuchung ver- wandt, und zur Darstellung grösserer Durchschnitte mich der von Middeldorpf°) empfohlenen Methode bedient, indem ich die Geschwulststücke in einer aus 1 Theil Acidum ace- ticum conc. und 3 Theilen Wasser bestehenden Mischung kochte und dann trocknete. Nur den grossen Polypen von Fied- ler (Beobachtung 14) habe ich zuerst in der schwachen Mole- schottschen Essigsäure-Mischung (1 Vol. Acet. conc. 25 Vol. Spirit. vin. rectificatis. 50 Vol. ag. dest.) einige Tage liegen lassen, habe ihn dann getrocknet und sehr schöne Durch- schnitte erhalten. Die Schnitte wurden nachher in eine am- moniacalische Carminlösung gelegt und das so behandelte Präparat durch mit Essigsäure angesäuertes Wasser ausge- waschen. Ich beginne hier mit der Untersuchung: Er- stens der in Beobachtung 11 beschriebenen poly- pösen Excrescenzen und zwar zunächst a) mit der Untersuchung des dort gestielten klei- 1) De Polyporum structura penitiore. 1843. 2) Ueber den Bau der Schleimpolypen. 1845. 3) De Glandulis Brunnianis Vratisl. 1846. Die polypösen Geschwülste des Magens, 119 nen Polypen. Bei der Untersuchung des durchschnittenen Polypen mit der Lupe lassen sich besonders an den Rand- partien zahlreiche kleine höchstens der Spitze einer kleinen Nadel entsprechende Oeffnungen sehen, aus denen sich eine schleimige mit Cylinder-Epithelien, mit reichlichen Kernen und Detritus untermischte Masse ausdrücken lässt. Wir fin- den, dass die Oberfläche des Polypen in Uebereinstimmung mit der Beobachtung von Frerichs, dass das Epithel der Polypen und der Schleimhaut, auf der er sich befindet, gleich sind mit Cylinder-Epithel, wie die Magenschleimhaut selbst überkleidet wird. Die Zellen bilden eine einfache Lage und haben im Mittel eine Länge von 0,039 Mm. Dies verhält sich, wie ich hier, um unnütze Wiederholungen zu verhüten, be- merke, bei den nachher zu besprechenden Geschwülsten eben- so. Auf Durchschnitten durch den Polypen, von denen ein Theil der Randpartie eines durch die untere Hälfte des Po- lypen geführten Schnittes in Fig. 5 gezeichnet ist, sieht man eine grosse Menge von Durchschnitten (a) von sehr verschie- dener Form und Grösse. Was die erstere betrifft, so sind es theils rundliche oder ovale Querschnitte, theils sind sie mehr lang gestreckt. Viele zeigen in ihr Lumen vorsprin- gende Leistchen, durch welche sie unvollkommen in mehre Abtheilungen geschieden werden. Was die äussere Begrän- zung derselben anlangt, so sieht man an feinen Schnitten dieselben nach Aussen begränzt von einer dünnen scharf mar- kirten Membran («e). Billroth'!) hat eine structurlose Mem- bran an derartigen Durchschnitten bei Mastdarmpolypen nicht isoliren können weder an frischen Präparaten noch bei Zu- satz geeigneter Reagentien. Auch Luschka?) ist dies bei polypösen Geschwülsten derselben Schleimhaut nicht gelun- gen, wohl aber konnte er eine scharfe dunkle Contur zur Ansicht bringen, welche die Aussenseite der Drüsenwand von der interstitiellen Substanz abgränzte, einwärts dagegen ohne nachweisbare Unterbrechung sich in das Cylinder-Epithel 1 a 2) l. c. pg. 138, 120 Dr. Wilhelm Ebstein: fortsetzte. Harpeck!) dagegen hat sie bei Dickdarmpoly- pen gesehen. Was den Inhalt dieser Durchschnitte, deren begränzende Membran hie und da zarte Fortsätze in das In- nere sendet, anlangt, so sieht man schon bei schwachenVer- grösserungen eine gegen die Mitte zu convergirende von der peripherischen Membran ausgehende radiäre Zeichnung, welche sich bei stärkerer Vergrösserung in COylinder-Epithelzellen auflösen, welche sämmtlich einen durch Carmin roth gefärb- ten Kern in dem ganz dicht an die begränzende Membran anliegenden Basaltheil tragen (Pf). Dieses Epithel hat in den verschiedenen Durchschnitten eine verschiedene Grösse, hat aber durchweg das Charakteristische, dass seine Zellen be- deutend länger sind als die der Oberfläche. Was die Grösse der erwähnten Quer- und Längsschnitte anlangt, so schwankt dieselbe zwischen 0,071 Mm. bis 0,78 Mm. Länge und zwi- schen 0,057 Mm. bis 0,3575 Mm. Breite. In einer Reihe dieser Durchschnitte, besonders der kleinen Formen, sieht man das Cylinder-Epithel in der Mitte nahezu zusammenstossen, in den grösseren jedoch sieht man innerhalb des von den Epi- thelien nach Innen begränzten Raumes eine amorphe etwas gestreifte Masse mit mehr oder minder reichlichen Zellen und Kernen (7). Durch vorsichtiges Auspinseln lässt sich dieser Inhalt sowie das Epithel entfernen und die begränzende Mem- bran mit ihrer scharfen Contur sehr deutlich sichtbar machen. Was die Anordnung und Vertheilung dieser Durchschnitte in dem Polypen anlangt, so sieht man die grössten und beson- ders die langgestreckten Formen in der Peripherie des Po- lypen, während sich die kleineren ovalen und rundlichen Formen mehr nach der Mitte desselben zu finden. Einzelne dieser Durchschnitte erreichen mit freiem offenen Ende die Oberfläche. Man sieht die Epithelbekleidung derselben sich in jenen Fortsätzen und das kolbige Ende der Längsschnitte sieht man hie und da im Innern der Polypen münden. Diese Durchschnitte sind von einander getrennt durch Bindegewebe mit länglichen Bindegewebskörperchen, welche meist in Rei- 1) 1. c. pg. 20, Die polypösen Geschwülste des Magens, 121 hen um die erwähnten Durchschnitte angeordnet sind und durch Carmin roth gefärbt erscheinen (b). Die Mächtigkeit der Bindegewebsschicht ist eine sehr verschiedene. In der Mitte des Polypen sieht man das Bindegewebe am Reichlich- sten und im Allgemeinen nur spärliche Durchschnitte zwi- schen dasselbe eingelagert, mehr nach Aussen davon stehen die Durchschnitte so dicht, dass nur eine sehr dünne Schicht Bindegewebe mit einer einfachen Reihe von Bindegewebs- körperchen sich zwischen ihnen befindet; obgleich auch hie und .da zwischen einzelnen dieser Durchschnitte eine grös- sere Menge von Bindegewebe vorhanden ist. Hier finden sich die kleinsten Durchschnitte, nur im Allgemeinen selten mit grösseren abwechselnd, hier wiegen die einfach runden und mehr ovalen Formen vor, Formen mit lamellenartigen Vor- sprüngen sieht man sehr wenige. Mehr nach der Peripherie zu werden die erwähnten Formen besonders auch die mit den sie unvollkommen theilenden lamellenartigen Vorsprün- gen häufiger und vorwiegend, während am Meisten nach der Peripherie die langen nach Aussen offnen, nach dem Centrum zu geschlossenen Längsdurchschnitte, entweder einfach cylin- drisch oder kolbig abgerundet werden. In allen Theilen des Polypen finden sich hie und da grup- penweise solche Durchschnitte zusammengestellt, dies ist be- sonders da der Fall, wo die kleinen Formen in reichlicher Menge sich vorfinden. Ausser den beschriebenen Durch- schnitten sieht man besonders in der peripherischen Partie des Polypen noch andere von verschiedener Grösse, deren Länge zwischen 0,0715 Mm. bis 0,705 Mm. und deren Breite zwischen 0,05 Mm. bis 0,18 Mm. schwankt; und von denen die grösseren sich wieder vorzugsweise in der Peripherie des Polypen finden und welche mit Blutkörperchen angefüllt sind. Ihre äussere Contur wird umgränzt durch eine schmale concen- trische Bindewebsschicht mit länglichen ebenso angeordneten kernartigen Körpern (c). Sie sind in dasselbe Stroma wie die übrigen Durchschnitte eingebettet. — Ich habe mich vergeblich bemüht an diesen, wie an Präparaten von andern Polypen mit irgend welcher Sicherheit in der Umgebung der eben be- 122 Dr. Wilhelm Ebstein: schriebenen Durchschnitte glatte Muskelfasern nachweisen zu können. Behandelt man feine Schnitte mit dem von Reichert angegebenen Reagens für glatte Muskelfasern, — Salpeter- säure von 20% —, so gelingt es allerdings, glatte Muskel- fasern in mässiger Anzahl darzustellen, aber ob diese den zahlreich vorhandenen Gefässen oder den Durchschnitten (Drüsendurchschnitten) zugehören, habe ich nicht zur Ent- scheidung bringen können. — Nerven habe ich weder in die- sem noch in andern Magenpolypen gefunden, was ich hier im Voraus erwähne. — Ich gehe jetzt über: b) zur Beschreibung der Structurverhältnisse der mit breiter Basis aufsitzenden Prominenzen, die in demselben Magen, wie der vorhergeschilderte Polyp beobachtet wurden und will dieselben an Durchschnitten, welche durch sie selbst, durch ihre Umgebung und zwar durch die ganze Dicke der Magenwand gemacht wurden, er- läutern. In Fig. 6 ist ein solcher Durchschnitt bei schwacher Vergrösserung, durch die seitliche Partie einer solchen Ex- erescenz gemacht, gezeichnet. Die Muscularis (a) zeigt keine Veränderung an der Stelle, wo die Excrescenz sich findet, dagegen fällt erstens die erhebliche Verdickung auf, welche die sogenannte Tunica nervea (b) erfährt, indem die in der Umgebung 2 Mm. breite Schicht an der grössten Convexität eine Dicke von 4'/, Mm. hat und deren Form ganz der der erwähnten mit breiter Basis aufsitzenden Vegetation entspricht und zweitens nicht nur der Reichthum, sondern auch die Grösse der arteriellen («) und venösen (#) Gefässe an dieser Stelle (b‘), welche erstere auf dem Durchschnitt durch ihre zierlich gekräuselte L. fenestrata leicht zu erkennen sind. Wir kommen jetzt zu der sogenannten Muskellage der Schleim- haut (ec) mit durcheinandergeflochtenen Bündeln von gewöhn- lichem Bindegewebe und glatten Muskeln, welche sich schon makroskopisch als ein schmaler, weisslich opaker Streifen darstellt und welcher an der Peripherie des Schnittes 0,2 Mm. misst, allmählich aber an Dicke zunehmend an einem Schnitte, der gerade durch die Mitte dieser Exerescenz geführt wird, eine Mächtigkeit von 0,57 Mm. erreichte und die hie und da Die polypösen Geschwülste des Magens. 123 unterbrochen wird durch grössere zwischen der Drüsenschicht und der Tunica nervea aufsteigenden Gefässe. Die Ver- ‘ diekung dieser Schicht beruht nur auf einer Hyperplasie des vorhandenen, die einzelnen Muskelfascikel von einander tren- nenden Bindegewebes, wodurch die Muskelbündel auseinan- dergedrängt werden. Es tritt also hier, obgleich wir von einer Verdickung der Muskelhaut der Schleimhaut sprechen, weder eine Hypertrophie noch eine Hyperplasie der vorhan- denen muskulösen Elemente ein, nur das Bindegewebe nimmt zu. Elastische Fasern werden in dieser Schicht nicht be- obachtet. Dieses Bindegewebe sendet nun in die Schleimhaut ‘zwischen die Drüsen reichliche Bindegewebsstränge in die Höhe. — Gehen wir zur Schleimhaut (d) über. Zuvörderst fällt bei ihrer Betrachtung ihre grössere Dicke an der Stelle der Wucherung auf, während sie in der Umgebung eine Dicke von 0,929 Mm. zeigt, hat sie an der höchsten Höhe der Ex- erescenz eine Dicke von 1,43 Mm. Die Schleimhaut erscheint aus denselben Gebilden hier zusammengesetzt wie in der Um- gebung, indessen in der Art der Anordnung derselben, den grösseren Verhältnissen des einen in Bezug zu dem andern ergeben sich wesentliche Verschiedenheiten.. Untersucht man einen gerade durch die Mitte der Exerescenz geführten Durch- schnitt, so sieht man die Schleimhaut gebildet durch lange Drüsenschläuche, welche höher stehen als die umgebenden Drüsen, hervorgetrieben und auseinandergedrängt durch die eben geschilderten Bindegewebsstränge, welche die einzelnen Drüsen, sich zwischen dieselben schiebend, auseinanderdrän- gen, und welche wir hie und da die Oberfläche der Schleim, haut erreichen sehen. Die Drüsen sehen wir entweder ein- fach abgerundet oder mit einem etwas kolbigen Ende ab- schliessend im Innern der Wucherung enden. Dieselben sind entweder entsprechend den sogenannten Schleimdrüsen des Magens bis auf ihren Grund mit Cylinderepithel ausgekleidet oder aber mit Zellen und Kernen und entsprechen ganz den sogenannten Labdrüsen. Jedoch ist die Zahl der ersteren um Vieles bedeutender. Mehr an der seitlichen Partie eines solchen Durchschnitts prävaliren die Quer- und Schiefschnitte 124 Dr. Wilhelm Ebstein: der Magendrüsen und man sieht hier Gruppen von Labdrü- sen sowohl als Schleimdrüsen durch eine grössere Bindege- websschicht von einander getrennt zusammenstehen. Diese Drüsen-Schief- und Querschnitte prävaliren auch in den mittleren Partien der Schnitte, welche durch die seitlichen Partien dieser Wucherungen geführt werden. Denn während die in der Mitte der Excrescenz stehenden Drüsengruppen einfach in die Höhe geschoben werden, werden die seitlich stehenden Drüsen durch die aus der submucösen Muskel- schicht schief aufsteigenden Bindegewebsgänge auseinander- gedrängt und stehen nicht mehr vertical, sondern mehr oder weniger schief auf der Schleimhaut; so dass man hier nicht wie in der Umgebung des Polypen bei Verticalschnitten Längs- (9), sondern Quer- und Schiefschnitte (e) durch die Drüsen- schläuche sieht. Ich habe keine Drüsenschläuche gesehen, welche am untern Ende fingerförmig getheilt gewesen wären. Directe Fortsetzungen von Bindegewebsbündeln aus der Schleim- drüsen-Muskelschicht in die Schleimhaut habe ich in der Um- gebung des Polypen nicht gesehen. Hie und da stehen Lab- (n) oder Schleimdrüsen (d) gruppenweise zusammen, an an- dern Stellen stehen sie untereinander. Auf dem Durchschnitt durch die Excrescenz sieht man wiederum mehr in den pe- ripherischen als den centralen Partien, die bei der Beschrei- bung der Structur des gestielten Polypen erwähnten Hohl- räume, die mit Blutkörperchen dicht angefüllt sind (#), eine theils rundliche, theils unregelmässige Form haben und im Uebrigen den in der erwähnten Beschreibung geschilderten analog sind, nur dass sie kleiner sind als jene. Vergleichung der Structur des gestielten Polypen und der mit breiter Basis aufsitzenden Wucherung. Vergleicht man diese beiden Schilderungen der Structur des gestielten Polypen und die der mit breiter Basis in demselben Magen in unmittelbarer Nähe desselben aufsitzen- den Excrescenzen, so wird zuerst bei der auffallenden Aehn- lichkeit der Structur sowie bei der Vergleichung des Mutter- Die polypösen Geschwülste des Magens. 125 bodens die Deutung des Befundes in den Polypen keinen grossen Schwierigkeiten unterliegen. Wir werden ohne Mühe in den bei der Beschreibung des Polypen geschilderten Durch- schnitten, die wir mit Cylinderepithel ausgekleidet fanden, Magendrüsen erkennen, wir finden hier wie dort ein binde- gewebiges Stroma, in welches dieselben eingebettet sind und endlich auch die mit Blutkörperchen gefüllten, ebenfalls in dasselbe eingebetteten Hohlräume. Trotz dieser Ueber- einstimmung aber erkennen wir zwischen beiden Verschieden- heiten und zwar betreffen dieselben besonders die Grössen- verhältnisse der Drüsendurchschnitte. Man kann, wenn man die gefundenen Maasse vergleicht — in der mit breiter Basis aufsitzenden Wucherung erreichen die grösseren Drüsendurch- schnitte nur die Länge von 0,71 Mm. und eine Breite von 0,57 Mm. — behaupten, dass die Drüsendurchschnitte in der nicht gestielten Wucherung nie die Grösse der in dem ge- stielten Polypen erreichen und ferner finden wir die bei dem Polypen so häufig gefundenen Durchschnitte, in denen durch feine, von der Peripherie ausgehende Lamellen die Hohlräume unvollkommen in mehre getheilt wurden, in dem Durch- schnitt durch die letztbeschriebene Wucherung äusserst selten. Es entsteht die Frage, wie diese Dinge zu deuten seien? Ich glaube, dass diese zwei Fragen im Wesentlichen zusammen- fallen, indem ich der Ansicht bin, dass die Vergrösserung der Drüsenräume und die unvollkommene Theilung der- selben durch die von der Peripherie derselben ausgehenden Septen durch denselben Process zu Stande kommen; nämlich durch Verschmelzung einzelner Drüsengruppen zu einem Hohl- raume durch Usur ihrer Scheidewände mit Hinterlassung der beschriebenen Septa. — Ich führe folgende Puncte als Beweis dafür an: 1) Finden sich an einzelnen dieser grossen Drüsendurch- schnitte mitten in denselben dunkel conturirte, auf beiden Seiten mit Cylinderepithelzellen, welche ihre breite Basis ein- ander zukehren, bekleidete Lamellen, welche bald gar nicht mit der Peripherie zusammenhängen, bald nur auf einer Seite mit der von der peripherischen Membran nach Innen sich fort- 126 Dr. Wilhelm Ebstein: setzenden Lamelle. Ich kann dieselben für nichts Anderes als Reste von Drüsenwandungen ansprechen. 2) Fehlen an den Stellen, wo sich die grossen Drüsen- durchschnitte finden, also besonders in der peripherischen Partie des Polypen die kleinen Drüsendurchschnitte fast voll- kommen. 3) Fehlen den kleinern Drüsendurchschnitten die oben beschriebenen Septa: sie finden sich nur bei den grossen Formen. Zur Beantwortung der Frage, warum dies gerade nur in dem Polypen und nicht in der mit breiter Basis aufsitzenden Wucherung zu Stande kommt, möchte ich folgende Erklärung versuchen. Durch die Wucherung des Bindegewebsstroma’s, welches in dem gestielten Polypen bei Weitem mehr fortge- schritten ist als in der mit breiter Basis aufsitzenden Wu- cherung, sind eine Reihe von Drüsenausmündungen über- wuchert, ihre Ausführungsgänge verlegt, auf diese Weise sammelt sich das Drüsensecret in denselben, sie erweitern sich nach und nach kystenartig, die Scheidewände, welche die einzelnen Drüsen einer Gruppe voneinander trennen, wer- den usurirt und nur die bezeichneten parietalen und in der Höhle selbst liegenden oben bezeichneten Reste bleiben dann übrig. Dies wären die Verschiedenheiten, welche sich zwi- schen dem gestielten Polypen und der nicht gestielten Wuche- rung finden; sie haben nun aber auch eine Reihe gemein- samer Eigenthümlichkeiten, welche sie gegenüber dem Mutter- boden, von dem sie stammen, — die Magenwandung, — kenn- zeichnen. Es ist dies erstens die Zunahme des bindegewe- bigen Stroma’s, über dessen Quelle wir bei der Besprechung der mit breiter Basis aufsitzenden Wucherung gesprochen haben, es ist dies ferner das Verdrängtwerden der Drüsen aus ihrer früheren Stellung. Auffallend war es mir, dass ich in Durchschnitten durch den gestielten Polypen nur mit Cylinderepithel ausgekleidete Drüsendurchschnitte angetroffen habe. Eine Eigenthümlichkeit dieses Falles an polypösen Ex- crescenzen sind die besonders in der gestielten Wucherung grossen, mit Blutkörperchen erfüllten, ganz telangiektatischen Die polypösen Geschwülste des Magens. 127 Hohlräumen analogen Durchschnitte. Ich habe sie ausser in diesem Falle in keinem der von mir beobachteten Magen- polypen vorkommen sehen. Frerichs'!) führt die Telan- giektasie als eine Veränderung an, welche die Substanz der Schleimpolypen erleiden kann. Billroth?) hat dies nie beob- achtet. Barth sah, wie ich am Eingang dieses Abschnitts erwähnte, erectiles Gewebe in einem Magenpolypen. För- ster) erwähnt unter der Bezeichnung „Angiom“ mit Be- zugnahme auf Rokitansky) Gefässgeschwülste am freien Ende von Polypen, aber als selbstständig breite oder gestielte Geschwülste, welche sehr leicht Sitz encephaloider Degene- ration werden sollen. In der neuen Auflage von Roki- tansky finde ich davon Nichts. — Ich wende mich jetzt 2) zu der Beschreibung der Structur desin der Beobachtung 12 beschriebenen, in Fig. 2 in natür- licher Grösse abgebildeten Polypen, der nahe an der Cardia in dem Magen der Frau Hillmann aufgefunden wurde. Es ist mir gelungen, einen Durchschnitt durch den Polypen und die ganze Magenwandung zu machen, der nicht durch die Mitte des Polypen sondern seitlich nach links ge- führt ist, der die ganze Länge des Polypen umfasst und an dem sich die Structur desselben einerseits sowie sein Ver- hältniss zum Mutterboden sehr gut studiren lässt. In Fig. 2 findet sich eine Abbildung dieses Durchschnitts bei schwa- cher Vergrösserung. Der Durchschnitt misst in seiner gan- zen Länge 12 Mm., wovon 3 Mm. auf die Musculatur, 3 Mm. auf die Submucosa (b), wo diselbe pyramidenförmig aufstei- gend ihre höchste Höhe erreicht (bl), und 6 Mm. auf den Polypen selbst (c) kommen. Die Dicke der ganzen Magen- wandung ergiebt 3,5 Mm. in der Umgebung des Polypen. Die Untersuchung der Muscularis des Magens ergiebt keine Abnormität. Dagegen sehen wir an der Stelle, wo der Po- lyp sitzt, eine auffallende Verdickung der Tunica nervea eintreten, welche von einer Dicke von 0,50 Mm., welche sie D:l.c! 8. 1 2) 1. ec, 8. 34. 128 Dr. Wilhelm Ebstein: in der Umgebung des Polypen hat, an der Stelle, wo der- selbe sich erhebt, wie wir soeben angegeben, grosse Gefässe begleitend, ein Stück in den Polypen hinaufsteigt, eine Höhe von 3Mm. erreicht; indem hier die subglanduläre Muskelschicht, von der bald die Rede sein wird, zu beiden Seiten in die Masse des Polypen aufsteigend eine Lücke zwischen sich lässt. Die elastischen Fasern der Tunica nervea steigen nicht mit in den Polypen herauf. Die Gefässe («) der Tunica nervea zeichnen sich an der dem Polypen entsprechenden Stelle durch ihre Grösse aus. Besonders finden sich an dieser Stelle Durchschnitte grösserer schon mit blossem Auge sichtbarer Gefässe, welche sich unter dem Mikroskop als Arterien cha- rakterisiren. Auf die Tunica nervea folgt die Muscularis der Schleimhaut (d), welche in der Umgebung des Polypen eine Dicke von 0,214 Mm. zeigt und an Mächtigkeit immer zu- nehmend an der Stelle, wo diese Schicht beiderseits in den Polypen aufsteigend eine Dicke von 0,4 Mm. erreicht. Diese subglanduläre Muskelschicht enthält aber wenig Muskelbündel, wir sehen an der Gränze zwischen Tunica nervea und dieser Schicht eine geringe Menge quer durchschnittener Muskel- bündel sowie auch Längsbündel, aber sehr viel Bindegewebe, das zwischen den Bündeln liegt und dieselben auseinander- drängt. Die Substanz des eigentlichen Polypen wird gebil- det aus einem bindegewebigen Stroma, welches aus reichlich sich kreuzenden Bindegewebsbündeln mit spindelförmigen Körpern, welche durch Carmin roth gefärbt sind, zusammen- gesetzt erscheint. Dieses Bindegewebe wächst an der Peri- pherie des Polypen zu Zotten (e) aus, welche von sehr ver- schiedener Länge und Breite sind, dieselben haben eine Länge, welche zwischen 0,143 Mm. und 0,3575 schwankt, die aber in einzelnen Fällen auch 1,1440 Mm. lang werden. Die Breite derselben ist ebenfalls eine sehr verschiedene und ich führe hier 4 verschiedene Maasse derselben an, in deren Gränzen dieselbe schwankt, nämlich 0,014 Mm., 0,143 Mm., 0,439 Mm. bis 1,5315 Mm. Die Form derselben ist im Allgemeinen de- nen der Darmzotten analog, einfach cylindrisch, oben abge- rundet oder etwas kolbig anschwellend, bie und da unter Die polypösen Geschwülste des Magens. 129 dem obern Ende etwas eingeschnürt. In seltenen Fällen theilt sich eine Zotte. Dieselben tragen sämmtlich am freien Ende ein Oylinderepithel, deren Zellen eine Länge im Mittel 0,029 Mm. und eine Breite von 0,005 Mm. besitzen. Jede dieser Zotten enthält Gefässe theils in Form einer einfachen Ge- fässschlinge, theils von verzweigten Balkennetzen. Sie ge- ben, frisch untersucht, wo ihr Lumen mit Blutkörperchen strotzend gefüllt ist, sehr zierliche mikroskopische Bilder. In das vorher erwähnte bindegewebige Stroma eingebettet, liegen Durchschnitte von meist rundlicher Form (f) von einem Durchmesser von 0,0420 Mm. Dieselben sind angefüllt mit rundlichen Zellen und Kernen. Dieselben sind ihrer Form sowohl wie ihrem Inhalt nach Querdurchschnitten von den bei der Beschreibung der dem Polypen umgebenden Schleimhaui näher zu schildernden Drüsen analog, welche Labdrüsen ent- sprechen. Die Zahl derselben in dem Polypen ist eine ver- hältnissmässig geringe, sie fehlen, wie die beiliegende Zeich- nung zeigt, an manchen Stellen des Polypen gänzlich und erreichen höchstens die Zahl von 30 in unserm Durchschnitte. Cylinderepithel sieht man in ihnen nicht. Was die äussere Begränzung anlangt, so verweise ich auf das darüber bei der vorigen Beobachtung Mitgetheilte. Reichlicher als in dem vorigen mehr seitlich durch den Polypen geführten Schnitt finden sich dieselben in Durchschnitten, welche der Mittellinie des Polypen näher sind oder gar durch dieselbe hindurch- geführt werden. Hier stehen dieselben häufig gruppenweise zusammen, nur durch spärliches Bindegewebe von einander getrennt, zeigen sich in peripherischen Partien besonders kystenartig erweitert, theils zeigen sie auch in dasselbe vor- springende Lamellen, theils fehlen dieselben. Diese Er- weiterungen sind angefüllt mit einer feinstreifigen homogenen farblosen Masse, in welche Zellen und Kerne zahlreich ein- gebettet sind. Diese kystenartig erweiterten Drüsenräume haben meist eine unregelmässige Gestalt und erreichen eine Grösse bis zu 0,64 Mm. grösster Länge und 0,37 Mm. grösster Breite. Die den Polypen umgebende Schleimhaut charak- terisirt sich schon makroskopisch durch die derselben auf- Reichert's u, du Bois-Reymond's Archiv. 1864. 9 130 Dr. Wilhelm Ebstein: sitzenden Zotten, welche eine Länge von im Mittel 0,14 Mm. und eine Breite von im Mittel 0,067 Mm. und nach aufwärts steigend sich verschmälernd nur noch eine Breite von 0,02 Mm. zeigen, entweder nach oben zu einfach ceylindrisch oder aber kolbig anschwellend, oder sich diehotomisch in 2 kür- zere Aeste theilend, welche oben spitz enden. Die Drüsen tragen sämmtlich den Charakter der Labdrüsen an sich, ich sehe nur einen unten kolbig endenden Drüsenschlauch, der bis an sein unteres Ende durch Cylinderepithel ausgeklei- det ist. Die Drüsenschläuche stehen übrigens hier sehr spar- sam und sehr auseinandergedrängt durch reichliches zwischen ihnen nach oben in Gefässschlingen tragende Zotten auswach- sendes Bindegewebe. — Ich wende mich jetzt 3) zur Beschreibung der Structur der in Beobach- tung 10 geschilderten polypösen Excrescenzen, von denen in Fig. 1 eine Zeichnung in natürlicher Grösse und in Fig. 8 die Abbildung “eines Querschnitts durch eine solche Excrescenz bei schwacher Vergrösserung vorliegt, durch welche letztere die Structurverhältnisse dieser kleinen Ge- schwülste klar gemacht werden sollen. Der Durchschnitt misst an seiner dünnsten Stelle 5 Mm., wovon 2 Mm. auf die hier nur theilweis gezeichnete Muscularis (a) und 1,5 Mm. auf die sogenannte Tunica nervea (b) und ebensoviel auf die Schleim- haut (ce) sammt ihrer Muskelhaut (d) kommen, welche letz- tere sich schon makroskopisch als ein schmaler weisslicher Streifen darstellt. Die Schleimhaut nebst ihrer submucösen Muskelschicht erreichen an der der höchsten Höhe der Ex- crescenz entsprechenden Stelle eine Dicke von 3 Mm., davon kommen 0,45 Mm. auf die submucöse Muskelschicht, welche an andern Stellen nur eine Dicke von 0,28 Mm. erreicht, woraus erhellt, dass hier eine Massenzunahme — beinahe um das Doppelte — dieser Schicht eintritt. Die Tunica nervea hat an den verschiedenen Partien dieses Schnitts nahezu die- selbe Dicke. Die Muscularis des Magens verhält sich hier ganz wie an andern Partien des Magens. An der Tunica nervea fällt der Reichthum an Gefässdurchschnitten auf. An der subglandulären Muskelschicht sehen wir auch hier eine be- Die polypösen Geschwülste des Magens. 131 deutende Zunahme des zwischen den einzelnen Muskelbün- deln liegenden Bindegewebes. Dasselbe sendet in die Schleim- haut zwischen die Drüsengruppen entweder geradlinig (e) oder etwas schief aufsteigende (f) Bindegewebsbündel, von denen secundäre, schmälere Bündel (g) ausgehen, welche zwischen die einzelnen Drüsen einer Gruppe, dieselben von einander trennend, eindringen. Dieses Bindegewebe ist reich an spindelförmigen Bindegewebskörperchen, welche meist entsprechend den Drüsendurchschnitten angeordnet sind. Die- selbe überwuchert dieselben und wächst zu Zotten (z) aus, welche in der Form nichts Verschiedenes von den in der vorigen Beobachtung geschilderten haben und deren Grösse zwischen 0,07 Mm. und 0,5 Mm. Länge und zwischen 0,01 Mm. und 0,265 Mm. Breite schwankt. Diese Zotten enthalten nicht nur Gefässschlingen, sondern die grösseren und breiteren auch sehr zierliche Gefässnetze. In das bindegewebige Stroma eingebettet sieht man Durchschnitte von Drüsen, welche stel- lenweise gruppenweise (h) zusammenstehen, nur durch eine schmale Bindegewebslage getrennt, stellenweise aber verein- zelt (i), so dass das Bindegewebe an Mächtigkeit zunimmt und bedeutend prävalirt. Drüsenschläuche sieht man hier gar nicht. An Durchschnitten aber an der Gränze zwischen veränderter und unveränderter Magenwand sieht man an letz- terer normal vertical gestellte Drüsenschläuche, so wie aber die letztere Partie beginnt, sehen wir nur Schief- und Quer- durchschnitte.e. Die Grösse dieser Durchschnitte schwankt zwischen 0,057 Mm. bis 0,357 Mm. Länge und 0,047 bis 0,319 Mm. Breite. Man findet hier ebenfalls Durchschnitte mit Vor- sprüngen, die von der äussern Begränzung nach Innen hin- eingehen und ich glaube, dass sie hier wie in dem erstbe- schriebenen Polypen, der bei dem Sander gefunden wurde (Beobachtung 11) durch Verschmelzung von mehren Drüsen- durchschnitten einer Gruppe entstehen. Wo Drüsendurch- schnitte isolirt stehen, da finden wir hier wie dort die klei- nern Formen. Was die äussere Begränzung und die Epi- thelien dieser Durchschnitte anlangt, so verweise ich auf das, was ich bei der eben erwähnten Beobachtung gleichfalls oben 9* 132 Dr. Wilhelm Ebstein: gesagt habe. Nur das will ich bemerken, dass Magenschleim- sowie Labdrüsen sich vorfinden, die ersten überwiegen die letztern. — Einen sehr guten Ueberblick über die Zahl und Anordnung der zahlreich vorhandenen Gefässe erhielten wir durch die Jod-Schwefelsäurereaction, die auch an Präpara- ten, die nach der Middeldorpf’schen Methode gekocht und getrocknet wurden, sehr schöne Bilder giebt. Ich habe schon bei der Beschreibung des makroskopischen Befundes oben bemerkt, dass die Magenschleimhaut u. s. w. amyloid dege- nerirt waren. — Trifft man die richtige Uonceniration des Jods und der Schwefelsäure, so kann man nicht nur die Ge- fässschlingen und Gefässnetze der Zotten, sondern auch zahl- reiche Gefässäste in dem zwischen den Drüsen verlaufenden Bindegewebe sich schön blau färben sehen. Die amyloide Degeneration betraf nur die Gefässe der Schleimhaut, alles Uebrige gab keine Reaction bei Zusatz von Jod und Schwe- felsäure. In den beiden zuletzt geschilderten Beobachtungen han- delte es sich also um eine Hyperplasie des vorhandenen Binde- gewebes, einestheils des der Schleimhaut selbst angehörenden, anderntheils besonders auch der mit den Muskelfasern der sub- glandulären Muskelschicht verflochtenen Bindegewebsbündel, welche wir bedeutend zunehmen sahen. Nur in dem ersten der beiden Fälle betheiligte sich die sogenannte Tunica nervea bei der Polypenbildung als Begleiterin der in denselben auf- steigenden Gefässe. Wir sehen in beiden Fällen das Binde- gewebe zu Zotten auswachsen, welche auch im normalen Zu- stande bisweilen im Magen beobachtet werden, wie Henle in einem Falle die ganze Oberfläche eines regelrecht gebil- deten Magens mit Zöttchen von 0,15 bis 0,20 Mm. Länge be- setzt fand. Es ist mir ebenso wie Henle nicht gelungen, wie es Kölliker'!) beschreibt in der Magenschleimhaut zwi- schen den Drüsen senkrecht aufsteigende zarte Bündel con- tractiler Faserzellen, die, wo Zotten sich fanden, auch in diese sich fortsetzten, zu sehen. Beide Fälle unterscheiden 1) Würzburger Verhandlungen IV, 52. Die polypösen Geschwülste des Magens, 133 sich im Wesentlichen dadurch, dass im ersten Falle die Drü- sen fast vollkommen in den Hintergrund traten, während sie im letzteren neben der bedeutenden Bindegewebshyperplasie doch ihren Platz behaupten. — Endlich gehe ich 4) an die Beschreibung der Structur der in Beob- achtung 14 geschilderten grossen polypösen .Ge- schwulst am Pylorus, von dem wir in Fig. 3 eine Abbildung in natürlicher Grösse haben. In der Partie, in welcher die Schleimhaut des Magens erheblich verdickt gefunden wird, finden wir auf feinen Durchschnitten nur eine erhebliche Verlängerung der Drüsenschläuche und eine Verdickung der Tunica nervea, welche in geradem Ver- hältniss zu der Dicken-Zunahme durch Faltenbildung beider Schichten steht. Den Stiel des Polypen finden wir mit in- tacter Schleimhaut überzogen, auf Durchschnitten durch den- selben finden wir ihn peripherisch mit ziemlich radiär ge- stellten Magendrüsen besetzt, in seiner Mitte finden wir in ein bindegewebiges Stroma eingebettet, theils Durchschnitte durch Arterien, theils durch Venen. — Die Substanz des Po- lypen selbst besteht aus Bindegewebe mit sehr zahlreichen, kleinen, dichtstehenden, rundlichen Bindegewebskörperchen. Die Geschwulst ist reich an Gefässen, von denen wir auf Längsschnitten zahlreiche Längs- und Querschnitte sehen, welche sich einestheils als einfache Höhlen in dem Binde- gewebe, von dem sie sich nur durch eine schwarze Contur abgränzen, höchstens mit eirculärer Anordnung der Binde- gewebskörperchen um dieselben. Sie sind in der Peripherie der Geschwulst am häufigsten. Ich finde diese Gefässe be- schrieben in der unter Reichert’s Leitung gearbeiteten Inauguraldissertation von John: De polypis narium Vratis- laviae 1855, welcher sie mit den Embryonalgefässen ver- gleicht, wo eine Differenzirung der Gewebe noch nicht statt- gefunden hat. Ausserdem sieht man auch Längsdurchschnitte durch Gefässe, an denen ich immer nur eine concentrisch um das Lumen herumgehende Schicht, welche alsdann direet an das umgebende Bindegewebe angränzt, unterscheiden kann, auf die in manchen Längsschnitten eine gekräuselte 134 Dr. Wilhelm Ebstein: L. fenestrata sich anschliesst. Eine Längs- und eireuläre Schicht konnte ich nie mit irgend welcher Sicherheit unterscheiden. An den oben näher geschilderten, mit flachen Zotten be- besetzten Stellen der Oberfläche der Geschwulst zeigt diese einen Schleimhautüberzug, der sich charakterisirt durch Drü- sendurchschnitte, welche sämmtlich mit Cylinderepithel aus- gekleidet sind. Diese Schicht gränzt direct an das Binde- gewebe der Geschwulst, welches zwischen den Drüsen in die Höhe wuchert, diese überwuchert, so dass kleine flache Zotten entstehen. Von einer subglandulären Muskelschicht se- hen wir hier keine Spur. Die Drüsen stehen entweder iso- lirt oder in Gruppen vereinigt. Die einzelstehenden Drüsen haben meist eine einfache ovale oder rundliche Form. Die in Gruppen stehenden zeigen zumeist acinöse Formen, wie ich sie auf dem Mutterboden sowie auf dem Schleimhaut- überzuge des Stiels, wo ich nur einfache Drüsenschläuche gesehen habe, nicht gefunden habe, woraus ich in diesem Falle auf eine Drüsenneubildung schliessen möchte, wie sie von Meckel, Billroth und später auch von Harpeck bei den Polypen des Rectums beschrieben wurde. An den Stellen der Geschwulst, wo die Zottenbildung fehlt, gränzt sie sich durch eine, den glashellen Häuten analoge, bindegewebige Membran ohne Bindegewebskörperchen gegen die Umgebung ab. In Fig. 9 sehen wir bei kleiner Vergrösserung das Stück eines Längsdurchschnittes durch die Geschwulst, wo das bindegewebige Stroma (a) mit den in dasselbe eingebetteten Drüsen und zwar theils einzelstehenden (b), theils in Grup- pen vereinigten, unter den letztern acinösen Formen (ec), ge- zeichnet ist. Bei a stösst die bindegewebige Membran ohne Bindegewebskörperchen (ec) mit dem sehr reich mit Binde- gewebskörperchen versehenen bindegewebigem Stroma zu- sammen. An der hier gezeichneten Partie fehlen die- Zotten an der Oberfläche. Wollen wir kurz diesen Tumor charakte- risiren, so müssen wir ihn als einen sogenannten Tumor fibrosus, Fibroid, Fibrom (Verneuil) bezeichnen, welcher stellenweise einen Schleimhautüberzug trägt, der durch Zot- tenentwickelung und Vermehrung der drüsigen Elemente nach Die polypösen Geschwülste des Magens. 135 dem Typus des Knospenzeugungsprocesses (Reichert) sich bei der Geschwulstbildung mitbetheiligt. Dieser letzte Fall würde sich also, wenn wir die alte Eintheilung der Polypen in weiche und fibröse beibehalten, den letztern, die übrigen von mir beobachteten den ersteren anreihen. — Es erübrigt nun noch: 5) einer von mir selbst nicht beobachteten Form von Po- lypenbildung im Magen zu gedenken: nämlich der gestielten Lipome, welche wie die bisher erwähnten Geschwülste sich den homologen anreihen; da sich einzelne Fettläppchen in der Submucosa des Magens in ganz normalem Zustande finden. Es handelt sich also hier nur um eine Hyperplasie wie im Unterhautzellgewebe, nicht um eine Heteroplasie (Vir- chow). Indem die submucösen Lipome, wovon ich neuer- dings ein 12 Mm. langes und 6 Mm. dickes, rundliches Exem- plar nahe am Pylorus im Magen eines 68jährigen Mannes zu beobachten Gelegenheit hatte, sich aus der Schleimhaut hervordrängen, kommt es zu gestielten Lipomen, die manch- mal Zoll lang in die Darmhöhle hinreinragen '). Ueberblicken wir zum Schluss die von mir aufgestellten Typen, in die sich alle von mir beobachteten Fälle einreihen lassen, so sehen wir, dass es sich hier überall um homologe, d.i. solche Neubildungen handelt, welche nach dem Typus des Mutterbodens, dem sie entstammen, gebildet sind. Von den carcinomatösen Polypen habe ich ganz abgesehen, wie ich gleich anfangs bemerkte und erwähne nur die hierher vielleicht zu beziehende Beobachtung von Reinhardt?), der polypenartige Geschwülste mit feiner markähnlicher Schnitt- fläche am Pylorus beschrieb, die hervorgegangen sein sollen aus vergrösserten Labdrüsen. Nach Förster gehören die- selben wahrscheinlich dem ÖOylinderkrebs an. Die gestielten Fibrome und Lipome entwickeln sich in und aus der Sub- mucosa, indessen kann sich auch die sie überziehende Schleim- haut durch Weiterentwickelung der Drüsenschläuche durch Knospenzeugung, wie in unserem Falle, an der Geschwulst- bildung betheiligen. Die übrigen von mir beschriebenen der- artigen Geschwülste sind als wahre Schleimhautpolypen auf- zufassen, wo Hypertrophie und Hyperplasie der die Schleim- haut constituirenden Gebilde die Geschwulstbildung veran- lasst; wobei also Drüsen, Bindegewebe, Gefässe sich be- theiligen und wobei bald mehr das Eine, bald das Andere in den Vordergrund tritt, wonach Förster seine Bezeich- nung gebildet hat. Es kommen Formen vor (vergleiche mi- 1) Virchow, die krankhaften Geschwülste, Berlin 1863. S. 382. 2) Rokitansky, Lehrbuch der patholog. Anatomie. Bd, I S. 157, Bd. III S. 171. 136 Dr. Wilhelm Ebstein: Die polypösen Geschw. des Magens. kroskopische Beobachtung 3), wo Alles, was die Schleimhaut zusammensetzen hilft, sich ziemlich gleichmässig betheiligt. Elastische Fasern fehlen diesen Geschwülsten. Dass die Sub- mucosa sich hier bei der Geschwulstbildung betheiligt, finden wir in zahlreichen Beobachtungen bei den französischen Au- toren und von Förster constatirt. Meine Beobachtungen er- geben ein Gleiches. Aber nirgends finde ich hervorgehoben, was, wie ich glaube, durch die vorliegenden Blätter in’s Klare gebracht ist, die bedeutende Verdickung der submu- cösen Muskelschicht und zwar nicht die Vermehrung oder Ver- grösserung der in ihnen sich findenden musculösen Elemente, sondern des zwischen denselben sich findenden Bindegewebes, welches in den Polypen selbst aufsteigend an seiner Bildung häufig keinen geringen Antheil hat. — Zum Schluss sage ich meinem lieben Freunde Dr. Wyss aus Zürich, zeitigem Assistenten am chemischen Laboratorium der medicinischen Klinik für die Zeichnung sämmtlicher Ab- bildungen (mit Ausnahme von Fig. 1 u. 2) meinen besten Dank. Erklärung der Abbildungen. Taf.’Il....Kıige. 1.2. 9.4. 6. 39: Dar II Aus E10. 8 Die Erklärung der einzelnen Buchstaben und Zahlen findet sich im Text, den ich hierbei zu vergleichen bitte. Fig. 1. Polypöse Vegetationen in der Pylorusgegend (vgl. Beob- achtung 9). Natürliche Grösse. Fig. 2. Gestielter Polyp dicht unter der Cardia (vergl. Beobach- tung 12). Natürliche Grösse. Fig. 3. Fibröser Polyp am Pylorus (vergl. Beobachtung 14). Na- türliche Grösse. Fig. 4. Durchschnitt durch den Stiel des vorhererwähnten Polypen, nebst seiner Umgebung. Der Schnitt ist nicht durch die Mittellinie, sondern durch die seitlichen Partien des Stieles geführt. Nahezu na- türliche Grösse. Fig. 5. Querschnitt durch den in Beobachtung 11 beschriebenen kleinen Polypen. Starke Vergrösserung. Fig. 6. Senkrechter Durchschnitt durch eine, in derselben Beob- achtung 11 beschriebene, mit breiter Basis aufsitzende Wucherung. Der Schnitt ist durch die seitliche Partie derselben geführt. Schwache Vergrösserung. Fig. 7. Verticaler Durchschnitt durch die ganze Dicke der Magen- wand und des Polvpen, der in Beobachtung 12 beschrieben und in natürlicher Grösse abgebildet ist. Der Schnitt gebt durch die seitliche Partie desselben. Schwache Vergrösserung. Fig. 8. Verticaler Durchschnitt durch eine, in Beobachtung 9 ge- schilderte, in Fıg. 1 in natürlicher Grösse abgebildete, polypöse Ex- erescenz. Schwache Vergrösserung. Fig. 9. Stück eines Längsschnittes durch den, in Fig. 3 in nafür- licher Grösse abgebildeten, in Beobachtung 14 geschilderten, fibrösen Polypen. Schwache Vergrösserung. Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. Von Dr. H. Luck. (Hierzu Taf. III. B. Fig. 1—4.) Die Unterordnung des Epithels der harnleitenden Wege unter eine der beiden bisher angenommenen Hauptformen bie- tet bei dem anscheinend regellosen Vorkommen unregelmässi- ger Zellenformen, von denen ein Theil den pflasterförmigen, ein anderer Theil den cylinderförmigen Epithelien zugezählt werden kann, gewisse Schwierigkeiten dar; dieselben hat man bisher dadurch umgangen, dass man dieses Epithel als Mittelstufe zwischen dem Pflaster- und Cylinderepithel, als „Uebergangsepithel“ bezeichnete und durch den Mangel einer bestimmt ausgesprochenen Form seiner Elemente cHarakteri- sirte. Es lassen sich indessen in dem Epithel der Harnwege sehr gut bestimmte Hauptformen erkennen, welche einzeln keine wesentlichen Differenzen von andern Epithelialgebilden darbie- ten, deren gleichzeitiges Vorkommen an derselben Localität aber allerdings auffällig ist und daher die Aufstellung einer neuen Art geschichteter Epithelien nöthig macht. Von Henle!) stammen die ersten Beobachtungen über das Epithel der Harnwege vom Nierenbecken bis zum Ausgange der Harnblase. Er beschrieb dasselbe als aus Zellen bestehend, welche, in mehreren Schichten übereinandergelagert, von cylin- drischer oder konischer Gestalt, mit rundlichen Formen ge- mischt und überhaupt unregelmässig, oft an beiden Enden spitz, oft an einem Ende in einen dünnen Faden auslaufend, beim Manne den Uebergang zwischen dem Cylinderepithel der Harn- 1) Henle, Allgemeine Anatomie, Leipzig 1841 S. 242. Reichertt’s u, du Bois-Reymond’s Archiv. 1364, 19 138 Dr. H. Linck. röhre und dem Pflasterepithel des Nierenbeckens darstellen, (daher Henle’s Bezeichnung „Uebergangsepithel*) beim Weibe aber selbstständig zwischen dem Pflasterepithel der au und des Nierenbeckens vorkommen. Auf eine andere Eigenthümlichkeit machte Virchow!) aufmerksam. Er beschrieb sehr grosse, in der Epithelialschicht der Harnblase vorkommende, Zellen mit scharfen Contouren, grob granulirtem Inhalt und 1—4 grossen ovalen Kernen mit Kernkörperchen, und auf der Oberfläche vieler von diesen Zellen 3—9 helle rundliche Flecke von der Grösse der Kerne; zugleich warnte er ausdrücklich vor der Deutung derselben als dem Zelleninhalt angehöriger Körper, da sie nichts seien, als Vertiefungen, auf denen kleinere Zellen von keulen- oder kolbenartiger Form mit dem kolbigen Ende aufsässen. Die Unregelmässigkeit dieser letzteren Formen, welche nach ihm nicht durch eine specifische Eigenthümlichkeit der Zelle, son- dern durch die Art der Lagerung, durch die Anordnung der Nachbartheile bedingt wird, hebt er an einem andern Orte?) noch besonders hervor und beschreibt dieselben als spindelför- mig, kolbig oder zackig, an einem Ende rund, am andern in eine Spitze ausgezogen, oder an einer Seite abgerundet, an der andern ausgebuchtet. Kölliker°) unterschied zuerst drei Schichten: eine tiefste ausrundlichen, kleineren Zellen, eine mittlere, aus. cylindrischen oder konischen, eine oberflächliche aus rundlichen polygonalen Zellen bestehend und beschrieb in Letzteren noch besonders: helle, mässig dunkel contourirte Körner, fast von dem Ausse- hen von Kernen. Die Letzteren sollen sich nach Kölliker häufig zu zweien in einer Zelle vorfinden und schliesst er dar- aus auf eine ununterbrochene Regeneration der „vom Harn ziemlich viel weggespülten “*) Zellen. 1) Virchow, Archiv III. 1851. S. 243, 244. Taf. I. Fig. 8. 2) Virchow, Cellularpathologie, 3. Aufl. 1862, S. 29. 3) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 2. Aufl. 1855, S. 509. { 4) Kölliker, microscopische Anatomie, II. S. 367. Wenige Seiten darauf (S. 371) sagt K. allerdings, dass sich im Harn Epithelzellen- aus den ableitenden Harnwegen nur zufällig finden. Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. 139 Uebrigens beziehen sich diese Beschreibungen sämmtlich nur auf das Epithel: der Blase und der Ureteren, diejenige Köllikers auch auf das Nierenbecken. In der männlichen Harnröhre wird noch gegenwärtig von den meisten Histologen ein cylindrisches, in der weiblichen Harnröhre ein geschichtetes Pflasterepithel angenommen. Speciell mit dem Epithel der harnleitenden Wege hat sich Burckhardt!) beschäftigt. Derselbe hebt in seiner Arbeit zunächst hervor, dass das Epithel sich von den Mündungen der Harncanälchen über die Papillen, die Kelche, das Nieren- becken, die Harnleiter, die Blase und die Harnröhre bis an deren Mündung nach aussen mit ganz geringen Abweichungen in. der Form seiner Elemente fortsetzt. Diese Abweichungen bestehen darin, dass die Zellen an den Papillen besonders in der mittleren Schicht feiner, durchsichtiger und durchgehends kleiner, in der obersten Schicht mehr cubisch geformt, in der Harnröhre gleichfalls heller und: zarter sind, als in der Blase. Die Uebergangsstellen dieser Epithelien einerseits in das der Harncanälchen , andererseits in das die urethra beider Ge- schlechter am orificium cutaneum bekleidende Pflasterepithel, hat Burckhardt nicht beobachtet. Derselbe unterscheidet ferner 3 Schichten: Die oberste besteht nach ihm aus 4—6 La- gen: von Pflasterzellen,; von abgeplatteter, in den tieferen Lagen eckiger, übrigens wechselnder Form; die tiefste Lage zeigt an ihrer unteren Fläche die schon früher erwähnten Ausbuchtun- gen zur Aufnahme der kolbigen Enden der darunter liegenden eylindrischen Zellen. In sämmtlichen Zellen beobachtete er einen, bisweilen zwei und mehr grosse, hellglänzende, bläschen- förmige Kerne mit Kernkörperchen., ausserdem einen feinkör- nigen, helleren oder dunklern, farblosen oder gelblichen In- halt, Die zweite Schicht Burckhardt’s nimmt den ganzen Raum’ zwischen der vorigen Schicht und dem Substrat der Schleimhaut ein‘ und enthält die sogenannten unregelmässigen Formen (Uebergangsepithel Henle). Es finden sich‘ in den tiefsten Lagen: dieser Schicht und am wenigsten zahlreich, 1) G. Burekhardt. "Das Epithelium der ableitenden Harn wege. Virchow’s Archiv XVIL, 1859, S. 94 #. e 10° 140 Dr. H. Linck: kleine rundliche helle Zellen mit fein granulirtem Inhalt und verhältnissmässig grossem Kerne, über denselben, etwas grös- sere ovale und lang ausgezogene, spindel- oder keulenförmige Zellen (geschwänzte Zellen, Burckhardt). Das spitze Ende derselben trägt meistens eine schwächere oder stärkere An- schwellung, eine knopfförmige Verdiekung und ist einfach oder gabelig in zwei Theile gespalten, während ihre breiten Enden sieh in die Nischen der untersten Platten einfügen. Inhalt und Kerne sind von derselben Beschaffenheit, wie bei den Zellen der obersten Schicht. Der Burcekhardt’schen Arbeit eigenthümlich ist die Beschreibung der dritten Schicht, welche nach ihm aus 3—4 Lagen rundlicher oder -ovaler Zellen be- stehend, mehr oder weniger scharf contourirt, in kurzfaserigem Bindegewebe eingeschlossen und von einem feinem Capillarnetz durchzogen, unmittelbar an die vorher beschriebene Schicht gränzt. Die höher gelegenen Zellen dieser Schicht enthalten ausser dem, auch den tiefer liegenden zukommenden, grossen Kerne noch einen geringen feinkörnigen Inhali, welcher den letzteren fehlt; ausserdem sollen von den oberen Zellen ein- zelne über die andern hervorragen und wiederum von den ge- schwänzten Zellen einzelne mit ihren spitzen Enden in dieser Schicht stecken. | Indem Burckhardt ferner das Vorhandensein einer Grenz- membran auf das Entschiedenste in Abrede stellt, erklärt er die tiefste in das Bindegewebe eingebettete Zellenschicht für die Matrix der beiden oberen Schichten, welche das eigentliche Epithel darstellen. Die Zellen der Matrix dürfen nach ihm nur ein wenig wachsen, eine gleichmässigere Rundung anneh- men und einen Inhalt bekommen, um zu wirklichen Epithel- zellen zu werden und, stets durch eine „vis a tergo“ vorgescho- ben, nach der Reihe alle in den verschiedenen Schichten vor- kommenden Formen anzunehmen, bis sie dann schliesslich als’ Pflasterzellen der obersten Schicht gelegentlich durch den Urin weggespült werden. Eine Regeneration findet übrigens nach Burckhardt zwar statt, aber, wie aus der geringen Zahl der im Urin vorkom- ınenden Epithelialgebilde za schliessen sei, nur langsam. Luschka beschreibt in seiner Abhandlung „über den Bau Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. 141 des menschlichen Harnstranges“ ') im Urachus, wo derselbe nicht obliterirt ist, ein Epithel, welches nach ihm dieselbe Be- schaffenheit hat, wie an den eigentlichen harnleitenden Wegen. Mich selbst davon zu überzeugen, fehlte mir die Gelegenheit, indessen muss ich auf das Entschiedenste in Abrede stellen, dass Verästelungen, continuirliche, fadenartige Verbindungen benachbarter Zellen und Knospenbildung, wie sie uns bier durch Abbildungen vorgeführt werden, auch nur andeufungs- weise an irgend einer Stelle der fötalen. harnleitenden Wege vorkommen. Sollte sich also Luschka’s Beobachtung be- stätigen, so wäre eine Uebereinstimmung in der Form der Epithelien des Harnstranges und der eigentlichen‘ ableitenden Harnwege jedenfalls nicht vorhanden. Bei meinen eigenen Untersuchungen habe ich mich ebenso wie Burckhardt theils frischer, theils in Chromsäure (1:1000) erhärteter Präparate bedient. Jene haben den Vor- zug, dass man vor Formveränderungen der Zellen wenigstens etwas sicherer ist, wenn man so eben getödtete Thiere dazu benutzt, wie ich es an Schweinen, Schafen, Kaninchen und Meerschweinchen zu thun Gelegenheit hatte. Es gelingt in- dessen hiebei nur selten, zusammenhängende Schnitte zu be- kommen, so dass man sich mit der Beobachtung der aus ihrem Verbande gelösten einzelnen Zellen begnügen muss. Chrom- säurepräparate haben den gemeinschaftlichen Fehler aller mit Reagentien behandelten Objecete: sie erleiden Veränderungen, deren Beurtheilung in unserem speciellen Falle um so schwie- riger ist, als die erwähnte Unvollkommenheit frischer Präpa- rate eine genaue Üontrolle erschwert oder in der Regel un- möglich macht. Ich habe mich einer Lösung von 1: 1000 be- dient, welche ich 24 Stunden lang auf das Object einwirken liess. Getrocknete Präparate kann ich nicht so unbedingt; ver- dammen, wie Burckhardt es thut, den sie nicht zum Ziele geführt haben. Allerdings ist es mir in sehr vielen Fällen ebenso gegangen; oft aber habe ich, namentlich wenn ich die Ureteren eben geschlachteter Schweine spaltete und auf einer Korkplatte 2—4 Stunden im Sommer an der Sonne trocknen 1) Virchow’s Archiv XXI. S, 6, 142 Dr. H. Linck: liess, recht brauchbare Schnitte erlangt. Ich halte dieselben bei der Einfachheit und Gleichmässigkeit der Zellen, welche durchaus nicht die complieirten Formen der Chromsäureprä- parate zeigten, für zuverlässiger, als diese letzteren. Zunächst stimme ich mit Burckhardt darin überein, dass sich das in Frage stehende Epithel an allen Stellen der ablei- tenden Harnwege in gleicher Form vorfindet, mit den gerin- gen Unterschieden, die Burckhardt schon angegeben hat; die Uebergangsstellen an den Papillen und dem orifieium cu- taneum der Harnröhre zu finden, hat_auch mir bisher nieht gelingen wollen. Ferner unterscheide auch ich drei Schichten verschieden geformter Zellen, aber in anderer Weise wie Burckhardt, Der Oberfläche des Organs zunächst liegen allerdings pflasterförmige Zellen, doch habe ich mich nicht davon überzeugen können, dass dieselben 4- 6 über einander lie- gende Schichten bilden; vielmehr decken sie nur in ein- facher Lage die zweite Schicht. Die übrigen, von Burck- hardt beschriebenen Lagen werden nur durch eine optische Täuschung gesehen, wenn die Schnittchen zu dick sind, oder nicht senkrecht zur Oberfläche gefertigt wurden und im mikre- skopischen Bilde die an der freien Fläche gelegene einfache Pflasterzellenschicht mit in das Bild der Schnittfläche aufge- nommen wird. Wenigstens stimmt die Beschreibung Burck- hardt’s von den verschiedenen Formen der Zellen in den einzelnen über einander gelagerten Schichten ganz mit dem mikroskopischen Bilde überein, welches die auf die Schnittfläche projieirte freie Oberfläche dieser einfachen Pflasterzellenschicht gewährt. An gerade geführten Sehnitten mit der grössten Sorgfalt behandelter Objeete sieht man stets nur eine ein- fache Lage von Pflasterzellen, deren Oberfläche kei- nerlei Unebenheiten darbietet, wie sie durch ein etwaiges Abfallen darüber liegender Zellenlagen entstehen würden. Dass Pflasterzellen, welche an frischen Präparaten häufig um das eigentliche Object umherschwimmen, bisweilen die charakteristi- seben Ausbuchtungen und Kanten nieht erkennen lassen, liegt theilweise daran, dass man sie in einer ungünstigen Lage vor sich hat; theilweise aber auch daran, dass jene Zellen über- Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. 143 haupt nicht von der obersten, sondern aus der noch zu be- sprechenden tiefsten Schicht herstammen und nicht sowohl Pflasterzellen sind, als vielmehr vollsaftige polygonale, die in gewissen Lagen ein jenen ähnliches Aussehen darbieten. Die Pflasterzellen, welche in der Grösse sehr variiren, nicht nur bei verschiedenen Thieren, sondern auch an demselben Präparat, enthalten sämmtlich einen bläschenförmigen Kern mit Kernkörperchen und einen Inhalt, der meistens aus fein- körniger dunkler Masse gebildet wird. Die „hellen, mässig dunkel contourirten Körner Kölliker’s die manchmal fast das Aussehen von Kernen annehmen“, habe ich nieht gesehen; schon Virchow!) warnt vor der falschen Deutung der an der untern Fläche sich findenden Vertiefungen als zum Zellen- inhalt gehöriger Körper und ich vermuthe, dass die Körner Kölliker’s in diese Kategorie gehören. Diese Ausbuchtungen oder Alveolen finden sich an der un- tern Fläche der Zellen in verschiedener Zahl; ihre Wände er- scheinen als Kanten oder Leisten, die sich oft zwischen die darunter liegenden Zellen eine kurze Strecke hineinschieben. Als zweite Schicht lassen sich zwei Lagen von Zellen zusammenfassen, welche, in der Form untereinander ähnlich, sich von der obersten, sowie von der unter ihnen liegenden Schicht wesentlich unterscheiden und von denselben scharf ab- grenzen; es sind die geschwänzten Zellen Burckhardt’s, also dessen zweite Schicht mit Wegfall der in der tiefsten Lage derselben befindlichen rundlichen Zellen. Die Grund- form ist die konische, welche in der oberen der beiden Zellen- lagen ganz rein ausgeprägt, in der tieferen mancherlei Modifi- cationen unterworfen ist. Jene obere Lage enthält Zellen von durchweg regelmässiger und unter einander gleichartiger Form; es sind konische, ziemlich spitz ausgezogene Zellen, deren ab- gerundete Basis die schon erwähnten Alveolen der Pflasterzel- len ausfüllt und deren spitzes Ende sich zwischen die unmit- telbar darunter liegenden Zellen derselben Schicht bis etwa zu deren Mitte einsenkt. Die untere Lage zeigt eine Menge von Uebergangsformen von der Kegel- zur Spindelform, die nach . 1) Virchow Archiv IIL p. 243, 144 Dr. H. Linck: oben hin durch eine Art von keilförmiger Ineinanderschie- bung mit den eben beschriebenen Zellea verbunden sind, nach unten die tiefste Zellenschicht mit ihren spitzen Enden, oder wenn diese, wie es oft vorkommt, nach oben gerichtet sind, mit den diekeren Enden berühren, ohne einen innigeren Zusam- menhang mit derselben zu zeigen. An keiner von diesen Zellen habe ich eine gabe- lige Theilung des spitzen Endes oder varicöse Aus- buchtungen gefunden, wie sie Burckhardt beschreibt, d. h. sobald ich es mit ganz frischen oder wenigstens nicht mit Reagentien behandelten Präparaten zu thun hatte. Bei Anwendung von Ohromsäure zeigten sich allerdings dergleichen Formen, bei deren Deutung als Kunstproducte ich mich aus voller Ueberzeugung der Ansicht derjenigen Autoren anschliesse, welche das Vorkommen solcher Zellen an andern Organen in Abrede stellen. Die Zellen haben wie die der obersten Schicht eine sehr verschiedene Grösse; ich fand sie beim Kaninchen 0, 008 bis 0,04 "' lang. Sie enthalten sämmtlich einen einfachen Kern mit Kernkörperchen, welcher bei den spindelförmigen Zellen in der Mitte, bei den konischen Zellen gewöhnlich in dem oberen Ende der Zellen, in der Mitte oder mehr seitlich, bisweilen die Wandung etwas ausbuchtend, seinen Platz finde. Zwei und mehr Kerne habe ich nicht gesehen, trotzdem ich eine ziemlich grosse Zahl von Präparaten untersucht habe; ich muss daher annehmen, dass dieselben, wenn überhaupt, nur selten vorkom- men. Kernkörperchen und Zelleninhalt sind von derselben Beschaffenheit wie bei den pflasterförmigen Zellen. Die tiefste Schicht endlich wird von einer Lage kleinerer polygonaler Zellen mit grossem Kerne und hellem feinkörni- gem Inhalte gebildet. Das Verhältniss des Epithels zum Substrat ist nach meiner Ansicht ein durchaus anderes, als Burckhardt es dargestellt, und gestützt auf Präparate, die ich wiederholt gesehen habe, kann ich dem Substrat nicht die grosse Wichtigkeit in seinem Verhältnisse zum Epithel zuschreiben, die ihm zukäme, wenu es wirklich die Matrix des letzteren wäre. Wiederholt habe ich mich an Präparaten, welche 24 Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. 143 Stunden in Chromsäure (1: 1000) gelegen hatten, oder einen halben Tag an der Sonne getrocknet waren, von dem Vorhan- densein der Henle’schen Grenzmembran, welches Burck- hardt ganz entschieden in Abrede stellt, überzeugt, wie sie als hyaliner, anscheinend structurloser, vollkommen durchsich- tiger Saum eine ganz scharfe und bestimmte Grenze zwischen Epithel und Substrat bildet. Wo ich die Grenzmembran nicht sah, fand ich wenigstens stets eine durchaus scharfe Abgren- zung zwischen Epithel und Substrat, niemals aber habe ich an Präparaten, welche auf die eben erwähnte Weise behandelt waren, dagegen recht häufig an solchen, die längere Zeit in Chromsäure gelegen hatten, gesehen, dass von den obersten Zellenkörpern der Bindegewebsschicht sich einzelne über die Oberfläche derselben erheben und von den Epithelialzellen ein- zelne, namentlich geschwänzte, in der Bindegewebsschicht stecken. Ich befinde mich demnach in der Notbwendigkeit, jeden directen Zusammenhang zwischen dem Epithel der Harnwege und den Bindegewebszellen seines Substrats in Abrede zu stellen. Die morphologische Bedeutung des geschichte- ten Epithels der harnleitenden Wege ist nach Obigem folgende: Wir haben es in den harnleitenden Wegen mit einem Epi- thel zu thun, dessen Eigenthümlichkeiten sofort in die Augen fallen und auch schon grösstentheils wiederholt Erwähnung gefunden haben; so die sonst nirgends beobachteten Alveolen an der unteren Fläche der pflasterförmigen Zellen und die Un- regelmässigkeit der Zellen in der zweiten Schicht. Einen Punct aber, der bisher noch nicht beachtet worden ist, möchte ich hier ganz speciell hervorheben: dass nämlich das gleichzeitige Vorkommen der pflasterförmigen und der dar- unter befindlichen konischen Zellen, welches durchaus nicht ein durch Zufälligkeiten des Wachsthums und der Lagerungsver- hältnisse bedingtes sein kann, nicht von demselben Gesichts- puncte aus betrachtet werden darf, wie andere mehrschichtige Epithelialgebilde. Bei den gewöhnlichen geschichteten Epithe- lien liegen polygonale oder rundliche (nach einigen Beobach- 146 Dr. H. Linck: tern auch cylindrische) Zellen in der Tiefe und dann folgt eine verschiedene Anzahl von Zellenschichten, in welchen sich deutlich die einzelnen Entwicklungsstufen und Uebergangsfor- men zur obersten, ausgebildeten Form nachweisen lassen. Bei dem Epithel der Harnwege ist die Sache anders, complieirter; es finden sich hier übereinandergelagerte Epithelialgebilde von ganz abweichender histologischer Form: ein Epithel von voll- ständig ausgebildeten und charakteristischen Pflasterzellen und ein solches von ebenso charakteristischen konischen Zellen, beide Zellenlagen lassen sich nicht als Entwickelungsstadien einer und derselben histologischen Epithelialform ansehen. Burckhardt zwar lässt einfach die konischen Zellen Zwischen- slieder zwischen der tiefsten und obersten Zellenschicht sein; es sind also für ihn die pflasterförmigen Zellen die alleinigen Endproducte der Matrix und er denkt sich die Wachsthums- veränderungen in der früher angedeuteten Weise. Es ist aber schon an und für sich unwahrscheinlich, dass die vollständig ausgebildeten konischen Zellen sich nachträglich in Pflasterzel” len verwandeln und, indem sie mit ihren spitzen Enden zwi- schen den unmittelbar unter ihnen liegenden Zellen stecken bleiben, die Zacken jener bilden sollen; es hat auch Burck- hardt weder derartige Uebergangsformen beobachtet, noch irgend ein Analogon dafür angeführt. Man ist vielmehr genöthigt, hier ein geschichtetes Epi - thel, in welchem die über einander liegenden Zel- lenscehiehtennichtals Bildungsstufen einer und der- selben Epithelialform dastehen, sondern ein ausver- schiedenen Epithelformen zusammengesetztes Epi- thel, ein epithelium compositum im wahren Sinne des Wortes, anzunehmen. Bei dem gewöhnlichen geschich- teten Epithel findet sich ebenso wie bei dem in Rede stehenden „zusammengesetzten Epithel im eigentlichen Sinne des Worts“ unmittelbar über der Matrix eine indifferente Zellenlage als Bildungsmaterial vor. Während aber bei den gewöhnlichen geschichteten Epithelien dieses Zellenmaterial nur zur Bildung einer und derselben Epithelform verwendet wird, entwickeln sich bei den „zusammengesetzten Epithelien im eigentlichen Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. 147 Sinne des Worts* verschiedene Epithelformen nach einander von welehen die eine niemals in die andere verwandelt wird. Das Vorkommen solcher zusammengesetzten Epithelien die- ser Art findet auch seine Analogie in dem geschichteten Epi- thel, welehes die Wandung der Hornröhre des Haars bildet. Auch hier finden sich, wie in dem Epithel der. Harnwege, ver- schiedenartige fertig gebildete Epithelien übereinander gelagert vor, die zwar auf einer und derselben Matrix gebildet werden, aber nicht den zeitlich aufeinander folgenden Entwicklungssta- dien einer und derselben Epithelform angehören, wie z. B. bei der Epidermis. Reichert und von seinen Schülern namentlich Reissner') haben zuerst darauf hingewiesen und dargethan, dass dieselben nieht gleichzeitig aus der Matrix entstehen, sondern successive, dass zuerst, abgesehen von dem Epithel der Haarscheide, das epithelium imbricatum, dann die einzelnen Lagen der Rinden- schicht gebildet werden und dass die unter der Rindenschicht befindliche indifferente Zellenlage schliesslieh, wenn keine neuen Lagen für die Rindenschicht produeirt werden, beim Absterben der Matrix in die gewöhnlich lufthaltigen Zellen der Mark- substanz verwandelt werden. Es ist schliesslich noch die Frage zu erörtern, ob das Epi- thel in einer fortwährenden Regeneration begriffen, oder ob es dazu bestimmt ist, sobald es einmal seine Entwickelung vollendet hat, in demselben Zustande längere Zeit fortzubeste- hen. Das Letztere ist das Wahrscheinlichere, weil man weder einen Zuwachs von neuen pflasterförmigen Zellen, noch auch einen Abgang der alten beobachtet hat. Man müsste jedenfalls, ‚wenn wirklich eine Regeneration stattfände, die pflasterförmi- gen Zellen nicht bloss in der obersten Schicht antreffen, son- dern auch in tieferen Regionen, was aber noch von keinem Beobachter gesehen worden ist; man müsste andererseits die Existenz der alten abgestossenen Epithelien nachweisen, die man dann jedenfalls im Urin zu suchen hätte. Im normalen Urin kommen aber keine Epithelien vor, welche die Charak- 1) Reissner, Nonnulla de hominis mammaliumque pilis. Deor- 148 Dr. H. Linek: tere von denen der Harnwege besässen; man findet dort nur in sehr geringer Zahl gewöhnliche Pflasterzellen ohne Kanten und Alveolen, und längliche Zellen, und hat es wahrscheinlich nur mit Epithelien aus dem orificium cutaneum urethrae, aus den Drüsen des Blasenhalses und der Harnröhre. nicht aber von der Schleimhaut des Nierenbeckens und der harnleitenden Wege zu thun. Zwar liegt die Möglichkeit vor, und es wird auch gewöhnlich behauptet, dass die in Frage stehenden Epi- thelien, trotzdem sie dazu bestimmt sind, ein Schutzorgan der Harnwege gegen das beständig mit ihnen in Contact befind- liche Nierensecret zu sein, sobald sie aus ihrem Zusammen- hange gelöst, durch den längeren Aufenthalt in der Blase ihre Charaktere einbüssen und sich bis zur Unkenntlichkeit verän- dern. Indessen kann man das Epithel recht gut mehrere Stun- den lang in frisch gelassenem Urin aufbewahren und es dann doch noch sehr wohl als Epithel aus den Harnwegen erken- nen, ebenso wie bei krankhaften Affectionen der letzteren sich häufig genug die characteristischen Epithelien derselben im Urin nachweisen lassen, während dies bei den Zellen, welche man in ganz frischem normalem Urin, sei es von eben getöd- teten Thhieren, sei es von katheterisirten Menschen findet, nicht möglich ist. Es bleibt füglich nur die Annahme übrig, dass das Epi- thel der Harnwege ein nicht in der Regeneration befindliches, sondern zu einer langen Dauer be- stimmtes, durch die feste Ineinanderfügung seiner einzelnen Elemente mit grosser Resistenz ausge- stattetes ist und diese Annahme steht mit der Bestimmung dieses Epithels zu einem Schutzorgan der Harnwege vollstän- dig im Einklange. Fassen wir noch einmal die wichtigsten Puncte, zu wel- chen wir durch unsere Betrachtung gelangt sind, kurz zusam- men, so ergeben sich folgende. Schlussresultate: I. In dem Epithel der harnleitenden Wege sind drei verschie- dene Schichten zu unterscheiden: 1) die obere, nur aus einer ein- fachen Lage pflasterförmiger, an ihrer untern Fläche mit Alveolen versehener Zellen bestehende; unter dieser: 2) die mittlere, aus Ueber das Epitliel der harnleitendeu Wege. 149 zwei Lagen von conischen und spindelförmigen, sich in einander- schiebenden Zellen und 3) die untere mit rundlichen oder polygo- nalen Zellen. Spindelförmige Zellen mit varicösen oder gespalte- nen freien Enden fanden sich an frischen Präparaten nicht vor. ll. Die Zellen des Epithels der harnleitenden Wege stehen nirgends in. einem continuirlichen Zusammenhange mit den histologischen Gebilden des Substrats, auch nicht mit der Bindesubstanz daselbst. Das bindegewebige Stroma des Substrats wird an frischen, nicht verletzten Präparaten durch eine deutlich nachweisbare glashelle Grenzschicht vom Epithel geschieden. Ill. Von den drei Schichten des Epithels stellt die unterste eine Lage von indifferenten Zellen, eine Art Bildungsmaterial, dar. Die beiden andern Schichten bestehen aus in der Form so abweichenden Epithelzellen, dass sie nicht, wie bei dem gewöhnlichen geschichteten Epithel als zeitlich verschiedene Bildungsstadien einer und derselben Epithelform angesehen werden können; sie stellen histologisch verschiedene Epithel- formen dar, die wahrscheinlich zeitlich nach einander aus der dritten Schicht, dem indifferenten Bildungsınaterial, aber sonst unabhängig von einander, sich gebildet haben. IV. Im Harn gesunder Thiere und des Menschen finden sich keine Zellen von den ausgebildeten Epithelformen, die in dem Epithel der harnleitenden Wege anzutreffen sind. Die im Harn spärlich vorkommenden Zellen können auch nicht als durch den Urin veränderte Zellen dieses Epithels ange- sehen werden, da der Urin in einigen Stunden keine solche Formveränderung in denselben hervorbringt; dieselben sind wahrscheinlich von den, in den Harnwegen vorkommenden Drüsen und von der Epidermis des Orificium cutaneum abge- stossen. Es fehlt an irgend einer Thatsache, aus der gefol- gert werden kann, dass das Epithel der harnleitenden Wege unter normalen Verhältnissen in fortdauernder Regeneration begriffen sei. V. Das Epithel der harnleitenden Wege darf -in morpholo- gischer Beziehung nicht mit einem durch fortdauernde Rege- neration einzelner Zellenlagen gebildeten, gewöhnlich so ge- nannten geschichteten Epithel verglichen werden. Dasselbe ist: vielmehr im wahren Sinne des Worts ein zusammengesetztes, 150 Dir; H. Linck: ein aus verschiedenen Epithelformen aufgebautes und kann in dieser Hinsicht mit der Wand des Horneylinders: der Haare zusammengestellt werden. Die einfache, aus pflasterförmigen Zellen bestehende obere Schicht darf mit dem Epithelium im- brieatum, die mittlere Schicht mit der aus: verhorntem spindel- förmigem Epithel: bestehenden Rindensubstanz, die dritte, un- terste, aus indifferentem Zellenmaterial bestehende Schicht mit der in der Marksubstanz vorkommenden, oft auch fehlenden Zellenlage, der Marksubstanz des Haares verglichen werden. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Zellen der obersten Schicht des Epithels der harnleitenden Wege. a) Mehrere Zellen aus dem: Nierenende des Ureter von der freien Fläche gesehen. (Kaninchen). — Vergr. 200. b) Zwei einzelne‘ grössere Zellen von unten gesehen; die eine, mit 7 Alveolen aus’ dem mittleren Theile des Ureter,, die andere mit 8 Alveolen aus der Blase; ferner mehrere solcher Zellen im Zusammenhange, gleichfalls von un- ten gesehen aus dem mittleren Theile des Ureter. (Kaninchen). — Vergr. 120. c) Drei einzelne Zellen. Die grosse Zelle stammt aus dem mittleren 'Pheile des Ureter (Kaninchen), die mittlere‘ aus der Blase: (Kind: von acht: Monaten) die kleinste aus der’ weiblichen Harn- röhre (Meerschweinchen).. Die Figur giebt‘ die Ansicht zum Theil von der Höhlenfläche zum Theil von der Randpartie der Zellen, so dass: die Septa der Alveolen als Vorsprünge und Zacken sich markiren. Bei der grössten Zelle sieht man schräg durch die Randpartie des Zellen- körpers in die Hohlräume der Alveolen hinein. Fig. 2. Zellen der obersten Schicht in ihrem Lageverhältniss' zu‘ einzelnen Zellen der mittleren Schicht. a) Eine Zelle der obern und: eine der mittleren Schicht, eber aus ihrer Verbindung gelöst, von der Seite gesehen; dieselben fanden sich im Blasenende des Ureter (Ham- mel). — Vergr. 500. b) Eine konische Zelle in Verbindung mit meh- reren pflasterförmigen, von unten gesehen, aus der Blase. (Kaninchen). Vergr. 300. ‘e) Eine: ähnliche: Zellengruppe von: der freien: Fläche: ge- sehen aus dem Nierenende des Ureter (Kalb). — Vergr. 200. Fig. 3. Einzelne Zellen. der mittleren Schicht, die sich in: dersel- ben Weise an allen Stellen der harnleitenden Wege bei allen von mir untersuchten Thieren fanden. - Fig. 4. Querschnitt des Epithels der-Blase (Kind). — Vergr. 200. a) Oberste,; aus pflasterförmigen Zellen. bestehende Schicht: b) Mitt- lere Schicht, aus konischen und unter denselben liegenden: spindelför- Ueber das Epithel der harnleitenden Wege. 151 migen Zellen bestehend. c) Tiefste, aus rundlichen Zellen: bestehende Schicht. d) Grenzmembran. e) Substrat. Figg. 1-3. sind nach frischen Präparaten gezeichnet; Fig. 4. nach einem Präparat, das 24 Stunden in Chromsäure (1:1000) gelegen hatte. Neue Messungen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Reizes in den menschlichen Nerven. Von Dr. RUDOLF SCHELSKE. Nachdem Helmholtz die Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven des Frosches zuerst gemessen, ist er auch der Ein- zige geblieben, der auf seine Frage: „Wie verhält sich nun die Sache beim: Menschen?* eine Antwort gegeben hat. Da jedes Wort, das in Bezug darauf in seinem: Vortrag „über die Me- thoden, kleinste Zeittheile zu messen, und ihre Anwendung für physiologische Zwecke* auch für die vorliegenden Unter- suchungen gilt, so sei es gestattet, den betreffenden Passus hier einzuschalten, da jene Arbeit wegen ihrer Seltenheit den wenigsten Lesern zugänglich sein wird‘ „Die Nachricht von einem Eindruck, der auf das Hautende empfindender Nerven gemacht ist, pflanzt sich mit einer zu ver- schiedenen: Zeiten und bei verschiedenen Individuen nicht merk- lieh variirenden Geschwindigkeit von etwa 60 Mt. (180 Fuss) nach. dem Gehirn fort: Im Gehirn angekommen, vergeht eine Zeit von etwa !/,, Secunde, ehe:der Wille auch bei der an- gespanntesten Aufmerksamkeit die Botschaft an die Muskel- nerven abzugeben im Stande ist, vermöge welcher gewisse Muskeln eine bestimmte Bewegung‘ ausführen sollen. Diese Zeit variirt besonders nach denı Grade der Aufmerksamkeit 152 Dr. Rudolf Schelske: bei verschiedenen Personen und zu verschiedenen Zeiten bei derselben Person und ist bei laxer Aufmerksamkeit sehr unre- gelmässig und lang, bei gespannter dagegen sehr regelmässig. Nun läuft die Botschaft wahrscheinlich mit derselben Geschwin- digkeit nach den Muskeln hin und endlich vergeht noch '/,oo Secunde, ehe der Muskel sich nach ihrer Empfangnahme in Thätigkeit setzt. Im Ganzen vergehen also von der Reizung der sensibeln Nervenenden bis zur Bewegung des Muskels 1!/, bis 2 Zehntheile einer Secunde. Die Messungen werden ähnlich ausgefährt, wie die an Fröschen die Zwischenzeit der Reizung und der Muskelwirkung betreffenden. Es wird einem Menschen ein ganz leichter elektrischer Schlag an irgend einer beschränkten Hautstelle beigebracht, und derselbe ist angewie- sen, wenn er den Schlag fühlt, so schnell es ihm möglich ist, eine bestimmte Bewegung mit der Hand oder den Zähnen aus- zuführen, durch welche der zeitmessende Strom unterbrochen wird. Es kann also nur immer die Summe der vorher bezeich- neten einzelnen Zeiträume gemessen werden. Wenn wir aber den Eindruck von verschiedenen Hautstellen, dem Gehirn bald nahe bald entfernt, ausgehen lassen, so ändern wir von der ganzen Summe nur das erste Glied, die Fortpflanzungszeit in den empfindenden Nerven. Wenigstens dürfen wir wohl an- nehmen, dass die Vorgänge des Wahrnehmens und des Wol-. lens im Gehirn in ihrer Dauer nicht wesentlich von dem Ort der getroffenen Hautstelle abhängen werden. Ich muss aber dies als eine nicht vollständig erwiesene Annahme anerkennen; erweisen lässt sich nur, dass sie nicht von der Empfindlichkeit der Hautstelle, oder etwa von bestimmten physiologischen Be- ziehungen derselben zu den zu bewegenden Muskeln abhängen. Der Verlauf in den motorischen Nerven und im Muskel ist schliesslich natürlich gleich. Wahrscheinlich gemacht wird unsere Deutung dadurch, dass der Zahlenwerth der Fortpflan- zungsgeschwindigkeit, wie er sich aus den verschiedenen Com- binationen der Beobachtungen ergiebt, bei denen die Empfin- dung durch das Gehör, durch die Haut des Gesichts, des Nackens, der Hände, des Kreuzbeins, der Füsse aufgenommen ist, hinreichend gut übereinstimmt. Es ergiebt sich z. B., dass eine Nachricht vom. grossen Zehen etwa !/;, Secunde später Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 153 ankommt, als eine vom Ohr oder Gesichte.. Wenn man nun von der gemessenen Summe der einzelnen Zeiträume das ab-. zieht, was den Nervenleitungen in den empfindenden und be- wegenden Fasern angehört und die aus andern Versuchen be- kannte Zeit, während welcher der Muskel sich in Bewegung setzt, so bleibt die Zeit übrig, welche im Gehirn vergeht, um die von den Empfindungsnerven empfangene Depesche an die motorischen abzugeben.“ So weit Helmholtz. Die Messungen an Froschnerven waren nach der Pouillet’- schen Methode, kleinste Zeittheilchen zu bestimmen, ausgeführt und später durch die graphische, die zur Üonstruction des Myographion führte, vervollständigt. Wenn die Pouillet’sche Methode für Messungen an Menschen auch durchaus an Ge- nauigkeit genügt, so schien es mir doch im Bereich des Wün- schenswerthen zu liegen, diese Frage auch der zweiten, gra- phischen, Methode zur Prüfung zu unterstellen; natürlich nicht, weil ich wähnte andere Resultate erzielen zu können, sondern im Gegentheil, weil ich auf anderem Wege Untersuchungen bestätigen wollte, die mich vom ersten Augenblick ihrer Be- kanntschaft mit der höchsten Bewunderung erfüllt hatten. — Wenn dies bisher von keiner andern Seite geschehen, so mag das einfach in dem Mangel eines passenden Apparates seinen Grund gehabt haben: mir kam ein günstiger Zufall dabei zu Statten. Auf der Utrechter Sternwarte hatte ich Gelegenheit Krille’s Registrirapparat für Sterndurchgangsbeobachtungen kennen zu lernen, wie er von Peters in den „Astronomischen Nachrichten“ und seinem Werk „über die Bestimmung des Längenunter- schiedes zwischen Altona und Schwerin“ beschrieben wor- den ist. Da die Kenntniss desselben zur Beurtheilung dieser Unter- suchungen nothwendig ist, ich aber voraussetzen darf, dass den Lesern dieses Archivs beide angezogene Schriften nicht bequem zur Hand sind, so will ich über das Wesentliche die- ses sinnreichen Apparates hier referiren. Derselbe besteht aus einem Uhrwerk, welches einen Metall- eylinder mit gleichmässiger Geschwindigkeit um eine horizon- tale Achse rotirt. Um denselben ist geschwärztes Kreidepa- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 11 154 Dr. Rudolf Schelske: pier gespannt, worauf die Angaben einer Passageuhr durch einen Schreibstift mit Demantspitze und die Beobachtungsmo- mente, welche den Durchgang des Sterns durchs Fadenkreuz des Fernrohrs angeben, durch einen zweiten Schreibstift notirt werden. Durch dasselbe Uhrwerk werden die beiden Zeichenapparate, die durch Elektromagnete in Bewegung zu setzen sind, auf einem Wagen an dem COylinder , parallel mit dessen Drehungs- achse, entlang geführt, wodurch sie spiralige Touren auf jenem rotirenden Cylinder ausführen. Hieran schliesst sich eine Vorrichtung, welche eine Passa- geuhr mit dem einen der Zeichenapparate verbindet und eine andere, welche den andern Zeichenstift den Notizen des Beob- achters zugänglich macht. Die Bewegung der Ankerwelle der Uhr unterbricht da- durch, dass ein an dem Pendel derselben befestigtes Glimmer- plättchen einen stromschliessenden Quecksilberfaden durch- schlägt, eine sehr kleine constante Kette, so dass diese eine Secunde lang geschlossen, die nächste geöffnet ist. Ein eingeschalteter Elektromagnet zieht nämlich während der Schlies- sung jener Kette einen Hebelarm an, durch den dann eine zweite Kette geschlossen wird. Der von dieser letztern aus- gehende Strom umkreist den Elektromagneten des einen jener obengenannten Schreibapparate und bewirkt dadurch die Noti- rung der Secunden der Uhr auf dem rotirenden Oylinder. Es zieht der durch den Stromschluss magnetisirte Eisenkern das eine Ende des Schreibstifts, der die Form eines zweiarmigen Hebels hat, an und rückt dadurch das andere Ende, welches die zeichnende Demantspitze trägt, auf dem Üylinder aus seiner Ruhelage, in die es bei weichendem Magnetismus in Folge der Stromöffnung zurückfällt und in dieser Lage die Linie weiter zeichnet, bis beim Beginn der nächsten Secunde durch das Zurückschwingen des Pendels der Uhr und das dadurch ent- stehende Zusammenfliessen des stromschliessenden Quecksilber- fadens der Eisenkern wieder magnetisirt, der eine Hebelarm angezogen, der andere aus seiner Ruhelage gebracht wird und diese folgende Secunde anzeigt. — Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 155 Fig. 1. zeigt dann die Art der Aufzeichnung der Secunden. Hierin sind die a in der Lage des Stifts bei geöffnetem, also der Ruhelage, die b in der bei geschlossenem Strome gezeich- net, die gerade Linie darunter hat der Stift des Beobachters in seiner Ruhelage gezogen. Eine andere Kette, die mit einem Schlüssel durch die Hand des Beobachters geschlossen werden kann, beherrscht den Elektromagnet dieses zweiten Zeichenstiftes, mit dem der Beobachter seine Notirungen auf den Cylinder schreibt. Der Mechanismus dieses Schreibstifts ist dem geschilderten ganz ähnlich. Auch hier rückt der magnetische Eisenkern des Elektromagnets den Zeichenstift aus seiner Ruhelage und ent- lässt ihn in dieselbe bei dem durch die Stromöffnung wei- chenden Magnetismus. Fig. 5. giebt das Bild dieser Notizen. Fig. 2. a ist die Lage des Stifts bei geöffnetem Strom; wird dieser durch die Hand momentan geschlossen, so wird der Stift durch den Elektromagnet verschoben und schreibt die Curve b auf den Cylinder. Die Ecke bei c entspricht somit dem Zeit- moment der Beobachtungsnotiz; in der Figur sind also fünf aufeinanderfolgende Beobachtungen notirt. — Man sieht, dass die Vergleichung der Zeichnungen beider Schreibstifte genau die Zeit der Beobachtung angiebt, wenn man den Zeitpuc.ct merkt, von dem ab der erste Schreibstift, der unter dem Einfluss der Passageuhr steht, seine Thätigkeit begonnen hat. 11° 156 Dr. Rudolf Schelske: Es lag nun sehr nahe, diesen Apparat für physiologische Zwecke zu Bestimmungen von Zeitdifferenzen zu verwerthen. Ordnete man nämlich den Versuch so, dass einerseits der Reiz, welcher irgend eine beschränkte Hautstelle des Körpers traf, auf dem Oylinder notirt, andrerseits ein Zeichen von dem be- troffenen Beobachter, sobald er den Reiz wahrgenommen, durch denselben Zeichenstift gegeben wurde, so konnte man die Zeit, welche während beider Zeichen verstrich, unmittelbar aus der Vergleichung dieser während dessen gezeichneten Linie mit der, welche die Secundenuhr mit dem durch sie bewegten Stift zu gleicher Zeit aufschrieb, durch mikrometrische Messung finden. „Wir müssen am Menschen unter sehr viel kompli- cirteren Verhältnissen experimentiren, als am Froschpräparat, wir können den noch nicht speciell gekannten Einfluss der Nervenleitungen im Gehirn und Rückenmark nicht nur nicht beseitigen, sondern müssen ihn nothwendig mitbenutzen“ (Helmholtz a. a. O., S. 18.). Reizt z. B. die Schliessung oder Oeffnung einer Kette, die zu gleicher Zeit den Zeichenstift bewegt, mochte dieser nun aus der Ruhelage verschoben oder in dieselbe zurückgesenkt werden, eine Hautstelle am. Fussrücken eines Menschen und annoncirt dieser den empfundenen Schlag durch den Druck der Hand auf den Schlüssel, der denselben Zeichenstift beherrscht, so giebt die Länge der Linie auf dem Cylinder zwischen jenem Reiz und diesem Zeichen die Zeit an, welche verging für die Reizung des Hautnerven, die Fortpflanzung derselben zum Gehirn, die bewusste Uebertragung daselbst auf die motori- schen Nerven der Hand, die Leitung in diesen und die Con- traction der betreffenden Muskeln. Macht man nun einen gleichen Versuch für eine höher oben gelegene Hautstelle desselben Nervengebiets, z. B. der Leisten- gegend, so erhält man dafür ein ganz analoges Resultat. Die Linien umfassen denselben Vorgang in der ganzen Mannigfaltig- keit der Leistungen des Organismus und mit allen Fehlern, die in dies Verfahren mit eingehen. Beide Beobachtungen unterscheiden sich nur durch die geringere Zeitdauer der zwei- ten und diese Differenz kann keinen andern Sinn haben als den, der Ausdruck zu sein für die Fortpfianzungsgeschwindig- Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 157 keit des Reizes im Nerven auf der Länge vom Fuss bis zur Leiste. | Das Wesentliche für die Brauchbarkeit dieses Verfahrens ist, dass die Fehler, für die es nicht geringe Quellen dabei giebt, bei sorgfältiger Anstellung der Versuche für die eine Beobachtungsreihe durchaus dieselben sind, wie für die zweite und dass sie deshalb, weil es sich nur um die Differenzen der gezeichneten Linien handelt, für die Richtigkeit des Resulta- tes von keiner Bedeutung sind. Es schien mir nun sehr der Mühe werth, diese Ueberlegun- gen am Apparat selbst zu prüfen und ich ergriff mit Freuden die Gelegenheit, die mir durch die gastfreundliche Güte des Herrn Professor Hoek, Director der Utrechter Sternwarte, dazu gegeben wurde.') Es handelte sich für die Ausführung der Versuche vor Allem die Einrichtung so zu treffen, dass die Oeffnung oder Schliessung der Kette, welche den Nerven reizte, zugleich eine Marke auf dem Oylinder machte. Dies konnte natürlich nur dadurch geschehen, dass der Stift in seine Ruhelage zurückfiel oder durch den entstehenden Magnetismus aus derselben in eine andere gebracht wurde. Es musste ferner dafür gesorgt werden, dass der Stift in der Lage verharrte, in die er durch die reizende Stromesänderung gebracht war, bis die Hand am Schlüssel über den empfangenen und wahrgenommenen Schlag durch Schliessung desselben Auskunft gegeben hatte; nur so konnte eine gerade Linie die Zeit, welche zwischen beiden Acten verstrich, ausdrücken. Diesem wurde nun in folgender Weise genügt: 1) Es sei gestattet auch an dieser Stelle meinen Dank sowohl Berrn Hoek, wie den Herren Koster, Gratama und Mac Gil- lavry für den freundlichen und thätigen Antheil, den sie an der Aus- führung dieser Untersechungen nahmen, auszudrücken und hier öffent- lich Zeugniss zu geben von der unbegränzten Liberalität und Gastlich- keit, mit der die Utrechter Gelehrten dem Fremden entgegen kommen und ihm die Erinnerung an den holländischen Aufenthalt unvergess- lich machen. — 158 Dr. Rudolf Schelske Ist A der rotirende Cylinder, so möge J der Zeichenstift und H die inducirende Spirale sein, welche unter dem Einfluss der Passageuhr die Secunden in der geschilderten Weise auf- zeichnet. In Wirklichkeit liegt H auf der andern Seite von J, parallel mit C, damit die Stifte J und B in gleichem Sinne verschoben werden. Parallel mit J liegt der andre Zeichen- stift B, der die Beobachtungen notiren soll. C sei der zu ihm gehörende Elektromagnet und D die constante Kette, die in diesem Falle aus Meidin ger’schen Elementen bestand. BeiE befand sich ein du Bois’scher Schlüssel, bei F die zu reizende Hautstelle z. B. des Fusses des Beobachters, G ist ein ande- rer Schlüssel, den der letztere in der Hand hält. Diese Ap- parate waren nun in der Weise, wie Figur 3. es zeigt, mit einander verknüpft. Eine Leitung führte von h bei geöffnetem Schlüssel E über e F durch die Hautstelle, durch g d über © nach D, während bei geschlossenem Schlüssel der Hauptstrom von e direct nach dund nur ein unmerklicher Zweig.über F dahin ging. Die oben gestellte Forderung war durch diese Anordnung folgendermassen gelöst. Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 159 Die Stromstärke nämlich wurde so regulirt, dass dieselbe, wenn der Kreis durch den guten Leiter des Schlüssels E ge-. schlossen wurde, den Elektromagnet in Wirksamkeit setzte, so dass der Magnetismus stark genug war den Hebelarm des Zeichenstifts anzuziehn und während der Stromdauer fest zu halten. Wurde dagegen der Schlüssel geöffnet und blieb der grosse Widerstand des menschlichen Körpers allein, um den Kreis zu schliessen, so empfing dieser zwar einen sehr wohl merkbaren Schlag, der Strom war aber nicht mehr im Stande den Hebelarm des Zeichenstiftes durch den Elektromagnet fest zu halten und dieser entliess jenen in demselben Moment in seine Ruhelage, in dem die Hautstelle des Beobachters den Reiz empfing. Somit war der Augenblick des Reizes auf dem Cylinder durch den Zeichenstift markirt, der jetzt in der ver- änderten Lage, die zugleich seine Ruhelage war, seine Linie weiter zog. r Es war der Natur der Sache nach nöthig, dass das Zei- chen über den ertheilten Reiz von einer andern Person, als dem Beobachter, der das Zeichen des wahrgenommenen aus- lösen sollte, gegeben wurde. Wenn nun auch dem Princip nach nichts im Wege stand zum Zeichen dieses letztern wie- der den Schlüssel E zu brauchen, so war es durch die prak- tische Ausführbarkeit geboten, einen andern Weg für das An- wachsen des Magnetismus im Elektromagnete und dadurch be- dingte Anziehung des Hebelarms des Stiftes zu suchen. Es wurde daher die Stromleitung h ed © a in einer dieser pa- rallelen Leitung wiederholt und zwar inhG Ca. Gist ein anderer Schlüssel, der sich nur in der Form, die sich durch die Handlichkeit für den astronomischen Beobachter bestimmt, vom du Bois’schen Schlüssel unterscheidet. Nachdem also durch Oeffnung des Schlüssels E der Nerv gereizt, der Zeichenstift in seine Ruhelage zurückgefallen und der Schlag dem Beobachter bewusst geworden, schliesst dieser den Schlüssel G, der Elektromagnet zieht den Stift an, und dieser notirt den Moment des wahrgenommenen Reizes. Damit ist die Aufgabe gelöst. — Der Versuch selbst wurde nun in folgender Weise ange- stellt: Es waren dabei stets vier Personen thätig 1) der Beob- 160 Dr. Rudolf Schelske: achter, 2) derjenige, welcher mit der Secundenuhr in der Hand die Oeffnung und Schliessung des Schlüssels E übernommen hatte, 3) derjenige, welcher den rotirenden Oylinder und den regelmässigen Gang der Zeichenstifte beobachtete und endlich 4) derjenige, welcher das Protocoll über jeden Versuch führte, und den etwaigen Fehler, der von den andern drei Beobach- tern gemeldet wurde, notirte. — Nachdem die Elektroden F dem Beobachter an die ent- sprechende Stelle des Fusses oder der Leistengegend fest und unverrückbar angelegt waren, dieser den Schlüssel G in die Hand genommen und in möglichst bequemer Lage seine Auf- merksamkeit auf die folgenden Acte concentrirt hatte: schloss Nro. 2 den Schlüssel E und sagte dabei „Schluss“; es zog dann der aus seiner Ruhelage a gebrachte Stift die Linie b (Figur 4); nach 21,—3 Secunden öffnete er denselben ge- n Fig. 4. räuschlos und ohne es anzuzeigen, es fiel dann der Stift in die Lage a (oder c) zurück und Nr. 1 erhielt einen Schlag, worauf dieser, sobald er ihn wahrgenommen, den Schlüssel G momentan schloss und wieder öffnete: es drückt dann die Linie c die Zeit der Vorgänge zwischen ertheiltem (f!) und wahrgenommenem (g) Schlage aus, die Curve d Schliessung und Oeffnung des Schlüssels G. Beim nächsten vollen Zwölf- tel der Minute wurde der Schluss des Schlüssels E wieder ausgeführt und angezeigt, dem dann die anderen Acte in mög- lichster Regelmässigkeit folgten. Man sieht also, dass jede Beobachtung fünf Secunden dauerte und zwölf Beobachtungen in einer Minute sich unmittelbar folgten. Es wird bei derartigen Versuchen stets die Aufmerksamkeit 1) Richtiger f‘, jedoch ist der Fehler wegen der Gleichmässigkeit bei allen Versuchen so gering, dass bei den folgenden mikrometrischen Messungen f zum Anfangspunkt genommen werden konnte, Neue Messungen d. Fortpflanzungsgeschwindigkeitd. Reizes u s.w. ]6] und die Uebung von grossem zu berücksichtigendem Einfluss sein. Man muss daher für grösste Ruhe in der Umgebung und möglichst grosse Regelmässigkeit in Ausführung der ein- zelnen Acte sorgen. Je regelmässiger die wiederkehrende Oeff- nung des Schlüssels E vom Beobachter B vollzogen wird, desto mehr gelingt dem ersten, seine ganze Aufmerksamkeit auf den Moment des Reizes zu concentriren. Die Resultate würden gewiss an Genauigkeit gewinnen, wenn man diesen Act durch ein geräuschloses Uhrwerk vollziehen lassen könnte. Um den Einfluss der Uebung auf beide Gesammtreihen vom Fuss und der Leiste möglichst gleichmässig zu machen, wurde eine besondere Folge der einzelnen Serien innegehalten. Solcher Serien wurden acht an einem Beobachter gemacht, vier vom Fuss, vier von der Leiste, deren jede aus zwölf bis fünfzehn Einzelbeobachtungen bestand. Die Reihenfolge der Serien war dann nach dem Orte, wo die Elektroden lagen: Fuss—Leiste — Leiste — Fuss — Fuss — Leiste —- Leiste — Fuss. Man sieht den Sinn dieser Ordnung auf den ersten Blick ein: es wurde danach gestrebt, den Zustand der höchsten Uebung für denselben Ort zu verwerthen, welchem der der niedrigsten Nachtheil bringen musste und in dieser Weise einen gewissen mittleren Zustand der Uebung für die Summe der Serien zu erzielen. Ich glaube, dass dies durch diese Anord- nung erreicht ist. Die graphischen Resultate dieser Versuche bestehen aus zusammengehörigen Doppelcurven, deren öbere die Zeichnun- gen der Secundenuhr, deren untere die verschiedenen Beob- achtungsacte darstellt. . Figur 5 giebt ein Bild davon. Fig. 5. Sie bildeten alle, wie bemerkt, eine fortlaufende Spirale auf dem Cylinder, die dann in ein langes Band zerschnitten und der Messung leicht unterzogen werden konnte. Die Linien C, die Zeitdauer vom empfangenen bis zum ge- 162 Dr. Rudolf Schelske: meldeten wahrgenommenen Reiz, welche verschiedene Längen haben, je nachdem sie durch den Reiz des Fusses oder der Leiste ihren Anfangspunct nahmen, wurden dann sämmtlich unter einem kleinen Mikroskop bei ungefähr zehnfacher Ver- grösserung mit dem Fadenkreuz der Mikrometerschraube ge- messen. Es wurden dann aus den entsprechenden Reihen von der Leiste und dem Fusse die Mittel der Zahlenwerthe und die Differenz dieser Mittel für jene beiden Körperstellen ge- zogen. Diese ergab die Fortpflanzungsgeschwindigkeit, deren Werth aus den nebengezeichneten Secunden-Längen berechnet werden konnte. — Der ganze Kreis der Mikrometerschraube war in sechszig Einheiten getheilt. Für das Mikrometer, welches zur Messung der Beobachtung der nächsten Reihe benutzt wurde, gelten folgende Zahlen: 1 Mm = 187/,, Revolutionen (ganze Umdrehungen) der Mikrometer-Schraube = 1087 Einheiten. Dies ist das Mittel aus 24 Ablesungen, 12 vor und 12 nach Ausführung der Mes- sungen. N Die durch die Passageuhr gezeichnete Raumlänge einer Secunde = 3,18 Mm. Danach ist 1 Secunde = 57°°/,, Revolutionen = 3456 Ein- heiten. — | Der Fehler für die Ablesung des Mikrometers betrug im Mittel aus 10 Bestimmungen 6 Theilstriche d. h. !/,, einer Revolution und dies in Zeit umgerechnet ca. !/,,. Secunde. Für die Ausführung der Messung gilt, dass das Fadenkreuz auf die Mitte der Linie in f (Fig. 4) einerseits und andrerseits auf die Mitte der Linie c in g eingestellt wurde, wo diese ihre Krümmung nach d hin begann. Die Zahlenwerthe der verschiedenen Serien sind in ganzen Revolutionen und Sechszigsteln derselben gegeben, da es genü- gen wird, zur Abkürzung der Arbeit nur die Summe jeder Serie in Secunden umzurechnen. Um die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Resultate zu bestimmen, habe ich von jeder Serie nach der Methode der kleinsten Quadrate den mitt- Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u,s.w. 163 lern und den wahrscheinlichen Fehler herechnet'!) und stelle diese unter die.andern Zahlenwerthe jeder Serie. Trotz aller Vorsicht und Aufmerksamkeit erhoben sich doch vereinzelte Zahlen in den Serien über die benachbarten. Man befindet sich denselben gegenüber in einer sehr peinlichen Si- tuation und erst nach Rücksprache mit Professor Helmholtz, der auf das Unverfängliche dieses Verfahrens aufmerksam machte, erlaubte ich mir, dieselben zu beseitigen. Beifügen muss ich übrigens, dass das Resultat nicht wesentlich beein- flusst wird, wenn man sie mit in Rechnung zieht, aber nach gewissenhafter Prüfung des Zustands des Beobachters während des Versuchs, halte ich’s für richtiger dieselben zu streichen. Ich habe sie in die Reihe aufgenommen, aber mit einem Stern- chen versehen, damit jeder im Stande sei, das Verfahren und das abweichende Resultat zu prüfen und zu beurtheilen. Erste Reihe. Die Orte der Reizung waren am innern Rande des linken Fusses über dem os naviculare und in der linken Leistenge- gend unter dem Poupart’schen Bande, zwei Zoll von der Spina ant. sup, ossis il. Die Entfernung beider Oerter betrug 930 Mm. Die Num- mern der Serie bedeuten die Zeitfolge, in welcher die Beob- achtungen derselben im Verhältniss zu denen der andern Se- rien angestellt sind. I. 1. Serie 1., Fuss. Serie 8., Fuss. 9_—-46 12—40 11—15 12 —38 10—41 N) 7 12—35 13—10 1) Ist x das Mittel aus einer Reihe von 6 Beobachtungen, a, 5, ec, d, e, f, so ist (a-x)? + (b—-2)? + (c-%)? + (d-2)? + (e-x)2.+(f-x)? ei ar dem mittleren Fehler, der wahrscheinliche Fehler M’ ist dann M'= M. 0,6744897. 164 Dr. Rudolf Schelske: 11—98 8—54 11—0 19—4* 11- 26 18—7* Summe = 87-35 =M0--56 Mittel in Sec. = 0,189 Mittel Mittlerer Fehler „ Wahrscheinlich, * - Mittel in Secunden Mittlerer Fehler Wahrscheinlicher Summe Mittel Mittel in Sec. ” Serie 4. Fuss. — 0,020 — 0,014 Summe = 163—29 N II. 12— 9 14—27 12— 1 12—36 12—40 13—51 13—14 12—16 11—29 1227. 12—41 18—4* Sen 1943 0,221 br] ( Serie 5. Fuss. 11—29 11-36 11—2 11—21 10—12 12—50 10— 39 I —59 12—9 11—29 12—39 11-40 0,202 0,017 0,011 IV, 14—33 12—37 12—53 12—13 10—56 14— 25 18—15* 12— 1 16—25* 13—35 12—11 13—21 13—11 11—57 IR, 16558 1246 0,221 Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 165 Mittlerer Fehler „ - 0,014 0,018 Wahrscheinl. „ 2 =. „0.009 0,012 V; VT. Serie 2. Leiste. Serie 7. Leiste. 9—17 9-1] KIT 10-32 19 280 10—20 8—54 10—45 8—13 9 _—32 858 10—35 9_—_36 12— 9 10—56 14-—49# 9—7 9—57 9_—-45 10-31 1115 11—26 18-12” 9—58 N) 11—14 8—48 10— 1 9— 0 11—16 Summe = 114—59 15634 Mittel =| 935 10—26 Mittel in Sec. = 0,166 0,181 Mittlerer Fehler BRNO 0,014 Wahrscheinl. „. > —"UÜOLO 0,009 vll. VI. Serie 3. Leiste. Serie 3. Leiste. 10— 46 12— ] 8—51 124 12-16 12—53 9-16 1157 11— 9 10— 9 9-33 11—12 12— 6 a >. 11— 0 10—53 12—33 11—30 166 Dr. Rudolf Schelske: 10—15 10—17 .10- 16 9—35 oFöR 10—29 8—41 8—25 18—14* 10—13 11-10 9—52 Summe = 14645 160-2 Mittel = 10-29 10—40 Mittel in Sec. = 0,182 0,185 Mittlerer Fehler „ = 0,023 0,021 Wahrscheinl. # REG, 0,014 Es ergiebt sich also für die Berechnung: Fuss | Leiste Mittel M IM’ | Mittel M M' in Sec. |in Sec. |in Sec. in Sec. |iu Sec. |in Sec. Serie 1| 0,189 | 0,020 | 0,014 | Serie 2 0,166 | 0,015 | 0,010 „ '8.0.202 | 0,017 | 0,011| ., .7.0;181 | 0,014 | 0,009 „ 4! 0,221 | 0,014 | 0,000| „ 3|0,182 | 0,023 | 0,015 „5! 0,221 | 0,018 | 0,012 6| 0,185 | 0,021 | 0,014 0 Die Differenz der beiden Mittel der Zeit für die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit des Reizes vom Fuss bis zum angezeig- ten Empfang und von der Leiste bis dahin 0,208 — 0,178‘ = 0,03' ist also die Zeit, welche der Reiz braucht, die Strecke vom Fuss zur Leiste von 930 Mm. zu durchlaufen. Berechnet man nun die Fortpflanzungsgeschwindigkeit nach den oben gegebenen, für diese Reihe geltenden Zahlen, so fin- det sich dieselbe als 31 Meter in der Secunde. Die Summe der wahrscheinlichen Fehler 0,011 + 0,012 be- trägt nun 0,023 Secunden, ist somit kleiner, als jene Differenz, so dass das Resultat nicht als ein zufälliges Ergebniss aus den Fehlern der Methode zu betrachten ist, sondern im Wesen der Untersuchung seinen Grund haben muss, und zwar ist die Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizesu.s.w. ]67 Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit des Gesammtresultats grösser als nahezu '/,. Ä Bei einem andern Beobachter fand sich bei Versuchen an denselben Körperstellen, Fuss und Leiste, deren Entfernung hier 860 Mm. betrug, für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Werth 25,294 Meter in der -Secunde. Der Reiz brauchte für diese Strecke die Zeit von 0,034, also mehr, als beim ersten Beobachter. Man könnte die Frage aufwerfen, ob die Fortpflanzungsge- schwindigkeit der Nervenreize im lebenden Menschen bei ver- schiedenen Individuen und Zuständen verschieden sei: ich möchte das aus diesem Befund keinenfalls ableiten, sondern den- selben eher auf die Fehler beziehen, die den letztern Beobach- tungen ankleben, da der wahrscheinliche Fehler bei diesen sehr viel grösser war, als bei denen der ersten Reihe. Bei einer frühern, vor allen übrigen, erhaltenen Reihe von 150 Versuchen, die vom ersten Beobachter mehr um eine Vor- stellung von der Ausführung der Methode zu geben und die Uebung zu schärfen, angestellt wurden, waren die gereizten Hautstellen, die eine auf dem vordern Fussrücken, die andre am Halse, dicht unter dem Ohre am Rand des musc. sterno- cleidomast. der linken Seite. Die Entfernung derselben betrug 1500 Mm., diese Strecke wurde in 0,046‘ durcheilt, und es berechnete sich daraus die Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit 32,608 Meter in der Secunde Ein Resultat also, das hinlänglich gut mit dem der ersten Reihe übereinstimmt. Seit lange steht die Frage nach der Leitungsgeschwindig- keit im Rückenmark auf der Tagesordnung und ich habe mich selbst vor Jahren, von Professor Helmholtz dazu angeregt, mit der experimentellen Beantwortung derselben befasst, ohne mit Myographion und Froschrückenmark zu einer befriedigen- den Lösung gekommen zu sein. Die Erinnerung daran wurde mir in Utrecht sehr lebendig und ich glaubte, die eben benutzte Methode, wenigstens zur annähernden Aufklärung derselben verwenden zu sollen. Die Ueberlegung war diese: 168 Dr. Rudolf Schelske: Eine Gruppe der hintern Aeste der Rückenmarksnerven treten auf sehr kurzem Wege direct durch die Rückenmuskeln, indem sie die oberste Lage derselben durchbohren, zur Haut des Rückens. Reizte man nun eine tiefere und eine höhere Stelle dersel- ben, so wäre der Weg bei beiden nur durch eine kleine, na- hezu gleich lange Strecke durch die Nerven, die überwiegend grössere durch das Rückenmark selbst. Die Differenz würde also einen annähernden Werth für die Geschwindigkeit der Leitung im.Marke selbst ergeben. — Die Versuche wurden . ganz wie die der ersten Reihe angestellt und alles dort Ge- sagte gilt auch für diese. ' Zweite Reihe. Die Reizungsstellen waren 1) auf der Haut links neben dem dritten Halswirbel (Nacken), 2) auf der Haut links neben dem vierten Lendenwirbel (Rücken). Die Entfernung beider Stellen betrug 590 Mm. — Für die Messungen gilt, da ein andres Mikrometer hierzu benutzt werden musste: i 1 Mm. = 16#°%/,, Revolutionen = 1000 Einheiten 1 Secunde = 3,18 Mm. = 3180 Einheiten. Die Reihenfolge der Versuche war: Rücken—Rücken — Nacken— Nacken — Rücken — Rücken— Nacken— Nacken. T. II. Serie 1. Rücken. Serie 2. Rücken. 8—41 10— 2 8—37 9—57 SR) 10— 6 10—12 7—13 11—20 10—55 958 10— 6 9— 4 10—37 9—53 7—44 7— 17 9—46 Neue Messung. d, Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 169 8—19 10—16 N, 8—40 8-57 8— 1 Summe = 10946 IIEITN Mittel = -9— 9 9-27 Mittel in Secunden = 0,172 0,178 Mittlerer Fehler in Sec. = 0,020 0,021 Wahrscheinl. x P=0:08 0,014 II. IV. Serie 5. Rücken, Serie 6. Rücken. 12—49 9-15 10— 0 10 9_—23 9—23 9—4l 8—17 9_—_16 8— 7 10-29 8—30 9_29 9—59 7—27 8—31 8—55 9—44 7—51 8—23 7—42 7—28 10— 5 7—38 10— 0 7—41 8—12 —55 Summe = 131—19 120—51 Mittel = '9—22 8—38 Mittel in Secunden = 0,176 0,163 Mittlerer Fehler in Sec. = 0,026 0,017 Wahrscheinl. „, n = 0,017 0,011 V; VI. Serie 3. Nacken. Serie 4. Nacken. 8—56 er]. 10.99 >40 —17 Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864, 12 170 Dr. Rudolf Schelske: 7—36 8—22 7—15 11--28 7—49 6—58 6—47 7—54 8—35 10—24 9—12 Summe = 120—43 Mittel = 8-37 Mittel in Secunden — 0,162 Mittlerer Fehler in Sec. = 0,026 Wabhrscheinl. N EEE, VII Serie 7. Nacken. 7—54 8— 35 7—50 -6—17 7—28 7— 36 6—50 7—52 6—15 6—46 7-10 7-8 8— 34 Summe = 96-13 Mittel = q--24 Mittel in Secunden = 0,139 7-26 MEs36 5 8-43 11-56 324 856 9—_45. 7 Su 9—34 3-9 Br ga 0,175 0,026 0,017 VII. Serie 8. Nacken. 718 77 746 6—59 651 6--52 649 6-15 6—42 6- 52 9_ 0 725 E33 118 Tas4 109 7-16 0,137 Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizes u.s.w. 171 Mittlerer Fehler in Sec. = 0,010 0,013 Wahrscheinl. „ ei 0,007 0,009 Il Die Zusammenstellung der Resultate ergiebt folgende Ta- belle: Rücken | Nacken Mittel M M ':1ls Mittel M M' in Sec. in Sec. |in Sec. in Sec. |in Sec. !in Sec, Serie 1 | 0,172 | 0,020 | 0,013 | Serie 3 | 0,162 | 0,026 | 0,018 „ 20,178 | 0,021 | 0,014| „ 4| 0,175 | 0,026 | 0,017 „5 | 0,176 | 0,026 | 0,017 | „ 7 0,139 | 0,010 | 0,007 „6 | 0,163 | 0,017 | 0,011 | „ 8| 0,137 | 0,013 | 0,009 0, Mittel | 0,172 | 0,021 | 0,013 | ul | 0,153 | 0,018 | 0,012 Die Differenz der beiden Mittel der Zeit für die Fortpflan- zungsgeschwindigkeit des Reizes vom vierten Lendenwirbel bis zum angezeigten Empfang desselben und vom dritten Halswirbel bis dahin 0,172—0,153 = 0,019 ist also die Zeit, welche der Reiz braucht, die genannte Strecke durch das Rückenmark von 590 Mm. zu durchlaufen. Berechnet man daraus die Fortpflanzungsgeschwindigkeit nach den für diese Reihe giltigen Massen, so findet man die- selbe gleich 31,052 Meter in der Secunde. — Das Resultat für die Leitung im Rückenmark stimmt so- mit sehr nahe mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit in den Nerven desselben Beobachters überein. Jedenfalls ist der Fehler in dieser zweiter Reihe grösser, als jener in der ersten, denn der wahrscheinliche Fehler ist hier = 0,013, d. h. fast eben so gross (!/,ooo Sec. Unterschied), wie bei der ersten, während wir ihn hätten kleiner erwarten müssen. Allein Angesichts der Uebereinstimmung der Zahlenwerthe in den einzelnen Serien und der ausgleichenden Wirkung ver- einzelter hoher Werthe von der einen und anderen Stelle der Reizung, einer Ausgleichung, die sich be; der Berechnung des wahrscheinlichen Fehlers nicht geltend macht, zögere ich nicht dem Resultat eine hinlänglich grosse Annäherung an die Wahr- 12* 172 Dr. Rudolf Schelske: heit zu vindieiren, um darauf hin die einzelnen Serien dem Urtheil des Lesers zu unterbreiten. Es hätte sich vielleicht empfohlen, die niedersten Werthe aus den Gesammtreihen von Rücken und Nacken auszuwäh- len und in Rechnung zu ziehn; allein das Willkürliche in der Festsetzung der oberen Gränze musste vor diesem Verfahren warnen. — Ich komme zum Schluss dieser Abhandlung zu dem Ver- hältniss der Zahlen, die Helmholtz nach der Pouille t’schen Methode fand, und der meinigen. Kaum hätte ich’s gewagt, mit meinen Ergebnissen, da sie sich von jenen andern sehr weit entfernen, hervorzutreten, wenn sich nicht gewisse Zeichen für die Vereinbarung beider aus der Berathung, die ich mit Professor Helmholtz darüber pflog, ergeben hätten. Helmholtz hatte für den Froschnerven c. 25 Meter, für den menschlichen c. 60 Meter in der Secunde gefunden, ich fand, wenn es erlaubt ist, das Mittel von zwei. verschiedenen Beob- achtern zu ziehn, 31,000 Meter 25,294 „ 82,608 „ Mittel 29,634 Meter. Es musste auffallen, dass die neue Zahl der der Fortpflan- zungsgeschwindigkeit im Froschnerven äusserst nahe kommt und zugleich die Hälfte von Helmholtz’s Zahl ist, um dem Gedanken an das Uebersehen eines Factors zwei, bei jenen älteren Versuchen, was bei der complieirten Rechnung, die dabei ausgeführt werden musste, so ausserordentlich leicht ge- wesen wäre, nicht in das Reich der Unmöglichkeit zu weisen. Die Abweichung bei Frosch- und Menschen-Nerv wurde damals durch die Kälte des ersteren erklärt, da bekanntlich die Abkühlung die Fortpflanzungsgeschwindigkeit verlangsamt. Endlich machte sich für die Richtigkeit meiner Zahlen ihre relativ grosse Uebereinstimmung unter äusserst verschiedenen Umständen geltend. Leider war der einzige Weg, jene Muthmassung zu bewei- sen, die Wiederholung der Versuche durch den andern Beob- Neue Messung. d. Fortpflanzungsgeschwindigkeit d. Reizesu.s.w. 173 achter, für beide nicht zu betreten: Professor Helmholtz schied der Raum von dem Apparat, mit dem die meinigen an- gestellt, mir war es unmöglich, seine Apparate, deren Wider- stände u. s. w. er berechnet, in der alten Weise als Ganzes "herzustellen, da Theile davon in Königsberg zurückgeblieben waren. Es muss daher die Erklärung dieser Abweichung vorläufig noch dahingestellt bleiben.) Heidelberg, im Januar 1864. 1) Herr Dr. Hirsch, Director der Sternwarte zu Neuchätel in der Schweiz, ist schon vor längerer Zeit durch Versuche am Hipp ’schen Chronoskop zu Ergebnissen gelangt, welche den von Herrn Dr. Schelske in gegenwärtiger Abhandlung mitgetheilten nahe entspre- chen. Er fand für die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den menschlichen Empfindungsnerven etwa 34 M. in der Secunde, Obschon bereits am 8. November 1861 der Societe des Sciences natu- relles de Neuchätel vorgelegt, waren Hrn. Hirsch’s Versuche in “ Deutschland im Allgemeinen unbekannt geblieben, da sie nur in dem wenig verbreiteten Bulletin jener Gesellschaft (t. VI., ler Cahier, 1862, p- 100) und, in Folge einer der Versammlung der Schweizerischen Naturforscher zu Luzern am 25. September 1862 gemachten Mitthei- lung, in den Archives des Sciences physiques et naturelles de Geneve (Nouv. Ser. t. XV. 1862. p. 160), gedruckt erschienen. Erst ganz kürz- lich sind sie durch eine Uebersetzung in Moleschott’s Untersuchun- gen zur Naturlehre u. s. w., (Bd. IX. S. 183) zugänglicher geworden. Vergl. auch das Centralblatt für die medicinischen Wissenschaften, 5. März 1864. No. 11. S. 165. [E. d. B.-R.] 174 Dr. Ludwig Stieda: Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. Von Dr. LuDwWIG STIEDA, Privatdocent und Assistenzarzt der medieinischen Klinik zu Dorpat, — (Hierzu Taf. IV. u. V.) — Dass der den Darmcanal des Menschen bewohnende breite Bardwurm, den man heute mit dem Namen Bothriocephalus latus bezeichnet, zu unterscheiden sei von dem gemeinen Ket- tenwurm, Taenia solium, hat zuerst Felix Plater 1603 durch genaue Beschreibung nachgewiesen und zugleich statt des für alle Bandwürmer bisher geltenden Namen Lumbrieus latus den Namen Taenia eingeführt. Demzufolge unterscheiden die spä- teren Autoren eine Zeit lang eine Taenia prima (Bothrioceph, latus) und eine Taenia secunda Plateri (Taenia solium). Die erste richtige Beschreibung und Abbildung des Kopfes von Bothriocephalus latus lieferte erst 1777 Bonnet. Alle ande- ren vor und nach Bonnet gemachten Mittheilungen über den Bothriocephalus latus haben nur ein zoologisches Interesse. Die erste genaue und bis in die neueste Zeit einzige selbst- ständige Arbeit über die Anatomie und Lebensgeschichte des Bothrioc. latus verdankt die Wissenschaft den umfassenden Untersuchungen Eschricht’s.!) Nur Leuckart hat in sei- nem kürzlich erschienenen Werke über die menschlichen Para- 1) Eschricht, Anatomisch-physiol. Untersuchungen über die Bo- thriocephalen in den Verh. der K. L. C, Academie der Naturforscher. XIX. Band, II. Suppl, 1840. Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus, 175 siten !) auch eine auf selbstständige Untersuchungen gegründete Beschreibung des Bothriocephalus geliefert. Mit der Kenntniss dessen, was wir seit den Forschungen Eschricht’s und Leu- ckart’s von Bothriocephalus wissen, sind jedoch keineswegs alle Eigenthümlichkeiten im Bau dieser Thierkolonie, die wir den breiten Bandwurm (Bothriocephalus latus) nennen, aufge- klärt, vielmehr sind noch mancherlei Räthsel ungelöst ge- blieben. In wie weit vorliegende Mittheilungen unsere Kenntniss über den Bau des Bothriocephalus latus erweitern, mag dem Urtheil der Fachgenossen überlassen bleiben. Ich füge hinzu, dass ich mir wohl bewusst bin, dass die schon seit länger als einem Jahre begonnenen Untersuchungen nicht überall das äusserste Ziel der Möglichkeit erreicht haben; allein, da ich voraussicht- lich in nächster Zeit durch Erfüllung gewisser Berufspflichten verhindert bin, diese Untersuchungen weiter zu führen, so musste ich dieselben jetzt abschliessen und habe mich entschlos- sen, das bisher Erforschte und Gefundene zu veröffentlichen. Da ich bei den diesen Mittheilungen zu Grunde liegenden mikroskopischen Untersuchungen verschiedene Behandlungs- weisen und Methoden in Anwendung gezogen habe, so muss ich zuerst kurz über diese berichten. — Ganz frische Exem- plare von Bothriocephalen habe ich nur wenig und selten un- tersucht, erstens weil ich nicht zu jeder Zeit, in welcher ich im Besitz von frischen Exemplaren war, zur Untersuchung Musse hatte, und zweitens weil die frischen Exemplare sich ihrer Weichheit wegen nicht geuügend verarbeiten lassen. Vor allem suchte ich die Gliederreihen durch Imbibition mit Car- min einer näheren Untersuchung zugänglicher zu machen, Es wurden zu diesem Zwecke die betreffenden Gliederreihen in eine wässrige Lösung von carminsaurem Ammoniak von wein- rother Farbe gelegt, in welcher sie über zweimal vierundzwan- zig Stunden liegen blieben, um dann entweder sofort untersucht zu werden oder in verdünntem Spiritus’ zur ferneren Unter- 1) Leuckart, Die menschlichen Parasiten und die von ihnen her- rührenden Krankheiten. I. Bd. Leipzig u. Heidelberg 1863, S. 416 bis 437, 176 Dr. Ludwig Stieda: suchung aufgehoben zu werden. Die sonst bei der Untersu- chung der Cestoden übliche Methode, die einzelnen Proglotti- den nach Zusatz von Glycerin, um das Präparat durchsichtig zu machen, einem gelinden und methodischen Druck auszu- setzen, habe ich nur wenig benutzt, weil dieselbe sich für den Bothriocephalus latus wegen seiner dieken und wenig durchsichti- gen Rindenschicht sehr wenig eignet; dennoch ist diese Me- thode zur Demonstration gewisser Verhältnisse und Organe, z. B. der sogenannten gelben Gänge Eschricht’s, ganz un- entbehrlich. Um nun Präparate zu schaffen, welche die in der Mittelschicht der Glieder befindlichen Organe recht übersicht- lich von der Fläche erkennen lassen, entfernte ich in vorsich- tiger Weise mit einer Pincette die Rindenschicht sowohl die der Bauch-, als auch die der Rückenfläche, was sich bei eini- ger Uebung leicht ausführen lässt. Derartige Präparate durch Glycerin erhellt, lassen sich wie die obigen nach Verschluss mittelst eines Kittes sehr gut aufbewahren. — Am allermeisten habe ich mich jedoch der Methode der Querschnitte und besonders der Längsschnitte bedient. Ich erkannte sehr bald, dass die Untersuchung von Querschnitten, welche, wie Leuckart aufmerksam gemacht hat, für die andern Cestoden sehr wichtig ist, bei Bothrioceph. lat. nicht ausreicht, um die Anordnung und Lage der Organe kennen zu lernen, dass viel- mehr die Längsschnitte bei der Eigenthümlichkeit der Anlage des Bothriocephalus in viel höherem Grade geeignet seien, einen sicheren Einblick in die fraglichen Verhältnisse zu gestatten. Ich führte die Längsschnitte in zweifacher Weise aus, entweder dem Dickendurchmesser des Gliedes entspre- chend, d. h. in einer auf die Fläche des Gliedes senkrecht gestellten Ebene, oder dem Breitendurchmesser entspre- chend, d. h. in einer der Fläche des Gliedes parallel lie- genden Ebene. Erstere Schnitte werde ich einfach Längs- schnitte, letztere Horizontalschnitte oder Flächen- schnitte nennen. Es sind die letzteren, welche für einzelne Verhältnisse ganz vortrefflich lehrreiche Ansichten ergeben, leider sehr schwer anzufertigen. Da sich nun aber Schnitte an frischen Gliedern nicht ausführen lassen, so mussten die Glieder durch Erhärtung schnittfähig gemacht werden. Dieses Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus, 17 I Erhärten der Glieder erreichte ich dadurch, dass ich die Glie- derreihen eine Zeit lang in absolutem Alkohol liegen liess. Die von so erhärteten Gliedern mit einem scharfen Rasirmes- ser angefertigten Schnitte brachte ich dann in eine wässrige Lösung von carminsaurem Ammoniak von weinrother Farbe, liess dieselben mehre, ja bis 24 Stunden darin liegen, spülte sie darauf in destillirtem Wasser, dem einige Tropfen Essig- säure zugesetzt waren, ab, untersuchte nun die Schnitte unter Zusatz von Glycerin und bewahrte die geeignetsten wie oben beschrieben durch Einkittung auf. Da aber auch die in Alko- hol erhärteten Glieder nicht meinen Wünschen entsprechende feine Schnitte gestatteten, so zog ich eine Methode in Anwen- dung, deren Vorzüge ich bei anderen histologischen Untersu- chungen genügend kennen gelernt hatte. Ich brachte die be- treffenden Gliederreihen in eine wässrige Lösung von Chrom- säure von weingelber Farbe. Nach Verlauf von 10—14 Ta- gen hatten die Glieder eine genügende Härte erreicht, sie wur- den dann auf 24 Stunden in eine wässrige concentrirte Lösung von carminsaurem Ammoniak gethan, darauf mit Wasser ab- gespült und in Alkohol zur weiteren Untersuchung aufgehoben. Die von so gehärteten und zugleich gefärbten Gliedern in mög- lichster Feinheit angefertigten Schnitte hellte ich durch Terpen- thinöl auf und schloss dieselben mit Damarharz, dem ich schon seit langer Zeit vor Canadabassam den Vorzug gebe — und einem Deckgläschen ein. — Eine Beschreibung des Bothriocephalus latus in Bezug auf seine Länge, seine Farbe, Zahl und Grösse seiner Glieder, mit einem Worte seine äussere Charakteristik, glaube ich hier übergehen zu können, da das darauf Bezügliche in Leuckart’s schon einmal eitirten Werke S. 416 mir genügend erscheint. Zur Orientirung aber für die zu liefernde specielle Beschrei- bung erscheint es mir nothwendig, einige der allgemeinen Be- schreibung entnommene Bezeichnungen vorauszuschicken. Jedes Glied des Bothriocephalus latus hat bekanntlich die Form einer viereckigen Platte, an welcher man einen Längen- und einen Breiten-Durchmesser unterscheiden muss, so wie auch einen sehr geringen Diekendurchmesser. Ferner muss man an jedem Gliede unterscheiden den oberen Rand, welcher denn 178 Dr. Ludwig Stieda: etwas seitlich vorspringenden untern Rande des vorhergehen- den Gliedes sich anlegt, von dem in der Längsrichtung ihm gegenüberliegenden untern Rande, welcher in Verbindung mit dem oberen Rande des nächstfolgenden Gliedes steht. Statt der Bezeichnung „oberer und unterer Rand“ werde ich mich der Kürze wegen auch der Ausdrücke „oben“ zur Be- zeichnung der Richtung zum sogenannten Kopf des Bandwurms und „unten“ zur Bezeichnung der Richtung zum sogenannten Schwanzende bedienen. Jedes Glied hat selbstverständlich auch zwei Seitenränder. — Da jedes Glied die Form einer Platte hat, so kommen natürlich zwei Flächen in Betracht, von denen die einen, auf welcher die Geschlechtsöffnungen sich finden, als Bauchfläche, die ihr gegenüberliegende als Rücken- fläche nach der gewöhnlichen Terminologie bezeichnet wird. Es muss hier vorausgeschickt werden, dass die Beschrei- bung sich hauptsächlich auf die sogenannten reifen Glieder bezieht, d. h. auf die Glieder, in welchen der Uterus schon zum Theil oder ganz mit Eiern gefüllt ist, wie denn auch fast nur derartig reife Glieder zur Herstellung der zu untersuchen- den Präparate gedient haben. An jedem Gliede (Fig. 1.) erkennt man eine hellere Mitte, das Mittelfeld und die beiden dunkeln Seitentheile, die Sei- tenfelder. In dem Mittelfelde liegen dem oberen Rande nahe, für das unbewaffnete Auge noch sichtbar, die sogenann- ten Geschlechtsöffnungen (Fig. 1. b), während der übrige Theil des Mittelfeldes eingenommen wird durch die oft schwärzliche stern- oder rosettenförmige Figur des sogenannten Eierbehäl- ters (Fig. 1. a). Die Seitentheile (Fig. 1. c) erscheinen dun- kel in Folge einer zahlreichen Menge hier dicht nebeneinander liegender rundlicher Flecke, die man Körnerhaufen nemnt. Zur Ermittelung der in die Zusammensetzung der Körper- substanz eingehenden Elemente erweist sich die Untersuchung von Quer- und Längsschnitten am geeignetsten. — Ein etwa der Mitte eines Gliedes entnommener Querschnitt lässt sich einer sehr langgestreckten Ellipse vergleichen, deren grosse Achse dem Breitendurchmesser, deren kleine Achse dem um den fünften Theil geringeren Diekendurchmesser des Gliedes entspricht. Ein Längsschnitt hat eine länglich viereckige Form, Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 179 der Art, dass der untere Theil etwas breiter ist, als der obere; es entsteht daher an der Grenze zweier Glieder, indem der | untere Rand des vorhergehenden Gliedes den oberen des nach- folgenden etwas seitlich überragt, an dieser Stelle eine Zacke. An einem gehörig mit Carmin imbibirten Längs- oder Querschnitte erkennt schon das unbewaffnete Auge zwei durch die Farbe verschiedene Schichten, von denen die innere und hellere die sogenannte Mittelschicht, die äussere und dunklere die Rindenschicht ist. Bei genauerer mikroskopischer Betrach- tung liessen sich dieselben in mehr Schichten zerlegen. Schrei- tet man von aussen nach innen vor, so erscheint zuerst äusser- lich an der Körperoberfläche ein schmaler Saum, die Cuticula, dann eine blassere Schicht, die eigentliche Rindenschicht (Fig. 3. u. 4. a); diese ist in den Seitentheilen ausgezeich- net durch Einlagerung einer Reihe dunkler, in Chromsäure- Präparaten ungefärbt erscheinender Körper, der sogenannten Körnerhaufen (Fig. 3. u. 4. d), welche der Rindenschicht der Mittelfelder fehlen. Dem folgen zwei stärkere roth ge- färbte Streifen, die beiden Muskellagen, von denen die nach aussen gelegene eine Längsmuskellage (Fig. 3. u. 4. b), die nach innen gelegene eine Ringmuskellage (Fig. 3. und 4. c) ist. Von allen diesen rund um das Glied herum- laufenden Schichten wird die Mittelschicht, welche die eigent- lichen Körperorgane enthält, eingeschlossen. — Diese Zerlegung der Glieder in Rindenschicht, Muskelschicht und Mittelschicht erweist sich viel einfacher, als die von Esch- richt gemachte in 9 Schichten, indem er die einzelnen Schich- ten der Bauch- und Rückenfläche als besondere von einander scheidet. So zählt Eschricht: 1. Die Haut des Bauches. 2. Die Bauchkörnerschicht. 3.) die aus 2 Muskellagen bestehende erste paren- je chymatöse durchsichtige Schicht. 5. Die Mittelschicht. 6.1] die auch aus 2 Muskellagen bestehende zweite paremchymatöse durchsichtige Schicht, 180 Dr. Ludwig Stieda: 83. Die Rückenkörnerschicht. 9. Die Haut des Rückens. Was zunächst die Grundsubstanz betrifft, so muss ich diese als einfache zellige Bindesubstanz bezeichnen. Es besteht dieselbe aus einer Menge dicht an einander gela- gerter Zellen von etwa 0,009—0,015 im Durchmesser, welche fest aneinander gekittet, nicht isolirbar sind und einen Kern von 0,003 bis 0,0045 Mm. besitzen. Ziemlich gut findet man bisweilen die Zellen noch erhalten in den durch Alkohol erhärteten Präparaten, meist sind jedoch nurdie Kerre in einer fein granulirten Grundsub- stanz sichtbar. An der Peripherie des Schnittes, also ziemlich dicht unter der Cuticnla findet man die Kerne in besonders zahlreicher Menge oft dicht neben einander, weshalb Leuckart diesen Theil als „körnerreiche Paremchymschicht“ aufführt. Die Chromsäure übt einen völlig verändernden Einfluss auf die zarten Zellen aus, so dass man an Schnitten, die in wässrige Chromsäurelösung er- härteten Gliedern entnommen sind, nur eine fein granulirte hier und da netzförmig oder streifigaussehende Grundsubstanz erkennt. In dieser Grundsubstanz finden sich, freilich in sehr be- schränkter Anzahl, rundliche oder ovale meist concentrisch geschichtete, das Licht stark brechende Körperchen, die von andern Cestoden genug bekannten Kalkkörperchen (Fig. 5. e). Dieselben haben einen Durchmesser von 0,009—0,015 Mm. und befinden sich meist im Centrum des Gliedes in der Nähe der Muskellagen. Durch Essigsäure kann man dieselben leicht ver- schwinden machen, doch bleibt stets eine Contour an Stelle des früheren Körperchens zurück, was, wie ich, Leuckart bei- stimmend, annehme, in einer den Kalkkörperchen zu Grunde lie- genden organischen Substanz seine Erklärung finden muss. Für die in neuester Zeit ausgesprochene Vermuthung eines Zusammenhanges dieser Kalkkörperchen mit dem excretorischen Gefässapparat, finde ich nichts Unterstützendes. Meiner Mei- nung nach sind es verkalkte Zellen der Grundsubstanz. Cuticula. Die Oberfläche eines jeden Schnittes wird von einer durchsichtigen 0,006 Mm. breiten, structurlosen Schicht (Fig. 5. n) umgeben, welche die Cuticula ist. Zwischen der Cuticula und der oben erwähnten peripheren Anhäufung von Kernen in der Grundsubstanz, welche Leuckart die körner- Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 181 reiche Parenchymschicht (Fig. 5. e) nennt,') erkenne ich an sehr feinen und dünnen Querschnitten von sogenannten Chrom- säure-Präparaten einen zarten Streifen von der Breite der Cuticula (Fig. 5. m). In diesem Streifen liegen in regelmässigen ge- ringen Abständen von einander kleine runde oder ovale durch Carmin gefärbte Körperchen mit einem Durchmesser von 0,003—0,005 Mm. Sie geben dem Streifen ein äusserst zier- liches Ansehen. An Längsschnitten finde ich nie etwas der- gleichen. Ich hielt dieselben eine Zeit lang für die Kerne von Zellen, welche in einfacher Lage der Oberfläche des Gliedes anliegend eine subeuticulare Zellschicht ausmachen, Aber ich bin von dieser Ansicht zurückgekommen; das gleiche Ansehn dieser Körperchen mit den später zu beschreibenden Quer- schnitten der Muskelelemente, ihr Fehlen auf Längsschnitten, ihre Resistenz gegen Chromsäure, durch welche sie nicht ange- griffen werden, während die Zellen der Grundsubstanz so ver- ändert werden, lässt mir nur die eine Deutung übrig, dass es quer durchschnittene Muskelzellen sind, welche in einer einfachen Lage der Länge nach geordnet dicht unter der Cuticula liegen. Musculatur. Die Elemente der Muskelschichten des Bo- thrioceph. lat. sind wie die der andern Cestoden nach dem Typus der sogenannten organischen oder glatten Muskeln der Menschen und der Wirbelthiere gebaut: es sind sehr lange spindelförmige Zellen, welche zum Theil dicht aneinander ge- drängt, die einzelnen Lagen bilden, zum Theil isolirt verlau- fen. Lässt man ein Stück Körpersubstanz eines Gliedes in 35 °/, Kalilauge oder in Salzsäure eine Zeit lang liegen, so kann man durch Zerzupfen die Zellen sehr leicht isoliren; gute Einsichten über die Gestalt und Form der Zellen haben mir aber Horizontalschnitte geliefert, an welchen die einzelnen isolirt verlaufenden Zellen deutlich gefärbt in der schwach oder gar nicht gefärbten Grundsubstanz hervortreten. Die Zellen erscheinen an derartig gehärteten Präparaten nie ganz gestreckt, sondern immer etwas wellig oder geschlängelt, sind dabei etwa 0,18—0,3 Mm. lang und in der Mitte etwa 0,006—0,009 Mm. 1) Leuckart, 1: 6.78.5106. 182 Dr. Ludwig Stieda: breit und von ganz homogenem Aussehen. Der Querschnitt der Zellen (Fig. 5. h) erscheint rundlich, aber nicht, wie man erwarten sollte, immer homogen, sondern bisweilen aus zwei Theilen bestehend, indem sich eine äussere dunkelroth gefärbte Hülle von einem stark lichtbrechenden hellen Inhalt unter- scheiden lässt. — Vielleicht bestehn auch die Muskelzellen des Bothriocephalus, wie die der Nematoden aus einer Rinden- und einer Marksubstanz. Ueber die etwaigen Kerne der Mus- kelzellen habe ich keine rechte Anschauung gewinnen Können, Leuckart erklärt die Muskelzellen der Cestoden für kernlose Bänder,!) wogegen Weissmann?) bei Taenia serrata kleine ovale Kerne gefunden hat, Die musculösen Elemente sind nun, abgesehen von der einfachen Lage Längsmuskeln dicht unter der Cuticula, in fol- gender Weise angeordnet: 1. Sie bilden einen 0,028—0,042 Mm. dicken Kreis oder Ringmuskellage (Fig. 3, 4 u. 5. ec). Diese Ringmus- kellage umgiebt die Mittelschicht vollständig, erscheint in ihrer ganzen Ausdehnung deutlich auf Querschnitten, auf Längsschnit- ten erscheinen die Zellen dieser Lage querdurchschnitten (Fig. 3. ec). . Die Dicke dieser Lage ist nicht überall von gleicher Stärke, sondern nimmt gegen die Seitenwände hin etwas.an Dicke ab. | 2. Die Längsmuskellage, 0,064 Mm. stark, umgiebt die Ringmuskellage. Beide Lagen zusammen bezeichnete Esch- richt als parenchymatöse durchsichtige Sebicht. Die hier vor- kommenden Zellen sind die grössten und stärksten. Man sieht sie deutlich auf Längsschnitten (Fig. 3. b) und Horizontalschnit- ten und kann ihre Verbreitung am besten auf Querschnitten, welche die Zellen quer durchschneiden, beurtheilen (Fig. 4. u. 9. b) und erkennt daraus, dass die Zellen zur Peripherie viel dichter aneinander gedrängt sind, als zum Centrum, in- 1) Leuckart, I. c. p. 168. 2) Weissmann: Ueber die zwei Typen des contractilen Gewebes. Henle u, Pfeiffer’s Zeitschrift über rat. Medic. III. Reihe, Bd. XV. S. 94. Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 183 dem hier die einzelnen Zellen isolirt anzutreffen sind. Auch diese Schicht nimmt nach beiden Seitenrändern etwas an Mächtigkeit ab. 3. Die Quermusculatur bildet keine besondere Lage, konnte darum auch früher nicht erwähnt werden. Sie wird durch einzelne, hauptsächlich nur in der Mittelschicht isolirt verlaufende Zellen gebildet, welche senkrecht zur Hautober- fläche gerichtet dem Bilde der Glieder entsprechend ziehen. Sie sind in den Seitentheilen viel stärker und zahlreicher als in dem Mitteltheil, in welchem sie durch die Körperorgane verdrängt werden. Leuckart hat die Anordnung der Muskellagen beim Bo- thriocephalus nicht besonders geschildert, sondern verweist dabei auf die in der allgemeinen Beschreibung erörterten gleichen Verhältnisse der Cestoden. Die hier gemachte Schil- derung vermag ich nicht mit der oben von mir gegebenen in Einklang zu bringen. Was das System der Ringmuscula- tur. betrifft, so beschreibt Leuckart!) eine äussere, dicht unter der körnerreichen Parenchymschicht befindliche dünne Lage und eine zweite tiefere die Mittelschicht umsäumende stärkere Lage. Von dem Bestehen einer äussern oder ober- flächlichen Ringmusculatur habe ich mich trotz wiederholten Suchens weder bei Bothriocephalus latus, noch bei Taenia serrata überzeugen können. — In Betreff der Längsmuscula- tur sagt ferner Leuckart:?) In den tiefern Lagen der Rin- denschicht sind sie (die Längsfasern) dicht gedrängt, nach aussen zu mehr vereinzelt.“ Dieses gilt — wie Querschnitte am leichtesten beweisen, nur für die Taenia, für den Bothrio- ceph. lat. nicht. Hier ist die Anordnung gerade umgekehrt; nach aussen zur Peripherie sind die Zellen dieht an einander gedrängt und nach innen stehen sie vereinzelt. Die Muskelzellen, welche bei dem Genitalapparat in Rede kommen, sind zarter und feiner, als die der Körpersubstanz; 1) Leuckart, S. 169, 2) Leuckart, S. 168. 184 Dr. Ludwig Stieda: ihre Vertheilung wird bei der speciellen Erörterung der Ge- schlechtswerkzeuge näher berücksichtigt werden. Die innern Organe des Bothriocephalus latus bestehen, wie bei allen Cestoden nur aus den zur Fortpflanzung be- stimmten Organen, den Generations-Organen. Verdauungs- kanäle und Blutgefässsystem sind sicherlich nicht vorhanden, ein Nervensystem vielfach gesucht, bisher noch nicht ge- funden. Eine kurze Erwähnung verdient nur das sogenannte Was- sergefässsystem oder der excretorische Gefässapparat.- Wie bei allen Cestoden, so werden auch beim Bothrioceph. lat. von allen Autoren gewisse Längscanäle beschrieben, welche vom Kopfende durch alle Glieder hindurch ziehen und durch Queranastomosen mit einander in Verbindung stehn. Beim Bothriocephalus latus sind diese Canäle sehr gering entwickelt, scheinen bisweilen auch ganz zu fehlen. Nur selten fand ich auf Querschnitten jederseits zwischen den Hodenbläschen gelegen in den Seitentheilen das querdurch- schnittene Lumen eines Längscanales. Demnach existiren - bei Bothriocephalus nur zwei Längscanäle, deren abweichende Lage im Unterschied von den Längscanälen der Taenia schon Eschricht bekannt war. Die Existenz von Queranastomo- sen, welche Leuckart auch nie mit Sicherheit wahrnahm, muss ich nach Untersuchung von zahlreichen Längsschnitten durchaus in Abrede stellen. Wie sich die Längscanäle im Kopfe verhalten, darüber fehlen mir eigene Beobachtungen. Die Vermuthung Leuckart’s, den Körnerhaufen der Rinden- schicht mit dem excretorischen Apparat in Beziehung zu setzen, werde ich später berücksichtigen. -Geschlechtsorgane. Wie schon längst bekannt, münden die Geschlechtsöff- nungen bei den Bothriocephalen nicht wie bei den meisten Taenien randständig, sondern auf der Fläche des Gliedes, die man als Bauchfläche zu bezeichnen pflegt. Diese Geschlechts- | Ein Beitrag zur: Anatomie des Bothriocephalus latus. 185 öffnung anlangend, sagt Leuckart:!) In Betreff der Ge- schlechtsorgane (der Bothriocephalen) ist zunächst die Abwe- senheit einer Genitalkloake hervorzuheben. Männliche und weib- liche Oeffnungen münden beide, wenn auch nur durch einen kurzen Zwischenraum getrennt, selbstständig nach aussen und zwar, wie bereits bemerkt ist, auf der sogenannten Bauch- fläche des Körpers, in einiger Entfernung hinter dem Vorder- rande des Gliedes. Diese Beschreibung entspricht nicht dem thatsächlichen Befunde: Der Bothriocephalus latus hat einen Genitalporus oder eine Genitalkloake d.h. es findet sich eine einfache rundliche Lücke von 0,120 Mm. Durch- messer (Fig. 8., Fig. 13., Fig. 16. und Fig. 20. p) in der sogenannten Rindenschicht, in welche die Leitungsapparate der männlichen und weiblichen Geschlechtsorgane hineinmün- den. Die obere bisher nur als männliche Oeffnung, von Esch- richt die grosse oder die Ruthenöffnung genannt, aufgefasste, ist die Genitalkloake, indem hier nicht allein der Penis, son- dern auch der bisher unbekannte, weil in seiner Existenz über- sehene Vaginalcanal und zwar wie bei den andern Cestoden dicht unterhalb der männlichen Oeffnung ausmündet. Mit dem Uterus hat die Mündung dieses weiblichen Geschlechtscanals Nichts zu thun. Eschricht war nahe daran, diese Vagina zu entdecken, doch scheint seine Unbekanntschaft mit den analogen Verhältnissen der Geschlechts-Organe bei den Tae- nien ihn daran verhindert zu haben. Er sagt: „Die vordere grosse Oeffnung ist kein einfaches Loch, sondern eine flache, blinde Grube, in welcher sich zwei Oeffnungen finden, eine ganz nach vorn ist die wahre Penisöffnung, durch welche der Penis hervorragt, die andere Oeffnung ist klein, ganz rund und liegt ganz hinten in der Grube.* Eschricht glaubte, diese Oeffnung sei ein Eingang zu den dieken Hörnern, den ober- sten Schlingen des Eibehälters. Bei Leuckart finde ich die- ser kleinen Oeffnung nirgends Erwähnung gethan. — Diese zweite kleine Oeffnung ist eben die offene Mündung des Va- ginalcanals. Dass dieselbe, abgesehen von Eschricht — 1) Leuckart, a. a. O. S. 427. Reichertt’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 13 186 Dr. Ludwig Stieda: bisher übersehen worden ist, finde ich verständlich und erklär- lich durch die übliche Behandlungsweise der Präparate. An sogenannten Quetsch-Präparaten konnte ich dieselbe niemals sehen, auch am (uerschnitten nicht recht zur Anschauung bringen, dagegen liess sich mit grosser Leichtigkeit das Ver- hältniss auf Längssehnitten (Figg. 8., 12., 16. u. 20. o) übersehen, deren Untersuchung allein ich diesen wichtigen Fund verdanke. Die untere oder hintere, sogenannte weib- liche Oeffnung ist, worauf ich später nochmals zurückkomme, nur die Ausmündung des Eibehälters (Figg. 20. u. 21. m). Ueber die Anwesenheit der 3 Oefinungen, über ihre Lage und Grösse, sowie ihr Lumen geben ausser den schon erwähnten Längsschnitten, noch Flächenschnitte deutliche Auskunft. Ehe ich an die Betrachtung der männlichen Geschlechts- organe gehe, muss ich eines Vorkommnisses in der Haut des Bothriocephalus erwähnen, welches in bestimmter, wenngleich mir unbekannter Beziehung zu den Geschlechtsorganen steht. Man erkennt in der von Eschricht sogenannten „Region der äussern Geschlechtsöffnungen“, welche durch die gelben Gänge begrenzt wird, in der nächsten Umgebung des Genitalporus eine ziemliche Menge dicht stehender Flecke, welche zu einer kreisförmigen oder ovalen Figur um die Genitalkloake als Mittelpunct angeordnet sind. Sie sind sehr leicht zu überse- hen. Ausser bei Eschricht finde ich dieselbe nirgends er- wähnt. Eschricht beschreibt dieselben als eine Menge klei- ner weisser länglichrunder Flecken, welche mit dem einen Ende der Ruthenöffnung zugewandt, an dem anderen abgewand- ten mit einem Loche versehen sind. Eschricht hielt diesel- ben für Hautdrüsen und nannte sie Gjandulae praeputiales. Aus der Untersuchung der gewöhnlichen durchsichtig gemach- ten Quetschpräparate konnte ich nichts Näheres über diese Gebilde entnehmen, auch Querschnitte gaben keine, wohl aber Längsschnitte die gewünschte Auskunft. An Längsschnitten erkannte ich, dass, während die übrige Körperoberfläche der Glieder völlig glatt und eben erscheint, dieselbe in der Um- gebung des Genitalporus ein welliges Aussehen hat (Fig. 8. v). Als Grund dieses Aussehens ergaben sich bei stärkeren Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 187 - Vergrösserungen halbkreisföürmige Erhebungen der Oberfläche (Fig. 9. a,a), welche halbkugeligen Erhebungen der Körper- substanz entsprechen mussten. Diese ziemlich dieht stehenden Hervorragungen waren an der Basis etwa 0,026—0,035 Mm. breit und 0,016—0,019 Mm. über das Niveau der Körperober- fläche erhaben. Sie erschienen als einfache Erhebungen der Grundsubstanz des Körpers und waren, wie diese, mit einer 0,006 Mm. dieken Qutieularschicht überkleidet. — Da es dem- nach keine Drüsen sind, passt Eschricht’s dafür gewählter Name auch nicht; sie möchten wohl einfach als Hautpapil- len zu bezeichnen sein. Männliche Geschlechtsorgane. Ich beginne die Betrachtung derselben mit den Hoden. Ihre Lage beurtheilt man am besten aus der Untersuchung von Querschnitten und durch die Seitentheile gelegten Längsschnitten. (Fig. 3. u. 4. e) Es sind Säckchen von 0,102—0,180 Mm. Durchmesser, welche in einfacher Lage in geringen Abständen von einander die Mittelschicht beider Seitentheile einnehmen, während der von beiden Seitentheilen eingeschlossene dem Mittelfelde entsprechende Theil der Mittelschicht von dem Eierbehälter und den übrigen keimbereitenden und keimleiten- den Organen ‚in Anspruch genommen wird. Da ich auf Querschnitten in einem Seitenfeld ungefähr 20, auf einem Längs- schnitt 8&—10 Hoden zähle, so ergiebt sich daraus für ein Sei- tenfeld 160—200, für ein ganzes Glied 320—400 Hoden. — Die Hoden (Fig. 7.), die man auch Hodenbläschen oder Hodenschläuche genannt hat, besitzen eine zarte, jedoch deut- liche Membran, aber nicht stets einen gleichen Inhalt. An jüngern Gliedern erscheint der Hoden gefüllt mit ziemlich gros- sen Zellen (Fig. 7. a, a) von 0,018—0,030 Mm. Durchmesser, welche sich durch eine sehr bedeutende Menge von peripherisch der Zellenmembran aufsitzenden Kernen auszeichnen. Diese Zellen, deren man auf Schnitten etwa 6—8 in jedem Hoden findet, sind es, aus deren Kernen sich, wie aus anderweitigen Beobachtungen bekannt ist, die Samenfäden entwickeln. An anderen, älteren Gliedern bemerkt man den Hoden gefüllt mit 19° 188 Dr. Ludwig Stieda: einer streifigen, hie und da granulirten Masse, den zusammen- gerollten Samenfäden. Deutlicher erkennt man dieselben im Innern des Samenganges, woselbst sie als zarte, feine, stark ge- kräuselte Fädchen erscheinen, welche eine ziemliche Länge und ein glänzendes Pünctchen als Kopf haben (Fig. 10.). An Längsschnitten finde ich, dass von einigen Hoden ein zarter (sang ausgeht, welchen ich für den Ausführungsgang der Ho- den halte und auch für diejenigen annehme, bei welchen ich ihn nicht direct beobachtete. Samenleiter. (Vas deferens.) Dicht unter der Ring- muskellage an der Rückenfläche jedes Gliedes verläuft ein etwa 0,030—0,0458 Mm, starker Kanal vielfach gewunden ziem- lich in der Mittellinie der Länge nach (Fig. 17. und 18. u). Der Canal ist meist gefüllt mit einer feinstreifigen, grauen, hie und da punctförmigen Masse, dem oben beschriebenen In- balte der Hoden, dem Samen. Die Wandung des Canals er- scheint 0,006 Mm. dick. — Eschricht spricht von Samengän- gen, welche stark gekräuselt an der Rückseite der Glieder liegen, ich habe stets nur einen Canal angetroffen, ebenso wie Leuckart auch nur von einem Vas deferens spricht. In welcher Weise sich die Ausführungsgänge der einzelnen Hoden unter einander verbinden, um schliesslich in den ge- meinschaftlichen Samengang überzugehen, darüber habe ich keine genaue Auskunft erhalten. Nur die von Leuckart er- mittelte T’hatsache, dass sich das untere Ende des Samenlei- ters in zwei Schenkel spaltet, die in fast entgegengesetzter Richtung nach den beiden Seitenhälften auseinandergehn, glaube ich bestätigen zu können. Ist der Samenleiter, nachdem er beinahe das ganze Glied durchlaufen, in den obersten Abschnitt des Gliedes gekommen, so geht er in den sogenannten Cir- rusbeutel über, jedoch nicht direct, sondern durch Vermitte- lung eines anderen Gebildes. Ueber die eigentliche Form und Lage des Cirrusbeu- tels, welcher an gewöhnlichen Flächen -Präparaten nur als eine runde Scheibe von c. 0,3- 0,4 Mm. erscheint, geben erst Quer- und Längsschnitte deutliche Auskunft. (Figg. 8., 1l., 12., 16., 17. und 20. q). Man erkennt denselben Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 189 als einen musculösen Apparat von ovaler Form, der so gela- gert ist, dass sein Längsdurchmesser senkrecht auf die Fläche des Gliedes gestellt ist, und dass das stumpfere Ende des Ovals der Rückenfläche, das spitzere der Bauchfläche zuge- wandt in den Porus genitalis einmündet. Der Längendurch- messer beträgt 0,59—0,52 Mm., die grösste Breite 0,25 Mm. Die Muskeln dieses Sackes (Fig. 8. q.), welche aus sehr zarten und feinen Zellen gebildet werden, sind in zwei Rich- tungen angeordnet. Ein Theil der contractilen Elemente be- findet sich, die eigentliche musculöse Wand des Cirrusbeutels bildend, an der Oberfläche desselben, als Ring- oder Kreis- musculatur; in den beiden äussersten Enden des Organs steht dieselbe an continuirlicher Verbindung mit der Ring- muskellage, welche die Mittelschicht umgiebt. Der andere Theil der Musculatur wird durch Radienmuskeln gebildet: Diese laufen, wie Horizontalschnitte, durch welche der Cirrus- beutel quer durchschnitten wird, zeigen, von der Peripherie der musculösen Wand zu einem durch den Canal des Cirrus- beutels gebildeten Centrum. Nach Eschricht wird der Ca- nal von einer „Capsel“ umschlossen; diese Capsel, die Esch- richt auch den übrigen Theilen der Geschlechtsapparate zu- spricht, ist wie schon Leuckart hervorhebt, kein besonderes Organ, sondern nur „die Begrenzung der (von Muskeln durch- zogenen) Bindesubstanz, welche den Innenraum der Mittelschicht zwischen den Eingeweiden ausfüllt. Der Cirrusbeutel wird von einem im Ziekzack gewundenen Canal (Figg. 8., 11., 12., 16., 17. und 20. s) durchbohrt. Der Canal hat eine 0,012 Mm. dicke Wand, ein Lu- men von 0,036 -- 0,048 Mm. im Durchmesser und ist durch die von der äusseren Peripherie sich nach innen fortsetzende Cu- ticula ausgekleidet. Das Lumen dieses Canals steht mit dem - Lumen des Samenleiters in ununterbrochenem Zusammenhange, so dass der Canal des Cirrusbeutels als eine Fortsetzung des Canals des Samenleiters anzusehen ist (Fig. 17. u. Fig. 8.). An einzelnen Präparaten erscheint der zur Rückenfläche des Gliedes gerichtete Theil des Canals stellenweise blasig aus- gedehnt (Fig. 8. s). Als Inhalt des Canals und dieser Er- 190 Dr. Ludwig Stieda: weiterung erkennt man Samenfäden. Ehe der Samenleiter an dem Cirrusbeutel herantritt, wird der erstere von einem klei- nen rundlichen Gebilde (Fig. 8. t, Fig. 17. t) umfasst oder wie man es auch deuten kann, durchbohrt der Samenlei- ter dieses kleine Gebilde, welches dem Cirrusbeutel an dem zur Rückenfläche des Gliedes gewandten Ende anhängt. Dieses Gebilde ist mit einer dicht verfilzten Ringmusculatur versehen, hat ungefähr einen Durchmesser von 0,09—0,120 Mm. Der im Innern befindliche Canal ist entweder leicht gewunden (Fig. 8. u), oder zu einer das ganze Gebilde vollständig ausfüllenden Blase erweitert (Fig. 17. t). Auch hier be- steht der Inhalt in Samenfäden. Ich möchte dieses Gebilde trotzdem nicht als Samenblase, auch nicht als ein besonderes Organ auffassen, sondern einfach nur als das mit besonders starker Musculatur versehene Ende des Samenleiters ansehen. Diese Muskelentwickelung erscheint nothwendig, um den sich hier ansammelnden Samen mit Leichtigkeit in den Canal des Cirrusbeutels hineinzutreiben‘ In ähnlicher Weise wird dieses Gebilde auch von Leuckart beurtheilt. Eschricht kannte dieses musculöse Ende des Samenleiters, ohne dasselbe jedoch in seiner Bedeutung zu erkennen. „Schneidet man die Ruthen- blase auf“ sagt er, „so findet man eine kleine Blase darin, welche an einen kurzen stark gewundenen Stiel hängt, welcher Stiel wiederum vorn in die Grube der grossen Oeffnung ein- mündet.“ Penis oder Cirrus. Schon mit unbewaffnetem Auge sieht man, dass aus der obern grössern Oeffnung, die jetzt als Genitalporus aufgefasst werden muss, bisweilen ein kurzer fei- ner Faden herauskommt, den man als Penis oder Cirrus be- zeichnet. Man beschreibt gewöhnlich den Cirrus des Bothrio- cephalus wie den der Taenien als das musculöse vorgefallene Ende des Samenleiters. Für den Bothriocephalus kann ich dieser Ansicht nicht beistimmen. (Fig. 8. q. r., Fig. 12. g. r.) Wo ich auf Quer- oder Längsschnitten den Penis zu Gesicht bekam, erkannte ich dieselben als die unmittelbare Fortsetzung des Cirrusbeutels. Die äusserste Spitze ist nur etwa 0,060 Mm. breit und zeigt deutlich die Oeffnung des Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 191 den Penis durchbohrenden 0,012 Mm. weiten Canals (Fig. 13... Ich bin der Ansicht, dass die Bildung des Penis in folgender Weise zu Stande kommt: Die in der Wand des Cirrusbeutels befindliche Ringmusculatur presst bei Erschlaffung der von der Peripherie zum Centrum des Beutels laufenden Radienfasern den Cirrusbeutel zusammen, so dass dieser sich nicht nur zuspitzt, sondern der vordere Theil wie ein umge- kehrter Handschuhfinger nach aussen gestülpt wird, wodurch der früher im Zickzack laufende Canal jetzt als ein gerader erscheint. Lässt die Wirkung der Ringmusculatur nach, treten die Radienfasern in Wirkung, so werden diese den vorgestülp- ten Theil wieder zurückziehen. — Zu erwähnen ist noch, dass der Penis des Bothriocephalus im Unterschiede von den mei- sten Taenien, welche einen mit Stacheln besetzten Penis haben, glatt ist. — Eine Umbeugung des Penis in die unter demselben gele- gene Vaginalöffnung zum Zwecke der Begattung habe ich nie- mals zu beobachten Gelegenheit gehabt. — Weibliche Geschlechtsorgane. Wenn die männlichen Geschlechtsorgane, abgesehen von dem noch nicht ermittelten Zusammenhang der Hodenbläschen mit dem Anfang des Samenleiters, welchen man wohl nach Analogie der bei den Taenien leichter übersehbaren Verhält- nisse mit Sicherheit annehmen darf, sich ziemlich klar und offen dem Auge und dem Verständniss des Forschers erschlies- sen, so kann man von den weiblichen Geschlechtsorganen nicht ein Gleiches sagen. Dieselben erscheinen viel verwickelter und sind deshalb noch lange nicht bis in die letzten Einzel- heiten untersucht und erforscht worden. Ehe ich an die Darlegung der Ergebnisse meiner Unter- suchungen in Betreff dieser Theile gelange, will ich nun kurz das von Leuckart und Eschricht darüber bereits Mitge- theilte vorausschicken. Schon mit unbewaffnetem Auge erkennt man in dem Mit- telfelde eine stern- oder rosettenförmige Figur, welche man, sobald man die Anfüllung mit Eiern bemerkte, als Ovarium, 192 Dr. Lndwig Stieda: später richtiger als Eierbehälter oder Uterus auffasste. Die nach verschiedenen Richtungen abgehenden 5-—-3 Radien oder Strahlen des Sternes nannte Eschricht Hörner (Fig. 1. a) und unterschied die zum obern Rande gerichteten als dicke Hörner, die mittleren, welche zur Seite hinliefen, als Sei- tenhörner und die nach unten gekehrten als Unterhör- ner. In den Winkeln, welche die dicken Hörner mitein- ander bilden, sieht man den Cirrusbeutel als eine flache Scheibe und die Geschlechtsöffnungen (Fig. 1. b). Nach unten zum untern Rande zu, wird der Uterus, der — wie Eschricht zuerst bewies — ein vielfach in Schlingen gelegter Canal ist, dünner und enger und geht schliesslich in einen zwischen den untern Hörnern gelegenen, dunkel aussehenden Canal über, den Eschricht den Knäuel oder die Knäuelröhre nannte. (Fig. 1. d). Unterhalb des Knäuels, gleichsam denselben um- gebend, ist ein ovales Organ von grobkörnigem Aussehen so gelagert, dass der Längsdurchmesser desselben mit dem Brei- tendurchmesser des Gliedes zusammenfällt ; dieses Organ nannte Eschricht die Knäueldrüse. Nach aussen und unten von den letzten Uterushörnern, zum Theil noch bedeckt von den Körnerhaufen der Seitentheile, zum Theil unter denselben frei vorragend, liegt jederseits auch ein grosses grobkörnig aus- sehendes Organ (Fig. 1. e, e). Diese beiden erscheinen wie flügelförmige Anhänge der Uterushörner und der Knäueldrüse. Eschricht bezeichnet dieselben als Seitendrüsen. Esch- richt beschreibt ferner in dem Mittelfelde um die Gegend des Knäuels herum ein grossmaschiges Netzwerk, welches durch Zusammenfliessen vieler kleiner von dem ausgedehnten Kör- nerhaufen der Rindenschicht ausgehenden Canälchen entstehen sollte, und welches er die gelben Gänge nannte. Der Zu- sammenhang der aufgezählten Organe stellt sich nach Esch- richt folgendermassen dar: In den hintern Abschnitt des vielfach gewundenen Eierbehälters, in die Knäuelröhre sollen einmünden die vermutheten Ausführungsgänge der Seitendrüsen, welche nach Eschricht den Keimstock oder das Ovarium reprä- sentiren, dann die Knäueldrüse, welche er als eine Eiweiss absondernde Drüse ansieht, und schliesslich die gelben Gänge, Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 193 deren Inhalt auch eine, wenngleich nicht näher bestimmbare Rolle bei der Eibereitung spiele. Leuckart’s Beschreibung und Erklärung weicht vielfach von dieser eben gegebenen Eschricht’s ab. Dass der Knäuel das hintere Ende des gewundenen Uterus sei, damit stimmt er überein, in allen anderen Verhältnissen nicht. Er sah das hin- tere Ende des Fruchtbehälters sich in einen ziemlich ansehn- lichen 0,25—0,09 Mm. breiten Sack erweitern, der eine mehr oder weniger keulenförmige Gestalt habe und in querer Rich- tung bald mehr zur Rechten, bald zur Linken der Mittellinie gelegen sei. — Die Knäueldrüse Eschricht’s sondere kein Eiweiss ab, sondern sei analog dem Keimstock der Taenien, die Seitendrüsen dem Dotterstocke. Ein vom Keimstock her- kommender zarter Ausführungsgang soll in die sackförmige Erweiterung der Knäuelröhre hineinmünden. Wie die für Dot- terstöcke gehaltenen Seitendrüsen sich zu dieser Erweiterung verhielten, darüber hat Leuckart nichts ermittelt. — Das Netz der gelben Gänge, ihre Einmündung nach innen hat Leu- ckart nicht gesehen, in den Körnerhaufen vermuthet er Excre- tionsstoffe, welche in der Haut abgelegt sind. — Schon im Beginn bei Besprechung des Genitalporus habe ich darauf hingewiesen, dass der Bothriocephalus latus einen bisher gänzlich übersehenen Vaginalcanal hat. Ueber diesen werde ich zuerst hier das Nähere zu sagen haben. — An Längsschnitten sehe ich an der unteren Grenze des Cirrusbeutels einen Canal mit einem Dnrchmesser von 0,024 Mm. der hier in die als Genitalporus bezeichnete Oeffnung einmün- det (Figg. 18., 12., 16. und 20. 0). Dieser Canal läuft, sich mehr oder weniger dicht an den Cirrusbeutel haltend etwas erweitert zur Rückenfläche des Gliedes bis zur Mitte oder zum hintern Ende des Cirrusbeutels, biegt hier unter rech- tem oder spitzem Winkel der Bauchfläche zu (Figg. 16. u. 17. y), bildet somit ein zur Rückenfläche gerichtetes Knie und steigt dann mit einem Durchmesser von 0,036—0,060 Mm. gerade abwärts an der Bauchfläche dicht hinter der Ring- muskellage in der Mittelschicht zum unteren Theil des Gliedes herab (Fig. 17, und 18. z). Im unteren Theile des Glie- 194 Dr. Ludwig Stieda: des entfernt sich der Canal etwas von der Muskellage und wendet sich mehr nach innen zur Mitte des Gliedes, indem sich zwischen ihm und der erwähnten Muskelschicht ein auf Längsschnitten ovaler Körper einschiebt, den ich später als einen Theil des Keimstockes beschreiben werde (Fig.18. d). Der Oanal hat ein Lumen von etwa 0,036—-0,06 Mm. Durch- messer und ziemlich 0,012 Mm. dicke Wandung. Ihm ge- genüber an der Rückenfläche des Gliedes verläuft das Vas deferens (Fig. 17. u), welches sich durch seine vielfachen Schlängelungen auffallend von dem an der Bauchfläche herab- laufenden geraden Canale unterscheidet. Man kann sich diesen Canal oder Gang, welcher wie aus den oben erwähnten Längsschnitten zu erschliessen war, jeden- falls die Mittellinie des Gliedes einnehmen muss, auch an Flächenansichten der Glieder sichtbar machen durch vorsich- tiges Abpräpariren der Rindenschicht sowohl der Bauch- als der Rückenfläche. — Der Gang scheint an derartigen Präpa- raten dicht unterhalb der Scheibe des Cirrusbeutels zu begin- nen und verliert sich im untern Theil des Gliedes in der Ge- gend des Knäuels. Bei Leuckart finde ich dieses Canals nirgends Erwäh- nung gethan, weshalb ich annehme, dass er seiner Beobach- tung entgangen ist. Eschricht dagegen giebt eine ziemlich genaue Beschreibung. Eschricht beschreibt einen Strang, welcher von der weiblichen hintern Oeffnung längs der Mittel- linie nach hinten und unten zum Knäuel herabsteige. — Esch- richt wirft die Frage auf, ob derselbe vielleicht ein zweiter Ausführungsgang für den Eierbehälter sei, und zwar für das hintere Ende desselben, für den Knäuel, während die soge- _ nannte weibliche oder hintere Oeffnung den Eingang zu dem vorderen Ende des Uterus darstelle. Oder fragt ‘er weiter, sollte hier vielleicht ein Gang zu den Ovarien sich finden, um den Samen zu empfangen? Eschricht entscheidet sich für keine dieser Möglichkeiten. Man ersieht daraus, er war nahe daran, die richtige Bedeutung des Canales zu finden, aber fand sie nicht, weil ihm der eigentliche Zusammenhang dieses Ca- nals mit der sogenannten kleinern hintern Oeffnung der Ru- Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 195 thenblase (die als Vaginal-Oeffnung bezeichnet wurde), welche seiner Ansicht nach eine besondere Oeffnung für die dieken Hörner darstelle, entgangen war. 1 An gewissen Längsschnitten finde ich diesen eben beschrie- benen und besprochenen Canal, der durch seine Lage an der Bauchfläche der Glieder leicht erkannt wird, bis auf 0,120 bis 0,150 Mm. in seinem untern Theile ausgedehnt, oft so weit, dass er fast die ganze Dicke der Mittelschicht einnimmt. (Fig. 18., Fig. 19. f). Der den erweiterten Canal anfüllende Inhalt erweist sich als Samen. — Dem vielleicht hier gemachten Ein- wande, dass hier eine Verwechselung mit dem Samenleiter stattfinden könnte, muss ich dadurch begegnen, dass der Canal genug charakterisirt ist erstens durch seine Lagerung an der Bauchfläche der Glieder, welche aus der Richtung des Cirrus- beutels und der Lage des Keimstockes leicht zu erkennen ist, zweitens durch seinen geraden gestreckten Verlauf gegenüber den Windungen des Samenleiters. Das dem untern Theile des Gliedes zugekehrte Ende dieses Oanals, welcher durch Anfül- lung mit Samen erweitert ist, erscheint als ein eylindrischer Blindsack (Figg. 19. u. 25. f). Von diesem geht ein zarter nur 0,006 Mm. im Durchmesser haltender Gang ab (19. und 25. h), welcher nach kurzem Verlaufe in den später zu be- schreibenden Ausführungsgang des Keimstockes einmündet. Ueber die Deutung des eben geschilderten Canals, als Va- gina, als Vaginalcanal, der mit dem Eierbehälter Nichts zu schaffen hat, möchte kein Zweifel sein. Die Analogie dessel- ben mit dem Vaginalcanale der Oestoden liegt auf der Hand: die Mündung des Canals dicht unterhalb des Cirrusbeutels in eine mit der Mündung des männlichen Geschlechtsapparates gemeinschaftliche Oeffnung, die Lage des Canals an der Bauch- fläche, die Anfüllung mit Samen lassen keine andere Erklä- rung zu. Man hat bisher von einer vom Uterus getrennten Vagina, wie die Taenien sie besitzen, beim Bothriocephalus latus Niehts gewusst: Leuckart!) sagt: „Wie die männlichen Oeffnung mit dem Samenleiter, so steht die weibliche mit der 1) Leuckart, a. a. O. S. 429. 196 Dr. Ludwig Stieda: Vagina, die bei unserem Bothriocephalus bekannt- lich Fruchthälter ist, in unmittelbarem Zusammenhange.“ Und an einer andern Stelle bei Gelegenheit der Charakterisi- rung der beiden Typen der Cestoden:!) „Bei diesen Thieren (den ächten Bothriocephalen) entspringt an der weiblichen Ge- schlechtsöffnung ein Canal, der ebensowohl bei der Begattung zur Aufnahme des Penis und des Samens, wie auch später zur Aufnahme der Eier dient, also Vagina und Fruchthälter zugleich ist. Da aber, wie ich nachgewiesen habe, auch der Bothriocephalus latus eine am Uterus getrennte Vagina besitzt, so würden in diesem Puncte freilich die Taenien und Bothrio- cephalen einander näher stehen, als man bisher meinte, in an- dern Verhältnissen weichen sie dagegen um so mehr von ein- ander ab. Ich wende mich nun zur Betrachtung des von der Vagina gänzlich isolirten Fruchthälters, oder des Uterus. Dass der Uterus, der Eierbehälter des Bothriocephalus la- tus, ein gewundener Canal ist, dessen einzelne Schlingen „Hör- ner“ genannt, die dem unbewaffneten Auge schon sichtbaren Strahlen der rosettenförmigen Figur darstellen, weiss man seit den Mittheilungen Eschricht’s. An dem mit Eiern gefüllten Uterus völlig reifer Glieder wird man sich schwer von der Wahrheit dieser Auffassung überzeugen, dagegen geben jün- gere Glieder, deren Uterus noch keine oder nur sehr wenig reife Eier enthält, eine sehr deutliche und klare Uebersicht über den gewundenen Verlauf des Uterus (Eig. 14). Ausser diesem Verhalten im Bau des Uterus, wodurch sich der Bo- thriocephalus von dem schlauchförmigen mit seitlichen Aus- stülpungen versehenen Uterus der Taenien unterscheidet, exi- stirt noch ein anderes, sehr wichtiges Verhältniss.. Es besitzt nämlich beim Bothrioc. latus der Uteruscanal eine selbststän- dig nach aussen mündende Oeffnung, welche bekanntlich den Taenien fehlt. Diese Oeffnung ist bisher als Vaginalöffnung angesehen und allgemein als die weibliche (hintere) Oeffnung bezeichnet worden, da man die eigentlich weibliche Geschlechts- 1) Leuckart, a. a. O. $. 180. Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 197 öffnung der Vagina nicht kannte. Etwa 0,5 Mm. unterhalb der von mir als Genitalporus bezeichneten Oeffnung (Ruthen- öffnung nach Eschricht, männliche Oeffnung der Autoren) befindet sich eine 0,260 Mm. weite Oeffnung in der Rinden- schicht und Muskellage — die Ausmündung des Uteruscanals (Figg. 20. u. 21. m). Den direeten Zusammenhang dieser Oeffnung mit den eigentlichen Uterusschlingen bekommt man nur selten zu Gesicht (Fig. 21. m, x). Man sieht an derglei- chen Präparaten, wie das kurze ausmündende Endstück schnell zu einer grossen Höhlung sich erweitert, welche durch ihr Erfülltsein mit Eiern sich sehr leicht als Uterus zu erkennen giebt. Bisweilen trifft man auch das Endstück des Uterus mit Eiern. dicht gefüllt (Fig. 20. m). Dass diese Uterusöffnung mit der Vaginalöffnung nichts zu thun hat, sieht man klar und deutlich an Längsschnitten durch die Mitte des Gliedes (Fig. 20.) Man sieht den Cirrusbeutel {Fig. 20. q), die dicht dar- unter liegende enge Vaginalöffnung (Fig. 20. 0) und den Be- ginn des Vaginalcanals, den Genitalporus (Fig. 20. p) und ein Stück darunter die erwähnte weite Oefinung des Uteruscanals (Fig. 20. m). Ebenso deutlich erkennt man diese drei Oefl- nungen in ihrer verschiedenen Lage und ihrem verschiedenen Lumen an günstig ausgefallenen Horizontalschnitten. Die Oeff- nung des Uterus ist offenbar zur Entleerung der reifen Eier bestimmt, welche durch Contraction der Körpermusculatur aus dem so zusammengepressten Uterus herausgetrieben werden. — So erklärt sich auch die Thatsache, dass man häufig in einzel- nen Gliedern den ausgedehnten Uteruscanal aber nur wenig Eier findet, während das Glied dabei völlig unversehrt ist. — Eschricht war übrigens der Ansicht, dass diese Oeffnung zur Aufnahme des Penis diene, und nicht zur Entleerung der Eier, und die Eier durch Berstung des betreffenden Gliedes frei würden. — Das Lumen des Uteruscanals ist wechselnd je nach der Anfüllung mit Eiern. An jüngeren Gliedern ist es so gering, dass etwa nur ein Ei Platz hat, in älteren Gliedern beträcht- lich ausgedehnt. An Gliedern, deren Uteruscanal mässig mit Eiern gefüllt ist, erscheint das Lumen desselben mit einer oder 198 Dr. Ludwig Stieda: zwei Reihen von Zellen ausgekleidet. In dem vollständig durch Eier ausgefüllten Canal ist diese Zellenlage nicht mehr zu se- hen. — Die nächste Umgebung des Oanals ist bei mässiger Füllung mit Eiern von Muskelfasern frei und wird nur durch die Bindesubstanz gebildet, was Eschricht als Capsel oder capselartige Umhüllung des Eierbehälters beschrieb. Mit der Ausdehnung des Canals schwindet nicht allein die oben er- wähnte Zellenlage, sondern auch die in der Umgebung befind- liche Bindesubstanz, so dass schliesslich der Canal nur von Muskelelementen umgeben erscheint. Für die Entleerung der Eier muss dieser Umstand gewiss von Wichtigkeit sein. — Eschricht theilt über die Capsel noch Folgendes mit: „Ob- gleich, wie gesagt, die Capsel ziemlich locker an den eizent- lichen Eierbehälter befestigt ist, so gehen doch gewiss sehr viele Gänge von ihr zu diesem hin. — Die milchige Trübung der Oapsel rührt nämlich von unzähligen drüsenartigen Gän- gen her, welche höchst wahrscheinlich dazu dienen, die äussere harte Schale des Eies abzusondern und ohne Zweifel durch viele kleine Gänge diese kalkige Masse in die Eibehälter er- giessen.“ Ich weiss nicht, was es mit diesen „drüsenartigen Gängen“ für ein Bewandtniss hat; nach meinen Untersuchun- gen finde ich nichts, was ich darauf beziehen könnte. — Während der Uterus in seiner obern Section doch zeitwei- lig wenigstens mit deutlichen Wandungen versehen ist, wird er in den untern Partien zu einem dünnhäutigen engen Canal, der nur spärlich Eier, etwa in einer Reihe enthält, dagegen in grosser Menge eine feinkörnige Masse, welche mit dem In- halt der später zu beschreibenden Dotterstöcke völlig überein- stimmt. Die untersten Windungen des Canals, die man nach Eschricht als Knäuel oder Knäuelröhre bezeichnet, sind ge- wöhnlich ganz dunkel und erscheinen an Quer- und Längs- schnitten nur mit Dottermasse gefüllt. Als äusserstes Ende des Fruchthälters sehe ich einen leicht gewundenen Canal, der meist ganz leer ist und sich durch Carmin sehr intensiv färbt. Dass, wie Leuckart beschreibt, dieser untere dünne Abschnitt des Fruchthälters plötzlich zu einem ansehnlichen Sack, in welchem die Eier ihre definitive Bildung erreichen, sich erwei- Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus, 199 tert, habe ich niemals finden können. — Nach meinen Präpa- raten erscheint es mir, dass dieser dünne Endabschnitt des Uterus in direeter Verbindung mit der Knäueldrüse steht. (Fig. 14. d, £.) Keimstock (Seitendrüsen Eschricht’s). Die Seitendrü- sen sollten nach Eschricht’s Beschreibung länglich flachge- drückte Säcke sein, von denen je einer zur Seite des Knäuels gelagert; mit ihrem äusseren stumpfabgerundeten Ende seien sie etwas nach vorn gerückt, nach innen zu verlängerten sie sich und umfassten hier die Uebergangsstelle des Knäuels in die hintern Hörner in Form eines Halbringes. Nach Leu- ckart sind die Seitendrüsen zwei grosse flügelförmige Organe, welche sich von der Aussenseite der letzten Uterushörner bo- genförmig bis etwa zur Mitte des Gliedes hinziehn. —- An den gewöhnlichen Quetsch-Präparaten sieht man freilich auch nicht mehr. — An feinen Schnitten ist das Aussehen dieser Seitendrüsen bei schwächerer Vergrösserung grobkörnig, wie das Aussehen des Keimstockes der Taenien, bei starken Vergrösserungen er- giebt sich als Inhalt des Organs eine Menge dicht aneinander gelagerter Zellen von schöner runder Form mit grossem Kern und Kernkörperchen (Fig. 15. w u. Fig. 27. a). Die Zellen sind wie gesagt rund, 0,016—0,019 Mm. im Durchmesser, der Kern misst 0,009--0,013 Mm., das Kernkörperchen 0,003 Mm. Die Hülle aber, welche diese Zellen zu einem Organ vereinigt, ist eine zarte, structurlose Membran. — Gestützt auf diesen Inhalt und auf die Aehnlichkeit mit dem Keimstock der Tae- nien erkläre ich dieses Organ für den Keimstock des Bo- thrioceph. lat. Da die Quetschpräparate mir über Lage und Ausdehnung dieses Keimstockes keine genügende Auskunft verschafften, so bemühte ich mich durch Vergleich auf Längs- und Querschnit- ten gewonnener Ansichten mir eine Vorstellung über Gestalt und Form dieses Organs zn bilden. — Die durch die’Schnitte erzielten Bilder stimmten aber mit der Auffassung Leuckart’s und Eschricht’s nicht immer überein. Auf Längsschnitten, welche durch die seitlichen Partien des Mittelfeldes gelegt wa- 200 Dr. Ludwig Stieda: ren, erhielt ich, wie zu erwarten war, ein in die Mittelschicht dieht unter der Muskellage eingelagertes der Länge nach durch die grösste untere Hälfte des Gliedes sich erstreckendes von einer welligen Contour umgrenztes Organ. Es reichte nach oben bis über die Mitte des Gliedes, fast bis zum Niveau der Uterusöffnung, nach unten bis an den untern Rand des Glie- des, ja sogar über diesen hinaus, in das nächstfolgende Glied hinein; es hatte dabei eine Diekenausdehnung von etwa 0,036 bis 0,045 Mm. — Auf Querschnitten der Glieder erhielt ich jederseits an den in der Mitte gelegenen quer oder schräg durchschnittenen Uterusschlingen das betreffende Organ — der Keimstock — und zwar querdurchschnitten (Fig. 23. d, d). So weit stimmte es mit der Beschreibung Leuckart’s und Esch- richt’s. Aber auch an solchen Längsschnitten, welche gerade durch die Mitte des Gliedes geführt worden waren, wie man aus der gleichzeitigen Gegenwart des Cirrusbeutels und der Abwesenheit der Körnerhaufen, welche bekanntlich in dem Mittelfelde fehlen, leicht erkannte, erhielt ich stets ein dem oben beschriebenen Keimstocke dem Inhalte nach ganz gleiches Ge- bilde (Fig. 15. w, Figg. 18, 19, 22. d), 0,09 Mm. dick und 0,180—0,24 Mm. lang, welches in der Gegend des Knäuels lag und sich nur durch seine geringere Längenausdehunung und etwas bedeutender Dicke auszeichnetee Dicht hinter diesem Organe steigt, wie ich schon früher bereits bemerkte, der Va- ginalcanal von oben herab. Ferner sah ich auf derartig ge- führten Längsschnitten, dass die Membran dieses Organs sich in einen zarten Canal von 0,006 Mm. fortsetzt, der gerade oder leicht geschwungen und nach unten zu etwas erweitert, weiter unten in das Glied hinunterzieht. In diesen Ausführungsgang des Keimstockes mündet der schon früher erwähnte zarte Gang, welcher aus der Enderweiterung des Vaginalcanals her- stammt (Fig. 19. h). — Schon hieraus musste ich unbedingt schliessen, dass die sogenannten Seitendrüsen kein paariges Organ, sondern die bisher allein gesehenen und gekannten Theile eines eigentlich nur einfachen Organs seien. Quer- schnitte im Niveau der Knäuelröhre gemacht, lieferten zunächst eine Bestätigung dieser Auffassung. Ich fand ein dicht der Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus.. 201 Muskelschicht der Bauchfläche des Gliedes anliegendes Gebilde (Fig. 24. d, d, d) von gleichem Ansehen wie bisher, welches nicht nur das ganze Mittelfeld einnahm, sondern seitlich bis in die Seitentheile hineinreicht, so dass es hier schon die Hodenbläschen berührte. Die Dicke des Organs erschien in Uebereinstimmung mit den Resultaten der Untersuchung an Längsschnitten, nur in der Mitte ein wenig bedeutender als in den seitlichen Partien. — An den gewöhnlichen Flächen- Präparaten konnte ich, auch an solchen Gliedern, denen mit grosser Vorsicht die Rindenschicht der Bauch- und Rücken- fläche abgezogen war, kein Bild erhalten, welches sich mit den Ergebnissen der Längs- und Querschnitte vereinigen liess. Ich versuchte endlich Horizontalschnitte anzufertigen, und er- hielt nach manchen vergeblichen Bemühungen endlich das Gesuchte. (Fig. 26.) Es erschienen beide Seitendrüsen als ein Organ, dessen Form ich einem lateinischen H vergleichen muss. Es besteht nämlich aus zwei seitlich einander parallel der Länge des Gliedes nach hinziehenden breiten Schenkeln (Fig. 26. a, a) und aus einem die Schenkel verbindenden que- ren Mittelstück (Fig. 26, b) von schmälerer Ausdehnung. Die Seitenschenkel reichten, wie ich aus Längsschnitten wusste, nach oben bis über die Mitte des Gliedes hinaus, nach unten in das nächstfolgende Glied hinein, seitlich wurden die Schen- kel ein wenig von den Körnerhaufen der Rindenschicht der Seitenfelder bedeckt. — Das beide Schenkel verbindende quere Mittelstück läuft nach unten in eine Spitze aus, welche sich in einen zarten engen nach unten sich ein wenig erweiternden Canal (Fig. 25. e, Fig. 26. c) fortsetzt, der noch eine Strecke weit nach abwärts zieht. In diesen Canal, der jedenfalls mit dem oben auf Längsschnitten beobachteten identisch ist, mün- det, auch an Flächenschnitten sichtbar, der aus dem Endstück der Vagina hervortretende Gang. Eschricht erklärte, wie schon bemerkt, die Seitendrüsen, deren Vereinigung zu einem Organ, und dessen Ausführungs- gang ihm unbekannt geblieben war, für Ovarien, welche „schalenlose* Eier enthielten. Auch v. Siebold!) sprach in 1) v. Siebold, vergleichende Anatomie, I. Bd. S. 146. Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv, 1864, 14 202 Dr. Ludwig Stieda: der sicheren Vermuthung, dass, wie bei den Trematoden, so auch bei den Oestoden, Keimstöcke und Dotterstöcke geson- dert vorkämen, die Ansicht aus, dass die sogenannten Seiten- drüsen der Bothriocephalen Keimstöcke seien. Leuckart hingegen erklärt diese Gebilde trotz der Aehnlichkeit, welche sie, seiner eigenen Aussage nach, mit dem Keimstock der Taenien haben, für Dotterstöcke, indem er sich darauf stützt, dass auch die Dottermasse des gebildeten Eies mit groben Körnern durchsetzt sei.') Diesem entgegen muss ich bemer- ken, dass die oben beschriebenen Zellen der Seitendrüsen ein ganz anderes Aussehen darbieten, schon viel grösser erschei- nen, als die kleineren feingranulirten Zellen im spätern Ei. — Ich kann daher der Auffassung Leuckart’s nicht beistim- men, sondern bleibe bei der ursprünglich ven Eschrieht und Siebold gestellten Deutung des betreffenden Organs als Keimstock. Dotterstöcke nebst Dottergang (Körnerhaufen und gelbe Gänge). Es ist schon vielfach der in der Rindenschicht der Seitentheile liegenden Körnerhaufen Erwähnung geschehen. Die Körnerhaufen erscheinen als schwarze oder dunkle durch die Oberfläche der Körpersubstanz hindurchschimmernde Flecke, welche nur die Seitentheile einnehmen und das dunkle Aus- sehen derselben bedingen, während das Mittelfeld von ihnen frei und deshalb heller erscheint. (Figg. 1. u. 2.) Die Kör- nerhaufen liegen — wie auf Quer- und Längsschnitten sicht- bar — (Fig. 3. u. 4. d) in der ganzen Ausdehnung der Sei- tentheile in der Rindenschicht und nehmen die an die Mus- kellagen stossende Hälfte derselben, sowohl an der Bauch- als Rückenfläche ein, weshalb Eschricht Bauch- und Rücken- körner unterschied, was ganz überflüssig erscheint. Die Kör- nerhaufen bilden stets eine einfache Lage (Figg. 3., 4., 5. d), haben auf Längs- und Querschnitten eine rundliche Form und durchschnittlich einen Durchmesser von 0,065—0,130 Mm. Sie liegen meist in regelmässigen Abständen von einander, rücken jedoch mitunter einander sehr nahe, fliessen bisweilen 1) Leuckart, S. 432. Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 203 in der Nähe des Mittelfeldes in einander zu einer unförmli- chen Masse. -— Die Zahl dieser Körnerhaufen ist ziemlich gross: ich zähle an Längsschnitten eines ganzen Gliedes un- gefähr 25—50, an Querschnitten 40-—50 Körnerhaufen an der Fläche eines Seitenfeldes, was für das ganze Glied doch un- sefähr 5—6000 ausmachen muss. — Dieses stimmt mit einer von Eschricht gemachten Berechnung, wonach 4— 6000 Körnerhaufen sind, überein. Bei starker, etwa 300facher Vergrösserung ergieht sich. an feinen Quer- und Längsschnit- ten, dass der Inhalt dieser Körnerhaufen nicht einfach „Kör- ner“ sind, sondern zum grossen Theil deutlich zellige Ele- mente (Fig. 5. f, d) von rundlicher Gestalt, 0,005—-0,009 Mm. im Durchmesser mit einem aus deutlichen Körnchen bestehen- den Inhalt und einem das Licht brechenden, sehr kleinem, meist peripherisch gelegenen Kerne. Ganz dieselben Elemente konnte ich mir auch zur Anschauung bringen aus Körnerhau- fen, die ich von ganz frisch abgegangenen Gliedern durch Zerzupfen isolirte, An der Bauchfläche der Glieder findet sich ein schon bei schwächerer Vergrösserung sichtbares aus dunklen Fäden zu- sammengesetztes, ziemlich grossmaschiges Netzwerk (Fig. 1., Fig. 2. g), das um ein in der Mittellinie des Gliedes in der Gegend der Knäuelröhre gelegenes Centrum gruppirt ist. In diesem Centrum erscheinen die Fäden des Netzwerks breiter und geben sich bei stärkerer Vergrösserung als deutliche Ca- näle zu erkennen, die eine dem Inhalt der Körnerhaufen gleiche Masse enthalten. (Fig. 6.) Zur Peripherie hin werden die Canäle feiner und lassen sich schliesslich bis in die Sei- tentheile verfolgen, wo sie in die Körnerhaufen übergehen, richtiger gesagt, von denen sie abgehen. Dass die Körnerhau- fen wirklich mit jenen Canälen im Zusammenhang stehen, da- von habe ich mich auf Querschnitten oft zu überzeugen Gele- genheit gehabt. (Fig. 5. g.) Ich habe häufig einen Körner- haufen mit einem kurzen Canal, wie mit einem Ausführungs- gang versehen, angetroffen. Die von Eschricht gelieferte Beschreibung dieser Canäle, welche er „gelbe Gänge* nennt, ist in allen Stücken zutreffend und richtig. Ich hebe nur be- 14* 204 Dr. Ludwig Stieda: stätigend hervor, dass der Vereinigungspunct aller Gänge im untern Theile des Gliedes gelegen ist und die von den beiden unteren Drittheilen desselben und dem vorderen Drittheil des nächstfolgenden Gliedes herziehenden Canäle vereinigte, wäh- rend die Gegend um die Geschlechtsöffnungen von Gängen frei bleibt. (Fig. 2.) Auf der Rückenfläche des Gliedes habe ich niemals ein deratiges Netzwerk von Canälen getroffen, trotzdem, dass ich eine beträchtliche Anzahl von Präparaten darauf hin untersucht habe. Eschricht will auch auf der Rückenfläche keine deutlichen Gänge gefunden haben, verimu- thet aber dennoch, dass auch hier ein der Bauchfläche analo- ges System existirt, dessen Mittelpunct dem Cirrusbeutel ge- genüber liege und hier in das Innere des Gliedes einmünde, während das Canalsystem der Bauchfläche am untern Theile des Gliedes in die Knäuelröhre einmünde. — Ich muss geste- hen, dass es auf mich Anfangs den Eindruck machte, als ob dieses Oanalsystem nicht mach innen, sondern nach aussen münde. Die Untersuchung an Längs- und Querschnitten ver- schaffte mir bald darüber Sicherheit. Ich fand an Längsschnit- ten, dass ein starker Gang c. 0,065 Mm. im Durchmesser, der durch seinen charakteristischen Inhalt seinen Zusammerhang erwies mit den Canälen und Gängen an der Bauchfläche des Gliedes, schräg von aussen her, d. h. aus der Rindenschicht die Muskellagen durchbrechend, in die Mittelschicht hineintritt, wohin weiter, liess sich an Längsschnitten nicht ermitteln (Fig. 22. 1). Ich durchmusterte eine grosse Reihe von Querschnit- ten, um über den weitern Verlauf dieses Canals etwas zu er- fahren, doch ohne Erfolg. Ich erhielt, wie aus der Richtung des Canals zu erwarten war, meist nur den Querschnitt des- selben bald noch in der Rückenschicht, bald zwischen den Muskellagen, bald in der Mittelschicht. Endlich fand ich einen Schnitt, auf welchem zu sehen war, dass der aus der Rinden- schicht in die Mittelschicht eintretende Canal, der sich aus zwei in entgegengesetzter Richtung von den Seitentheilen der Rindenschicht herziehenden Wurzeln zusammensetzte, in der Mittelschicht in einen andern feinen quer gestellten Canal ein- mündet. (Fig. 23. i, k),. Was war dieses für ein Canal? Dar- Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus,. 905 über gaben mir Flächenschnitte Auskunft: Ich sah an derarti- gen Schnitten das Mittelstück des Keimstockes und den davon abgehenden bereits bekannten Ausführungsgang (Fig. 25. e), in den von der einen Seite der feine Gang aus der Ender- weiterung der Vagina (Fig. 25. h) einmündete, von der an- dern Seite in ganz deutlicher Weise der obenerwähnte Haupt- canal der Körnerhaufen (Fig. 25. i). Was haben nun die Körnerhaufen und das unzweifelhaft von ihnen ausgehende und in die Mittelschicht einmündende Canalsystem für eine Bedeutung? Eschricht, der, wie be- reits erwähnt, das Canalsystem richtig erkannt und beschrie- ben, und es in das untere Ende des Uterus, in die Knäuel- röhre einmünden lässt, erörtert die Frage nach der Bedeu- tung „der gelben Gänge* sehr ausführlich. Er stellt Anfangs die etwas kühn erscheinende Hypothese auf, es möchten die Bauch- und Rückenkörner Magenhöhlen sein, welche sich bisweilen stärker anfüllten; die mit stark vergrösserten Kör- nerhaufen versehenen Glieder sollten gesättigte, die übrigen nüchterne sein. Nach Zurückweisung dieser Hypothese, als auch der Vermuthung, dass es Hoden nebst Samengänge oder Eierstöcke nebst Eileiter seien, gelangt er endlich zur Erklärung, dass die betreffenden Körner Drüsen seien, welche die braune Incrustationsmasse der Eier lieferten, wobei er sich namentlich auf die begründete Thatsache stützt, dass man den Inhalt des Canalsystems auch in dem hintersten Abschnitte des Fruchthälters in der Knäuelröhre wiederfinde. Diese Idee Eschricht’s, dass die Körner nebst dem damit in Zusammenhang stehenden Canalsystem bei der Bereitung der Eier betheiligt seien, wurde später von Siebold dahin genauer ausgeführt, dass er die betreffenden Körner und das Canalsystem als Dotterstöcke und Dottergänge deutete. Leuckart äussert gegen die Richtigkeit dieser Ansicht seine Bedenken und beruft sich dabei auf den von ihm nicht ge- fundenen, daber bezweifelten Zusammenhang der Körnerhau- fen mit den Organen der Mittelschicht und ferner auf die so abweichende Lage der Dotterstöcke bei den Taenien. „Soll- ten wir eine Vermuthung wagen, so miöchte diese am ersten 206 Dr. Ludwig Stieda: noch dahin gehen, dass die Körnerhaufen von Excretionsstof- fen gebildet werden, die sich zwischen die Gewebstheile ab- lagern.“ Die unzweifelhafte Einmündung des Canalsystems in die Mittelschicht und zwar in den Ausführungsgang des Keim- stockes kann mit einer Deutung des Apparats als eines ex- cretorischen schwerlich vereinigt werden; weiter lässt, meiner Ansicht nach, der directe Zusammenhang des Canalsystems mit den weiblichen Organen und die Thatsache, dass der Inhalt der Canäle sich im Uterus wiederfindet, keine andere Erklärung zu, als die Körnerhaufen und das mit ihnen im Zusammenhang stehende Canalsystem für die Dotterstöcke und Dottergänge des Bothrioceph. lat. zu halten. Es bleibt schliesslich noch die Erledigung eines Verhält- nisses übrig, des Zusammenhanges der keimbereitenden Or- gane mit dem Beginn des Uterus. Da bereits angegeben, dass der Vaginalcanal einerseits, der Dottergang andererseits in den Ausführungsgang des Keimstockes einmündet, so muss gesucht werden, in wieweit der letztere Gang mit dem An- fang des Uteruscanals im Zusammenhange stehe. Bei der Erörterung der Beziehung beider Organe zu ein- ander, muss ich noch eines Organes Erwähnung thun, dessen bisher noch nicht gedacht worden ist, der sogenannten Knäueldrüse Eschricht’s. (Fig. 1. f, Fig. 25. f.) Diese sogenannte Knäueldrüse liegt als ein Oval an den von der Fläche aus gesehenen Gliedern ziemlich dicht am unteren Rande des Gliedes. An Längs- und Querschnitten ergiebt sich, dass das Organ sich etwas zur Rückenfläche des Glie- des hinauf erstreckt. (Fig. 15. v.) Bei genauerer Betrachtung dieses von einer sehr zarten Membran umschlossenen Organs erkennt man bald, dass der Inhalt desselben auch Zellen bie- tet, die den früher erwähnten Zellen des Keimstockes fast ganz gleich sehen, nur nicht so dicht gelagert sind und keine so scharfen Contouren zeigen. Dass von diesem Organ die Knäuelröhre abgeht, dass auf diese Weise der Uterus mit der Knäueldrüse durch die Knäuelröhre in Verbindung steht, ist in der That schon aus den gewöhnlichen von der Fläche Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus, 207 aus gesehenen Gliedern ersichtlich (Fig. 14. d, f), obgleich ich gestehen muss, dass es mir nicht gelungen, auf Schnit- ten von diesem Zusammenhang mich zu überzeugen, ich daher über das genauere Verhalten keine Angabe zu machen im Stande bin, — Eschricht hielt die Knäueldrüse für eine Eiweiss abson- dernde Drüse, Leuckart, der die in der Knäueldrüse be- findlichen Zellen deutlich erkannte, beschrieb dieselbe als Keimstock. Ich kann mich weder der einen, noch der an- dern Ansicht anschliessen. Bei Besprechung des Keimstockes habe ich beschrie- ben, dass der Ausführungsgang desselben, indem er nach unten verläuft, sich ein wenig erweitert und endlich in der Gegend der Knäueldrüse sich verliert. Obgleich ich einen thatsächlichen Zusammenhang des Ganges mit der Knäuel- drüse nicht gefunden habe, so muss ich doch die Vermuthung aussprechen, dass der Keimstocksgang in die Knäueldrüse übergeht. Ich werde zu dieser Annahme bewogen nament- lich durch den Befund der den Keimstockszellen gleichenden Zellen in der Knäueldrüse. Ich glaube, dass der Ausfüh- rungsgang des Keimstockes und der Beginn der Knäuelröhre dicht neben einander mit der Knäueldrüse in Verbindung treten, so dass man vielleicht sagen dürfte, dass der Keim- stocksgang sich direct in die Knäuelröhre fortsestze, während die Knäueldrüse nur eine seitliche Erweiterung des Ganges darstelle. — Ich gestehe offen, dass ich über diese Verhält- nisse noch nicht ganz in’s Reine gekommen bin. — Die Be- deutung der Knäueldrüse anlangend, so bin ich der Ansicht, dass dieselbe dazu diene, die Vermischung zwischen den Keimstockeiern und dem Samen gehörig zu vollziehen. Noch ein Paar Worte über die Begattung und Befruch- tung. Eine wirkliche Begattung d. h. eine Einsenkung des Penis in die Vagina desselben Gliedes habe ich bei den von mir untersuchten Gliedern des Bothriocephalus latus nicht beobachtet, nach Analogie der bei den Taenien als sicher constatirten Thatsache, darf ein gleiches Verhalten angenom- men werden, 208 Dr, Ludwig Stieda: Der Zusammenhang der keimbereitenden und keimlei- tenden Organe, wie er zum Zweck der Befruchtung und Entwickelung der Eier nothwendig erscheint, wird sich etwa folgendermassen gestalten (man vergleiche dabei das auf Fig. 23. an einem Längsschnitt dargestellte Schema). Der aus dem Hoden in den Samenleiter gelangte Samen wird durch die Wirkung des Samenleiters (k) weiter be- fördert und namentlich vermittelst des oberen verdickten Theils (h) desselben in den Canal des Cirrusbeutels (i, g) hineingepresst. Der Cirrusbeutel zum Penis sich einstülpend wird den Samen in die unter dem Cirrusbeutel mündende Vagina hineinleiten (1). — Der Samen sammelt sich hier im unteren Theile der Vagina (o) an und dehnt dieselbe dadurch aus. — Die Keimstockseier treten durch den Keimstocksgang (r), in welchem der Vereinigungscanal der Vagina (p) den Samen hineinleitet, in Begleitung des letzteren in die Knäuel- drüse (u) und nach längerem oder kürzerem Verweilen in die Knäuelröhre (t); während der Dotter wahrscheinlich direct aus dem Keimstocksgang, in welchen der Dottergang einmündet (s) in den danebenliegenden Anfang der Knäuel- röhre eintritt, um hier die Eier des Keimstocks einzuhüllen, Die Eier rücken allmählich weiter in den Uterus hinauf, um- geben sich dabei in unbekannter Weise mit ihrer Schale und füllen den Uteruscanal allmählich auf ein bedeutendes Volumen. Bei einem gewissen Grade der Anfüllung wird das Glied durch die Wirkung seiner Muskeln die Uterusschlingen comprimi- rend den Inhalt desselben durch die Uterusöffnung (e) hin- austreiben. — Ueber die reifen Eier habe ich dem bereits Bekannten kaum etwas hinzuzufügen. Die Eier sind länglich, oval, 0,060 Mm. lang und 0,036 Mm. breit, haben eine zarte dop- pelt contourirte, durchsichtige Schale von c. 0,003 Mm. Dicke und einen meist aus deutlichen Zellen bestehenden Inhalt (Fig. 27. b, ec). Der bekannte Deckel am obern breitern Pole des Eies ist nicht immer sichtbar. — Ich füge noch ein paar Bemerkungen über den Kopf des Bothriocephalus latus hinzu, dessen äussere Beschreibung ich Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 209 als bekannt übergehe. Leuckart hat in neuester Zeit!) den Kopf des Botbriocephalus cordatus näher beschrieben und das. Verhalten der beiden seitlichen Sauggruben ausführlich geschil- dert, sowie darauf hingewiesen, dass vorzüglich Querschnitte sich eignen, um eine richtige Einsicht in die Tiefe der Saug- gruben zu erhalten. — Der Kopf des Bothriocephalus latus, von dem ich vielfach Querschnitte angefertigt habe, verhält sich nun in Bezug auf seine beiden Sauggruben, ganz wie der Kopf des von Leuckart entdeckten Bothriocephalus cor- datus, abgesehen von der bei beiden Species in Beziehung zur Körperfläche verschiedenen Richtung der Grube. — Ueber das Verhalten der Sauggruben auf dem Querschnitte finde ich auch bereits bei Davaine eine Abbildung), welche er, wie mir scheint, der „Zoologie medicale* von Gervais et Beneden entlehnt hat, ein Werk, welches mir ebenso wenig als die anderen Arbei- ten van Beneden’s zu Gebote stand. — Resultate: 1. Die Körpersubstanz des Bothriocephalus latus ist eine einfache zellige Bindesubstanz. 2. Die äusserste Bedeckung der Körperoberfläche wird durch eine structurlose Outicula gebildet. 3. Die Muskelelemente sind spindelförmige nach dem Ty- pus der sogenannten glatten Muskeln der Wirbelthiere gebaute Zellen. Sie sind in dreifacher Richtung angeordnet und bilden a) eine Kreis- oder Ringmuskellage, b) eine Längsmuskellage, c) isolirt verlaufende Quermuskeln. 4. Der Bothriocephalus latus hat einen Genitalporus. 5. Die männlichen Geschlechtsorgane bestehn a) aus den in den 'Seitentheilen der Glieder gelegenen Hoden, 1) Leuckart a, a. O., S. 444, 2) Davaine Traite des Entozoaires de !’hommes, Paris 1860. 210 b) c) d) Dr. Ludwig Stieda: aus dem die Ausführungsgänge sämmtlicher Hoden ver- einigenden Samenleiter, der in einen musculösen Sack oder den Cirrusbeutel übergeht, dessen vorderes Ende sich nach aussen einstülpend den Penis darstellt, welcher im oberen Theil des Ge- nitalporus ausmündet. 6. Die weiblichen Geschlechtsorgane sind: 2) b) c) d) f) Fig, fläche. ein dicht unterhalb des Cirrusbeutels in den Genital- porus mündender Vaginalcanal, ein dicht unter der Muskellage an der Bauchfläche ge- legener H-förmig gestalteter Keimstock, Dotterstöcke und Dottergänge werden durch viele in der Rindenschicht der Seitentheile des Gliedes ein- gelagerte und mit einander in Verbindung stehende Kör- nerhaufen gebildet, von denen ein in der Mitte des Glie- des zusammenfliessendes Oanalsystem ausgeht, der Ausführungsgang des Keimstocks nimmt sowohl einen aus dem Ende der Vagina kommenden Canal, als den nach innen in die Mittelschicht eingetretenen Dot- tergang auf, der Uterus oder Eierbehälter ist ein in viele Schlingen zusammengelegter Canal, der eine selbstständige Oeff- nung unterhalb des Genitalporus besitzt; die Verbindung zwischen dem Anfang des Uteruscanals (Knäuelröhre) und dem Ende des Keimstocksganges wird durch eine Erweiterung des letzteren (Knäueldrüse) vermittelt. — Erklärung der Abbildungen. 1. Vergr. 32. Ansicht eines reifen Gliedes von der Bauch- a) Hörner des im Mittelfelde sichtbaren Uterus, b) Geschlechts- öffnungen, c) Seitenfeld mit Körnerhaufen, d) Knäuelröhre, e) Seiten- drüsen, Fig. f) Knäueldrüse. 2. Vergr. 32. Ansicht eines reifen Gliedes von der Bauch- fläche zur Demonstration der Dottergängee a—f wie bei Fig. 1, | Ein Beitrag zur Anatomie des Bothriocephalus latus. 211 g) Vereinigungspunet für die von den Körnerhaufen ausgehenden Ca- näle. Fig. 3. Verg. 80. Längsschnitt durch ein Seitenfeld. a) Rinden- schicht, b) Längsmusculatur, c) Ringmusculatur, d) Körnerhaufen der Rindenschicht, e) Hoden, Fig. 4. Vergr. 80. Querschnitt durch den einen Rand eines Sei- tenfeldes, a-—e wie in Fig. 3. Fig. 5. Vergr. 330. Querschnitt durch einen Theil der Rinden- schicht. a—e) wie Fig. III, f) Zellen in den Körnerhaufen, g) ein von einem Körnerbaufen abgehender Canal, h) querdurchschnittene Mus- kelzellen i) Kalkkörperchen, k) querverlaufende Muskelzellen, I) Leu- ckart’s körnerreiche Parenchymschicht, m) einfache Lage längsverlau- fender Muskelzellen, n) Cuticula, Fig. 6. Ein Theil des von dem Körnerhaufen ausgehenden Netzes bei 150facher Vergr. Fig. 7. Vergr. 330. Querschnitt eines Hodens. a, a) die einge- schlossenen Samenzellen. Fig. 8. Vergr. 150. Längsschnitt durch den Cirrusbeutel und Pe- nis. n) Quticula, o) Vagina, p) Porus genitalis, q) Cirrusbeutel, r) Pe- nis, s) Canal des Cirrusbeutels, t) musculöses Ende des Samenleiters u) Samenleiter, v) Papillen, Fig. 9. Vergr. 330. Die Papillen in der Umgebung des Genital- porus auf einem Längsschnitt. a, a) die einzelnen Papillen, Fig. 10. Vergr, 330. Samenfäden aus dem Samenleiter. Fig. 11. Vergr. 80. Querschnitt eines Gliedes in dem Niveau des Cirrusbeutels. a—e) wie bei Fig. III, q, s, t) wie bei Fig. 8. Fig. 12. Vergr. 80. Längsschnitt eines Gliedes durch den Cirrus- beutel. a, b, c) wie bei Fig. 3., q, r, s, 0, p) wie bei Fig. 8. Fig. 13. Vergr. 330. Dem Querschnitt eines Gliedes entnommen: das Endstück des Penis mit dem durchbohrenden Canal. Fig. 14. Vergr. 80. Ansicht eines Gliedes von der Bauchfläche, a, b, d, f) wie bei Fig. 1. Fig. 15. Vergr. 80. Längsschnitt durch die Mitte des Gliedes, a, b, c) wie bei Fig. 3., v) Knäueldrüse, w) Keimstock mit Zellen, x) querdurchschnittener Uteruscanal. Fig. 16. Vergr. 80. Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes. a, b, ec) wie bei Fig. 3., q, s, 0, p) wie bei Fig. 8, x) durchschnitte- ner Uteruscanal, y) Umbiegungsstelle des Vaginalcanals. Fig. 17. Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes. a, b, c) wie Fig. 3, 9, S, t, u) wie bei Fig. 8, x, y) wie bei Fig, 16., z) Vaginal- canal. Fig. 18. Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes. a, b, c) wie bei Fig. 3., d) Keimstock, e) Ausführungsgang des Keimstocks, f) an- 912 Dr.L. Stieda: Ein Beitrag z. Anat. d. Bothrioe. lat. geschwollenes Ende der Vagina, x) durchschnittener Uteruscanal, z) Vaginalcanal, Fig. 19. Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes. a, b, ce) wie bei Fig. 3., d, e, f) wie bei Fig. 18., h) Vereinigungsgang des Endes der Vagina mit dem Ausführungsgange des Keimstockes. Fig. 20. Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes. a, b, c) wie bei Fig. 3., q, s, t, 0, p) wie bei Fig. 18., m) Mündung des Uterus- canals. Fig. 21. Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes, a, b, c) wie bei Fig. 3., m) Mündung des Uteruscanals, x) Uteruscanal. Fig. 22. . Längsschnitt durch die Mitte eines Gliedes. a, b, c) wie Fig. 3., d) Keimstock, f) Vaginal-Ende, i) Dottergang, welcher in die Mittelschicht einmündet. Fig. 23. Querschnitt durch das Mittelfeld eines Gliedes im Niveau der Knänelröhre. a, b, c) wie bei Fig. 3., d, d) die querdurchschnit- tenen Seitenschenkel des Keimstocks, e) Ausführungsgang des Keim- stocks, i) Dottergang, bei k) in den Ausführungsgang des Keimstocks einmündend. Fig. 24. Querschnitt durch das Mittelfeld eines Gliedes im Niveau der unteren Uterushörner. a, b, ce) wie bei Fig. IIL, d, d, d) der durch das ganze Mittelfeld reichende Keimstock. Fig. 25. Theil eines Flächenschnittes, ziemlich nahe der Bauch- fläche, d) Keimstock, e) Ausführungsgang desselben, f) Ende des Va- ginalcanals, h) Vereinigungsgang des letzteren mit dem Ausführungs- gang des Keimstocks, i) Dottergang, ebenfalls in den Ausführungsgang des Keimstocks einmündend. Fig. 26. Aus einem Flächenschnitte entnommene Ansicht des Keimstocks. a, a) Seitenschenkel, b) Mittelstück, c) Ausführungsgang. Fig. 27. Vergr. 330. a, a) Zellen aus dem Keimstocke, b) Ei aus dem Uterus bei 150facher Vergr., c) Ei aus dem Uterus bei 330facher Vergr. mit deutlichen Dotterzellen im Innern. Fig. 28. Schema über den Zusammenhang der Geschlechtsorgane des Bothriocephalus latus auf einem idealen Längsschnitte durch ein ganzes Glied. a) Rindenschicht, b) Längsmusculatur, c) Ring- musculatur, d) Porus genitalis, e) Uterusöffnung, f) Papillen des Ge- nitalporus, g) Cirrusbeutel, h) Ende des Samenleiters, i) Canal des Cirrusbeutels, k) Samenleiter, ]) Vagina, m) Umbeugungsstelle des Va- ginalcanals, n) Vaginalcanal, o) Ende des Vaginalcanals, p) Vereini- gungsgang des letztern mit dem Ausführungsgang des Keimstocks, q) Keimstock, r) Ausführungsgang des Keimstocks, s) Dottergang, t) Knäuelröhre, u) Knäueldrüse, v, v) Uteruscanal. Prof. H.Ho yer: Fin Beitr, z. Histologie d. Pacinisch. Körperchen. 213 Ein Beitrag zur Histologie der Pacinischen Körperchen. Von Prof. H. HovEr in Warschau. Befeuchtet man ein möglichst frisch aus dem Mesenterium der Katze entnommenes Pacinisches Körperchen mit etwas Höllensteinlösung von 0,2---0,5 Procent und setzt es der Ein- wirkung des Tageslichtes aus, so bemerkt man schon nach wenigen Minuten ein ziemlich regelmässiges Netzwerk von feinen schwarzen geschlängelten Linien, welche die ganze Oberfläche des Körperchens bedecken. Bei längerer Einwir- kung der Höllensteinlösung schrumpft das Körperchen, wird undurchsichtig und zugleich zeigen sich im Innern desselben mehrere Schichten jener netzförmig verbundenen Linien; es hat alsdann ganz den Anschein, als ob das Körperchen nach allen Richtungen hin von feinen schwarzen Fäden durchfloch- ten wäre. Die Linien in der Tiefe treten noch deutlicher her- vor, wenn man die Substanz des Körperchens aufhellt z. B. durch Zusatz von Kaustischer Kalilösung. Entfernt man an einem frischen Körperchen durch Präparation unter der Lupe die äusseren Capsellagen, bevor man dasselbe der Einwirkung des Höllensteins aussetzt, so kommen die Linien dennoch zum Vorschein. Auch gelingt es, die Linien auch dann noch an den tieferen Capselschichten zur Ansicht zu bringen, wenn man zunächst die oberflächlichen Capseln der Einwirkung des Höllensteins ausgesetzt und erst nach Erscheinung des Netz- werks dieselben entfernt hat. Man erhält alsdann die Linien sowohl an den zurückbleibenden, wie an den abgelösten Cap- 214 Prof. H. Hoyer: seln. Das schwarze Netzwerk bietet ganz dieselbe Erschei- nung dar, wie die nach v. Recklinghausens Methode mit- telst Höllensteinlösung an den serösen Membranen zum Vor- schein gebrachten Contouren der Epithelien. Man kann die- selben an allen, auch den innersten, Capseln zum Vorschein bringen, wenn man vor der Befeuchtung mit Höllensteinlösung die oberflächlichen Schichten abpräparirt oder wenn man die Körperchen mehrere Stunden lang in einer ausreichenden Menge der Lösung freiliegen lässt; nur an denjenigen Schich- ten, aus welchen der sogenannte Innenkolben zusammen- gesetzt ist, ist es mir bisher nicht gelungen, das Netzwerk mit Bestimmtheit wahrzunehmen, doch zweifle ich nicht, dass es bei Anwendung der gehörigen Vorsicht und Mühe gelingen werde, auch an diesem die gleiche Textur nachzuweisen. Isolirt man durch Präparation unter der Lupe einzelne Oap- seln von Körperchen, die mit Höllensteinlösung behandelt wor- den sind, so überzeugt man sich leicht, dass auf jeder Capsel nur eine einzige und zwar einschichtige Lage solcher epithel- artiger Gebilde vorhanden ist. Die Kerne (die bisher immer als „Bindegewebskörperchen“ bezeichnet worden sind) schrum- pfen unter der Einwirkung des Höllensteins und schwinden scheinbar ganz, auch gelingt es nicht, mittelst Essigsäure die- selben wieder zum Vorschein zu bringen. Wenn jedoch die Einwirkung des Höllensteins nicht zu intensiv gewesen ist, so lässt sich durch Färbung mittelst Carminlösung und durch nachherigen Zusatz von Essigsäure in jedem zellenartigen Körper ein blassrothes ovales kernartiges Gebilde deutlich nachweisen. Es schien fast, als ob die bisher für Bindege- webskörperchen angesehenen Gebilde nicht sowohl den bin- degewebigen Oapseln, als vielmehr den dieselben überziehen- den epithelartigen Bildungen angehörten, deren Kerne sie darstellen. Der Umstand, dass bei mit Höllenstein behandelten Kör- perchen die feinen schwarzen Linien stets nur an die innere Contour der Capselwand heranreichen, beweist zur Genüge, dass die epithelartigen Gebilde auf der innern Fläche der Ein Beitrag zur Histologie der Pacinischen Körperchen. 215 Capseln gelegen sind. An der äusseren Fläche derselben wa- ren sie dagegen nicht wahrzunehmen. Es wäre schliesslich noch der Beweis zu führen, dass die Epithelien von der bindegewebigen Unterlage sich abtrennen und in einzelne Zellen zerlegen lassen. Diese Aufgabe ist jedoch nur sehr schwierig in Ausführung zu bringen, weil die epithelartigen Bildungen sehr dünn sind und im frischen Zu- stand der Capselwand sehr innig anhängen. Zwar erhielt ich einmal nach vielstündiger Maceration von Paeinischen Körper- chen in starker Kalilösung beim Zerzupfen ein Blättchen, wel- ches aus mehreren zusammenhängenden regelmässigen Sechs- ecken bestand, die an Form und Grösse den Maschen des Netzwerkes entsprachen, welches man durch Höllenstein zum Vorschein bringt; auch nach mehrstündiger Maceration von mit Höllenstein behandelten Körperchen in Salpetersäure, die ‚mit chlorsaurem Kali gesättigt war, zerfiel das Körperchen bei gelindem Drucke in grosse dünne Blättchen, die noch die feinen schwarzen Netze auf das schönste erkennen liessen, doch schien es mir, als ob in beiden Fällen das bindegewe- bige Substrat noch nicht ganz zerstört gewesen wäre, weil sich das Ganze nicht in einzelne Zellen aufgelöst hatte. Da- gegen ist es mir gelungen, an den Pacinischen Körperchen der Hand einer wassersüchtigen menschlichen Leiche, welche übrigens gegen Höllensteinlösung ganz das gleiche Verhalten zeigen, wie die Körperchen der Katze, durch 24stündige Ma- ceration in verdünnter Essigsäure Massen von Kernen, Ker- nen mit anhängenden Zellenresten und selbst ganze zellenar- tige Körper vollständig zu isoliren. Die Capseln an den Pa- einischen Körperchen des Menschen sind dicker, als wie bei der Katze, schwerer zu zerrreissen und einzeln abzulösen und mit Höllensteinlösung entstehen (selbst mehrere Tage nach dem Tode) an den inneren Capseln diehtere Netze, welche auf die Anwesenheit epithelartiger kleiner Zellen sich deuten liessen. Die durch Zerzupfung der Capseln isolirten Kerne waren oval, sehr platt, auf der Kante stehend erschienen sie länglich und zum Theil selbst stäbchenförmig; ähnlich stellten sich die einzelnen freigemachten Zellenkörper dar, doch fan- 216 Prof. H. Hoyer: den sich darunter auch Formen, wie sie die ohne Wasserzu- satz untersuchten Eiterkörperchen zeigen. Auch in den Zwi- schenräumen zwischen den unversehrten Capseln, welche den inneren noch erhaltenen Theil des Körperchens umschlossen, sah ich zahlreiche ähnliche Kerne und Zellen. Es scheint also nach allem dem ziemlich wahrscheinlich, dass die innere Fläche der Oapseln sowohl an den Pacinischen Körperchen des Menschen, als auch an denen der Katze mit einer einfachen Lage von Epithel bedeckt sei, doch darf der Beweis so lange noch als mangelhaft angesehen werden, bis es gelungen sein wird, ganze deutlich aus einzelnen Zel- len zusammengesetzte Blätter von Epithel in grösserer Aus- dehnung von den Capseln abzulösen und unter dem Mikro- skope in seine Elemente zu zerlegen. Ich habe es auch versucht, die Pacinischen Körper der Vögel in dieser Hinsicht zu prüfen, doch waren die Versuche theils nicht zahlreich genug, theils sind sie auch unmöglich gemacht durch die eigenthümliche Textur der Körperchen und am Schnabel durch den festen Einschluss in das umgebende derbe Gewebe. Ich bin aber dabei auf einige Thatsachen ge- stossen, die mir der Mittheilung werth zu sein scheinen und mich veranlasst haben, die Pacinischen Körperchen auch in anderer Beziehung einer näheren Prüfung zu unterwerfen. Ich bin genöthigt, hier nur das wiederzugeben, was ich selbst gesehen, und muss auf ein näheres Eingehen auf die Unter- suchungen anderer Forscher verzichten, weil mir die schrift- lichen Aufzeichnungen derselben meist nur im Auszuge zu Gebote stehen. Was zunächst die Capseln selbst anbetrifft, so muss ich auf’s entschiedenste die Ansicht der älteren Forscher!) ver- treten, wonach die Capseln die directe Fortsetzung des bin- degewebigen Neurilemma’s darstellen; die eigentliche Nerven- er 1) Reichert in seinen „Beobachtungen über das Bindegewebe und die verwandten Gebilde“ 1845; Kölliker und Leydig, nach den Zeichnungen zu schliessen, welche man in deren histologischen Wer- ken findet, u. A. m. Ein Beitrag zur Histologie der Paeinischen Körperchen. 217 scheide (Schwann’sche Scheide) ist bei der Bildung der Cap- seln ganz unbetheiligt. Man kann sich sehr leicht davon über- zeugen an zerzupften Präparaten, wobei es öfter gelingt, das Neurilemma und die Capseln fast bis zum Innenkolben hin von der Nervenfaser ganz abzustreifen; letztere zeigt dann alle Bestandtheile einer gewöhnlichen markhaltigen Faser mit Structurloser Scheide, Mark und Axencylinder. Bei den Paci- nischen Körperchen vom Menschen treten regelmässig mehrere sogar gröbere Gefässschlingen vom Neurilemma aus sowohl an innere, sowie auch an äussere Oapseln, bei der Katze fin- det man capilläre Gefässschlingen nur an den grösseren Kör- perchen. Eigenthümlich ist der äussere Theil des Körperchens beim Truthahn und bei der Taube; unter einer dicken binde- gewebigen Capsel, in der auf Zusatz von Essigsäure Kerne zum Vorschein kommen, liegt eine wie aus verfilzten Fäden bestehende Masse, ganz wie man sie in Leydig’s Histologie beschrieben findet. Auf dem Querschnitt des Körperchens er- scheinen die Fäden oder Streifen concentrisch um den Innen- kolben herum angeordnet. Nach Entfernung der äusseren Capseln von den isolirten Körperchen der Taube zeigt sich jener Filz als eine compacte Masse, welche in Essigsäure stark aufquillt, sich aufhellt, ein mehr granuläres Aussehen annimmt und zahlreiche Kerne hervortreten lässt. Es scheint also, als ob dieselbe aus einer soliden bindegewebigen Masse bestehe. An den Körperchen im Schnabel der Hausente, welche ich zwar nur bei einem Thiere, aber mehrfach untersucht habe, sah ich nicht ein gleiches Verhalten, wie bei der Taube und dem Truthahn, sondern der äussere Theil der Körperchen war aus ganz ähnlichen concentrischen Lamellen zusammengesetzt, wie beim Menschen und der Katze (nur waren dieselben we- niger zahlreich) und zeigten ebenso bei der Aufhellung durch Essigsäure längliche Kerne an der Innenfläche der COapseln. Eigenthümlich ist die Textur des sogenannten Innenkol- bens, welcher nach Leydig') das verdickte Ende der Nerven- 1) Leydig, Histologie 1857. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 15 218 Prof. H. Hoyer: faser, nach Engelmann!) eine stärkere Ansammlung von Nervenmark vorstellen soll. Schon Kölliker, Krause, Keferstein?) haben nachgewiesen, dass derselbe Längsstrei- fen zeige, die bis an die Centralfaser heranreichen, und zahl- reiche längsovale Kerne enthalte, welche auf Zusatz von Es- sigsäure deutlicher zum Vorschein kommen. Die Streifen seien sehr dieht, zwischen denselben finde sich eine feingranulirte Masse, die auf Zusatz von kaustischer Kali- oder Natronlösung zahlreiche gröbere fettähnliche Körnchen zum Vorschein treten lasse. Ich kann dies vollkommen bestätigen für die Pacini- schen Körperchen des Menschen und der Katze und glaube sogar annehmen zu dürfen, dass die Schichten des Innenkol- bens nur darin sich unterscheiden von den äusseren Oapsel- lagen, dass erstere dünner sind, dichter auf einander liegen, mit feinkörniger Masse bedeckt sind, (die wahrscheinlich in den sie überziehenden flachen Zellen enthalten ist) und dass keine Flüssigkeit sich dazwischen befindet. Möglicher Weise sind die Lagen auch nicht so regelmässig wie die äusseren doch kann man an den Paeinischen Körperchen der Katze sich überzeugen, dass auch die äusseren Oapseln nicht alle vollkommen concentrisch sind und vom Neurilemma des Stie- les entspringen. _Man sieht häufig bei den letzteren Zwischen- lamellen ausgespannt in dem Raume zwischen zwei Capseln, gewissermassen als ob die Capsel in zwei Lamellen sich zer- spalten hätte. Das ganze Körperchen sieht so aus, wie schon Reichert richtig bemerkt hat, als ob das Neurilemma am peripherischen Ende einer Nervenfaser blätterweise abgehoben worden sei durch Flüssigkeit, die sich dazwischen angesammelt hat. Man findet daher auch häufig dünne Fasern quer ausge- spannt in dem Raume zwischen zwei Capseln. Besonders deut- lich beobachtete ich die Schichtung an dem Innenkolben eines Körperehens vom Menschen, welches kurze Zeit in einer ge- 1) Auszug im Centralblatt für medicinische Wissenschaften. 1863. Nr. 41. 2) Henles Jahresberichte über die Fortschritte der Anatomie in den Jahren 1858 und 1859. Ein Beitrag zur Histologie der Pacinischen Körperchen. 919 sättigten Mischung von Salpetersäure und chlorsaurem Kali gelegen hatte; letztere hatte durch Zerstörung der äusseren Capseln den Innenkolben fast vollständig isolirt. Ziemlich ähnlich verhält sich der Innenkolben in den Pacinischen Körperchen der. Taube, doch treten hier die Kerne schon mehr in den Vordergrund, die Streifen dagegen sind weniger deutlich wahrzunehmen, als wie in den Körperchen vom Menschen und von der Katze; die Kerne erscheinen ganz deutlich auf Zusatz von Essigsäure. Besonders deutlich sieht man aber die runden Kerne beim Truthahn und bei der Ente, Bei Anwendung von Essigsäure werden dieselben jedoch sehr blass und durchsichtig; zweckmässiger ist hier die Untersuchung des Körperchens in einer Kalilauge von 35 Procent, worin die Kerne, ja selbst rundliche Zellen, auf das deutlichste zum Vorschein kommen. Dieselben bilden um die Terminalfaser eine einfache Lage, und da dieselben das Licht ziemlich stark reflectiren, während die Faser sehr blass und durchsichtig ist, so hat es ganz den Anschein, als ob zwischen den Zellen ein leerer Canal übrig geblieben sei; der ganze Innenkolben sieht fast so aus, wie ein Schweiss- oder Harncanälehen, indem nach Aussen von den Zellen sich die Contouren einer Oapsel wahrnehmen lassen; von Streifen wie bei der Taube vermochte ich nichts zu erkennen. Beim Trutbahn massen die Kerne im Innenkolben 0,004 Mm., während der Innenkolben selbst eine Breite von 0,01 Mm. zeigte. (Die Länge der Kerne im Innen- kolben bei der Katze betrug 0,0043 Mm., die Breite derselben 0,0052 Mm.) Verdünnt man die Kalilauge, so verschwinden sofort die Zellen, der Innenkolben erscheint fein granulirt und nach einiger Zeit zeigen sich rundliche fettglänzende Tropfen, ähnlich wie in den Markzellen der Haarwurzel, wenn dieselbe mit Kalilauge behandelt wird. Diese Tropfen mögen wohl Engelmann veranlasst haben zu der Annahme, dass der In- nenkolben aus gewöhnlichem Nervenmark bestehe, doch spreche ich dies nur als eine Vermuthung aus, weil mir seine Origi- nalabhandlung nicht zu Gebote steht. Aus dem über die Textur des Innenkolbens Mitgetheilten geht hervor, dass derselbe nicht das verdickte Nervenende vor- 15* 220 Prof. H. Hoyer: stellen könne, vielmehr erscheint er beim Menschen und .der Katze im Wesentlichen ebenso zusammengesetzt, wie die äus- seren Capseln, und selbst bei dem Truthahn und der Ente ist die eben beschriebene Abweichung nur scheinbar, indem die- selbe wahrscheinlich nur davon herrührt, dass anstatt der mehr- fachen auf der Innenfläche mit glatten Zellen bekleideten Schichten nur eine Capsel existirt, welche mit rundlichen Zel- len ausgekleidet ist. Der Innenkolben der Taube scheint in der Mitte zu stehen zwischen der ersten und letzteren Form. Gegen die Annahme, dass der Innenkolben das verdickte Nervenfaserende sei, spricht auch das Verhalten der sogenann- _ ten Terminalfaser. Letztere "ist wirklich eine Faser, wofür mir meine tingirten und in Sublimatlösung aufbewahrten Prä- parate den deutlichsten Beweis liefern. Die markhaltige Ner- venfaser, angelangt am Innen\olben, geht konisch sich verschmä- lernd in die marklose Terminalfaser direct über. Ich bin über- zeugt, dass letztere ganz gleich zusammengesetzt ist, wie die markhaltige Faser, nur fehlt ihr allein das Mark. Zu beiden Seiten des fein granulirten und zuweilen zart gestreiften In- haltes (Axencylinders) sieht man nämlich die doppelten Con- touren der homogenen Scheide ganz ebenso deutlich, wie an den markhaltigen Fasern, welche bekanntlich nicht doppelt, sondern eigentlich jederseits dreifach contourirt sind. Die mit Zuhülfenahme eines Hartnack’schen Immersionssystemes aus- geführte Messung ergab an einer 0,0064 Mm. breiten Termi- nalfaser in dem Pacinischen Körperchen von der Katze eine Dicke der Scheide von etwa 0,0008 Mm. Keferstein hat gleichfalls die doppelten Contouren der Terminalfaser beob- achtet und ihre gegenseitige Entfernung gemessen. Der im frischen Zustande hell und homogen erscheinende Axencylin- der wird unter der Einwirkung verschiedener Reagentien gra- nulirt, weniger durchsichtig und dadurch deutlicher hervortre- tend, unter Anderem auch durch 35procentige Kalilauge, wäh- rend verdünnte Kalilösung ihn zu zerstören scheint; doch er- hält sich auch in letzterer die ziemlich resistente Scheide durch längere Zeit. Es ist nicht unmöglich, dass nach Verflüssigung Ein Beitrag: zur Histologie der Paeinischen Körperchen. 29] des Axencylinders durch schwache Kalilösung innerhalb der Scheide zuweilen Strömungen entstehen können. — ; Einmal nur ist es mir gelungen, ein grösseres Körperchen bei der Katze aufzufinden, welches eine am Ende gabelförmig getheilte Terminalfaser enthielt; die beiden Enden waren aber jedes von seinem eigenen Innenkolben umgeben, indem der letztere sich an seinem Ende gleichfalls getheilt hatte. — Ueberall wo das Ende der Terminalfaser deutlich zu sehen war, fand ich stets eine einfache knopfförmige Anschwellung; nur einmal sah ich inmitten derselben ein scharf markirtes rundliches Gebilde, welches sich ganz so darstellte, wie eine kleine Höhlung innerhalb des Knöpfchens; eine nähere Unter- suchung desselben liess sich nicht ausführen. — Warschau, den 9. April 1864. 222 Dr. Karl Harpeck: Ueber die Bedeutung der nach Silberimprägnation auftretenden weissen lücken- und spaltähnlichen Figuren in der Öornea. Von Dr. KArıL HARPECK, Assistent am physiologischen Institute zu Breslau. Hierzu Taf. IV. A, Seit längerer Zeit mit einer Arbeit über die Cornea be- schäftigt, war es für mich von grossem Interesse, bei einer kurzen Anwesenheit in Berlin durch die Güte des Herrn v. Recklingshausen selbst die von ihm angewandte Methode der Silberimprägnation kennen zu lernen, um die von diesem Autor !) aufgestellten neuen Ansichten von den Saftcanälchen der Hornhaut in das Bereich meiner Arbeit zu ziehen. Da die Ergebnisse meiner Untersuchung wesentlich andere sind, als die des genannten Autors, so ziehe ich es vor, sie schon vorläufig zu veröffentlichen. Ich schicke voraus, dass ich mich genau an v. Recklingshausen’s Methode gehalten und fast ausschliesslich die Cornea vom Frosch benutzt habe, welche man, nachdem das ausgeschnittene Auge heissen Wasserdäm- pfen zur Entfernung des Epithels ausgesetzt war und etwa eine Minute lang in der 1:400 starken Lösung von Höllen- 1) Die Lymphgefässe und ihre Beziehung zum Bindegewebe, mann Ueber die Bedeutung der nach Silberimprägnation u. s. w. 223 stein gelegen hat; ausschneidet und von der Oberfläche her betrachtet, An Präparaten, die auf diese Weise gewonnen werden, sieht man in der durch den Silberniederschlag mehr oder we- niger intensiv braun gefärbten Grundsubstanz weisse Figuren auftreten von dem Aussehen von weiteren und engeren weis- sen Lücken und mit ihnen zusammenhängenden gröberen und feineren Spalten. Die Form dieser anscheinenden Lücken ist bald mehr rundlich, oval oder elliptisch, bald sind sie läng- lich, schmal, nach beiden Enden spitz ausgezogen; von ihnen aus nach allen Seiten, und zwar an den mehr rundlichen meist in radiärer Richtung, an den länglichen unter rechten Winkeln feine weisse Spalten an ihrem Ursprunge mit bogigter Begren- zung, so dass sich die braun gefärbte Zwischensubstanz gegen die grösseren Lücken mit convexem Rande absetzt. (Fig. 1. a, b.) Diese weissen Spalten enden entweder fein zugespitzt in der braunen Grundsubstanz oder setzen sich in feine dunkle Linien fort oder sie treten in Verbindung mit andern benach- barten Lücken. In ihrem Verlauf gehen von ihnen meist un- ter rechten Winkeln Seitenspalten ab, die ebenfalls auf die beschriebene Weise enden, Die Zwischensubstanz ist diffus braun gefärbt, von etwas glänzendem Aussehen und setzt sich an den Lücken und grösseren Spalten stets mit scharfer Be- grenzung ab, zuweilen sieht man eine doppelte Contour, von denen beim Heben und Senken des Tubus bald die eine, bald die andere verschwindet. In Bezug auf Lage und Grösse, liegen diese Lücken bald näher bald weiter auseinander, bald sind sie grösser bald kleiner und ebenso sind: die mit ihnen zusammenhängenden Spalten weiter oder enger, so dass die Masse der zwischen ihnen gelegenen braunen Grundsubstanz, je nachdem die lücken- und spaltenähnlichen weissen Figuren kleiner oder grösser sind, bald überwiegt, bald gegen diese zurücktritt. Eine bestimmte Anordnung lässt sich in der Vertheilung der einzelnen Lücken meistens nicht erken- nen, sondern sie liegen gleichmässig über die ganze Grund- substanz vertheilt, in andern Fällen sind die grösseren, be- sonders die länglichen Lücken mit ihren Längsachsen einan- 224 Dr. Karl Harpeck: der parallel; da nun, wie oben erwähnt, die Spalten meist in radiärer Richtung oder unter rechten Winkeln von den Lücken abgehen, so gewinnen die Bilder, wo rundliche Lücken vor- herrschen, eine grosse Aehnlichkeit mit Knochenkörperchen und ihren Ausläufern, (Fig. 1. a) während da, wo längliche Lücken, die Grundsubstanz durch diese und die von ihnen rechtwinklig abgehenden Spalten in grössere und kleinere recht- winklige braune Felder mit abgerundeten Ecken abgetheilt erscheint. (Fig. 1. b.) Alle diese Formen finden sich nicht nur in den oberen, sondern auch in den tieferen Schichten an der Hornhaut. Ausser diesen schon von v. Recklingshausen beschrie- benen Formen der lücken- und spaltenähnlichen Figuren, welche sich durch die scharfe Contourirung und diffus braune Färbung der zwischen ihnen befindlichen Grundsubstanz cha- rakterisiren, finden sich daneben bald an demselben Präpa- rate, bald an andern ausschliesslich Bilder von ganz verschie- denem Aussehen vor. Bald nur an einzelnen Stellen, bald über das ganze Prä- parat ist das Gesichtsfeld durch dunkle Linien in mehr oder weniger regelmässig fünfeckige Felder von ziemlich gleicher Grösse getheilt. Die Begrenzung ist nur. in seltenen Fällen eine geradlinige, meist wird sie von zackigen gezähnelten Li- nien von einfacher Contour gebildet, die sich durch dunkle Färbung von abgelagertem Silber markiren. Diese Felder haben durch ihre Anordnung eine grosse Aehnlichkeit mit Pflasterepithel und gleichen in ihrem Aussehen den von v. Recklingshausen und Tommari') abgebildeten und als Contouren des Epithels der Lymphgefässe im Zwerchfell und Hoden beschriebenen Figuren. Gleichwohl ist hier an eine Verwechselung mit dem Epithel der Hornhaut nicht zu den- ken, weil dieses ein ganz anderes Aussehen darbietet. Die Felder sind insbesondere weit grösser als die Epithelzellen, sie lassen keinen Kern erkennen, gehen unmittelbar in Felder 1) Ueber den Ursprung der Lympbgefässe, Virchow’s Archiv, Bd, 28., Heft 3. u. 4, Ueber die Bedeutung der nach Silberimprägnation u. s. w. 225 von anderer Begrenzung über, kommen in den verschieden- sten Lagen der Hornhaut vor und waren überdem von dem Hornhautepithel, wo es zufällig stehen geblieben war, deutlich zu unterscheiden. Die Felder selbst sind entweder gleich- mässig schwach gelblich bis bräunlich, meistens nur an der Peripherie in einer verschieden breiten Zone pigmentirt, die allmählich in den helleren oder farblosen Oentraltheil übergeht. (Fig. 2. A, a., Fig.3. a.) An diesen Feldern lassen sich nun folgende Veränderungen verfolgen. Die Grenzen der einzelnen benachbarten Felder treten immer mehr auseinander, jedes ein- zelne Feld lässt seine besondere gezähnelte Begrenzungslinie erkennen; die Zähnelungen des Randes werden immer tiefer, gehen in feine Spalten über, die einzelnen Felder treten immer weiter auseinander, so dass zuletzt zwischen ihnen statt der dunklen gezähnelten Linien schmale weisse Lücken mit seit- lichen Ausbuchtungen zwischen den einzelnen Zacken auftre- ten. Gleichzeitig mit diesen Veränderungen schreitet die braune Pigmentirung von der Peripherie der Felder nach der Mitte zu vor, so dass diese gleichmässig oder an der Peripherie dunk- ler, in der Mitte heller braun gefärbt erscheinen; häufig setzt die Färbung anscheinend scharf in einer ziemlich gleich brei- ten Rand-Zone gegen die Mitte ab, so dass ein rundlicher oder ovaler heller Fleck in der Mitte eines Feldes übrig bleibt. (Fig. 2. a) Die Randbegrenzung dieser Felder hat niemals die scharfe dunkle Contour, wie von der Zwischensubstanz zwischen den oben beschriebenen Lücken und Spalten erwähnt wurde; die zwischen den Feldern auftretenden weissen Lücken treten darum nicht so scharf hervor und sind viel kleiner als jene, ebenso ist die Färbung der Felder nie eine diffuse, son- dern, wie man bei stärkeren Vergrösserungen sieht, immer eine feinkörnig punctirte, die denselben ein mattes Ansehen giebt. Hierbei erkennt man auch, dass die bei kleineren Vergrösse- rungen sichtbare scharfe Begrenzung des helleren Centralflecks nur der optische Ausdruck der Abgrenzung des feinkörnigen Niederschlags in der peripheren Zone ist. Häufig kommen in diesen polygonalen Feldern noch feine scharf markirte dunkle Linien vor, durch welche jedes Feld wieder in kleinere ge- 226 Dr, Karl Harpeck: 2 theilt wird. (Fig. 3. b, ce.) Wo die einzelnen grösseren Fel- der durch weisse Lücken von einander getrennt sind, tritt auch im Innern eine feine weisse spaltähnliche Zeichnung zwischen den secundären Feldern an Stelle der dunklen Linien auf. Wie hier in bestimmter Regelmässigkeit, so treten an an- dern Präparaten Linien und Lücken von demselben Aussehen in unregelmässiger Weise in der Grundsubstanz auf. So zie- hen zackige Linien von dem Aussehen der die fünfeckigen Felder begrenzenden in vielfachen unregelmässigen Windungen durch die Grundsubstanz und theilen sie in unregelmässig be- srenzte Felder ab. An andern Stellen treten hier und da in der Grundsubstanz ohne jede Regelmässigkeit gerade oder ge- bogene dunkle Linien von verschiedener Länge auf. Von die- sen Linien gehen andere in senkrechter Richtung zu ihnen tiefer im die Felder hinein und verbinden sich öfters durch Querlinien mit einander. (Fig. 2. b.) Wie an der Grenze der fünfeckigen Felder, so beginnt auch hier von diesen Linien aus die braune Pigmentirung, während die übrige Grundsub- stanz ungefärbt bleibt. Es werden nur einzelne kleine meist rechtwinklig von dunklen Linien begrenzte Bezirke der Grund- substanz gefärbt, welche sich nach der einen Seite in die un- gefärbte Hauptmasse der Grundsubstanz fortsetzen oder, wern die erwähnten Verbindungslinien vorhanden sind, scharf von der Umgebung als kleine mattbraune polygonale Felder nach allen Seiten durch dunkle Linien abgegrenzt sind. An andern Stellen wird die Grundsubstanz in grösserer Ausdehnung von zahlreichen dunklen Linien in kleine eckige mattbraun gefärbte Felder getheilt, während in andern Fällen erst grössere Ab- theilungen von unregelmässiger Form sich durch die dunklen Linien begrenzt markiren, die erst wieder wie bei manehen fünfeckigen Feldern in diese kleineren abgetheilt werden. Bei . allen diesen kleineren Feldern ist die Pigmentirung meist eine gleichmässigee An allen diesen Bildern treten an Stelle der dunklen Linien feinere oder gröbere weisse Spalten mit zacki- ger oder gerader Begrenzung auf, so wie es 'bei den fünfecki- gen Feldern beschrieben wurde. Sehr oft trifft man diese verschiedenen Formen, so wie sie beschrieben wurden, geson- Ueber die Bedeutung der nach Silberimprägnation u, s, w. 297 dert an verschiedenen Präparaten oder doch an von einander entfernten Stellen desselben, eben so oft gehen aber alle diese Formen in einander über. So setzen sich die zackigen Grenz- linien der fünfeckigen Felder unmittelbar in die in unregel- mässigen Windungen verlaufenden Zackenlinien fort, eine grössere durch gröbere und feinere Linien oder Spalten in grosse und kleine Felder mit geradlinigter Begrenzung abge- theilte Fläche der braunen Grundsubstanz wird nach der einen Seite von zackigen Linien oder Spalten begrenzt, die mit an- dern die erwähnten fünfeckigen Felder abtheilen. Welche For- men auch immer diese Linien und Spalten, so wie die zwischen ihnen gelegenen Abschnitte der Grundsubstanz haben, immer zeigt die Grundsubstanz nicht die diffuse braune Farbe, wie bei den zuerst beschriebenen Bildern, sondern die Färbung ist eine feinpunctirte, das Aussehen ein mattes; sie setzt sich fer- ner gegen die weissen lücken- und spaltähnlichen Figuren nicht mit so scharfer dunkler Contour ab, und die weissen Lücken selbst sind weit kleiner und enger als bei den zuerst beschriebenen Formen. Was nun das Vorkommen aller dieser Formen anbetrifft, die sich durch mattes Aussehen der feinkörnig pigmentirten Zwischensubstanz, Mangel einer scharfen Grenzcontour gegen die zwischen ihnen auftretenden kleinen hellen spaltähnlichen Figuren charakterisiren, so erhält man nur selten Präparate, in denen sie ausschliesslich vorkommen; meist kommen sie mit denen der zuerst beschriebenen Art vor und in andern fehlen sie gänzlich. Einen grossen Einfluss auf ihr Auftreten hat die grössere oder geringere Intensität, mit der man das heisse Wasser zur Entfernung des Epithels anwendet, denn die Präparate, in denen sie ausschliesslich vorkamen, waren immer solche, bei denen das heisse Wasser auf die vorsich- tigste und schonendste Weise angewendet worden war. Kom- men.diese Formen neben denen der ersten Art vor, dann lie- gen sie in den allermeisten Fällen unter ihnen in den tieferen Schiehten an der Hornhaut, und zwar liegen sie oft so dieht unter ihnen, dass man sie durch die grossen weissen lückenähnlichen Figuren hindurchsehimmern sieht; man erhält hierbei oft Bil- 328 Dr. Karl Harpeck: der, wo die weissen Lücken von einer mattbraunen Masse ausgefüllt zu sein scheinen; erst bei scharfer Einstellung des Mikroskopes überzeugt man sich, dass diese scheinbare Inhalts- masse nicht mit den grossen Lücken in einer Ebene liegt, son- dern einer tieferen Schicht angehört. Sehr viel seltener erhält man Präparate, in denen die Formen beider Arten in dersel- ben Ebene liegen, und hier kann man sich deutlich überzeu- gen, dass beide Formen in einander übergehen. (Fig. 2. B.) Man sieht dann in der mattbraunen Zwischensubstanz, die von dunklen Linien oder feinen weissen Spalten in mehr oder we- niger regelmässigen Weise durchzogen ist, an einzelnen Stel- len die diffuse glänzend braune Färbung und scharfe Contou- rirung derselben gegen die Spalten auftreten. Gleichzeitig be- merkt man dort, wo in der mattbraunen Zwischensubstanz dunkle Linien sind, an den diffus gefärbten Stellen feine scharf begrenzte Spalten; die schon vorhandenen sind auf Kosten der benachbarten Grundsubstanz breiter und tiefer geworden. Die Spalten und Lücken treten an diesen Stellen überall schärfer hervor und haben mit diesen Veränderungen das charakteri- stische Aussehen der zuerst beschriebenen bekommen. Oefters ist z. B. die eine Seite eines fünfeckigen Feldes noch von dem ursprünglichen matten Aussehen, während sich in den an- dern die Grundsubstanz schon diffus braun gefärbt zeigt und mit scharfer Grenze gegen die grösser gewordenen Lücken und Spalten absetzt. Wo die Felder selbst wieder in kleinere ab- getheilt sind, sieht man zuerst die Grenzen der grösseren die beschriebene Veränderung erleiden, während der mittlere Theil noch sein früheres Aussehen hat; an anderen Stellen haben dann auch die kleineren Felder sich mehr von einander ent- fernt, ihre Grenzcontouren sind scharf und die weissen Lücken und Spalten zwischen ihnen haben das Aussehen der grösse- ren. (Fig. 3. c.) Zuweilen ist nur der Rand eines grösseren Feldes glänzend braun und scharf contourirt und solche Fel- der haben den Anschein, als ob eine mattbraune Inhaltsmasse von einem schmalen scharf contourirten ringförmigen Saume umgeben wäre. (Fig. 2. B.) Diese beschriebenen Veränderungen gehen selbst noch wei- Ueber die Bedeutung der nach Silberimprägnation u. s. w. 9299 ter vor sich, wenn die Präparate ohne gehörigen Abschluss des Tageslichtes aufbewahrt werden, denn sehr oft findet man an Präparaten diesen Uebergang, der anfangs nur an einzel- nen Stellen zu beobachten war, nach einigen Tagen schon sehr verbreitet, zuweilen ist überall in dieser Zeit die Verän- derung vor sich gegangen. Ebenso findet man auch an Prä- paraten mit den grossen Lücken und Spalten oft, dass die Zahl der weissen Spalten in der braunen Grundsubstanz nach einiger Zeit zugenommen hat. Was nun die Deutung dieser durch die Silberimprägnation gewonnenen Bilder betrifft, so hat bekanntlich v. Recklings- hausen, welcher diese Präparation methodisch anwenden lehrte, die von ihm zuerst beschriebenen lücken- und spaltähn- lichen Figuren der ersten Art als ein Saftcanälchen genanntes Canalnetz aufgefasst mit Anschwellungen in den Knotenpunc- ten, in welchen die sternförmigen Hornhautkörperchen liegen. Was ihre Form und besonders ihr Verhältniss zu der braun gefärbten Zwischensubstanz betrifft, so ist oben schon ange- führt, wie namentlich in Bezug auf letzteres eine grosse Ver- schiedenheit an den verschiedenen Präparaten in der Art statt- findet, dass bald die braune Zwischensubstanz überwiegt, bald dagegen so bedeutend zurücktritt, dass sie nur in kleinen ob- longen Feldern zwischen grossen weissen lücken- und spalt- ähnlichen Figuren auftritt. Schon diese Inconstanz scheint mir gegen die Existenz der Saftcanäle zu sprechen. Der andern Art der oben beschriebenen Formen macht v. Recklings- hausen keine Erwähnung. So sehr sich diese Bilder auch von jenen ersten unterscheiden, so stellen sie doch ebenfalls durch dunkel pigmentirte Linien oder kleinere weisse lücken- und spaltähnliche Figuren abgetheilte Bezirke einer bräunlich gefärbten Grundsubstanz dar. Auf ihr Vorkommen ist von Einfluss die Energie der Einwirkung des heissen Wassers, Wenn sie mit den anderen Formen in einer Ebene liegen, kann man beobachten, wie sie dasselbe Aussehen annehmen, Offen- bar entstehen jene kleinen spaltähnlichen weissen Figuren zwischen den verschiedenen bräunlichen Feldern aus den die- selben an anderen Stellen begrenzenden dunklen Linien. Diese 230 Dr. Karl Harpeck: können aber nur für feine Einrisse, welehe von niedergeschla- genem Silber dunkel gefärbt sind, gehalten werden; denn dass sie der Cornea nicht ursprünglich angehören, sondern Kunst- producte sind, dafür spricht sowohl die grosse Verschiedenheit in ihrem Auftreten und ihrem Verlauf, als auch die Abhängig- keit ihres Vorkommens von der Intensität des heissen Was- sers. Sobald die Einrisse grösser werden, tritt zwischen zwei benachbarten Feldern eine kleine helle Spalte auf, in der man* eine tiefer gelegene ungefärbte Lage der Grundsubstanz sieht Veranlassung zu ihrem Entstehen giebt sowohl die Behandlung mit heissem Wasser zur Entfernung des Epithels, die eine Schrumpfung, der betroffenen Theile der Hornhaut und darum auch, besonders da dieselbe bei dieser Procedur mit dem Auge in Zusammenhang bleibt, Einrisse bedingen muss, als auch die darauf folgende Einwirkung der Silbersolution; denn wie oben bemerkt wurde, treten oft an Stellen, wo anfangs nur dunkle Linien zu erkennen waren, nachträglich noch helle Spalten auf. Je stärker die Einwirkung war, desto grösser werden die Lücken und Spalten, von der Peripherie aus drin- gen sie weiter nach dem Innern der braun gefärbten Felder; zugleich bekommt die in die Felder abgetheilte Zwischensub- stanz eine diffuse braune Farbe und scharfe Contourirung, und somit haben dann diese Figuren das Aussehen der zuerst be- schriebenen. Wenn nun aber die feinen hellen spaltähnlichen Figuren, welche die mattbraunen Felder abgrenzen, als wirk- liche Spalten aufzufassen sind, dann gilt auch dasselbe von jenen grossen ‘weissen als Canalnetz aufgefassten, da dieselben wie gezeigt wurde, aus jenen hervorgehen können. Für diese Deutung spricht auch, dass selbst an diesen Präparaten die Spaltbildung nachträglich bei Einwirkung des Lichtes in vor- her freien Bezirken der braunen Grundsubstanz noch weiter geht. Nicht selten hat man aber auch Gelegenheit Bilder zu beobachten, die nach ihrem optischen Verhalten nur durch Einrisse einer oberflächlichen Schicht erklärt werden können. Man sieht nämlich an Stellen, wo das Gesichtsfeld in die beschriebenen fünfeckigen Felder abgetheilt erscheint, in der zackigen Grenzlinie zweier benachbarter Felder oder an der Ueber die Bedeutung der nach Silberimprägnation u. s. w. 231 Stelle, wo mehrere zusammenstossen, öfters kleine oder grös- sere rundliche oder ovale helle Lücken mit scharfer doppelt contourirter Randbegrenzung. (Fig. 3. d.) Beim Heben des Tubus tritt statt der inneren Contour ein zackiger Innenrand auf, der sich scharf gegen die Lücke absetzt, während die äussere Contour sich in das angrenzende Feld verliert. In ihnen sieht man zuweilen kleinere von einfacher Contour liegen. Diese Lücken werden durch tiefere Einbuchtungen der Ränder auf Kosten der umgebenden Felder grösser, ihre Rand- begrenzung zeigt die diffuse braune Färbung. Zuweilen treten diese Lücken auch auf, ohne dass die zwischen ihnen gelegene Grundsubstanz in die mehrerwähnten Felder abgetheilt ist, in anderen Fällen sieht man bei tieferer Einstellung des Mikro- skopes die Zeichnungen der Felder darunter liegen. Unabhän- gig von der Art des Vorkommens ist ihr Aussehen, — bedingt durch den scharfen und bei dem grösseren gezackten und aus- gebuchteten Rand, — immer dasselbe und gleicht vollkommen dem der als Canalnetz gedeuteten Lücken und Spalten. Schon das Auftreten in der Grenzlinie der fünfeckigen Felder, mehr noch aber ihr optisches Verhalten spricht dafür, dass diese runden oder ovalen hellen Figuren wirkliche durch Einrisse entstandene Lücken sind. Wie oben bemerkt wurde, sieht man an den grösseren bei Höherstellung des Tubus den Rand ausgebuchtet und gezackt, es müssen also diese braunen Zacken nach der Lücke zu in die Höhe steigen, während sie nach Aussen in die Ebene der umgebenden braunen Felder über- gehen, sie müssen also von den tieferen T'heilen abgelöst sein. In der That erkennt man auch deutlich an einzelnen grossen Lücken bei verschiedener Einstellung, wie der sie begrenzende Rand der braun gefärbten Zwischensubstanz in buchtiger Con- tour bier und da tutenartig in die Höhe steht. Man sieht bald die vorgewölbte braune Oberfläche der abgelösten Randschicht, bald ihre hellere Innenfläche, wo sich der Rand zurückgeschla- gen hat, und eine innere in der Lücke gelegene ovale Contour giebt die Grenze an, bis wohin der Randsaum sich von den darunter gelegenen Theilen abgelöst hat. (Fig, 3. e) Es tre- ten also nach der Silberimprägnation in den verschiedenen 232 Dr. Karl Harpeck: Schichten an der Hornhaut bald die von v. Recklingshausen zuerst beschriebenen scharf contourirten weissen lücken- und spaltähnlichen Figuren bald eine feinere spaltähnliche Zeich- nung zwischen den verschieden geformten Feldern der Grund- substanz auf. Wenn beiderlei Formen in einem Präparate vorkommen, liegen die letzteren in den allermeisten Fällen in den tieferen Schichten ; wo die der zweiten Art allein auftreten, war die Einwirkung des heissen Wassers bei Entfernung des Epithels eine schwache. Die Spalten gehen bei beiden Arten in dunkle Linien aus; die Formen der zweiten Art lassen das Entstehen der spaltähnlichen Figuren aus dunklen Linien er- kennen, die nur für feine Einrisse der Grundsubstanz gehalten werden können. Die Formen der zweiten Art gehen in die der zuerst beschriebenen über. Die Spaltbildung geht auch noch an aufbewahrten Präparaten unter Einwirkung des Lich- tes weiter. Endlich sieht man die grossen lückenähnlichen weissen Figuren aus runden oder ovalen entstehen, die nach ihrem optischen Verhalten nur als durch Einrisse entstandene Lücken zu betrachten sind. Somit stellt sich als das Ergebniss dieser Untersuchung heraus, dass jene von v. Recklingshausen als Saftcanäle mit erweiterten Knotenpuncten gedeuteten lücken- und spalt- ähnlichen weissen Figuren als wirkliche Lücken und Spalten der braun gefärbten Lagen an der Cornea zu betrachten sind, in denen man auch tiefere ungefärbte Schichten sieht; diese Lücken- und Spaltbildung ist bedingt durch Einrisse, zu deren Entste- hung sowohl die Einwirkung des heissen Wassers bei Entfer- nung des Epithels als auch die Silbersolution beitragen. In den erweiterten Knotenpuncten sollen sich nach v. Reck- lingshausen’s Beschreibung zuweilen die sternförmigen Horn- hautzellen als bräunliche Schollen markiren. Wahrscheinlich liegen dieser Deutung Bilder zum Grunde, welche oben von mir ebenfalls beschrieben sind, wo entweder ein Bezirk matt- brauner Zwischensubstanz am Rande in einer sich scharf abgren- zenden peripherischen Zone diffus gefärbt ist und scharfe Con- touren bekommen hat oder wo man in einer grösseren weissen Ueber die Bedeutung der nach Silberimpraegnation u. s. w. 233 / Lücke auf einen mattbraunen kleineren Bezirk einer dicht dar- unter gelegenen Schicht sieht. | Was die Form und Bedeutung der Re. selbst betrifft, so ist, obschon nach Strube, Virchow und His die Sternform vielfach als die ursprüngliche angenommen wird, auch in dieser Richtung die Hornhaut vielfach von mir unter- sucht worden, und nach diesen Untersuchungen, die ich dem- nächst zu veröffentlichen beabsichtige, ist diese Form doch nur eine durch Einwirkung verschiedener Agentien künstlich er- zeugte. Die Hornhautkörper stellen vielmehr an frisch untersuchten Hornhäuten grosse, rundliche, mattglänzende Zellen dar mit einem scharf contou- rirten, ovalen, feingekörnten Kerne, und einem voll- kommen durchsichtigen, das Licht stark brechen- den, etwas zähflüssigen Inhalte; sie liegen auf senkrechten Schnitten in parallelen Reihen. Die Form der Hornhautkörperchen ist veränderlich durch alle Mittel, welche eine Quellung oder Schrumpfung der Grundsubstanz bedingen, so wie durch Druck und Zerrung derselben, in Folge dessen der etwas zähflüssige Inhalt nach Zerstörung der Membran der Knorpelhöhle öfter in sternförmi- ger Configuraiion zwischen die Lamellen und in die durch Druck und Zerrung entstandenen Lücken der Grundsubstanz ‘ eindrängt. Isolation der Zellen ist mir nie gelungen, sondern nur der Kerne. Erklärung der Abbildungen von Silberpräparaten der Froschhornhaut. Fig. 1. Die grossen hellen Lücken und Spalten, von denen sich die diffus braun gefärbte Zwischensubstanz mit scharfer dunkler Con- tour abgrenzt. Bei a) ist die Form der Lücken mehr rundlich, bei b) länglich, bei c) ist die Zerklüftung der Grundsubstanz noch stärker, sie wird in kleine Felder zerlegt. Fig. 2. A) Formen der zweiten Art, die sich durch mattes Aus- sehen der feinkörnig pigmentirten Grundsubstanz, welche durch dunkle Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv, 1864, 16 234 Dr. Karl Harpeck: Linien und feine weisse Lücken und Spalten in mehr oder weniger regelmässige Felder abgetheilt ist, charakterisiren. a) fünfekige Felder mit ausgebuchtetem Rande. b) unregelmässige eckige kleine Felder, die bald von allen Seiten durch dunkle Linien oder feine helle Spal- ten begrenzt sind, bald nach einer Seite hin mit grösseren Abschnitten der Grundsubstanz zusammenhängen. B) Uebergang dieser Formen in jene der ersten Art. Die Spalten sind grösser geworden, treten überall scharf hervor, die durchweg oder nur am Rande diffus gefärb- ten Felder der Grundsubstanz haben die dunkle scharfe Contourirung angenommen. Fig. 3. a) Die durch dunkle gezähnelte Linien abgetheilten fünf- eckigen Felder der Grundsubstanz. Bei b) treten im Innern derselben dunkle Linien auf, durch welche die grösseren Felder wieder in klei- nere zerfallen. Bei c) weichen die grösseren Felder auseinander, an Stelle der dunklen zackigen Linien sind weisse Spalten, dasselbe ge- schieht im Innern der grösseren Felder. In der Umgebung der Spal- ten hat die Grundsubstanz die diffuse Farbe und scharfe Contourirung angenommen. Die Lücken und Spalten treten scharf hervor und glei- chen in ihrem Aussehen denen der 1. Figur. d) Kleinere und grös- sere rundliche und ovale helle Lücken der grösseren mit zackigem In- nenrande. Bei e) ein grosser ovaler Einriss der braun gefärbten Schicht, deren Rand sich tutenartig vorwölbt. Dr. R. Hartmann: Ueber die durch d. Gebrauch der u, s. w. 235 Ueber die durch den Gebrauch der Höllenstein- lösung künstlich dargestellten Lymphgefässanhänge, Saftcanälchen und epithelähnlichen Bildungen. Von Dr. R. Hartmann. (Hierzu Taf. VI. B. Fig. 1—20.) Schon früher habe ich es mir zu der keineswegs sehr an- genehmen Aufgabe gemacht, die durch verfehlte Anwendung der Lösungen von Chromsäure und doppelt chromsaurem Kali auf Epithelbildungen erzeugten Kunstproducte zu erörtern und die dadurch hervorgerufenen irrthümlichen Anschauungen nach- drücklichst zu bekämpfen. In vorliegender Arbeit liegt es mir ob — und das ist noch weniger angenehm — die durch Silber- lösung angeblich darstellbaren, sogenannten Epithelien, auch der Lymphgefässe, einer Kritik zu unterwerfen. Noch we- niger angenehm sage ich, weil man es, bei diesen sogenannten Lymphepithelien, nicht einmal mit wirklichen Organtheilen, nicht mit und durch Reagentien veränderten Epithelialbildun- gen, sondern, wie sich aus dem Verlaufe meiner Untersuchung ergeben wird, mit Phänomenen eines eigenthümlich geformten Niederschlages zu thun hat. Es sind also in neuerer Zeit Versuche gemacht worden, durch färbende Imprägnation von Geweben mit Höllenstein- lösung in diesen. Strukturverhältnisse anschaulich zu machen, welche sich nach den auf andere Weise in Anwendung ge- brachten Methoden vorgeblich unserer Beobachtung bisher ent- 16* 236 Dr. R. Hartmann: zogen haben sollten. So hat Prof. v. Recklinghausen versucht, durch Färbung dieser und jener Theile des thierischen Körpers die Lymphgefässe derselben und in ihnen, selbst in den feinsten Aesten, Epithelien nachzuweisen. Die Haupt- sätze der v. Recklinghausen’schen Arbeiten über diesen Gegenstand lassen sich in folgender Weise zusammenstellen: In kleinen Venen und Lymphgefässen treten nach Behandlung mit Höllensteinlösung die Figuren der die Gefässe auskleiden- den Epithelzellen mit solcher Deutlichkeit hervor, dass sie gleich der besten Injection gestatten, den Verlauf der Gefässe, also auch der Lymphgefässe, zu konstatiren. Letztere stechen hervor durch ihre Ausbuchtungen, durch den kurvenartigen, seltener geradlinigen Verlauf der Wand u. s. w. en. Uebereinstimmend in Blut- wie in Lymphgefässen sind die Epithelzellen derselben von spindelförmiger Gestalt und durch den geschlängelten Verlauf ihrer Begrenzungslinien vor anderen Epithelien ausgezeichnet. Ein solches Epithel will v. Reck- linghausen also nun mit Hülfe der Silberimprägnation bis in die feinsten Lymphvefässe verfolgt haben und zwar in Gefässe, von denen er beweisen zu können glaubte, dass sie wirklich Endäste des Systemes seien. Ferner. glaubte v. Reck- linghausen den Zusammenhang zwischen sogenannten Saft- canälchen, d. h. „Netzwerke bildenden, wandungslosen Aus- grabungen des Bindegewebes, in deren Lumen erst die eigent- lichen Bindegewebskörper lagern“ und den Lymphgefässur- sprüngen durch Silberimprägnation nachweisen zu können. Die Verbindung zwischen ersteren und letzteren soll dergestalt stattfinden, dass z. B. im Zwerchfell des Meerschweinchens die Safteanälchen zu den mit Epithel versehenen Lymphgefäss- anhängen zusammenfliessen!! v. Recklinghausen suchte die Ueberzeugung zu gewinnen, dass das Saftcanalsystem mit den feinsten Aesten der Lymphgefässe direct communieire. v.Recklinghausen’s Ansichten fanden von Seite Henle’s lebhaften Widerspruch.!) Dagegen glaubte His der Aufstel- 1) Bericht über die Fortschritte der Anatomie im Jahre 1862. S. 86, 87. Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 937 lung v. Recklinghausen’s, dass ein Epithel in den feine- ren Lymphgefässen (des Diaphragma) vorkomme, „vollkom- men beistimmen zu müssen.*!) Die Zeichnung des Epithels sei, so sagt His, von einer beinahe erschreckenden Schärfe und Handgreiflichkeit: Schon mit blossem Auge erkenne man auf dunklem Grunde im Centrum tendineum ein helles Netz- werk von stellenweise bedeutender Dichtigkeit; aus ihm ent- wickelten sich am Rande stärkere Stämmchen mit reichlichen knotigen Auftreibungen. (S. 456.) „Betrachtet man nun“, fährt His fort, „bei stärkerer Vergrösserung einen epithelfreien Flachschnitt der mit Silber behandelten Membran, so falle so- fort an den Lymphcanälen jene feine netzförmige Zeichnung in die Augen, die v. Recklinghausen zuerst gesehen und für den Ausdruck eines die Lymphgefässe auskleidenden Pflas- terepithels erklärt habe. Die Zeichnung besitze, wenigstens in den feineren Gefässstämmchen, etwas durchaus eigenthüm- liches und keune er — His — im Bereich der thierischen Histologie nichts analoges. Es sei ein Mosaik kleiner, von stark gebogenen Wellenlinien umfasster zackiger Felder, das am ehesten noch etwa mit manchen pflanzlichen Epidermisbil- dungen verglichen werden könne. Die Zacken der einzelnen Felder griffen genau ineinander und die Grenzlinien seien sehr fein und scharf gezogen. Verfolge man das Mosaik genauer, so überzeuge man sich, dass es in einfacher Lage den ganzen Lymphcanal auskleide. In den feineren Stämmchen sei die allgemeine Form der Felder eine der rundlichen sich nähernde; in den grösseren Stämmchen werde sie mehr langgestreckt, und je stärker jene, um so mehr verlören sich die Ausbuchtungen der einzelnen Felder, um so mehr nähmen die letzteren die Form von abgestutzten Spindeln an.“ (Ebendas.) Gerade mit einer Arbeit über die Strukturverhältnisse des Lymphgefässsystems beschäftigt, habe ich ebenfalls die geschil- derten Untersuchungen F. v. Recklinghausen’s in Obacht 1) Ueber das Epithel der Lymphgefässwurzeln und über die von Recklinghausen’schen Safteanälchen. Zeitschrift f. wissenschaft, Zoologie. 13. Bd. S, 456, 457, 238 Dr, R. Hartmann: genommen. Gleichzeitig hat Dr. Harpeck Versuche über die angeblichen Saftcanälchen der Hornhaut angestellt und die Resultate derselben im vorhergehenden Aufsatze niedergelegt. Die Hauptergebnisse der Harpeck’schen und meiner eigenen Studien hat Herr Reichert in der Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin im April 1864 mitgetheilt und an Präparaten vor einer grösseren Anzahl von Naturforschern demonstrirt. Hierüber giebt das gedruckte Protokoll der erwähnten Sitzung Auskunft. Noch vor Beendigung des Druckes dieser meiner Arbeit hatte Dr. Ehlers in Göttingen die Freundlichkeit, mir einen vom Studiosus Adler aus Kiel verfassten Aufsatz über den nämlichen Gegenstand zu übersenden.!) Adler, völlig unabhängig von Harpeck und mir, ist im Allgemeinen zu ähnlichen Resultaten gelangt, wie wir beide. Mein Beobachtungsmaterial bestand im Oentrum ten- dineum des Zwerchfelles, von Meerschweinchen, Kaninchen und 3—5 Zoll langen Schaffoetus, in der Länge nach gespal- tenen Nabelschnuren der letzteren, in Darmzotten vom Schaf und Kalb, in der Aorta vom Kalb u. s. w. Diese Theile wurden unter Humor aqueus, pericardialem Transsudat durch Pinseln ihres Epithels beraubt und so frisch wie möglich in einer Lösung von Argent. nitr. 1) 1:50, 2) 1:100, 3) 1:200, 4) 1:400, 1:800 Th. destill. Wasser eingetaucht. Die Dauer des Eintauchens war eine verschieden lange, selbe erstreckte sich von wenigen Minuten bis auf mehrere, gar 6 oder 8 Tage. Ich will nun zunächst ausführlicher auf dasjenige einge- hen, was ich an mit Höllensteinlösung imprägnirten Zwerch- fellen des Meerschweinchens und des Schaffoetus beobachtet. Frisch getödteten Thieren (frischen Foetus) wurde das Zwerch- fell ausgeschnitten, diesem wurde durch Pinseln unter frischem Transsudat das Epithel genommen und wurden Stücke des Centrum tendineum, vom eigenen Safte durchtränkt, durch 1, 2, 3, 5 und mehr Tage in eine Lösung von Arg.nitr. 1) 1:50, 1) Vorläufige Mittheilung über eine mittelst Silberimbibition ge- machte Beobachtung von H. Adler etc. Taf.IX, Zeitschr, f. ratio- nelle Pathologie 1864, Extraabdruck. Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 239 2) 1:100, 3) 1:200 und 4) 1:400 gelegt. Mittelst zweitä- giger Aufbewahrung der Präparate in Lösung No. 3. erwarb ich schöne Objecte, doch auch mit anderen Lösungen, nach sehr verschiedener Dauer der Einwirkung. An zwei Tage lang mit Lösung 3 behandelten Präparaten z. B. bemerkte ich Folgendes: Auf der Oberfläche der das Centrum tendineum bildenden Fascikel gestreiften Bindegewe- bes traten hin- und hergezogene dunkelbraune und zwischen- durch helle Flecke, wenn man will, Strassen, zum Vorschein. Durch letztere, die hellen Flecke oder Strassen, liefen zahl- reiche, wellenförmig gebogene, geschlängelte Linien, die sich mannigfach durchkreuzend, ein recht zierliches Netzwerk dar- stellten. Diese Linien theilten die hellen Strassen in viele, bald mehr rundliche, bald mehr eckige, oder auch langgezo- gene, eher spindelförmig umgrenzte Felder ab. In diesen hell- braunen Strassen fanden sich hier und da gänzlich ungefärbte Flecke; solche kamen vor an der Grenze je zweier gefärbter Felder, sie waren dann, ganz so wie letztere, von dunklen Wellenlinien eingeschlossen. Aber es kamen solche ungefärb- ten Flecke auch in Mitten der hellgefärbten Felder vor und zwar bald völlig central, bald dieser oder jener der geschlän- gelten Demarcationslinien eines Feldes genähert. Dieselben hatten alsdann geringere Ausdehnung. Zuweilen lief eine ge- schlängelte Demarcationslinie mitten durch einen ungefärbten Fleck, welcher sich in zwei, drei und mehrere, aneinander- stossende, hellgefärbte Felder hinein erstreckte. Innerhalb der ungefärbten Flecke zeigten sich nicht selten kleinere, hellge- färbte Flecke, ganz vom Kolorit der umgebenden, hellbraunen Felder. Die heller gefärbten Strassen schlängelten sich, zum öftern blind endigend, mitten in die dunkelbraunen Flecke, mit denen das Bindegewebe des Centrum tendineum so dick belegt war, hinein. Helle wie dunkle Strassen waren bald durch scharfe, sowohl kreisförmige, als auch sinuöse und eckige Li- nien voneinander abgegrenzt, bald verloren sie sich in verwor- rener, verwaschener Weise ineinander. Sie bildeten oft halb- inselförmige Ausbuchtungen gegeneinander, so dass man durch 240 Dr. R. Hartmann; die Zeichnung beinahe an diejenige der Fjorde in unseren nor- wegischen Küstenkarten erinnert wurde. Dunkle Flecke der verschiedensten Form, bald scharf begrenzt von welligen, kreisförmigen oder eckigen Linien, bald allmälich sich ver- lierend, fanden sich inselartig auf den hellgefärbten, die dunk- len durchziehenden Strassen vor. (Fig. 9 a) Ganz ähnlieh den hellgefärbten zeigten sich auch die dunkelgefärbten Flecke oder Strassen von noch dunkleren, denen der helleren Strassen völlig analogen, wellenförmigen Linien in Felder abgetheilt. Diese Linien standen mit denen der hellen Strassen im voll- ständigsten Zusammenhange. Auch die dunklen Felder be- wahrten eine bald mehr kreisförmig, bald mehr eckig begrenzte, bald eine mehr langgezogene Form. Hellgefärbte Flecke, ja selbst ganz ungefärbte Stellen, waren über die dunkleren Strassen in derselben Weise vertheilt, wie dunkle über die hel- len. Das Netzwerk geschlängelter Linien ähnelte einiger- massen dem Zellennetz gewisser Pflanzengewebe, z. B. dem- jenigen der Oberhautzellen von Helleborus. Die Bilder, welche meine Präparate darboten, glichen durchaus den von v. Recklinghausen a. a. OÖ. Taf. I. Fig. I und 2, und Taf. IL. Fig. 1 und 2, sowie den von His a. a. ©. Fig. 1—6 als Epithelien der Lymphgefässe abgebildeten, von wellenför- mig verlaufenden Linien umgrenzten Feldern. Helle und dunkle Strassen, ungefärbte und dunkle Flecke in den erste- ven, hellgefärbte und ungefärbte Flecke in den letzteren, hat v. Recklinghausen in seinen Figg. 2, Taf. I. und 1 u. 2, Taf. II. völlig ebenso dargestellt, wie ich sie an meinen eige- nen Präparaten gesehen und auch in meinen Figg. 9a u. 10 abgebildet. Dergleichen Bilder habe ich nicht allein an ihres Epithels beraubten Stücken vom Centrum tendineum diaphragm., sondern auch an dem zwischen den Gefässen befindlichen, epithellosen Bindegewebe der Nabelschnur, sowie endlich auf Darmzotten und Darmstücken — nach vorheriger Entfernung des Epithels — wahrgenommen. Nach v. Recklinghau- sen’s Anschauungsweise entsprechen die hellen Strassen den Lymphgefässen, die dunklen von diesen durchzogenen Flecke dagegen der von Bindegewebe gebildeten Grundsubstanz. In Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u, s. w. 24] derselben Weise spricht sich His aus. Die wellenförmig be- grenzten Felder sollen, genannten Forschern zufolge, charak- teristische Grenzen einzelner Epithelzellen der feinen Lymph- gefässe sein. Dieselben müssten also, erwähnten Deductionen zufolge, auf die hellen Strassen, die Lymphgefässe v. Reck- linghausen’s und His’, beschränkt bleiben. Das geschieht aber nicht, vielmehr finden sich jene ganz gleichmässig in hel- len, wie in dunklen Strassen, durchziehen also auch diejeni- gen Theile des Präparates, welche von v. Recklinghau- sen und von His für (dunkelgefärbte) Grundsubstanz gehal- ten werden. Die geschlängelten Linien sind in den helleren Strassen eben nur etwas leichter wahrzunehmen, als in den dunklen. Man vergl. meine Figg. 9a, 10. v. Reckling- hausen sowohl wie His haben, ersterer in Fig. 2, Taf. I. und Fig. 1, Taf. Il., linker oberer Quadrant, stellenweise auch in Fig. 2 derselb. Taf., His in seiner Fig. 1, dies Durchzogenwer- den auch der dunklen Strassen oder Flecke von geschlängelten, netzförmig verbundenen Linien, völlig naturgetreu dargestellt. Sonderbarer Weise jedoch haben Beide im Texte gänzlich da- von geschwiegen, obgleich Jedermann, welcher sich die Mühe nimmt, die entsprechenden Versuche zu machen, ja selbst nur die Zeichnungen v. Recklinghausen’s und His zu durchmustern, sich leicht von dem durch mich dargestellten Sachverhalte überzeugen würde. Finden sich aber solche, von geschlängelten Linien gebildeten Netze in hellen und dunklen Strassen gleichmässig vor, dann wird die Annahme, dieselben seien der optische Ausdruck von Epithelien in den Lymphgefäs- sen (hellen Strassen), schon völlig unhaltbar. Wollte man nun, von diesen Verhältnissen absehend, in den genannten Figuren dennoch Lymphgefässe anerkennen, so müssten .die von ge- schlängelten Linien gebildeten Netzwerke, also die Lymphepi- thelien, in der Tiefe der Gewebe in zwei getrennten Blättern, den über einander befindlichen Wänden der Gefässe entspre- chend, sichtbar werden; es müssten also je zwei der hellen Strassen übereinander liegen, sich gegenseitig decken; man würde dann doch die Begrenzungslinien der Epithelzellen einer Wand zwischen denjenigen der anderen Wand hindurchschei- 242 Dr. R. Hartmann: nen sehen. Davon ist aber nun keine Rede. Höchstens sieht man in einem Zwerchfellpräparat den Höllensteinniederschlag sowohl der Facies pleuritica, als auch diejenige der Facies pe- ritonaealis übereinander; denn es färben sich beide Flächen gleich gut. An der Nabelschnur freilich sah ich die freilie- gende Fläche des Bindegewebes stets dicker belegt, wie die den Gefässen u. s. w. des Stranges unmittelbar anliegende. Doch zeigte auch letztere die entsprechenden Figuren, freilich mit geringerer Deutlichkeit. Hat das Bindegewebe-Substrat einen lamellösen Bau, so kann erwähnte Zeichnung auch auf _ der Oberfläche tieferer Lamellen erscheinen. Am Zwerchfelle sieht man die Netze sowohl hellerer als auch dunklerer, wel- lenförmiger Linien sich in die von je zwei aneinander gren- zenden Fascikeln sich bildenden Furchen hineinziehen. Sie lie- gen hier also mit den übrigen, auf der Scheitelfläche der Falten befindlichen Netzen nicht in einer und derselben Ebene, His legt diesem von ihm verkannten Sachverhalte die An- schauungsweise unter, „dass tiefere Lymphgefässe in der Re- gel den durch sie auseinandergedrängten Sehnenbündeln der Membran parallel liefen.“ (S. 456.) Verfertigt man sich nun feine Querschnitte von mit Silber- lösung imprägnirten und sorgfältig getrockneten Zwerchfell- stücken, so sieht man an diesen auch die Querschnitte der geschlängelten Linien als dunkle Puncte. Sind die Querschnitte aber nicht rein, sind sie etwas dick ausgefallen, so erscheinen an ihnen natürlicherweise noch kurze Züge der geschlängelten Linien. Man überzeugt sich auch hierbei, dass die Linien so- wohl über die Flächen des Zwerchfelles, als auch in den Fal- ten der aneinander grenzenden Fascikel verlaufen. Nicht selten beobachtet man Maschen des vorhin geschilderten Netz- werkes, welche dicht von äusserst kleinen, bald mehr rund- lichen, bald mehr gedehnten Maschen durchzogen werden. Mitten zwischen diesen kleinen Maschen bemerkt man dann und wann grössere. (Fig. 10 a.) Mit dem bekannten Spindelepithel der inneren Gefässhäute hat die beschriebene, netzförmige Zeichnung durchaus keine Aehnlichkeit. Auf der Innenfläche von Kalbsaorten habe ich Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u, s. w. 243 durch Färbung mit Silberlösung sehr grossmaschige Netze ge- wonnen, welche den auf Zwerchfellen erhaltenen durchaus ähn- lich waren (Fig. 17.) Zerzauste ich einzelne dieser mit einer dünnen Substratlage abgetragenen Maschen sorgfältig mit der Nadel, so gelang es zuweilen, dabei auch zurückgebliebene, spin- delförmige Epithelzellen zu isoliren. Der Vergleich ergab sofort die völlige Verschiedenheit dieser leicht gebräunten Epithel- zellen mit den ihnen aufgelagerten Netzmaschen. Ueber die Entstehung der geschilderten, von geschlängel- ten Linien gebildeten, theils heller, theils dunkler gefärbten Netze geben mir folgende Erscheinungen Aufschluss: Eins der in meinen Figuren abgebildeten mit Silberlösung imprägnirten Präparate vom Zwerchfelle des Meerschweinchens wurde in verdünntes Glycerin gelegt. Schon nach 24stündigem Liegen in letzterem hatte sich neben dem, das erwähnte Netzwerk zeigenden Präparate, auf dem nackten Objectträger (ohne alles Substrat) ein dunkler Niederschlag gebildet, dessen sehr regelmässig-netzförmige Configuration mich sofort an die- jenige des daneben befindlichen, mit Silberlösung gefärbten Substrats erinnerte. Nun fand sich auch bald für mich Gele- genheit, die Erzeugung eines solchen netzförmigen Niederschla- ges an mehreren, kürzere und längere Zeit hindurch mit schwächeren (1:800, 1:400) und stärkeren Lösungen (1 : 200, 1:100) imprägnirten Präparaten unter meinen Augen zu ver- folgen. Zuerst nämlich bildete sich, auf dem nackten Glase, ein Niederschlag von dunklen Körnchen und Körn- chenhaufen. Von diesen Körnchen und Haufen kleiner Körn- chen aus trieben Seitenfortsätze, die sich ihrerseits dendritisch verzweigten und einander entgegenwuchsen. So entstand denn ein zierliches Netzwerk mit grösseren und kleineren, im All- gemeinen von ziemlich gerade verlaufenden, nicht geschlängel- ten Linien begrenzten Maschen. Die Balken dieses Netzes zeigten sich anfänglich zwar nur aus lose neben einander be- findlichen Körnchen zusammengesetzt; bald aber reihten sich diese Körnchen dichter aneinander; es erfolgten nun auch, völlig im Zuge der Netzbalken, fast fadenförmige Niederschläge, durch welche die Netzbalken noch bestimmtere, geradlinige 244 Dr. R. Hartmann: Contouren erhielten (Fig. 1). Dies Bild ward an einem Präpa- rate beobachtet, welches schon mehrere Tage lang in Höllenstein- lösung gelegen hatte, daher sehr viel der niederschlagbaren Sub- stanz enthielt. Dasselbe war zwar lehrreich, aber immer noch etwasroh. Nun erhielt ich bald auch recht feine Niederschläge an Präparaten, welche nur Minuten und Stunden lang mit Silber- lösung behandelt gewesen. An den solcher Art behandelten Stücken vom Zwerchfell des Meersch weinchens und einiger 4—5zölliger Schafembryonen, an Nabelschnurschnitten, Darm- zotten vom Schaf und Kalb und an Aortenstücken, beobach- tete ich sehr zierliche, auch von geschlängelten Linien gebil- dete Netze wiederum neben dem Substrat, auf dem nack- ten Objectträger. Hier wurden die Balken des: Netzwer- kes bald nur durch locker und dichter aneinander liegende Körnchen, bald aber durch festere, mehr continuirliche Fäden gebildet. In den Knotenpuncten zeigten sich diese Linien nicht selten etwas verdickt. Figg. 2—5. Die stets polyedrisch begrenzten Maschen eines solchen Netzes entbehrten öfters eines vorwiegenden Durchmessers. Zuweilen jedoch zeigte sich der Längsdurchmesser als der vorwiegende. In letzterem Falle ward ersichtlich, dass solche. langgezogene Maschen durch Feldchen bedingt wurden, in welchen die nachträglich in’s Innere der Maschen eindringenden Verästelungen nicht zu Ende gediehen. Uebrigens glichen diese Netze ganz täuschend den auch auf Bindegewebe-Sub- strat sich erzeugenden. Die sinuösen Begrenzungslinien der Netzmaschen zeigen in den auf beiderlei Weise, mit und ohne Substrat, dargestellten Präparaten, einen völlig übereinstimmen- den Verlauf. | Ferner behandelte ich Aortenstücke, welche ich mehrere Tage lang in Höllensteinlösung (1:200) hatte liegen lassen, mit 20 °/, Natronlauge. Letztere griff nun zwar den Nieder- schlag selber nicht an, wohl aber bildete sich, unter ihrer Ein- wirkung, ein Niederschlag daneben auf dem Glase, welcher z. Th. nur aus unregelmässigen Haufen amorpher Körnchen bestand, z. Th. aber auch in sehr scharf hervortretenden, ge- schlängelten Linien die v. Recklinghausen’ und His’schen Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 245 Netze mit überraschender Deutlichkeit nachahmte. Die Maschen dieser Netze füllten sich nun allmählich mit ganz feinen Körnchen; zuweilen aber färbte sich der Objectträger innerhalb der auf ihm entstandenen Maschen auch sehr gleich- mässig, heller und dunkler braun. Dann benutzte ich völlig indifferente Substanzen als Unter- lage für die Niederschläge. Ich versah z. B. Objectträger mit sehr dünnen Ueberzügen von Collodium, Traganth und arabischem Gummi. Ueber diese Substanzschichten wurden Bäuschehen von in Höllensteinlösung 1:400 und 1:800 ge- tauchtem Fliesspapier einige Minuten lang gebreitet. Daun geschahen auf dem Substrat, und am schönsten auf Collodium, Niederschläge, deren netzförmige Configuration ebenfalls an diejenige der Präparate von v. Recklinghausen, His u. s. w. erinnerte. Man konnte demnach auch hier das Gesetz- liche in Bildung des Niederschlages, wenn zwar nicht gerade eine sehr grosse Regelmässigkeit des letzteren, erkennen, Nun wurde ein in Höllensteinlösung von 1:100 wenige (3—4) Stunden lang aufbewahrtes Centrum tendineum eines Meerschweinchens unter Glycerin beobachtet. Da sah man über die Bindegewebsfascikel des Substrates die bekannten Netze hinwegziehen, sah jedoch auch, wie sich diese in völli- ger leicht zu verfolgender Continuität über den Rand des Präparates auf den Objectträger fortsetzten. Hier vergrösserte sich das Netz nach allen Richtungen allmählich unter den Augen des Beobachters. (Fig. 6.) Dem Voraufgesandten zufolge bleibt für die Entstehungs- weise der von v. Recklinghausen, His und einigen An- deren für Epithel der Lymphwege gehaltenen, von wellenför- mig verlaufenden Linien gebildeten Netzwerke keine andere Erklärung, als diejenige: dass die erwähnte Zeichnung ‚durch Niederschläge einer dunklen, aus der Ver- bindung von Silber mit Bestandtheilen des Sub- strates (Chloralkalien, Albuminaten?) entstehen- den Substanz hervorgebracht werde. Amorphe, aus Flüssigkeiten sich bildende Niederschläge erfolgen, wie mir das auch mit anderen Substanzen, als 246 Dr. R. Hartmann: Höllenstein, z. B. mit harnsauerem Natron angestellten Ver- suchen zufolge als unumstösslich erscheint, bei ruhigem Stehen mit einer gewissen Regelmässigkeit. Zu- nächst bilden sich nämlich Körnchenhaufen oder festere Bäum- chen, diese erhalten Fortsätze, welche sich dendritisch verzwei- gen, einander entgegenwachsen und sich zu Netzwerken ver- einigen. Die Maschen dieser Netzwerke können nun kleiner werden, entweder durch Anlagerung neu sich niederschlagen- der Körnchenmassen an die Netzbalken, oder dadurch, dass wieder andere Balken die Netzmaschen durchziehen. Die ur- sprünglich aus deutlichen Körnchen zusammengesetzten Begren- zungen des Maschenwerkes können sich durch später erfol- gende, sich dichter aneinanderreihende Niederschläge zu wirk- lichen Balken umgestalten, welche scheinbar glatte Oberfläche zeigen, wodurch das polyedrische Netzwerk schärfere Contou- ren erhält. Auf Glas ist übrigens die Darstellung solcher Niederschläge schwieriger, als auf organischem Substrat, indem derartige Niederschläge auf einer von organischen Stoffen gebildeten Unterlage fester adhäriren, als auf Glas. Nun bedingt aber auch die Beschaffenheit des orga- nischen Substrates gewisse Unterschiede theils in der Form der Niederschläge, theils in der Leichtigkeit, mit wel- cher selbige stattinden. Es können hierbei verschiedene Um- stände mit ins Spiel treten und scheinen auch adhäsive Kräfte mitzuwirken. Es hat mir geschienen, als träten jene Nieder- schläge, welche an organisirte Formen erinnern, am Regel- mässigsten dann ein, wenn die den Niederschlag hervorru- fenden Stoffe, doch wahrscheinlich Chloralkalien oder Eiweiss, auf die Silberlösung nur langsam, nicht zu stürmisch, ein- wirkten, resp. mit derselben zusammenträten. Viele der entstehenden Netzmaschen füllen sich nur all- mälich mit körnigen Niederschlägen. Gewöhnlich bilden sich letztere von der Peripherie einer Netzmasche nach deren Mitte zu und erfüllen eine solche bald vollständig, bald auch nur theilweise, so dass in der Mitte, centrisch oder peripherisch, noch eine Lücke bleibt. Manche Masche füllt sich ganz dicht, Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 247 manche weniger. (Figg. 4—6.) So bilden sich helle und dunkle Maschen in dem künstlich erzeugten Netzwerke. Aber auf gewissem Substrat, wie z. B. auf den ihres Cy- linderepithels verlustig gegangenen Darmzotten vom Kalb und Schaf und auf interstitiellem Bindegewebe der Nabelschnur, geht die Füllung der künstlich gebildeten Netzmaschen völlig in derselben Weise vor sich, wie ich sie eben hier im Allge- meinen beschrieben. Der selbst bei starker Vergrösserung nur granulirt erschei- nende Niederschlag aus Silberlösung auf der Peritonaeal- und Pleural-Fläche des Centrum tendineum Diaphragm., zeigt sich, wie wir schon weiter oben gesehen haben, hier heller, da ‚dunkler. Dies rührt davon her, dass selbiger Niederschlag an einigen Stellen stärker, als an anderen erfolgt ist. Haben sich nun gewisse Theile eines Präparates in einer Silberlösung gefärbt, so zieht sich der darauf entstandene Niederschlag zu- sammen, erleidet hier und da Risse, er platzt und spaltet. Dies geschieht besonders leicht an getrockneten Präparaten, kommt doch aber auch an feucht, in Glycerin, Transsudat oder in der Höllensteinlösung selbst, aufbewahrten Theilen vor.. Das Einreissen, Platzen und Sichspalten der niederge- schlagenen Substanz erfolgt theils von der Mitte einer Netz- masche aus nach deren Peripherie, theils auch umgekehrt, von der Peripherie der Masche aus nach deren Mitte zu. Die Risse machen sich als helle, ungefärbte Flecke in den vom Niederschlage gebildeten gefärbten Feldern bemerklich. (8. Fig. 13 a.) Zuweilen bleiben dunkle dem Niederschlage an- gehörende Krümel in den gerissenen Stellen desselben auf dem Substrat zurück. (Figg.10, 12.) Das Reissen und Platzen schrei- tet nun häufig dergestalt vor, dass die niedergeschlagene Sub- stanz in ganzen Plättchen und Schüppchen ausbricht und vom Substrat sich loslöst. Dann bleiben öfters nur geschlängelte Begrenzungslinien. der Netzmaschen auf letzterem übrig und zwar bald noch in grösseren netzförmigen Zügen, bald auch nur in einzelnen kürzeren Strecken, Restern. Bröckel von geplatzter niedergeschlagener Masse, welche bald in der Mitte, bald an der Peripherie einer Masche ein- 248 Dr. R. Hartmann: zeln oder zu mehreren, sogar gehäuft, haften, haben v. Reck- linghausen und His vermuthlich zu dem Glauben verlei- tet, sie hätten mit Kernen versehene Epithelzellen. vor sich. Man vergl. meine Figg. 9a, 10, 12 und die von v. Reckling- hausen auf Taf. II. Fig. 1 abgebildete. Die dunklen Stellen des Netzwerkes, welche durch Platzen und Einreissen des sie bildenden Niederschlages ungefärbte Flecke erhalten, zeigen sich in Umgebung der letzteren höchst fein radiär gefaltet, ein Zeichen, wie energisch die Zusammen- ziehung der niedergeschlagenen Substanz gewesen. Diese sehr zarte radiäre Faltung findet sich, wohl als erste Einleitung des bald erfolgenden Reissens und Gespaltenwerdens, auch an der Peripherie noch anscheinend intacter Netzmaschen. (Figg. 125015.) Eine auffällige Deutung giebt v. Recklinghausen den hellen in mit Höllensteinlösung gefärbten Präparaten zum Vor- schein kommenden Flecken. Dieser nämlich betrachtet solche Flecke als den optischen Ausdruck von „Saftcanälchen“ der aus Bindegewebe bestehenden Grundsubstanz, also als opti- schen Ausdruck jenes plasmatischen Röhrensystems, welches durch Communication sternförmiger Körper miteinander herge- stellt werde. v. Recklinghausen glaubte hierbei durch di- recte Beobachtungen beweisen zu können, dass die Saftcanäle des Bindegewebes mit den Lymphgefässen zusammenhängen. (3.2 72.) Er bildet nun solche angeblichen Saftcanälchen im Zwerchfelle des Meerschweinchens Taf. I. Fig. 2 und Taf. II. Fig.1, 2 beiR. S. durchaus naturgetreu und zwar ganz als das- jenige ab, was sie denn in der That sind, nämlich theils als helle Risse und Spalten im dunklen Niederschlage, theils als Stellen des Substrates, welche zufällig frei vom Nieder- schlage geblieben. | v. Recklinghausen will den Zusammenhang zwischen seinen sogenannten Saftcanälchen und sogenannten Lymphge- fässanhängen durch Injectionen durch die Lymphsäcke des Frosches in Fascien der Ober- und Unterschenkelmuskeln, so- wie an Darmzotten von Kaninchen nachgewiesen haben. Er- Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 249 wähnte Theile lassen sich aber gar nicht in Vergleich mit denjenigen bringen, an welchen v. R. sein Lym phgefäss- epithel durch Höllensteinlösung dargestellt haben wollte. Selbst an ersteren vermögen wir, mit Henle (l. c. S. 87.), nur Extravasatbildungen zu erkennen. v. Reckling- hausen und His wollen endlich durch directe Injection der Lynphgefässe des Zwerchfelles von Kaninchen, wie His 8. 456. angiebt, mittelst einer feinen zugeschärften Canüle und gefärbter Leimmasse, ein Netzwerk sichtbar gemacht haben, welches „in allen Puncten auf das Genaueste dem hellen Netz- werke nach Silberbehandlung entspreche.“* (His a. a. O. 8. 456.) Allein gesetzt, beiden genannten Forschern wäre eine Injection wirklicher Lymphgefässe des Diaphragma gelungen, wie können sie dennoch die „genaueste“ Uebereinstimmung solcher wirklichen Lymphgefässe mit Gebilden beweisen, deren vollständige Wesenlosigkeit durch die oben geschil- derten Versuche sattsam dargethan? Oberflächliche Aehnlichkeit eines Lymphgefässnetzes in Form und Verlauf mit einem durch Silberlösung hervorgerufenen netzförmigen Niederschlage der beschriebenen Art entscheidet doch in dieser Hinsicht wahrhaftig gar nichts. His nun hat den von v. Recklinghausen behaupteten Zusammenhang zwischen Safteanälchen und Lymphgefässanfängen nicht zu be- stätigen vermocht. Ersterer sagt: Die „Bindegewebszellen des Diaphragma träten bei der einfachen Silberbehandlung in der braunen Grundsubstanz als ein System heller, vielfach zusam- menhängender Sterne auf, erschienen verhältnissmässig volumi- nös u. 8. w.“ (S. 458.) Das was wir als zufällig nicht durch Silberlösung gefärbte und, wie ja wohl möglich, auch in „zusammenhängenden Zügen“ vorfindliche Stellen der Gewebe, was wir ferner als Risse und Sprünge in den dun- kelgefärbten Strassen des Niederschlages erkannten, das hält His für ein System von miteinander zusammenhän- genden Bindegewebskörperchen. Die Abbildungen, welche der Baseler Forscher in Figg. 1 und 2 von diesen ver- meintlichen Saftröhren giebt, lassen erst recht deutlich erken- nen, was es damit eigentlich für eine Bewandtniss habe. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 17 250 Dr. R. Hartmann: Legt man nun, nach His Vorschlage, ein mit Silberlö- sung behandeltes Diaphragma in starke Kochsalzlösung, so soll das Silber in die (Bindegewebs-) Zellen selbst eintreten, während sich die Grundsubstanz völlig entfärbt. Die also silberhaltig gewordenen Zellen erschienen dann minder gross, als sie vorhin nach einfacher Silberbehandlung, gewesen; die- selben seien, je nach dem Orte ihres Vorkommens, spindel- förmig, oval, polygonal u. s. w. (8.458) Die netzförmigen Züge, welche His in seiner Fig. 2 als verzweigte, mit Silber gefüllte Bindegewebskörper dargestellt hat, sind nichts als nie- dergeschlagene Massen, welche sich nämlich, nach ihrer theil- weisen oder gänzlichen Auflösung in der als Aufbewahrungs- flüssigkeit benutzten Kochsalzlösung (oder in Glycerin) '!), von Neuem auf die Oberfläche des Präparates als zum Theil sehr zierliche Netze niederschlagen und hier ziemlich fest anhaften können. (Fig. 10.) Hat das Substrat einen lamellösen Bau, so können solche Niederschläge wohl auch interlamellär erfolgen und dann scheinbar im Innern des Präparates, nicht jedoch im Innern des compacten Bindegewebes, liegen. Nieder- schläge sind im Allgemeinen zwar körnig, doch aber auch nicht selten mit fadenförmigen Netzbalken versehen. Sie ent- stehen ganz in der S. 244 angegebenen Art und Weise und füllen ihre Maschen wiederum mit körniger Masse. Häufen sich an gewissen Stellen der Knotenpuncte der Netzbalken dichtere körnige Massen an, so können diese auch wohl ein- mal für Zellkerne gehalten werden. Solche Bilder habe ich am Zwerchfell, an der Nabelschnur, an Darmzotten und Seh- nenstücken künstlich hervorgebracht und zwar theils mit Koch- salz, theils auch ohne letzteres, in blossem Glycerin und in Liquor Kali hydriei. Die anfänglich nach der einfachen Sil- berbehandlung gebildeten Netzwerke mit geschlängelten De- marcationen blieben dann unter den später entstandenen, mit bald länglichen, bald rundlichen, bald suheinbar polyedrischen 1) Wie Adler auf S. 4. seiner Mittheilung richtig bemerkt, macht Glycerin allmählich (freilich nur sehr allmählich), den Niederschlag nach einfacher Silberbehandlung undeutlich. Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 251 Maschen versehenen Netzen (His’schen Bindegewebskörpern) sichtbar. Ueber das erste der neugebildeten Netze können sich nun ein zweites und ein drittes breiten, bis die Zeich- nung dann schliesslich wirr und unklar wird. Nachdem sich die zuletzt gebildeten Netze wiederum in ihren Maschen mit Niederschlägen gefüllt, können auch selbst diese Risse und Sprünge erhalten. Die dadurch entstehenden hellen Flecke, sowie diejenigen Einrisse, welche schon der Niederschlag aus einfacher Silberlösung erleidet, sind, besonders wenn solche Einrisse (also helle Flecke) an der Peripherie oder an den Knotenpuneten der Netzbalken vorkommen, von v. Reck- linghausen und von His für Lücken oder Stomata ge- halten worden, vermittelst welcher die vermeintlichen Lymph- epithelien für feste Körper permeabel werden sollen! Vergl. His Fig. 6, meine Figg. 7, 9a, 10, 13. Nicht selten nehmen die Niederschläge, welche sich aus Höllensteinlösungen auf der Oberfläche von Geweben verschie- dener Art bilden, sehr regelmässig polyedrische, auch von geraden Linien begrenzte Formen an (vergl. S. 240). Solche regelmässigen geradlinigen Netze können dann zu dem Glau- ben verleiten, man habe es mit wirklichen Epithelzellen zu thun, deren Begrenzungen gegeneinander durch die Silberlö- sung deutlich gemacht würden. Die Täuschung kann dadurch noch grösser werden, dass krümlige, im Innern der Netz- maschen vorfindliche Niederschläge die Bilder von Zellkernen vorzaubern. Nun habe ich im Cylinderepithel der Papillae fungiformes von Froschzungen durch Behandlung mit salpeter- saurem Silberoxyd wohl eine Färbung der Zellen erhalten; es war dies jedoch mehr eine diffuse Färbung der Bestand- theile der einzelnen Zellen, ähnlich wie sie sich durch Behand- lung mit Jodwasser erzielen lässt. Bei dieser diffusen Fär- bung der Zellen treten denn auch, bei Betrachtung ganzer Zellgruppen, im scheinbaren Längs- oder Querschnitt, die Grenzlinien der einzelnen Zellen gegen einander in schärferen, dunkleren Umrissen hervor, als bei völlig ungefärbten Zellen. Dagegen war zwischen den einzelnen Zellen kein dunkler, körniger Niederschlag der Art wahrzunehmen, wie ich ihn 17* 252 Dr. R. Hartmann: auf epithellosen Geweben so häufig darstellen gekonnt. Fer- ner sah ich die mehrschichtigen Epithelzellen der Conjunctiva corneae auch mit Silberlösung dergestalt sich färben, dass die einzelnen Zellen sich deutlicher, als sonst, gegen einander abgrenzten, wie so etwas ja auch bei Anwendung von Jod- wasser, Chromsäure und doppelt chromsaurem Kali der Fall. Von Interesse waren die regelmässig 'polyedrischen geradlini- gen Netze, welche ich über den Epithelzellen der Conjunctiva und Descemet’schen Membran an Hornhäuten des Frosches erhielt, nachdem ich diese frisch in eine Silberlösung von 1:800 zehn bis fünfzehn Minuten lang getaucht oder auch ebenso lange mit einem in Silberlösung von gleicher Concentra- tion getauchten Löschpapierbäuschehen bedeckt hatte. Da sah man einesfalls die grossen Maschen der genannten regel- mässig-polyedrischen Netze sich über darunterliegende Epi- thelzellen der letzteren so hinwegspannen, dass die Balken des erstgenannten Netzes ganz unregelmässig quer über ein- zelne Zellen des darunterliegenden Epithels hinüberzogen. Auch waren jene Maschen verhältnissmässig so gross, dass je eine derselben drei bis fünf Epithelzellen zu bedecken pflegte. Andernfalls aber waren auch die Maschen des Netzwerkes kleiner und konnten dieselben nahezu die Begrenzungslinien der polyedrischen Epithelnetzmaschen erreichen. Hierbei zeigte sich nun, dass ungeachtet der allgemeinen Aehnlichkeit zwi- schen polyedrischen Formen der künstlichen Niederschläge und natürlichen Epithelzellen ein Unterschied dadurch gegeben, dass die Winkel in dem durch Silberlösung erhaltenen Netz- werk, wie es mir schien, sich ganz constant erwiesen, wäh- rend hierin doch an den durch polyedrische Epithelien erzeug- ten Linien ein grosser Wechsel hervortritt. Innerhalb der einzelnen Maschen lagen, dieser oder der anderen Begrenzungs- linie genähert, oder auch einmal mehr centrisch, Krümel von niedergeschlagener Substanz, deren Gegenwart zur Annahme von Zellkernen verleiten konnte. (8. Fig. 20.) Liegen nun die künstlichen Netze auf einem mit kernartigen Körpern ver- sehenen Substrat, so können diese Körper an vielen Stellen der Art sichtbar werden, als ob sie die Kerne zu einzelnen Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 253 Maschen des künstlichen Netzes bildeten. An solchen Präpa- raten verleiten denn bestimmte organische Bildungen und Nie- derschläge gemeinschaftlich zur Annahme, als habe man es mit wirklichem Epithel zu thun. Die Cornea eines frischen Kalbsauges wurde in heisses Wasser getaucht, dann wurde das dadurch aufgeweichte Epithel sorgfältig entfernt und wurden schräge Schnitte mit flachgehaltener Klinge aus derselben gefertigt. Auf diesen Schnittflächen zeigten sich, nach 24stündiger Behandlung mit Höllensteinlösung von 1: 800, jene sehr zierlichen, geradlinig-polyedrischen Netze, welche ich in Fig. 19 bildlich wiederzugeben versucht. Innerhalb der Maschen erinnerten wieder Krümel niedergeschlagener Sub- stanz, die übrigens als solche zu erkennen recht leicht war, an Zellkerne. Manche der Maschen waren erst im Entstehen be- griffen, waren erst durch am Ende sich gabelnde Netzbalken angedeutet. (Fig. 19.) Aus den so gewonnenen Präparaten geht von Neuem hervor, dass unterliegende, polyedrisch sich abgrenzende Epithelien ganz ohne Einfluss auf die Bildung sol- cher epithelähnlichen Niederschläge sind. Häufig findet nun ein starker Wechsel in den Grössenverhältnissen der künstlich er- zeugten Maschen statt, wie er im polyedrischen Netzwerke gewöhnlicher Epithelmaschen nicht vorzukommen pflegt. Dieser Umstand kann in fraglichen Fällen ein gutes Kriterium dafür abgeben, ob man es mit einem Kunstgebilde zu thun habe, oder nicht. Man kann übrigens auch bei diesen schein- bar ganz geradlinigen Netzbalken die Bildung derselben aus sich aneinanderlagernden Körnchen verfolgen, (Vergl. S. 243.) Zuweilen jedoch sind die Körnchen so dicht aneinander gela- gert, dass selbst bei sehr starken Vergrösserungen die Begren- zungslinien der Netzmaschen vollkommen glatt sich darstellen. Diejenigen Netze, welche ich über dem Epithel der Frosch- Cornea dargestellt, füllten sich bei längerem Liegen (24 Stun- den) in Höllensteinlösung allmählich, Masche für Masche, mit Niederschlägen. Ja es bildeten sich sogar neue Netze, die über die erst gebildeten hinliefen, ähnlich, wie ich dies in Fig. 10 abgebildet und auch auf S. 251 beschrieben habe. Auch auf schrägen Schnittflächen, welche ich mit 254 Dr. R. Hartmann: der Scheere an Hornhäuten des Frosches erzeugt, sah ich nach vierundzwanzigstündiger Einwirkung der Silberlösung (1:800) netzförmige Niederschläge entstehen, welche mit der nun schon so vielfach beschriebenen die völligste Uebereinstimmung zeig- ten. Endlich behandelte ich, in Erinnerung der Chrzon- szczewsky’schen Arbeit,!) Stückchen frischer Kalbs- und Froschlungen mit Silberlösung von 1:800, verschieden lange Zeit, von wenigen Minuten bis zu 24 Stunden, und erhielt in den Alveolen der Präparate wieder ganz ähnliche, bald ge- radlinig-polyedrische, bald von geschlängelten Linien gebil- dete, vollständige und unvollständige Netze, zwischen deren meist verhältnissmässig grossen, doch aber auch stellenweise wieder kleinen Maschen kernartige, sehr wahrscheinlich dem Epithel der Alveolen angehörende Körper zum Vorschein traten. Bröckel von niedergeschlagener Masse, in den Netz- maschen sichtbar, konnten auch hier die Bilder von Zellker- nen vorzaubern. Fassen wir die Hauptergebnisse der hier mitgetheilten Untersuchung noch einmal zusammen, so stellt sich Folgendes heraus: 1, Behandelt man thierische Gewebe, z. B. Zwerchfelle des Meerschweinchens, Nabelschnurschnitte u. s. w., deren Epi- thel vorher entfernt worden, mit einer Lösung von salpeter- saurem Silberoxyd, so erzeugen sich aus dieser, auf dem Gewebe selbst, dunkle Niederschläge. 2. Diese Niederschläge erfolgen auf ganz gesetzmässige Weise; es entstehen nämlich einestheils zunächst Körnchen und Körn- chenhaufen ; diese treiben seitliche Fortsätze, welche sich den- dritisch verzweigen, einander entgegenwachsen, und schliess- lich Netze mit grösseren und kleineren, von bald geraden, bald geschlängelten Begrenzungslinien eingeschlossenen Ma- schen erzeugen. Oder es entstehen andererseits ohne Weite- res dendritische Bildungen, die sich zu Netzen vereinigen, deren Begrenzungslinien unter stumpfen, beinahe rechten Win- 1) Ueber das Epithel der Lungenbläschen der Säugethiere. Würzb. mediz, Zeitschr. IV. S. 206, fi. Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u. s. w. 955 keln zusammenstossen können. Ein Theil der Maschen kann sich nun mit Niederschlägen füllen. So entstehen hellere und dunklere Felder in den Netzen, ja es entstehen darin gänzlich gefärbte Platten, welche wieder von netzförmigen Linien durch- zogen werden. 3. Derartige Niederschläge können auch auf ganz indifferen- ten Substanzen, wie Collodium und Glas, dargestellt werden. 4. Die Versuche von v. Recklinghausen, His und A,, die Behandlung der Gewebe mit Höllensteinlösung dazu zu benutzen, an ihnen ein, auch die feinsten, Lymphwege aus- kleidendes Epithel nachzuweisen, sind unstatthaft. Die von genannten Beobachtern für Demarcationen einzelner Epithel- zellen von Lymphgefässen gehaltenen, geschlängelten Begren- zungslinien der Netzmaschen sind mit den vorhin erwähnten netzförmigen Niederschlägen völlig übereinstimmend, sind gänzlich derselben Entstehung. Sie liegen oberflächlich und haben mit epithelialen Bildungen gar nichts gemein. Die die Netzmaschen ausfüllenden Niederschläge platzen und reissen leicht ein. Es bilden sich rundliche, längliche, auch zackige Rissstellen. Auch haften an den, nach Ausfallen der übri- gen niedergeschlagenen Substanz noch zurückbleibenden, netz- förmigen Linien wohl körnige Niederschläge. Keine dieser Bildungen darf für ein Bindegewebskörperchen gehalten wer- den. Ferner findet man zwischen den durch Niederschläge gefärbten Stellen der Gewebe deren ungefärbte. His Be- hauptung, diese geplatzten oder gerissenen Stellen und die zufällig nicht gefärbten Flecke des Gewebes stellten ein System von mit einander communicirenden Bindegewebskör- pern dar, ist völlig unzulässig, Ebenso unzulässig ist die Annahme, dass die sich auf den, mit Niederschlägen be- reits belegten Geweben von Neuem bildenden, netzförmigen Niederschläge ein System zusammenhängender Bindegewebs- körperchen darstellten. Endlich entsprechen die an den Netz- maschen der Niederschläge befindlichen, ausgefallenen Stellen durchaus nicht, wie His und Recklinghausen wollen, Stomaten der (angeblichen) Epithelzellen. (Vergl. S. 251.) 5. Durch Behandlung von organischen, albuminreichen Sub- 256 Dr. R. Hartmann: stanzen kann eine diffuse Färbung derselben erzielt werden, welche an die durch Jod erinnert. An Geweben, deren Epi- thelbelag noch vorhanden, gewinnt man durch den Höllen- stein wohl eine der Färbung mit Jodwasser u. s. w. eben- falls ähnliche, diffuse Tinction der Zellen, aber keine kör- nigen, die Zellgrenzen in deutlichen Netzen markirenden Niederschläge. Alle entstehenden, zum Theil sehr gerad- linig begrenzten Netze gehorchen dem vorhin entwickelten Bildungsgesetze; sie können zufällig einmal mit ihren Netz- balken die Demarcationen von Epithelzellen decken, spannen sich aber häufiger in ganz unregelmässiger Weise quer über die Grenzen wirklicher Zellen hinweg. 6. Man kann diese, oft höchst regelmässig polyedrische Netze bildenden Niecerschläge auch auf epithellosen Horn- häuten und deren frischen Schnittflächen etc. entstehen sehen. 7. Nach meinen Beobachtungen leistet die Silberlösung für mikroskopische Untersuchungen etwa das, was Jod und an- dere Reagentien leisten, welche organische Substanzen diffus zu färben vermögen, d. h. es können in Folge von Behand- lung mit jenen Substanzen gewisse Grenzlinien schärfer her- vortreten, mögen letztere nun vorher schon sichtbar sein oder wegen zu grosser Pellucidität weniger deutlich sich darstellen. Die Anwendung der Silberlösung sollte aber bei mikroskopischen Forschungen möglichst vermieden werden, einmal, weil die stets zugleich auftretenden Niederschläge die natürliche Beschaffenheit der Gewebe durch Ver- decken unkenntlich machen, ein andermal, weil diese Niederschläge Formen zeigen, die organi- schen Bildungen mehr oder weniger gleichen und deswegen die Bahn zu einer ganz unberechenbaren Menge von Irrthümern eröffnen. Erklärung der Abbildungen. Vergr. etwa °. Fig. 1. Netzförmiger Niederschlag, auf einer Glasplatte ohne Sub- strat erzeugt. (Vergl. S. 243, 244.) Ueber die durch den Gebrauch der Höllensteinlösung u, s. w. 957 Fig. 2, 3 und 4 desgl. Bei aa bilden sich körnige Niederschläge längs der Netzbalken. Fig. 5. Ein solches, bereits 3 Tage altes Präparat, dessen Netz- balken sich durch Anlagerung neuer Körnchenmassen verdicken und dessen Maschen sich mit körnigen Niederschlägen füllen. Fig. 6. Bindegewebe vom Centrum tendineum diaphragmat. des Meerschweinchers. a) Bindegewebe-Substrat. b) Netzförmiger Nieder- schlag, welcher das letztere zum Theil bedeckt und sich über selbiges hinaus auf die Glasunterlage des Objeetträgers bei b fortsetzt. Fig. 7. Niederschlag auf dem Centr. tendin. diaphragm. des Meer- schweinchens. a) helle. b) dunkle Netzmaschen, c) kleine Maschen in den grossen, c’) Bröckel vom Niederschlage in den hellen Maschen. e und ec’ dürfen nicht für die Kerne vermeintlicher Epithelzellen (a) oder für deren Stomata (vergl. S. 251) gehalten werden. Fig. 8. Kleine, helle Netzmaschen des Niederschlages auf dem Zwerchfelle des Meerschweinchens, abwechselnd mit grossen, dunk- len Maschen, Fig. 9. Helle und dunkle Netzmaschen auf demselben Substrat. Bei a eine hellgebliebene Stelle in den Maschen, (Kein Zellkern.) Fig. 9a. Präparat vom Zwerchfell des Meerschweinchens. a) dunkle, b) helle Strassen. ec) Dunkle Niederschläge in hellen Netz- maschen (nicht mit Zellkernen zu verwechseln). d) Ausgefallene Stel- len, d‘) helle Flecke in den dunklen Netzmaschen. Fig. 10. Präparat vom Zwerchfell des Meerschweinchens. a) Kleine und, dazwischen, grössere Netzmaschen. Fig. 11. Präparat vom Zwerchfell des Meerschweinchens, Fig. 12. . Desgleichen. Fig. 13. Niederschläge auf interstitiellem Bindegewebe der Nabel- schnur eines Schafembryo. a) Ausgefallene Stellen, vermeintliche Bin- degewebskörperchen, auch vermeintliche Stomata der Epithelzellen (vergl. S. 251 und Fig. 7.) Fig. 14. Niederschläge auf einer contrahirten Darmzotte des Scha- fes. a) Netzmaschen, welche sich mit körnigen Niederschlägen zu fül- len beginnen. Fig. 15. Stück von einer Darmzotte des Kalbes, mit netzförmigen Niederschlägen. Epithel vorher entfernt, Fig. 16. Netzförmige Niederschläge auf der des Epithels beraub- ten Darmschleimhaut des Kalbes. a) Lücken in den Netzmaschen, welche nicht mit körnigen Niederschlägen erfüllt sind (vermeintliche Kerne von Bindegewebskörperchen). Fig. 17. Netzförmige Niederschläge auf der Innenfläche der Aorta vom Kalb, deren Epithel vorher entfernt worden. Fig. 18. Kleine und, dazwischen, grössere Netzmaschen des Nie- derschlages auf dem Zwerchfelle eines Schafembryo, 358 Dr.R. Hartmann: Ueber d, durch d. Gebrauch d. Höllensteinlös. Fig. 19. Netzförmige, regelmässig - polyedrische, geradlinig be- grenzte Niederschläge auf schrägen Schnittflächen der Cornea des Kal- bes. a) Bröckel von Niederschlägen in den Netzinaschen (vermeint- liche Zellkerne). Fig. 20. Netzförmiger Niederschlag auf der noch mit Epithel ver- sehenen Cornea des Frosches, dessen Netze über die hindurchscheinen- den Epithelzellen der Descemet’schen Haut unregelmässig hinweg- ziehen. Ueber die Gattung Sphaerophrya. Von ELıas MECZNIKOW. (Hierza Tafel VII. A.) Die der Gattung Sphaerophrya angehörenden Parasiten sind von vielen Autoren für Embryonen einiger bewimperten Infusorien gehalten worden. Selbst Claparede und Lach- mann, welche die von mir untersuchte Gattung der Acinetinen festgestellt haben, bejahen die Existenz der acinetenartigen Embryonen und sind geneigt, ihre Sphaerophrya pusilla für den Embryo einer Ozytricha zu halten.') Stein, der die Selbstständigkeit der saugenden Infusorien ganz verneint, nimmt alle Sphaerophryen für Entwickelungs- phasen der höheren Infusorien an.?) . Balbiani sprach die sogenannten acinetenartigen Embryo- nen als selbstständige Thiere an.’) Diese Ansicht wurde von W. Engelmann angegriffen, welcher die Existenz der mit 1) Etudes sur les Infusoires et les Rhizopodes. Bd. II. (1860— 1861.) Anm. z. S. 106. 2) Der Organismus der Infusionsthiere. 1859. 3) Comptes rendus de l’Acad. des sciences Seance du 27. Aout 1860, Elias Mecznikow: Ueber die Gattung Sphaerophrya, 259 saugenden Auswüchsen versehenen Embryonen festzustellen sich bestrebt.) Obne mich in eine Kritik der eben angeführten Meinungen einlassen zu wollen, erachte ich dennoch nicht für unpassend, diejenigen meiner Untersuchungen mitzutheilen, welche die Selbstständigkeit der zur Gattung Sphaerophrya gehörenden Infusorien beweisen. Diese Untersuchungen beziehen sich auf Parasiten von Paramecium aurelia. In der zweiten Hälfte des Juni dieses Jahres fand ich eine Menge von Paramecien, in deren Innern ein oder meh- rere, mit contractilen Behältern yersehene Körperchen einge- schlossen waren.?) Bei längerer Beobachtung eines solchen Infusionsthierchens konnte ich die Theilung des in seinem Innern enthaltenen scheibenförmigen Körperchens in zwei ungleiche Segmente wahrnehmen; eine Viertelstunde später nahm das kleinere Segment eine eylindrische Gestalt an, trat immer mehr nach aussen hervor, wobei es einige saugende Auswüchse an sei- nem Vorderende zeigte (Fig. 1). Ich erkannte bald in diesem Wesen einen Embryo von Paramecium, welcher denen des Pa- ramecium bursaria ganz identisch war. Nach seinem Austritte aus dem Körper des Paramecium be- gann das acinetenartige Wesen mit zunehmender Schnelligkeit sich zu bewegen. Eine zwei Stunden lange Beobachtung die- ses Thierchens zeigte im Verlaufe dieser Zeit an ihm keine Veränderung. An demselben Tage fand ich ein Exemplar von Paramee. aurelia, an dessen Vordertheile sich ein scheibenförmiger Pa- rasit, der Gattung Sphaerophrya angehörend, befand. Diese Beobachtungen führten mich schon zur Annahme 1) Zur Naturgeschichte der Infusorien in Zeitschrift für wissensch. Zoologie. Bd. XI. (1861.) Anm. z. S. 361. 2) Es sei bemerkt, dass der Kern der Paramecien sich ‘in seinem Zusammenhange mit den scheibenförmigen Körperchen, welche im In- nern dieser Infusorien liegen, findet, ebenso wie dies schon von an- dern Forschern bemerkt worden ist, (S. Claparede et Lachmann Etudes. Bd. II. S. 194.) 260 Elias Mecznikow: eines innigen Zusammenhanges zwischen dem acinetenartigen Sprösslinge und dem scheibenförmigen Parasiten; weitere Un- tersuchungen führten mich aus dem Gebiete der Hypothesen auf den Boden der unzweifelhaften Wirklichkeit. Es gelang mir nämlich ein Paramecium zu finden, aus wel- chem ein mit zwei contractilen Behältern versehener Körper hervorragte (Fig. 3). Vier Stunden, nachdem ich es gefunden hatte, konnte ich die Theilung dieses Körpers beobachten (Fig. 4) und eine Viertelstunde später begann ein cylindrischer Sprössling, ganz dem früher beobachteten ähnlich, sich abzu- lösen. Nach Vollführung einiger energischer kurz anhalten- der Bewegungen setzte sich dieser Sprössling an ein ihm im Wege stehendes Paramecium fest und nahm eine kugelförmige Gestalt an!) (Fig. 5); nach zwanzig Minuten nahm er schon in seinem Wirthe diejenige Stelle ein, wo gewöhnlich die run- den Körperchen sitzen.?) Also glauben wir uns von der parasitischen Natur der so- genannten acinetenartigen Embryonen vollständig überzeugt zu haben; wir wollen hoffen, dass es auch andern Forschern gelingen wird, sich von der Richtigkeit unserer Angabe zu überzeugen, und dass sie dann ihre Einwürfe gegen Balbiani zurücknehmen werden. Die von Clapar£&de und Lachmann erhobenen Zweifel über die Selbstständigkeit der Gattung Sphaerophrya ergeben sich also jetzt als unbegründet, so dass diese Gattung ihr volles Bürgerrecht in der Reihe aller übrigen Acinetengattun- gen erhalten muss. * 1) Die Ursache, warum bei unserer ersten Beobachtung der Spröss- ling zwei Stunden lang ohne Veränderung blieb, während er sich bei der zweiten Beobachtung sehr rasch veränderte, wird wohl darin zu suchen sein, dass im ersten Falle auf dem Öbjectträger keine Parame- cien da waren; im zweiten Falle aber waren sie in gehöriger Menge vorhanden, 2) Auf diesen Körperchen sieht man die Köpfchen der zurückge- zogenen Saugfortsätze, wie esschon von Engelmann en wor- den ist (l. c. Taf. XXIX, Fig. 9—12). Ueber die Gattung Sphaerophrya. 261 Die Gattung Sphaerophrya ist ausserdem schon mit einer neuen Art bereichert worden. In einem kleinen Waldsumpfe fand ich nämlich in grosser Menge eine sphärische Acinete. Diese Acinete darf nicht mit der stiellosen Podophrya fira von Stein verwechselt werden, da erstere einen grossen ovalen, letztere aber einen kleinen nierenförmigen Nucleus besitzt. Unser Infusorium bietet zwei Varietäten dar; die eine (Fig. 6) ist ganz durchsichtig, die andere aber (Fig. 7) ist mit feinen Körnchen vollgepfropft und ist viel grösser als die erstere.') Die von uns beobachtete Sphaerophrya, welche wir Sphaer. sol. nennen wollen, saugt den Inhalt der Vorticellen und Sty- lonychien aus, und während der Ernährungsprocess vor sich geht, vermehren sie sich durch dichotomische Theilung. Bevor die Bildung zu Ende ist, zieht das sich abtheilende Segment seine Saugfortsätze ein (Fig. 3), die nicht früher hervorgescho- ben werden, bevor das Segment, welches nach seiner Ablösung eine kleine Strecke fortschwimmt, zur Ruhe kommt (Fig. 9). Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Austritt des Acinetensprösslinges aus seinem Wirthe. Fig. 2. Isolirter Sphaerophryensprössling. Fig. 3. Ein aus dem Körper des Paramecium hervorragender Parasit. Fig. 4 Theilungsprocess desselben. Fig. 5. Eintritt der Sphaerophrya in den Paramecienleib. Fig. 6. Erste Varietät der Sphaerophrya sol. mihi. Fig. 7. Zweite Varietät derselben. Fig. 8. Theilungsprocess derselben. Fig. 9. Theilungssprössling derselben. Charkow, im August 1863. 1) Ich konnte die hierher gehörenden Messungen nicht machen, da mir auf dem Lande, wo ich meine Beobachtungen anstellte, kein Mi- krometer zur Hand war. 262 C. Mettenheimer: Angeborne Atresie einer Choane. Beobachtet von Dr. med. C. METTENHEIMER ıu Schwerin. Den seltnen Fällen von angeborner Atresie beider Choa- nen, welche von Emmert und Luschka (vergl. des letzte- ren Aufsatz in Virchow’s Archiv Bd. 18. S. 168. ff.) mitge- theilt worden sind, reiht sich eine Beobachtung von angebor- nem Verschluss einer und zwar der rechten Choane an, die ich vor mehreren Jahren zu machen Gelegenheit hatte. Indem ich zur Veröffentlichung dieser Beobachtung schreite, bedauere ich nur, hinsichtlich der anatomischen Angaben nicht bis zu dem Grade genau sein zu können, wie der letzte der beiden oben genannten Forscher, da es sich in meinem Falle um eine dem anatomischen Messer nicht zugängliche, lebende Per- son handelt. Ich fand die rechte Hälfte der Nasenhöhle undurchgängig bei einer 2öjährigen, schmächtigen, übrigens gesunden Frau, deren Nase äusserlich wohlgebaut schien. Ich hatte von der eigenthümlich näselnden Sprache dieser Frau Veranlassung genommen, Rachen- und Nasenhöhle genauer zu untersuchen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte ich, dass die rechte Hälfte der Nasenhöhle in der Entfernung eines Zolls vom Nasenloch durch eine membranöse Querwand verschlossen war, die nach hinten und oben sackartig vertieft schien. Die so gebildete, nach vorn offne und gut zu übersehende Höhle war ganz trocken und ihre Wand mit kleinen Härchen bewachsen. Bei der Untersuchung mit der Sonde schien die den Abschluss Angeborne Atresie einer Choane. 263 bewirkende Querwand weich und nachgiebig zu sein. Ich machte daher den Vorschlag, die verschliessende Haut zu durchstossen, womit Frau N. sehr zufrieden war, da sie bei jedem Schnupfen von einer ganz unerträglichen Congestion nach der Nase belästigt wurde und durch die Operation von diesem Uebelstand befreit zu werden hoffte. Ich schnitt demzufolge mit einem sehr spitzen Messerchen die Querhaut ein und drang, bei einer sehr mässigen Blutung mit vorsichtigen Schnitten in die Tiefe. Nachdem ich unge- fähr 5 Linien tief durch das Unterhautbindegewebe gedrungen war, stiess ich auf einen festen Widerstand, einen Knochen, der, so weit die in die Wunde eingeführte Sonde Auskunft geben konnte, nirgends einen Spalt, nirgends eine durchgän- gige Stelle darbot, dabei von so erheblicher Härte schien, dass seine Durchbohrung grössere Gewalt erfordert haben würde, als ich mit meinem Messerchen auszuüben im Stande war. Der Anwendung von Gewaltmitteln aber war die Patientin so entgegen, dass von einer Weiterführung der Operation in die- sem Sinne abgestanden werden musste. Wie ich oben bedauert habe, dass ich meine Mittheilung nicht durch genauere anatomische Angaben vervollständigen kann, so ist es auch bedauerlich, dass die Beobachtung zu einer Zeit gemacht und niedergeschrieben wurde, da man es noch nicht verstand, sich mit Hülfe des refleetirten Lichtes Einblick in die Nasenhöhle von ihren hinteren Oeffnungen aus zu verschaffen. Es würde die Rhinoskopie vielleicht zur Aufklärung über die Beschaffenheit des knöchernen Abschlus- ses beigetragen und die Indication zur völligen Durchstossung oder zur Unterlassung der Operaticn schärfer begründet ha- ben. Da ich auch in dieser Beziehung leider nichts mitzuthei- len habe, so beschränken sich meine ergänzenden Angaben allein darauf, dass die ossa nasalia vorhanden waren und dass die Frau niemals an Thränenträufeln des rechten Auges, noch auch an Schleimfluss oder Entzündung des Thränensacks die- ser Seite litt. Der Trockenheit des verschlossenen Nasen- gangs habe ich zwar schon beiläufig Erwähnung gethan; es scheint mir aber noch nöthig, hier ausdrücklich hervorzuhe- 264 Prof. Mayer: Ueber Psorospermien. ben, dass aus der missbildeten Hälfte der Nasenhöhle nie- mals irgend eine Flüssigkeit ausfloss. Die Haut, welche den hinten abgeschlossenen Nasengang auskleidete, war keine Schleimhaut, sondern muss am richtigsten als eine Fort- setzung der äusseren Haut bezeichnet werden. Die Veranlassung zur Untersuchung der Nasenhöhle war, wie schon erwähnt, die näselnde Sprache der Patientin. Ob aber der Grund des näselnden Tones in dem Verschluss der rechten Choane zu suchen war, kann um so mehr in Zwei- fel gezogen werden, als sich bei der Untersuchung der Ra- chenhöhle herausstellte, dass die Patientin in Folge früherer, aller Wahrscheinlichkeit nach syphilitischer Erkrankung, das Zäpfchen, so wie einen Theil des weichen Gaumens einge- büsst hatte. Der harte Gaumen schien, soweit es durch Ge- fühl und Gesicht ergründet werden konnte, von normaler Form und Beschaffenheit zu sein. Ueber Psorospermien. Die Entdeckung dieser sonderbaren in die Klasse der Gregarinen zu zählenden Bläschen schreiben Leydig (Mül- ler’s Archiv 1851), Lieberkühn (daselbst 1859) und neuer- lich Balbiani (Oomptes redus 1863 Juillet) dem berühmten Physiologen J. Müller zu, welcher von diesen Körperchen in seinem Archiv 1841 S. 477 berichtete und ihnen den Na- men Psorospermien gab. Ich habe aber bereits im Jahre 1838 (S. Elementar-Organisation des Seelen-Organes S. 56) diese Bläschen, an Grösse die Blutbläschen wenig übertref- fend, in der Retina von Cyprinus Carassius, und etwas spä- ter (1840) an den Kiemen von Perca fluviatilis aufgefunden, wo sie noch einmal so gross, wie die Blutbläschen waren, einfache oder gabelige Schwänzchen besassen, und gekörnte, längliche Körperchen enthielten. | Prof, Mayer in Bonn. Berichtigungen zu Heft I: Seite 53 Zeile 11 von unten lies: Damar statt: Damor., ip 59 „ 10 ) „ 4u » 4n E)} 64 P) 2 5) » 7-12 „9 7 und 8 69 „Al 8 „ um diese letztere, „ dieser letzteren. BER iin N „» Jederseits „ Jederzeit. al. 9 = »„ Kopfes » Knopfes. 016, 11 von oben =, obere „ doppelte. 263 Zur Embryologie der Insecten. Von Dr. Aucust WEISMANN, Privatdocent in Freiburg i. Br. (Hierzu Tafel VII. B.) n Seitdem die bahnbrechenden, wenn auch noch so phantasti- schen Ideen der Naturphilosophen den Anstoss gaben zur Ent- stehung der vergleichenden Anatomie, hat vorurtheilsfreie, nüch- terne Beobachtung immer mehr gezeigt, wie eng die Kreise tbierischer Formen gezogen werden müssen, innerhalb deren morphologische Speculationen sich bewegen dürfen. Während Oken in dem Segment des Arthropodenkörpers noch einen „Urwirbel* erblickte, während Rathke noch die Fortsätze des Hautskelettes, wie sie bei Krebsen und Insecten als En- dothorax deren Nervenstrang umfassend, in die Leibeshöhle hineinragen, den Wirbelbogen der Vertebraten verglich und mit Geoffroy St. Hilaire zu dem seltsamen Schluss ge- langte, der Bauch der Insekten sei eigentlich ihr Rücken, — so zeigte ein näheres Eingehen in Anatomie und Entwicklung: immer deutlicher, dass Arthropoden und Wirbelthiere nach einem von Grund aus verschiedenen Typus aufgebaut sind und' eine Parallelisirung ihrer einzelnen Körpertheile im morpholo- gischen Sinn unstatthaft ist. So erkannte Rathke die Grund- verschiedenheit in dem centralen Nervensystem beider Thier- typen, so musste die frühere Ansicht von Bär’s, welcher die Gliedmassen der Arthropoden als die Homologa der Wirbel- Reichert's u. du Bois-Reymond’'s Archiv. 1864, 18 266 Dr. August Weismann: thiergliedmassen betrachtete, der Erkenntniss weichen, dass man in ihnen höchstens physiologische, aber keine morpholo- gischen Aequivalente sehen darf. Je tiefer die Wissenschaft in den Bau beider Thiergruppen eindrang, um so klarer wurde es, wie wenig es möglich ist, die einzelnen Körpertheile beider Typen auf einander zurück- zuführen, um so mehr wurden morphologische Vergleichungen von speciellen auf immer allgemeinere Bauverhältnisse des Thierleibs zurückgedrängt, bis sie schliesslich nur noch bei den embryonalen Entwicklungszuständen ihre Berechtigung be- haupten zu können schienen. Dass das Ei auch in morphologischer Beziehung das Aegui- valent des Wirbelthiereies war, schien gewiss, und ebenso wurde die erste Anlage des Embryo beider Typen als homolog angesehen: der Keimstreif der Insecten sollte dem Keimstreif der Wirbelthiere entsprechen, wenn auch die weitere Entwick- lung dieses Urtheils des Thierleibs bei beiden Typen in ver- schiedener Weise erfolgte. Nach von Bär’s Auffassung zeigt sich diese Verschiedenheit darin, dass bei den Vertebraten vom Primitivtheil aus zwei Platten nach oben und zwei nach unten wachsen, um das animale und vegetative Rohr zu bilden, während bei den Arthropoden nur eine einzige Höhle durch aufwärts wachsende Platten gebildet wird. Es lässt sich nichts einwenden gegen diese Art, die Thatsachen auszudrücken, nd# darf man daraus nicht den Schluss ziehn, der Keimstreif der Wir- belthiere und der der Arthropoden seien homologe Gebilde. Beide haben nicht viel mehr mit einander gemein, als dass sie beide die erste Anlage des Thieres darstellen und zwar denjenigen Theil desselben, aus welchem sich später das centrale Nerven- system entwickelt, dagegen ist die Art und Weise, wie die verschiedenen Körpertheile bei beiden Typen aus dem Keim- streif hervorgehen, ebenso verschieden, als der Modus der Entstehuug desselben. Obgleich die Grundverschiedenheit im Bau des ausgebildeten Arthropoden und ausgebildeten Wirbel- thiers allgemein in der Wissenschaft anerkannt wird, ist doch noch niemals die ganz ebenso grosse Verschiedenheit in der Entwicklung scharf betont worden, im Gegentheil haben noch Zur Embryologie der Insecten. 267 in den letzten zehn Jahren Namen von sehr gutem Klang sich zu Gunsten eines Versuchs ausgesprochen, Homologien zwi- schen der Wirbelthier- und Arthropoden-Entwicklung zu sta- tuiren. Die nachfolgenden Zeilen sind bestimmt in Gemein- schaft mit früheren Angaben diesen letzten Versuch als einen Irrthum nachzuweisen. Es bezieht sich dies auf die Ansichten, welche ein um die Entwicklungsgeschichte der Insecten hochverdienter Forscher: Zaddach, für die embryonale Entwicklung dieser Klasse gel- tend zu machen versuchte.!) Zaddach glaubte die Keimblät- ter, welche den Keim des Wirbelthiers zusammensetzen, auch in der ersten Anlage des Gliederthiers wiederzufinden, er wandte die Keimblättertheorie, wie sie durch Pander, v. Bär, Rei- chert, zuletzt durch Remak festgestellt wurde, auf die Arthro- poden an. Nach Zaddach spaltet sich der Keimstreif von Phryganea kurz nach seiner Entstehung in ein oberflächliches und ein tiefes Blatt, dieses vergleicht er dem mittleren Keim- blatt der Wirbelthiere, dem Remak’schen Muskelblatt, jenes dem von Remak so genannten Hornblatt; aus diesem entste- hen die Gliedmassen, das Nervensystem, die musculöse Bauch- wand des T'hieres — er bezeichnet es ebenfalls als Muskelblatt — aus jenem die „äussere, später erhärtende Haut des Embryo und zunächst die äussere Umkleidung der Seiten und des Rückens“ — es wurde als Hautblatt bezeichnet. Es war natürlich, dass für Zaddach „ein wesentlicher Unterschied“ zwischen dem Keimstreifen der Wirbelthiere und dem der Arthropoden nicht bestand, die einzige Verschiedenheit von Gewicht schien ihm darin zu liegen, dass bei den Vertebraten die erste Anlage des Embryo nicht nur vom Keimstreif gebildet wird, sondern auch schon von dem darunter liegenden dritten Keimblatt, dem Drü- senblatt, während bei den Arthropoden der Dottersack (Mittel- darm), „der allein dem Drüsenblatt zu vergleichen wäre“, viel später entsteht, und wahrscheinlich auch nicht durch eine Thei- lung des Muskelblattes, sondern durch eine neue Zellenbildung 1) Untersuchungen über die Entwicklung und den Bau der Glie- derthiere. i. Heft: Die Entwicklung des Phryganiden-Eies,. Berlin 1854, 18” 268 Dr. August Weismann: aus der Dotter-Flüssigkeit.e. Der Modus der Entstehung ist nun freilich auch beim Drüsenblatt der Wirbelthiere noch zwei- felhaft. Als homolog können meiner Meinung nach nur diejenigen embryonalen Theile betrachtet werden, welche auf wesentlich gleiche Weise entstanden sind und welche morphologisch gleich- werthige Theile aus sich hervorgehen lassen. Das Hornblatt des Vogelembryo und das des Säugethierembryo gehen beide aus einer spontanen Spaltung der ursprünglichen Zellenschicht hervor, aus beiden entwickelt sich die Epidermis und die Ner- vencentren des Thieres — es sind Homologa. Ganz anders verhält sich die Sache in jeder dieser beiden Beziehungen bei dem sogenannten Hautblatt der Insecten, es entsteht auf andere Weise und entwickelt sich anders weiter. Die Entwicklung der Zweiflügler im Ei lehrte,!) dass aller- dings in früher Zeit die Anlage des Embryo, der Keimstreif, von einer dünnen Zellenlage überzogen wird, ganz von dem Ansehen, wie es Zaddach von seinem Hautblatt beschreibt, dass auch die zunächst folgenden Entwicklungsvorgänge dieses oberflächlichen Blattes zusammenfallen mit dem Verhalten des Zaddach’schen Hautblattes, dass dasselbe einzelne Kopftheile (die Scheitelplatten) aus sich hervorgehen lässt, an der Bil- dung der Mund- und Afteröffnung, wie des Hinterdarms einen bestimmten Antheil nimmt, dass es aber später, in der Mittellinie, gespalten, sich auf die Seitentheile des Keimstrei- fens zurückzieht, mit diesem verschmilzt und spurlos verschwin- det, nicht aber, wie Zaddach beschreibt, von Neuem gegen die Mittellinie hinwächst, die ganze Oberfläche der Embryo- nalanlage überzieht und sich in die Haut umwandelt. Stand somit von Seiten der Weiterentwicklung die Paral- lelisirung des sogenannten „Hautblattes“ der Insecten mit dem Hornblatt der Wirbelthiere auf schwachen Füssen, so musste 1) Weismann, Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Insekten. Th. I. Die Entwicklung der Dipteren im Ei. Leipzig 1863 und in Ztschr. f. wissenschftl. Zoologie. Bd. XIII. Zur Embryologie der Insecten. 269 sie vollends allen Boden verlieren, wenn es gelang, den Nach- weis einer differenten Genese zu führen. Für die Zweiflügler wurde dieser bereits geführt; trotz viel- facher und continuirlicher Beobachtung der Entwicklung, liess sich doch niemals eine spontane Spaltung des Keimstreifens beobachten; dagegen aber bildete sich ein oberfläch- liches Blatt durch Erhebung der beiden Enden des Keimstreifens zu einer Falte, durch Gegeneinan- derwachsen und schliesslich Verschmelzen dieser beiden Falten zu einem einzigen, dünnen, nur an den Rändern des Keimstreifs mit der tiefen Zellen- masse zusammenhängendem Blatt, dem Faltenblatt. Es musste von grösstem Interesse sein, zu erfahren, ob die Bildung eines Faltenblattes eine allen Insectenordnungen zu- kommende Erscheinung ist, oder ob ein oberflächliches Blatt auch durch spontane Spaltung, wie sie Zaddach beschreibt, zu Stande kommen kann. Es war mir vor Allem wichtig bei derjenigen Insectenfamilie hierüber in’s Klare zu kommen, auf welche Zaddach seine Ansichten stützt, bei den Phryga- neen, ich benutzte daher die erste Gelegenheit, um mir Phry- ganeeneier zu verschaffen, und eine genaue Verfolgung der ersten Entwicklungsstadien bestätigte die schon früher ausge- sprochene Vermuthung, dass in der That auch hier das oberflächliche Blatt des Keimstreifsein Faltenblatt ist, dass es durch Faltenbildung vom Rande des Keimstreifens aus zu Stande kommt. Ich lasse die, Beobachtungen hier folgen, indem ich ausser der Faltenblatt- bildung noch diejenigen Puncte hervorhebe, die geeignet sind, die frühesten Entwicklungsvorgänge im befruchteten Insektenei, wie ich sie a. a. O. geschildert habe, zu stützen oder zu mo- dificiren.!) 1) Die Eier, welche zur Beobachtung dienten, fanden sich massen- weise im September und October 1863 in der Dreisam‘ bei Freiburg. Mehrere Hundert der für das blosse Auge dunkelbraun erscheinenden, nahezu kugligen Eier lagen ohne bestimmte Anordnung innerhalb einer farblosen Gallertmasse von eiförmiger oder beutelförmiger Gestalt und etwa 2 Cent. Längendurchmesser. Diese Gallertklumpen klebten oft 270 Dr. August Weismann: Gestützt auf die Beobachtungen an Chironomus und Musca vomitoria sprach ich mich dort sowohl gegen einen der Dot- terfurchung ähnlichen Process der Zellenbildung aus, wie auch gegen die sogenannte Zellenbildung durch Knospung. Die Oberflächenschichte des Dotters wandelt sich in ein homoge- nes Blastem um, in diesem entstehen allerorts gleichzei- tig Kerne, um welche sodann das Blastem sich kuglig zu Zellen zusammenzieht. Dies das Wesentliche der Bildung der Keimhaut, deren Entstehung in ganz gleicher Weise auch bei Phryganea vor sich geht. Fig. 1 zeigt die Keimhaut kurz nach ihrer Entstehung, die einzelnen Zellen noch gross, halb- kuglig vorspringend, daher die Fläche der Keimhaut uneben, höckerig. Dass diese Zellen’nur in einer Lage den Dotter bedecken, lässt sich deutlicher dann wahrnehmen, wenn die primären Zellen sich durch Theilung vermehrt und zugleich sich gegen- seitig abgeplattet haben zu regelmässig sechseckigen, im opti- schen Querschnitt (Fig. 2) quadratischen Formen. Unzweifelhaft wurde wahrgenommen, dass auch hier der Bildung der ersten Kerne ein Keimhautblastem vorher- geht, schmal und ziemlich dunkel, aber scharf vom Dotter abgesetzt und die ganze Oberfläche desselben überziehend. Auch die Polzellen wurden nicht vermisst, wenn sie freilich auch schwerer, und nur eine kurze Zeit hindurch zu erken- nen waren und zwar nur vor dem Auftreten der Kerne im Keimhautblastem. Bei Chironomus und Musca traten dieselben am hintern Eipol auf; desgleichen bei Phryganea an dem hin- tern, etwas zugespitzten Pol des kurzen breitovalen Eies. Eine Verschiedenheit zeigt sich im weitern Verhalten der Keimhautzellen. Bei den Dipteren entstand unter der einfachen Lage der Keimhautzellen von Neuem eine Blastemschicht, das „innere Keimhautblastem“, in welchem aber nicht wie- der Kerne sich bildeten, sondern welches von den einmal vor- in Haufen beisammen an Steinen und flottirtien mit dem freien Ende in dem rasch |fliessenden Wasser. Die Art wird erst in nächstem Sommer bestimmt werden können, wo ich eine Angabe darüber nach- folgen lassen werde. Zur Embryologie der Insecten, 271 handenen Zellen der Keimhaut resorbirt wurde und in dem- selben Mass schwand, als diese sich vergrösserten. Dieser Vorgang scheint bei Phryganea nicht aufzutreten. Sobald die Keimhaut gebildet ist, beginnt auch die bis an’s Ende der embryonalen Entwicklung nicht nachlassende Ver- mehrung der Zellen, mit welcher ein Kleinerwerden derselben Hand in Hand geht. Die Keimhaut verdickt sich aber nicht gleichmässig, sondern ganz wie bei den Dipteren, am einen Pol viel stärker; am hintern oder spitzen Pol entsteht eine Verdickung, die rasch zunimmt und sich über die ganze hin- tere Hälfte der Dotteroberfläche erstreckt (Fig. 3); zugleich verdünnt sich die Keimhaut auf der andern Hemisphäre bis zu dem Grad, dass sie bei der bald eintretenden Zusammen- ziehung der Keimhaut entzweireisst und so die Entstehung des Keimstreifens vermittelt. Ehe dies aber geschieht, beginnt die Bildung des Faltenblattes; es entsteht ein querer Wulst an der Grenze der Verdickung in der Nähe des spitzen Pols, anfangs nur kurz, bald aber gegen den vordern Pol schräg sich hinziehend und als ein Ringwall ein Kugelsegment um- fassend (Fig. 4 und 5, fb.).. Der Wulst lässt sich schon im Beginn seiner Bildung deutlich als Falte erkennen, die sich über die Fläche der Keimhaut hinlagert. Ihre Entstehung und ihr weiteres Wachsthum!' begleitet die ebenerwähnte starke und anhaltende Zusammenziehung der verdickten Keimhaut- partie, welche schliesslich das Reissen der verdünnten Stelle herbeiführt. Die Keimhaut bildet dann eine hüglige Vorwöl- bung, ganz so, als würde sie durch die sie umgebende Ring- falte zusammengeschnürt (Fig. 6, Kst... Während bei Beginn der Faltenblattbildung die Falte nur in der Nähe des hintern Pols eine erhebliche Dicke besass, hat sie sich jetzt im ganzen Umkreis in gleichem Masse erhoben (Fig. 6) und bildet ge- wissermassen den Rand eines Kraters, aus dessen Tiefe erst die eigentliche Spitze des Berges hervordringt (Fig. 7). Der Keimstreif ist dann bereits gebildet und stellt eine ovale Scheibe vor (Fig. 8, Kst.), welche nicht einmal die eine Seite des Eies vollständig bedeckt. Sowohl von dem Keimstreif der Dipteren als von dem der Zaddach schen Mystacides-Art un- 272 Dr. August Weismann: terscheidet er sich in Form und Grösse wesentlich. Bei Chi- ronomus geschieht die Umwandlung der Keimhaut in den Keimstreif durch einen Querriss, der sich dann nach hinten hin fortsetzt, die Spalte zwischen Kopf- und Schwanzende des- selben ist daher von Anfang an. klein, bei Mysiacides nigra entsteht der Riss auch in querer Richtung, die Keimhaut zieht sich stark zusammen, Kopf- und Schwanzende rücken zwar weiter auseinander, als bei Ohironomus, der Keimstreif um- fasst aber doch mindestens drei Viertel des Eiumfangs, ist schmal und viel länger als breit. Offenbar ist bei meiner Phryganee die Zusammenziehung der Zellenmassen während und nach der Keimstreifbildung viel stärker, als bei Mystaci- des und den Dipteren, wie sich auch durch die buchtigen, ge- kerbten Ränder des Faltenwulstes deutlich zu erkennen giebt (Fig. 7). Den Act des;Reissens habe ich nicht beobachten können, die fast kuglige Gestalt des Eies macht es unmöglich, mit Bestimmtheit über das Vorhandensein oder Fehlen einer ganz dünnen auseinandergedehnten Zellenlage zu entscheiden. Dass aber eine Continuitätstrennung erfolgt, unterliegt keinem Zweifel, wir haben es hier mit einem regmagenen Keim- streif zu thun. Auch die charakteristische, bei Chironomus in so exquisiter Weise beobachtete Drehung des Eiinhal- tes in Folge des Reissens der Keimhaut scheint hier vorzu- kommen. In zwei Fällen habe ich wenigstens mit Bestimmt- heit wahrgenommen, dass der Keimstreif, der im Beginn sei- ner Bildung dem Beobachter zugekehrt lag, nach seiner voll- ständigen Ausbildung auf die Rückseite des Eies gewandert und unsichtbar geworden war, während zugleich das Ei als Ganzes in seiner Lage durch die Gallerte, in welche es ein- gebettet lag, fixirt wurde. Die regelmässige Gestalt des Eies | erschwert die Beobachtung des Vorgangs bedeutend, der übri- gens auch nur insofern besondere Beachtung verdient, als er auf das gestörte Gleichgewicht der einzelnen Inhaltstheile hin- weist, nicht aber, wie bei den ungleichseitigen Tipulideneiern dem neugebildeten Keimstreif die für seine Weiterentwicklung vortheilhafteste Lage anweist. Ehe noch der Keimstreif vollständig vom Faltenblatt über- Zur Embryologie der Insecten. 273 zogen ist, zeigt sich an ihm die Trennung in zwei symmetrische Hälften: die Keimwülste (Fig. 7, Kw, Kw‘); auf seiner äussern Fläche bildet sich eine Längsfurche, ob auch auf sei- ner innern, wie bei Chironomus und Mystacides, ist schwer zu entscheiden, weil der Keimstreif zu dieser Zeit noch zu kurz ist, um irgendwo sich im optischen Querschnitt zu präsentiren. Aber auch die Aussenfurche vergeht sehr bald, oder nimmt doch an Deutlichkeit sehr ab, es liegt also hier einer der Fälle vor, wo der bilaterale Typus des Thiers sich nur schwach durch die Bildung von Keimwülsten ausspricht.!) Wenn der Keimstreif vollständig vom Faltenblatt überwach- sen ist, hat er auch bereits seine ursprünglich breitovale Ge- stalt verändert und sich in die Länge gestreckt (Fig. 9), sehr bald erreichen seine beiden Enden die Pole des Eies (Fig. 10), etwas später haben sie dieselben bereits um ein Beträchtliches überwachsen und nähern sich auf der Rückenseite einander (Fig. 11 und 12). Das Schwanzende wächst ohne seine Ge- stalt zu ändern, es bleibt stumpf abgerundet, das Kopfende aber erweitert sich lügelförmig nach den Seiten hin und bil- det zwei in der Mittellinie durch einen Einschnitt getrennte Lappen: die Seitenplatten (Figg. 11 und 12, sp). Das Faltenblatt, welches unmittelbar nach seiner Bildung eine Platte von bedeutender Dicke darstellte (Fig. 10, fb), hält mit dem Wachsthum des Keimstreifens nicht gleichen Schritt, es vermehrt sich nicht mehr an Masse und wird nun mechanisch durch das Auseinanderrücken seiner Befestigungspuncte, der Ränder des Keimstreifs, in die Länge gedehnt, wird dadurch immer dünner, bis es schliesslich etwa noch ein Achtel von der Dicke des Keimstreifs besitzt (Fig. 12 fb), während es anfänglich etwa ein Drittel desselben erreichte. Die Verdün- nung betrifft am meisten den in der Medianlinie gelegenen Theil, weniger die seitlichen Uebergangsstellen in dem Keim- 1) Leuckart vermisste bei Melophagus die Bildung von Keim- wülsten vollständig; vielleicht ist aber auch hier kurze Zeit hindurch eine Andeutung derselben vorhanden und kam nur nicht zur Beob- achtung, was sehr begreiflich sein würde, da die intrauterine Entwick- ung der Eier eine continuirliche Beobachtung unmöglich macht. 274 Dr. August Weismann: streiff und am wenigsten die dem Schwanzwulst aufliegende Partie des Faltenblattes (Fig. 12, fb‘). Offenbar spielt das Faltenblatt hier dieselbe Rolle bei der Biläung der Afteröff- nung und des Hinterdarms, wie bei Chironomus. Auch auf den Seitenplatten behält das Faltenblatt eine be- deutendere Dicke. wie deutlich zu sehen ist, wenn dieselben, wie es auf einem gewissen Stadium der Fall ist, sich im op- tischen Querschnitt beobachten lassen (Fig. 13, sp); hier bleibt eine ziemlich geräumige, klaffende Spalte zwischen Faltenblatt und tiefer Zellenschicht. Wenn die Verdünnung des Faltenblattes den höchsten Grad erreicht hat, beginnt die Differenzirung des vordern Theils des Keimstreifens in die einzelnen Theile des Kopfes. Zuerst bil- det sich die Mundeinziehung, und es ist sehr deutlich wahr- zunehmen, wie das Faltenblatt an ihr keinen Antheil nimmt, sondern sich als eine dünne Membran über sie wegspannt (Fig. 14, fb u. m). Kurz darauf aber ist es an dieser Stelle ver- schwunden, es hat sich in der Mittellinie gespalten und auf die Seitentheile des Keimstreifens zurückgezogen. Wie bei Mystacides und Chironomus, so schreitet auch hier die Spal- tung von vorn nach hinten vor, mehrmals traf ich gegen das Schwanzende hin das Faltenblatt noch unversehrt, während es am Kopfende bereits verschwunden war. Die Eier erwiesen sich leider für das Studium der weitern Veränderungen nicht als geeignet, sonst würde eine weitere Verfolgung, besonders des Aufbaues des Kopfes um so mehr von Interesse gewesen sein, als sich in der That hier Verschie- denheiten von dem Verhalten der Dipterenembryonen erken- nen liessen, die, im Speciellen verfolgt manchen Aufschluss zu versprechen schienen. Soviel nur liess sich feststellen, dass unmittelbar nach dem Reissen des Faltenblattes der Theil des- selben, welcher die Seitenplatten bedeckte, sich zu den Schei- telplatten umwandelt, während der vor der Mundeinziehung gelegene Theil des Keimstreifens zum Vorderkopf, der hinter derselben gelegene Theil zu den drei Ursegmenten des Kopfes wird. Diese letzteren markiren sich hier übrigens viel weni- ger als bei Mystacides, ich habe sie niemals deutlich gesehen, Zur Embryologie der Insecten. 275 was freilich in den mancherlei der Beobachtung ungünstigen Verhältnissen gerade dieser Species seinen Grund gehabt ha- ben kann. Ohnehin dauern die Querfurchen, welche die Ur- segmente andeuten, bei Mystacides wie auch bei Chironomus, nur ganz kurze Zeit und können, sobald man nicht continuir- lich beobachtet, leicht übersehen werden; eine continuirliche Beobachtung war aber nur selten auf längere Zeit hin ausführ- bar, der Missbildungen halber, welche sich sehr bald einstell- ten, sobald die Eier aus ihrem natürlichen Entwicklungsort, dem fliessenden Wasser, entfernt worden waren. Gleichzeitig oder wenigstens doch unmittelbar nach den drei Maxillarsegmenten, entstehen die drei Ursegmente des Thorax und behalten auch nach dem Hervorsprossen der An- hänge die queren, sie trennenden Furchen deutlich bei. In dem in Fig. 15 abgebildeten Stadium sind die drei Kie- fer — (md, mx!, mx?) und die drei Beinpaare (p', p?, p?) voll- kommen deutlich, nur die Antennen, welche ohne Zweifel auch hier vom hintern Winkel der Scheitelplatten entspringen, aber wie auch bei Mystacides anfänglich nach innen gebogen sind, liessen sich nicht erkennen. Ziehen wir das Facit aus den bis jetzt vorliegenden That- sachen über Entstehung und weiteres Verhalten des Faltenblat- tes, so muss dasselbe als eine den Insecten — ob allen? ob vielleicht allen Arthropoden? — durchaus eigen- thümliche Entwicklungserscheinung betrachtet wer- den; irgend einem der Blätter des Wirbelthierkeims entspricht es nicht, seine Genese scheidet es von jenen eben so scharf, als seine weitere Entwicklung. Es entsteht gleichzeitig mit dem Keimstreifen aus der Keim- haut und hat einen wesentlichen Antheil an der Bildung des- selben, indem es in allen Fällen — auch beim aregmagenen Keimstreifen — seine Grenzen bestimmt, bei dem regma- genen Keimstreifen aber die Verdünnung und das endliche Reissen der Keimhaut wesentlich mit herbeigeführt. Da, wo der Keimstreif sich bilden soll, verdickt sich die Keimhaut, an den Rändern der Verdickung erhebt sie sich wulstig, bil- . det eine Falte, die Falten der gegenüberstehenden Ränder 276 Dr. August Weismann: wachsen gegeneinander und spannen dadurch den nicht ver- dickten Theil der Keimhaut so an, dass er sich fortwährend verdünnt und schliesslich entzweireisst. Nun ist der Keim- streif gebildet und die auf ihm lagernde Falte wächst immer mehr über ihn hin, bis sie mit ihren Rändern zusammenstösst, verschmilzt und ein oberflächliches Blatt darstellt, das Falten- blatt, welches nur mit den Rändern des Keimstreifs, von wel- chen es auch seinen Ursprung nahm, zusammenhängt, sonst aber ohne zu verwachsen, seiner Oberfläche aufliegt. Anfänglich noch von ziemlicher Dicke, verdünnt es sich in dem Masse, als der Keimstreif in die Länge wächst und spal- tet sich sodann der Länge nach in der Mittellinie entzwei, um sich auf die seitlichen Theile des Keimstreifens, hinter die her- vorsprossenden Segmentanhänge zurückzuziehen und mit dem Keimstreifen wiederum zu einer Masse zu verschmelzen. Nur an den beiden Enden des Keimstreifens verhält es sich ab- weichend, am vordern Ende bildet es die Scheitelplatten, aus welchen die Seiten und die hintere Hälfte der dorsalen Kopf- fläche hervorgehn, am hintern Ende spaltet es sich überhaupt nicht, sondern verdickt sich um der zwischen den Keimwäülsten gelegenen Spalte als Decke zu dienen und so den Hinterdarm herzustellen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Ei während der Keimhautbildung. Das Keimhautblastem hat sich kuglig um die Kerne (die wegen der geringen Vergrösserung nicht angedeutet wurden) zusammengeballt und so die primären Keim- hautzellen gebildet. Vergr. hier und in allen nachfolgenden Figuren 160. Fig. 2. Die Keimhaut gebildet, die primären Zellen, durch Thei- lung vermehrt und zugleich abgeplattet, bedecken in einfacher Schicht den Dotter. ; | Fig. 3. Die Keimhaut am hintern Eipol bedeutend verdickt, am vordern verdünnt. Fig. 4 Das Faltenblatt (fb) erhebt sich am Rand der verdickten - Partie. Fig. 5. Entwicklung nur um Weniges vorgeschritten, Seitenansicht. Zur Embryologie der Insecten, - 2977 Die Keimhaut gerissen, das Faltenblatt zieht sich schräg gegen den vordern Pol hin. Fig. 6. Das Faltenblatt umgiebt wallartig den stark vorgewölbten centralen Theil des Keimstreifens (Kst.). Fig. 7. Der Keimstreif durch eine Längsfurche auf seiner äussern Fläche in zwei Keimwülste gespalten (Kw, Kw‘), während zugleich das Faltenblatt sich noch mehr über seine Fläche hingelagert hat. Fig. 8. Dasselbe Stadium; der Keimstreif en face gesehen, der ovale, centrale Theil noch nicht bedeckt vom Faltenblatt. Fig. 9. Der Keimstreif vollständig vom Faltenblatt überzogen. Fig. 10. Der Keimstreif hat sich in die Länge gestreckt, seine Enden erreichen die Pole des Eies. Profilansicht. Fig. 11. Die Seitenplatten (sp) am vordern Ende des Keimstreifs gebildet; das Faltenblatt besitzt noch eine bedeutende Dicke. Ansicht en face. E Fig. 12. Keimstreif dermassen in die Länge gewachsen, dass sich seine Enden auf der Rückenseite einander nähern, zugleich aber Fal- tenblatt bedeutend verdünnt, mit Ausnahme der dem Schwanzende des Keimstreifs aufliegenden Partie (fb‘). Fig. 13. Ansicht der Rückenseite, Stadium ungefähr dasselbe. Die Seitenplatten (sp) von einer dicken Lage des Faltenblattes überzogen. Fig. 14. Kopf- und Schwanzende des Keimstreifs bedeutend ge- nähert, das Faltenblatt aufs Aeusserste verdünnt. m Mundeinziehung. Fig. 15. Das Schwanzende etwas seitlich unter das Kopfende hin- gebogen ; Faltenblatt verschwunden, Scheitelplatten (schp) und Vorder- kopf (vk) gebildet; die Anhänge der Kopf- und Thoracalsegmente her- vorgesprosst; md Mandibeln, mxmı und mx? die beiden Maxillenpaare, p!, p?, p? die drei Fusspaare. 278 Dr. Ewald Hering: Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung für das Sehen bei ruhendem Blicke. Von Dr. EwaLp Hermes, Docent der Physiologie in Leipzig. Halten wir den Kopf unverrückt vertical aufrecht und geben sodann der Gesichtslinie nach einander alle hierbei möglichen Stellungen, so ist bekanntlich nur bei bestimmten Stellungen zugleich die Lage der Netzhaut derart, dass eine durch den jeweiligen Fixationspunct gehende, zum Erdhorizonte verticale Gerade sich auf der sogenannten „verticalen Trennungslinie* der bezüglichen Netzhaut abbildet, während bei allen übrigen Stellungen der Gesichtslinie das Netzhautbild einer fixirten Verticalen mit der verticalen Trennungslinie einen kleinen (übrigens verschiedenen) Winkel einschliesst. Eine durch die fixirte Verticaleund den mittleren Knotenpunct des bezüglichen Auges gelegte Ebene schneidet also die Netzhaut nicht immer in der verticalen Trennungslinie, sondern kann sie je nach Umständen auch in andern Meridianen schneiden, so dass die verticale Trennungslinie unter entsprechendem Winkel zu die- ser Verticalebene geneigt ist. Ich will hier, lediglich der Kürze wegen, diese Abweichung der verticalen Trennungs- linie von der erwähnten Verticalebene, d. i. zugleich vom Netz- hautbilde der fixirten Verticalen, kurzweg „die Abweichung der verticalen Trennungslinie“ nennen. Da sich also bei derselben Kopfstellung fixirte Verticalen je nach der Augenstellung auf verschiedenen Netzhautmeridia- Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung u. s. w. 279 nen abbilden, so könnte man meinen, dass jene Verticalen nun auch in entsprechend verschiedenen Lagen erscheinen müssten, d. h. nur in einigen bestimmten Fällen übereinstimmend mit der Wirklichkeit ebenfalls vertical, in allen andern Fällen mehr oder weniger nach der einen oder andern Seite geneigt, ent- sprechend der verticalen Trennungslinie. Darauf hin könnte man weiter fragen, wodurch wohl diese zu erwartende Des- orientirung ausgeglichen werde, da sie doch, wenigstens bei ruhendem Blicke, factisch nicht besteht. Als Mittel hierzu könnte man folgende Einrichtung denkbar finden: Käme uns, wenn wir das Auge bewegen, nicht blos die eingetretene Ortsveränderung der Gesichtslinie, sondern auch jede etwaige, gleichzeitig erfolgte Abweichung der verticalen Trennungslinie zum Bewusstsein, oder richtiger ausgedrückt, könnten wir nicht blos die Ortsveränderungen der Gesichts- linie, sondern auch die Lagenänderungen der Trennungslinien bei der Auslegung der Netzhautbilder mit einrechnen, so würde eine Abweichung der verticalen Trennungslinie ebensowenig zu einer falschen Auffassung der Lage .des Gesehenen füh- reis können, wie wir ein Ding, das sich auf der Netzhautmitte abbildet, nicht gerade vor uns, sondern seitwärts sehen, wenn wir uns bewusst sind, das Auge seitwärts’gewandt zu haben. Um nun zu erklären, wie das Sensorium von der jedesma- ligen Lage der Trennungslinien Kunde erhalte, könnte man entweder die viel missbrauchten „Muskelgefühle* herbeiziehen, oder aber die Annahme machen, dass mit jeder bestimmten Stellung der Gesichtslinie relativ zum Kopfe auch eine ganz bestimmte Lage der Netzhaut unauflöslich verknüpft, dass also jeder Stellung der Gesichtslinie eine bestimmte Lage der Trennungslinien obligat sei.) Wüssten wir nun aus Erfah- rung, welcher Netzhautmeridian bei jeder bestimmten Stellung der Gesichtslinie der verticalen Richtung in der Aussenwelt entspricht, so wäre die falsche Auffassung einer fixirten Ver- I) Rein theoretisch genommen könnte bekanntlich bei derselben Stellung der Gesichtslinie die Netzhaut, mit Ausnahme der Netzhaut- mitte, die verschiedensten Lagen haben. 280 Dr. Ewald Hering: ticalen verhütet. Da ferner bekanntlich schon nachgewiesen ist, dass wirklich jeder einzelnen Stellung der Gesichtslinie eine besondere Lage der Gesammtnetzhaut zugehört, so könnte man darin eine treffliche Bestätigung der aufgestellten Hypo- these finden. Es ist versucht worden, nun auch umgekehrt jene wirklich vorhandene unauflösliche Verknüpfung bestimmter Richtungen der Gesichtslinie mit bestimmten Netzhautlagen genetisch aus dem Vortheile zu erklären, den, wie wir eben sahen, eine solche Einrichtung für die Orientirung im Aussenraume zu haben scheint, und diesen Vortheil als letzten Grund oder viel- mehr als die physiologische Ursache jenes empirisch gefunde- nen Gesetzes der Augenstellungen anzusehen. Diesem Gesetze würde demnach ein Princip der leichtesten Orientirung zu Grunde liegen. Gleichwohl glaube ich zeigen zu können, dass diese ganze Betrachtung, abgesehen davon, dass sie vom Standpuncte der Identitätstheorie überhaupt nicht angestellt werden könnte, auch für das (einmal angenommene) Sehen mit nur einem Auge nicht haltbar ist. Wenn also das erwähnte hypothetische Prineip durch ein empirisch gefundenes Gesetz der Augenstel- lungen eine scheinbare Bestätigung erhielt, so ist dies ein für das Wesen der Sache zufälliges Zusammentreffen. Es liegt mir eine Reihe zum Theil schon bekannter Ver- suche und Beobachtungen vor, welche meiner Ansicht nach die Unhaltbarkeit jenes Principes darthun. Ich wähle einige aus, die der etwas Geübte ohne Weiteres anstellen kann, bin aber gern erbötig, falls meine Ansicht auf Widerspruch stossen sollte, sie noch ausführlicher zu begründen. Den Leser bitte ich um Wiederholung der einfachen Versuche. Zunächst scheint mir eine interessante Beobachtung, welche neuerdings Helmholtz angegeben hat und welche sich auch theoretisch aus dem von mir aufgestellten Gesetze der identi- schen Sehrichtungen ableiten lässt, gleichsam summarisch die Unhaltbarkeit des erwähnten Principes darzuthun. Helm- holtz sagt (Arch. f. Ophthalmologie Bd. IX. Abth. II. S.191): „Man stelle sich der verticalen, geraden Kante einer Mauer Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung u. s. w. 281 oder einer Thür gegenüber so auf, dass das Gesicht nicht ge- rade nach der Kante hin, sondern etwas seitwärts gerichtet ist, und die Kante also sich entweder nach rechts oder nach links vor dem Beobachter befindet. Man bewege den Blick an der Kante auf und nieder, ohne den Kopf zu bewegen, so wird dieselbe gekrümmt erscheinen, und zwar so, dass ihre Conca- vität gegen die Medianebene des Beobachters hinsieht. Eine rechts befindliche gerade Kante wird also nach rechts convex, nach links concav erscheinen, umgekehrt eine nach links be- findliche.* Will man die Beobachtung ganz rein haben, so muss man natürlich nur ein Auge benutzen, denn beim binocularen Sehen treten Doppelbilder auf, die zwar den Totaleffect des Versuchs nicht aufheben, aber doch die Klarheit des Gesehenen trüben. Die beobachtete Kante macht bei dem Versuche den Eindruck, als lege sie sich allmählich um, ändere continuirlich ihre Rich- tung, wodurch der Gesammteindruck entsteht, als habe man eine Ourve vor sich, welche doch auch stetig ihre Richtung ändert. Dieser Versuch beweist schlagend, dass die hier eintreten- den Abweichungen der verticalen Trennungslinien, infolge deren die fixirte Kante auf immer andere Netzhautmeridiane zu lie- gen kommt, bei der Auslegung des Netzhautbildes nicht mit eingerechnet werden; denn wäre dies der Fall, so müsste die Kante immer vertical erscheinen. Wir gingen bei der Ent- wicklung des erwähnten Princips der Orientirung davon aus, dass wir annahmen, es sei unserem Sensorium aus Erfahrung oder sonst wie bekannt, welcher bestimmte Netzhautmeridian bei jeder beliebigen Augenstellung einer durch den Fixations- punct gehenden Verticalen entspreche. Durchlaufen wir nun mit dem Auge eine bestimmte Reihe von Stellungen, so müsste uns demnach in jedem beliebigen Augenblicke eine Linie, welche sich auf dem, der verticalen Richtung eben entspre- chenden Meridian abbildet, auch wirklich vertical erscheinen, die beobachtete Kante könnte also nicht scheinbar ihre Rich- tung ändern, was doch der Fall ist. Woher kommt es nun aber, dass uns jene Kante, wenn Reichertt’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1864, 19 282 Dr. Ewald Hering: wir sie mit ruhendem Blicke betrachten, vertical und nicht in den meisten Fällen zum Horizonte geneigt erscheint? Dies liegt einfach darin, dass uns ihre verticale Lage erfahrungs- gemäss bekannt ist, beziehendlich darin, dass wir ihre Lage mit andern Aussendingen vergleichen, deren Lage uns aus Erfahrung bekannt ist. Sowie nämlich das Netzhautbild der fixirten Verticalen von der verticalen Trennungslinie abweicht, annähernd ebenso weichen auch die Bilder aller übrigen ver- ticalen Conturen der gleichzeitig gesehenen Aussendinge von der Richtung jener Trennungslinie ab. Es müsste also die gesammte jeweilige Aussenwelt in gleichem Sinne ver- schoben erscheinen, was nicht der Fall ist, weil wir durch Erfahrung besser über ihre Lage unterrichtet sind. Etwas anderes wäre es, wenn jene Verschiebung eine sehr erhebliche wäre. Die Abweichungen der verticalen Trennungslinie aber sind bekanntlich selbst im äussersten Falle verhältnissmässig gering, liegen daher innerhalb der Grenzen der möglichen Cor- rection durch die Erfahrung. Dass diese Erklärung die rich- tige ist, geht daraus hervor, dass noch viel grössere, schein- bar unvermeidliche Desorientirungen durch die Erfahrung, welche uns eines Besseren belehrt, corrigirt werden. Ich be- nutze als Beispiel einen in ähnlicher Weise schon von Aubert (Arch: f. pathol. Anat. u. Phys. XX.) angestellten Versuch. Erzeuge ich mir auf den verticalen Trennungslinien das leb- hafte Nachbild eines verticalen Striches, schliesse dann die Augen und neige meinen Kopf soweit seitwärts, bis mir das Nachbild horizontal erscheint, so bedarf ich hierzu einer stär- keren Neigung des Kopfes als um 90°. Jeder mich bei dem Versuche Beobachtende sieht dies. Oeffne ich nun, nachdem mir das Nachbild eben noch horizontal erschienen ist, die Augen, ohne die Kopfstellung zu ändern, so sehe ich auf einer dem Gesichte parallelen Wand das Nachbild nicht etwa auch _ horizontal, sondern stark gegen den Horizont geneigt, ganz entsprechend der übermässigen Neigung, die ich mit dem Kopfe ausgeführt habe. Dies beweist, dass ich nicht im Stande bin, meine bezügliche Kopfstellung so genau zu beurtheilen, dass ich lediglich auf Grundlage dieses Urtheils meine Netz- Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung u, s. w. 283 hautbilder richtig localisiren könnte. Da ich aber gleichwohl mit offnen Augen bei der erwähnten Kopfstellung die vertica- len und horizontalen Contouren der Aussenvrelt wirklich auch vertical und horizontal sehe, so kann dies nur auf Grundlage meiner anderweitigen Erfahrung über ihre wirkliche Lage, nicht aber auf Grundlage einer Kenntniss der jeweiligen Kopf- stellung geschehen. Ich sehe also, wenn ich z. B. meinen Kopf um 90° seitwärts geneigt habe, und daher die verticale Trennungslinie horizontal liegt, eine auf ihr abgebildete Hori- zontale nicht darum wirklich horizontal, weil ich mir der Lage des Kopfes und der verticalen Trennungslinie genau bewusst wäre, sondern die bewusste Neigung bleibt hinter der wirk- lichen weit zurück, und der übrig bleibende Fehler wird aus- geglichen durch die Erfahrung, welche mich darüber belehrt, was wirklich horizontal und vertical ist. Die bei diesen und ähnlichen Versuchen aus der Kopfneigung resultirenden Feh- ler sind aber bisweilen viel grösser, als die aus der Abwei- chung der verticalen Trennungslinien resultirenden, und wenn jene grossen Fehler in der angegebenen Weise corrigirt wer- den können, so noch vielmehr diese kleinen. Wie leicht in der That die in Folge der Abweichung der verticalen Tren- nungslinie zu erwartende Desorientirung ausgeglichen wird, beweist folgender Versuch: Man stelle sich gerade vor "einen verticalen Fensterstock oder dergl., neige dann den Kopf mög- lichst stark rückwärts und fixire z. B. einen, nahe und gerade vor’s Gesicht gehaltenen Finger mit einem Auge, während das andere geschlossen ist. Der, mehr oder weniger , indirect gesehene Fensterstock erscheint dann wirklich vertical. Das- selbe ist der Fall, wenn man das erstbenutzte Auge schliesst und nach einer Weile das andere öffnet und mit ihm den Finger fixirt. Fixirt man dagegen den Finger mit beiden Augen zugleich, so divergiren die Doppelbilder des Fenster- stockes stark nach oben, erscheinen also beide nicht vertical, sondern stark zum Horizonte geneigt, trotzdem dass sie beim doppeläugigen Sehen sich genau auf demselben Meridian ab- bilden, wie beim einäugigen Sehen. Die Correetion der schie- fen Lage des Bildes ist natürlich nicht möglich, sobald beide 13° 284 Dr. Ewald Hering: Bilder zu gleich erscheinen, während dieselbe für nur eines sehr leicht ist.!) Aus diesem Versuche leuchtet nun schon deutlich hervor, dass vom Standpuncte der Identitätstheorie die Aufstellung des oben erwähnten Princips der leichtesten Orientirung überhaupt nicht möglich ist. Sollten nämlich die erfolgten Abweichun- gen gleichsam corrigirt werden, so könnte uns eine fixirte Verticale der Aussenwelt nie in Doppelbildern er- scheinen, was erfahrungsge mäss oft genug der Fall ist. Bei gewissen Convergenzstellungen und aufrechtem Kopfe sehen wir eine feine Verticallinie in Doppelbildern, die sich im Fixa- tionspuncte durchschneiden. Die Verticale bildet sich dabei auf Meridianen ab, die mit der verticalen Trennungslinie einen Winkel machen und zwar in beiden Augen nach entgegenge- setzter Richtung. Würde diese Neigung des Netzhautbildes durch ein quasi Bewusstsein der erfolgten Abweichung der verticalen Trennungslinie corrigirt, so müssten beide Netzhaut- bilder vertical, also, da beide durch den Fixationspunct gehen, zugleich auch einfach erscheinen, was wie gesagt nicht der Fall ist. Ebenso geht die Unvereinbarkeit jenes Principes mit dem Gesetze der Identität aus folgendem Versuche hervor: Hat man®‘uf beiden verticalen (oder horizontalen) Trennungslinien das Nachbild eines möglichst feinen Striches erzeugt,?) so kann man die ofinen oder geschlossenen Augen in jede beliebige Stellung bringen, ohne dass das Nachbild jemals dop- pelt erscheint; dies müsste es aber, sobald in beiden Augen eine verschiedene Abweichung der verticalen Trennungslinie eintritt, falls nämlich diese Abweichung bei der Auslegung der Netzhautbilder mit eingerechnet würde. 1) Es wäre eine leere Ausflucht, sagen zu wollen, das erwähnte Prin- eip gelte nur soweit, als es nicht mit der Identität in Collision komme. Ueberdies beweisen die oben beschriebenen Versuche, dass es auch für einäugiges Sehen nicht gültig ist. 2) Man achte ja darauf, dass die Nachbilder wirklich genau iden- tisch liegen, wähle also bei ihrer Erzeugung z. B. eine sogenannte Meissner’sche Secundärstellung. Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung u, s, w. 985 Das sogenannte Princip der leichtesten Orienti- rung in den Ruhestellungen des Auges ist also un- haltbar, wie sich dies auch auf anderem, als dem hier ein- geschlagenen Wege darthun lässt. Der Vortheil, den das oben erwähnte, empirisch gefundene Gesetz der unauflöslichen Ver- knüpfung einer bestimmten Netzhautlage mit einer bestimmten Richtung des Auges für das Sehen hat, liest in etwas ganz Anderem, worüber ich mich nächstens in einer Abhandlung über die Augenbewegungen auszusprechen gedenke. Ich be- handelte das erwähnte Princip schon hier, weil sich seine Un- haltbarkeit unmittelbar aus dem Gesetze der identischen Seh- richtungen ergiebt. Ich habe das Princip an dem speciellen Beispiel der Orien- tirung über die verticale Richtung erörtert, weil sie die wich- tigste ist und aus naheliegenden Gründen die einfachsten Ver- hältnisse bietet. Will man aber das Ergebniss der vorliegen- den Untersuchung allgemein aussprechen, so lautet es: Die sogenannten „Raddrehungen“ der Augen werden nicht, wie dieStellungsänderungen der Gesichtslinie, bei der Auslegung der Netzhautbilder mit eingerech- net. Trotzdem tritt bei ruhendem Blicke eine Des- orientirung für gewöhnlich darum nicht ein, weil sie durch unsere Erfahrung („Urtheil*) verhütet wird. Eine erfolgte„Raddrehung“ ist also für das binocu- lare Sehen bei ruhendem Blicke nur insofern von Bedeutung, als sie die Gestalt des Horopters beein- flusst, wie ich dies im III. Hefte meiner „Beiträge zur Phy- siologie* erörtert habe. Ueber die Bedeutung der „Raddrehun- gen“ bei bewegtem Blicke werde ich in der erwähnten Ab- handlung über die Augenbewegungen meine Ansichten vor- bringen. — 286 | Dr. Wenzel Gruber: Vorläufige Mittheilung über die secundären Fuss- wurzelknochen des Menschen. Sem Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. Das Tuberculum laterale der hinteren Fläche des Talus, die Hälften des Os cuneiforme I. und die des Os cuboideum können als selbstständige Knochen, Ossa tarsi secundaria, auf- treten. Dadurch kann die Zahl der Fusswurzelknochen mög- licher Weise bis auf 10 steigen. Den Talus secundarius kenne ich seit 1854; das Os cunei- forme I. in zwei selbstständige Knochen, d. i. in das O. ce. I. secundarium dorsale und plantare geschieden, kenne ich seit 1863; das Os cuboideum in zwei selbstständige Knochen, d, i. in das O. c. secundarium mediale und plantare getheilt, hat Ph. Fr. Blandin!) in zwei Fällen beobachtet. Der Talus secundarius vertritt die Stelle des Tuberculum laterale der hinteren Fläche des Talus und hilft den Sulcus tali zur Aufnahme der Sehne des M. flexor longus hallucis bilden. Er hat in der Regel die Gestalt eines Viertelsegmen- tes eines sphärischen Körpers. Seine Grösse variirt. Ich sahe den Knochen in einem Falle so gross, dass er 10 Linien in transversaler Richtung, 8 Linien in verticaler und 6 Linien in sagittaler im Durchmesser hat. Sein Vorkommen ist durch Bildungsanomalie und Bildungshemmung zugleich bedingt. Es tritt nämlich anomaler Weise im Tuberculum laterale der hin- 1) Traite d’anat, topogr. 2. edit. Paris. 1834. p. 661. Vorläufige Mittheil. über d. secundären Fusswurzelknochen u.s, w. 287 teren Seite des Talus, die ich noch im 11. Jahre ganz knorp- lig angetroffen habe, ein zweiter besonderer Össificationspunct auf, wie normaler Weise ein solcher im knorpligen Tuber des Calcaneus im 8--10. Lebensjahre, Dieser zweite Ossifications- punct bildet bei fortschreitender Verknöcherung eine auf das Tuberculum laterale posterius tali beschränkte-Epiphyse. Diese anomal vorkommende Epiphyse verschmilzt bald knöchern mit dem Talus, bald bleibt sie davon isolirt. Ist Letzteres der Fall, so steht sie entweder zeitlebens durch Synchondrose mit dem Talus in Verbindung, oder vereiniget sich damit durch eine Art Gelenk, welches sich in der Synehondrose durch Er- weichung und Verflüssigung vom Centrum gegen die Periphe- rie bildet, und wird ein selbstständiger Knochen, d.i. der Ta- lus secundarius. Ich besitze 3 gesunde Tali von Erwachsenen, an welchen die das Tuberculum laterale posterius substituirende Epiphyse zwar schon knöchern verwachsen ist, jedoch äusserlich und innerlich noch die Spuren ihrer früher dagewesenen Trennung aufweiset. Die nahtförmigen äusseren Trennungsspuren hät- ten mich an geheilte Fractur, also an ein abgebrochenes und wieder an den Talus ungeheiltes Tuberculum laterale poste- rius glauben machen können, wenn ich, nebst Mangel jeder Spur verknöcherten Callus, nicht auch die wirkliche Existenz einer anomal am Talus vorkommenden Epiphyse gekannt hätte. Cloquet?) hat schon vor 20 Jahren in einer der Sitzungen der anatomischen Gesellschaft zu Paris einen Talus mit einer Verlängerung an dessen hinterer Seite vorgezeigt, die an der Stelle ihrer Vereinigung mit dem ersteren eine Art Narbe auf- wies. In der über die Bedeutung dieser Verlängerung ent- standenen Discussion, entschied sich Cloquet „für ein ver- heiltes Fragment des ehemals gebrochenen Talus. Da der aufgefundenen Spuren von verknöchertem Callus nicht erwähnt wird, so scheinen dieselben nicht zugegen gewesen zu sein, welche doch hätten vorhanden sein müssen, wenn die aufgestellte An- 1) Bull. de la Soc, anat, de Paris ann. XIX.1844. Bull. S. No. 3. p. 131. 288 Dr, Wenzel Gruber; sicht als richtig angenommen werden könnte. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass Cloquet sich täuschte, und, wegen Nichtkenntniss des möglichen Vorkommens einer Epiphyse am Talus, diese für ein Bruchstück nahm, Auch Hyrtl!) scheint es 16 Jahre später nicht unmöglich, dass ein zu einem grösseren Processus trochlearis (welchen Namen er nicht ver- dient) entwickeltes Tuberculum laterale posterius tali möglicher Weise durch Fractur ein selbstständiger Knochen werden könne. Die Möglichkeit der Fractur des Tuberculum laterale posterius tali mit Verwachsung durch verknöcherten Callus oder Vereinigung vermittelst Pseudarthrose durch Symphyse oder durch Diarthrose kann allerdings nicht geläugnet werden; — aber dann werden doch die Spuren von Callus nachgewie- sen werden können, von welchen in Cloquet’s Falle nichts erwähnt ist. Diese Fractur wird dann allenfalls durch An- stemmen der Tibia an das Tuberculum laterale posterius tali, nicht aber durch Anstemmen des letzteren an den Calcaneus, wie Hyrtl meint, herbeigeführt werden können, weil bei forecir- ter Streckung des Fusses in der Articulatio talocruralis das Tubereulum laterale posterius tali vom rauhen Rücken des Calcaneus sich entfernt, statt sich demselben zu nähern, also sich an denselben nicht stemmen kann. Ich besitze bis jetzt 14 Tali von 12 Individuen aus dem Jünglings- bis in das Greisenalter beider Geschlechter, welche bestimmt die bewusste Epiphyse aufweisen. Diese Epiphyse, so lange sie noch durch Synchondrose mit dem Talus vereini- get ist, articulirt wie das Tuberculum laterale posterius tali nur an einer Facette der Gelenkfläche des Körpers des Cal- caneus und zeigt in den meisten Fällen eine bald geringere bald grössere Beweglichkeit. Ist sie aber gelenkartig mit dem Talus verbunden, tritt sie also als Talus secundarius auf, dann artieulirt sie am Caleaneus mit ihrer unteren Fläche und am Talus mit ihrer vorderen Fläche. Ich habe diese anomal vor- 1) Ueber die Trochlearfortsätze der menschlichen Knochen. Mit 4 Taf. — Denkschriften der Kais. Akad. d. Wiss., Math. naturwiss. Classe, Bd. XVII, Wien 1860. S. 153. Vorläufige Mittheil. über d. secundären Fusswurzelknochen u. s. w, 989 kommende, mit dem Talus bald zeitlebens durch Synchondrose vereinigte, bald damit durch ein Gelenk verbundene Epiphyse unter 24—25 Individuen lmal und meistens nur am Talus eines Fusses, häufiger bei Weibern (lmal unter 12) als bei Männern (lmal unter 31—32) beobachtet. Mit dem Talus secundarius dürfen nicht die am und neben dem Tubereulum laterale posterius tali vorkommenden Kno- chenbildungen, die häufig förmliche Ossicula sesamoidea dar- stellen, verwechselt werden. Sie sind mit dem Talus bald gelenkartig yereiniget, bald nicht. Sie besitzen an den Gelenk- flächen bald einen knorpligen, bald einen bindegewebigen Ueberzug. Sie artieuliren bald nur am Talus oder Calcaneus, bald an beiden. Ich besitze bis jetzt 16 sichere Fälle, die bald mit dem Tubereulum laterale posterius tali, bald mit der dieses substituirenden Epiphyse oder dem Talus secundarius vorkamen, auf denselben, neben denselben lateralwärts und neben denselben rückwärts lagen. Ich sah unter diesen Fäl- len Ossicula sesamoidea superiora, lateralia und postica. Das in dieser Region von J. Chr. Rosenmüller!) gesehene und von ihm schon vor 60 Jahren beschriebene Knöchelchen war eines von diesen Ossicula sesamoidea. Auch das von Andr. Schwegel?) in einem Falle gesehene Beinchen, welches die- ser im Drange der Zeit voreilig ohne Begründung als 8. Fuss- wurzelknochen aufgestellt hat und Andere nach ihm als solches ohne Prüfung angenommen haben, gehört nach dem, wie es ganz unvollständig und oberflächlich hingestellt ist, hierher, wie ich ausführlich beweisen und abfertigen werde. In meinem Besitze befinden sich mehrere Ossa cuneiformia I. mit Andeutung zu ihrer Partition; zwei mit unvollständiger Partition von einem Weibe; und ein rechtseitiges mit vollstän- diger Partition in das O. c. I. secundarium dorsale und plan- tare von einem Manne, und im letzteren Falle mit allen Kenn- 1) De nonnullis musculorum corporis humani varietatibus. Lipsiae 1804. 40. p. 8. 2) Knochenvarietäten. — Zeitschr. f. rationelle Mediein v. Henle und Pfeufer. 3. Reihe. Bd. 5. Leipzig und Heidelberg 1859. S 318. 290 Dr. Wenzel Gruber: zeichen ihres Vereinigtgewesenseins durch ein wirkliches Ge- lenk. Das Vorkommen dieser Ossa tarsi secundaria war ent- weder bedingt dadurch, dass zwei knorplig praeformirte Ossa cuneiformia I. unabhängig von einander verknöcherten, später durch Anchylose theilweise sich vereinigten oder gänzlich ge- trennt blieben; oder dadurch, dass in einem einzigen knorplig praeformirten Os cuneiforme I. zwei Össificationspuncte auf- treten, welche bei fortschreitender Verknöcherung zwei beson- dere Knochenstücke bildeten, die nur theilweise oder gar nicht knöchern miteinander verschmolzen, und im letzteren Falle zwei durch Synchondrose vereinigte Knochenstücke darstellten, welche später durch Entwicklung eines accidentellen Gelenkes in der Synchondrose zwei besondere Knochen wurden. Das Ausführliche wird eine Monographie enthalten, die ich bald zu veröffentlichen gedenke. St. Petersburg, am 5. 1864. Elias Mecznikow: Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel. 29] Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen, Von ELıaS MECZNIKOW. Nach meinen Untersuchungen über den Stiel der Vorticel- len!) sind noch zwei Arbeiten zu Tage gekommen, welche in einem gewissen Grade denselben Gegenstand behandeln; die eine von diesen Arbeiten, Prof. Cohn angehörend,?) behandelt die uns zu beschäftigende Frage nur beiläufig, während die andere, von Dr. Kühne,?) meine Beobachtungen zu wider- legen strebt. Der erste der genannten Forscher schliesst sich, ohne vor- her Beobachtungen angestellt zu haben, der Meinung an, welche ich in meinem oben genannten Aufsatze durch directe Beobachtungen beweisen wollte, dass nämlich bei den nieder- sten Thieren kein Muskelgewebe, sondern ein contractiles Parenchym vorhanden ist, dessen physiologische Bedeutung Prof. Cohn der des contractilen Parenchyms der Pflanzen gleichsetzt; er umging also vollständig die Frage, deren Auf- klärung die Arbeiten von Dr. Kühne und mir gewidmet sind. Da aber ein näheres Eingehen über diese Frage, bevor wir 1) Archiv für Anatomie und Physiologie 1860. S. 180. 2) Ueber die contractilen Staubfäden der Disteln in Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. XII. (1862) S. 366. 3) Bemerkungen, betreffend den oben $. 180 befindlichen Aufsatz des Hrn. Mecznikow etc, im Archiv für Anatomie und Physiologie 1863. S. 406, 292 Elias Meeznikow: zu weiteren Unternehmungen über den Stiel der Vorticellen schreiten, nothwendig ist, so will ich hier bei dieser Frage etwas länger verweilen; ich glaube dieses um so mehr thun zu müssen, da die letzte Arbeit von Dr. Kühne allen mei- nen Beobachtungen gerade widerspricht, und ich nach Ver- öffentlichung meiner ersten Untersuchungen die Gelegenheit hatte, meine früher angestellten Versuche an einer viel com- plieirteren Vorticelline zu wiederholen. Was die morphologische Seite unserer Frage anbetrifft, so ist sie ven den verschiedenen Anhängern der Muskel- natur des Stieles verschieden beantwortet worden. Nach Leydig befindet sich im Stiele ein Sarkolemm, welches die contractile Substanz umschliesst, die ihrerseits von Streifen, den einzelnen Muskeltheilchen, d. h. den einander anliegenden Keilchen entsprechend, durchfurcht ist.!) In seiner letzten Bemerkung?) über den Bau des Stieles des Zoothamnium arbuscula spricht Leydig schon nicht mehr von Querlinien am Streifen, sondern weist nur auf die sehr deutliche Differenzirung des Sarkolemma und Inhalts hin. Diese Bemerkung widerspricht aber vollkommen der von Leydig früher vertretenen Ansicht, denn eine so starke Differenzirung des Sarkolemma hebt die Aehnlichkeit der Vorticellenstiele mit den Muskeln der Rotatorien und Turbellarien vollständig auf, die doch von ihm in seinem Lehrbuch der Histologie ver- muthet wurde. Die Existenz von Querlinien ist durch - die Beobachtungen von Kühne und mir genügend widerlegt wor- den, auch am Stiele des Carchesium polypinum konnte ich bei 1300maliger Vergrösserung von Hartnack überhaupt nicht die geringste Organisation entdecken, geschweige denn Querlinien. Die mit den feinsten Körnchen versehene Membran, in welcher der Oentralstreifen frei gebettet ist, hat Leydig als Sarkolemm angesprochen, was doch dem allgemeinen Be- griff vom Sarkolemma widerspricht, da man doch darunter 1) Lehrbuch der Histologie. 1857. S. 17, 133 u. Fig. 67. 2) Naturgeschichte der Daphniden. 1860. Anm. z. S. 33. Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen, 293 nicht eine einfache Scheide, welche ganz frei den centralen, activen Theil des Stieles umschliesst, begreifen kann. Diese unrichtige Ansicht von Leydig thut sich noch dadurch kund, dass Dr. Kühne, nachdem er diese Membran als Sarkolemma angenommen hatte!), nach einigen Seiten ihr die Bedeutung einer Fascie zuschreibt und hierbei die Vermuthung ausspricht, dass der Streifen „mit einer Membran, einem wahren (!) Sar- kolemm umgeben ist.*?) Hierher gehört auch die Ansicht von Kühne über die flüssige. Consistenz des Centraltheils des Fadens, gegen welche aber die nicht selten vorkommenden Risse am Stiele sprechen, da der obere Theil dabei seine con- tractile Fähigkeit durchaus nicht einbüsst. Ganz anders be- trachten den Bau des Stieles Clapar&ede und Lachmann?) die ihn aus Längsfibrillen zusammengesetzt sein lassen, wie sie es in einem Falle an einem Zoothamnium alterans beobach- tet haben wollen. Da es mir aber nie gelungen ist, an vielen Vorticellinen, die ich beobachtet habe, weder im normalen Zustande, noch bei Einwirkung verschiedener Substanzen, so etwas zu sehen, und da so eine Beobachtung nur ein Mal ge- macht ist, so wäre ich fast geneigt, diesen einzigen Fall als einen pathologischen zu betrachten. Es ist also aus dem Gesagten zu ersehen, dass der com- plicirte Bau, den man dem Stiele zuschreiben wollte, in Wirklichkeit durchaus nicht existirt; es ist daher begreif- lich, warum Dr. Kühne zur Entscheidung der Frage über die Natur des Stieles einen neuen Weg einschlug. Die von ihm erhaltenen Resultate führten genannten Forscher zur voll- kommenen Identificirung des Vorticellenstieles mit dem Mus- kel;*) eine Aussage, welcher die bei meinen Untersuchungen 1) Myologische Untersuchungen, 1860. 8. 214. 2) Ibidem S. 220, 3) Etudes sur les Infusoires et les Rhizopodes. I, (1858). p. 90 u. Taf. II, Fig. 4. 4) „Mit welchem Rechte man die musculöse Natur dieses Fadens (des Stielstreifens) hat leugnen wollen, ist mir unbekannt, da es äusserst wahrscheinlich ist, dass derselbe den wirklichen Muskel und die umgebende Masse eine Art von Sarkolemm darstelle.“ (Myol, Unter- DIA Elias Mecznikow: erhaltenen Resultate scharf widersprechen, Gegen diese meine Untersuchungen hat Dr. Kühne seine letzten in einem ziemlich derben Tone gehaltenen Bemerkungen veröffentlicht. Diese Bemerkungen erfordern meinerseits einige Aufklärung und Widerlegung, und ich schreite zu diesem Geschäfte nur um die Wahrheit in ihre Rechte zu setzen bei einer Frage, die nach meiner Ansicht schon entschieden ist. Die von mir gemachten Citate aus den Arbeiten des Dr. Kühne, sowie auch alle vorher gemachten Bemerkungen be- weisen klar und deutlich, dass nach der Ansicht aller genann- ten Forscher der Stiel der Vorticellen mit dem Muskel vollkom- men identisch ist. Dr. Kühne spricht diese Ansicht am be- stimmtesten aus, weil er die Bewegungen des Stieles in die Reihe der Muskelbewegungen setzt und sie dadurch streng von allen übrigen Bewegungen der niederen Thiere trennt.!) In diesem Sinne trat ich der Ansicht des Dr. Kühne entgegen, da sie mit meinen Resultaten durchaus nicht stimmen wollte; ich setze mir nur als ferneres Ziel eine Verallgemeinerung der verschiedenen Arten von Bewegung der niedern Thiere. In seinen Bemerkungen gegen meinen Aufsatz scheint Dr. Kühne von seiner früheren Meinung etwas nachgelassen zu ha- ben, indem er sagt: „ich werde vollkommen zufrieden sein, wenn man, meinem Vorgange folgend, nur einige gemeinsame Eigenschaften der sogenannten contractilen oder irritablen Substanzen anerkennt.“ Und sogar bei diesem bescheidenen Wunsche ist der Aufsatz von Dr. Kühne nicht frei von Fehl- schlüssen bei seinen Einwürfen gegen meine Untersuchungen. Dr. Kühne sieht die Verwunderung des Herrn Prof. du Bois-Reymond (an welchen die „Bemerkungen“ adressirt suchungen. S. 214) „Der Stiel der Vorticellen verhält sich also ganz wie der Froschmuskel* (Ibidem S. 216). „..... wenn ich die Stiele der Vorticellen für wahre Muskeln erklären muss, so ge- schieht das auf den Grund der Uebereinstimmung in der Reizbarkeit und einer grossen Aehnlichkeit in der Wirkung einzelner Gifte, wie 2. B. des Veratrins.“ (219.) 1) „Die Bewegungen der Sarkode sind durchaus von den wahren Muskelbewegungen zu trennen.“ (M. Unt. S. 223.) Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen. 295 sind) voraus bei der Vergleichung seiner Angaben über den Einfluss der Elektrieität auf den Vorticellenstiel mit den mei- nigen. Dr. Kühne findet, dass unsere beiderseitigen Anga- ben vollkommen übereinstimmen. Dr. Kühne liess aber bei dieser Vergleichung einen sehr wichtigen Umstand aus dem Auge, durch welchen der ganze Unterschied zwischen seiner Beschreibung und der meinigen bedingt wird. Dieser Unter- schied besteht darin, dass nach Kühne der Vorticellenstiel sich nur bei Verstärkung des Stromes zum zweiten Mal contrahirt, während bei mir ganz deutlich gesagt ist, dass diese aberma- lige Zuckung bei einer und derselben Stärke des Stromes ge- schieht: „Die zusammengerollte Stellung behalten die Stiele „aber auch bei fortdauernder Stromeseinwirkung nicht lange — „bald streckt sich das Thierchen und beginnt seine Bewegun- „gen von Neuem.“ — Das hier hervorgehobene Factum zeigt ‘ nicht nur den Unterschied zwischen der Beschreibung des Herrn Dr. Kühne und der meinigen, sondern auch das verschiedene Verhalten des Stieles und des Muskels zum elektrischen Strome; die Wirkungsweise dieses Agens auf den Vorticellenstiel steht vielmehr dem Einflusse der Elektricität auf das contractile pflanzliche Parenchym viel näher, wie es aus den Unter- suchungen von Prof. Cohn ersichtlich ist. Den Unterschied in unsern beiderseitigen Angaben über Wirkung der einprocentigen Salzsäurelösung auf den Vorti- cellenstiel erklärt Dr. Kühne mit einem Fehler in meiner Untersuchungsmethode; er sagt nämlich Folgendes: „Herr „Meceznikow hat die verdünnte Säure an der Lemnawurzel „entlang fliessen lassen, und Bewegungen der Vorticellen be- „schrieben, welche stattfanden, so lange die Säure noch nicht „in hinlänglicher Concentration bis zu den Thieren vorgedrun- „gen war.“ Das Schönste bei dieser Erklärung ist, dass Dr. Kühne in meinen Untersuchungen Lemnen vorfindet, von ‚welchen ich nichts erwähnt habe und welche bei mir auch nicht existiren konnten, da alle meine Versuche an Vorticellen- arten angestellt worden sind, welche nur in den Häutchen künstlicher Aufgüsse leben (was doch Dr. Kühne bekannt sein sollte). Uebrigens widerspricht Dr. Kühne selbst dieser 296 Elias Mecznikow: sonderbaren Erklärung, indem er auf der nächsten Seite sei- ner Bemerkungen mittheilt, dass sogar eine 0,05 procentige Salzsäurelösung die Vorticellen fast augenblicklich tödtet. Leider muss ich auch dieses, sowie alle früheren Versuche des Hrn. Dr. Kühne über die Wirkung der Salzsäure auf den Stiel der Vorticellen für unrichtig erklären. Vielleicht ist die Unrichtigkeit im vorliegenden Versuche einigermassen dadurch zu erklären, dass Dr. Kühne die Lemnawurzel sammt den Vorticellen zuerst in die Salzsäurelösung tauchte und sie erst dann unter das Mikroskop brachte, während ich diesen Versuch so anstellte, dass ich einige Tropfen der 0,05procentigen Salzsäurelösung zu den unter dem Mikro- skope liegenden Vorticellen hinzufügte, wobei ich immer be- müht war, dass an dem Präparat anhaftende Wasser so gut als möglich zu entfernen, um die schon an und für sich schwache Lösung nicht noch mehr zu verdünnen. War der Ver- ‚such mit solchen Vorsichtsmassregeln angestellt, so fand ich immer sogar nach Verlauf von 1'/, Stunde lebende Vorticel- len, die ganz munter ihren Stiel bald strecken, bald zusam- menrollen; aber schon nach drei Viertelstunden verliert das Parenchym des Leibes und des Streiferis viel von seiner Durch- sichtigkeit. Eine einprocentige Salzsäurelösung bleibt im Verlauf von 25 Minuten ganz ohne Einfluss auf die Bewegung des Vorti- cellenstieles. Wirkt aber diese Lösung noch länger ein, so gehen die Vorticellen zu Grunde, wobei der Leib und der Streifen ganz undurchsichtig werden. Zwanzig Minuten nach dem Tode des Leibes führt der Stiel seine Bewegungen noch aus; bald darauf aber beginnt der Streifen sich abzulösen. Dr. Kühne macht mir zum Vorwurf, dass ich die von ihm beschriebene Starre, welcher er sehr viel Gewicht bei- legt, ganz ausser Acht gelassen habe; ich that dies aber aus dem Grunde, weil ich es als ganz überflüssig erachtete, nachdem ich bewiesen hatte, dass die Bewegungen des Vorticellenstieles in einer Salzsäurelösung durchaus nicht die- selben Erscheinungen wie der Muskel bei denselben Bedin- gungen darbieten. Uebrigens kann die Starre nicht als spe- Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen. 997 cifisches Kennzeichen gelten, da sie auch bei der Sarkode existirt, Nach Dr. Kühne gehen alle Vorticellen in einer sechs- procentigen Lösung von Rhodankalium nach 30 Secunden zu Grunde; in einer Lösung von 0,05 pCt. sterben die Vorticel- len nach 15 Minuten, wobei Dr. Kühne den Stiel einiger Vorticellen zusammengerollt, bei andern aber gestreckt fand. Man sieht also, dass Dr. Kühne mir nur in der Angabe über die Lebensdauer der Vorticellen im Rhodankalium nicht beistimmt, ein Punct, der hier von nicht wesentlicher Bedeu- tung ist, während er über die Wirkungsweise dieser Substanz auf die Bewegungen des Stieles nicht ein einziges Wort hin- zufügt, obgleich aus seiner Beschreibung, wo er von todten Vorticellen mit gestreckten Stielen spricht, klar zu ersehen ist, dass die von mir gegebene Beschreibung die richtige ist. Uebrigens ist die Bestimmung der Lebensdauer der Vorticel- len in Rhodankaliumlösung bei Dr. Küh'ne nicht ganz feh- lerfrei: in einer sechsprocentigen Lösung sah ich die Vorti- cellen nach drei Minuten, in einer Lösung von 0,05 pÜt. so- gar nach zwei Stunden am Leben, wobei ihr Körper nicht einmal zusammenschrumpfte, sondern nur etwas schärfer con- tourirt war. Ein ganz ähnliches Verhalten zur sechsprocentigen Rho- dankaliumlösung zeigt das Carchesium polypinum. Fügt man einen Tropfen dieser Lösung zu einer grossen Colonie dieser Thierchen hinzu, so sieht man nur die Bewegung der Seiten- stiele, während der Hauptstamm unbeweglich bleibt; die auf- einanderfolgenden Streckungen und Verkürzungen der Seiten- stiele dauern auch noch dann fort, wann der Leib der Infu- sorien schon ganz zusammengeschrumpft und ganz undurch- sichtig geworden ist; bald aber erfolgt der Tod der Thierchen und der Stiel nimmt dann eine gestreckte Lage an. Auch alle übrigen Einwürfe des Dr. Kühne betreffen fast ausschliesslich die Lebensdauer der Infusorien in gewissen Substanzen, während es doch unsere Hauptaufgabe war, den Einfluss dieser Substanzen auf die Bewegungen des Vorticellen- stieles zu erforschen. Wir müssen uns also hier mit Dr. Kühne Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 20 298 Elias Mecznikow: von unserem Hauptzwecke abwenden und einige Versuche über die Lebensdauer der Infusorien in gewissen Lösungen beschrei- ben, obgleich, ich hebe es hier nochmals hervor, ich dieses hervorzuheben in meiner ersten Arbeit als überflüssig erachtete. Bei seiner Beschreibung des Einflusses einer Kochsalzlösung von 0,05 pCt. auf die Vorticellen macht Dr. Kühne keine besonderen Einwürfe gegen meine frühere Beschreibung, da er noch nach Verlauf von 20 Minuten die Bewegungen des Stie- les beobachtet hat; Dr. Kühne irrt aber, wenn er glaubt, dass alle Vorticellen in dieser Lösung nach 30 Minuten zu Grunde gehen; ich sah die Bewegungen des Stieles nach 50 Minuten in einer einprocentigen Kochsalzlösung, wobei der Leib und der Streifen ein glänzendes Aeussere annahm und die Glocke zusammengeschrumpft war. Was die Wirkung der Veratrinlösung anbetrifft, so stim- men die letzten Bemerkungen von Dr. Kühne mit seinen frü- heren nicht ganz überein; in seinen „Myologischen Unter- suchungen“ S. 218 sagt Dr. Kühne: „Die Vorticellen ster- „ben in einer wässrigen Veratrinlösung ohne Ausnahme, und „zwar unter denselben Erscheinungen, wie ein ebenso be- „handelter Froschmuskel. Die Stiele ziehen sich langsam „zusammen und werden exquisit starr, indem der innere Faden „stärker lichtbrechend und in Folge davon viel deutlicher wird.“ Da ich dieses im Auge hatte, hielt ich es für überflüssig, die Wirkung des Veratrins lange zu beobachten, nachdem ich mich auch überzeugt hatte, dass diese Lösung auch auf den Stiel des Carchesium polypinum ganz ohne Einfluss ist. In seinen Bemerkungen giebt aber Dr. Kühne an, dass die Vorticellen erst nach Verlauf von zwei Stunden zu Grunde gehen, sagt aber dabei nicht ein Wort über den Zustand des Stieles während dieser langen Zeit. Ich liess es mich nicht verdries- sen, auch diese Versuche zu wiederholen, wobei ich folgende _ Lösung in Anwendung brachte:!) 0,01 Grm. Veratrin wurde 1) Dr. Kühne giebt nirgends die Stärke der von ihm gebrauchten Veratrinlösung an, was vielleicht zu unnützen Missverständnissen An- lass geben könnte. Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen. 299 in 10 c. c. Wasser gelöst und bis 8,5 c..c. eingedampft und dann filtrirt. Setzt man einige Tropfen dieser Lösung zu den Vorticellen hinzu, so sieht man, dass die Stiele einiger von ihnen sich zusammenrollen, um sich bald darauf zu strecken, während andere (und das war bei den meisten) ihren Stiel in einer gestreckten Lage zeigten, später aber zusammengerollt u. Ss. w., mit einem Worte, die Bewegungen des Stieles zeig- ten nichts Abnormes. Der Leib der Vorticellen zeigt An- fangs keine Veränderungen; nach Verlauf von zehn Minuten wird sein Inhalt etwas bleicher, die Membran wird schärfer contourirt. Bei vielen Vorticellen sieht man den vordern Flim- merapparat in einen Ballen zusammengedrückt, ja aus dem Leibe treten einige Tropfen des Inhalts hervor; der Stiel aber fährt während der ganzen Zeit fort sich zu bewegen. Das Alles beobachtete ich im Verlauf einer Stunde. Dr. Kühne wandte bei seinen Versuchen pulverisirtes Ve- ratrin an und fand, dass alle Vorticellen nach 3—5 Minuten sterben; und auch bei diesen Versuchen findet es Dr. Kühne für unnöthig, etwas über den Zustand des Stieles hinzuzufü- gen. Mir gelang es einige Mal, bei den Versuchen mit pul- verisirtem Veratrin lebende Vorticellen nach Verlauf von zehn Minuten zu finden; während dieser ganzen Zeit bewegten sich die Stiele wie gewöhnlich mit verschiedener Kraft und ver- schiedener Schnelligkeit. Aus Allem, was über die Wirkung des Veratrins auf die Vorticellen hier vorgebracht wurde, folgt also, dass die Infu- sorien in dieser Substanz durchaus nicht dieselben Erscheinun- gen zeigen, welche beim Muskel beobachtet werden, obgleich auch der Stiel nach seinem Tode auf’s Höchste zusammen- gerollt wird. Dr. Kühne scheint ausser sich gerathen zu wollen über meine Ansicht über das Verhalten des Stieles zu einprocenti- ger Kalilösung; Dr. Kühne bürdet mir aber mit Unrecht die Meinung auf, dass der Stiel ganz unverändert in dieser Lö- sung bleibt; in meinem früheren Aufsatze wollte ich nur soviel sagen, dass sich die Bewegungen des Stieles nicht so sehr verändern, wie dies beim Muskel unter denselben Bedingungen 20” 300 Elias Mecznikow: der Fall ist; ich wollte aber durchaus nicht den sehr rasch eintretenden Tod des Leibes und des Stieles hinwegleugnen. Dr. Kühne fand es dennoch für nothwendig, die Vorticellen in eine Kalilösung zu tauchen, um sich zu überzeugen, dass sie auch wirklich in dieser Lösung sehr rasch zu Grunde ge- hen. Die Wirkung dieser Lösung auf den Stiel beschreibt Dr. Kühne so, dass die Stiele bald nach Zusatz einiger Tropfen von Aetzkali sich zusammenrollen und sich erst dann strecken, wenn der in ihnen liegende Streifen sich aufgelöst hat. Bei meinen Versuchen mit derselben Kalilösung hatte ich oft die Gelegenheit zu beobachten, dass die Stiele ihre Bewegungen einige Zeit fortsetzen und dann im zusammenge- rollten Zustande stehen blieben, worauf bald eine vollkommene Auflösung des Inhalts erfolgte; es kamen mir auch Vorticellen vor, die ihre Stiele erst nach Verlauf einiger Zeit nach der Hinzufügung der Kalilösung zu bewegen anfingen und diese Bewegungen waren alsdann immer Prodromen der Auflösung des Infusorienparenchyms. BURG Dr. Kühne scheint sich überhaupt damit begnügt zu ha- ben, dass er nach Einsenkung der Vorticellen in die einpro- centige Kalilösung von ihnen nachher nur Spuren fand. Nach der Beschreibung dieses Versuches fügt Dr. Kühne hinzu, eine Unmasse von Fehlern bei meinen Untersuchungen über die Wirkung der Chromsäure, metallischer Salze und des Alkohojs aufgefunden zu haben; er scheint aber diesen Fund als Geheimniss für sich behalten zu wollen. Ich will jedoch wenigstens einen Theil dieses Geheimnisses von Dr. Kühne rauben, und einige Stellen in meinen früheren Anga- ben berichtigen, die ich nach wiederholten Versuchen als un- richtig gefunden habe. In meinen „Untersuchungen“ theilte ich mit: „auf den Stiel der Vorticellen wirkt eine zwei- procentige Lösung auf die Weise, dass derselbe sich rasch zu- sammenrollt und sich nicht mehr strecken kann, wobei der Körper der Vorticelle zu leben fortfährt. Dieses Zusammen- rollen kann aber nicht von der Eigenschaft dieser Säure, Ei- weiss zu coaguliren, herrühren, da andere Substanzen, welche dieselbe Eigenschaft besitzen (Alkohol, essigsaures Bleioxyd) "Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel der Vorticellinen. 301 diese Erscheinung nicht hervorrufen.“ DaDr. Kühne meine Beobachtungen über die Wirkung der Chromsäure, Alkohol und metallischen Salze als unrichtig erklärt, so konnte er doch nur das Gegentheil von dem, was ich beobachtet habe, gefun- den haben, da ich damals gezeigt habe, dass die Wirkung der Chromsäure der Wirkung der früher nur beiläufig genannten Substanzen ganz entgegengesetzt ist. Aber diese Ansicht von Dr. Kühne, sowie meine frühere ist unrichtig, da wiederholte Versuche mich belehrt haben, dass die genannten Substanzen (Chromsäure, Alkohol und essigsaures Bleioxyd) eine durch- aus gleiche Wirkung haben. Um eine kurze Beschreibung meiner Versuche mit diesen Substanzen zu geben, will ich hier nur im Allgemeinen sagen, dass ein Zusatz einer Lösung dieser Substanzen zu den Vor- ticellen durchaus ohne Einfluss auf die Bewegungen des Stie- les während des Lebens -der Infusorien bleibt, welches eine verschieden lange Zeit anhalten kann. Diese Aussage ist aber nicht immer richtig für Vorticellen, die der Wirkung der Chromsäure ausgesetzt sind, da ich mehr als einmal in einer Chromsäurelösung Vorticellen fand, deren Stiel schon zusam- mengerollt war, deren Leib aber noch deutliche Spuren von Leben zeigte. Was endlich die Wirkung der bei den Versuchen ange- wandten Substanzen auf die todten Vorticellen anbetrifft, so ist sie ganz der Art, wie ich es für die Uhromsäure gezeigt habe; diese Wirkung giebt sich dadurch kund, dass die Stiele sich sehr langsam, aber bis zum Maximum zusammenrollen. Dieses Zusammenrollen hängt, wie es mir sehr wahrschein- lich scheint, von dem Gerinnen des eiweisshaltigen Leibesparen- chyms ab, was sehr deutlich in solchen Fällen hervortritt, wo in dem sich zusammenrollenden Stiele eine bedeutende Ver- kürzung des Streifens zu Stande kommt, welcher sich von sei- ner Chitinhülle trennen muss, da diese vorher von denjenigen Substanzen, welche eine Gerinnung im Inhalte des Leibes her- vorrufen, nicht angegriffen wird. Das Irrige meiner Ansicht bestand also darin, dass ich der Chromsäure ein ausschliessliches Verhalten zuschrieb, und da- 302 Elias Meeznikow: Nachträgliche Bemerkungen über u. s. w. durch das Zusammenrollen des Stieles unabhängig sein liess von dem Gerinnen des eiweisshaltigen Inhaltes des Leibes. Um noch mehr die Richtigkeit der von mir vertheidigten Ansicht über den Vorticellenstiel zu beweisen, erlaube ich mir noch auf die neuern Beobachtungen von Prof. Max Schultze!) hinzuweisen, dass die Temperatur, bei welcher die Stiele der Vorticellen erstarren, durchaus nicht als Beweis ihrer Muskel- natur gelten kann (wie es Dr. Kühne annimmt), da die Erstar- rung der Amoeben und Actinophryen fast bei derselben Tem- peratur zu Stande kommt (45°), wie beim Muskel (40—45 °) und Vorticellenstiele (41°), nicht aber, wie Dr. Kühne angiebt?), bei 35°. | Schliesslich sei hier noch bemerkt, dass der Stiel der Car- chesium polypinum, welche viel grösser sind, als die Stiele aller Vorticellen, zum polarisirten Lichte sich ganz so verhal- ten, wie die Stiele der Vorticellen. — Charkow, den . Februar 1864. 1) Das Protoplasma der Rhizopoden und der Pflanzenzellen. 1863. “3e. 2) Myologische Untersuchungen. S. 220. Un Dr. Ewald Hering: Bemerkungen zu Volkmann’s neuen u. s. w. 303 Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersuchun- gen über das Binocularsehen.‘) Von Dr. EwALp HErmg, Docent der Physiologie in Leipzig. Volkmann’s Abhandlung über das Einfachsehen mit zwei Augen steht, ihrem wesentlichen Inhalte nach, mit der von mir vertretenen Theorie des Binocularsehens?) im vollsten Einklange. Seine Polemik gegen die Projectionstheorie stützt sich auf dieselben. Gründe und, mit Ausnahme geringfügiger Modificationen, auch auf dieselben Versuche, die ich gegen jene Theorie vorgebracht habe; seine Methoden zur Bestim- mung der identischen Stellen sind im Wesentlichen die von mir angewandten oder in Vorschlag gebrachten; seine Kritik gewisser Versuche von Wheatstone,Panum, Nagel, Wundt gründet sich auf die auch von mir hervorgehobenen Momente, und seine, im Gegensatz zu seinen früheren Meinungen, auf- gestellten Ansichten über den Ort der Doppelbilder und über die Bedeutung des sogenanten Augenmuskelsinns, stimmen durchaus mit den von mir entwickelten und bewiesenen Sätzen überein. Da Volkmann jedoch nur die Differenzen un- serer Ansichten hervorhebt°®), ich selbst aber Gewicht darauf 1) Physiologische Untersuchungen im Gebiete der Optik. II. Heft. Leipzig 1864. 2) Beiträge zur Physiol. Leiprig 1861—1863, 3) Nur meine Bemerkung, dass es undenkbar sei, ein Ding gleich- zeitig in zwei Richtungen, d. h. mit dem rechten Auge nach links, mit dem linken nach rechts zu sehen, citirt Volkmann beistimmend, 304 Dr. Ewald Hering: lege, mich mit diesem bewährten Forscher in Uebereinstim- mung zu befinden, so will ich nicht nur jene Differenzen zu lösen, sondern auch die schon bestehende Harmonie unserer Ansichten zu beleuchten versuchen. Man weiss, dass sich zeither zwei Theorieen des binocula- ren Sehens entgegen standen; die eine erklärte das Einfach- sehen durch die sogenannte Identität der Netzhäute, die an- dere durch eine angebliche, aus beiden Augen nach einem und demselben Aussenorte erfolgende Projection der Netzhautbil- der. Beide Theorieen aber stimmten darin überein, dass sie gemeinschaftlich annahmen, die Netzhautbilder erschienen auf ihren sogenannten Richtungslinien. Nachdem ich bewiesen hatte, das Letzteres entschieden falsch sei, musste ich die so- genannte Projectionstheorie von Grund aus, und die Identi- tätstheorie wenigstens in ihrer zeitherigen Form verwerfen, und ich setzte an ihre Stelle die von mir sogenannte Theorie der identischen Sehrichtungen. Dieselbe ist lediglich eine Zusammenfassung der Thatsachen, ohne alle Hypothesen; sie löst alle die unerträglichen Widersprüche, in welche die An- hänger der Identität durch die Verwechslung der Richtungs- linien mit den Sehrichtungen gekommen sind, giebt zuerst ge- nügenden Aufschluss über die Localisation der Doppelbilder und weist den sogenannten Augenmuskelsinn in seine Schran- ken zurück. Widerlegung der Projectionstheorie. Volkmann hebt zuerst hervor, dass, wenn die Projections- theorie richtig wäre, wir nie ein Doppelbild, sondern stets einfach sehen würden. Diesen Satz habe ich I. ce. 8. 97 und 58 jener Theorie entgegengestellt und ausführlich gezeigt, dass die Projectionstheorie noch nie ein Doppelbild genügend, d. h. anders, als durch ganz willkürliche Hy- Aber jene allerdings. treffende Bemerkung stammt nicht von mir, son- dern wie ich (S. 33) ausdrücklich angab, von Joh. Müller, welcher damit die theoretische Unhaltbarkeit der damals von Volkmann ver- theidigten Richtungslinientheorie so wie aller ähnlichen Theorieen darthat. Bemerkungen zu Volkmann'’s neuen Untersuchungen u. s. w. 305 pothesen erklärt habe. Ich wies ($. 60) darauf hin und Volk- mann thut dasselbe, dass Nagel!) der Einzige gewesen ist, der eine wirkliche Erklärung der Doppelbilder aus jener Theorie versucht hat. Die Unhaltbarkeit dieser Erklärung habe ich (8. 60—62) ausführlich dargethan. Volkmann’s Kritik der Nagel’schen Ansichten beruht auf einigen der von mir erör- terten Gegengründe, und es ist mir besonders erfreulich ge- wesen, dass Volkmann in Betreff der Localisation der Dop- pelbilder sich meinen Ansichten angeschlossen hat, da er hier- über früher die noch jetzt allgemein herrschenden irrigen Ansichten theilte, wie zur Genüge aus der von ihm früher gegebenen?) Construction des scheinbaren Ortes der Doppel- bilder hervorgeht, welche auch in allen Lehrbüchern zu fin- den ist. Zweitens betont Volkmann, dass wir nach der Pro- jectionstheorie eigentlich Alles am richtigen Orte se- hen müssten. Auch dies ward von mir jener Theorie ent- gegengehalten. In $. 595—97 zeigte ich sehr ausführlich, dass wir im Allgemeinen nur äusserst wenig am richtigen Orte se- hen, dass vielmehr der wirkliche und der scheinbare Ort der Aussenpuncte sich, mit verhältnissmässig wenigen Ausnahmen, nicht decken. Ich zeigte zugleich, dass wenn einmal ein Ding wirklich im Durchschnittspuncte seiner Richtungslinien erscheint, dies nicht darum der Fall ist, weil sich diese Linien im Erscheinungsorte des Dinges schneiden, sondern dass um- gekehrt diese Linien sich an diesem Orte schneiden, weil wir einmal das Netzhautbild (aus anderweiten Gründen) an seinen richtigen Ort versetzen, was Volkmann dadurch ausdrückt, dass er sagt, die Behauptung, das Auge projieire seine Em- pfindung geradlinig nach aussen, habe in den Fällen, wo der scheinbare Ort mit dem wirklichen zusammenfällt, nur die Be- deutung eines zutreffenden Gleichnisses. Ich hob ferner, wie dies auch Volkmann thut, hervor, dass die Projectionstheorie gezwungen sei, einen äusserst feinensogenannten Mus- 1) Nagel, das Sehen mit zwei Augen, Leipzig 1861. 2) Handwörterbuch der Physiologie u, s. w, Ill. Bd. S. 320. 321. 306 Dr. Ewald Hering: kelsinn in den Augenmuskeln anzunehmen, der uns über die jeweilige Augenstellung belehre. Die Unrichtigkeit dieser Annahme zeigte ich auf Grund eigner und fremder Ver- suche (vergl. besonders $$. 11, 12, 55).') Es freut mich, dass Volkmann, den ich bei meiner Polemik gegen diesen Mus- kelsinn vorzugsweise im Auge hatte, weil er früher demselben eine übermässige und irrige Bedeutung zuschrieb, und dadurch zu jenem, ich möchte fast sagen Missbrauch beitrug, den die Anhänger der Projectionstheorie seitdem von diesem hypothe- tischen Sinne gemacht haben, dass, sage ich, Volkmann sich jetzt meinen Ansichten auch in diesem Puncte angeschlossen und in Uebereinstimmung mit mir erklärt hat, dass das sogenannte Muskelgefühl uns „keinen directen Aufschluss über die Augen- „stellung, noch über Grösse und Richtung der Bewegung gebe“, womit Volkmann zugleich das Unzureichende seiner frühe- ren Erörterungen über diesen Punct, so wie der darauf ge- gründeten Reflexionen über die Sehrichtungen der excentri- schen Netzhautstellen eingeräumt hat.?) In $. 51 und 59 hatte ich im Gegensatze zu Wundt?°) den bekannten allgemeinen Satz, dass identisch gelegene Nachbilder nie doppelt erscheinen, möge die Augen- stellung oder die Fläche („Projectionsfläche*), auf der das Nachbild erscheint, sein wie sie wolle, an zwei Fundamental- versuchen erläutert. Volkmann bringt zum Beweise dieses Satzes ebenfalls ein, jedoch wie mir scheint, nicht glücklich gewähltes Beispiel. Er erörtert nämlich, dass das binoculare und identische Nachbild einer Flamme nicht doppelt erscheint, wenn man die Augen divergent stellt, so dass sich die Ge- sichtslinien nicht schneiden können. Da man nun seine Augen bekanntlich nur durch künstliche Mittel oder durch eine so zu sagen unnatürliche Fertigkeit zur Divergenz bringen kann, so liegt es für die Anhänger der Projectionstheorie nur allzunahe, 1) Siehe auch Virchow’s Archiv, Bd. XXVL, S. 564. 565. 2) Handwörterb. der Physiol., III. Bd., S. 346. Ueber den soge- nannten Muskelsinn, insbesondere der Augenmuskeln, werde ich dem- nächst ausführliche Untersuchungen veröffentlichen, 3) Zeitschr. f. ration. Medicin. III, Reihe, XII. Bd., $S. 235 £. Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersuchungen u. s. w, 307 zu sagen, dass das sogenannte Stellungsbewustsein der Augen bei derlei abnormen Versuchen nothwendig getrübt sein müsse, wogegen sich durchaus nichts einwenden liesse. Dasselbe gilt von einem zweiten Versuche Volkmann’s, den Becker und Rollett!) bereits ausführlich erörtert haben. Bietet man den divergent gestellten Augen je ein verticales lineares Object (Nadel oder Faden) so dar, dass sich dasselbe je auf einer verticalen Trennungslinie abbildet, so verschmelzen beide Bil- der in eines. Dieser Versuch lässt sich ansehen als eine, für den hier in Betracht kommenden Zweck nicht vortheilhafte Abänderung des bekannten Versuches, beiden parallel gestell- ten Augen congruente und sich identisch abbildende Objecte vorzuhalten, wobei man dann beide Objecte als eines (d. h. haploskopisch) sieht und zwar unter Umständen (z. B. bei Papierzeichnungen) in grosser Nähe, während man doch, wie ich schon in $. 7 und 12 besonders betonte, nach der Pro- jeetionstheorie entweder eine unendlich entfernte riesenhafte Figur, oder aber zwei nahe Figuren sehen müsste, welche die- selbe Distanz wie die Augen hätten. Drei Olassen von Erscheinungen widersprechen nach Volk- mann der Projectionstheorie. Ich würde lieber sagen, dass derselben im Allgemeinen überhaupt alle räumlichen Gesichts- wahrnehmungen widersprechen und dass nur einzelne mit der- selben übereinstimmen, wohlzumerken aus einem für jene Theorie so zu sagen zufälligen Grunde.?) Daher lassen sich denn in der That die Versuche gegen die Projectionstheorie in’s Unendliche häufen, ohne dass damit etwas Anderes gege- ben wird, als Modificationen der von mir hervorgehobenen Fundamentalversuche. Die erste und zweite Olasse von Erscheinungen, welche Volkmann gegen die Projectionstheorie vorführt, betreffen 1) Sitzungsber. d. Wiener Akad., Math.-naturwiss. Classe. 1861, XLIII. Bd. S. 665. 2) Wenn Volkmann S. 177 sagt, die Raumanschauungen ent- sprächen in der „ungeheuren Mehrzahl der Fälle“ dem angeblichen Projectionsgesetze, so sagt er so ziemlich das Gegentheil von dem, was wirklich der Fall ist, wie ich in $. 50 u. 56 dargethan habe. 308 Dr. Ewald Hering: die räumlichen Verschiedenheiten zwischen gewissen Netzhaut- bildern und der Auslegung, die wir denselben geben, oder wie ich gesagt babe, die Incongruenzen zwischen Netzhaut- bild und Anschauungsbild. Es ist bekannt, dass Nach- bilder innerhalb gewisser Grenzen ihre scheinbare Grösse, Gestalt und Lage verändern je nach der Entfernung, Form und Lage des Aussendings, auf dem wir sie zur Anschauung bringen. Da Wundt aus solchen Beobachtungen falsche Schlüsse gegen die Identitätslehre zog, so nahm ich Gelegen- heit, das Wesen dieser Erscheinungen an einigen Fundamen- talversuchen zu erörtern. Zunächst zeigte ich ($. 52 und 53) woher es komme, dass das Nachbild eines verticalen Striches, wenn es auf einer in bestimmter Weise geneigten Fläche er- scheint, seine scheinbare Lage ändert, je nachdem man es mit dem linken oder dem rechten oder beiden Augen sieht, und bewies, dass diese Thatsache, weit entfernt gegen die Identi- tätslehre zu sprechen, vielmehr lediglich aus dieser zu erklä- ren sei, dagegen aber beweise, dass die Nachbilder nicht noth- wendig auf ihren Richtungslinien erscheinen und dass die Pro- jectionstheorie unhaltbar sei. Ich hob zugleich (S. 149) ganz allgemein hervor, dass die scheinbare Gestalt und Lage eines Nachbildes, sofern nämlich dasselbe auf seinem Hin- tergrunde, d. h. nicht frei im Raume erscheint, davon ab- hängt, welche Theile des Gesammtnetzhautbildes es deckt, d. h., wie das Nachbild auf der Netzhaut gelegen ist relativ zu dem Netzhautbilde des Aus- sendings, auf dem es erscheint. $. 80 zeigte ich noch beiläufig, warum das Nachbild zweier Parallelstriche divergent, dasjenige divergenter Striche parallel erscheinen kann; er- wähnte ferner, dass man die Nachbilder von Kreisen als El- lipsen, die von Eillipsen als Kreise, ‘von rechten Winkeln schief- winklig, von schiefen rechtwinklig sehen kann, was Alles sich von selbst ergiebt, wenn einmal das Wesen der Sache an einem Beispiel aufgeklärt ist. Alle diese Erscheinungen gehören, wie ich beson- ders hervorhob, in das grosse Oapitel von der Incon- gruenz zwischen den Netzhautbildern und den ent- Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersnchüngen u. s. w. 309 sprechenden Anschauungsbildern und beruhen auf un- serm (schon im $. 2 hervorgehobenen) Vermögen, die Einzel- theile eines Netzhautbildes innerhalb gewisser Grenzen (ent- sprechend ihrer wirklichen Gestalt) ungleichmässig zu ver- grössern, oder, was dasselbe besagt, die Einzelpuncte des Bil- des auf den ihnen zukommenden Sehrichtungen in verschiedene Ferne zu versetzen, d. h. das Netzhautbild monocular nach der Dimension der Tiefe auszulegen, wobei wir uns von der Perspective, Licht und Schatten, überhaupt von der Erfahrung im weitesten Sinne des Wortes leiten lassen. Ob man zur Erläuterung dieser Verhältnisse Nachbilder oder sonst welche Netzhautbilder benutzt, ist im Grunde gleichwertbig. Denn jeder Blick mit einem Auge in unsere Umgebung giebt uns Anschauungsbilder, die im Vergleich zu den (perspectivisch verkürzten) Netzhautbildern andere Raumverhältnisse zeigen, und wäre dies nicht der Fall, so wäre es unmöglich, die Dinge mit einem Auge körperlich, d. h. das Netzhautbild nach der Dimension der Tiefe ausgearbeitet zu sehen, was doch der Fall ist. Schon in $. 23 u. 50 hatte ich hingewiesen auf die Wichtigkeit und zugleich auf die Grenzen dieses unseres Vermögens, die Netzhautbilder auch mit einem Auge im Sinne der Wirklichkeit körperlich auszulegen und somit ein dem Netzhautbilde incongruentes Anschauungsbild zu erzeugen. Der fünfte Abschnitt!) des Volkmann ’schen Werkes beschäf- tigt sich grösstentheils damit, die im Obigen erwähnten oder ähnliche Incongruenzen ausführlicher zu besprechen und dar- aus die auch von mir gezogenen Schlüsse gegen die Projections- theorie abzuleiten. Volkmann widerlegt insbesondere die schon von mir?) als unrichtig erwiesenen Beobachtungen und Schlussfolgerungen Wundt’s.. Dass Volkmann ein gerad- liniges Nachbild auf einer geknickten Fläche nicht auch ge- knickt sah, ist entweder darin begründet, dass die Knickung der Fläche in Folge unzweckmässiger Beleuchtung sich der 1) 1. c. 1. Heil, Ss. 139: My 1. c.'9. oO 54 u. ae Annalen der Physik, 119. Bd. S. 115 310 Dr. Ewald Hering: Wahrnehmung, nicht genug aufdrängte, oder dass das Nach- bild zu lebhaft war. Ein solches Nachbild wird nämlich gleich- sam selbstständig und schmiegt sich daher seinem Hintergrunde nicht genügend an, was nichts Auffälliges hat, da alle abstechen- den Objecte vor einem entfernteren Hintergrunde bei einäugi- sem Sehen dasselbe thun. Hätte Volkmann ein matteres Nachbild und als geknickte Fläche z. B. ein halbaufgeschla- genes bedrucktes Buch benützt, so hätte er auch das Nachbild geknickt sehen können. ‚Die dritte Olasse von Erscheinungen, welche Volkmann gegen die Projectionstheorie vorführt, betrifft die Beobachtung, dass eine gegebene Linie in gewissen Fällen dem linken Auge in anderer Lage erscheint, als dem rechten und beiden Augen beim binocularen Sehen wieder anders. In $. 93 hat Volk- mann eine Reihe solcher Versuche vorgeführt und er ver- spricht noch weitere Beobachtungen. Deren giebt es in der That zahllose. Da nämlich, wie ich gezeigt habe, identisch gelegene Bilder in einer und derselben Sehrichtung, different gelegene in verschiedenen Sehrichtungen erscheinen, so ist es offenbar, dass jeder Objectpunct, welcher sich nicht in beiden Augen auf identischen Stellen abbildet, beiden Augen an ver- schiedenen Orten und jedes Object, welches sich in beiden Augen in entgegengesetzter perspectivischer Verkürzung, abbil- det, in verschiedener Gestalt und Lage erscheinen muss. Ich habe solche Beispiele schon in $. 13 und 15 erwähnt und habe dort u. A. auch darauf hingewiesen, dass bei symmetri- schen Convergenzstellungen der ganze Sehraum gleichsam um die Prevost’sche Horopterlinie verdreht erscheint, wenn man abwechselnd das eine und das andere Auge Öffnet. Jedem einzelnen Deckstellenpaare entspricht (unter Ausschluss anderer Anhaltepuncte für das Urtheil) z. B. bei ho- rizontaler symmetrischer Augenstellung eine bestimmte Rich- tung im Raume, gleichviel, wie sonst die Augen lie- gen, d. h. ob sie parallel oder convergent stehen, Raddrehung erlitten haben oder nicht. Dass, wenn die verticalen Trennungslinien divergent liegen, eine wirkliche verticale Linie jedem einzelnen Auge etwas, und zwar entge- Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersuchungen u. s. w. 311 gengesetzt geneigt erscheint, ist nur ein specielles Beispiel für jenes allgemeine Gesetz. Freilich entgehen zahlreiche solche Fälle der Beobachtung, weil unsere von vornherein feststehende Ueberzeugung, z. B. von der senkrechten Stellung eines Thur- mes oder Fensterstockes die geringen scheinbaren Neigungen nicht zum Bewusstsein kommen lässt. In $. 87 sieht Volkmann einen Beweis für die Einheit des Sehfeldes beider Augen darin, dass bei geschlossenen Augen die Beschattung des einen Auges eine Verdunklung des ganzen Sehfeldes zur Folge hat. Obgleich ich hierin Volk- mann’s Ansicht theile, so muss ich doch bemerken, dass die Anhänger der Projeetionstheorie entgegnen können, dass auch sie das binoculare Gesichtsfeld für das Resultat zweier Facto- ren, d. h. der Gesichtsempfindungen beider Augen halten und darum eine Verschiedenheit dieses Resultat’s bei Abänderung des einen Factor’s ganz erklärlich finden. Viel zwingender und bis in’s Einzelne lässt sich die Einheit des Sehfeldes dar- thun durch die von mir in $. 76 erörterten Versuche, bei wel- chen eine scheinbare Uebertragung eines monocularen Nach- bildes aus einem Auge in’s andere stattfindet. Volkmann findet es zweifelhaft, ob durch meine Versuche die Sehrichtungen durch Linien zu veranschaulichen, die Sache anschaulicher werde, das will sagen, ob meine Art der Ver- anschaulichung dem Wesen der Sache entspreche. Da ich die- sen Punet in $. 65— 71 sehr ausführlich erörtert habe, so darf ich hier darauf verweisen. Volkmann scheint seine Zweifel lediglich darauf zu gründen, dass er sagt, zwischen dem Ich und dem gesehenen Dinge lasse sich keine Linie ziehen. Dies ist richtig, wenn man, wie Volkmann, unter dem Ich ein geistiges, also unräumliches Wesen versteht. Dieses kommt aber bei unsrer Frage nicht in Betracht, und -um derartigen, das Wesen der Sache verkennenden Missverständnissen im Voraus zu begegnen, habe ich hervorgehoben, dass es sich bei Bestimmung der Sehrichtungen lediglich handele um räumliche Relationen zwischen dem räumlichen Vorstellungsbilde unsres Leibes und den jedesmaligen Anschauungsbildern. Es kommt, wie ich sagte, nur darauf an, die Gesetze festzustellen, nach a2 Dr. Ewald Hering: denen sich die, den verschiedenen Netzhautbildern entsprechen- den Anschauungsbilder"um das gleichzeitige Bild unsres Lei- _ bes gruppiren; denn auf letzteres, gleichviel, ob wir es (Hände, Füsse, Nase) theilweise anschauen oder nur vorstel- len, pflegen wir die Lage alles Sichtbaren zu beziehen , und die Sehrichtungen sind nichts weiter, als Bestim- mungen dieser relativen Lage der Anschauungsbil- der zum gleichzeitigen Vorstellungsbilde unseres Leibes. Von letzterem aber, als einem Theilstücke des (sub- jectiven) Raumes lassen sich sehr wohl Linien nach den ver- schiedenen andern Gegenden des (subjectiven) Sehraumes ge- zogen denken. Das Gesetz z. B., nach welchem die Doppel- bilder localisirt werden, lässt sich nur mit Hülfe solcher, die Sehrichtungen darstellenden Linien kurz und klar veranschau- lichen. Dass das von mir zur Versinnlichung der Sehrichtun- gen gegebene Schema den wirklichen Verhältnissen nicht ma- thematisch genau entspricht, versteht sich von selbst. Volkmann hatte bekanntlich schon früher einmal die Panum’sche Theorie des stereoskopischen Sehens angegriffen, dabei aber den vielleicht wesentlichsten Theil dieser Theorie, d. h. die Erklärung des stereoskopischen Eindrucks aus „der Empfindung der binocularen Parallaxe* gar nicht berührt. Ich erwähnte in $. 55, dass diese Panum’sche Theorie von der auch sonst beliebten Theorie des Sehens nach Richtungslinien nicht wesentlich verschieden sei, so dass sie also durch die von mir $. 59—62 gegebenen Erörterungen mit widerlegt war. Auch Volkmann widerlegt jetzt nachträglich die Panum’sche „Parallaxenempfindung“ in ausführlicher Weise. Endlich hat Volkmann, nachdem er nun wohl die von Nagel!) und mir bemerkte Unzulänglichkeit seiner früheren Erklärung des bekannten Wheatstone’schen Versuchs (zum angeblichen Beweise des Doppelsehens mit Deckstel!en) bestä- tigt fand, sich meiner Erklärung dieses Versuches angeschlos- sen, wie ich dieselbe in $. 29—40 sehr ausführlich gegeben habe. Volkmann giebt ebenfalls an, dass die irrige Deu- 1) Das Sehen mit zwei Augen. 8. 79. Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersuchungen u. s. w. 313 tung dieses Versuchs daraus entstanden sei, dass man unter- lassen habe, zu prüfen, ob die Voraussetzungen des Versuchs erfüllt sind, d. h. ob die betreffenden zwei Verticallinien sich wirklich auf den verticalen Trennungslinien abbilden oder nicht. Die Lage der Deckstellen. Joh. Müller hatte zur Aufsuchung der Deckstellen die bekannten Druckphaenomene benutzt. Diese Methode war ebenso richtig im Princip, als unvollkommen in der Durchführung. Mit Unrecht hat übrigens Nagel aus diesen Versuchen einen Grund gegen die Identität ableiten wollen; ich habe ($. 42) das Fehlerhafte seiner Behauptungen ausführlich dargethan und Volkmann schliesst sich mir hierin an. Zur Bestimmung der Lage der verticalen Trennungslinien bei Convergenzstel- lungen hatte Meissner!) die Doppelbilder einer Geraden be- nutzt, aus deren Convergenz oder Parallelismus er auf die Lage der Trennungslinien schloss. Die mehrfachen Fehler- quellen seiner im Prineip sehr brauchbaren Methode habe ich 8. 85—91 ausführlich erörtert. Ueber die Lage der übrigen Deckstellen hatte Meissner irrige Ansichten, die ich $. 85 bis 86 ausführlich widerlegt habe. v. Recklinghausen wies,?) indem er die Existenz der identischen Meridiane als schon bewiesen annahm, die Identität entsprechender Parallel- kreise durch ein ebenfalls im Prineip sehr brauchbares aber etwas umständliches und nicht ganz fehlerfreies Versuchsver- fahren nach. Nehmen wir hierzu die vielfachen Versuche, aus dem Einfach- oder Doppelsehen auf die Lage der Deckstellen zurückzuschliessen, so haben wir alles, was über die Lage der letzteren zeither bekannt war. Unter diesen Umständen wies ich ($. 73) auf die grossen Vortheile hin, die man erlangt, wenn man die Lage der Deckstellen bei parallelen Gesichtslinien unter- sucht und die Gesichtsobjecte doppelt inder Distanz 1) Beiträge zur Physiolog. der Sehorgane, Leipzig, 18. 2) Archiv für Ophthalmol. V. Bd. II. Abth. S. 141. Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 21 314 Dr. Ewald Hering: der Augen auf einer zu den Gesichtslinien vertica- len Ebene anbringt. Diese Methode vermeidet alle Män- gel der früheren. Ich beschrieb einen einfachen Apparat, mit- tels dessen man zuvörderst die relative Lage der identischen Meridiane bestimmen kann, und fand auf diese Weise, dass, entgegen der üblichen Ansicht, bei horizontal und paral- lel geradausgestellten Augen meine Netzhäute so zu sagen eine kleine Raddrehung gegen einander zei- sen, der Art, dass die verticalen Trennungslinien nach oben divergiren. Zugleich erwähnte ich, dass meine Me- thode sich auch zur Messung dieser Lagedifferenzen der iden- tischen Meridiane anwenden lasse. Volkmann hat nun die Messungen nach dieser Methode ausgeführt und die Divergenz der verticalen Trennungslinien bei der erwähnten Augenstel- lung bestätigt gefunden.!) Die Divergenz verschwindet jedoch bei mir, wenn ich meinen Kopf bei horizontal bleibender Blick- ebene stark nach hinten überbeuge, wobei die Blickebene ihre relative Lage zur Antlitzfläche ändert. Um nun nicht jene Divergenz der identischen Meridiane bei meinen Versuchen immer in Abzug bringen zu müssen, wählte ich die letzt- erwähnte Stellung zur weitern Untersuchung. Ich bestimmte nun die Lage aller übrigen identischen Meridiane nach einer zweiten etwas abweichenden, von Volkmann ebenfalls ange- nommenen Methode und fand, dass in der That die Lage der identischen Meridiane dem Schema entsprach, welches man sich zeither davon gemacht hatte. Dasselbe ergab sich bei der Untersuchung der Lage der identischen Parallelkreise. Die 1) Volkmann bemüht sich, meine Methode der Lagenbestimmung identischer Meridiane gegenüber den Einwürfen zu vertheidigen, die ich der Meissner’schen Methode gemacht hatte, Da ich aber alle die Fehler, die ich der Meissner’schen Methode vorgeworfen, bei meiner, von Volkmann angenommenen Methode vermieden habe, so ist Volkmann’s Vertheidigung wohl einem Missverständnisse zuzu- schreiben. Ueberdies gründet sich diese Vertheidigung auf Versuche, die auch von mir angestellt worden sind; denn Volkmann’s Ver- suche 119 u. 120 sind unwesentlich modificirte Specialfälle aus dem von mir $. 73 beschriebenen Versuchsverfahren. Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersuchungen u. s. w. 15 oo» von v. Recklinghausen!) gefundenen Abweichungen zeig- ten sich, was ich auch angab, in meinen Augen so unerheblich, dass ich sie vernachlässigen durfte, wie ich mir denn über- haupt den allgemeinen Nachweis der Identität und nicht die Aufsuchung der mancherlei kleinen oder individuellen Abweichungen zur Aufgabe gemacht hatte, wiesolche von vornherein zuerwarten waren, auch wenn nicht schon v. Recklinghausen darauf aufmerksam gemacht hätte. Unter diesen Umständen fällt es auf, dass Volkmann, nachdem er mittels meiner Methode die Lage der Deckstellen bestimmt und meine Angaben im Wesentlichen bestätigt hat, gleichwohl behauptet, diese meine Angaben beruhten auf einen Irrthum. Diese Behauptung gründet er erstens (S. 238) dar- auf, dass er bei seiner „Normalstellung“* zwei, je dem einen und dem andern Auge gleichzeitig dargebotene Theilstücke einer verticalen Geraden nicht als eine continuirliche, sondern als eine gebrochene sah. Dies ist mir nicht auffällig, da ich, wie ich ausdrücklich hervorhob, bei jener Augenstellung genau dasselbe gefunden habe, wesshalb ich zur Vorbedingung des Versuchs gemacht habe, dass man seine Augen so stelle, dass die verticalen Trennungslinien pa- rallel liegen. Konnte oder wollte Volkmann dies nicht, so durfte er den Versuch nicht so ohne Weiteres d. h. ohne die nöthige Correetur anstellen. EinIrrthum ist also hier nicht auf meiner, sondern lediglich auf Volkmann’s Seite. Zweitens stützt sich Volkmann darauf, dass er bei der beschriebenen Augenstellung verschiedene Werthe für die quasi Raddrehung erhielt, je nachdem er dieselbe in der an- gegebenen Weise mittels verticaler oder zur Blickebene geneig- ter Geraden mass. Volkmann fand z.B. bei einer und der- selben Augenstellung eine scheinbare Divergenz der verticalen Trennungslinien um 2,15°, während gleichzeitig die horizontalen Trennungslinien scheinbar nur unter einem Winkel von 0,43° zu einander geneigt waren, so dass also der scheinbare Win- 1) Archiv f. Ophthalmol. 1859. V. Bd. II. Abth. S.127 u. Poggen- dorff’s Annalen d. Phys. CX. Bd. S. 65, 21” 316 Dr. Ewald Hering: kel, den je eine horizontale mit der entsprechenden verticalen age 0,860, d. i. 00 51° von einem rechten Winkel abwich. Bei den anderen Versuchs- personen betrug diese Abweichung viel weniger, z. B. bei Herrn stud. Käherl nur 0,47° d.i. 0° 23‘, m der That schon eine sehr geringe Abweichung; bei mir ist dieselbe, wie er- wähnt, noch kleiner. Da nun Volkmann selbst diese relativ bedeutenden individuellen Verschiedenheiten fand, und da ich anderseits ausdrücklich hervorgehoben hatte, dass Abweichun- gen, wie sie v. Recklinghausen angegeben habe, in meinen Augen nicht merklich vorhanden seien, so ist es auffällig, dass Trennungslinie einschloss, Volkmann meine Angaben kurzweg für irrig erklärte, statt sich auf die Bemerkung zu beschränken, dass kleine und individuell verschiedene Abweichungen von dem von mirim Allgemeinen nachgewiesenen Gesetze vor- kommen. Da überdies Volkmann nach den von mir an- gegebenen Methoden experimentirte, und da man bei dieser Methode scheinbare Divergenzen der Linienbilder von beinahe zwei Graden selbst bei der oberflächlichsten Beobachtung nicht übersehen kann, so lag die Vermuthung nahe, dass ich jene Abweichung gefunden haben würde, wenn sie in meinen Augen so erheblich vorhanden wäre. Das Verhältniss dieser von Volkmann gefundenen Ab- weichungen zu den von v. Recklinghausen angegebenen . ist übrigens ein ganz anderes als Volkmann meint. v. Reck- linghausen fand gerade unter den Umständen keine Abwei- chungen, wo Volkmann dieselben sah. Ein rechtwinkliges Kreuz, das nicht über 250 Mm. vom Gesichte entfernt war und mit einem Schenkel in der Medianebene, mit dem an- deren senkrecht zu derselben, mit seiner Ebene also schief zur Gesichtslinie lag, sah v. Recklinghausen nicht rechtwinklig, sondern mehr oder weniger verschoben, während Volkmann eine entsprechende Beobachtung an Linien machte, die auf einer zur Gesichtslinie senkrechten Ebene la- gen. Der Umstand, dass diese Verzerrung für v. Reckling- hausen wuchs, je näher (bei fortwährender Seceundärstellung ) Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Untersuchungen u. s. w. 317 das Kreuz dem Gesichte kam, je schiefer also die Gesichts- linie zur Kreuzebene lag und je stärker die Accommodation war, beweist hinreichend, dass diese Verzerrung nicht in der Anordnung der Deckstellen, sondern in an- dern Verhältnissen begründet war. War das Kreuz über 250 Mm. vom Gesichte entfernt, lag also seine Ebene nahezu senkrecht zur Gesichtslinie, so konnte v. Reckling- hausen keine Verziehung mehr wahrnehinen, wie auch ich dies nicht bemerken konnte.) Während, wie gesagt, kein Zweifel darüber obwalten kann, dass die von v. Recklinghausen gefundenen Verzerrungen nicht in der Anordnung der Deckstellen begründet sind, glaubt Volkmann nachgewiesen zu haben, dass letzteres bei den von ihm gefundenen Abweichungen wirklich der Fall sei. Seine Beweise sind jedoch unhaltbar. Er stellte mit- tels zweier Linsen, deren optische Axen nicht zusammenfielen, ähnliche Verzerrungen eines rechtwinkligen Kreuzes her und fand, wie zu erwarten, dass eine solche Verzerrung innerhalb einer Drehung von 90° einmal zu- und einmal abnahm. Nun meint Volkmann, die in seinen Augen gefundenen Abwei- 1) Auch Helmholtz bemerkte neuerdings (Archiv f. Ophthalmol. XI. Ba. II. Abth. S. 188) die Divergenz der verticalen Trennungs- linien bei parallel gradaus gestellten Gesichtslinien. Die horizontalen Trennungslinien „schienen* ihm dabei in der Blickebene zu liegen, wesshalb er die Divergenz der verticalen- nicht auf eine quasi Rad- drehung der Augen bezog, aus welcher sie bei mir fast ganz, bei Volkmann wenigstens zum Theil zu erklären ist. Unbedenklich er- klärt sie Helmholtz aus „Unregelmässigkeiten in der Anordnung der identischen Stellen,“ worauf er auch die von v. Recklinghausen gesehenen Verzerrungen zurückführt, obwohl diese, wie oben gezeigt wurde, sicher nicht so erklärt werden dürfen; man müsste denn etwa die Ansicht aufstellen, dass die identischen Meridiane eine wandelbare Lage hätten, was in der That neuerdings alles Ernstes von Schuur- - mann behauptet worden ist, wie ich aus einem Referat im medicin. Centralblatt (1864, No. 7) ersehe. Immerhin aber halte ich es für sehr beachtenswerth, dass Helmholtz, dem über die Lichtbrechung im Auge ein so competentes Urtheil zusteht, dieselbe Ansicht hat, wie Volkmann. So lange jedoch kein Beweis gegeben ist, bleibt die Frage unentschieden. | 318 Dr. Ewald Hering: chungen nähmen nicht innerhalb einer Drehungsperiode von 90°, sondern von 150° einmal zu und ab, könnten desshalb nicht auf die brechenden Medien zurückgeführt werden. Seine Zahlen zeigen allerdings von 0° bis 180° nur eine einmalige Ab- und Zunahme; aber Volkmann hat auch nicht die Ver- zerrungen eines Kreuzes, sondern nur die Verschiebungen einer Geraden, d. h. also nur die eines Kreuzschenkels gemessen. Bei Volkmann’s Normalstellung erschien eine wirkliche Verticale so zu sagen um 1,08° von der verticalen Richtung abweichend, eine horizontale um 0,22° von der horizontalen Richtung abweichend. Bei gleichzeitiger Betrachtung beider Linien würde sich also statt des wirklichen rechten Winkels ein scheinbarer schiefer Kreuzungswinkel der beiden Linien ergeben, der um 1,08% - 0,22°=0,86° von einem rechten ab- wiche. Im Folgenden habe ich nun in der obersten Querreihe die Abweichungen der Beobachtungslinie bei ihren verschiedenen Neigungen zum Horizont, in der zweiten Reihe die Abwei- chungen einer sich unter 90° mit der ersten Geraden kreuzen- den Geraden nach Volkmann’s Tabelle (auf S. 212) ange- geben. Die in der dritten Reihe stehende Differenz giebt den Winkel an, um welchen der scheinbare Kreuzungswinkel der beiden zu einander rechtwinkligen Geraden von einem rechten Winkel abweicht: 09: 2,152 1..19972,051) : 309771,75:75 45°0.:1,53 12602 7520 902: 0,43°%.1.1059;:: 0,65.) 1209: 2,105] 1352: 1,49 1500 1531 1,72° 1,40° 0,65° 0,04° 0,61° 75°:0,96 | 90°: 0,45 165°: 1,94 | 180° : 2,15 0,98 ART Die Abweichung des scheinbaren Winkels von einem rech- ten Winkel, d. h. die Verzerrung des Kreuzes nimmt also für Volkmann bei Drehung des Kreuzes von 0° bis 45° stetig ab, beträgt bei 45° Neigung des Kreuzes nur 0,02° d.h. 0° 1', was so viel wie nichts ist, und wächst dann wieder stetig, bis sie bei 90° abermals das Maximum erreicht. Bei 45° Neigung des Kreuzes nach rechts oder links würde dasselbe also genau Bemerkungen zu Volkmann'’s neuen Untersuchungen n. s. w, 319 rechtwinklig erscheinen, und es ergiebt sich somit eine einmalige Ab- und Zunahme der Abweichung inner- halb einer Drehungsperiode von 90° Volkmann’s Beobachtungen haben also eben das bewiesen, was er widerlegen wollte, und die Frage, ob seine Beobach- tungen aus der Anordnung der Deckstellen oder sonst wie zu erklären seien, bleibt noch offen. Volkmann sagt ferner, es dürften, wenn jene Verzerrun- gen optische Ursachen hätten, nicht Divergenzen entsprechen- der Meridiane von 10° und mehr vorkommen; er werde aber später zeigen, dass dies wirklich der Fall sei. Dass soge- nannte Raddrehungen beider Augen um je 5° vorkommen können, ist eine Thatsache, die am wenigsten v. Reckling- hausen unbekannt sein konnte, da er selbst diese Raddre- hungen gemessen hat. Aber Letzterer hat dabei nicht entfernt daran gedacht, die in Folge dieser Drehungen eintretenden Divergenzen identischer Meridiane aus den optischen Medien ableiten zu wollen. Will überhaupt Jemand die etwaigen kleinen Abweichun- gen von der im wesentlichen festgestellten Lage der Deck- stellen untersuchen, so muss er zuvor beweisen, dass sämmt- liche Richtungslinien seines Auges sich wirklich genau in einem Punkte durchschneiden, was Volkmann nicht gethan hat. Ich habe (S. 171) erwähnt, dass meine Angaben über die Lage der Deckstellen nur dann Gültigkeit haben, wenn man jene Voraussetzung macht. Dass in Wirklichkeit dieselbe nicht streng erfüllt ist, brauche ich nicht zu erwähnen. Fer- ner habe ich (S. 178) betont, dass meine Angaben zunächst nur Gültigkeit haben bei ruhender Accommodation, und dass es nicht unmöglich sei, dass das für die Nähe accommodirte Auge sich anders verhalte.e Die von mir angegebenen Ver- suchsmethoden geben uns trotz ihrer Exactheit durchaus kei- nen Aufschluss darüber, ob jene kleinen Abweichungen auf die brechenden Medien oder auf die Lage der Deckstellen zu be- ziehen sind, und es bedarf eingehender und sehr exacter Unter- suchungen, um diese Frage für jeden Einzelfall zu entscheiden. 320 Dr. Johannes Ranke: Untersuchung über die chemischen Bedingungen der Ermüdung des Muskels. Nr. M. Von Dr. JOHANNES RANkE, Privatdocent für.Physiologie in München. — Jahrgang 1863 dieses Archivs S. 422 — 450 habe ich unter dem gleichen Titel eine Reihe von Experimentalunter- suchungen über den Einfluss der Zersetzungsproduete der Mus- kelsubstanz auf die Kraft und Erregbarkeit des Muskelgewe- bes veröffentlicht. | | Ausser der Fleischbrühe selbst wurde von den in ihr ent- haltenen chemischen Stoffen dort nur die Milchsäure einer näheren Prüfung auf ihre Wirkung in der angezeigten Rich- tung unterworfen. Es schien wünschenswerth, auch noch andere hierher gehö- rige Stoffe einzeln in direeter Untersuchung zu prüfen. In den folgenden Seiten beabsichtige ich die für eine Reihe von Stoffen, die sich normal im Organismus und zwar im Muskel vorfinden, gewonnenen Resultate in Kürze mitzu- theilen. Selbstverständlich ist damit die Untersuchung im Gan- zen noch nicht abgeschlossen und ich behalte mir vor, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen. Ueber die Methoden der Untersuchung habe ich, da sie vollkommen den in dem oben angezogenen Aufsatze beschrie- benen entsprachen, hier Nichts zu wiederholen oder nachzutra- Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s.w. 321 [] gen, sie müssen a. a. O. nachgesehen werden. Es ist nur zu bemerken, dass die angewendeten Stoffe gelöst in 0,7 °/, Koch- salzlösung eingespritzt wurden. J. Kreatin, A.a. O0. S. 443 sprach ich die Ansicht aus, dass es nicht unmöglich sei, dass die übrigen im Muskel bei dem Tetanus sich anhäufenden Zersetzungsproducte der Muskelsubstanz ausser der Milchsäure, gerade von. entgegengesetzter Wirkung seien als diese, also vielleicht nicht ermüdend, sondern den Muskel nach der Ermüdung wiederherstellend wirkten. Ich war auf diesen Gedanken durch die wiederherstellende Wirkung des kohlensauren Natrons nach Milchsäure-Einspritzung geführt worden. Die directen Untersuchungen haben ergeben, dass dieser Gedanke nicht stichhaltig sei: Kreatin, obwohl von so vollkommen verschiede- nerchemischer Constitution, hat absolut die gleiche ermüdende Wirkung wie Milchsäure. Einige Beispiele von directen Untersuchungen der Muskel- leistungsfähigkeit und Erregbarkeit vor und nach Kreatin- Einspritzung in den Froschmuskel, der auch hier zur Beob- achtung diente, werden genügen, die hier obwaltenden Verhält- nisse anschaulich zu machen. Das Gewicht am Mnskelzeiger, dessen Hebung zur Ver- gleichung der Kraft nach der Einspritzung abgelesen wurde, betrug bei den folgenden Versuchen 10 Grm., während es bei den im Obigen eitirten Versuchen a. a. O. 30 Grm. be- tragen hatte, daher in den jetzigen Versuchen die grösseren Ausschläge des Muskelzeigers. 322 Dr, Jobannes Ranke: Tabelle I. Kreatin-Kraftversuch. Stellun Her 5 Zustand Ausschlag Rollen “> 28 Mm. Untersuchungsthieres. Zeigers. Zeit. 10. hor. 40 Das Thier mit Curare vergiftet, das Herz blosgelegt, die Spritze eingebun- den, das Blut durch Einspritzen von)’ 75 cc. 0,7 $ Kochsalzlösung entfernt, das Herz schlägt regelmässig ........ 45° Es werden langsam in zwei Pausen 30 cc. eiuer 0,5 $ Kreatinlösung in der ‚oben angewendeten Kochsalzflüssigkeit 10. hor. 4 SINGESDEÄLZII Er ee 9° TM. Das Herz schlägt, nachdem die ersten Tropfen des eingespritzten Kreatin’s die innere Herzwand berührten, nicht mehr, es steht still und wird durch die Einspritzung wie eine Blase passiv aus- gedehnt. Es treten — obwohl die Ner- ven durch das Curare gelähmt sind — nach der Einspritzung des Kreatin’s spontane tetanische Contractionen, dann Muskelwühlen ein. Der Tetanus hält den Zeiger auf 10°. Die elektrische Prüfung wurde nach der Beruhigung dieser Krämpfe angestellt. 10. hor, > Es werden wieder langsam in Pau- .117..M. sen 75 cc. Salzlösung eingespritzt ....| 90° Das Herz fängt, nachdem einige cc. Salzwasser durchgewaschen wurden, seine Bewegungen in normaler Weise |wieder an. Die ersten Bewegungen 11. hor. sind schwach und langsam. Nach 14 47 M. Stunden schlägt es noch fort. Der ebenbeschriebene Versuch wurde zur Demonstration in der Vorlesung angestellt und war vollkommen brauchbar zu einem Üollegversuch. Das Kreatin eignet sich hierzu weit besser, als die Milch- säure, die neben der Ermüdung den Muskel auch tödtet. Es scheint mir auch einfacher als Fleischbrühe anwendbar zu sein, die, obwohl sie ebenso stark wirkt, doch zu ihrer Zubereitung ziemlich viel Mühe und Material erfordert. Die Menge des nöthigen Kreatin’s ist sehr gering. Es genügen schon 0,2 Grm, auf 100 cc. Kochsalzlösung; doch ist es besser, um das Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u. s. w. 393 Resultat in die Augen springend zu machen, etwas mehr, etwa wie oben 0,5 Grm., anzuwenden. Tabelle II. Kreatin-Erregbarkeitsversuch. Rollenabstand Zustand bei dem Ein- Zeit. des tritt der er- Untersuchungsthieres. zn Ka ie m. Frischer Frosch, auf das Versuchsbrett laufgehunge #2: 11. aD SRH ER. DER: 155 Nach dem Bloslegen des Herzens, dem Einbinden der Spritze und dem Blutaustritt 160 75 cc. Salzlösung durchgespritzt........ 161 Einspritzung von 0,2 $ Kreatinlösung in N TE TSEN ee 167 Das Herz steht still. In den willkürli- 180 chen Muskeln treten wühlende Allgemein- 200 3 KTAMDESMAUF AS Son eew amnin nee amsle na e 210 Spontane Erholung nach der Ein- 5’ SPEILZUN®. von, Kzfatin.... fonainn an oje einen nn 190 2 » „ » 190 g' Es treten von Zeit zu Zeit. krampfhafte Spontanbewegungen ein...2.c-..0scc2.00. 188 24' 175 35. Das Herz schlägt wieder ....ccercc00 173 50' Das Herz ist wieder gelähmt und reagirt aueNlaue Beizetmicht dene seeb es noen no meno 170 12. Nvbr. Hera mean IN ER BERRARLN 168 10' 12' Es werden 75 cc. Salzwasser eingespritzt, wodurch die Erregbarkeit noch weiter her- abgesetzt wird. Das Herz schlägt rasch TIL ER RSBERRIGE N 2, ee Se ee N ae 145 20‘ Nach der Salzwassereinspritzung kehrt der anfängliche Grad der Erregbarkeit zurück, 155 Die Resultate der beiden Probeversuche, die aus einer sehr grossen Reihe ganz analoger Experimente herausgegriffen wur- den, sind sehr deutlich. Ein gut leistungsfähiger Muskel wird durch Ein- spritzen von Kreatinlösung fast momentan vollkom- men ermüdet. Die Ermüdung zeigt sich nicht nur in dem geschwächten oder ganz aufgehobenen Ver- mögen, Gewichte zu heben, sondern auch durch eine Erhöhung der Erregbarkeit, wie sie auch bei nor- 324 Dr. Johannes Ranke: maler Ermüdung beobachtet wird. Auswaschen des eingespritzten ermüdenden Stoffes stellt die Lei- stungsfähigkeit und den normalen Grad der Erreg- barkeit wieder her. Auch spontan scheint eine Wiederher- stellung einzutreten. Das Resultat stimmt vollkommen mit dem bei Fleischbrüh- einspritzungen und den Einspritzungen von Milchsäure gewon- nenen Resultaten: Kreatin und Milchsäure sind für die willkürli- chen Muskeln ermüdende Stoffe, auf ihrer Anwesen- heit beruht die ermüdende Wirkung der Fleisch- brühe. In Beziehung auf die nach der Kreatin-Einspritzung ein- tretenden Allgemeinkrämpfe der _willkürlichen Museculatur springt sogleich in die Augen, dass sie, da sie auch bei Thie- ren, die durch Curare gelähmt sind, eintreten, nicht centralen, son- dern nur peripherischen Ursprunges sein können: das Kreatin bewirkt durch seine Anwesenheit im Muskel Zusammenziehung desselben, das Kreatin ist — ehe es ermüdend wirkt — ein Muskelreiz und es scheint mir wichtig, zu constatiren, dass sich. der Muskel bei seinem Stoffumsatz selbst ein Reiz- mittel producirt; genau ebenso verhält sich auch in dieser Be- ziehung die Milchsäure, wie in Abhandlung No. 1. S. 440 f. nachzusehen ist. — | Il. Kreatinin. Man sollte von vornherein erwarten, dass das Kreatinin seiner stark basischen Eigenschaften wegen, eine starke Wir- kung auf alle thierischen Gewebe, und besonders auch auf den Muskel ausüben müsste. Die direeten Versuche ergeben das Gegentheil. In zwei kleinen Tabellen stelle ich die hier gewonnenen Resultate zusammen. Wegen Mangels an Material stellte ich mit Kreatinin nur eine kleinere Zahl von Versuchen an. Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s.w. 395 Tabelle III. Kreatinin-Versuch am frischen Frosch. » 2 » Das Herz schlägt nicht. mehr spontan, zieht sich aber auf direete Reize noch zu- sammen, es steht still, sehr ausgedehnt; Zrstasd Rollenab- |Ausschlag des “ stand ia Mm.|Muskelzeigers Zeit. des bei dem Ein-iin Graden bei h tritt der er- 50 Mm. Rol- Klutenuchungsthieres, sten Zuckung.| lenabstand. Frischer Frosch. Das Herz schlägt frisch 46, nach dem Salz- wasserwaschen 42 mal in der Mi- 15 nute N 160 35 Erste Einspritzung von Kreati- ninlösung — 0,2 $, 75 cc. — Das Herz scheint anfänglich etwas rascher zu pulsiren, nach der Ein- spritzung hat es nur noch 16 Pul- sationen in der Minute, keine Rrampler aan ed. dead - 155 30° 3 n ‚A 160 30° 4' Herz steht still, ist aber auf 160 24,0 7 directen Reiz noch erregbar..... 155 30° 8' s n 157 30° 13! + = 160 30° 28 ' Zweite Einspritzung von Krea- tininlösung (75 ce.), das Herz schlägt wieder einige Male ....... ee 150 30° 30 ' 3 = — 31° 36 ' = » 160 28° 38. Es wurden 75 ce. 0,7 $ Koch- salzlösung eingespritzt, das Herz bleibt regungslos, contrahirt sich äber"auk REIZE .......00n0rnee SR 160 280 Tabelle IV. Kreatinin-Versuch am Curarefrosch. r Ausschlag des ze Zen Michele in des in Graden bei . - 50 Mm. Rol- Minuten. Untersuchungsthieres, stand. Curare-Frosch...... Ba. Ra ale 40° 4' Einspritzung von Kreatininlösung, zwei- mals Zöeed vonn0,274 CHR PH 33° B » » 38° » » » 35° 10‘ 33° 326 Dr. Johannes Ranke: Zeit Zustand zussohlag des Muskelzeigers in des in Graden bei Minuten. Untersuchungsthieres. 50 Mm. Rol- lenabstand. schon der Reiz der Kreatinin -Einspritzung löst stets einige Zuckungen am Herzen aus (im Gegensatz zum Kreatin).. Die übrigen Muskeln contrahiren sich unter dem Ein- spritzen nicht, sie sind vollkommen krampf- frei. 130 ' Das Herz reagirt nicht mehr auf Reize >10 135 ' 75 cc. 0,7 $ Kochsalzlösung eingespritzt, das Herz reagirt wieder auf directe Reize 3210 Die beiden mitgetheilten Versuche lehren: Das Kreatinin scheint keine ermüdende Wirkung zu besitzen: die Erregbarkeit der Muskeln wird durch eine Kreatinin-Einspritzung nicht erhöht, die Fähigkeit des Mus- kels, Gewichte zu heben, nimmt zwar etwas ab unter dem Einflusse des Kreatinins, ebenso geht die Pulsation des Herzens verloren, doch ohne wie bei den rein ermüdenden Flüssigkeiten durch Auswaschen mit einer für Muskel und Nerven indifferenten Flüssigkeit — 0,7 °/, Kochsalzlösung — wieder hergestellt werden zu können. Das Kreatinin scheint nicht zu ermüden, sondern die Leistungsfähigkeit der quergestreiften Musculatur — mit der des Her- zens — langsam zu vernichten. Das Kreatinin scheint die Eigenschaft des ihm so nahe verwandten chemisch weit weniger differenten Stoffes, des Kreatin’s: ein Muskelreiz zu sein, nicht zu theilen; jeden- falls ist seine Wirkung eine weit schwächere, als die des letzt- genannten Stoffes. Ill. Traubenzucker. Nach meinen Beobachtungen ist nach dem Tetanus der von Meissner im Muskel entdeckte wahre Zucker nicht unbe- deutend vermehrt. Dieser Zucker scheint nach den Angaben Meissner’s die meiste Aehnlichkeit mit Traubenzucker zu besitzen. Untersuchungen über d. ehemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s.w. 397 Aus diesem Gesichtspuncte untersuchte ich die Wirkung des Traubenzuckers auf den Muskel. Ein Versuch als Beispiel wird genügen die hiebei beob- achteten Verhältnisse zu veranschaulichen. Tabelle V. Traubenzucker-Versuch am frischen Frosch. { Rollenab- |Ausschlag des u erang stand in Mm.|Muskelzeigers in des B bei dem Ein-|in Graden bei tritt der er- 50 Mm. Rol- Minuten. Untersuchungstbieres. 2 sten Zuckung.) lenabstand. 05 Frischer Frosch , nach Ein- binden der Canüle in’s Herz BE Nach’ dem Einspritzen von 15 ce. Traubenzuckerlösung von 2% in der 0,7 $ Kochsalzlösung. Das Herz schlägt ruhig und ungestört fort, das Thier ath- met und macht lebhafte Spon- tanbewegungen, die Reflexe be- stehen ohne Verminderung, keine Muskelkrampie -. -: ......... 135 42° eh; Weitere 15 cc. Zuckerlösung eingespritzt, alles wie oben .,.. 135 42° 135 42° n ” 1% Weitere 15 cc. Zuckerlösuug eingespritzt, Alles wie oben. sehr kräftige Spontanbewegun- genrund! Relexe..aseser creme 145 39° 3,1% Spontanbewegungen, Herz schlägt normal, Athmung und Reflexe vorhanden .....r..... | 145 34° Der Versuch lehrt sehr deutlich, dass der Trauben- zucker auch noch in ziemlich starken Uoncentrationen — 2 °/, — für den Muskel und den ganzen Organismus vollkommen indifferent ist. In einem späteren Versuche werde ich sogar nachweisen, dass er ebenso wie Kochsalz- lösung von 0,7 °/, als wiederherstellende Flüssigkeit benützt werden könne. Der nach Meissner im Muskel vorhandene, nach meinen Untersuchungen im Tetanus sich anhäufende wahre Zucker im Muskel scheint nach diesen Versuchen direct von keinem Einfluss auf die Muskelsubstanz zu sein; anders würde sich 328 Dr. Johannes Ranke: unsere Ansicht gestalten müssen, wenn wir annehmen würden, dass aus ihm die Fleischmilchsäure des tetanisirten Muskels entstünde. IV. Harnsäure. Es wird angegeben, dass sich normal Harnsäure in dem Muskelextract vorfinde. Es wurden Versuche mit reiner Harnsäure in 0,7 °), Kochsalzlösung gelöst angestellt; da hierbei aber nur sehr minimale Mengen der Harnsäure in Lösung gehen, so wur- den noch Versuche mit saurem harnsaurem Natron gemacht. Beide Versuchsreihen lieferten ein negatives Resultat. Die Harnsäure scheint in den starken Verdünnungen, in denen sie nur angewendet werden kann, keinen nach- weisbaren Einfluss auf die Kraft und Erregbarkeit des Muskels zu besitzen. V. Harnstoff. Um so merkwürdiger ist der Harnstoff in seinen Ein- wirkungen auf den Organismus. Einige Beispiele werden am leichtesten die Wirkung ver- anschaulichen. Tabelle VI. Harnstoff-Versuch am frischen Frosch. Ausschlag des Rollenab- Zeit Zustand stand in Mm.|Muskelzeigers in des bei dem Ein-lin Graden bei . \ tritt der er- 50 Mm. Rol- Minuten. Versuchsthieres. sten Zuckung.| lenabstand. 1’ Der frische Frosch, nur auf- | gebunden... 4.4. BELLEREN 140 24° Nach dem Tetanus ........ 145 4' Nach dem Einbinden des Röhrchens in das Herz und Verbluten a 2 ee 145 32° 6' Eine Einspritzung von 40 cc. Harnstofflösung (in 0,7 $ Kochsalzlösung) von 2 $ ..... 141 30° Das Herz schlägt fort. Die, Spontanbewegungen, welche der Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s.w. 399 Zeit in Minuten. 11’ 12' 14' 16‘ 18' 43' 103' Zustand des Versuchsthieres, Frosch anfänglich sehr heftig gemacht hatte, sind vorüber, Die Reflexbewegungen auf tac- tile Reize sind äusserst schwach, die Athembewegungen gehen fort. Die Einspritzung erzeugt keine krampfhaften Bewegungen an den Muskeln. Losgespannt hat der Frosch eine grosse Aehnlichkeit mit einem Curare- frosch, er scheint todt, Es treten wieder starke Spon- tanbewegungen ein, der Frosch athmet stark und oft......... Neue Einspritzung von 40 cc. derselben Harnstofflösung..... Die Reflexe sind gänzlich ver- schwunden, ebenso die Spontan- BEWEPUBFEN „Eos a sie Das Herz schlägt fort, auch die Athmung ist bemerkbar. Alles wie “vorher a Sehr schwache Reflexbewe- gungen auf tactile Reize an den hinteren Extremitäten. Schwache Reflexe an den obe- ren Extremitäten, an den unte- ren waren keine zu bemerken, Das Herz hatte eine Zeitlang mit seinen Contractionen aus- gesetzt, contrahirte sich . aber auf directe Reizung — Stechen — später fängt es wieder an spontan zu schlagen. Die Athembewegungen fehlen ..... Rollenab- stand in Mm. bei dem Ein- tritt der er- sten Zuckung. 151 140 130 138 145 145 Ausschlag des Muskelzeigers in Graden bei 50 Mm. Rol- lenabstand. 34° 25° 24° 25° 30° 45° Während ddesFeodeh in seinen Erregbarkeitsverhältnissen — R.-A. beim Eintritt der ersten Zuckung — und in seiner Fähigkeit, Gewichte zu heben, keine wesentlichen Veräuderun- gen zeigt, während Herzschlag und Athmung ungehindert vor sich gehen, bietet er nach der Harnstoffeinspritzung das voll- kommene äussere Bild des Todes dar. gen und Reflexe fehlen gänzlich. Eine sehr grosse Reihe von Versuchen hatte ausnahmslos Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. Die Spontanbewegun- 22 330 Dr. Johannes Ranke: das gleiche Resultat. Manchmal hörte die Athmung schon bald auf, einzelne Male auch die spontanen Herzbewegungen, doch blieb das Herz stets erregbar auf directe Reize. Es zeigt auch das vorstehend als Beispiel angeführte Ver- suchsprotokoll, dass eine spontane Erholung des Frosches nach Harnstoffeinspritzungen von geringerer Menge eintreten könne. Nach noch geringeren Mengen ist die Erholung eine vollständige, so dass der Frosch wieder hüpft und Fluchtver- suche macht. Durch Auswaschen mit 0,7 °/, Kochsalzlösung konnte auch bei grösseren Mengen von eingespritztem Harn- stoff die Erholung wieder herbeigeführt werden. Es musste die Frage aufgeworfen werden, auf welche Or- gane wirkt der Harnstoff? Das schon mitgetheilte Resultat, dass die Erregbarkeit nur sehr unwesentlich geändert wird, schien schon darauf hinzu- weisen, dass wir es hier nicht mit einer Lähmung der Ner- venstämme oder Nervenendigungen zu thun haben könnten. Die directe Beobachtung bestätigte diese Vermuthung: anf Durchschneidung der Nervenstämme und der Nervenwurzeln traten die entsprechenden Muskelzuckungen ein, ebenso tra- ten allgemeine Zuckungen bei Durchschneiden des Rücken- markes ein, und Tetanus bei Stechen des Rückenmarkes mit einer Nadel zu einer Zeit als durchaus keine Reflexbewegung mehr zu erhalten war. Wir können demnach nicht umhin, auszusprechen, dass es, da Rückenmark, Nerven und Muskeln keine wesentliche Alteration in ihrem Verhalten erkennen las- sen, äusserst wahrscheinlich sei, dass die Wirkung des Harn- stoffes sich einzig auf die Gehirnorgane beschränke. Reflexe und Spontanbewegungen sind aufgehoben: die Wirkung des Harnstoffes scheint sich demnach auf das Organ des Willens und das Reflexhemmungcentrum zu beschränken. Es schien mir interessant, den Ort der durch Harnstoff alte- rirten Gehirnpartie zu bestimmen. Ich stellte zu diesem Zwecke eine Reihe von Localisirungsversuchen an, die ich in ihrer Gesammtheit in Kürze mittheilen will. Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s.w. 331] Begrenzungsversuche der durch Harnstoffein- spritzung betroffenen Stelle im Gehirn. 1. Versuche zum Ausschluss des Rückenmarkes. A. Durchschneidung des Rückenmarkes. 1. Einem Frosche — Erregbarkeit: 135 Mm., Kraft: 38 — wurde eine Injection von 15 cc. 4 °/, Harnstofflösung (in 0,7 °/, Kochsalzlösung) gemacht — Erregbarkeit: 135 Mm., Kraft: 350 —. Die Reflexe sind vollkommen verschwunden, vom Nerven aus erfolgen die Zuckungen fort. Nach Ab- schneiden des Kopfes, das Zuckungen machte, kehren die Reflexe zurück. Das Herz schlägt fort. Auch diese stark concentrirte Harnstofflösung bewirkte in keinem Fall bei der Einspritzung Zuckungen oder Krämpfe. 2. Die Reflexe sind nach der Einspritzung weniger cc, einer 4 °%, Ü-Lösung weg, kehren aber nach einiger Zeit von selbst wieder, als Zeichen einer oft beobachteten spon- tanen Wiedererholung. Nach grösseren Einspritzungen bleiben die Reflexe aus. Die Durchschneidung des Rückenmarkes, wie seine Reizung durch Bohren erregt lebhafte Krämpfe, ebenso das Durch- schneiden der Nerven. Nach dem Durchschneiden des Rücken- markes kehren die Reflexe nicht zurück. 3. und 4. Versuche an zwei Fröschen mit 4°, Ü-Lösung. — Die Reflexe hören auf nach einer geringen Einspritzung. Siekehrennach dem Abschneiden desRückenmarkes — das mit möglichst wenig Verletzung des übrigen Körpers durch Abstechen mit einem Meissel von der Vorderseite aus gemacht wurde — zurück, und können nun nicht mehr durch U-Einspritzung vertrieben werden. 5. Das Einspritzen von Ü hob die willkürlichen Bewegun- gen auf, die Reflexe nehmen sehr bedeutend ab, aber verschwinden nicht vollkommen. Nach einiger Zeit erholt sich der Frosch wieder vollkommen und hüpft im Glase umher. 6. Der Frosch ist sogleich in Beziehung auf willkürliche Bewegungen und Reflexe gelähmt. Nach Abschneiden des 22* 332 Dr. Johannes Ranke: Kopfes kehren, nach 1,5 Minuten, die Reflexe zurück. Nach I hor. 45‘ bestehen sie noch. Nach 5 hor. sind sie weg, — B. Versuche an enthirnten Thieren. 7—9. Drei Versuche an drei Fröschen, denen das Gesammt- hirn entfernt war vor der erstmaligen Einspritzung. — Die Harnstofflösung ist bei diesen Thieren bei ihrer Ein- spritzung vollkommen wirkungslos. Die Reflexe beste- hen ungeschwächt fort. 10—11. Einspritzung nach vorläufiger Durchschneidung des Rückenmarkes in der obenangegebenen Art. Zwei Versuche an zwei Thieren. Es wurde controllirt, dass die U -Lösung wirklich den Körper durchströmte. Es wurden je 15 cc. U- Lösung von 4 °/,, wie in allen obigen und späteren Ver- Suchen, eingespritzt. Die Reflexe bleiben bestehen ohne eine bemerkbare Schwächung. _ 12. Der Versuch ergab vollkommen das gleiche Re- sultat. 2. Versuche bei Ausschliessung verschiedener Hirntheile. Nachdem durch die ebenbeschriebenen Versuche die Wir- kung des U als sich allein auf das Gehirn beschränkend nach- gewiesen war, versuchte ich noch weiter, im Gehirn selbst die betroffenen Partieen aufzufinden. Ich wurde dabei von der Idee geleitet, dass man auf diese Weise das von Set- schenow beschriebene Reflexhemmungscentrum müsste localisiren können. | C. Schnitt unter den Vierhügeln und zwischen diesen und dem ver- längerten Mark. E 13. Die Einspritzung von Ü (4 °/,) ist erfolglos, die Reflexe bleiben und sind nach 1 hor. noch vorhanden, nach weiter einer Stunde ist der Frosch todt. Die Reflexe sind nach dem Einspritzen sehr stark, so dass mit Mühe der Frosch auf dem Befestigungsbrett zu halten ist. Nach und nach wird dieser Bewegungssturm etwas geringer. Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s. w. 333 Bei dem Einspritzen zeigten sich leichte, krampfartige Be- wegungen. D. Schnitt durch die Mitte der Vierhügel. 14. Die Reflexe verschwinden Anfangs, später kehren sie aber zurück und bleiben nach neuen Einspritzungen. Nach Durchschneidung des Rückenmarkes werden die Reflexe stärker und später sehr lebhaft. 15. Die Reflexe werden anfänglich schwächer, nach 0,5 Minuten sind sie wieder ungeschwächt vorhanden und bleiben. 16 und 17. Zwei Versuche an zwei Fröschen. — Die Re- flexe bleiben nach der Einspritzung. Die Einspritzung hat eine Einathmungsbewegung der Bauchmuskeln zur Folge. Die Athembewegungen gehen fort in den Fällen von 14—17 incl. E. Schnitt durch die Mitte der Hemisphären. 18. Die erste minimale Einspritzung der 4 °/, Ü - Lösung bewirkt einen enormen .Tetanus mit Rückwärtsbeugung. Die Reflexe sind nach dem Aufhören desselben sehr geschwächt, aber noch vorhanden. Eine neue Einspritzung macht keine Krämpfe;. die Muskeln sind bewegungslos.. Die Refiexe sind ganz verschwunden. Nach Durchschneidung der Vierhügel in der Quere wie oben kehren nach 2 Minuten die Reflexe schwach zurück, später sind sie wieder verschwunden. 19. Die Reflexe werden äusserst schwach, aber verschwinden nicht vollkommen, nach der Durchschneidung des Rückenmarkes verschwinden sie ganz, ohne wiederzukehren. 20. Die Reflexe verschwinden gänzlich. Das Durch- schneiden des Rückenmarkes bringt sie nicht zurück. 21. Die Reflexe verschwinden: gänzlich. Es treten auf wiederholtes Einspritzen die enormsten tetanischen Krämpfe auf. Das Durchschneiden des Rückenmarkes bringt die Re- flexe nicht zurück. 22. Der Erfolg wie bei Versuch 20. Die Reflexe hör- 334 Dr. Johannes Ranke: ten auf. Es traten, scheinbar ohne weitere Ursache, leichte Bewegungen ein, die einen spontanen Üharakter vortäuschten. Als Resultat der Localisirungsversuche der Harnstoffwir- kung im Gehirne des Frosches scheint sich Folgendes heraus- zustellen: Die durch die Harnstoffeinspritzung betroffene Hirnpartie liegt zwischen der Mitte des Grosshir- nes und der Mitte der Vierhügel, wohin etwa auch Set- schenow das von ihm aufgefundene Reflexhemmungs- centrum verlegt. Die Wirkung der Harnstoffinjection scheint eine Reizung des Reflexhemmungscentrum’s zu sein, aus der sich sehr bald eine Lähmung des gesammten pe- ripherischen Reflexapparatesentwickelt, so dass auch nach der Entfernung des gereizten Hirnorganes -- nach Durch- schneidung des Rückenmarkes — nur in seltenen Fällen und schwach die Reflexe wiederkehrten, in der Mehrzahl der Fälle blieben sie aus, Trotz der Lähmung der Reflexmechanismen reagirt jedoch das Rückenmark auf directe Reizung mit einer Nadel noch kräftig, und die Nerven bleiben noch erregbar. Es ist sehr bemerkenswerth, dass, während die U-Ein- spritzung auch in einer Concentration von 4 °/, und mehr keine krampfhaften Bewegungen bei dem unverletzten Thiere erregte, solche in einzelnen Fällen, in denen das Gehirn durch Einschneiden verändert war, und zwar theilweise sehr heftig auftraten. Die Schnitte, nach welchen solche Krämpfe auftraten, 1a- gen zwischen der unteren Hälfte der grossen Hemisphären bis zur unteren Grenze der Vierhügel, die gereizte Partie muss demnach unterhalb dieser letzteren Grenze gelegen sein, wenn wir annehmen, dass sie — wie das alle anderen Versuche genügend ergeben — einen centralen Ursprung hatte. Ein peripherischer Ursprung wird als möglich ausgeschlossen durch das Ergebniss der Wirkungslosigkeit des Ü nach Abtrennung des Rückenmarkes unterhalb des verlängerten Markes. Ich bin der Ansicht, dass die Krämpfe nach Durchschneidung von Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. n.s. w. 335 Gehirnpartieen nicht auf die später eingespritzte U-Lösung zu beziehen seien, da ich nach Durchschneidung der Grosshirn- hemisphären spontan in einem Falle die enormsten Streck- krämpfe, die einen Strychnintetanus vortäuschten, auftreten sah. In jenem Falle wurde gleichfalls constatirt, dass die ' Reflexthätigkeit keine Steigerung erfahren hatte. — Es schien mir wünschenswerth, nach diesen Beobachtun- gen am Ü auch noch nachträglich zu prüfen, wie sich denn das Kreatin gegen das Reflexhemmungscentrum verhalte. Alle — 12 — angestellten Versuche ergaben in dieser Hinsicht ein negatives Resultat. Die Reflexbewegungen waren zwar nach der Einspritzung schwächer in Beziehung auf die Muskelbewegungen, die durch tactile Reize ausgelöst wurden, was sich jedoch als eine nothwendige Folge der ermüdenden Eigenschaft des Kreatins voraussehen liess. Die Reflexe verschwanden nie. Es zeigen diese Versuche deutlich, dass sich die einzelnen Organe vollkommen verschieden verschiedenen im Allgemeinen als Organreize aufzufassenden Stoffen gegenüber verhalten. Kreatin, das von so energisch ermüdender Wirkung auf das Muskelgewebe ist, lässt das Centralorgan der Reflexhemmung ganz unbeeinflusst; der Harnstoff umgekehrt wirkt — soviel meine Versuche ergeben — allein auf dieses Organ und viel- leicht noch auf das Organ des Willens. (?) Es wäre vielleicht möglich anzunehmen, dass die Vernich- tung der Reflexthätigkeit allein das Bild der sensoriellen Läh- mung schon hervorbrächte. Vl1. Hippursäure. Am nächsten schliesst sich in ihrer Wirkung die Hippur- säure an den Harnstoff an; auch sie setzt weder die Er- regbarkeit noch die Kraft der Musculatur herab. Beispielsweise theile ich folgende Tabelle mit. 336 Dr. Johannes Ranke: Tabelle VII. Hippursäure-Versuch am frischen Frosch: No. 1. ; Rollenab- |Ausschlag des zeit Austand stand in Mm.|Muskelzeigers in des bei dem Ein-iin Graden bei tritt der er- 50 Mm. Rol- Minuten, Versuchsthieres. sten Zuckung. jenen‘ il Eirischer: Frosch .........0:% 155 35° 4' Einspritzen einer kaltgesättig- ten Lösung von Hippursäure in 0,7 % Kochsalzlösung — 75.cc. — Anfänglich treten bei jeder neuen kleinen Einspritzung Zuckungen auf. Die Reflexe verschwinden ganz. Das Herz steht still und contrahirt sich auch nicht mehr auf tactile Reizen... RI DERMIIOREN . 156 40° 7! Nach Kochsalz - Einspritzung 155 kehren die Reflexe nicht zu- rück, aber das Herz pulsirt wie- der. Muskeln und Nerven sind noch vollkommen erregbar. Das Resultat der Hippursäure-Einspritzung stimmt in so fern mit dem bei Harnstoff-Injection beobachteten überein, als auch hier kein Einfluss auf die Erregbarkeit und Kraft der Stamm-Musculatur nachweisbar ist, während die Reflexe verschwinden. Ein Unterschied existirt in der Wirkung auf das Herz, die bei Hippursäure regel- mässig beobachtet wurde. Das Herz wird gelähmt und zwar, wie mir scheint, in seiner Musculatur. Eine schwache Wir- kung auf die Stamm-Musculatur deuten auch die beobachteten Contractionen nach der Einspritzung an. | Es fragte sich, ob auch bei Hippursäure wie bei dem Harnstoff die von der Einspritzung hauptsächlich betroffene Partie im Gehirn sich finde. Ich theile beispielsweise zwei Versuche mit, die mir ausreichend scheinen, dafür den gefor- derten Beweis zu liefern. Hippursäure-Versuch No. 2. Bei dem frischen Frosch erfolgte die erste Zuckung bei 145 Mm. Rollenabstand. Bei 50 Mm. Rollenabstand zog er Untersuchungen über d, chemischen Bedingungen d. Ermüd, u. s,w. 337 den Muskelzeiger auf 37°. Nach der Hippursäure-Ein- spritzung — 75 ce. in der obigen Concentration — steht das Herz still. Die Reflexe sind gänzlich verschwunden. Erste Zuckung bei 170 Mm. Rollenabstand, bei 50 Mm. Zei- ger bis zu 35°—40° gezogen. Das Rückenmark wurde durchschnitten; während der Hippursäure-Einspritung keh- ren die Reflexe zurück, sie bleiben jedoch schwach und das Herz bleibt bewegungslos. Durch Salzwasser-Einspritzung kehren die Herzcontractionen zurück, Hippursäure-Versuch No. 3. Dem frischen Frosch wurde das Rückenmark durchschnit- ten. Die Hippursäure-Einspritzung hat ein Stillstehen des Herzens zur Folge, die Reflexe bleiben bestehen, der Frosch hält die Beine fest an den Leib gezogen. Sobald eine Einspritzung von Hippursäure gemacht wird, legt sich das Bein erschlafft zur Seite. Das Herz bleibt bewegungslos und contrahirt sich weder auf tactilen noch elektrischen Reiz. Die Bewegung der übrigen quergestreiften Musculatur bleibt kräftig. Nach Kochsalz-Einspritzung kehren die Herzcontractio- nen zurück. — Es ist deutlich, dass auch die Hippursäure eine di- recte Wirkung auf das Reflexhemmungscentrum be- sitzt, indem siedasselbe primär erregt, worauf spä- ter eine vollkommene Lähmung der peripherischen Reflexmechanismen eintreten kann. — Versuch No. 1. — War die Einwirkung der Hippursäure weniger energisch, so erholen sich die Reflexmechanismen nach Abtrennung des Hemmungscentrums wieder, sogar während sie von Hippur- säure fortwährend umspült sind. — Versuch No. 2, — Die Hippursäure hat keine lähmende Wirkung auf. die Reflexe, wenn das Rückenmark durchschnitten war vor der Einspritzung, doch hat sie offenbar, wie aus Versuch No. 3. hervorgeht, die Eigenschaft, die Reflexthätigkeit zu beruhigen; die Hippur- säure hebt die durch eine vorausgegangene äussere Einwirkung gesetzte Reflexreizung auf. Die Wirkung der Hippursäure auf das Herz 338 Dr. Johannes Ranke: scheint uns die Möglichkeit zu zeigen, dass Reize nur auf einzelne bestimmte qnergestreifte Grup- pen Muskelfasern einzuwirken im Standesind, wäh- rend sieallen anderen (?) gegenüber indifferent sein können. vll. Kohlensäure. Es wurden schon sehr vielfältig Versuche über die Ein- wirkung der Kohlensäure auf den Gesammtorganismus und auf einzelne Gewebe angestellt. Aber ich entschloss mich trotzdem auch für diesen chemischen Stoff, der im Organismus in so bedeutender Menge producirt wird, die von mir bisher eingeschlagene Versuchsmethode, die sehr reine Resultate zu geben versprach, anzuwenden. Es wurde zu diesem Zweck Wasser mit CO, beladen und demselben vor dem Gebrauch eine Kochsalzlösung zugegossen, die die Gesammtconcentration der Flüssigkeit auf 0,7 °/, Koch- salz brachte, In folgender Tabelle sind die Beispiele für die Resultate der Versuche zusammengestellt. Tabelle VIII. Kohlensäure-Versuche. i Rollenab- |Ausschlag des Zeit Zustand stand in Mm. Muskelzeigers in des bei dem Ein-in Graden bei tritt der er- |50 Mm. Rol- Minuten. Versuchsthieres. Steh Zuckung. ern ae No. 1. 4? Frischer Frosch ........... 190 208 3' |ı Nach der Einspritzung von ı75 cc. kohlensauren Woassers.. 110 15° Das Herz schlägt langsam und schwach. 8' | Der Frosch athmet nicht mehr. 125 10° ' Die Reflexe sind ganz ver- 'schwunden. 13 ' | > S 130 8° 14 ' Es werden 75 cc. 0,7 ° Koch- ısalzlösung eingespritzt, die Mus- keln imbibiren sich enorm .... 130 0° Das Rückenmark ist unerreg- Untersuchungen über d, chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s. w. 339 Rollenab- |Ausschlag des Zeit | ns eh in Mm. Muskelzeigers in des Kar dem Ein- in Graden bei Minuten. Versuchstbieres, tritt der er- 50 Mm. Rol- Ben Zueunn, lenabstand. bar, der Frosch zuckt nicht bei seiner Durchschneidung; die Nerven machen auf Durch- schneidung noch schwache Zuckungen. No. 2. Eriseber-Erpsch. use 165 [09 Nach der CO, Einspritzung — 120 10° 75 ce. — Das Herz pulsirt schwach und langsam, die Re- ‚flexe sind verschwunden. Neue CO, Einspritzung von DICH ir iene a ac 110 70 Das Herz ist todt. Bei dem Abschneiden des Kopfes treten keine Zuckungen ein, ebenso- wenig auf Bohren des Rücken- markes mit einer Nadel. Die Nerven geben auf Durchschnei- dung noch Zuckungen, No. 3. Frischer Frosch . : h 170 30° Co, Einspritzung = — 75. cc. — 135 27, Die Reflexe und Spontanbe- wegungen verschwinden nach den ersten cc., das Herz pulsirt schwach und in Pausen. Neue CO, Einspritzung von DONGErB Eure lleuspisiganertege 125 37.0 Bei dem Abschneiden des Kopfes keine Zuckung, sehr schwache Zuckungen, — keine . |Streckkrämpfe — bei Bohren des Rückenmarkes. Die Ner- ven sind noch erregbar. | Die Kohlensäure zeigt sich nach diesen Versuchen als ein weit allgemeiner und heftiger wirksamer Stoff, als einer der bisher betrachteten. Sie setzt die Lebenseigenschaften des Muskels und der peripherischen Nerven herab, sie lähmt sie und lähmt ebenso sehr rasch Gehirn und Rücken- mark. Die Lähmung des Nervensystemes durch CO, 340 Dr. Johannes Ranke: ist eine absteigende: während die nervösen Centralorgane schon gelähmt sind, reagiren die Nervenstäimme noch auf di- recte Reize. Die Herzbewegung fällt auch hier unter die Actio- nen der quergestreiften Muskeln, wie die Leistungsfähigkeit jener, so wird auch die des Herzens herabgesetzt. VII. Glycocholsaures Natron. Die Versuche von A. Röhrig, über den Einfluss der Galle auf die Herzthätigkeit (Arch. d. Heilkunde IV. 385—419), welche eine Einwirkung der Galle auf die Herzbewegung von den Herzganglien aus nachgewiesen haben, erregten in mir die Absicht, diesen Stoff auch in seiner Wirksamkeit auf die Gesammtmusculatur zu prüfen. Wenn sich auch normal keine Gallensäuren im Muskel finden, so kann doch im Ikterus ein Einwirken dieser Stoffe auf die Musculatur statthaben. Nach diesem Gesichtspunct gehört demnach auch die Galle in den Bereich vorliegender Untersuchung. Es wurde nur gallensaures Natron auf seine Wirkung ge- prüft. Die Lösung desselben, von 1°/, 0,5 °/,, geschah in 0,7 ®/, Kochsalzlösung. | Einige Beispiele werden genügen, die beobachteten Ver- hältnisse klar zu machen; ich stelle sie in folgender Tabelle zusammen. Tabelle IX. Versuche mit gallensaurem Natron. i | Rollenab- [Ausschlag des a. Zu ‚stand in Mm.'Muskelzeigers in des bei dem ash: Graden bei a tritt der er- 50 Mm. Rol- Minuten. Versuchsthieres. Keit ee era. No. 1. n 1: Eirischer Brosch 2 er. 155 40° 3' 10 cc. Lösung von gallensaurem Natron von 1 $ eingespritzt = 0,1 Grm. Der Frosch verfällt in starke Krämpfe, später in anhaltenden Tetanus, der den Zeiger halt außen 0... ae 32° 18° | Die Muskeln sind noch ge- Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s.w. 341 } Rollenab- |Ausschlag des Zeit Auskand \ hotel in Mm. Muskelzeigers in des bei dem Ein- in Graden bei Minuten. Versuchsthieres. Aritt,der, er: 50, Msuutiel; sten Zuckung. lenabstand. spannt, hart wie Holz, der N | FREE DE N ee ge gr 10° Der Zeiger stand noch auf) 10°, es war noch Tetanus vor- handen 2 .2....8 .% 125 | 22 Das Herz war nach der Gal- len-Einspritzung anfangs bewe- gungslos, die Vorhöfe ausge- dehnt, die Kammer contrahirt. Auf directen Reiz contrahirte es sich noch und nachdem es auf diese Weise einige Male sich contrahirt hatte, pulsirten die Vorhöfe in Pausen. 19‘ Die Muskeln sind noch erreg- bar, doch nicht mehr im Stande, das Gewicht zu heben ..... 30 ' Alles wie oben. Es wurden nun 150 cc. Kochsalzlösung durchgespritzt.. Das Herz be- gann zu pulsiren, die Muskeln trieben sich enorm auf, sie wer- den glasartig durchsichtig 34' Nach dem Einspritzen steht die Herzpulsation wieder, es treten aber auf directe Reize kräftige Contractionen ein ... 125 02 125 0° No. 2. 4! Briseler ‘Prosehii) „1.17%. 2' 20 cc. 0,5% gallensaures Na- tron in Lösung eingespritzt. Das Herz steht sogleich still, con- trahirt sich nicht auf directen Reiz. Allgemein - Krämpfe in den Muskeln. ... 4' Herz todt; die Reflexe sind noch vorhanden, aber undeut- lich, weil die Muskeln steif sind, Der Frosch contrahirt die Mus- keln noch auf tactile Reize der Haut, er kann aber das Bein nicht mehr anziehen, 10' Herz todt. Reflexe schwach wie oben, die Augen werden “ auf Berührung der Cornea nicht „. gESchlassennn 2 Sn en! 15' Alles wie oben 140 60° 1508 29 10 145, 05341 W 808 160 30 ° 145 30° 342 Dr. Johannes Ranke: ns Rollenab- [Ausschlag des ei | za stand in Mm. Muckeliätkers in des bei dem Ein-iin Graden bei Minuten. Versuchsthieres. He ee | : : 20° | Die Reflexe scheinen nun ganz zuisiehlen' ... ...... 0 eier ee 160 28° 22" n 5 155 222 30‘ 5 - 155 15° 50' x x 160 8° 60' 5 % 160 108 70' us \ 160 g0 ziak® 75 cc. Kochsalzlösung einge- spritzt. Der Frosch bläht sich, allgemein sehr stark auf; die Muskeln werden dick und la-| sig. Das Herz todt, die Re- flexe verschwunden ....... 160 105 74' Herz todt, Frosch steif. Vom 160 20° Rückenmark aus schwach e| Zuckungen. | | Es ergeben alle von mir angestellten Versuche, wie die oben mitgetheilten, dass das gallensaure Natron eine lähmende Wirkung auf die gesammte quergestreifte Museculatur ausübt; die Wirkung auf das Herz ist demnach keine specifische, sondern beziehtsich dar- auf, dass dasHerz aus quergestreiften Muskelfasern besteht. Die Wirkung des Gallensalzes beruht also auf einer Alte- ration der Herzsubstanz selbst und ich stimme hierin mit Traube — über den Einfluss der gallensauren Salze auf die Herzthätigkeit. Berl. Klin. Wochenschrift. 1864. No. 9 und 15 — überein, im Gegensatz zu den Ansichten Landois’ und Röhrich’s. Die Wirkung der Gallensalze auf die Musculatur ist wie die der CO, keine ermüdende, sondern eine lähmende. Während wir es als Hauptcharakteristicum der ermüdenden Substanzen ansprechen müssen, dass ihre Einwirkung mit keiner chemischen Veränderung der Gewebe verbunden sei, so dass ein alleiniges Auswaschen der ermüdenden Stoffe genügt, ihre Wirkung voll- kommen wieder aufzuheben, ist die Einwirkung der Gallen- salze auf die quergestreifte Musculatur eine weit tiefer ge- Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s. w, 343 hende. Das Aufblähen der Muskeln bei der Einspritzung der indifferenten Flüssigkeit — 0,7%, Kochsalzlösung — beweist, dass der Muskel in seinem chemischen Verhalten verändert ist. Damit stimmt auch die geringe Wirkung der Salzwaschung überein. Die Einwirkung der Gallensalze auf die peripherischen Nerven ist gering, in einigen Fällen zeigte sich statt einer Herabsetzung der Erregbarkeit eine Erhöhung derselben. Auf die Ganglienapparate ist die Wirkung ebenso lähmend, wie auf die Musculatur, wofür das Verschwinden der Reflexe und die schwachen Zuckungen vom Rückenmark aus sprechen. IX. Kalisalze. Die Versuche von Claude Bernard, welche die giftige Wirkung von Einspritzung von Kalisalzen in die Blutmasse nachgewiesen haben, veranlassten folgende Experimente, welche einen Aufschluss über den Grund der heftigen Einwirkung die- ser Stoffe auf den thierischen Organismus ergaben. In folgender Tabelle sind beispielsweise die mit verschie- denen Kalisalzen gewonnenen Resultate zusammengestellt. Tabelle X, Versuche mit Kalisalzen. s b Rollenab- | Ausschlag des er Zuskand stand in Mm. Muskelzeigers in des bei dem Ein- in Graden bei tritt der er- 50 Mm. Rol- inuten. r ieres, A Rersuchsthiergs sten Zuckung. lenabstand. | No. 1. Chlorkalium, | L; Eriseher Krosch. ..... .. .. - | 150 65° 3" Es wurden 15 ce. einer 0,7 % Lösung von Chlorkalium in Was- ser eingespritzt = Ol Grm.| Das Herz steht still und reagirt nicht mehr auf direcete Reize, Es traten während der Ein- spritzung sehr starke Allgemein- Ikrämpfe der Muskeln ein. Bei | 50 Mm. Rollenabstand sind die Zuckungen nach dem Aufhören des Tetanus,sehr schwach; Re- flexe, Athmung, spontane Be- 344 Dr, Johannes Ranke: : | Rollenab- Ausschlag des Zeit | Zustand stand in Mm. Muskelzeigers um) des ‚bei dem Ein- in Graden bei } : tritt der er- 50 Mm. Rol- Minuten. Versuchsthieres. Kar Zuckung. stand | wegungen sind ganz verschwun- Elan 6 0. ae See fe 150 ven! 10° Es wurden 75 cc. 0,7 $ Koch- salzlösung eingespritzt ..... 150 15° 12% Wieder 75 cc. Kochsalzlösung, eingespritzt.s. WIEN a: 150 2049 16' ‚Das Herz schlägt wieder, aber langsam und schwach, Frosch gebläht. Reflexe etc. treten nicht "wieder ein... 2... 150 38 No, 2. Salpetersaures Kali.’ 72 Brischer Rroschi.es2. 2 2.02% 120 30° a4 Es wurden 50 ce. 0,7 $ Sal- peterlösung eingespritzt, das n Herz ist todt, starke Krämpfe 120 0} Alk Es wurden 100 ce. Kochsalz- lösung eingespritzt. Der Frosch ist, wie oben, todt; das Herz erholt sich nicht wieder, Der Frosch ist sehr aufgebläht .. . 120 0° No, 3. Salpetrigsaures Kali. Frischer, Rrosche.38 4:13... 150 95° Es werden 10 cc. salpetrig- saure Kalilösung von 0,7 $ ein- gespritzt. Das Herz steht so- gleich still, starker Tetanus der gesammten Musculatur, der rasch wieder verschwindet ...... 150 0°! Kochsalzwaschung ohne Er- folg. Die von Claude Bernard gefundene giftige Wirkung der Kaliinjectionen in die Blutmasse beruhen auf einer durch diese Substanzen gesetzten augenblicklichen Lähmung der gesammten quergestreiften Musculatur, an wel- cher auch das Herz theilnimmt. Die Einwirkung ist eine sehr heftige, da schon sehr ge- ringe Mengen der genannten Stoffe genügen, das Thier zu tödten. Eine Wiederherstellung durch Kochsalzwaschung wurde nur bei dem Chlorkalium beobachtet, nur in dem oben an- Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s. w. 345 geführten Falle war sie jedoch von einiger Bedeutung, sonst war die Erholung nur sehr minimal: 4° des Muskelzeigers. An den mit Kali getödteten Thieren wurde auch eine 2°/, Zuckerlösung als wiederherstellende Flüssigkeit geprüft und zwar mit Erfolg. | Ich beschliesse hiemit diese kurze Mittheilung der ange- stellten Versuche und ihrer Resultate und fasse das Gesammt- Resultat der Untersuchung in folgende Sätze zusammen: Resultate. ‘A. Wirkungen auf das Muskelgewebe. 1. Zu den in der ersten Abhandlung schon als den Mus- kel als solchen ermüderd erkannten, im Organismus selbst producirten Stoffen: Fleischflüssigkeit und Milchsäure fügt vorliegende Untersuchung noch hinzu: das Kreatin. Die ermüdende Eigenschaft der Fleischflüssigkeit beruht auf der Anwesenheit der genannten Stoffe. Gallensaures Natron und die Chloralkalien wirken etwas anders und zwar besonders weit heftiger alterirend, als Kreatin, ihnen analog die Kohlensäure; das Kreatinin wirkt ebenfalls in dieser Richtung, aber sehr viel schwächer. Man kann die Wirkung dieser Stoffe im Gegensatz zu der der ermüdenden Stoffe eine lähmende nennen. Ich verkenne nicht, dass dieser Unterschied vielleicht nur ein gradueller ist. Doch ist wichtig, dass diese letzteren Stoffe alle sehr bald ‘eine definitive Veränderung der Substanz des Muskels her- vorbringen; während die Wirkung der ermüdenden Stoffe stets durch das Entfernen derselben aufzuheben ist. Die Wirkung der Hippursäure auf das Herz scheint auf einer directen Einwirkung dieses Stoffes auf die Herzsubstanz selbst zu bestehen. Die Wirkung ist eine vorübergehende, ermü- dende. Es scheint dies ein Beispiel dafür, dass ein Stoff im Stande ist, nur auf eine bestimmte, kleine Gruppe quergestreifter Fasern zu wirken — auf’s Herz. Doch scheinen dagegen die einige Male beobachteten Zuckungen der Stammmusculatur während Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1864, 23 346 Dr. Johannes Ranke: der Einspritzung darauf hinzudeuten, dass vielleicht doch eine wenn auch schwache Einwirkung auf die gesammte querge- streifte Muskelsubstanz statthabe. Die bisher angestellten Ver- suche ergaben sonst stets, dass sich das Herz ganz den übri- gen quergestreiften Muskeln analog den alterirenden Stoffen gegenüber verhielt. 2. Von den von mir untersuchten im Organismus normal sich findenden Salzen oder Zersetzungsproducten hatte nur Harnsäure, wahrscheinlich wegen ihrer geringen Löslichkeit in Wasser, und Traubenzucker selbst in starken Concen- trationen keine Wirkung auf die Gewebe des Organismus. Der Zucker verhält sich ganz wie Kochsalzlösung von 0,7 °/, und ist in vielen Fällen wohl noch zweckmässiger als indiffe- rente Flüssigkeit anzuwenden, als selbst jenes. B. Wirkung auf das peripherische Nervensystem. 3. Die Erregbarkeit der Nervenstämme wird, wie bei nor- maler Ermüdung, erhöht durch die wirklich ermüdenden Stoffe: Milchsäure und Kreatin. Auf der Wirkung dieser beiden Stoffe beruht demnach auch diese in Abhandlung No. I schon beschriebene Wirkung der Fleischflüssigkeit. 4. Die Erregbarkeit vermindernd, resp. vernichtend wir- ken: Kohlensäure und gallensaures Natron. 5. Ganz indifferent auf die peripherischen Nerven zei- gen sich: Kreatinin, Traubenzucker, Harnsäure, sau- res harnsaures Natron, Harnstoff, Hippursäure, Kalisalze. C. Wirkungen auf die Reflexmechanismen 6. Erregend auf das Setschenow’sche Reflexhem- mungscentrum wirken: Harnstoff, Hippursäure, gal- lensaures Natron und die Kalisalze. Alle anderen von mir hier untersuchten Stoffe scheinen indifferent dafür zu sein. Alle vier ebengenannten Reize des Reflexhemmungscen- trums haben die gemeinsame Eigenschaft, vom Gehirn aus nach und nach eine Lähmung des gesammten peripherischen Untersuchungen über d. chemischen Bedingungen d. Ermüd. u.s. w. 347 Reflexapparates herbeizuführen. Von dem Harnstoff und der Hippursäure ist nachgewiesen, dass sie dagegen direct ohne lähmenden Einfluss auf die peripherischen Re- flexmechanismen seien. 7. Nur von der Hippursäure ist eine deutliche Einwirkung auf die peripherischen Reflexmechanismen beobachtet worden. Er besteht in einer Beruhigung des durch äussere Einwirkungen gesetzten Reizzustandes derselben, ohne eine Verminderung ihrer Energie. Die vorstehend mitgetheilten Resultate scheinen mir nicht ganz ohne theoretisches Interesse zu sein, Sie zeigen uns vor Allem bei einer Reihe organischer Vor- gänge die Möglichkeit der Erkenn tniss der stofflichen, chemi- schen Grundlage, welche die Wissenschaft zwar aus theoreti- schen Gründen postulirte, die sich aber bisher einer experi- mentalen Beobachtung entzogen hatten. Eine Zelle, deren Inhalt sich in seiner chemischen Zusam- mensetzung wesentlich verändert, muss aus theoretischen Grün- den in ihren Lebenseigenschaften wesentlich verändert sein. Wir sind mit der von mir befolgten Methode im Stande, experimental den Zelleninhalt — Inhalt des Muskelrohres, der Ganglienzellen z. B.— zu verändern und zu erforschen, 1) was wir als eine wesentliche Veränderung desselben aufzufassen haben und 2) in welcher Art sich nach einer solchen die Le- benseigenschaften der Zelle verändern. Meine Experimente lehren direct, dass allein schon die Anwesenheit gewisser Stoffe in dem Zelleninhalte in nur einigermassen grösserer Menge, ohne eine weitere, eingreifende Veränderung der Zelle selbst, hinreicht, ihre normalen Lebens- eigenschaften zu verändern, zu verstärken oder verschwinden zu machen; und dass umgekehrt durch die einfache Entfer- nung oder Verminderung dieser Stoffe in dem Zelleninhalt die Eigenschaften in normaler Weise zurückkehren. Sie lehren weiter, dass die Zellen verschiedenen Stoffen gegenüber sich sehr verschieden verhalten; dass einzelne Stoffe 23* 348 Dr. Johannes Ranke: Untersuchungen über die u. s. w. für alle Zellen indifferent sein können (Zucker), während an- dere für eine indifferent, für eine andere von bedeutender Wir- kung zu sein vermögen, und zwar scheint es, dass derselbe Stoff in derselben Zelle in geringerer Menge die normalen Thätigkeiten erhöhend, in grösseren dieselben vermindernd ein- wirken könne (Milchsäure, Kreatin).. Andere Stoffe wirken auf alle Zellen gleichmässig alterirend ein — CO;. Die Anwesenheit der gleichen Stoffe in verschiedenen Zellen bewirkt bei der einen eine Herabsetzung, bei der an- dern eine Erhöhung der Lebenseigenschaften. — Die Reihe der von mir vorläufig untersuchten Stoffe ist gering. Doch geht schon aus den bisher beobachteten Wir- kungen derselben hervor, dass der Organismus sich selbst Reize der verschiedensten Art produeirt, dass eine Reihe von Lebenserscheinungen, von Veränderung der Functionen der Organe, von Hemmungsvorrichtungen auf einfachen chemischen Veränderungen des Inhalts gewisser Zellen beruhe. Wir haben dadurch einen neuen Einblick in die Oekonomie des Organismus gethan. Wir sehen, dass den Stoffen, die wir bisher nur als Auswurfstoffe des Organismus betrachtet haben, eine weittragende Bedeutung für die organischen Verrichtungen zukomme. Die Natur thut nichts umsonst: dasselbe Muskel- partikelchen, das noch eben zur Ausführung des Bewegungs- vorganges selbst verwendet wurde, kann vielleicht schon im nächsten Moment zersetzt werden und dazu dienen, erst neue Bewegung in anderen Muskeltheilchen hervorzurufen, um dann selbst die hervorgerufene Bewegung wieder zu vernichten. Die vorstehende Untersuchung wurde in und mit den Mit- teln des physiologischen Institutes des Herrn Prof. ©. Voit in München angestellt. Ich spreche Herrn Prof. ©. Voit für die vielseitig mir gewährte freundliche Unterstützung mei- nen besten Dank aus. München, den 26. Mai 1864. Dr. W. Krause: Beiträge zur systematischen Neurologie u. s. w. 349 Beiträge zur systematischen Neurologie des menschlichen Armes. Von Dr. W. Krause, Professor in Göttingen. (Hierzu "Taf. VII. Rip. 1 u. 2,) Unter den Aesten für den M. triceps, welche der N. radia- lis abgiebt, ist einer durch seinen Verlauf auffallend. Ein dünner Faden trennt sich nämlich als erster oder zweiter Ast vom N. radialis an der inneren Seite des Oberarms im Niveau des unteren Randes der Sehne des M. latissimus dorsi. Die- ser Ast steigt, anfangs nach hinten und aussen vom N. ulna- ris gelegen, senkrecht herab, wendet sich an die hintere Seite des N. ulnaris und gelangt, während er mit dem N. ulnaris durch eine gemeinschaftliche Scheide eingeschlossen ist, hinter das Ligamentum intermusculare externum. Mit der A. collatera- lis ulnaris superior in sehr schräger Richtung sich kreuzend, in- dem die Arterie anfangs hinter, weiter abwärts aber zwischen dem Radialis-Ast und dem N. ulnaris zu liegen kommt, ver- ästelt sich derselbe gemeinschaftlich mit der genannten Arterie im unteren Theile des Caput internum M. trieipitis und kann deshalb als Ramus collateralis ulnaris Nervi radia- lis bezeichnet werden. (S. Fig. 1.) Dieser Theil des Muskels umfasst die untersten Bündel des Tricepskopfes, deren Seh- nenfasern am innern Rande des Oberarms vorbeilaufen und sich am innern Rande der Ulna unmittelbar oberhalb des M. anco- 250 Dr. W. Krause: naeus quartus inseriren. Mitunter werden die am meisten ab- wärts gelegenen Muskelbündel in einer kleinen Strecke nicht mehr von dem Nerven versorgt. Sämmtliche Fasern des Nerven verästeln sich im Muskel und es gelangen keine der- selben zur Kapsel des Ellenbogengelenks. Der Ramus colla- teralis ist constant; wenigstens habe ich denselben niemals vermisst.!) Der eigenthümliche Verlauf des beschriebenen Ner- ven erklärt eine Menge von theilweise unrichtigen oder doch unvollständigen Angaben älterer und neuerer anatomischer Schriftsteller. Derselbe ist gehalten worden: für einen Ver- bindungsfaden des N. radialis zum N. ulnaris; für einen Ast des N. ulnaris; in neuerer Zeit meistens für einen Ast des N. radialis zur Kapsel des Ellenbogengelenks. Vesalius?) hatte richtig angegeben: Quintus (N. ulnaris) autem — per axillam in brachium fertur, nullas omnino sobo- les cuiquam brachii parti distribuens. Nam indivisus ete. Recht gut abgebildet ist der Ramus collateralis zum ersten Male bei Berettinus und Petrioli.) Nach Boerhaave’s®) Meinung rühren die Nerventafeln dieses Werkes ursprünglich von Veslingius her. A. Monroö) (pater): N. ulnaris — nervos dat musculis extensoribus cubiti. Schaarschmidt‘): N. ulnaris descendit in latere interno ae Rn 1) Dagegen fand sich in einem Falle bei einem 20jährigen Manne ein dünner Ast des N. ulnaris, der ebenfalls in der Scheide des letz- teren verlaufend doch auf fast der ganzen Länge des Oberarms leicht aus derselben zu isoliren war. Derselbe verliess den N. ulnaris unge- fähr 6 Cm. oberhalb des Condylus internus Oss. brachii, um sich über das Ligamentum intermusc. int. hinweg mit einem Hautast des N. cu- taneus int. maj. zu vereinigen, wodurch eine nach der Ellenbogengrube hin convexe Schlinge entstand. 2) A. Vesalius. De humani corporis fabrica Libri VII. Basil. 1543. Fol. Lib. IV. S. 544. 3) Tabulae anatomicae aPetro Berrettino delineatae etaCajet. Petrioli notis illustratae. Romae 1741. Fol. Tab. XVIII. Fig. 1. 4) Methodus stud. med. Amstelod. 1751. 4. Tom. I. S. 522. 5) De nervis etc. tractatus, latine redd. G. Coopmans. Harlingae 1763. S. 170. 6) Tabul. anat. Moscov. 1767. Fol. Tab. XIV. S. 516. Beiträge zur systematischen Neurologie des menschlichen Armes. 351 humeri juxta musculum anconaeum magnum atque in hoe ite- nere vicinis musculis — multos largitur ramulos —. Tissot!): Ce nerf (N. ulnaris) — dans tout son trajet il donne quelques filets aux muscles qui Bentourent. Haase): N. cubitalis — a latere interno brachii descen- dit, missis duobus longis, sed tenuibus ramis ad tricipitem brachii et cutim. Klint?): N. cubitalis — assumit ex nervo radiali constan- tem et satis insignem ramum anastomoticum, quem in deserip- tionibus aliorum auctorum pariter frustra quaerimus, —. Hoc ramo anastomotico vel integro recepto, vel quoad maximam partem sibi associato, provenit ex nervo cubitali in ea eirciter regione ubi radialis se eirca cubitum fleetere ineipit, vel unice ex cubitali, vel assumpta radice parva ex ramo anastomotico radialis insignis ramus primis constans, quem subcutaneum ex eubitali ill. praeceptor (Wrisberg) appellat, inter cutem et ven- tres trieipitis ad oleeranon — decurrit, et in iisdem finitur —. G. Coopmans®): N. cubitalis —- descendit inter caput longum Trieipitis et Brachialem internum, quibus musculis et cuti quasdam concedit fibrillas. Hildebrandt’): Der N. ulnaris, welcher durch einen Faden mit dem N. radialis Gemeinschaft hat —. A. C. Bock) lässt von dem zu dem Caput internum m. tricipitis sich verbreitenden Zweige des N. radialis einen lan- gen Faden entstehen, welcher an der A. collateralis ulnaris superior und dem innern Zwisehenmuskelbande herabgeht und in dem vordern und innern Theile des Kapselbandes des El- lenbogengelenkes endet. 1) Traite des nerfs ete, Paris 1778. Tom. I. P. I. S, 113. 2) Cerebri nervorumque corporis humani anatome repetita. Lips. 1781. S. 99. 3) De nervis brachii. Gottingae 1784. S. Ludwig, script. neurol. min. Lips. 1793. Tom. III. S. 117. Tab. III. No. 12. 13, 4) Neurologia etc. Franequerae 1789. 5) Lehrb. der Anat. Braunschweig 1792. Bd. IV. S. 460. 6) Die Rückenmarksnerven etc. Leipzig 1827. S. 64. Taf. I. Fig. 2. No. 39. 352 Dr, W. Krause: Später hat A. C. Bock!) eine bessere Abbildung vom Verlauf des Nerven gegeben, wo derselbe dicht neben dem N. ulnaris gelagert ist. Die Endverbreitung ist jedoch aus der Tafel nicht zu entnehmen und die Tafelerklärung sagt nur: ein Ast des Speichennerven, der neben dem dreiköpfigen Armmuskel herabsteigt. C. H. Weber?): Vor dem zu dem Anconaeus internus gehenden Zweige (des N. radialis) kommt, nach Bock, ein langer Faden, welcher neben der A. collateralis ulnaris zur Kapsel des Ellenbogengelenkes geht. Cloquet?): Le nerf cubital descend presque verticalement — le long du bord interne du muscle triceps-brachial — .— il donne quelques filets longs et greles, qui vont se rendre & la partie inferieure de ce muscle -—. Valentin®): Der N. radialis — sendet durch den zu dem inneren Kopfe des letzteren (M. triceps) verlaufenden Zweig einen Ast, welcher an der oberen Ellenbogenarterie und. dem inneren Zwischenmuskelbande herabsteigt und in die Weich- 'gebilde des vorderen und inneren Theiles des Ellenbogenge- lenkes eintritt. Bourgery°) hat eine Abbildung des Ramus collateralis gegeben. Die Tafelerklärung lautet: Rameau (du nerf radial) de la portion interne du triceps, qui s’accole au nerf cubital. Arnold) beschreibt unter den Muskelästen des N. radialis am Oberarm einen Faden, der mit der A. collateralis ulnaris superior bis zum Ellenbogen hinabläuft und. sich in die Kap- sel dieses Gelenks vertheilt. Sappey?’): Branches collaterales du radial. 1° Un ra- meau cutane interne, qui traverse l’aponevrose brachiale ä sa 1) Chirurgisch-anat. Tafeln. Leipzig 1833. Taf. XI. Fig. 2. No. 16. 2) Hildebrandt’s Anatomie. 1831. Bd. III. S. 499. 3) Traite d’anat. deseript. 2de edit. Paris 1836. T. II. S. 171. 4) Nervenlehre. Leipzig 1841. S. 575. 5) Bourgery et Jacob. Traite complet de l’anatomie de ’homme, Tome III. Növrologie. Paris 1844. S. 263. Pl. 59. Fig. 1. No. 14. 6) Handb. der Anat. d. Menschen, 1851. Bd. II. 2. Abth. S. 798. 7) Traite d’anat. descript. Paris 1852. T. II. S. 350. Beiträge zur sytematischen Neurologie des menschlichen Armes. 353 partie superieure, devient sous-cutane, et se divise en plusieurs ° filets destines a la partie posterieure et interne de la peau du bras. L’un de ces filets peut &tre suivi jusqu’ & l’articulation du coude. — 3° Un rameau au vaste externe. — L’un de ses filets applique a la cloison intermusculaire interne, tres pres du cubital, se porte presque verticalement en bas, pour se distribuer & la partie inferieure du muscle. H. Meyer'): fand, dass au die hintere Seite des Ellenbo- gengelenks ein Zweig des N. ulnaris mit der A. collateralis ulnaris prima verlaufend sich begiebt. Rüdinger?) citirt die angeführte Stelle Arnold’s bei Ge- legenheit eines constant gefundenen Fadens von einem Mus- kelast im Caput externum trieipitis zur Kapsel des Ellenbo- gengelenkes. In vielen Fällen ertheilt auch der Zweig desN. radialis, der den inneren Kopf des M. triceps versorgt, der Kapsel einen Faden. Hyrtl?) giebt an, dass der Zweig des N. radialis, welcher dem kurzen Kopfe des Triceps zugehört, einen Ast im Ge- biete der A. collateralis ulnaris superior zur Kapsel des Ellen- bogengelenkes herabsende. Hollstein*) erwähnt, dass von dem Zweige des N. radia- lis für den inneren Kopf des Triceps öfters ein Faden ab- wärts zur hintern Seite des Ellenbogengelenkes gehe. Veslingius, Klint, Bock und Bourgery haben also - den Nerven bereits abgebildet. Monro, Schaarschmidt, Tissot, Haase, Klint, Coopmans, Cloquet lassen den N. ulnaris einen oder mehrere Aeste an das Caput internum trieipitis ertheilen. Klint und Hildebrandt erwähnen die Verbindung des N. radialis mit dem N. ulnaris. Bock, E. H. Weber, Valentin, Arnold, H. Meyer, 1) Vierteljahrsschrift d. naturforsch. Gesellsch. in Zürich 1857. 8. 75. Virchow’s Archiv Bd. XII. 1857. S. 124. 2) Die Gelenknerven des menschlichen Körpers. Erlangen 1857. Sl2, 3) Lehrb. d. Anat, d. Menschen. Wien 1863. S. 843. 4) Lehrb. d. Anat. d, Menschen. Berlin 1860. S. 952. 354 Dr. W. Krause: Hyrtl, Hollstein beschreiben den Nerven als zur Kapsel des Ellenbogengelenkes gehend. Rüdinger hält diesen Verlauf nicht für constant. Nur Bourgery sowie Sappey haben die wesentlichen Verhältnisse des Nerven richtig erkannt, obgleich ihre Darstel- lung keinesweges eine klare zu nennen ist. Dass auf die einmal gemachte Angabe von Bock hin so viele Anatomen den Nerven zur Ellenbogengelenkkapsel sich verbreiten liessen, kann nicht in Verwunderung setzen. Denn bisher war die Vorstellung herrschend, dass die Fasern der Muskeln annähernd so lang wären, als diese selbst, und dass ihre Nerven zwischen oberem und zweitem Drittheil der Länge der Muskeln in dieselben eintreten. Da man jetzt weiss, dass die Muskelfasern eine Länge von 2—4 Cm. nicht überschrei- ten !), so folgt, dass gesonderte Partieen von Fasern, die am Ende eines langen Muskels gelegen sind, wie z. B. die unteren schräg verlaufenden Bündel des Caput internum tricipitis noth- wendig ihre eigenen Nervenfasern bekommen müssen, da’ jede Muskelfaser nur an einer Stelle, etwa in der Mitte ihrer Länge, mit der zugehörigen Nervenfaser in Verbindung tritt. Es kann also das Vorkommen eines besonderen Nervenzweiges für die genannten Muskelbündel nach dem Gesagten a priori voraus- gesetzt werden. Da der Ramus collateralis N. radialis ein seit langer Zeit und oft beschriebenes Beispiel eines sogenannten Gelenknerven . darstellt, so wird eine Revision der übrigen Gelenknerven schon in dieser Hinsicht angerathen sein. Physiologisch interessant ist die Frage, wie die Gelenknerven endigen, wo solche vor- kommen. Hier empfehlen sich die Nerven der Phalangal-Ge- lenke der Finger zur Untersuchung, weil keine Muskeln oder sonst in Frage kommenden Gebilde an denselben in Betracht zu ziehen sind. Es wurden diese Nerven zuerst von Henle- Kölliker?) beschrieben und abgebildet und hiernach ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Gelenknerven überhaupt mit 1) W. Krause, Zeitschr. f. rat. Med. Bd. XX. 1863. 8. 1. 2) Die Pacini’schen Körperchen, Zürich 1844. Taf. IIL Fig. 1. Beiträge zur systematischen Neurologie des menschlichen Armes. 355 Vater’schen Körperchen aufhören, die in der Nachbarschaft der Gelenkkapseln gelegen sind. Schon früher war Cru- veilhier!) eine besondere Beschaffenheit der Gelenknerven der obern Extremität aufgefallen, die Longet?) folgender- massen beschreibt: Les nerfs fournis par le plexus brachial aux articulations du membre thoracique, — dont nous avous indiqu& les origines, presentent un aspect particulier que M. Cruveilhier a deerit le premier: ils sont grisätres, renfles et comme noueux. Üette disposition est surtout appreciable pour les rameaux articulaires, qui naissent de la branche ter- minale profond du nerf radial. — (S. 864.) Il se termine en envoyant des filets aux articulations radio-carpienne, carpien- nes et carpo-metacarpiennes. Das knotige Ansehen dieser Zweige scheint ebenfalls auf die Anwesenheit von Vater’- schen Körperchen an denselben hinzudeuten. Seit Vater?) ist keine vollständige Abbildung der Vater’- schen Körperchen der menschlichen Hand gegeben worden und deshalb mag es geeignet erscheinen, diese Lücke hier aus- zufüllen. (S. Fig. 2.) Um diese Körperchen mit dem Messer darzustellen, wird die genaue Kenntniss des eigenthümlichen Ansehens jener zierlichen Nerven-Endapparate mit unbewaff- netem Auge erfordert. Hat man sich diese erworben, so bie- tet die Arbeit keine besondere Schwierigkeit. Mit Hülfe der Scheere verfolgt man die feinsten Hautäste der Fingernerven und findet an denselben länglich-rundliche Knötchen ansitzen, die durch ihre grössere Härte und ihr festes Anhaften sich sehr auffallend von den Fettzellengruppen des Unterhautbinde- gewebes unterscheiden. Für den Anfang ist es rathsam, die Darstellung am frischen Objecte zu beginnen, Das eigenthüm- 1) Traite d’anat. descript. Paris 1834—1836. S. 818, 2) Anatomie et physiologie du syst. nerveux de l’homme. Paris 1842. Tom. I. S. 868, 3) Dissertatio de consensu partium corporis humani, exposito simul nevvorum brachialium et eruralium coalitu peculiari atque papillarum nervearum in digitis dispositione, quam praeside D. Abrahamo Va- tero h. t. Academiae rectore pro gradu Doctoris exponet J. G. Leh- mannus. Vitembergae, Novbr. 1741. 336 Dr. W. Krause: liche halbdurchscheinende Aussehen dieser Gebilde verliert sich durch die Einwirkung des Alkohols, sobald die Intercap- sularflüssigkeit aus den Körperchen auf endosmotischem Wege ausgezogen wird. Leider geht damit die Schönheit der Prä- parate zugleich verloren. Legt man das Object in Liquor conservativus (60 Grm. Alaun, 120 Kochsalz, 0,6 Sublimat auf 2!/, Litre Wasser), so wird dadurch kein wesentlicher Vor- theil vor wässrigem Alkohol von 0,91 spec. Gewicht erreicht. Natürlich muss man möglichst magere Hände auswählen und kann sich die Präparation anfangs noch dadurch erleichtern, dass man die Hand eines soeben verstorbenen Individuums 24 Stunden lang senkrecht herabhängen lässt, was bei Hospi- talleichen keine Schwierigkeiten darbietet. Dann füllen sich unter Bildung von Todtenflecken die Capillaren der Haut und auch des Fettgewebes. Die Fettklümpchen erscheinen als röthliche Massen, von denen sich die mattweissen Körperchen um so besser abheben. Durch längere Alkohol-Einwirkung geht aber dieser Vortheil verloren und auch andere Conservations- flüssigkeiten, deren mehrere versucht wurden, haben mir kein besseres Resultat ergeben. Zweckmässig wird die letzte Rein- darstellung unter Wasser oder Alkohol vorgenommen, während der Gebrauch der Loupe nur ausnahmsweise von Nutzen ist. In der gegebenen Abbildung sind ausschliesslich diejenigen Körperchen verzeichnet, welche mit Sicherheit als solche zu erkennen waren. Diejenigen, welche Zweifel erwecken konn- ten, wurden abgeschnitten und der mikroskopischen Untersu- chung unterworfen, wodurch natürlich das Präparat an Reich- haltigkeit verlor, sowie bekanntlich überhaupt die gefundenen Zahlen für die Häufigkeit der Körperchen an verschiedenen Orten nur als Minima anzusehen sind. Herbst!) hat mit Hülfe des Mikroskops am Daumen 65, am Zeigefinger 95 ge- funden und daraus die Anzahl für sämmtliche Fingernerven der Volarfläche auf 385 berechnet. Bei jener mikroskopischen Untersuchung stellte sich unter Anwendung von Essigsäure heraus, dass zwar in den meisten Fällen Vater’sche Körper- J) Die Pacini’schen Körperchen etc, Göttingen 1848. Beiträge zur systematischen Neurologie des menschlichen Armes. 357 chen mit Unrecht vom Präparate als zweifelhaft entfernt wur- den, dass aber zuweilen eine Verwechslung mit Schweissdrü- sen-Knäueln, die eine ähnliche Festigkeit haben, sich ereignet hatte, während Fettklümpchen niemals für Vater’sche Kör- perchen angesehen worden waren. Es ist hiernach anzuneh- men, dass die auffallend grosse Anzahl (z. B. 200 am Dau- men), welche Vater mit dem Messer dargestellt und abgebildet hat, einer Verwechslung mit den damals noch nicht bekann- ten Schweissdrüsen zuzuschreiben sein dürfte. Erklärung der Tafel. | Fig. 1. Rechter Oberarm von der Innenseite gesehen in natürlicher Grösse. Die Hautnerven und die Venen sind entfernt, die Arterien injieirt. Der N. radialis (R.) giebt am untern Rande der Sehne des M, latissi- mus dorsi den Ramus collateralis ulnaris (r. c. u.) ab. Derselbe er- scheint zunächst als Verbindungsfaden zum N. ulnaris (N), in dessen Scheide er eine lange Strecke verläuft. Sich mit der A. collateralis ulnaris superior kreuzend, verzweigt sich der Ramus collateralis in den unteren Bündeln des Caput internum trieipitis. Die untersten wer- den in diesem Falie nicht von demselben versorgt. Die A. collatera- lis ulnaris inferior und die gemeinschaftlich entspringenden Aa. pro- funda brachii und circumflexa humeri posterior sind ebenfalls sichtbar, nicht aber die Ursprungsstellen der genannten Arterien aus der A. brachialis (B). Der N. cutaneus internus major (c. i. m.) ist erhalten. derselbe deckt den N. medianus (M) in der Figur theilweise und ver- zweigt sich auf der Fascia antibrachii. Die Muskeln bedürfen keiner Erläuterung. Fig. 2. Rechte, sehr magere Hand eines Mannes. An den Nn, digitales volares sind die Vater’schen Körperchen erhalten. 358 Prof. Wenzel Gruber: Die Bursae mucosae ın der inneren Achsel- höhlenwand. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. IX. A.) —— In der inneren Achselhöhlenwand, welche vom Musculus serratus anticus major und der oberen seitlichen Thoraxwand gebildet wird, kommen zwei Arten von Syno- vialsäcken vor. Die eine Art liegt im Musculus serratus selbst, die andere ım Interstitium zwischen diesem Muskel und der Thoraxwand. | 1. Bursa mucosa anguli superioris scapulae (s. intra-serrata). (Fig. 1—4.) Die Vorderfläche der Scapula zeigt zwischen ihrem oberen und medialen Rande und dem oberen medialen, mei- stens abgerundeten Winkel ihrer Fossa ein. von dieser ge- wöhnlich deutlich geschiedenes Feld. Dieses Feld ist selten völlig plan, häufig transversal schwach convex und vertical seicht concav, bisweilen in beiden Richtungen convex oder concav und in letzteren Falle wie gefurcht oder stellenweise abwechselnd convex und concav. Dasselbe nimmt die Fläche des Angulus superior ein, an der bisweilen ein Höcker sitzt Die Bursae mucosae in der inneren Achselhöhlenwand. 359 und reicht vom oberen Rande der Scapula, unter dem es ver- schieden weit lateralwärts und selbst bis zu seiner Incisura sich erstreckt, längs ihres medialen Randes fast immer bis zur Stelle, an der gegenüber das dreiseitige Feld des freien Ran- des der Spina liegt, oder unter diese Stelle abwärts. Biswei- len ist es auf einen schmalen Saum reducirt oder nur auf den Angulus superior scapulae beschränkt, ganz ausnahmsweise fehlt es ganz. Es ist gewöhnlich dreiseitig und dabei meistens sichelförmig oder halbmondförmig um die Fossa subscapularis gekrümmt, seltener ein wirklich halbmondförmiger oder ein ein—zweischenkliger bandförmiger Streifen. Der obere und mediale Rand des Feldes fallen mit den gleichnamigen Rän- dern der Scapula zusammen, der mehr oder weniger markirte, gewöhnlich bogenförmig gekrümmte, selten winklig eingebo- gene laterale Rand desselben scheidet es von der Fossa sub- scapularis. Die Breite des Feldes variirt sehr. Dieselbe ist zwischen der Spitze des Angulus superior scapulae und dem lateralen Rande des Feldes in schräg ab- und lateralwärts ge- hender Richtung am grössten (4—12 Lin.), und nimmt von da gegen das laterale und untere Ende des Feldes gewöhnlich ab. — An dieses ganze Feld inserirt sich die obere Portion des Musculus serratus anticus major, welche von der 1. und der 2. Rippe und einem aponeurotischen Bogen ent- springt, vom übrigen Muskelkörper immer deutlich geschieden ist, und wie ein eigener Muskel aussieht. Diese Portion ist an ihrer Insertion am breitesten Theile des Feldes bisweilen in 2 Schichten getheilt, die durch einen mit Bindegewebe und selbst Fett ausgefüllten Raum geschieden sind. Die vor- dere Schicht entspringt dann vom oberen und medialen Rande des Feldes, die hintere Schicht vom lateralen Rande dessel- ben. Neben der vorderen Schicht inserirt sich am medialen Rande der Scapula der Musculus levator anguli scapulae, wel- cher ersteren hier von vorn her bedeckt; neben und hinter der hintern Schicht entspringt der Musculus subscapularis und seine Fascie, von ersterer durch Bindegewebe allein Ban durch die- ses und Fett getrennt. 360 Prof. Wenzel Gruber: In der Region des beschriebenen Feldes an der Vorderfläche der Scapula, und zwar in der oberen Por- tion des Serratus verborgen oder hier und zugleich zwi- schen diesem Muskel und der Insertionsportion des Le- vator anguli scapulae versteckt, kommt ein einzelner oder doppelter Synovialsack von meistens beträchtlicher Grösse vor, den ich Bursa mucosa anguli superioris scapulae nenne. Ich werde die Bursa mucosa nach den Resultaten der Untersuchungen der von mir bis jetzt beobachteten 26 (29) Fälle im Nachstehenden beschreiben. Zahl. Häufig 1, selten 2 an einer und derselben Schulter. Lage. Die Bursa, wenn nur eine da ist (Fig. 1, 2. *), liegt immer zwischen zwei Schichten der oberen Portion des Serratus im Bereiche des oberen, breitesten Theiles des genannten Feldes der Vorderfläche der Scapula, ent- weder unmittelbar auf dem Periosteum der letzteren oder davon noch durch eine membranartig dünne Partie des sehnig-fleischigen Ursprunges der tiefen Schicht des Serra- tus geschieden, gleich oder 1—3 Linien unter der Spitze des Angulus superior oder unter dem oberen Rande der Sca- pula, gleich neben dem medialen Rande derselben oder 1—5 Lin. davon lateralwärts entfernt. Nur bisweilen wird die Bursa zugleich auch vom Levator anguli scapulae unmittelbar bedeckt. Die Bursa beschränkt sich bald auf das genannte Feld oder einen Theil desselben, bald und gerne dehnt sie sich darüber und selbst noch bis 6 Lin. lateralwärts hinaus, und zwar vor den die Fossa subscapularis ausfüllenden Subscapularis und die ihn deckende Fascie, wobei sie aber immer innerhalb des Serratus gelagert bleibt. Der längste Durchmesser der Bursa liegt dabei meistens schräg von oben nach ab- und lateralwärts oder quer, ganz ausnahmsweise (!/,, d. F.) schräg von unten (v. d. medialen Rande) nach auf- und lateralwärts (g. d. oberen Rand). Im ersteren Falle kann sich ihr latera- les Ende bis 5 Lin. vom oberen Rande der Scapula und bis 7 Lin. vom medialen Rande derselben entfernen. Sind zwei Bursae da, so liegen entweder beide im Serratus verborgen Die Bursae mucosae in der innern Achselhöhlenwand. 361 (Fig. 3, *, **), wie ich an der linken Schulter eines 42 Jahre alten Weibes sah, oder die eine, hintere (Fig. 4, **), ist im Serratus versteckt, die andere, vordere (Fig. 4, *), zwi- schen diesem Muskel und Levator anguli scapulae eingescho- ben gelagert, wie ich an beiden Schultern eines robusten Man- nes beobachtete. In dem Falle (Fig. 3), wo beide Bursae im Serratus verborgen gelagert waren, war dieser Muskel an seiner Inser- tion an den obern Theil des genannten Feldes der Scapula sogar in drei Schichten getheilt. In jedem der dadurch gebil- deten Räume und gleich unter der medialen Ecke des Feldes (= Spitze des Angulus superior scapulae) lag eine Bursa. Die hintere (**) war rundlich, 4 Lin. weit, mit einem von Fibro- cartilago gebildeten Höcker an ihrer hinteren Wand; die vor- dere (*) war oval, 8 Lin. lang in schräg ab- und lateral wärts stei- gender Richtung, 5 Lin. breit in transversaler, und 31/,—4 Lin. dick in sagittaler. Letztere deckte mit ihrer oberen Hälfte die hintere, die in die vordere gleichsam wie invaginirt war. Die Bursae communieirten nicht miteinander. In den beiden Fäl- len (Fig. 4), in welchen die hintere (**) im Serratus (a), die vordere (*) zwischen diesem Muskel und dem Levator an- guli scapulae (e) versteckt lag, deckten sich ebenfalls beide Bursae. Sie waren durch die 1—1'/, Lin. dicke vordere Schicht («) des Serratus von einander geschieden, in der am Muskel der rechten Seite 2, an dem der linken Seite 3 quere spaltförmige Oeffnungen zu sehen waren, durch welche die Bursae miteinander communicirten. Diese Oeffnungen waren durch 1--3 Lin. breite Bündel der genannten Schicht des Serratus von einander geschieden. Sie waren 3—5 Lin. lang. Diejenigen, welche klafften, waren bis 1 Lin. weit. Die hintere (**) war jederseits ein ovaler Sack, der in trans- versaler Richtung eine Weite von 7 Lin., in verticaler von 5 Lin., und in sagittaler von 3!/, Lin, hatte. Dieselbe lag am oberen breitesten Theile des Feldes der Scapula, 2!/,—3 Lin. unter deren oberem Rande, 1'/, Lin. lateralwärts vom media- len Rande derselben durch die 3—4 Lin. dicke hintere Schicht des Serratus vom Subscapularis und seiner Faseie geschieden. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864, 24 362 Prof. Wenzel Gruber: Die vordere grössere (*) war rechterseits rund, linkerseits oval. Sie hatte rechterseits 7 Lin. in transversaler und yer- ticaler Richtung, 3 Lin. in sagittaler; linkerseits 10 Lin, in transversaler Richtung, 6 Lin. in verticaler und weniger in sa- gittaler im Durchmesser. "Gestalt. Die Bursa ist in sagittaler Richtung comprimirt, häufiger (etwa ?/, d. F.) oval, länglich rund oder eylindrisch, seltener (etwa !/, d. F.) rund, dabei im ersteren Falle häufiger schräg als transversal gelagert. Dieselbe ist häufiger (etwa ?/, d. F.) einfach, seltener (etwa '/,; d. F.) gefächert oder mit Ausbuchtungen versehen. In letzteren Fällen ist sie bald durch eine verticale Scheidewand (Fig. 2), welche durch einige Lücken durchbrochen ist, in ein vorderes und hinteres Fach; bald durch eine 2—3 Lin. hohe halbmondförmige Falte, welche von der hinteren Wand in sagittaler Richtung ausgeht, in eine mediale und laterale Abtheilung, bald endlich durch 2—3 dünne Schichten des Serratus, welche hintereinander liegen und von unten und hinten her in ihre Höhle hervorragen, in 3—4 Fächer geschieden. Dabei ziehen ausserdem gern Fäd- chen oder Sehnen — und Muskelbündel vom Serratus durch ihre Höhle, oder letztere springen doch in diese hervor und machen sie uneben. Grösse. Im aufgeblasenen Zustande bei der ovalen Form varürt die Länge von 5—15 Lin., die Breite von 4—9 Lin., und die Dicke (in sagittaler Richtung) von 35—6 Lin. In demselben Zustande bei der runden Form variirt die Höhe uud Breite von 2!/),—9 Lin., die Dicke beträgt häufiger weniger als eben so viel. Den grössten Umfang erreicht sie bei dem Manne. Beim Manne kann sie bis 15 Lin., beim Weibe bis 12 Lin. lang werden. Sie kann schon bei jungen Individuen eine ungewöhnliche Grösse erreichen, und war in einem Falle bei einem 12—15jährigen Knaben 10 Linien lang, 6 Linien breit und 5 Linien dick. Bau. Die Bursa hat ihre eigene Membran. Diese hat eine verschiedene Dicke, ist in der Mehrzahl der Fälle im ganzen Umfange nachweisbar, in der Minderzahl der Fälle mit dem Periosteum des Feldes der Scapula oder mit den Die Bursae mucosae in der innern Achselhöhlenwand. 363 sehnigen Theilen des Serratus untrennbar verschmolzen, also stellweise nicht nachweisbar. Ihre Wand besteht aus Binde- gewebe und wenigen elastischen Fasern, von deren innerer Fläche bisweilen Synovialfortsätze und auch deutliche Synovial- zotten ausgehen. Die innere Fläche entbehrt in der Regel eines Epithelium’s. Nur in 2—3 Fällen sah ich in der That ein solches vereinzelt vorkommen. Diese Fläche ist selten trocken, meistens befeuchtet. Synovia in geringerer Quanti- tät findet sich in der Höhle der Bursa öfters, eine reichliche Quantität derselben aber nur selten vor. An der hintern Wand der Bursa im Bereiche des obersten Theiles des beschriebenen Feldes der Scapula, namentlich gern gleich unter der Spitze des Angulus superior scapulae sitzt bisweilen ein Höcker. Dieser ist bald knöchern, bald fibro-vartilaginoes. Einen aus Fibrocartilago bestehenden und in die Bursa vorragenden Höcker fand ich etwa in !/; der Fälle. Die Fibrocartilago (Fig. 2, 3) erscheint als eine runde oder ovale Erhöhung von 2!/,—6 Lin. Dicke in transversaler, 2'/,—Dd Lin. in verticaler und 1—1'/, Lin. in sagittaler Richtung. Dieselbe enthält zerstreut und gruppen- weise liegende Knorpelzellen. Diese Fibrocartilago kann auch bei Fehlen der Bursa oder ausserhalb derselben bei ihrem Vorhandensein, wie ich letzteres Imal beobachtete, angetroffen werden. . Allein constant ist die Existenz einer Fibrocartilago am Angulus superior scapulae, wie Luschka zu glauben scheint, bestimmt nicht. Vorkommen. Nachdem ich zuerst im April 1556 an der linken Schulter, dann im December 1862 an beiden Schultern und endlich am 8. Noyember 1863 an der linken Schulter von Männern auf die Bursa gestossen war, entschloss ich mich; dieselbe geflissentlich aufzusuchen, um sie allseitig kennen zu lernen. Ich untersuchte daher vom 14. November bis Ende December 1863 140 Leichen. Von diesen Leichen gehörten 10 theils neugebornen, theils mehrere Wochen nach der Ge- burt gestorbenen Kindern, 130 jungen Individuen im Alter von 10—20 Jahren und Erwachsenen an. Unter letzteren 130 Leichen waren 105 männliche und 25 weibliche. 24* 364 Prof. Wenzel Gruber: An den 10 Leichen von Kindern fand ich die Bursa niemals. An den 150 Leichen von jungen Individuen und Erwach- senen traf ich die Bursa: bei der 6., 20., 23., 25., 40., 43., 45., 59., 62., 86., 92., 95., 108., 124. und 127. Leiche. Die Bursa wurde somit an 15 Leichen vorgefunden. Vorkommen zum Mangel verhält sich darnach wie 15:115=1: 7,666 d. i. unter 3--9 Leichen besitzt 1 die Bursa. Unter den 15 Lei- chen mit Besitz der Bursa kam diese bei 7 an beiden Schul- tern, bei l an der rechten Schulter allein und bei 7 an der lin- ken Schulter allein vor. Daraus folgt, dass die Bursa fast ebenso häufig an beiden Schultern eines und desselben Indi- viduums als an einer einzigen Schulter vorkomme, und häu- figer links als rechts sich entwickle. Unter den 105 Leichen männlicher Individuen kam sie an 9 (ömal beiderseits, Imal rechterseits, 3mal linkerseits), unter 25 Leichen weiblicher In- dividuen an 6 (2mal beiderseits, Amal linkerseits) vor. Vor- kommen verhält sich somit zum Mangel: bei männlichen In- dividuen wie 9:96 =1:10,666; bei weiblichen Individuen wie 6:19=1:3,166, d. i. bei ersteren ist sie seltener (unter 11 bis 12 Individuen lmal); bei letzteren häufiger (unter 4 Indi- viduen lmal) zu vermuthen. Ich sah die Bursa bei Individuen aus allen Altersperioden vom 10—12. Lebensjahre aufwärts. Ob sie in den Altersperioden unter 10 Jahren vorkomme oder nicht, weiss ich bis jetzt noch nicht, da mir Leichen von In- dividuen aus den ersten Lebensjahren bis jetzt zur Unter- suchung nicht zur Verfügung standen. — Unter den 15 Lei- chen mit der Bursa an einer oder beiden Schultern wurde die- selbe bei 2, und unter den 22 Schultern mit der Bursa wurde sie bei 3 doppelt gesehen. Sie tritt somit gewöhnlich (+ 6 d. F.) vereinzelt, seltener (— '!/, d. F.) doppelt auf. Neuheit. Ich habe bei Albin, Arnold, Beclard (d’Angers), Bichat, Blandin, C. E. Bock, Bourgerie, Brodie, Jul. Cloquet, Hipp. Cloquet, Cruveilhier, Eckhard, L. Fick, Joh. Leonh. Fischer, Fourcroy, Führer, Fr. Ern. Gerlach, Henle, Hildebrandt, Hyrtl, Jarjavay, ©.M.Koch, C. Fr. Th. Krause, Alex. Lauth, Die Bursae mucosae in der innern Achselhöhlenwand. 365 Thom. Lauth, Loder, Luschka, Malgaigne, J. C. A. Mayer, J. Fr. Meckel, H. Meyer, Alex. Monro, A. Nelaton, A. Portal, Petrequin, J. Fr. Pierer, Jos. Jakob Plenek, Quain-Scharpey, Richet, J. Chr. Ro- senmüller, Sabatier, E. Sandifort, Sappey, S. Th. Soemmerring, B. G. Schreger, Fr. W. Theile, Vel- peau, Vidal (de Cassis), L. R. Villerme, Voigtel, E. H. Weber, J. M. Weber, Winslow, also bei Auctoren nachgesehen, welche entweder speciell über Bursae mucosae handeln, oder diese doch nach den bis auf ihre Zeit gemach- ten Funden zusammenstellen, oder in ihren Werken nebenbei derselben gedenken; habe in Archiven, Bulletins, Jahresberich- ten, Wörterbüchern und Zeitschriften verschiedener Länder ge- sucht, habe aber über die abgehandelte Bursa mucosa keine Notiz gefunden. Auch kann ich mich nicht entsinnen, darüber bei Joh. Gottfr. Jancke, dessen Werkchen ich 1862 in der Bibliothek zu Leipzig durchsah, etwas darüber angegeben ge- funden zu haben. Ich muss somit annehmen, dass diese von mir beschriebene Bursa mucosa anguli superioris scapulae wegen ihrer versteckten Lage von den Anatomen bis jetzt übersehen worden, also neu sei. 2. Bursa mucosa sub-serrata (s. interstitialis parietis interni cavi axillaris). Die Bursa befindet sich in dem mit sehr ausdehnbarem und lockerem Bindegewebe ausgefüllten Interstitium zwischem dem Musculus serratus anticus major und der oberen seitlichen Thoraxwand. In den zwei Fällen, in welchen ich dieselbe bis jetzt sah, lag sie unter dem Bezirke des Sitzes der vorigen Bursa am Serratus in schräger Richtung von oben nach ab- und lateralwärts, mit dem oberen medialen Ende °/,,—1 Zoll unter der Spitze des Angulus superior scapulae, mit diesem Ende + !/, Zoll und mit dem unteren lateralen Ende 1 Zoll vom medialen Rande der Scapula am dreiseitigen Felde des freien Randes ihrer Spina lateralwärts entfernt. Die Bursa war oval, comprimirt, Imal einfach, und Imal durch eine 2—3 Linien breite halbmondförmige Falte, welche von der Mitte 366 Prof. Wenzel Gruber: Die Bursae mucosae in der u. s. w. ihrer hinteren Wand ausging und an den Seitenwänden sich allmälig verlor, in ein oberes und unteres Fach getheilt. Sie hatte in dem einen Falle eine Länge von 10 Lin. und eine Breite von 6 Lin. — Ihre Wand war in beiden Fällen be- trächtlich diek, und bestand aus Bindegewebe und wenigen elastischen Fasern. Ihre innere Fläche, die befeuchtet war, entbehrte eines Epitheliums. Ihre Höhle war leer. Diese Bursa scheint sehr unconstant zu sein. — Auch diese Bursa ist meines Wissens noch nicht beschrie- ben worden. Erklärung der Abbildungen über die Bursa mucosa anguli superioris scapulae. Fig. 1. Linke Scapula eines 60jährigen Weibes: a) Museulus ser- ratus anticus major. «) Vordere Schicht, %) Hintere Schicht seiner oberen Portion. b) M. omohyoideus. c) M. subscapularis mit seiner Fascie. d) M. teres major. * Einfächerige Bursa mucosa. Fig. 2. Linke Scapula eines Mannes: a, «)ß) b, c, d, wie Fig. 1. * Gefächerte Bursa mucosa. Durch eine von 3 Lücken durch- brochene, verticale Scheidewand in zwei Fächer abgetheilt. An der hinteren Wand des hinteren Faches am dreiseitigen Felde der Vorder- fläche «der Scapula ein Höcker aus Fibrocartilago. (In zwei Hälften durchschnitten, das vordere Fach mit der durchlöcherten Scheidewand und die vordere Schicht der oberen Portion des Serratus nach auf- wärts geschlagen.) Fig. 3. Linke Scapula eines 42jährigen Weibes: a) M. serratus, «) Vordere Schicht seiner oberen Portion (im Bereiche der B. m. ent- fernt), £) Hintere Schicht derselben. b) M. omohyoideus. ce) M. sub- scapularis (Portion). * Vordere Bursa mucosa, ** Hintere Bursa mu- cosa im Serratus. (Beide aufgeschnitten, in der hinteren Wand der hinteren invaginirten B. m. ein Höcker aus Fibrocartilago.) Fig. 4. Linke Scapula eines 47jährigen Mannes: a, «) ß) b, c,d, wie Fig. 1. e) Musculus levator anguli scapulae. * Vordere Bursa mucosa zwischen Serratus und Levator anguli scapulae mit 3 spalten- förmigen Oeffnungen in der von der vorderen Schicht der obereu Por- tion des Serratus begrenzten Wand zur Communication mit der hin- teren B. m. ** Hintere Bursa mucosa im Serratus. St. Petersburg, im Januar 1864. Dr. W. Dönitz: Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 367 Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. Von Dr. W. Dönıtz. (Hierzu Tafel X.) In vielen während der letzten zehn Jahre veröffentlichten Arbeiten über die Schleimhaut des Darmkanals kehrt das Be- streben wieder, solche Vorrichtungen zu finden, welche die Fettresorption auf einfach mechanischem Wege erklärlich machen, indem man annahm, dass das Wasser in den Epithe- lien nicht chemisch gebunden, sondern frei enthalten sei und demnach den Durchgang des Fettes hindern müsse. Man begann damit, dass man dem Fett den Eintritt in die Epithe- lialzellen des Darmrohres erleichterte, indem man einerseits die Anwesenheit desjenigen Theiles der Zellmembran, welcher die Zelle gegen das Lumen des Darmes abschliesst, einfach hinwegleugnete!), andererseits, indem man diesen Theil der Membran von sichtbaren Poren durchbohrt sein liess.”) Dann entfernte man den Widerstand, welchen die Fetttröpfehen im Zottenparenchym erfahren könnten, und schuf ihnen ein System äusserst feiner Kanäle, welches sie ungehindert bis in die Chy- 1) Brücke. Ueber die Chylusgefässe und die Resorption des Chy- lus. Wien 1853. 2) Kölliker. Einige Bemerkungen über die Resorption des Fet- tes im Darm etc. Abhandl. der Phys,-Med, Gesellsch. Jan. 1856. 368 Dr. W. Dönitz: luscapillaren leitete‘) Noch fehlte das Mittelglied zwischen den Cylinderzellen und dem Kanalsystem des Zottenparenchyms. Man suchte und fand einen directen Uebergang beider inein- ander?) So bleibt noch das bis jetzt immer nur vermuthete Einmünden des Kanalsystems in das Chylusgefäss zu entdecken. Das ist im allgemeinen der Gang, den die Forschungen auf diesem Gebiete genommen haben. Von den aufgeführten An- gaben ist indessen noch keine erwiesen, von den ihnen zu Grunde liegenden Thatsachen bedürfen viele der Bestätigung; den darauf gegründeten Hypothesen fehlen die thatsächlichen Grundlagen, Vielfacher Einspruch ist gegen das Öffenstehen der Epi- thelialzellen erhoben worden. Die Gründe, mit denen Brücke seine Ansicht zu belegen suchte, waren folgende: Während die Feettresorption im Darmkanale vor sich geht, finde man in vielen Fällen sowohl ausserhalb wie innerhalb der Cylinder- zellen Fetttropfen von deutlich unterscheidbarer und messba- rer Grösse, und man nehme an, dass im letzteren Falle die Tropfen durch die Poren der Zellmembran hindurchgegangen seien. Nach dem einstimmigen Urtheil der Histologen sei aber die Zellmembran unmessbar fein, denn sie betrage noch nicht 0,0002 Mm. Der Durchmesser der Poren in der Fläche der Membran müsse nun noch geringer sein als die Dicke der Membran, denn man habe es ja, der allgemeinen Annahme nach, mit Poren in einer Membran, nicht mit einem Maschen- werk zu thun. Demnach müssten diese Poren unendlich klein und unsicht- bar sein. Wie sollen da die sichtbaren Fetttropfen hindurch- gelangen? Man müsste sich also, schliesst Brücke, zu der durch nichts gerechtfertisten Hypothese bequemen, dass jedes Fetttröpfehen, wenn es an der Membran anlangt, in sehr viele feine Partikelchen zerfällt, die dann hindurchgehen und sich gleich darauf wieder zu einem Tropfen von ähnlicher Grösse 1) ©. Bruch. Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Dünn- darmschleimhaut. Siebold und Kölliker’s Zeitschr. Bd. IV. 1853. 2) Heidenhain. Die Absorptionswege des Fettes. Moleschotts Untersuchungen. Bd. IV. 1858, Ueber die Schleimhaut des Darmkanals, 369 wie der frühere war vereinigen. Um diese ihm unwahrschein- liche Annahme zu umgehen, leugnet Brücke das Vorhanden- sein einer Membran am sogenannten Basalende der Darmepi- thelzellen. In der That, man findet nicht selten das Darmepithel mit grossen Fetttropfen erfüllt. Dieser Zustand ist aber entweder ein Leichenphaenomen, worauf ich später zurückkomme, oder eine Folge mechanischer Eingriffe. Im normalen Zustande ist das Fett auch hei starken Vergrösserungen so fein in der Zelle vertheilt, dass es ihr das Ansehen giebt, als wäre sie von Nebel erfüllt oder verschleiert; discrete Fetttropfen lassen sich darin nicht unterscheiden; der Kern ist nach dem Grade der Anfüllung mehr oder weniger verdeckt. Allerdings erfordert es Mühe und Ausdauer, sich von diesem Verhalten zu überzeugen, denn frische Objecte, die zur Entscheidung die- ser Frage allein anwendbar sind, lassen sich nur schwierig durch Zerzupfen mittelst der Präparirnadeln in die einzelnen Zellen zerlegen, und erleiden dabei nothwendigerweise mecha- nische Insulte. Man muss sich daher dem Zufall anheimgeben, oder sich mit kleinen Zellenhäufchen begnügen, deren Ränder oft genug entscheidende Bilder liefern. Je länger man dage- gen das Untersuchungsobject nach dem Tode des Thieres lie- gen lässt, um so leichter gelingt es, durch Zerzupfen einzelne Zellen zu erhalten; aber um so sicherer sind dann auch Lei- chenerscheinungen an denselben eingetreten. Hat man indes- sen Zellen gefunden, welche das Fett so fein vertheilt enthal- ten, dass man einzelne Tröpfchen nicht zu unterscheiden ver- mag, dann kann man sich leicht überzeugen, wie durch Drücken und Rollen des Präparates das Fett zu grösseren Tropfen zu- sammenfliesst. Man kann aus diesem Verhalten den Rück- schluss machen, dass die grösseren Fetttropfen, wie man sie so häufig in den Zellen findet, erst nachträglich durch das Zu- sammenfliessen des äusserst fein zertheilten Fettes entstanden sind, und es steht der Annahme nichts entgegen, dass die molecu- laren Fettpartikelchen möglicherweise durch Vermittlung un- sichtbarer Poren der Zellmembran hindurchgehen; die Noth- wendigkeit zur Annahme, dass ein Stück der Zellmembran fehle, liegt nicht vor. 370 Dr. W. Dönitz: Einen zweiten Grund für das Offensein der Zellen findet Brücke darin, dass er den Zelleninhalt in Form durchsichti- ger Bläschen austreten gesehen habe. Diese Bläschen enthiel- ten nicht selten Fetttröpfehen und Zellkerne. Es sind das Bemerkungen, welche einer eingehenderen Prüfung bedürfen. Aus Brücke’s Arbeit geht hervor, dass er die erwähnten Bläschen vom Rande der Zotten, nicht von isolirten Zellen sich abheben sah. Dass diese Beobachtungsweise nicht genüge, hat schon Wiegandt gezeigt!); denn abgesehen davon, dass solche Kugeln an isolirten, unversehrten Zellen auftreten können, ist es gerade bei solchen am Saume einer Zotte hervortretenden Kugeln unmöglich zu entscheiden, ob sie aus einer unverletz- ten Zelle, oder aus einer hinter ihr liegenden geborstenen aus- treten. Indem ich diese Beobaehtungen wiederholte, habe ich daher vorzüglich auf isolirte Zellen meine Aufmerksamkeit gerichtet. Es handelt sich hier um die farblosen kugelförmigen Ge- bilde, welche unter dem Namen der „Eiweisskugeln“ oder „schleimkugeln“ (Donders) bekannt sind. Man kann das Phaenomen nach Belieben hervorrufen, wenn man Wasser oder Salzlösungen von geringem specifischen Gewicht, welche den Zellinhalt nicht gerinnen machen, dem Präparate zusetzt. Es erheben sich dann von irgend einem Theile der Zellenober- fläche durchsichtige Gebilde in Form von Kugelsegmenten. (Fig. 1 u. 2.) Ihr Lichtbrechungsvermögen ist von dem des Wassers nicht sehr verschieden, denn sie unterscheiden sich von der umgebenden Flüssigkeit fast nur durch einen äusserst zarten, scharf gezeichneten Contour. Indem diese Bläschen oder Tröpfchen unter den Augen des Beobachters an Grösse zunehmen, runden sie sich mehr und mehr ab, lösen sich end- lich als blasse Kugeln von der Zelle los und schwimmen frei in der umgebenden Flüssigkeit. Diese Erscheinung ist indessen den Darmeylindern keines- weges eigenthümlich. Reichert sah die Eiweisskugeln an verschiedenartig geformten Epithelzellen, selbst an der Basis 1) Wiegandt, Untersuchungen über das Dünndarmepithel, Dorpat 1860, Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 371 von Flimmerzellen ohne Zerstörung der Cilien auftreten.!) Ich selbst beobachtete sie an den Epithelien sämmtlicher Schleim- häute, an den spindelförmigen Gefässepithelien,, ja selbst zu- fällig einmal an Blutkörperchen von Hyla arborea. Eine Ver- änderung der Zellen selbst war in der Mehrzahl der Fälle nicht zu bemerken, vielmehr blieben die Contouren der Zellen nach dem Abtrennen der sogenannten Schleimkugeln so scharf wie zuvor. Allerdings ist es nicht selten, dass, wie Brücke anführt, eine Schleimkugel granulirten Zellinhalt, ja selbst einen Zellkern einschliesst. In diesen Fällen muss man mit Reichert annehmen, dass eine Verletzung der Zellmembran dem Inhalt den Austritt gestattete. In den angeführten That- sachen aber scheint mir ein hinlänglicher Beweis zu liegen, dass nichts weniger als ein Offenstehen der Cylinderzellen des Darmkanals aus ihnen gefolgert werden kann. Ueber die Natur der sogenannten Schleimkugeln sind wir noch völligim Unklaren. Mit dem Hervorquellen der Schleimkugeln kann man leicht ein Aufquellen der ganzen Zelle verwechseln. In diesem Falle geht aber meistentheils der granulirte Zellinhalt allmählig in den hyalinen Inhalt des Bläschens über. Unter Umständen jedoch ist die Oohaerenz des Zellinhaltes so bedeutend, dass sich nach dem Abheben der Zellmembran durchaus keine Ver- änderung an ihm wahrnehmen lässt; eine scharfe Grenze trennt ihn von dem glashellen Bläschen. Dass man es in diesem Falle nicht mit einer Schleimkugel, sondern mit einer aufgeblähten Zellmembran zu thun habe, geht häufig aus der Veränderung der Gestalt der Zelle her- vor; denn wenn unter den Augen des Beobachters von der einen Seite einer Zelle sich ein hyalines Bläschen in der Art ablöst, dass sein Contour direct, ohne jegliche Knickung, in den der gegenüberliegenden Seite hinüberzieht, so muss man doch wohl annehmen, dass in diesem Falle sich die die ganze Zelle umhüllende Membran auf der einen Seite von dem Inhalte abgehoben hat. In den Fällen, wo man es unzwei- felhaft mit jenen Eiweisskugeln zu thun hat, bleibt die Ge- l) Reichert. Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im Jahre 1852. p. 27. 28. 312 DraW. Donitz: stalt der Zellen unverändert. Schwierig zu deuten sind aller- dings solche Bilder, wo z. B. der granulirte Zellinhalt die Axe des Bläschens bildet. Da kann man nur Vermuthungen aufstellen, unter denen die von Brettauer und Steinach wohl am wenigsten für sich hat.) Von der Ansicht ausge- hend, dass das Basalende der Zellen offen stehe, hielten die genannten Beobachter diese Gebilde in toto für Zellinhalt, der aus der Zellmembran, dem „Zellmantel“, herausgeschlüpft sei und sich theilweise durch Wasseraufnahme aufgebläht habe. Mit der Praemisse, dem Öffensein der Zellen, steht und fällt diese Ansicht. Dass übrigens aus dem optischen Verhalten der Contouren der fraglichen Gebilde weder auf die Anwe- senheit noch auf die Abwesenheit einer Membran geschlossen werden kann, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Leider treten diese Bläschen zu sehr vereinzelt auf, als dass man durch anderweitige an sich schon schwierige Versuche ent- scheiden könnte, ob eine Membran zugegen sei oder nicht. Brücke hatte in seiner Arbeit eine schon viele Jahre vorher von Henle, später von Donders gesehene Erschei- nung nicht erwähnt; ich meine den Basalsaum, den Henle für ausgetretene Intercellularsubstanz gehalten hatte?) Köl- liker?) und Funke‘) lenkten von neuem die Aufmerksam- keit darauf, erklärten aber den Saum für eine Verdickung der Zellwand. Die zugleich entdeckte Querstreifung des Sau- mes wurde für den optischen Ausdruck von Poren gehalten, durch welche der Zellinhalt mit dem Lumen des Darmrohres communicirte. Durch diese Poren also konnten die Fetttröpf- 1) Brettauer u. Steinach. Untersuchungen über das Cylinder- epithel der Darmzotten. Wien 1857. Sitzungsberichte der Math. na- turwiss. Kl. d.K. K. Acad. d. Wiss. XXIII. p. 311. Fig. 6 a. 2) Henle. Symbolae ad anatomiam villorum intestinalium 1837 p. 15. 16: Prominet haec materia, quae cylindros jungit, nonnunquam super eosdem ita, ut aequale iis ac tenue stratum imponat. 3) Kölliker. Würzburg. Verh. VI. Mitgetheilt am 7. Juli 1855 in der Würzb. physic. med. Gesellsch.) 4) Funke. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1856. Bd. III. Heft III. (aus- gegeben Sept. 1855.) Ueber die Schleimhaut des Darmkanals, 373 chen, von keiner Membran gehindert, leicht in das Innere der Zelle gelangen. Somit war die Brücke’sche Lehre nicht eigentlich widerlegt, sondern nur modifieirt. An die Stelle der einen, grossen Oeffnung war eine Anzahl kleiner Oeff- nungen getreten. Dem gegenüber erklärten Brettauer und Steinach, dass der Basalsaum aus Stäbchen zusammengesetzt sei, und um zugleich die alte Brücke’sche Lehre zu stützen, wurden diese Stäbchen mit zum Zellinhalt gezogen und als integrirender Bestandtheil desselben betrachtet. Endlich wurden von Wie- gandt sowohl Porenkanäle wie Stäbchen verworfen, der Ba- salsaum als ein Secret, die Querstreifung als eine Runzelung desselben aufgefasst.') Bevor ich genauer auf den Basalsaum des Darmepithels eingehe, will ich noch erwähnen, dass quergestreifte Säume der Epithelzellen an den verschiedensten Stellen des Körpers und an den verschiedensten Thieren aufgefunden worden sind. Virchow sah sie an der Gallenblase, welche kein Fett zu verdauen hat. Leuckart wies sie an der Epidermis von Ammocoetes nach.”) An ausgewachsenen Petromyzonten habe ich dasselbe gesehen (Fig. 4.), und an den Epidermiszellen vieler Entozo@n, sowie im Darmkanale derselben, sind die ge- streiften Säume eine bekannte Erscheinung. Schon aus diesen wenigen vergleichend-anatomischen That- sachen, die ja allgemein bekannt sind, muss man den Schluss ziehen, dass die Querstreifung des Basalsaumes der Darm- epithelien in keiner nothwendigen Beziehung zur Fettresorp- tion stehe, sie mag bedingt sein, wodurch sie wolle. Volle Gewissheit darüber erlangt man bei Betrachtung des Darm- epithels in verschiedenen Stadien der Verdauung. Im Wider- spruch mit Brettauer und Steinach gab Wiegandt?’) an, den gestreiften Saum in allen Fällen gesehen zu haben, moch- I 1) Wiegandt. |.c. 1) Leuckart. Porenkanälchen in den Epidermiszellen von Am- mocoetes. Abh. d. phys. med. Ges. in Würzb. 1856. Drl..c;ip. 24; 374 Dr, W. Dönitz: ten die Zellen Fett enthalten oder nicht. Es sind das Anga- ben, die ich nur bestätigen kann. Hören wir aber nun die Gründe, welche dafür Gpruehen, dass der Basalsaum von Poren durchbrochen sei. Kölliker, der eifrigste Vertheidiger der Poren, will Fetttröpfchen in dem Saume selbst gesehen haben, woraus er schliesst, dass offen stehende Poren vorhanden sein müssen, in welche das Fett eindringen könne, Die Richtigkeit der Beobachtung wird zwar von Donders in Zweifel gezogen*), doch, glaube ich, mit Unrecht; denn ich habe selbst Fetttröpfchen im Basalsaum gesehen. Der Schluss aber, den Kölliker aus dieser Beob- achtung; zieht, lässt sich durchaus nicht rechtfertigen, denn auch zwischen die von anderen Beobachtern angenommenen Stäbchen würden sich Fetttröpfehen eindrängen können und dann genau dasselbe Bild geben, als wenn sie in Poren ent- halten wären. Ein granulirtes, angeblich von feinen hinterein- anderliegenden Fetttröpfchen herrührendes Aussehen der Quer- streifen könnte ausserdem mit Henle auf eine Kräuselung der feinen Fäden des Saumes bezogen werden.?) Die Gründe, welche man andererseits zu Gunsten der Stäbchen beigebracht hat, sind ebensowenig stichhaltig. Brettauer und Steinach betonten vorzüglich, dass die frag- lichen Gebilde gegen die freie Fläche des Epithels hin häufig divergiren und die Zelle wie eine Krone umgeben, und dass diese Stäbchen, in welche der Basalsaum unter Umständen zerfalle, nicht selten vollkommen scharf contourirt seien. Diese Beobachtung habe ich zwar mehrmals zu wiederholen Gelegen- heit gehabt (Fig. 4), halte sie aber nicht für beweiskräftig. Wenn man nämlich bedenkt, welche wunderlichen Formen fester gewordene Secrete, namentlich auch an den Hartgebilden wirbelloser Thiere manchmal annehmen, so muss man zuge- ben, dass auch der Basalsaum, wenn man ihn als Secret be- trachtet, in stäbchenförmige Gebilde zerfallen kann. Doch abgesehen davon, enthält die Arbeit der genannten Autoren 1) Donders. Physiologie. Leipzig 1856. I. p. 313, 2) Heunle. Eingeweidelehre. 1862, p. 165. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 375 einen Widerspruch in sich selbst. Beim Aufquellen der Zel- len, geben sie an, wird der Saum schmäler, die Querstreifung verschwindet allmählig. Nun ist es schwer zu verstehen, wie ein solides Stäbchen sich verkürzen solle, wenn der übrige Theil des Zellinhaltes, zu dem es gehört, aufquillt. Die Quer- streifung aber, anstatt undeutlicher zu werden, könnte sich unter Umständen nur um so schärfer darstellen, indem beim Aufquellen der Zelle die zu diebt aneinander gedrängten Stäb- chen mehr auseinander treten und sich einzeln nun leichter unterscheiden lassen müssten. Die vergleichende Anatomie giebt uns keinen direeten Auf- schluss über die Natur des Saumes. Man hat den Basalsaum seiner Querstreifung wegen mit Cilien verglichen, indem man sich auf das Vorkommen von Flimmerepithel im Darmkanal einiger Wirbelthiere berief. Im Darme wurde ja Flimmerepithel beobachtet bei Branchiostoma Jubricum (Müller, Retzius), bei Petromyzon und bei Selachiern im Fötalleben (Leydig), bei Aalen, bei Strahlthieren ete. (Kölliker). Bei Petromy- zon fluviatilis habe ich allerdings einen Stäbchenbesatz auf den Darmepithelien gesehen (Fig, 4), doch waren die mir vor- liegenden Thiere schon seit einigen Stunden abgestorben, und ich wage deshalb nicht zu entscheiden, ob diese Stäbchen wirk- liche Cilien darstellten oder auf ein Zerfallen des Basalsaumes bezogen werden mussten. Doch vorausgesetzt, dass die ange- führten Thatsachen, betreffend das Vorkommen von Flimmer- epithel im Darmkanale der genannten Thiere richtig sind, so beweist das für unseren Zweck gar nichts; denn es ist be- kannt, dass bei einem Thier an derselben Stelle flimmerndes Cylinderepithel vorkommt, wo bei einem anderen sich ein- faches Oylinderepithel, vielleicht gar Pflasterepithel findet, ja dass an demselben Organe die Natur des Epithels je nach den Entwickelungszuständen des Thieres wechselt. Es würde dem- nach auch von geringer Bedeutung sein, wenn die Angaben von J. Eberth sich bestätigten, dass auch bei Vögeln, vor- züglich bei Hühnern und Enten von ungefähr 5—10 Wochen Flimmerepithel in den Blinddärmen und im Diverticulum ilei vorkommt. Die Richtigkeit dieser Angaben will ich nicht 376 Dr. W. Dönitz: absolut bestreiten, doch habe ich mehrmals dieses Flimmer- epithel vergebens gesucht. Einmal allerdings glaubte ich Zel- len zu sehen, welche durch flimmernde Cilien in der Flüssig- keit umhergetrieben wurden. Bald fand ich indessen, dass in lebhafter Bewegung begriffene, zahllose Vibrionen, welche an dem Basalende der Zellen hafteten, mich getäuscht hatten. Was aber, wird man fragen, ist denn der Basalsaum, wenn er weder eine von Poren durchzogene Zellmembran, noch einen Stäbchenbesatz darstellt? Ich antworte mit Wiegandt, er ist etwas accidentelles, ein Seeret der Zellen, wofür er schon früher von Reichert‘), bei Erwähnung der Unter- suchungen Meckels, erklärt worden ist. Der Beweis ist leicht zu führen. Ein Basalsaum findet sich nicht an allen Zellen; häufig ist keine Spur davon nachzu- weisen. Wenn er vorhanden, so hebt er sich oftmals von den einzelnen Zellen ab (Fig. 3), oder er lässt sich in con- tinuo von einer ganzen Reihe von Zellen abziehen, ohne dass dadurch die Zellen selbst irgendwie verletzt würden, ohne dass die Schärfe ihrer Contouren dadurch irgendwie zu leiden hätte. Er ist also nicht zum Wesen des Darmepithels nothwendig. Ferner kann man unter Umständen ein directes Uebergehen des Basalsaumes in Darmschleim beobachten. Versucht man nämlich den Saum als Membran in grösserer Ausdehnung von den Zellen abzuziehen, so gelingt dies wohl an einer Stelle, weiterhin aber wird die Membran lockerer und löst sich end- lich in eine schleimige Masse auf. Aehnliches sieht man nicht selten an kleinen Gruppen von Zellen. Der Saum ist dann ungewöhnlich breit und zeigt häufig stellenweise noch eine regelmässige Querstreifung (Fig. 9). Je weiter von der Zell- membran entfernt, um so lockerer, um so weicher wird der Saum, was man deutlich an seinem Verhalten zum Darm- inhalt erkennt. Er schliesst nämlich nicht selten deutlich als solche erkennbare Fetttropfen ein, deren Zahl mit der Ent- fernung von der eigentlichen Zellmembran zunimmt, ein Ver- 1) Müller’s Archiv, 1856, Jahresbericht, p. 40. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. Sl halten, aus dem man abnehmen kann, dass daselbst der Saum leichter impressionabel ist. Was endlich die Querstreifung selbst betrifft, so ist sie nicht immer regelmässig; oft ist sie gar nicht vorhanden. Betrach- tet man den als Membran abgezogenen Saum von der Fläche aus (Fig. 8), so sieht man ihn öfter in Felder getheilt, welche den einzelnen Zellen entsprechen, auf denen sie lagerten, Diese Felder-sind bald hyalin, bald grob oder fein punktirt, ohne alle Regelmässigkeit. Die Punkte entsprechen den dun- kelen Linien der Querstreifung. Dass die Punktirung kreis- förmig die einzelnen Zellen umgiebt, wie es Funke beschreibt, konnte ich nicht finden. Vergebens auch suchte ich an solchen Präparaten nach den 4 bis 6 Lappen, aus denen nach Schiff der Basalsaum zusammengesetzt sein soll.') Nach Wiegandt soll die Querstreifung eine in Folge von Contractionszuständen der Zotte auftretende Runzelung des etwas starren Saumes sein. Selbst eine noch nicht wahrnehm- bare Contraction der Zotten soll schon diese Runzelung her- vorbringen können. Es scheint das mehr eine Vermuthung als Beobachtung zu sein. Mir wenigstens ist es nicht aufge- fallen, dass an contrahirten Zotten die Querstreifung des Sau- mes stärker aufgetreten wäre als an nicht contrahirten. Im Gegentheil scheint die ausserordentliche Elastieität der Epithel- zellen gerade dagegen zu sprechen, dass die Wirkung einer verschwindend geringen Contraction sich bis zu dem etwas starreren Basalsaum erstrecken sollte. Ausserdem ist es bekannt, dass eine contrahirte Zotte tiefe Kerben besitzt, in welche das Epithel mit hineingezogen wird. Auf dem zwischen zwei Einkerbungen liegenden Wulst muss das Epithel, und vor allem der Basalsaum, etwas mehr als im Normalzustande gespannt sein, die Querstreifung würde dem- nach zufolge Wiegandt’s Theorie verschwinden müssen, und dennoch sehen”wir sie auch an diesen Stellen. Auch die stellenweise auftretende Querstreifung mitten in sehr dicken Säumen, wie ich sie in Fig. 9 gezeichnet habe, würde sich 1) Schiff. Moleschott’s Untersuchungen II, p. 355. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1864. 25 3783 Dr. W. Dönitz: aus einer Runzelung nicht wohl erklären lassen. So scheint mir kein anderer Ausweg zu bleiben, als die Querstreifung auf ein Zerfallen des Saumes zu beziehen. So haben wir also den Basalsaum als ein Secret kennen gelernt, welches aller Structur entbehrt, aber unter Umstän- den so eigenthümlich sich zerklüftet, dass der An- schein von Poren oder von Stäbchen dadurch er- zeugt wird. Worauf diese Eigenthümlichkeit beruht, liess sich nicht entscheiden. Vielleicht ist sie schon in der Art und Weise der Absonderung begründet. Doch das führt in das Reich der Hypothesen, von dem wir uns fern halten wollen. Dieser Basalsaum also, den wir als Secret auffassen, soll nach Brettauer und Steinach ohne Vermittelung einer Membran eng mit dem Zelleninhalt verbunden sein. Zu dieser Ansicht wurden die genannten Forscher durch die Beobachtung ihrer sogenannten „Zellmäntel* geführt. Wenn sie nämlich die Darmschleimhaut in einer öprocentigen Lösung von phos- phorsaurem Natron aufbewahrten, so fanden sie hyaline Ge- bilde, welche sie für inhaltlose Membranen von Darmepithel ansprachen und mit dem Namen der „Zellmäntel“ belegten. Die Gestalt dieser Körper (Fig. 7), mag mit Weingläsern verglichen werden, deren Fuss abgebrochen ist. An der Stelle, wo der Fuss des Glases sich ansetzen würde, findet sich mit- unter ein kernartiger Körper in ihnen vor, zu dessen Seiten ein wenig granulirte Masse zu liegen pflegt. Häufig jedoch scheint jegliche Spur des ursprünglichen fein granulirten In- haltes zu fehlen, indem das ganze Gebilde durchaus hyalin aussieht. Der Rand dieser Trinkgläser, so wie die Stelle, an welcher man sich den Fuss zu denken haben würde, sieht nicht selten zerschlitzt aus und macht den Eindruck, als ob hier etwas abgerissen wäre. Der zerfetzte Rand, wie ihn schon Wiegandt abbildet, scheint darauf hinzudeuteh, dass hier ge- waltsame Eingriffe stattgefunden haben, durch welche der Ba- salsaum mit dem ihm entsprechenden Theil der Zellmembran und mit dem Zellinhalte entfernt worden ist. Der untere Theil der Zelle scheint gänzlich zu fehlen, denn diese Gebilde Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 379 sind etwa um die Hälfte kleiner als normale Zellen, und wenn ein Kern vorhanden ist, so liegt er am spitzen Ende dieser Körper, während er in normalen Zellen etwa die Mitte ein- nimmt. Henle!), welcher diese eigenthümlichen Gebilde ihrer Ge- stalt wegen mit bauchigen Trinkgläsern vergleicht, lässt es unentschieden, ob sie umgewandelte Epitheleylinder oder Form- elemente eigener Art sind, während sowohl Brettauer und Steinach wie Wiegandt sie geradezu für Kunstproducte er- klären, nur mit dem Unterschiede, dass erstere sie für nomale, letzterer für zerfetzte Zellmembranen halten. Ich selbst muss mich nach dem, was ich gesehen habe, für Wiegandt ent- scheiden, obwohl ich mir nicht verhehle, dass es sehr precär ist, eine einfache Zellmembran sehen zu wollen. Ich erkläre mir diese Möglichkeit im vorliegenden Falle mit Brettauer und Steinach dadurch, dass sowohl an der inneren wie an der äusseren Oberfläche der Membran eine Reflexion des Lich- tes stattfindet, welche die Membran als zarte, unmessbar feine Linie erscheinen lässt. Was endlich die Ursache des Auftretens dieser becherför- migen Körper betrifft, so glaube ich sie in einer Diffusion suchen zu müssen, welche, abgesehen von der Membran, von zwei Factoren abhängt, nämlich von dem Zellinhalt und von dem Untersuchungsmedium. In den meisten Fällen ist der Zellinhalt so beschaffen, dass eine Öprocentige Lösung von phosphorsaurem Natron die Erscheinung hervorzurufen im Stande ist. Manchmal indessen fand ich trotz dieser Behandlung keine einzige Becherzelle vor und vermuthe, dass in diesen Fällen abweichende Mischungsverhältuisse des Zellinhaltes die eigen- thümliche Veränderung der Zellen verhinderten. Andere Male, vorzüglich beim Schwein, gelang es mir, mit Hilfe blossen 1) Eingeweidelehre, p. 164 u. 165. p. 166: „An dem so frisch wie möglieh untersuchten Epithelium nimmt man eylinder- u, becher- förmige Körper neben einander wahr, die letzteren oft so regelmässig von den Cylindern umstellt, dass man zu der Annalıme gedrängt wird, es existirten in diesem Epithelium zweierlei ursprünglich verschiedene Formelemente,“ 25* 380 Dr. W. Dönitz: Wassers dieselbe Erscheinung in so ausgedehntem Masse her- vorzurufen, dass fast keine einzige Zelle aufzufinden war, de- ren Gestalt nur einigermassen der normalen eylindrischen sich genähert hätte; und in diesem Umstande scheint mir der sicherste Beweis dafür zu liegen, dass man es mit Kunstpro- ducten zu thun hat. In dem Voraufgehenden glaube ich nachgewiesen zu haben, dass eine unmittelbare Communication zwischen dem Inhalt der Darmepithelzellen und dem Lumen des Darmrohres nicht besteht. Alle dahin zielenden Angaben lassen sich durch Beobachtung und einfache Erwägungen widerlegen. So lange daher nicht das Gegentheil bewiesen ist, sind wir genöthigt anzunehmen, dass diese Epithelzellen wie alle anderen an ihrer freien Fläche eine Membran besitzen. | Betrachten wir jetzt das entgegengesetzte Ende der Zellen. Auch dieses soll offen sein. Die physiologische Nothwendig- keit einer Oeffnung an diesem sogenannten spitzen Ende der Zelle ist wohl zuerst von Gruby und Delafond ausgespro- chen worden. Deutsche Physiologen ') haben sich ihnen an- geschlossen, und endlich ist man dahin gekommen, Zellen mit langen Ausläufern darzustellen, welche in das Parenchym der Zotten hineinragen sollten‘). Mit einem Worte, man machte aus den früheren Oylinderzellen Trichter, durch welche das Fett in das Substrat der Zotten hineingepresst werden könnte, ohne dabei in Erwägung zu ziehen, dass beim Hineinpressen des Fettes der ganze Zellinhalt hinausgeschoben werden und die leeren Zellmembranen zurückbleiben müssten. Der Con- sequenz wegen nahm man ähnliche Trichterbildungen auch auf anderen Schleimhäuten an, ohne zu bedenken, dass es da 1) Brücke, l. c. p. 10. p. 15: „Bei der conischen Gestalt der Epitheliumzellen ist es leicht vorstellbar, dass dieselben nicht nur auf der Membrana intermedia aufsitzen, sondern sich mit ihrer Spitze in dieselbe einsenken, so dass von aussen nach dem Innern der Zotte der Weg immer offen ist, während in umgekehrter Richtung ein ventilar- tiger Verschluss stattfindet. Indessen giebt uns das Mikroskop dar- über keinen Aufschluss.“ 2) Heidenhain, |. c. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 381 kein Fett zu resorbiren gebe; während man auf der anderen Seite solche Zellen, welche notorisch Fett aufnehmen und wie- der austreten lassen, vollkommen unberücksichtigt liess, sie nach wie vor ohne Ausläufer abbildete und eine sie rings um- schliessende Membran annahm. Man denke nur an die Leber, von deren Zellen Jedermann weiss, dass sie Fett aufnehmen und abgeben. Löcher aber und Ausläufer hat noch Niemand an. ihnen gesehen. Die Methode, deren sich Heidenhain bediente, um Trich- terzellen darzustellen, besteht darin, dass er Stückchen vom Darmkanal, vorzüglich von Fröschen, in starken Lösungen von doppelt-chromsaurem Kali oder in schwachen Chromsäure- lösungen, in Holzessig etc. erhärtete und dann Schnitte davon anfertigte oder sie zerzupfte. Um die Präparate durchsichti- ger zu machen, liess er verdünnte Schwefelsäure oder Glyce- rin Tage lang einwirken. | Um diese Angaben zu prüfen, habe ich unter anderen auch diese selbe Methode angewandt, bin aber zu folgenden Resul- taten gelangt. Trichterzellen existiren nicht. Im Gegentheil, an glücklich geführten Schnitten der erhärteten Präparate sieht man oft genug, dass die Epithelzellen mit breiter Fläche auf dem Substrat der Zotten aufsitzen (Fig. 12). Die langen Seiten benachbarter Cylinderzellen berühren sich in ihrer gan- zen Ausdehnung, was nicht der Fall sein würde, wenn die Zellen sich nach unten stark verjüngten. Freilich bilden die Zellen keine mathematischen Cylinder oder vielmehr Prismen. Denn da, wo das Schleimhautepithel eine Zotte bedeckt, ist es, einem Gewölbe ähnlich, über die Zotte gespannt. Die Zellen würden den Bausteinen entsprechen, deren jeder ‘ein- zelne an der freien äusseren Fläche einen grösseren Durch- messer hat als an der nach innen gewandten Seite. Umge- kehrt wird man von vorn herein annehmen müssen, dass an der Stelle, wo das Epithel der Zotte auf die zwischen den Zotten gelegene Schleimhaut übergeht, die einzelnen Zellen an ihrer sogenannten Basis schmäler sind als am festsitzenden Ende, weil hier die Schleimhaut einen einspringenden Winkel 3832 Dr. W, Dönitz: bildet. Doch diese Abweichungen von der Cylinderform sind für jede einzelne Zelle so unbedeutend, dass sie völlig ver- nachlässigt werden können. Jedenfalls steht so viel fest, dass die Zellen mit einer breiten Fläche dem Substrat aufsitzen. Dieses Verhalten trifft man bei erhärteten Präparaten vornäm- lich an der Basis der Zotten. (Fig. 12.) An der Spitze der Zotten hingegen sieht man meistentheils solche Epithelzellen, deren oberer, zwischen Kern und freier Fläche gelegener Theil im allgemeinen wenig verändert, der zwischen Kern und Substrat gelegene Theil in eine lange Spitze ausgezogen oder völlig abgerissen ist. An den Seiten- flächen der Zotte finden sich nicht selten Uebergänge von die- sen gestielten in eylinderförmige Zellen. Es handelte sich nun darum, zu entscheiden, ob diese langgestielten Zellen normal an gewissen Stellen vorkommen, oder ob sie nicht etwa Kunst- producte sind. Zu dem Zwecke stellte ich Controlversuche an, indem ich die Schleimhaut des zu erhärtenden Darmes zuerst im frischen Zustande untersuchte. Ich wählte vorzüg- lich kleine Thierchen mit langen, dünnen Zotten, wie z. B. Ratten und Mäuse. Sie gewähren den Vortheil, dass man selbst im frischen Zustande an unversehrten Zotten die Höhe des Epithels in situ übersehen kann. Die Länge der Epithel- zellen betrug sowohl an der Basis wie an der Spitze der Zot- ten etwa das doppelte oder dreifache der Breite. Dasselbe Verhältniss zeigten durch Zerzupfen isolirte Zellen. Unter- suchte ich später denselben, aber in Ohromsäure erhärteten Darm, so fand ich häufig Zellen, welche sechs bis acht Mal und darüber länger als breit waren. Es sind demnach die Trichterzellen nichts als Kunstproducte. Ihre Entstehung er- kläre ich mir folgendermassen. Die zum Erhärten angewandten Mittel wirken in verschie- dener Weise auf die thierischen Gewebe ein. Nicht allein, dass sie chemische unlösliche Verbindungen mit den Eiweiss- körpern etc. eingehen oder diese wenigstens gerinnen machen, ohne sich mit ihnen chemisch zu verbinden, sondern sie ent- ziehen ihnen auch Wasser. Die nothwendige Folge davon ist, dass die erhärtenden Gewebe schrumpfen. Nun lehrt die Beob- Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 383 achtung, dass die Epithelzellen und vor allem ihre Kerne bei diesem Schrumpfungsprocess wenig betheiligt sind. Dazu kommt, dass im normalen Zustande die Kerne in gleicher Höhe liegen, etwa in der Mitte der Zelle und fast die ganze Breite der Zellen ausfüllen. Sobald nun der Schrumpfungs- process beginnt, legen sich die Kerne wie die Bausteine eines Kuppelgewölbes fest aneinander und sichern so dem oberen Theile der Zelle die normale Lage und Gestalt. Es kann also die Kraft, welche das schrumpfende Substrat auf die fest ihm adhärirenden Zellen ausübt, nur auf den unteren Theil der Zellen einwirken; und indem dieser Theil einerseits mit dem oberen Abschnitt der Zelle, andererseits mit dem Sub- strat fest verbunden ist, wird er vermöge seiner Elastieität von dem sich zurückziehenden Substrat in einen langen Aus- läufer ausgezogen. Betrachtet man auf diese Weise veränderte, durch nachheriges Zerzupfen isolirte Zellen, (Fig. 5 u. 6), so findet man häufig, dass der Ausläufer an seinem spitzen Ende wieder eine Verbreiterung zeigt, welche schon von Billroth') und von Rindfleisch?) gesehen wurde. Sie entspricht dem Theile der Zellmembran, welcher ursprünglich an das Substrat fest angeheftet war und deshalb gar nicht oder wenig verän- dert wurde. In anderen Fällen ist das untere Ende der Zel- len spitz. Bei genauer Betrachtung ergiebt sich dann gewöhn- lich, dass an dieser Stelle etwas abgerissen ist. In noch an- deren Fällen mag es auch sein, dass die Zelle sich bei ihrer Verlängerung zum Theil von dem Substrat getrennt hat und nur an einem kleinen Punkte mit ihm in Verbindung geblieben ist. Dieses Verhalten hat zu den verschiedenartigsten Deu- tungen Veranlassung gegeben. Das eben erwähnte verbrei- terte Ende wurde bald für ein Bindegewebskörperchen an- gesehen, bald als der Ursprung zweier neuen Ausläufer be- trachtet, deren jeder sich zu einem (hier abgerissenen) Binde- 1) Billrotb. Ueber den Bau der Epithelzellen der Froschzunge. Müller’s Archiv. 1858. 2) Rindfleisch. Inwiefern und auf welche Weise gestattet der Bau der verschiedenen Schleimhäute den Durchgang von Blutkörper- chen etc, Virchow’s Archiv XXII. p. 275. 384 Dr. W. Dönitz: gewebskörperchen begeben sollte. Dazu kommt, dass bei der Gestaltveränderung der Zellen ihr Inhalt sich mitunter ungleich- mässig vertheilt. Die so entstehenden Varicositäten mögen auch nicht selten für Bindegewebskörperchen genommen wor- den sein, vorzüglich wenn ein etwa an der Stelle vorhandenes Fetttröpfehen einen Kern oder ein Kernkörperchen vorspiegelte. Dergleichen Irrthümer in der Deutung sind um so eher möglich, als durch Einwirkung der Chromsäure die Präparate ihre glatten und scharfen Contouren verlieren, granulirt werden und ein sehr dunkles, undurchsichtiges Aussehen bekommen. Dadurch wird die Uebersichtlichkeit der Präparate so bedeutend beeinträchtigt, dass man von aneinanderstossenden Elementen oft nicht zu entschei- den im Stande ist, wie viel dem einen, wie viel dem anderen angehört. Liegen z. B. zwei isolirte Zellen in der Art über- einander, dass ihre oberen Partien sich vollkommen decken, während die Ausläufer nach verschiedenen Richtungen ausein- andergehen, so ist es meistens nicht möglich, die eine Zelle durch die andere hindurch zu erkennen. Die Ausläufer wer- den dann leicht für Theile einer einzigen Zelle betrachtet. Haben sich beide Zellen in der Längsachse gegeneinander etwas verschoben, so erkennt man mitunter, aber nur bei sehr aufmerksamer Betrachtung, den Kern der hinteren durch die vordere hindurch. (Fig. 5, ec.) Das nachherige Aufhellen der Präparate durch Schwefelsäure oder Glycerin macht sie durch- aus nicht übersichtlicher. Im Gegentheil, vieles zur Beurthei- lung nöthige verschwindet, und man entbehrt aller Anhalts- punkte, welche auf etwanige Täuschungen hinweisen. Es ist ferner unmöglich, durch aufhellende Mittel den erhärteten Zel- len die verlorene Elasticität wiederzugeben. Die einmal ein- getretene Gestaltveränderung bleibt nach wie vor. Man muss daher Chromsäurepräparate mit der grössten Vorsicht benutzen; wenn es sich darum handelt, über normale Texturverhältnisse zu entscheiden, und man hat ein grosses Unrecht daran gethan, dass man in neuester Zeit alle Formen, welche die Epithel- zellen unter Einwirkung der Chromsäure annehmen können, ohne weitere Prüfung für normale gehalten hat. Wenn ich es nicht für überflüssig hielte, könnte ich selbst ein bedeuten- Ueber die Schleimhäute des Darmskanals. . 885 des Contingent noch viel sonderbarerer Formen liefern, als sie die neueste Literatur kennt. Dieses Urtheil über Chromsäure- präparate bezieht sich indessen nur auf ihre Verwerthung zur Entscheidung von Fragen, welche Texturverhältnisse betreffen. Bei Untersuchung der Structur der Gewebe dagegen habe ich: sie selbst öfter mit Vortheil zu verwerthen Gelegenheit gehabt Heidenhain’s Angaben sind zwar schon von Rindfleisch widerlegt worden, doch nicht mit Wiederholung derselben Methode Rindfleisch bediente sich ausschliesslich der be- kannten und sehr brauchbaren Methode, seine Objecte bei ge- linder Temperatur zu trocknen und dann feine Schnitte von ihnen anzufertigen. Eine Controle an frischen oder anderwei- tig zubereiteten Präparaten wandte er nicht an. Es konnte daher nicht ausbleiben, dass er bei dieser Einseitigkeit in ge- wisse Irrthümer verfiel. Den grössten Theil der Epithelzellen sah der genannte Beobachter allerdings ohne Ausläufer mit breiter Fläche dem Substrate aufsitzen; ein Verhalten, welches sich dadurch erklären lässt, dass beim Trocknen des Epithels auch der Kern seine Feuchtigkeit verliert, zusammenschrumpft und nun auch dem oberen Theil der Zelle gestattet, dem schrumpfenden Substrate nachzufolgen. Eine Ursache, durch welche die Zellen auffällig in die Länge gezogen würden , ist demnach im allgemeinen bei dieser Methode nicht vorhanden. Trotzdem bekommt man auch an getrockneten Objecten öfters Ausläuferzellen zu sehen. Rindfleisch selbst nahm sie haupt- sächlich am Froschdarm auf der Firste der Falten wahr und hielt ihr Vorkommen für einen physiologischen Zustand. Ver- gleichende Beobachtungen haben mir gezeigt, dass auch sie Kunstproducte sind und namentlich in keiner Beziehung zur Regeneration des Epithels stehen. Seltsam endlich lauten Rindfleisch’s Angaben über das Zottenepithel bei Ratten; hier soll das Substrat nur etwa /, von der Höhe der ganzen Zotte einnehmen. Im letzten Fünf- tel sollen die sogenannten Spitzen der Epithelzellen sich fast berühren, indem nur ein schmaler Streifen hyaliner Substanz sie trennt. Es ist zu bedauern, dass Rindfleisch über das Verhalten dieser gewissermassen isolirten Zellen zur Fettre- 3836 . Dr. W. Dönitz: sorption nichts angegeben hat. Was aber die Sache selbst anbetrifft, so muss ich gestehen, dass ich dergleichen Bilder nie gesehen. Ein Zufall mag es gewollt haben, dass Rind- fleisch Zotten untersuchte, deren Epithel sich handschuhfin- gerförmig ein wenig vom Substrat abgehoben hatte. Es ist ja eine bekannte Thatsache, dass man einige Stunden nach dem Tode des Thieres leicht das ganze Epithel einer Zotte in continuo vom Substrate abheben kann. Doch, um auf unseren Ausgangspunct zurückzukommen» so gelangen wir zu dem Schluss, dass das Ende mit wel- chem die Epithelzellen an dem Substrate haften, durchschnittlich ebenso breit ist, wie das entgegen- gesetzte, das basale Ende. Damit zugleich fällt auch die Ansicht, dass zwischen den Ausläufern der Epithelzellen die Keime der jungen Zellen lie- gen, welche die abgestorbenen und ausgestossenen Zellen zu ersetzen bestimmt sind; denn da die Seitenwände der Zellen sich gegenseitig bis zum Substrat hin innig berühren, so bleibt für derartige junge Zellen nicht der geringste Zwischenraum übrig. Eine Combination dieser Ansichten hat Rindfleisch!) aufgestellt, indem er in Folge yon Beobachtungen an einem Frosche annimmt, dass die Epithelzellen, bevor sie abgestossen werden, längere und fadenförmige Ausläufer bekommen, zwi- schen welchen dann die neuen Elemente auftreten. Woher diese letzteren indessen ihren Ursprung nehmen, erfahren wir nicht, und dieser Umstand nimmt den Beobachtungen und Vermuthungen Rindfleisch’s ihren Werth; denn da bis jetzt das Gesetz „Omnis cellula e cellula* noch zu Recht besteht, so würden die gedachten neuen Elemente von Zellen hergelei- tet müssen, und Zellen waren ja vorher zwischen den Aus- läufern nicht vorhanden. Ausserdem konnte ich mich nicht davon überzeugen, dass alternde Zellen Ausläufer bekommen. Diejenigen Zellen, denen ich das Prädicat alternd oder abge- storben beilegen möchte, waren in ihrer Dicke um das Dop- 1) 1. c. p. 274 und Taf, V. Fig. 3. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 387 pelte oder Dreifache und mehr geschrumpft und hatten ein dunkles, granulirtes Aussehen (Fig. 10). | Ein Kern liess sich an ihnen nicht wahrnehmen. Häufig. fand ich sie bei der Seitenansicht über das Niveau der übri- gen Zellen hinausragen und vermuthe demnach, dass sie be- stimmt sind, ausgestossen zu werden. Auch von der Ober- fläche aus betrachtet, sieht man nicht selten diese in der Ver- kürzung als schmale, dunkele Flecken erscheinenden Gebilde, eng umschlossen von den benachbarten Zellen, welche jede entstehende Lücke vermöge ihrer Elastieität sofort auszufüllen scheinen. Dem gegenüber steht eine Beobachtung von Donders!), welcher an Hundedarmzotten nach Wasserzusatz einen ver- grösserten Kern oberhalb eines kleineren Kernes in den Zel- len, und ähnliche Kerne an der freien Fläche der Schleimhaut als sogenannte Schleimkugeln sah. Da indessen die Schleim- kugeln, wie wir oben fanden, etwas ganz anderes sind als ver- grösserte Kerne, so muss Donders hier mehreres verwech- selt haben. Ja, Henle wirft ihm vor, dass er die früher be- sprochenen becherförmigen Zellen selbst für vergrösserte Kerne gehalten habe. Ob dieser Vorwurf begründet ist, vermag ich nicht zu entscheiden, da ich becherförmige Zellen immer nur isolirt, nie in situ gesehen habe. Die grösseren, kreisförmig begrenzten helleren Stellen, welche man bei Betrachtung der freien Fläche, nach Henle’s Angabe in regelmässiger Anord- nung, so häufig wahrnimmt, und die Donders in Fig. 56, b, 1 abbildet, sind, so weit ich mich überzeugen konnte, durch das Abheben des Basalsaumes bedingt. Wenn letzterer, wie es nicht selten geschieht, sich so stark ausdehnt, dass er ein ku- gelförmiges Bläschen mit glashellem Inhalte bildet, so verdeckt er, von der Fläche aus gesehen, nothwendig einen Theil der 1) l. c. p. 307 und 308. p. 306: „In manchen Zellen ist der Kern ungemein gross und er liegt dann meistens näher der freien Ober- fläche, während manchmal ein zweiter Kern in der Tiefe der Zelle sichtbar ist. Es ist uns wahrscheinlich geworden, dass diese grossen Kerne durch Dehiscenz der Zelle an ihrer freien Fläche mitunter nach aussen treten, ohne dass die Zelle selbst abgestossen wird,“ 388 Dr. W. Dönitz: benachbarten, polyedrisch begrenzten Zellen (Fig. 11), und da man bei veränderter Einstellung des Mikroskopes in der Tiefe den Kern der Zelle deutlich unterscheidet, so kann man leicht . zu der Vermuthung geführt werden, dass man es mit becher- förmigen Zellen oder mit aufgeblähten Kernen zu thun habe, durch welche die Zellen in der Umgebung zusammengedrückt werden. Weitere Schlüsse über die Regeneration des Epi- thels lassen sich aus diesem Verhalten nicht ziehen. Die Angaben E. H. Weber’s und Lehmann’s, welche einen Wiederersatz des Epithels begreiflich machen würden, sind schon von Frerichs!) berichtigt worden und scheinen heute ganz aufgegeben zu sein. Weber nahm nämlich an, dass unter den cylinderförmigen Zellen noch eine Lage rund- licher Zellen vorhanden sei, von denen die einen sich mit einer undurchsichtigen weissen, die andern mit einer durchsich- tigen öligen Materie anfüllen. Diese Zellenschicht hat weder Frerichs noch einer der spätern Beobachter wiederfinden können. Denn wenn man auch an Schnitten getrockneter Präparate öfter mehrere Schichten kleinerer Zellen unterhalb einer oberflächlichen Epithelschicht zu finden glaubt, so über- zeugt man sich doch bald davon, dass eine schiefe Schnittfüh- rung allein die Ursache ist. So kann es nämlich kommen, dass das Messer den oberhalb des Kernes befindlichen Zellen- abschnitt in der Längsrichtung trifft, nach der sogenannten Spitze hin aber die Zelle verlässt und die benachbarten Zellen in schiefer Richtung durchschneidet. Natürlich fehlt in den schräg getroffenen Zellen jede Spur eines Kernes. Doch dies nur beiläufig. Es kam mir ja nur darauf an nachzuweisen, dass weder an dem einen noch an dem anderen Pole der Epithelzellen in die Angen fal- lende Lücken vorhanden seien, durch welche Fett in distineten Tropfen in dieZotten eindringen könne. Sehen wir nun weiter, wie es sich mit den Vorrichtungen 1) Wagner, Handwörterbuch der Physiologie, Art. Verdauung. 1846. Bd. III. p. 854. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 389 verhält, die man im Substrat der Zotten behufs der Fortleitung von Fetttropfen zu finden vermeint hat. Die grosse Schwierigkeit, ja, ich möchte sagen, die Unmög- lichkeit, Wandungen an dem centralen Chylusraum nachzuwei- sen, hat den neueren Ansichten über die Anfänge des letzteren vielfach Vorschub geleistet. So hat Brücke!) die physiolo- gische Nothwendigkeit nachzuweisen gesucht, dass zwischen dem Blut- und dem Lymphgefässsystem eine Nebenschliessung vorhanden sei, welche in interstitiellen Hohlräumen gesucht werden müsse. In diese Hohlräume soll aus den Blutgefässen Plasma, und aus den unten offenen Epithelzellen Chylus hin- eingepresst werden, um eine gewisse Druckdifferenz auszu- gleichen. Um dieser Angabe, welche eben nur eine Hypothese war, thatsächliche Grundlagen zu geben, hat man einerseits aus dem Verhalten der Fettkörnchen im Zottenparenchym einen Rückschluss auf die Wege gemacht, in denen sich dieselben bewegten; andererseits hat man ein solches Kanalsystem auch anatomisch darzustellen gesucht. Den ersteren Weg hat Bruch?) betreten. Bei starker Fettresorption fand er im Parenchym der Zotten oft ganze Reihen von Fetttröpfchen, welche manchmal in die Länge ge- zogen und seitlich von einer geraden Linie begrenzt waren, so dass ihm die Annahme gerechtfertigt erschien, dass Fett- tropfen in gebahnten Wegen weiterbefördert würden. Auch Zenker?) entschied sich aus demselben Grunde für das Vor- 1) Brücke Il. c. p. 25: „Passender u. s. w. würde es sein an- zunehmen, dass die Lymphgefässe, nachdem sie sich bis zu einer gewissen Feinheit getheilt haben, überall zwischen die Gewebe ein- dringen, so dass sie die Zwischenräume ausfüllen und ihre Wände mit den umgebenden Gewebstheilen verwachsen; dann würde das Innere der Lymphgefässwurzeln mit den interstitiellen Gewebsräumen räum- lich zusammenfallen und die ganze Frage über offene oder geschlos- sene Anfänge der Lympfgefässe auf eine vielleicht nie zu entschei- dende Controverse der Entwicklungsgeschichte zurückgeführt sein.“ 2) C. Bruch. Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Dünn- darmschleimhaut. Zeitschrift f. wiss. Zool. von v. Siebold u. Kölliker. Bd. IV. 1855. 3) Zenker. Ueber das Verhalten der Chylusgefässe in der Darm- schleimhaut. Siebold u. Köllikers Zeitschr. Bd. VI. 1855. 390 Dr, W. Dönitz: handensein von einem System äusserst feiner Kanäle in den Darmzotten und der zwischen ihnen befindlichen Schleimhaut. Eine andere Deutung erfuhr die erwähnte Erscheinung durch Funke!), der ebenfalls Fetttropfen gleichsam in Bahnen und Strassen angeordnet sah, welche sich auf dem kürzesten Wege von der Peripherie zum Chylusraum begaben. Aber öfter bil- deten langgezogene Tropfen scharfe Ecken gegen einander, was höchst wahrscheinlich nicht der Fall sein würde, wenn vorgebahnte Strassen vorhanden wären. Deshalb nimmt er an, dass das Fett sich durch das Parenchym der Zotten hin- durchzwänge. Es sind das alles Ansichten, denen die stillschweigende Voraussetzung zu Grunde liegt, dass man es mit normalen Verhältnissen zu thun habe, wenn man im Zottenparenchym deutlich unterscheidbare Fetttropfen findet; eine Voraussetzung, die nicht allein nicht bewiesen, sondern sogar völlig ungerecht- fertigt erscheint. Man bebandle die mit Fett imprägnirten Zot- ten nur mit der gehörigen Sorgfalt und suche sie vor jedem Druck zu bewahren, so wird man das Fett in so ausserordent- lich feiner Vertheilung vorfinden, dass man es am besten mit einem Nebel vergleichen kann, der sich über das Zottenparen- chym gelagert hat und ihren Inhalt unserer Beobachtung ent- zieht (Fig. 14). Durch Pressen und Drücken gelingt es dann, die kleinen, als solche unsichtbaren Fettpartikelchen zu grös- seren, wohl unterscheidbaren Tropfen zusammenfliessen zu machen, gerade wie das bei den Epithelzellen der Fall ist. Dass diese Tropfen aus Zufall oder in Folge der Richtung des ausgeübten Druckes einmal reihenweise auftreten, darf wohl nicht auffallen und kann am allerwenigsten zu einem Beweis für die Anwesenheit von vorgebildeten Wegen dienen. Nicht glücklicher war man in den Bestrebungen, jenes ver- muthete Kanalsystem selbst darzustellen. Es muss von vorn- herein auffallen, dass an frischen Präparaten bisher noch Nie- mand Ausläufer und Anastomosen der Bindegewebskörper, 1) Funke, Beiträge zur Physiologie der Verdauung. Siebold u. Köllikers Zeitschr. Bd. VI. 1855. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 391 welche die Strassen für die Fettbeförderung bilden sollten, hat entdecken kögnen. Alle auf diesen Gegenstand bezüglichen Beobachtungen und Abbildungen sind Präparaten entnommen, welche stark wirkenden Einflüssen ausgesetzt gewesen waren. So hat z.B. Heidenhain') doppelt chromsaures Kali in star- ker Lösung, Chromsäure und Holzessig angewandt. Unter dieser Behandlung fand er denn in einer homogenen Grund- substanz ausserordentlich dicht aneinandergedränste Zellen von rundlicher ovaler oder eckiger Gestalt mit granulirtem Inhalt und oft erkennbarem Kern. Viele derselben sandten mehrere Ausläufer ab, durch welche sie mit benachbarten Zellen und mit Ausläufern von Epithelzellen in Verbindung traten. Der ver- muthete Zusammenhang dieser Körper mit den Chylusgefässen konnte indessen auf diesem Wege nicht nachgewiesen werden. Wiederholte Untersuchungen?), veranlasst durch Köllikers Einspruch, ergaben dem genannten Forscher unter Beibehal- tung seiner Methode dieselben Resultate, während Wiegandt?), welcher die Heidenhain’sche Methode einer Prüfung unter- zog, in den Zotten der Säugethiere nur runde Körper von ver- schiedener Grösse, ohne Ausläufer, beim Frosch Anasto- mosen der Bindegewebskörper, aber ohne Verbindung mit Epithelzellen fand. Noch eigenthümlicher lautet Rind- fleisch’s*) Bericht über seine Beobachtungen an getrockneten Präparaten. In der mittleren Schicht der Zotten sollen die Bindegewebskörper der Ausläufer entbehren; in der äusseren Schicht dagegen sollen die Bindegewebszellen als spindelför- mige Körper mit je zwei Ausläufern erscheinen, „von denen der eine zu dem nächst vorderen, der andere zu dem nächst hinteren führt, so dass sie eine Kette -—- in die Fläche ge- dacht ein Netz von untereinander anastomosirenden Elementen darstellen, welches dicht unter dem Epithelium über die Ober- fläche der Darmzotten ausgespannt ist.“ 1) Heidenhain. Die Absorptionswege des Fettes. Moleschott’s Untersuchungen, Bd. IV. p. 271 und 279. Fig. VI, VII, XI. ete., 2) Symbolae ad anatomiam glandularum Peyeri, 3). lu;c. P-J0®e 4)'1. c. p. 279. 399 | Dr. W. Dönitz: Da diese sich mehr oder weniger widersprechenden An- sichten zum Theil unter Anwendung derselben Untersuchungs- methoden gewonnen wurden, so liegt darin für uns die Auf- forderung, vor allen Dingen die Methoden einer Prüfung zu unterwerfen. Alle diese Methoden gehen darauf hinaus, die Schleimhaut des Darmkanales in einen Zustand zu versetzen. der es erlaubt, feine Schnitte davon anzufertigen, mit einem Worte, sie zu erhärten. Am einfachsten kommt man unstrei- tig zum Ziele, wenn man das Präparat austrocknet, bis es den gewünschten Grad der Härte erreicht hat. Wenn man dabei "eine Temperatur anwendet, in welcher die Eiweisssubstanzen noch nicht gerinnen, so stellt sich zugleich der Vortheil her- aus, dass die angefeuchteten Schnitte im Wasser wieder bis zu einem dem normalen Volumen entsprechenden Umfang auf- quellen. Trotzdem zeigt sich an derartigen Präparaten, wenn sie auch mit der grössten Sauberkeit angefertigt wurden, ein unverkennbarer Einfluss des Trocknens und Aufweichens. Die Bindegewebskörper pflegen nur selten ihre frühere Gestalt wie- der anzunehmen, die Blutcapillaren fallen in grösseren Strecken zusammen und erscheinen als feine Fäden, die nicht selten als Zellenausläufer gedeutet worden sein mögen. Die Kerne der Capillaren, so wie an einzelnen Stellen zurückgebliebenes Blut mag nicht selten den Anschein von Bindegewebszellen verursacht haben. In der Art glaube ich Rindfleisch’s anastomosirende Bindegewebskörper in der Rindenschicht deu- ten zu müssen, vorzüglich da gerade unter dem Epithel ein Capillarnetz liest. Im Ganzen erinnert der Irrthum an die Meissner ’schen anastomosirenden Ganglienkugeln im Darm- kanal, die Reichert bekanntlich injieirt und somit als Theile des Blutgefässsystems nachgewiesen hat. (Schluss folgt.) 393 Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. Von Dr. W. Dönttz. (Hierzu Taf. X.) (Schluss.) Die Lösungen der Chromsäure, des doppelt chromsauren Kalis und anderer Salze entziehen den Präparaten Wasser und verändern zugleich die physikalischen Eigenschaften der Ge- webe in hohem Grade. Die Elastieität verschwindet und macht einer nach dem Grade der Einwirkung verschiedenen Brüchig- keit Platz. Die Durchsichtigkeit nimmt, wahrscheinlich in Folge der eintretenden Gerinnung von eiweissartigen Substan- zen, so beträchtlich ab, dass man bei der nachfolgenden mikro- skopischen Untersuchung der Präparate nicht selten gezwun- gen ist, aufhellende Substanzen anzuwenden, wie Glycerin, Essigsäure, Schwefelsäure, Natron ete. Heller werden dadurch die Präparate allerdings, aber für die Beurtheilung gewiss nicht brauchbarer; denn manche Ecke und Unebenheit, welche uns vorher darauf aufmerksam machte, dass hier oder da etwas abgerissen ist, verschwinden unter der Einwirkung dieser Mit- tel vor unseren Augen und entziehen uns somit manchen An- haltspunkt für eine richtige Beurtheilung. Die wichtigste Ver- änderung aber ist die Schrumpfung der Gewebe, welche die nachträgliche Anwendung von Wasser nicht zu überwinden Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 26 394 Dr. W. Dönitz: vermag und welcher die mit den genannten Substanzen arbei- tenden Beobachter fast durchweg zu wenig Rechnung tragen. Genug, die Fehlerquellen sind so gross und vielfach, dass man nicht allein die an erhärteten Präparaten gemachten Beobach- tungen sorgfältig an frischen Präparaten controliren, sondern hauptsächlich nur frische Objeete zur Untersuchung anwenden muss, und es empfiehlt sich, vorzüglich die Zotten von kleine- ren Thieren, wie von Ratten und Mäusen, auch von Meer- schweinchen u. s. w. zu wählen, weil diese wegen ihres gerin- gen Dickendurchmessers schon an und für sich sehr übersicht- lich sind, ohne dass man nöthig hätte, Durchschnitte von ihnen anzufertigen. ' An frischen Präparaten ist es mir nicht gelungen, mit Aus- läufern versehene und anastomosirende Bindegewebskörper auf- zufinden; im Gegentheil liegen diese Körper in allen Schich- ten der Zotten vollkommen isolirt, eingebettet in eine hyaline Grundsubstanz. Ihre Gestalt ist nicht immer genau die gleiche. Bei Embryonen — auch menschlichen — fand ich die Binde- gewebskörper durchgängig von etwas ovaler, voller Gestalt, während sie bei älteren Individuen meistens ein geschrumpftes, unregelmässiges Aussehen darbieten. Was aber die Deutung dieser Gebilde betrifft, so bin ich in Verlegenheit, welchen Namen ich ihnen beilegen soll. Allerdings gleichen sie Zell- kernen mit einem oder mehreren Kernkörperchen. Wo wir aber einen Zellkern haben, da muss sich auch eine Zelle nach- weisen lassen, zu der er gehört oder von der er abstammt; und das gerade macht in unserem Falle die grössesten Schwie- rigkeiten. Nur nach sorgfältigem Suchen findet man mitunter die Grundsubstanz der Zotten von feinen Linien durchzogen, welche die beschriebenen Körperchen bald nur auf einer Seite, bald ringsum in einiger Entfernung umgeben und anscheinend der optische Ausdruck der Grenze der Zellen sind. Bei Em- bryonen ist es leichter, sich von diesem Verhalten zu überzeu- gen, und manchmal gelingt es sogar, einzelne Gebilde zu iso- liren, welche die oben beschriebenen Körper als Kerne ein- schliessen, und die man ihrer glatten Contouren wegen wohl für intacte Zellen, für Bindegewebszellen zu halten geneigt ist. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 395 Es wird demnach wahrscheinlich, dass die sogenannten Binde- gewebskörper der Zotten Kerne von Zellen darstellen, deren Membranen für gewöhnlich nicht sichtbar sind, entweder weil das ihnen zukommende Lichtbrechungsvermögen sie nicht von der Intercellularsubstanz unterscheiden lässt, oder weil die Zellmembranen den Kernen so eng anliegen, dass sie sich nicht als gesonderte Gebilde von einander unterscheiden lassen. Es möchte sich demnach empfehlen, von kernartigen Zellkörpern zu sprechen, bis man über ihre einzelnen Bestandtheile ge- nauer unterrichtet sein wird. Möglich wäre es auch, dass wir eben nur Zellenrudimente vor uns haben; und das erscheint um so wahrscheinlicher, wenn man nur die Spitzen der Zot- ten untersucht, woselbst es häufig unmöglich ist, überhaupt nur kernähnliche Gebilde nachzuweisen. Es muss demnach als eine noch nicht völlig erledigte Frage betrachtet werden, wie die Bindegewebskörper in den Zotten zu deuten sind, nur lassen sich weder sternförmige, noch anastomosirende Körper nachweisen. Von grosser Wichtigkeit für die Frage von der Fettver- dauung ist das Verhalten der Grenzschicht des Bindegewebes in den Zotten, welche bekanntlich von Henle intermediäre Membran, von den Engländern basement membrane genannt wird. Ihr Vorhandensein ist zwar neuerdings von Wie- gandt!) geleugnet worden, doch muss ich dieser Angabe ent- schieden widersprechen, da es mir wiederholt gelungen ist, durch Zerzupfen der Zotten die Grenzlamelle zu isoliren und sie in continuirlichem Zusammenhange mit der Tunica pro- pria der Lieberkühn’schen Drüsen zu sehen. Am besten eignen sich Embryonen oder sehr junge Thiere zu ihrer Dar- stellung. An gelungenen Präparaten wird man sich überzeu- gen, dass die Grenzschicht aus einem vollkommen hyalinen Häutchen besteht, in dem sich nur hin und wieder kernartige Körper vorfinden, die indessen wahrscheinlich aus dem Binde- gewebe der Zotten bei der Präparation mitgerissen worden sind (Fig. 13). Mitunter zeigt die Membran stellenweise eine N a2B-N60) 26* 396 Dr, W,. Dönitz: äusserst zarte polyedrische Zeichnung, welche augenscheinlich ein Abdruck des hinweggenommenen Epithels ist und uns einen neuen Beweis dafür an die Hand geben könnte, dass die Epithelzellen prismatische, nicht etwa trichterförmige Körper sind. Dergleichen Bilder mögen dazu beigetragen haben, Köl- liker!) zu bestimmen, die intermediäre Membran und die Tunica propria der Drüsen als Secrete der Epithelial- und Drüsenzellen zu erklären; eine Ansicht, welcher Reichert?) alle Berechtigung abspricht. Was endlich die Poren betrifft, welche nach Virchow°) der Membran ein siebförmiges An- sehen geben sollen, so muss ich gestehen, dass ich immer ver- geblich darnach gesucht habe und von ihrem Nichtvorhanden- sein überzeugt bin. Auch nach einfacher Entfernung des Epithels lässt sich nicht selten die intermediäre Membran nachweisen, indem die Zotten fast immer von einem schmalen, hyalinen Saum umge- ben sind, der sich durch seine scharfe Begrenzung von den gewöhnlichen Lichtreflexen unterscheidet, also nicht einer op- tischen Täuschung zugeschrieben werden kann. Bei älteren Thieren und an reichlich mit Fett imprägnirten Zotten entzieht er sich gewöhnlich der Beobachtung, An Längs- und Quer- schnitten getrockneter Präparate hat man häufig Gelegenheit, diesen Saum so zu sehen, dass er eine scharfe Grenze zwi- schen Substrat und Epithel bildet und auf Querschnitten z.B. ein mehr oder weniger regelmässiges Oval ohne alle Ausbuch- tung darstellt. Es ist demnach unmöglich, dass, wie Heiden- hain angiebt, die von ihm beschriebenen rundlichen Zellen des bindegewebigen Substrates sich dicht gedrängt zwischen die angeblichen Ausläufer der Epithelzellen einzwängen. Dicht unter der Grenzlamelle zieht sich ein ziemlich eng- maschiges Capillarnetz hin, welches sich nach Entfernung des Epithels leicht in seiner ganzen Ausdehnung verfolgen lässt, 1) Kölliker. Ueber secundäre Zellmembranen etc. Würzburger Verhandlungen 1857. 2) Reichert. Bericht über die Fortschritte der mikroskopischen Anatomie im Jahre 1856, in Müllers Archiv p. 16. 3) Virchow. Würzburger Verhandlungen Bd. IV. p. 353. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 397 mag es im frischen Zustande Blut, oder nach Anwendung von Reagentien wässrige Flüssigkeit enthalten. Um einen Ueber- blick über dasselbe zu gewinnen, ist es nöthig, Zotten im nicht contrahirten Zustande zu untersuchen, da durch die Contraetion aller Inhalt oder wenigstens ein grosser Theil desselben aus den Blutgefässen ausgetrieben wird. Dabei fallen die vorher strotzend gefüllten Capillaren so stark zusammen, dass ihr Lumen vollkommen verschwindet, und die Maschen des Netzes nehmen ein völlig verändertes Aussehen an, indem die jetzt als schmale Streifen oder Linien erscheinenden Capillaren fast ausschliesslich parallel der Querachse der Zotte zu verlaufen scheinen.- Den Uebergang der weiteren Maschen in diese schma- len,transversal verlaufenden, hat man häufig Gelegenheit zu beob- achten, da es gar nicht selten vorkommt, dass dieselbe Zotte an ihrer Spitze sich im Contractions-, an der Basis im Expansionszu- stand befindet, und umgekehrt (Fig. 14). An der Uebergangsstelle erscheinen die Oapillaren sehr eng und enthalten nur an einigen Stellen, hauptsächlich an Theilungspunkten, wenige Blutkör- perchen, wie es scheint in hyalinem Liquor. Weiterhin er- kennt man die Capillaren meist nur noch an ihren Kernen, welche etwas in die Länge gezogen zu sein scheinen und in grosser Regelmässigkeit parallel der Queraxe gelagert sind. An den Rändern scheinen meist in diesem Faile diese Zotten unterhalb der hyalinen Grenzlamelle von einer Reihe feiner Oeffnungen durchbohrt zu sein; eine Erscheinung, welche zum Theil von den ziemlich stark lichtbrechenden Kernen der Ca- pillaren herrührt, die man hier‘in der Verkürzung sieht, zum Theil und hauptsächlich auf die Capillaren selbst bezogen werden muss, in deren mit hyaliner Flüssigkeit (Untersuchungs- medium) gefülltes Lumen man hineinsieht, da sie sich hierselbst nach der dem Beobachter abgewandten Seite des Präparates herumschlagen. Oftmals kommen Zotten zur Untersuchung, welche sich durch eine vorgängige Contraction ihres Blutgehaltes entledigt, nachher aber wieder ausgedehnt haben. Es können nun in diesem Falle zweierlei Vorgänge am Gefässsystem eintreten; entweder nämlich füllt sich das Capillarnetz mit seröser Flüs- 398 Dr. W. Dönitz: sigkeit oder auch wohl mit dem Untersuchungsmedium; oder aber die Wandungen der Capillaren fallen in grosser Ausdeh- nung zusammen. In letzterem Falle hält es oft ungemein schwer, das Capillarnetz zu erkennen. Man sieht eben nur längliche, nach allen Richtungen verlaufende Kerne, welche sich durch ihre Grösse und längere Form, so wie durch ihr matteres, oft fein granulirtes Aussehen von den kleineren, mehr glänzenden Bindesubstanzkörpern unterscheiden. Von ihren Polen gehen nicht selten feine, häufig anastomosirende Linien aus, als optischer Ausdruck der collabirten Gefässwandungen. Aehnliche Bilder mögen auch Donders!) veranlasst haben, quer und schief verlaufende Faserzellen nahe der Oberfläche zu beschreiben, die doch, wie wir später sehen werden, über- haupt nicht vorkommen. Die grösseren Gefässe, aus denen die Capillaren gespeist werden, und denen sie ihrerseits das Blut wieder abgeben, verlaufen mehr in der Tiefe des Zottenparenchyms. Die Schlän- gelung haben sie mit allen jenen Gefässen gemein, welche Organe von leicht veränderlicher Gestalt versorgen. Ihre An- zahl pflegt proportional mit der Breite der Zotten zuzu- nehmen. Es gelingt leicht, das Verhalten der Gefässe zur An- schauung zu bringen, wenn man den Rückfluss des Blutes durch Unterbindung der Venae mesaraicae verhindert und den Darm erst einige Stunden nach dem Tode des Thieres unter- sucht. Gebraucht man letztere Vorsicht nicht, sondern untersucht den noch warmen Darm, so besitzen einerseits die Gewebe gewöhnlich noch Contractilität genug, um das noch flüssige Blut aus den durch die Präparation geöffneten Gefässen aus- zutreiben; andrerseits bildet die Schwierigkeit, mit der sich das Epithel unmittelbar nach dem Tode vom Substrate abhe- ben lässt, ein schwer: zu überwindendes Hinderniss für die Anfertigung übersichtlicher Präparate. Auch ohne vorherige Unterbindung der Venen hatte ich oft Gelegenheit, vollstän- I) I.2e:p..815. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 399 dige Injectionen in hyperämischen Theilen des Darmkanales zu beobachten. An Präparaten, die einige Zeit in einer ver- dünnten Lösung von doppelt chromsaurem Kali gelegen haben, findet man häuflg die Gefässe nur von der Salzlösung erfüllt, die es möglich macht, den Verlauf derselben mit Leichtigkeit zu verfolgen. Essigsäure soll, wie-Donders angiebt, das Gefässnetz deutlicher hervortreten machen. Ich konnte mich indessen nicht davon überzeugen. Wenn das Präparat zu we- nig durchsichtig ist, so werden unter Anwendung der Essig- säure die Gefässe in gleichem Masse aufgehellt wie das Pa- renchym, unterscheiden sich also wenig oder gar nicht von demselben. Enthielten die Gefässe aber Blut, so wird dessen Farbstoff von der Essigsäure aufgelöst und diffundirt in das Parenchym, so dass die Bilder noch undeutlicher werden, als sie vorher waren. Besondere Vortheile von der in neuerer Zeit so über die Massen gerühmten Methode der Imprägnation mit Höllenstein wüsste ich nicht zu berichten; es müsste denn sein, dass ich beim Zerzupfen von Zotten, die einer längere Zeit hindurch mit Höllensteinlösung behandelten Schleimhaut entnommen waren, oftmals wohl erhaltene glatte Muskelfasern zu isoliren vermochte. Es führt indessen die bekannte Reichert’sche Methode (Maceration in 20procentiger Salpetersäure) viel siche- rer zum Ziel. Die Muskelfasern verlaufen sämmtlich, in mehrere Bündel geordnet, parallel der Längsachse der Zotten und begeben sich zwischen die Lieberkühn’schen Drüsen hindurch zur Mid- deldorpf’schen Muskelschicht. Wenn frische Präparate hin- länglich durchsichtig sind, so erkennt man sie ohne weiteres oder nach Anwendung von Essigsäure an ihren grossen ovalen, platten Kernen, die auf die Kante gestellt stäbchenförmig er- scheinen. In der Achse der Zotte, also in der Nähe des Chy- lusgefässes scheinen sie reichlicher vertreten zu sein, als in den peripherischen Schichten. Um das Eindringen dieser Fa- sern zwischen die Lieberkühn’schen Drüsen zu sehen, ist es zweckmässig, die äusseren Darmschichten bis zur Drüsen- schicht hin abzutragen und das zurückbleibende zarte Häut- 400 Dr. W. Dönitz: chen mit Nadeln über einen Korkring zu spannen und mit einem Deckglase zu versehen. Auch Schnitte von getrockne- ten Präparaten geben oft hinreichend klare Bilder. Was nun den Chylusraum betrifft, so stimmen alle besseren Beobachter darin überein, dass er an der Spitze der Zotte blind anfängt. Es zeigen sich indessen vielfache Modificatio- nen, welche Teichmann!) eingehend beschrieben hat. In breiten Zotten kommen zwei, drei und mehr Chylusgefässe vor, die entweder einfach parallel nebeneinander verlaufen, oder durch eine oder mehrere Anastomosen miteinander in Verbin- dung treten. Bei Katzen sah Teichmann in gabelig getheil- ten Zotten auch gabelig getheilte CUhylusgefässe, ich selbst habe vorzüglich beim Meerschweinchen mehrfach getheilte Zotten mit ähnlich sich verhaltenden Chylusgefässen beobach- tet. Diese Abweichungen von der Regel lassen sich vielleicht aus der grossen Neigung der Chylusgefässe, Anastomosen zu bilden, erklären. Bilden ja doch die Saugadercapillaren unter- halb der Middeldorpf’schen Muskelschicht in der sogenann- ten Tunica vasculosa s. nervea ein so dichtes Maschenwerk, dass Teichmann für dieselbe den Namen Tunica vasorum resorbentium vorschlägt. Dieses Netz kann sich dann wohl auch einmal bis in die Zotten selbst erstrecken. Doch will ich diese Deutung nicht urgiren, da die Saugadercapillaren wirkliche Gefässe mit ausgebildeten Wandungen sind, während am Chylusraum eine selbstständige Wandung bisher noch nicht nachgewiesen ist. Krause?) freilich will in frischen Darmzotten eines Hin- gerichteten doppelt contourirte Wandungen des Chylusgefässes beobachtet haben, und Donders?) giebt an, dass sich durch Anwenduug von Alkalien ein structurloses Häutchen sichtbar machen lasse. Brücke?) dagegen spricht dem Chylusraum eine selbstständige Wandung ab, und da er auch an anderen 1) Das Saugadersystem vom anatomischen Standpunkt. 1861. 2) Zeitschr. f. rationelle Medicin. N. F. VI. p. 107. 3) l. ce. p. 314. 4) 1. c. p. 20. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 401 Chyluscapillaren keine tunica propria aus dem umgebenden Gewebe zu isoliren vermochte, so erklärt er dieselben für wan- dungslose Hohlräume im bindegewebigen Substrat. Meine eigenen Untersuchungen haben mich zu keinem siche- ren Resultat geführt. Bei Anwendung von Alkalien fand ich, dass die Umrisse des Chylusraumes eben nur schärfer hervor- traten, weil das Parenchym plötzlich aufgehellt wurde und deshalb gegen das mit fettigem Inhalt gefüllte, dunkel ausse- hende COhylusgefäss stärker als vorher contrastirte; eine selbst- ständige Wandung bekam ich nicht zu Gesicht; und wenn einmal ein heller Saum den Ohylusraum umgrenzte, so machte er immer den Eindruck eines Lichtreflexes. Weit entfernt, hieraus die Abwesenheit einer eigenen Membran folgern zu wollen, glaube ich auf analoge Erscheinungen an den Blut- capillaren hinweisen zu müssen, welche uns vielleicht einigen Aufschluss geben. Es ist nämlich ungemein schwierig, die Wandungen der Capillaren von dem umgebenden Bindegewebe optisch zu unterscheiden. Denn sind die Harnröhrchen mit Blut oder sonst einer Injectionsmasse gefüllt, so lässt der nothwen- digerweise auftretende Lichtreflex das durch die Anfüllung ausgedehnte und noch mehr verdünnte Häutchen als solches nicht erkennen. Sind die Capillaren im Gegentheil leer und zusammengefallen, so erscheinen sie wohl als zarte Linien im Gewebe, welche die Kerne mit einander verbinden (eine Er- scheinung, die vielfach zu irrigen Ansichten über Saftröhrchen, Zellenausläufer, anastomosirende Bindegewebskörper u. s. w. beigetragen haben mag), aber eigene Wandungen lassen sich mit Sicherheit nicht erkennen. Selbst wenn der Inhalt der Capillaren völlig hyalin ist, entziehen sich ihre Wandungen häufig unserer Beobachtung. Es kann dies nicht auffallen, wenn man bedenkt, dass in einem Glase Wasser eine Glasröhre nicht von einem Glasstabe zu unterscheiden ist. Vorausgesetzt nun, dass auch die Chylusräume ihre Wandungen besitzen, so müs- sen an ihnen dieselben Erscheinungen, wie an den Blutcapil- laren auftreten, das heisst, man wird sie für gewöhnlich von ihrer Umgebung nicht zu unterscheiden vermögen. Der that- sächliche Nachweis der fraglichen Wandungen würde aber erst 402 Dr. W. Dönitz: damit gegeben sein, dass sie sich, wie die der Blutcapillaren, isolirt darstellen liessen. Die Schwierigkeit dieser Aufgabe, gegenüber der Leichtigkeit, mit der sich Blutcapillaren isoliren lassen, springt in die Augen; denn da das CUhylusgefäss eben nur einen einzigen cylindrischen Strang bildet, so sind die Chancen, es von seinen manchfaltigen Umgebungen durch Zer- zupfen zu isoliren, sehr gering. Und in der That ist alle meine Mühe in dieser Beziehung ohne Erfolg geblieben. Es bleibt demnach nichts anderes übrig, als sich bis auf weiteres nach Analogien zu richten und eine dem Chylusraum eigen- thümlich zukommende Wandung anzunehmen, da bei bestimmt geformten Hohlräumen eine bestimmt geformte Abgrenzungs- schicht , sie mag selbst sehr dünn sein und aus Bindesubstanz bestehen, vorausgesetzt werden darf. Nicht will ich unerwähnt lassen, dass Henle die widerspre- chenden Ansichten in Betreff des Chylusraumes dahin zu ver- einigen gesucht hat, dass eine innige Verschmelzung der Wan- dungen des Gefässes mit dem umgebenden Bindegewebe ein- getreten sei; eine Möglichkeit, auf welche schon Brücke hin- gewiesen hatte. Dass netzartige Anfänge der Chylusgefässe in den Zotten nicht existiren, glaube ich schon oben nachgewiesen zu haben. Ich will hier nur noch auf eine Eigenthümlichkeit aufmerksam machen, welche möglicherweise zu einer Täuschung in dieser Hinsicht führen könnte. Nach, Brücke’s!) und Virchow’s?) Mittheilungen kommt in den Blutgefässen mitunter eine fein- körnige, dem Chylus ähnliche Masse vor, welche bei auffallen- dem Lichte weisslich erscheint und daher wohl netzförmige Chylusgefässe vorspiegeln kann. Ausser in den Oapillaren und Venen der Zotten fand sich diese Masse auch im Parenchym, immer aber einige Tage nach dem Tode. Sie unterschied sich durch ihre Löslichkeit in Alkalien und durch bedeutendere 1) Ueber einen eigenthümlichen Inhalt der Darmblutgefässe. Sitzungsber. der math. naturw. Classe etc. XII. p. 682. 2) Verhandlungen der phys. med. Gesellschaft zu Würzburg. IV. 350— 354. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 403 Brechbarkeit des Lichtes vom Chylus. Eine ähnliche Erschei- nung soll man, wie Bruch angiebt, hervorrufen können, wenn man die Blutgefässe mit Wasser auswäscht. Mir selbst hat es nie gelingen wollen, nach dem Auswaschen so viel Fett in den Capillaren zu finden, dass man es für Chylus hätte halten können. Schliesslich noch einige Worte über die Lieberkühn’sche Ampulle.: Nicht selten habe ich, vorzüglich am Hundedarm, vereinzelte, in der Mitte ungemein stark aufgetriebene Zotten gesehen, die bei auffallendem Lichte weiss, bei durchfallendem völlig undurchsichtig erscheinen. Bei näherer Untersuchung fand ich sie so stark mit einer fettartigen Masse angefüllt. dass sich überhaupt nichts weiter an ihnen erkennen liess. Drückt man einen Theil des Fettes aus, so bleibt so viel körnige Masse zurück, dass sich auch dann noch kein klarer Ueberblick gewinnen lässt. Virchow, der diese Erscheinung genauer beschrieben hat, glaubt, dass sie auf einer Erweiterung des Chylusgefässes beruhe und, da die Ektasie am meisten den Ampullen von Lieberkühn entspreche, dass dieser wahr- scheinlich pathologische Därme vor sich gehabt habe. Andere Beobachter, wie Böhm!), suchen die Ampulle in der Spitze der Zotten. Böhm fand nämlich bei seinen interessanten Un- tersuchungen über die Darmschleimhaut von Choleraleichen grosse Fetttropfen in den Zottenspitzen, bald vereinzelt, bald zu mehreren, und vermuthet, dass derartige pathologische Zu- stände von Lieberkühn als Ampulle beschrieben worden sind. Einen directen Zusammenhang dieser mit Fett gefüllten Hohlräume mit dem Chylusgefäss hat er nicht beobachtet, und konnte ihn auch nicht finden, da sowohl aus der sehr sorgfäl- tigen Beschreibung, wie aus den Abbildungen hervorgeht, dass er denselben Zustand vor sich gehabt hat, den später Vir- chow als Fettretention im Zottenparenchym beschrieb. Spä- ter suchte Bruch die Ampulle in einer kolbigen Anschwellung des blinden Chylusgefässanfanges, wie man sie nicht selten zu 1) Böhm. Die kranke Darmschleimhaut in der asiatischen Cho- lera. 1858. p. 43—56. 404 Dr. W. Dönitz: beobachten Gelegenheit hat. In diesem Falle ist nämlich nur die Spitze des Gefässes vollständig angefüllt und erscheint da- her breiter als die weniger Inhalt führenden Theile desselben an der Basis der Zotte. Eine von Frerichs!) gegebene Ab- bildung dieses Vorkommens ist mehrfach copirt worden und wohl hinreichend bekannt. Auch unterhalb der Zotten wird die Ampulle gesucht. Brücke z. B. glaubt, dass Lieber- kühn Chylusanhäufungen, und zwar wahrscheinlich Extrava- sate unterhalb der Zotten gesehen habe. Henle?) endlich er- klärt, dass Lieberkühn unter seiner Ampulle eine von schwammiger Substanz erfüllte Höhle in der Spitze der Zot- ten bezeichnet habe, in welche, ausser dem Chylusgefäss, auch Arterien und Venen sich Öffnen sollten. Demnach existiren sie gar nicht und es ist überflüssig, danach zu suchen. Die wichtigsten Resultate der vorliegenden Arbeit lassen sich etwa in folgende Sätze zusammenfassen. 1) Die Epithelzellen der Darmschleimhaut sind allseitig von einer Membran geschlossene, meist sechsseitige regelmässige Prismen, die einen in der Mitte ihrer Höhe liegenden Kern nebst Kernkörperchen enthalten. Sogenannte Ausläufer und dergleichen sind Kunstproducte. 2) Der sogenannte Basalsaum ist ein nicht constantes Se- cret der Epithelialzellen, dessen radiärer Zerfall sich durch eine Querstreifung markirt. Diese Streifung ist bald auf Po- ren, bald auf Stäbchen gedeutet worden. 3) Das Epithel wird von dem Parenchym der Zotten durch eine glashelle, keine sichtbaren Poren enthaltende Membran (Grenzlamelle) geschieden. 4) Die glatten Muskelfasern verlaufen parallel der Längs- axe der Zotten. Quer oder schräg verlaufende Fasern kom- men nicht vor. 9) Anastomosirende Bindegewebskörper existiren in den Zötten nicht. 6) Grössere Fetttropfen in den Epithelzellen und im Pa- 1) Wagner, Handwörterbuch Art, Verdauung, Taf. V. Fig. 11. 2) alte. ıp.1 170. Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. 405 renchym der Zotten entstehen nach mechanischen Insulten durch Confluiren äusserst feiner, einzeln nicht wahrnehmbarer Fett- partikelchen, die auf unbekannte Weise, aber nicht etwa auf vorgebahnten Wegen, durch das Parenchym bis zum Chylus- raum vordringen. 7) Eine selbstständige Wandung des centralen Chylusge- fässes lässt sich frei nicht darstellen, wenn auch anderweitige Gründe für ihre Anwesenheit sprechen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Zellen aus der Darmschleimhaut des Meerschweinchens, mit quergestreiftem Saume und hyalinen Bläschen. Das seitliche grös- sere Bläschen scheint durch ein Abheben der Zellmembran vom Inhalt entstanden zu sein, während das kleinere als sogenannte Eiweisskugel aufgefasst werden muss. Fig. 2. Ebendaher. Von den beiden seitlichen Bläschen lässt sich nicht entscheiden, ob sie Eiweisskugeln oder die abgehobene Zellmem- bran darstellen, Fig. 3. Zellen vom Laubfrosch, mit tleilweise abgehobenem Ba- salsaum. Fig. 4. Zelle von Peiromyzon fluviatilis, mit zerfallendem Basal- saume (Cilienbesatz ?). Fig. 5. Zellen von der Katze, in Chromsäure erhärtet. Die unte- ren Enden derselben sind, durch Einwirkung der Chromsäure, stark in die Länge gezogen. Die breitere Stelle an der Spitze gehört dem Theile der Zelle an, welcher die hyaline Grenzschicht berührte. Bei ce decken sich zwei Zellen theilweise und geben das Bild einer Zelle mit zwei Ausläufern. Man sieht indessen den Kern der tiefer gele- genen durch die obere durchschimmern. Fig. 6. Zellen vom Meerschweinchen, in Chromsäure erhärtet, mit künstlich gemachten, oft für Bindegewebskörperchen gehaltenen Vari- cositäten. Fig. 7. Zellen vom Schwein, mit Wasser behandelt. Der untere Theil der Zellen, so wie der Basalsaum mit dem entsprechenden Theile der Zellmembran sind abgerissen, ein Theil des Zellinhaltes entfernt. Fig. 8. Basalsaum vom Frosch, in grösserer Ausdehnung als Mem- bran von den Zellen abgezogen. Einige den Zellen entsprechende Fel- der sind ganz hyalin, andere fein punktirt, als Ausdruck des Zerfalls. Fig. 9. Zellen vom Frosch in der Seitenansicht, mit zerfallendem, einzelne Fettkörnchen einschliessenden Basalsaum. 406 Pr. W. Dönitz: Ueber die Schleimhaut des Darmkanals. Fig. 10. Zellen von der Taube. Die mittlere, stark granulirte und dunkele Zelle scheint abgestorben zu sein und ausgestossen zu werden. Fig. 11. Ebendaber; Flächenansicht. Der aufgeblähte Basalsaum dreier Zellen lässt letztere heller erscheinen als ihre Umgebung und verdeckt benachbarte Zellen zum Theil, so dass diese ein wenig zu- sammengedrückt aussehen. Fig. 12. Längsschnitt einer in Chromsäure erhärteten Zotte vom Meerschweinchen. An der einen Seite haben die Epithelzellen ihre normale Gestalt bewahrt. Gegen die Spitze der Zotte hin sieht man ihr unteres Ende allmählich länger werden. An der Spitze selbst sind die unteren Enden abgebrochen. Im Parenchym der Zotte erkennt man Blutgefässe mit polyedrisch gegeneinander abgeplatteten Blutkör- perchen. Nach der Mitte hin folgen Bindegewebskörper in einer un- deutlich faserigen, jedenfalls stark veränderten Intercellularsubstanz. Das Lumen in der Axe der Zotte könnte als Chylusgefäss gedeutet werden. Fig. 13. Vom Huhn. Grenzlamelle, direct in die Tunica propria der Lieberkühn’schen Drüsen übergehend. An einzelnen Stellen be- merkt man den polyedrischen Abdruck des entfernten Epithels. Da- neben treten einige, wahrscheinlich vom Substrat mit hinweggerisse- nen Bindegewebskörperchen, sowie einige Blutcapillaren auf. Poren sind in der Membran nicht vorhanden. Fig. 14. Spitze einer Zotte vom Hunde. Die äusserste Spitze ist mit Fett imprägnirt, welches jedes weitere Detail verdeckt. Am äus- seren Umfang liegen neben grösseren Fetttropfen einige dunkel gra- nulirte Körper, aus denen sich ein Fetttropfen hat ausdrücken lassen. Die im unteren Theil der Zeichnung weiteren Maschen werden yegen die Mitte hin, wo sich eine Contraction der Zotte durch die an den seitlichen Contouren bemerkbare Runzelung kennzeichnet, immer nie- driger. Endlich hört die Füllung der Capillaren gerade an der Stelle auf, wo die Fettinfiltration beginnt; nur grössere Gelässe lassen sich noch weiterhin verfolgen. Die Zotte ist verhäitnissmässig breit und enthält demnach zwei gefüllte Chylusgefässe. Dr. L. Stieda: Zur vergleich. Anatomie u, Histol. d. Cerebellum. 407 Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. Von Dr. LupwiG STIEDA, Privatdocent und Assistenz-Arzt in der medieinischen Klinik zu Dorpat. (Hierzu Taf. IX. B.) Die Rinde des Cerebellum des Menschen und der Säuge- thiere ist von allen Theilen des Gehirns vorzugsweise einer näheren mikroskopischen Untersuchung unterworfen worden. Dass hiermit jedoch heute das Verständniss des Baues dieses Gehirntheiles schon als abgeschlossen anzusehen sei, kann man keinesweges behaupten; vielmehr haben sich hier wie überall mit der fortschreitenden. Untersuchung neue Fragen, die der Beantwortung warten, aufgedrängt. — Von der Idee ausge- hend, dass einzelne Verhältnisse in der Structur des Cerebellum bei den niederen Wirbelthieren vielleicht deutlicher ausgeprägt, einzelne Elemente leichter in ihrem Zusammenhange mit an- deren zu erkennen sein würden, wandte ich mich nach einer wiederholten Untersuchung des Cerebellum des Menschen und der Säugethiere, auch dem Öerebellum der Vögel, Amphibien und Fische zu, in der Hoffnung auf diese Weise durch den Vergleich der analogen Theile das gewünschte Ziel des Ver- ständnisses zu erreichen. Die Resultate dieser meiner Untersuchungen sind in den vorliegenden Mittheilungen enthalten. — Die Methode, welche ich befolgt habe, um die zur mikro- skopischen Untersuchung brauchbaren Präparate aus dem Ce- rebellum zu gewinnen, ist die bekannte von Reissner schon 408 Dr. Ludwig Stieda: seit längerer Zeit bei Uutersuchung des Oentralnervensystems angewandte, und von ihng selbst in den Spalten dieses Journals früher ausführlich beschriebene. — Cerebellum des Menschen. Durchschneidet man eine Hemisphäre des Cerebellum in senkrechter Richtung, so erhält man auf der Schnittfläche das Bild eines durch die weisse Markmasse gezeichneten Baumes, dessen Aeste nach allen Richtungen hinziehend und vielfach sich theilend, beinahe bis an die Oberfläche des Gehirns rei- chen. Umsäumt wird die weisse Markmasse durch eine dünne Schicht von grauer Masse, durch die graue Rinde oder die Rindensubstanz. Diese graue Rinde lässt nun bei genaue- rer Betrachtung zwei verschieden gefärbte Lagen unterscheiden, deren Sonderung durch die in ihnen auftretenden histologischen Differenzen gerechtfertigt erscheint. Für diese beiden Lagen finden sich bei verschiedenen Autoren verschiedene Benennun- gen aufgezeichnet, deren specielle Aufzählung hier als über- flüssig erscheint. Am gebräuchlichsten sind die von Kölli- ker?) der Farbe entsprechend gewählten Bezeichnungen. Köl- liker nennt die innere die rostfarbene, die äussere die graue Schicht. Bisweilen, jedoch im Ganzen sehr selten, ist man bei gewisser Schnittrichtung im Stande zwischen bei- den oben genannten Schichten einen äusserst schmalen, hellen Streifen zu erkennen. Das hat Arnold und Krause wohl dazu bewogen, die Zahl der Schichten hier noch um eine zu vermehren. Färbt man, wie es zum Zweck der histologischen Unter- suchung geschieht, Stücke des in wässriger Chromsäurelösung erhärteten Cerebellum durch carminsauren Ammoniak, so zeigt sich, den erwähnten Schichten entsprechend, eine verschieden rothe Färbung. Die rostfarbene Schicht hat am Intensivsten den Farbstoff aufgenommen und erscheint ganz dunkel, die weniger stark gefärbte graue Schicht erscheint roth und die am wenigsten gefärbte weisse Marksubstanz erscheint rosa. EZ 1) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre. 4. Aufl. Leipzig 1862. p. 322. Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 409 Was die Mächtigkeit dieser Lagen betrifft, so ist darüber folgendes zu sagen: die beiden Layen sind an Mächtigkeit ein- ander nicht gleich, wie ein senkrecht auf die Gyri gelegter Schnitt zeig. Während nämlich die äussere graue Schicht nahezu überall die gleiche Breite von 0,28—0,42 Mm. hat, misst die innere rostfarbene auf der Höhe der Gyri ebenfalls 0,23—042 Mm., dagegen in der Tiefe der Windungen, woselbst die graue Rinde und die weisse Markmasse einander sehr nahe rücken, nur 0,112—0,140 Mm., das in die rostfarbene Schicht hineinziehende Bündel weisser Marksubstanz hat etwa eine Breite von 0,140 - 0,165 Mm. — Dieses Verhalten stimmt mit den Angaben Gerlach’s!) überein. „Was schliesslich die Dicke der Körnerschicht (rostfarbene Schicht) betrifft, so ist diese auf der Höhe der Windungen am beträchtlichsten und nimmt gegen die Tiefe der Windungen ab.“ Wie Kölliker zu einer, diesem thatsächlichen Befunde ganz widersprechen- den Anschauung gekommen ist, weiss ich nicht zu erklären. Kölliker sagt nämlich ?): Diese (die Oberfläche der Windun- gen des kleinen Hirns) besteht überall aus einer innern rost- farbenen und einer äusseren grauen Schicht, welche mit Aus- nahme der Furchen, in denen die innere Schicht meist stärker ist, so ziemlich dieselbe, jedoch nicht überall gleiche Mächtigkeit besitzen. — Ich gehe auf die mit dem Mikroskop ermittelte Bosebadin. heit der verschiedenen Schichten ein: Die weisse Substanz der Windungen besteht vorwiegend aus dunkelrandigen, leicht varicös werdenden Nervenfasern von durchschnittlich 0,003 Mm. Breite, welche pinselförmig in der rostfarbenen Schicht aus- strahlen. Zwischen den Fasern zerstreut finden sich einzelne rundliche Gebilde mit feinkörnigem Inhalt und einem Durch- messer von 0,006 Mm., sie haben das Aussehen eines Zellen- kernes. Zur rostfarbenen Schicht hin nehmen sie zu. — Thei- 1) Gerlach, Mikroskopische Studien aus dem Gebiete der menseh- lichen Morphologie. Erlangen 1858. $. 9. 2) Kölliker, 1. c. S. 322. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 27 410 Dr. Ludwig Stieda: lungen der Nervenfasern sollen nach Gerlach!), Hess?), Rutkowski?°) hier vorkommen; Kölliker?) bestreitet diesen Befund. Auf Grund meiner Untersuchungen muss ich, der Kölliker’schen Angabe beipflichtend, ebenfalls die Theilung der Nervenfasern in Abrede stellen. — Die rostfarbene Schicht (Fig. 1. b) besteht vorwiegend aus einer Menge kleiner 0,006 Mm. im Durchmesser haltender rundlicher Gebilde, welche einen feinkörnigen Inhalt besitzen. Sie sind Zellenkernen im Ansehn ganz gleich, besitzen biswei- len auch ein Kernkörperchen. An einzelnen dieser Kerne haf- tet etwas feinkörnige Umhüllung, an anderen erkennt man eine zweite, sehr blasse Contour, bisweilen auch ein oder zwei Fortsätze. Man hält diese Gebilde jetzt wohl mit Kölliker‘®) allgemein für kleine Zellen, deren Kerne allein sichtbar sind. Gerlach’), Hess‘), Rutkowski”) nennen diese Gebilde „Körner“, weil man ähnliche oder analoge Gebilde in der Retina so zu bezeichnen pflegte. Da dieser Ausdruck aber durchaus keinen histologischen Begriff in sich schliesst, so ziehe ich es vor, diese Gebilde als „Kerne“ oder „kleine Zel- len“ zu bezeichnen. An Schnitten, welche durch Terpenthinöl durchsichtig gemacht worden sind, sieht man kaum etwas An- deres in dieser Schicht, als die Masse der Kerne (Fig. I. b bis 8), untersucht man dagegen einen recht feinen Schnitt der erhärteten und gefärbten Rinde einfach mit Wasser oder Gly- cerin, so erkennt man zwischen den Kernen sich zahlreiche deutlich markhaltige 0,002—0,0015 Mm. breite Nervenfasern der Länge nach erstrecken und einen zarten, breitmaschigen Plexus bilden. Da man einzelne Fasern der weissen Mark- ) Gerlach, .ec. Ss. 5» 2) Hess, de cerebelli gyrorum textura disquisitiones microscopicae. Dorpati 1858. p. 16. 3) Rutkowski. Ueber die graue Substanz der Hemisphären des kleinen Gehirns. Dorpat 1861. S. 20. 4) Kölliker, 1. c. S. 322. 5) Gerlach, 1. c. S. 9. 6) Hess, 1. c. p. 16. 7) Rutkowski, |. c. S. 13, Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum, 411 substanz mit Leichtigkeit in die rostfarbene Schicht hinein ver- folgen kann, so darf man wohl mit Sicherheit annehmen, dass alle Nervenfasern der rostfarbenen Schicht aus der weissen Substanz stammen. Dass Theilungen der Nervenfasern mir nicht zu Gesicht gekommen sind, muss ich den Angaben von Gerlach, Hess und Rutkowski gegenüber, besonders er- wähnen. — Hier und da erscheint zwischen den Kernen und Fasern eine feinkörnige Grund- oder Zwischensubstanz. Ger- lach), Hess?), Walter°?), Rutkowski) theilen überein- stimmend mit, dass sie die Fortsätze jener kleinen Zellen, welche sie für Nervenzellen (bipolare Ganglienzellen Walters) halten, mit den vielfach getheilten Axeneylindern der in der rostfarbenen Schicht befindlichen markhaltigen Nervenfasern in Verbindung gesehen zu haben. Ich habe ebenso wenig, als Kölliker°’), mich davon überzeugen können, dass irgend eine thatsächliche Verbindung zwischen den Nervenfasern und jenen Zellen besteht. — Todd-Bowman, Gerlach, auch Kölliker reden noch von anderen Zellen, die sie „kleine Nervenzellen“ nennen, und die bisweilen zwischen den Kernen der rostfarbenen Schicht angetroffen werden sollen. Ich habe derartige kleine Nerven- zellen nicht gefunden. Die Annahme einer besonderen durch die grossen Nerven- zellen gebildeten „Zellenschicht* (Gerlach u. Hess) halte ich nicht für gerechtfertigt. Ihrer Lage nach gehören die grossen Zellen mehr in die rostfarbene Schicht hinein, die Besprechung derselben geschieht aber wohl zweckmässiger mit der grauen Schicht. Die graue Schicht (Fig. 1 u. 2 a) bietet bei mikrosko- pischer Betrachtung ein ganz anderes Bild, als die rostfarbene. Sie erscheint feinkörnig, hier und da gestreift, enthält zer- 1) Gerlach, 1. e. S. 8. 2) Hess, krcs p. 19. 3) Walter, Ueber den feineren Bau des Bulbus olfactorius. Vir- chow’s Archiv für path. Anat. Bd. XXII. S. 252. 4) Rutkowski, $. 20. 5) Kölliker, S. 324. 20 412 Dr. Ludwig Stieda:. streute Kerne, in der an die rostfarbene Schicht stossenden Partie noch markhaltige Nervenfasern und die Fortsätze der grossen Nervenzellen. An der Grenze zwischen rostfarbener und grauer Substanz, welche an Horizontalschnitten eine ziem- lich gerade Linie darstellt (Fig. 1), befinden sich grosse, deutlich mit Fortsätzen versehene Zellen, die von Pur- kinje entdeckten und zum ersten Male beschriebenen Ner- venzellen. (Fig. 1 u. 2 ce c.) Die Zellen liegen bald zum Theil, bald ganz in der rostfarbenen Schicht, bald mehr in der grauen, gewöhnlich in beiden zugleich. Ueber die Mächtigkeit der Zellenlage und die Form der Zellen sind die bisher von den Autoren gemachten Angaben nicht ganz über- einstimmend: Kölliker!) giebt an, die Zellen fänden sich in einfacher, stellenweis doppelter Lage, während die anderen Autoren, Jakubowitsch?), Gerlach’), Hess®), Wagner’), Rutkowski°) die einfache Lage der Zellen betonen. — Ich bin ebenfalls zu der Ansicht gelangt, dass die Zellen stets in einfacher Lage sich befinden (Fig. 1). Macht man einen Schnitt in einer zur Tangentialebene der Gyri pa- rallel laufenden Fläche, so dass die Gyri zum grössten Theil in ihrer Länge getroffen werden (Horizontalschnitte), so er- hält man, sobald das in die Gyri eintretende Markbündel nicht getroffen ist, in der Mitte die rostfarbene Substanz als breite Schieht (Fig. 1 b) und zu beiden Seiten die graue (Fig. a, a). Die graue Substanz ist sehr scharf von der rostfarbenen abge- grenzt und an der Berührungsstelle beider befinden sich in stets einfacher Lage die grossen Nervenzellen, welche meist so gestellt sind, dass meist der grössere Theil der Zellen oder auch die ganze Zelle in die rostfarbene Substanz hineinragt. 1) Kölliker, 8. 323. 2) Jakubowitsch, Mittheilungen über die feinere Structur des Gehirns und Rückenmarks. Breslau 1857. 8. 35. 3) Gerlach, S. 10. 4) Hess, 1. c. Fig. 2. 5) Wagner, Nachrichten von der G. A. Universität u. der königl. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. März 1859. Bd. 6. S. 76. 6) Rutkowski, S. 32. Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 413 Derartige Schnitte beweisen auch zur Genüge, dass von einer besonderen Zellenschicht nicht die Rede sein darf. Fertigt man Schnitte in senkrechter Richtung quer durch die Gyri an, so erhält man ebenfalls die Zellen in nur einfacher Lage. Fällt der Schnitt aber schräg auf die Gyri, so erhält man an einzelnen Stellen die Zellen nicht allein in zwei-, sondern auch in drei- und vierfacher Reihe. Dieser Befund hat offenbar Kölliker bewogen, eine stellenweis doppelte Zellenlage an- zunehmen, ich glaube aber, dass man aus derartigen Schnitten nicht diesen Schluss ziehen dürfe. — Ich bin der Ansicht, dass durch einen schief oder schräg durch die Gyri geführten Schnitt, die verschiedenen Schichten unter sehr. spitzem Winkel getrof- fen sind und auf diese Weise zwei oder drei neben einander liegende Zellen beim Schnitte übereinander zu liegen kommen. In gleicher Weise hat die Schnittrichtung auch auf die sich präsentirende Form der Zellen grossen Einfluss. Kölliker be- schreibt die Zellen als rund, birn- oder eiförmig, Gerlach als oval, Rutkowski als schlauch- oder birnförmig. Hess sagt von den Zellen: plerumque tamen prope ad lagenarum for- mam accedunt. Führe ich die Schnitte in gewöhnlicher Weise senkrecht oder mehr geneigt zur Oberfläche der Gyri, so finde ich die Zellen in einfacher oder mehrfacher Reihe und sehr mannichfaltiger Form. Es lassen sich vorwiegend runde oder ovale, aber auch birnförmige und retortenförmige, selten spin- delförmige sehen. Die Zellen sind so gestellt, dass das eine mehr abgerundete Ende zur rostfarbenen Schicht, das andere in einen Fortsatz auslaufend zur grauen Schicht gerichtet ist, doch giebt es auch Zellen, deren Längsdurchmesser mit der Grenzlinie zwischen beiden Schichten zusammenfällt. Führe ich den Schnitt in einer mehr horizontalen Richtung durch die Gyri, so sehe ich fast nur spindelförmige Zellen in einfacher Reihe und sehr regelmässigen Abständen von einander (Fig. 1). Die Entfernung zweier Zellen von einander an möglichst dünnen Schnitten gemessen, wobei man sicher ist, nur eine Zellenreihe in den Schnitt bekommen zu haben, beträgt etwa 0,070 Mm. Die Grösse der Zellen anlangend, finde ich bei den runden Zellen einen Durchmesser von 0,024 Mm., bei den 414 Dr. Ludwig Stieda: mehr gestreckten, spindelförmigen beträgt der längere Durch- messer 0,030-—0,045 Mm. und der kürzere 0,012—0,018 Mm. Die Zellen haben einen feinkörnigen Inhalt, einen 0,009—0,012 Mm. im Durchmesser haltenden Kern und ein Kernkörperchen von 0,003 Mm. Durchmesser. Die meisten der Zellen lassen Fortsätze erkennen (Fig. 1 u. 2 d). Der bei weitem grösste Theil dieser Fortsätze geht in die graue Schicht hinein, nur sehr wenige sind zur rostfar- benen Schicht gerichtet, oder lassen sich in diese hinein ver- folgen. Von den ersten, den peripherischen oder äusseren Fortsätzen sagt Kölliker'!): „Am Ursprunge sind die äusse- ren Fortsätze bis 0,007, ja selbst 0,008 Mm. dick, äusserst feinkörnig und sehr zartstreifig; im weiteren Verlaufe werden sie mehr gleichartig und verästeln sich zugleich auf’s Mannich- faltigste und Zierlichste, so dass schliesslich aus jedem Fort- satz ein grosses Büschel ganz freier Fäserchen von einem Durchmesser von kaum 0,002 ''' die feinsten, entsteht.“ Die letzten Verzweigungen erstrecken sich oft bis an die äusserste Oberfläche der grauen Schicht, wo sie nach Kölliker zum Theil wenigstens mit leichten knopf- oder birnförmigen An- schwellungen zu enden scheinen. Gerlach?) und Hess?) beschreiben in gleicher Weise die Zellenfortsätze und ihre Ver- breitung in der grauen Schicht, woselbst sie mit den Fortsätzen der hier befindlichen „Körner* zusammenhängen sollen. Rut- kowski lässt die Zellenfortsätze in die moleculäre Grund- substanz in seine „spongiöse centrale Deckplatte“ über- gehen. Ich finde, dass auch die Zahl und Form der Zellen- fortsätze sehr von der Schnittrichtung abhängig ist. Führe ich den Schnitt in senkrechter Richtung quer durch die Gyri, so erhalte ich Zellen mit peripherischen sich theilenden Fortsätzen, welche den von Kölliker, Gerlach etc. beschriebenen ganz gleichkommen (Fig. 2 c, d). Ich sehe mit wenig Ausnahmen in jeder Zelle einen oder zwei 0,0045 Mm. starke sich thei- 1) Kölliker, S. 323. 2) Gerlach, 8. 14. 3) Hess, p. 20. Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 415 lende Fortsätze abgehen. Ein Theil der Fortsätze ist senk- recht, ein Theil schräg, ein Theil wagrecht gestellt. Biswei- len findet man Zellen, deren zwei Fortsätse ganz wagrecht in einander entgegengesetzter Richtung nahe der Grenze der rost- farbenen Substanz hinziehen. Durch allmähliche Theilung und Verästelung rücken die mehr senkrechten Aeste der Peripherie der grauen Schicht sehr nahe, sind oft nur 0,0015 Mm. fein und erscheinen mir wie abgeschnitten (Fig. 2d‘). Eine Endi- gung in leichte Anschwellungen (Kölliker) oder ein voll- ständiges Uebergehen in die Grundsubstanz (Wagner, Rut- kowski) habe ich nicht beobachtet. Anders erscheinen die peripheren Fortsätze auf einem horizontal durch die Gyri ge- legten Schnitt (Fig. 1): entweder sieht man an jeder Zelle einen Fortsatz, oder die Zellen haben gar keine Fortsätze. Der sichtbare Fortsatz ist meist kurz und eine Verästelung oder Theilung ist tiefer wahrzunehmen; der Fortsatz zieht ge- rade senkrecht in die graue Schicht hinein. Daneben sieht man eine Menge andere offenbar durch den Schnitt von ihren Zellen getrennte Fortsätze in derselben Richtung. An solchen horizontalen Schnitten sieht man an den Stellen, wo der Schnitt die Oberfläche der Gyri wiederum getroffen bat, Zellen, deren Fortsätze die Fortsätze der anderen Zellen fast unter rechtem Winkel kreuzen. — Dieser bisher nicht erwähnte Verlauf der Fortsätze, wie er sich auf Horizontalschnitte cdarbietet, er- scheint mir insofern wichtig, weil er jedenfalls dazu dienen muss, die Ansicht von der Umbiegung der Zellenfortsätze zu unterstützen. Alle Autoren erwähnen ausserdem noch anderer Fortsätze, welche in die rostfarbene Schicht hineinziehen. Diese inne- ren oder centralen Zellenfortsätze treten nach Gerlach'), Hess?), Walter’), Rutkowski?) mit den Fortsätzen der kleinen Zellen der rostfarbenen Schicht in Verbindung und 1) Gerlach, S. 11. und S. 17. 2) Hess, p. 22. 3) Walter, S. 232, 4) Rutkowski, 8. 29. 416 Dr. Ludwig Stieda: stehen demnach vermittelst dieser mit den Nervenfasern im Zu- sammenhang. Ich habe, namentlich an horizontalen Schnitten häufig Gelegenheit gehabt, diesen centralen Fortsatz zu beob- achten. Einen Uebergang der centralen Zellenfortsätze in markhaltige Nervenfasern, wie ihn Walter!) beobachtet ha- ben will, oder einen Zusammenhang der Fortsätze mit denen der kleinen Zellen in der rostfarbenen Schicht, habe ich nie- mals gesehen. — Verbindungen der Zellenfortsätze untereinander sind mir auch nicht zu Gesicht gekommen, so dass ich die Richtigkeit der Angabe Walter’s') darüber bezweifele.. Die Angabe von Jakubowitsch, nach welcher die letzten Verästelungen der peripheren Zellenfortsätze an ihren äussersten Enden mit ein- ander zusammenfliessen, muss ich gänzlich in Abrede stellen. Die graue Schicht hat, besonders an etwas dicken Schnit- ten in ihrer der Oberfläche näherliegenden Partie ein mehr oder weniger gestreiftes Ansehn; es wird dasselbe durch feine zarte einander parallel laufende Fasern bedingt, welche Axen- cylindern oder Zellenfortsätzen ähnlich, etwa bis an die Peri- pherie der Schicht reichen. An horizontalen Schnitten zeigt sich ausser dieser erwähnten Streifung mitunter noch eine an- dere, erstere unter rechtem Winkel kreuzend, auch hier sind gleiche Fasern die Ursache. Schon Remak?) und Berg- mann?) haben auf diese Streifung aufmerksam gemacht, aber erst später wurde dieselbe von Kölliker und Gerlach auf die Zellenfortsätze bezogen, welche in der grauen Schicht eine mehr weniger senkrechte Richtung einschlagen. Ausserdem finden sich jedoch nur in der an die rostfarbene Schicht anstossenden Partie der grauen Substanz Fasern, welche senkrecht die Grenzlinie beider Schichten durchschneidend in die graue Schicht hinein eine Strecke sich verfolgen lassen; 1) Walter, S. 252. 2) Remak, Müller’s Archiv, Jahrg. 1841. S. 514. 3) Bergmann, Notiz über einige Structurverhältnisse des Cere- bellum und Rückenmarks. Zeitschrift für. rationelle Med. N. F. Bd. VII. S. 360. | Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 417 es sind markhaltige Nervenfasern, welche an sehr schmalen Stellen der rostfarbenen Schicht durch diese hindurch im Zu- sammenhang mit den Bündeln der weissen Substanz zu er- blicken sind. Wahrscheinlich stehen diese Nervenfasern der grauen Substanz, wie Kölliker ebenfalls vermuthet, mit den peripherischen Zellenausläufern in Verbindung. Zerstreut in der grauen Substanz finden sich kleine runde mitunter spindelförmige oder dreieckige Zellen mit sehr gros- sem, die Zelle oft ganz ausfüllendem Kerne und einem oder ein Paar kurzen Fortsätzen (Fig. 2 k); bisweilen erkennt man auch einen 0,006 Mm. im Durchmesser haltenden Kern. Kölliker unterscheidet in der grauen Substanz kleine Ner- venzellen und Zellen der Bindesubstanz. Diesen Unterschied zu machen, bin ich nicht im Stande, ich halte alle zelligen Elemente der grauen Schicht, abgesehen von den grossen Ner- venzellen, für Zellen der Bindesubstanz. Die eigentliche Grundsubstanz der grauen Schicht, welche alle die besprochenen Elemente in sich aufgenommen hat, er- scheint mir an frischen, wie an gut gehärteten Präpa- raten bei 330 facher Vergrösserung sehr feinkörnig, fein granulirt; bei c. 700facher Vergrösserung bin ich im Stande, die ungemein kleinen, glänzenden Körnchen oder Kügelchen der moleculären Masse zu erkennen. In übereinstimmender Weise beschreibt Gerlach!) die Grundsubstanz als feinkörnig, ebenso Hess?), Virchow?°), Henle, Uffelmann, Wagner etc. Für die graue Substanz des Cerebellum hat zuerst Rut- kowskit) ein»Netzwerk beschrieben, welches dem von Schultze?) und Stephany‘) in. der Grosshirnrinde entdeck- ten analog sein sollte. Rutkowski lässt dasselbe aus äus- serst zarten Fädchen bestehen und nennt es die „spongiöse cen- 1) Gerlach, S. 13. 2) Hess, p. 23. 3) Virchow, Cellularpathologie 3te Aufl. S. 257. 4) Rutkowski, I. e, S. 47. 5) Schultze, De Retinae structura penitiori 1859. 6) Stephany, Beitrag zur Histologie der Rinde des grossen Ge- hirns. Dorpat 1860. 418 Dr. Ludwig Stieda: trale Deckplatte*. In neuester Zeit fasst auch Kölliker, seine frühere Ansicht über die moleculäre Beschaffenheit der grauen Substanz aufgebend, dieselbe als ein Reticulum der Bindesubstanz der feinsten Art auf, die scheinbar feinkörnige blosse kernhaltige Bindesubstanz des Centralnervensystems. Ohne auf diese in neuester Zeit vielfach erörterte Streitfrage einzugehen, will ich kurz bemerken, dass ich an der molecu- lären Beschaffenheit der Grundsubstanz in der Hirnrinde fest- halte, und dass ich, wenn sich wirklich hie und da an einzel- nen Präparaten eine Art von Netzwerk darbietet, ich dasselbe mit Henle und Uffelmann für ein auf Rechnung der Chrom- säure zu schreibendes Kunstproduct halte. (Henle, Bericht über den Fortschritt der Anatomie und Physiologie im Jahre 1859 S. 37 im Jahr 1862 S. 54; Uffelmann, Untersuchung über die graue Substanz der Grosshirnhemisphäre. Zeitschrift für rat. Medic. XIV. Bd. S. 232.) — Von Säugethieren habe ich das Cerebellum untersucht bei der Katze, der Ratte, der Maus und beim Kaninchen. Abgesehen von dem Unterschiede in der äusseren Gestaltung des Cerebellum und von einigen im Ganzen unbedeutenden Differenzen in der Grösse der Nervenzellen, habe ich Nichts dem bisher Gesagten hinzuzufügen. Cerebellum der Vögel. Von Vögeln habe ich nur die Taube und das Huhn unter- sucht. Bekanntlich ist das Cerebellum der Vögel in seiner äusseren Gestalt in so weit dem Üerebellum der Säugethiere ähnlich, als es auch deutliche Windungen, jedoch nur eine der Quere des Gehirnes nach verlaufende Reihe besitzt. Das der Länge nach senkrecht durchschnittene Oerebellum gleicht vollkommen der Schnittfläche einiger Gyri aus dem Cerebel- lum des Menschen oder eines Säugethieres. Man kann hier sowohl an frischen, als auch an gehärteten und mit Carmin gefärbten Gehirnen dieselben Schichten und dieselben Farben- unterschiede machen. Dem entsprechend ergiebt die mikro- skopische Betrachtung genau dieselben Elemente in ganz glei- cher Anordnung und Lage. Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum,. 419 Die graue Rinde des Cerebellum beim Huhne oder bei der Taube misst 0,42—0,56 Mm., davon kommen auf die Breite der grauen Substanz etwa 0,28 —0,35 Mm., auf die der rost- farbenen Schicht in der diekeren Partie 0,230 Mm., in der dünnen 0,140 Mm. Die Breite des in einer Windung hinein- ziehenden Markbündels beträgt ebenfalls 0,140 Mm. In Hinsicht auf die einzelnen histologischen Elemente er- wähne ich nur, dass die Kerne der rostfarbenen Schicht bei weitem kleiner als bei Menschen und Säugethieren sind, nur etwa 0,003 Mm. im Durchmesser haben. Die Kerne erschei- nen auch nicht so dicht gedrängt, sondern lassen deutlich die feinkörnige Grundsubstanz dazwischen erkennen. Die grossen Nervenzellen sind von sehr mannichfaltiger Form, regelmässig dicht neben einander in eine Lage geordnet; ihr Längendurch- messer beträgt 0,015—0,018., ihr Breitendurchmesser 0,012 bis 0,015 Mm.; ihr Kern hat einen Durchmesser von 0,006 Mm., das Kernkörperchen kaum 0,002 Mm. Die Zellen zeichnen sich durch eine ganz ungemein zahlreiche Verästelung ihrer peripherischen Fortsätze aus. In der grauen Substanz ist die radiäre Streifung ganz vorzüglich ausgeprägt. Cerebellum der Amphibien. Das Cerebellum der Eidechse (Lacerta agilis) ist frisch, wie die übrigen Hirntheile dieses Thieres, von weisser Farbe. Es ist eine '/, Mm. dicke, platte Lamelle, welche in senkrech- ter Richtung quer auf dem IV. Ventrikel ruht und den Lobis optieis anliegend mit der Medulla oblongata nur seitlich in Ver- bindung steht. Das Cerebellum ist an seiner hintern Fläche von oben nach unten leicht convex und in seinem unteren Theile etwas dicker, als oben. Ein senkrechter Schnitt hat etwa die Form eines Dreiecks. An einem erhärteten und in Carmin gefärbten, senkrecht durehschnittenen Cerebellum ist mit unbewaffnetem Auge nur zu erkennen, dass die der hin- teren Fläche des Cerebellum zugewandte Partie des Schnittes etwas stärker gefärbt erscheint, als die vordere. Bei geringer Vergrösserung lassen sich durch die verschiedene Färbung zwei Schichten deutlich von einander scheiden, von denen die 420 Dr. Ludwig Stieda: der hinteren Fläche des Cerebellum entsprechende schön roth, die der vordern sehr blass erscheint. An der Grenze zwischen beiden Schichten tritt, namentlich an Schnitten, welche den seitlichen Partien des Cerebellum entnommen sind, noch ein deutlicher, oft sehr breiter heller Streifen auf. Ich bezeichne die nach hinten gelegene rothe Schicht des Cerebellum dem Resultat der mikroskopischen Untersuchung vorgreifend, in Analogie mit. den Schichten der Rinde vom Cerebellum höherer Wirbelthiere als rostfarbene (Fig. 3. b), die nach vorn gelegene blasse als graue Schicht (Fig. 3. a). Die Breite der grauen Schicht ist, wie senkrechte und hori- zontale Schnitte lehren, fast überall eine gleiche 0,2380 Mm., nur in den oberen Partieen nimmt die Breite ein wenig ab. Die rostfarbene Schicht ist unten am breitesten 0,280 Mm. und nimmt, wie auf senkrechten Schnitten ersichtlich, von unten nach oben und von einer zur andern Seite ab. Die rostfarbene, der hinteren Fläche des Cerebellum ent- sprechende Schicht erscheint bei starker Vergrösserung unter dem Mikroskop, wie die rostfarbene Schicht am Cerebellum der Säuger oder der Vögel (Fig. 3. b). Sie besteht vorwie- gend aus denselben oder analogen kleinen, sphärischen Gebil- den, den kleinen Zellen oder Kernen, wie sie schon hinläng- lich aus dem Cerebellum der höheren Wirbelthiere bekannt sind. Dieselben sind 0,005—0,0045 Mm. im Durchmesser, haben einen feinkörnigen Inhalt und lassen hie und da eine zarte Zellmembran und kurze Ausläufer erkennen. Zwischen diesen kleinen Zellen, welche oft sehr regelmässig in Reihen angeordnet erscheinen, befinden sich markhaltige Nervenfasern. Auf senkrechten Schnitten verlaufen die Nervenfasern meist der Länge nach, doch finden sich auch querdurchschnittene Fasern in hinreichender Menge. Hie und da erscheint zwi- schen den nicht sehr dieht gestellten Kernen etwas feinkör- nige Grund- oder Zwischensubstanz. Am äussersten Rande der rostfarbenen Substanz liegt eine Reihe meist konischer Zellen, welche mit einem grossen Kern versehen sind. Die Basis der Zellen ist nach aussen gerichtet und die Spitze läuft in’ einen langen Fortsatz aus, welcher zwischen die Kerne Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum, 42] der rostfarbenen Schicht eindringt. Es ist dieses die von dem vierten Ventrikel auf die hintere Fläche des Cerebellum sich fortsetzende Epithelialbekleidung. — Die zwischen den Kernen der rostfarbenen Schicht befindlichen markhaltigen Nervenfa- sern (Fig. 3. g), welche aus der seitlichen Partie der Me- dulla oblongata herziehen, nehmen mehr zur grauen Schicht hin an Menge zu, so dass sie an den seitlichen Partieen des Oe- rebellum entnommenen Schnitten eine 0,014 Mm. breite Schicht darstellen. Die graue Schicht enthält in der an die oben bespro- chene Schicht stossenden Partie grosse Nervenzellen in mehr- facher Lage. Die Zellen sind von runder, ovaler oder spin- delförmiger Gestalt (Fig. 3. ec). Sie sind etwa 0,015 Mm. lang, 0,012 Mm. breit, .haben einen auffallend grossen Kern mit einem Durchmesser von 0,009 Mm. und ein kleines kaum 0,002 Mm. messendes Kernkörperchen und meist einen, seltener zwei in entgegengesetzter Richtung hinziehende Fortsätze. Der eine gewöhnlich an allen Zellen vorhandene Fortsatz ist zur Pe- ripherie gerichtet (Fig. 3. d), meist ziemlich lang und oft weit in die graue Schicht hinein zu verfolgen. Der andere in entgegengesetzter zur rostfarbenen Schicht gewandte, ist ein meist sehr kurzer Fortsatz. — Theilungen der Fortsätze oder eine Verbindung derselben unter einander, habe ich nicht beob- achtet. Zwischen den Zellen ziehen gerade oder schräge, zarte, schwach gefärbten Axencylindern ähnlich sehende Fasern aus dır rostfarbenen in die graue Schicht. — An der Peripherie der Schnitte ist die graue Schicht regelmässig senkrecht ge- streift; mehr zu den Zellen hin wird die Streifung unregel- mässig. Die Streifung wird durch feine Fasern von 0,0015 bis 0,002 Mm. Breite hervorgerufen, welche wie Axencylinder aussehen, sich leicht färben und in der den Zellen zunächst liegenden Partie der grauen Schicht offenbar mit den Fort- sätzen der grossen Zellen identisch sind. Zerstreut durch die graue Schicht sind noch einzelne kleine runde oder spindel- förmige mit kurzen Fortsätzen versehene kleine Zellen oder nur deren Kerne sichtbar. — Die Hauptmasse der grauen Schicht hat auch hier ein feinköriges, moleculäres Ansehen, 422 Dr. Ludwig Stieda: Die Pia mater, welche sich der andern Fläche des Cerebellum eng anlegt, sendet an einzelnen Stellen sehr zarte und feine Fortsätze in die graue Schicht hinein. — Von anderen Amphibien habe ich das Cerebellum einer Schlange (Vipera berus) und des Frosches (Rana temporaria) untersucht. Das Üerebellum derselben ist in jeglicher Bezie- hung dem der Eidechse gleich. — Hannover’s!) Mittheilungen über das Cerebellum des Frosches und des Salamanders sind dürftig, stimmen aber im Wesentlichen mit meinem Resultate überein. Es sind kleine Nervenzellen (petites cellules cerebrales), Nervenfasern und grosse geschwänzte Zeilen, über die Anordnung dieser Ele- mente sagt er Nichts. Cerebellum der Fische. Von Fischen haben mir zur Untersuchung gedient: der Hecht (Esox Lucius), der Barsch (Perca fluviatilis) und einige Cyprinen-Arten (Oyprinus Tinca und Cyprinus Brama). Ueber das Cerebellum des Hechtes habe ich bereits einmal die Resultate früherer Untersuchungen veröffentlicht?). Die jetzt auf’s Neue wiederholten Beobachtungen haben mir Anlass gegeben, die früheren Beobachtungen zu ändern und zu er- gänzen. Ueber die äussere Form des Üerebellum vom Hechte will ich hier nur wenig sagen; in der erwähnten Abhandlung ist dieselbe ausführlicher geschildert. Das Cerebellum des Hech- tes hat die Gestalt eines kurzen, dicken, fast rechtwinklig ge- bogenen Stabes, dessen unteres Ende durch die CUrura cere- belli mit der Medulla oblongata verwachsen ist, während das hintere Ende über dem vierten Ventrikel frei daliegt. Aeusser- lich ist das Cerebellum glatt; das Cerebellum wird von einem hinten weitern und vorn engern in den vierten Ventrikel ein- 1) Hannover, Recherches microscopiques sur le systeme nerveux. Copenhague 1844. p. 22. 2) Stieda, Ueber das Rückenmark und einzelne Theile des Ge- birns von Esox Lucius. Diss. inaug. Leipzig, Engelmann 1861. Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 493 mündenden Canal durchbohrt. Schon mit unbewaffnetem Auge lässt sich an Schnitten eines erhärteten und gefärbten Gehirns ein deutlicher Unterschied in der Färbung einzelner Theile wahrnehmen. Der äusserste Rand der Rindensubstanz (graue Schicht) ist deutlich abgegrenzt von der die Mitte einnehmenden Marksubstanz(rostfarbene Schicht) durch einen hellen schmalen Streifen, die Grenzschicht. Diese Be- standtheile verhalten sich nun, wie aus einer Combination der durch viele Schnitte gewonnenen Ansichten hervorgeht, in der Weise, dass die Marksubstanz gleichsam den Stock oder Kern des Cerebellum bildet und überzogen wird von der dünnen Grenzschicht und der nicht überall gleich dicken Rinden- substanz. ; Bei mikroskopischer Untersuchung ergiebt sich, dass die schon mit unbewaffnetem Auge unterschiedenen Bestandtheile des Cerebellum, wie zu erwarten war, auch in histologischer Hinsicht von einander abweichen. Die Marksubstanz (rostfarbene Schicht) (Fig. 4. b) besteht hauptsächlich aus kleinen, sphärischen Gebilden mit feinkörnigem Inhalt und einem Durchmesser von 0,0053—0,006 Mm. Obgleich sie recht dicht neben einander liegen, so er- kennt man doch an hinreichend dünnen Schnitten zwischen ihnen eine farblose oder schwach gefärbte, feinkörnige Zwi- schen- oder Grundsubstanz. Auch in frischem Zustande er- scheinen diese Gebilde rund, feingranulirt, von 0,006—0,010 Mm. im Durchmesser. In meinen früheren Mittheilungen über das Cerebellum des Hechtes habe ich mich dahin ausgespro- chen, dass ich diese kleinen Gebilde nicht als Zellen anzuer- kennen im Stande sei; die erneute Untersuchung und der Ver- gleich mit den analogen Gebilden der rostfarbenen Schicht der übrigen Wirbelthiere haben mich gezwungen, hier diese Ge- bilde als Zellen anzuerkennen. — Beim Zerzupfen eines feinen Schnittes oder auch von Präparaten, die durch Glycerin auf- gehellt sind, finde ich nicht selten kurze Fädchen, oft bis zu vier, an einer solchen kleinen Zelle hängen, welche als zarte Fortsätze von der den Kern umgebenden sehr zarten Zellmem- bran abgehen. — Es ziehen, wie schon mit unbewaffnetem 424° Dr. Ludwig Stieda: Auge zu erkennen, Bündel von markhaltigen Nervenfasern in die Marksubstanz des Oerebellum hinein. Bei mikroskopischer Untersuchung erkennt man erst unzweifelhaft die Natur dieser Fasern. An einzelnen Stellen, so namentlich in der Umge- bung des Centralcanals finden sich stärkere Bündel. Die Fa- sern sind jedenfalls markhaltig, wie man sich bei Untersuchung der frischen Marksubstanz überzeugen kann; man macht dabei die Beobachtung, dass die Fasern leicht varicös werden. Aus- ser den Bündeln sieht man noch einzelne Nervenfasern zwi- schen den Kernen plexusartig sich hinziehn. Längsschnitte des Cerebellum lehren, dass von den nach hinten in -das Cerebel- lum ziehenden Bündeln einzelne Fasern sich abzweigen und nach verschiedenen Richtungen zwischen die kleinen Zellen eindringen. Ausser diesen gleichsam pinselförmig in das Ce- rebellum ausstrahlenden Nervenfasern findet man auf senkrech- ten, wie horizontalen Längssehnitten ganz wie auf Querschnit- ten viele einzelne Nervenfasern zwischen den Kernen. — Thei- lungen der Nervenfasern habe ich nicht beobachtet, ebensowe- nig irgend welchen Zusammenhang der Nervenfasern mit den Fortsätzen der kleinen Zellen gesehen. — Die Grenzschicht enthält eine einfache, doppelte oder mehrfache Lage Nervenzellen (Fig. 4. c, c,) von runder, ovaler oder spindelförmiger Gestalt mit deutlichem Kern und Kernkörperchen. Die Zellen sind 0,018 - 0,036 Mm. lang und 0,014—0,018 Mm. breit, ihr Kern hat einen Durchmesser von 0,0072—0,0103 Mm. — Beiläufig bemerke ich, dass ich die stets constante Färbung der einzelnen Zellentheile, welche Mauthner!) gefunden haben will, auch nach erneuter Durch- sicht zahlreicher Präparate durchaus nicht habe finden können. Die Zellen sind nicht regelmässig gestellt, sondern in allen möglichen Richtungen neben einander gelagert. Die Zellen sind mit oft weit zu verfolgenden Fortsätzen versehen; ich habe meist eine, seltener zwei in entgegengesetzter Richtung 1) Mauthner, Beiträge zur näheren Kenntniss der morphologi- schen Elemente des Nervensystems. Denkschriften der kk. Akademie der Wiss. zu Wien. Math. nat. Classe. Bd. XXI. 1863. S. 13. Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 495 von einer Zelle abgehen gesehen, sie aber bisweilen auch ganz vermisst. Die meisten der Fortsätze dringen mit einem Durch- messer von 0,006 Mm. sofort in senkrechter oder schräger Richtung in die graue Schicht hinein, einzelne Fortsätze lau- fen in der Grenzschicht selbst eine beträchtliche Strecke fort, während andere nach einem solchen Verlauf durch die Grenz- schicht endlich auch in die Rindensubstanz eintreten. Eine Verästelung oder Theilung, wie eine Verbindung der Zellen- fortsätze unter einander, habe ich nicht zu beobachten Gele- genheit gehabt. Ausser den oben erwähnten zur Peripherie strebenden Richtungen sieht man auch und zwar auf Längs- schnitten häufiger als auf Querschnitten Zellenfortsätze in die Marksubstanz eindringen. — Da ich von einem Zusammenhang der Nervenfasern der Marksubstanz und der kleinen Zellen völlig absehe, so möchte ich an einen Zusammenhang der Ner- venfasern und dieser centralen Zellenfortsätze vor Allem den- ken. Zwischen den ‘Zellen und ihren Fortsätzen finde ich nämlich in der Grenzschicht auch noch Querschnitte und kür- zere oder längere Stücke von der Länge nach verlaufenden Ner- venfasern in wechselnder, oft beträchtlicher Menge. Endlich sieht man hin und wieder eine feine Streifung quer oder schräg durch die Grenzschicht in die graue Schicht hineinziehn (Fig. 10 b,h). Diese Streifung wird durch feine, zarte Fasern be- dingt, welche den Zellenfortsätzen und den in der Rinde sich findenden Axencylindern gleich sehen. Einen Zusammenhang dieser mit den Zellen habe ich nicht gefunden. Auf Grund meiner früheren Untersuchungen glaubte ich diese Fasern als der Grundsubstanz eigen ansehen zu müssen; allein es scheint mir jetzt richtiger, auch diese Fasern als Axencylinder aufzu- fassen. — | Die Rindensubstanz oder die graue Schicht (Fig. 4 a) zeigt auf Quer- und Längsschnitten vor Allen eine starke radiäre Streifung. Die Ursache dieser Streifung sind Fasern von durchschnittlich 0,002 Mm. Breite, welche durch eine fein- körnige Zwischensubstanz von einander getrennt werden. Auf Querschnitten laufen die Fasern ganz parallel einander und lassen die Streifung dadurch sehr regelmässig und zierlich wer- Reichert’s u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864. 28 426 Dr. Ludwig Stieda: den; auf Längsschnitten, horizontalen wie senkrechten, laufen die Fasern nicht mehr parallel, sondern kreuzen einander viel- fach. Die Fasern (Kig. 4 f) gleichen in jeder Hinsicht den in die Rinde eintretenden Zellenfortsätzen und lassen sich nicht selten in direetem Zusammenhang mit diesen nachweisen und es können demnach alle, selbst wenn ein solcher Zusammen- hang nicht für jede Faser einzeln möglich ist, als Axencylin- der angesehen werden. Dass man nicht immer den directen Uebergang der Zellenfortsätze in die Axencylinder der Rin- denschicht zu sehen Gelegenheit hat, glaube ich daraus erklä- ren zu können, dass die meisten Zellenfortsätze, wie die Beob- achtung lehrt, erst in der Grenzschicht eine Strecke verlaufen, ehe sie in die Rinde eintreten und daher beim Schneiden meist von den Zellen getrennt werden. Theilungen der Axencylin- der habe ich mit Sicherheit nicht beobachtet, mag sie jedoch nicht mit Bestimmtheit in Abrede stellen, da eine sichere Ent- scheidung bei der massenhaft gedrängten Anordnung überaus schwierig ist. Schnitte, welche in der Weise der Rindensub- stanz entnommen sind, dass die Axencylinder rechtwinklig ge- troffen werden (Fig. 5), lassen ebenfalls in der Ebene des Schnittes hinziehende zarte Fasern sehen, zwischen diesen aber gleichmässig rothe oder blasse Puncte von 0,002—0,003 Mm. im Durchmesser oder den Ausdruck der querdurchschnittenen Axeneylinder (Fig. 5 a). Ausser der radiären Streifung tritt auf Querschnitten in der Rindensubstanz noch eine Streifung auf, welche dem Umfang des Schnittes parallel geht und meist nur am äusseren Rande sichtbar ist. An dem der unteren Fläche des Cerebellum entsprechenden Theil des Schnittes ist diese Streifung besonders stark. Auch hier sind blassroth ge- färbte zarte Fasern, für die ein Zusammenhang mit Nerven- fasern nicht nachweisbar ist, die Ursache der Streifung. Viel- leicht sind auch dieses Axencylinder. Ferner sieht man an der grauen Schicht einzelne Kerne von 0,004—0,006 Mm., bisweilen erkennt man auch die dazu gehörige Zeilmembran und kurze Fortsätze. Die alle die aufgezählten Elemente einhüllende Grundsub- stanz erscheint an frischen und gut erhärteten Gehirnpräparaten Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 497 stets sehr feinkörnig und hat niemals das Ansehn eines Netz- werkes. Ueber das Cerebellum der anderen noch untersuchten Fische habe ich nur wenig dem schon Gesagten hinzuzufügen. Es weicht das Cerebellum derselben von dem des Hechtes nur durch die äussere Configuration, nicht durch die histologische Beschaffenheit ab. Bei Perca fluviatilis ist das Cerebellum eine unpaare, der Grösse nach weit hinter den Lobi optiei zurückbleibende, rund- liche Erhabenheit, welche steil von der Medulla oblongata auf- steigend den vierten Ventrikel ganz unbedeckt lässt. Es wird das Cerebellum auch von einem mit dem vierten Ventrikel com- municirenden Canal durchbohrt. Die durch das Cerebellum gelegten Querschnitte werden der Lage und Gestalt derselben entsprechend, fast ganz in der horizontalen Ebene liegen und lassen eine Vertheilung der Schichten bemerken, welche der beim Hecht beschriebenen ganz gleich ist. Bei Cyprinus Brama, wie bei C. Tinca und allen Cypri- noiden ist die Gestalt des Cerebellum etwas abweichend von der eben beschriebenen. Das unpaare Cerebellum der Oypri- naden erhebt sich nicht über das Niveau der Lobi optici, son- dern liegt als ein dieker walzenförmiger, hinten abgerundeter Körper der Medälla oblongata fast in seiner ganzen Ausdeh- nung an und stösst mit seinem hintern freien Ende an den im vierten Ventrikel gelegenen Lobus impar. Ueber die Oberfläche läuft eine schwach angedeutete Längsfurche. Quer- und Längsschnitte lassen 'auch hier schon für das unbewaff- nete Auge deutliche Unterschiede zwischen den Schichten wahruehmen, deren äussere Gestaltung der Form des Cere- bellum entspricht. Die histologische Untersuchung des Cerebellum ergiebt dieselben Elemente in ganz gleicher Anordnung wie beim Cerebellum des Hechtes, Es wäre nur zu bemerken, dass besonders bei Cyprianus Tinca die peripherischen Fort- sätze sich mit grosser Leichtigkeit in die Rindensubstanz verfolgen lassen und dass die Axencylinder der Rinde keine 28” 428 Dr. Ludwig Stieda: so zierliche Streifung in derselben hervorrufen, indem sie sich vielfach kreuzen. — Hannover’s!) Untersuchungen über das ÜCentralnerven- system des Barsches stehen, so weit sie sich auf das Cerebel- lum beziehen, im Wesentlichen in Uebereinstimmung mit der von mir gefundenen Structur bei den erwähnten Fischen. Hannover unterscheidet auch drei Schichten: seine äussere graue aus „cerebralen“ Zellen und „cerebralen* Fasern be- stehende Schicht entspricht meiner Rindensubstanz oder der grauen Schicht, in der ihm die auffallende radiäre Streifung entgangen zu sein scheint. Meine Grenzschicht vergleiche ich seiner zweiten „weissen* Schicht. Die innerste Schicht oder der „Kern“ des Cerebellum gleicht der Marksubstanz oder der rostfarbenen Schicht und besteht nach Hannover aus „cere- bralen“ Zellen und „cerebralen“ Fasern. — Mit ein Paar Worten muss ich hier noch einer Bemerkung Mauthner’s gedenken, welche letzterer in seinen „Beiträgen zur näheren Kenntniss der morphologischen Elemente des Ner- - vensystems* über das auch beiläufig von ihm untersuchte Oere- bellum der Fische macht. Er nenut die Rindensulistanz des Cerebellum der Fische die „radiäre Faserschicht“?) und sagt, dass dieselbe durch die radiär verlaufenden Fortsätze der grossen Nervenzellen gebildet werde. An einer andern Stelle heisst es:?) „Die Ganglienkugeln, welche die mittlere Zone „des kleinen Gehirns bilden, entsenden die grösste Anzahl „ihrer Fortsätze in die aus markhaltigen Fasern beste- „hende äussere radiäre Faserschicht. Alle diese „Fortsätze gehen in markhaltige Nervenfasern über „und die directeBeobachtungdieses Ueberganges auf „gelungenen, schön infiltrirten Präparaten ist durchaus nicht „schwer.* — Diesen letzten Behauptungen muss ich durch- aus widersprechen. Die in der grauen Schicht des Cerebel- lum einander parallel laufenden oder sich kreuzenden Fasern, »), Hannower, I. cp. 18 2) Mauthner, |. c. S. 14. 8) Mauthner, |, e, S. 27, Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 499 deren Zusammenhang mit den Zellenfortsätzen mitunter un- sichtbar ist, haben niemals das charakteristische Ansehn von markhaltigen Nervenfasern. Ein die Axencylinder rechtwink- lig treffender Schnitt (Fig. 5), welcher den Axencylinder quer- durchschneidet, giebt eine ganz sichere Entscheidung. Man sieht hier nichts von dem bekannten Bilde der querdurchschnit- tenen markhaltigen Nervenfasern, den rothen Punet umgeben von der hellen Markscheide, sondern nur den rothen Punet allein, den querdurchschnittenen .Axeneylinder oder Zellen- fortsatz, — Die bisher in Ausführlichkeit mitgetheilte Beschreibung des histologischen Verhaltens des Cerebellum der Wirbelthiere zeigt, dass, so verschieden auch die äussere Form dieses Gehirnthei- les bei den verschiedenen Thieren sein mag, dennoch dieselben histologischen Elemente sogar in gleicher Anordnung das Ce- rebellum bilden. — Wenn ich in aller Kürze die Hauptmo- mente zusammenfasse, so finde ich überall: In der molecu- lären Bindesubstanz des Centralnervensystems ein- gebettet viele kleine Zellen, dazwischen markhaltige Nervenfasern und grosse Nervenzellen mit charak- teristischen Fortsätzen. Nun ist die wichtige Frage: in welchem Zusammenhange stehen nun diese Elemente, deren Nebeneinanderlagerung wir bisher allein beschrieben haben? Man hat schon vielfach Versuche gemacht, hieraus einen Zusammenhang der einzelnen Theile herzustellen. — Der erste Versuch, den Zusammenhang der einzelnen Ele- mente am Cerebellum darzulegen, machten Jakubowitsch und Owsiannikow!). Die betreffende Stelle ihrer Mitthei- lung lautet: „An der Oberfläche des kleinen Gehirns finden wir grosse Zellen, welche Cylinderaxen zur Peripherie ab- schicken, die sich mit einander verbinden und sich ungemein 1) Jakubowitsch und Öwsiannikew. Mikroskopische Unter- suchungen über die Nervenursprünge im Gehirn 1855. Bulletin de la classe physico-mathematique de l’academie imperiale des sciences de St. Petersbourg. Tom XIV. 1856. p. 173, 430 Dr. Ludwig Stieda: fein theilen. Zum Centrum schicken diese grossen Zellen eben- falls Aeste, welche sich mit feinen Zellen verbinden und von diesen gehen erst die Nervenfäden ab, welche die weisse Sub- stanz des kleinen Hirns bilden.“ Gerlach?) ist unabhängig zu einer ganz gleichen Ansicht gelangt. Die Angaben dieses Autors sind: Es stehen die aus der weissen Marksubstanz des Cerebellum zur Rinde hinzie- henden markhaltigen Nervenfasern, welche sich sowohl in der weissen, als in der rostfarbenen Schicht theilen, durch Ver- mittelung der Fortsätze der hier befindlichen kleinen Zellen („Körner“, Gerlach) in Verbindung mit den centralen Fort- sätzen der grossen Nervenzellen. Andererseits stehen die pe- ripherischen Fortsätze der letztern mit den durch die rostfar- bene Schicht getretenen Nervenfasern ebenfalls durch Vermit- telung der kleinen Zellen und deren Fortsätze in Verbindung. Gerlach’s Angaben haben durch die Arbeiten von Hess und Walter Bestätigung gefunden. Walter weicht nur darin von jenen beiden Autoren ab, dass er ausser dem Zu- sammenhang der Nervenfasern mit den grossen Zellen durch Vermittelung der kleinen, er auch einen directen Uebergang der Zellenfortsätze in markhaltige Nervenfasern behauptet. Eine andere Ansicht stellt Rudolph Wagner auf: Es sollen einerseits die Fortsätze der grossen Nervenzellen immer feiner und feiner werdend, schliesslich ganz in die moleculäre Grundsubstanz „der centralen Deckplatte“ der Rinde übergehn; andererseits die feinsten Nervenprimitivfasern mit ihren frei gewordenen Axencylindern ebenfalls in der moleculären Masse, welche als ausgeflossene Ganglienmasse angesehen wird, mit den Zellen in Verbindung sein. Ob die zum Centrum abge- henden Fortsätze der grossen Nervenzellen direct in markhal- tige Nervenfasern übergehen, oder mit den Fortsätzen der klei- nen Zellen sich verbinden, lässt er unentschieden. Rutkowski stimmt den Hess-Gerlach’schen Angaben bei, in sofern die centralen Zellenfortsätze durch die „Körner“ mit den Nervenfasern zusammenhängen, weicht dagegen in 2) Gerlach, S. 18, Zur vergleichenden Anatomie und Histologie des Cerebellum. 431 Betreff des Schicksals der peripherischen Fortsätze von ihnen ab. Er lässt nämlich die allmählich feiner gewordenen Zellenfortsätze und ihre Aeste in die Fäden eines überaus feinen Netzwerkes übergehen, welches als „spongiöse centrale Deckplatte* die mo- leculär erscheinende Grundsubstanz der grauen Schicht bilde. Nach Kölliker ziehen die markhaltigen Nervenfasern der weissen Substanz ohne sich zu theilen und ohne sich mit den zur Bindesubstanz zu rechnenden Kernen oder Zellen der rost- farbenen Schicht zu verbinden, zur Rinde, woselbst ein Theil derselben mit den centralen, ein Theil mit den peripheren Fort- sätzen der grossen Nervenzellen in Verbindung tritt. Wie verhalten sich nun aber diese Hypothesen zu dem durch vorliegende Untersuchung ermittelten Befunde ? Ich habe bereits im Verlaufe dieser Mittheilungen an den betreffenden Stellen wiederholt mich dahin geäussert, dass ich auf Grund meiner Beobachtungen eine Thheilung der Nerven- fasern (Gerlach, Hess, Rutkowski) nicht annehmen kann. Ebenso habe ich auch bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass, so wahrscheinlich auch die Vermuthung eines Zusammen- hanges der Nervenfasern und der kleinen Zellen der rostfar- benen Schicht, diese durch die genaue Untersuchung durchaus nicht bestätigt wird. Ich halte überhaupt diese kleinen Zellen nicht wie Gerlach, Hess, Walter, Jakubowitsch ete. für nervöse Elemente, sondern für die zelligen Elemente der Bindesubstanz oder Netzsubstanz des Centralner- vensystems. — Ich will hier nur noch auf einen andern Um- stand aufmerksam machen: an der Grenze zwischen rostfar- bener und grauer Schicht befinden sich beim Menschen, Säu- gern und Vögeln spärlich, bei Amphibien und Fischen dage- gen sehr reichlich markhaltige Nervenfasern. — Wenn aber Nervenfasern nur durch Vermittlung der kleinen Zellen mit den grossen Nervenzellen in Verbindung stehen sollen (Wal- ter, Gerlach, Hess, Rutkowski), was sollen die mark- haltigen Nervenfasern in so unmittelbarer Nähe der Zellen selbst? Es gewinnt hierdurch die Vermuthung Kölliker’s, dass die markhaltigen Nervenfasern direct von den centralen Zellenfortsätzen abstammen, viel an Wahr- 432 Dr. Ludwig Stieda: scheinlichkeit. Doch fehlen hier leider ebenso, wie an andern Orten, wo Nervenursprünge vermuthet werden, directe unzwei- felhafte Beobachtungen. Den vereinzelten angegebenen Beob- achtungen stehen viele andere gegenüber. So will Walter den directen Uebergang eines Zellenfortsatzes in eine mark- haltige Nervenfaser in der Rinde des Cerebellum vom Men- schen, Denwith ebenfalls beim Menschen, Leydig im Cere- bellum des Hammerhai’s gesehen haben. — Dagegen haben Gerlach, Hess, Rutkowski gewiss Nichts von einem direeten Uebergange der Fortsätze in Nervenfasern gesehen, da sie ja ganz andere Angaben machen. Ebenso weiss auch Mauthner, der mit so grosser Bestimmtheit den directen Uebergang der peripherischen Zellenfortsätze in markhaltige Nervenfasern gesehen haben will, von einem Uebergang der centralen Nichts. Ich selbst habe auch keine directen Beob- achtungen aufzuweisen. Ich glaube mich daher auch nur zu der oben ausgesprochenen Vermuthung berechtigt. — Was das Schicksal der peripherischen Zellenausläufer be- trifft, so sind bekanntlich auch hier die Meinungen der Auto- ren getheilt: die einen lassen sie bis auf’s Aeusserste durch Theilung verfeinert, schliesslich entweder in die Fortsätze der kleinen Zellen (Gerlach, Hess, Walter) oder in die Grund- substanz — mag man diese deuten, wie man will — übergehn (Rutkowski, Wagner). Beide Ansichten muss ich, nament- lich gestützt auf die Resultate meiner Untersuchungen am Ce- rebellum der Amphibien und der Fische durchaus in Abrede stellen. Hier ist von einer Theilung der Zellenfortsätze gar nicht die Rede, sie verlaufen nur etwas verschmälert zur Pe- ripherie der Rinde. Was wird nun aus ihnen? Ich habe er- wähnt, dass bei Menschen und Säugern sich markhaltige Ner- venfasern bis in die graue Schicht hinein verfolgen lassen, dass bei Amphibien und Fischen viele Fasern, welche ich als Axen- cylinder auffasse, aus der grauen Schicht in die rostfarbene oder umgekehrt hineinziehn. Dieses macht mir die Vermu- thung wahrscheinlich, dass auch die peripheren Zellenfortsätze nach längerem oder kürzerem Verlaufe durch die graue Schicht endlich auch in markhaltige Nervenfasern übergehn. Zur vergleichenden Anatomie und Histulogie des Cerebellum. 433 Hiernach erscheint mir mit dem durch die Untersuchung ermittelten Befunde am meisten die Annahme übereinzustim- men, dass die markhaltigen Nervenfasern der weis- sen Substanz des Cerebellum sowohl von den cen- tralen, als auch den peripheren Fortsätzen der grossen Nervenzellen der Rinde ihren Ursprung nehmen. — Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Theil eines Horizontalschnittes durch die Windung des Cerebellum vom Menschen. Vergr. 180. a) Graue Schicht. b) Rost- farbene Schicht. c) Nervenzellen. d) Fortsätze der Nervenzellen. f) Axencylinder der Rindensubstanz. g) Kerne der rostfarbenen Schicht. Fig. 2. Theil eines in senkrechter Richtung gemachten Schnittes der grauen Schicht der Rinde vom Cerebellum des Menschen. Vergr. 330. c. c) Nervenzellen. d. d) Fortsätze derselben. d’) Letzte noch sichtbare Aeste der Fortsätze. f) Fortsätze, die von ihren Zellen ge- trennt sind. k) Kleine Zellen. Fig. 3. Mittlerer Theil eines senkrecht durch das Gehirn der Eidechse gemachten Längsschnitts. Vergr. 330. a—f) wie bei Fig. 1. g) Nervenfasern. h) Kerne der rostfarbenen Schicht. m) centrale Zellenfortsätze. Fig. 4. Tbeil eines senkrecht durch das Cerebellum vom Hecht gemachten Querschnittes. Vergr. 330. a—g) wie bei Fig. 1. b) quer- ziehende Fasern. Fig. 5. Horizontale Schnitte durch die Rindensubstanz des Cere- bellum vom Hecht. Vergr. 330. a—.a) Die querdurchschnittenen Axen- eylinder. 434 Prof. Wenzel Gruber: Zur Anatomie der Arteria radıalıs. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. I. Wahre Arteria recurrens radialis posterior. Die Franzosen nennen die Arteria recurrens interossea der Deutschen und Engländer nach ihrer Lage in der hinteren Ellenbogenregion: „Arteria recurrens radialis posterior.“ Mit der A. recurrens radialis posterior im Sinne der Fran- zosen, darf die wahre A, recurrens radialis posterior nicht verwechselt werden, von der hier die Rede ist. Letztere substituirt erstere, oder beide kommen zugleich vor. Die wahre A. recurrens radialis posterior ist ein Ast der A. recurrens radialis der Deutschen und Engländer und ein Ast der A. recurrens radialis anterior der Franzosen. Bei ihrem Vorkommen theilt sich die A. recurrens radialis (com- munis), nachdem sie ihren Ramus descendens oder die diesen ersetzende Zweige abgegeben hat, in zwei Aeste, in den auf- steigenden Ast, oder die A. recurrens radialis anterior s. ascen- dens, und den umgeschlagenen Ast, oder die A. recurrens ra- dialis posterior s. circumflexa. Die Theilung der A. recurrens radialis communis in diese Aest& geht 6--10 Lin. von ihrem Anfange vor sich, wenn sie aus der A. radialis oder brachia- lis entspringt, und tritt erst bis 15 Lin. davon ein, wenn sie von der A. ulnaris communis (dem Stamme für die A. ul- naris propria und interossea communis) kommt, wie ich z. B. in einem vor mir liegenden Falle an einer eben injieirten, lin- Zur Anatomie der Arteria radialis. 435 ken Extremität eines Mannes bei dem Ursprunge der A. radia- lis aus der A. axillaris sehe. Während die A. recurrens ra- dialis anterior wie die Arterie gewöhnlicher Fälle verläuft und sich verzweigt, tritt unsere A. recurrens radialis posterior zwi- schen den R. superficialis und profundus des Nervus radialis, umschlingt den Musculus supinator (brevis) von vorn und rück- wärts, über dem Eingange des in diesem Muskel vorkommen- den Canales für den R. profundus des N. radialis, vorn !/, Zell, hinten '/; Zoll unter dem Capitulum radii, und gelangt zum M. anconaeus IV. im Sulcus cubiti posterior lateralis. Sie hat bis dahin einen Weg von 2—2!/, Zoll und selbst 3 Zoll Länge zurückzulegen, auf welchen sie von den Mm. ra- diales externi, extensor digitorum und ulnaris externus bedeckt wird. Sie giebt diesen Muskeln. und dem M. brachio-radialis Zweige und verbirgt sich zuletzt unter dem M. anconaeus IV. Sie setzt unter diesem nach aufwärts im Suleus eubiti poste- rior lateralis steigend, ihren Verlauf wie die A. recurrens in- terossea gewöhnlicher Fälle fort, vertheilt sich wie diese und endiget wie diese im Rete cubiti posterius. Die A. recurrens radialis posterior ist gewöhnlich eben so voluminös wie die A. r. r. anterior, nur selten um ein geringes schwächer. Ihre Dicke beträgt im injieirten Zustande 1—1!/, Lin. Bei dem Vorkommen der A. recurrens radialis posterior fehlt gewöhnlich die A. recurrens interossea gänzlich (°/, d. F.), selten ist letztere zugegen ('/, d. F.). Erstere verläuft dann mehr lateralwärts zwischen dem M. ulnaris externus und anconaeus IV. unter des letzterem lateralem Rande aufwärts, letztere hat ihre gewöhnliche Lage, ist aber weniger volumi- nös. In der Minderzahl d. F. (°/,) und bei gänzlichem Man- gel der A. recurrens interossea schickt sie 1—2 schwache, bis 1!/; Zoll lange Communicationsäste zur A. interossea poste- rior abwärts. Der constantere davon liegt unter dem M. au- nonaeus IV., der andere auf dem M. supinator br. | Ich kenne diese Anomalie schon lange. Unter 50 Extre- mitäten, die ich im Monate März 1564 zu den Präparir-Uebun- gen injiciren liess, fand ich die A. recurrens radialis posterior 436 Prof. Wenzel Gruber: an 7 (4mal rechts und 3mal links). Sie kommt somit unter 7 Armen an 1 vor. Ich habe über das Vorkommen dieser Arterie, ausser bei Rich. Quain'), nirgends eine Angabe gefunden. Quain hat sie aber nur in einem einzigen Falle beobachtet. Bour- gery?) erwähnt zwar eines besonderen Astes der A. recur- rens radialis, welcher sich um den M. supinator br. krümmt und rückwärts auf dem Condylus externus humeri mit der A. profunda humeri anastomosirt, allein dieser Ast hat mit unse- rer A. recurrens radialis posterior nichts gemein. Bei dieser Gelegenheit bemerke ich, dass M. Dubrueil’s?) Behauptung: „Die A. recurrens interossea (A. recurrens radia- lis posterior aus der A. interossea) sei keinen wichtigen Ab- weichungen unterworfen, erreiche immer ein bestimmtes Volu- men und sei in Beziehung der Art ihres Ursprunges und ihrer Vertheilung sehr constant“, eine völlig unrichtige sei. Was ihre Grösse anbelangt, sah ich sie variiren. Was ibren Ur- sprung und Verlauf betrifft, so kenne ich, selbst bei übrigens normaler Anordnung der Unterarmarterien, von ihr 4 Va- rianten: 1) Die A. recurrens interossea entspringt von der A. in- terossea posterior, nachdem diese unterhalb des M. su- pinator br. das Ligamentum interosseum durchbohrt hat (gewöhnlich). | 2) Dieselbe entspringt von dem A. interossea posterior aber bevor diese das Lig. interosseum durchbohrt. In sol- chen Fällen dorchbohrt sie für sich, !/,; Zoll und + über der A. interossea posterior das genannte Ligament und auch den unteren Theil des M. supinator br. (öfters). 3) Dieselbe entspringt von der A. interosses communis und verhält sich übrigens so wie die der vorigen Variante. 1) The anatomy of the arteries of the human body. London 1844, 80. p. 332. 2) Anat. descr. ou physiol. Angeiologie Tom. IV. Paris 1851. Fol. p. 94. 3) Des anomalies arterielles. Paris 1847. 80. p. 178. Zur Anatomie der Arteria radialis. 437 4) Dieselbe entspringt nicht von der A. interossea, sondern von der A. ulnaris communis (dem Stamme für die A. ulnaris propria und A. interossea) in verschiedener Höhe (bisweilen). In solchen Fällen dringt sie durch das Spatium interosseum in der Lücke über der Chorda antibrachii transversalis, wird vom M. supinator br. be- deckt, begiebt sich zwischen diesem und der hinteren Abtheilung des Lig. anuulare radii in den Sulcus cu- biti posterior lateralis unter den M. supinator br., und vertheilt sich wie gewöhnlich, oder mit einem auf- und abwärts steigenden Aste. Sie ist ferner bei diesen Variationen im Ursprunge meistens in einfacher Zalil, bisweilen aber in doppelter vorhanden. Mit einer der Varianten 1—3 kann nämlich auch die Variante 4 vorkommen. Die beiden Arterien anastomosiren dann gewölın- lich mit einander durch den absteigenden Ast der A. recur- rens interossea aus der A. ulnaris communis. Diese Anasto- mose kann sehr dick sein und es kann dann der Fall eintre- ten, in dem man von Vorkommen einer mit zwei Wurzeln entstandenen A. recurrens interossea zu sprechen berechtigt ist. Il. Die den Ramus profundus nervi radialis bei dessen Verlaufe durch den Musculus supinator con- stant begleitenden Gefässanastomosen. In den Canaldes Musculus supinator br. für den Ramus profundus nervi radialis dringen constant zwei Arteriolae des- cendentes und ascendentes; oder doch eine stärkere Arteriola descendens und ascendens, die sich aber immer und früher oder später in zwei theilen. Jede Arteriola schickt gröbere und feine Zweige zum M. supinator, feinste Zweigchen zum Nerven und endiget mit einem schwachen Zweige zur Ana- stomose mit einem ähnlichen der an derselben Seite des Ner- ven entgegen laufenden Arteriola.. Dadurch wird der Nerv, so lange er im genannten Canale verläuft, vom Anfange bis zum Ende oder doch im grössten Theile der Länge desselben, von einer doppelten Arterienanastomose, die die entsprechen- den Venen neben sich hat, begleitet. 438 Prof. Wenzel Gruber: Die Arteriolae descendentes kommen von der Recurrens radialis, die A. ascendentes von der Interossea posterior. Die Reeurrens radialis giebt in ?/;, d. F. zwei Arteriolae, in '/; d. FE. nur eine ab. Theilt sich dieselbe in eine Anterior und eine Posterior, welche letztere die Recurrens interossea ersetzt oder sie ergänzt; so kommt die Arteriola descendens anterior oder die Arteriola communis in '/, d. F. von der Recurrens radia lis posterior, in !/, d. F. von der Recurrens radialis commu- nis und in !/,d. F. von der Recurrens radialis anterior, wäh- rend die Arteriola descendens posterior immer von der Recur- rens radialis posterior abgeht. Entsteht die Recurrens ı1adia- lis mit zwei Wurzeln, z. B. wie in einem vor mir liegenden Falle, bei hohem Ursprunge der Radialis aus der Brachialis und bei Vorkommen eines Canalis brachio-cubitalis, mit der oberen 14 Lin. langen Wurzel von der Radialis und mit der unteren 1 Zoll langen Wurzel von der Ulnaris communis 4 Lin. über ihrer Theilung; so entstehen die Arteriolae von der- selben nach der Vereinigung ihrer Wurzeln. Sind zwei Arte- riolae ascendentes zugegen, so kommen sie fast gleich oft ent- weder aus dem Ramus descendens der Interossea posterior, oder die eine (Anterior), aus diesem, die andere (Posterior) aus dem Ramus recurrens derselben. Ist nur eine Arteriola ascendens vorhanden, so wird diese in ?/;, d. F. von dem Ra- mus descendens und in '/;, d. F. von Ramus recurrens der Interossea posterior abgegeben. £ Die Arteriola descendens anterior und die A. descendens communis entspringen 6—12 Lin. vom Ursprunge der Recur- rens radialis entfernt von dieser; die A. descendens posterior entsteht knapp daneben oder bis 4 Lin. weiter seitwärts. Nur limal sah ich die Anterior später abgehen als die Posterior. Ihr Ursprung liegt immer neben oder am Nerven. Die A. descendens communis theilt sich nach ihrem Ursprunge so- gleich, oder erst bis !/, Zoll, ja sogar °/, Zoll tiefer im Ca- nale, in die beiden Arteriolae. * Die A. ascendens anterior ent- steht von der Interossea posterior bis '/;, Zoll unter dem Ab- gange ihrer Recurrens, die A. ascendens posterior bald von daher, bald von der Recurrens bis !/, Zoll aufwärts von ihrem Zur Anatomie der Arteria radialis. 439 Ursprunge entfernt. Die A. ascendens communis kann bis !/, Zoll lang sein, bevor sie sich theilt: Die A. ascendentes kom- men häufiger von Nebenästen als von dem R. descendens und recurrens der Interossea posterior unmittelbar. Sie können an ihrem Ursprunge bis 1 Zoll von einander abstehen. Die Arteriolae descendentes sind schwächer als die A. ascendentes, erstere nehmen allmählicher, letztere rascher an Durchmesser ab. Die A. descendens anterior wird an ihrem Ursprunge bis ?/,; Lin., die A. descendens posterior bis ®/, Lin. und die A. descendens communis bis 1 Lin. dick (inji- eirt). Sie anastomosiren mit den A. ascendentes durch einen Y/—!/, Lin. dieken Zweig. Die Arteriola descendens und ascendens anterior bilden die Anastomosis anterior, die A. descendens und ascendens poste- rior die Anastomosis posterior. Jene ist schwächer aber län- ger (1'/,—3 Zoll), diese ist stärker aber kürzer (1'/,—2!/, Zoll). Jede ist unterhalb des mittleren Drittels ihrer Länge am schwächsten. Ist die A. descendens und ascendens com- munis an demselben Arme zugegen, so kommt eine langge- streckte elliptische Anastomose zu Stande. Die Anastomosen liegen häufiger 1—3 Lin. vom Nerven entfernt, als knapp da- neben. In dem einen Falle aus 30, in welchem der Ramus pro- fundus nervi radialis den M. supinator brevis nicht durchbohrte, vermisste ich die beschriebenen Anastomosen. ll. Theilung der Arteria radialis inzwei Aeste und deren Wiedervereinigung zu einem einzigen Stamm. An der rechten Extremität eines robusten Mannes, welche bei injieirten Arterien zu den Präparir-Uebungen 1564 abge- lassen worden war, theilte sich die Arteria radialis, 5°, Zoll unter ihrem normalen Ursprunge und 3°/, Zoll über dem un- teren Ende des Radius, in zwei Aeste, welche sich nach einem Verlaufe von 1'/, Zoll wieder zu einem einzigen Stamm ver- einigten. Die Aeste verliefen parallel knapp nebeneinander. Jeder derselben gab einige Muskeläste ab. Der laterale Ast war 2 Lin., der mediale 1'/, Lin. diek. 10 Lin. unter der 440 Prof. Wenzel Gruber: Vereinigung dieser zu einem einzigen Stamm gab letzterer die A. radio-palmaris ab, und setzte seinen Verlauf auf dem Hand- rücken wie die Arterie gewöhnlicher Fälle fort. Diese Anomalie der A. radialis scheint eine grosse Selten- heit zu sein. Ich habe sie unter mehreren Tausenden injicir- ter Extremitäten nur in diesem Falle gesehen. Auch habe ich in der Litteratur einen ähnlichen Fall nicht aufgezeichnet ge- funden. Die Anomalie erinnert aber an die 4 Fälle der A. brachialis mit Theilung in zwei Aeste und deren Wiederver- einigung im Museum zu Cambridge aus der Macartney’schen Sammlung, im Museum der Josephs- Akademie zu Wien, zu München und Heidelberg‘); an die 5 Fälle der A. femoralis mit Theilung in zwei Aeste und deren Wiedervereinigung über dem Canalis femoro-popliteus von Ch. Bell, J. Houston, Tyrrel, R. Quain und Fr. Tiedemann?) (abgesehen von den 3 an Lebenden bei Amputationen von Benjamin Gooch angeblich beobachteten, nach R. Quain sehr zweifelhaften Fällen); an den von M. ©. Bonamy°) abgebildeten Fall der A. peronea mit Theilung in zwei Aeste und deren Wieder- vereinigung. IV. Subeutaner Verlauf des Ramus dorsalis der Arteria radialis am Unterarm- und Handwurzel- rücken. Es sind eine Reihe Fälle bekannt, in welchen die Arteria radıalis (ihr Ramus dorsalis) höher oder tiefer auf den Rücken des Unterarmes sich wendete und über der Museculatur dessel- ben oberflächlich herablief, aber es ist meines Wissens nur von J. Cruveilhier ausdrücklich angegeben, dass die Arterie da- bei eine subeutane Lage habe. 1) Bei Rich. Quain. The anatomy of the arteries of the human body etc. London 1844. 80. p. 221, Atlas Fol. Pl. 34. Fig. 2. — Bei Fr. Tiedemann. Supplementa ad tab. art. corp. huın. Heidelbergae 1846. Explic. 40. p. 50, 52, Atlas Fol. Tab. 44. Fig. 2 et 3. 2) Bei R. Quain. Op. eit. p. 464, 515. Pl. 71. Fig. 2. — Bei Fr. Tiedemann. Op. eit. p. 106, 108. Tab. 51. Fig. 1. 3) Atlas d’anat. descr. du corps humain. Part. 2. Paris 1847. 80. maj. Pl. 24. Fig. 1. 3 Zur Anatomie der Arteria radialis. 441 Fr. Tiedemann!) hat zwei Fälle dieses anomalen Ver- laufes der Radialis, welche an rechten Extremitäten vorkamen, ‚abgebildet. In dem einen Falle wendet sich die Radialis im Beginnen der Sehne des M. brachio-radialis auf den Rücken des Unterarmes und verläuft über diesem und den Mm. radialis externus, abductor longus, extensor minor et major pollieis zum Spatium intermetacarpeum ]., wo sie zwischen den bei- den Köpfen des M. interosseus externus I. in die Hohlhand dringt. Sie giebt etwa 21/,—3 Zoll über der Handwurzel die sehr lange Dorsalis pollicis radialis, vor ihrem Durchtritte durch den genannten M. interosseus die Dorsalis pollieis ra- dialis, dann die Dorsalis indieis radialis ab, welche einen Ast zur Digitalis volaris pollieis ulnaris absendet. In dem ande- ren Falle (bei einer Frau) theilt sich die Radialis °/, Zoll unterhalb ihres Ursprunges in den Ramus dorsalis und vola- ris, wovon ersterer über den Muskeln an der hinteren Seite des Unterarmes herabsteigt. — Es ist nicht angegeben, ob sich die Arterie über oder unter der Aponeurose befunden habe. Fr. W. Theile?) meint von der Arterie im 1. Falle, dass sie unter der Aponeurose gelagert gewesen sein mochte. Rich. Quain°) hat drei solche Fälle von einer rechten und zwei linken Extremitäten abgebildet. In dem einen Falle (rechte Extremität) theilt sich die Radialis 1 Zoll nach ihrem Ursprunge in den R. dorsalis und volaris, wovon der erstere über den Rückenmuskeln des Unterarmes zum Spatium inter- metacarpeum ]. sich begiebt. In einem anderen Falle theilt sich die Radialis 3 Zoll über der Handwurzel in den R. dor- salis und volaris, wovon ersterer über den Sehnen der Mm. brachio-radialis, abductor -longus, extensor minor et major polliceis zum Spatium intermetacarpeum I. verläuft, In einem 1) Tab. art. corp. hum. Carlsruhae 1822. Fol. Tab. 17. Fig. 2; Supplements ad tab. art. corp. hum. Heidelbergae 1846. Fol. Tab. 47. Fig. 4. Explicat. tab. 40. p. 70. 2) S.Th.v. Sömm ering. Lehre von den Gefässen,. Leipzig 1841. S. 148. 3) The anatomy of the arteries of the human body. London 1844. 80. p: 310, 311; 319, 320. Atlas Pl. 42. Fig. 4,5; Pl. 43. Fig. 1. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 29 442 Prof. Wenzel Gruber: dritten Falle endlich theilt sich die Radialis am unteren Theile des Unterarmes in zwei starke Aeste, wovon der dem Ramus dorsalis entsprechende über den Sehnen zum Daumen in das Spatium intermetacarpeum I. herabsteigt, hier den M. inter- osseus externus I. durchbohrt ete., der andere an der Hand- wurzel hinter den Sehnen der Mm. extensores pollicis und ra- dialis externus longus in das Spatium intermetacarpeum II. tritt, hier über dem M. interosseus externus Ill. nach abwärts läuft und mit der Digitalis communis für den Zeigefinger und Mittelfinger sich vereiniget. — Auch von diesen Fällen ist nicht bemerkt, ob der Ramus dorsalis der Radialis über oder unter der -Aponeurose gelagert gewesen sei. M. Dubrueil!) berichtet, die Radialis, vom unteren Drit- tel oder Viertel des Unterarmes angefangen, 5 mal (2 mal links, 1 mal rechts und 1 mal beiderseits) über den Mm. ab- ductor longus und extensor minor pollieis zum Spatium inter- metacarpeum I. herabsteigen etc. gesehen zu haben. Bei drei Fällen bemerkt er nicht, wie sich die Radialis zur Aponeu- rose verhalten habe, von der Radialis an beiden Armen eines 45jährigen Mannes, welche merkwürdiger Weise subeutan ver- lief und am untern Viertel des Unterarmes in den Ramus dor- salis und volaris sich theilte, theilte er jedoch mit, dass ihr Ramus dorsalis kurz nach seinem Ursprunge aufhörte, subeu- tan zu sein. Fr. Arnold?) lässt in solchen Fällen den Ramus dorsalis der Radialis unter der Aponeurose, J. Cruveilhier’) dagegen denselben subeutan werden und vom unteren Drittel des Un- terarmes bis zur Stelle, wo er sich zwischen den ersten Mit- telhandknochen in die Hohlhand begiebt, subcutan bleiben. Nach A. Velpeau‘) soll diese Anomalie eine der häufig- 1) Des anomalies arterielles. Paris 1847. 30. p. 157. 3) Handb. d. Anat. d. M. Freiburg i. Br. Bd. II. Abth. 1. 1847. R. 499. 3) Traite d’anat. deser. 3e edit. Tom. II. Paris 1851. p. 696. 4) Trait& compl. d’anat. chir. 3e edit. Bruxelles 1834. p. 334. Ab- handl. d. chir. Anat. Abth. I. Weimar 1826. p. 384. Zur Anatomie der Arteria radialis. 443 sten sein, nach Fr. Blandin'!) und F. Führer?) nicht selten vorkommen. (Man dürfte in Verlegenheit gerathen, wenn man solche Aussprüche durch Präparate beweisen müsste.) — Auch diese haben vergessen, das Verhalten des Ramus dorsalis der Radialis zur Aponeurose anzugeben. Der Fall von Anomalie der Radialis, welchen Bonamy°) 1834 in der anatomischen Gesellschaft demonstrirte, gehört wohl auch hierher. Die Ra- dialis verlor sich am Handrücken als Carpea dorsalis.. Am unteren Drittel des Unterarmes gab sie einen Ast ab, welcher, nachdem er sich über den Radius schräg nach auswärts ge- wendet hatte, vertical zum Spatium intermetacarpeum I. her- abstieg und hier durchbohrte. Mit der starken Mediana, welche den Arcus volaris superficialis manus bilden half, anastomo- sirte letzterer Ast, — Man erfährt aus diesen Angaben nicht einmal genau, wie sich der Ramus dorsalis der Radialis zur Rückenmuseulatur des Unterarmes verhalten habe, geschweige denn wie er in Beziehung der Aponeurose gelagert gewe- sen sei. Ich habe den subeutanen Verlauf des Ramus dorsalis der Radialis am Unterarm- und Handwurzelrücken unter mehreren Tausenden injieirter Extremitäten, die ich bis jetzt zu unter- suchen Gelegenheit hatte, erst einmal gesehen, bin daher be- rechtigt, diese Anomalie als eine grosse Seltenheit zu erklä- ren. Ich babe die Anomalie unlängst an der linken Extremi- tät eines jungen Mannes gesehen, an der rechten Extremität desselben aber vermisst. Ich habe das Präparat in meiner Sammlung aufbewahrt. Wie sich die Anomalie verhalten habe, ist in nachstehender Beschreibung enthalten: | Die Arteria radialis entspringt 1 Zoll über der Theilung der Ulnaris communis in die Ulnaris propria und Interossea communis von der Brachialis, welche 3 Lin. darüber abnor- mer Weise die fast wie die Radialis starke Recurrens radialis abgiebt. Die Radialis verläuft im Sulcus radialis abwärts und 1) Nouv. elemens d’anat. deser. Tom. II. Paris 1838. p. 440. 2) Handb. d. chir. Anat. Berlin 1857. S. 634. 3) Bull. de la societe anat. de Paris ann, 9e 1834, 2e Edit. Paris 1852. p. 205. 29* 444 Prof. Wenzel Gruber: theilt sich 1 Zoll 10 Lin. über der Handwurzel in den 1 Lin. dicken Ramus volarıs und in den 1'!/, Lin. dicken R. dorsa- lis. Der Ramus volaris steigt in der Richtung der Radia- lis unter der Aponeurose im Sulcus radialis bis zur Hand- wurzel herab, wendet sich auf deren Rücken und verläuft auf diesem hinter den Sehnen der Mm. abductor longus, extensor minor pollieis und radialis externus longus etc. quer ulnarwärts, wo er mit der Interossea anterior und der Ulnaris anastomo- sirt. Bevor sich derselbe unter den Sehnen der Mm. abductor longus und extensor minor pollicis versteckt, giebt er zuerst einen kurzen und °/, Lin. dicken Ast, welcher sich büschel- förmig in 3 Zweige theilt; später die Dorsalis pollicis radialis ab. Von jenen 38 Zweigen ist der laterale Z. eine Carpea vo- laris descendens, der mittlere Z. die den Arcus volaris super- ficialis manus nicht erreichende Radio-palmaris, der mediale Z. ein Ramulus communicans mit der Interossea anterior. Nach Abgabe dieser Aeste ist der R. volaris noch ?/; Lin. dick. Nachdem er auch die Sehne des M. radialis externus longus gekreuzt hat, sendet er noch einen Ramulus communicans zum Arcus volaris profundus manus. Dieser steigt schräg zum Spatium intermetacarpeum II. abwärts, tritt zwischen den Köpfen des M. interosseus externus Il. in die Hohlhand und mündet in den Arcus volaris profundus. Der Ramus volaris ist somit eine abnorm hoch entsprungene Carpea dorsalis, welche einige Aeste abgiebt, die sonst aus dem Stamm der Radialis kommen, und direct durch einen Ast mit dem Arcus volaris profundus manus communieirt. Der Ramus dorsalis durch- bohrt gleich nach seinem Ursprunge die Aponeurose und wird subeutan. Er wendet sich auf den Rücken des Unterarmes und verläuft, bis zu seinem Ende subcutan bleibend, auf der Aponeurose über den Mm. brachio-radialis abductor longus, extensor minor et major pollicis bis zum Spatium intermeta- carpeum I. abwärts, wo er zwischen den Köpfen des M. inter- osseus externus I. in die Hohlhand dringt, um den Arcus vo- laris profundus manus bilden zu helfen. Er kreuzt oben den Ramus superficialis nervi radialis und hat diesen und die Vena cephalica neben sich, mit der er auch an der Handwurzel über Zur Anatomie der Arteria radialis. 445 die dreieckige Grube setzt, die radialwärts von den Sehnen der Mm. abductor longus und extensor minor pollicis, ulnar- wärts von der Sehne des M. extensor major begrenzt wird. Während dieses subcutanen Verlaufes giebt derselbe keine Aeste ab. Bevor er aber den M. interosseus externus I. durch- bohrt, schickt er die Dorsalis indieis radialis und eine sehr feine Dorsalis pollieis ulnaris ab, welche in die Princeps pol- licis mündet. Nachdem er den M. interosseus externus I. durchbohrt hat, kommt von ihm die Princeps pollieis, die zwischen diesem Muskel und dem M. flexor pollieis brevis ab- wärts steigt, über der Articulatio metacarpo - phalangea die radialwärts sich wendende Digitalis volaris pollicis radialis abgiebt, an jener Articulatio sich in zwei Aeste theilt, wovon der starke ein Ramus communicans zur starken Digit. volaris pollicis ulnaris aus dem Arcus volaris superficialis manus ist, der schwächere eine Dig. dorsalis pollieis ulnaris darstellt. Der Arcus volaris superficialis manus wird vom R. volaris superficialis der Ulnaris gebildet. Er giebt die Digitales für den kleinen Finger, den Ringfinger, den Mittelfinger, die Ul- narseite des Zeigefingers und des Daumens ab. Er schickt einen Communicationsast zur Dig. volaris indieis radialis und einen zur Dig. volaris pollieis radialis ab und nimmt an sei- nem Endaste, an der Dig. volaris pollicis ulnaris, das Ende der Princeps pollicis ab. Der Arcus volaris profundus wird von dem Ramus dorsalis und der Carpea dorsalis der Radia- lis und dem R. volaris profundus der Ulnaris gebildet. Er giebt ausser anderen Zweigen auch die Dig. volaris indieis ra- dialis ab. Dieser Fall unterscheidet sich von allen bis jetzt genauer bekannt gewordenen Fällen und auch von dem Falle, den R. Quain anf Pl. 43, Fig. 1 abgebildet und mit dem er noch die meiste Aehnlichkeit hat, abgesehen von der permanent sub- cutanen Lage des Ramus dorsalis der Radialis, dadurch, dass die Carpea dorsalis der Radialis den Arcus volaris profundus manus bilden hilft und sich nicht, wie in R. Quain’s Falle als Metacarpea dorsalis II. zur Dig. communis für den Zeige- und Mittelfinger fortsetzt, 446 Prof. Wenzel Gruber: V, Fälle mit rudimentärem Vorkommen und mit Mangel der Arteria radialis. Die an der Arteria radialis beobachteten Fälle von auffal- lender Verminderung ihrer Grösse können nach den verschie- denen Graden derselben in drei Rubriken zusammengestellt werden: 1. Im niederen Grade erstreckt sich die mehr oder weniger auffallend abnorm schwache Arteria radialis auf den Unterarm und die Hand oder auf ersteren allein, anastomosirt aber immer (durch Inosculation) mit den an der Hand sie grösstentheils ersetzenden Unterarmarterien. 2. Im höheren Grade beschränkt sich das Verbreitungsfeld der Arteria radialis auf die obere und mittlere Partie des Un- terarms und anastomosirt nicht mit den au der Hand sie sub- stituirenden Unterarmarterien. 3. Im höchsten Grade endlich fehlt die Arteria radialis bis auf ihre Recurrens. Ad 1. Den niederen Grad auffallender Verminderung der Grösse der Arteria radialis haben beobachtet: Fr. Arnold!) lmal, J. Cruveilhier?) an beiden Extremitäten, J. M. Du- brueil®) 5mal??, Ehrmann‘) lmal (an der rechten Extre- mität eines Mannes), E. Alex, Lauth°) Imal, Ant. Portal®) vielleicht, und Rich. Quain’) lmal (an einer linken Extre- mität). Die Arterie, welehe bis auf die Dicke eines sehr dün- nen Fadens reducirt vorkam (Oruveilhier), hatte dabei den normalen Verlauf und wohl auch den gewöhnlichen Ursprung (Cruveilhier, Portal, Quain); oder entsprang häufiger 1) Handb. d. Anatomie d. M. Bd. II. Abth. 1. Freiburg i. Br. 1847. S. 497. 2) Traite d’anat. deser. 3e edit. Tom II. Paris 1851. p. 697. 3) Des anomalies arterielles. Paris 1847. 80. p. 159, 161. 4) Bei Dubrueil p. 159. 5) Anomalies dans la distribution des arteres de !’homme p. 49. — Mem. de la soc. d’hist. natur. de Strasbourg Tom I. Paris 1860. 6) Cours d’anat. med. Tom. III. Paris 1804. p. 247. Note. 7) The anatomy of the arteries of the human body etc. London 1844. 80. p. 316, 321; Atlas. Fol. Pl. 46. Fig. 8. No. 1. Zur Anatomie der Arteria radialis. 447 schon am Oberarme höher oder tiefer von der A. brachialis (Arnold, Dubrueil, Ehrmann, Lauth). Sie durchbohrte an der rechten Extremität eines Greises die Aponeurose des Musc. biceps, nachdem sie eine kleine Recurrens radialis ab- gegeben hatte, wurde subcutan und verlief mit und hinter der Vena mediana cephalica abwärts (Dubrueil). Sie endigte, ohne gewisse Aeste an die Hand abzugeben, als feines Gefäss unter der Basis des ersten Mittelnandknochens, wo sie sich mit dem Arcus volaris profunpdus manus vereinigte, welcher nebst anderen, gewöhnlich von der A. radialis kommenden Aesten von der A. ulnaris gebildet wurde (Quain); oder mündete in die A, interossea anterior, welche am unteren Rande des M. pronator quadratus hervorkam und abnormer Weise erstere an der Hand substituirte (Arnold, Ehrmann, Lauth); oder mündete lmal sogar in einen sie an der Hand ersetzenden Ast der A. ulnaris (Dubrueil im eitirten Falle). Wo in Dubrueil’s übrigen Fällen die schwache A. radialis geendiget, ob sie mit der interossea anterior communieirt habe oder nicht, erfährt man nicht. Dass es Dubrueil mit der Diagnose einer rudimentären A. radialis eben nicht genau ge- nommen habe, beweiset der Fall von angeblich rudimentärer A. radialis, den er abgebildet hat!). Die A. radialis einer rechten Extremität, welche dem Gefässe gewöhnlicher Fälle an Dicke wenig oder nicht nachsteht (nach der Abbildung zu schliessen) entspringt von der A. brachialis am unteren Drittel des Oberarmes, tritt durch eine besondere Oeffnung im apo- neurotischen Fascikel der Sehne des M. biceps und wird sub- cutan, verläuft im Sulcus radialis abwärts, giebt keine A. radio-palmaris ab und setzt ihren Verlauf auf gewöhnliche Weise auf den Rücken der Handwurzel fort (wenn man von einem Fehler in der Abbildung der Sehne des M. brachio- radialis absieht). Ob ferner die rudimentäre A. radialis an einer linken Extremität inC. Fr. Th. Krause’s Falle?), bei 1) Op. eit. p. 161. — Atlas. 40. Pl. 7. Fig. 1. 2) Bei Fr. Tiedemann; Supplementa ad tab, art. corp. hum. Heidelbergae 1846. Fol. Tab. 45. Fig. 3. Explicat. supplem, 4o. p. 58-59. A448 Prof. Wenzel Gruber: dem dieselbe von der A. ulnaris propria entspringt, während die A. recurrens radialis von der A, brachialis entsteht, hier- her gehört oder zum folgenden höheren Grade, ist nicht aus- gemacht. Es ist ja das Ende der A. radialis an der von Fr. Tiedemann gelieferten Abbildung abgeschnitten dargestellt. Hätte dieselbe mit der sie an der Hand ersetzenden A. inter- ossea anterior nicht communicirt, so würde sie zum folgenden höheren Grade gehören und zugleich den Uebergang von die- sem zum höchsten Grade oder Mangel bilden. Ad 2. Zum höheren Grad der Verminderung der Grösse der A. radialis d. i. ihres Mangels an der unteren Partie des Unterarmes gehören die zwei von J. Cruveilhier!) erwähn- ten Fälle und wohl auch der in der Berner Sammlung nach einer Mittheillung von Fr. W. Theile?) aufbewahrte Fall. Wenn es bei Cruveilhier heisst: „Dans un cas les deux ra- diales manquent & la fois au-devant de la partie inferieure du radius“, so muss die A. radialis doch noch oben am Unter- arme existirt haben. Wenn Theile dieselbe am Präparate im Berner Museum „als rudimentär am. Vorderarme vorhan- den und an der Hand durch die A. interossea vertreten“ be- schreibt, ohne anzugeben, ob erstere mit letzterer communieirt habe oder nicht, so gehört auch dieser Fall doch nur hierher; wenn nicht schon vielleicht zum niederen Grade. Ad 3. Der höchste Grad der Verminderung der Grösse der A. radialis d. i. der Mangel bis auf ihre Recurrens wurde bis jetzt nur bei einem Individuum an beiden Seiten von A. W. Otto?) gesehen. Otto beobachtete nämlich im Leben und Tode einer bejahrten Frau von der A. radialis an beiden Armen nur die A. recurrens radialis und ein Paar kleine Muskel- äste bei gänzlichem Mangel ihres herablaufenden Astes. Ph. Fr. Blandin‘®), obgleich er keine Beweise dafür liefert, den 1) Anat. deser. Tom II. Bruxelles 1837. p. 75. ete. Trait d’anat. descer. 3e ®dit. Tom II. Paris 1851. p. 697. 2) S. Th. Sömmerring. Lehre v. d. Gefässen d. m. R. Leipzig 1841 S. 143. 3) Lehrb. d. pathol. Anat. Bd. I. Berlin 1830. 80. $. 309. Note 12. 4) Nouv. Elemens d’anat. descr. Tom II. Paris 1838. p. 440. Zur Auatomie der Arteria radialis. 449 Mangel der A. radialis aus eigener Beobachtung kennen ge- lernt zu haben, liess diese Arterie dennoch „quelquefois* man- geln. (Auf welche fremde Beobachtungen gestützt??) Allein man weiss ja, was man von solchen vagen Bezeichnungen in den Lehrbüchern zu halten hat. Dagegen nennt Rich. Quain in seinem ausgezeichneten auf Massen eigener Beobachtungen gestützten Werke!) den Mangel der A. radialis bis auf deren Recurrens höchste Seltenheit, und bemerkt ausdrücklich nie einen Fall, welcher jenen von Otto ähnlich gewesen wäre, beobachtet zu haben. Mangel der Arteria radialis nebst Mangel ihrer A. recur- rens wurde bis jetzt niemals gesehen. Ich habe die Arteria radialis in 3 Fällen defect angetrof- fen. Ein Fall davon gehört in die Abtheilung, welche ich als höheren Grad der Verminderung ihrer Grösse bezeichnet habe, also zu Cruveilhier’s und Theile’s 3 Fällen. Die ande- ren Zwei gehören zu der Abtheilung, welche ich als höchsten Grad der Verminderung ihrer Grösse charakterisirt habe, also zu Otto’s 2 Fällen. Ich werde diese Fälle, wovon ich die Präparate in meiner Sammlung aufbewahre, wegen der Seltenheit und wegen an- derer bis dahin zugleich mit dem Mangel der A.radialis nicht gesehener Gefässanomalien im Nachstehenden beschreiben: 1. Fall. Mangel der A. radialis im unteren Drit- tel des Unterarmes, oder Mangel derselben bis auf eine abnorm grosse A. recurrens radialis. Unvoll- kommener Ersatz derselben an der Hand durch die A. interossea anterior. (Beobachtet vor einigen Jahren an einer injieirten, zu den Präparir-Uebungen abgelassenen linken Extremität eines robusten Mannes.) Die 1?/, Lin. dicke Arteria radialis entspriugt 2!/, Zoll über der Theilung der 2°/, Lin. dicken A. brachialis in die 2 Lin. dicke A. ulnaris propria und 2—2'/, Lin. dicke und nur 1—2 Lin. lange A. interossea communis. Gleich nach ihrem Ursprunge giebt sie die kleine A. plicae cubiti super- 1) Op. eit. p. 321. 450 Prof. Wenzel Gruber: ficialis (mihi) ab und theilt sich ?/, Zoll weiter in zwei Aeste, einen 1?/, Lin. starken Ramns recurrens und einen + 1 Lin. starken Ramus descendens. Der Ramus recurrens verhält sich wie der gleichnamige Ast der gewöhnlichen A. radialis reeur- rens und verzweigt sich wie dieser, der Ramus descendens aber steigt 6 Zoll lang im Suleus radialis des Unterarmes abwärts, giebt Zweige den Mm. brachio-radialis, supinator (brevis), radiales externi, pronator teres, radialis internus, flexor digitorum superficialis und vielleicht auch dem flexor pollieis longus und endiget 3 Zoll über der Handwurzel, also unter dem mittleren Drittel der Länge des Unterarmes, ohne mit einer anderen Unterarmarterie zu anastomosiren. Es ist somit die Arteria radialis in diesem Falle nur rudimentär oder auf eine starke A. recurrens radialis, deren Ramus descendens besonders ungewöhnlich lang ist, reducirt zugegen. Die A. interossea anterior ist am Anfange 1?/, Lin. dick-. Nachdem sie hinter dem M. pronator quadratus das Ligamentum inter- osseum durchbohrt hatte, theilt sie sich in zwei Aeste, den ulnarwärts gelagerten */, Lin. dicken Ramus dorsalis und den radialwärts gelagerten 1 Lin. dicken Ramus volaris. Der anomale Ramus volaris durchbohrt ganz unten das Ligamen- tuın interosseum von hinten nach vorn, um wieder an die Vorderfläche des Unterarms zu gelangen. Er steigt vom M. pronator quadratus bedeckt eine Strecke am Radius abwärts, kommt am unteren Rande dieses Muskels zum Vorschein und läuft unter demselben hinter dem M. flexor pollieis longus quer in den Sulcus radialis des Unterarmes. In diesem steigt er schräg ab- und vorwärts und dringt unter den Sehnen der Mm. abductor pollicis longus und extensor pollicis minor zum Rücken der Handwurzel. Im Sulcus radialis, wo er noch 3/, Lin. dick ist, giebt er die !/, Lin. dicke A. radio-palmaris ab, die sich in der Daumenmuseculatur verliert, und endigt nach Kreuzung der genannten Sehnen in zwei Zweige getheilt. Der stärkere davon ist die !/, Lin. dicke A. dorsalis pollieis, der schwächere und 2/, Lin. dicke aber ist der den Ramus com- municans der A. radialis gewöhnlicher Fälle substituirende Ramulus, der zwischen den Köpfen des M, interosseus exter- Zur Anatomie der Arteria radialis. 451 nus I. in die Hohlhand tritt und mit dem Arcus volaris pro- fundus manus communieirt. Die 1'/, Lin. dieke A. interossea posterior verhält sich wie gewöhnlich, Die 2 Lin. dicke A. ulnaris propria verläuft normal und theilt sich wie gewöhn- lich. Ihr Ramus volaris superficialis bildet allein den Arcus volaris superficialis manus und giebt für den Daumen, Zeige- finger, Mittelfinger und die Radialseite des Ringfingers die Arteriae digitales volares ab; ihr ungewöhnlich starker R. vo- laris profundus, bildet den Arcus volaris profundus manus, der den schwachen und anomalen Ramus communicans der A. interossea anterior aufnimmt und nebst anderen Arterien auch die Arteriae digitales volares für den kleinen Finger und die Ulnarseite des Ringfingers absendet. 2. und 3. Fall. Mangel der Arteria radialis bis auf die A. recurrens radialis. Ersatz der fehlen- den A. radialis durch die A. mediana profunda und A.interossea anterior. (Beobachtet im October 1854 im Leben und Tode eines 24jährigen Mannes an dessen beiden Armen.) Im Oetober 1854 fand ich mich auf Aufforderung des Ober- arztes Dr. Canzler im Maria-Magdalena-Hospitale ein, um dort eine Section vorzunehmen. Dr. Canzler theilte mir bei dieser Gelegenheit mit, dass im genannten Hospitale ein jun- ger Mann an einer verschleppten Dysenterie seit dem 20. August 1854 krank liege, dem an beiden Armen der Radialpuls fehle, und forderte mich auf, den Kranken zu untersuchen. Ich untersuchte, fand keinen Puls im Sulcus radialis, wohl aber deutlich den Puls der Arteria ulnaris. Ich untersuchte auch auf das etwaige Vorkommen einer anomaler Weise bis in die llohlhand verlängerten A. mediana profunda, konnte aber den Puls derselben, obgleich sie, wie die anatomische Untersuchung später nachwies, am linken Unterarme zugegen war, nieht ausmitteln. Ich diagnostieirte Mangel der A. radialis auf bei- den Seiten und eitirte Otto’s Fall. Der Kranke starb nach mehreren Tagen. Dr. Canzler hatte die Güte, die beiden oberen Extremitäten mir zu überschicken, die ich injieirte und 452 Prof. Wenzel Gruber: am 23. October zergliederte.e. Unsere Diagnose wurde bestä- tigt, wie aus Nachstehendem hervorgehen wird. Die Arteria radialis fehlt beiderseits bis auf ihre Recurrens vollständig. ‚ Die A. recurrens radialis entsteht hinter dem unteren Rande des aponeurotischen Fascikels der Sehne des M. biceps brachii von der A. brachialis, 1!/, Zoll über deren Theilung in die Unterarmarterien. Dieselbe verläuft und verzweigt sich auf gewöhnliche Weise. 4—6 Lin. von ihrem Ursprunge giebt sie von ihrem unteren Umfange einen sich sogleich in mehrere abwärts steigende Muskelzweige für die Mm. brachio-radialis, supinator und radiales externi theilenden schwachen Ast ab, der rechts nur 2 Lin. lang ist. Diese Zweige sind rechts 2. 2!/, Zoll, links nur 1—1!/, Zoll lang. Von einem R. des- cendens der A. recurrens kann wenigstens links nicht die Rede sein. Die A. plicae cubiti superficialis geht von der A. brachia- lis 5 Lin. über der A. recurrens radialis hinter der Mitte des aponeurotischen Fascikels der Sehne des M. biceps ab, und die A. recurrens ulnaris entspringt von der A. brachialis etwa 1 Zoll unter dem Abgange der A. recurrens radialis. Die Unterarmarterien, in die sich die A. brachialis büschel- förmig theilt, gehen von dem Ende derselben in folgender Ordnung ab: lateralwärts die A. mediana profunda, medial- wärts die A. ulnaris propria, zwischen beiden die A. inter- ossea anterior und rückwärts die A. interossea posterior. Die A. mediana profunda der rechten Seite verlässt so- gleich den Nervus medianus und begiebt sich anomaler Weise zwischen dem M. pronator teres und dem oberen Rande des Radialkopfes des M. flexor digitorum superficialis in den Sul- cus radialis des Unterarmes, erscheint hier etwa 1!/, Zoll über der untersten Insertion des M. pronator teres, steigt noch !/, Zoll unter letztere herab und endigt 3!/, Zoll über der Handwurzel. Sie versieht mit Zweigen die Mm. pronator teres, radialis internus, brachio-radialis und besonders den M. flexor digitorum superficialis. Dieselbe Arterie der linken Seite ver- längert sich anomaler Weise mit dem Nervus medianus bis in Zur Anatomie der Arteria radialis. 453 die Hohlhand. Sie läuft mit jenem Nerven hinter dem Liga- mentum carpi volare proprium vorbei, hier auf ersterem lie- gend, und senkt sich in den Arcus volaris superficialis manus entsprechend der gewissen Stelle der Daumenfurche der Hohl- hand ein, an der die A. radio-palmaris anderer Fälle mündet, wenn sie zur Bildung jenes Arcus beiträgt. Sie giebt oben einen Ast in den Sulcus radialis ab, der auf eine ähnliche Weise dahin verläuft und dort sich verzweigt wie die anomal verlaufende Arterie der rechten Seite. Diese in die Hohlhand verlängerte Arterie ist ein mässig starkes Gefäss und über dem Ligamentum carpi volare proprium nur !/, Lin. dick. Die A. ulnaris ist beträchtlich grösser als gewöhnlich. Sie theilt sich wie gewöhnlich in den Ramus dorsalis und volaris und dieser in den Ramus superficialis und profundus. Der R. volaris der rechten Seite giebt einen anomalen Zweig ab, welcher quer vor dem Ligamentum carpi volare propium ver- läuft, in der Daumenmusculatur sich verzweigt und dadurch die A. radio-palmaris aus der A. radialis gewöhnlicher Fälle substituirt. Der R. volaris superficialis bildet an der rechten Hand allein, an der linken gemeinschaftlich mit der A. me- diana profunda den Arcus volaris superficialis manus; der R. v. profundus aber bildet beiderseits mit dem R. communicans des anomalen Astes der A. interossea anterior, welche an der Hand die fehlende A. radialis ersetzt, den Arcus volaris pro- fundus manus. Die A. interossea anterior ist etwas stärker als gewöhn- lich. Bevor sie am Ende des Ligamentum interosseum ihren R. dorsalis, der dieses durchbohrt, absendet, giebt sie einen anomalen, °/, Lin dicken Ramus volaris ab. Dieser verläuft vom M. pronator quadratus bedeckt, vor dem unteren Radio- Ulnargelenk zuerst ab- und medianwärts, dann unter dem un- teren Rande dieses Muskels vor dem Radius quer lateralwärts und vorn, gelangt in den Sulcus radialis, begiebt sich zur Handwurzel, tritt unter den Sehnen der Mm. abductor polli- cis longus und extensor pollieis minor zum Rücken derselben und theilt sich hinter der Sehne des M. extensor major polli- cis in die A. carpea dorsalis und in den Ramus communicans, 454 Prof. Wenzel Gruber: Die A. carpea dorsalis vereinigt sich rechtwinklig mit dem R. dorsalis der A. interossea anterior, der dieser Vereinigung gegenüber einen Zweig abschickt, welcher mit dem R. dorsa- lis der A. ulnaris anastomosirt. Der R. communicans durch- bohrt den M. interosseus externus I. und vereiniget sich mit dem R. volaris profundus der A. ulnaris zur Bildung des Arcus volaris profundus manus. Dieser ist an der linken Hand ?/, Lin. dick, an der rechten aber an seiner Verbindung mit der A. ulnaris sehr fein. Der anomale R. volaris der A. interossea anterior giebt im Sulcus radialis an der linken Seite, nicht an der rechten, die sonst von der A radialis kom- mende A. radio-palmaris ab, welche sich in der Daumenmus- culatur verzweigt und den Arcus volaris superficialis manus nicht erreicht; später und nachdem er die Sehnen desM. ab- ductor longus und extensor minor pollieis gekreuzt hatte, schickt er die A. dorsalis pollieis radialis ab. Der anomale R. volaris der A. interossea anterior ersetzt daher an der Hand im Kleinen die fehlende A. radialis und zwar an der linken etwas vollständiger als an der rechten. Aus dem Arcus volaris superficialis kommen an der rech- ten Hand: die Arteriae digitales volares in folgender Ord- nung: a) Dig. uln. V. b) Ram. comm. a) Dig. rad. IV. b) Dig. uln. II. a) Dig. rad. 11i. b) Dig. uln. I. a) Dig. rad. II. comm. | 1. Dig. comm. | 1% Dig. rad. V. ?) Dig. uln. IV. 2. Dig. comm. | 3. Dig. comm. | 4. Dig. b) Dig. uln. 1. c) Dig. rad. I. An der linken Hand: 1. Dig. uln. V. ! a) Dig. rad. V. 5 un { b) Die. uln. IV. a) Dig. rad. IV. 3. Dig. comm. | b) Dig. uln. IM. Zur Anatomie der Arteria radialis. 455 a) Dig. rad. II. 4. Dig. comm. | b) Dig. uln. II. 9. Die. ulo,E Die A. digitalis volaris radialis pollicis der linken Hand giebt den Arcus volaris profundus ab, und die A. digitalis volaris radialis indieis substituirt an der 1. Phalanx des Zei- gefingers ein Zweig der A. interossea volaris manus III., an der 2. und 3. Phalanx ein Zweig der A. digitalis volaris ul- naris indieis. 456 Dr, J. Rosenthal: Studien über Athembewegungen. Von Dr. J. ROSENTHAL in Berlin. Erster Artikel. Die Frage nach den Umständen, durch welche im lebenden Organismus die Athembewegungen angeregt werden, habe ich in meiner Schrift: „Die Athembewegungen und ihre Beziehun- gen zum N. Vagus“ auf Grund der bis dahin bekannten That- sachen zu beantworten versucht. Es ergab sich, dass diese Umstände zu suchen sind in dem Gasgehalt des Blutes, der- gestalt, dass mit Zunahme des Sauerstoffes im Blute der An- trieb zu den Athembewegungen abnehme, umgekehrt dagegen mit abnehmendem Sauerstoffgehalt des Blutes jener Antrieb wachse. Der Erste, welcher die Beziehungen des Gaswechsels in den Lungen zu dem Lebensvorgang richtig erkannte, war Hook. Ihm schreibt man gewöhnlich auch die Entdeckung der Thatsache zu, dass durch ausreichende Zufuhr von Luft zu den Lungen die Athembewegungen ganz zum Stillstand ge- bracht werden können, obgleich diese Beziehung nicht eben deutlich ausgesprochen ist!), Als Traube das Hook’sche 1) Bei dem geschichtlichen Interesse, welches sich an das Hook- sche Experiment knüpft, und bei der Seltenheit des Originals dürfte es nicht überflüssig erscheinen, die Stelle hier auszuziehen. (Philos. Transact. of the Roy. Soc. Vol. II. For Auno 1667. Numb. 28. p. 539. Vorgelesen der Roy. Soc. Oct. 24. 1667. Den Versuch hatte Hook eine Woche vorher der Societät gezeigt.) Der Verfasser, heisst es, Studien über Athembewegungen. 457 Experiment mit einem indifferenten Gase (N oder H) statt atmosphärischer Luft wiederholte, geriethen die Thiere ebenso in Dyspnoe und Convulsionen, als wäre gar kein künstlicher Gaswechsel bewerkstelligt worden. Umgekehrt fand Wilh. Müller, dass Thiere sehr grosse Mengen Kohlensäure athmen können, ohne Zeichen von Dyspnoe zu zeigen, wenn nur gleich- zeitig genügende Mengen Sauerstoff vorhanden sind. Diese Versuche erschienen als eine genügende Grundlage für den oben ausgesprochenen Satz. Indessen ist Traube selbst mit neuen Versuchen hervor- getreten, welche ihn zu ganz entgegengesetzten Ergebnissen geführt haben. Danach soll es möglich sein, durch rhyth- mische Einblasungen reinen Wasserstoffes in die Lungen eines Thieres die Athembewegungen ebenso zu suspendiren, wie durch atmosphärische Luft. Dagegen sollen Einblasungen einer stark kohlensäurehaltigen Luft auch dann noch Dyspnoe erzeugen, wenn diese Luft selbst reicher an Sauerstoff ist, als gewöhnliche atmosphärische Luft). Daraus schliesst denn Traube jetzt, dass der Kohlensäuregehalt des Blutes das allein Bestimmende für die Athembewegungen sei. habe der Societät gezeigt, dass ein Hund, welchem durch Fortnahme der Rippen und des Zwerchfells die Lungen blosgelegt worden, am Leben erhalten werden könne durch rhythmisches Einblasen von Luft in die Lunge. Da aber Einige geglaubt, dass die Bewegung der Lun- gen nothwendig sei zur Unterhaltung der Circulation des Blutes, so machte H. zur Unterstützung seiner Hypothese, nämlich, dass es sich dabei nur um den Gaswechsel in den Lungen handele, noch folgenden Versuch: Er verband mit dem’ersten Blasebalg, welcher in die Trachea eingebunden war, einen zweiten, machte in die Oberfläche der Lunge viele Stiche und bewegte nun den zweiten Blasebalg sehr schnell, so dass der erste stets voll war und einen stetigen ‚Luftstrom durch die Lungen trieb. „This being continued for a pretty while, the Dog, as I expected, lay still, as before, his eyes being all the time very quick and his heart beating very regularly. But upon ceasing this blast, and suffering the Lungs, to fall and lay still, the Dog would imme- diately fall into Dying convulsive fits; but be as soon revived again . by the renewing the fullness of his Lungs with the constant blast of the fresh Air.“ 1) Allg. Med. Centralzeitg. 1862. No. 38. — 1863. No. 97. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1864, 30 458 Dr. J. Rosenthal: Dieser Widerspruch zwischen den neuen und den alten Versuchen Traube’s, so wie den Angaben W. Müller’s musste gehoben werden, bevor man sich auf weitere Unter- suchungen über Athembewegungen einlassen konnte. Ich selbst hatte mich schon früher durch eigene Versuche von der Rich- tigkeit der älteren Angaben Traube’s und W. Müller’s über- zeugt; andere Forscher, wie Krause und Thiry konnten die neuen Angaben Traube’s nicht bestätigen'). Bei der funda- mentalen Wichtigkeit dieser Frage wird es gerechtfertigt er- scheinen, wenn ich dieselbe hier, gleichsam als Einleitung zu späteren Mittheilungen, nochmals behandele und eine or, tige Entscheidung herbeizuführen versuche. Welchen Einfluss übt Verminderung des Blutsauerstoffes ohne gleichzeitige Vermehrung der Blutkohlensäure auf die Athembewegungen aus? Das ist die Frage, welche wir zu beantworten haben. Zu diesem Behuf müssen wir uns nach Mitteln umsehen, den Sauerstoffgehalt des kreisenden Blutes zu vermindern. Da nun die Aufnahme des O in das Blut nicht einfach nach dem Henry-Dalton’schen Gesetze er- folgt, so wird eine Abnahme des Partialdruckes des O im Lungenraum nicht zugleich mit Nothwendigkeit eine Abnahme des OÖ im Blute zur Folge haben. Diese wird vielmehr erst dann eintreten, wenn der Partialdruck des O unter eine be- stimmte Grenze sinkt. Dass also jene Grenze nicht er- reicht, geschweige denn überschritten sei, ist die wichtigste Bedingung bei unseren Versuchen. Ueber die Spannung des Sauerstoffes im Blute besitzen wir aus neuerer Zeit Zahlenbestimmungen von Holmgren. Dieser mass die Spannung, welche der aus dem Blute in den luftleeren Raum entweichende O erreicht. Er fand für arterielles Blut bei 20—23° C. . . . . 20,67 Mm. Hg. bei 20 TOTEN er are ER Gl nr venoses Blut. bei 100.0... 07 = ,.7.9.26 = Exstickungsblut bei 40°C... . . .. . 1,94 ö 1) Krause in Heidenhain’s Studien, zweites Heft, S. 42; Thiry in Zeitschr. f. rat. Med. (3) XXI. S. 25. Studien über Athembewegungen. 459 Wir sehen daraus, dass die Sauerstoffspannung des Blutes wächst mit dem O-gehalt und mit der Temperatur!), Wir können daraus schliessen, dass eine Aufnahme von OÖ in’s Blut geschehen wird, wenn der Partialdruck jenes Gases höher ist, als die betreffende Grenze, eine Abgabe, wenn er geringer ist. Da nun das in die Lungen gelangende Blut venös ist, so wird es © aufnehmen können, wenn dessen Druck über 9,26 Mm. Hg. beträgt. Bei einem Gesammtdruck von 760 Mm, Hg. aber würde der Partialdruck des O jenen Werth schon erreichen, wenn der Sauerstoffgehalt der Lungenluft nur 1,2 °/, betragen würde. Es ist aber klar, dass diese Grenze nur gilt für den O- gehalt der die Alveolen erfüllenden Luft. Nun besitzen wir noch keine einzige Analyse der Alveolarluft und können nur ganz im Allgemeinen angeben, dass dieselbe jedenfalls ärmer an O und reicher an CO, sein muss, als die in den oberen Theilen des Lungenraumes enthaltene Luft. Der Unterschied zwischen beiden wird aber um so geringer sein, je energischer die Athembewegungen sind. Bei flacher Athmung wird die Lungenluft gedacht werden können als bestehend aus drei übereinander geschichteten Abtheilungen. Die oberste dieser Abtheilungen hat eine wechselnde Zusammensetzung, sie be- steht unmittelbar nach der Einathmung aus reiner atmosphä- _ rischer Luft, bei der Ausathmung aus einem Gemenge dieser und der folgenden Schicht. Die unterste Abtheilung ist eine dünne, die Alveolenwände direct bekleidende Gasschicht, deren Zusammensetzung zu kennen für unseren Zweck am wichtig- sten wäre; doch haben wir leider kein Mittel, sie zu erfor- schen. Dazwischen endlich liegt eine Schicht, welche bei den Athembewegungen als ein Ganzes hin und her pendelt, abge- sehen davon aber der Sitz ist zweier in entgegengesetzter Rich- tung gehender Diffusionsströme: des Sauerstoffes von Aussen nach Innen, der Kohlensäure von Innen nach Aussen. Durch die Mächtigkeit dieses Diffusionsstromes wird die Zusammen- 1) Holmgren in Sitz.-Ber. d. Wien. Akad. XLVIII. (Sitzung v. 10. Dec. 1862.) 30* 460 Dr. J. Rosenthal: setzung der dritten Abtheilung, der Alveolarluft bedingt. Je energischer die Athembewegungen werden, desto weiter nach Innen erstreckt sich das Gebiet der ersten Schicht, desto dün- ner wird die zweite, desto mächtiger die in ihr vorgehende Diffusion, desto mehr nähert sich die Zusammensetzung der Alveolenluft der Zusammensetzung der Inspirationsluft. Es ist der Fall denkbar, dass bei starker künstlicher Athmung so viel Luft in den Lungenraum mit solcher Geschwindigkeit eingetrieben würde, dass die von uns bei der flachen Athmung angenommene mittlere Schicht ganz fortfiele, d. h. dass die Inspirationsluft bis in die Alveolen vordränge und dass mit jeder Lufteinblasung so viel Sauerstoff in den Alveolarraum gelange, als das durch die Lungen strömende Blut in der Pause zwischen zwei Einblasungen aufzunehmen vermag. In diesem Falle, welcher in Versuchen an Thieren gar nicht schwer zu erreichen ist, wird also die Zusammensetzung der Alveolarluft nicht wesentlich abweichen von der Zusammensetzung der ein- geblasenen Luft und daraus folgt, dass schon eine Ver- unreinigung der Einblasungsluft mit Etwas über 1 °/, Sauerstoff genügen wird, das Blut vollkommen mit Sauerstoff zu versorgen, ja dass sogar ein noch geringerer Sauerstoffgehalt dazu hinreichen kann, da ja in die- sen Fällen das Blut unter einem höheren Druck, als dem einer Atmosphäre, welchen wir bei der Berechnung zu Grunde gelegt haben, in den Lungen mit dem Blute in Berührung kommt. Diese Betrachtungen werden zur Genüge darthun, wie leicht bei Versuchen nach Art der von Traube angestellten geringe Beimengungen von Sauerstoff Ursache zu dem para- doxen Ergebniss werden können, dass ein Hund 40 Minuten und darüber anscheinend in einer reinen Wasserstoffatmosphäre lebt. Wie leicht kommt nicht, bei Benutzung complicirter Lei- tungen eine so geringfügige Verunreinigung des so schwer rein zu bewahrenden Wasserstoffes zu Stande, zumal wenn beim Aufziehen des Blasebalges oder bei der Ausdehnung der von Traube später angewandten Kautschukkugel das Gas zeitweise unter einen geringeren Druck zu stehen kommt, als Studien über Athembewegungen. 461 den einer Atmosphäre, wodurch natürlich das Einsaugen at- mosphärischer Luft an allen nicht absolut luftdicht schliessen- der Stellen nur begünstigt wird. Wie oft habe ich es nicht selbst erfahren, dass geringe Unachtsamkeit beim Auffangen des zu den Versuchen zu benutzenden Gases oder Stehenlassen des Gases in scheinbar vollkommen schliessenden Gasometern hinreichten, die Ergebnisse zu ändern. Unter diesen Umstän- den sind Traube’s frühere Versuche, welche mit einfacheren Mittelo angestellt sind, jedenfalls weniger von Störung beein- flusst gewesen, als seine neuen. In jenen alten Versuchen hatte Traube gefunden, dass ein stetiger Strom von Wasser- stoff oder Stickstoff, nach Hook’s Methode durch die Lungen getrieben, zu einer heftigen Dyspnoe führte. Man könnte ge- gen die Beweiskraft dieser Versuche nur anführen, dass der Strom des indifferenten Gases nicht ausgereicht habe, um die Kohlensäure genügend aus dem Blute zu entfernen, Darauf ist zu erwidern, dass dann der Strom atmosphärischer Luft, welcher doch auf dieselbe Weise durch die Lungen geleitet wurde, ebenfalls nicht hätte ausreichen dürfen. Und doch giebt Traube an, dass dieser keine Dyspnoe verur- sacht, im Gegentheil die schon bestehende aufgehoben habe. Wie dem auch sei, für uns kann aus diesen Wider- sprüchen nur die Aufgabe erwachsen, mit thunlichster Ver- meidung aller Fehlerquellen durch neue und schlagende Ver- suche den strittigen Punct ins Klare zu setzen. Da es sich für uns zunächst nur um eine Verminderung des Sauerstoffgehaltes des Blutes handelt, so erscheint als ein- fachstes Verfahren das, die Thiere in eine sauerstoff- und koh- lensäurefreie Atmosphäre zu bringen und die Athmung unter diesen Umständen zu beobachten. Sollten die Thiere dabei dyspnoische Erscheinungen zeigen, so würde dies ein Beweis für unsere Anschauung und gegen die andere sein, da in die- sem Falle kein Grund für eine Vermehrung des CO,-gehaltes des Blutes gegeben ist. Der Versuch giebt nun in der That das vorausgesetzte Resultat, wie allgemein bekannt und wie ich selbst es vielfach gesehen habe. Bei kleineren Thieren führt ein sehr einfaches Versuchs- 462 Dr. J. Rosenthal: verfahren zum Ziel. Man setzt die Thiere in ein passendes Gefäss, und leitet durch dasselbe einen starken Strom reinen Wasserstoffgases. In dem Masse, als die atmosphärische Luft durch H verdrängt wird, sieht man Dyspnoe entstehen, welche immer heftiger wird, bis zuletzt Krämpfe ausbrechen und endlich Asphyxie eintritt. Bringt man die T'hiere jetzt schnell an die atmosphärische Luft, so können sie, wenn das Herz noch schlägt, ohne alle Kunsthülfe oder durch künst- liche Athmung ins Leben zurückgerufen werden und man kann, wenn sich die Thiere erholt haben, den Versuch mit gleichem Erfolg beliebig oft wiederholen. Wartet man zu lange, so ist die Wiederbelebung nicht mehr möglich, das Thier ist an Sauerstoffmangel gestorben. Ich habe den Versuch sehr oft mit jungen Kaninchen, Meerschweinchen, Fledermäusen und Fröschen angestellt und stets mit demselben Erfolg. Die dyspnoischen’ Erscheinungen waren stets auf das Deutlichste ausgeprägt. So einfach der Versuch ist, so beweist er doch vollkommen, was er bewei- sen soll, nämlich dass die dyspnoischen Erscheinungen unter Umständen auftreten, wo von einer abnormen CO,-anhäufung im Blute keine Rede sein kann, wo aber der O-gehalt des Blutes eine Abnahme erleiden muss. Denn es ist klar, dass wenn die das Thier umgebende Atmosphäre aus reinem Was- serstoff besteht, die Zusammensetzung seiner Alveolenluft bald eine solche werden muss, dass eine Aufnahme von Sauerstoff in das Blut nicht mehr möglich wird. Und dass in diesem Falle stets Dyspnoe eintritt, das war es, was wir uns zu zei- ‘gen vorsetzten. Bekanntlich ist der eben beschriebene Versuch mit Fröschen schon von Joh. Müller angestellt, von ihm aber anders ge- deutet worden!). Indem Müller nur das letzte Stadium der Wasserstoffwirkung, das Erlöschen aller Athembewegungen, in’s Auge fasste, sah er in dem Versuche einen Beweis für seine Ansicht, dass der Sauerstoff die eigentliche Ursache der Athem- bewegungen sei. Das Unhaltbare dieser Ansicht habe ich 1) Handb. d. Physiol. II. 76. Studien über Athembewegungen, 463 schon an einem anderen Orte nachgewiesen!). Es wird aber Jeder bei Wiederholung des Versuches sich überzeugen kön- nen, dass diesem Erlöschen der Athmung ein Zustand von Dyspnoe verhergeht, so deutlich, als dies bei Fröschen nur möglich ist. Bei Säugethieren aber wird Niemand über die wahre Deutung des Vorganges auch nur einen Augenblick zweifelhaft sein können. Grössere Thiere kann man nicht gut in derselben Weise in eine reine H-Atmosphäre bringen; denn wenn man auch im Besitz genügend grosser Glasgefässe ist, so würde es doch schwer sein, die atmosphärische Luft aus denselben vollkom- men genug durch H zu verdrängen. Deshalb habe ich es vorgezogen, die Thiere das Hgas aus einem Quecksilbergaso- meter durch eine in die Trachea eingebundene Canüle athmen zu lassen. Das Gasometer, welches auch sonst noch zu man- nichfachen Versuchen dient, ist in Fig. 1 (auf folgende Seite) dargestellt. Zwei Glascylinder sind so mit einander verbunden, dass der eine weitere den anderen umgiebt und beide einen schma- len, ringförmigen, unten geschlossenen Raum einschliessen, welcher mit Quecksilber gefüllt wird. In diesem Raum be- wegt sich die oben geschlossene Glocke g, aufgehängt an einer Schnur, welche über eine Rolle läuft. Zwei Becher, von denen der eine (in der Figur weggelassen) oben an der Glocke, der andere am anderen Ende der Schnur be- festigt ist, können nach Bedarf mehr oder weniger mit Schrot gefüllt werden, um so die Glocke mit beliebiger Kraft aus dem Quecksilber zu ziehen oder in dasselbe hinunter zu drücken. Durch den inneren, oben geschlossenen Cylinder gehen 3 Röhren, welche unter den Cylindern recht- winklig umbiegen, und so den Binnenraum der Glocke mit der Aussenwelt in Verbindung setzen. Alle drei Röhren ste- hen durch Kautschukschläuche mit Müller’schen Quecksilber- ventilen in Verbindung, welche den Gasen nur in der Rich- tung der Pfeile sich zu bewegen gestatten. Das Ventil v, 1) Athembewegungen. S, 13. 464 Dr. J. Rosenthal: dient zur Füllung des Gasometers, durch das Ventil v, kann ein Thier, dessen Trachea luftdicht mit dem Kautschukschlauche t verbunden ist, aus dem Gasometerrohre einathmen, durch das Ventil v, athmet das Thier aus. Zur Anstellung der in Rede stehenden Versuche wird zu- Fig. 1. — — A \) \S ZZ Il N Il Studien über Athembewegungen. 465 nächst der das Ventil v, mit dem Gasometer verbindende Kautschukschlauch durch die Klemme k geschlossen und der Stopfen s von demselben Ventil entfernt. In die Trachea des Versuchsthieres wird eine, oben geschlossene Tförmige Canüle von Glas luftdieht eingebunden, durch den Kautschukschlauch t mit dem zu den Ventilen v;, und v, führenden Gabelrohr verbunden, und das Thier athmet nun die in der Gasometer- . glocke befindliche Luft ein, während seine Exspirationsluft durch das Ventil v; frei in die Atmosphäre entweicht. Ist das Gasometer mit atmosphärischer Luft gefüllt und das Ven- til v, offen, so dringt in dem Masse, als das Thier Luft aus dem Gasometer verbraucht, neue Luft durch das Ventil v, ein, die Glocke schwankt daher innerhalb enger Grenzen auf und nieder. Die Athembewegungen des Thieres sind dabei etwas stärker, als normal, die Frequenz etwas geringer, wegen der Widerstände, welche durch die engen Leitungsröhren und die Ventile der Athmung sich darbieten. Man beobachtet auf diese Weise gleichsam die Constanten des Instrumentes und man beurtheilt die Einwirkungen anderer Gase am richtigsten durch Vergleichung mit der Athmung atmosphärischer Luft aus dem Apparat. Um die Wirkung solcher anderer Gase oder Gasgemenge zu studiren, verbindet man die Behälter, in welchen dieselben bereitet werden oder aufbewahrt sind, mit dem Ventil v,, füllt die Glocke, und wenn man sicher ist, dass alle atmosphärische Luft aus dem Apparat entwichen ist, verbindet man die Trachea des Thieres mit dem Gabelrohr !), das Thier athmet dann aus der Glocke, und in dem Masse, als deren Luft verbraucht wird. lässt man nun durch v, zutreten, so dass die Glocke stets denselben Stand behält. So kann man mit dem kleinen Gasometer, welches nur etwa 350 Cem. Luft fasst, so lange athmen lassen, als der Versuch es erfordert. 1) Diese Verbindung kann schnell hergestellt und unterbrochen werden, indem der Schlauch t in einen durchbohrten Zapfen ausläuft, welcher in die Mündung des Gabelrohrs eingeschliffen ist. Vergl. Athembewegungen $. 94 und die Abbildung auf Tafel III. bei z. 466 Dr. J. Rosenthal: Füllt man das Gasometer mit reinem Sauerstoff, so sind die Erscheinungen nicht wesentlich verschieden von denen, welche bei atmosphärischer Luft auftreten. Nur eine geringe Verlangsamung der Athmung pflegt einzutreten. Ganz anders aber bei der Athmung reinen Wasserstoffes. Die ersten Athem- züge bieten noch keine Abweichung von der Norm; bald aber werden sie tiefer, die accessorischen Athemmuskeln treten der Reihe nach in Thätigkeit, die Nasenflügel werden heftig be- wegt, das Maul wird weit aufgerissen, die Inspirationen wer- den ausserordentlich verlängert, tetanisch, die Exspiration ge- schieht hastig mit Betheiligung aller Muskeln. Lässt man in diesem Stadium atmosphärische Luft zu, so legt sich der Sturm bald wieder und die Athmung kehrt zur Norm zurück. Setzt man aber die H-athmung länger fort, so werden die Athembewegungen immer heftiger, dann erfolgen allgemeine Krämpfe, die Pulsfrequenz sinkt beträchtlich, dann werden die Athembewegungen seltener, sie erfolgen in immer länger wer- denden Pausen, die Pupillen erweitern sich, es entsteht ein enormer Exophthalmus, das Thier ist dem Erstickungstode nahe und kann nur noch durch künstliche Athmung gerettet werden. Wartet man mit dieser nur noch kurze Zeit nach dem Eintritt jener bedrohlichen Symptome, so ist das Thier todt und selbst durch künstliche Athmung nicht mehr zu beleben. Diese Erscheinungen sind so vollständig gleich denen, welche bei der gewöhnlichen Erstickung durch Verschluss der Luftröhre auftreten, dass man nicht einen Augenblick zwei- felhaft sein kann, dass beiden die nämliche Ursache, die Ver- armung des Blutes an Sauerstoff zu Grunde liegen müsse. Diese O-verarmung führt zunächst zu vermehrter Erregung des respiratorischen Centrum, d. h. zur Dyspnoe, im weiteren Verlauf der O-verarmung aber verlieren das Centralorgan und die Athemmusculatur ihre Leistungsfähigkeit, die Athembewe- gungen werden daher wieder schwächer und hören zuletzt ganz auf, es entsteht Erstickung oder Asphyxie!), Der 1) Vergl. Athembewegungen S. 13. Studien über Athembewegungen. 467 asphyktische Zustand hat bei oberflächlicher Betrachtung sehr viel Aehnlichkeit mit demjenigen, wo das Blut vollkommen mit Sauerstoff gesättigt ist — in beiden Fällen athmet das Thier nicht. Aber in der Asphyxie athmet es nicht, weil es nicht athmen kann, obgleich alle Ursachen zur Reizung des Athemcentrum im höchsten Grade vorhanden sind; in dem anderen Zustande dagegen athmet es nicht, obgleich es sehr gut athmen könnte, weil sein Athemcentrum gar nicht erregt wird. Ich bezeichne diesen letzteren Zustand, nach Analogie des Wortes Dyspnoe, mit dem Namen Apnoe. Die Apnoe entsteht also durch vermehrte Zufuhr von O, die Dyspnoe durch verminderte; zwischen beiden mitten inne liegt die nor- male Athmung, entsprechend einem mittleren Gehalt des Blu- tes an O (etwa 13 °/, nach den Analysen von Szczelkow). Aus der Asphyxie entsteht daher durch O-zufuhr der Reihe nach erst Dyspnoe, dann mässige (normale) Athmung, zuletzt Apnoe; aus der Apnoe entsteht durch Abschneiden der O- zufuhr zuerst mässige Athmung, dann Dyspnoe, endlich Asphyxie. Die Unterscheidung der Asphyxie von der Apnoe ist daher für die Theorie sehr wichtig. Praktisch wird man beim Anblick eines Thieres nicht lange zweifelhaft sein kön- nen, ob es sich in dem einen oder anderen Zustand befinde. In der Apnoe ist die Pulsfregquenz hoch, die Herzschläge kräftig, die Schleimhäute von normalem Aussehen, die Pu- pillen von mittlerer Weite, der Sphinkter orbicul. reagirt auf jede Berührung der Conjunctiva. In der Asphyxie ist die Pulsfrequenz gering, die Herzschläge schwach, die Schleim- häute dunkel, die Pupille enorm erweitert, so dass nur ein ganz schmaler Rand der Iris sichtbar ist, der Augapfel ganz aus seiner Höhle herausgedrängt, die Conjunctiva glanzlos, unempfindlieh gegen Reizung. Diese Merkmale sichern die Diagnose hinlänglich, auch wenn man das, was vorhergegan- gen, nicht weiss'). 1) Es ist hier nieht der Ort, auf die Ursache der Pupillenerweite- rung in der Asphyxie näher einzugehen. Nur so viel sei bemerkt, dass sie in fast unverminderter Stärke fortbesteht nach Sympathicus- 468 Dr. J. Rosenthal: Bläst man einem durch H asphyktisch gemachten Thiere aus einem Blasebalge Luft ein, so sieht man häufig unmittel- bar auf die Einblasung eine einmalige tiefe Inspiration folgen. Bläst man wiederholt Luft ein, so entsteht zuerst eine kurze Dyspnoe und dann normale Athmung. Die erste einmalige, unmittelbar auf die Einblasung folgende Einathmung fehlt, wenn beide Vagi durchschnitten sind. Diese Inspiration ist daher mit derjenigen zu vergleichen, welche man zuweilen bei elektrischer Reizung des Vagusstammes in der Asphyxie beob- achtet!). Die Bedingungen für das Zustandekommen beider sind auch die nämlichen. Die Sauerstoffarmuth des Blutes muss so weit gesunken sein, dass die Medulla oblongata nicht gänzlich unerregbar geworden ist, aber doch nur in langen Pausen zu functioniren vermag. Eine plötzliche Erregung des Vagus löst dann das vorhandene Erregungsquantum mit einem Male aus und bewirkt so jene einmalige tiefe Inspira- tion. Der Versuch gelingt daher nicht immer. Denn wartet man zu lange, so sinkt die Erregbarkeit der Med. obl. noch mehr und die Vagusreizung ist unwirksam. Man muss dann eine Zeit lang Luft einblasen, bis durch das eirculirende Blut der Medulla genügend O zugeführt hat. Was aber dem Ver- suche ein besonderes Interesse verleiht, ist der durch densel- ben gelieferte Beweis, dass die Vagusendigungen in der Lunge durch die Luftzufuhr erregt werden, sei es nun, dass diese Erregung durch die mechanische Ausdehnung der Lunge, sei es, dass sie durch chemische Vorgänge im Lungenblut zu Stande komme. Dies berechtigt uns zu dem Schluss, dass auch die stetige Erregung, welche die Vagi während des Le- bens erfahren und welche einen so mächtigen Einfluss auf die Athembewegungen hat, durch die Athmung selbst zu Stande durchschneidung, wie Balogh richtig angiebt. Dagegen scheint mir die Angabe dieses Autors unbegründet, dass. aus der Medulla oblon- gata erweiternde Fasern zur Pupille gelangen. Dieselben entspringen vielmehr im Ganglion Gasseri, wie auch Oehl gefunden hat, Vergl. Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1864. S. 598. 1) Athembewegungen S. 160. Studien über Athembewegungen. 469 komme. Es ist aber viel wahrscheinlicher, dass die mecha- nische Zerrung bei den Athembewegungen den Grund zu der Vaguserregung abgiebt, als irgend eine chemische Einwirkung des Blutes. Nimmt man das Erstere an, so ergeben sich dar- aus einige interessante Folgerungen für die Mechanik der Athembewegungen. Jede dyspnoische Ursache nämlich, indem sie die Athembewegungen verstärkt, bedingt vermehrte Rei- zung der Vagi und führt so zu beschleunigter Athmung. Da- hingegen bewirkt ein mechanisches Hinderniss für den Zutritt der Luft zu den Lungen, indem es die Inspiration verlängert, nothwendiger Weise eine weniger heftige Zerrung der Vagus- enden, demnach eine schwächere Erregung derselben und führt sonach zu einer Abnahme der Athembewegung. Nach Durchschneidung der Vagi aber wird eine dyspnoische Ursache nur noch in geringem Grade die Frequenz der Athmung vermehren können, während sie die Stärke der einzelnen Athemzüge natürlich nach wie vor vermehrt. Alle diese Fol- gerungen sind aber mit bekannten T'hatsachen in vollem Ein- klange '). E Die bisher beschriebenen Versuche wurden alle mit reinem H angestellt, welcher aus reinem Zink und reiner Schwefel- säure dargestellt und dann durch Kalilauge, Sublimatlösung und Wasser gewaschen war. Wo das Gas nach der Entwicke- lung nicht direct verwandt, sondern erst in Gasometern auf- gesammelt wurde, überzeugte ich mich stets von dem guten Schluss der Gasometer, wandte auch das Gas stets innerhalb sehr kurzer Zeit nach dem Auffangen an, um nicht bei etwai- gem längeren Stehenlassen eine Verunreinigung mit atmosphä- rischem Sauerstoff befürchten zu müssen. Wendet man diese Vorsichtsmassregeln nicht an, hütet man sich insbesondere nicht sorgfältig vor Vermischung des Wasserstoffes mit atmo- sphärischer Luft bei der Darstellung und Auffangung des Ga- ses, oder bewahrt man dasselbe längere Zeit in mit Wasser gesperrten Glocken auf, so wird man leicht finden, dass die beschriebenen Erscheinungen gar nicht oder doch nur wenig 1) Vergl. Athembewegungen S. 120, 470 Dr. J. Rosenthal: ausgeprägt auftreten. Bei Anwendung reinen Gases aber wer- den die Versuche niemals versagen. Ganz dieselben Versuche habe ich statt mit Wasserstoff auch mit reinem Stickstoff angestellt, welcher durch Ueber- leiten trockener, CO,-freier atmosphärischer Luft über glühende Kupferspähne dargestellt war. Dass der so gewonnene N frei von O war, ging u, A. schon daraus hervor, dass die glühen- den Kupferspäne nur in der ersten Hälfte des Rohres, wo die Luft eintrat, oxydirt wurden. Das so gewonnene Gas wurde in einem Gasometer aufgefangen und von da nach Bedarf in das Quecksilbergasometer, Fig. 1, übergeführt. Die Versuche führten zu denselben Ergebnissen, wie die mit H angestellten, und alles dort gesagte kann ohne Weiteres auch auf die neuen Versuche übertragen werden. Die Aufbewahrung des N ohne Verunreinigung ist natürlich wegen seines geringeren Diffu- sionsvermögens viel leichter als die des H, und es würden da- her diese Versuche den Vorzug verdienen, wenn nicht die Darstellung des H so sehr viel bequemer wäre. Am besten bleibt es immer, den H direct aus dem Entwickelungsappa- rat (nach gehöriger Waschung) in das Quecksilbergasometer zu leiten, und es empfiehlt sich zu diesem Zweck ein Ent- wickelungsapparat nach dem Princip des Döbereiner’schen Feuerzeugs, welcher einen stetigen und nach Belieben starken Strom reinen H lange Zeit hindurch zu liefern im Stande ist. Die vorstehend besprochenen Versuche genügen vollstän- dig, um zu beweisen, dass jede Entziehung des O, unter Um- ständen, wo der CO, des Blutes unbehinderter Abzug gestat- tet ist, Dyspnoe und in letzter Instanz Asphyxie zur Folge hat. Dennoch habe ich es nicht unterlassen wollen, zu weite- ver Bekräftigung des Satzes auch noch Versuche mit künst- licher Athmung anzustellen. Die künstliche Athmung un- terscheidet sich von der normalen einfach dadurch, dass bei ihr der Gaswechsel in den Lungen viel energischer bewerk- stelligt werden kann. Ist unsere Auffassung von dem Verhält- Studien über Athembewegungen. 471 niss des O richtig, so wird daher Dyspnoe und Asphyxie bei künstlicher Athmung O-freier Gase nur um so schneller und vollständiger eintreten müssen. Die Erfahrung bestätigt dies vollkommen. Die bisherigen Versuche mit künstlicher Athmung wurden stets so angestellt, dass ein mit Ventilen versehener Blasebalg (von Leder, Kautschuk oder dergl.) durch abwechselnde Be- wegung bald Gas aus einem Behälter einsog, bald in die Lun- gen hineinpresste. Bei dieser Einrichtung kommt das betref- fende Gas immer zeitweise unter einen negativen Druck, was natürlich das Eindringen atmosphärischer Luft in den Appa- rat sehr befördert. Wie schwierig, ja unmöglich unter solchen Umständen dieses Eindringen verhindert werden Kann, hat auch Pettenkofer erfahren und er sah sich deshalb genö- thigt, die zur Bestimmung der ÜO, dienende Luft bei seinem grossen Respirationsapparat durch die Absorptionsröhren zu drücken, statt sie hindurch zu saugen!). Wenn ein solcher Einfluss sich-schon bei den minimalen Mengen atmosphärischer CO, geltend macht, wie viel mehr wird dies bei dem O der Fall sein, besonders wenn es sich um seine Abhaltung von einem so leicht diffusiblen Gase, wie Wasserstoff ist, handelt. Ich beschloss daher, die Versuche so einzurichten, dass in dem ganzen Raume stets ein Druck herrsche, welcher grösser ist, als der barometrische. Dann konnte wohl von dem zu verwendenden Gase etwas nach Aussen hin. verloren werden, ein Einsaugen atmosphärischen Sauerstoffes aber war unter keinen Umständen zu befürchten. Um ganz sicher zu gehen, beschloss ich ferner, das Gas nicht erst in Gasometern aufzufangen, sondern direct so, wie es entwickelt wurde, nach gehöriger Waschung zu benutzen, Der Druck, unter dem es sich entwickelte, sollte zugleich zur Füllung der Lungen benutzt werden. Nach mannichfachen Abänderungen, welche ich hier übergehe, blieb ich bei der folgenden Anordnung, als der einfachsten und zweckmässig- sten, stehen. 1) Ann. d. Chemie u. Pharm. II. Suppl. Bd. 21. 472 Dr. J. Rosenthal: Fig. 2. Die geräumige dreihalsige Woulff’sche Flasche, in wel- cher der Wasserstoff aus reinem Zink und reiner Schwefel- säure bereitet wird, ist ausser dem sehr hohen Trichterrohr und dem Abzugsrohr für das Gas noch mit einem weiten, doppelt rechtwinklig gebogenen Glasrohr versehen, dessen langer Schenkel bis auf den Boden der Woulff’schen Flasche reicht etwas unterhalb des Trichters horizontal umbiegt und mit seinem kurzen Schenkel in ein untergestelltes weites Ge- fäss hineintaucht. Das Gas gelangt, nachdem es der Reihe nach durch Kalilauge, Sublimatlösung und Wasser gewaschen ist, zu dem einen Schenkel des Gabelrohrs g, dessen anderer Schenkel mit einem rechtwinklig gebogenen Glasrohr in Ver- bindung steht, welches durch Wasser abgesperrt ist. Der Stiel der Gabel kann luftdicht mit der Trachea verbunden werden. h Die beiden Kautschukröhren, welche die Schenkel des Ga- belrohrs mit der letzten Waschflasche einerseits und dem Glas- Studien über Athembewegungen. 473 rohre e andererseits verbinden, gehen durch Löcher des Bret- tes b, welches senkrecht znr Richtung der Röhren auf der Tischplatte festgeschroben ist, und lehnen gegen zwei An- schläge a,, a,, gegen welche angepresst, sie wie durch eine Klemme fest verschlossen werden können. Ein vierseitig pris- matischer Stab von Eisen, s, ist um eine Axe bei y drehbar und verschliesst, je nachdem er gegen den einen oder anderen Anschlag gepresst wird, den betreffenden Kautschukschlauch vollkommen. Um den Versuch anzustellen, lässt man zunächst längere Zeit H entwickeln, bis man sicher ist, dass alle atmosphä- rische Luft aus dem Apparat verdrängt, und derselbe bis g ganz mit H gefüllt ist. Man presst dann den Hebel s gegen den Anschlag a, und verschliesst somit den Kautschukschlauch k,. Man stellt den Hebel dort durch einen Vorstecknagel fest. Das H-gas, welches nicht mehr entweichen kann, drängt die Flüssigkeit aus der Woulff’schen Flasche, welche in das untergestellte Gefäss abläuft. Bevor dies noch ganz gesche- hen, beginnt der Versuch. Man verbindet die Trachea mit dem Gabelrohr, entfernt den Vorstecknagel und bewegt den Hebel schnell nach dem anderen Anschlag a,. Dadurch ist der Kautschukschlauch k, geschlossen, der Lungenraum aber mit dem H in freie Verbindung gesetzt, und da dieses unter dem Drucke einer ziemlich hohen Flüssigkeitssäule steht, so dringt es in die Lunge und dehnt diese aus!). Nun führt man den Hebel wieder nach dem ersten Anschlag zurück, das H- gas ist wieder abgesperrt, die ausgedehnte Lunge aber zieht sich zusammen und entleert ihre Gase durch das Rohr e. Ein Eindringen atmosphärischer Luft durch dieses Rohr ist unmöglich, da es durch Wasser abgesperrt ist. Nach dem Tacte eines Metronoms bewegt man nun den Hebel zwischen den beiden Anschlägen hin und her, am Anschlag a, nur so lange verweilend, als zur Füllung der Lungen nöthig ist, am 1) Man darf die Flüssigkeitssäule nicht zu hoch nehmen, weil sonst die Lunge gespreggt werden kann; #4 Meter ist ausreichend. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864. 31 474 Dr. J. Rosenthal: Anschlag a, so lange, als bei der gewünschten Frequenz der künstlichen Athmung möglich ist. Bei einiger Uebung gelangt man auf diese Weise zu einer sehr ergiebigen Ventilation der Lunge, sowohl bei uneröffne- tem, als bei doppelseitig geöffnetem Thorax. Im letzteren Falle namentlich kann man die Lunge sehr schnell fast von jeder Spur O und CO, befreien, so weit diese überhaupt aus dem Blute durch H abscheidbar sind. Da das H nicht “in demselben Masse sich wieder erzeugt, als es verbraucht wird, so ist die Dauer des Versuchs natürlich eine beschränkte, von dem Volum des bei Beginn des Versuchs vorräthigen H be- dingte. Je grösser die angewandte Woulff’sche Flasche ist, desto besser ist es in dieser Beziehung. Der unfehlbare Erfolg dieses Versuches ist nun stets eine sehr heftige Dyspnoe, welche meist schon bei der zweiten oder dritten Aufblasung beginnt und sich schnell steigert, um schliess- lich in Asphyxie überzugehen. Sperrt man dann den H ab und bläst atmosphärische Luft in die Lunge, so treten ganz dieselben Erscheinungen auf, wie wir sie bei der nach der ersten Methode erzeugten H-Asphyxie kennen gelernt haben. Wir kommen also auch auf diesem Wege zu demselben Er- gebniss, wie Traube in seinen früheren Versuchen und neuer- dings Krause und Thiry. Man kann nach demselben Princip auch mit anderen Ga- sen künstliche Athmung bewerkstelligen, wenn man sie aus irgend einem Behälter unter einem passenden Druck in die Lungen treten lässt. Man verbindet dann die Ausströmungs- öffnung des Behälters mit dem Kautschukschlauch k, und ver- fährt im Uebrigen, wie dies beim H beschrieben wurde. Der Erfolg ist, sobald die Gase O-frei sind, stets derselbe. Danach kann es also nicht mehr zweifelhaft sein, dass jede Entziehung des O aus dem kreisenden Blute zur Dyspnoe und im weiteren Verlauf zur Asphyxie führt. Ein sehr instructi- ver Versuch, welcher die hier einschlagenden Verhältnisse auf das Schönste erläutert, lässt sich auch noch mit Benutzung des Quecksilbergasometers Fig. 1 anstellen. Zu diesem Behuf füllt man das Gasometer mit reinem Sauerstoff und lässt das Studien über Athembewegungen. 475 Thier einige Zeit hindurch athmen, indem man die Exspira- tionsluft bei s entweichen und durch v, neuen Sauerstoff ein- treten lässt. Wenn so die Luftwege ganz mit O ausgewaschen sind, verschliesst man s und v, und öffnet die Klemme k. Man hat dann ganz die Versuchsanordnung, welche W. Mül- ler benutzt hat. Das Thier athmet durch das Ventil v, aus der Glocke und athmet durch das Ventil v, in dieselbe zurück. Der ursprünglich ganz mit O gefüllte Glockenraum wird in Folge dessen allmählich immer ärmer an O und immer reicher an CO,. Endlich kommt ein Moment, wo die Athmungsluft so viel CO, enthält, dass das Thier keine CO, mehr abzuge- ben vermag. W. Müller hat schon darauf aufmerksam ge- macht, dass in diesem Falle keine Dyspnoe auftritt, obgleich das Blut des Thieres dann sehr reich an CO, ist, weil eben noch genügender O vorhanden ist, um den O-gehalt des Blu- tes auf seinem Normalmass zu erhalten. Wir kommen auf diesen Punct in einem späteren Artikel zurück, wo von der Rolle der CO, bei der Athmung gehandelt werden soll. Hier interessirt uns zunächst nur der OÖ. Nachdem also der Mo- ment eingetreten, wo das Thier keine CO, mehr abzugeben vermag, fährt es doch noch fort, O aus der Glockenluft auf- zunehmen. Es zeigt sich dies, wie Müller schon angegeben hat, durch ein Einsinken der Glocke, indem bei fortwähren- der Aufnalıme von O ohne entsprechende Abgabe von CO, das Volum des Athmungsraumes natürlich abnehmen muss. Durch diese Abnahme des O sinkt aber sein Partialdruck immer mehr und dies wird noch beschleunigt, indem durch das Einsinken der Glocke in das specifisch schwerere Queck- silber der Gesammtdruck der Gase in der Glocke immer ge- ringer wird. So muss zuletzt ein Punct eintreten, wo die Partialspannung des O in der Glocke nicht mehr ausreicht, um eine fernere Aufnahme des O ins Blut möglich zu machen. Und nun muss Dyspnoe eintreten. In der That sieht man auch, nachdem das Einsinken der Glocke schon sehr weit vorgeschritten ist, ohne dass die Athmung sich wesent- lich geändert hat, ganz plötzlich dyspnoische Erscheinungen auftreten, und diese steigern sich dann schnell und würden, sı* 476 Dr. J. Rosenthal: wenn man keine Abhülfe träfe, zuletzt zu Asphyxie und Er- stickung führen. Es genügt aber, wenn die Dyspnoe eingetre- ten ist, durch Anfüllen des an der Glocke angebrachten Bechers mit Schrot, den Gesammtdruck der in der Glocke befindlichen Gase und damit auch den Partialdruck des O in derselben zu erhöhen, um sogleich die Dyspnoe verschwinden zu machen, welche umgekehrt verstärkt wird, wenn man den anderen Becher belastet. Es ist wohl kaum ein schlagenderer Beweis möglich für die Rolle, welche der O bei der Erzeu- gung der Dyspnoe spielt, als dieses Auftreten und Verschwin- den der Dyspnoe einzig und allein durch Aenderungen im Partialdruck dieses Gases. Käme die Kohlensäure des Blutes dabei direet in Betracht, so müsste, wie leicht ersichtlich, die Wirkung der Druckschwankungen gerade die entgegengesetzte sein!). Nach alle dem kann es nicht mehr zweifelhaft sein, wie man sich das Zustandekommen der Athembewegungen zu den- ken hat. Bei der Inspiration gelangt eine gewisse Menge O in die Alveolen. Das venöse Blut in den Lungencapillaren saugt begierig dieses Gas auf, dadurch aber sinkt die Partial- spannung des O bis zu der Grenze, wo die O-aufnahme. auf- hört. So gelangt das Blut, nur unvollständig mit O bela- den in den linken Ventrikel und indem es sich durch den Körper verbreitet, regt es die Medulla oblongata zu fernerer Thätigkeit an. Bei der nächsten Inspiration gelangt nun wie- der eine bestimmte O-menge in die Lunge, das Blut kann wie- der etwas aufnehmen u. s. f. 1) Es wäre von Interesse, durch Analysirung des Gasgemenges in der Glocke in dem Augenblicke der beginnenden Dyspnoe und gleich- zeitige Messung des absoluten Druckes den Partialdruck des O in die- sem Augenblick zu bestimmen. Könnte man annehmen, dass in unse- rem Falle die Zusammensetzung der Glockenluft dieselbe sei, wie die der Alveolarluft, was ich nicht so unbedingt behaupten will, so wäre damit die Grenze bestimmt, unter welche der O-druck nicht sinken darf, um noch in’s Blut übergehen zu können, welche Grenze wir in Ermangelung directer Bestimmungen aus den Holmgren’schen Zah- len entlehnt haben. Ich komme auch auf diesen Punct später noch zurück. Studien über Athembewegungen. 477 Wird aber durch künstliche Athmung so viel OÖ in den Lungenraum geführt, dass der Partialdruck dieses Gases stets über jener Grenze bleibt, so wird sämmtliches durch die Lun- gen strömende Blut sich vollständig mit O sättigen, die Me- dulla oblongata bleibt unerregt, es tritt Apnoe ein. Umge- kehrt, wenn der Partialdruck des O sehr schnell nach der Inspiration unter jene Grenze hinabsinkt, wird ein grosser Theil des Blutes die Lungen passiren, ohne O aufzunehmen. Dies wird desgleichen eintreten müssen, wenn ein Theil des Lungengewebes aufhört lufthältig zu sein, oder die Luft in ihm stagnirt. In beiden Fällen also wird ein sehr Ö-armes Blut die Lungen verlassen, es tritt Dyspnoe ein. Endlich bei vollständiger Entziehung allen Sauerstoffes muss die Dyspnoe sich immer mehr steigern und schliesslich in Asphyxie über- gehen. — Berlin, Anfang September 1864. 478 Prof. Wenzel Gruber: Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XI.) — In dem Aufsatze: „Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien*. Mit 2 Abbildungen. — Archiv f. Anat., Physiol. und wiss. Mediein. Jahrg. 1862. Leipzig p. 588. Taf. XIV. B. —, und in einem früheren Aufsatze: „Ueber einige seltene, durch Bildungsfehler bedingte Lagerungsanoma lien des Darmes bei erwachsenen Menschen“. Mit 2 Abbil- dungen. — Bull. de l’Acad. Imp. des sc. de St. Petersbourg. Tom. V. No. 2. p. 49 — habe ich aus den bis dahin gemachten frem- den und eigenen Beobachtungen nachgewiesen, dass die Me- senterien auf den verschiedenen Bildungsstufen, welche sie im Embryo durchzumachen haben, stehen bleiben und so bei übrigens wohl gebildeten Individuen und bei mehr oder weni- ger vollständig entwickelten Darmkanale selbst zeitlebens sich erhalten können. Ich habe dort 3 eigene Fälle höheren Gra- des dieser Bildungshemmung bei Erwachsenen d. i. solche, welche in einem Stehenbleiben auf früheren Bildungsstufen der embryonalen Mesenterien begründet waren, ausführlich beschrie- Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien. 479 ben, und bei jener Gelegenheit auch der von mir beobachteten Fälle niederen Grades d. i. solcher, welche sich auf die spä- teren und die‘ letzten Entwickelungsstufen der embryonalen Mesenterien zurückführen liessen, in Kürze Erwähnung gethan. Ich hatte bis dahin die Mesenterien, bei völlig entwickeltem Darmeanale und bei Individuen vom 10. Lebensjahre aufwärts, auf fast allen embryonalen Bildungsstufen stehen geblieben angetroffen, hatte daher die meisten Grade ihrer Bildungshem- mung aus eigener Anschauung kennen gelernt. Allein ich hatte noch nicht den höchsten, auf eine Bildungsstufe im 2. Monate des Embryonallebens redueirbaren Grad d. i. den „mit einem in der Mittellinie der Wirbelsäule angehefteten Mesenterium commune für den ganzen Darmcanal bei durchaus noch nicht eingeleiteter Aufstellung seines Colon descendens gesehen, welcher. bis jetzt nur Imal und zwar von J. Cruveilhier!) an einem Erwachsenen beobachtet worden war. In der ganz letzten Zeit und im Verlaufe von 4 Monaten sind mir noch 3 Fälle mit Bildungshemmung der Mesenterien bei völlig entwickeltem Darmcanale und bei sonst wohl ge- bildeten Individuen vorgekommen. Einer davon, bei einem Knaben, gehört zu einem gewissen von Rokitansky und mir beobachteten höheren Grade No. 6; der andere, bei einem Jünglinge, stellt einen noch höheren und bis jetzt nicht beob- achteten Grad dar und ist zwischen No. 5 und 6 einzureihen; der dritte endlich, freilich nur bei einem 7 monatlichen Fötus, weiset den höchsten Grad auf und ist Cruveilhier’s Falle, also dem Grade No. 2, beizuzählen. In dem Falle bei dem Jünglinge war zugleich eine seltene, durch ein perforirendes tuberculöses Dickdarm-Geschwür veranlasste Communication des Processus vermicularis, an dessen Spitze, mit dem Colon ascendens zugegen. Der Fall bei dem Foetus war ausserdem durch das Vorkommen von 7 Milzen (2 grossen, fast gleich voluminösen und 5 Nebenmilzen), also durch eine Anzahl 1) Dict. de med. et chir. prat. Tom, I. Paris 1829, — Article Abdomen — p. 67, 480 Prof. Wenzel Gruber: ausgezeichnet, die vielleicht nur noch J. Abernethy!) an einem weiblichen Kinde mit Transposition des Herzens ete. und J. Cruveilhier?) in einem Falle, in welchem aber die der gewöhnlichen Milz an Grösse zunächst stehende nur die Hälfte des Volumens derselben hatte, beobachtet haben °). Dies genügt, um auch die Resultate der Untersuchungen dieser 3 neuen Fälle im Nachstehenden zu veröffentlichen. 1. (4.) Fall. Mesenterium commune für das Jejuno. Ileum und Colon ascendens. (Beobachtet an der Leiche eines etwa 10—12jährigen Knaben im Februar 1864.) Bei der Oeffnung der Bauchhöhle trifft man gleich unter dem Colon transversum vor den übrigen Gedärmen das Colon ascendens mit dem Coecum. Ersteres verläuft quer von rechts nach links durch die Regio umbilicalis und letzteres liegt ganz an der linken Regio iliaca. Beide sind zugleich so um ihre Axe geschlagen, dass ihre hintere Fläche zur vorderen gewor- 1) Philos. transact. of the royal society of London 1793. 4o. Part. 1. p. 59 in: ‚‚Account of two instances of uncommon formation in the viscera of the human body“, wo es pag. 62 heisst: ‚The spleen consisted of seven separate portions, to each of which a branch of the splenic artery was distributed‘. 2) Traite d’anat. deser. Tom. III. Paris 1852, p. 443. 3) Matthew Ballie hat in einem Falle von Transposition der Viscera bei einem ungefähr 40jährigen Manne — An account of a remarkable transposition of the viscera. Philos. transact. of the royal society of London. Vol. 78, Part. II. 1788. p. 350 -- 5 Milzen beob- achtet. Es heisst daselbst p. 356: The spleen was situated in the right hypochondriac region adhering to the diaphragm in the common way. What was very remarkable was, there being three spleens nearly of the size of a pullet’s egg, found adhering to the larger spleen by short adhesions, besides two other still smaller spleens which were involved in the epiploon at the great end of the stomach“. Bei J. Fr. Meckel — Handb. d. menschl. Anat. Bd. IV. Halle n. Berlin 1820. p. 375 — ist in Folge eines Druckfehlers Baillie’s Fall mit 7 Milzen statt mit 5 bezeichnet. Huschke — Lehre von den Eingeweiden u. Sinnenorganen d. m. K. Leipzig 1844, S. 190 — und Andere, welche das Original nicht gesehen, geschweige denn gelesen haben, eitiren aber das Original, während dem sie den bei Meckel eingeschlichenen Druckfehler abschrieben (modern). Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien. 481 den ist. Das Jejuno-Ieum ist ungewöhnlich nach rechts ver- schoben. Schlägt man das Jejuno-Ileum nach aufwärts oder seitwärts um und aus der Bauchhöhle heraus, was in einer ganz enormen Strecke geschehen kann, so folgt auch das Coe- cum und Colon ascendens mit, und es wird der rechte seitliche und mittlere Theil der Bauchhöhle ganz leer von Gedärmen gesehen. Zieht man die Gedärme nach abwärts aus der Bauch- höhle, so sieht man das Coecum und das Ileum bis 1 Zoll unter die Arcus crurales an den Schenkeln herabreichen. Das Rectum, Colon ascendens und transversum sind normal auf- gestellt und angeheftet. Es ist ein Mesorectum, Mesocolon der Flexura sigmoidea, Mesocolon transversum zugegen, es fehlt ein Mesocolon descendens. Für das Jejuno-Ileum und Colon ascendens aber existirt ein Mesenterium commune. Dieses ist unterhalb des Mesocolon transversum nicht an die hintere Bauchwand befestigt. Es geht von dem bis auf 11/,—1?/, Zoll Breite verschmälerten rechten Ende des Mesocolon transver- sum aus; hat dieses zur Wurzel, ist dessen unmittelbare Fort- setzung. An seinem rechten Rande hat es das Colon ascen- dens, an seinem unteren und linken Rande das Jejuno-Ileum hängen. Das Duodenum liegt zwar an gewöhnlicher Stelle, befindet sich aber nicht innerhalb der Wurzel des Mesocolon transversum, sondern mit seinem grössten Theile hinter einem grossen anomalen Nebenbeutel der Bursa omentalis major. Das wie gewöhnlich vom Magen ausgehende, an das Üolon transversum, die Flexura coli hepatica und an den oberen Theil des Colon ascendens sich inserirende Omentum majus schickt nämlich rechts einen grossen Zipfel ab, der unter der Leber vor dem Duodenum und vor der rechten Niere über der letzteren äusseren Rand und unteres Ende noch etwas hinaus sich erstreckt. Mit seiner hinteren Duplicatur über- zieht er das Duodenun, von dessen Pars transversa superior abwärts, und den grössten Theil der rechten Niere, heftet sich neben und unter letzterer, dann vor der Wirbelsäule unter der Pars transversa inferior duodeni an das Peritonaeum parietale und zuletzt an das Ende des Duodenum selbst, an die Flexura duodeno-jejunalis und an das Mesenterium commune. Der 482 Prof. Wenzel Gruber: Beutel, den dieser Zipfel bildet, öffnet sich in die Bursa omen- talis major, welche auf gewöhnliche Weise mit der durch das Foramen Winslovii in den grossen Peritonaealsack sich öff- nende B. 0. minor communicirt. Oeffnet man diesen Beutel, so liegt dann erst das Duodenum und die rechte Niere frei zu Tage, welche wie in ihn eingestülpt erscheinen. Der wie gewöhnlich an einem Mesenteriolum hängende Processus ver- micularis liegt am medialen Theile der hinteren Seite des Colon ascendens und hinter der Einsenkung des lIleum in das Colon mit seinem Ende nach oben gerichtet. Die Länge des Dünndarms beträgt 21 Fuss 3 Zoll, die des Diekdarm’s 2 Fuss 10 Zoll, wovon für das Duodenum 5 Zoll, für das Rectum 6 Zoll kommen. Die übrigen Bauch- und Beckenorgane ver- halten sich normal. 2. (5.) Fall. Mesenterium commune für das Jejuno- lleum, Colon ascendens und die rechte Hälfte des Colon transversum. — Mündung des Endes des Processus vermicularis in das Colon ascendens durch ein in Folge Per- foration eines tuberculösen Geschwüres entstandenes Loch. (Beobachtet an der Leiche eines 20jährigen Jünglings bei den Präparir-Uebungen Ende November 1863.) Bei Oeffnung der Bauchhöhle trifit man die einzelnen Ab- schnitte des Darmcanals und die übrigen Organe derselben und auch die Beckenorgane in normaler Lage. Das Rectum, Colon descendens und die linke Hälfte des Colon transver- sum sind auf normale Weise aufgestellt und angeheftet. Man sieht ein Mesorectum; ein ungewöhnlich grosses Mesocolon der Flexura sigmoidea von 6!/, Zoll Höhe, von 6!,, Zoll ge- gen den Scheitel und von 3!/, Zoll an der Wurzel Breite; und für die linke Hälfte des Colon transversum ein 5!/, Zoll breites Mesocolon transversum. Die untere Hälfte des Colon descendens weiset ein schmales Mesocolon auf, die obere Hälfte aber, die vor dem äusseren Rande der linken Niere und da- von seitwärts liegt, entbehrt eines Mesocolon. Die Omenta, ihre Bursae, deren Communication untereinander und mit dem grossen Bauchfellsacke verhalten sich normal. Zum Colon Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien, 483 transversum begiebt sich wie gewöhnlich das Ligamentum he- pato-colieum und Ligamentum phrenico-colicum. Die Retro- versio peritonaci mesogastriea ist vorhanden, aber sie liegt vor der Mitte der Wirbelsäule und hat ihre Oeffnung nach unten gekehrt. Die Retroeversio peritonaci hypo- gastrica sinistra ist im verkümmerten Zustande zugegen. Das Duodenum hat seine gewöhnliche Lage, ist wie gewöhnlich in seine drei Portionen geschieden, wovon aber nebst der oberen auch die mittlere frei ist. Für das Jejuno-Ileum, das Colon ascendens und die rechte Hälfte des Colon transver- sum aber existirt ein Mesenterium commune. Dieses ist eine Fortsetzung des Mesocolon transversum, enthält am Ueber- gange in dieses d. i. in seiner Wurzel die Pars transversa in- ferior duodeni und hängt frei von der hinteren Wand der Bauchhöhle herab. Mit seinem kürzeren rechten vorderen Rande heftet es sich an die rechte Hälfte des Colon trans- versum, an die Flexura coli hepatica und an das Colon ascen- dens, mit seinem langen linken hinteren Rande an das Jejuno- Ileum. Das Mesenterium commune hat eine Breite von 1 Fuss. Dasselbe mit dem an ihm hängenden Darmcanale kann nach aufwärts und seitwärts noch weiter aus der Bauchhöhle zu- rückgeschlagen werden, als im vorigen Falle. Thut man die- ses, so sieht man die Bauchhöhle bis zum Pankreas und zur Milz aufwärts und bis zum Colon descendens proprium in der Regio iliaca sinistra seitwärts vom Darm frei, und den aller- grössten Theil beider Nieren von der hinteren Wand des gros- sen Peritonaealsackes überzogen vor sich liegen. Zieht man die Gedärme unten aus der Bauchhöhle, so reicht das Coecum und das Ileum bis 2'!/, Zoll unter die Symphysis ossium pubis an den Schenkeln abwärts. Die Gefässe verhalten sich normal. Die Arteria mesente- rica superior giebt rechte und obere Aeste für den Diekdarm linke und untere Aeste für den Dünndarm ab. Die A. me- senterica inf. entsteht von der Aorta abdominalis 1 Zoll 10 Lin. über deren Theilung und verzweigt sich auf gewöhnliche Weise. Bei einer Körperlänge von 5 Fuss 5°/, Zoll ist der Dünndarm 23 Fuss lang, wovon auf das Duodenum 1 Fuss 484 Prof. Wenzel Gruber: kommt; der Dickdarm 7 Fuss lang, wovon das Ooecum 2'!/; Zoll, auf das Colon ascendens 1 Fuss 3°/, Zoll, auf das Co- lon transversum 2 Fuss, auf das Colon descendens proprium 8 Zoll, auf die Flexura sigmoidea 2 Fuss und auf das Rectum 10 Zoll kommen. Das Individuum starb an Lungen- und Darmtubereulose. Es waren an der Schleimhaut des 3 Zoll langen Endstückes des Ileum an der des Coecum und an der des Colon ascen- dens, bis 4 Zoll aufwärts von seinem Anfange, kleinere und grössere tubereulöse Geschwüre. Eines der Geschwüre des Colon ascendens perforirt die Darmwand und trifft auf die an dieser Stelle neben einer infiltrirten Mesenterialdrüse verlöthete Spitze des 4 Zoll langen, an der medialen Seite seiner hin- teren Wand aufsteigenden und daselbst durch das Mesenterio- lum angehefteten Processus vermicularis. Es durchbohrt auch die Spitze des letzteren und stellt zwischen dem Colon ascen- dens und dem Processus vermicularis durch eine 21/,—3 Lin. weite Oeffnung, die 2 Zoll über der Valvula coli liegt, eine Communication her. 3. (6.) Fall e In der Medianlinie der Wirbelsäule an- geheftetes Mesenterium commune für den ganzen Darmcanal. — 7 Milzen. (Beobachtet an einem weiblichen todt geborenen, etwa 7monatlichen, Foetus im Anfange Aprils 1864.) Der Foetus misst vom Scheitel zur Ferse 16 Zoll, vom ersteren zum Steisse 10!/;—11 Zoll, befand sich daher etwa im 7 Monate seines Embryonallebens. Derselbe ist äusserlich wohl gebildet. Die Organe der Brusthöhle zeigen keine Abweichungen. Die Lungen haben noch nicht geathmet. . Unter den Bauch- und Beckenorganen verhalten sich die Leber, das Pankreas, die Harn- und Geschlechtsorgane wie gewöhnlich; der Magen aber und der ganze Darmcanal in Hinsicht ihrer Aufstellung und die Milz durch Mehrfachsein anomal. Der Magen (Fig. 1 B) befindet sich zwar an dem gewöhn- Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien 485 lichen Orte, ist aber mit seinem Cardiatheile fast vertical ge- stell. Der Dickdarm nimmt vom Dünndarme unbedeckt den rechten Theil und die ganze untere Partie des mittleren Thei- les der Regio‘ mesogastrica, den rechten und mittleren Theil der Regio hypogastrica der Bauchhöhle und das kleine Becken ein. Den Dünndarm beherbergt der mittlere und linke Theil der Regio mesogastrica der Bauchhöhle; er erstreckt sich hinter der Leber und dem Magen in die Regio epigastrica aufwärts und in die Fossa iliaca sinistra abwärts. Dss Coecum mit dem schneckenförmig gewundenen Processus vermicularis liegt unten in der Regio umbilicalis neben der Medianlinie links ganz vorn. Das Colon bildet 5 grosse Windungen und 6 Flexurae. Die erste Windung steigt abwärts, diese, die zweite, dritte, fünfte und sechste liegen von vorn und links, nach hin- ten und rechts parallel neben- und hintereinander auf- und abwärts steigend, die vierte, bedeckt von der ersten und zwei- ten ist über dem Beckeneingange gelagert. Mit der Flexura VI. geht das Colon in das vor der Mitte der hinteren Wand der Beckenhöhle liegende Rectum über. Das Duodenum liegt zwar in der gewöhnlichen Höhe der Wirbelsäule, aber mehr vor ihr als rechts davon nicht kurz angeheftet, und ist anomal gewunden. Dasselbe bildet nämlich keine hufeisenförmige, sondern eine doppelt S-förmige Krümmung, deren beide Ab- theilungen obendrein noch in der ‘Gestalt eines Achters sich kreuzen. Die obere vordere und längere S-förmige Krüm- mung (Fig. 1 b) steigt abwärts, kehrt die obere Concavität nach links und hinten, die untere nach rechts und vorn, die untere hintere und kürzere Krümmung (Fig. 1 b) aber ver- läuft schräg nach links aufwärts und rückwärts, bis vor die Mitte der Wirbelsäule, kehrt die rechte vordere Concavität nach aufwärts, die linke hintere Concavität nach abwärts. Nachdem sie aus der oberen S-förmigen Krümmung entstan- den biegt sie sich zu dieser wieder um und begiebt sich mit ihrer rechten vorderen Portion hinter dem unteren Theile der ersteren nach links und rückwärts. Dadurch beschreibt das Duodenum eine Art Achter-Tour. Die obere S-förmige Krüm- mung entspricht der Pars superior und media, die untere der 486 Prof. Wenzel Gruber: Pars inferior gewöhnlicher Fälle. An die Mitte der Höhe der linken hinteren Seite der oberen S-förmigen Krümmung ist der Kopf des Pankreas angewachsen. Vor der Mitte der Wir- belsäule unter dem Pankreas biegt das Duodenum in das Je- junum um und bildet die Flexura duodeno-jejunalis (Fig. 2b). Das Jejuno-Ileum schlängelt sich in den angegebenen Regio- nen und mündet etwa an der Medianlinie rechts vom Coecum von hinten her in den Anfang des Colon. Der Dünndarm ist 67 Zoll lang, wovon auf das Duodenum 31/, Zoll und zwar 2 Zoll auf dessen obere S-förmige Krüm- mung, und 1?/, Zoll auf dessen untere kommen. Der Dick- darm ist 20 Zoll lang, wovon auf das Coecum mit dem Pro- cessus vermicularis 1!/, Zoll, auf das Colon 16!/, ” und auf das Rectum 2 Zoll kommen. Die Darmcanallänge verhält sich somit zur Körperlänge wie 87:16 = 5,4375:1 d. i. der Darmkanal ist gegen 5!/,mal länger als der Körper. Der Durchmesser des Duodenum beträgt am Anfange 4 Lin. am Ende 3 Lin. der des Jejuno-IIeum am Anfange und Ende 3 Lin. in der Mitte 2!/, Lin., der des Processus vermicularis 1 bis 1'/, Lin., das Coecum bis 3 Lin.; das Colon an der ersten Windung 4 Lin., an der zweiten Windung 4!/, Lin., an’ der dritten Windung 5!/, Lin., an der vierten Windung 2'/, Lin., an der fünften bis 4 Lin. an der sechsten Windung am oberen Theile 5 Lin. am unteren 6'!/,—7 Lin., der des Rectum 5), _ Linien. | Das Duodenum ist fast ganz vom Peritonaeum überkleidet und liegt mit dem grössten Theile seiner vorderen linken Seite in der Bursa omentalis. An seinen Anfang heftet sich das Ligamentum hepato-duodenale, bis zur Verwachsung mit dem Pankreas abwärts ist es ganz frei, nur das Pankreas heftet es mit seinem auch rückwärts freiem Kopfe wie ein Mesenterium an die Wirbelsäule, durch eine schmale Bauchfellduplicatur hängt der obere Umfang der unteren S-förmigen Krümmung desselben mit dem Pankreas zusammen. Der untere Umfang ' derselben ist aber mit der rechten Platte des Mesenterium commune verwachsen. Von dem unteren Rande des Pancreas angefangen bis zu der Stelle am Kreuzbeine, wo sonst das Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien. 487 Mesorectum endiget, ist vor der Mittellinie der Wirbelsäule, und des Kreuzbeines das Mesenterium commune für das Je- juno-Ileum mit dem Dickdarme mit einer 1!/, Zoll langen Wurzel angeheftet, welches an mehr als den oberen ®/, seines Visceralrandes das Jejuno-Ileum, an dem unteren !/, das Co- lon und die obere Portion des Rectum hängen hat. Es be- ginnt schmal unter dem Pankreas an der Flexura duodeno- jejunalis, verbreitet sich schnell, erreicht gegenüber dem End- stücke des Ileum eine Breite von 2 Zoll, ist gegenüber dem Coecum 1?/, Zoll breit, nimmt von da schneller an Breite ab und endiget in der Beckenhöhle zugespitzt (Fig. 2 7). Der Processus vermicularis besitzt sein Mesenteriolum. Das Me- senterium commune theilt die Bauchhöhle in zwei ganz gleiche Hälften. Im Ligamentum hepato-duodenale liegen wie gewöhnlich der Ductus choledochus (Fig. 1 ?), die Vena portae (Fig. 1 ,.) und die Arteria hepatica (Fig. 1 d), allein der Ductus chole- dochus verläuft nicht hinter dem Anfange des Duodenum ab- wärts und die Vena portae steigt nicht hinter demselben auf- wärts, sondern beide liegen anomaler Weise vor demselben. Der Ductus choledochus mündet an der vorderen Wand des Anfanges des Duodenum aussen von der Stelle, an der das- selbe von der Vena portae gekreuzt wird. Die Vena portae empfängt die gewöhnlichen Aeste, und die Venae mesentericae nehmen ihre Aeste und Zweige von denselben Abschnitten des Darmcanals auf, wie in den gewöhnlichen Fällen. Die Ar- teria mesenterica superior und inferior entspringen normal und vertheilen sich in denselben Abschnitten des Darmcanals, wie die Arterien gewöhnlicher Fälle. Die Arteria mesenterica su- perior aber steigt nicht vor, sondern hinter der Portion des Duodenum, welche der Pars transversa inferior gewöhnlicher Fälle entspricht, in das Mesenterium commune abwärts; die Venae mesentericae begeben sich ebenfalls hinter diesem und hinter dem Pankreas zur Vena portae aufwärts. Das Omentum minus verhält sich wie gewöhnlich. Das Ligamentum gastro-lienale springt zur medialen Milz hinüber und theilt sich in zwei Duplicaturen, wovon die eine am vor- 488 Prof. Wenzel Gruber: deren Rande derselben, die andere am vorderen Rande der lateralen Milz in deren Peritonaealüberzug übergeht. Dasselbe hängt mit dem Theile des Omentum majus zusammen, wel- cher dem Ligamentum phrenico colieum der gewöhnlichen Fälle entspricht. Hinter dem Ligamentum gastro -lienale zwi- schen dem Grunde des Magens und der medialen Milz existirt ein grosser Nebenbeutel der Bursa omentalis, hinter demselben zwischen beide Milzen aber ein abgeschlossener Peritonaeal- beutel. Das Ligamentum pancreatico-gastricum fehlt. Das Omentum majus (Fig. 1 *) geht von der Ourvatura major des Magens vom Ligamentum gastro-lienale und vom linken Oostal- theile des Diaphragma aus. Es heftet sich an die vordere Fläche der linken Niere über ihrer Mitte in querer Richtung, wodurch es für die laterale Milz den bekannten Saccus liena- lis bildet, dann an den unteren Rand des Pankreas, ferner an die vordere rechte Seite der Flexura duodenalis und an den unteren Rand der vorderen linken Seite der unteren Sförmi- gen Krümmung des Duodenum, noch weiter an die rechte Platte des Mesenterium commune längs des Jejuno-Ileum, da- von 9 Lin. entfernt und längs der ersten und zweiten Win- dung des Colons davon 7 bis 4 Lin. entfernt, endlich an den rechten vorderen Umfang der oberen Sförmigen Krümmung des Duodenum unten und an dessen vorderer linken. Seite oben. Die Bursa omentalis ist in Folge des Mangels des Li- gamentum pancreatico-gastricum einfach, schickt aber zwischen den Magengrund und die mediale Milz einen grossen Neben- beutel ab. In der Bursa omentalis sieht man den allergröss- ten Theil des Duodenum frei liegen. Sie communieirt mit dem grossen Peritonaealsacke durch ein enorm grosses Fora- men Winslowii. Ä Statt einer Milz sind 2 grosse Milzen und 5 Nebenmilzchen vorhanden. Die beiden grossen Milzen sind mit ihrem oberen Ende an das Diaphragma, übrigens an die obere kleinere Hälfte der vorderen Fläche der linken Niere, an die Neben- niere und an den Schwanz des Pancreas angeheftet. Die me- diale Milz (Fig. 1, 2 ©) liegt zunächst dem Magengrunde. Sie hat eine länglichrunde Gestalt, ist 15 Lin. lang, 6 Lin. Weitere Beiträge zu den Bildungshemmungen der Mesenterien. 489 breit und 4 Lin. dick. Ihre mediale Fläche ist concav, ihre laterale Fläche convex, ihr vorderer Rand convex eben, ihr hinterer Rand durch zwei Ausbuchtungen doppelt Sförmig wie gekerbt, ihr oberes und unteres Ende abgerundet. Ihr Hilus befindet sich am hinteren Rande vor den Milzgefässen, woselbst sie durch ein 2—3 Lin. breites Ligamentum mit ihrem oberen Ende an das Diaphragma, übrigens an die Nebenniere, Niere und Pankreas angeheftet ist. Die laterale Milz (Fig. 1, 2 C') liegt 3 Lin. von der ersteren entfernt links. Sie entspricht der Milz der Norm. Sie hat eine abgerundet dreieckige Ge- stalt. Sie ist 13 Lin. lang, oben 4 Lin., unter der Mitte 8 Lin. breit, nimmt von vorn nach hinten an Dicke zu, die rückwärts 5 Lin. beträgt. Sie kehrt ihre concave mediale Fläche zur medialen Milz, ihre convexe Fläche zum Dia- phragma. Ihr vorderer Rand ist schwach convex, ihr hinterer ebenfalls freier Rand gerade. Von den beiden abgerundeten Enden ist das untere das breitere. Sie ist an das Zwerchfell etc. kurz angeheftet. Ihr Hilus befindet sich wie in den ge- wöhnlichen Fällen an der medialen Fläche. An der hinteren Wand des Nebenbeutels der Bursa omentalis, zwischen dem Magengrunde und der medialen Milz, hängt an einem Gefäss- stielchen der Vasa lienalia eine linsenförmige Nebenmilz von 2 Lin. Breite und °/,—1 Lin. Dicke. In dem abgeschlossenen Peritonaealbeutel zwischen den oberen Enden der medialen und lateralen Milz hängen noch 4 andere linsenförmige und noch kleinere Nebenmilzen, wovon die kleinste °/, Lin. breit und !/; Lin. dick ist. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Untere Hälfte des Rumpfes eines 7monatlichen weiblichen Foetus. (Die Leber und der Magen sind nach aufwärts umgelegt, der Dickdarm nach rechts und das Jejuno-Ileum nach links gescho- ben, um das Duodenum und die Anheftung des Omentum majus an die rechte Platte des Mesenterium commune des Darmes zu sehen.) A) Leber. B) Magen. C) Mediale Milz. C’) Laterale Milz. D) Je- juno-Ileum. E) Dickdarm, a) Gallenblase. b) Obere Sförmige Krüm- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 32 490 Prof. W.Gruber: Weitere Beiträge zu d. Bildungshemmungen etc. mung des Duodenum. b‘) Untere Sförmige Krümmung des Duode- num. c) Coecum mit dem Processus vermicularis. «) Zipfel des Li- gamentum hepato - duodenale. ß) Ductus choledochus. ,y) Vena por- tae. 0) Arteria hepatica. *) Omentum majus. Fig. 2. Dasselbe Präparat. (Der Darmcanal ist aufgehoben, um die Anheftung und Stellung des Mesenterium commune des Darmes in seiner ganzen Ausdehnung zu sehen. Linke Seiten- Ansicht.) A, B, C, C', D, E) wie Fig. 1. F) Linke Niere. G) Harnblase. H)Li- gamentum uteri latum sinistrum mit der Tuba und dem Ovarium (auf die Fossa iliaca gezogen). a) Zipfel des Omentum majus. b) Flexura duodeno-jejunalis. c) Coecum mit dem Processus vermicularis. 7) Mesenterium commune des Darmes längs der Medianlinie der Wirbel- säule angeheftet, Dr. Otto Schultzen: Mittheilungen aus dem chemischen etc. 49] Mittheilungen aus dem chemischen Laboratorium der Universitätsklinik. Beitrag zur Lehre von der abnormen Magenverdauung. Von Dr. med. OTTO SCHULTZEN. Ueber die Verdauung der Amylacea wurden zuerst von Frerichs eingehende Untersuchungen angestellt!). Derselbe beobachtete, dass unter Einwirkung des hinuntergeschluckten Speichels die Stärke im Magen ganz ähnliche Veränderungen erleidet, wie bei der Digestion mit der Mundflüssigkeit und wie bei der Behandlung mit verdünnter Schwefelsäure, indem sich Dextrin und Zucker bilden. Die Gegenwart des speci- fischen Magensecrets ist dabei in keiner Weise hinderlich. Ebensowenig wird durch dasselbe die weitere Umsetzung des Zuckers in Alkohol, Essigsäure, Buttersäure, Milchsäure etc,, welche unter dem Einflusse gewisser Gährungserreger vor sich geht, beeinträchtigt. Gährungsversuche mit direct dem Magen entnommenen Massen, welche neben Dextrin und Zucker auch Magensecret enthielten, sind von Frerichs mit positivem Re- sultat angestellt worden; ferner fand derselbe bei Magenkatarrh in Erbrochenem neben organisirten Fermenten Essigsäure, But- tersäure und eine Substanz, welche ähnlich dem durch die schleimige Gährung erzeugten Körper war. 1) Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. 3. Abth. 1. Artikel: „Verdauung“. 32” 492 Dr. Otto Schultzen: Auf der klinischen Abtheilung der Charite kam ein in die- ser Beziehung sehr lehrreicher Fall zur Beobachtung. Ein Dienstmädchen von zwanzig Jahren ‚hatte zu Pfingsten dieses Jahres eine Quantität verdünnter Schwefelsäure getrun- ken, um sich das Leben zu nehmen. Nach einigen Wochen bildeten sich die Symptome eines einfachen Magengeschwüres heraus. Die Kranke erbrach blutige Massen, klagte über aus- strahlende Schmerzen in der Magengegend, besonders nach dem Essen, und magerte schnell ab. Erbrechen erfolgte fast täglich, zuweilen sogar mehrere Mal am Tage. Am 6, Juli wurde das Erbrochene zuerst einer genaueren Untersuchung unterzogen. Man bemerkte zwei Schichten. Die untere schleimig flüs- sig, opalisirend, von gelbbräunlicher Farbe; obenauf schwimmt eine schwärzlich braune, chocoladenähnliche Masse, welche sehr stark fadenziehend ist und: bröckliche Stücke einschliesst. Gasblasen werden nicht bemerkt; die Reaction ist ziemlich stark sauer, der Geruch weissbierähnlich. Unter dem Mikroskop erkennt man in der flüssigen Schicht zahllose kleine, theils runde, theils längliche stark licht- brechende Körperchen, welche sich auf Zusatz von Jod als Stärke erweisen; daneben Epithelzellen der oberen Verdauungs- wege, zahlreiche Hefepilze, welche theils in Schnüren, theils in Gruppen angeordnet sind, und mehrfache Formen von Fa- denpilzen. . In der oberen Schicht sind hauptsächlich Speisereste, ein- zelne Hefezellen und ziemlich wohlerhaltene Blutkörperchen zu erkennen. Sarcina ventriculi wurde nicht beobachtet. Die filtrirte Flüssigkeit giebt mit Jod eine weinrothe Fär- bung. Kupferoxyd wird reichlich in Lösung erhalten aber nur in geringer Menge reducirt.. Es war hier also sicher Dextrin vorhanden, wie aus der Jodreaction und aus dem be- deutenden Lösungsvermögen für Kupferoxyd hervorgeht. Die Reduction rührte jedenfalls von kleinen Mengen Zucker her, da verdünnte Dextrinlösung das Kupferoxyd nicht reducirt?). 1) Reischauer, Chem. Centralbl. 1864, S. 367. Mittheilungen aus d. chemisch. Laborator. der Universitätsklinik. 493 Zum Nachweis flüchtiger Gährungsproducte wurden die sö eben erbrochenen Massen in .eine Retorte gethan und schnell bis zum Siedepunct erwärmt; das in einer gut gekühlten Vor- lage aufgefangene saure Destillat wurde dann, um die flüchti- gen Säuren zu binden, mit Kalkmilch bis zur alkalischen Reaction versetzt und nochmals destillirt. Die jetzt überge- gangene Flüssigkeit hatte einen deutlich weingeistigen, aber stark fuseligen Geruch. Beim Vermischen derselben mit chrom- saurem Kali und Schwefelsäure färbte sich die Lösung dun- kelgrün und zeigte deutlich den erfrischenden Geruch des Al- dehyds. Die weingeisthaltigen Destillate von sechs Versuchen, wobei etwa 3000 Cet. Erbrochenes in Arbeit genommen wa- ren, wurden zusammen mehrmals über Chlorcaleium rectifieirt und lieferten eine kleine Menge ziemlich starken Weingeistes, welcher den ihm noch anhaftenden fuseligen Geruch an gut geglühte Kohle abgab, also wahrscheinlich Amylalkohol ent- hielt. Die von der Kohle abgegossene Flüssigkeit war brenn- bar und hinterliess nur wenig Wasser. Flüchtige Fettsäuren waren nur in ganz geringer Menge vorhanden. Die Kalksalze derselben wurden ebenfalls aus den sechs Versuchen vereinigt, in Wasser gelöst, zur Entfernung des überschüssigen Kalks mit Kohlensäure behandelt, filtrirt und eingedampft. Charakteristische Krystalle lieferten weder die Kalkverbindungen, noch die durch nochmalige Destillation mit Schwefelsäure und Sättigen des Destillats mit Baryt er- haltenen Barytsalze. (Geruch nach Buttersäure wurde nicht wahrgenommen; dagegen gab sich die Essigsäure sowohl durch die rothe Farbe mit Eisenchlorid als auch durch den Geruch beim Erwärmen mit Schwefelsäure zu erkennen. Der Nach- weis der Ameisensäure gelang nicht. Zweimal wurden die frisch erbrochenen Massen mit einem grossen Ueberschuss Phosphorsäure versetzt und dann erst destillirt, um ganz sicher zu sein, dass keine Nachgährung während der Destillation stattgefunden habe. Auch in diesen beiden Fällen wurde wie früher Alkohol im Destillat ge- funden. Die von Alkohol und flüchtigen Fettsäuren befreiten er- 494 Dr. Otto Schultzen: brochenen Massen wurden im Wasserbade getrocknet und mit starkem Weingeist extrahirt. I. Der im Weingeist unlösliche Rückstand wurde mit heis- sem Wasser behandelt, das zum Syrup verdunstete Filtrat mit viel überschüssiger Salzsäure versetzt und mit Aetherweingeist geschüttelt. Beim Eindampfen der farblosen Aetherweingeist- lösung scheiden sich unregelmässige ziemlich dicke rhombische Tafeln und Prismen aus, welche den Formen der Bernstein- säure glichen. Dieselben verbrannten ohne Rückstand, subli- mirten beim Erwärmen im Glasrohr, gaben in neutraler Lö- sung mit Eisenchlorid einen voluminösen röthlich braunen Niederschlag und wurden in alkoholischer Lösung durch Chlor- baryum und Ammoniak weiss gefällt; es ist somit die Anwe- senheit der Bernsteinsäure sehr wahrscheinlich. II. Die weingeistige Lösung wurde verdunstet, der Rück- stand in Wasser aufgenommen, mit Bleizucker versetzt, von dem sehr geringen dunkelbraunen Niederschlage abfiltrirt und mit basisch essigsaurem Bleioxyd gefällt; das sehr beträcht- liche Praecipitat auf einem Filter gesammelt, gut gewaschen und durch einen Schwefelwasserstoffstrom zerlegt. Nach der Filtration wurde die Lösung erwärmt, bis aller Geruch nach Schwefelwasserstoff verschwunden war und dann mit kohlen- saurem Baryt bis zur alkalischen Reaction digerirt. Es ent- wich eine grosse Menge Kohlensäure, welche hauptsächlich durch Phosphorsäure ausgetrieben wurde, welche mit dem ba- sischen Blei niedergefallen und durch den Schwefelwasserstoff frei geworden war. Das Filtrat hinterliess beim Verdunsten einen dunkelbraunen Syrup, in welchem reichliche Krystalle eines organischen Körpers angeschossen waren, der zu den Glycosiden zu gehören schien, einstweilen jedoch nicht näher bestimmt werden konnte. Die alkalische Kupferlösung wurde durch den Syrup redueirt, jedoch war, dem Wirkungswerthe nach, die Menge des vorhandenen Zuckers sehr gering. Das Filtrat vom Bleiniederschlage wurde mit Ammoniak übersättigt, der Niederschlag gesammelt, mit Ammoniakwasser gewaschen, in Wasser suspendirt und durch Schwefelwasser- stoff zerlegt. Das eingedampfte Filtrat reducirte Kupferoxyd Mittheilungen aus d, chemisch. Laborator. der Universitätsklinik. 495 in sehr beträchtlicher Menge; Krystalle wurden nicht beob- achtet; in starkem Weingeist löste sich fast Alles. Auf Zu- satz von alkoholischer Kalilauge entstand ein schleimiger grau- gelber Niederschlag, welcher gesammelt und mit Weingeist gewaschen wurde. Die wässrige Lösung desselben verhielt sich gegen die alkalische Kupferlösung wie reiner Trauben- zucker; beim Erwärmen mit überschüssigem Kali entstand eine orangegelbe Färbung, welche später in braune überging; auf Zusatz von Salpetersäure entwickelte sich deutlicher Geruch nach Karamel. An der Gegenwart des Traubenzuckers kann demnach nicht gezweifelt werden Das Filtrat vom Ammoniak- niederschlag wurde mit Essigsäure schwach angesäuert. Essig- saures Quecksilberoxyd erzeugte keine Fällung. Durch Schwe- felwasserstoff wurde das Blei und Quecksilber entfernt; das eingedampfte Filtrat zeigte keine Krystallisation. Durch Zu- satz von viel Salzsäure, Schütteln mit Aetherweingeist und Verdunsten dieser Lösung wurde daraus eine klare, stark saure syrupöse Masse erhalten, welche beim Erwärmen mit kohlensaurem Baryt Kohlensäure austrieb. Das Filtrat wurde mit schwefelsaurem Zinkoxyd gefällt, nochmals filtrirt und zur Trockne verdunstet, zur Trennung vom überschüssigen schwe- felsauren Zinkoxyd mit Weingeist extrahirt und im Reagenz- gläschen mit etwas Aether versetzt. Nach längerem Stehen hatten sich schöne grosse Krystalldrusen von milchsaurem Zinkoxyd ausgeschieden. Das Filtrat lieferte beim Verdunsten noch einige Krystalle des Zinksalzes, welche in einer klaren farblosen Flüssigkeit von neutraler Reaction und süsslich sau- rem Geschmack schwammen. Wahrscheinlicher Weise war dieses Glycerin, welches ja in Aetherweingeist löslich ist und bekanntlich als Nebenproduct bei Alkoholgährung entsteht. Zur weiteren Bestätigung der Milchsäure wurde das Zinksalz noch in die so charakteristische Kalkverbindung übergeführt. Bei einem anderen Fall, einer Schwefelsäurevergiftung äl- teren Datums, wurden nur die flüchtigen Producte der Gäh- rung untersucht. Das Erbrochene hatte hier eine graugrünliche Farbe und zeigte drei Schichten. Auf dem Boden lag eine grauweisse, flockige Masse, darüber stand eine trübe, opalisi- 496 Dr. Otto Schultzen: rende Flüssigkeit und obenauf schwamm eine reichliche stark von Kohlensäure aufgeblähte Schicht von breiiger Consistenz. Unter dem Mikroskop erkannte man sehr grosse Mengen von Sareine, viel Hefepilze, zahllose Vibrionen, welche lebhafte Be- wegung zeigten und andere Pilzformen. Die Reaction ist stark sauer, der Geruch sehr scharf und ekelhaft. Dextrin und Zucker waren hier ebenfalls nachweislich. Im Destillat befindet sich eine kleine Menge Weingeist, neben viel Essigsäure und Buttersäure, welche letztere durch den Geruch und die Form des Barytsalzes erkannt wurde, Die erste Kranke genoss weiter Nichts, als des Morgens etwas Kaffee, zu Mittag Bouillon mit Reis und des Abends Mehlsuppe. Während der ganzen Beobachtungszeit wurde sie sorgfältig überwacht, so dass namentlich der Genuss alkoho- lischer Getränke mit vollkommener Sicherheit auszuschliessen ist. Auch der zweiten Kranken wurde sechs Tage vor der Untersuchung das Weissbier, welches sie bis dahin täglich bekommen, entzogen, und da sie in diesen Tagen öfter ge- brochen hatte, so ist auch hier der im Destillat gefundene Alkohol als Product der abnormen Magenverdauung aufzufassen. Es unterliegt sonach keinem Zweifel, dass die in erbroche- nen Massen gefundenen flüchtigen Fettsäuren von den in den Ma- gen eingeführten Stärkekörpern abstammen, indem alle Zwischen- stufen der Gährung, wie: Dextrin, Zucker, Alkohol nachweis- bar sind. Die Annahme Schottin’s, dass die flüchtigen Fett- säuren durch Zersetzung der Fette unter Einwirkung des Ma- genschleims entstehen, entbehrt jeder Begründung. Die Gly- ceride dieser Säuren kommen im thierischen Organismus nur in der Milch, und das Acetin und Metacetin nur spurweise im Hautsecret vor. Um solche Mengen von Buttersäure zu liefern, wie Schottin in den von ihm beschriebenen Fällen !) nach seiner auch nur auf sehr grosse Massen berechneten Methode gefunden haben will, mussten schon ungewöhnliche Quantitäten sehr fetter Milch in den Magen gebracht worden sein. Schottin versetzte das Erbrochene mit dem mehrfachen 1) Wunderlich’s Archiv, Jahrgang 1860. Mittbeilungen aus d. chemisch. Laborator. der Universitätsklinik. 497 Volum Kalkmilch, filtrirte, gab Weingeist hinzu und concen- trirte einfach im Wasserbade, worauf er dann reichliche Kry- stallisation von buttersaurem Kalk beobachtete. Die neutralen Fette sind ungemein resistente Körper, und zerfallen gewiss nicht in so kurzer Zeit, wie es der Fall sein müsste, wenn die bei der abnormen Verdauung entstehenden Fettsäuren von ihnen abstammen sollten; und wie wollte man die reichliche Kohlensäureentwickelung erklären, welche aus den bisherigen Erfahrungen mit der Menge der vorhandenen flüchtigen Säuren ziemlich in geradem Verhältniss steht. Bei der Obduction der ersteren Kranken, die allmählich unter eigenthümlichen Erscheinungen von Seiten des Sensoriums an In- anition zu Grunde ging, zeigte sich die Magenschleimhaut hype- rämisch und grösstentheils schiefergrau ; der Pylorus war durch eine geschrumpfte Narbe erheblich verengt und dicht daneben befand sich ein offenes rundes Geschwür, welches die Blu- tung unterbielt. Zähe Schleimmassen, welche die Magenwan- dung bedeckt hätten, waren nicht vorhanden. Nach Schot- tin sollen nämlich der Schleim und die Epithelien des Ma- gens und die Unterdrückung der Magensecretion die Ursache der Abscheidung der Fettsäuren aus den Glyceriden sein. Alkohol ist schon einmal von Graham spurweise im Er- brochenen gefunden worden'!), und wahrscheinlich wird man in allen Fällen, wo Hefepilze vorkommen, auch Weingeist nachweisen können. Bernsteinsäure ist meines Wissens noch nicht im Magen- inhalt beobachtet worden und dürfte hier wohl als Nebenpro- duct der Alkoholgährung aufzufassen sein, als welche dieselbe von Schmidt und Pasteur schon früher erkannt ist. In diesem Fall war die Säure an Kalk gebunden, weil sie nicht in den Weingeist übergegangen war, in welchem sich die freie Säure und die Alkalisalze derselben lösen. Die Milchsäure ist schon häufig im Magen gefunden und ihre physiologische Bedeutung vielfach erörtert. Die Essig- 1) Budd, On the organie diseases and functional disorders of the stomach. 1855. 8. 230. 498 Dr, Otto Schultzen: säure und Buttersäure entstehen nur in Folge des Gährungs- processes. Wahrscheinlich werden bei genauerer Untersuchung wenn man mit grösseren Quantitäten arbeitet, auch noch an- dere Säuren der Reihe C,, H,, ©,, namentlich Propionsäure, deren Anwesenheit schon Scehottin vermuthet, Ameisensäure und Baldriansäure gefunden werden; die Säuren dieser Reihe zerfallen ja unter oxydirenden Einflüssen so leicht nach der Gleichung: | 0 80 F7CHE ,H, 5014200, 52 und die Verhältnisse des Magens erfüllen unter solchen Um- ständen alle Bedingungen zu diesem Vorgange. Jedenfalls kommen im Magen verschiedene Gährungspro- cesse vor, indem entweder besonders Buttersäure, oder mehr Alkohol und im dritten Falle hauptsächlich Schleim gekildet wird. In dem zweiten der hier bobachteten Fälle, wo viel Buttersäure vorhanden war, fand sich beträchtlich weniger Alkohol als im ersteren, wo die Buttersäure vermisst wurde. Il. Strychningehalt des Upas tieute, Uebergang des Strych- nins in den Harn. Von Dr. OTTO SCHULTZEN. Auf die klinische Abtheilung der Charite wurde ein Patient gebracht, welcher an den Symptomen der Strychninvergiftung litt. Er gab an, an sich mit Upasgift Experimente angestellt zu haben und brachte das Gift mit. Es bestand in einer brau- nen Masse, welche einem getrockneten Extract ähnlich sah und in ein ausgehöhltes mit Holzstöpseln verschlossenes Rohr gefüllt war. Mittheilungen aus d, chemisch. Laborator. der Universitätsklinik. 499 Die zur Untersuchung verwandte Substanz wiegt 0,85 Grms. Unter dem Mikroskop sieht man theils amorphe Körnchen. theils kleine helle, vierseitige Säulen. ‚Eine kleine Spur der Substanz giebt gegen chromsaures Kali und Schwefelsäure eine intensive Strychninreaction. Zur Gewinnung ‘des Strychnins wurde die Substanz fein gerieben und mit verdünnter Schwefelsäure behandelt, worin sich fast Alles zu einer dunkelrothbraunen, eigenthümlich nach spanischem Rohr riechenden Flüssigkeit löste. Das Filtrat wird mit Bleizucker vollständig ausgefällt, filtrirt, gut gewaschen und mit Schwefelwasserstoff behandelt. Die vom Schwefelblei abfiltrirte Flüssigkeit musste alles vorhandene Strychnin als essigsaures Salz enthalten. Die auf dem Wasserbade concen- trirte Lösung scheidet auf Kalizusatz sofort einen flockigen, gelblich weissen Niederschlag ab, welcher durch Filtration entfernt wird. Nach mehrstündigem Stehen scheiden sich aus dem Filtrat prachtvolle lange Nadeln von reinem Strychnin ab, welche auf einem getrockneten Filter gesammelt und ge- wogen wurden. Es berechneten sich hiernach 60 °/, Strychnin. Der Kranke hatte eine Quantität des Giftes genommen, welche hiernach etwa einem Gran Strychnin entsprach und er erholte sich bald wieder. In dem zuerst gelassenen Harn war das Strychnin deutlich nachweisbar. Es wurde erhalten durch Eindampfen des Harns, Extraction des Rückstandes mit Al- kohol, abermaliges Verdunsten, Versetzen mit Kali und Schüt- teln mit Aether. Die Aetherlösung hinterliess beim Verdun- sten kleine vierseitige farblose Säulen, welche die Strychnin- reaction zeigten, in Wasser fast unlöslich waren, demselben aber einen intensiv bitteren Geschmack ertheilten. 500 Dr. Otto Schultzen: II. Uebergang von Salpetersäure in den menschlischen Harn. o Von Dr. OTTO SCHULTZEN. — Orfila!) giebt an, dass die Salpetersäure in den Harn damit vergifteter Thiere nur bei gewissen Graden der Ver- giftung übergehe, und Taylor?) bemerkt, hiervon ausgehend, dass sich beim Menschen nach einer acuten Vergiftung schwer- lich die Verhältnisse zur Verwerthung der Urinuntersuchung für die Diagnose darbieten dürften. Folgender Fall, der auf der klinischen Abtheilung der Cha- rite beobachtet wurde, beweist gerade das Gegentheil. R., Gürtlerlehrling, nahm aus Versehen eines Morgens 5'/;, Uhr 4 bis 5 Schluck verdünnten Königswassers. Nach einigen Minuten spürte er Brennen im Halse und Magen und es erfolgte nach einiger Zeit Erbrechen blutig gefärbter Mas- sen. Die Schmerzen liessen jedoch bald nach und innerhalb weniger Tage verschwanden alle gastrischen Symptome, so dass der Kranke als geheilt entlassen werden konnte. Auch noch Monate nachher hatten sich keinerlei Beschwerden einge- stellt, welche auf irgend welche secundäre Veränderungen der Schleimhaut des Oesophagus und Magens hindeuteten, wie man sie nach Schwefelsäurevergiftungen beobachtet. Der Urin, welcher ca. 5 Stunden nach der Vergiftung entleert war, er- schien vollkommen klar, blassgelb und zeigte ein spec. Gew. von 1,016. Reaction stark sauer, Albumin, Fibrineylinder oder irgend welche Formbestandtheile waren nicht nachweisbar. Wurde eine Probe des Harns im Reagenzglase mit einigen Tropfen Indigoschwefelsäure und dann mit viel concentrirter 1) Toxicologie, 1852, L., 185. 2) Die Gifte. Uebers. v. Seydler, Cöln 1863, II., 78. Mittheilungen aus d. chemisch. Laborator. der Universitätsklinik. 501 Schwefelsäure versetzt, so verschwand die blaue Farbe sofort unter Entwickelung der braunen Untersalpetersäuredämpfe. In derselben einfachen Weise liess sich die Salpetersäure auch noch in dem am folgenden Morgen, also 24 Stunden nach der Vergiftung gelassenen Urin nachweisen. Im Nachmittagsharn fand sich nichts mehr vor. Diese langsame Ausscheidung der Salpetersäure könnte in forensischen Fällen für die Diagnose von Wichtigkeit sein, da ohne vorhergehende Einnahme von Salpetersäure und sal- petersauren Salzen'), Salpetersäure im Harn nicht yorkommt. Natürlich muss die Chlorsäure, welche ja dieselbe Reaction giebt, ausgeschlossen werden. Die Angabe von Bence Jones, der nach Einnahme von Ammoniakverbindungen Salpetersäure im Harn gefunden ha- ben will, beruht, wie schon Lehmann nachgewiesen, jeden- falls auf einem Irrthum. Ich selbst habe mehrfach grössere und kleinere Dosen verschiedener Ammoniaksalze eingenom- men, ohne dass mir danach je der Nachweis der Salpetersäure im Harn gelungen wäre. 1) Wöhler, Reynard, Orfila. 502 en: Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rücken- markes von Vipera berus Lin. s Von J. GRIMM, stud. med. (Hierzu Tafel XII. A.) — Die vergleichende Anatomie hat für die Kenntniss des menschlichen Körpers häufig den Vortheil dargeboten, dass sie Verhältnisse, welche beim Menschen besonders ihrer Com- plication wegen unverständlich geblieben waren, dadurch auf- klärte, dass sie bei niedriger organisirten Thieren dieselben Verhältnisse in ihrer einfachsten Gestalt kennen und so das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden lehrte. Dieses gilt auch von der vergleichenden mikroskopischen Anatomie Wenn nun die Kenntniss von dem feineren Bau des centralen Nervensystems des Menschen noch zahlreiche Lücken und Räthsel darbietet, scheint es nach den bisherigen Erfahrungen vollkommen gerechtfertigt und dringend geboten, dass, nach- dem schon hervorragende Autoren sich auf dem bezeichneten Felde versucht haben, ohne zu einem Abschluss zu gelangen, das Gebiet der vergleichenden Anatomie noch weiter, als es bisher geschehen, durchforscht werde. Die bis hiezu über die feinere Structur der Centraltheile des Nervensystems und speciell des Rückenmarkes in die Oeffentlichkeit gelangten Untersuchungen erstreckten sich freilich auf Thiere verschie- dener Classen (Säugethiere, Vögel, Fische, naekte Amphibien), Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von etc, 503 doch besitzen wir über die beschuppten Amphibien nur spär- liche Angaben. ' Auf diesen Umstand von Prof. Reissner aufmerksam ge- macht, wählte ich, zunächst um eine eigene Anschauung vom Bau des Rückenmarkes zu erlangen, mein Object aus der Klasse der beschuppten Amphibien; es ist Vipera berus, Lin., die unter den bei uns vorkommenden Repräsentanten der Klasse am häufigsten gefunden wird. Nachdem ich den Zweck der Selbstbelehrung erreicht hatte, entschloss ich mich meine Un- tersuchungen der Oeffentlichkeit zu übergeben; ich hoffe, dass sie insofern von Interesse sein werden, als sie Aufschluss ge- ben über die Structur des Rückenmarkes eines bisher noch nicht untersuchten Thieres und gewisse Verhältnisse, die bis- her bei anderen Thieren angetroffen waren, bestätigen, mithin dazu beitragen, das Allgemeine vom Speciellen zu unter- scheiden. Meine Untersuchungsmethode bestand in Folgendem: das isolirte und in Stücke von einem halben bis zu einem Zoll zerschnittene Rückenmark ward in schwacher Chromsäurelö- sung erhärtet und darauf in ammoniakalischer Carminlösung gefärbt; die mit einem Rasirmesser angefertigten Querschnitte wurden entweder mit Terpentinöl und Canadabalsam oder mit Chlorcaleiumlösung oder ‘auch mit flüssigem Wasserglas be- handelt. Die beiden letzten Substanzen eignen sich besonders dann zur Untersuchung, wenn es darauf ankommt, die Ab- grenzung der grauen und weissen Masse gegen einander recht auffallend erscheinen zu lassen, oder, wenn die faserigen Be- standtheile der grauen Masse möglichst scharf hervortreten sollen. Sehr zu bedauern ist, dass die Präparate in Wasser- glas sich nur wenige Tage halten. Das Rückenmark von Vipera berus Lin. ist ein rundlicher Strang, der sich vom Kopf zum Schwanz hin allmählich zu- spitzt und regelmässig auf einander folgende Anschwellungen und Einschnürungen erkennen lässt; erstere entsprechen den Abgangsstellen der Nervenwurzeln. Ä 504 J. Grimm: Ein Querschnitt des Rückenmarkes zeigt einen verschiede- nen Umfang, je nachdem er aus einer Anschwellung oder Einschnürung stammt: im ersteren Fall ist der Unterschied zwischen dem kürzeren senkrechten und dem längeren hori- zontalen Durchmesser grösser als im letzteren; die Kreisform wird in beiden Fällen auch noch dadurch gestört, dass der Rückenmarksstrang nach oben (gegen die Rückenseite hin) etwas schmäler wird. Ein dem suleus longitudinalis inferior und der fissura lon- gitudinalis inferior, welche letztere von Bindegewebe ausge- füllt wird, entsprechender Einschnitt ist vorhanden; der sul- cus wird von der Arteria myelica Corti (Fig. b), welche der Arteria spinalis anterior des Menschen analog ist und in kur- zen Abständen einen Zweig hinauf in die fissura longitudina- lis inferior sendet, eingenommen. Von einem dem sulcus longitudinalis superior und der fissura longitudin. superior entsprechendem Einschnitte des Rückenmarkes ist nicht ein- mal eine Andeutung vorhanden; an der entsprechenden Stelle findet man gewöhnlich einen zarten Bindegewebsstrang, der von der pia mater senkrecht nach unten durch. die weisse Masse verläuft und diese dadurch in ihrem oberen Theil in zwei gleiche Seitenhälften theilt. Die graue Masse. Die graue Masse unterscheidet sich durch ihre Begrenzung nicht unbeträchtlich von der des Rückenmarkes anderer Thiere, so weit diese untersucht sind: die untere Hälfte (Fig. d) ist zwar in ihrer Gestalt sehr ähnlich demselben Theil im Rücken- mark von Rana temporaria L., wie sie Traugett!) und Kupffer?) abgebildet haben, indem man hier zwei unterhalb des Centralcanals (Fig. a) nach aussen und unten divergirende sogenannte Hörner wahrnimmt; die schmälere, obere Hälfte dagegen (Fig. c) gleicht einem ausgebreiteten Fächer, der mit 1) J. Traug.ott. Ein Beitrag zur feineren Anatomie des Rücken- markes von Rana temporaria L. Dorpat 1861. 2) Carolus Kupffer. De medullae spinalis textura in ranis, Dorpati Livoniorum 1854. Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von ete. 505 seinem convexen, in der Mitte sehr schwach vertieften Rande nach oben sieht, mit der verengten Basis sich der unteren Hälfte gleich über dem Centralcanal einfügt. Es ist mithin kein allmählicher Uebergang der unteren in die obere Hälfte vorhanden, vielmehr erscheint letztere durch einen starken seitlichen Einschnitt von ersterer abgesetzt oder gleichsam nur als Anhang dieser. Die unteren Hörner sind von der übrigen grauen Masse ziemlich deutlich geschieden, die oberen Hörner dagegen gestatten kaum eine Abgrenzung von der oberen Hälfte der grauen Masse und werden nur durch den Eintritt der oberen Wurzel einigermassen charakterisirt; dazu kommt noch, dass der obere Einschnitt der grauen Masse, der bei dem Rückenmark der meisten untersuchten Thiere tief eindringt und sich dem Centralcanal bedeutend nähert, hier sehr gering ist oder ganz fehlt: Vielleicht wäre es passend anzunehmen, dass die obere Hälfte der grauen Masse eine Verschmelzung der oberen Hörner darstelle. Die unteren Hörner ändern ihre Begrenzung einigermassen nach den Anschwellungen und Einschnürungen des Rücken- markes: an den letzteren Stellen sind sie breit, abgerundet, divergiren nach aussen und unten und werden durch einen rechtwinkligen Einschnitt, der von der weissen Masse und dem Bindegewebe der fissura longitudin. inferior ausgefüllt wird, von einander geschieden; je mehr das Rückenmark an Um- fang zunimmt, desto mehr divergiren die Hörner nach aussen, kommen fast in die horizontale Lage und spitzen sich gleich- zeitig etwas mehr zu. Die oberen Hörner sind, wie oben erwähnt, nur andeutungs- weise vorhanden; an den Stellen, an welchen eine obere Wur- zel ihre Faserbündel in die graue Masse sendet, neigt sich die äusserste Spitze des Horns etwas mehr abwärts als an den eingeschnürten Stellen. ‘Gegen die Schwanzspitze hin nimmt die weisse Masse auch im Vergleich zu der gleichfalls geringer werdenden grauen an Umfang allmählich ab, so dass das Rückenmark schliesslich nur aus grauer Masse zusammengesetzt ist. Das Lumen des Centralcanals (Fig. a) ist ein Kreis; nur Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 33 506 J. Grimm: an der Grenze der Medulla oblongata wird es zu einer El_ lipse, deren Längsdurchmesser senkrecht steht. Die Grösse des Lumens nimmt vom Kopfe zur Schwanzspitze hin ab; an den weitesten Stellen fand ich einen Durchmesser von 0,021 bis 0,015 Mm. Was die Lage des Canals anbetrifft, so habe ich zu bemerken, dass sie an Querschnitten, die aus näher dem Kopfende des Rückenmarkes gelegenen Theilen stammen, ungefähr eine centrale ist, gegen das Schwanzende hin mehr und mehr nach unten weicht, so dass der Canal endlich an der Grenze der weissen und grauen Masse angetroffen wird. Ausgekleidet ist der Centralcanal von einem Epithel ko- nischer Zellen mit deutlichem Kern und Kernkörperchen; die Basalenden der Zellen umgeben das Lumen und bilden einen lichtbrechenden Saum. Längere Fortsätze, ausgehend von den peripherischen Enden der Zellen, habe ich nicht wahrgenom- men; ebenso wenig Verbindungen der Epithelzellen mit Aus- läufern von Nervenzellen, Fasern der Grundsubstanz oder Nervenfasern. Innerhalb des Oentralcanales fand ich häufig, wie Reiss- ner!) beim Mark von Petromyzon fluviatilis einen cylindri- schen Strang, der dem Axencylinder einer Nervenfaser sehr ähnlich ist. Von einer Substantia gelatinosa centralis Stillings ist nichts wahrzunehmen. Die graue Masse besteht aus einer granulirten, hin und wieder feinstreifigen Substanz, aus Zellen, Kernen, Fasern oder Faserbündeln. Jene Substanz, deren granulirtes und feinstreifiges Wesen wobl theilweise, wie Stieda?) annimmt, durch die Erhärtungs- mittel hervorgerufen sein mag, enthält höchst wahrscheinlich ausser einer Grundsubstanz oder einem Stroma, in welches die zelligen und faserigen Elemente eingesprengt sind, auch noch 1) Archiv von du Bois-Reymond u. Reichert. 1860. Bei- .. träge zum Bau des Rückenmarks von Petromyzon fluviatilis L. von Prof. Dr. E. Reissner in Dorpat. p. 552. 2) L. Stieda. Ueber das Rückenmark und einige Theile des Ge- hirns bei Esox Lucius L. Dorpat 1861. S. 14, Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von etc. 507 Fasern, die sich durch die gegenwärtig benutzbaren Hülfsmit- tel nicht deutlich erkennen lassen. Der Annahme Köllik er’s!), „dass sowohl die graue als auch die weisse Masse ein aus sternförmigen, durch ihre Fortsätze anastomosirenden Binde- gewebszellen bestehendes Reticulum enthalte“, kann ich des- halb nicht beipflichten, weil ich einmal keine Anastomosen jener Fortsätze erkennen konnte und dann, weil die feinen Fädehen, welche beim Zerzupfen der grauen Masse von in Chromsäurelösung erhärteten Präparaten sichtbar werden, an frischen nicht wieder zu finden sind. Die zelligen Bestandtheile der grauen Masse sind grosse und kleine Nervenzellen und Bindegewebskörper. Die grossen Nervenzellen (Fig. h, h; h‘) besitzen eine Länge von 0,024—-0,04 Mm. und eine Breite von 0,015 0,009 Mm.; eine Zellenmembran fehlt. Diese Zellen, welche im Ganzen selten zu einer einigermassen abgeschlossenen Gruppe von 6—10 angetroffen werden, nehmen besonders den äusseren Winkel der unteren Hörner ein und erstrecken sich längs dem äusseren Rande der grauen Masse nach oben, ungefähr bis in die Höhe des Centralcanals oder nach innen bis zur vordern Commissur oder bis zur senkrechten Mittellinie des Querschnit- tes. Einzeln können sie jedoch an allen anderen Orten der grauen Masse, selbst in den oberen Hörnern oder nahe der oberen Peripherie, vorkommen. Die Zellen besitzen gewöhn- lich zwei bis drei Fortsätze; selten habe ich vier bis fünf wahrgenommen, nie mehr. Die Zellen-Fortsätze, welche über eine grössere Strecke verfolgt werden konnten, ergaben für die Zellen des unteren Hornes folgendes: einige gehen nach innen wobei sie häufig dem unteren Rande der grauen Masse paral- lel oder horizontal in ihrem Verlaufe sind und sich mitunter bis in die Commissura inferior verfolgen lassen; andere er- strecken sich nach unten, nicht selten bis in die weisse Masse oder bis in ein Faserbündel der unteren Wurzel; noch andere schlagen die Richtung nach oben ein, indem sie theils zwischen 1) Kölliker’s Gewebelehre, Leipzig 1863. Erste Hälfte, S. 303 bis 306. 33* 508 J. Grimm: den später zu erwähnenden Randfasern verschwinden, theils gerade aufsteigen, theils nach innen gegen die obere Commis- sur abweichen. In einigen Fällen sah ich gerade in dem senk- rechten Durchmesser des Querschnittes, oberhalb des Central- canals eine grosse Nervenzelle, von der je ein Fortsatz in jede Seitenhälfte der grauen Masse hineindrang. — Einen unzwei- felhaften Zusammenhang zweier Nervenzellen mittelst ihrer Fortsätze habe ich nicht wahrgenommen. — Die kleinen Nervenzellen (Fig. i,i) lassen bei einer Länge von 0,014—0,02 Mm. und einer Breite von 0,006—0,003 Mm., einen Kern und ein Kernkörperchen erkennen; sie entsenden 2—3 Fortsätze, die jedoch ihrer Feinheit wegen meist nicht weit verfolgt werden können. Sie finden sich überall zerstreut, auch in der oberen und unteren Commissur. Die Bindegewebskörper (Fig. k,k), durch Oarmin hellroth gefärbt, erscheinen meist rund, seltener oblong; sie haben einen Durchmesser von 0,008°—0,004 Mm. und einen granulirten In- halt, in dem bisweilen ein Kernkörperchen wahrzunehmen ist. Auch sie kommen zerstreut in allen Theilen der grauen Masse vor, besonders zahlreich jedoch oberhalb des Centralcanals bis zur Commissura superior. Von Fortsätzen bemerkte ich höch- stens zwei sehr feine, kurze, und zwar nur an isolirten Bin- degewebskörpern. Von faserigem Bindegewebe, das sich an mit Carmin ge- färbten Präparaten durch eine stärkere Röthung charakterisirt, kommt in der grauen Masse nur wenig vor. Von der Binde- gewebslamelle, welche die fissura long. inf. erfüllt, gehen zwei divergirende Faserbündel (Fig. m) aus, die den Oentralcanal umfassen und über ihm in der Mitte zur Vereinigung kommen; von dem Vereinigungspuncte an steigt ein einfacher, dünner Strang bis zum oberen Rande der grauen Masse hinauf, giebt zahlreiche Seitenäste nach oben oder nach aussen ab und ver- bindet sich in der Regel mit dem Bindegewebsstrange, der die fissura long. sup. andeutet. Diese Raphe in der oberhalb des Centralcanals gelegenen Hälfte des Rückenmarks gleicht sehr derjenigen, welche man bei Embryonen antrifft, bei denen die Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von etc. 509 Wandungen der anfangs sehr geräumigen Höhlung des Rücken- markes schon theilweise verwachsen sind. Nervenfasern, die in stärkeren Bündeln beisammen liegen, zeichnen sich dadurch aus, dass sie an Präparaten, welche durch Carmin nicht gar zu dunkel gefärbt sind, entweder farblos oder doch nur wenig geröthet erscheinen. Wenn aber die Bündel feiner werden, sich theilen, oder die Fasern isolirt verlaufen, verliert dieses Merkmal immer mehr und mehr an Bedeutung, woher es dann auch geschehen kann, dass die Nervenfasern sich an manchen Stellen dem Blicke entziehen. Die Fasern der unteren Nervenwurzel (Fig. g) treten, nachdem die Wurzel selbst sich in der weissen Masse schon in einzelne Bündel getheilt hat, nach innen vom äussersten Ende des unteren Hornes in die graue Masse und gehen von hier entweder nach oben, indem sie theilweise zwischen den Randfasern, von welchen später die Rede sein wird, verschwin- den oder nach innen zur unteren Conimissur (Fig. 0), welche sie bilden helfen. Diese Commissur zeigt eine deutliche Kreu- zung markhaltiger Nervenfasern, wie namentlich Präparate, die in Wasserglas oder Chlorcalciumlösung liegen, darthun. Ueber die Abstammung anderer Nervenfasern, welche auch noch in die Zusammensetzung der unteren Commissur einge- hen, konnte ich bei meinen Untersuchungsobjecten nichts Sicheres ermitteln. — Es fehlt die Commissura inf. natürlich dort, wo der Centralcanal die untere Grenze der grauen Masse berührt. Die obere Nervenwurzel (Fig. f) theilt sich gewöhnlich schon an der Peripherie der weissen Masse in drei Portionen: Die eine (f‘), welche längs dem oberen Rande der weissen Masse am weitesten nach innen dahinzieht, entsendet in kur- zen Abständen schmale Bündel, welche gerade oder leicht ge- krümmt herabsteigen und fast immer nahe dem oberen Rande der grauen Masse verschwinden, also wahrscheinlich in die Längsrichtung übergehen; die zweite (f‘') erreicht das äus- serste' Ende des oberen Hornes und geht, fast ohne eine Fa- ser zu entsenden, in Form eines Bandes schräg nach unten zur Mittellinie und bildet durch Vereinigung mit einem analo- 510 J. Grimm: gen Bündel der anderen Seite die Commissura superior (Fig. n); die dritte (Fig. £’'‘) schickt einen Theil ihrer Fasern ver- mittelst der zweiten zur oberen Commissur, die übrigen längs des äusseren Randes der grauen Masse zur Substantia spon- giosa (Fig. e), welche den früher erwähnten Einschnitt zwi- schen der oberen und unteren Hälfte der grauen Masse aus- füllt; hier zerfällt sie in mehrere kleinere Abtheilungen, welche zwischen die Longitudinalfasern eindringen und diese von ein- ander scheiden. Bemerkenswerth sind noch die an der unteren Hälfte der grauen Masse längs der äusseren Peripherie hinziehenden Fa- sern, welche sich theils nach aussen in die weisse Masse wen- den, wo sie oft bis zu der äusseren Peripherie zu verfolgen sind, öfters aber früher verschwinden, theils bis in die Subst. spongiosa verlaufen und wahrscheinlich mit den Fasern der dritten Portion der oberen Wurzel zusammen. Wie früher er- wähnt, lassen sich auch Fasern der unteren Wurzeln bis zwi- schen die Randfasern verfolgen, womit jedoch noch nicht be- hauptet werden soll, dass jene in Fasern der oberen Wurzeln übergehen. Die zahlreicheren breiteren oder schmäleren Ausstrahlungen der grauen Masse, welche an dem ganzen Umfange derselben vorkommen, enthalten häufig Nervenfasern, die von der grauen Masse in die weisse, oder von dieser in jene übergehen, von denen der Ursprung jedoch meist nicht zu ermitteln ist. Die weisse Masse. Die weisse Masse bietet in ihrer Structur keine Verschie- denheit dar von der im Rückenmark anderer Thiere, soweit diese untersucht sind; an Querschnitten zeigen sich querdurch- schnittene Nervenfasern, radiär verlaufende Bindegewebsstränge und Nervenfasern und hin und wieder eine Nervenzelle.. Von den querdurchschnittenen Nervenfasern überwiegen die starken, von einem Durchmesser von 0,012—0,015 Mm., mit einem 0,006—0,009 Mm. starken Axencylinder in dem unteren Theil der weissen Masse, während in den oberen Strängen nur feine Nervenfasern, die einen Durchmesser von 0,009—0,0053 Mm. Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Rückenmarkes von etc. 511 und einen Axencylinder von 0,004—0,015 Mm. Durchmesser haben, zu finden sind. Blutgefässe. (Fig. 1, 1.) Blutgefässe kommen in der grauen Masse zahlreicher als in der weissen vor, doch stets in geringer Menge, so dass an feinen Querschnitten blos Bruchstücke anzutreffen sind, aus denen keine Anschauung über ihren Zusammenhang gewonnen werden kann. Am häufigsten zeigen sich Aeste, die von der Art. myelic. Corti durch die fiss. long. inf. aufsteigen und neben dem Centralcanal nach oben verlaufen, oder solche, die die Nervenwurzeln, besonders die oberen begleiten. Erklärung der Abbildung. a) Centralcanal mit einem in ihm enthaltenen Strang. b) Arteria myelica Corti. c) Obere Hälfte der grauen Masse. d) Untere Hälfte der grauen Masse. e) Substantia spongiosa. f) Obere Nervenwurzel. f‘) Obere Portion. £‘') mittlere Portion. £‘’') untere Portion. g) Un- tere Nervenwurzel. h,h) Grosse Nervenzellen. h’) Grosse Nerven- zelle im oberen Horn. i,i) Kleine Nervenzellen. k,k) Bindegewebs- körper, ]) Blutgefässe. m) Raphe oberhalb des Centralcanals, die sich nach unten in zwei Faserbündel theilt, welche den Centralcanal um- fassen und in das Bindegewebe der fissura long. inf, übergehen. n) Commissura superior. 0) Commissura inferior. 512 Prof. Wenzel Gruber; Zu den Anomalıen der Arteria pediaea. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XII. B.) I. Subeutane Lage der Arteria pediaea. In der Aponeurosis dorsalis pedis superficialis zwischen dem medialen oberen und unteren Schenkel des Ligamentum cruciatum medianwärts von der Kreuzung seiner Schenkel be- findet sich ein anomales, schräg liegendes, ovales Loch (a), welches in verticaler Richtung °/, Zoll, in transversaler !/, Zoll weit ist. Durch dieses Loch, welches vor und zwischen der Sehne des M. extensor hallucis longus und den Sehnen des M. extensor digitorum pedis liegt, tritt die Arteria pediaea (b) begleitet von ihren beiden Venen unter die Haut und über die Aponeurosis dorsalis pedis superficialis, anstatt unter letz- terer gelagert zu bleiben. Sie läuft dann über dem medialen unteren Schenkel des Ligamentum cruciatum, über der Apo- neurosis dorsalis pedis superficialis und entfernter über dem Bauche des M. extensor digitorum pedis brevis zur grossen Zehe zwischen der Sehne des M. extensor hallueis longus und der Sehne des M. extensor digitorum pedis longus zur zwei- ten Zehe, zum hinteren Ende des Spatium intermetatarseum I]. gestreckt vorwärts, um da die Arteria dorsalis hallucis abzu- geben und wie gewöhnlich als Ramus anastomoticus in die Zu den Anomalien der Arteria pediaea. 513 Fusssohle zu dringen und mit der Arteria plantaris externa zur Bildung des Arcus plantaris sich zu vereinigen. Die Ar- teria tarsea externa posterior und anterior entstehen schon über dem Ligamentum cruciatum von der Arteria tibialis an- tica und verlaufen durch das tiefe Fach der ‚mittleren Vagina des Ligamentum cruciatum. Eine stärkere Arteria tarsea in- terna entsteht vor der Arteria pediaea hinter dem Ligamentum cruciatum, verläuft ebenfalls durch das tiefe Fach der mittle- ren Vagina des letzteren unter derselben nach vorwärts und verzweigt sich am Rücken und an der inneren Seite der Fuss- wurzel. Ich habe diese anomale Lage der Arteria pediaea am rech- ten Fusse eines Mannes im März 1856 beobachtet und habe einen ähnlichen Fall in der Literatur nicht aufgezeichnet ge- funden, Erklärung der Abbildung. a) Loch in der Aponeurosis pedis dorsalis superficialis zwischen dem medialen oberen und unteren Schenkei des Ligamentum crucia- tum. b) Arteria pediaes mit den sie begleitenden Venen, U. Rudimentäre Arteria pediaea, Fortsetzung der Arteria tibialis antica am Fussrücken mit der Ar- teria tarsea externa communis. Die starke Tibialis antica theilt sich im unteren Fache der mittleren Scheide des Ligamentum cruciatum, !/, Zoll hinter und über dem Kopfe des Talus, in zwei ungleich grosse Aeste, in die Pediaea und in die Tarsea externa communis. Die nur '/ak Lin. starke Pediaea läuft wie die gewöhnlicher Fälle aus- wärts von der Sehne des M. extensor longus hallucis, mit dem Ramus internus des Nervus peroneus profundus aber nur eine Strecke vorwärts. Ihre Endzweige reichen nur bis zu den Össa cuneiformia. Sie verliert sich schon am Rücken und an der inneren Seite der Fusswurzel. Die 2 Lin. dicke Tarsea externa communis verläuft begleitet vom Ramus externus des 514 Prof. Wenzel Gruber: Nervus peroneus profundus über der Articulatio talo-navicu- laris vor den Sinus tarsi, zuerst vom Ligamentum cruciatum, dann vom M. extensor digitorum brevis bedeckt, nach aus-, ab- und vorwärts. Nachdem sie einen Weg von der Länge 1 Zolles zurückgelegt hat, giebt sie die Tarsea externa poste- rior ab und biegt sich dann winklig nach vorwärts in die Tarsea externa anterior um. Die Tarsea externa posterior ist 1 Lin. dick. Diese krümmt sich bogenförmig nach aussen unter dem M. extensor digitorum brevis, unter der Sehne des M. peroneus brevis hinter dem Os metatarsi V. und endiget im M. abductor digiti minimi. '/, Zoll nach ihrem Abgange, also etwa am inneren Drittel ihrer Länge giebt sie die sehr lange Interossea dorsalis IV. ab, welche einen Durchmesser von ?/, Lin. besitzt. Die Tarsea externa anterior verläuft über der Articulatio cuneo-navicularis zwischen dem Os naviculare und Os cuneiforme III. schräg vor- und einwärts auf die Mitte des Os euneiforme II., wo sie sich 3 Lin. hinter der Articu- latio tarso-metatarsea zwischen dem Os cuneiforme II. und dem Os metatarsi II. in zwei starke Aeste theilt. Der 1!/, Lin. dicke Ramus internus setzt über der Basis des Os metatarsi II. in das Spatium intermetatarseum I. nach ein- und vorwärts, und ist die Interossea dorsalis I.; der 1 Lin. dicke Ramus externus läuft in gerader Richtung nach vorn in das Spatium intermetatarseum II. und theilt sich °/, Zoll nach seinem Ab- gange und !/, Zoll vor der Articulatio tarso-metatarsea zwi- schen dem O. cuneiforme III. und O. metatarsi III. wieder in zwei Aeste, wovon der innere ?/, Lin. dicke Ast in diesem Spatium vorwärts zieht und die Interossea dorsalis II. ist, der äussere °/, Lin. dicke Ast schräg über das Os metatarsi III. in das Spatium intermetatarseum III. sich begiebt und die In- terossea dorsalis III. ist. Jede der Interosseae schickt einen Ramus perforans zum Arcus plantaris etc. Die Peronea per- forans ist ein schwaches Gefässchen. | In diesem Falle würde man im Leben vergebens nach der Pulsation irgend einer Arterie am Fusswurzelrücken gesucht haben, weil die Pediaea nur rudimentär vorhanden war, die Tarseae externae aber ganz unter dem M. extensor digitorum Zu den Anomalien der Arteria pediaea, 515 brevis versteckt lagen. Nichtfühlbarkeit der Pulsation einer Arterie dürfte freilich auch bei Existenz der Pediaea, wenn auch ganz ausnahmsweise, vorkommen. Dies dürfte stattfin- den: bei der gewöhnlichen Pediaea aus der Tibialis antica, wenn dieselbe am Fusswurzelrücken durch einen auswärts bo- genförmig gekrümmten Verlauf von dem Ramus internus des Nervus peroneus profundus zu sehr sich entfernt und unter dem M. extensor brevis hallueis sich versteckt, wie ich un- längst in einem Falle sah; oder bei der Pediaea aus der Pe- ronea oder Tibialis postica, wenn dieselbe, anstatt sich dem Ramus internus des Nervus peroneus profundus zu nähern und ihn zu begleiten, wie«es nach fremden und eigenen Beobach- tungen gewöhnlich geschieht, unter dem M. extensor brevis hallucis ihren Verlauf nimmt, wie z. B. vielleicht in einem von Rich. Quain beschriebenen und abgebildeten Falle. — The anatomy of the arteries of the human body. London 1844. 80. p. 505. Atlas Fol. Pl. 85. Fig. 4. — Die beschriebene Anomalie habe ich bis jetztnur 1 Mal und zwar am rechten Fusse eines Mannes i. J. 1853 beobachtet. Arnold, Bourgery, J. Cruveilhier, Dubrueil, E. A. Lauth, J. Fr. Meckel, Münz, R. Quain, F. W. Theile, Fr. Tiedemann, J.M. Weber u. A,, bei welchen ich nach- sah, erwähnen keines ähnlichen Falles. Sie scheint daher sehr seiten vorzukommen. Der bei J. F. Malgaigne — Traite d’anat. chir. 2e Edit. Tom. II. Paris 1359 p. 865 — vorkom- mende Passus: „Il est bon, d’etre averti, que la pedieuse manque assez frequemment, je l’ai vue deux fois Se terminer sur la partie externe du tarse* ist mit Vorsicht aufzunehmen. Beiträge zur vergleichenden Pneumatologie des Blutes. Von Dr. SczELkow. Die Forschungen letzterer Jahre haben mehrere bedeutungsvolle Thatsachen in Bezug auf Blutgase geliefert; den Bemühungen von L. Meyer, besonders aber Setschenow und Schöffer verdankt die Physiologie viele höchst wichtige Entdeckungen auf diesem Gebiete. Man hat genaue und bequeme Untersuchungsmethoden kennen gelernt und mittelst derselben sowohl die Mengenverhältnisse einzelner Blut- gase bestimmt, als auch die Zustände, in welchen dieselben im Blute vorhanden sind, genauer ermittelt. Esist jedoch zu bemerken, dass alle hier erwähnten Versuche über Blutgase mit dem Blute eines einzelnen Thieres — des Hundes — vorgenommen sind und, streng genommen, nur für dieses Thier ihre volle Gültigkeit besitzen. Bei der grossen Wichtigkeit der Sache ist es jedoch wünschenswerth, auch in Bezug auf andere Thiere eben so genaue Untersuchungen zu besitzen; man kann ja mit grosser Wahrscheinlichkeit voraussetzen, dass die am Hunde gewonnenen Resultate für andere Thiere, deren Lebensweise von derjenigen des Hundes abweicht, keine Anwendung finden kön- nen; so könnte man dieses a priori von pflanzenfressenden Thieren behaupten. Die quantitative Zusammensetzung des Blutes derselben weicht bekanntlich in manchen Beziehungen von derjenigen des Hun- des und überhaupt von der der Fleischfresser ab, und da die quantita- tiven Verhältnisse der Blutgase von der Blutzusammensetzung abhän- gen, so musste ıman auch in dem Gasgehalte dieses Blutes gewisse Abweichungen erwarten. Um dieselben experimentell zu ermitteln, wurde von mir eine Reihe von Versuchen vorgenommen, welche ich in Folgendem miittheile. Als Versuchsthier wurde bei diesen Versuchen der Hammel ge- wählt, da man dieses Thier in unseren Gegenden sich leicht verschafft, dasselbe eine genügende Blutmenge liefert und über die Zusammen- setzung seines Blutes ziemlich genaue Angaben von mehreren For- schern vorhanden sind. Die Gewinnung der Blutgase wurde nach der Methode von Lud- wig Setschenow bewerkstelligt; der dabei angewandte Blutaus- pumpungsapparat ist vom Mechaniker Heinitz in Wien construirt Beiträge zur vergleichenden Pneumatologie des Blutes. 517 und demjenigen, welcher von Schöffer!) beschrieben und abgebil- det, fast vollkommen ähnlich; der einzige Unterschied besteht darin, dass am oberen Ende des langen Glasrohres, durch welches das Queck- silber eingegossen wird, ein Stahlhahn angebracht ist, welcher durch eine momentane Drehung das Rohr abschliesst und das Ausfliessen von Quecksilber hindert. Eine andere erwähnungswerthe Modification beırifft die Meyer’schen Klemmen, welche zur Zusammenpressung der dicken Kautschukröhren dienen; statt runder Schraubenmütter be- sitzen meine Klemmen Flügelmütter und dieser, scheinbar unwesent- liche Unterschied, ist für die Handhabung sehr wichtig, da die runden Schranbenmütter bei häufigem Ab- und Zuschrauben die Fingerhaut sehr schnell angreifen. Auf das Blutsammeln und die Gasgewinnung will ich hier nicht näher eingehen; diejenigen, welche sich dafür interessiren, verweise ich auf die Abhandlungen von Setschenow?) und Schöffer?), wo der ganze Vorgang ausführlich beschrieben ist. Was die Gasanalysen betrifft, so sind sie nach den von Bunsen beschriebenen Methoden ausgeführt: Kohlensäure durch Absorption mit Kalikugeln, Sauerstoff durch Verpuffung mit Wasserstoff. Alle in den Resultaten angeführten Gasvolumina, sind auf 1 Meter Druck und 0° C. Temperatur berechnet. lster Versuch (22. Mai). Schwarzer Hammel, ungefähr 3 Monate alt; arterielles Blut aus d. Arteria carotis dextra, Angewandtes Blutvolum — 56,2 Cub. Cmtr. t d Vol. Vol.b.0Pu.1M. Gesammtmenge d. auspumpb. Gase 20,8 0,69373 32,745 21,109 Nach Co? absorption. . . . . 20,5 0,56890 10,752 5,690 In’s Eudiometer übergeführt, Anfangsvolum._. „sad 190890271737922,169 9,998 Nach H-zusatz . . . » .....20,8 0,44433 50,994 21,050 Nach Verpuffung . . .„ « ... 20,7 0,27914 23,160 6,010 Chemisch gebundene Kohlensäure. Anfangsvolum (mit atmosph. Luft) 20,8 0,61363 17,258 9,841 Nach Co? absorption. . . . . 20,5 0,60140 13,154 7,359 100 Vol. Blut enthalten: auspumpbare Gase — 37,56; davon 27,44 Kohlensäure, 9,06 Sauerstoff und 1,06 Stickstoff. Ausserdem — 4,42 chemisch gebundene Kohlensäure, 2ter Versuch (4. Juni). Weisser Hammel von demselben Alter; arterielles Blut aus d. Ar- teria femoralis dextra, Angewandtes Blutvolum 46,3 Cub. Cmtr. t d Vol. Vol.b.0°u.1M. Gesammtmenge d. auspumpb. Gase 24,7 0,66486 29,406 17,930 Nach Co? absorption. . . . . 24,9 0,54960 8,154 4,107 In’s Eudiometer übergeführt. Anfangsvolum . . . 2... ..27,4 0,23646 18,814 4,043 Nach H-zusatz . . . . „2. 27,3 0,37922 42,760 14,742 Nach! Vermitung 2°. .©*.- 291. 27,3'0,25112 21,399 4,886 1) Schöffer. Ueber die Kohlensäure des Blutes etc. Sitzungsber. der k. k, Acad. d. Wissensch. in Wien. Bd. ÄLI. 2) Setschenow. Beiträge z. Pneumatologie d. Blutes, Sitzungs- d. ne d. Wissensch. in Wien. Bd. XXXVL, S. 293. 3)).4.0. - 518 Dr. Sezelkow: Chemisch gebundene Kohlensäure. Anfangsvolum (mit atmosph. Luft) 24,7 0,57746 13,314 7,051 Nach Co? absorption. . . . . 24,9 0,55630 7,578 3,864 100 Vol. Blut enthalten: auspumpbare Gase — 38,73; davon 29,86 Kohlensäure, 7,20 Sauerstoff, 1,67 Stickstoff. Ausserdem 6,88 chemisch gebundene Kohlensäure. öter Versuch (14. Juni). Schwarzer Hammel; venöses Blut aus d. vena femoralis dextra. Angewandtes Blutvolam — 23,8 Cub. Cmtr. t d Vol. Vol.b.0°u.1M. Gesammtmenge d. auspumpb. Gase 23,4 0,57160 15,300 8,056 Nach Co? absorption. . . . . 24,4 0,51840 3,583 1,705 In’s Eudiometer übergeführt. Anfangsvolum . . .. 2.2.0... 24,5 0,19064 9,688 1,695 Nach H-zusatz . . 2 2... ..24,0 0,33862 34,715 10,806 Nach Verpuffung . . . . . . 24,5 0,30024 27,915 7,692 Chemisch gebundene Kohlensäure, t d Vol. Vol.b.0'u.1M. Anfangsvolum (mit atmosph. Luft) 23,4 0.60280 16,738 9.294 Nach Co? absorption. . . . . 24,4 0,60120 13,726 7,576 100 Vol. Blut enthalten: auspumpbare Gase — 33,85; davon 26,69 Kohlensäure, 4,39 Sauerstoff, 2,78 Stickstoff. Ausserdem 7,22 chem. sebundene Kohlensäure. 4ter Versuch (21. Juni). Weisser Hammel; venöses Blut aus d. vena femoralis sinistra. Angewandtes Blutvolum — 34,5 Cub. Citr. t d Vol. Vol.b.0’u.1M. Gesammtmenge d. auspumpb. Gase 24,5 0,62154 22.050 12,577 Nach Co? absorption. . . . .25,3 0,52410 4,429 2,125 In’s Eudiometer übergeführt. Anfangsyolum \.. .........0.,...25,8 0,20010 11,572 2,116 Nach H>zusatz!\. | 2. „212,00. 1..25,8 .0,28900 26,790 7,074 Nach Verpuffung . . . . ... 25,8 0,22040 15,235 3,068 Chemisch gebundene Kohlensäure. Anfangsvolum (mit atmosph. Luft) 24,5 0,62754 19,499 11,230 Nach Co? absorption. . . . . 25,3 0,62590 16.658 9,543 100 Vol. Blut enthalten: auspumpbare Gase — 36,46; davon 30,30 Kohlensäure, 3,88 Sauerstoff, 2,28 Stickstoff. Ausserdem 4,89 chem. gebundene Kohlensäure. Folgende Tabelle enthält die Ergebnisse unserer Versuchsreihe zu- sammengestellt: Auspumpb,. Ch. geb. Gesam. Gesam. No. Gase. Co? O N Co? Co? Gasmenge. 1 37,56 27,44 9,06 1,06 4,42 31,86 41,98 2 38,73 29,86 7,20 1,67 6,88 36,74 45,61 £ | 3 33,85 26,69 4,39 2,78 7,22 33,91 41,07 Vengses, Blut. ) 2. 30.46. 80,30: 3,88 2,98 4,89 35219 135 Um die Vergleichung .der in dieser T'abelle verzeichneten Zahlen- werthe mit denjenigen, welche wir für das Blut vom Hunde besitzen, möglich zu machen, soll folgende Tabelle dieneu. Sie ist nach 10 vollständigen Analysen von Blutgasen berechnet, von welchen 2 dem Hrn. Prof. Setschenow, 3 dem Hın. ‚Prof. Schöffer und die 5 übrigen mir gehören. Arteriell. Blut. Beiträge zur vergleichenden Pneumatologie des Blutes. 519 Mittel. Maxim. Minin. ya Gase . .„ 44,56 47,04 38,92 BOB or ie ggg 32,64 24,20 100 Vol. G mbid sunlb yanstggeguugglan 1b 4.30 rer rNen osolnie ri Sb, As 4,18 0,93 Tan Chem. geb. Co? . . 1,32 2,54 0,34 BOFEBNER- I Genaimimte Cor “Url 29,72 33,65 24,55 Gesammte Gasmenge 45,88 49,44 40,30 Vergleicht man die Zahlen beider Tabellen mit einander, so sieht man Folgendes: Das Blut vom Hammel enthält eine geringere Gesammtmenge von Gasen und dieser Unterschied hängt von beträchtlich geringerer Menge auspumpbarer Gase ab. Das Hammelblut enthält weit (fast um die Hälfte) weniger Sauer- stoff als das Blut vom Hunde. Im Gegentheil aber enthält dasselbe viel mehr (fast um das Vier- fache) chemisch gebundene Kohlensäure. Interessant ist es endlich zu bemerken, dass die Menge auspump- barer Kohlensäure in beiden Blutarten dieselbe ist; ebenso verhält sich auch der Stickstoff; da aber die chemisch gebundene Kohlensäure in grösserer Menge im Hammelblute enthalten ist, so ist auch die ge- sammte Kohlensäuremenge in derselben beträchtlicher, als beim Hunde. Das Gesagte bezieht sich auf das arterielle Blut; in Betreff des venösen enthalte ic!ı mich einer ähnlichen Vergleichung mit venösem Blute des Hundes und zwar aus folgenden Gründen: untersucht man arterielles Blut, so ist es vollkommen gleichgültig, aus welchem Arte- rienstamme man dasselbe erhalten hat, anders verhält sich die Sache beim venösen: jede Vene führt ein anders beschaffenes Blut und es ist daraus ersichtlich, dass man kein Recht hat, einzelne Untersuchun- gen des venösen Blutes mit einander zu vergleichen, wenn dasselbe nicht aus einem und demselben Venenstamme erhalten ist. Hat man aber auch das venöse Blut aus einer und derselben Vene gesammelt, so ist auch jetzt der Vergleich noch nicht vollkommen stichhaltig, da, wie mir meine früheren Untersuchungen zeigten, der Gasgehalt des venösen Blutes je nach dem Functionszustande des Organes, aus wel- chem das Blut fliesst, veränderlich ist. Unter solchen Bedingungen kann man also einzelne Untersuchungen, wenn sie auch an dem Blute einer und derselben Vene angestellt sind, gar nicht mit einander ver- gleichen, da man nie sicher sein kann, dass die Functionszustände der Organe in einzelnen Beobachtungen ganz dieselben waren; ein Ver- gleich wäre nur mit den Mittelwerthen aus einer sehr grossen Reihe einzelner Beobachtungen zu wagen; so ausgedehnte Versuchsreihen, wie sie hier erforderlich sind, besitzen wir aber nicht. Ich wage selbst nicht, die in unserer Tabelle verzeichneten Zahlen für venöses und arterielles Blut mit einander zu vergleichen; will man solche vergleichende Untersuchungen anstellen, so müssen beide Blut- arten von einem und demselben Thiere und gleichzeitig genommen werden; aus Gründen, welche in mangelhafter Einrichtung meines La- boratoriums liegen, konnte ich die letztere Bedingung nicht erfüllen: allerdings wäre damit der Wissenschaft nicht viel gedient, da eine so beschränkte Untersuchung nur ein ziemlich untergeordnetes Interesse besitzen könnte, wie es nach dem oben Gesagten begreiflich ist. 590 Dr. Sezelkow: Beiträge zur vergleich. Pneumatologie etc. Wollen wir uns über die soeben erörterten Unterschiede in dem Gasgehalte des Hammelblutes im Vergleich mit demjenigen des Hundes Rechenschaft geben, so müssen wir selbstverständlich die Verschieden- heit in der Blutzusammensetzung dieser beiden 'Thierarten näher in Betracht ziehen; leider besitzt die Pbysiologie nur wenig fest begrün- dete Thatsachen in dieser Beziehung. Umständliche und mit einander vergleichbare Analysen des Blutes vom Hammel (und Schafe) und Hunde habe ich bei Nasse!), Poggiale?) und Andral, Gavar- ret u. Delafond?°) gefunden, eine weniger ausführliche in der Ab- handlung von Prevost und Dumas‘). Vergleicht man die Ergebnisse genannter Forscher, so stösst man sogleich auf einen constanten und für uns wichtigen Unterschied in beiden Blutarten; er besteht darin, dass das Blut vom Hammel (und Schafe) weit weniger Blutzellen enthält, als das Blut vom Hunde. Dies erklärt uns den geringeren Gehalt des Hammelblutes an Sauer- stoff; bekanntlich sind es die rothen Blutkörperchen. welche das grosse Absorptionsvermögen des Blutes für Sauerstoff bedingen und mit Ver- minderung in der Menge derselben geht auch die Verkleinerung des Absorptionscoäfficienten des Blutes für dieses Gas Hand in Hand?). Der grössere Gehalt des Hammelblutes an chemisch gebundener Kohlensäure lässt mit voller Sicherheit den Schluss zu, dass dasselbe eine weit grössere Menge kohlensaurer Salze enthält, als das Hunde- blut; diese Thatsache, welche auch aus anderen physiologischen Grün- den, wie z. B. aus der Beschaffenheit des Harns der pflanzenfressen- den Thiere die grösste Wahrscheinlichkeit für sich hat, kann jedoch durch Ergebnisse chemischer Untersuchungen noch nicht erhärtet wer- den. Es sind mir blos zwei vergleichende Versuchsreihen bekannt, in welchen man die Blutsalze einzeln bestimmt findet; die eine gehört Nasse, die andere Poggiale. Nach dem ersteren enthält zwar das Hammelblut fast die doppelte Menge kohlensaurer Alkalien und nur die Hälfte phosphorsaurer im Vergleich mit dem Blute des Hundes, Poggiale fand jedoch im Gegentheil gleiche Mengen kohlensaurer Alkalien und von phosphorsauren um ein Geringes mehr beim Ham- mel, als beim Hunde. Charkow, 25. Juni 1862. 1) Ueber das Blut der Hausthiere. Journ. f. pract. Chemie 1843. Bd. XXVIII. p. 146. 2) Rech. chim. sur le sang. Compt. rend. 1847. t. XXV. p. 110. 3) Rech. sur la composit. du sang etc. Ann. de chimie, 1842, 3e ser. t. V. p. 304. 4) Examen du sang et de son action ete. Ann. de phys. et de chimie 1re serie, t. XXIII, p. 64. 5) L. Meyer. Die Gase der Blutes, S. 53. Berichtigung: Seite 392, Zeile 4 v.u. lies: Billroth’schen statt: Meissner’schen. 521 Ueber die physiologischen Wirkungen des Stick- stoffoxydulgases. Von Dr. LupmAar HERMANN in Berlin. Die merkwürdige Angabe Humphry Davy’s'), dass das Stickstoffoxydulgas längere Zeit hindurch den Sauerstoff ver- treten und für sich, freilich unter berauschenden Wirkungen, dem Athembedürfniss genügen könne, musste in hohem Grade zu der Vermuthung drängen, dass dieses Gas im Organismus auf ähnliche Weise in seine Bestandtheile zerlegt werde, wie bekanntlich durch brennende Körper oder unter dem Einfluss des elektrischen Funkens durch Wasserstoff. In dieser Er- wartung unternahm ich eine Reihe von Versuchen mit dem meines Wissens seit Anfang dieses Jahrhunderts nicht wieder physiologisch untersuchten Gase. In der Davy’schen Arbeit wird vielfach die auffallende Thatsache erwähnt, dass das NO auf Thiere aller Art durch- aus nicht so wie auf Menschen wirke, sondern dass jene, in das Gas gebracht, nach wenigen Augenblicken asphyktisch sterben, wenn man sie nicht schnell wieder an die Atmosphäre bringt. Warmblütige Thiere und Insecten sterben darin viel 1) Humphry Davy’s chemische und physiologische Untersuchun- gen über das oxydirte Stickgas und das Athmen in demselben. 2 Theile. Aus dem Englischen übersetzt. Lemgo 1812—1814. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 24 522 Dr. Ludimar Hermann: schneller als Amphibien und Fische (letztere in Wasser ge- bracht, welches NO bis zur Sättigung absorbirt hat). Gleich meine ersten Versuche bestätigten diese Angabe vollkommen. Kaninchen, welche durch eine Trachealfistel das unvermischte Gas!) aus einer Blase oder einem Gasome- ter athmen, werden schon nach der ersten Inspiration unruhig, bekommen nach wenigen Secunden Zuckungen, denen äusserst schnell der Tod folgt, wenn man nicht schleunigst der Luft Zutritt: verschafft; alsdann tritt sehr schnell Erholung ein. Ganz ebenso verhalten sich Fledermäuse, die man ganz und gar durch das Sperrwasser hindurch in Glocken bringt, die mit reinem NO gefüllt sind. Auch Frösche zeigen in solchen Glocken sehr bald deutliche Dyspnoe, sterben aber erst nach mehreren Stunden ?). 1) Das Gas wurde stets durch gelindes Erhitzen von reinem salpe- tersauren Ammoniak bereitet und, zur Befreiung von etwa beigemisch- tem Stickoxyd, durch Eisenvitriollösung gewaschen. Wegen seines hohen Absorptionscoefficienten kann es auf gewöhnliche Weise nicht aufbewahrt werden. Davy half sich damit, dass er die Gasometer mit mit NO gesättigtem Wasser füllte. Ich habe, wenn ich nicht ein Quecksilbergasometer benutzte, zur Füllung des Gasometers concen- trirte Kochsalzlösung verwendet, die kaum Spuren des Gases aufnimmt, und da die Metallgasometer von solchen Lösungen angegriffen wer- den, mir aus einer grossen Woulff’schen Flasche ein. sehr brauchba- res nur aus Glas und Kautschuk bestehendes Gasometer construirt. — Mit einigen nicht ganz bequemen Vorsichtsmassregeln kann man auch vortheilhaft die gewöhnlichen Gasometer mit Wasser benutzen. Man muss nämlich erstens das Durchstreicben der Gasblasen durch das Wasser vermeiden, also die Füllung durch die obere Ausströmungs- öffnung vornehmen, und zweitens darf man das Gasometer nicht ver- schliessen, weil es sonst durch den Luftdruck eingeknickt werden würde; am zweckmässigsten lässt man es in einer Wanne mit Wasser stehen und lässt die untere Oeffnung offen, so dass das Gas unter ge- lindem negativen Druck steht; vor jeder Gasentnahme muss man na- türlich die untere Oeffnung schliessen, von oben Wasser einströmen lassen und dann erst den Hahn öffnen; man verwendet immer das- selbe Wasser. 2) Von Vierordt (Art. „Respiration“ in Wagner’s Handwörter- buch der Physiologie, Bd. II. S. 864) wird eine Beobachtung von Zimmermann (ohne Ortsangabe) angeführt, in welcher Kaninchen Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases. 593 Eine Mischung von 4 Volumen NO und 1 Vol. O konn- ten alle angewandten Thiere beliebig lange Zeit ohne irgend welche auffallende Erscheinungen athmen. Diese Erfahrungen waren wenig geeignet den Eingangs er- wähnten Gedanken zu unterstützen. Ich ging nunmehr zu- nächst an Versuche über das Verhalten des NO zu entleertem Blute. Wenn das NO im Blute zersetzt wird, so muss man vor Allem erwarten, dass dunkles Blut bei Behandlung mit NO durch Aufnahme von O eine hellrothe Farbe annimmt. Dies bestätigt sich indess keineswegs: Frisches defibrinirtes venöses Rindsblut, mit NO geschüttelt, wird nicht im gering- sten heller, ebenso wenig wie beim Schütteln mit Wasser- stoflgas; dagegen zeigt sich eine Volumabnahme des Gases, wie bei der starken Absorbirbarkeit des NO in Wasser nicht anders zu erwarten ist. Wird darauf das Blut mit Luft ge- schüttelt, so wird es unter deutlicher Volumzunahme im Glase so hellroth wie sonst. Die Blutkörperchen zeigen in beiden Fällen nichts Abnormes. Von dem Verhalten arteriellen Blu- tes gegen NO wird weiter unten die Rede sein. Auch gas- freies Blut habe ich mit NO behandelt: Ein dickwandiger Glaseylinder stand durch eine mit einem Quetschhahn abge- sperrte Röhre mit einem mit NO gefüllten Quecksilbergaso- meter, durch eine andere mit einer leeren, zum Auffangen übergehenden Schaums dienenden Woulff’schen Flasche, diese wieder mit dem Recipienten einer Luftpumpe in Verbindung, der ein Gefäss mit Schwefelsäure enthielt. Der Cylinder war zu !/; mit Blut gefüllt und von Wasser umgeben, das bis auf 40% C. erwärmt wurde. Durch Evacuiren wurde das Blut eine Stunde lang im Kochen erhalten, wobei es ausseror- dentlich dunkel, aber nicht vollkommen schwarz wurde, da eine vollständige Entgasung auf diesem Wege bekanntlich nicht zu erreichen ist; indess ist diese Unvollkommenheit für den Versuch unschädlich. Jetzt wurde der Bluteylinder von der 20-31 Minuten lang reines NO geathmet haben sollen. Diese An- gabe wird Jedem, der dergleichen Versuche angestellt hat, höchst ver- dächtig erscheinen. 34* 524 Dr, Ludimar Hermann: Schaumflasche abgesperrt und mit dem Gasometer in Verbin- dung gesetzt. Nach dem Einströmen des Gases wurde wieder abgesperrt, geschüttelt, nochmals zugelassen, u. s. f. so lange das Blut noch Gas aufnahm. Sehr bald konnte das Blut als mit NO gesättigt gelten. Es war hierbei fast gar nicht heller geworden und zeigte eine bläulichrothe, kirschsaftartige Farbe und undeutlichen Dichroismus. — Das über dem Blute befindliche Gas wurde nach längerem Stehen, und nach Ein- fügung eines Trichters in das eine Rohr des Cylinders, durch eingegossenes Quecksilber verdrängt und der Untersuchung unterworfen. Schütteln mit Barytwasser zeigte, dass CO, nicht darin enthalten war, und die eudiometrische Verbrennung mit Wasserstoff ergab, dass das Gas fast aus reinem NO bestand. Es verschwand nämlich fast genau ein dem ursprünglichen Gasvolum gleiches Volumen (und zwar Wasserstoff, von dem 1 Vol. nöthig ist, um das in 1 Vol. NO enthaltene halbe Vol. O zu binden; 1 Vol. N bleibt zurück). Nachdem so entschieden war, dass entleertes Blut das NO ohne Zersetzung aufnimmt, da sich über dem Blute weder eine merkliche O- noch N-Menge befand, wäre es interessant ge- wesen, noch den Absorptionscoäfficienten des Bluts für NO zu bestimmen. Diese Frage hat ein mehr als gewöhnliches Interesse. Das NO besitzt eine ganz ähnliche, nicht nur ato- mistische, sondern auch volumenometrische Zusammensetzung, wie das Kohlenoxydgas; wie 1 Vol. CO aus 1 Vol. U-Gas und !% Vol. O, so besteht auch 1 Vol. NO aus 1 Vol. N und 1, Vol. O. Es wäre daher denkbar, dass das NO eine ähn- liche Beziehung zu den Blutkörperchen hätte, wie CO. Lei- der besitzt Berlin noch kein Gas-Laboratorium, und ich bin deshalb trotz mannigfacher Versuche mit den mangelhaften mir zu Gebote stehenden Mitteln nicht im Stande gewesen, den numerischen Absorptionsco£fficienten zu ermitteln. Indes- sen bin ich auf einem Umwege dennoch wenigstens zu dem Resultate gekommen, dass die Blutkörperchen kein specifisches Bindungsvermögen für NO haben. Zwei starke, gleich grosse, weithalsige Flaschen von 620 Cem. Capacität sind mit ringsherumgehenden Marken versehen, Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases. 525 welche einen Gehalt von 100 und von 200 Cem. Flüssigkeit ziemlich genau anzeigen. ‘ Jede Flasche ist mit einem Korke verschlossen, durch den zwei rechtwinklig gebogene Röhren hindurchgehen, die eine bis auf den Boden, die andere nur eben durch den Kork reichend. Die Korke sind mit grösster Sorgfalt verkittet und gefirnisst, ebenso die auf die Röhren ge- schobenen gefetteten Kautschukschläuche sorgfältig an zwei Stellen festgeschnürt. Die eine Flasche wird durch Hinein- hebern mittels des langen Rohrs mit 200 Ccm. defibrinirten Blutes gefüllt, das lange Rohr nach aussen abgesperrt und das kurze mit der Schaumflasche und der Luftpumpe wie oben luftdicht verbunden, die Flasche mit erwärmtem Wasser um- geben, und nun so lange das Blut im Kochen erhalten, bis 100 Cem. Blut in die Schaumflasche übergegangen sind (hier an einer Marke ablesbar; in der Flasche selbst ist wegen des Kochens eine Niveaubeobachtung unmöglich). Hierauf wird das kurze Rohr abgesperrt, und durch das lange Rohr schnell NO unter atmosphärischem Druck eingelassen, und auch hier wieder fest verschlossen. Ebenso wird darauf die zweite Flasche behandelt, nur dass diese mit destillirtem Wasser ge- füllt wird, und nach dem Auskochen 100 Cem. davon enthält. Beide Flaschen werden hierauf in ein grosses Wassergefäss vollständig untergetaucht, und mehrere Stunden unter mehr- maligem Schütteln darin aufbewahrt. Endlich werden beide Flaschen herausgenommen, die beiden auf den Boden der Flaschen reichenden Röhren mit einander durch ein kurzes Glasrohr verbunden und nun die (uetschhähne derselben geöft- net. Im Augenblick des Oeffnens steigt - etwas Blut zum Wasser hinüber, ein Beweis, dass das Wasser aus dem über ihm stehenden Gasvolum mehr aufgenommen, darin also eine grössere Druckverminderung hervorgebracht hat, als das Blut in seinem gleich grossen Gasvolum. Der Absorptionscoöfhi- cient des destillirten Wassers für NO ist also (da die Teem- peratur beiderseits gleich war) grösser, als der des Blutes. Um dies Resultat noch zu befestigen (denn die Methode hat offenbar nicht unbedeutende Fehlerquellen), wurde in anderen Versuchen in die Blutflasche mehr Flüssigkeit, also weniger 526 Dr. Ludimar Hermann: Gas gebracht, als in die Wasserflasche; auch dann stieg nach- her noch Blut zum Wasser über. Wären die Absorptionsco&f- ficienten gleich, so hätte jetzt, wie eine einfache Ueberlegung ergiebt, Wasser zum Blut übergehen müssen; uns aber kommt es nur auf das nunmehr feststehende Resultat an, dass das Blut nicht mehr NO absorbirt, als eine gleiche Menge destil- lirten Wassers. Nimmt man statt des gewöhnlichen Blutes Serum, oder mit Sauerstoff gesättigtes Blut (in diesem Falle wurde die ganze Flasche mit hellrothem Blute gefüllt, das kurze Rohr mit dem Gasometer verbunden und nun schnell das Blut bis auf 100 Cem. durch NO verdrängt), so zeigt sich ebenfalls stets der Absorptionscoäfficient des Wassers grösser. Bringt man in die eine Flasche Serum, in die andere mit OÖ gesättigtes Blut, so zeigt sich der Absorptionsco£fficient für NO beiderseits annähernd gleich (auf der Blutseite wird etwas weniger NO absorbirt werden, wegen des absorbirten O-An- theils).. — Alle diese Versuche zeigen nun auf das Eviden- teste, dass das Blut nur soviel NO aufnimmt, als seinem Was- sergehalt entspricht, dass die Blutkörperchen ebenfalls nur so- viel NO aufnehmen, so dass es für sie gleichgültig ist, ob sie ausserdem mit chemisch gebundenem O gesättigt sind oder nicht. Dass Blut und Serum weniger NO absorbiren als destil- tes Wasser, erklärt sich vollkommen dadurch, dass sie ziem- lich concentrirte Salz- und Eiweisslösungen darstellen !). Schüttelt man durch O hellroth gemachtes Blut mit NO, 1) Ich habe dies Verfahren zwei Flüssigkeiten in ihrer Aufnahme- fähigkeit für ein Gas zu vergleichen, deshalb etwas genauer beschrie- ben, weil ich es einer allgemeineren Anwendung für fähig halte: ein- mal für solche Flüssigkeiten wie Blut ete., für welche das Bunsen- sche Absorptiometer aus bekannten Gründen nicht anwendbar ist, zweitens zu ungefähren Vorprüfungen, wenn man nicht gerade den absoluten Absorptionsco@fficienten bestimmen will. Offenbar kann es auch dazu dienen, das Verhalten derselben Flüssigkeit zu zwei Gasen zu vergleichen. — In Bezug auf das Blut kann es in Vorlesungen namentlich dazu benutzt werden, auf einfache Weise die chemische Bindung des O und CO durch die Blutkörperchen und den gegenseiti- gen Ersatz beider Gase in gleichem Volum zu demonstriren; die Art des Versuchs ergiebt sich hinlänglich aus dem im Texte Gesagten. Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases.. 527 so erhält man trotz offenbarer starker Absorption des Gases (bemerkbar durch das Einstürzen des Schaumes beim Oeffnen des Gefässes) durchaus keine Verdunkelung. Dies kann auffallend erscheinen nach der gewöhnlichen Angabe, dass Schütteln mit H,N, oder CO, das hellrothe Blut verdunkelt. Diese Angabe ist indess, wie ich nach vielfachen Versuchen hier erklären muss, nur für Kohlensäure richtig. Man mag arterielles Blut noch so stark mit H oder N schütteln, es entsteht keine Verdunkelung. Eine Verdunkelung entsteht nur bei lange anhaltendem Durchleiten, sie entsteht aber auch ohne dieses Durchleiten nach derselben Zeit, wenn nur über dem Blute eine H-, N- oder NO-Säule steht. Den wahren Sachverhalt glaube ich in Folgendem gefunden zu haben: Schüttelt man Blut mit Sauerstoff oder atmosphärischer Luft, bis es ganz hellroth geworden ist, verschliesst dann das Ge- fäss, und überlässt es sich selbst, so findet man nach kürzerer oder längerer Zeit das Blut vollkommen dunkel; dieser Erfolg tritt um so schneller ein, je älter das Blut ist, in etwas fau- lig riechendem Blute schon nach !/, Stunde und weniger; hier wird das Blut vollkommen lackfarben. Betrachtet man das Blut jetzt genau, so findet man den darüber stehenden Schaum häufig noch hellroth, und die obersten Flüssigkeitsschichten immer etwas heller als den Rest. (Hat man über dem Blute eine sehr hohe Schaumschicht und lässt man es an der Luft stehen, so kann man auch in dieser sehr schön verschiedene Schichten unterscheiden, die um so heller roth sind, je näher der freien Oberfläche.) Oeffnet man das Gefäss, so hört man schon am Schall, und kann auch sonst leicht nachweisen, dass ein negativer Druck im Gefässe herrscht. Schüttelt man jetzt wie- der mit Luft, so wird das Blut sehr schnell wieder hellroth. Diese ganz constanten Erscheinungen sind, wie ich glaube, nur So zu deuten, dass der in die Blutkörperchen aufgenom- mene Sauerstoff während des Stehens zu Oxydationsprocessen im Blute selbst verbraucht wird, um so schneller, je mehr die Fäulniss solche Processe einleitet oder befördert. Den O sucht das Blut aus der über ihm stehenden Gasschicht zu ersetzen, wodurch ein negativer Druck entsteht. da die gebildete CO, 528 Dr. Ludimar Hermann: nicht wieder abgegeben, sondern in Lösung gehalten wird. In der That kann man namentlich in faulem Blut nachweisen, dass die über ihm stehende Gasschicht fast all ihren Sauer- stoff verloren hat. Der Ersatz wird natürlich den dünnen Blutmembranen des Schaumes am leichtesten, demnächst den oberen Blutschichten, daher bleiben diese am längsten hellroth. Enthält nun das über dem Blute stehende Gas kein O, be- steht es aus H,N, oder NO, so ist ein Ersatz des OÖ unmög- lich, das Blut wird also in allen Fällen sehon nach kürzerer Zeit dunkel, und es zeigt sich hier nie im Schaum und den ober- flächlichen Schichten eine hellere Färbung als unten. Dem- nach stehe ich nicht an zu behaupten, dass die gewöhnliche Angabe falsch ist, wonach sogenannte indifferente Gase, wie H, N und jetzt auch NO, den chemisch gebundenen Sauerstoff aus den Blutkörperchen verdrängen; sie haben demgemäss auch durchaus keinen directen Einfluss auf die Blutfarbe, sondern nur einen indirecten, wenn sie statt des OÖ mit Blut in Be- rührung sind und so dessen Ersatz im Blute verhindern, wo- durch das Blut früher dunkel wird, als bei vorhandenem ©. Es scheint mir ziemlich unbedenklich, diese Behauptung auch auf die Verhältnisse der Athmung auszudehnen, wo ebenfalls regelmässig angegeben wird, dass z. B. beim Athmen reinen Wasserstoffgases der O aus den Blutkörperchen verdrängt werde; höchst wahrscheinlich geschieht nicht dies, sondern es wird nur die Aufnahme neuen Sauerstoffes verhindert; so löst sich auch der Widerspruch, welcher zwischen jener Angabe und der W. Müller’s besteht, wonach ein Thier aus einem abgeschlossenen Athmungsraume den O bis auf die Neige verzehrt. Auch erklärt sich hiermit die bekannte Thatsache, dass mit CO behandeltes Blut seine hellrothe Farbe ausser- ordentlich lange behält; es giebt hier keinen Einfluss, der der hellrothen Verbindung des CO mit dem Blutfarbstoff ihr CO entzöge, wie es die Oxydationsprocese dem O gegenüber thun. — Anders als alle anderen Gase (abgesehen vom Kohlenoxyd, dessen Wirkung bekannt ist) verhält sich da- gegen die Kohlensäure, welche hellrothes Blut sofort dun- Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases. 529 kel und dichroitisch macht; sie erfordert noch ein genaueres Studium). | Kehren wir nach dieser Abschweifung zum NO zurück, so wissen wir jetzt, dass dieses Gas von dem Wasser des Blutes einfach absorbirt wird, und die Athmung der Thiere nicht unterhalten kann. Untersuchen wir nunmehr Davy’s Anga- ben über die Wirkung auf den Menschen. Zur Einathmung von NO ist kaum ein Apparat geeigneter, als das Hutchin- son’sche Spirometer, wegen seiner weiten Athmungsröhre und seines geringen mechanischen Widerstandes. Man setzt in die obere Oeffnung der Glocke statt des gewöhnlichen Metallstöp- sels einen durchbohrten Kork mit Glasrohr und langem Kaut- schukschlauch, durch welchen das Gas eingeleitet wird, hier- auf verschliesst man den Einleitungsschlauch durch einen Quetschhahn. Das Gas kommt nur an der Oberfläche des Wassers mit diesem in Berührung und steht (durch die Ge- wichte) unter negativem Druck, es geht also fast Nichts durch Absorption verloren. Bei meinen Versuchen wurde fast stets in das Spirometer auch exspirirt, was für kurze Ver- suche bei einer Gasmenge von 6 Litern unschädlich ist und sehr viel Gas erspart. (Auch Davy beobachtete diese Spar- samkeit.) Reines NO habe ich nur selbst und zwar nur zwei- mal geathmet, das erstemal in Gegenwart meines Freundes J. Rosenthal, das zweitemal in Gegenwart der Herren Vir- chow, Kühne, Klebs, Rosenthal, Fischer, Schelske, Hueter und mehrerer Anderen. Der Eıfolg war beidemal derselbe: Sofort Benommenheit, starkes Trommeln in den Ohren, kurz der später zu beschreibende angenehme Rausch, jedoch in sehr concentrirter Form, darauf sehr schnell unter tiefen, dyspnoätischen Respirationen Bewusstlosigkeit, Aufhö- ren des Pulses und der Respiration mit Lividität der Schleim- häute und Leichenblässe. In diesem Zustande vollkommener 1) Versuche, welche ich in Beziehung hierauf angestellt habe, werde ich in Kurzem veröffentlichen, und zugleich für die oben aus- gesprochenen Behauptungen noch andere experimentelle Beweise bei- bringen. 530 Dr. Ludimar Hermann: Asphyxie wurde mir das Mundstück, aus welchem ich nicht mehr athmete, von den geängstigten Anwesenden aus dem Munde genommen, und etwas künstliche Respiration eingelei- tet (ich sass am geöffneten Fenster). Sehr bald traten wieder tiefe Respirationen ein, und in weniger als einer Minute war ich völlig wieder hergestellt, ohne die geringste Nachwir- kung. Der Zustand hatte für mich durchaus nichts Unange- nehmes, namentlich war das Restitutionsstadium sehr ange- nehm. Ich halte den Versuch bei sachkundiger Assistenz zwar nicht für bedenklich, hielt es aber für unnütz, ihn öfter zu wiederholen. Er beweist überzeugend, dass die Inspiration von reinem NO ebenso Dyspnoe und Asphyxie bewirkt, wie die Athmung von reinem H; nur fehlt wegen des gleichzeitig vorhandenen Rausches das Gefühl der Dyspnoe, während ich dieses Gefühls wegen die Athmung von reinem H nur kurze Zeit (49 Secunden, — nach 26 Sec. trat Benommenheit ein) fort- setzen konnte. Die NO-Athmung ist deshalb auch viel ge- fährlicher, als die H-Athmung; denn das Gefühl der Dyspnoe ist ein zwingendes Moment, den O-Zutritt zu suchen. Sonach besteht also kein Widerspruch mehr zwischen der Wirkung des NO auf Thiere und auf Menschen; bei keinem von beiden kann es den O im Geringsten ersetzen. Mit O gemischt habe ich sowohl als viele meiner Freunde das NO häufig eingeathmet, gewöhnlich (aus dem Spirometer) 4800 Cem. NO mit 1200 Cem. O, also 4 Vol. NO und 1 Vol. O. Auch hier wurde stets wieder in das Gasometer zurück geathmet. Hier zeigte sich immer der:von Davy beschrie- bene Rausch, dessen Erscheinungen mit häufiger Wiederholung sich deutlich abschwächen (Davy behauptet das Gegentheil, Bd. II. S. 186, 195) und nach langer Entwöhnung wieder mit ihrem vollen Zauber auftreten. Die erste fremdartige Er- scheinung ist der deutlich süsse Geschmack des Gases; hier- auf beginnen die Rauscherscheinungen meist mit Brausen oder Trommeln in den Ohren, Undeutlichwerden der Objecte, es folgt ein sehr angenehmes Wärmegefühl im ganzen Körper, und endlich ein Rieseln, welches schnell namentlich die Ex- tremitäten durchzieht, und welchem ein Gefühl ausserordent- Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases.. 531 licher Leichtigkeit der Glieder nachfolgt, vermuthlich herrüh- rend von einem Verluste des Muskelgefühls; denn von jetzt ab sind die Bewegungen ziemlich maasslos, häufig artet eine kleine beabsichtigte Bewegung zu täppischem Hin- und Her- fahren aus, das Stehen wird schwankend, man stampft mit den Füssen oder schwankt beim Sitzen heftighin undher. Die Em- pfindlichkeit ist etwas herabgesetzt, und zwar nach der Rich- tung der Analgesie, nicht Anästhesie. Das Bewusstsein war, bei mir wenigstens, nie gestört, der Ideengang allerdings viel schwunghafter und bilderreicher als normal. Fast bei jedem das Gas Athmenden zeigen sich Aeusserungen von Heiterkeit, Lachen, u. s. w.; ich finde aber bei mir selbst, dass diese Heiterkeit keine zwangsweise, sondern nur durch den ungewohn- ten, überaus angenehmen Zustand hervorgerufen ist; so dass man sie, namentlich wenn auch die Umgebung nicht durch Scherze zum Lachen anregt, vollständig unterdrücken kann; bricht aber Lachen hervor, so kann es allerdings, wie ich es mehrmals beobachtet habe, vermuthlich analog den maasslosen Extremitätenbewegungen, zu einem schallenden Jauchzen aus- arten. Ein Melancholiker, den ich das Gas athmen liess, wurde dadurch aus seiner Theilnahmlosigkeit offenbar erweckt, und verlangte nach Wiederholung, ohne aber zu lachen. — Die Versuche dauerten sämmtlich nur sehr kurze Zeit, höch- stens 1!/,—2 Minuten, denn sobald der Rausch sich ausgebil- det hat, wird bei den foreirten Bewegungen das Athmen un- terbrochen, es dringt Luft in das Spirometer ein, u.s. w. Setzt man es möglichst lange regelmässig fort, so fühlt man bald deutlich ein wenig Dyspnoe, welche das weitere Atbmen un- behaglich macht, offenbar herrührend von der Abnahme des Sauerstoffvorrathes im Gasometer. Dieser Uebelstand wäre dadurch zu überwinden, dass man (etwa mit Müller’schen Ventilen) aus dem Spirometer nur inspirirt; dann aber bedarf man eines sehr grossen Gasometers, um den Versuch mög- lichst lange fortzusetzen; ein solches stand mir jedoch nicht zu Gebote. Ich kann deshalb nicht angeben, ob man die Mischung von 4 Vol. NO und 1 O beliebig lange ohne Scha- den athmen könne (eine Bemerkung von Davy, Bd. 11. 8. 532 Dr. Ludimar Hermann: 255, scheint dies zu verneinen), und wie sich dann die Erschei- nungen gestalten. — In allen Versuchen trat gleich nach dem Aufhören innerhalb !/,—1 Minute der normale Zustand wieder ein, fast stets ohne eine Spur von Abspannung oder anderen dem Alkoholrausch gewöhnlich folgenden Leiden. Bei mir selbst bemerkte ich zuweilen unmittelbar nach dem Athmen eine plötzliche, schnell vorübergehende Schläfrigkeit. — Ob- jectiv konnte man an dem Athmenden, abgesehen von seinen Bewegungen, nichts nachweisen, als eine geringe Pulsvermeh- rung, etwas Pupillenerweiterung und meistens eine Injection der Conjunctiven. Während des Athmens nimmt regelmässig das Gasvolum im Gasometer, offenbar wegen der Absorption des NO im Blute, bedeutend ab. Wenn man während des Rausches plötz- lich die Glocke des Spirometers oben öffnet, hinabdrückt und schnell wieder bis auf 3 Liter Gehalt steigen lässt, so sieht man bei weiterem Athmen die Glocke fortwährend steigen, offenbar weil jetzt, wo wieder Luft geathmet wird, das ab- sorbirte NO wieder allmählich verdrängt wird. Es scheint also nach der Einathmung des NO ein grosser Theil des Ga- ses durch die Lungen wieder entfernt zu werden; vermuthlich werden auch auf anderen Wegen, durch die Haut, den Harn u. Ss. w. Spuren davongehen, worüber ich aber keine Versuche an- stellen konnte. Analoge Versuche, wie der oben erwähnte, zeigten auch bei Kaninchen die Abnahme und Wiederzunahme des Gasvolums. Die abweichenden Angaben Davy’s in Bezug auf die Re- spirabilität des reinen NO beim Menschen sind nicht schwer zu erklären. An vielen Stellen kommt auch bei Davy Ath- mung von Mischungen des NO mit Luft vor; diese werden aber immer als „Verdünnungen* bezeichnet; dies kennzeich- net hinlänglich die auch ausgesprochene Ansicht Davy’s, dass das reine Gas häufig „zu heftige* Wirkungen äussere, die dureh Luftzusatz „gemässigt* werden. Nirgends findet sich auch nur eine Andeutung der Vermuthung, dass der Zusatz von OÖ auch in anderer Beziehung von Wichtigkeit sein könnte, im Gegentheil kommt es vor (z. B. Bd. II. S. 87), dass Davy Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases. 533 zufälligen Luftzutritt zu reinem NO als etwas schwer zu Ver- meidendes, also vermuthlich häufig Vorgekommenes bezeichnet. Nimmt man nun hierzu den Umstand, dass Davy das Gas fast immer aus seidenen Beuteln athmete, deren leichte Diffusions- fähigkeit er selbst zugesteht (Bd. II. S. 60, 97) und die zu- weilen längere Zeit aufbewahrt waren, ja dass er später, zu bequemerem Schwelgen (er hatte, eigenem Geständniss nach, eine Art Leidenschaft dafür; Bd. II. S. 198), sich ganz und gar in einen Behälter begab, in welchen NÖ eingeleitet wurde, so wird man annehmen müssen, dass Davy und die von ihm Erwähnten fast durchweg mit O gemischtes NO geathmet haben, und dass nur selten zufällig reines NO geathmet wurde; solche Fälle sind leicht in Davy’s Buche daran zu erkennen, dass Bewusstlosigkeit eintrat, also das Gas so stark wirkte, dass zu „Verdünnungen“* geschritten werden musste (Beispiele Bd. 11. S. 68, 207, 210, 214, 232 u. s. w.). Noch in einer anderen Beziehung habe ich meine Angabe der Davy’schen gegenüber zu rechtfertigen. Ich habe oben gezeigt, dass entleertes Blut das NO nicht zersetze. Man kann sagen, dies beweise noch nicht, dass nicht durch irgend welche unbekannten Verhältnisse das Blut im Körper fähig wäre, dem NO seinen O zu entziehen. Allerdings liegt nach den Resultaten der NÖ-Athmung bei Thieren und Menschen nicht die geringste Veranlassung zu dieser Vermuthung vor; allein gewöhnlich werden (z. B. von Vierordt, Artikel „Respiration* in R. Wagner’s Handwörterbuch der Physio- logie Bd. II. S. 865 f.) gewisse Versuche von Davy ange- führt, nach welchen durch die Athmung von NO die Lungen N abgeben sollen. Diese Versuche (Davy, Bd. II. S. 82 bis 98) sind aber nichts weniger als beweisend, wie Davy selbst mittelbar zugiebt. Die Methode bestand darin, kurze Zeit aus einem abgeschlossenen Raum hin und zurück NO zu atlımen, dann das Gasgemenge zu analysiren, und mit dem ursprüng- lichen zu vergleichen. Letzteres bestand aus dem im Behälter enthaltenen NO und dem im tiefsten Exspirationszustande in den Lungen enthaltenen Luftrückstand, dessen Menge und Zu- 534 Dr. Ludimar Hermann: sammensetzung Davy vorher durch sinnreiche Versuche mit H-Athmung ermittelt hatte. » Es zeigte sich nun, abgesehen von einer bedeutenden Abnahme des Gasvolums durch Ab- sorption von NO, der O-und CO,-Gehalt des Gemenges nicht wesentlich verschieden von dem des als ursprüngliches ange- nommenen (Gemenges, dagegen der N-Gehalt gestiegen (ein- mal, bei Absorption von 56,3 Oub.-Zoll NO, von 24,3 auf 39 C.-Z., ein anderes Mal bei Absorption von 71,4 C.-Z. NO, von 24,9 auf 36,3 C.-Z.). Man muss aber im Auge behalten, dass die ursprünglich in den Lungen enthaltene N-Menge nicht direct bekannt war, sondern aus den H-Versuchen nur vermuthet wurde, wobei die Annahme zu Grunde lag, dass die vor dem Versuche gemachte Exspiration genau gleich der vor der H-Athmung gemachten und auch die Lungenluft genau gleich zusammengesetzt war. Gegen diese Aufstellung lassen sich aber sehr gegründete Ein- wendungen machen. Hierzu kommt noch, dass die gasome- trischen Analysen Davy’s, bei aller Ehrfurcht vor der wis- senschaftlichen Grösse dieses Mannes, wegen der damaligen mangelhaften Hülfsmittel kein allzugresses Vertrauen verdie- nen!). Noch ist zu erwähnen, dass Davy aus der N-Ver- mehrung durchaus nicht auf eine Zersetzung des NÖ schliesst, sondern dass er nur eine unverständliche N-Ausgabe wegen Ueberladung des Körpers mit N annimmt. Keineswegs also werden diese Versuche die Resultate aller übrigen umzustossen geeignet sein?). 1) Die Analyse des Gasgemenges geschah folgendermassen (Bd, II. S. 63): Ueber Quecksilber wurde zunächst durch Kalilösung die co, absorbirt, dann das doppelte Volum reines Wasser zugeleitet und ste- hen gelassen (wie lange?); das Absorbirte wurde als NO betrachtet; der Rest wurde mit NO, vermischt und so geprüft, ob er blos aus N bestand, oder auch OÖ enthielt. Von Temperatur- und Barometer- ablesungen ist nicht die Rede. 2) Der Vollständigkeit halber will ich noch anführen, dass schon früher Davy’s Angaben über die physiologische Wirkung des NÖ zuweilen, jreilich in vager Weise, in Zweifel gezogen worden sind. Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases. 535 Ueber den durch NO erzeugten Rausch Untersuchungen anzustellen, lag, wie schon aus der Einleitung hervorgeht, ausserhalb meiner Absicht, auch ist die Ergründung derartiger sensorischer Erscheinungen ein ziemlich hoffnungsloses Bemü- hen. Einige Bemerkungen will ich indess nicht unterlassen. Offenbar ist es das im Blutwasser absorbirte NO, welches auf gewisse Ganglienzellen in der beschriebenen Art einwirkt, na- mentlich das Muskelgefühl anscheinend sehr vermindert, das Sensorium aber intact lässt. Es entstehen nun zwei Fragen: Wirkt das absorbirte NO nur auf Centralorgane specifisch ein, und kommen noch anderen absorbirbaren Gasen ähnliche Wir- kungen zu? In ersterer Beziehung habe ich Versuche an Froschmuskeln und Froschherzen angestellt (nach bekannten einfachen Metho- den) und gefunden, dass reines NO die Erregbarkeit resp. Thätigkeit dieser Theile kaum. etwas schneller aufhebt, als N oder H, und dass eine Mischung von NO und OÖ sich ganz verhält wie atmosphärische Luft; das NO hat also auf Mus- keln und Nerven jedenfalls keine nachweisbare specifische Wirkung!). Von anderen leicht absorbirbaren Gasen ausser NO habe ich bis jetzt in ihrer Wirkung auf das Sensorium geprüft: Kohlensäure, ölbildendes Gas und Methylchlorürgas. Ich ziehe es aus besonderen Gründen vor, das Genauere hierüber später mitzutheilen, und will hier nur vorläufig bemerken, dass alle diese Gase, mit O gemischt geathmet, eine entschiedene rausch- artige Wirkung äussern. Die Wirkungen sind keinesweges gleichartig, und möglicherweise liegen ihnen sehr verschiedene Processe zu Grunde; das aber ist klar, dass überhaupt nur solche Gase, welche in merklicher Menge vom Blute aufge- 1) Auch hier kommt, ähnlich wie beim Blute, die Frage in Be- tracht, ob die nach der Ausspritzung des Blutes im Muskel nach G. v. Liebig noch vorhandene O-Menge chemisch gebunden ist, und ob sie durch fremde Gase ausgetrieben werden kann. Auch auf diese Frage werde ich in einer späteren Arbeit zurückkommen. 536 Dr. L. Hermann: Ueber die physiologischen Wirkungen etc, nommen werden, nennenswerthe physiologische Wirkungen äussern können. Es liegt also in der Prüfung derartiger Gase noch ein weites, vermuthlich nicht unfruchtbares Feld der For- schung vor. Die grösste Vorsicht ist hier dringend anzuem- pfehlen, namentlich in Bezug auf die Reinheit der Gase; ich bin selbst einmal durch Athmen eines durch die Darstellung mit CO verunreinigten Gases in Lebensgefahr gerathen. Die hier mitgetheilten Versuche sind mit gütiger Erlaub- niss des Herrn Professor du Bois-Reymond, für welche ich demselben meinen innigsten Dank ausspreche, im physio- logischen Laboratorium der hiesigen Universität angestellt. Berlin, im October 1864. Nachtrag zu Seite 526. Nachdem diese Arbeit schon in Druck gegeben war, habe ich bemerkt, dass bereits Jürgensen eine Absorptionsbe- stimmung für Blut und NO (vermuthlich mit dem Lothar Meyer’schen Apparate) gemacht hat (s. Nawrocki: Ueber die Methoden, den Sauerstoff im Blute zu bestimmen; in Stu- dien des physiol. Instit. zu Breslau. 2. Heft. 1863. S. 145. Anm.). Er fand eine fast auffallende Uebereinstimmung mit der Absorption durch reines Wasser. Dr. R. Reger: Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren ete. 557 Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre sogenannten Capseln. Von Dr. R. REGER. (Hierzu Tafel XIII. A.) Seit Malpighi die nach ihm benannten Knäuel in der Rindensubstanz der Niere entdeckt und ihrer Natur nach er- kannt hatte!), vergingen fast zwei Jahrhunderte, ehe sie wie- der Gegenstand speciellerer, wissenschaftlicher Untersuchung wurden. J. Müller war der Erste, welcher sich dieser von Neuem unterzog und nachwies, dass die Glomeruli nicht frei im Parenchym der Niere lägen, sondern von einer eignen Cap- sel, die nach ihm den Namen der „Müller’schen ÜOapsel* erhielt, umschlossen würden. Einen Zusammenhang dieser sogenannten Capseln mit den blinden Endigungen der Harn- canälchen stellte er damals noch bestimmt in Abrede?). EIf Jahre später jedoch wies er in seiner vergleichenden Ana- tomie der Myxinoiden nach, dass diese Capseln nur die bla- sig erweiterten Enden der Harncanälchen seien. Diese Beobachtung war es, die vonBowman beim Frosch und verschiedenen anderen Thieren gleichfalls gemacht, dem letzteren, ein Jahr etwa nach dem Erscheinen der Müller- schen Arbeit, Gelegenheit zur Aufstellung seiner Ansicht von 1) De renibus, exereitat. de viscerum structura, 2) De glandularum secernent. struct. penit. Lipsiae 1830. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864. 35 538 Drs'R.öReger: dem Baue der Nieren und dem Vorgange der Harnabsonde- rung bei höheren Thieren gab. Dieselbe ist zu bekannt, als dass sie erneuter Darlegung bedürfte. Unmittelbar nach ihrem Bekanntwerden erhoben sich nun dafür und dawider zahlreiche namhafte Forscher. Dafür erklärten sich sogleich Valentin!), Bischoff?), Gerlach?), späterhin Ludwig, und in neuester Zeit hat sich Henle erst noch bestimmt für dieselbe ausge- sprochen‘). Doch erhob sich auch von anderen Seiten leb- hafter Widerspruch, so namentlich von Seiten Huschke’s, Hyrtl’s5) und Reichert’s®). Stand doch auch die Behaup- tung so sehr im Widerspruch mit allen bis dahin bekannten histologischen Gesetzen! Gefässe sollten die tunica propria der Harncanälchen durchbohren und frei in die Höhlung der Capseln hineinragend auf der Oberfläche einer, wenn auch noch so wohl verwahrten, Schleimhaut liegen! Diesen und anderen begründeten Einwürfen vielleicht zu entgehen, nahm Kölliker zwischen der inneren Oberfläche der Capsel und der äusseren des Glomerulus eine einfache Lage von Epithelzellen an, die aber den glomerulus auch an der dem Lumen des Harncanälchens zugewendeten Seite über- ziehen soll’), und hat sich auch bei wiederholten Untersuchun- gen nie eine andere Ueberzeugung verschaffen können. Ger- lach war sodann der Erste, welcher der inneren Capselober- fläche sowohl als dem Gefässknäuel, jedem sein eigenes Epi- thel zuschrieb. Freilich liess er dabei das Epithellager dem letzteren unmittelbar ohne dazwischen liegende glashelle Mem- bran aufsitzen, eine Art der Verbindung beider, über die sich Bidder bei Besprechung der Gerlach’schen Ansicht hin- länglich äussert. 1) Repertorium VIII. Band S. 92. 2) Müller’s Archiv 1843, Jahresbericht S. 132. 3) Müller’s Archiv 1845, S. 378, 4) Handbuch der Anatomie des Menschen, II. Band, 1I. Lieferung, S. 310. c. 5) Oesterreich. medicinische Jahrbücher 1844, Band 48. 6) Müller’s Archiv 1843, Jahresbericht S. 220. 7) Handbuch der Gewebelehre, Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 539 Dieser letztere nämlich, wiewohl er ursprünglich der Bow- man’schen Auffassung sich hingeneigt, hatte sich jedoch alsbald auf Grund späterer Untersuchungen gegen dieselbe erklärt und eine neue dargelegt, indem er zuerst von der Ba- salmembran behauptete, dass der Glomerulus sie nicht durch- bohre, sondern nur einstülpe, und vermuthete, dass ein feines Pflasterepithel, welches die Capsel innerlich auskleidete, sich mit der Basalmembran über den Glomerulus hinwegschlüge!'). Diese seine Ansicht liess derselbe jedoch bereits ein Jahr spä- ter fallen, um sich zu Gunsten einer neuen auszusprechen ?), nämlich für das blosse Aneinanderliegen beider Gebilde, des Gefässknäuels und der Wand des Harncanälchens, einer Ansicht, deren fortdauernder Vertheidiger, da sonst Niemand sich ihr anschloss, nur Reichert, der Bidder’s Präparate gesehen, in seinen früheren Jahresberichten sowohl, als noch neuerdings in seinen akademischen Vorträgen geblieben ist. Seitdem hat sich über die Frage, ob es zwischen der Ober- fläche des Gefässknäuels und zwischen der Capselwand eine doppelte Lage von Epithelzellen gebe, Isaacs?) in letzter Zeit in sehr bestimmter Weise ausgesprochen. Er schreibt beiden Theilen ilır besonderes Epithel zu, ja er findet sogar Verschiedenheiten zwischen dem Pflasterepithel des Glomerulus und dem Epithel der inneren Oberfläche der Capsel; die Zel- len des ersteren seien grösser und indifferent gegen verdünnte Salpetersäure, die die Zellen der Capsel auflöse. Auch Moleschott*) hat dann dieselbe Anschauung ge- wonnen und kann die Zuverlässigkeit dieser Beobachtungen vollkommen bestätigen. In derselben Arbeit nun, wo Mole- schott dies thut, wurde von ihm auch die Ansicht von den 1) Müller’s Archiv 1845, S. 508. 2) Bidder, vergleichend - anatomische und histologische Unter- suchungen der Harn- und Geschlechtswerkzeuge der nackten Amphi- bien. Dorpat 1846. 3) Brown-Se&quard’s Journal de la physiologie de ’homme et des animaux 1858, vide Moleschott. 4) Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der 'Thiere, Jahrg. 1861, Bd. VIII., Heft II. S. 222 u. 224. 35* 540 Dr. R. Reger: oft intereurrent im Laufe der Harncanälchen vorkommenden Capseln aufgestellt. _Als Resultat seiner darauf bezüglichen Untersuchungen, zu denen er eine eigene Präparationsweise der Nieren anwandte, stellte sich nämlich heraus, dass in der Niere des Menschen häufiger intereurrente, wie er es nennt, zweicanälige, als endständige oder eincanälige Oapseln vorhanden seien. Er sprach somit im Grunde nur das wieder aus, was lange vor ihm Gerlach beim Huhne angedeutet, Bidder beim Triton nachgewiesen hatten. Gegen diese Beobachtung trat in neuerer Zeit Meyer- stein auf'), der unter Henle’s Leitung arbeitend niemals zweicanälige Kapseln sah und nie Bilder erhieit, wie sie Mo- leschott abgebildet, ein Resultat, zu dem auch Kölliker gekommen ist?).. Da Meyerstein jedoch, wie er selbst an- giebt, die von Moleschott eingeschlagene Präparationsme- thode nicht genau befolgt hat, so dürfte vielleicht der Ein- sprache von dieser Seite her nicht allzuviel Gewicht beizule- gen sein. Auch ist ja bekannt, wie langer Zeit es bedurft hat, bis wir überhaupt nur zu der Einsicht gelangten, dass ein Harncanälchen mit der sogenannten Capsel in Verbindung stehe. Da es nun aber sehr schwierig, ja fast unmöglich sein möchte, bei einer mit einem Harncanälchen versehenen Capsel mit völliger Sicherheit auszusagen, dass der übrige Theil der- selben unverletzt, und also kein zweites Canälchen abgerissen sei, so ist wohl vorauszusehen, dass auf diesem Wege wohl kaum jemals die Controverse wird geschlichtet werden können. Es musste deshalb wohl versucht werden, ob sich nicht auf anderem Wege der Lösung dieser wissenschaftlich so wich- tigen Frage näher kommen liesse. Dazu empfahl sich denn auf Reichert’s Vorschlag hin besonders die Niere von Tri- tonen, namentlich Triton taeniatus, die ja auch Bidder bereits zu seinen vortrefflichen Untersuchungen benutzt und dann empfohlen hatte. Sie waren deswegen fast ausschliesslicher 1) Henle und Pfeuffer, Archiv für rationelle Mediein, Jahrg. 1862, Bd. XV., S. 180. 2) AL a0, Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 541 Gegenstand der Untersuchung für mich. Zwar sind Tritonen auch von anderer Seite auf Bidder’s Vorgang hin wiederholt untersucht und meist mit nicht so zweifellosem Resultate, wie von Bidder; allein die Species übt, wenn irgendwo, so hier, auf gewisse kleine Eigenthümlichkeiten im Bau an und für sich sonst gleicher und gleichen Zwecken dienender Organe ungemein viel Einfluss aus. Bei Triton taeniatus ist der vor- dere Theil der Niere von der Natur selbst schon in einer Weise ausgebreitet?), dass zur mikroskopischen Untersuchung dessel- ben es gar keiner weiteren künstlichen Vorbereitung bedarf. Lang hingezogen erstreckt sich hier die Niere von dem obersten Theile der Bauchhöhle bis zur Cloake hin klar, übersichtlich. Anders ist es bei Triton eristatus. Hier ist der ganze vordere Abschnitt der Niere, auf den es hier hauptsächlich ankommt, enger zusammengeschoben, die Harncanälchen sind meist dunk- ler gefärbt, von stärkeren Bindegewebszügen mit zahlreichen, strahligen, schwarzen Pigmentkörpern oft dicht umhüllt und verdeckt. Hierin, indem die meisten der späteren Beobach- ter zwischen den Species keinen solchen Unterschied mach- ten, möchte wohl der Grund zu suchen sein, dass dieselben nicht zu denselben Resultaten gelangten, wie Bidder. Besonders empfehlenswerth für die in Rede stehende Un- tersuchung dürfte daher nur die Niere von Trifon taenialus sein, und hoffe ich, dass es mir auf Grundlage der an diesem Thiere gemachten Beobachtungen gelungen ist, nicht allein Bidders Angaben zu bestätigen, sondern auch neue den That- bestand sichernde Momente anzuführen. Sei es deshalb zuerst gestattet, nur eine kurze anatomische Beschreibung der Niere dieses Triton, so weit dieselbe nöthig erscheinen möchte, vor- auszuschicken. Eröffnet man die Bauchhöhle eines männlichen Triton, so sieht man das Peritonaeum 4 Anheftungsbänder für Organe von der Wirbelsäule her ausschicken: das eine für die unmit- telbar unter dem Herzen gelagerte Leber, das zweite für den 1) Bidder, a. a. O. S. 583. 542 Dr. R. Reger: Magen und den Darmcanal, die beiden letzten für die frei in der Bauchhöhle symmetrisch zu beiden Seiten der Wirbelsäule liegenden Hoden. Trägt man nun von Hinten her beginnend das Mesenterium des Darms ab, so kommt unmittelbar vor der Wirbelsäule liegend, vom Peritonaeum bedeckt, ein lang hingestreckter Körper zum Vorschein, der hinten kolbig ange- schwollen und dunkel geröthet beginnend, alsbald in eine flache, grau weisslich gefärbte Partie übergeht, die fast bis zur Leber hinaufreicht und in der Mitte deutlich die gros- sen Gefässe des Unterleibs, an den Aussenrändern je einen schwarzen, vielfach gewundenen Streifen erkennen lässt, der sich nach Hinten fortsetzt. Dies ist die Niere. Sie besteht aus zwei, im hinteren Theil nur durch die erwähnten grossen Gefässe, im vorderen helleren Theil ausserdem noch durch zwei zu beiden Seiten derselben liegende Canäle von- einander getrennten Hälften, die aber so eng bei einander lie- gen, dass sie fast nur einen einzigen Körper darzustellen scheinen. Diese beiden Canäle sind es, deren Verhalten zuerst etwas näher eruirt werden muss. Schon bei blosser Betrachtung mit der Lupe sieht man zur Begattungszeit von dem Hoden der entsprechenden Seite her zarte, weissliche Stränge zur Mitte der oberen Hodenpartie hin verlaufen. Verfolgt man diese nun genauer, so findet man dass dieselben feine Canäle darstellen, die vom Hoden aus den Samen, eben jene weissliche Masse, zur Mitte der Niere hinführen und hier in diese parallel den Gefässen laufenden, am inneren Rande der Nierensubstanz liegenden Canäle ein- münden, so dass letztere die gemeinschaftlichen Sammelgänge sämmtlicher vasa efferentia testis bilden. Ausserdem aber geht nun von diesen Sammelgängen in ziemlich regelmässigen Abständen ein zweites Canalsystem aus, das man jedoch erst bei Betrachtung mit dem Mikroskope als solches und als in Verbindung damit stehend erkennen kann. Dieses zweite System von Canälen bildet die vordere Partie der Nieren, eben jene hellere weissliche Masse bei der mikro- skopischen Betrachtung, von der bereits vorher die Rede war. Und zwar besteht diese Masse aus etwa acht bis zehu Canä- Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 543 len, die alle bald nach ihrem Abgange eine kugelige An- schwellung zeigen!) dann nach Bildung vielfacher Windungen, die sich aber von einander in einzelne Gruppen, wie Bidder sie nennt, in blattförmige Windungshaufen leicht trennen las- sen?), in geradem Verlaufe endlich nach Aussen erstrecken und in den schwarzen, ebenfalls vielfach gewundenen Streifen einmünden, der als am Aussenrande der Niere auf jeder Seite herabziehend oben bereits einmal beschrieben worden. Und zwar bildet der vorderste dieser Canäle die directe Fort- setzung des gemeinschaftlichen Sammelganges der vasa effe- rentia testis zu diesem dunkel pigmentirten Streifen hin, der also auf diese Weise, da sowohl Harncanälchen, — denn als solche sind diese eben beschriebenen Canäle aufzufassen, — als auch vasa efferentia testis indirect in ihn einmünden, Ureter und vas deferens zu gleicher Zeit darstellt. Weiter auf diese jedenfalls sehr eigenthümliche Verbindung der harn- und der samenbereitenden Organe hier einzugehen, würde den Zweck des Vorliegenden weit überschreiten, und muss ich deshalb einfach auf Bidder verweisen. Es genüge, dass wir in Späterem bei der Deutung eines Phänomens, näm- lich der Flimmerbewegung in den sogenannten Capseln, noch kurz darauf zurückkommen werden. Dass nun aber diese beschriebenen Canäle wirklich als Theile der Niere, also als Harncanälchen aufzufassen sind, dafür bürgt ein eigenthümliches Verhalten derselben. Wie bereits gesagt war, bildet jedes dieser Canälchen kurz nach seinem Abgange oder kurz vor seiner Verbindung mit dem Sammelgange der vasa efferentia testis, eine eigenthüm- liche bauchige Anschwellung, verschmälert sich dann meist etwas, um dann in die gewundene Partie überzugehen. Mit jeder solchen Erweiterung steht regelmässig ein Knäuel von mehr oder weniger dunkler Färbung in Verbindung, der aus einzelnen Schlingen von Gefässen bestehend ganz das Aus- 1) Siehe Figur 3 u. 2. 2) Dies und das Folgende ist nach Bidder’s Darstellung gege- ben, etwas darauf Bezügliches siehe noch am Schlusse, 544 Dr. R. Reger: sehen der in den Nieren anderer Thiere als Malpighi’sche Knäuel bekannten Körper bietet. In dem vorderen Theile der Niere bilden diese Körper nur eine Reihe, in der compacteren hinteren Substanz, wo, wie schon gesagt, die Harncanäle dich- ter neben einander liegen, bilden sie deren zwei neben ein- ander, indem sie in der Regel so angeordnet sind, dass ein Knäuel der zweiten oder äusseren Reihe dem Zwischenraum zwischen zwei inneren entspricht. Diese Erweiterungen also im Laufe der Harncanälchen stellen das dar, was Bowman und vor ihm Johannes Müller die Capsel des Glomerulus, Bidder die Ampulle genannt hat, die in vielen Fällen etwas verengte Stelle vor der Ampulle den Hals!) derselben. An dieser Ampulle, oder, wie die Anhänger der Ansicht von der Durchbohrung wollen, in dieser Ampulle liegt der Glomerulus, der bei Tri- ton taeniatus aus einer einfachen Verschlingung des Vas afie- rens zu bestehen scheint, wenigstens habe ich Ramificationen nicht mit Deutlichkeit gesehen. Es sollte dies ja nach den ursprünglichen Angaben Bowman’s bei den Vögeln, Fischen und nackten Anıphibien meistentheils der Fall sein und nicht wie beim Menschen und den höheren Wirbelthieren, wo der Glomerulus in der bekannten Weise sich bildet. Doch hat Hyrtl?) in neuerer Zeit gezeigt, dass auch bei gewissen Ar- ten von Fischen, so bei den Plagiostomen, Cyclostomen, Chi- mären und Acipenser-Arten die letztere Art der Bildung des Glomerulus vorhanden ist. In wie weit nun die eine oder die andere Annahme des Lagerungsverhältnisses des Glomerulus zur sogenannten Cap- sel oder besser zur Erweiterung (Ampulle) des zugehörigen Harncanälchens begründet erscheint, darüber mögen die folgen- den Beobachtungen mit zur Beurtheilung dienen. Was nun zuerst die Form des Glomerulus betrifft, so wird derselbe gewöhnlich als ein kugeliger Körper dargestellt. 1) Siehe Figur 2 c. 2) Ueber die Nierenknäuel der Haifische. &Verhandlungen der zoo- Jogisch-botanischen Gesellschaft in Wien 1862. Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 545 Bei Triton jedoch gestaltet sich das Verhältniss meist anders, und den genügenden sichern Beweis für die kugelige Form hat man auch anderswo nicht geliefert. Hier erscheint es zuerst bemerkenswerth, dass einzelne Schlingen oft beträchtlich über die Peripherie des Knäuels hinausgehen, was man sonst meist . nicht findet; besonders auffallend aber erscheint der geringe Dickendurchmesser bei genauer Betrachtung im Verhältniss zum (Querdurchmesser des Knäuels, um so mehr, als dies Verhalten selbst bei stark gefülltem, also nicht etwa blos bei collabirtem Gefässknäuel hervortritt. lch möchte daher ver- muthen, dass das Malpighi’sche Körperchen vielmehr einen scheibenförmigen Körper als einen kugelförmigen darstelle, worauf übrigens schon Bidder aufmerksam gemacht hat. Aus dieser Form des Glomernlus möchte es daher wohl auch a priori schon erklärlich sein, wie bei zufälligen Zer- reissungen der das Malpighi’sche Knäuel mit der Ampulle verbindenden Bindegewebszüge so leicht eine Verschiebung auch beider gegen einander (Bidder) möglich ist und zwar ohne Ver- letzung der Ampulle.. Wäre das Malpighi’sche Körperchen ein rundes Knäuel, das selbst nur gewissermassen in die Am- pulle hineingedrückt und dann allseitig von der Tunica propria derselben umfasst wäre, so würde eine Erklärung, wie beide ohne Verletzung der Ampulle oder des Glomerulus selbst so verhältnissmässig leicht von einander sich trennen lassen, je- denfalls schon schwer werden. Ganz unmöglich aber würde dies sein, wenn man annimmt, dass das Malpighi’sche Knäuel innerhalb der Ampulle läge, und das Vas afferens und efferens gewissermassen ein Zu- und Ausgangspunct für das ganze Knäuel abgäben, wobei man noch in Erwägung zu ziehen hat, dass der Durchmesser des Knäuels häufig eben so gross ist, als der der Ampulle selbst. Dass aber diese Lageveränderung beider gegen einander wirklich zu Stande kommt, dafür spre- chen einmal schon die von Bidder in Betreff dieses Punctes gemachten Beobachtungen, andrerseits das, was ich selbst in Bezug darauf gesehen. Nur in Betreff der Häufigkeit des Vorkommens ist es mir nicht gelungen, dieselbe so oft zu 546 Dr. R. Reger: sehen, wie es Bidder angiebt; auch konnte ich die Lagever- änderung nicht durch einfachen Druck darstellen. Wenn es ferner gestattet ist, aus analogen Lageverhältnissen von Gefässen und Canälen in den Organen anderer Thiere einen Beweis für die Möglichkeit des blossen Nebeneinauderliegens des Malpighi’schen Knäuels und der Erweiterung des Harn- canälchens oder der sogenannten Ampulle herzuleiten, so dürfte auf einen jedenfalls nicht unwichtigen Beleg dafür schon Bidder aufmerksam gemacht haben). Johannes Müller bereits warnte in seiner Entwicke- lungsgeschichte der Genitalien vor der Verwechselung eines Körpers, der an der inneren Seite des Wolff’schen Körpers der Froschlarven (sogenannten Kaulquappen) liegend eine graulich-weissliche körnige Substanz darstelle, mit den An- lagen der Hoden oder Eierstöcke. Von diesem Körper, den auch Reichert später abbildete, wies nun zuerst Bidder?) nach, dass er aus einem Gefässknäuel bestehe, wie solche auch in den Wolff’schen Körpern anderer Thiere gefunden wer- den. Dieser Glomerulus, deren je einer für jedes Wolff- sche Körperchen vorhanden ist, steht mit den anliegenden Canälen des genannten Körpers in so loser Verbindung, dass man mittelst einfacher Nadelpräparation, wie Bidder angiebt, und wie ich es auch selbst wiederholt gethan habe, denselben sehr leicht abtrennen kann. Er stellt dann ein Convolut von Gefässschlingen dar, die mikroskopisch als solche bald nach- zuweisen sind. Damit wäre also zunächst der Beweis gelie- fert, dass die Gefässknäuel nicht nothwendig inner- halb der Harncanälchen zu liegen brauchen, damit die Niere ihre Function als Harn absonderndes Organ erfülle. Einen ferneren Beweis aber des einfachen Aneinanderlie- gens beider Gebilde liefert das weitere mikroskopische Ver- halten. Bei oberflächlicher Betrachtung sieht man nämlich 1) Siehe Bidder a. a. ©. 2) Entwiekelungsleben im Wirbelthierreich, Berlin 1840, Tab. II., Fig. 23 a. Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 547 den Glomerulus oft so scharf abgegrenzt mitten in der hellen Ampulle liegen, dass man kaum an etwas Anderes denken kann, als dass derselbe nach Durchbohrung der Ampulle frei und klar innerhalb derselben liege. Bei genauerer und sorg- fältigerer Einstellung des Focus aber erkennt man alsbald, dass der so gesehene Glomerulus sich in zwei verschiedenen Lagen darbieten kann; einmal, und dann liegt der Glomeru- Jus auf der Ampulle'), sieht man, sobald man das Object von unten her dem Focus nähert, in der ohersten Schicht des Kör- pers, den also das Knäuel sammt der deckenden Ampullen- wand, wenn es innerhalb der Ampulle läge, bilden würde, nur Gefässschlingen mit einzelnen ovalen Blutkörperchen in- nerhalh derselben, und die Begrenzung durch die Ampullen- wand fehlt. Die Blutkörperchen sind es vielleicht gewesen, die, wie Bidder meint, zu der Ansicht, deren in der Einlei- tung bereits gedacht war, von der Besetzung des Malpighi- schen Körpers mit einem eigenen, oft spärlichen Epithellager Veranlassung gegeben haben könnten. Erst bei tieferer Ein- stellung gewahrt man dann die Ampulle mit ihren Zellen. Oder aber, und dann liegt der Glomerulus unter der Am- pulle, man sieht zuerst nur die Zellen der Ampulle, dann von ihnen bedeckt die Gefässschlingen. Und dieses Bild ist es wohl hauptsächlich gewesen, das der Ansicht von der Durch- bohrung der tunica propria und der Lage des Glomerulus in- nerhalb der Ampulle, Bahn gebrochen und Anhänger verschafft hat. Beide besprochene Lageverhältnisse kommen ziemlich gleich häufig vor. Es leuchtet nun ein, dass man, wenn wir uns vorstellen, der Glomerulus läge innerhalb der Ampulle, bei Einstellung des Focus in den verschiedenen Ebenen stets Gefässschlingen und die Ampullencontour zugleich sehen müsste. Und doch kann Jeder sich davon überzeugen, dass dem nicht so ist. Es scheint die Sache mir überhaupt so sicher, dass ich zu der Ueberzeugung gelangt bin, die frü- heren Beobachter haben nicht immer den Triton taeniatus un- tersucht, sondern vielmehr den cristatus, wo gerade diese Ver- 1) Siehe Fig. 1. 548 Dr. R. Reger: hältnisse wegen der zahlreich vorhandenen und den Ueberblick verdeckenden Pigmentkörper meinen Erfahrungen zufolge mit Sicherheit nicht ermittelt werden konnten. Und hierbei zeigt sich nun ein eigenthümlicher Umstand, der wohl geeignet sein dürfte, jeden Zweifel an der Existenz dieses besprochenen Lageverhältnisses schwinden zu machen. Lässt man nämlich solche Präparate, an denen der Glomeru- lus als auf der Ampulle liegend erkannt wurde, eine kurze Zeit nur — vielleicht nur gegen !/,—!/, Stunde — sich selbst überlassen stehen, so tritt allmählich in den bis dahin vollkom- men klaren Zellen der Ampulle eine Trübung ein, die, wie auch schon Bidder in seiner Beschreibung des Epitkels der Ampulle treffend bemerkt, ganz den Eindruck macht, als ob eine Gerinnung innerhalb derselben stattfände. Der bis dahin vollkommen klare und durchsichtige Zelleninhalt verwandelt sich in eine weisslich-trübe, leicht körnige Masse, die Zellen- contouren werden dabei etwas dunkler und treten deutlicher hervor. Liegt nun also der Glomerulus auf der Ampulle, so be- deckt er natürlich einen Theil der Zellen derselben vollstän- dig, einen anderen Theil werden die Schlingen desselben in ihren Umrissen unterbrechen. Tritt jetzt die Gerinnung ein, so bleibt das Malpighi’sche Knäuel vollkommen klar’), an seiner Peripherie dagegen treten nun deutlich die scharf begrenz- ten Zellencontouren hervor. Liegt der Glomerulus unterhalb der Ampulle, so setzen sich die Zellencontouren nicht scharf begrenzt ab, sondern lassen sich über ihn hinweg ver- folgen, denselben verdunkelnd. Zuweilen sieht man bei etwas tieferer Einstellung im Bereiche der geronnenen Zelleninhaltes noch undeutliche Umrisse von anderen Epithelien. Ob diese jedoch als der unteren Fläche der Ampulle angehörig zu be- trachten sind, wie man es wohl erwarten sollte, oder ob es nur die Zellen der oberen Fläche in schräger Stellung, etwas tiefer gesehen, sind, wage ich nicht zu entscheiden, möchte aber eher an das Erstere glauben. "Siehe Fig. I u. 2 ramuzc, Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 549 Ganz abgesehen aber von dem bisher Mitgetheilten sieht man noch ziemlich häufig eine Lagerung des Glomerulus, die zweifellos das blosse Nebeneinanderliegen des Malpighi’schen Knäuels und der Ampulle beweist. Es ist dies nämlich ein Hinausragen der Gefässschlingen über die scharfen und als continuirlich fortlaufend erkennbaren Begrenzungen der Am- pulle. Dies Verfahren zeigt sich am häufigsten im hinteren compacteren Abschnitte der Nieren, — wiewohl hier die Beob- achtung schwer ist, — wo einmal die Gefässknäuel selbst grösser zu sein scheinen, als im vorderen, sodann die Harn- canälchen und Ampullen dichter neben einander gedrängt sind. Betrachtet man hier die Lage des Knäuels, so sieht man gar nicht allzu selten, wie derselbe bald mit grösseren, bald mit kleineren Schlingen die Contouren der ihm zugehörigen Am- pulle überragt, ein anderes vorbeiziehendes und daneben lie- gendes Harncanälchen zum Theile bedeckend und die Begrän- zungen desselben unterbrechend, so dass also die Gefässschlin- gen durch das sich zwischen sie und die Oberfläche der Am- pulle einschiebende Harncanälchen von letzterer zum Theil getrennt sind. Auch in dem vorderen Theile der Niere gelingt es zuweilen ein ähnliches Verhalten zu beobachten, wenngleich es mir sehr selten so ausgeprägt erschien. Meist sieht man nämlich hier die Gefässschlingen der Tunica propria nur in dem Masse sich nähern, dass die Wandungen der Gefässe von der letzteren nicht zu unterscheiden sind, und die Zellenlage am Rande der Ampulle völlig verdeckt wird. Ein eigentliches Weiterhinaus- ragen der Gefässe habe ich in dieser Partie im unverletzten Zustande der Theile nur zweimal gesehen!),. Nur bei zu- fälligen Zerreissungen?) des Bindegewebes tritt dasselbe öfter hervor, ein Umstand, der wohl in dem hier Gefässknäuel und Ampulle äusserst straff umziehenden und vereinigenden Binde- gewebszügen seine Erklärung finden dürfte. Durch Druck mit dem Deckplättchen den in der Mitte der Ampulle liegenden 1) Siehe Fig. 2. 2) Siehe Fig. 3. 550 Dr. R. Reger: Glomerulus über den Rand derselben hinauszudrängen, wollte mir kaum je gelingen, wie oben bereits bemerkt; sicher wohl deshalb, weil beide sich in Folge des Druckes gleichmässig, oder sogar die Ampulle aus leicht ersichtlichen Gründen stär- ker ausdehnte. Am deutlichsten war das Ueberragen der Gefässe dann zu sehen, wenn eine natürliche Injection der Gefässe in mässigem Grade entweder durch einfache Torsion und Quetschung der Hauptgefässe oder durch ihre Unterbindung mittelst eines Haars bewirkt war. Es gelang dann auch, was ohne Injection, sei es die von Bidder gemachte künstliche, sei es diese na- türliche, ziemlich schwer, ja fast unmözlich war, den weiteren Verlauf des abführenden Gefässes zu beobachten, das in dem bekannten Lagerungs- und Grössenverhältniss zum Vas affe- rens liegend, dann sich in ein Gefässnetz auflöste, das dem Verlauf der Harncanälchen folgend dieselben umspann. Die gewöhnliche Zubereitung der Präparate bestand in ein- fachem Herausschneiden der ganzen Niere und Betrachtung derselben meist bei einfachem Wasserzusatz zuerst mit einer 120-, dann 300-maligen Vergrösserung eines Schiek’schen Mikroskops. Es bleibt nun übrig, noch Etwas über die Ampullen selbst hinzuzufügen. Nach dem, was bereits darüber gesagt, bedarf es wohl kei- ner weiteren Auseinandersetzung, dass im vorderen Theil der Niere männlicher Tritonen nur intercurrente Ampullen vorkommen. Ihre Form ist bald mehr rundlich, bald mehr oval Dennoch könnte man hier wegen der besonderen Verbindung der Sammelgänge des Hodens mit dem Ureter, ob der genü- genden Beweiskraft dieser Stelle zweifelhaft sein, wenn sich nicht bei den Weibchen dieser Thiergattung dasselbe Verhal- ten vorfände. Hier aber fehlt diese Verbindung vollkommen, der Ureter verläuft am ganzen äusseren Rande der Niere dicht anliegend und nur die Endigungen der Harncanälchen in sich aufnehmend herab und mündet in den Eileiter erst kurz vor dessen Eintritt in die Cloake ein. Ueber das Vorkom- men der intercurrenten oder zweicanäligen Ampullen auch in | Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre etc. 551 dem hinteren compacteren Abscbnitt der Niere kann ich Nichts Positives anführen, halte auch hier die Untersuchung für be- deutend schwieriger. Aber nach dem über die Nieren weib- licher Thiere Mitgetheilten muss ich gestehen, dass ich von vorn herein keinen Grund. kenne, der endständige oder ein- canälige Ampullen anzunehmen zwänge, um so weniger, als der Gegenbeweis durch keine einzige Thatsache geführt ist. Was nun das Weitere über die Form und den Bau der Ampullen, die Art des Eintritts des zuführenden, die Art des Abgangs des abführenden Canälchens betrifft, so möchte es nach dem, was Bidder bereits darüber gesagt, wohl über- flüssig erscheinen, noch Etwas hinzuzufügen. Nur in Betreff der Deutung eines Punctes, nämlich der Flimmerbewegung in den Ampullen der männlichen Tritonen kann ich mich seiner Ansicht nicht ganz anschliessen. Er ist nämlich mit Rücksicht auf die eigenthümliche oben schon auseinanderge- setzte Verbindung der Harn- und Samencanälchen geneigt, der Flimmerbewegung hier die besondere Aufgabe zu stellen, die Samenfädchen am Durchgang durch die Harncanälchen zu verhindern oder ihn wenigstens zu erschweren. Sollte diese Anschauung richtig sein, so wäre nicht abzusehen, warum auch in den Ampullen der weiblichen Thiere ganz in dem- selben Umfange, mit derselben Richtung nach dem in den Ureter abführenden Canälchen hin eine so lebhafte Flimmer- bewegung vorhanden ist, wie sie in der That besteht, wie ich mich auf das Deutlichste zu wiederholten Malen davon über- zeugt habe. Bidder allerdings gelang dies nach seiner An- gabe bei weiblichen Tritonen niemals, weshalb er wohl zu seiner in der That sonst sehr passenden Erklärung kommen konnte. Ich kann deshalb nur annehmen, dass die Flimmer- bewegung an dieser Stelle nur den Zweck hat, den Inhalt des Harncanälchens, wie dies schon Bowman und nament- lich Bidder genau beobachteten, aus diesem in die Ampulle zu treiben, von wo aus derselbe in den Ureter gelangt. Von der Anwesenheit der Flimmerbewegung in den Harn- canälchen selbst an verschiedenen Stellen sich zu überzeugen, 552 Dr. R. Reger: ist eben so leicht als man häufig Gelegenheit dazu hat, wie dies ja auch längst bekannt ist. Beiläufig erwähnt werden möge noch, dass ich häufig na- mentlich bei Triton cristatus, meist kurz vor dem Uebergange des zuführenden Harncänalchens in die Ampulle einen Canal!) in dasselbe einmünden und Flüssigkeit sowohl spontan, als auch auf Druck in denselben deutlich ein- und austreten sah. Welcher Natur aber dieser Canal sei, ob er namentlich nicht als Verbindungsgang zwischen zwei Harncanälchen aufzufassen sei, oder ob das Ganze in das System verästelter Harncanäl- chen gehöre, die zu einem Ausführungsgang führen, kann ich nicht angeben, da es mir nie gelang, seinen weiteren Verlauf zu verfolgen. Es möchte sich daher als Endresultat der vorliegenden Untersuchung der Niere von Tritonen Folgendes ergeben: l. Das Malpighi’sche Knäuel stellt einen plattgedrück- ten, scheibenförmigen Körper dar, der der Erweiterung des Harncanälchens, der sogenannten Ampulle, einfach anliegt. Beide werden in diesem Lagerungsverhältnisse durch straffe, sie umschliessende Bindegewebszüge erhalten. Eine sogen. Capsel des Glomerulus existirt nicht. 2. Die Ampulle ist nur eine Erweiterung im Verlanfe eines Harncanälchens: sie ist also intereurrent oder zweicanälig nach dem Ausdrucke Moleschott’s. Wenn es zum Schlusse noch gestattet wäre, für die phy- siologische Verwerthung des anatomischen Verhaltens der Glo- meruli zu den erweiterten Stellen der Harncanälchen etwas zu bemerken, so möchte vielleicht zu beachten sein, dass da- mit ‘Theorieen, wie den bisher von der Harnabsonderung auf- gestellten, worin der nackt in den Hohlraum des Canals hin- einhängende Glomerulus die Rolle eines Filtrirbeutels spielt, die anatomische Grundlage entzogen ist. Es kann hierbei 1) Siehe Fig. 1 h. Ueber die Malpighi’schen Knäuel der Nieren und ihre u.s.w. 553 nicht in den Sinn kommen zu behaupten, dass das Malpi- ghi’sche Knäuel bei der Harnabsonderung gar keine bestimmte Leistung habe, nnr muss man dieselbe zunächst nur nach der Leistung der Wundernetze beurtheilen, wie dies ja auch von Hyrtl bereits in seiner früher erwähnten Arbeit angedeu- tet ist. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Aus der Niere eines weiblichen Triton taeniatus, Fig. 2 u. 3. Aus der Niere eines männlichen Triton. a) Malpighi’sches Knäuel: in der ersten Figur der Ampulle mit- ten anliegend, in der zweiten von Bindegewebszügen umhüllt über die Wandung der Ampulle da hinwegragend, wo der Verbindungscanal derselben mit dem Ureter ist, in der dritten bei Zerreissung der Bin- degewebszüge fast ganz frei neben der Ampulle liegend. b) vas affe- rens und efferens. c) Ampulle, c‘) Sog. Hals der Ampulle. d) Flim- merepithel der Ampulle und des zuführenden Harncanälchens. e) Harn- canälchen zur Ampulle erweitert. f) Canal, der aus der Ampulle in den Ureter führt. g) Ureter. h) Canal, den ich mit dem Harncanäl- chen öfter verbunden gesehen, dessen weiteren Verlauf ich nicht ver- folgen konnte. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 36 554 Dr. E. Neumann: Eine Versuchsreihe, betreffend das Absterben der Erregbarkeit in Muskeln und Nerven. Von Dr. E. Neumann, in Königsberg i. Pr. In Bd. IV. Heft 1 der Königsb. Mediecin. Jahrbücher habe ich die Beobachtung mitgetheilt, dass im Verlaufe des Abster- bens von Froschpräparaten vor dem völligen Erlöschen der Erregbarkeit ein Stadium eintritt, in welchem die Muskeln so- wohl bei mittelbarer als bei unmittelbarer Reizung auf starke Inductionsströme nicht mehr reagiren, indess ein constanter Strom noch Schliessungs- resp. Oeffnungszuckungen erzeugt. Im Folgenden will ich über einige Versuche berichten, welche durch den Nachweis anderer Erregbarkeitseigenthümlichkeiten absterbender Muskeln und Nerven jene Beobachtung zu er- läutern geeignet sein dürften. Durch A. Fick (Beiträge zur vergleichenden Physiologie der irritabeln Substanzen, 1863) ist in Uebereinstimmung mit der durch v. Bezold aus Versuchen am Myographion abgeleite- ten Theorie der elektrischen Muskel- und Nervenreizung ge- zeigt worden, dass, wenn ein frischer Muskel oder Nerv vom Frosch von einem sehr kurze Zeit dauernden Strom durch- flossen wird, die Grösse der dadurch bewirkten Zuckung nicht allein von der Stromstärke, sondern auch von der Zeitdauer des Stromes abhängt, in der Art, dass die Zuckung bei gege- bener Stromstärke mit letzterer, bei gegebener Zeitdauer mit jener zu- und abnimmt, und dass die Zuckung ganz ausbleibt Eine Versuchsreihe, betr. das Absterben der Erregbarkeit u.s.w. 555 nicht nur wenn die Stromstärke zu gering, sondern auch wenn die Stromdauer zu kurz ist. ‘Meine Versuche ergeben nun, dass beim Absterben der Nerven und Muskeln nicht nur, wie bekannt, um eine sicht- bare Erregung der Muskeln (sei es durch directe oder indi- recte Reizung) zu bewirken, eine zunehmende Stromstärke er- forderlich wird, sondern dass auch bei bestimmter Strom- stärke die zum Zustandekommen einer sichtbaren Erregung nothwendige Stromdauer zunimmt. Wenn wir somit die Wirkung des Stromes auf Muskeln und Nerven in Parallele stellen dürfen mit seiner Wirkung auf die Mag- netnadel, deren Werth ebenfalls bei kurzer Dauer des Stro- mes ein Product von Stromstärke und Stromdauer ist, so glei- chen die Muskeln und Nerven während ihres Absterbens in ihrem Verhalten gegen kurzdauernde Ströme einer Magnetna- del, deren Trägheitsmoment man sich allmählich wachsend denken muss, bis dasselbe schliesslich selbst für die stärksten Ströme einen unüberwindlichen Widerstand darbietet. Der Beweis hierfür liegt in Folgendem: wir werden finden, dass ein durch einen bestimmten Mechanismus erzeugter Strom von bestimmter Stärke und bestimmter, sehr kurzer, fast mo- mentaner Dauer, welcher durch den frischen Muskel resp. Nerv geleitet, Zuckung erregt, mit der Zeit seine Wirkung verliert; es wird sich aber auch herausstellen, dass dieses Stadium der Unwirksamkeit des benutzten Stromes in zwei Abschnitte zerfällt, in einen späteren, wo ein Strom von derselben Stärke, aber län- gerer Dauer gleichfalls keine Reaction im Muskel zu erzielen im Stande ist, und einen früheren, für uns wichtigen, wo ein Strom von derselben, oder selbst von geringerer Stärke bei län- gerer Dauer allerdings Schliessungs- resp. Oeffnungszuckungen liefert. In jenem Zeitabschnitte beruht die Unwirksamkeit des Stromes auf seiner zu geringen Stärke, in diesem auf der zu geringen Dauer bei genügender Stärke. Da dieselbe Strom- dauer aber hinreichte, um den frischen Muskel zur Zusammen- ziehung zu bringen, so muss während des Absterbens der Muskeln und Nerven die bei gegebener Stromstärke zur Erre- gung nothwendige Stromdauer zugenommen haben. 36” 556 Dr. E. Neumann: Eine weitere Folgerung ergiebt sich hieraus für die an absterbenden Froschpräparaten auftretende Schliessungs- zuckung bei längere Zeit dauernden Strömen. Gehen wir nämlich von der, wenn auch nicht streng erweisbaren, so doch kaum bestreitbaren Voraussetzung aus, dass in den Fällen, wo die Schliessung eines Stromes von den frischen Muskeln mit einer Zuckung beantwortet wird, auch die durch denselben Strom bei sehr kurzer Dauer desselben erregte Zuckung ent- weder eine reine Schliessungszuckung oder die Summe einer Schliessungs- und Oeffnungszuckung (nicht aber letztere allein) ist, so kann diese Reaction auf momentane Ströme beim Ab- sterben auch nur dann ganz ausbleiben, wenn die Schliessungs- zuckung ausbleibt. Sehen wir nun die Schliessungszuckung bei längerer Dauer des gleich starken Stromes dennoch auf- treten, so schliessen wir, dass dieses Auftreten an ein längeres Durchflossensein des Nerven oder Muskels vom Strome gebun- den ist, dass also die Schliessungszuckung absterbender Mus- keln im Vergleich mit der Schliessungszuckung desselben Stro- mes in frischen Präparaten eine Verzögerung erleidet, und zwar eine Verzögerung, die nicht (oder wenigstens nicht allein) durch eine langsamere Fortpflanzung der Erregung im Nerven oder durch eine Verlängerung des Stadiums der latenten Rei- zung im Muskel, sondern vielmehr durch eine Verlängerung des Zeitraumes zwischen dem Momente des Einbrechens des Stromes und dem Momente, wo der in constanter Höhe flies- sende Strom den Molecularzustand der Erregung bewirkt, be- dingt ist. Gehen wir über zur Darstellung der Versuche selbst. Als Electricitätsquelle stand mir eine Batterie von 48 Siemens- schen (modificirten Daniell’schen) Elementen zu Gebote, mit der von Remak (Galvanotherapie der Muskel- und Nerven- krankheiten) beschriebenen Vorrichtung, durch welche es mög- lich ist, mittelst eines einfachen Handgriffes (verschiedener Ein- stellung von 2 Kurbeln) die Zahl der benutzten Elemente von 2 zu 2 oder von 10 zu 10 variiren zu lassen. In den Strom- kreis eingeschaltet befindet sich folgender, nach Angabe meines Vaters, des Physikers Neumann, construirter Hebelapparat, Eine Versuchsreihe, betr. das Absterben der Erregbarkeit u.s. w. 557 welcher dazu dient, dem Strome die gewünschte momentane Dauer zu geben. Derselbe besteht 1) aus einem hölzernen zweiarmigen Hebel A, welcher um eine horizontale Axe bei x leicht drehbar ist. Seine beiden Enden sind mit Messing- hülsen bekleidet, die untereinander durch den Draht d, in lei- tender Verbindung stehen. An der Metallhülse des längeren Hebelarms a, befindet sich ferner ein kleiner, nach abwärts gerichteter cylindrischer Messingzapfen, dessen untere vergol- dete Oberfläche bei O auf einem gleichen von dem Ständer D getragenen Metallzapfen mit vergoldeter Oberfläche ruht. Letzterer aber ist durch den Draht d, mit dem einen Ketten- pole verbunden. Der kürzere Hebelarm a trägt an seinem Ende in Verbindung mit der Messinghülse ein cylindrisches Stahlstück s mit einer nach oben gerichteten polirten Fläche. 2) Der zweite Theil des Apparates besteht gleichfalls aus einem zweiarmigen hölzernen Hebel B, welcher auf einem etwas höheren Ständer als der erste um eine horizontale Axe bei x, drehbar ist. An dem mit einem Bleigewicht Bl be- schwerten Hebelarm b;, befindet sich unten ein abgerundeter po- lirter Stahlknopf s,, der, wenn man diesen Arm seiner Schwere folgend sich senken lässt, gerade auf die polirte Fläche des Stahlstückes s auftrifft. Der Draht d, stellt die Verbindung dieses Stahlknopfes mit dem Stromkreise her. Der Stromkreis erhält ausserdem ein Quecksilbernäpfehen mit eintauchenden Drähten und einen Stromwender!). Als 1) Das am Remak’schen Apparat befindliche Galvanometer wurde bei sämmtlichen Versuchen ausgeschaltet, um jede Complication des Batteriestromes mit einem in den Windungen jenes inducirten Extra- stromes zu. vermeiden, . 558 Dr. E. Neumann: Elektroden, über welche Muskel oder Nerv gelegt wurden, dienten zwei Platindrähte; das Austrocknen der Präparate wurde dureh eine sie bedeckende Glasglocke, innerhalb deren die Luft durch nasses Fliesspapier feucht erhalten wurde, ver- hindert. Um nun einen momentanen Strom durch den Muskel oder Nerven zu leiten, wird die Verbindung in dem Quecksilbernäpf- chen hergestellt, dann der Hebelarm b des Hebels B bis zu einer gewissen (durch das Anstossen an das Brettchen © be- stimmten) Tiefe gesenkt und darauf losgelassen. Der mit dem Bleigewicht beschwerte Hebelarm b, fällt dann nieder und schlägt mit dem Stahlknopf s, auf die obere Fläche von s. In dem Momente des Auftreffens ist der Kreis geschlossen, wird aber sofort wieder geöffnet, indem der Hebelarm a, in die Höhe gehoben und somit die Verbindung bei o‘ gelöst wird. Die Zeitdauer, während deren der Strom auf diese Weise geschlossen ist, ist bei der Kürze des Hebels A (1!/, ‘) minimal und kann füglich als momentan bezeichnet werden. Sollte dagegen die Schliessungs- und Oefinungszuckung eines länger (durchschnittlich einige Secunden) anhaltenden Stromes geprüft werden, so geschah dies durch Eintauchen und Wiederhervorheben des einen Drahtes aus dem Quecksil- bernäpfchen, indess die Leitung im Hebelapparat dadurch dauernd hergestellt war, dass s, auf s niedergelassen und das Abgehobenwerden des Hebelarmes a, bei o durch Beschwerung desselben mit einem Gewicht verhindert wurde. Zugleich war die Einrichtung getröffen, dass den Elektro- den auch aus einem du Bois’schen Schlittenapparat (mit Da- niell’schem Element) Inductionsströme leicht zugeleitet wer- den konnten. Im Laufe von 1 bis 2 Minuten war es mir so möglich, die Reaction eines Muskels oder Nerven gegen auf- und absteigenden momentanen Batteriestrom, gegen auf- und absteigenden längerdauernden Batteriestrom, sowie gegen In- ductionsströme bei verschiedenen Stromstärken zu prüfen. Ich bemerke übrigens, dass mein Inductionsapparat bei ganz zu- sammengeschobenen Rollen Ströme von. solcher. Stärke lie- Eine Versuchsreihe, betr. das Absterben der Erregbarkeit u.s. w. 559 ferte, dass dieselben die Muskeln meiner Hand in vehemente, schmerzhafte Contraction zu setzen vermochten. Die folgenden Tabellen enthalten nun die Ergebnisse der Versuche, bei denen von Zeit zu Zeit die Reaction der Mus- keln oder Nerven in der angegebenen Weise geprüft wurde. Die erste Columne giebt die Zeit an, welche seit der Tödtung der Thiere verflossen war, die folgenden die Zahl der Ele- mente, welche nöthig war, um eine Zuckung zu erhalten und zwar I. a bei Durchleitung eines aufsteigenden momentanen Stromes (als Schliessungs - Oeffnung bezeichnet), I. b bei Schliessung oder Oeffnung eines aufsteigenden längerdauernden Stromes, lI.a bei Durchleitung eines absteigenden momentanen Stromes, II. b bei Schliessung oder Oeffnung eines absteigen- den längerdauernden Stromes; die letzte Columne endlich (III) giebt die Reaction auf Inductionsströme bei ganz zusammen- geschobenen Rollen. — Zu sämmtlichen Versuchen diente der Gastroknemius des Frosches, in einem Theile derselben wurde dieser Muskel direct gereizt, in einigen anderen durchfloss der Strom den N. ischiadicus. Die hier aufgeführten Versuche sind aus einer grösseren Zahl gleicher, die sämmtlich in demselben Sinne ausfielen, aus- gesucht. Versuch I. Strom durch den Muskel geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom. | Inauet.-8tr. en I.a I.b Ha II. b In Schl. Oeffn. |Schl. Oeff.| Schl. Oeffn. |Schl. Oeff. ; 2 2”) 2 |,2 2 2 2 7 2 | 21 2 | 2 ZA hr 10 = 2 2 8 2 2 13 8 | 2 8 | 2 | starker | | Tetanus, 25 8 Paz 8 2 sl 16 4 12 2 schwacher | Tetanus. 334 26 6 26 2 35 26 8 26 4 Spur von Tetanus. 37 48 10 48 4 keine Spur Zuckung von Zuckung 47 48 20 48 6 keine keine keine | Zuckung. Zuckung Zuckung *) Dass die Reihen mit 2 Elementen anfangen, erklärt sich aus der oben erwähnten Einrichtung meiner Batterie, natürlich würde ein ein- zelnes Element im Anfange bereits eine Reaction ergeben haben. 560 Dr. E. Neumann: Versuch II. Strom durch den Muskel geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom. Induct.-Str, l.a I.b II.a ‚U.b IT Stunden. | Schl. Oeffn. |Schl. Oeft.| Schl. Oeffn. |Schl. Oeff. ) 2 Zu 2 2 202 12 2 2 2 2 22 10 2 14 4 23 14 4 14 4 28 14 4 18 4 schwacher Tetanus. 294 48 10 48 4 Spur 3 Spur Spur von Zuckung. von Zuckung von Zuckung 31 48 10 48 6 keine keine | keine Zuckung. Zuckung Zuckung Versuch III. Strom durch den Muskel geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom. Induct.-Str. d I.a I.b Il.a Il.b I Stunden. | gchl. Oeffn. |Schl. Oeft.| Seh. Oeffn. |Schl. Oeft. 0 2 | 21,32 | 2 2 2 17 4 2.103 4 2 | 2 28 6 2 6 2 31 10 2 10 2 | starker | Tetanus. 41 48 10 48 10 | keine keine | keine | | Zuckung. | Zuckung Zuckung. | Versuch IV. Strom durch den Muskel geleitet. Zeit. ; Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom. | Induct.-Str. Ser nden I.a I.a II. a II.b IH "| Schl. Oeffn. ‚Schl. Oeff.| Schl. Oeffn. |Schl. Oeff. a 43 16 4 | | 16 2 | | starker “ Tetanus. 454 30 "6 30 4 schwacher Tetanus. 48 48 6 48 | 6 keine keine keine | Zuckung. | | Zuckung | | Zuckung Eine Versuchsreihe, betr. das Absterben der Erregbarkeit u.s. w. 561 Versuch V. Strom durch den Muskel geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom, Induct.-Str. en I. a I.b II. a II.b In *I Schl. Oeffn. |Schl. Oeff.| Schl. Oeffn. |Schl. Oeff. ä 21 2 2 | 2 2 26 2 2 2 2 314 8 2 6 2 | 343 18 2 18 2 44 48 6 48 6 Spur keine keine | von Zuckung. Zuckung Zuckung | 45 6 8 keine y | Zuckung. Versuch VI. Strom durch den Muskel geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom. | Induct.-Str, I.a I.b II. a Il.b Stunden. | sch; Oeffn. er Oeff.| Schl. Oeffn. |Schl. Oer| 1 454 40 4 40 6 Spur | Spur Spur von Zuckung. ‚von Zuckung von Zuckung 501.48 6 48 6.| keine keine keine | Zuckung. Zuckung Zuckung | 59 |... 6 A) 55 | 10 | 10 | Versuch VII. Strom durch den Nerven geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom, Induct.-Str. l.a L.bi; lI. a II.b Stunden. | Sch], Oeffn. |Schl. Oef.| Schl. Oeffn. |Schl. Oef| 1 0 | 2 | 2 | 2 | 2 2 | 2 14 2 2 2 2 3 4 | 2 4 2 4 20 2 6 2 9%, 48 4 16 4 starker keine | Tetanus. Zuckung 74 4 48 8 keine | keine Zuckung. | Zuekung 81 BB 18 562 Dr. E. Neumann: Versuch VIII. Strom durch den Nerven geleitet. Zeit. | Aufsteig. Strom. | Absteig. Strom. | Induct.-Str. I.a I.b II.a II.a Stunden Sa, Dekin. Ischt Oeff.| Schl. Oeffn. |Schl. Oett.| IT- 0 2 2 2 2 2 2 54 2 | 2 2 | 2 | 10 4 2 4 2 103 RN 2 14 4 114 20% 4 30 4 25 48 | 8 48 10 keine keine keine | Zuckung. Zuckung. Zuckung. | | Wie man sieht, schliessen alle angeführten Versuche damit, dass der geprüfte Muskel oder Nery gegen einen aus der ge- sammten Batterie von 48 Elementen abgeleiteten momentanen Strom nicht mehr reagirt, während eine Zahl von 4—6—8 Elementen noch genügt, um bei längerer Stromdauer Schlies- sungs- resp. Oeffnungszuckungen hervorzurufen. Die oben hingestellten Sätze ergeben sich hieraus unmittelbar in der angegebenen Weise. Ich will jedoch nicht unterlassen, hier noch einen Punct zu berühren, von dem man glauben könnte, dass er die Beweisfähigkeit unserer Versuche beeinträchtigt. Es liesse sich nämlich fragen, ob der von einer bestimmten Zahl von Elementen ausgehende Strom bei momentaner Schlies- sung durch den beschriebenen Hebelapparat Zeit hat, sich zu seiner vollen Intensität zu entwickeln, ob er hier also zu der- selben Höhe anschwillt, die er bei längerer Schliessung im Quecksilbernäpfchen erreicht. Wäre dies nicht der Fall, so müsste man daran denken, die Differenz in der Wirkung in dem einen und in dem anderen Fall nicht auf die Verschieden- heit der Zeitdauer, sondern auf die Verschiedenheit der Strom- stärke zurückzuführen. . Diesem Einwande gegenüber muss darauf Gewicht gelegt werden, dass, selbst zugegeben, dass der momentane Strom von 6 Elementen etwas zurückbleibt an Stärke hinter den längerdauernden Strom von 6 Elementen, doch ‚wohl entschieden angenommen werden muss, dass der momentane Strom von 48 Elementen stärker ist als der letz- tere. Die Differenz in der Wirkung des momentanen und des Eine Versuchsreihe, betr. das Absterben der Erregbarkeit u. s. w. 569 längerdauernden Stromes ist dennoch so gross, dass sie sich aus der Stromstärke füglich nicht erklärt. Was den Inductionsstrom betrifft, so ersieht man aus den Tabellen, dass er seine Wirkung ungefähr zu derselben Zeit verliert, wo der momentane Batteriestrom unwirksam wird und diese Thatsache findet nunmehr wohl ohne Zwang ihre befriedigende Erklärung in der momentanen Dauer der ein- zelnen Inductionsstösse. Ich weise schliesslich darauf hin, dass sich aus dem Ge- sagten für die quergestreiften Muskeln während ihres natür- lichen Absterbens einerseits eine Annäherung an die Erreg- barkeitsverhältnisse eines von A. Fick (am angeführten Orte) und von Bernstein näher untersuchten niederen irritabeliı Gebildes, des Schliessmuskels der Lamellibranchiaten, anderer- seits eine Uebereinstimmung mit der Reaction pathologisch gelähmter Muskeln, wie ich sie in einem Falle von Faeialis- paralyse zu constatiren versucht habe!), ergiebt. Einige weitere von mir angestellte Versuche zielten darauf ‚ab, zu erforschen, ob beim Absterben der Nerven und Mus- keln, ebenso wie es sich für die Schliessungszuckung heraus- gestellt hat, auch eine ‘durch Verzögerung der auf die Oefi- nung folgenden Erregung bedingte Verzögerung der Oeff- nungszuckung sich nachweisen lässt. Ich bediente mich zu diesem Zwecke, anstatt der vorher gebrauchten momentanen Stromstösse, momentaner Stromunterbrechungen, d. h. sehr schnell aufeinanderfolgender Oeffnung und Schliessung eines Stromes und ging von folgender Argumentation aus: es lässt sich voraussetzen, dass die durch momentane Unterbrechung eines Stromes im frischen Muskel erzeugte Zuckung im Falle, dass dieser Strom bei seiner einfachen Oeffnung eine Oeff- nungszuckung giebt, ebenfalls entweder eine reine Oeffnungs- zuckung oder die Summe einer ÖOeffnungs- und Schlies- sungszuckung ist. Zeigt es sich nun, dass dieser Strom spä- ter zwar bei einfacher Oeffnung eine Zuckung hervorruft, in- 1) Deutsche Klinik, 1864, No. 7. 564 Dr. E. Neumann: dess die Zuckung ausbleibt bei momentaner Unterbrechung desselben oder selbst eines stärkeren Stromes, so geht daraus hervor, dass dieselbe Dauer der Stromunterbrechung, welche anfänglich genügte, um eine Oefinungszuckung zu bewirken, jetzt nicht mehr dazu hinreicht, dass also das Auftreten dieser beim Absterben der Muskeln gebunden ist an eine längere Zeit nach dem Aufhören des Stromes als am frischen Muskel, womit die Verzögerung der auf eine einfache Oeffnung folgen- den Erregung bewiesen wäre. Die momentane Stromunterbrechung bewirkte ich wiederum durch den oben beschriebenen Hebelapparat, indem ich ihn als Nebenschliessung in den Stromkreis einschaltete. Die mo- mentane Herstellung dieser Nebenschliessung in der oben an- gegebenen Weise durch Fallenlassen des Hebelarms b, musste eine ebenso momentane Unterbrechung des durch den Nerven geleiteten Hauptstromes oder, genauer gesagt, in Anbetracht des sehr geringen Leitungswiderstandes in dieser Nebenschlies- sung in Vergleich zu dem grossen Leitungswiderstande des den Nerven enthaltenden Hauptkreises, eine so bedeutende momentane Abschwächung des Stromes in letzterem, dass die- selbe einer momentanen völligen Stromunterbrechung gleich- zusetzen war, zur Folge haben. Die Versuche werden dem- nach in der Weise angestellt, dass zuerst der Strom bei auf- gezogenem Hebel im Quecksilbernäpfehen geschlossen, dann durch Fallenlassen des Hebels momentan unterbrochen und schliesslich im Quecksilbernäpfchen geöffnet wurde, welche drei Acte sich im Laufe von 1 bis 2 Secunden leicht ausführen liessen. Durch einen einfachen Wechsel der Drähte konnte ich auch hier gleichzeitig die Reaction gegen momentane Stromstösse und gegen Inductionsströme prüfen , so dass in dieser Beziehung die hier folgenden Tabellen die oben gege- benen Beispiele ergänzen. Die Anordnung derselben bedarf keiner weiteren Erläuterung; die momentane Stromunterbre- chung ist als Oeffnung — Schliessung (Oe. Schl.) bezeichnet. Da übrigens bei directer Muskelreizung die Oeffnungszuckung bald aufzuhören pflegt, so wurde in allen Fällen der Strom durch den Nerven (Ischiadicus) geleitet. Eine Versuchsreihe, betr. Versuch IX. das Absterben der Erregbarkeit u. s. w. 565 Zeit. Aufsteigender Strom. | Absteigender Strom. om. | Ind. Str. Free Oeft. Schl. Oeffn. | Sch, Stunden. | Schl. Schl. Br Ocan. |Sent. Schl. 2 eifn, Oeffn. i er ROTE 3 N 29 2 2, 2 34 | 2 21 © Be. | Zuck. | 44 2 2 p) 2 2 keine Meine keine Zuck. Zuck nd st 4 4 4 48 4 4 4 48 keine keine keine | keine keine | keine Zuckung. Zuck. | ' Zuck. | Zuck. | Zuck. |Zuck. Versuch X. Zeit. | Aufsteigender Strom. | Absteigender Strom. Ind.-Str. Oeft. Schl. I Oeffn Schl. Stunden. | Scht. |. jo. eff, a En 108 ur I 0 2 2 2 2 2 2 Be 4 > 2 2 2 2 2 2 2 keine Zuck. | \ 64 2 2 2 2 2 2 | 2 2 keine keine | keine Zuck. Zuck. | Zuck. 84 2 2 2 8 2 2 2 6 keine keine | keine Zuck. Zuck. Zuck. 104 4 4 4 48 6 6 6 40 keine keine keine keine Spur v. Zuck. | Zuck. Zuck. , Zuck. ! Zuck. 12 Eee a 4 ap 100 keine | | keine ı keine keine |Spur v.| keine Zuck. | | Zuck. Zuck. | Zuck. | Zuck. [Zuckung, Versuch XI. Zeit. | Aufsteigender Strom. * Absteigender Strom. er 2 'Oeffn. Schl. |. Oeftn. | | Schl. ” Stunden. | Schl. | Schi. Def, Oeffn. [P°hl.| Seni, | OHR. | Geftn. ) Re 327 452 24:2 54 2 | a 2 DR oe 2 a keine | | | ‘ keine | keine | Zuck. | | | Zuck. | Zuck. | er lg snggai ggg n keine | | | keine | keine | Zuck, | Zuck. | Zuck. | 566 Dr. E. Neumann: Zeit. Aufsteigender Strom. Absteigender Strom. a ; Oeffn. Schl. Oeffn. Schl. Stunden. | Schl. Schl. Och Ok. Isen. Schl. Oeffn. Oeffn. "78 1 ern 1EVZ 2 2 12 2 2 2 10 keine keine keine Zuck. Zuck. Zuck. 9 2 2 2 18 2 2 2 12 keine keine | keine Zuck. | Zuck. | Zuck. 14 4 & 4| 48 8 8 8 48 | keine keine | keine keine | keine | keine | Zuck. Zuck. Zuck Zuck. | Zuck. | Zuck, 124 br |: 36 6 16 16 16 keine ı keine | Keine |; Zuck. Zuck. | Zuck. 214 48 | 14 30 keine | | Zuck. | 224 48.11.22, | keine | | Zuck 234 48 30 keine i Zuck. Versuch XI. !) & Ä ß Ind.- Zeit. | Aufsteigender Strom. | Absteigender Strom. Sr Oeffn.| chl. Oeffn. Schl. Stund. | Seht. | Schr 08 Een a Sehl. | En. | Oefin. 17 2... 2 2 2 2 2 2 keine Zuck. 214 2 2 2, 6 2 2 2 10 keine keine | keine Zuck. Zuck. | Zuck 234 6 6 6 48 20 20 20 48 |keine keine keine keine | keine | keine | Zuck. Zuck. | Zuek Zuck. | Zuck. | Zuck. 184 48 | 48 |16 48 | 48 48 keine | keine | | keine | keine | keine Zuck. | Zuck. Zuck. | Zuck. | Zuck Betrachten wir die aus diesen Tabellen sich ergebenden Resultate in Betreff der Wirkung des aufsteigenden Stromes, 1) Das zu diesem Versuche dienende Präparat wurde erst 17 Stun- den nach Tödtung des Frosches angefertigt; es erklärt sich daraus die ungewöhnlich lange Erhaltung desselben auf den früheren Stufen der Erregbarkeit. Eine Versuchsreihe, betr. das Absterben der Erregbarkeit u.s.w. 567 so scheint aus den beiden ersten Versuchen hervorzugehen, dass im Verlaufe des Absterbens des Nerven die momentane Unterbrechung des aufsteigenden Stromes dieselbe Wirkung behält, als die einfache Oeffnung desselben, denn wir sehen hier, dass dieselbe Zahl von Elementen, also dieselbe Strom- stärke erforderlich ist, um eine Oeffnungszuckung und um eine Unterbrechungszuckung zu bewirken, und zwar zu einer Zeit, wo sich schon die bedeutendste Differenz zwischen der Wir- kung einer absteigenden Stromschliessung und der Wirkung eines momentanen absteigenden Stromstosses herausstellt. Wäh- rend wir aus letzterem Umstande auf eine bereits eingetretene Verzögerung der Schliessungserregung schliessen dürfen, ist also eine Verzögerung der Oeffnungserregung aus diesen bei- den Versuchen nicht zu constatiren. Ein positiveres Resultat liefern dagegen die beiden letzteren Versuche, die sich von jenen dadurch unterscheiden, dass sie in ein späteres Stadium des Absterbens hinein fortgesetzt wurden, wo demnach die Erregbarkeit auf eine sehr tiefere Stufe gesunken war. In Versuch XI. finden wir, dass zu einer Zeit, wo die Oeffnung eines aufsteigenden Stromes von 14, eine Stunde später von 22, noch eine Stunde darauf von 30 Elementen noch eine Oeffnuungszuckung erregte, die momentane Unterbrechung eines Stromes von 48 Elementen bereits ihre Wirkung ver- fehlte. Ebenso finden wir bei Versuch XI. die Oeffnung des aufsteigenden Stromes von 16 Elementen noch wirksam, wäh- rend die Zuckung bei momentaner Unterbrechung des Stro- mes der ganzen Batterie ausblieb. Wir dürfen hieraus also wohl schliessen, dass in der That auch eine Verzögerung der Oeffnungserregung beim Absterben des Nerven eintritt, dass dieselbe jedoch nicht parallel geht mit der Verzögerung der Schliessungserregung, sondern vielmehr erst später sich aus- bildet und daher vermuthlich auch nur zu einem geringeren Grade sich entwickelt. 568 Dr. Wilhelm Ebstein: Retieulirte Hypertrophie der menschlichen Magen- schleimhaut: ein eigenthümliches, bisher noch nicht beschriebenes Verhalten derselben. Von Dr. WiLHELM EBsSTEi, Assistenz-Arzt und Prosector am städtischen Krankenhospital zu Aller- heiligen in Breslau. (Hierzu Tafel XIII. B.) — In meiner im ersten Hefte des Jahrgangs 1864 dieses Archiv’s abgedruckten Abhandlung über die polypösen Ge- schwülste des Magens habe ich mich unter Anderem nachzu- weisen bemüht, welche Bedeutung die subglanduläre Muskel- schicht des Magens für die Geschichte derselben hat und bin zu dem Resultat gelangt, dass neben der Betheiligung der Tu- nica nervea auch bei der Entwickelung der sogenannten wei- chen oder Schleimpolypen dieses Organs (was schon von frü- heren französischen und deutschen Autoren erwiesen wurde) die subglanduläre Muskelschicht sich erheblich mitbetheiligt und zwar nicht sowohl durch eine Hypertrophie oder Hyper- plasie der in ihr enthaltenen musculösen Elemente, sondern durch eine Vermehrung des zwisehen denselben befindlichen » Bindegewebes. Wir haben gesehen, dass diese Schicht auf diese Weise häufig um mehr als das Doppelte verdickt wird und dass reichliche Bindegewebszüge aus ihr zwischen die Drüsen selbst in die Höhe steigen. In den vorliegenden Blät- Reticulirte Hypertrophie der menschl. Magenschleimhaut u. s.w. 569 tern nun will ich mir erlauben, einen Magen genauer zu be- schreiben, bei dem durch ein eigenthümliches, zweifelsohne durch einen angebornen Bildungsfehler bedingtes Verhalten dieser subglandulären Muskelschicht, sowie der Drüsenschicht selbst, die Schleimhaut ein von der Norm so abweichendes Ansehen bekommt, wie es meines Wissens noch nicht beschrie- ben worden ist. Der Fall betraf einen 19jährigen Schornsteinfegergesellen, der längere Zeit im Hospital an einem tiefen Oberschenkel- abscess mit profuser Eiterung behandelt wurde. Es stellten sich in Folge desselben pyämische Zufälle ein, an denen der durch den fortwährenden Säfteverlust sehr erschöpfte Kranke schnell zu Grunde ging. Seine Verdauung war bis zu den letzten Tagen seines Lebens vollkommen in Ordnung gewe- sen, sein Appetit war stets ein sehr guter; kurz er hatte nie- mals irgend welche Symptome dargeboten, welche auf eine Abnormität seiner Magenfunctionen hätten schliessen lassen. Mit Uebergehung des übrigen uns hier nicht weiter interessi- renden Leichenbefundes wende ich mich sogleich zur Beschrei- bung des Magens. Seine Lagerungsverhältnisse in der Bauchhöhle sind die normalen und seine äussere Oberfläche bietet nichts Auffal- lendes dar. Er zeigt eine ziemlich starke Ausdehnung und seine Höhle ist angefüllt mit einer mässig reichlichen Menge hellen gelben flüssigen Ingestums, in welchem sich spärliche feste Speisereste befinden. Die Schleimhaut selbst ist über- kleidet mit einer einige Millimeter dicken Schicht derselben anhaftenden zähen grauweissen Schleimes. Dieselbe ist in mehrere vom Fundus bis nahe zum Pylorus hinziehende Längs- falten, sowie auch dieselbe verbindende Querfalten gelegt, in analoger Weise, wie es Henle!) beschreibt: „Die Schleimhaut des Magens ist bei contrahirter Muskelhaut in Falten gelegt, die zwar vorzugsweise der Länge nach verlaufen, aber viel- fach geschlängelt und durch Querfalten verbunden eine Art 1) Henle, Handbuch der systematischen Anatomie des Meuschen. 1862. II. Band, S. 154, Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1864. 37 570 Er. Wilhelm Ebstein: Gitterwerk darstellen.* An dieser Faltenbildung participirt, wie die genauere Untersuchung lehrt, die Tunica nervea, die subglanduläre Muskelschicht, sowie auch die Drüsenschicht. Ausserdem aber bietet die Schleimhaut folgende sehr eigen- thümliche, sofort in die Augen springende Eigenthümlichkeiten dar, welche ich nunmehr in dem Nachfolgenden etwas genauer zu schildern versuchen will. Von der Cardia scharf anfan- gend, durch die Magenhöhle sich hindurch erstreckend bis zu einer halbmondförmigen Linie, welche an der grossen Curva- tur 5,2 C., an der kleinen Ourvatur 7,7 C. von dem ganz normalen Pylorusringe, dem sie ihre Convexität zuwendet, entfernt ist, zeigt die innere Magenoberfläche ein eigenthüm- liches netzförmiges, retieulirtes Ansehen, welches mit dem Bilde des sogenannten Netzmagens der Wiederkäuer eine nicht unbedeutende Aehnlichkeit hat und mit ihm ganz passend ver- glichen werden kann, nur dass die einzelnen Felder des Netz- werkes noch kleiner sind, als z. B. die gitterartigen Falten im Netzmagen des Schafes und dass, wie die beigegebene von meinem Freunde Herrn Dr. Wyss in natürlicher Grösse ge- zeichnete Abbildung — Fig. 1 — ergiebt, hier nicht dieselbe Regelmässigkeit der Leisten und der von ihnen umschlossenen Felder statthat, wie beim Wiederkäuermagen. Die gezeich- nete Partie entspricht dem Theile der Magenschleimhaut, wo die reticulirte Eypertrophie derselben (A) in die normale, nur im Etat mamelonne befindliche Magenschleimhaut (B) übergeht. (Vergleiche die Beschreibung weiter unten.) Hier nämlich fin- det sich eine grosse Zahl kleiner schmaler Leisten (a), welche auf der Magenwand senkrecht stehen. Dieselben erreichen eine Höhe von ungefähr 1 Mm. Viele sind etwas niedri- ger, viele etwas höher und haben eine Länge, welche zwi- schen 2—5 Mm. schwankt. Einige dieser Leisten zeigen in ihrem Verlaufe stellenweise flache Einschnürungen. Die Lei- sten schwellen an ihrem oberen Ende häufig etwas an. Ihre Breite schwankt zwischen 0,5 — 1-2 Mm. Diese ‘mehrfach erwähnten kleinen Leisten verlaufen in den verschiedensten Richtungen, die längeren zeigen häufig einen etwas gekrümm- ten Verlauf. Sie verbinden sich theils direct, theils durch Reticulirte Hypertrophie der menschl. Magenschleimhaut u.s.w. 571 secundäre kleinere Leistchen mit einander. Zwischen diesen leistenförmigen Erhebungen finden sich kleine Furchen (b) und Felder (e), welche, je nach der schwankenden Höhe der ersteren, mehr oder weniger tief liegen und, je nachdem diese Leisten enger aneinander oder weiter voneinander verlaufen eine verschieden grosse Länge und Breite haben. Die eben beschriebenen Furchen sind meist sehr schmal, erreichen eine grösste Breite von 1,5 Mm., und'die von den Leisten umschlos- senen Felder haben meist die Grösse von 1 []Mm., erreichen aber auch eine Grösse von 2 und höchstens von 3 DMm. Diese Verhältnisse sind so ziemlich an allen Partieen der so veränderten Magenschleimhaut gleich: nirgends stehen die Leisten mit den sie von einander trennenden Furchen und Feldern dichter an einander. Die Oberfläche der Magenschleim- haut ist vollkommen blass, zeigt nirgends eine vermehrte Ge- fässinjection, nirgends die Zeichen des Katarrhs oder sonst irgend welche pathologische Veränderung. An der Cardia so- wohl, als auch an der oben näher bestimmten Pylorusgrenze (d), hört diese Leistenbildung der Schleimhaut plötzlich auf, nachdem die Leisten vorher ein wenig flacher geworden sind. In der Zone zwischen Pylorusring und der angegebenen Grenze zeigt die Magenschleimhaut fast durchweg ein leicht warziges Ansehen (e). Sie stellt rundliche, ovale hanfkorn- bis linsen- grosse Felder dar, welche durch seichte Furchen von einan- der geschieden werden (Etat mamelonne). Von einer Falten- bildung bemerkt man hier keine Spur. Nur in der nächsten Nähe des Pylorus zeigt die Schleimhaut auch kein warziges Ansehen mehr, sie erscheint hier vollkommen glatt. Die Dicke der Magenwandung an der in der zuerst angegebenen Weise veränderten Partie beträgt etwas über 4 Mm., die an der un- veränderten, oder nur im Etat mamelonne befindlichen etwas über 3 Mm. Behufs der genaueren Untersuchung zur Anfertigung feiner Durchschnitte nahm ich einen Theil der Magenwand von der grossen Curvatur, wo veränderte und unveränderte Partieen derselben zusammenstossen und behandelte denselben nach der 37* 572 Dr. Wilhelm Ebstein: von Middeldorpf!) angegebenen Methode, indem ich ihn in einer kochenden Mischung von 1 Th. Acid. acetic. concentr. und 3 Th. Wasser einige Male aufwallen liess, und dann das so behandelte Stück, ohne Zerrung aufgespannt, an der Luft langsam trocknete. Es wurden von der so präparirten Ma- genwand leicht Durchschnitte durch ihre ganze Dicke erhal- ten, welche sehr klare Bilder, besonders nach vorhergegange- ner Tinction mit Carmin, lieferten. Schon wenn man solche Durchschnitte, welche durch die Magenwand sowohl entsprechend der Längsaxe derselben, als auch dieselbe transversal schneidend geinacht wurden, mit blossem Auge betrachtet, fällt zuvörderst der wellenförmige Verlauf des der Schleimhaut entsprechenden freien Randes auf. Hier sieht man hüglige Erhebungen derselben mit Ver- tiefungen wechseln. Man kann an solchen Durchschnitten be- quem schon makroskopisch die einzelnen Strata der Magen- wand unterscheiden und sieht besonders auch die subglandu- läre Muskelschicht sehr deutlich als einen schmalen Streifen unter der Drüsenschicht verlaufen. Besonders gut aber über- sieht man die letztere an Präparaten, welche mit Carmin tin- girt sind, an denen sie sich durch ihre schwächere rothe Fär- bung sowohl von der Tunica nervea, als auch von der Schleim- haut abgrenzt, und hier gewahrt man zugleich bei genauerem Zusehen, dass die dem unteren Rande der Drüsenschicht zu-. gewandte Fläche der subglandulären Muskelschicht dem Ver- laufe der Drüsenschicht in der Weise folgt, dass die subglanduläre Muskelschicht an der Stelle, wo die Drüsenschicht die höchste Höhe an ihrer hüsligen Hervortreibung erreicht, einen dreiecki- gen Zipfel in dieselbe in die Höhe schickt. Um diese Verhältnisse genauer zu übersehen, bedarf es der mikroskopischen Untersu- chung. Hierbei genügen zur vorläufigen Orientirung über die Verhältnisse der einzelnen Schichten schwächere Vergrösserun- gen. Bei einer'solchen hat Herr Dr. Wyss einen Durchschnitt durch die Magenwaud aus der beschriebenen Partie gezeichnet, der die senkrechte Magenaxe transversal schneidet, an der sich 1) Middeldorpf, de glandulis Brunnianis. Vratislaviae 1846. Reticulirte Eypertrophie der menschl. Magenschleimhaut u.s.w. 573 die Structurverhältnisse sehr gut übersehen lassen. — Fig. 2. — Die Musecularis des Magens (a, von der nur die quer durch- schnittenen eirculären Muskelfasern und auch diese nur zum Theil gezeichnet sind) verhält sich vollkommen normal. Sie misst 1,358 Mm. In gleicher Weise lässt sich an der soge- nannten Tunica nervea (b) nichts von der Norm Abweichen- des auffinden. Ihre Dicke beträgt 1,800 Mm. Die subglan- . duläre Muskelschicht (ec) stellt sich an den Stellen, wo sie keine Fortsätze in die Drüsenschicht hinaufschickt, als ein 0,143 Mm. dickes Stratum dar, dessen Begrenzung da, wo sie mit der Tunica nervea zusammenstösst, einen leicht welligen Verlauf zeigt. Sie zeigt also schon hier eine sehr bedeutende Dickenzunahme, da ihre Mächtigkeit nach den Angaben von Henle nur zwischen 0,05—0,07 Mm. schwankt. An den Stellen aber, wo sie den hügligen Erhebungen der Drüsen- schicht entsprechend, oben nahezu spitzwinklig endend ziem- lich schnell aufsteigt, erreicht sie zumeist eine Dicke, die mehr als das Doppelte des zuerst angeführten Masses beträgt, um nachher in demselben Verhältniss wieder abzufallen und der nächsten Erhebung der Drüsenschicht folgend, wieder aufzu- steigen. Die subglanduläre Muskelschicht stellt also bei unse- rem beschriebenen Magen kein im Grossen und Ganzen mit parallelen Grenzflächen versehenes Stratum dar, wie es Henle!) beschreibt: „Die Muskelschicht der Schleimhaut er- scheint auf Dickendurchschnitten, als ein feiner weisser Strei- fen, der sich ebenso scharf gegen die lockere Nervea, als ge- gen die Drüsenschicht absetzt “; — sondern ihre Dicke schwankt durch dieses eigenthümliche Verhalten in ziemlich weiten Gren- zen. Untersucht man nun an solchen Schnitten die subglan- duläre Muskelschicht genauer, besonders auch mit Zuhilfe- nahme des von Reichert zuerst angegebenen Isolirungsmit- tels für glatte Muskelfasern, der Salpetersäure von 20 °/,, so findet man diese Schicht bestehend aus sehr zahlreichen unter einander verflochtenen Bündeln von längs und quer verlau- fenden glatten Muskelfasern, welche durch spärliches Bindege- 1) Henle, a, a. ©. 574 Dr. Wilhelm Ebstein: webe von einander getrennt sind, Die längs und quer verlau- fenden glatten Muskelfasern scheinen in ziemlich gleicher An- zahl vorhanden zu sein. An der Stelle, wo der oben beschrie- bene dreieckige Fortsatz aus der subglandulären Muskelschicht in die Drüsenschicht aufsteigt, gestaltet sich das Bild wesent- lich anders. Hier nämlich sehen wir die Zahl der glatten Muskelfasern etwas abnehmen und das Bindegewebe dagegen reichlicher werden. Indessen findet sich hier immer noch eine ziemliche Anzahl glatter Muskelfasern in dasselbe eingebettet. Das Verhalten derselben ist hier so, dass sich an der Basis des in die Drüsenschicht aufsteigenden Dreiecks fast nur die senkrechte Axe des Magens transversal schneidende Muskel- fasern finden, während an beiden Seiten, nach der Mitte zu convergirend, einzig und allein der senkrechten Axe des Ma- gens entsprechende glatte Muskelfasern in die Höhe steigen. Diese dreieckigen Fortsätze der subglanduiären Muskelschicht theilen sich an ihrer Spitze in zahlreiche Ausläufer, welche in die Drüsenschicht aufsteigen und von deren Verhalten bei der genaueren Beschreibung der Drüsenschicht, zu der wir jetzt übergehen, alsbald die Rede sein wird. Dieselbe (d) zeigt, wie wir schon bei der Beschreibung des mikroskopischen Ver- haltens von feinen Durchschnitten durch unsern Magen be- merkten, auf ihrer inneren Oberfläche Erhebungen und Ver- tiefungen. Dasselbe sehen wir bei der mikroskopischen Be- trachtung. Die untere Fläche der Drüsenschicht, welche. mit der oberen Fläche der subglandulären Muskelschicht zusam- menstösst, sehen wir genau sich den tiefer gelegenen Partien derselben, sowie ihren Erhebungen, welche in die Drüsen- schicht aufsteigen, anschmiegen. Die die Drüsenschicht nach oben, wie nach unten begrenzenden, in Wellenlinien verlau- fenden Contouren gehen einander aber nicht parallel, sondern zeigen an der unteren Fläche steiler aufsteigende, aber kür- zere Erhebungen und längere Vertiefungen, dagegen an der oberen Fläche eine grössere Gleichmässigkeit in den Dimen- sionen, welche die Erhebungen und Vertiefungen zeigen, in- dem dieselben langsam und allmählich auf- und absteigend, nahezu halb bogenförmig verlaufend, in einander übergehen. Retieulirte Hypertrophie der menschl. Magenschleimhaut u. s. w. 575 Diesem Verlaufe der Drüsenschicht entsprechend, zeigen auch die sie zusammensetzenden Drüsenschläuche eine eigenthüm- liche Anordnung. Entsprechend der Spitze des dreieckigen Fortsatzes der subglanduiären Muskelschicht sind die der- selben entsprechenden Drüsenschläuche in die Höhe gedrängt. ‚Dieselben erreichen eine längste Länge von 0,189 Mm. und eine Breite von im Mittel 0,014 Mm. Diese Drüsenschläuche stehen ganz ‚senkrecht auf der Magenwand. Die zu beiden Seiten sich an dieselben anschliessenden, schon etwas tiefer stehenden Drüsenschläuche stehen nicht mehr gerade, sondern mehr weniger schief zu der senkrechten Axe des Magens und convergiren nach ihrem geschlossenen unteren Ende zu. In den Längen- und Breitenverhältnissen der Drüsenschläuche, ebenso wie in allen anderen übrigen Beziehungen lässt sich an den den Vertiefungen entsprechenden Partien der Drüsen- schicht keine Differenz auffinden. Am geschlossenen unteren Ende der Drüsenschläuche, welche daselbst nicht selten etwas kolbig anschwellend abgerundet enden, dringen Ausläufer von den bei der Besprechung der subglandulären Muskelschicht geschilderten dreieckigen Fortsätzen divergirend nach Oben in Form von Septis aufsteigend, zwischen die einzelnen Drüsen- schläuche bis zum oberen offenen Ende derselben. Diese Aus- läufer finden sich nur entsprechend der geschilderten Dicken- zunahme der subglandulären Muskelschicht, nicht aber an den übrigen Partien derselben. An den Thälern der Drüsenschicht also sieht man keinerlei Fortsätze aus der Muskelschicht der Schleimhaut zwischen den einzelnen Drüsenschläuchen in die Höhe steigen. Um über diesen Punct vollkommene Sicherheit zu gewinnen, habe ich eine Reihe solcher Präparate ausge- pinselt. Man entfernt dadurch bei einiger Vorsicht und Aus- dauer die zelligen Elemente aus den Drüsenschläuchen. Ent- sprechend den erst erwähnten Partien sieht man die mehrfach beschriebenen Fortsätze aus der subglandulären Muskelschicht zwischen den Drüsen in die Höhe steigen, mit deren Tunica propria sie verschmolzen erscheinen. An den letzterwähnten Partien aber sieht man keine Fortsätze der Art. Hier bleiben auch nach dem Auspinseln die Tunicae propriae der Drüsen- 576 Dr. Wilhelm Ebstein: schläuche zurück, die aber weit geringere Dicke zeigen, als die Drüsenschläuche, deren Membran durch Verschmelzung der aus der subglandulären Muskelschicht aufsteigenden Fort- sätze eine Massenzunahme erleidet. Was die histologischen Verhältnisse dieser zwischen den Drüsenschläuchen aufsteigen- den Fortsätze betrifft, so muss ich sie für Bindegewebe und frei von glatten Muskelfasern halten; denn ich habe zahlreiche solcher Durchschnitte mit dem oben bezeichneten vortrefflichen Reichert’schen Reagens für glatte Muskelfasern behandelt, ohne dass es mir gelungen wäre, solche zur Anschauung zu- bringen. Wir sehen also hier eine über einen grossen Theil des Magens in einer grossen Regelmässigkeit auftretende Hy- pertrophie der subglandulären Muskelschicht, welche nicht nur die Drüsenschicht in die Höhe treibt, sondern auch zwi- schen die dieselbe zusammensetzenden Drüsenschläuche ein- dringt, an der Zusammensetzung der Drüsenschicht selbst thätigen Antheil nimmt. Man sieht auf den von uns aus der oben bezeichneten Gegend der Magenwand entnommenen Prä- paraten nur einfache Drüsenschläuche, welche, wie wir bereits oben zu bemerken Gelegenheit nahmen, am unteren Ende gar nicht selten etwas kolbig anschwellen, sich hie und da auch über diese Anschwellung etwas einschnüren, um nachher wie- der etwas weiter werdend, mit gleichem Lumen bis zum offe- nen Ende zu verlaufen. Drüsenschläuche mit getheiltem un- teren Ende habe ich gar nicht gesehen. Diese Drüsenschläuche charakterisiren sich sämmtlich als Magenlabdrüsen. Es lässt sich in ihnen neben einer schmalen dunkel contourirten Mem- brana propria ein Inhalt unterscheiden, der aus dicht an ein- ander liegenden, durch Carmin meist stark gefärbten Zellen und Kernen besteht. Der Schnitt, dessen Abbildung wir hier geben, ist nicht ganz senkrecht durch die Magenwand geführt und zeigt die Drüsen fast sämmtlich in Quer- oder mehr min- der langen Schiefschnitten. Es ist daher unmöglich, sich über die Verhältnisse des Epithels in der ganzen Ausdehnung. der Drüsenschläuche ein Bild zu verschaffen. Wir sehen indess auf demselben sämmtliche Drüsenschnitte nur mit Labdrüsen- Zellen ausgekleidet und können daraus auch sämmtliche als Reticulirte Hypertrophie der menschl. Magenschleimhaut u.s.w. 577 Labdrüsen ansprechen, da in den sogenannten Magenschleimdrü- sen die angegebenen Drüsenzellen gänzlich fehlen. An neuer- lichst angefertigten Schnitten aber übersehe ich die Drüsen- schläuche mit ihrem Inhalt in ihrer ganzen Ausdehnung und finde dann von ihrem offenen Ende aus eine Oylinder-Epithel- Auskleidung, die sich etwa !/, der Länge des ganzen Drüsen- schlauchs weit nach abwärts erstreckt, und von da an densel- ben mit den sogenannten Labzellen vollkommen ausgefüllt, so dass über ihre Natur ein Zweifel nicht obwalten kann. Drüsenschläuche, welche bis zu ihrem Grunde mit Cylinder- epithel ausgekleidet gewesen wären, habe ich in keinem mei- ner Präparate gesehen. Ich hatte oben gesagt, dass zunächst. der Grenzlinie nach dem Pylorus zu diese Leisten der Schleim- haut etwas flacher werden. Untersucht man von hier entnom- mene feine Durchschnitte genauer, so findet man diese ge- ringere Höhe der Leisten bedingt durch eine geringere Höhe des von der subglandulären Muskelschicht zwischen die Drü- sen eindringenden Fortsatzes. Nach dem von uns hier ge- zeichneten Bilde ist die Anordnung der Drüsenschläuche ent- sprechend den Leisten der Schleimhaut eine fächerförmige, welche als Axe jedesmal einen dreieckigen von uns oben be- schriebenen von der subglandulären Muskelschicht ausgehen- den Fortsatz mit seinen zwischen die Drüsenschläuche auf- steigenden, bereits näher geschilderten Septis hat. Feine Durchschnitte durch die Pylorusgegend, wo diese Leistenbildung fehlt und sich die Schleimhaut meist nur im Etat mamelonne befindet, lehren, dass hier von derartigen Fortsätzen aus der subglandulären Muskelschicht keine Spur sich findet. Der Etat mamelonne wird lediglich bedingt durch die hier in reichlicher Menge vorhandenen lentieulären (con- globirten) Drüsen, wie es von Henle!) beschrieben ist. Dass sich hier zwischen den einzelnen Drüsenschläuchen eine grös- sere Menge Bindegewebe findet, als an anderen Partien des Magens, ist nichts Auffallendes, da dies gerade in dieser 1) Henle, a.a. ©. 578 Dr. Wilhelm Ebstein: Gegend als ein regelmässiger Befund angesehen werden darf. | Die die innere Oberfläche der Magenschleimhaut überklei- dende Oylinderepithelschicht zeigte, frisch untersucht, ein nor- males Verhalten. Vergleicht man das makroskopische Verhalten der in der angegebenen Weise veränderten Magenschleimhaut mit dem mikroskopischen Bilde, so wird es sehr leicht sein, beide mit einander in Verbindung zu bringen. Es wird daraus klar, dass die beschriebenen Erhöhungen und Vertiefungen der Ma- genschleimhaut auf Durchschnitten durch die Magenwand den geschilderten leistenförmigen Fortsätzen der Schleimhaut und den zwischen denselben befindlichen Furchen und Feldern der- selben entsprechen. Bei dem der Längs- und Querrichtung folgenden, häufig etwas geschlängelten Verlaufe derselben, wird es klar, warum das Bild, gleichviel ob man Längs- oder Querschnitte durch die Magenwand macht, im Grossen und Ganzen ziemlich gleich sein wird. Die grössere und gerin- gere Breite der Leisten macht die Schwankungen in der Breite der Erhebungen leicht begreiflich. Ich habe für diesen Zustand der Magenschleimhaut den Namen der reticulirten Hypertrophie gewählt, weil das über- aus zierliche netzförmige Bild, welches die Innenfläche des Magens darbietet, wie die genauere Untersuchung ergiebt, allein bedingt ist durch die Hypertrophie der der Schleimhaut zugehörigen Muskelschicht und der dadurch veränderten Stel- lung und Anordnung der die Drüsenschicht zusammensetzen- den Drüsenschläuche. Wir kommen jetzt zur Beantwortung der Frage, auf welche Weise diese retieulirte Hypertrophie der Magenschleimhaut zu Stande gekommen sei. Es handelt sich hier, wie mich dünkt, um die Berücksichtigung von drei Möglichkeiten, nämlich 1) handelt es sich hier um eine Hypertrophie präformirter Bil- dungen? 2) hat diese reticulirte Hypertrophie der Magenschleim- haut ihren Grund in einem pathologischen Process? und 3) Reticulirte Hypertrophie der menschl, Magenschleimhaut u. s, w. 579 haben wir es hier mit einer congenitalen Bildungsanomalie zu thun? Wenn es sich hier um eine Hypertrophie präformirter Bil- dungen handelte, müssten diese leistenförmigen Fortsätze der subglandulären Muskelschicht im gewöhnlichen normalen Ma- gen zum mindesten in der Anlage vorhanden sein. Man könnte dann zwanglos annehmen, dass hier dieselben zu einer un- gewöhnlichen Entwickelung gelangt wären. Abgesehen aber davon, dass die Autoren darüber Nichts erwähnen, wie wir beispielsweise aus der oben mitgetheilten Henle’schen Be- schreibung der subglandulären Muskelschicht gesehen haben: habe ich nicht nur das Verhalten dieser Schicht genauer stu- dirt, als ich über die polypösen Geschwülste des Magens ar- beitete, sondern auch gerade jetzt eine ziemlich grosse Anzahl von Mägen darauf hin genau durchmustert, ohne irgend eine Spur von Bildungen zu finden, als deren Hypertrophie man die hier geschilderten Fortsätze ansehen könnte. Auch im Magen des Fötus findet man nichts Derartiges. Ebensowenig aber kann man den hier mitgetheilten Fall in die Reihe der pathologischen Befunde stellen, auf der einen Seite wegen der grossen Regelmässigkeit, mit der diese Hy- pertrophie fast über die ganze Magenwand verbreitet ist, auf der anderen Seite wegen der scharfen Grenze, mit der die- selbe ohne Grund an der oben bezeichneten Stelle aufhört, zumal wir an der Magendrüsenschicht, sowie an dem ganzen Magen im Allgemeinen Nichts finden, was uns berechtigte, hier an pathologische Vorgänge zu denken, weder wie ich sie bei der Geschichte der sogenannten Schleimpolypen im Magen geschildert habe, noch auch an Processe, wie sie Wilhelm Freund als Granular-Entartung des Magens beschreibt). Derselbe erörtert den Befund im Magen eines ö4jährigen Man- nes, der lange Zeit an tiefen Verdauungsstörungen gelitten 1) Freund, Wilh., über den Etat memelonne etc. in den Abhand- lungen der schles. Gesellschaft für vaterländische Kultur. Abtheilung für Naturwissenschaften und Medicin, 1862, Heft I, S. 5l u. ff. 580 Dr. Wilhelm Ebstein: hatte und an doppelseitiger Pneumonie und Delirium tremens zu Grunde ging. Hier fanden sich im Magen von seiner Mitte bis zum Pylorus auf der sehr verdickten Magenwand Hervor- ragungen mit breit aufsitzender Basis vou meist rundlicher Gestalt von Linsen- bis Erbsengrösse. Dieselben erhoben sich hügelig 2—4 Mm. über das Niveau der Schleimhaut, sassen ziemlich eng an einander und waren durch tief einschneidende, fest und sehnig aussehende Furchen (Thäler) von einander getrennt. Ausserdem zeigte diese Partie alle Zeichen des chronischen Katarrhs. Die genauere Untersuchung ergab-hier, dass die submucöse Muskel-Bindegewebsschicht (Freund) bedeutend verdickt war und nach aufwärts zwischen die Drü- senschläuche eine starke Wucherung ihres Bindegewebes sen- dete. Diese Verdickung und Wucherung erwies sich als ganz besonders mächtig in den Thälern und Seitenpartien der hüg- ligen Hervorragungen. Hier hatte durch spätere Sehrumpfung des Bindegewebes eine starke Retraction sowohl nach abwärts als auch gegenseitig zu je zwei Thalpartien stattgefunden. Dadurch sind einerseits die tiefen Einziehungen der Thäler, andererseits durch Zusammenziehung grösserer Schleimhaut- partien auf einen kleinen, von starker sich contrahirender Bindegewebswucherung umfassten Punct die Hügel, die aus angehäufter Drüsensubstanz bestehen, entstanden. Durch die hier so energisch entwickelte Bindegewebswucherung wurden die Drüsenschläuche in den Thälern fast vollständig beherrscht und liessen sich besonders in dem zwischen zwei Hügeln lie- genden Thale nur noch in ihren Rudimenten erkennen. Ihre Basis war in dem umgebenden Bindegewebe absolut nicht mehr zu unterscheiden, die Drüsen erschienen besonders von ihrem mittleren Verlauf nach abwärts bedeutend verschmälert. Alle Schläuche sind hier sehr verdunkelt mit theilweis zer- störter oder verkümmerter Epithelauskleidung versehen. In den Hügeln, besonders in ibren mittleren Partien zeigten die Drüsen eine viel stärkere Entwickelung als in den Thalpar- tien. Eine oberflächliche Vergleichung dieses Befundes, wel- chen Herr Freund als eine wahrscheinlich auf Grund chro- Reticeulirte Hypertrophie der menschl. Magenschleimhaut u. s.w. 581 nischer Entzündung beruhende Hypertrophie der submucösen Schicht mit starker Entwickelung ihrer bindegewebigen Ele- mente charakterisirt, lehrt uns auf den ersten Blick die voll- kommene Verschiedenheit zwischen diesem Befunde und dem Verhalten unseres Magens. Nach allen diesen Erwägungen wird uns nichts Anderes übrig bleiben als diese reticulirte Hypertrophie der Schleim- haut unseres Magens als eine congenitale Hypertrophie dersel- ben, als ein Vitium primae formationis aufzufassen. Ich habe mich, soweit es mir irgend möglich war, bemüht, in der Litteratur gleiche Befunde aufzusuchen, aber vergebliah. Nur Andral!) beschreibt unter den Auswüchsen der Magen- schleimhaut einen Befund, bei dem es sich vielleicht um ähn- liche, wenn auch verschieden angeordnete Bildungen, wie in dem von mir mitgetheilten Falle handelt. Ich führe zum Schluss die Andral’sche Beobachtung hier wörtlich an: „Ein- mal habe ich bei der Untersuchung eines Magens dessen in- nere Oberfläche mit zahlreichen aufrecht stehenden Schichten bekleidet gefunden, auf welche die Längenaxe des Magens senkrecht fiel und die nur durch eine ungewöhnliche Entwicke- lung der Schleimhaut gebildet waren. Sie erhoben sich 2—5 ‘'' über die Fläche der Schleimhaut und glichen genau den Blät- tern vom Psalter der Wiederkäuer.* Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Ein Stück von der hinteren Wand der inneren Oberfläche des oben beschriebenen Magens. Natürliche Grösse, A. Die Schleim- haut befindet sich hier im Zustande der reticulirten Hypertrophie. Sie ist durch zahlreiche von der subglandulären Muskelschicht ausgehende leistenförmige Fortsätze (a), welche die Drüsenschicht in die Höhe drängen und die in der Zeichnung hell gehalten sind in Furchen (b) und Felder (ce) geschieden. Dieselben sind in der Zeichnung dunkel gehalten. Bei d hört diese Leistenbildung plötzlich auf. B. Die Schleimhaut befindet sich hier nur im Etat mamelonne. 1) Andral, Grundriss der pathol. Anatomie. Deutsch v. Becker. Leipzig 1830. II. Band. S. 34. 582 Dr. W. Ebstein: Retieulirte Hypertrophie der menschl. u. s, w. Fig. 2. Ein die senkrechte Magenaxe transversal schneidender Durchschnitt durch eine Partie, an der sich die Schleimhaut im Zu- stande der reticulirten Hypertrophie befindet. a) Muscularis des Ma- gens. Von derselben sind hier nur die querdurchschnittenen circulä- ren glatten Muskelfasern und auch diese nur zum Theil gezeichnet. b) Tunica nervea. 1) Gefässdurchschnitte in derselben. c) Subglan- duläre Muskelschicht. 2) Fortsätze derselben, die in die Drüsenschicht aufsteigen und diese in die Höhe treiben und zwischen die einzelnen Drüsenschläuche bindegewebige Septa (3) in die Höhe schicken. d) Drüsenschicht. Die einzelnen Drüsenschläuche sind sämmtlich Lab- drüsen, Dr. Adolf Fick: Ein neuer Blutwellenzeichner. 583 Ein neuer Blutwellenzeichner. Von Dr. Apour Fick. Mit der Einführung des von Ludwig erfundenen Kymo- graphion in die Experimentalphysiologie beginnt unzweifelhaft eine neue Epoche in der Lehre vom Blutkreislaufe. Gileich- wohl sind in neuerer Zeit mancherlei Bedenken laut gewor- den gegen die Treue der Angaben dieses Instrumentes. Sie wurden jedoch bis jetzt insbesondere von Vierordt nur theo- retisch begründet auf Betrachtungen über die Trägheit der in Öscillationen befindlichen Quecksilbermasse. Ein entscheiden- des. Wort kann aber lediglich eine Experimentalkritik sprechen. Diese zeigt nun in der That, dass die Form und die Höhe der Pulswelle nicht im Allgemeinen richtig am Kymogra- phion verzeichnet wird. Ich habe daher nach einem neuen Mittel gesucht, die Variationen des Blutdruckes graphisch dar- zustellen und bin schliesslich bei einer Construction stehen ge- blieben, die vor der strengsten Experimentalkritik in wahr- haft überraschender Weise Stand hält, und die zugleich vor dem Quecksilbermanometer den Vortheil weit bequemerer Handhabung voraus hat. Die Construction ist einfach folgende: An die Stelle des Quecksilbermanometers tritt das Bourdon’sche Manometer d. h. eine hohle Messingfeder von flach elliptischem Querschnitt. Sie ist kreisförmig gekrümmt. Das eine Ende ist fest, das andere frei. Bekanntlich streckt sich eine solche Feder, wenn in ihrem Innern der Druck steigt. Bei meinem neuen Blut- 584 Dr. Adolf Fick: wellenzeichner ist die Feder mit Alkohol gefüllt, und ihr In- neres wird durch geeignete Schläuche mit dem Blutgefässe in Verbindung gesetzt. Die Schläuche sind natürlich mit koh- lensaurer Natronlösung gefüllt. Den Schwankungen des Blut- druckes entsprechend macht nun das freie Federende ganz kleine, kaum sichtbare Bewegungen. Diese werden durch ein Hebelwerk auf eine Stahlspitze in vergrössertem Maasstabe übertragen. Das Hebelwerk stellt eine in der technischen Mechanik sogenannte „Gradfächerung“ dar, und das Ganze ist so am Stativ des Kymographion befestigt, dass die Stahlspitze sich nur in einer den Seiten der Trommel parallelen Senk- rechten auf- und abbewegen kann. Lehnt also die Spitze ge- rade an die berusste und gedrehte Trommel, so zeichnet sie, wenn der Druck schwankt, eine Wellenlinie auf dieselbe in derselben Weise, wie der Zeichenstift am Schwimmer des Quecksilbermanometers. Dies Hebelwerk ist aus schmalen Schilfstreifehen verfertigt, so dass es im Ganzen nur einige Decigramme wiegt. Wegen der grossen Uebersetzung — sie ist in dem einen bis jetzt ausgeführten Exemplare etwa 30- fach — war gleichwohl die Rückwirkung der Trägheit des Hebelwerkes auf das Federende nicht unbedeutend und das Instrument zeigte daher noch immer höchst störende Eigen- schwingungen, so wie sehr rapide Druckschwankungen darauf wirkten. Diesem einzigen noch übrigen Uebelstande wurde jedoch auf’s vollständigste abgeholfen durch Einführung eines Widerstandes gegen die Bewegungen des Hebelwerkes. Der den Zeichenstift tragende Hebel wurde nämlich nach unten um etwas verlängert und an sein Ende ein Papierblättchen befestigt, das sich in Oel bewegt. Man wird bemerken, dass mein Instrument ungefähr den Anforderungen entspricht, die Mach nach seinen theoretischen Betrachtungen an einen Wellenzeichner. stellt: Die Kraft, welche dem variabelen Drucke entgegenwirkt, ist verhältniss- mässig gross — es ist die Elastieität der Messingfeder. Die Bahn, welche der durch die Druckschwankungen in Bewegung gesetzte Punet — das freie Federende — zurücklegt, ist daher sehr klein und der bewegte Punct erlangt folglich die bedeu- Ein neuer Blutwellenzeichner. 585 tenden Geschwindigkeiten. -Die äussersten Theile des Hebel- werkes bewegen sich allerdings in weiteren Excursionen und mit grösseren Geschwindigkeiten, aber diese Theile haben eben wegen der Kleinheit ihrer Masse wenig Einfluss. Die Oseil- lationsdauer des Mobile’s unter dem alleinigen Einflusse seiner eigenen Kräfte ist verhältnissmässig klein. Mach verlangt ferner möglichst kleinen Widerstand. Dieser Forderung durfte ich, wie gesagt, nicht ohne Schaden für die Leistungsfähigkeit entsprechen. Indessen lässt sich doch vielleicht auch diese Forderung der Theorie mit der Forderung der Praxis in Ein- klang setzen. Der Widerstand des Oeles nämlich ist wohl als sehr klein anzusehen für die Kräfte, welche auf die Ma- nometerfeder selbst wirken, aber als gross für die Trägheit des Hebelwerkes, und dieses letztere ist gar nicht das Mobile, auf welches sich Mach’s theoretische Erörterungen beziehen. Vielleicht würde in der That ein Widerstand gegen die Be- wegungen der Feder selbst die Leistungen des Instrumentes beeinträchtigen. Uebrigens möchte ich mir bezüglich dieses Punctes kein Urtheil erlauben, da am Ende doch in allen mathematischen Behandlungen des Gegenstandes Bedingungen gesetzt werden, die nur eine sehr entfernte Annäherung an die wirklichen Verhältnisse gestatten. Ueberdiess differiren in dem fraglichen Puncte von Mach’s Entwickelungen die Seebeck’s, die ich schon früher (siehe meine medic. Physik) auf die Theorie der Wellenzeichner angewandt habe. Die Experimentalkritik meines neuen Instrumentes, so wie des Ludwig ’schen Kymographions habe ich in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Tauchau unternommen, der dieselbe in seiner Inauguraldissertation!) ausführlich beschrieben hat. Ich will hier die Methode und die wesentlichsten Ergebnisse derselben noch in aller Kürze mittheilen. Die Experimentalkritik eines Wellenzeichners hat die Aufgabe im Instrumente den Druck nach einem von vorn herein bekannten Gesetze und in einem von vorn herein bekannten Maasse variiren zu lassen, so dass 1) Experimentalkritik eines neuen von A, Fick construirten Blut- wellenzeichners. Zürich 1864. Reichert's u, du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 38 FREE Sy Tr A NE 586 Dr. Adolf Fick: man sehen kann, ob die Angaben- wirklich richtig sind. _Die- sen Zweck erreichten wir dadurch, dass wir einen Luftraum mit dem Inneren der Manometerfeder in Verbindung setzten und diesen durch Eintreiben und Anziehen eines Pumpenkol- bens abwechselnd vergrösserten und verkleinerten. Beiläufig muss ich hierbei bemerken , dass wir keine kleine Luftpumpe finden konnten, die für unseren Zweck dicht genug gehalten hätte, und wir hätten vielleicht unser Vorhaben aufgeben müssen, wäre nicht Herr Tachau auf den glücklichen Ein- fall gekommen den Pumpenstiefel inwendig mit einem Kaut- schuksäckchen auszukleiden. Es ist dies ein höchst beach- tenswerther Kunstgriff, den ich nicht genug empfehlen kann. Man konnte nun den Pumpenkolben zwischen gewissen extremen Lagen periodisch hinunterbewegen und zusehen, ob sich der Zeichenstift alsdann allemal zwischen denjenigen ex- tremen Lagen hinunterbewegt, welchen die extremen Lagen des Kolbens im ruhenden Zustande entsprechen. Dies hat sich nun mit einer Genauigkeit gezeigt, die durchaus nichts zu wün- schen übrig liess. Die Kolbenstösse mochten 40 mal, 100 mal oder 160 mal in der Minute wiederholt werden, immer ging der Zeichenstift zwischen denjenigen extremen Lagen hin und her, welche er einnahm, wenn der Kolben seinen tiefsten oder höchsten Stand dauernd einnahm. Ganz anders verhielt sich der Zeichenstift am Quecksilbermanometer. Er stieg viel hö- her und sank viel tiefer, wenn 40 Kolbenstösse in einer Mi- nute erfolgten, als wenn 160 Stösse von genau gleichem Um- fang in der Minute geschahen. Bei 40 Stössen in der Minute waren die Exeursionen des auf der Quecksilbersäule schwim- menden Zeichenstiftes etwa dreimal grösser, als der wirklich geschehenden Druckschwankung entsprach, bei 160 Stössen in der Minute waren die Excursionen ungefähr dreimal zu klein. Die folgende Figur ist beispielsweise eine treue Copie einer sol- 1 d. b. 0. ML — Ein neuer Blutwellenzeichner. 587 I chen Versuchsreihe. Die Curven la, b,c sind mit meinem Instru- mente gezeichnet. In den drei Fällen schwankte der Druck zwischen Werthen, welche den Höhen der wagerechten Striche über einer hier nicht gezeichneten Nulllinie entsprechen. Bei la schwankte er 40 mal, bei 1b 100 mal, bei 1c 160 mal in der Minute. 2a, 2b, 2c sind die entsprechenden vom Quecksilbermanometer gelieferten Zeichnungen, wenn der Pum- penkolben genau dieselben Bewegungen machte. Die kurzen wagerechten Striche neben den Curven bezeichnen auch hier die Lagen, welche der Zeichenstift in Ruhe annimmt, wenn der Pumpenkolben seine höchste und tiefste Lage dauernd einnimmt. Der senkrechte Abstand der wagerechten Striche voneinander ist grösser, als der entsprechende für mein Kymo- graphion, weil dasselbe eben in kleinerem Maasstabe zeichnet, als das Quecksilbermanometer. Das Quecksilbermanometer zeichnet also langsame Wellen zu gross und frequente Wellen zu klein. Es wird also beispielsweise die Druckschwankun- gen in einer Kaninchenarterie entschieden kleiner erscheinen lassen, als sie wirklich sind, die anderer Thiere als grösser, und es ist nur ein Zufall, wenn es diese Druckschwankungen in richtigem Maasse verzeichnet. Die Form der Wellenlinie zwischen den Maximis und Mi- nimis lässt sich natürlich nicht leicht ganz allgemein prüfen, denn es wären eben sehr verwickelte feine und zugleich solide mechanische Vorrichtungen nöthig, um einen Pumpenkolben so zu führen, dass man seine Lage und folglich den Druck 38* . 588 Dr. Adolf Fick: im abgeschlossenen Raume als Function der Zeit genau kennte Wir haben uns statt dessen begnügt, einzelne hervorstechende Wellenformen zu erzeugen und zu sehen, wie sie von den beiden Wellenzeichnern wiedergegeben werden. Wir beweg- ten den Kolben namentlich so, dass er in der höchsten und tiefsten Lage eine kurze Zeit stille stand, von der höchsten zur tiefsten und umgekehrt aber mit ziemlich constanter Ge- schwindigkeit überging. Von diesen Stillständen zeigte nun das Quecksilbermanometer in keinem Falle eine Spur, während mein neuer Wellenzeichner sie aufs deutlichste erkennen liess. Er zeichnete eine scharf geknickte Linie und an den Knick- stellen keine Spur von Eigenschwingungen. Bei sehr raschem Tempo waren allerdings die wagerechten Theile der gebro- chenen Linie nicht immer sehr deutlich zu sehen, was aber sehr wohl in der Natur der Sache begründet sein kann, ohne einen Fehler des Instrumentes zu verrathen. Auch für diese Sätze liegt der Beweis in Fig. 1. Sie ist nämlich gezeichnet bei einem Gange des Kolbens von der beschriebenen Art. Die Curven 2a, b, c lassen nicht die entfernteste Andeutung von den Stillständen in Maximo und Minimo des Druckes wahrnehmen. Es lässt sich hiernach schon vermuthen, dass die kleinen Unterschiede des Mitteldruckes, die durch die Form der Welle bedingt sind, durch das Quecksilbermanometer nicht auszumit- teln sind, während sie mein neues Manometer anzeigt. Wir haben, um uns anschaulich davon zu überzeugen, Wellen zwi- schen gleichen Druck-Maximis und -Minimis erregt, bei denen sich dieser Unterschied auffallend zeigen musste. Wir beweg- ten den Pumpenkolben einmal so, dass der Stillstand im Druckmaximum lange und im Druckminimum kurz dauerte, und dann so, dass der Stillstand im Druckminimum lange, im Maximum kurz dauerte. Die von meinem Federmanometer gezeichnete Curve gab diesen Unterschied deutlich wieder, so dass augenscheinlich die Bezeichnung des mittleren Druckes im ersten Falle einen entschieden grösseren Werth ergeben haben wird, als im zweiten. Das Quecksilbermanometer zeich- oete in beiden Fällen merklich gleiche Curven. Ein neuer Blutwellenzeichner. 589 Schliesslich muss ich noch mit zwei Worten einen Einwand berühren, der unserer Experimentalkritik gemacht werden könnte. Da nämlich bei der Zusammendrückung eines Gases Wärme frei und bei der Ausdehnung Wärme gebunden wird, so könnte man meinen, es herrsche während der Bewegung unseres Pumpenkolbens gar nicht in der Luftmasse jeden Augenblick der Druck, der nach Ausgleichung der Tempera- turunterschiede bei der betreffenden Lage des Kolbens herrscht. So richtig diese Betrachtung auch theoretisch ist, so scheint es doch, dass sich in unserem Apparate die gebildete Wärme allemal so gut wie momentan verlor und die verschwundene ebenso schnell ersetzt wurde, dafür bürgt die vollkommene Regelmässigkeit der Ergebnisse selbst. 590 Dr. Anton Schneider: Ueber die Muskeln der Würmer und ıhre Bedeu- tung für das System. Von Dr. Anton SCHNEIDER. Ich will in folgendem auf ein Prineip aufmerksam machen, welches man bisher bei der Eintheilung der Würmer noch nicht berücksichtigt hat, und ich denke, es wird sich als ein so tief eingreifendes erweisen, dass man darauf ein neues und besseres System gründen kann. Man hat nämlich den Bau der Leibesmusculatur theils noch zu wenig gekannt, theils das schon davon bekannte noch nicht zur Systematik benutzt. Da meine Untersuchungen von dem Streben ausgegangen sind, den Nematoden ihre Stelle im System anzuweisen, so werde ich auch mit dieser Unterordnung in der folgenden Darstellung beginnen. Der Leibesschlauch der Nematoden besteht aus 2 Schich- ten, einer Hautschicht und einer Längsmuskelschicht. Den Bau der Längsmuskelschicht habe ich schon mehrfach auseinander- gesetzt, ich kann denselben als bekannt voraussetzen, insbe- sondere jene Ferm des Muskelgewebes, wie ich sie bei den sogenannten Ooelomyariern beschrieben habe (d. Archiv 1860 S. 229). Den Nematoden am nächsten verwandt ist Sagitta. Auch ihr Leibesschlauch besteht aus einer Haut- und einer Längs- muskelschicht. Schon die anatomische Anordnung der Längs- Ueber die Muskeln der Würmer und ihre Bedeutung für u.s.w. 59] muskelschicht ist wie bei den Nematoden. Es ist eine Rücken- und Bauchlinie vorhanden. Zu jeder Seite derselben liegt ein Muskelfeld. An den Seiten ist eine Fläche, wo die Haut- schicht frei von Muskeln ist, dem Seitenfeld der Nematoden entsprechend. Aber auch histologisch ist die Muskelschicht ganz gebaut wie bei den sogenannten Coelomyariern der Ne- matoden. Wir könnten daher Sagitta mit den Nematoden ver- einigen, allein sie besitzt eine Menge von Eigenthümlichkeiten des Baues, dass wir die für sie bereits gegründete Ordnung der Chaetognatha aufrecht erhalten müssen. Die Verwandtschaft der Sagitta mit den Nematoden ist zwar längst behauptet, den Beweis dafür glaube ich aber zum erstenmale gebracht zu haben. Gehen wir zu den borstentragenden Ringelwürmern. Ihr Leibeschlauch besteht aus der Hautschicht, einer Ringmus- kelschicht und einer Längsmuskelschicht.. Sehen wir von dem besonderen Bau der Ringmuskelschicht ab, für unsern Zweck brauchen wir denselben nicht. Die Längsmuskelschicht ist ganz gebaut, wie bei den coelomyaren Nematoden. Die Körper, von denen man glaubte, dass sie den sogenannten Muskelzellen entsprechen, die man auch gewöhnlich bei Mace- ration mit Kalilauge und Salpetersäure erhält, sind nur Plat- ten fibrillärer Substanz, in denen ich auch keine Kerne habe finden können. Sie sind ganz so angeordnet, wie die fibril- lären Platten in den sogenannten Muskelzellen der Nema- toden. Denkt man sich viele längliche bandartige Platten parallel nebeneinander mit einer Kante auf einer Unterlage festgeheftet, wie die Blätter eines Buches, denkt man sich dann die Unterlage zusammengebogen, wie eine Rinne, aber s0, dass die Blätter nach Innen stehen, so hat man das Bild einer einzigen soleben sogenannten Muskelzelle, und solche Muskelzellen aneinandergereiht bilden die Längsmus- kelschicht der Ringelwürmer. Diese Form des Muskelgewebes ist besonders deshalb wichtig, weil sie im Grossen das wie- derholt, was man im kleinen bei den Nematoden findet. Die gröbere Anordnung der Längsmuskeln ist bei den Serpu- 592 Dr. Anton Schneider: lees!) (Sedentia, Limivora) gerade so, wie bei den Nema- toden: 2 Muskelfelder am Rücken, zwei am Bauch und zwei leere Seitenfelder. Ich glaube auf diese Weise die Ver- wandtschaft der Nematoidea, Chaetognatha und Chaetophora hinreichend bewiesen zu haben und vereinige sie zur Ord- nung der Nemathelminthes. Der Leibesschlauch der Acanthocephala ist völlig verschie- den von dem der Nemathelminthes. Er besteht aus einer Hautschicht, einer Ringmuskelschicht: und einer Längsmuskel- schicht. Beide Muskelschichten sind in ihrem Bau sehr ähn- lich. Sie bestehen aus dieken Cylindern oder Röhren, die eine Rinden- und eine Marksubstanz besitzen. Jede Schicht bildet ein ununterbrochenes Netzwerk, indem die Röhren durch häufige spitz- und rechtwinklige Anastomosen mit einander zusammenhängen. Die Muskeln der Gephyrea (ich kenne sie nur von Pria- pulus und Phascolosoma) sind in ihrer gröberen Anordnung sehr ähnlich denen der Acanthocephalen. Unter der Haut- schicht liegt eine Ringmuskelschieht und dann eine Längs- muskelschicht. Die Ringmuskelschicht bildet bei Phascolosoma ein ebenso deutliches Netzwerk wie bei den Acanthocephalen ; die Längsmuskelstränge sind bei Priapulus durch häufige spitz- winklige Anastomosen verbunden, so dass das Muskelnetz grosse Aehnlichkeit mit dem der Acanthocephalen gewinnt, bei Phascolosoma sind die Anastomosen seltener, sie sind aber doch vorhanden, | 1) Bei einer Berücksichtigung der Längsmuskeln stellt sich noch sehr klar ein anatomischer Unterschied der beiden Gruppen der Ser- pulees und Nereidees heraus, zwischen denen man bekanntlich bisher nur einen biologischen Unterschied finden konnte. Während bei den Ser- pulees, wie schon oben gesagt, die Musculatur sich ganz wie bei den coelomyaren Nematoden verhält, tritt bei den Nereidees an der Bauch- fläche jederseits eine Duplicatur der Haut- und Muskelschicht auf, eine Art Sohle. Den Lumbricinen fehlt diese Sohle, allein die Anordnung der Muskeln hat wieder so viel Eigenthümliches, dass man sie von den Serpulees trennen muss. Ich muss mir vorbehalten, auf diese bisher völlig unberücksichtigten Verhältnisse bei einer anderen Gele- genheit zurück zu kommen, Ueber die Muskeln der Würmer und ihre Bedeutung für u. s,w, 593 Der feinere Bau der Muskeln bei den Gephyreen ist sehr verschieden von dem der Acanthocephalen, wie aus den Untersuchungen von Keferstein und Ehlers hervor- geht. Nimmt man aber zu der Aehnlichkeit, welche die grö- bere Anordnung der Muskeln darbietet, noch die anderen Puncte, in welchen diese beiden Unterordnungen einander gleichen, wie das Auftreten des Rüssels und der Retractoren, so wird es wohl gerechtfertigt sein, die Gephyreen und Acanthocepha- len zu der Ordnung der Ahynchelminthes zu vereinigen !) Der Leibesschlauch der Hirudineen ist von dem der bei- den eben geschilderten Ordnungen vollständig abweichend. Unter der Hautschicht liegt zuerst eine Schicht Ringmus- keln,?) dann eine Schicht schief gekreuzter Muskeln, dann eine Schicht Längsmuskeln, dazu kommen Muskeln, welche vom Rücken zum Bauch verlaufen, dorsoventrale Muskeln. Zwi- schen den Muskeln liegt eine Zwischensubstanz, die man viel- leicht am besten als Bindegewebe bezeichnet. D:e Muskeln werden, wie bekannt, aus geschlossenen Cylindern gebildet, welche eine Rinden- und Marksubstanz unterscheiden lassen. Auch das ist eine Eigenthümlichkeit der Hirudineen, dass die histologischen Elemente — die Cylinder — nicht eine einfache Schicht bilden, sondern Bündel, in welchen immer mehrere in der Richtung von Innen nach Aussen auf einander liegen. Die Peripatus (Onychophora Gr.), deren Untersuchung ich der Güte des Herrn Prof. Peters verdanke, gleichen in ihrer Musculatur sowohl durch die Anordnung, als den histologi- schen Bau den Hirudineen. An die Hirudineen schliessen sich am nächsten die Tre- matoden. Sie besitzen die Ringmuskeln, die schief gekreuz- ten, die Längs-, und dorsoventralen Muskeln. Die Zwi- schensubstanz, aus den, von Leuckart zuerst beschriebe- '1) Einen Uebergang der Gepbyreen zu den Holothurien kann ich ebensowenig finden als eine Aehnlichkeit von Gordius mit den Acan- thocephalen. 2) Zwischen den Ringmuskelbündeln liegen vereinzelte Läugsmus- keln, welche nur innerhalb eines Segments verlaufen, 594 Dr. Anton Schneider: nen, grossen Zellen bestehend, ist ebenfalls vorhanden. Die Muskeln selbst sind Cylinder, ihr Durchmesser ist freilich un- gleich dünner, als bei den Hirudineen und Onychophoren.!) Im Leib der Cestoidea unterscheiden wir nächst‘ der Haut- schicht, Längsmuskeln, dorsoventrale Muskeln und solche, welche von Seite zu Seite verlaufen, Quermuskeln. Die Mus- kelelemente sind Cylinder, eine Zwischensubstanz ist vorhan- den. Was die Lage der einzelnen Systeme betrifft, so liegen die Längsmuskeln in den Zwischenräumen zwischen den dorso- ventralen Muskeln in Bündeln, deren Querschnitte radienförmig gestellt sind. Die Mitte des Leibes ist leer von Längsmus- keln, es ist der Raum, in welchen sich die Geschlechtsorgane bilden. Die Anordnung der Quermuskeln ist in den verschie- denen Gattungen der Cestoidea nicht gleich. Ich will nur zwei Gattungen in Betracht ziehen, Ligula und Taenia. Bei Ligula sind diese Quermuskeln gleichmässig vertheilt, sie lau- fen von einer Seite zu andern, gleichsam von Pol zu Pol, wie die Meridianlinien auf der Karte einer Hemisphäre. Bei Tae- nia entspringen nun die Quermuskeln zwar auch getrennt an den Seiten, sobald sie aber an die Längsstämme des Excre- tionssystem’s gelangen‘, vereinigen sie sich zu einer star- ken Schicht, die einer Ringmuskelschicht ähnlich ist. Diese Ringschicht umschliesst den inneren Raum, in welchem die Geschlechtsorgane liegen. Einzelne Quermuskeln verlaufen in der Nähe der Haut. Wir haben also eine äussere — nur wenig entwickelte — Ringschicht, eine Längsmuskelschicht und eine innere mächtige Ringschicht. Von den Trematoden, Hirudineen und ÖOnychophoren unterscheiden sich also die Cestoidea dadurch, dass ihnen das schief gekreuzte System fehlt. Die Cestoidea besitzen wiederum das System der Quer- muskeln, oder der inneren Ringschicht. 1) Diese Anordnung der Muskeln babe ich selbst untersucht nur bei Monostoma, Distoma, Amphistoma und Tristoma, sie gilt wahr- scheinlich auch für Polystoma und Octobothrium. Es ist aber mög- - lich, dass sich bei den anderen 'Trematoden noch eine andere Anord- nung findet, wie ich ja auch bei den Nematoden verschiedene Stufen in der Ausbildung des Muskelsystemes nachgewiesen habe. Ueber die Muskeln der Würmer und ibre Bedeutung für u.s. w. 595 Wir gehen nun zu den Turbellarien über, der letzten Ord- nung der Würmer, die wir zu betrachten haben. Es scheint dass die beiden Unterordnungen derselben, die Dendrocoela und Rhabdocoela, rücksichtlich ihrer Musculatur sehr verschie- den sind. Die Rhabdocoela, von denen ich Nemertes untersucht habe, haben, wie bereits bekannt, von der Haut ausgehend folgende Muskelschichten: Ringmuskeln, Längsmuskeln, Ring- muskeln, ausserdem radiäre Muskeln. Die Muskeln sind Oylinder und eine Zwischensubstanz ist vorhanden. Von den Trematoden u. 8. w. unterscheiden sie sich also durch den Mangel des schief gekreuzten Systems. Wenn wir die radiären Muskeln als eine Modification der dorsoventralen Muskeln betrachten, so ist eine Aehnlichkeit mit den Cestoiden nicht zu verkennen. Ueber die Musculatur der Dendrocoela kann ich leider nur eine unvollkommene Auskunft geben. Obgleich mir durch di Güte des Herrn Prof. Peters schöne Exemplare einer Geoplana zu Gebote standen, so ist es doch schwer von diesen Thieren gute Querschnitte zu erlangen. Die Muskeln bilden keine festen Stränge und keine Ringschichten, sie liegen in der sehr mürben Zwischensubstanz mehr vereinzelt. Ich habe Quer-, Dorsoventral- und Längsmuskeln unterscheiden können. Unter der Haut scheint eine schief gekreuzte Faserschicht zu liegen, die sich jedoch wesentlich von der der Trematoden, Hirudi- neen u. Ss. w. unterscheidet. Während dort dicke Faserbündel in grossen Abständen laufen, bilden hier dünne Fasern ein engmaschiges Netz. Es ist also wohl gewiss, dass man auch rücksichtlich der Musculatur Dendrocoela und Rhabdocoela un- terscheiden muss. Jedenfalls kann man die Trematoda, Hiru- dinea, Onychophora, Cestoidea, Dendrocoela und Rhabdocoela zu einer Ordnung der Platyelminthes vereinigen. Ob man die hier unterschiedenen 3 Ordnungen .besser als Classen zu betrachten, ob man ferner die Nemathelminthes mit den Rhynchelminthes vereinigt, den. Platyelminthes ge- genüber zu stellen hat, sind Fragen, die mir noch nicht zur Beantwortung reif scheinen. In einer von Tafeln begleiteten Abhandlung werde ich über die Details dieser Untersuchung, 596 Dr. Anton Schneider: so wie über den Antheil, den andere Forscher an den hier benutzten Beobachtungen haben, Rechenschaft ablegen, Das System der Würmer gestaltet sich also in folgender Weise: I. Nemathelminthes: a) Nematoidea, b) Chaetognatha, c) Chaetophora. II. Rhynchelminthes: a) Acanthocephala, b) Gephyrea. Ill. Platyelminthes: a) Trematoda, b) Hirudinea, c) Onychophora, d) Cestoidea, e) Dendrocoela, f) Rhabdocoela. Es sei mir erlaubt, der obigen Mittheilung ein Paar Worte anzu fügen über eine Arbeit, welche sich die Aufgabe stellt, histologische Untersuchungen für die systematische Zoologie zu verwerthen. Weiss- mann hat in seiner Abhandlung „Ueber die zwei Typen contractiler Gewebe u. s. w.* (Henle und v. Pfeuffer, Zeitschrift für rationelle Mediein, 3. Reihe, Bd. XV., S. 60) den Satz aufgestellt „die Muscu- latur der Ooelenteraten, Echinodermen und Würmer besteht ganz all- gemein aus einfachen Zellen, während bei Arthropoden uud Wirbel- thieren besondere complicirte Gebilde die Primitivbündel, die Muskeln zusammensetzen, .... Bei den Wirbelthieren findet sich auch zugleich die nach dem Zellentypus gebaute Musculatur vertreten, den Arthopo- den mangelt sie gänzlich.“ Soll dieser Satz, wie Weissmann be- hauptet, von Wichtigkeit für die systematische Zoologie sein, so muss vor allem der Unterschied zwischen Primitivbündel und Muskelzelle scharf hingestellt sein. Fragen wir nun, ob dies dem Verfasser gelungen. Ein Primitivbündel ist nach ihm „eine genetisch zusammengehörige in der Regel cylindrische Masse contractiler Substanz, in welcher Kerne in verschiedener Menge,und Anordnung liegen und welche nach allen Seiten umschlossen ist von einer homogenen, structurlosen, kernlosen Membran, dem Sarkolemma,* Was eine Muskelzelle ist, spricht Weissmann weniger bestimmt aus. Am ersten kann man noch die folgende Stelle als Definition betrachten. „Vor Allem hat die Zelle in ihrem Kerne ein einziges Centrum, während ein Primitivbündel, mag es entstanden sein, auf welche Weise es wolle, stets eine Viel- Ueber die Muskeln der Würmer und ihre Bedeutung für w.s.w. 597 heit von Kernen besitzt; dass auch in einer Muskelzelle zwei, ja selbst drei Kerne vorkommen können, hebt diesen Unterschied keineswegs auf, da doppelte Kerne in einer Zelle stets als Vorbereitung zur I'hei- lung angesehen werden können, drei Kerne aber zu den grössten Sel- tenheiten gehören. Solche mehrfache Kerne liegen überdies in (er Zelle dicht beisammen.“ Die Behauptung, dass zwei Kerne stets als Vorbereitung zur Theilung angesehen werden können, ist gewiss nicht zu beweisen. Ich glaube kaum, dass Weissmann die Bürg- schaft dafür übernehmen kann, dass jede Zelle, welche zwei Kerne enthält, sich bei längerem Leben getheilt haben würde. Drei Kerne sind das Maximum, welches eine Muskelzelle enthalten darf, sonst fällt sie in die Kategorie der Primitivbündel. Nun kenne ich und habe sie auch schon längst beschrieben, eine Muskelzelle, welche viele Kerne in verschiedener Anordnung enthält, auch ein Sarkolemma be- sitzt, nämlich bei Spiroptera obtusa (d. Archiv 1860, Taf. V. 9) ge- hört sie in den Primitivbündeltypus oder in den Zellentypus? Ist sie Primitivbündel, so ist das Gesetz Weissmann’s ungültig, ist sie eine Zelle, so ist seine Definition der Zelle falsch. Doch es ist nicht nöthig, uns mit der Widerlegung dieses Unterschiedes der Zeile und des Primitivbündels zu befassen, Weissmann fährt selbst nach dem oben angeführten Passus fort: „auf diesen Unterschied lege ich übri- gens kein so grosses Gewicht als auf den Umstand, dass in der That keine Uebergangsglieder existiren zwischen Zellen und Primitivbündel.“ Bis jetzt konnte ich noch nicht finden, dass der Verfasser den Unter- schied zwischen den beiden Typen uns deutlich gemacht hätte,' man muss also den Beweis, dass kein Uebergang zwischen denselben existire, noch erwarten. Dieser Beweis soll nun, wie es scheint, in einem gewissen morphologischen Character der Muskeln liegen, den Weissmann so ausdrückt: „Primitivbündel- haben ihren Ansatzpunct mit den Ansatzpuncten ihres Mnskels gemein, ein jedes von ihnen geht von Sehne zu Sehne. Die Muskelzellen sind kürzer als der Muskel oder die Muskellage.* Auf dies letzte und Hauptkriterium vermag ich nun keinen Werth zu legen, denn zwei Zeilen weiter giebt Weissmann selbst zu, dass dies Kriterium Ausnahmen erleide. Ein Typus, der Ausnahmen hat, ist keiner, oder wenigstens noch falsch definirt. Den Unterschied der beiden angeblichen T'ypen können wir end- lich auch nicht aus der Entwicklungsgeschichte nehmen, einfach des- halb, weil wir über die Entwickelung der Muskeln bei Würmern, Ra- diaten und Coelenteraten wenig, ja so gut wie nichts wissen. Eine eigene Ansicht über den von Weissmann behandelten Ge- genstand bin ich weit entfernt aufstellen zu wollen, ich beabsichtige nur zu zeigen, dass Weissmann den Unterschied seiner zwei Typen in keiner Weise hat begründen können, 598 N. Lieberkühn: Ueber Knochenwachsthum. Von N. LIEBERKÜHN. (Hierzu Tafel XIV. und XV.) Die Färbung der Knochen bei Krappfütterung der Thiere ist in neuerer Zeit zur Beobachtung der Wachsthums-Erschei- nungen fast ganz aufgegeben worden, seitdem Gibson die Ansicht aufgestellt hat, dass nicht bloss der sich neu bildende, sondern auch der schon vorhandene Knochen die rothe Farbe annimmt. Es ist durch viele Versuche festgestellt, dass der Knochen sowohl in seiner Peripherie unterhalb des Periostes, als auch in allen seinen inneren Theilen in der Umgebung der Gefässe gefärbt wird. Ueber die Bedeutung der Färbung hat man früher die Ansicht aufgestellt, dass der Farbestoff zugleich mit den aus dem Blut austretenden und sich alsdann in die verknöchernden Gewebe niederschlagenden Knochenerden abgesetzt wird, ohne dass sicher festgestellt werden konnte, ob dabei eine chemische Verbindung zu Stande kommt, oder nicht. Seitdem die Ansicht Gibson’s Verbreitung gefunden hat, bleibt die andere Möglichkeit offen, dass der im Blut gelöste Farbe- stoff nicht bloss durch die Gefässwandungen, sondern auch durch die Knochensubstanz durch Diffusion wandert. Ist Letz- teres der Fall, so lässt sich aus der Färbung Nichts für das Knochenwachsthum entnehmen. Die von mir angestellten Untersuchungen ergeben darüber Folgendes: Ueber Knochenwachsthum. 599 Bei jungen Mäusen, welche zwei Wochen mit Krapp ge- füttert waren, fand sich auf Längsschliffen der Schneidezähne ein rother Streifen in der jüngsten, die Pulpa begrenzenden, Lage des Zahnbeins. Bei einer Maus desselben Wurfes wurde die Fütterung, welche ebenso lang gedauert hatte, zwei Wochen vor der Tödtung ausgesetzt und dann ein Längsschliff unter- sucht; die der Pulpa zunächst liegende Schicht des Zahnbeins war ungefärbt, dann folgte ein breiter rother Streifen und hierauf die nicht gefärbte Masse des Gewebes. Das farbige Band setzte sich scharf gegen die nach beiden Seiten unge- färbte Umgebung ab. Aus diesen Erscheinungen geht schen hervor, dass die Färbung nicht auf einer Diffusion in das be- reits vollendete Zahnhein beruhen kann. Denn in diesem Falle konnte der Farbestoff nicht in die bereits gebildete Sub- stanz vorrücken, ohne eine farbige Schicht zu hinterlassen, er hätte vielmehr auch an den Stellen noch theilweise zurück- bleiben müssen, welche er durchwandert hat und der Streifen hätte müssen doppelt so breit sein, als er bei den ohne Unter- brechung bis zum Tode gefütterten Thieren sich vorfand. Dasselbe Resultat ergiebt auch die Betrachtung der in glei- cher Weise behandelten Knochensubstanz. Schliffe von Röh- renknochen, namentlich Querschliffe vom Öberschenkelbein, nahe der Mitte entnommen, zeigten für die Loupe Folgendes: Im Umfange der Markhöhle ist eine schmale ungefärbte Kno- chenschicht, die an einzelnen Stellen an Durchmesser zunimmt, darauf folgt ein fast vollständig rother Ring, von dem hie und da rothe Streifen nach ein- und auswärts ziehen, entsprechend den hier verlaufenden Gefässcanälen; wo der rothe Ring breiter wird, bemerkt man, dass dies durch eine Anzahl quergetroffe- ner, inihrer Wandung gefärbter Havers’scher Räume zu Stande kommt. Nun folgt eine breite ungefärbte Schicht mit verein- zelten rothen Flecken, die nur in der nächsten Umgebung gefärbten Gefässcanälen angehören, eine grosse Zahl der letz- teren zeigt keine Spur von Röthung. Jetzt schliesst sich ein rother, mit grossen Unterbrechungen versehener Ring an, der endlich in der Peripherie des Knochens von ungefärbter Sub- stanz umzogen ist. Bei starker Vergrösserung des Mikroskops 600 N. Lieberkühn: zeigen die einwärts von dem inneren rothen Ring befindlichen Havers’schen Canäle fast durchweg ein grösseres Lumen, als die in der Mitte des Knochens gelegenen gar nicht oder nur spurweise gefärbten. Die im rothen Ring befindlichen gefärbten Canäle sind von breiten rothen Streifen umzogen. Ganz anders verhält sich ein nahe dem oberen Ende des Kno- chens entnommener Querschliff. Die Loupe zeigt die Knochen- substanz durch und durch geröthet, nur ein schmaler Streifen ungefärbten Gewebes liegt im Umfange der Markhöhle und der Aussenfläche. Bei starker Vergrösserung löst sich die farbige Masse in viele rothe Ringe auf, welche die Gefäss- canäle umgeben und sich mit ihren Rändern bisweilen fast berühren. Einzelne der Länge nach getrofiene Gefässcanäle werden von farbigen Längsstreifen begleitet; wo Gefässcanäle aus dem gefärbten Theile in den ungefärbten hinüber ziehen, bricht die Färbung plötzlich ab. In vielen Fällen sind die rothen Ringe und Streifen von dem Lumen des Canales ab- gerückt und durch mehr oder weniger ungefärbte Substanz von ihm getrennt. Diese Erscheinung ist für die Auslegung des Processes der Knochenfärbung von Bedeutung. Es muss wie oben beim Zahnbein der Gedanke an ein Fortrücken des Farbestoffes durch Diffusion ganz aufgegeben werden, weil zwischen der Gefässwandung und dem gefärbten Ring eine vollkommen farblose Lage Knochensubstanz auftritt. Es bleibt allein die Annahme übrig, dass zugleich mit den sich abla- gernden Kalksalzen der Farbestoff sei es in chemischer Ver- bindung oder mechanisch niedergeschlagen wird; für die Bil- dung des die Erden aufnehmenden Gewebes wird selbstver- ständlich Nichts gewonnen; dieses kann bei dem Beginn der Fütterung des Krapps schon vollständig vorhanden sein und während derselben die Erden zugleich mit dem Farbestofi aufnehmen, oder es kann mittlerweile noch entstehen. Ver- gleicht man die aus der Mitte des Knochens hergestellten Querschliffe mit den oben beschriebenen, so kommt man eben- falls in die Nothwendigkeit, die Annahme einer Diffusion des Farbestoffes abweisen zu müssen: dort sind die engsten Ha- vers’schen Canäle vorhanden und haben gar keine Färbung Ueber Knochenwachsthum. 601 oder nur einen farbigen Ring im Umfang des Gefässes; die Abrückung der farbigen Ringe ist keine für alle Theile ein- tretende Erscheinung des Knochens. Nachdem wir nunmehr das Resultat gewonnen haben, dass der Krappfarbestoff sich zugleich mit den Kalksalzen in das ossificirende Gewebe ablagert und nicht von denjenigen Stel- len fortwandert, an welchen er sich abgesetzt hat, lässt sich in der That die Färbung zur Beurtheilung der Wachsthums- erscheinungen verwenden. Schon Duhamel beobachtete, dass die Röhrenknochen einer Taube in drei Tagen roth wurden, und J. Müller fand dies an Knochen von Vögeln und Säu- gethieren bestätigt, und erklärte es für falsch, was Duhamel anderweitig angab, dass sich nur an der Oberfläche eine rothe Schicht bilde. „Wird nun aber, so sagt J. Müller, die Füt- terung mit Färberröthe längere Zeit ausgesetzt, so werden sich die rothen Theile des Knochens entweder durch das Wachs- thum ausdehnen, wenn der Knochen überall gleich wächst, und der Knochen wird überall roth bleiben, oder es wird die neugebildete Knochensubstanz eine weisse Schicht über der rothen bilden, und daraus folgt allerdings, dass der Knochen hauptsächlich an der Oberfläche Substanz ansetze. Dies ist nun in der That durch die Versuche von Duhamel und Flou- rens erwiesen.* Die weisse Schicht ist besonders an den Enden der Röhrenknochen auffallend ausgedehnt, wie Flourens schon bemerkt. Ein Längsschliff von dem oberen Ende der Tibia einer jungen Taube, bei welcher die Fütterung einige Wochen vor dem Tode abgebrochen war, zeigt Folgendes: unter dem hyalinen Knorpel ist eine etwa eine Linie hohe Schicht des in der Verknöcherung begriffenen und von Mark- räumen durchzogenen rothen Knorpels ungefärbt; darauf folgt in gleicher Höhe durch den ganzen Knochen die gefärbte Knochensubstanz, welche sich bis zur Markhöhle hin erstreckt; die Balken und Septa des schwammigen Theiles haben zum Theil rothe Farbe in ihrer ganzen Breite aufgenommen, zum Theil erscheinen sie von feinen Canälen durchzogen, welche in ihren Wandungen geröthet sind, während an anderen Par- Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 39 602 N. Lieberkühn: tien ein grosses Stück eines Balkens keinen Farbstoff enthält; in anderen Fällen erscheint aussen an dem gerötheten Theile ein ungefärbter Streifen. Weiter abwärts ist nicht allein aussen, sondern auch in der Umgebung der Markhöhle eine dünne völ- lig farblose Schicht vorhanden, wie das sich auch schon an den oben besprochenen Querschnitten bemerkbar machte. Es kommt also in der That vor, was Brulle und Hugueny bereits angeben, dass auch von der Markhöhle aus noch Kno- chenansatz stattfinden kann. Gegen die Mitte des Knochens hin sind innerhalb der compacten Substanz einige der engsten Gefässcanäle in ihren Wandungen gar nicht gefärbt, der grösste Theil ist geröthet, aber nicht alle in gleicher Weise; bei einigen ist nur eine schwache Schicht, bei anderen eine stärkere gefärbt; und nach den Enden hin rückt die gefärbte Schicht allmählich von dem Lumen der Canäle ab. An einer Tibia einer anderen Taube, wo die am unteren Ende vorkommende Epiphyse mit der Diaphyse bereits ver- wachsen ist, hat sich dieser Theil des Knochens gar nicht ge- färbt, während der obere stark geröthet ist; das Wachsthum schritt in dem oberen Ende noch fort, nachdem es in dem un- teren bereits vollendet war. Die Färbung geschieht ausserordentlich schnell in den in der Verknöcherung begriffenen knorpeligen Enden; in diesen ist nach eintägiger Krappfütterung schon ein breiter Streifen um jeden Markraum geröthet, während die Havers’schen Canäle nur eine Spur von Röthung in ihrem Umfang haben, und wenn bei diesen nur erst ein schmaler Ring auf Quer- schnitten sichtbar ist, so ist das in der Verknöcherung begrif- fene knorplige Ende schon durch und durch roth. Wachsthum gebogener Knochen. Der Gabelknochen älterer Tauben unterscheidet sich nicht bloss in der Länge seiner Schenkel von dem der jungen, son- dern auch dadurch, dass dieselben mehr nach hinten ausein- ander weichen. Da sich zu keiner Zeit eine Naht vorfindet, so ist der spätere Zustand aus dem früheren unter der Vor- aussetzung leicht zu erklären, dass ein Weachsthum an Ueber Knochenwachsthum, 603 den Enden und eine gleichzeitige Resorption der Knochensub- stanz von innen her stattfindet. Während eine Furcula einer mit Krapp gefütterten jungen Taube für das blosse Auge gleich- mässig geröthet ist, wenn die Fütterung bis zur Tödtung ge- dauert hat, erscheinen hingegen die Enden der Schenkel bis nahe zu einer Linie ungefärbt, wenn die Krappfütterung schon einige Wochen vor der Tödtung ausgesetzt war. Aber dies ist nicht der einzige Unterschied; ungefärbt ist auch noch die Aussenseite über eine Linie nach dem Winkel hin, während die Innenfläche vollständig geröthet ist. Zur Zeit der Pause hat ein Wachsthum an den freien Enden Statt gehabt, zugleich hat aber eine Resorption von innen her auch an dem schon vorhanden gewesenen Theil- und eine Auflagerung von aussen her stattgefunden. Würde derselbe Vorgang während des weiteren Wachsthums noch längere Zeit fortgedauert haben, so würde die gefärbte Substanz mehr und mehr eingegangen sein; und Brull&E und Hugueny haben jedenfalls darin Recht, dass Entfärbung durch Aufsaugung des Gefärbten zu Stande kommen kann. Aehnlich müssen die Erscheinungen ausfallen bei dem Wachsthum der Schädelknochen, wenn es richtig ist, was man bisher vielfach annahm zur Erklärung der mehr und mehr überhand nehmenden Abflachung derselben, dass ein Wachs- thum in den Nähten, eine Auflagerung von aussen und eine Resorption von innen her statthabe. An den Seitenbeinen einer jungen Taube, die mehrere Wochen mit Farbestoff gefüt- tert und nach mehrwöchentlicher Aussetzung desselbeu getödtet wurde, erscheint die dem Gehirn zugewandte concave Fläche ge- röthet, mit Ausnahme der Ränder, welche beinahe eine halbe Linie breit ungefärbt sind. Die convexe Fläche ist noch weit über die Ränder hin ungefärbt. Fände das Wachsthum nur an den Rändern Statt, so müsste sich nicht bloss auf der con- caven Seite der ungefärbte, während der Fütterung neu auf- gesetzte Knochenstreifen bestimmt abgrenzen, sondern ebenso bestimmt auf der convexen. Die Oberarmbeine von demselben Exemplare sind lehrreich für den merkwürdigen Vorgang, dass Neubildung und Resorp- 39* 604 N. Lieberkühn: tion zugleich dicht bei einander vorkommen. Das Kopf- ende besitzt einen starken Vorsprung nach innen, der nahezu unter einem rechten Winkel abgeht und unten mit einer Con- cavität versehen ist zum Ansatz von Muskeln, in seinem In- nern ist die Knochensubstanz schwammig; eine Epiphyse ist hier nicht vorhanden. Während des Wachsthums rückt der Vorsprung mehr und mehr nach oben. Der Vorgang kann dabei nur der sein, dass von oben und von den Seiten her Knochensubstanz sich anbildet, während sie an der Concavi- tät und ihren nach unten sehenden Rändern einer allmählichen Resorption unterliegt. Dabei würde jedoch schwammige Kno- chensubstanz bloss gelegt werden; in der That ist aber die concave Fläche mit einer compacten Lamelle stets überkleidet. Es muss demnach neben der. Resorption immerfort eine Neu- bildung einhergehen, es müssen die zu Tage kommenden Mark- räume sich mit Knochengewebe ausfüllen. Das in Rede ste- hende Oberarmbein zeigt Folgendes: In dem Mittelstück sind einzelne Stellen fast ungefärbt, andere geröthet; an dem obe- ren Ende ist eine schwache Knochenlage ungefärbt, sie ist in der äussersten Spitze gegen eine halbe Linie ausgedehnt und betrifft den ganzen mit Kalkerde imprägnirten Knorpel- überzug. Der Vorsprung ist oben bis an den Rand der Oon- cavität ungefärbt; von hier ab liegt geröthete Substanz frei und zwar sind die Randpartien ununterbrochen roth, die Con- cavität hingegen selbst vorwiegend ungefärbt, mit Ausnahme einiger unregelmässigen Streifen und Flecke, die roth erschei- nen; beinahe in der Mitte befindet sich eine Oefinung, in de- ren Grunde einzelne Fasern der im Innern befindlichen ge- rötheten schwammigen Knochensubstanz zu Tage liegen. Nach abwärts laufen die rothen Streifen in den hier auftretenden rothen Ueberzug des Knochens aus. Es bleibt hiernach kaum etwas Anderes übrig, als -anzu- nehmen, dass yon der unteren concaven Fläche des Knochen- vorsprunges aus während der Anbildung neuer Knochensub- stanz von oben her eine fortdauernde Resorption vor sich gehe, und dass zugleich die zu Tage tretenden Markräume der spongiösen Knochensubstanz durch Ossification des Markgewe- Ueber Knochenwachsthum. 605 bes geschlossen werden. Eine ähnliche Erscheinung kommt an dem Brustbein derselben Taube vor, ohne jedoch dieselbe Bedeutung zu haben; man sieht hier schon mit blossem Auge auf der Oberfläche des Knochens ein ungefärbtes Netzwerk auf rothem Grunde; es ist dies die neue Lage der in der Pause gebildeten Knochensubstanz; die in den Maschen liegende, von zahlreichen Gefässchen durchzogene Bindesubstanz ossifieirt erst später. Wo die Ossification weiter vorgeschritten ist, haben sich die Lücken des Netzwerkes mehr und mehr ausgefüllt. In meinen früheren Mittheilungen über die Össifieation ist von mir der Lehre Heinrich Müller’s gegenüber der Nach- weis der Verknöcherung des hyalinen Knorpels geführt wor- den. Es wurde von mir untersucht, ob an irgend einer Stelle während der Bildung des Skelettes in der Verknöcherung be- griffener Knorpel aufgesogen und sofort seine Stelle von einem neuen Gewebe, das erst eine wahre Verknöcherung eingehen könne, eingenommen würde. Es wurde von mir gezeigt, dass Heinr. Müller keine Thatsache beigebracht habe, welche dies erweise; auch konnte die Ansicht Müller’s nicht unterstützt werden, dass bei der Össification durch groben Austausch das Glutin gebende Gewebe an Stelle des Chon- drin gebenden gesetzt werde, und nicht, wie man sonst an- nahm, dieses in jenes sich umwandle. Vor Kurzem ist von Gegenbaur eine Arbeit in der Jenaischen Zeitschrift für Mediein I, 3, veröffentlicht worden „über die Bildung des Knochengewebes“, in welcher zwar für die Beobachtung der unmittelbaren Knorpelverknöcherung die Trachealringe der Vögel mit Recht empfohlen werden, für die Röhrenknochen je- doch die Angaben Heinrich Müller’s aufrecht erhalten sind. Ich werde zunächst die neuerdings von mir angestellten Unter- suchungen über die Ossification der Stirnhöcker und der Ge- weihe bei Rehkälbern mittheilen, welche für die Knorpelver- knöcherung lehrreich sind und dann auf die Röhrenknochen zurückkommen. Die von mir untersuchten Stirnhöcker der Rehkälber hat- ten eine sehr verschiedene Grösse; einige waren kanm einen 606 N. Lieberkühn: viertel Zoll lang, andere über einen Zoll; die kürzesten waren im Allgemeinen dünner, als die längeren, doch treten hier grosse Schwankungen auf. Sie bestehen aus mehr oder weniger compaeter Knochensubstanz mit vorwiegend longitudinal verlau- fenden Gefässcanälen. Die zwischen der behaarten Haut und dem Knochen liegende Schicht des verknöchernden Gewebes ist in der Spitze des Höckers am stärksten, wird in der Periphe- rie desselben dünner und geht ohne Unterbrechung von dieser in die der Aussenfläche des Stirnbeins über. Es ist dieselbe junge Bindesubstanz, welche in der Spitze und Peripherie der jungen Geweihe vorkommt, nur tritt sie gegen die Verknöche- rungsgrenze hin häufig nicht in der Form des ausgesprochenen hyalinen Knorpels auf, sondern hat dieselbe Beschaffenheit, wie die der Peripherie, welche der periostalen verknöchern- den Bindesubstanz entspricht; die Bindesubstanzkörper sind ausserordentlich zahlreich, die Zellengrenzen sind jedoch nicht erkennbar; weiter nach abwärts werden sie grösser und er- scheinen nach Behandlung des Knochens mit Chromsäure den Knorpelkörpern ähnlich, noch weiter nach abwärts werden sie zu ausgesprochenen Knochenkörpern, indem die Höhlen mehr und mehr durch neu entstehende Grundsubstanz eingeengt werden. Ob es zur Ausbildung von ausgesprochenem Hyalin- knorpel kommt oder nicht, die Vorgänge bei der Kalkabla- gerung und Resorption bleiben sich gleich. In der Peripherie des Höckers kommt es nicht zu einer wahrnehmbaren Ausbil- dung von hyalinem Knorpel, sondern es finden sich gleich sternförmige Knochenkörper vor, die. viel weiter auseinander- liegen, als die Zellen des ossifieirenden Gewebes; erst nach- träglich verlängern sich die Ausstrahlungen, wie es scheint durch Resorption vorhandener Grundsubstanz. Zuweilen tre- ten quer und längs verlaufende Sharpey’sche Fasern auf. Einzelne Stirnhöcker sind anfangs so dünn, dass erst nach- träglich von der Peripherie aus die grössere Masse des Kno- chens angebildet wird. Wenn sie so lang geworden sind, dass das Geweih hervorwächst, so tritt der hyaline Knorpel in der Spitze für das Längenwachsthum auf, die Zellen werden als- dann viel grösser und die Grundsubstanz fester, nach abwärts Ueber Knochenwachsthum. 607 erscheinen sie sternförmig und nehmen allmählich die Form der Knochenkörper an. Eine feste Grenze zwischen dem Ge- weihe und dem Stirnhöcker ist erst dann wahrzunehmen, wenn das Geweihe ausgewachsen, und die Abschälung der Haut eingetreten ist. In allen wesentlichen Puncten geht die Ver- knöcherung der Stirnhöcker gerade so vor sich, wie sie bei den Geweihen beschrieben ist. Ein erstes Geweihe kann durch Füllung der Markräume com- pact verknöchert sein, ohne dass die ursprüngliche Knorpelan- lage ihre Textur erkennen lässt. Das Knorpelgerüst ist von vornherein von zahlreichen Gefässen, die meist der Länge nach verlaufen und in der Spitze von der Haut aus eintreten, durch- zogen; in diesen Knorpelcanälen befindet sich im Umfange des Gefässes eine mehr oder weniger starke Lage derselben jungen Bindesubstanz, welche in der Spitze oberhalb des hya- linen Knorpels vorkommt. Ein über einen halben Zoll langes entbastetes Geweihe zeigte nach Extraction der Kalksalze mit- telst Salzsäure folgendes: Der Spitze entnommene Querschnitte sind von zahlreichen engen Gefässcanälen durchzogen, die von mehr oder weniger starken Lagen lamellösen Knochens um- geben sind, die sämmtlichen Lamellensysteme sind durch eine andere Knochensubstanz von einander geschieden, so dass man ein ursprünglich vorhanden gewesenes Gerüst und nachträg- lich aufgetretene lamellöse Ausfüllungsmassen unterscheiden kann. Die Knochenkörper in den Interstitien sind grösser als die der Ausfüllungsmassen und haben weit kürzere Ausstrah- lungen. Auf tiefer entnommenen Querschnitten sind die Kno- chenhöhlen zum grossen Theil kuglig oder oval, einzelne noch zackig wie vorhin; an manchen Stellen zu dreien oder vieren bei einander, theils durch schwächere oder stärkere Septa von einander getrennt, ganz entsprechend der ursprünglichen hyali- nen Knorpelanlage.. Dazwischen kommen ausgebildete Glo- meruli mit kleinen zackigen Knochenhöhlen vor, welche abwärts zahlreicher und stellenweis ausschliesslich auftreten, die Glome- ruli erscheinen vollständig von einander getrennt, auch auf Längs- und schief gegen die Axe gelegten Knochenschnitten; man bemerkt auch nicht, dass sie mit der lamellösen Knochensub- 608 N. Lieberkühn: stanz zusammenhängen. Noch weiter gegen die Rose hin sind viele Glomeruli mit einander verschmolzen, oder es sind Kno- chenpartien, welche drei oder mehreren Knochenhöhlen ent- sprechen; an einigen erkennt man noch bei starker Vergrösse- rung die ursprünglichen Grenzen der Glomeruli. (Fig. 5.) An anderen Stellen ist auch die interstitielle Knochensubstanz voll- ständig homogen und ohne eine Andeutung einer Entstehung aus Knorpel. Diese Beobachtungen lehren, dass hyaliner Knorpel in Knochen übergeht mit allen den Erscheinungen, wie sie bei der ÖOssification des Knorpels an den Diaphysen gefunden werden, ohne dass die von Heinr. Müller und Anderen be- schriebene Einschmelzung der Knorpelhöhlen vorkommt. Dies ist einfach deshalb nicht der Fall, weil keine Markräume am Ossi- ficationsrand gebildet werden. Denn das ist der einzige Unter- schied zwischen dem hier gebildeten Knochen, welcher später durch und durch compact ist und zwischen der aus hyalinem Knorpel hervorgegangenen Knochensubstanz der Röhrenkno- chen. Bei diesen wird der Vorgang für die Beobachtung dadurch erschwert, dass bei der fortschreitenden Vergrösserung der Mark räume Knochensubstanz in den verschiedensten Bildungsstadien resorbirt wird, nämlich nach der Markhöhle zu vollendeter Knochen und weiter nach aufwärts in der Bildung begriffener, im Stadium der Glomeruli und der noch rundlichen Knorpel- höhlen. Ich behauptete nun, der hyaline Knorpel ginge hier ebenso in spongiöse Knochensubstanz über, wie beim Geweihe, bei welchem zuerst ein poröses Knochengerüst aus hyalinem Knor- pel entsteht. Gegenbaur meint hingegen, dies sei nicht der Fall; er sagt Seite 345: „Wir haben in einem bestimmten Ab- schnitte des Knochens eine Summe von Hohlräumen, die durch Knorpelsubstanz theilweise von einander getrennt sind, in den Hohlräumen selbst dicht gedrängt liegende Zellen, welche nicht gut anders denn als Abkömmlinge von Knorpelzellen zu deu- ten sind. Von diesen Zellen oder vielmehr von der Schicht derselben, welche dem übrig gebliebenen Gerüste von ver- kalkter Intercellularsubstanz enge und continuirlich aufgela- gert sei, gehe die Bildung der Knochensubstanz aus.“ Hierge- Ueber Knochenwachsthum. 609 gen ist zu bemerken, dass Präparate mit solchen Hohlräumen allein nicht darstellbar sind, sondern dass immer zugleich in der Bildung begriffener Knochen auftritt. Ferner sagt Ge- genbaur ganz richtig, die dem Knorpelgerüst dicht aufge- setzte Knochensubstanz bilde anfänglich, so lange sie noch dünn sei, eine Wiederholung der Sculpturverhältnisse des Knochengerüstes; nach und nach werde dies Verhältniss ge- stört, indem die Knochensubstanzschichte an einzelnen Stellen dicker werde und zwar meist an jenen Stellen, welche den tiefen Einbuchtungen des Knorpelgerüstes entsprächen. Woher entsteht nun diese Schicht von Knochensubstanz? fragt Ge- genbaur. Einmal kann, so meint er, wenn auch nur bei Beobachtung der ersten Stadien, daran gedacht werden, dass sie aus einer Umwandelung eines Theiles des Knorpelgerüstes hervorgeht, dass etwa die oberflächlichste Lage jenes Gerüstes sich in eine homogene und festere Masse umbildete. Diese Annahme, heisst es, wird durch zwei Thatsachen sehr bald beseitigt. Die Untersuchungen von Längsschnitten zeigen nämlich, dass das Gebälke von Knorpelsubstanz an den Ab- schnitten, wo nur eine dünne Schichte von Knochensubstanz ihm aufgelagert sei, nicht stärker erscheint, als an jenen Ab- schnitten, wo die Knochensubstanz-Lamelle bereits ansehn- lichere Dimensionen gewonnen hat, sowie es andererseits an letzterem Orte nicht schwächer als an ersterem ist; es können also, so schliesst der Verfasser, deshalb die Knorpelreste an der Bildung der ersten Knochenlamellen nicht activ betheiligt sein. Um diesen Schluss aufrecht zu erhalten, müsste erwie- sen sein, dass an der Stelle, wo jetzt Knochen ist, nicht frü- her vor der Ossification Knorpel war. Oder es müsste nach- gewiesen werden, dass die von Markzellen u. s. w. erfüllte Höhle sich an dieser Stelle gerade um so viel verkleinert habe, als der Balken dicker geworden ist. Dasselbe muss ich in Betreff der zweiten Thatsache bemerken, welche gegen die Betheiligung des Knorpels sprechen soll: sie liege in der Veränderung der gegen die Zellenschicht gekehrten Oberfläche der Knochensubstanz. An dieser Fläche ergäben sich beim Vergleiche von Querschnitten, die verschiedenen Höhen ent- 610 N. Lieberkühn: nommen seien, Verdickungen. Die aufeinander folgenden Knochenlagen sind gar nicht direct zu verwerthen, sondern nur dann, wenn die von ihnen begrenzte Höhle, wie vorhin in Betracht gezogen wird. Die Verdickung der Knochensub- stanz kann auf Kosten des angrenzenden hyalinen Knorpels entstanden sein. Bei der Untersuchung der Periostknochenschichten stiess Gegenbaur auf eine häufig vorkommende auffallende Erschei- nung, dass nämlich die Knochensubstanz auf Schnitten in zahl- reiche, dicht an einanderliegende, rundliche Gebilde geschieden ist. Wie Gegenbaur angiebt, erscheinen zwischen den ver- schiedenen grossen runden Körpern feine, nur da, wo drei oder mehr von ersteren zusammentreten, breitere Lücken, in welche von den Knochenzellen aus Fortsätze hin und wieder verfolgt werden können. Die Knochenzellen selbst sind von solchen kugelartigen Gebilden umgeben. Gegenbaur findet diese Erscheinung ähnlich der, welche Fig. 15, T. XIX, 1863, im Archiv für Anatomie und Physiologie zu meiner Abhandlung gegeben ist von dem Querschnitt eines kindlichen Seitenbeines ; Gegenbaur glaubt, dass es sich deshalb um kugelartige Kör- per handele, weil sie sowohl auf Quer- als Längsschnitten vorhanden sind. Ohne die von Gegenbaur geschilderte Erscheinung bezweifeln zu wollen, muss ich doch hervorheben, dass der von mir dargestellte Sachverhalt häufig vorkommt, und von Neuem mit grosser Deutlichkeit an den Kopfknochen junger Rehe in der Umgebung der Nähte beobachtet ist. In den beigegebenen Abbildungen ist Fig. 7 ein Schnitt darge- stellt, welcher an einem mit Chromsäure behandelten Präpa- rate durch die an einander stossenden Ränder des Stirn- und Seitenbeines nahezu parallel der Oberfläche und mitten durch die Naht geführt ist. In der Mitte des sogenannten Naht- knorpels erscheint die Bindesubstanz bei der hier angewand- ten schwachen Vergrösserung homogen, gegen die Ränder des Knochens dagegen streifig, so zwar, dass die Streifen von der Mitte der Naht aus, oder von der homogenen Substanz ihren Anfang nehmen und sich eine Strecke weit in mehr oder we- niger gerader Richtung in die Knochensubstanz hinein fort- Ueber Knochenwachsthum. 611 setzen, wo man sie für längsgetroffene Lamellen halten könnte, zwischen denen sich die Knochenkörper hinziehen. Bei stär- kerer Vergrösserung erkennt man in der homogenen structur- losen Substanz zahllose Bindesubstanzkörper, die sich in die Streifen hinein fortsetzen und in dem Knochen die Form der Knochenkörper annehmen. Die Grenze zwischen Knochen und streifiger Bindesubstanz wird durch das verschiedene Licht- brechungsvermögen beider klar bezeichnet, durch Auffaserung wird das Gewebe fibrillär, wie geformtes Bindegewebe. Querschnitte zeigen die oben erwähnten kreisförmigen Figuren dicht gedrängt bei einander; wo ihrer mehrere zusammenstos- sen, liegen die Knochenkörper; die Durchmesser der Kreise sind gerade so gross, wie die Entfernung der Streifen des Längsschnittes von einander beträgt. Schief gegen die Axe gelegte Schnitte erweisen, dass es sich um eine ähnliche Er- scheinung handelt, wie sie bei den verknöcherten Sehnen be- schrieben ist; nur liess sich bei diesen zeigen, dass zwischen den einzelnen Strängen feine Bindesubstanzzüge sich befinden, welche durch Säuren sich isoliren lassen und als ein Waben- werk oder als Scheiden zurückbleiben, nachdem die fibrilläre Substanz zerstört ist. Auch hier beim Nahtknochen erscheint zuweilen zwischen je drei oder vier Bündeln noch ausser dem Knochenkörper eine durchsichtige Substanz, von welcher die auf dem Querschnitie hervortretenden Kreise ausgehen. Bei Schnitten, die mehr nach der Mitte zu vom Knochen entnom- men sind, wird die Erscheinung weniger deutlich. Die Bin- desubstanzstränge können nun in verschiedenen Richtungen ziehen; dann würde man jene kreisförmigen Figuren sowohl auf Längs-, als auf Querschnitten wahrnehmen. Dies kommt auch bei der Sehne vor; bisweilen ist eine solche in der Pe- ripherie von circulären Strängen umzogen, von denen Septa zwischen die Längsstränge der Sehne hineinziehen, statt der Septa können dies auch einzelne Stränge thun und erhält man alsdann gleichfalls auf Längsschnitten die kreisförmigen Fi- guren. Fig. 10. Mit besonderer Klarheit nimmt man die besprochene Er- seheinung an dem Cement des Pferdezahns wahr, das nach 612 N. Lieberkühn: allgemeiner Annahme ächte Knochensubstanz ist. Legt man den Backenzahn eines Pferdes so lange in verdünnte Salz- säure, bis die Knochenerden aufgelöst sind, und fertigt Schnitte aus dem oberen Theile parallel den Seitenflächen an, so tre- ten die kreisförmigen Figuren sogleich hervor und zwischen ihnen wie vorher die Knochenkörper. Hin und wieder wer- den nun die Inhalte der Kreise auffallend klein, die Kreis- linien dagegen auffallend stark, so dass man sogleich merkt, man hat es hier mit Bindesubstanzzügen zu thun, welche zwi- schen den Kreisen hinziehen: bei tieferer Einstellung des Fo- cus erweisen sich die Kreise als die Schnittflächen von Oylin- dern, mit anderen Worten, es handelt sich um einen ähnlichen Bau, wie wir ihn bei der verknöcherten Sehne kennen gelernt haben, Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Querschliff vom Oberschenkel einer jungen Taube, welche etwa 2 Wochen lang mit Krapp gefüttert und nach ebenso langer Aussetzung des Farbestoffes getödtet wurde; das Präparat ist nahe dem oberen Ende entnommen, Die rotlıen Ringe sind von dem Lu- men des Gefässcanales durch eine ungefärbte Knochenschicht getrennt, Fig. 2. Querschliff von demselben Knochen aus der Nähe der Mitte. Die gefärbte Schicht umgiebt das Lumen der Canäle. Sowohl in der Nähe des Umfanges des Knochens, als auch in der Nähe der Markhöhle ist ein Streifen Knochensubstanz gefärbt; die kleineren rothen Streifen, welche nach dem quergetroffenen Lumen der Gefäss- canäle hinziehen, sind Havers’sche Canäle im Längsschnitte. Fig. 3. Querschnitt von der Spitze eines frischen Stirnhöckers des Rehkalbes. In der Mitte hat die erste Ablagerung der Knochenerden stattgefunden in Form eines feinkörnigen Niederschlages.. Das Gewebe hat noch nicht das Aussehen des ausgesprochenen hyalinen Knorpels, Fig. 4. Querschnitt von der Spitze eines mit Salzsäure behandelten entbasteten Geweihes vom Rehkalb bei schwacher Vergrösserung. Man unterscheidet die vollendete Knochensubstanz im Umfange der Ha- vers’schen Canäle und die aus der Knorpligen Anlage hervorgegan- gene, welche den sonst vorhandenen interstitiellen Lamellen entspricht. Fig. 5. Ein solches Interstitium bei starker Vergrösserung. Nach oben und nach den Seiten hin grenzt sich die fertige Knochensubstanzg Ueber Knochenwachsthum. 613 scharf gegen den noch in der Verknöcherung begriffenen Knorpel ab. Die Kalkerde war überall schon in solcher Quantität abgelagert, dass sich Schliffe anfertigen liessen. Fig. 6. Mehrere solche Interstitien bei schwächerer Vergrösserung. Ein Theil der Lamellen läuft eine Strecke weit beinahe parallel dem Rande des noch in der Verknöcherung begriffenen Knorpels, ein an- derer Theil steht senkrecht darauf. Fig. 7. Naht zwischen den Seitenbeinen des Rehkalbes bei schwa- cher Vergrösserung; die dunkle Masse in der Mitte ist Bindesubstanz mit zahllosen kleinen Körperchen und homogener Grundsubstanz. Ge- gen den Knochenrand hin wird das Gewebe allmählich streifig; die Streifen laufen nach beiden Seiten in den Knochen hinein und setzen sich in diesem fort, so dass sie den Schein von parallel laufenden Lamellen annehmen, zwischen denen die Knochenkörper liegen. Chrom- säure-Präparat. Fig. 8. Das gestreifte Gewebe in Fibrillen aufgefasert. Fig. 9. Querschnitt davon am Rande des Knochens bei starker Vergrösserung. Wie bei der verknöcherten Sehne unterscheidet man quergetroffene Stränge, welche durch feine Septa von einander getrennt sind, die stärker erscheinen an den Berührungsstellen und die Binde- substanzkörper enthalten. Fig. 10. Querschnitt von einer verknöcherten und mit Salzsäure behandelten Sehne des Puters. In der Peripherie laufen Bindegewebs- züge kreisförmig zu den Längssträngen und durchflechten diese, so dass das Ansehen von lamellöser Knochensubstanz entsteht. Anmerkung. Die obigen Untersuchungen über die Färbung der Knochen mittels Krapp sind zu einem Theil bereits in einem Fest- vortrage zur Feier des 69. Stiftungstages des medieinisch-chirurgischen Friedrich-Wilhelms-Instituts am 2. August 1863 mitgetheilt worden. 614 Dr. J. Bernstein: Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen Herznervensystems. Von Dr. J. BERNSTEM in Berlin. Eduard Weber’s grosse Entdeckung, dass der vom ver- längerten Mark zum Herzen gehende Vagusnerv im Stande ist, durch seine Erregung die Herzpulsationen zu hemmen und selbst vollends aufzuheben, hat zuerst die innige Beziehung zwischen Oentralnervensystem und Herz klar dargethan. Zwar ist die Autonomie desselben hierdurch im Prineip nicht ange- tastet worden, wohl aber streng bewiesen, dass dem Gehirn ein merklicher Einfluss auf das Herz zukomme. Dieser Ein- fluss ist fortdauernd vorhanden und besteht in einer gewissen Zügelung der Herzbewegung, die in stürmischer Weise zu- nimmt, sobald derselbe nach Durchschneidung der Vagusner- ven aufhört zu wirken. Daher hat Traube mit vollem Recht das Centrum dieser Nerven ein regulatorisches genannt. Seit dieser Entdeckung waren die Bemühungen der For- scher der entgegengesetzten Richtung zugewandt, nämlich Ner- venbahnen zu finden, auf denen vom Gehirn und Rückenmark Anregungen zur Bewegung zum Herzen geleitet werden. In umfassender Weise hat in jüngster Zeit v. Bezold!) diesel- ben im Sympathicus nachgewiesen. Nach seinen Versuchen soll der die Wirbelsäule begleitende Grenzstrang des sympa- thischen Nerven während seines ganzen Verlaufes durch die 1) Untersuchungen über die Innervation des Herzens. Leipzig 1863. Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 615 Verbindungsäste vom Rückenmark her solche Nervenfasern aufnehmen und dieselben von allen seinen Puncten zum Her- zen hin senden. Der Ursprung dieser Fasern soll im verlän- gerten Mark gelegen sein. Diese Lehre, kaum entstanden, ist auch schon von gewichtiger Seite angegriffen worden.!) Hiernach sollen die Bezold’schen Ergebnisse sich durch den Einfluss des Sympathicus auf den Gefässtonus erklären lassen, der indirect durch das Blut wiederum auf das Herz wirkt. Soviel steht indess fest, dass wenn auch den Bezold’schen Versuchen die genügende Beweiskraft abgesprochen wird, das Thatsächliche derselben doch über allen Zweifel erhaben ist. Dies ist für die vorliegende Untersuchung in sofern von Wich- tigkeit, als in derselben einige Experimente die Bezold’schen Thatsachen theils nebenher bestätigen, theils als richtig vor- aussetzen. Die vorliegende Untersuchung beschäftigt sich zunächst mit denjenigen Einwirkungen, die auf das Herz von anderen Or- ganen des Körpers aus stattfinden. Dieselben wurden von Fr. Goltz vor einigen Jahren zuerst in exacter Weise nach- gewiesen. Es sind zwar derartige Versuche schon in früherer Zeit namentlich von Budge?) angestellt worden, indess mit so inconstantem Erfolge, dass dieselben auf Exactheit keinen Anspruch machen können. Budge beobachtete, dass wenn er die Baucheingeweide des Frosches mit elektrischen Strömen reizte, zuweilen eine beträchtliche Verlangsamung des Herz- schlages eintrat, zuweilen aber keine Wirkung sich zeigte. Hauptsächlich ist es aber ein Versuch, der in seiner Ausfüh- rung an dem dieser Untersuchung zu Grunde liegenden Ex- perimente ziemlich nahe vorbeistreift. Budge setzt die Elek- troden auf die grossen Gefässe in der Nähe der Nieren auf und bemerkt bei der Reizung bedeutende Verlangsamung und in einem Falle Stillstand des Herzens in Erschlaffung. Nach- dem er das verlängerte Mark dieses Frosches zerstört hatte, blieb 1) Ludwig und Thiry, Wiener Sitzungsberichte, 18. Febr. 1864; Centralbl. f. d. med. Wissensch, 1864. No. 17. S. 263. 2) S. Wagner’s Handwörterbuch der Physiol. Bd. 3. S. 430. 616 Dr. J. Bernstein: der Einfluss der eintretenden Reizung auf das Herz aus. Es ist unzweifelhaft, wie dies aus der nachfolgenden Untersuchung erhellt, dass in diesem Falle der die grossen Gefässe beglei- tende Stamm des Sympathicus erregt worden ist. Diesen unsicheren Ergebnissen hat Goltz!) das erste Er- forderniss der Wissenschaftlichkeit, die Constanz der Erschei- nung geliehen. Er zeigte, dass nach mechanischer Reizung des Darmes, die man am einfachsten durch Klopfen der Bauch- decken mittelst eines Spatels erzielt, jedesmal Stillstand des Herzens in Diastole erfolgt, ferner dass diese Einwirkung durch die Bahn der Vagusnerven zu Stande kommt und dass die hierbei direct erregten Nervenfasern von einer gewissen Höhe ab ins Rückenmark eintreten, um sich im verlängerten Mark mit dem Oentrum der Vagi zu verbinden. Diese von der Peripherie der Darmnerven zum Centrum geleitete und von dort in die Peripherie der Herznerven zurückgeworfene Erregung kann man nach anderweitiger Analogie mit Recht eine reflectorische zu nennen. Der erste Theil dieser Arbeit beschäftigt sich damit nach- zuweisen, dass der Grenzstrang des Sympathicus Fasern ent- hält, deren Reizung reflectorisch auf die Herznerven des Vagus wirkt. Diese Fasern sind es auch, welche beim Goltz’schen Klopfversuch an ihren peripherischen Enden mechanisch ge- reizt werden. In dem zweiten Theil der Arbeit soll gezeigt werden, welche Bedeutung diesen Nervenfasern des Sympathicus im Organis- mus zukommt. Es ergiebt sich dabei die für die Natur der Nervencentra wichtige Thatsache, dass das Centrum der Vagi im verlängerten Mark kein durch sich selbst, ohne Anregung von Aussen wirkendes, also kein automatisches sei, vielmehr ein reflectorisches genannt werden muss. I. Der Grundversuch, der den Ausgangspunct dieser ganzen Untersuchung bildet, besteht darin, durch Reizung des Sym- 1) Vagus und Herz. Virchow ’s Archiv u. s. w. Bd. XXVI. S.1—33. Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 617 pathicus Stillstand der Herzbewegung hervorzurufen. Derselbe gelingt beim Frosche mit derselben Leichtigkeit, vielleicht mit grösserer als die Reizung des etwas mühsamer zu präparirenden Vagus. Es ist nämlich beim Frosche möglich, was bei Säuge- thieren nicht zutrifft, den Grenzstrang des Sympathicus in der Bauchhöhle isolirt elektrisch zu reizen. Diesen Umstand ver- danken wir hier dem etwas abweichenden Verlauf dieses Ner- ven von dem bei Säugethieren. Derselbe') verlässt nämlich am dritten Wirbel die Rippenköpfchen, an die er sich bis da- hin anheftet, und begleitet an beiden Seiten die herabtretenden Aorten, bis dahin, wo dieselben sich zur Bauchaorta vereini- gen. Innerhalb dieser Strecke verlängern sich die zu den Zwischenwirbellöchern abgehenden Verbindungsäste beträcht- lich und gestatten daher dem Grenzstrang freie Beweglichkeit. Dieses Stück des Nerven kann leicht isolirt der elektrischen ‚Reizung ausgesetzt werden. Ich bediene mich hierzu kleiner Drathelektroden aus Kupfer von 5—4 Mm. intrapolarer Strecke, die auf der Strom zuführenden Vorrichtung beweglich ange- bracht sind, da das immerhin kurze Nervenstück den Gebrauch der Platinschaufeln nicht gestattet. Der Versuch wird folgen- dermassen ausgeführt. 1. Versuch. Man befestige einen. Frosch auf dem Rücken, öffne die Bauchhöhle und entferne die Eingeweide nebst Lun- gen, so dass nur das auf der Speiseröhre ruhende Herz übrig bleibt. Spaltet man nun das untere Blatt des Bauchfells, so hat man den die Aorten begleitenden Grenzstrang beiderseits vor sich. Nun durchschneide man beide Aorten so hoch als möglich und löse sie vorsichtig nach unten hin bis zu ihrer Vereinigung vom Nerven ab. Hier durchtrenne man die nach unten hingehenden Gefässe und Nerven und man kann nunmehr beide Grenzstränge an den beiden Aorten, die mit ihnen durch Bindegewebe zusammenhängen, von der Wir- belsäule abheben. Damit dies in genügender Weise geschehe, schneide man die etwas kurzen Verbindungsäste zum siebenten und wenn nöthig auch die zum sechsten Wirbel durch, und 1) S. Ecker. Icon. pbys. tab. XXIV. Fig. II. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 40 618 Dr. J. Bernstein: lege die Nerven auf die Elektroden. Reizt man dieselben als- dann durch die Ströme der secundären Spirale eines Magnet- elektromotors, so erfolgt ausnahmslos Stillstand des Herzens im Zustande der Erschlaffung. Als Beispiel diene Folgendes: Grosser Frosch. Sympathicus präparirt, auf die Elektroden gelegt, . Rollenabstand 160. t Apzuh a ehaEHT> ERRENSen | vor | während nach | Reizung. 1 Uhr 42 Min. - 13 ee et lnggsigie 2 Byasehet 12 Dessen) 14 Zwischen je zwei Zählungen einer Reihe liegt hier wie in allen folgenden Versuchen der Art der Zeitraum von einer Minute. Das Aufhören der Herzpulsationen erfolgt nicht augen- blicklich mit dem Eintritt der Reizung. Es vergehen noch 2— 3 Pulsationen bis das Herz in vollkommener Erschlaffung still steht. Ebenso hält die Nachwirkung der Reizung ziemlich lange an. In der ersten Reihe des angeführten Versuches z. B. trat die erste Pulsation erst 12 Secunden nach Aufhören der Reizung ein. Während des Stillstandes bemerkt man kei- nerlei Zuckungen einzelner Muskelfasern des Herzens, wohl aber löst jede mechanische Reizung desselben eine einmalige Contraction aus, auf die wieder vollkommene Ruhe folgt. Bei der geringen Entfernung, in welcher sich das Herz von den der Reizung ausgesetzten Nerven befindet, musste zunächst jede Wirkung etwaiger Stromschleifen ausgeschlossen werden. Dies geschieht, wie folgender Versuch lehrt, bei der Kürze des Nerven am besten durch Unterbindung mit einem nassen Faden. Versuch 2. Grosser Frosch, Symp. präparirt, auf die Elektroden gelegt. Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 619 Rollenabstand: 160. Pulse in 20 Sec. 2 nach vor während x 4 Reizung. Nerv zwischen Elektroden und Wirbel- säule unterbunden. 1 Uhr 25 Min, a) 10 10 Das nicht abgebundene Stück des Ner- ven auf die Elektroden gelegt. | pr. 23 Min. 1, 10. |. 0 | 10 1 Uhr 20 Min. 10 | 0) 10 Es ist also eine Wirkung von Stromschleifen, die das Herz oder dessen Vagusfasern direct treffen könnten, nicht im Spiele, vielmehr muss sich die Erregung in der Bahn des Sympathieus fortpflanzen. Wir werden zunächst zeigen, dass dieselbe auf einem Umwege zum Herzen gelangt und dass es schliesslich der Vagus ist, der sie auf dasselbe überträgt. Versuch 3. An einem Frosche werden beide Vagi frei- gelegt und dann einer durchschnitten. Sympath. präparirt, auf die Elektroden gelegt. Rollenabstand 160. Anzahl der Pulse in 20 See. vor | während ren 3 Uhr 12 Min. 10 | 0 | 10 Der andere Vagus durchschnitten, 3 Uhr 15 Min. 10 | 10 | 10 Die Durchschneidung eines Vagus vereitelt demnach den Erfolg des Versuches noch nicht, sind aber beide Vagi durch- schnitten, so hat die Reizung gar keinen Einfluss mehr auf das Herz. Es muss also die Erregung der Sympathicusfasern auf ir- gend einem Wege die Vagusnerven treffen. Dies könnte ent- weder im verlängerten Mark am Ursprung des Vagus gesche- hen oder ausserhalb des Wirbelcanals am Ganglion dieses Nerven, mit dem der Sympath.-Stamm in Verbindung tritt. Fol- gender Versuch entscheidet hierüber, 40* 620 Dr. J. Bernstein: Versuch 4. Symp. eines Frosches in gewöhnlicher Weise präparirt und auf die Elektroden gelegt. Rollenabstand 160. Pulse in 20 Sec. ! | vor | während Be 12 Uhr 10 Min. 10 | 0 | 10 Med. oblong. zerstört. | 12 Uhr 15 Min. | 11 11 | il Es ist hiernach unzweifelhaft, dass diejenigen Fasern des Grenzstranges, deren Erregung Herzstillstand erzeugt, im ver- längerten Mark endigen und wahrscheinlich in die centralen Ganglien des Vagus eintreten. Hierhin können sie nur durch die Verbindungsäste des Grenzstranges mit den Spinalnerven gelangen, durch welche sie in das Rückenmark geführt wer- den, um hier zum verlängerten Mark aufzusteigen. Es wäre nun die nächste Frage, wo dieser Eintritt in das Rückenmark stattfindet. Hierauf werden wir die entscheidende Antwort erhalten, wenn wir unsern Versuch in gewohnter Weise anstellen, während das Rückenmark an verschiedenen Stellen durchschnitten ist. Liegt die Durchschneidung unter- halb der Eintrittsstelle, so wird sich der bekannte Einfluss aufs Herz zeigen, liegt sie oberhalb, so wird er ausbleiben. Stellt man Versuche in dieser Weise an, so findet man, dass eine Durchschneidung des Rückenmarkes zwischen vier- tem und fünftem Wirbel die Wirkung der Sympath.- Reizung kaum beeinträchtigt, nur ist der Herzstillstand sicht so an- dauernd wie gewöhnlich. Hat man zwischen drittem und vier- tem Wirbel durchschnitten, so ist vollkommene Ruhe des Her- zens nicht mehr zu erzielen, dagegen tritt ganz deutlich eine geringe Verminderung der Pulsfrequenz ein, die z. B. in einem Versuche von 11 auf 9 in 20 Sec. herabging. Durchschneidet man noch höher, so erhält man bei Reizung des Grenzstranges kaum sichtbare Wirkungen auf das Herz. Mithin tritt die überwiegende Mehrzahl der betreffenden Fasern in der Gegend des dritten bis sechsten Wirbels in das Rückenmark ein. Hier vertheilen sich dieselben auf die Verbindungsäste, welche zum Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 621 Rückenmark abgehen. Es scheinen indess auch höher hinauf noch einige Fasern im Grenzstrange vorhanden zu sein. In einem Versuche wurde der Grenzstrang über dem Nerv. bra- chial. an beiden Seiten durchschnitten. Um dies bequem aus- zuführen, entferne man den Unterkiefer des Frosches, durch- schneide die Speiseröhre an der einen Seite mit den darauf liegenden Theilen und klappe sie nach der anderen Seite um. Hierdurch ist der obere Theil der Wirbelsäule nebst Grenz- strang gut zugänglich. Das Herz hängt mit dem verlängerten Mark nur noch durch einen Vagus zusammen, der andere ist mit durchschnitten. Folgendes ist das Ergebniss dieses Ver- suchs. Versuch 5. Frosch in der gewöhnlichen Weise präparirt, „Oesophagus links durchschnitten und umgeklappt. Rollenab- stand 160. Symp. auf die Elektroden gelegt. | Anzahl der Pulse in 15 Sec. | vor | während A 1 Uhr 30 Min, | 10 Tas IN0RaE Sympath, über den Nerv. brach, bei- derseits durchschnitten, | 1 Uhr 35 Min, 10 In den er- 10 sten 5 Sec. | 3 Pulse, | dann 10 Sec. 0 | Pulse, Es besteht demnach ein Unterschied der Wirkungen, welche die Reizung des Grenzstranges auf das Herz ausübt, vor und nach der Durchschneidung desselben oberhalb des Nerv. brach., obgleich derselbe nur gering ist. Während bei der ersten Rei- zung des letzten Versuches der Stillstand des Herzens in der gewöhnlichen Weise erfolgte, setzte das Herz bei der zweiten Reizung seine Pulsationen noch bis zum Ende der ersten 5 Sec. fort und verharrte nur 10 Sec. in Ruhe. Dieser Unterschied kann nur davon herrühren, dass auch noch in der Höhe der ersten beiden Wirbel sympathische Fasern ins Rückenmark ein- 622 Dr, J. Bernstein; treten, die auf das Centrum des Vagus wirken, wenn dieselben hier auch nur in geringer Anzahl vorhanden sind. Alle diese Nervenfasern, die sich in der Bauchhöhle im Stamme des Sym- pathicus in einer wahrscheinlich nicht unbeträchtlichen Zahl sammeln, steigen also mit dem Grenzstrange aufwärts, indem sie sich allmählich durch die Rami communicantes einen Weg in das Rückenmark bahnen. Ihre letzten sparsamen Ausläufer senden sie den ersten Zwischenwirbellöchern zu. Insgesammt aber treten sie zur Medulla oblong., sei es nun, dass sie di- rect in den Ganglienzellen des Vaguscentrum endigen oder in- direct mit demselben in Verbindung stehen. Reize, welche von ihnen centripetal geleitet werden, müssen daher den Vagus reflectorisch in, Erregung versetzen. Ich werde daher diese Fasern wegen dieser Eigenschaft, um sie kurz zu bezeichnen, die Reflexfasern des Vagus nennen. . Diese Fasern gehen nun in der That innerhalb des Central- Nervensystems über das verlängerte Mark nicht hinaus. Dies kann man durch den Versuch direct darthun. Es lässt sich nämlich die Hemmung der Herzpulsationen in der beschrie- benen Weise noch ausführen, nachdem man zwischen Gross- hirn und Sehhügel einen Schnitt gemacht und auch dann noch, wenn man die Sehhügel vom verlängerten Mark abgetrennt hat. Geht man mit parallelen Querschnitten vom Gehirn aus abwärts, so kann man bis zur Grenze zwischen Lobi optici. und verlängertem Mark durchdringen, ohne dass die Hem- mungswirkung des Sympathicus aufs Herz auch nur im Min- desten beeinträchtigt wird. Hat man aber diese Grenze er- reicht, so wird der Erfolg des Versuches sehr bald in erheb- lichem Maasse gestört und über einen gewissen Punct hinaus gänzlich vereitelt. Dies beweist auf das Unzweifelhafteste, dass das verlängerte Mark der Ort ist, an welchem die Re- flexfasern des Vagus ihr centrales Ende erreichen. Mit dem Hirn haben sie Nichts mehr zu thun. Weniger leicht und präcise als die centralen Enden jener Nervenfasern lassen sich die peripherischen Enden derselben experimentell auffinden. Dies wäre in der That eine sehr schwierige Aufgabe, wenn nicht durch den von Goltz ange- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s, w. 623 stellten Klopfversuch der richtige Weg bereits bezeichnet wäre. Wenn man das Verhalten der Reflexfasern des Vagus, ihre Wirkungsweise aufs Herz und ihr anatomisches Verhältniss zum Rückenmark nnd verlängerten Mark ins Auge fasst, so liegt die Vermuthung sehr nahe, dass dies dieselben Nerven- fasern seien, deren peripherische Enden bei der mechanischen Reizung des Darmes erregt werden. Goltz hat nachgewiesen, dass die mechanische Reizung des Darmcanals auf reflectori- schem Wege den Vagus in Thätigkeit versetzt. Das Herz bleibt hierbei jedesmal in Diastole stehen. Diese Wirkung bleibt indess aus, wenn man das Rückenmark in der Höhe des dritten Wirbels durchschnitten hat. Hier müssen also be- reits diejenigen Nervenfasern, welche den Herzstillstand ver- anlassen, in den Wirbelcanal eingetreten sein. Die Goltz’- schen Versuche bewiesen ferner, dass das verlängerte Mark das centrale Ende dieser Fasern ist und ihre Erregung auf die Vagi überträgt. Vergleicht man diese Thatsachen mit den oben angeführten, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich in beiden Fällen um ein und dieselben Nervenfasern handle, eine sehr grosse. Die Bahnen, welche sie verfolgen, lenken beide Male in derselben Höhe ins Rückenmark ein, denn auch nach unseren Versuchen enthalten die Verbindungsäste zum dritten bis sechsten Rückenmarksnerven die Hauptmasse der Reflexfasern des Vagus; und innerhalb des Rückenmarks ver- folgen sie denselben Weg und wirken in derselben Weise. Zur völligen Gewissheit aber erhebt sich diese nahe liegende Ver- muthung durch die Versuche, die wir nunmehr anführen wer- den und die zeigen sollen, dass die Reflexfasern des Vagus in peripherischer Richtung dem Darme zustreben. In den oben beschriebenen Versuchen habe ich die Rei- zung des Sympathicus immer von einer bestimmten Höhe seines Verlaufes ab unternommen. Der Grenzstrang wurde zu diesem Zwecke dort, wo er beiderseits zur Aorta abdomi- nalis tritt, durchschnitten und nach oben hin präparirt. Die Reizung einer jeden Stelle oberhalb des Durchschneidungs- punctes lässt den bekannten Erfolg eintreten. Es frägt sich aber nunmehr, ob auch unterhalb dieses Punctes derselbe Er- 624 Dr. J. Bernstein: folg durch Reizung des Grenzstranges erzielt werden kann oder nicht. Der Grenzstrang begleitet nach abwärts die Bauchaorten zu beiden Seiten und lässt sich sehr gut nach Abtrennung einiger Verbindungsäste auf die Elektroden legen. Ich habe zu wiederholten Malen den Versuch in der Weise angestellt, aber nie habe ich während der Reizung den geringsten Ein- fluss auf die Herzpulsationen beobachtet. Schob ich indessen die Nerven soweit hinauf, bis jener Punct, an welchem ich in den früheren Versuchen die Nerven durchschnitt, zwischen die Elektroden kam, so trat in demselben Moment die Wir- kung auf das Herz in überraschender Weise ein. Von hier ab konnten also erst jene Reflexfasern des Vagus in den Grenz- strang eintreten. Um nun das entscheidende Experiment anzustellen war jetzt Nichts weiter nöthig, als nach Durchschneidung des Grenzstranges kurz oberhalb der bezeichneten Stelle, an wel- cher die Reflexfasern des Vagus eintreten müssen, den Goltz’- schen Klopfversuch auszuführen. Versuch 6. Einem auf dem Rücken befestigten Frosche wird die Bauchhöhle geöffnet und das Herz freigelegt. Durch Klopfen des Dünndarms wird das Herz zum Stillstand gebracht. Alsdann wird der Grenzstrang beiderseits, nachdem man das Bauchfell gespalten, ohne Verletzung anderer Organe an der erwähnten Stelle durchschnitten. Nachdem das Herz seine Pulsationen wieder begonnen, wird der Klopfversuch in der- selben Weise wie vorher nochmals wiederholt. Indess diesmal ist er ohne Erfolg; das Herz pulsirt in demselben Rhythmus weiter. Auch giebt der Frosch kein Zeichen von Schmerz dabei zu erkennen. Es kann hiernach über die Identität der Nervenbahnen, in denen bei mechanischer Reizung des Darmes die Erregung sich fortpflanzt, und der Reflexfasern des Vagus kein Zweifel mehr herrschen. Diese Fasern werden beim Goltz’schen Klopfversuch an ihren peripherischen Enden gereizt, denn der Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 625 Versuch gelingt nicht mehr, sobald sie im Grenzstrange durch- schnitten sind. Zwischen Grenzstrang und Darmcanal müssen nun noch ferner Nerven gefunden werden, welche die Verbindung dieser beiden Stationen bilden. Goltz hat im Mesenterium keine Nerven entdecken können, deren elektrische Reizung eine ent- fernte Wirkung aufs Herz ausübte in dem Sinne wie der Klopf- versuch. Die ersten Anfänge dieser Nerven schienen daher auf wunderbare Weise verborgen oder gar unempfindlich für elektrische Reize. Auch dieses Räthsel ist gelöst. An der Stelle, wo die Aorten sich vereinigen, dringt zugleich mit der daselbst entspringenden Art. mesent. ein ansehnlicher sym- pathischer Ast aus den beiden Grenzsträngen in das Mesen- terium ein. Derselbe begleitet das Blutgefäss in seinem Ver- laufe, giebt Aeste an das Ganglion coeliacum ab und verzweigt sich mit den Gefässen, um Dünndarm und Magen zu versor- gen. Ein Zweig desselben lässt sich schon mikroskopisch sehr deutlich bis in die Nähe des Magens verfolgen. Dieser Nerv nun enthält, wie der Versuch zeigen wird, einen Theil der- jenigen Nervenfasern, um welche es sich hier handelt. Ich werde ihn zur Bezeichnung den N. mesentericus nennen. Versuch 7. Ein Frosch wird auf dem Rücken befestigt, die Bauchhöhle geöffnet und das Herz freigelegt. Der N. mesentericus wird an einer Stelle möglichst entfernt, vom Ur- sprung an mit einem Faden umschlungen und, um ihn vor Austrocknung zu schützen, mit der Art. mesent. nach dem Centrum hin frei präparirt. Um die Elektroden bequemer an- zubringen, werden Leber, Magen und Darm entfernt. Rollenabstand 85, kleiner Magnetelektromotor. N. mesent. auf die Elektroden gelegt. | Pulse in 20 Sec. vor | während | ishReh eizung, 12 Uhr 14 Min. 7 | 0 | 9 Rollenabstand: 125. 12 Uhr 18 Min, 8 | 10) | 8 626 Dr. J. Bernstein: Die Reizung dieses Nerven liefert also dasselbe Resultat wie die Reizung des Grenzstranges selber: das Herz hört auf zu pulsiren und steht in Diastole still. Erst nachdem jener Nerv in den Grenzstrang eingetreten, erhält letzterer die Eigen- schaft, welche wir in den früheren Versuchen an ihm erprobt haben. Unterhalb dieser Stelle ist keine Spur einer Wirkung auf das Herz zu erreichen, Hiermit liegt der Verlauf, den die Reflexfasern des Vagus nehmen, klar am Tage. Die Lücke, welche der Goltz’sche Klopfversuch zwischen Darm und Rückenmark liess, ist aus- gefüllt und dieser Versuch selbst in eine exactere Form ge- bracht. Die Nervenfasern, welche hierbei betheiligt sind, treten aus ihrer räthselhaften Verborgenheit hervor und theilen die Eigenschaft aller übrigen Nerven, durch Elektricität erregt zu werden. | | Ich habe es auch nicht unterlassen, die chemische Reizung dieser Nerven zu versuchen. Ich verwandte zu diesem Zwecke gesättigte Kochsalzlösung, bin aber hiermit nicht zu dem Re- sultate gelangt, das ich glaubte auch mit chemischen Reizen erreichen zu können. Ich will einen Versuch aufführen. Versuch 8. Grosser Frosch, Sympath. mit N. mesent. präparirt. Pulse in 1 Minute. 1 Uhr40 Min. un 50 en EN A 10 ee ie N Das Ende des Nerven wird in ClNa- Lösung gelegt. 17. 1Jhr 547. Mina 2.2740 ee RO Das eingetauchte Nervenstück wird abgeschnitten. 1 Ulr 52 Min. 729.949 Man sieht aus diesem Versuche, dass während der Koch- salzreizung allerdings eine beträchtliche Abnahme der Puls- frequenz stattfindet, aber einen vollständigen Stillstand des Herzens, wie ich ihn erwartet habe, konnte ich niemals be- obachten. Es ist möglich, dass chemische Reize, welche die Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 697 motorischen Nerven der quergestreiften Muskelfasern erregen, nicht in derselben Weise auf sympathische Fasern wirken und dass es specifische Substanzen giebt, die es in erhöhtem Masse thun. Ich habe diese Frage nicht weiter verfolgt, und es wäre einer besondern Untersuchung werth, das Verhalten sympa- thischer Fasern zu chemischen Reizen zu prüfen. Was mechanische Reize anbetrifft, so wirken diese hier in demselben Masse wie auf andere Nervenfasern. Man stelle ein Präparat zu Versuch 1. her und führe um den Sympathi- cus mit einem Faden eine Schlinge. Schnürt man nun diese plötzlich fest zu, so erfolgt ein Herzstillstand, der mehrere Secunden (5—10) anhält. In derselben Weise lässt sich auch der N. mesentericus mechanisch reizen. Ihrer Natur nach entsprechen die Reflexfasern des Vagus den sensibeln Nerven der Haut. Wie diese von der äusseren Peripherie des Körpers Empfindungen zum Nervencentrum leiten, so leiten jene sie dorthin von der Peripherie innerer Organe. Auch darin scheint eine Analogie dieser beiden ' Nervengattungen obzuwalten, dass sie-beide an ihren Enden hauptsächlich für mechanische Reize empfänglich sind. Viel- leicht besitzen diese sympatkischen Fasern besondere Endappa- rate, die dazu geeignet sind, mechanische Eindrücke irgend wel- cher Art aufzunehmen und sie dem verlängerten Mark zu über- mitteln. Ueber diesen Punct will ich indess an diesem Orte noch keine bestimmte Vermuthung aussprechen. Dazu wird Zeit sein, nachdem durch die folgenden Untersuchungen die Reflexfasern des Vagus auch bei Säugethieren machgewiesen und ihre Bedeutung für die Thätigkeit des Vagus festgestellt worden ist. . Man ist. in der Physiologie gewohnt, Resultate, die aus Experimenten an Fröschen gewonnen sind, auch auf die hö- heren Thiere zu übertragen. Die Uebereinstimmung, welche in so vielen physiologischen Beziehungen zwischen den ver- schiedenen Classen der Wirbelthiere bestehen, berechtigen 628 Dr. J. Bernstein: allerdings zu diesem Schluss. Indess ohne Weiteres darf dies doch nicht geschehen, und es ist gewiss nie überflüssig, ge- machte Beobachtungen auch an solchen Thieren zu bestätigen, die in ihren physiologischen Functionen dem Menschen am nächsten kommen. Ich habe aus diesem Grunde die im vorigen Abschnitt nie- dergelegten Resultate auch an warmblütigen Thieren geprüft, und wählte zu diesem Zwecke hauptsächlich Kaninchen. Es wäre vielleicht wegen der complieirteren physiologischen Ver- hältnisse unmöglich gewesen, an diesen Thieren zuerst das zu ermitteln, was nun bereits für den Frosch unumstösslich feststeht; und hier zeigt sich der grosse Werth des Frosches für die Experimental- Physiologie. Die an ihm gewonnenen Ergebnisse sollen daher in den folgenden Untersuchungen zur Richtschnur dienen. Als.ich zu den Versuchen an Kaninchen schritt, war ich von der Hoffnung erfüllt, durch einen einzigen entscheidenden Versuch zu dem gewünschten Ziele zu gelangen. Ich vermu- thete nämlich, dass der N. mesentericus des Frosches, der die Reflexfasern des Vagus enthält, dem Nv. splanchnicus_ ent- spreche. Dazu stimmte sein Verhalten zum Ganglion coelia- cum, wenn auch andre anatomische Bedenken dagegen sprachen. Ich unterwarf daher zuerst den Splanchnicus der elektri- schen Reizung. Einem Kaninchen wurden die Bauchhöhle und linke Brusthöhle geöffnet, das Zwerchfell gespalten und die Eingeweide nach rechts hinübergelest. Der linke Splanchnieus wird so tief als möglich mit einem Faden umschlungen und nach oben bis in die Brusthöhle frei präparirt. Versuch 9. Grosses graues Kaninchen mit Morph. acet. narkotisirt. Bauchhöhle und linke Brusthöhle geöffnet. Linker Splanchnicus präparirt und auf die Elektroden gelegt. Rollenabstand: 160. Pulse in 10 Sec. = nach vor | während Reizung. 12 Uhr 29 Min. 26 26 27 3 Au 71,057 Joa 25 | Zu | 27 Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s.w. 629 Zwischen je zwei Zählungen eines Versuchs liegt wie früher stets der Zeitraum einer Minute. In allen diesen Versuchen erhielt ich dasselbe negative Resultat. Niemals zeigte sich während der Reizung des Splanch- nicus ein Einfluss auf die Herzthätigkeit, auch nicht, wenn die Thiere nicht narkotisirt waren. Im letzteren Falle äusser- ten die Thiere auch kein Zeichen von Schmerz, wenn der Nerv wohl isolirt auf den Elektroden lag. Es scheint also der Splanch- nicus selbst aller sensibeln Fasern zu entbehren. Wichtig ist für uns vor allen Dingen, dass er die Reflex- fasern des Vagus, nach denen wir suchen, nicht enthält. Sie müssen also in anderen Theilen des Sympathicus verborgen liegen, und es frägt sich nur, wo sie für das Experiment am leichtesten habhaft sind. Dass der Grenzstrang hierzu kein bequemes Object liefert, ist aus den anatomischen Verhält- nissen klar. Es ist unmöglich, ihn wie beim Frosche unbe- schädigt soweit abzulösen, dass er auf die Elektroden gebracht werden kann. Die Strecke zwischen zwei Rippenköpfen genügt hierzu nicht, und präparirt man weiter hinauf, so trennt man die kurzen Rr. communicantes, auf deren Erhaltung es ja hier hauptsächlich ankommt. Ich habe den Versuch in dieser Weise mehrere Male probirt, bin aber stets auf jene unüber- windlichen Hindernisse gestossen, so dass ich ihn in dieser Form aufgeben musste. Die am Frosche gemachte Erfahrung, dass von den Reflex- fasern des Vagus einige sparsame Ausläufer bis über den N. brachialis sich in den Grenzstrang hinauf erstrecken, brachte mich auf den Gedanken, den Halssympathieus des Kaninchens auf diesen Punct hin zu untersuchen. Hier war von jenen Schwierigkeiten nicht die Rede. Denn seit Biffi’s Entdek- kung der pupillenerweiternden Fasern im Halssympathicus ist dieser Nerv ja schon unzählige Male derselben Operation ausgesetzt worden, freilich — so viel ich weiss — nie zu dem Zwecke, der hier vorliegt. Die Vermuthung, dass Re- flexfasern des Vagus bis in den Halssympathicus gelangen, war durch die Versuche am Frosch gerechtfertigt und die nachfol- 630 Dr. J. Bernstein: genden Experimente werden dieselben in vollem Masse zur Gewissheit machen. Die Präparation des Nerven geschieht ganz wie beim Biffi’schen Versuch. Man thut gut, denselben in möglichst grosser Strecke freizulegen. Hierzu umschlinge man ihn tief am Halse mit einem Seidenfaden, schneide ihn unterhalb der Unterbindung durch und löse ihn nach oben hin soweit frei heraus, dass man ihn bequem ohne Zerrung auf die Elektroden legen kann. Die Zählung der Herzpulsationen geschah in den meisten Fällen mittelst des Stethoskops, zuweilen wurden sie auch bei geöffneter Brusthöhle direct beobachtet oder durch den zufüh- lenden Finger gezählt. In anderen Fällen bediente ich mich der Middeldorpf’schen in das Herz eingesenkten Nadel, die bei jeder Pulsation an eine Glocke schlug. Versuch 10. Grosses graues Kaninchen. Linker Hals- sympathicus präparirt und auf die Elektroden gelegt Rollenabstand: 120. Pulse in 10 Sec. vor | während | R BE eizung. 2 Uhr — Min. 36 30 36 ZPEBI NSS 35 32 35 2,6, 35 31 36 Nach einer Pause wird der Versuch wieder aufgenommen. 2. Uhr 22 Min. 39 36 40 DIN AT, | 30 24 30 Pa PIERRE U IIORE 33 27 33 2.00, AD 5 34 29 34 Bei jedesmaliger Reizung erweitert sich die Pupille, Der Nerv wird nahe am oberen Halsganglion mit einem nassen Hanffaden unterbunden, 2 Uhr 55 Min. 34 36 | 35 3 Er 35 34 35 BG EN 33 33 30 Rollenabstand: 80. - ERTTE E G | 24 | 26 | 25 An der Pupille ist bei Reizung keine Erweiterung wahrzunehmen. Versuch 11. Schwarzes grosses Kaninchen. Linker Sym- patbieus am Halse präparirt, auf die Elektroden gelegt. Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 631 Rollenabstand: 160. | Pulse in 10 Sec. | vor während R nach | eizung. 12 Uhr 27 Min. 38 33 | 38 120,30 ! „ 38 34 ES) I Ba. in — 30 I ed 12, | 34 80 284 1 ee SER 3 30 | 34 0, | 34 3 vl 784 Es wird eine etwas höher gelegene Stelle des Nerven auf die Elektroden gelegt. 1 Uhr 9 Min. | 36 30. ,0.17.56 are a9t 37 30 36 ann gie} agb bmvlsg 40 Die Pupille reagirt bei jedem Versuche deutlich. Die Pulsationen werden mit Hülfe der Nadel gezählt. Die Excursionen derselben neh- men während der Reizung stets beträchtlich an Grösse ab. Der Nery wird nun mit nassem Hanffaden tief unterbunden. 1. Uhr. 28 Min. |. .39 39 41 ee /dl.,_ BA 41 41 90,87 TIEDaU Te 41 40 in Ta 42 a en 1 42 ee | #2 Rollenabstand: 120. a 002,5 34 >, 36 rn, 39 39 39 Rollenabstand: 80. Be Da ln, 43 | 4 | 42 Rollenabstand; O0 Ze Ads | 42 | 44 | 42 In diesem Theile des Versuchs bleibt die Pupille unbe- weglich, auch sind die Excursionen der Nadel vor, während und nach der Reizung von gleicher Grösse. Versuch 12. Mittelgrosses graues Kaninchen. Linker Halssympathicus präparirt, auf die Elektroden gelegt. Rollenabstand: 140. | Pulse in 10 Sec. nach Reizung. 2 yes res a Meere Aa a he Nerv unterhalb der Elektroden durchschnitten und aneinander ge- legt. Rollenabstand : 140. ee DO HER UTADCRIERSTIGR ENT 348 An demselben Kaninchen wird später der rechte Halssympath. prä- vor | während 632 Dr.J. Bernstein: Untersuchungen über den Mechanismus u.s.w. parirt, in einiger Entfernung von seinem abgeschnittenen Ende unter- bunden. Rollenabstand: 160. Unterbindungsstelle zwischen den Elektroden, PRUhR 86 Min. | "AS | 42 ART Elektroden unterhalb der Unterbindung. 2UN,OHAO | „ | 42° | 2a 339 Elektroden oberhalb. 2 sand y | 36 39. .,|0,.39 In den drei angeführten Versuchen finden wir die Ver- muthung bestätigt, von der wir ausgegangen sind: Wenn Reflexfasern des Vagus bis in den Halssympathicus aufsteigen, so musste eine Wirkung auf das Herz sichtbar werden, sobald man das obere Ende des tief am Halse durchschnittenen Nerven reizte. Dies ist in der That in allen Versuchen, welche ich zu diesem Zweck anstellte, der Fall. Sie äussert sich in einer deutlichen Verminderung der Pulsfrequenz, deren Grösse nach der Stärke des Reizes und nach der Erregbarkeit des Nerven in ziemlich weiten Grenzen schwankt. Zuweilen ist die Ab- nahme der Pulszahl schon an der schwingenden Nadel für das Auge sichtbar, zuweilen bedarf es einer genauen Zählung um sie sicher zu constatiren. Dass man hier wie in den Versuchen am Frosche vollkommenen Stillstand des Herzens nicht würde erzielen können, war wohl von vorn herein anzunehmen. Der Halssympathicus enthält eben nur eine sehr geringe An- zahl von den Reflexfasern des Vagus. Der grösste Theil ist bereits in das Rückenmark eingetreten bevor der Grenzstrang die Höhe der Halswirbel erreicht hat. Vielleicht variirt auch die Anzahl der Fasern, welche sich noch im Halssympathicus vorfinden, und dieser Umstand wird dann ebenfalls dazu bei- tragen, die Grösse der Pulsverminderung bei verschiedenen Versuchsthieren wesentlich zu verändern. Constant indess bleibt die Erscheinung an und für sich in allen Fällen. Im ersten und zweiten der angeführten Versuche betrug die Abnahme der Pulszahl durchschnittlich 5 Schläge in 10 Secunden, also 30 in einer Minute, im dritten dagegen 14 Schläge in 10 Se- cunden. In denjenigen Fällen, in welchen ich mich der Middel- dorpf’schen Nadel bediente oder das Herz direct beobachtete, konnte ich stets wahrnehmen, dass mit der Verlangsamung der Pulsationen eine Abnahme ihrer Stärke einherging. Die Schwingungen der Nadel fielen während der Reizung jedes- mal kleiner aus und bei der direeten Wabrnehmung war das Schwächer werden des Herzschlages für das Auge sehr deutlich. (Schluss folgt.) 633 Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen Herznervensystems. Von Dr. J. BERNSTEIN in Berlin. (Schluss.) Die hemmende Wirkung, welche die Reizung des Halssym- pathicus auf die Herzthätigkeit ausübt, wird nach den am Frosch gemachten Versuchen nicht mehr sonderbar erscheinen. Zwar sollte man eine derartige Eigenschaft in diesem Nerven nicht vermuthen, da derselbe nach den Versuchen v. Bezold’s Fasern enthält, welche im Stande sind, erregend auf die Herz- thätigkeit zu wirken. Diese haben aber gerade den entgegen- gesetzten Verlauf als diejenigen, um die es sich hier handelt. Die ersteren gehen abwärts zum Herzen, die letzteren steigen in ihm rach dem Kopfe hin auf. Es ist klar, dass diese hemmungserregenden Fasern nicht direct auf das Herz wirken können, sondern dass es hierzu der Vermittelung eines anderen Nerven bedarf. Zudem wis- sen wir, dass solcherlei Erscheinungen am Herzen stets eine unmittelbare Folge der Vagus-Erregung sind. Als solche müssen sie nach Allem, was vorangegangen, auch hier auf- gefasst werden. Nach den am Frosche erhaltenen Resultaten müssen wir schliessen, dass auch bei Kaninchen im Hals- sympathicus sich Fasern befinden, die zum verlängerten Mark gelangen und dort die Herznerven des Vagus zu erregen im Stande sind. Bevor wir aber den Beweis hierfür antreten, muss erst ein Einwand beseitigt werden, der sehr nahe liegt. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 41 634 Dr. J. Bernstein: Der Halssympathieus verläuft in so unmittelbarer Nähe des Vagus, dass bei elektrischer Reizung des ersteren an Stromschlei- fen gedacht werden könnte, die den letzteren direct erregten. Dass dies jedoch nicht der Fall ist, zeigen die angeführten Versuche. In den ersten beiden wurde der Nerv unterhalb der Elektroden mit einem feuchten Leiter unterbunden; nach- dem dies geschehen war, war die vorher beobachtete Wirkung der Nervenreizung auf das Herz verschwunden. Es zeigten sich zwar kleine Schwankungen in der Pulsfrequenz während einer Beobachtung, indess hielten sie sich in den Grenzen, die während einer Versuchsdauer vorzukommen pflegen, ohne dass die geringere Pulszahl stets in die Zeit der Reizung fiel. Im dritten Versuche zeigte sich dasselbe, nachdem der Nerv unterhalb der Elektroden durchschnitten und wieder zusam- men gelegt war. Hier wird sodann der Sympathicus der an- deren Seite präparirt und nahe seinem Ende unterbunden. Be- fand sich die Unterbindungsstelle oberhalb der Elektroden, so war der Erfolg des Reizes ein sehr starker, wurde sie zwischen die Elektroden geschoben, so wurde er schwächer und ward zuletzt Null, nachdem sie sich unterhalb der Elektroden be- fand. Im zweiten Versuche wurde nach Uhpnterbindung des Nerven der Rollenabstand des Magnetelektromotors sogar noch vermindert und zuletzt wurden die Rollen ganz übereinander geschoben, ohne dass während der Reizung eine Einwirkung auf das Herz zu erkennen war. Dies hätte bei einer so grossen Verstärkung der Ströme um so eher geschehen müssen, wenn es sich hier um Stromschleifen handelte. Es kann also hier von solchen nicht die Rede sein. Um nun zu beweisen, dass die Verminderung der Pulsfre- quenz vermittelst des Vagus zu Stande kommt, ist weiter nichts nöthig als nach Durchschneidung des Vagus den Erfolg des Versuches abzuwarten. | Versuch 13. Graues grosses Kaninchen. Beide Vagi freigelegt. Linker Halssympathicus präparirt und auf die Elek- 'troden gelegt. Uutersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 635 | Pulse in 10 See. | vor während | a Da eizung. Rollenabstand: 160. 2 Uhr 25 Min. | 34 100202 N Der linke Vagus wird nahe dem Brustbein durchschnitten. % Uhr 30 Min. 36 20 39 2 RN 41 33 49 Die linke Brusthöhle wird geöffnet um das Herz direct zu beobachten und den Brustsympathicus zu reizen. Hierbei er- folgt jedesmal eine Steigerung der Pulsfrequenz, entsprechend den v. Bezold’schen Versuchen. Der linke Halssympathieus wird wiederum auf die Elek- troden gelegt. Br a Tage Rechter Vagus durehsehnitten. Br Eck 626 1.26 liu..26 Nachdem im vorstehenden Versuche der linke Vagus durch- schnitten war, blieb der Erfolg der Reizung keineswegs aus, behielt sogar dieselbe Grösse bei wie vorher. Es entspricht dies dem am Frosch gemachten Experiment, in welchem durch Sympathicus-Reizung Stillstand des Herzens erzielt wurde, nachdem der Vagus der einen Seite durchschnitten war. Es genügt daher nieht nur ein Vagus zum Gelingen des Experi- ments, sondern es scheint auch, als ob nach Durchschneidung ‚des einen Nerven die Erregung seiner Reflexfasern sich im Centrum auf den andern überträgt. Ich mache ferner noch besonders darauf aufmerksam, dass die Durchschneidung des linken Vagus tief am Sternum geschah, während der Sympathi- cus bis nach oben hin weit herauspräparirt war. Hier kann also unmöglich eine etwaige Stromschleife auf das untere Ende des Vagus gewirkt haben. Nachdem der Schnitt geschehen war, hob sich die Pulsfrequenz innerhalb 10 Minuten von 34 auf 42 Schläge in 10 Secunden, entsprechend der bekannten Zunahme der Pulszahl nach Vagus-Durchschneidung. Die dar- auf folgende Eröffnung der Brusthöhle setzte die Erregbarkeit des Herzens bedeutend herab, eine Erscheinung, der wir in späteren Versuchen noch oft begegnen werden und die wahr- scheinlich durch die starke Abkühlung des Blutes hervorge- rufen wird. Nach Verlauf einer halben Stunde betrug die 41* 636 Dr. J. Bernstein: Pulszahl in 10 Secunden nur 17. Bei Reizung des Halssym- pathicus verminderte sich diese Zahl bis auf 9 Schläge, und erst nachdem auch der erste Vagus durchschnitten war, blieb sich dieselbe vor, während und nach der Reizung gleich. Im Ganzen jedoch hob sich die Pulsfrequenz wiederum nach dieser Durchschneidung auf 26. Das Ergebniss dieses Versuches lässt keine zweite Deutung mehr zu. Die Erregung des Sympathieus muss durch irgend eine Nervenbahn auf den Vagus übertragen werden. Dass dies im verlängerten Mark geschieht, ist eine Annahme die hier am nächsten liegt und die durch das folgende Experiment zur Gewissheit wird. Versuch 14. Bei einem grossen grauen Kaninchen wird die Tracheotomie gemacht und eine Canüle in die Luftröhre eingesetzt. Alsdann wird der rechte Sympathicus am Halse präparirt nach gewohnter Art und auf die Elektroden gelegt. | Pulse in 10 Sec. | vor während | nach Reizung. Rollenabstand: 160. 6 Uhr 0 Min. | 36 30 | 36 (er TREE, 38 30 02836 (ol | 36 30 36 Gr 5.0908 38 | 30 38 Die Medulla oblongata wird mit einem ‘durch die Mem- brana atlant. oceip. eingestossenen Messer zerstört. Das Thier ist vollständig gelähmt und respirationslos. Es wird künst- Jiche Athmung eingeleitet. Da die Herzschläge sehr an Stärke abgenommen haben, so wird der linke Thorax geöffnet, um sie direct zu beobachten. Pulse in 5 Sec. 6 Uhr 48 Min. | 11 | 12 | 12 Pulse in 10 Sec. EEE ie 19 156 | RE 17 17 117 (Di EEE 17 17 17. Ta Da a Nee de, 17 Zuletzt wurde der rechte Vagus auf die Elektroden gelegt und bei seiner Reizung Stillstand des Herzens beobachtet. Die Mitwirkung des verlängerten Markes ist also nothwen- Untersuchungen über den Mechanismus des ıegulatorischen u. s,w. 697 dig, wenn vom Sympathicus des Halses aus ein Reflex auf den Vagus zu Stande kommen soll. Dies stimmt überein mit den Beobachtungen am Frosche. Nachdem bei diesen Thieren das verlängerte Mark zerstört war, konnte durch Reizung des Grenzstranges kein Herzstillstand mehr hervorgerufen werden. Der Versuch an Kaninchen ist nur insofern complicirter, als das Herz sich hier indireet und vielleicht auch direct in grosser Abhängigkeit vom verlängerten Mark befindet. Die Zerstörung dieses wichtigen Organes würde durch Aufhebung der Ath- mung sehr schnellen Herztod zur Folge gehabt haben, wenn nicht die Respiration künstlich unterhalten worden wäre. Trotz- dem sank die Pulsfrequenz von 36 auf 17 Schläge in 10 Se- cunden und nahm die Stärke der Contractionen so bedeutend ab, dass zu ihrer Beobachtung die Brusthöhle eröffnet werden musste, weil sie in keiner Weise durch die Brustwandungen hindurch wahrgenommen werden konnten. Ob dies nun eine Folge der Zerstörung eines excitirenden Herznervencentrums ist, oder die einer Aufhebung des Gefässtonus, die dem Herzen die Blutzufuhr beschränkt, soll hier nicht entschieden werden. Mag das eine oder das Andere richtig sein, in beiden Fällen hätte, wenn die Reflexwirkung nicht auf dem Wege des ver- längerten Markes zu Stande käme, nach Zerstörung desselben Verlangsamung des Herzschlages während der Sympathicus- Reizung um so eher eintreten müssen, als die Kraft des Herzens hierdurch bedeutend herabgesetzt war. Dabei hatte der Vagus an Wirksamkeit nichts verloren, denn am Ende des Versuchs zeigte sich bei directer Reizung desselben der Herzstillstand in der gewöhnlichen Weise. Ich habe auch die chemische Reizung des Halssympathicus nicht unterlassen und verwendete zu diesem Zwecke Koch- salzlösung. Obgleich die Wirkung derselben nicht sehr ecla- tant war, so war sie doch unläugbar vorhanden. Vielleicht liegt der Grund hiervon in dem Mangel eines geeigneteren Reizmittels als Kochsalz. Versuch 15. Grosses schwarzes Kaninchen. Linker Sym- pathicus am Halse präparirt. 638 Dr. J. Bernstein: Pulse in 10 Sec. 12 Uhr 32 Min. 42, 44, 42, 42, 42. Nerv in Kochsalzlösung getaucht. 12 Uhr 38 Min.: 42, 40, 42. Nach einer Unterbrechung des Versuchs wird der rechte . Sympathicus präparirt. Pulse in # Min. 8 Uhr 10! Min. 2 R3: Nerv in Kochsalzlösung gelegt. BAUhES LE Min ee 7: 12,0% SENDEN. Das eingelegte Nervenstück wird abgeschnitten, 1010, RR 6: Die Verlangsamung der Herzschläge welche der Kochsalz- tetanus hervorrief, war-allerdings nicht bedeutend, jedoch deut- lich wahrnehmbar wenn man Zeiträume von 30 Secunden mit einander verglich. Dabei verminderte sich die Pulszahl wäh- rend der Nerv in der Kochsalzlösung lag um 10 Schläge und stieg wieder, nachdem das gereizte Nervenstück abgeschnit- ten war. Das Vorhandensein von Reflexfasern des Vagus im Hals- sympathicus- hat sich also in allen Stücken bestätigt. Diese Fasern nehmen wahrscheinlich ihren Weg durch das oberste Halsganglion, durch dessen Verbindungsäste mit den Hals- und Hirnnerven sie in das verlängerte Mark gelangen. Es hat kein Interesse sie hier noch genauer zu verfolgen. Es bleibt nun noch übrig die Reflexfasern des Vagus auch in den andern Theilen des Grenzstranges nachzuweisen. Dass sie daselbst vorhanden sind, wird nach dem Vorangegangenen nicht mehr in Zweifel gezogen werden. Wo sollten jene Fa- sern im Halssympathicus anders herstammen als aus dem Brust- und Lendentheile dieses Nerven? — Auf diese Frage hin mussten demnach meine ferneren Versuche gerichtet sein. Es ist schon im Laufe dieser Arbeit erwähnt worden, dass die Reizung des Brust- und Lendensympathicus wegen seiner anatomischen Verhältnisse mit grossen Schwierigkeiten ver- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 639 knüpft ist. Er lässt keine isolirte Reizung zu. Wenigstens ist es sehr schwer, eine genügend lange Strecke desselben so weit frei zu legen, dass man die Elektroden, deren man sich zu Reizversuchen an warmblütigen Thieren bedient, anbringen könnte, Dabei wird eine Anzahl von Ram. comm. abgetrennt, deren Erhaltung in diesem Falle gerade nothwendig ist, und wenn es wirklich gelingt ein brauchbares Präparat anzufertigen, so würde wegen der Zartheit der Nerven seine Erregbarkeit sehr bald erlöschen. Auch v. Bezold ist in seinen Ver- suchen über das exeitirende Herznervensystem auf dieselbe Schwierigkeit gestossen und hat es daher vorgezogen den Nerven unpräparirt, in seiner natürlichen Lage durch aufgesetzte Na- deln, welche als Elektroden dienten, zu reizen. Dies hat aller- dings den Uebelstand, dass Stromschleifen das Rückenmark treffen und tetanische Krämpfe in den Extremitäten erzeugen. Derselbe lässt sich jedoch wiederum dadurch vermeiden, dass man das Thier mit Pfeilgift vergiftet und die Endigungen der Bewegungsnerven auf diese Weise lähmt. Diese Methode hat ausserdem noch den grossen Vorzug, dass trotz der eingrei- fenden und schmerzhaften Operation, denen das Versuchs- thier ausgesetzt wird, jede willkürliche Bewegung desselben unmöglich ist. Man vermeidet hierdurch nicht allein jene Stö- rungen der Herzpulsationen, welche heftige Bewegungen ver- anlassen, sondern erleichtert auch die manuelle Ausführung des Versuchs, indem weder unvorhergesehene Bewegungen des Thieres die Operation stören, noch Schmerzensäusserungen des- selben lästig fallen. Man glaubt in der That kaum noch mit einem lebenden Wesen, vielmehr nur noch mit einem physikali- schen Apparate zu experimentiren. Diese Methode ist indess mit der Vorsicht anzuwenden, dass man die Vergiftung auf einen gewissen Grad beschränkt, näm- lich so weit, dass nicht auch diejenigen Nerven, mit denen man experimentirt, der Vergiftung anheimfallen. Dies lässt sich, wierv. Bezold nachgewiesen, durch mässige Gaben von Öurare leicht erreichen, da sowohl der Vagus wie der Sym- patbicus viel später gelähmt werden, als die übrigen motori- schen Nerven der willkürlichen Muskeln. In neuerer Zeit hat 640 Dr. J. Bernstein: Giannuzzi diese Thatsache auch an den sympathischen Nerven der Harnblase‘ nachgewiesen. Durch einen Umstand hingegen, den die Vergiftung mit sich führt, wird die Ausführung der Versuche complicirter. Da nämlich das Thier durch Lähmung der Athemnerven nicht zu athmen vermag, so ist man genöthigt künstliche Respiration zu unterhalten. Dies geschieht auf die gewöhnliche Weise mit Hülfe eines Blasebalges, der durch Kautschuckrohr und Canüle mit der Luftröhre in Verbindung steht. Ich bediente mich also dieser Methode, um die Reizung des Grenzstranges ohne unangenehme Nebenstörungen ausführen zu können. Bevor ich indess zur Beschreibung der Versuchs- weise übergehe, will ich zuerst die hier nahe liegende Frage beantworten, wesshalb v. Bezold in seinen Versuchen nie- mals auf ein Resultat gestossen ist, das unseren Erwartungen entspricht. v. Bezold hat allerdings die Reizung des Grenz- stranges in derselben Weise vorgenommen, wie wir dies in den nachfolgenden Versuchen zu thun beabsichtigen. Hierbei hat sich niemals eine Verlangsamung der Herzschläge, vielmehr in den meisten Fällen eine Vermehrung derselben gezeigt. Die excitirenden Fasern des Sympathicus, welche diese Wirkung hervorbringen sollen, haben indess, wenn v. Bezold’s Schlüsse richtig sind, nichts gemein mit den Reflexfasern des Vagus, sie verlaufen in ein- und demselben Nervenstamme, ihre Rich- tungen aber sind einander gerade entgegengesetzt. Die ersteren sollen vom verlängerten Marke her in das Rückenmark hinab sich erstrecken, indem sie allmählich aus allen Zwischenwirbel- löchern mit den Verbindungsästen des Sympathicus austreten und nun in der Bahn des Grenzstranges theils von oben, theils von unten her zum Herzen gelangen. Die letzteren dagegen kommen von der Peripherie der Baucheingeweide, sammeln sich im Grenzstrang und steigen in diesem in die Höhe; von hier aus gehen sie in einzelnen Portionen mit den Verbindungs- ästen in das Rückenmark ein, bis sie das verlängerte Mark erreichen. Nun hat v. Bezold in allen seinen Versuchen, in welchen -er den Brust- und Lendensympathicus reizte, stets die Reflex- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 64] fasern des Vagus in ihrem Verlaufe durchtrennt, indem er nämlich jedesmal vorher das Rückenmark unterhalb des ver- längerten Markes durchschnitt. Zum Ueberfluss waren ausser- dem noch die beiden Vagi und die Halssympathiei durch- schnitten, damit nicht durch dieselben Störungen der Pulsationen eintreten. Es konnte sich mithin während der Reizung des Grenzstranges niemals ein hemmender Einfluss auf die Herz- thätigkeit geltend machen. Auf diese Weise hat also v. Bezold in seinen Versuchen wenn auch unbewusst, die Wirkung der Reflexfasern eliminirt. Für meine Versuche dagegen war es umgekehrt, wenn sie ge- lingen sollten, das erste Erforderniss, den exeitirenden Ein- fluss des Sympathicus zu vermeiden. Bei den Versuchen am Frosch war diese Vorsicht nicht nothwendig, denn ich habe nie von den unteren Partien des Grenzstranges aus durch Reizung eine Beschleunigung der Pulsationen herbeiführen kön- nen, auch nicht nachdem die beiden Vagi durchschnitten waren. Hier sind also Fasern eines excitirenden Herznervensystems in den tieferen Theilen des Grenzstranges gewiss nicht vor- handen. Anders bei Kaninchen; die v. Bezold’schen Ver- suche zeigen deutlich, dass Reizung des Brust- und Lenden- grenzstranges die Herzbewegung beschleunigt, und da ich vor allen Dingen die Reizung des Lendengrenzstranges und des untern Theiles des Brustgrenzstranges vornehmen musste, weil ich hier analog den Ergebnissen am Frosch den grössten Theil der Reflexfasern vermuthete, so schien zuerst als ob ein grosses Hinderniss sich der Ausführung meines Vorhabens entgegen- stellte. Der erste Versuch indess belehrte mich eines Bessern. Ich stellte ihn in folgender Weise an: Ein Kaninchen in dessen Luftröhre eine Canüle eingesetzt ist, wird mit 2 Cem. (1 Cem. enthält stets 0,001 grm. Curare) Curare vergiftet, die unter die Haut gebracht wurden. Sobald Lähmung eintritt, wird die künstliche Respiration von einem Gehülfen begonnen, sodann die Bauchhöhle geöffnet und die Eingeweide nach rechts hinübergelegt. Spaltet man nun das Zwerchfell linkerseits und durchschneidet einige der unteren Rippen auf der Vorderseite des linken Thorax, so hat man 642 Dr. J. Bernstein: den untern Theil des Brustgrenzstranges und den Lendengrenz- strang bequem zur Anstellung des Versuchs vor sich. Später habe ich auch oft die linke Lunge zur grösseren Bequemlich- keit abgebunden und herausgeschnitten, was man füglich in allen Fällen thun kann, da eine -Lungenhälfte zur Erhaltung des Thieres vollkommen ausreicht. Als Elektroden bediente ich mich zweier an ihren Enden zugespitzter daselbst amalga- mirter Zinkstäbe, die in zwei aneinander befestigten Glasröhren stachen und mit ihren Spitzen aus diesen hervorragten, Ihre Entfernung betrug drei Linien. Sie wurden auf den Grenz- strang aufgesetzt und durch einen Magnus’schen Halter in dieser Stellung erhalten. Ich werde sie in den folgenden Ver- suchen die Zinkelektroden nennen. . Versuch 16. Mittelgrosses graues Kaninchen. Tracheo- tomie, Pfeilgiftlähmung, künstliche Respiration. Bauch- und linke Brusthöhle werden eröffnet. | Pulse in 10 See. | vor während a 2. Zinkelektroden am zweiten und dritten Lendenwirbel. Rollenabstand: 100. 1 Uhr 15 Min. | 28 928 9227 Elektroden an der zwölften Rippe. 1,Uhr 20, Min 7207 127 ja*27, Während der Reizung wurde der Herzschlag häufig unregelmässig. Es war also während der Reizung weder eine Verminder- ung noch eine Vermehrung der Pulsfrequenz sichtbar. Dies legte ich zu meinen Gunsten aus, indem ich schloss, dass wenn einerseits eine Beschleunigung, andererseits eine Hemmung der Herzthätigkeit in diesem Versuche eintritt, sich möglicherweise beide Wirkungen das Gleichgewicht halten. Darin bestärkte mich ausserdem noch die Erscheinung des unregelmässigen Pulses während der Reizung, gleichsam als ob zuweilen der eine, zuweilen der andere Einfluss die Oberhand gewann. Das Folgende bestätigt diese Vermuthung. In den Versuchen über die Wirkung des Lendensympathi- eus findet v. Bezold, dass dieser Nerv den erregenden Ein- Untersuchungen üher den Mechanismus des regulatorischen u.s.w. 643 fluss auf das Herz verliert, sobald derselbe oberhalb der ge- reizten Stelle durchschnitten ist. Mag man diese Thatsache erklären, wie man will, jedenfalls bietet sie das geeignete Mit- tel, um die exeitirende Wirkung des Sympathicus im Lenden- theil und der tieferen Hälfte des Brusttheils auszuschliessen. Die Durchschneidung geschah in den Versuchen v. Bezold’s auf der siebenten Rippe; hier konnte sich ein hemmender Ein- fluss nach der Durchschneidung nicht einstellen, da das Rücken- mark stets vom verlängerten Mark abgetrennt war. In unserm vorhin angegebenen Versuche dagegen muss, wenn Reflex- fasern des Vagus überhaupt dort vorhanden sind, ein solcher Einfluss sofort eintreten, sobald jene Durchschneidung des Nerven vorangegangen ist. Versuch 17. An demselben Thiere, das zum vorigen Versuche gedient hat, wurde der Grenzstrang linkerseits auf der 6ten Rippe durchschnitten. Rollenabstand: 100. Zinkelektroden an der zwölften Rippe. Pulse in 10 Sec. vor während R nach eizung. 1 Uhr 25 Min. 26 22 25 730, z 21 20 20 I dd, 20 18 19 Rollenabstand: 80. 1 Uhr 36 Min. | 20 owd8 Be Der rechte Grenzstrang wird ebenfalls auf der sechsten Rippe durch- schnitten. Zinkelektroden zwischen elfter und zwölfter Rippe. 1 Uhr 44 Min. 16 | 9 15 we A8 16 | 7 12 a ya Me 16 8 14 INTRANET TREE 14 10 = Beide Vagi wurden durchschnitten, 2 Pa sur 11 ZUER 6 1r Pe 12 12 Versuch 18. Grosses gelbes Kaninchen. Tracheotomie. 2 Cem. Curare, nach !/, Stunde noch 2 Cem. unter die Haut gebracht. Künstliche Respiration. Bauch- und Brusthöhle ge- 644 | Dr. J. Bernstein: öffnet. Grenzstrang beiderseits auf der siebenten Rippe durch- schnitten. | Rollenabstand: 80. | Pulse in 10 Sec. vor | während ie Zinkelektroden an der zwölften Rippe. 2 Uhr — Min. | 30 l.. 24 | 30 Zinkelektroden an der zehnten Rippe. 2,5, NO 9720 927 790 Zinkelektroden an der achten Rippe. DIESE 730 | 928 1a 129 Zinkelektroden an der zwölften Rippe. 2.5... a 28 2 a Zinkelektroden zwischen dem zweiten und dritten Lendenwirbel. RE SO 18 15 — Pal a a 16 13 15 Ra 15 0 15 Im letzten Falle begann die Reizung 10 Sec. vor der Zählung. Der Stillstand dauerte 20 Sec. 2.3 Wan 15 6 14 24531008, 15 17 12 15 Beide Vagi werden durchschnitten. 3) 8 8 — 3 12 14 11 Be 12 11 12 > iu 1205 10 10 8 Unsere gemachten Voraussetzungen haben sich also in den angeführten Versuchen in allen Stücken bestätigt. Sobald der Grenzstrang in der Höhe der 6—7ten Rippe durchschnitten war, blieb die erregende Einwirkung des Nerven auf das Herz nicht allein aus, sondern der hemmende Einfluss der in ihm enthaltenen Reflexfasern trat nunmehr ungeschwächt hervor. War der Nerv nur an der gereizten Seite durchschnitten, so war das Resultat der Reizung noch kein sehr ergiebiges und zwar aus dem Grunde, weil Stromschleifen auf die andere Seite übertraten und hier durch Erregung der exeitirenden Fasern in entgegengesetzter Richtung wirkten. Erst nachdem im Ver- suche 17 auch auf der rechten Seite der Grenzstrang durch- trennt war, nahm die Verminderung der Pulsfrequenz während der Reizung eine beträchtliche Grösse an. Diese Grösse ist, Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 645 wie ein Blick auf die Versuche lehrt, nicht immer gleich. Im Allgemeinen wächst ihr relativer Werth mit der Abnahme der Frequenz überhaupt. Hierbei kann die Pulszahl während der Reizung auf die Hälfte sinken. Ja, in einem Falle während des Versuches 18 ereignete es sich, was ich in späteren Ver- suchen nie erreicht habe, dass vollständiger Stillstand während 20 Secunden eintrat, aber erst nach 10 Sec. vorangegangener Reizung. Letzterer Umstand ist eine Folge der Öurare-Ver- giftung, die nach den Erfahrungen v. Bezold’s die Zeit zwischen Reiz und Wirkung, das Stadium der latenten Reizung, um ein Bedeutendes vergrössert. Ich habe deshalb fast in allen Versuchen derart den Schlüssel zum Tetanisiren stets 5—10 Se- cunden vor der Zählung geöffnet. Die Grösse der Pulsabnahme ist ausserdem noch von ge- wissen Zufälligkeiten des Experiments abhängig, die sich bei dieser Versuchsmethode nicht vermeiden lassen. Die Strom- dichten, die auf den Nerven wirken, können nicht stets von gleichem Werthe sein. Dazu wäre nöthig, dass die Zinkspitzen stets auf derselben Stelle aufständen und den Nerven immer mit gleicher Fläche berührten. An verschiedenen Puncten seines Verlaufs müssten diese Stellen ausserdem ihrer Lage nach ge- nau entsprechend sein. Alles dieses trifft nicht zu. Die Ver- bindungslinie der beiden Zinkspitzen, in der sich das Maxi- mum der Stromdichte befindet, nimmt gegen den Nerven nicht immer genau dieselbe Lage ein. Dieselben können einmal bei der Feinheit des Nerven nicht immer mit der erforderlichen Genauigkeit aufgesetzt werden, und zweitens sind kleine Be- wegungen der darunter liegenden, bei der Reizung sich con- trahirenden Muskelfasern schon im Stande, geringe Verschie- bungen zu veranlassen, die nicht ohne Einfluss sein mögen. Dies erklärt genugsam, weshalb selbst an ein und derselben Stelle des Nerven die Resultate der Reizung nicht unbedeu- tenden Schwankungen unterliegen. Im Allgemeinen jedoch lässt sich ein Unterschied der Wirkungen verschiedener Stellen des Grenzstranges noch deutlich erkennen. Im Versuch 18 sank die Verminderung der Pulsfrequenz, jemelhr die Elektroden von der 12ten Rippe nach oben binwanderten, sie nahm zu, jemehr 646 Dr. J. Bernstein: dieselben nach unten hin verschoben wurden. Das Maximum der Wirkung schien in der Gegend des 2ten bis 3ten Lenden- wirbels zu liegen. Unterhalb des 4ten Lendenwirbels habe ich in späteren Versuchen niemals vom Grenzstrang aus eine Wirkung aut’s Herz erfolgen sehen. Man kann hiernach wohl behaupten, dass der grösste Theil der Reflexfasern des Vagus in der Höhe des 12ten Brust- bis ten Lendenwirbels in das Rückenmark eindringt und dass unterhalb des 4ten Lenden- wirbels solche Fasern nicht mehr vorhanden sind. Die oben angeführten Versuche enthalten bereits den Be- weis, dass in ihnen von einer directen Wirkung der Ströme auf das Herz nicht die Rede sein kann. Dafür spricht nicht allein der Umstand, dass die erwartete Erscheinung erst ein- tritt, wenn die Sympathici oberhalb der Reizungsstelle durch- schnitten sind und dass ihre Deutlichkeit abnimmt, je näher man mit den Elektroden dem Herzen rückt, sondern es geht aus den Versuchen unwiderleglich die Ueberzeugung hervor, dass der Vagus es ist, durch dessen Bahn die hemmende Wir- kung der Sympathicus-Reizung auf das Herz übertragen wird. Denn sobald die Vagi durchschnitten waren, konnte keine Reizung mehr eine Verminderung der Pulsfrequenz hervor- rufen. Die Reflexfasern des Vagus beim Kaninchen stimmen mit denen des Frosches in ihrem Verlaufe im Allgemeinen überein, Sie treten in der Gegend der ersten Lendenwirbel in den Grenzstrang ein und sammeln sich daher dort in grösserer Anzahl an. Je höher sie mit dem Grenzstrange hinaufsteigen, desto mehr von ihnen zweigen sich mit den Rami communic. ab, um in das Rückenmark einzudringen. Der letzte Rest gelangt noch in den Halssympathicus. Der grösste Theil der Fasern wandert daher eine beträcht- liche Strecke durch das Rückenmark, um zur Medulla oblon- gata zu gelangen. Wenn man nun das Rückenmark an einer Stelle, die oberhalb der Durchschneidungsstelle beider Grenz- stränge liegt, durchschneidet, so würde dies in den oben an- geführten Versuchen denselben Erfolg haben als die Durch- schneidung der beiden Vagi, denn die Continuität aller Reflex- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 647 fasern des Vagus würde theils im Rückenmark ‚Jheils schon im Grenzstrange aufgehoben sein. In dem folgenden Versuche werden, nachdem Alles in der gewöhnlichen Weise vorgerichtet ist, die beiden Grenzstränge auf der achten Rippe durchschnitten, und die Einwirkung der unterhalb des Schnittes gelegenen Strecke auf das Herz ge- prüft. Nachdem nun das Rückenmark zwischen erstem und zweitem Brustwirbel, wo man am leichtesten eindringt, durch- schnitten ist, wird die Reizung des Sympathicus nochmals wiederholt. Versuch 19. Grosses gelbes Kaninchen. Tracheotomie, Pfeilgiftlähmung, künstliche *Athmung. Bauch- und Brust- höhle geöffnet, die Grenzstränge werden auf der achten Rippe durchschnitten. Rollenabstand: 80. Zinkelektroden an der zehnten Rippe. Pulse in 10 Sec. | vor | während nach Reizung. 4 Uhr 54 Min. | 26 24 | 28 Dec 0 28 21 25 eg), | 24 gung Zinkelektroden am zweiten und dritten Lendenwirbel. ER ve hi 3:18 ku l; »19 Durchschneidung des Rückenmark’s zwischen erstem und zweitem Brustwirbel. BERARIEE NA REIGRUT TIERAERETTE Nachdem das Rückenmark durchschnitten war, verschwand der Einfluss der Reizung vollständig. Das Herz schlug un- gestört fort ohne Verlangsamung seiner Pulsationen, selbst als die Rollen übereinander geschoben wurden. Dabei über- zeugte ich mich gegen Ende des Versuchs durch direete Rei- zung des Vagus, dass seine peripherischen Enden zu dieser Zeit keineswegs vom Pfeilgift gelähmt waren. Das Herz blieb stehen, sobald die Ströme durch den Nerven liefen. Es musste also in diesem Falle jede Verbindung zwischen den periphe- rischen Theilen und dem centralen Ende der Reflexfasern des Vagus aufgehoben sein. 648 Dr. J. Bernstein: Die mitgetheilten Versuche geben nun ein ziemlich voll- ständiges Bild von dem Verlaufe der Reflexfasern des Vagus beim Kaninchen. Er ist im Allgemeinen analog dem bei Frö- schen. Oberhalb des vierten Lendenwirbels fängt der Grenz- strang an, diese Fasern von der Peripherie innerer Organe her aufzunehmen. Bis zum zwölften Brustwirbel scheint sich die grösste Anzahl derselben gesammelt zu haben. Von da steigen sie mit dem Sympathicus in die Höhe und, indem jeder Ramus communicans einen Theil von ihnen mit fortnimmt und dem Rückenmark zuführt, nehmen sie nach oben hin an Zahl ab, bis der letzte Rest aus dem Halssympathieus in die Me- dulla oblongata gelangt. Man könnte schliesslich noch die Frage aufwerfen, weshalb es nicht gelingt, durch Sympathieus-Reizung beim Kaninchen wie beim Frosche vollkommenen Stillstand des Herzens zu erzeugen. Ich muss zuvörderst hervorheben, dass in einem der angeführten Versuche (Versuch 18) in einem einzigen Falle ein Stillstand des Herzens beobachtet worden ist. Vielleicht haben hier ganz besonders günstige Umstände obgewaltet, die ich nicht alle kenne. Die Hauptbedingung scheint die zu sein, dass die Kraft des Herzens selbst schon sehr gesunken sein muss. Wes- halb nun aber für gewöhnlich ein Stillstand des Herzens nicht eintritt, mag verschiedene Ursachen haben. Erstens kann man ohne Isolirung des Nerven niemals auf ihn dieselbe Stromdichte einwirken lassen, wie dies beim Frosche möglich ist. Zwei- tens scheinen verhältnissmässig niemals so viel Fasern in einer zur Reizung dienenden Strecke gesammelt zu sein wie beim Froschsympathieus. Und schliesslich ist der vasomotorische Einfluss des Grenzstranges, auch wenn oberhalb der Reizung sich eine Schnittstelle befindet, vielleicht doch nicht ohne Ein- fluss. Nach Ludwig und Thiry bestimmt dieser allein die exeitirende Wirkung auf das Herz, und wenn in Folge der Durchschneidung auch die dem Herzen zunächst gelegenen Gefässe von der tonischen Zusammenziehung ausgeschlossen sind, so bleiben doch noch immer die der unteren Extremi- täten übrig. Dies kann schon immer eine merkliche Einwir- kung auf das Herz haben; und wenn dieselbe in den v. Be- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 649 zold’schen Versuchen auch nicht hervortrat, so kann sie immer gross genug sein, um vollständigen Herzstillstand zu verhüten. Wie dem auch sein mag, der Unterschied zwischen Frosch und Kaninchen ändert das Princip der Sache nicht. Derselbe betrifft nur die Intensität, nicht aber das Wesen der Erschei- nung. — LI, Nachdem wir im vorigen Abschnitte gezeigt haben, dass die Reflexfasern des Vagus nicht allein beim Frosch, sondern auch beim Kaninchen vorhanden sind, ihre Existenz also im Reiche der Wirbelthiere als allgemein angenommen werden kann, dass ferner von ihnen aus durch die Bahn des Vagus eine hemmende Wirkung auf das Herz möglich ist, drängt sich naturgemäss die Frage auf: welche physiologische Bedeu- tung kommt diesen Fasern zu? Der Ort, wo diese Fasern peripherisch enden, ist für den Frosch nachweislich der Darmcanal. Es wird nach Allem, was vorangegangen, kein Widerspruch erhoben werden, wenn wir auch beim Kaninchen die Reflexfasern des Vagus dort en- digen lassen. Ich habe zwar noch nicht Gelegenheit gehabt, dies experimentell nachzuweisen, indess die logische Nothwen- digkeit dieser Annahme tritt zu sehr hervor, als dass der Mangel ihres strengen Beweises der Untersuchung wesentlich Abbruch thun sollte. Ausserdem bleibt auch noch die Mög- lichkeit offen, dass es noch anderswo Endstationen jener Fa- sern giebt innerhalb anderer innerer Organe. In seiner bereits erwähnten Untersuchung hat Goltz schon darauf aufmerksam gemacht, dass manche pathologische Er- scheinungen, die bisher unerklärt waren, sich auf die That- sache einer Reflexhemmung des Herzens zurückführen lassen. Dahin gehört plötzlicher Tod bei heftigem Stoss in der Magen- gegend, Ohnmacht beim Katheterismus; es mögen sich wohl noch andere pathologische Phänomene, wie die Pulsverlangsa- mung bei Helminthiasis, hier unterbringen lassen. Indess so bäufig auch pathologische und physiologische Erscheinungen in einander ‚übergehen, so lässt sich doch in diesem Falle kein Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 42 650 Dr. J. Bernstein: Anknüpfungspunct finden, von dem aus wir zur Beantwortung unserer Frage gelangen. Unmöglich können wir uns damit zufrieden geben, dass es gelingt, mit Hülfe der Reflexfasern des Vagus einige krankhafte Veränderungen des Herzschlages zu erklären. Oder sollten, um teleologisch zu sprechen ‚ diese Fasern nur zu dem Zwecke vorhanden sein, um unter patho- logischen Bedingungen gewisse Symptome hervorzurufen? — Sicherlich nicht! Offenbar müssen sie vor Allem eine physio- logische Function haben, um auch unter abnormen Zuständen eine Bedeutung zu erlangen. Wenn wir von der Voraussetzung ausgehen, dass jene re- flectorischen Fasern auch unter normalen Bedingungen auf das Centrum des Vagus wirken, so sind zwei Fälle denkbar. Entweder diese Wirkung tritt nur zu gewissen Zeiten ein, so- bald die Reflexfasern physiologischen Reizen ausgesetzt sind, oder sie ist fortwährend vorhanden. Der erste Fall würde ein Analogon bieten für die sogenannten Reflexbewegungen, die durch Reizung eines sensiblen Nerven entstehen. Hierbei handelt es sich stets um eine vorübergehende Reizung, die sich nur unter bestimmten Umständen wiederholt. Im: zweiten Falle müssten wir annehmen, dass die Reflexfasern des Vagus, sich in einem tonischen Erregungszustande befinden, entspre- chend dem Tonus der Gefässnerven, und dass sie demnach stetig, je nach der Grösse des Reizes stärker oder schwächer, auf das Centrum des Vagus erregend einwirken. Der letzte Fall schliesst ausserdem noch eine Frage von grosser Bedeutung in sich ein. Wenn es sich herausstellen sollte, dass die Reflexfasern des Vagus eine tonische Erregung seines Centrums veranlassen, so frägt es sich, ob dieses Cen- trum überhaupt selbständig oder nur auf Anregung seiner Reflexfasern zu wirken im Stande ist. Mit andern Worten: Ist das Centrum des Vagus automatisch oder reflectorisch? Das heisst: Empfängt es in sich selbst den Reiz, der es ver- anlasst, den Vagus zu erregen, oder haben vielmehr seine Reflexfasern die Bestimmung, jenen Reiz ihm zuzuleiten, der die Thätigkeit in demselben auslöst? Diese Fragen, die eng mit einander zusammenhängen, lassen Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 651 sich alle durch ein einziges Experiment entscheiden. Wenn das Vaguscentrum nur wirkt, so lange es durch die Reflex- fasern erregt wird, so muss es seine Thätigkeit einstellen von dem Augenblick an, in welchem sein Zusammenhang mit die- sen Fasern aufgehoben wird. Besitzt es dagegen eine auto- matische Wirksamkeit, die unabhängig ist von zugeleiteten Einflüssen und von diesen nur unter gewissen Bedingungen modificirt wird, so wird nach Abtrennung der Reflexfasern keine Aenderung in dem Verhalten des Vaguscentrums ein- treten. Dieser Versuch, der über die Natur dieses Centrums entscheidet, bestimmt zugleich die physiologische Function der Reflexfasern. Es handelt sich also zunächst darum, den Einfluss zu be- obachten, welchen die Durchschneidung der Reflexfasern auf das Herz ausübt. Gelänge dies und würde sich herausstellen, dass dieselbe Erscheinung eintritt, welche die Durchschnei- dung der Vagi hervorruft, nämlich Vermehrung der Pulsfre- quenz, so würde es nicht zweifelhaft bleiben, dass das Vagus- centrum unwirksam geworden ist, also nicht automatisch, son- dern reflectorisch ist. Behalten dagegen die Vagi ihre Macht über die Herzthätigkeit, so ist damit noch nicht bewiesen, dass das Vaguscentrum automatisch sei, denn der Reiz könnte auf einer andern Nervenbahn dorthin gelangen, jedenfalls aber wäre damit festgestellt, dass ein fortdauernder Tonus der Re- flexfasern nicht vorhanden und zur Wirksamkeit ihres Centrums nicht nothwendig sei. Was die Ausführung dieses Versuches anbelangt, so ist er in der einfachen Form, wie wir ihn uns vorgestellt haben, beim Kaninchen nieht möglich. Denn wie sollen die Reflex- fasern des Vagus durchschnitten werden, ohne anderweitige Veränderungen mit hervorzurufen, die von bedeutendem Ein- fluss auf die Herzthätigkeit sind? Die radicaiste Methode wäre die, den ganzen Grenzstrang zu beiden Seiten von cben bis unten zu entfernen; indess wir müssen bedenken, dass wir mit dieser Operation gleichzeitig alle jene Fasern entfernen, welche dem excitirenden Herznervensystem angehören. So würden wir vielleicht das Umgekehrte von dem sehen, was wir er- 42” 652 Dr. J. Bernsteiu: warten, statt Beschleunigung der Pulsationen Verlangsamung derselben. Jedenfalls würde das Resultat ein Gemisch ver- schiedenster Wirkungen sein und keinen richtigen Schluss zu- lassen. Nicht besser würde es uns gehen, wenn wir das Rücken- mark unterhalb des Vaguscentrums durchschnitten und den Er- folg dieser Operation beobachteten. Auch hierbei würden ja alle excitirenden Fasern mit durchschnitten werden und ausser- dem die darauf folgende Lähmung des ganzen Rumpfes eine bedeutende Aenderung der Herzthätigkeit verursachen. Man wird meinen, dass, wenn auch beim Kaninchen die Schwierigkeiten in der Natur der anatomischen Verhältnisse begründet sind, sie doch beim Frosche uns nicht in den Weg treten. In der That scheinen in den unteren Theilen des Sym- pathicus beim Frosche excitirende Fasern nicht vorhanden zu sein, wie wir dies bereits erwähnt haben, und wenn wir daher denselben in der Gegend durchschneiden, wo es geschah, um den Klopfversuch erfolglos zu machen, so müsste dies einer Vagusdurchschneidung gleichkommen, in dem Falle, dass das Vaguscentrum ein von der Existenz der Reflexfasern abhän- giges ist. Nun aber ist die Durchschneidung der Vagi beim Frosche, wovon ich mich durch eigene Experimente über- zeugt habe, von so wenig deutlichem und oft zweifelhaftem Erfolge begleitet, dass sich von jenem Versuche hier am aller- wenigsten erwarten lässt. Ich musste daher wieder zu Ver- suchen an Käninchen zurückkehren. In der vorhin angeführten Weise ist also der Versuch un- ausführbar. Wir müssen vielmehr auf einem Umwege zu dem gelangen, was wir finden wollen und das erreichen wir fol- gendermassen. Ohne Zweifel befinden sich die beiden Vagi in einem fortdauernden Erregungszustande, der eine gewisse Zügelung der Herzthätigkeit zur Folge hat. Werden diese Nerven durchschnitten, so hört die Hemmung auf und die Puls- frequenz steigt. Letztere Erscheinung kann jedoch nur dann eintreten, wenn vor der Durchschneidung das Vaguscentrum wirksam gewesen ist. War dies dagegen nicht der Fall, so ‚muss es für die Herzthätigkeit gleichgültig sein, ob die Vagi durchschnitten werden oder nicht. Wenn es uns daher gelingt Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s. w. 653 durch die Abtrennung der Reflexfasern das Vaguscentrum in Unthätigkeit zu versetzen, so darf, nachdem dies geschehen, vor und nach der Durchschneidung beider Vagi kein Unter- schied in der Pulsfrequenz eintreten. Der Versuch, welcher zu diesem Ziele führt, muss in fol- gender Weise angestellt werden, Einem Thiere wird die Tra- cheotomie gemacht und eine Canüle in die Luftröhre eingesetzt. Ferner werden die Vagi am Halse freigelegt. Alsdann wird das Rückenmark unterhalb des Vaguscentrums durchschnitten, und gleichzeitig, da die Athmung aufhört, künstliche Respira- tion eingeführt. Nunmehr befindet sich das Thier in dem Zu- stande, in welchem wir den entscheidenden Versuch anstellen können. Die Reflexfasern sind vom Vaguscentrum getrennt, zugleich aber bringt die Rückenmarksdurchschneidung Verän- derungen hervor, die auf das Herz von grossem Einfluss sind. Letztere bleiben nun von jetzt ab während der Dauer des Versuches constant und können daher nicht mehr störend ein- wirken. Nachdem das Thier soweit vorbereitet ist, beobachte man die Pulsfrequenz und durchschneide dann die beiden Vagi. Func- tionirt das Centrum der Vagi noch, so wird die Durchschnei- dung derselben von demselben Erfolge begleitet sein, wie dies gewöhnlich der Fall ist. Tritt dieselbe jedoch nicht ein, so müssen wir schliessen, dass das Vaguscentrum auch vorher nicht mehr thätig gewesen ist. Versuch 20. An einem grossen grauen Kaninchen wird das Halsmark zwischen drittem und viertem Wirbel freigelegt. Tracheotomie, Präparation der beiden Vagi und Durchschnei- dung der Halssympathici. Das Halsmark wird, um Blutver- lust zu vermeiden, mit glühendem Messer durchschnitten. Künst- liche Respiration. Da die Stärke der Pulsationen bedeutend abnimmt, wird die linke Brusthöhle geöffnet, und die Herz- schläge mit dem Finger explorirt. Pulsationen in 15 Sec. 6 Uhr 25 Min.: 56. B5 Irligg Alpin g, 654 Dr. J. Bernstein; 6 Uhr 30 Min.: beide Vagi werden durch- schnitten. ST BR > He 45. bern dl 5, 40. BZ Mag) 40, GN 2 AO zn 40, N 40. GERNOT 36. 6.05.10 36. 2.5 0.5 32, 19, 55 27. In diesem Versuche wurde ausser der Durchschneidung des Rückenmarks auch noch die der beiden Halssympathici vorge- nommen. Dies hatte den Zweck, etwaige Reflexfasern, die noch oberhalb des dritten Wirbels eintreten könnten, zu durch- trennen. Es zeigte sich nun, dass eine Vermehrung der Puls- frequenz nicht mehr eintrat, wenn an einem so hergerichteten Thiere die beiden Vagi durchschnitten wurden. Im Gegen- theil sank dieselbe continuirlich, wie dies immer nach Durch- trennung des Halsmarkes geschieht. Der Erfolg des Versuchs lässt nur eine Deutung zu. Das Centrum der Vagi hatte bereits vor der Durchschneidung dieser Nerven seine Wirksamkeit eingebüsst, denn sonst hätte nach derselben eine Pulserhöhung eintreten müssen. Die Ursache, welche diesem Centrum seine Eigenschaft raubte, war offen- bar die vorangegangene Durchtrennung des Rückenmarks. Dies muss also der Weg sein, auf welchem Erregungen zum Vaguscentrum geleitet werden, ohne die eine Thätigkeit des- selben nicht möglich ist. Ist diese Bahn an irgend einer Stelle unterbrochen, so hört auch der während des Lebens fortwäh- rend vorhandene Einfluss der Vagi auf's Herz auf. Auf diese Thatsache gestützt, können wir bereits mit Be- stimmtheit aussprechen: „Das Centrum des Vagus ist kein automatisches, sondern ein reflectorisches“. Welche Nervenfasern es sind, die die Rolle der Auslösung für die Thätigkeit des Vaguscentrums übernehmen, lässt sich nach Allem, was vorangegangen ist, leicht errathen. Mit Be- stimmtheit geht dies indess aus dem letzten Versuche nicht hervor, denn das Rückenmark führt eine grosse Zahl centri- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u.s.w. 655 petal verlaufender Fasern. Bevor wir unter diesen diejenigen heraussuchen, in welchen wir jene Eigenschaft vermuthen, wollen wir den letzten Versuch noch unter einer andern Form vorführen. Versuch 21. Grosses graues Kaninchen. Halssympa- thiei beiderseits bis auf das untere Halsganglion ausgerottet. Vagi freigelegt. Tracheotomie. Das Rückenmark wird in der Höhe des siebenten Halswirbels mit glühendem Messer durch- schnitten. Pulse in 10 Sec, 12 Uhr 40 Min.: 45. Br MA. 45. 12 „42, 45. 12. 48,04 Vagi durchschnitten. Ta. Am; 44. 1m); 280 ©, 42, 12.42 ..95 ı:5 42. VL: 0 42, iizuarasD ; 42. ee: >= Op 42. 1 Vigo) | 1 ug 40. 4, „usdab-3 40. 1.:,.20 25 39. Mn 2a ns 39. 1:5 ,2080 31% 37. 1 u 36. Re 0 Yale 36. 1asyın 45 915 35. 5.3000, 33. Bi LOS 32. Dieser Versuch unterscheidet sich nur in der Ausführung vom vorhergehenden, im Princip bezweckt er dasselbe, nämlich die Abtrennung aller Reflexfasern des Vagus von dessen Üen- trum. Dies geschah innerhalb zweier Bahnen. Erstens war das Rückenmark in der Höhe des siebenten Halswirbels durch- schnitten und zweitens wurde der Halssympathicus in grösst- möglichster Strecke entfernt, damit durch diesen nicht Reflex- fasern mit dem obern Abschnitt des Markes in Verbindung bleiben. Diese Art des Versuchs bringt eine wesentliche Er- leichterung mit sich. Da nämlich die Zwerchfellsnerven nicht durchschnitten sind, so athmet das Thier selbst weiter, wenn auch etwas behindert durch die Lähmung der Zwischenrippen- 656 Dr. J. Bernstein: muskeln. Dennoch wurde eine Oanüle in die Luftröhre einge- führt, um gleiche Bedingungen mit dem vorigen Versuche her- zustellen. Die tiefere Durchschneidung des Rückenmarks vermeidet also zunächst die Anwendung der künstlichen Respiration; und wenn gegen den vorigen Versuch der Einwand erhoben werden sollte, dass dieselbe von Einfluss sei auf die Wir- kungsweise der Vagi, so fällt ein solcher hiermit unbedingt von selbst fort. Ein gleiches Schicksal erleidet aber ein an- derer, weit wichtigerer Einwurf. Nach einigen von Schiff!) angestellten Versuchen sollen nämlich die Herznerven des Va- gus aus dem Accessorius stammen, und mithin nicht aus dem verlängerten Mark, sondern aus dem obern Theil des Hals- marks austreten. Ist dies richtig, so könnte man einwerfen, dass bei der Durchschneidung des Markes zwischen drittem und viertem Wirbel ein Theil der Herznervenfasern mitge- troffen würden, und in Folge dessen ihren Einfluss auf’s Herz natürlich verlieren. Obgleich nun nach den betreffenden Ver- suchen ein so tiefer Ursprung dieser Fasern nicht wahrschein- lich ist, so ist doch immerhin eine solche Möglichkeit zu be- fürchten. Auch hiervon befreit uns der letztangeführte Ver- such, in welchem nur das Halsmark vom Brustmark getrennt wurde und keine noch so tiefe Wurzel des Accessorius ver- letzt sein konnte. Ä Der Erfolg dieses Versuchs war trotz der wesentlichen Abänderung kein anderer, als der des vorangegangenen. Nach- dem die Leitung der Reflexfasern zum Vaguscentrum unter- brochen war, war die Integrität der Vagi gleichgültig für die Thätigkeit des Herzens. Dieselbe änderte sich nicht als diese Nerven durchschnitten wurden. Auch am Hunde habe ich einen Versuch der Art ausge- führt, der zu demselben Resultat führte, zu dem wir bereits gelangt sind. In diesem Falle maass ich zugleich den Blut- druck mit Hülfe eines. Manometers. Leider stand mir zur grösseren Bequemlichkeit kein Kymographion zu Gebote. 1) Lehrbuch d. Phys, I. 1858—59. S. 420. — R. Heidenhain, Einfluss d. Access, auf d. Herzbew, Uentrlbl, d. med. Wiss. No. 32, 1864. Untersuchungen über den Mechanismus des regnlatorischen u. s. w. 697 Versuch 22. Ein Hund wurde durch Einspritzung von Morphium acet. in die Vena jugul. narkotisirt, und dann das Rückenmark in der Höhe des dritten Halswirbels freigelegt. Nun wurde die Canüle zur künstlichen Respiration in die Luftröhre eingesetzt und die beiden Nerv. vagi freigelegt. Ein Quecksilber-Manometer mit einer Centimeter-Scala versehen, wurde mit der Art. eruralis in Verbindung gesetzt. Zwischen Quecksilber und Blut befand sich eine gesättigte Lösung von doppelt kohlensaurem Natron. Vor der Verbindung mit dem Gefäss stand das Quecksilber bei 23 und stieg, nachdem dies geschehen, auf 18—16, zwischen denen es entsprechend der Respiration schwankte. Pulse in 10 Sec. Stand des Quecksilbers. 12 Uhr 10 Min. 9 dee | 18—16 1a 50 5 8 12 „ 22 „ Das Rückenmark wird mit glü- hendem Messer durchschnitten, 12 add 5 33 2. re In me 12 „ 33° „ Durchschneidung beider Vagi. 14 4139: 1% 29 1200740 ,„ 33 ame "\', 34 Denn” 2 20 —TS im 00. „ 33 III", 27 Auffallend ist in diesem Versuche die enorme Steigerung der Pulsfrequenz, nachdem das Rückenmark durchschnitten war. Sie scheint fast derjenigen gleichwerthig zu sein, welche nach Durchschneidung der Vagi beim Hunde erfolgt, wo sie enorm gross werden kann. Dies bietet einen Unterschied ge- gen die Resultate am Kaninchen. An diesen Thieren bemerkte ich niemals eine constante Veränderung der Pulsfrequenz nach der Rückenmarks-Durchschneidung, während im Allge- meinen die Stärke der Pulsationen abnahm, und ich erklärte mir diesen Umstand daraus, dass zwei antagonistisch wirkende Kräfte, die bhemmende des Vagus und die exeitirende des Sym- pathieus gleichzeitig aufgehoben würden. Das. Verhältniss dieser beiden Kräfte scheint beim Hunde in anderes zu sein 658 Dr, J. Bernstein: und man muss vermuthen, dass der Vagus bei weitem über- wiegt. Wäre letztere Annahme erwiesen, so brauchten wir nach der Durchschneidung des Rückenmarkes den Versuch nicht weiter fortzusetzen, um zu unserm Ziele zu gelangen. Da indess hier noch unbekannte Umstände mitgewirkt haben könn- ten, so musste die Durchschneidung der Vagi folgen. Sie ergab die bereits schon bekannte Erscheinung, dass eine Veränderung der Herzthätigkeit nicht eintrat. Die kleine Ver- minderung der Pulszahl, welche nach dieser Operation sich zeigte und schnell wieder der ursprünglichen Platz machte, konnte wohl durch den Reiz des Schnittes hervorgerufen sein. Ebenso wie die Pulsfrequenz verhielt sich der Druck. Wäh- rend er nach Durchschneidung des Rückenmarks um 4 Um, sank, blieb er nach der der Vagi unverändert. Dieser Versuch entspricht demnach dem Versuch 20 am Kaninchen, mit dem einzigen Unterschiede, dass die Halssym- pathici nicht durchschnitten waren, was wegen ihrer Vereini- gung mit dem Vagus nicht möglich ist. Doch scheint dies von keinem grossen Belang. Mit jenem Versuche hat dieser auch den Einwurf gemein, dass er nicht beweisend wäre, wenn un- terhalb des dritten Wirbels wirklich ein ansehnlicher Theil von Hemmungsnerven des Herzens entspringen. Bis hieher haben wir uns stets der Durchtrennung des Rückenmarkes bedient, um den Zufluss der Erregung auf der Bahn der Reflexfasern vom Centrum der Vagi abzuschneiden. Dass hiermit gleichzeitig eine grosse Masse anderer centripe- taler Fasern getroffen werden, ist klar, und obgleich keine Gattung derselben erwiesener Maassen eine reflectorische Wirkung auf die Vagi besitzt, so ist ihre Durchschneidung doch immer eine Zugabe, deren Vermeidung wünschenswerth ist. Viel reiner und entscheidender würde der Versuch sein, wenn wir die Reflexfasern des Vagus allein durchschneiden könnten, ohne das Rückenmark zu verletzen. Dies ist jedoch ‘mit nicht geringen Schwierigkeiten verknüpft. Wüssten wir genau wo alle jene Fasern in einer Stelle vereinigt sind, so wäre die Ausführung leicht. Dieselben zerstreuen sich aber, Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischeu u. s. w. 659 wie wir wissen, im ganzen Grenzstrange, und wir müssten jeden einzelnen Ram. comm. durchschneiden, wollten wir ihre Ver- bindung mit dem Rückenmark aufheben. Ich verfiel daher auf eine andere Art der Operation, die sich schnell ausführen lässt und entscheidend sein muss. Sie besteht darin, den Grenz- strang selbst auszureissen, indem man ihn mit einer Pincette fasst und ihn aus seiner Verbindung löst. In dieser Weise sind die folgenden Versuche angestellt. Versuch 23. Grosses schwarzes Kaninchen. Tracheoto- mie. Vagi präparirt. Bauchhöhle geöffnet, Zwerchfell beider- seits gespalten. Künstliche Respiration. Beide Grenzstränge werden von der siebenten Rippe ab nach unten hin so weit als möglich ausgerissen. Pulse in 10 Sec. 5 Uhr 37 Min, 34 B.) arola9iıy 30 0 32 DIAdT 30 5 Klesaan‘,, 30 mr 'Adı 2 33 5 „ 44 „ Durchschneidung beider Vagi. ZEWRT 33 Dee 47 „ 32 nt 27 Dr, 50 27 Due 02:5 30 Ban Säit, 33 6 » 0 ” 34 Beet 33 BSH, 32 Build m 3l Versuch 24. Mittelgrosses graues Kaninchen. Präpara- tion beider Vagi. Beide Halssympathici ausgerissen. Tracheo- tomie. Eröffnung der Bauch- und Brusthöhle. Künstliche Respiration. Beide Grenzstränge werden in ihrer ganzen Aus- dehnung ausgerissen. | Pulse in 10 Sec, 21 In 10: ER IT 18 11 „ 12 „ Durchschneidusg beider Vagi. Tg 20 11 » 14 $>} 17 660 Dr. J. Bernstein: Pulse in 10 Sec. 11 Uhr 15 Min. 17 il „el6 2, 17 Bar sin ass A120: &, 19 1144-25 ;; 16 Io, 18 Ile na 5 16 Die beiden angeführten Versuche unterscheiden sich in ihrer Ausführung darin, dass in dem ersten nur der untere Theil des Grenzstrangs, im zweiten dieser in seiner ganzen Ausdeh- nung entfernt wurde. In beiden Fällen wurden die Reflex- fasern aus ihrer Verbindung mit dem Rückenmark gerissen. Als nun die Vagi hierauf durchschnitten wurden, zeigte sich keine Veränderung in der Pulsfrequenz. Statt dass Vermehrung derselben hätte eintreten sollen, nahm vielmehr das allmähliche Sinken, das sich nach so eingreifenden Operationen einstellt, seinen ungestörten Fortgang. Es zeigten sich im ersten Ver- suche zwar Schwankungen der Pulszahl innerhalb nicht un- bedeutender Grenzen. Dieselben können aber unmöglich als eine Folge der Vagus-Durchschneidung aufgefasst werden, da sie zumeist nach negativer Seite hin liegen. Eine wesentliche Verschiedenheit zwischen beiden Versuchen zeigt sich in der Pulsfrequenz im Ganzen. Im ersten weicht sie wenig von der normalen ab, im zweiten ist sie bedeutend gesunken. Wird nämlich nur der untere Theil des Grenz- stranges entfernt, so wird neben den Reflexfasern nur ein Theil der excitirenden Fasern zerrissen und diese halten sich, wie wir dies schon aus den Reizversuchen wissen, in ihren Wirkungen ungefähr das Gleichgewicht; die Pulsfrequenz wird sich also wenig ändern. Ist dagegen der ganze Sympathicus fortge- nommen und mit ihm alle exeitirenden Fasern, so überwiegt die Einbusse an Exeitation und die Pulsfrequenz sinkt. In diesen Versuchen sind keine andern centripetalen Fasern als die Reflexfasern des Vagus von dessen Centrum getrennt worden. Auch dann wurde dieses Centrum vollkommen wir- kungslos auf das Herz, ganz ebenso wie in den Versuchen, in welchen wir uns der Rückenmarksdurchschneidung bedien- Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s. w. 661 ten. Bevor ich den sich von selbst aufdrängenden Schluss hieraus ziehe, will ich noch einen Controllversuch anführen, der mir nicht überflüssig zu sein scheint. Man könnte meinen, dass die Eröffnung der Bauch- und Brusthöhle allein schon eine solche Veränderung der Herzpulsationen und der Blut- circulation hervorbrächte, dass der Erfolg der Vagus- Durch- schneidung dadurch beeinträchtigt wird. Dies ist FOinBowWeg der Fall, wie ie folgender Versuch zeigt. Versuch 25. Grosses gelbes Kaninchen. Beide Vagi prä- parirt. Tracheotomie. Bauch- und Brusthöhle werden in der Weise geöffnet, wie dies zur Entfernung beider Grenzstränge nothwendig ist. Letztere bleiben unversehrt. Künstliche Re- spiration. Nach 15 Minuten beginnt die Zählung. Pulse in 10 See. 10 Uhr 30 Min. 38 Bas % 37 % > 85 38 Br 34, % 37 u AU, 38 Be v, Durchschneidung bei- der. Vagi. m 042, 5, 42 un Ask, 42 a, 44 „ 45 sanldäl:, 45 MRLAG .iy 45 Trotzdem also ir diesem Versuche beide Körperhöhlen so weit geöffnet waren, dass die Grenzstränge freilagen , trotzdem auch noch künstliche Athmung eingeleitet war, blieb die Wir- kung der Vagus-Durchschneidung doch dieselbe wie im nor- malen Zustande. Die -Pulsvermehrung war der Art, wie sie gewöhnlich bei Kaninchen eintritt. Wohl bemerkt man bei Oeff- nung der Körperhöhlen im Allgemeinen eine Herabsetzung der Pulszahl. Dies mag vielleicht eine Folge der Abkühlung des Blutes sein. Auf die Wirkung des Vagus aber hat diese Ope- ration keinen wesentlichen Einfluss. Ich stehe daher nicht an, gestützt auf die Thatsachen der beigebrachten Versuche, den Satz auszusprechen: „das Cen- 662 Dr. J. Bernstein: trum der Hemmungsnerven des Herzens ist kein automatisches, sondern ein reflectorisches und erhält den seine Thätigkeit auslösenden Reiz durch die Bahn der im Sympathiecus enthaltenenReflexfasern.*“ Zur Bestätigung dieses Satzes füge ich noch einige Ver- suche bei, die sich in vollkommener Uebereinstimmung mit den bisherigen Ergebnissen befinden und die noch genaueren Aufschluss über die Vertheilung der Reflexfasern im Sympa- tbicus geben. Sie bestehen darin, das Rückenmark an tiefer gelegenen Stelten zu durchschneiden als es bisher geschah, und die Wirkung der darauf folgenden Vagus-Durchschneidung abzuwarten. Je tiefer der Schnitt liegt, desto mehr Reflex- fasern bleiben mit dem Hemmungscentrum in Verbindung und desto deutlicher muss der Erfolg der Vagus -Durchschneidung werden. | Versuch 26. Grosses schwarzes Kaninchen. Vagi frei- gelegt. Das Rückenmark wird in der Höhe des siebenten Rückenwirbels durchschnitten. Pulse in 10 Sec. 1 Uhr 20 Min. 42 „2206, 42 2 r2HER, Durchschneidung bei- der Vagi. „2905 45 O2, m 45 2 0005 45 » 40 5 45 Versuch 27. Grosses weisses Kaninchen. Vagi freigelegt. Das Rückenmark wird zwischen zwölftem Brust- und erstem Lendenwirbel durchschnitten. Pulse in 10 Sec, 50 4 Uhr 39 Min. 40, 49 „ 4 „ 50 #803, 49 »„ 52 „ Durchschneidung der Vagi. 55 50 S „206. öl Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen u. s.w. 663 Pulse in 10 Sec. „57 R 52 „58 a 51 nr, 52 En e 52 na R 52 Versuch 28. Grosses graues Kaninchen. Vagi freigelegt. Das Rückenmark wird in der Höhe des vierten Lendenwirbels durchschnitten. Pulse in 10 Sec. 11 Uhr 1 Min. 49 S SR, 49 A De 48 = En 48 - 9 ,„ Durchschneidung der Vagi. a 51 tt 51 52 = 18, 54 19120 1 55 BR 20. , 55 Das Resultat dieser Versuche besteht in Folgendem. Der am siebenten Rückenwirbel gemachte Schnitt entzog dem Hem- mungscentrum immer noch einen bedeutenden Theil seiner Wirksamkeit, da die Vagus-Durchschneidung nur eine geringe Steigerung der Pulszahl erzeugte. Nicht bedeutender ward sie im folgenden Versuch, als der Schnitt in die Grenze zwischen Lenden- und Brustmark fiel. Ungeschwächt dagegen trat sie im letzten Versuch hervor, in welchem der Rückenmarksschnitt in der Höhe des vierten Lendenwirbels gemacht wurde. Die Deutung dieser Versuche ist jetzt ohne Weiteres klar. Der grösste Theil der Reflexfasern tritt eben schon in das Lenden- mark ein, der übrige kleinere Theil vertheilt sich auf Brust- und Halssympathicus, aus denen er in das Rückenmark gelangt. Daher kann der Erfolg der Vagus-Durchschneidung nicht sehr bedeutend sein, wenn man oberhalb des ersten Lendenwirbels das Rückenmark durchschneidet. Dies stimmt mit den Folge- rungen überein, die wir bereits aus den Reizversuchen gezo- gen haben. 664 Dr. J. Bernstein: So ist also der Sympathicus ein Herznerv in doppeltem Sinne. Centrifugal verlaufen in ihm excitirende Fasern, die die Herzthätigkeit steigern, mögen sie nun direct zum Herzen gehen oder erst vermittelst der Gefässe auf dasselbe einwirken. Centripetal dagegen verlaufen in ihm Fasern, welche die Be- stimmung haben, das Hemmungscentrum des Herzens in Wirk- samkeit zu setzen und die Herzthätigkeit dadurch herabzustim- men. Beide Fasergattungen, entgegengesetzt in ihrer Function, müssen für Herz und Circulation von der grössten Bedeutung sein. Die Vorstellung, welche man sich bisher vom Centrum der Hemmungsnerven des Herzens gemacht hat, gestaltet sich nach den in dieser Arbeit gewonnenen Resultaten vollständig um. Es verliert das Scepter des Selbstherrscherthums, das es bis dahin geführt hat und tritt bescheiden in die Reihe derjenigen Centren herab, die den Reflexmechanismen vorstehen. Von diesen bietet mit ihm die meiste Analogie in der Art der Wirk- samkeit das Oentrum des Brondgeest’schen Reflextonus. Die gelinde tonische Contraction in den Flexoren der unteren Ex- tremitäten eines aufgehängten Frosches, der des Gehirnes be- raubt ist, ist ebenfalls nicht die Folge einer automatischen Wirksamkeit des Rückenmarks. Vielmehr hört dieser Tonus auf, sobald nach Durchschneidung der hintern Wurzeln des Ischiadicus keine sensibeln Eindrücke der untern Extremitäten mehr zum Rückenmark gelangen oder sobald durch eine hori- zontale Lagerung des Frosches der Reiz der Schwere nicht mehr vorhanden ist. Ebenso verhält es sich mit den Hemmungs- nerven des Herzens. Sie hören auf tonisch zu wirken, sobald sie nicht von gewissen centripetalen Nerven aus refleetorisch erregt werden. Man könnte die Frage aufwerfen, weshalb die Reflexfasern erst den Umweg durch’s Mark machen, anstatt direct an das Herz zu gehen, Dies scheint einen doppelten Zweck zu haben. Vermuthlich haben Ganglienzellen die Eigenschaft Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorisehen u.s. w. 665 die ihnen zugeleiteten Erregungen in einer modificirten Form auf centripetale Nerven zu übertragen. Nun hat es v. Bezold wahrscheinlich gemacht, dass die Intervention des Vagus keine stetige, sondern eine intermittirende ist. Dies würde unmög- lich sein, wenn der von den Reflexfasern stetig aufgenommene Reiz sich unmittelbar auf das Herz überträgt. Die Nervenfaser allein ist jener Leistung nicht fähig, vielmehr bedarf es hierzu der Intervention einer Ganglienzelle. Der zweite Grund ist der, dass das Centrum der Hemmungs- nerven auch noch auf anderm Wege als auf dem unserer Re- flexfasern Erregungen empfangen kann. Es ist wohl unzwei- felhaft, dass psychische Einflüsse durch Nervenfasern vom Grosshirn her sich durch den Vagus auf das Herz geltend machen. Dieselben unterscheiden sich von den Reflexfasern dadurch, dass sie nicht tonisch wirken, sondern nur unter ge- wissen Bedingungen in Erregung gerathen. Ihr Dasein ist also für die Thätigkeit jenes Centrums nicht nothwendig. Wenn nun zu der schon vorhandenen Fasergattung noch eine neue hinzutritt, um sich mit ihr zu demselben Zweck zu vereinigen, so kann dies nur mit Hülfe einer dazwischen geschobenen Ganglienzelle geschehen. Die Thatsache, dass das Centrum der Hemmungsnerven nur reflectorisch wirkt, ist für die Physiologie der sogenannten automatischen Nervencentren von grosser Bedeutung. Dieselbe steht auch nicht mehr vereinzelt da. Nachdem ich bereits An- fangs dieses Jahres eine vorläufige Mittheilung meiner Unter- suchungen (Centralblatt f. med. Wiss. No. 16. 1864) veröffent- licht hatte, erhielt ich im September durch das Üentralblatt Kenntniss von einer Dissertation von E. Rach'!), in welcher gezeigt wird, dass das Centrum der Athemnerven sich ganz ebenso verhält. Nachdem Rach alle sensibeln Eindrücke auf das verlängerte Mark aufgehoben hatte, indem er alle hintern Wurzeln durchschnitt, beobachtete er, dass die Athmung so- fort still stand. Das Athmungscentrum im verlängerten Mark 1) Quomodo medulla oblongata, ut respirandi motus efhiciat, in- eitetuar. Diss. inaug. Regiomont. Pr. 1863. Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864’ 43 666 Dr. J. Bernstein: Untersuch. über den Mechanismus u.s. w. ist also auch ein Reflexcentrum. Ich zweifle nicht daran, dass andre Centren diesen beiden folgen werden. Mit den Ergebnissen dieser Untersuchung ist der Gegen- stand, um den es sich handelt, noch keineswegs erschöpft. Es bleibt noch übrig, festzustellen, welches der Reiz sei, der die Reflexfasern des Vagus in Erregung versetzt. Mit dieser Frage werde ich mich zunächst beschäftigen. Erst wenn dieselbe gelöst ist, wird der Mechanismus des regulatorischen Herz- nervensystems vollkommen klar sein. Zum Schlusse nehme ich die Gelegenheit wahr, Herrn Prof. du Bois-Reymond, dessen Laboratorium mir zur Anstel- lung, der mitgetheilten Versuche offen stand, hierfür Öffentlich meinen wärmsten Dank auszusprechen. Prof. W. Gruber: Ueber die Nichtexistenz eines Analogon u. s. w. 667 Ueber die Nichtexistenz eines Analogon des anomalen Musculus supraclavicularıs des Menschen bei Myogale. Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. H. Luschka!) hat das Verdienst, den beim Menschen vor- kommenden anomalen Musculus supraclavicularis, welchen Haller zuerst sah und 90 Jahre (1766) vor ihm ungenau be- schrieb, der Vergessenheit entrissen zu haben. Retzius, Henle, Hyrtlund ich bestätigten sein Vorkommen. Hyrtl?) fand diesen Muskel, den er M. sternoclavicularis nennt, nicht nur in der von Luschka angegebenen Form, sondern sah auch in zwei Fällen beide Muskeln zu einem einzigen ver- schmolzen. In dem einen Falle davon entsprang von der Handhabe des Brustbeins über der Fuge zwischen dieser und dem Körper ein tendinöser Streifen, der in der Breite von 2 Linien bis zur Ineisura jugularis sterni aufstieg und hier in zwei divergirende, fast in transversaler Richtung nach rechts und links ablenkende Schenkel sich theilte, die bald fleischig wur- den. Jedes der rundlich strangförmigen, 2 Lin. dicken Mus- I) Ein Musculus supraclavicularis beim Menschen. Müller’s Ar- chiv 1856. S. 282, 2) Zwei Varianten des Musculus sternoclavicularis. Sitzungsbe- richte der math.-naturwiss, Classe der Kais. Academie der Wissensch. Bd. XXIX, Wien 1858. S. 265. Fig. 1, 2. 43* 668 Prof. Wenzel Gruber: kelbündel übersetzte das Sterno-Clavicular-Gelenk, damit nur lose zusammenhängend, und endigte hinter dem Schlüsselbein- kopfe des Kopfnickers an der oberen Firste der Extremitas sternalis, indem sein Ende bis zum Beginne des zweiten Vetels der Knochenlänge nach rückwärts reichte. Beide Mm. supra- claviculares waren somit an ihren Insertionssehnen zu einer medianen, unpaaren Tendo verschmolzen, die sich an das Brustbein heftete.e In dem anderen Falle war statt beider Mm. supraclaviculares ein flacher, querer Muskelstreifen zu- gegen. Derselbe vereinigte beide Schlüsselbeinenden, war vor und auf dem Lig. interclaviculare über dem oberen Rande des Manubrium sterni gelagert und jederseits mit jenem Theile der Capselwand, welcher zwischen dem Lig. interelaviculare und sternoclaviculare zu Tage liegt, und mit dem Zwischenknorpel des Gelenkes innig verwachsen. H. nennt diese Variante: M. interclavicularis. Um diesem Muskel, also der Anomalie einer Anomalie, ein Gewicht zu geben, musste für ihn bei ir- gend einem Thiere eine constant vorkommende Muskelportion gefunden werden, welche als Analogon herzuhalten hatte. Ein bei Hyogala vorkommendes, beiden Mm. pectorales majores angehöriges, gemeinschaftliches Bündel passte dazu und wurde von Hyrtl als Analogon decretirt. Da H. dieses Bündel an 3 Exemplaren von M. pyrenaica und 1 Exemplar von M. mo- schata vorfand, so war das Analogon obendrein auch con- stant. Durch diesen Fund eines vermeintlichen Analogon’s für den M. interelavieularis durch Hyrtl bekam der M. supracla- vicularis überhaupt etwas ab, wesshalb auch Luschka'), der Wiederentdecker des letzteren Muskels, in Hyrtl’s völlig ir- riger Aufstellung „interessante Aufschlüsse“ enthalten fand. Ich?) konnte das in Rede stehende, angebliche Analogon 1) Die Anatomie des Menschen. Bd. I. Abth. 2. Tübingen 1863. S. 173. 2) Die supernumerären Brustmuskeln der Menschen. Mem. de ’Acad. Imp. desc. de St. Petersbourg. Ser. VII, Tom. III. No. 2. Besond. Abdr. St. Petersburg 1860. 40. S. 5. Ueber die Nichtexistenz eines Analogon des anomalen u. s, w. 669 1860 nur nach Untersuchungen der Myogale moschata, nicht aber nach Untersuchungen der M. pyrenaica, die mir damals noch nicht zur Verfügung stand, gebührend abfertigen und auf das zurückführen, was es wirklich ist. Da ich auf einer Reise im Jahre 1864 durch die Güte des Herrn Rüppel aus Frank- furt a. M. ein Exemplar der M. pyrenaica erhalten habe, so wurde ich in Stand gesetzt, auch diese Species der Myogale auf das bewusste angebliche Analogon zu untersuchen, Ich bringe desshalb die Sache noch einmal zur Sprache, und glaube mich dazu um so mehr verpflichtet, als ich dadurch noch einer anderen Unrichtigkeit entgegentreten kann. Bei Myogale moschata, wovon ich 5 Exemplare untersucht habe, entspringt der M. pectoralis major mit keiner Portion von dem Schlüsselbeine. Die äusserste oberste, bei dem Men- schen und manchen Säugethieren von daher kommende Portion (Portio clavieularis) scheint trotzdem vorhanden zu sein, aber an- statt an das Schlüsselbein sich zu inseriren, als ein 5—6 Millm. ja in der Medianlinie bis 1 Cent, breiter und 1'/), — 2 Mm. dicker Muskelstreifen über (vor) dem oberen (vorderen) Brust- beinende in die entsprechende Portion des gegenseitigen M. pectoralis major überzugehen. Am Uebergange des einen Bün- dels in das andere ist eine feine, sehnige Linie zu sehen, die von der Brustbeinspitze vertical aufwärts steigt. Die Portion liegt vor (unter) den Ursprungsköpfen beider Mm. sterno- cleidomastoidei. Von dem übrigen M. pectoralis major beider Seiten ist sie auch gegen das Brustbein hin gar nicht geschie- den, hat auf irgend eine Selbständigkeit gar keinen Anspruch. Hinter den Ursprungsköpfen der Mm. sternocleidomastoidei liegt bestimmt kein Muskel, der vom Schlüsselbein entspringen und zum Brustbeine sich begeben würde, oder von einem Schlüsselbeine zum anderır übersetzen sollte. An dem untersuchten Exemplare von Myogale pyrenaica, welches vom Rüsselende bis zur Schwanzwurzel 4'/, Zoll lang ist und einen 5 Zoll langen Schwanz besitzt, fand ich ein ähn- liches Verhalten. Ueber (vor) der Handhabe des Brustbeines gehen beide Mm. pectorales majores durch ein 2°/, Mm. breites und 1 Mm, dickes Bündel in einander über, Dieses Bündel ist 670 Prof. Wenzel Gruber: völlig fleischig und nicht wie bei Myogale moschata durch eine sehnige Zwischenlinie oder eine Andeutung derselben in zwei Hälften geschieden, Dasselbe liegt vor den Ursprungsköpfen der Mm. sternocleidomastoidei und vor den Schlüsselbeinen, ohne mit letzteren zusammen zu hängen, oder von denselben zu entspringen. Das Bündel reicht von einem Oberarme zum andern und ist 2 Cent. 7 Mm. lang. An seinen End-Vierteln ist es mit den Mm. pectorales majores völlig verschmolzen, an seinen mittleren zwei Vierteln jedoch durch eine Bindegewebs- schicht davon separirt. Dasselbe scheint wie bei M. moschata die verschmolzenen Portiones claviculares beider Mm. pecto- rales majores darzustellen, welche nicht von den Schlüssel- beinen entspringen. Hinter den Ursprungsköpfen der Mm. sternocleidomastoidei existirt eben so wenig wie bei M. mo- schata ein Muskel, welcher sich wie der M. supraclavicularis des Menschen, oder wie einer seiner Varianten verhalten würden. Der M. supraclavicularis des Menschen liegt hinter den Ur- sprungsköpfen der Mm. sternocleidomastoidei und befestigt sich an das Brustbein und an die Schlüsselbeine, oder doch an letztere. Ein wie bei dem Menschen hinter den Ursprungs- köpfen der Mm. sternocleidomastoidei auf den Schlüsselbeinen liegenden, daselbst allein, oder an diese und an das Brustbein befestigter Muskel, welcher allein ein Anologon des M. su- praclavicularis beim Menschen abgeben könnte, kommt bei keiner Species der Myogale vor, folglich hat dieses Thier bestimmt kein Analogon des M. supraclavicularis beim Menschen, weder ein anomal noch constant vorkommendes. Hyrtl’s Deutung jenes bei Myogale über dem Brustbein, vor den Schlüsselbeinen und vor den Ur- ‘sprungsköpfen der Mm. sternocleidomastoidei vorkommenden queren Muskelbündels, welches sicher den Mm. pectorales ma- jores angehört, was auch Hyrtl zugiebt, und höchst wahr- scheinlich die verschmolzenen, aber mit den Schlüsselbeinen und dem Brustbeine gar nicht zusammenhängenden Clavicular- portionen beider Mm. pectorales majores repräsentirt, als Ana- logon des M. interclavicularis, einer Variante des M. supra- Ueber die Nichtexistenz eines Analogon des anomalen u. s. w. 671 clavicularis, ist daher völlig irrig und durch nichts zu recht- fertigen. Der M. supraclavicularis (Haller-Luschka) hat daher, was seine Bedeutung anbelangt, vor anderen supernumerären Brustmuskeln bis jetzt nicht nur nichts voraus, sondern wird sogar vom M. sternalis, der eine Thierbildung ist, noch übertroffen. Er hat keine grössere Wichtigkeit als die bei- den anderen Mm. sternoclavieulares (M. J. Weber), steht oder fällt mit denselben. Was die Häufigkeit seines Vorkom- mens in Hinsicht der anderen supernumerären Brust- muskeln anbelangt, so übertrifft er allerdings den M. prae- clavicularis um noch einmal, nicht aber den M. sternalis, der eben so häufig vorkommt. Was ferner die Häufigkeit seines Vorkommensin Hinsicht der anomalen Muskeln an- derer Regionen betrifft, so hat derselbe, da er unter 20 In- dividuen erst einmal angetroffen wird, vor manchen anomalen Muskeln dieser Gattung welche eben so häufig vorkommen, nichts voraus, und steht sogar anderen, die ihn an Häufigkeit übertreffen, noch nach. Luschka!) möchte den M. supraclavieularis gern aus der Reihe der anomalen Muskeln streichen, doch der Muskel ist ein seltener anomaler Mus- kel wie viele andere, wird fortfahren ein solcher zu bleiben und selbst dann noch, wenn sein Analogon bei den Thieren, das bis jetzt nicht aufgefunden ist, noch aufgefunden werden sollte. In dasSystem der normalen Muskeln, wohin ihn Luschka in seinem Lehrbuche gestellt hat, nur aus dem Grunde, weil er dessen Wiederentdecker ist, gehört er eben so wenig wie andere eben so häufig, oder noch häufiger vor- kommende, theilweise selbst sehr mächtige anomale Muskeln. Sicher ist es, dass die von Luschka vorgebrachten vagen Gründe am allerwenigsten geeignet sind, ihn dabin einzu- schmuggeln. 1) A. a. 0. S. 197. 672 Prof. Sezelkow: Die flüchtigen Fettsäuren des Muskels und ihre Veränderung während des Muskeltetanus. Von Prof. Dr. SczELkow in Charkow. Die Anwesenheit flüchtiger Fettsäuren. im Muskel wurde bekanntlich von Scherer (und Wiedler) nachgewiesen; aus dem Berichte über die Leistungen in der physiologischen Che- mie im Jahre 1849 ersehen wir, dass es ihm gelungen ist, unter diesen Säuren (durch Destillation vom Muskelsafte mit Schwefelsäure erhalten) die Essig- und Buttersäure mit einiger Sicherheit nachzuweisen, dagegen für die Anwesenheit von Ameisensäure nur Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. Da seit dieser Zeit, so viel mir bekannt, Niemand sich weiter mit der Frage beschäftigt hat, obgleich dieselbe nicht ohne Interesse für die Wissenschaft ist, so erlaube ich mir im Nachfolgenden einige Versuche mitzutheilen, die ich betreffend diese Frage in vergangenem Wintersemester gemeinschaftlich mit Hrn. stud. med. Hirschmann angestellt habe. Zuerst einige Worte darüber, wie ich zu dieser Untersu- chung gekommen. In einer früheren Arbeit!) habe ich nach- gewiesen, dass während der Thätigkeit ein Muskel nicht nur mehr Kohlensäure abscheidet als während der Ruhe, sondern überhaupt in diesem Zustande mehr Kohlensäure (nach Volum) abgeschieden wird, als während derselben Zeit Sauerstoff ab- 1) Zur Lehre vom Gasumtausch in verschiedenen Organen. Sitz.- Berichte d, Kais, Acad. d. Wissensch. za Wien. Bd. XLV. S. 171. Die flüchtigen Fettsäuren des Muskels u. ihre Veränder. u.s.w. 673 sorbirt worden war. Um diese seltsame Erscheinung zu er- klären, könnte man zweierlei Hypothesen aufstellen: Man könnte nämlich glauben, dass während der Contraction im Muskel Stoffe verbrannt werden, welche eine verhältnissmässig sehr grosse Menge von Kohlensäure liefern, oder dass Kohlen- säure ohne Mithilfe vom äusseren Sauerstoff entstehe. Von diesen zwei Hypothesen ist die erstere wohl die wahr- scheinlichere, jedoch um sie einigermaassen zu rechtfertigen wäre es nothwendig, die Stoffe im Muskel nachzuweisen, welche bei ihrer Verbrennung eine so grosse Kohlensäuremenge zu liefern im Stande sein könnten. Bei genauer Durchsicht der chemischen Bestandtheile des Muskels überzeugt man sich alsbald, dass diese Stoffe keine anderen sein können, als die flüchtigen Fettsäuren, und zwar eigentlich nur die Ameisen- säure. Eine solche Voraussetzung führte mich zur Nothwen- digkeit, die Menge flüchtiger Fettsäuren sowohl im ruhenden als im thätigen Muskel quantitativ zu bestimmen und ich ver- suchte dies in nachfolgender Weise: Einem Hunde amputirten wir beide hintere Extremitäten; die Muskeln einer derselben wurden bis zur Amputation in möglichster Ruhe gehalten, die der anderen dagegen bis zur Erschöpfung tetanisirt; in den Muskeln jeder Extremität be- stimmte man dann die Menge flüchtiger Fettsäuren nach unten beschriebener Methode. Ein solcher Versuchsplan gründete sich auf eine vollständig gleiche chemische Zusammensetzung in den entsprechenden Muskeln der Extremitäten eines Thieres, so dass, wenn wir einen constanten und deutlichen Unterschied in Bezug auf die Mengen der flüchtigen Fettsäuren zwischen den ruhenden und tetanisirten Muskeln finden, wir berechtigt sind denselben der Verschiedenheit ihres physiologischen Zu- standes zuzuschreiben. Es könnte jedoch dieses Raisonnement nur dann richtig sein, wenn durch die Tetanisirung keine an- deren Bedingungen verändert würden, die einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Muskels haben können; dies ist je- doch nicht der Fall, da beim Tetanisiren der Blutlauf im Mus- kel verändert wird. Es war demnach dringend nöthig, diesen Einfluss auszuschliessen. Im ersten Versuche haben wir das 674 Dr, Sezelkow: so zu erreichen versucht, dass wir einem Hunde die Bauch- aorta unterbanden und darauf eine der hinteren Extremitäten tetanisirten. Diese Methode erwies sich aber so unbequem, dass sie in allen übrigen Versuchen durch eine andere, viel leichtere und bequemere ersetzt wurde: der Hund wurde zu Tode chloroformirt und man tetanisirte die hintere Ex- tremität, wenn die Herzcontractionen aufgehört hatten. Dies letztere war leicht darzuthun durch Hineinstossen einer Nadel in das Herz. Die Gewinnung und Bestimmung der flüchtigen Fettsäuren wurde auf folgende Weise ausgeführt: Vom Fett und Sehnen gereinigte Muskeln wurden gewogen, fein gehackt und mit destillirtem Wasser so oft befeuchtet und ausgepresst, bis die ab- fliessende Flüssigkeit farblos geworden (gewöhnlich 3—4 mal). Der so gewonnenen Flüssigkeit wurde schwache Schwefelsäure so lange zugesetzt, bis eine feinflockige Trübung entstand, dann wurde sie schnell erwärmt bis das Eiweiss coagulirte, colirt, mit Aetzbaryt gesättigt, filtrirt und zur Syrupconsistenz abgedampft. Der Rückstand wurde mit Schwefelsäure destil- lirt, das Destillat mit Aetzbaryt gesättigt, der überflüssige Ba- ryt durch Kohlensäure entfernt und die filtrirte Flüssigkeit zur Trockne abgedampft. Der, bei 100° getrocknete Rückstand wurde gewogen, in demselben die Menge des Chlorbaryums bestimmt und das Uebrige wurde als eine Verbindung von Baryt mit, flüchtigen Fettsäuren betrachtet. Wir wollen es nicht verhehlen, dass unsere Methode (in der Hauptsache die Scherer’sche) nicht fehlerfrei ist; wir glauben jedoch dass für comparative Versuche, wie die uns- rigen, dieselbe gebraucht werden kann. Im Uebrigen sehen wir unsere Ergebnisse nicht als völlig festgestellte Thatsachen an, sondern würden uns freuen, wenn durch unsere Versuche die Aufmerksamkeit derjenigen, welche mehr mit der chemi- schen Technik vertraut sind, diesem Gegenstande zugewandt wird. Unsere Versuche sind nun folgende: Die flüchtigen Fettsäuren des Muskels u. ihre Veränder. u. s. w. 675 Erster Versuch. Ein mittelgrosser Hund, A."Ruhende Muskeln. Gewicht: 295,2 Grm. Rückstand des Destillats mit BaO gesättigt 1,3745 Grm. Chlorbaryummenge 1,0370 75, Barytverbindung mit flüchtigen Fettsäuren 0,3375 „ B, Tetanisirte Muskeln. Gewicht: 383,4 Grm. Rückstand des Destillats 1.4405 „ Chlorbaryummenge 129127, Barytverbindung mit flücht. Fetts. 0,1893 „ ruhend 0,1143. Auf 100 Th. Muskeln tetanisirt 0,0487. Zweiter Versuch. Grosser Hund. A. Ruhende Muskeln, Gewicht: 455,7 Grm. Rückstand des Destillats 1,3412 Grm. Chlorbaryummenge 0,2047 5 Barytverbindung mit flücht. Fetts. 1,1369. 5 B. Tetanisirte Muskeln (verloren). Auf 100 Th. ruhender Muskeln 0,2494. Dritter Versuch. Grosser Hund. A. Ruhende Muskeln (verloren), B. Tetanisirte Muskeln, Gewicht: 442,5 Grm. Rückstand des Destill. 0,9116 Grm. Chlorbaryummenge 0,0852 ,„ Barytverbind. mit flücht. Fetts. 0,8264 ,„ Auf 100 Th. tetanisirte Muskeln 0,1867. Vierter Versuch. Kleiner Hund. A. Ruhende Muskeln, Gewicht 192,0 Grm. Rückstand des Destill. 0,9878 Grm. Chlorbaryummenge 0,3264 „ Barytverbind. mit flücht. Fetts. 0,6614 „ B. Tetanisirte Muskeln, Gewicht 289,8 Grm. Rückstand des Destill. BRD Chlorbaryummenge 0,4219 ,„ Barytverbindung mit flücht. Fetts. ” 0,4578 „ ruhend 0,3445. tetanisirt 0,1456. Fünfter Versuch. Grosser Hund. A. Ruhende Muskeln, Gewicht 480,7 Grm. Auf 100 Th. Muskeln Rückstand des Destill. 1,9378 Grm. Chlorbaryummenge 0:93118,, , Barytverbind. mit flücht. Fetts, 1,0260 „ B. Tetanisirte Muskeln (verloren). Auf 100 Th. Muskeln 0,2134. Sechster Versuch, Grosser Hund. A. Rubende Muskeln, Gewicht 674 Grm. Rückstand des Destill. 0,8975 Grm. Chlorbarymmenge ARME, Barytverbind, mit flücht, Fetts. 0,7254 „ 676 Dr. Scezelkow: B. Tetanisirte Muskeln, Gewicht 660 Grm. Rückstand des Destill. 0,8430 Grm. Chlorbaryummenge 0,1045 „ Barytverbind. mit flücht. Fetts. 0,7385 „ ruhend 0,1076. Auf 100 Th. Muskeln tetanisirt 0,1118. Siebenter Versuch. Einem grossen Hunde wurden 8 Tage vor dem Tode die Nn. eruralis und ischiadicus rechter- seits durchschnitten. Beim Versuche wurde die linke Extre- mität tetanisirt. A. Paralysirte Muskeln, Gewicht 496,4 Grm. Rückstand des Destill. 1,2465 Grm. Chlorbaryummenge 0,7648 „ Barytverbind. mit flücht. Fetts. 0,4817 „ B. Tetanisirte Muskeln, Gewicht 529,5 Grm. Rückstand des Destill. 1.0200 5 Chlorbaryummenge 0,4329 „ Barytverbind. mit flücht. Fetts. 0,5878 „ { paralys. 0,0970. Auf 100 Th. Muskeln) ketanisirt 0,1111. Um die Ergebnisse unserer Versuche leichter übersehen zu können, stellen wir dieselben tabellarisch zusammen. Menge von Barytverbindung mit flücht. Fetts. in pCt. ö Versuch 1 2 3 4 5 6 7. Ruhende Musk. 0,1143. 0,2494. — 0,3445. 0,2134. 0,1076. 0,0970. Tetanis. „ 0,0487. — 0,1867. 0,1456. — 0,1118. 0,1111. Es ergiebt sich aus dieser Tabelle folgendes: l. Die Menge der flüchtigen Fettsäuren (in Verbindung mit Baryt) in ruhenden Muskeln varjirt von 0,1076—0,3445 %,; im Mittel: 0,2058 °/,. (Den letzten Versuch ziehen wir nicht in Betracht). i 2. In tetanisirten Muskeln ist die Menge derselben Ver- bindung 0,0487—0,1867 °/,; im Mittel: 0,1208 °/o. 3. Die tetanisirten Muskeln enthalten also etwa um die Hälfte weniger flüchtige Fettsäuren als die ruhenden. Es er- giebt sich diese Thatsache sowohl aus den oben angeführten Mittelzahlen, als aus den Ergebnissen einzelner Versuche (s. erster und vierter Vers.), in denen es uns gelungen ist die Menge der flüchtigen Fettsäuren sowohl in ruhenden als in tetanisirten Muskeln zu bestimmen; im letzteren Falle erscheint der Unterschied selbst schärfer, ausgenommen den sechsten Versuch, wo gar kein Unterschied gefunden wurde. Die flüchtigen Fettsäuren des Muskels u. ihre Veränder. u.s.w. 677 Vorausgesetzt dass bei der Muskelthätigkeit die flüchtigen Fettsäuren verbraucht werden, könnte man glauben, dass wäh- rend der vollkommenen Muskelruhe dieselben sich in dem Muskel anhäufen. Um diese Voraussetzung zu prüfen, haben wir den siebenten Versuch angestellt, welcher, wie aus dem Vor- hergehenden erhellt, unsere Voraussetzung nicht rechtfertigte. Weitere Versuche in dieser Richtung konnten wir nicht aus- führen. | Es wäre gewiss von grossem Interesse mit Bestimmtheit zu wissen, welche flüchtige Fettsäuren im Muskel enthalten sind und ob die relative Menge derselben bei der Muskelthä- tigkeit sich verändert oder nicht. Leider ist diese Frage bei dem gegenwärtigen Stande unserer Wissenschaft nicht zu be- antworten. Wie wir oben gesehen haben, ist mit Sicherheit nur die Anwesenheit von Essig- und Buttersäure nachgewiesen, diejenige von Ameisensäure nur als wahrscheinlich behauptet. Die Menge von Barytverbindung, welche wir bei unseren Ver- suchen gesammelt haben, war zu klein, um die Säuren mittelst partieller Destillation oder partieller Sättigung zu trennen; wir konnten nur einige Reactionen versuchen. Dabei haben wir uns überzeugt, dass in der Mischung sich eine ziemlich grosse Menge Ameisensäure befand: die Lösung reducirte nämlich sowohl salpetersaures Silberoxyd als Sublimat. Von Ameisen- säure befreit, färbte sich die Lösung roth durch Eisenchlorid und entwickelte den Geruch von Essigäther beim Erwärmen mit Alkohol und Schwefelsäure: Anwesenheit von Essigsäure. Endlich der charakteristische Geruch und die bekannte roti- rende Bewegung des Salzes auf dem Wasser zeigten die An- wesenheit der Buttersäure an. Wir zweifeln zwar nicht, dass auch die Propionsäure in unserem Salze anwesend war, konnten aber nicht durch Reactionen unsere Vermuthung beweisen. 678 Prof. Hermann Meyer: Ueber farbige Kreiden für den anatomischen Unterricht. (Briefliche Mittheilung an Prof. du Bois-Reymond.) Von Prof. HERMANN MEYER. Zürich, 8. December 1864. Seit man angefangen, dem Zeichnen als einem Hülfsmittel bei dem anatomischen Unterrichte mehr Aufmerksamkeit zu- zuwenden, hat sich auch mehr und mehr das Bedürfniss gel- tend gemacht, durch Anwendung verschiedener Farben den Zeichnungen mehr Uebersichtlichkeit und gelegentlich mehr oder weniger den Charakter möglichst getreuer Malereien oder Farbenskizzen zu geben. Letzteres Bedürfniss ist namentlich seit der allgemeineren Einführung der Lucä’schen Glastafel hervorgetreten. Eine Hauptschwierigkeit musste dabei nur immer die Wahl des Materials sein, dessen man sich dabei zu bedienen hatte. Lucä schlägt dafür vor: Wasserfarben und Pinsel oder Pastellstifte.e. Die Anwendung der gelösten Farben und des Pinsels ist unverkennbar zu umständlich; und die Pastellstifte eignen sich ebenfalls nicht, denn sie sind 1) zu wenig lebhaft in der Farbe, 2) nicht geeignet, schnell grössere Flächen zu decken und 3) lassen sie sich nur schwierig mit dem Tafel- schwamme wieder wegwaschen; zudem sind sie auch unver- hältnissmässig, theuer. Es musste daher der Wunsch entstehen, geeigneteres Ma- Ueber farbige Kreiden für den anatomischen Unterricht. 679 terial zu besitzen. Diesem Wunsche verdankt die Herstellung einer farbigen Kreide ihre Entstehung, von welcher mir einige Muster von Freiburg mitgetheilt wurden. Diese Kreiden sind ein Gemenge von geschlämmter weisser Kreide mit einem Farb- stoffe unter Zusatz von etwas arabischem Gummi. Ich fand diese Kreiden zu hart und zu matt in der Farbe. Unter diesen Verhältnissen versuchte ich selbst die Her- stellung farbiger Kreiden und es gelang mir dieses in über- raschend einfacher Weise auch so genügend, dass nicht nur ich selbst, sondern auch verschiedene hiesige Collegen sich solcher Kreiden seit mehreren Jahren mit vielem Erfolge be- dienen. Das Interesse, welches viele durchreisende Collegen diesem Gegenstande zuwandten, namentlich bei der in diesem Herbste gehaltenen Versammlung schweizerischer Naturfor- scher, mehr aber noch wiederholte directe Aufforderung ver- anlassen mich nun, meine Methode der Herstellung solcher Kreiden öffentlich mitzutheilen. Die einfachste und leichteste Methode ist folgende: Man verimengt möglichst genau einen beliebigen Farbstoff mit feinem gebranntem Gyps, rührt das Gemenge mit Wasser zu einem dicklichen Brei an und giesst oder streicht diesen in bereit gestellte Formen. Als Formen benutze ich zwei Leisten von ca. 1 Cm. Dicke, welche, nachdem sie mit Talg bestrichen sind, auf ein mit Talg bestrichenes Brett angeheftet werden; für diesen Zweck haben dieselben an jedem Ende ein kleines Loch, durch welches eine starke Nadel in das unterliegende Brett eingestochen wird; — die freien seitlichen Oeffnungen der so gebildeten Rinne werden mit einem Stück weisser Kreide geschlossen; — auf der sichtbaren Fläche der Leisten befinden sich eingerissene Theilstriche in Entfernungen von 2—3 Zoll und nach Angabe dieser Striche wird noch in der Form vor dem vollständigen Erstarren der Masse die in der Rinne ge- bildete längere Stange in Theilstücke von angemessener Länge mit Hülfe eines spitzen Messers zerlegt. Nach vollständiger Erstarrung nimmt man die Leisten weg und legt die gewon- nenen Stücke zum Trocknen an die Sorne oder auf den Ofen. Man hat es in der Hand, diese Kreiden durch grösseren oder 680 Prof. Hermann Meyer: geringeren Antheil an Gyps heller oder dunkler in der Farbe herzustellen; — mehr Gyps oder auch Verwendung einer ge- ringeren Menge von Wasser lässt sie härter werden. Blassere Farbentöne stellt man daher am Besten dadurch her, dass man gewonnene Kreiden (gefärbtes Gypshydrat), in der Reib- schale pulvert und mit einer neuen Menge von gebranntem Gyps vermengt, oder auch dadurch, dass man der Masse eine entsprechende Menge gepulverter weisser Kreide beimengt. Als Farbstoffe habe ich bisher benutzt: Kugellack (Carmip), Mennige, Ocker (Goldocker), Chromgelb, Schweinfurter Grün, Ultramarin, Berliner Blau, Siena-Erde (braun). Mit Zinnober hat es mir noch nicht gelingen wollen, auf diesem Wege in- tensivere Farben zu gewinnen, weil er zu viel Luft an der Ober- fläche seiner Partikel festhält; ich konnte mir bei diesem Farbe- stoff nur damit helfen, dass ich denselben mit wenig Gyps und Wasser in einer Reibschale verknetete und die Masse dann in Stangen trocknen liess. Kreiden, welche auf solche Art hergestellt sind, sind sehr anwendbar auf Schiefertafeln und auf der Lucä’schen Glas- tafel. Zur Ergänzung bedarf man nur noch der weissen Kreide, der Reisskohle und für feine schwarze Linien der schwarzen Kreide, etwa auch noch das Chromgelb in Substanz. Zur An- wendung auf der geschwärzten Holztafel sind sie nur sehr wenig geeignet, indem sie auf dieser nicht ergiebig an- sprechen. Da indessen diese Gypskreiden gerne etwas rauh sind, so habe ich mit Erfolg, wenn auch etwas umständlicher, sehr zarte, allerdings aber auch etwas bröckelige Kreiden mit einer Basis von Pfeifenthon (Bolus alba) hergestellt. Dieser wird geschlämmt, dann mit dem Farbstoff zu einem Brei gerührt, und aus dieser Masse dann, nachdem sie auf dem Öfen zur entsprechenden Dicke eingedampft ist, kleine Stangen ge- formt. Zusatz von Leim, Gummi, Milch, Blut für den Zweck der festeren Bindung der Masse fand ich stets unzweckmässig, indem diese Mittel nur Bildung einer oberflächlichen harten Ueber farbige Kreiden für den anatomischen Unterricht. 681 Kruste zur Folge hatten, ohne dass die Masse im Innern der getrockneten Stange besser gebunden gewesen wäre. Ich benutze diese Gelegenheit zugleich, um mitzutheilen, dass wir hier in Zürich als Wandtafeln seit mehreren Jahren mit bestem Erfolge grosse Schiefertafeln gebrauchen, welche na- mentlich auch die Anwendung der farbigen Kreiden für den gewöhnlichen Gebrauch gestatten. Wir haben dieselben aus Glarus zu einem Preise bezogen, welcher den einer guten Holz- tafel von gleicher Grösse kaum übersteigt. Ohne Zweifel wer- den auch andere Schieferbrüche im Stande sein, solche zu liefern. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 44 682 Dr. Leonard Landois: Ueber eine einfache Methode, den Nervus sym- pathieus cervicalis bei Fröschen subeutan zu durch- schneiden, nebst einigen Bemerkungen über die Folgen dieser Operation. Von Dr. LEONARD LANnDoiıs, Privatdocenten und Assistenten am anatomisch-physiologischen Insti- tute zu Greifswald. Folgenden Beitrag zur physiologischen Operationslehre er- laube ich mir hiermit mitzutheilen, da es durch die sogleich zu erörternde Methode so ausserordentlich leicht gelingt, den N. sympathieus cervicalis bei Fröschen subeutan zu durch- schneiden. Der N. sympathicus cervicalis steigt bei den be- nannten Thieren zur Seite der Wirbelsäule liegend gegen den Kopf hin aufwärts und tritt durch das Foramen condyloideum neben dem N. vagus in die Schädeihöhle ein, um sich endlich in das Gauglion Gasseri einzusenken. Die für die Dilatation der Pupille im Halsstamme des N. sympathicus liegenden wirk- samen Fasern gehen bekanntlich, wie Budge nachgewiesen hat, vermittels der Rami communicantes beim Frosche hervor aus dem dritten und zweiten (Armnerven) und ersten (N. hy- poglossus) Rückenmarksnerven; an dem nächst oben folgenden N. vagus bildet der N. sympathicus kein Ganglion, sondern nur ein längliches Nervengeflecht, aus welchem viele Fäden in das Ganglion N. vagi eintreten. Oberhalb des N. hypo- glossus, an welchem das oberste Ganglion des Grenzstranges liegt, hat demnach der N. sympathicus alle Irisfasern bereits Ueber eine einfache Methode, den Nervus sympathicus u, s. w. 683 aufgenommen, die vom Rückenmarke herkommen. Dieser Theil des N. sympathicus liegt zur Seite des Atlas zwischen der hinteren Umrandung des Os occipitis und dem vorderen Rand des Processus transversus des zweiten Wirbels von einer dicken Muskellage und dem inneren Schulterblattrande über- deckt. Hier ist der passendste Ort für die Durchschneidung behufs Erzeugung des bekannten Pupillenphänomens und der Di- latation der Mundgefässe. Man fixire mit der Linken den Frosch an der Wirbelsäule und ermittele durch abwechselnde Hebung und Senkung des Kopfes, die man mit der Rechten vollführt, die Gegend des Atlanto-Oceipital-Gelenkes, die man alsdann mit dem Nagel des linken Zeigefingers fixirt. Hier stösst man nahe der Mittellinie ein schmales Messerchen senkrecht ein, so dass seine Schneide gerade nach Aussen hin gerichtet ist. Mit der Spitze des Messerchens, die alsbald auf den ersten Wirbel stösst, geht man seitlich hart an letzterem nach aussen und abwärts und macht, sobald die Spitze zur Seite des Wir- bels angelangt ist, eine leichte Hebelbewegung, durch welche die in der Tiefe befindliche Spitze nach Aussen geführt wird. Hierdurch gelingt die Durchschneidung des Halsstammes des N. sympathicus, die sich durch die oft schon nach einigen Mi- nuten deutliche Pupillenverengerung zu erkennen giebt. Diese Methode ist so leicht und einfach, dass dieselbe nach kurzer Uebung selbst im Dunkeln mit einem Stiche ausgeführt werden kann und verdient daher den Vorzug vor der vorherigen Blos- legung des Nerven, wozu es einer Abtragung des inneren Schulterblattrandes und Wegnahme der Nackenmusculatur be- darf. Auch ist sie einfacher und weniger verletzend, als die Durchschneidung von der Rachenhöhle aus. Die Blutung ist gering und die Operation völlig ungefährlich, so dass ich Frösche der Art lange Zeit am Leben erhalten habe. Die kleine Stichwunde heilt in kurzer Zeit per primam inten- tionem. Die Durchschneidung des N. sympathicus cervicalis äussert sich bei Fröschen in zweifacher Weise, in Bezug auf die Pu- pille und auf die Gefässe der Mundhöhle. Der Einfluss auf die Pupille zeigt uns einige bemerkenswerthe Eigenthümlich- 44* 684 Dr. Leonard Landois: keiten. Vulpian!) exstirpirte Fröschen das Ganglion cer- vieale N. sympathiei von einem Einschnitte der Schlundschleim- haut aus und beobachtete meist nach mehreren Stunden sehr deutliche Verengerung der Pupille, die am folgenden Tage so deutlich ausgesprochen war, dass letztere als eine schmale, etwas dreieckige transversale Spalte erschien. Aber schon nach 4—5 Tagen, mitunter etwas früher, mitunter etwas spä- ter, änderten sich die Erscheinungen vollkommen, die Ver- engung der Pupille verschwand und es trat eine Erweiterung gegenüber der anderen Seite ein. Lebhafter Lichtwechsel brachte dabei an dem Auge der operirten Seite nur sehr träge Reac- tionen hervor. Meine Versuche, die ich nach meiner vorhin beschriebenen Methode vorgenommen habe, bestätigen diese Angaben von Vulpian vollkommen, nur muss ich bemerken, dass die von dem benannten Forscher beobachtete Pupillen- erweiterung keineswegs das Endresultat des Versuches bildet. Wenn man die Beobachtungen länger fortsetzt, so beobachtet . man, dass der beschriebenen Erweiterung nach einiger Zeit wiederum eine deutliche Verengerung der Pupille folgt, die in meinen Versuchen sodann für die folgende Zeit durchgehend vorwiegend war. Diese vorüber gehende Erweiterung mag als eine Reizung des Sympathicus aufgefasst werden, hervorge- bracht entweder durch die um den vierten Tag am höchsten gesteigerte Entzündung, oder durch Reaction des Nervenge- webes bei der beginnenden Wiederverwachsung. Durchschnitt ich in jenem Stadinm, in welchem der primären Pupillenver- engerung die Erweiterung sich anzuschliessen beginnt, nach der von Budge?) angegebenen einfachen Methode das Ganglion Gasseri des Quintus vom Rachen aus, so entstand schnell wiederum eine deutliche Verengerung der Pupille, die ohne Unterbrechung für die Folgezeit dauernd blieb. Balogh°) hat aus einigermassen analogen Experimenten bei Kaninchen, denen er jedoch noch directe Reizversuche des Trigeminus-Oen- 1) Gazette medicale de Paris 1857. No. 39. 2) Froriep’s Tagesberichte 1852. No. 662. S. 64. 3) Moleschott’s Untersuchungen 1861. Bd, VII. Ueber eine einfache Methode, den Nervus sympathicus u. s. w. 685 trums anschloss, das Resultat gezogen, dass im Stamme des Quintus motorische pupillenerweiternde Fasern zum Auge hin verlaufen. Eine weitere Erscheinung, welche die Durchschneidung des N. sympathicus cervicalis bei Fröschen nach sich zieht, ist die Erweiterung der Gefässe der Mundhöhle der betreffenden Kopf- hälfte. Vulpian hat bereits in seinem Berichte auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht. Die Erscheinungen sind per- manent, nicht wechselnd, wie die an der Pupille beobachteten und betreffen die Zungengefässe und die der Magenschleim- haut, ohne dass die Sensibilität, Motilität oder die Secretion der Mundhöhle verändert wäre. Man sieht namentlich deut- lich die grossen Zungengefässe erweitert, wenn man die Zunge mit einem Scalpellstiele aus dem Maule hervorklappt. Aber auch die capilläre Injection ist stärker, man beobachtet sie am Boden der Mundhöhle bis zum Rachen, dem Unterkieferrand, sowie in dem, dem Oberkieferrande angrenzenden Schleimhaut- saume. Es handelt sich also hier offenbar um eine in Folge der Sympathieus-Durchschneidung auftretende Lähmung vaso- motorischer Fasern. Letztere giebt der N. sympathicus ab an das Ganglion N. vagi, und da dieser Nerv den N. lingualis und die sensiblen Nervenröhren der Mundschleimhaut ent- sendet, so werden die vasomotorischen Nerven des N. sympa- thieus zugleich mit diesen sensiblen des N. vagus verlaufen und die bezeichneten Gebiete versorgen. Marfels!) beobachtete nach Durchsehneidung des N. trigeminus Erweiterung der Ge- fässe der Mundhöhle bei Fröschen. Ob diese hier in Betracht kommenden vasomotorischen Nerven dem N. trigeminus selbst angehören, oder demselben erst durch den N. sympathicus zu- geführt werden in das Ganglion Gasseri, habe ich bis jetzt nicht eruirt. Es muss dieser Punct einer späteren Bearbeitung vorbehalten bleiben. 1) Moleschott’s Untersuchungen 1857. 686 Dr. Leonazd Landois: Ueber die entoptischen Phänomene, welche an der Eintrittsstelle des Sehnerven hervorgerufen werden können. Von Dr. LEONARD LAnDois, Privatdocenten und Assistenten am anatomisch - physiologischen Insti- tute zu Greifswald. -——— Purkinje, dessen gründliche und umfassende Versuche über die entoptischen Erscheinungen so überaus bahnbrechend für die Kenntniss des Sehens in subjectiver Hinsicht gewesen sind, hat auch die hier näher zu besprechenden Phänomene, wie sie sich seinem Auge darstellen, bereits genau beschrieben. Wir finden die hierher gehörenden Versuche in des gelehrten Verfassers „Beiträgen sur Kenntniss des Sehens in subjectiver Hinsicht; Prag 1819* an verschiedenen getrennten Stellen mit- getheilt, nämlich Nr. X die Eintrittsstelle des Sehnerven als feuriger Kreis sichtbar (S. 78), Nr. XXIV die feurigen Ringe (S. 136), und Nr. XIX Fleck in der Mitte des Gesichtsfeldes bei angestrengtem Nahesehen (S. 125), und wenngleich die Phänomene der besagten Versuche X und XXIV diesem For- scher „beide ikrrem Wesen nach identisch scheinen“!), so hat er hingegen es nicht versucht, das Phänomen beim angestreng- ten Nahesehen mit den übrigen in Verbindung zu bringen, obwohl dasselbe sowohl rücksichtlich des Ortes der Entste- hung, als auch seinem Wesen nach mit jenen nahe verwandt 1) A. a. 0, S. 138. Ueber die entoptischen Phänomene, welche an d. Eintrittsst. u. s. w. 687 Es ist.!) Wir werden unten sehen, dass die in Rede stehenden Phänomene insgesammt an der Eintrittsstelle des Sehnerven entstehen und durch eine Reizung eben dieses Nerven bedingt sind. Obwohl in diesen Beziehungen nahe verwandt, lassen sich dieselben dennoch in zwei gesonderte Abtheilungen schei- den, wir unterscheiden nämlich 1) das Phänomen hervorgeru- fen durch Zerrung des N. opticus an seiner Durchtrittsstelle durch die Sklera und 2) das Phänomen hervorgebracht durch Compression der Papilla Nervi optiei im Innern des Auges. Wir wollen beide eingehender untersuchen. 1. Entoptisches Phänomen durch Zerrung des Nerv. opticus. Wenn das vorher ruhige Auge durch Muskelzug schnell und kräftig nach irgend einer Richtung bewegt wird, so er- scheint in dem Gesichtsfelde ein kreisförmiges Phänomen, das je nach der Beleuchtung des Sehfeldes in verschiedenem Lichte auftritt. Ist das Gesichtsfeld verfinstert, etwa bei geschlosse- nen Augen, so erscheint das Phänomen als leuchtender Ring dessen Innenfläche ebenfalls, jedoch in schwächerem, graulich- phosphorischem Lichte glänzt. Nur bei sehr heftigen Bewe- gungen erscheint mir ausserdem, und zwar wenn ich das Auge nach Innen ziehe, im Centrum ein unregelmässig gestalteter aufblitzender Kernfunken. Die peripherische Umgränzung der lichten Scheibe ist nicht vollkommen glattrandig, sondern es ragen von derselben zacken- und spitzenförmige Fortsätze nach Aussen hin hervor. Ist das Gesichtsfeld roth dadurch, dass man das Licht durch die geschlossenen Lider fallen lässt, so erscheint die Scheibe je nach der Intensität des Lichtes ent- weder dunkel- oder hellblau; auch so sehe ich die Fortsätze an der Peripherie, sowie den Kernfunken bei heftiger Bewe- gung nach Innen. Bei farbigem Gesichtsfelde erscheint die Scheibe, wie Purkinje bereits richtig hervorhebt, meist in derselben Farbe nur dunkler. Ich fand die Färbung der Scheibe bei purpurrothem Hintergrunde dunkelviolett, bei blassrosa- 1) A.:3.0487105, 688 Dr. Leonard Landois: rothem etwas dunkler schimmernd mit einem Stich in’s Blaue, bei orangerothem grauziegelroth, bei fleischfarbenem graublass- röthlich, bei hellgelbem graugelblich, bei ockergelbem schmutzig graugelb, bei hellgrünem graugrün, bei olivengrünem schwärz- lichgrün, bei hellhimmelblauem unreinblau, bei anilinviolettem dunkelblauschwarz, bei dunkelsilbergrauem aschgrau, bei weis- sem braungrau bestaubt. In allen diesen Fällen erscheint der Rand in leuchtendem Schimmer mit den erwähnten vorsprin- genden Fortsätzen, ebenso wird beim Zuge nach Innen in der Mitte der helle Schein deutlich. Die Grösse der Scheibe ist ver- schieden, je nach der Richtung, in welcher das Auge bewegt wird. Am grössten erscheint mir dieselbe beim Zuge nach Innen, wo sie etwa den Umfang eines Zweigroschenstückes hat, am kleinsten beim Zuge nach Aussen. Was die Leichtigkeit, mit welcher die Erscheinung hervorgerufen werden kann, an- betrifft, so gelingt es mir am leichtesten beim Zuge nach In- nen, Oben und Innen und Unten und Innen. Viel schwieriger und nur mit Anstrengung erscheint mir das Phänomen beim Zuge nach Aussen, Oben und Aussen und Unten und Aussen, oder gerade aufwärts. Bei einfacher starker Senkung des Au- ges vermag ich das Phänomen nicht hervorzurufen. In beiden (geschlossenen) Augen erscheint mir das Phänomen zugleich bei stark aufwärts gewälzten Bulbis; alsdann erscheinen beide Scheiben gleichgross von mittlerem Umfange. Wende ich die Augen seitwärts, so erscheint mir zuerst in dem nach Innen gewandten die Scheibe von grosser Ausdehnung, und erst bei noch stärker angewandtem Zuge erscheint die viel kleinere in dem nach Aussen gewandten anderen Auge. Wende ich beide Augen zugleich nach Oben und Innen, oder Innen, oder Unten und Innen, oder suche ich beide Augen möglichst stark diver- gent zu richten, so tritt das Phänomen in keinem Auge auf. Ein Druck an irgend einer Stelle des Auges lässt das Phä- nomen stets deutlicher erscheinen. Während Purkinje das Phänomen überhaupt nur gesehen zu haben scheint, wenn er das Auge stark nach Aussen wendet!), sehe ich dasselbe am 1) A. 3, 0. 8. 79. Ueber die entoptischen Phänomene, welche an d, Eintrittsst. v.s. w. 689 schönsten und grössten gerade umgekehrt beim Zuge des Auges nach Innen. Dieser Unterschied rührt daher, dass Purkinje, wie ich aus seinem Werke anderorts ersehe, weitsichtig ist, ich hingegen kurzsichtig bin. Beim Weitsichtigen sind die Sehaxen in der Ruhe mehr divergent gerichtet, beim Kurz- sichtigen mehr convergent. Das Phänomen entsteht aber durch eine Zerrung des N. opticus an seiner Eintrittsstelle in die Sklera.. Daher kommt es, wovon man sich durch die Be- trachtung eines anatomischen Präparates hinreichend belehren kann, dass bei einer primären Stellung des Auges, in welcher die Sehaxen mehr nach Aussen gerichtet sind, der Nerv bei Wälzung des Bulbus vorzugsweise dann gezerrt wird, wenn die Drehung nach Aussen geschieht. Der Nerv wird für diese Drehungsart zuerst gleichsam zu kurz, derselbe hindert ähnlich einem Zügel die noch weitere Drehung nach Aussen und hier- durch erhält er eine Zerrung. Umgekehrt verhält es sich, wenn bei der primären Stellung die Sehaxe mehr nach Innen ge- richtet ist. Purkinje, der diese Verschiedenheit nicht kannte, glaubte den Umstand, dass bei ihm das Phänomen bei der Wendung des Auges nach Aussen eintrat, einfach aus der ana- tomischen Anordnung des Eintritts des Sehnerven in die Sklera ableiten zu können. Er sagt von dem Phänomen'!): „Sein Licht leite ich ab von der plötzlichen Zerrung des Gesichts- nerven, die vorzüglich bei der Wendung nach Aussen statt- finden muss, da sein Eintritt an der entgegengesetzten Seite sich findet“. Bei genauerer Erörterung der anatomischen Mo- mente und der Drehbewegungen des Bulbus muss diese Inter- pretation als unstichhaltig erscheinen. Dies beweist schon der Umstand, dass in meinem Auge sich die Sache gerade umge- kehrt verhält; auch die anderen Richtungen sind ja, wie wir sahen, nicht ausgeschlossen. Es bedarf nur noch des Beweises, dass das Phänomen wirk- lich an der Eintrittsstelle des Sehnerven seinen Sitz hat. Einen directen Beweis hierfür hat bereits Purkinje angeführt: Stellte er nämlich den Mariotte’schen Versuch an, und liess 1), A, 2:0.8,,8% 690 Dr. Leonard Laudois: zugleich das Phänomen eintreten, so sah er, dass einer der Puncte in den feurigen Ring geht. Ich vollführe den Ver- such in folgender Weise. Bei stark nach Innen gewandtem Auge stelle ich den Mariotte’schen Versuch an, indem ich auf einem 4—5 Zoll vom Auge entfernten weissen Blatte einen von zwei schwarzen Puncten verschwinden lasse. Wenn derselbe verschwunden ist, suche ich durch einen kurzen, scharf markirten Zug den Bulbus noch weiter nach Innen zu bewegen, und hierbei entsteht an der Stelle, an welcher der Punct verschwunden ist, das scheibenförmige Phänomen, also auf der Eintrittsstelle des Sehnerven. — Ich habe noch eine andere Methode ausfindig gemacht, nach welcher mir die Be- weisführung ebenso leicht gelingt. Ich richte das Auge nach Innen und Oben, stelle mich einer intensiven Lichtquelle ge- genüber und bringe in dem Auge die Gefäss-Schattenfigur her- vor, indem ich das obere Augenlid senke, das untere abwärts ziehe. Sobald ich nun die Ausbreitung der Gefässe, welche dunkel auf hellem Grunde mit golden glänzender Verbrämung an ihren unteren Rändern erseheinen, deutlich erkenne, so wird das Auge durch einen kurzen abgesetzten Ruck noch ein wenig mehr nach Innen gewandt — und sofort erscheint das scheibenförmige Zerrungsbild gerade an der Stelle, von welcher die Gefässverzweigungen ausgehen, also an der Eintrittsstelle des N. opticus. Auf diese Weise kann ich das Phänomen sogar in beiden Augen zugleich, wenngleich auch nicht so schön, hervorrufen, indem ich beide Augen stark aufwärts wende. So gelingt es, sowohl zwei Gefäss- Schattenfiguren hervorzubringen, als auch an jeder derselben die Scheibe, die bei der Wendung des Auges nach Oben in- dessen kleiner erscheint, als bei der Wendung nach Innen. 2. Entoptisches Phänomen, hervorgebracht durch Compression der Papilla Nervi optici. Purkinje hat in seinen „Beiträgen“ einen Versuch be- schrieben: „Fleck in der Mitte des Gesichtsfeldes beim angestrengten Nahesehen,“ von dem wir hier ausgehen wollen. „Wenn ich“ — so berichtet er — „vor Ueber die entoptischen Phänomene, welche an d. Eintrittsst. u. s. w. 691 einer hellweissen Fläche das Auge zum Nahesehen einrichte, sowie wenn ich in die nächstmögliche Nähe sehen wollte, so erscheint mir in der Mitte des Gesichtsfeldes ein weisser durchsichtiger Kreis mit einer bräunlichen halbdurchsichtigen unbestimmt begränzten Umgebung. Lasse ich nun das Auge frei, so verschwindet der Fleck und die weisse Fläche ist an der Stelle lichter als anderwärts. Komme ich dem nahesehen- den Auge noch durch einen Druck an irgend einer Seite des Augapfels zu Hilfe, so wird der Fleck dunkelbraun und un- durchsichtig und hat eine lichtviolette halbdurchsichtige Um- gebung, indess der weisse Kreis in der Mitte noch immer ste- hen bleibt; nur bekommt er bei noch mehr verstärktem Drucke einen braunen Fleck in der Mitte oder er verschwindet gar und man sieht nur einige weisse Fleckchen an seiner Stelle. Schliesse ich das Auge und verwahre es wohl gegen alles äussere Licht, so erscheint an der Stelle des Flecks ein schwa- cher Lichtschimmer mit einem dunklen Kreise in der Mitte. Wer das Auge nicht in einem angestrengten Nahesehen zu halten vermag, der nehme ein Blatt weisses Papier, setze es mit einer Ecke an den inneren Augenwinkel und wende nun das Auge kräftig nach Innen, so wird er die beschriebenen Erscheinungen mit leichter Mühe erhalten.“ Ueber die Art und Weise, wie dieses entoptische Phäno- men zu Stande kommt und über den Sitz desselben hat Pur- kinje an dieser Stelle keine Andeutnngen gegeben. In mei- nen ziemlich bedeutend myopischen Augen gestaltet sich das Phänomen in folgender Weise. Wenn ich das Auge vollstän- dig gerade vorwärts gerichtet gegen eine weisse Fläche ge- wendet für die nächste Nähe accommodire, so erscheint in der Mitte des Gesichtsfeldes ein unbegrenzter heller zitternder Schimmer, in dessen Mitte eine leichte Andeutung eines braun- grauen Fleckes sich bemerklich macht. Alles ist jedoch so zart, dass erst nach längerer Uebung die Erscheinung constant beobachtet wird. Wird die Accommodation für die Nähe noch stärker foreirt, so erscheint der braune Fleck deutlicher, er wird dunkel, etwa erbsengross und verschwimmt mit seinen Rändern allmählich nach Aussen hin. An seiner Umgebung 692 Dr, Leonard Landois: ist noch der helle Schein sichtbar als ein zitterndes Flackern. Die Erscheinung kann nun noch gesteigert werden, wenn ich an irgend einer Stelle des Bulbus einen Druck anbringe. Aus- ser der dieser neuen Druckstelle entsprechenden Druckfigur er- scheinen nun neue Veränderungen an dem Phänomen: seine Färbung dunkelt noch mehr, sein Rand bekommt einen grün- lichen Schimmer, während im Centrum des braunen Fleckes ein lichter weisser Kernfleck entsteht, dessen Rand violett ist und allmählich in die braune Umgebung übergeht. Setze ich den Druck noch in verstärktem Masse fort, so überzieht sich ziemlich plötzlich das ganze Gesichtsfeld mit Finsterniss, die mit blauvioletter Dämmerung hereinbricht. Wird nun der Druck entfernt, so kommt allmählich die Helligkeit wieder, aber von dem Phänomen ist Nichts mehr zu sehen. Dieser letztere stärkere Druck greift indess das Auge sehr an, noch lange Zeit nachher bleibt das Gesichtsfeld des Auges, mit welchem experimentirt wurde, dunkler, als das andere. Wird statt des weissen Grundes ein farbiger gewählt, so erscheint der braune Fleck gemischt mit der Grundfarbe, so dass sich die Farben hier ähnlich verhalten, wie in-dem Versuche, den ich oben durch starke Nach-Innenwendung des Auges bedingt beschrieben habe. Verschliesse ich das Auge gegen alles Licht, so dass das Gesichtsfeld völlig verfinstert ist, so vermag ich durch blosse Accommodationsbewegung für die Nähe, ohne jeg- lichen äusseren Druck das Phänomen nicht hervorzubringen. Gerade so, wie bei forcirter Accommodation für die Nähe auch ohne angewandten äusseren Druck an irgend einer Stelle des Augapfels das entoptische Phänomen zur Wahrnehmung gebracht werden kann, so lässt sich dasselbe auch durch blos- sen Druck ohne gleichzeitige Accommodationsbewegungen er- zeugen. Vollführe ich bei geradeaus gerichtetem nicht accom- modirtem Auge an der äusseren Seite des Bulbus einen Druck, so erscheint, ausser der an der inneren Seite des Auges auf- tretenden deutlichen Druckfigur, in der Mitte des Sehfeldes, wenn dasselbe weiss ist, ein etwa Zweigroschenstückgrosser Lichtschimmer, in dessen Innern bogenförmige Schattenrisse belegen sind, die unregelmässig concentrisch gelagert erschei- Ueber die entoptischen Phänomene, welche an d. Eintrittsst. u.s. w. 693 nen. Auch auf farbigem Grunde lässt sich das Phänomen hervorbringen, es erscheinen hier die helleren Partien einfach heller, die dunklen einfach dunkler, als die Grundfarbe. Lässt man durch die geschlossenen Lider Licht in das Innere des Bulbus fallen und stellt alsdann den Versuch an, so erscheint auf dem rothen oder gelbrothen Grunde der Fleck blau oder grünblau. Ist endlich das Gesichtsfeld mit Finsterniss bedeckt, so erscheint bei jedesmaligem Drucke der Fleck als eine leuch- tende Scheibe. In allen diesen Fällen wird das Phänomen verstärkt, sobald man während des Druckes zugleich eine Ac- commodationsbewegung für die Nähe einleitet. Da also nach dem vorher Erörterten bei der einfachen forcirten Accommo- dationsbewegung für die Nähe ein Phänomen im Gesichtsfelde auftritt, durchaus ähnlich demjenigen, welches durch Druck hervorgebracht wird, da beide Bedingungen zusammen dasselbe in verstärktem Massstabe erzeugen, so erscheint schon hieraus der Schluss gerechtfertigt, dass bei der Accommodationsbewe- gung für die Nähe der intraoculäre Druck anwächst, eine Thatsache, die schon Home!) und Purkinje?) aufgeklärt haben. Der Umstand, dass man an den Phänomenen, die durch die beiden Ursachen erzeugt sind, unwesentliche Ver- schiedenheiten wahrnimmt, wie sie aus der gegebenen Be- schreibung erhellen, erklärt sich hinlänglich daraus, dass auch die beiden Arten, den intraoculären Druck zu verstärken, ver- schieden sind und somit die Reizung der Papilla N. optici, wodurch, wie gezeigt werden soll, das Phänomen entsteht, in verschiedener Weise vor sich gehen muss. Dass es sich also in dem beschriebenen Phänomen um eine Erscheinung han- delt, die durch Druck im Innern des Auges entsteht, möchte unbestritten erscheinen, es bleibt daher noch zu erweisen, an welcher Stelle im Auge das Phänomen zur Entfaltung kommt. Dieser Anforderung ist leicht zu genügen, indem es nämlich gelingt, das Phänomen direct in dasjenige überzuführen, wel- ches wir bereits oben als durch Zerrung des N. opticus be- 1) Reil’s Archiv. Ba. II. 2) A. a: 0.8087. 694 Dr. Leonard Landois: dingt beschrieben haben. Und da jenes eben sicher an der Eintrittsstelle des Sehnerven entsteht, so muss nothwendiger Weise auch dieses dort entstehen. Die Ueberführung des einen Phänomens in das andere ist leicht und somit auch der Beweis, dass beide an ein und derselben Stelle der Netzhaut entstehen. Einfach gelingt dieses in folgender Weise. Ich schliesse das Auge und lasse durch die Lider Licht einfallen, welches das Gesichtsfeld roth färbt. Alsdann lasse ich durch Druck an der äusseren Seite des Bulbus das Phänomen ein- treten. Sobald es sichtbar geworden, wird nun der Bulbus nach Innen gerollt und in dieser Stellung nun durch den M. rectus internus ein starker Zug ausgeübt, und sofort bemerkt man, wie das durch den Zug entstehende Phänomen das an- dere deckt, gleichsam nur verstärkt. Schon Purkinje glaubte, dass beide Phänomene, sowohl durch den Druck, als auch durch den Zug hervorgebracht, an derselben Stelle der Netz- haut entständen. In ähnlicher Weise kann man verfahren, indem man auf weisser Fläche sehr stark für die Nähe accom- modirt und nun allmählich das Auge nach Innen hinüberführt. In dieser Beziehung sind mannichfache Modificationen möglich Das Resultat unserer Erörterungen ist also das gewesen, dass sich an der Eintrittsstelle des N. opticus zwei entoptische Phänomene erzeugen lassen: Das eine entsteht durch forcirte Wälzungen des Bulbus und ist bedingt durch die hierbei ent- stehende Zerrung des N. opticus an seiner Eintrittsstelle, das andere entsteht bei Verstärkung des intraocularen Druckes und beruht auf einer durch den Druck bedingten Erregung des Sehnerven und zwar seiner Papille. - Verwandte Gebiete unseres Gegenstandes sind die Erschei- nung der Eintrittsstelle des Sehnerven bei Betrachtung der Gefässschattenfigur und das Accommodationsphosphen, auf welche ich jedoch nicht näher einzugehen beabsichtige. Im- merhin will ich bemerken, dass das Accomodationsphosphen, welches bekanntlich ebenfalls bei angestrengter Einrichtung des Auges für die Nähe in die Erscheinung tritt und welches auch ich in meinen Augen sehr deutlich hervorzubringen im Stande bin, durchaus verschieden ist- von unserem soeben be- Ueber die entoptischen Phänomene, welches an d. Eintrittsst. u. s.w. 695 schriebenen Phänomene. Während nämlich das Accommoda- tionsphosphen als glänzender Saum an der Grenze des Ge- sichtsfeldes erscheint, tritt unsere entoptische Erscheinung als Scheibe im Centrum desselben hervor, während ferner ersteres beim Nachlass der Accommodation bemerkt wird, bildet sich letztere gerade auf der Höhe der angestrengten Accommoda- tion für die Nähe. Endlich sei noch bemerkt, dass das Accom- modationsphosphen, wie Ozermak!) bekanntlich ausgeführt hat, hervorgebracht wird durch eine Zerrung der Ora serrata vermittels der mit ihr verschmolzenen, beim Nachlassen der Accommodation für die Nähe sich wiederum spannenden Zo- nula Zinnii, während unser Phänomen von der Eintrittsstelle des Sehnerven ausgeht. i 1) Sitzungsberichte der Kais. Acad. der Wiss. Wien 1858, S. 78. 696 Prof. Mayer: Zur Frage über das Alter und die Abstammung des Menschengeschlechtes. Von Geh. Med.-Rath und Prof. MAyER in Bonn. Die Frage über das Alter und den Ursprung des Menschen- geschlechtes ist gegenwärtig in wissenschaftlichen und Volks- Blättern zu Gunsten der Ansicht, vornemlich engländischer Naturforscher, der eines Lyell, Darwin und Huxley, dass der Mensch von der Familie der Affen abstamme, so allgemein entschieden worden, dass ein audiatur et altera pars schon wegen der Paradoxie dieses Ausspruches als gerechtfertigt er- scheint. Wir wollen daher hier die Thatsachen, worauf sich diese Lehre über das Alter und die Abstammung des Menschen stützt, nachdem kurze Andeutungen hierüber in diesem Archiv 1864 S. 1 ff. gegeben wurden, ausführlicher vorführen und die Folgerungen, welche sich daraus ziehen lassen, näher besprechen. Diese Thatsachen sind: I. a. Auffindung eines menschlichen Skeletes ohne Schädel (welcher jedoch später gefunden wurde) in dem Meersandstein von Guadeloupe, das ich im britischen Museum zu London selbst sah, und einer grossen Zahl solcher Skelete in Guade- loupe selbst. b. Ein fossiles Skelet des Menschen aus dem Sandstein-Schiefer von Quebee in dem Museum daselbst auf- gestellt. c. Ein incrustirter menschlicher Unterkiefer mit Zäh- nen und einem Stück Fussknochen im Corallensandstein der Halbinsel Florida durch Pourtales. Was den ersten Fund Zur Frage über das Alter und die Abstammung des n. s. w. 697 von Guadeloupe betrifft, so gehört der Land- und Meercon- chilien enthaltende Kalkfelsen den Ablagerungen der Alluvial- zeit an, wie es bereits Ouvier aussprach. Es ist wahrschein- lich, dass ein ganzer früherer Menschenstamm der ÜOaraiben (Calibi von den jetzigen Einwohnern genannt) durch eine grosse Ueberfluthung der Insel untergegangen ist und die Leich- name allmählich in Kalkstein-Mumien verwandelt wurden, wozu eine nicht sehr lange Zeit erforderlich war, wie sich dieses aus den Berechnungen der schnellen Fortschreitungen der Kalk- felsenbildung in den Antillen nach Cap. Hunt (Siliman’s Journal 1863) ergiebt. Dasselbe jüngere Alter gilt vom Ske- let im Kalkschiefer von Quebec. Das Alter des von Pour- tales gefundenen Unterkiefers und Fussrudimentes berechnet Agassiz auf 10,000 Jahre nach der muthmasslichen Zeit der Bildung des’jene Reste einschliessenden Korallenriffes. Hier- bei hat aber Agassiz das wahrscheinliche Niedersinken jener Knochentheile im Korallenriffe nicht in Anschlag gebracht und so dürften von jener Zahl der Jahre doch 2—3000 Jahre ab- gehen, und solche sich auf 7000—8000 reduciren lassen. II. Auffindung von fossilen Menschenknochen in alten Gräbern, ohne oder mit (segenständen menschlicher Handthie- rung, mit Waffen, Geräthen und Industriesachen. Die fossilen Skelete der Gräber Mecklenburgs dürfen wir wohl, da die Schädel hier nur den mongolischen Typus und einer davon den kaukasischen, wahrscheinlich dem Chef der unterliegenden Mongolen angehörend, zeigten, auf Begräbnisse aus dem zweiten Zuge Attilas durch Norddeutschland zurück- führen, so dass sie in eine nachchristliche Periode fallen, Ein früheres Datum mögen allerdings die in den Gräbern von Norwegen und Schweden, welche Nilsson beschrieb, beanspruchen können, doch gilt dieses nur im Ganzen von den Gräbern, wo mit den Menschenknochen blos Waffen und Werk- zeuge von Stein vorgefunden sind und welche man dem Stein- zeitalter zuschreibt. Diejenigen aber, mit oder bei welchen neben den Menschenknochen auch Gegenstände, namentlich Schmucksachen von Bronze lagen, können nur bis auf die Zeit, wo durch die Cimbrer ein Verkehr mit dem Süden, namentlich Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864, 45 698 Prof. Mayer: mit römischen Völkern stattfand, oder etwa bis auf eine frühere Periode, wo durch phönikische Handelsleute und griechische Colonien am nördlichen Ufer des Pontus ein Verkehr mit den Nomaden des Nordens bis zu der Ostsee hin statt fand und Bernstein dagegen eingetauscht wurde, welche Periode aber kaum über 800---1200 Jahre v. Chr. hinaufreichen, also kaum vorhistorisch sein würde. In Betreff der von den nordi- schen Naturforschern zuerst vorgeschlagenen Eintheilung der Vorzeit in ein Stein-, Bronze- und Eisen-Zeitalter ist zu er- wähnen, dass diese Fintheilung keinen streng historischen Charakter besitzt. Es ist zwar zweifelsohne die Steinzeit die früheste und erste zu nennen, da Kieselsteine den ersten Men- schen überall zunächst lagen, um zu Werkzeugen und Waffen gebraucht werden zu können. Es konnte aber das Steinzeit- alter nun verschiedene Dauer haben, je nach dem: Mangel oder dem Vorhandensein von Kupfer und Eisen in der Um- gebung, nach der Hemmung der Cultur der Bewohner durch Rauhheit des Klimas oder durch frühe oder spätere Wande- rung oder Handelsverbindung. In Phönikien, der Heimath der Erfindung des Glases, möchte bald auf die Steinzeit die Benutzung des Glases zum Schnei- den etc. oder eine Glaszeit gefolgt sein. Die Bronzezeit und die Eisenzeit wechselten auch wohl hier und da in der Zeit- folge, je nachdem sich Kupfer oder Eisen in einem Lande vorfanden, so dass, wo Letzteres aber nicht Ersteres sich vor- fand die Eisenzeit der Bronzezeit voranging, während meistens wegen der Schwierigkeit der Schmelzung des Eisens die Bronze- zeit eine frühere war. Nach den Beschreibungen von Homer besassen die Helden vor Troja (Od. 9, 391) bereits Stahlwaffen (?£oıs veilchenblauen) und Bronzewaffen zugleich. Das Zinn zu den Bronzerüstungen (yalxos) bezogen die Alten (Phönikier) aus Cornwall (die Scylly-Inseln, sonst statt dieser Halbinsel Cassiterides genannt, liefern kein Zinn) wohl zur See, viel- leicht bloss geradeaus hinfahrend durch Schiffsverbindung mit Cornwall (Falmouth-Hafen), später erst zur Römerzeit (Dio- dor) von da aus über Gallien nach Massilia. Das sächsisch- böhmische Erzgebirge war noch lange nicht erschlossen; die Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 699 an Zinn so reiche Halbinsel Malacca und Insel Barka, so wie Nordchina, wo es selten ist, waren noch ausser Handelsver- bindung mit dem Westen. Wenn aber auch die Gräber Nordens aus der Steinperiode als sehr alte anzusprechen sind, so gehören doch die Men- schenschädel dieser Periode einer nicht niedern oder gar einer pithekoiden Rasse eines sog. vorhistorischen Menschengeschlech- tes an, da unter diesen Schädeln sich nach Eschricht’s Un- tersuchungen, auf die man doch gewiss ein Gewicht legen darf, selbst auch kaukasische Rassen vorfanden. Dieses Urtheil bestätigen auch die Funde menschlicher Schädel aus den alten Gräbern von Schottland, welche neben Formen mit deprimirtem Vorderkopf, auch solche mit kauka- sischem Typus zeigten (Wilson’s Archeology S. 171) und aus den Mounts Nordamerika’s, welche dem jetzigen amerika- nischen Schädel in ihren Dimensionen ganz ähnlich sind. Ill. Das Vorhandensein von Menschenknochen mit Werk- zeugen menschlicher Handtierung und mit den Knochen von noch nicht sehr lange ausgestorbenen Thier-Varietäten in den Pfahlbauten der Seen und Flussufer aus der Schweiz und an- derwärts. Die Entdeckung der Pfahlbauten nimmt jetzt immer grös- sere Dirnensionen an, jedoch sind nur wenige davon von sehr altem Datum. Diejenigen davon, welche zugleich Werkzeuge und Waffen aus Kieselsteinen enthalten, rechnen zu den älte- sten, es sei denn, dass dieselben feiner gearbeitet, polirt ete. sind oder dass sie zugleich Bernsteinsachen, Corallen ete. ent- halten, wo sie mit der Bronzeperiode parallel laufen. F.Maurer will den Pfahlbauten überhaupt nur 800 —500 v. Chr. zuge- stehen, was für die ersten viel zu geringe ist; Troyon (Ha- bitations lacustres, Lausanne 1860) nimmt für die ältesten Pfahlbauten des Steinalters 5000—7000 Jahre an, was ich auch für richtig halte. Doch dürfte den für ein hohes Alterthum eingenommensten Forscher eine höhere oder frühere Periode, als die von 6000-7000 Jahren wohl hinreichend erscheinen, welche ich für die ersten Bewohner Helvetiens, wie für die aller andern Autochthonen der einzelnen Provinzen der Erd- 45 * 700 Prof. Mayer: theile anzunehmen glaube berechtigt zu sein. Ich habe immer die Abstammung des Menschen nicht nur von mehren Men- schen-Paaren, sondern von mehren Familien-Paaren in den verschiedenen Gegenden der Erdtheile behauptet und nament- lich auch das ursprüngliche Vorhandensein von verschiedenen (zahlreichen) Dialekten, welche vor den Volks-Sprachen wa- ren und diese erst bildeten oder zu ihnen verschmolzen. Ich habe daher auch immer die Idee des Ursprungs der Bewohner der Erde aus Asien oder ihre Abstammung von den sogenann- ten Ariern, die ich als eine Erfindung der Studirstube und als kein Urvolk betrachte, bekämpft (s. Mayer Aegyp- tens Vorzeit S. 58). Dieses Urvolk der Arier soll von den unwirthlichen Schneegebirgen des Hindu-Kusch herabgestiegen sein und sich sogar bis über Europa verbreitet haben. Und doch kennt Niemand dieses Eden oder Paradies, und kein Reisender hat bis jetzt es uns aufgeschlossen. Den Namen Arier und Arejer kennt Herodot, aber nicht als Urvolk, son- dern als Neben- Tribus im Heere des Xerxes und der Name Arier bei den Hindus bedeutet auch keinen Menschenstamm, sondern nur eine höhere Rasse, welche die zwei obern Kasten der Autochthonen Hindostans der Brahminen und Xitrya bilden. Lassen selbst (Indische Alterthumskunde S. öll) muss ein- gestehen, dass sich keine Andeutung finde weder in der prag- matischen noch in der fabelhaften Geschichte Indiens von Ein- wanderung eines fremden Stammes. Es geht dem Namen Arier wie dem der Pelasger und Kelten, für deren Abkunft aus Asien und deren Wanderung keine Beweise und nur Scheinbeweise existiren. Die Pelasger stammen aus dem Peloponnes und ihre Wanderung reicht bloss bis Grossgriechenland. Die Kelten haben ihre Heimath an der Donau und wandern von da durch Rhaetien, Helvetien nach Gallien, Iberien (Celtiberi) und Brittanien. Sie treten aber erst spät (800 v. Chr.) in die Geschichte ein. Man nennt die Kelten daher auch unrichtig die früheren Bewohner der Pfahlbauten, wozu sie viel zu spät kamen. Die Schweiz hatte ihre Ureinwohner wie jedes andere Land, ihre Autochthonen und die Kelten sind spätere Einwanderer oder Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 701 eigentlich blosse Durchwanderer. In den frühesten historischen Zeiten der Schweiz treten bereits verschiedene Ur-Volksstämme auf, als da sind: die Helvetii unter ihrem Anführer Elicho, oder Helvicho, wovon vielleicht das Volk Helvetii genannt wird; ferner die Rauraci (Arauer, besser Aargauer, Wurzel Gau, Gauer, wie Thurgauer, Rheingauer) ein weit reichender Volksstamm vom Juragebirge der schwäbischen Alp an, von Reutlingen, Tuttlingen, Ueberlingen , Berlingen bis Peterlingen (Payerne), wo derselbe an die Welschen, Walli- ser, stiess, endlich im Innern der Schweiz noch mehre unbe- kannte Stämme, Was nun die in den Pfahlbauten aufgefundenen Schädel betrifft, so zeigen dieselben den noch jetzt bei den Bewohnern der Schweiz vorzufindenden suborthocephalen Typus und gilt hier das oben in dieser Hinsicht Gesagte. Ich kann mich der Eintheilung der Schädelformen der Helvetier, welche uns His und Rütimeyer in ihrem interessanten Werke (Urania hel- vetica Basileae 1864) geben, nicht ganz zustimmend erklären. Wenn der Sion-Schädel, wie ihn die Verfasser nennen, jetzt in der ganzen Schweiz nach ihren eifrigen Forschungen gemein ist, so kann dies nur von der späteren Vermischung der Be- wohner der Cantone herrübren und ist der grosse Schädel überhaupt der häufige in der gemischten Rasse. Früher fanden sich aber gewiss noch verschiedene Formen. Ob der zum Cretin ausartende Schädel des Wallis nicht eine solche Abart begründe, will ich nicht besonders betonen. Aber den Dis- sentis-Schädel zu den helvetischen Schädeln zu rechnen, ist nur politisch, nicht ethnologisch zu gestatten. Ich möchte hier hinzufügen, dass noch gegenwärtig in der deutschen Schweiz, und zwar im Innern derselben, noch zwei bedeutend von ein- ander abweichende Körpertypen und damit auch Kopfformen sich vorfinden, welche nicht auf den Sion-Typus zu redueiren sind. Man trifft nämlich jetzt noch wie früher (nach meiner Beobachtung vom Jahr 1812—19), bei den öffentlichen Volks- festen, dem sog. Schwingen auf dem Ringplatze zwei ganz verschiedene Rassen, um genau so zu sagen, an: den Ober- länder, orthocephal mit kleinem Kopfe, kleinem aber gedrun» 702 Prof. Mayer: genem Körperbau, kurzen aber vorspringend museulösen Glied- massen, schnellen kräftigen Bewegungen und listig den Gegner anlugend, auch meistens ihn überstürzend, und im andern Halbkreise, den Emmenthaler und Entlibucher, orthoeuroce- phal mit grösserm Kopfe, grossem Körperbau, langen massen- haften Gliedmassen und Knochen, ruhigen, langsamen, schwer- fälligen Bewegungen. Ausser diesen Haupttypen giebt es ge- wiss noch andere, den des dem Schwaben ähnlichen Argauers, des grossen aber hagern Zürchers u.s. f. Sollte es nicht eth- nologisch wichtig sein, diesen verschiedenen Körpertypen mit den ihnen entsprechenden Kopfformen nachzuspüren, wie ja schon die verschiedenen Aussprachen in der Schweiz auf einen Sonderbau der Sprachorgane, namentlich des Gaumens hin- deuten. IV. Mit den Pfahlbauten stehen in Beziehung auf Alter wohl die Kjökkenmedinger (Küchenabfälle) der Nordseeküsten auf gleicher Linie. Ich habe bereits einen Grund gegen ihr sehr hohes Alter angeführt (d. Archiv 1864 1. H.). Es sind nicht eigentlich Küchenabfälle sondern Schuttwälle (Dane- wirke) von Knochen, Conchylien mit Sand verkittet, zum Schutze gegen Meeresfluth und Seeräuber, hinter welchen diese Volksstämme in Hütten wohnten. Die roh gearbeiteten Stein- wallen zeugen zwar für frühes Steinalter, allein dieses hat sich auch bei so rohen abgelegenen Volksstämmen lange hin- gezogen. Dass sie die Austern fernher holen mussten, möchte auch für einen Fortschritt in der Schifffahrt sprechen, also für spätere Zeit. Aber es dürfte auch das alleinige Vorkom- men der Knochen vom Auerochs, ohne die von andern diluvia- len Thieren den Bau dieser Schutthügel nicht weit in die Vor- zeit zurückversetzen lassen. V. Die Entdeckung eines menschlichen Schädels sammt Knochenstücken in den Erdschichten des Deltas von Neu-Or- leans. Diese Beobachtung gehört zu den wichtigsten geolo- gisch-ethnologischen Thatsachen und ist bisher nur obenhin erwähnt worden, da Dowler’s Werk, Tableaux of New-Or- leans 1852, nur wenig bekannt geworden. Es ist zu bedauern, dass Lyell uns darüber, weil der berühmte Geologe das Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 703 Delta von Neu-Orleans nicht selbst gesehen, seine Ansicht vorenthalten hat, indem Dowler diesen geologischen Funden ein enorm hohes Alter ‚zuschreiben zu dürfen glaubt. Der Thatbestand ist folgender: Als die Fundamente einer Gasfabrik in Neu-Orleans, wel- ebes nur 9 Fuss über den Spiegel der See sich erhebt, gegra- ben wurden, fanden die Erdarbeiter, dass sie statt auf Erd- boden auf Baumstämme stiessen, und mussten daher dieselben, von welchen man zehn Lagen nach einander antraf, mit Beilen durchgehauen werden. Die Baumlagen, deren man zehn zählte, wurden je tiefer immer weicher und die letzte Lage war wie Käse leicht durchzuschneiden. An dem Ufer bemerkte man dieselben Lagen im Seitendurchschnitt senkrecht aufeinander. Es folgten immer drei verschiedene Schichten aufeinander, eine oberste von Eichenstämmen, wie sie noch am Ufer des Delta vorkommen, eine mittlere von Oypressenstämmen und eine unterste aus enormem Seegras gebildet. Dowler berech- net nun die Aera des Seegrases, bei 5 Zoll jährlichen Wachs- thumes, auf 1500 Jahre, die Aera der COypressen zu 10 Fuss Durchmesser oder 5700 Holzringen und nur zwei Wachsthume jährlich gerechnet, zu 11,400 Jahren; die der obersten Schichte des Eichwaldes ohngefähr gleich wie des Seegrases und nimmt so für die Bildung der zehn aufeinander folgenden Lagen ein totales Alter des Mississippi- Deltas von 158,400 Jahren an. Nach Dieckson und Brown beobachtet man auch an dem Delta von Louisiana zehn CUypressenwälder auf einander und oben einen Eichwald. Es beruht diese Berechnung Dowler’s aber auf der bloss hypothetischen Grundlage der allmählichen oder successiven Bildung dieser Strata auf einander. Eine andere Erklärungs- art dürfte ein anderes und nicht so enorm hohes Alter der Bil- dung des Neu-Orleans-Deltas ermöglichen. Sie wäre folgende: Den Boden des Mississippi bildet nicht das Alluvium, sondern ein älteres (tertiäres) Stratum aus einer harten, blauen Thon- schicht bestehend. Es reicht diese Schicht bis weit in den mexicanischen Meerbusen hinein und reicht mit Sandstein- schichten wechselnd 600 Fuss in die Tiefe. An diese feste 704 Prof. Mayer: Mauer des Terrains bei Neu-Orleans hat sich nun eine Allu- vialschichte gelagert, welche das Delta oder Ufer des Golfes der Stadt bildet, und worauf die Stadt selbst gegründet ist. Dieses Delta, welches aus den oben genannten 10 Schichten jede von Seegras, Cypressenbassin und Eichenwald gebildet und welche man auch am Seitendurchschnitt des Ufers sehen kann, scheint mir nun so entstanden zu sein, dass sich im Golf von Neu-ÖOrleans, wie auch anderwärts, Inseln, und zwar hier Cypresseninseln, welche sofort von den Eichenwäl- dern der Anhöhen des Mississippi mit Samen befruchtet wur- den, welche sodann durch die Süd-West-Stürme ans Ufer ge- trieben, hier angehäuft oder übereinander nach ihrem verschie- denen specifischen Gewicht geschoben und so zum Uferdelta aufgethürmt wurden. Die Zeit, welche zu solcher Consolidi- rung des Ufers des Golfes nöthig war, möchte wohl weit unter Dowler’s Zahl zu stehen kommen. Uebergeben wir aber diese Controverse noch der zukünf- tigen Erforschung der geologischen Structur der Erdschichten des Delta’s von Orleans, und heben wir nur den uns zunächst interessirenden Fund eines Schädels und einiger zerbrochenen Knochenstücke, welcher zwischen dem dritten und vierten Stratum des Delta’s in der Tiefe von 16 Fuss an den Wur- zeln eines Oypressenbaumes liegend gefunden wurde. Nach Dowler’s obiger Berechnung käme diesem Schädel seiner Lage nach unter dem dritten Stratum ein Alter von 57,600 Jahren zu. Damals also, folgert Dowler, lebte der Missis- sippi-Menschenstamm! Diese Ansicht ist aber sehr zweifel- haft, wenn man blos erwägt, dass obige Knochenstücke durch Risse und Spalten im Erdboden des Delta’s, alte oder durch Mississippi-Fluthen neugegrabene, bis zu solcher Tiefe gelan- gen konnten. Der Schädel trug übrigens den rein amerika- nischen Typus, was wenigstens einigermassen für ein späteres Alter desselben und des ihm zuzusprechenden Volksstammes spricht. Seit jener Zeit (1853) hat Dowler neue Untersu- chungen daselbst angestellt und auch Gegenstände mensch- licher Kunst in der Eichenplattform und in der zweiten Lage Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 705 des Cypressenbassins gefunden, für welchen Fund wohl die- selbe Erklärung passen dürfte. Ich gehe nun zu dem wichtigsten und am weitesten verbrei- teten Vorkommen von Menschenknochen über, welche, meistens in Gemeinschaft mit sehr alten oder antediluvianischen Thierge- schlechtern in den sogenannten Knochenhöhlen theils im Ju- rakalk, theils im Bergkalk und im Kalkstein anderer For- mationen vorkommen. In Deutschland erstrecken sich solche Knochenhöhlen vom Jura bis zu den Karpathen. In Frank- reich hat man neuerlich immer neue Knochenhöhlen von der Garonne bis zur Mosel entdeckt. Allgemein wird von den französischen Gelehrten angenommen, dass sie von den Kelten bewohnt oder dass die Funde darin ihrer Zeit zuzuschreiben seien; was aber, wie ich oben gezeigt habe, gegen alle Chro- nologie der Geschichte dieses Volksstammes ist, daher jene Funde auch besser antekeltisch oder speciatim altgallisch zu nennen sind- Es möchten sich auch die Celten (Celsi) nicht wohl zu Troglodyten herabgewürdigt haben. Man könnte den Vertheidigern der Kelten entgegen sagen: montrez nous entre ces armes de silex la grande Epee characteristique aux Celtes, et nous vous concederons, que ces Troglodytes etaient des Celtes et non pas des anciens Gaules. Ich füge hier gelegent- lich bei, wie wünschenswerth es namentlich für die Urgeschichte Alt-Griechenlands wäre, wenn die Knochenhöhlen auf der In- sel Cerinthus (Cerigo), worin sich nach Spallanzani Kno- chen vorweltlicher Thiere, ja selbst Menschenknochen, wel- chem Letzteren Cuvier widerspricht, befinden sollen, unter- sucht würden, woran unsere Philologen leider noch nicht ge- dacht zu haben scheinen. Es kommen sodann noch die in England und in Brasilien entdeckten Knochenhöhlen hinzu und will ich dieselben nunmehr einzeln aufführen. VI. Auffindung von Menschenknochen mit fossilen Thier- knochen in den Gypsbrüchen von Köstritz durch Schlot- heim, wurde von Cuvier und Anderen als für später einge- schwemmte, in die Spalten eingefallene oder eingeschleppte 706 Prof. . Mayer: Knochen erklärt. Mein berühmter College und Freund Noeg- gerath hat ausführlich die Gründe und Gegengründe der Fossili- tät der Köstritzischen Menschenknochen besprochen (s. Quviers Urwelt Uebers. S. 281), jedoch dabei noch auf fernere Funde zur Bestätigung verwiesen. Es ist noch bei dem Funde von Köstritz zu bemerken, dass sich in dem älteren Kalkstein keine Menschenknochen, sondern blos Knochen von Hyänen, Löwen, Rhinocerossen und fossile Hirschgeweihe, in den Klüften der Gypsbrüche selbst erst Menschenknochen, aber blos mit jenen Hirschgeweihen und Knochen kleiner 'Thiere, worunter auch der jetzt lebenden, gefunden haben. Somit sprechen diese Funde von Knochen des Menschen für eine spätere Pe- riode, einige derselben aber, welche nicht calcinirt sind, für sehr späte Einschleppung oder Einschwemmung. VII. Die Knochenhöhlen an der Maas, in welchen Schmer- ling und Spring Menschen- und vorweltliche Thierknochen fanden, erregten ihrer Zeit grosses Aufsehen und wurden als die ersten Beweise des Zusammenlebens des Menschen mit den Thieren des Diluviums in solchen Höhlen angesehen. Das Auffinden von Menschenknochen mit Waffen aus Feuerstei- nen und mit antediluvialen Säugethieren daselbst spricht allerdings dafür. Der Umstand ferner, dass einige der Menschenskelete noch ziemlich vollständig vorhanden und die Knochen fast nur Wei- bern und Kindern angehörten, sprechen dafür, dass die Höh- len auch in späteren oder historischen Zeiten von Menschen bewohnt waren, und selbst nicht lange her, wahrscheinlich von Vagabunden, welche hier ein Asyl suchten. Man hat diese Bewohner oder Troglodyten ebenfalls statt für Ur-Belgen für Kelten gehalten, welche aber jedenfalls erst spät über Gallien zu den Belgen gekommen sein möchten. Der berühmte hier jedoch mit Schädeln kaukasischer Form gefundene Engis-Schädel zeigt aber blos einen Negroid-Typus, wie er jetzt noch vorkommt und wie ich solchen ähnlichen von einer Jüdin und von einem der thebaischen Legion der Römer angehörigen, wahrscheinlich weiblichen Individuum neuerlich beschrieben habe. (Ich bemerke hier per parenthesin, Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 707 dass unsere ethnologisch-eraniologischen Studien und Systeme dadurch unsicher und mangelhaft sind, dass sie bei den Be- schreibungen der Schädelformen auf den Geschlechtsunterschied keine Rücksicht nehmen.) Es kann also hieraus, und aus an- deren Indicien, dem gleichzeitigen Vorhandensein von Ziegel- steinresten, Holzkohlen u. s. w., der Engis-Schädel nicht als Beweis eines vorhistorischen Schädels oder gar eines niedern oder Affentypus angenommen werden. Auch R. Wagner (Göttinger Anzeigen 1863) findet den Engis-Schädel selbst nicht besonders abweichend vom europäischen Typus, was wohl zu viel gesagt ist. VIII. Der Fund eines fast ganzen Skelets sammt Schädel in der Feldhofer Höhle im Neanderthal bei Düsseldorf. Schädel und Skelet sind von mir bereits ausführlich be- schrieben worden (S. dieses Archiv 1864, Heft 1) und triftige Zweifel dagegen namhaft gemacht, dass dieser sogenannte Neanderschädel einen sehr niederen Typus und somit, wie daraus unrichtig geschlossen wird, einer vorhistorischen Zeit angehöre, welche Gründe ich hier nicht wiederholen will. R. Wagner hält diesen Schädel für den eines Alt-Holländers, Prof. Schaaffhausen findet denselben dem Schädel des Neu- holländers ähnlich und selbst dem Gorilla-Schädel nahestehend. Das erstere ist, wie ich wiederholt bemerken muss, unrichtig, wenn einerseits der Kopf des Neuseeländers als zu dem der niedersten Typen gehörend betrachtet wird, weil der Schädel des Neuseeländers nach älteren und neueren (der Novara) Reiseberichten im Durchschnitt höhere Formen (Hochstet- ter spricht selbst von hebräischen Typen) aufweist; anderer- seits die beträchtliche Höhlenraum - Capaecität des Neander- thal-Schädels selbst über dem des Hindus (nach Morton’s Messungen) zu stehen kömmt. Vernehmen wir doch jetzt, dass die Maoris im Kampfe für ihren Heerd und ihre Freiheit ge- gen ihre Exstirpatorex Sir Grey und General Cameron das Panier der Jungfrau Maria entfalten und so comme chez nous List und Religion im Kampfe vereinen. Ich setze hier noch einige vergleichende Masse nach Tiedemann’s Angabe der Capacität in OC., bei: 708 Prof. Mayer: Australier 1304,15. Spanier 1307. Chinese 1237. s.». Unseren Neanderthal-Schädel aber für einen pithekoiden Schädel oder einen Gorilla-Typus zeigenden zu halten, ver- bieten ausserdem noch die den Affen fehlenden grossen Stirnhöhlen, der Mangel aller drei Oristen der Calvaria, der der Crista sagittalis, oceipitalis, temporalis, die Breite der Na- senbeinwurzel und das Abstehen der Augenhöhlen von einan- der u. s. f£ Es scheint mir, nebenbei gesagt, dass man dem Gorilla mit Unrecht einen höheren Rang, als dem Tschimpansi und dem Orang-Outang Asiens zuschreibe (Owen). Obgleich des Gorilla Arm relativ der kürzeste, ist doch 1) die Bildung seiner Hand keine vollkommenere als die des Tschimpansis und des Orang Outangs, 2) wird er fast immer auf allen Vie- ren gehend gesehen, und 3) ist seine Fähigkeit zur Zähmung viel geringer oder seine Wildheit grösser. Ich berühre noch ein Paar geologische Momente, welche das vorfluthliche Alter des Neanderthalschädels noch zweifelhafter erscheinen lassen, nämlich des Vorhandenseins eines ganzen in geordneter Lage vorgefundenen Skeletes (man spricht fehlerhaft immer nur vom Neanderschädel), die Richtung und Abschüssigkeit des Ein- gangs der Höhle, welche gegen Einschwemmung eines Ske- letes sprechen; die rhachitische, bei einem Ur-Menschen nicht wohl begreifliche Missbildung mit Verkrüppelung des linken Armes, die oberfiächliche Lage des Skeletes im Lehmboden nur 4 Fuss tief, welche für späteren Eintritt desselben in die Höhle spricht. Der später, wo die Höhle durch den Eisen- bahnbau schon ganz applanirt ist, vorgefundene Bärenzahn be- darf aber wohl sehr der Prüfung und Bestätigung als fossiler Fund.!) 1) Die ethnologische Craniologie muss folgende Capitel über die Schädelformen des Menschengeschlechtes enthalten, oder sie muss han- deln: I. Von der Form oder dem Typus des Schädels der menschlichen Rassen (Subspecies mihi). Die Eintheilung der Menschenschädel in Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 709 IX. Die wichtige Entdeckung fossiler Thierknochen in den dolichocephale und brachycephale nach Retzius ist zu beschränkt und müssen hier die drei Dimensionen des Schädels als anatomische Basis zu Grunde gelegt werden, wie ich dieses seit 1819 in meinen Vorle- sungen aussprach. Es sind daher die Schädel der kaukasischen (euro- päischen) Rasse als orthocephale, die der asiatisch-mongolischen Rasse als eurocephal, die der Negerrasse als dolichocephale Schädelfor- men und die der malayischen Rasse als europiscocephal aufzuführen (S. Mayer, über Cephalometrie, 1863, dieses Archives). II. Von der Form oder dem Typus des Schädels der Nationen (Unter-Rassen), als der Chinesen, Inder, Perser, Juden, Aegypter, Griechen, Römer u. s. f., welche durch relatives Vorhberrschen oder blosses Vortreten der einen und anderen der zwei Unterdimensionen der Höhe und Breite bewirkt wird; nämlich nach Stirnhöhe, Scheitel- höhe, Hinterhauptshöhe, ebenso Stirnbreite, Schläfenbreite, Hinterkopf- breite (S. a. a. OÖ.) III. Von der Schädelform der einzelnen Volksstämme, als der Kel- ten, Germanen, Belger, Gallier, Iberier u. s. f£ Hier werden, wie schon bei den Rassen die Typen des Schädeltheiles mit denen des Gesichtstheiles des Schädels parallel laufen, als pro (dolicho)gnathe, eurognathe und orthognathe Kopfformen, auch die einzelnen Partieen des Gesichtstheiles massgebend. 1V. Von der Form und dem Typus der Schädel besonderer Volks- tribus als der Bojer, Allemannen, Senonen, Helvetier u. s. f., bei wel- chen die Sonderbildung einzelner Kopf- und Gesichtsknochen und ihre Zusammenstellung, ihre Grösse (Nase, Augenhöhle, Unterkieferwinkel u. s. w.) und Neigung u. s. w. zur Sprache kommen. Hierzu ist eine ausführliche Topographie der Gesichtsknochen erforderlich. V. Von der Schädelform der einzelnen Varietäten der Menschen- schläge oder der Volksschläge bis zu den einzelnen Familien herab, Besondere eigenthümliche Bildungen einzelner oder aller Gesichtskno- chen zu besonderer Physiognomie. Die eigenthümlichen Merkmale, welche eine Varietät überhaupt bilden, sind öfters sehr vorspringend und unterscheidend, so dass sie oft den Naturforscher veranlassen, aus einer Varietät unrichtig eine neue Art zu machen, was auch Dar- win verführte, Varietät und Art zu verwechseln. Hierher gehört auch das Zurückschlagen des Typus des Schädels und Gesichtes, wenn nicht selbst der Körperform aufwärts zur Gättung, wodurch sich die Tbier- ähnlichkeit der menschlichen Physiognomie und der Habitus, die als sogen. Fuchsköpfe, Katzenköpfe, Stierköpfe u. s. w. zu Spottnamen Veranlassung geben und bei Missbildungen noch deutlicher zu Tage treten, sogenannte zoomorphe Missbildungen. (S. Mayer in von Walther’s Journal Bd. X. S. 5. 710 Prof. Mayer: Höhlen des Kalkgebirges von Gailenreuth in Franken. Die Knochen der grossen vorweltlichen Pachydermen scheinen hier wenigstens grösstentheils zu fehlen. (Es hat jedoch früher Esper in dem sog. Schneiderloch einen Wirbel, muthmasslich dem Rhinoceros angehörend, und Andere haben noch früher Elephantenzähne gefunden). Ueberhaupt werden auch Knochen von Pflanzenfressern vermisst. Das Vorfinden von Menschen- knochen daselbst beruht auf dem Factum, dass Esper bei dem Aufbrechen der Stalaktitrinde des Bodens unter einer Steinplatte, worauf Urnentrümmer mit Kohlen lagen, einen Menschenschä- del und mit Kalksinter verkittete Knochen vorfand, und so sprechen diese Funde für ein späteres Begräbniss, vielleicht in später römischer Zeit. Ich möchte nur noch ein Paar in- teressante Facta in Betreff des Vorkommens der anderen fos- silen Thiere, der Carnivoren nämlich, darin, wobei sich Ursus speloeus mit 800 Procent, Hyaena spelaea blos mit 25 Procent betheiligte, berühren. Die Knochen dieser Thiere enthielten noch eine Menge Gallerte und verbreiteten selbst noch einen faulen Geruch, was vielleicht für die Ansicht spricht, dass Ur- sus und Hyaena spelaea zwischen den früher ausgestorbenen grossen Pachydermen und den auch später noch lebenden Pflanzenfressern, in Betreff ihres Verschwindens von der Erde oder der Zeit ihres Aussterbens in der Mitte stehen möchten. Die Knochen kleiner Säugethiere waren mit Ausnahme derer des Gulo, und derer eines Adlers nicht mehr bestimmbar und gehören vielleicht später Einwanderung oder Einschleppung an, wie die von einigen unser jetzt lebenden Thieren, des Hirsches, Dachses u. s. f. Als Beweis, dass hier die Thiere längere Zeit gelebt, spricht nicht blos ihre grosse Anzahl und das Vorhandensein mehrerer Generationen, sondern auch, dass sie (die der Bären vornemlich) auch auf der Anhöhe der Höh- len gefunden wurden. Der endliche gemeinsame Tod dieser Thiere kann aber nur durch eine Ueberschwemmung der Höh- len, nicht so wohl von Unten durch die Eingangsöffnung, als vielmehr von Ober, durch früher vorhandene oder durch die Fluth gegrabene, später überwachsene, Oeffnungen erklärt wer- den, a) weil die Knochen der Cadaver' bereits zusammenge- Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 71] schwemmt in die Höhle gelangten, die Knochen zwar ohne starke Spuren von Rollung und Abreibung sind, aber mit run- den Geschieben vermengt und von verschiedenen Arten, so dass Bären-, Löwen-, und Wolfs-Knochen oft in einem Oonglo- merat zusammengekittet lagen, unordentlich unter einander ge- worfen sind und sodann auch ferner in der Höhle vermengt wurden, so dass die Unterkiefer vom Schädel, die Hälften des erstern von einander entfernt, bis sie so mit Kalk einge- schlossen wurden, b) weil Knochen von Bären sich in Seiten- höhlen, zu welchen für den Zutritt dieser viel zu enge Ein- gänge oder Communicationen führten, in grosser Zahl fanden, endlich c) weil viele Knochen oben an den Wänden und an der Decke hängen geblieben sind und da incrustirt wurden, welches letztere Factum durch Einströmen der Fluth von un- ten wegen des Gewichtes der Knochen nicht erklärlich wäre. X. Die Knochenfunde in den Höhlen von Westphalen (Sundwicher Höhlen). Auch hier fanden sich keine Menschen- knochen vor. Es sind vorzugsweise Höhlen von Knochen der Carnivoren, namentlich von Ursus spelaeus, sodann auch von Hyana spelaea und vom Gulo; wenige von Cervus giganleus und fossilis, von Sus priscus und vom ZAhinoceros. Es leb- ten diese Carnevoren längere Zeit in den Höhlen, zeugten Junge, bestanden harte Kämpfe mit einander, erlagen Krank- heiten, namentlich rhachitischen durch den Tropfstein erzeug- ten Knochenauswüchsen (s. v. Walther in seinem und v. Gräfe’s Journal für Chirurgen, Bd. VIII. und Mayer in Nov. Aet. Acad. Leop. Tom. XXIV.). Ausser durch natür- lichen Tod wurden aber später diese Höhlenthiere durch eine Fluth, welche vielleicht nur von unten durch den Eingang ein- trat, getödtet und ihre Knochen später zusammengeschwemmt und von Lehm und Stalaktitmasse umhüllt. XI. Die fossilen Knochen-Funde in den Oolith , Corallen- fels-, Oxfordthon- und Stalaktiten-Höhlen von England. Die wichtigsten dieser Höhlen sind die in den Kalkfelsen von Kirkdale in Yorkshire. Unter den Knochen von Carni- voren sind die der Höhlen-Hyäne die häufigsten, die des Ur- sus spelaeus nur in geringer Zahl, so dass man fast England 712 Prof. Mayer: den Schlupfwinkel der Hyäne, wie Deutschland den des Bä- ren nennen könnte. Andere Öarnivorenknochen, nur geringer Zahl, sind die vam Tiger, Löwen, Fuchs und Dachs. Merk- würdig kommen in eben so grosser Anzahl hier die Knochen der grossen Pachydermen und selbst die des Hippopotamus, so wie mehrerer grossen Pflanzenfresser, Ochs, Hirsch, Pferd u. s. w. vor. Auch fanden sich 21 Species kleiner Thiere, wovon wohl mehrere, wie die von Ratten und Mäusen, sich früher sowohl als später eingeschlichen haben könnten. Es war also hauptsächlich ein Asyl für die Hyänen, welche hier lange gelebt, andere Thierknochen eingeschleppt, sie und die ihrer Rasse benagt, Junge geworfen und Excremente hinter- lassen haben, bis sie später durch eine Fluth von oben, viel- leicht auch durch Uebertritt des nahen Meeres (es fanden sich auch Seeigelstacheln an den Wänden) und Ueberschwemmung der Höhle ihren Tod fanden, ihre Knochen zusammengewor- fen, etwas an einer Seite abgerieben, wenn auch nicht gerollt, endlich mit Kalksinter überzogen, in das Sediment der Fluth, den Letten, begraben wurden. Die Annahme Buckland’s, die der Einschleppung, passt, nämlich für den Fund der Kirkdaler Höhlenknochen von Pflanzenfressern; aber mit dem Vorfinden der Knochen der Riesen-Pachydermen hat es einige Schwierigkeit. Diese blos als von den Hyänen, weniger wohl von den etwas herbivoren Bären, eingeschleppt zu denken, erlaubt ihre Grösse, Zahl, ihre oft abgesondert angehäufte Lagerung, das grosse Gewicht der Schädel und ihrer Zähne für die Kraft der Hyäne, wobei jener ja nicht durch vieles Fleisch anzog. Dass auch Riesen- Pachydermen die Höhlen zum Aufenthalt wählen konnten, er- weist das Vorfinden eines (ganzen) Skelets vom Rhinoceros in der Höhle von Dream. Doch mögen sie zu Kirkdale auch durch Einschwemmung von oben in die Höhle gelangt sein, indem atmosphärische Fluthen, den später unter der Erde flies- senden Fluss Hoogebeck anschwellten oder überhaupt von den Bergen, welche um die Höhle Kirkdales im Halbmond angelagert einen Kessel bilden, vielleicht und wie Buckland selbst ver- mutbet (Phil. Transact. 1822. S. 203) aus einem oberländischen Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 713 Binnensee kommend, über und in die Oeffnungen der Höhle sich ergossen. Auch Goldfuss nahm wegen der in der Gai- lenreuther Höhle gefundenen Fischknochen einen solchen obe- ren Binnensee an. Er glaubte, die Höhlenbären hätten sich da die Fische geholt und verspeist, statt einfacher, ihre Ein- schwemmung von Oben mit den um jenen See versammelten und durch Ueberschwemmung getödteten Pachydermen anzu- nehmen. Da der Hintergrund der Höhle zu Kirkdale noch nicht ganz erforscht ist, so bleibt noch unbestimmt, ob sich nicht auch Menschenknochen darin vorfinden. Später fand dagegen Buckland Menschenknochen in der Wokey- Höhle bei Paviland und Kirby mit fossilen Pachydermen u. 8. w., blieb aber dennoch abgeneigt, das gleichzeitige Alter jener mit diesen anzuerkennen. S. Morton Types of Man p- 343.) Unter den anderen aber dafür sprechenden zahlreichen Knochenhöhlen Englands hebe ich die von Kent in der Nähe von Torquay heraus, welche verschiedene Perioden ihrer In- sassen und Bewohner aufweist, Im Hintergrunde der 700 El- len tiefen Höhle liegen im Stalaktitenkalk begraben die Kno- chen von Ursus spelaeus, Hyaena spelaea, von Elephanten, Rhinoceros, Hirsch, auf dem Felsenboden zerstreut, und sind nach auswärts noch durch eine Lage von Lehm der benach- barten Oberfläche des Hügels eingehüll. Nun folgten Men- schenknochen und Feuerstein-Instrumente im Schlamm und mit Stalaktiteneruste umgeben, welche auf gleichzeitige Bewoh- nung der Höhle von Menschen deuten. Darauf folgt eine Stelle, wo sich verbranntes Holz und- Knochen vom Wild- Schwein vorfinden und endlich darüber ein Raum von blossen Tropfsteinlagern und darüber Ueberreste britischer, keltischer und römiscber Bewohnung mit einer ganz späten Inschrift 1680. Sodann erwähne ich als entscheidend noch der Höhle von Brixham und der von Oreston bei Plymouth, worin Men- schenknochen, in ersterer benagt von Hyänen, vorkamen, und wo die Knochen durch Salzsäure eine Menge Leim, wie frische Knochen, lieferten. Die Menschenknochen enthielten keine ani- Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864, 46 714 Prof. Mayer: malische Stoffe mehr; dagegen behielten die Knochen der Hyäne als Knorpel noch ihre gute Form. Hier möge noch die Höhle von Foseana in den Appenninen eine Stelle finden, wo ebenfalls Menschenknochen mit fossilen Thierknochen vorkommen, wovon jene durch Salzsäure noch Knochenleim geben. XII. Die Entdeckungen von Menschenknochen mit den Knochen vorweltlicher Thiere in den Höhlen von Minas Ge- raes von Brasilien durch Dr. Lund, worunter sich auch das zu einem trägen Höhlenthier wohl geeignete Megatherium be- . fand. Dabei wurden die Knochen von jetzt in Amerika le- benden Simiae platyrrhinae. Unter den Knochen von Men- schen waren Schädel, die den Typus der noch gegenwärtig über Amerika verbreiteten Rasse zeigten. Dr. Meigs entdeckte zu Santos ebenfalls Menschenknochen mit fossilen Thierknochen. Die bis jetzt über diese Funde von Dr. Lund und Dr. Meigs veröffentlichten Berichte lassen es zwar noch zweifel- haft, ob die gefundenen Menschenknochen wirklich fossile waren. Nur lassen die Zerstreuung und Vermengung der Knochen vermathen, dass hier nicht blos Besuch der Höhle von den Thieren und Menschen stattfand, sondern dass die Cadaver auch durch grosse Fluthen dahin gelangten. XIM. Funde in den Höhlen des Juras des schwäbischen Alpgebirges. Hierher gehören 1) die drei Höhlen bei Asel- fingen, welche eine Länge von 250 Fuss haben. Im Grunde derselben fanden sich eirca 10,000 Stück Bärenknochen in eine Lehmschichte von 15 Fuss Tiefe eingebettet. Die Kno- chen sind noch frisch oder enthalten viel Knochenleim. Es sind Knochen beiderlei Geschlechtes, junge und ältere, auch krankhafte darunter. Nach vorwärts werden dieselben bedeckt von einer Schichte Kohlenstaub, worin und worauf Schädel von Menschen und Knochen vom Fuchs, Dachs, auch sodann weiter oben Kunstproducte von Stein, Knochen und Erz neuern Ursprunges sich befinden. 2) Ein nicht geringes Aufsehen hat der Fund von fossilen Menschenzähnen (Backzähnen) in der Höhle von Melchingen Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 715 bei Tübingen erregt, wovon bereits v. Jaeger (N. Act. Acad. Leop. Vol. XXII. 2) und später Quenstedt berichteten. Dabei fanden sich Reste der Knochen vom Rhinoceros, Masto- don, Hippotherium u. Ss. f£ Owen erkannte ebenfalls die Zähne für die des Menschen an. Die darauf befindlichen Man- ganeisendendriten sprechen nicht minder, obwohl nicht unbe- dingt, für ihr hohes Alter. Es wurden zweifelsohne diese Höhlen, wie die in Frank- reich, England u. s. £., später auch von Menschen besucht und bewohnt, so dass sich fossile, subfossile und humatile Men- schenknochen darin finden können, wodurch die Aburtheilung sehr erschwert wird und nur durch Zusammenhalten aller an- deren Momente des Fundes geführt werden kann. XIV. Die sich in neuer Zeit immer mehr häufenden Beob- achtungen von Knochenhöhlen in Frankreich. Ich führe davon nur die wichtigsten an, welche die Knochen vorweltlicher Pachydermen, und der fossilen Carnivoren und die der erst später ausgestorbenen, auch in Frankreich bis zur christlichen Aera und bis zu dem Mittelalter, wie im Norden Deutschlands bis jetzt noch, vorhandenen Pflanzenfresser, die des Bos pri- migenius (Auerochs), des Renntbieres und des Elen, mit Men- schenknochen und Werkzeugen von Menschenhänden aus Feuersteinen, enthielten. Die Höhle von Bize bei Narbonne wurde schon von Mar- cel de Serres untersucht. Er fand darin Knochen mehrerer von ihm nicht genau bestimmter Thiere, des Ursus, des Bos primigenius und vier Hirscharten; worunter auch des Renn- thiers. Hierbei waren Kieselwerkzeuge und Stücke von Töpfen, welche Funde noch das Bewohnen späterer Zeit zu- lassen mochten. E. Dumas fand in der Höhle von Pondres die Knochen von Rhin. tichorrhinus, Ursus sp. und Hyaena spel. mit Menschenknochen und Kieselwerkzeugen, Töpfen, Kohlen u. s. w. In der Höhle von Pontel (Herault) bemerkte man ebenfalls Knochen von Rhinoceros tichorrh., Ursus spel., Bos pr., Cervus, Strongylo-Elaphus genannt, mit Menschen- knochen und Werkzeugen, theils alter, theils neuer Zeit. Die Knochen der grossen Pachydermen befanden sich in einer un- 46” 716 Prof. Mayer: teren Schichte, ebenso die von Bos primigen., in der oberen Schichte lagen die vom Pferd, die von jetzt noch lebenden Wiederkäuern und die Menschenknochen mit künstlichen Werk- zeugen und Schmucksachen von Horn, so dass diese mensch- lichen Bewohner einer späteren Zeit angehörten. Für eben- falls spätere Bewohnung von Menschen sprechen die Funde in der Höhle von Langerie (Dordogne), wo sich zwar Stein- werkzeuge und keine von Eisen und Bronze, aber sehr künst- lich gearbeitete Nadeln mit Oehr, Zierrathen, Menschenskelete und enorme Anzahl von Knochen vom Ochs, Pferd, worunter sich ein Pferdekopf und Rennthierkopf mit seinem Geweih (das Ausland 1864 übersetzt bois mit Holz, statt Geweih) auf einem Knochen eingegraben vorfand, wonach also die Bewohner der Höhle wenigstens in die Zeit des Rennthieres Frankreichs zu- rückversetzt werden müssten. Die daselbst vorfindlichen Kno- chen vom Höhlenbären konnten von ihnen daselbst zwar schon angetroffen werden. ' Es liefern aber diese Funde in den Höhlen Frankreichs, deren Resultat freilich noch durch die häufig erlittenen Um- wälzungen und Zerstörungen derselben durch spätere Ein- schwemmung und Besucher erschwert wird, doch den Beweis, dass die menschlichen Bewohner noch früher als zur Zeit der noch nicht ausgestorbenen Pflanzenfresser existirt, einige der- selben, dass sie bald nach dem Untergang der fossilen Pachy- dermen und Carnivoren gelebt haben. Besonders merkwürdig ist deshalb die Aufindung eines menschlichen Os innomina- tum von einem jungen Manne von eirca' 16 Jahren durch Dr. Diekson noch anzuführen, welches bei Natchez (Missis- sippi) in blauem Thon zwei Fuss unterhalb dem Skelet von Megalonyx, den Knochen von Ursus sp., den Backzähnen vom Pferde und anderen ausgestorbenen Thieren sich befand. Ich erwähne hier noch einer Höhle in den Kalkfelsen von Gibraltar im Jahre 1863 von Sayer entdeckt. An der Süd- spitze des Felsen, 400 Fuss über dem Meere, wurde das Pla- teau aus compactem Kalkstein bestehend, 24 Fuss tief gesprengt. Man fand, dass er das Dach einer Höhle bildete, in welcher Menschenknochen, Kieselbeile, Töpfergeschirre, Holzkohlen, Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 717 Knochen vom Eber, Pferd, Hirsch, der Unterkiefer einer Hyäne und Knochen eines grossen Säugethieres (Elephant?), in Dammerde vergraben sich befanden. Es muss wohl früher eine Oeffnung zur Höhle geführt haben, da sie von Stalaktit war und die Dammerde sie ganz anfüllte, daher gehört diese Beobachtung zu den mangelhaften. Ueberhaupt wäre zu wün- schen, dass auf die meistens immer früher vorhandenen oberen Oeffnungen der Höhlen mehr Aufmerksamkeit verwandt würde. XVI. Die merkwürdige Entdeckung von Knochen vorwelt- licher Thiere in den Bänken der Hügel des Thales der Somme, deren kein bis jetzt gefundenes zu fehlen scheint, mit Werkzeugen, Waffen und Geräthen menschlicher Handarbeit, Beilen, Aexten, Pfeilen u. s. w. und nach den neuesten Nach- grabungen auch von Menschenknochen, ist bereits so häu- fig besprochen, dass ich das Detail als bekannt voraussetzen darf. Unter den fossilen Thierknochen sind es wieder die des Elephanten, des Rhinoceros, des Bären und der Hyäne, welche am häufigsten sind und deren Zahl mehrere Hundert betragen mochte. Als merkwürdig erscheint der Fund des Halswirbels eines Krokodils, welcher viellereht auf einen ehe- maligen Binnensee auf den Anhöhen von Abbeville hindeutet ! Dafür spricht auch, dass in dem Alluvialboden der Hügel eben- falls Knochen fossiler Pachydermen und Kieselwerkzeuge auf- gefunden wurden, welche jedoch in horizontaler Lage sich be- fanden. Dagegen waren die 15—20 Fuss und tiefer liegenden Knochen abgerundet, gebrochen, unregelmässig durch Wasser- fluth untereinander geworfen, auch die grossen Feuersteine dabei gerollt und abgeschliffen. Dass sich dabei auch erra- tische Granitblöcke befanden, möchte darauf zielen, dass diese Lager früher die Oberfläche bildeten und später herabsanken und überschüttet wurden. Auch der Fund des Krokodilschä- dels macht dieses wahrscheinlich, endlich auch, dass man un- ter diesem Kieslager wieder unversehrte, nicht gebrochene und in natürlicher Stellung, die ähnlichen Knochen des Skeletes sehr nahe und nicht gerundet bemerkte. Weiter unten 13—27 Fuss kamen wieder Flintstein-Aexte zum Vorschein und fos- sile Thierknochen. Unterhalb den Knochen von Ursus spe- 718 Prof. Mayer: laeus liegend traf man ein Kieselbeil an. Hier erscheint nun zuerst Wasser, so dass man ami Niveau der Somme im Thale angekommen ist. Was nun die Menschenknochen betrifft, welche hier zu ihren Werkzeugen gleichsam gehörend, vorkommen sollten, so wurde zuerst ein menschlicher Unterkiefer zu Moulin Quig- non bei Abbeville gefunden, aber für blos vorgeblichen Fund von dem engländischen Geologen erklärt. Die anatomischen Merkmale, welche Quatrefages als Charaetere von niederer, also nach ihm vorhistorischer Rasse anführte, sind zu unbe- stimmt und mehrdeutig, als dass sie einem Experten genügen könnten. Die chemische Probe des Vorkommens von thieri- schem Leim darin, welche Elie de Baumont zur Entschei- dung der Frage vorschlug, ist nach den oben angeführten Thatsachen von Kirkdale, Sundwich u.s. w. ganz unsicher und kann nicht als Chronometer hierbei dienen. Dagegen hat der Fund dieses menschlichen Unterkiefers eine Bestätigung dadurch erhalten, dass der berühmte Entdecker dieser Lagerstätten von Kieselwerkzeugen unter fossilen Thierknochen Boucher de Perthes in neuester Zeit in den Bänken von Moulin Quig- non gegen 200 menschlicher Gebeine im Kiessande, von noch feinerem Sande umhüllt, mit fossilen Thierknochen auffand und seiner Entdeckung dadurch die Krone aufsetzte. Die Knochen liegen isolirt, sind verlegt und gerollt, als deutliche Folge von Anschwemmung und Einschwemmung. Letztere Erklärung vermag auch nur die enorm grosse Zahl der Kie- selwerkzeuge, die so zusammengehäuft wurden, zu erklären. Hören wir aber, gegen die Ansicht der meisten französi- schen und engländischen Geologen, die wichtige Stimme des ersten Erdkundigen Frankreichs, die von Elie de Baumont hierüber! Derselbe sagt, dass die Depots von Moulin Quig- non sich damals, wie heute noch und überall in Frankreich, durch Alluvionen bildeten, in Folge des schwachen Zusammen- hanges der depots &ocenes, miocenes und pliocenes, als be- wegliche Depots der Abbänge. Sie sind contemporaines oder gehören der modernen Zeit an. Doch fügt der gelehrte Geo- loge hinzu, dass diese Depots zu Moulin Quignon der Stein- Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 719 zeit angehören (wodurch sie nun freilich weit in’s Alterthum reichen), lässt aber für diese Epoche nur die Römerzeit zu, (was für das Steinalter viel zu wenig ist). Dagegen lässt sich jedoch einwenden, dass Alluvionen der neueren Zeit wohl Umwälzungen und Versetzungen einzelner Lager oder Schich- ten des Erdbodens bewirkten, wie sie es noch zu thun im Stande sind, dass diese aber nur unbeträchtlich und geringe sind, gegen die Umwälzungen, welche die Versetzung der grossen Erdlager des Bodens der Hügel der Somme zur Folge hatten, wobei die fossilen Thierknochen mit den Kieselwerkzeu- gen in tiefe Lagen von beinahe 30 Fuss und diese selbst un- terhalb jener versetzt worden sind, die also grossartiger Natur waren und nur gewaltigen Revolutionen der Diluvialzeit an- gehören konnten. Hierzu kommt noch, dass Elie de Bau- mont dabei annimmt und annehmen muss, dass jene fossilen Thierknochen und die mit ihnen gemengten Kieselwerkzeuge früher auf der Oberfläche der einzelnen Lager, worin sie vor- kommen, gelegen haben, wodurch ja schon anerkannt wird, dass sie vorher schon gleichzeitig mit einander existirten. Es ist wahrscheinlich, dass in jenen Zeiten ein Binnensee auf der Oberfläche der Hügel des Thales der Somme sich befand, — was auch aus dem Vorkommen des Knochens des Krokodils, des Begleiters des Nilpferdes geschlossen werden könnte, — und dureh seinen Uebertritt die Fluth, welche Thierknochen und Steinwerkzeuge zusammenschwemmte, noch vermehrte. Aus den voranstehenden Expositionen ergeben sich nun folgende Resultate: I. Den im Meerkalkstein und Korallenfels inerustirten fos- silen Menschenknochen können wir nach wahrscheinlicher Rech- nung kein höheres Alter, als das von 7000—8000 Jahren geben. II. Das Alter der fossilen Menschenknochen in deu Grä- bern des Nordens u. s. w. ist ein verschiedenes, früheres oder späteres. Die Zeit der rohesten Kieselwerkzeuge oder der ältesten Steinperiode kann, übereinstimmend mit den histori- schen Daten der Autochthonen-Lehre, bis zu denselben Jahr- 720 Prof. Mayer: tausenden oder später, nach obwaltenden Umständen, ange- setzt werden. III. Dasselbe Datum gilt für die Pfahlbauten, die ältesten nämlich. IV. Das Datum der Kjökkenmedinger dürfte, nämlich der frühesten um 2000—1000 Jahre später genommen werden. In Betreff der gefundenen Schädel ist in allen diesen Fäl- len zu bemerken, dass dieselben durchaus keinen Affentypus zeigen, und keinen eigentlichen Negertypus erkennen lassen, sondern in der Regel die Form der Schädel des an Ort und Stelle noch lebenden Menschenstammes besitzen, mit theils kaukasischem, theils Negroid-Typus. VI. In Betreff der Funde fossiler Menschenknochen und (oder) ihrer Kieselwerkzeuge in den Kalksteinhöhlen, insbe- sondere aber auch in den Erdlagern des Thales der Somme, ergiebt sich: 1) dass das Alter der Bewohner in solchen Knochen- höhlen, wo die jetzt im südlichen Europa ausgestorbenen, und nur im nördlichen noch lebend angetroffenen Pflanzenfresser, der Auerochs, das Elenn, das Rennthier u. s. w. noch mit jenen Menschenstämmen zusammenlebten, wo erwiesen ist, dass diese auf die genannten Herbivoren jagten, sie verwun- deten, wie ja ein in die Tibia eines fossilen Hirsches einge- drungener Steinpfeil sich noch vorfand, dass sie die Knochen derselben spalteten, um deren Mark zur Nahrung zu benutzen, und aus diesen Knochen künstliche Werkzeuge und Zierrathen verfertigten (S. meinen oben angeführten Fall), wo zugleich auch die Kieselwerkzeuge einen höheren Grad von Kunstfer- tigkeit, Politur u. s. w. zeigen (S. Compte rendu September 1864), — nur bis kurz vor oder nach dem Anfang der christlichen Aera hinaufreiche, und dass somit ein Besuch der Kalksteinhöh- len an der Maas und in Frankreich in verschiedener, selbst spä- ter Zeit zugegeben werden müsse ; 2) dass aber die Höhlen, — wo Menschenknochen und Kie- selwerkzeuge menschlicher Hand in den Höhlen sowohl mit ' denen derselben, aber älteren Pflanzenfresser und sodann mit denen der fossilen Carnivoren und Pachydermen theils einge- Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u, s. w: 721 schleppt, theils eingeschwemmt verm engt vorkamen, wo ein- geschleppte Menschenknochen von Hyänen angenagt waren, von den wahrscheinlich verzehrten Menschenschäd eln sich nur Zähne vorfanden (Höhle in der schwäbischen Alp), wo ein Beil unterhalb der Knochen des Ursus spelaeus ge- funden wurde, — die Menschen, welchen diese Knochen ange- hörten, höher hinauf in das Alterthum zu versetzen oder als gleichzeitig mit den fossilen Carnivoren und Pachydermen, so wie auch mit den älteren der genannten Pflanzenfresser lebend angenommen werden müssen. Es versteht sich von. selbst, dass die eigentliche Bewohnung dieser Höhlen durch Menschen aber erst nach dem Tode der darin gehausten Car- nivoren möglich wurde. Dass diese Bewohner oder Besucher der Höhlen keine Kelten, wie selbst nicht die frühern, waren, ist bereits oben dargethan. Es waren Ur-Gallier, Pregaulois. Sie zu Lappen und Finnen zu machen, wie Brinkmann (Compte rendu Nov. 1864) behauptet, ist nicht nöthig, da eine feinere Haar- bedeckung oder Mauserung hinreicht es zu ermöglichen, dass das Rennthier auch im südlichen Frankreicb gut fortkommen könne. Es beweist zwar Prinz Bonaparte, dass die Sprache der Basken der finnischen Sprache ähnlich sei, aber was kann man aus Worten machen, deren Klänge man nicht mehr kennt, sondern erst nur selbst neu schafft. 3) dass endlich das Vorkommen von Kieselwerkzeugen und Menschenknochen, — vermengt mit Knochen fossiler Pachy- dermen vornemlich, so'wie mit denen der Carnivoren und anderer fossilen Thiere, in den Erdlagern (des Thales der Somme), selbst unterbalb der Knochen dieser Thiere, so wie der Fund eines os innominatum hominis unterhalb der Knochen von Megalonyx u. s. w. (Natchez), als in Folge von Diluvial-Fluthen mit diesen zusammengeschwemmt, — für ein gleichzeitiges Leben des Menschen mit jenen fossilen Pachydermen u. S. w. unwiderlegliches Zeugniss ablegt. | Wenn wir also nach den angeführten Argumenten und übereinstimmend mit Usher, Lyell und Anderen, zwar als erwiesen betrachten können, dass das Menschengeschlecht ge- 122 Prof. Mayer: meinschaftlich mit den sogenannten vorwelslichen Säugethie- ren gelebt habe, so fragt es sich aber nun, bis zu welcher - Urzeit wir das Vorkommen oder das Erscheinen beider auf Erden hinaufrücken dürfen? Es möchte diese Urzeit nicht wohl Millionen von Jahren, mit welchen die Geologen so frei- gebig sind, ferne sein, wenn wir bedenken, dass vielleicht jetzt noch Jakuten und Eskimos an der Mündung der Lena Fleischreste des Mammuth und des Rhinoceros tichorrh. als Leckerbissen verspeisen könnten. Da wir nun den einen Satz Cuviers, dass keine fossilen Menschenknochen vorkommen, widerlegt haben, so glauben wir auch den Satz dieses grossen Geologen und semer Schule, dass der Mensch in einer neuen Epoche der Schöpfung mit den jetzt lebenden Thieren entstanden sei, welche auf die des Diluviums gefolgt und der des Alluviums vorherge- sangen, ebenfalls als beseitigt betrachten können! Es haben schon mehrere berühmte Geologen, (z. B. Noeggerath in Westermanns, Monatsheften 1860) eine strenge Abgrenzung zwischen Diluvial- und Alluvialzeit verneint und Lyell hat bereits selbst eine postpliocene Schöpfungs- oder Uebergangs- zeit zu dem Diluvium angenommen. Eine Zwischenzeit zwi- schen Diluvium und Alluvium ist weder wissenschaftlich be- gründet, noch überhaupt nothwendig. Es ist nämlich ein blos hypothetischer Satz Cuvier’s, dass nach der Diluvial-Schö- pfung eine zweite Schöpfung, die des Menschen stattgefunden. Eine Hypothese blos zur Erklärung eines Satzes und hier noch dazu eines falschen, nämlich, dass es keine fossilen Menschen- knochen gebe, muss mit diesem fallen. Die sogenannte Allu- vialperiode, welche auf diese Schöpfung nun folgen sollte, ist nämlich keine blosse Alluvion, sondern ist eben so gut dem grössten Theil nach eine neue Schöpfung, oder vielmehr die unmittelbare Fortsetzung der Diluvial-Schöpfung. Es giebt hier keine Grenze, weder der Zeit, noch dem Mangel ursprüng- licher geologischer Lagen nach. Letztere sind ja ebenfalls neu geschaffen, schon vor den Alluvionen vorhanden gewe- sen und nicht durch diese erst hervorgebracht, und zwar eben so gut, wie die Lager des Diluviums und die der tertiären Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 723 Epoche u. s. w., die Strata des Torfes, die der fossilen Infu- sorien, Diatomeen namentlich, die der Korallenfelsen und des Meersandsteins, wenn gleich diese jetzt sich fortwährend ver- mehren. | Es findet also keine zeitliche oder geogenetische Trennung von Diluvialzeit und sogenannter Alluvialzeit statt oder diese ist, mit Ausnahme der späteren mechanischen und chemischen Alluvionsproducte, eine fortgesetzte Diluvial-Schöpfung, und so ist auch der gegenwärtig lebende Mensch ein Nachkomme des fossilen Menschen, dessen Gebeine mit denen des Mammuth zusammen in der Erde ruhen; und die jetzt lebende Thierwelt ist dieselbe mit der, welche einst die Mastodonten aufzählte, nur dass davon meistens grosse Arten ausstarben, doch nicht diese allein, sondern auch kleine z. B. Rhinoceros minutus, der neulich durch Dr. Leith auf Malta aufgefundene Elephant mit kleinen Zähnen und nur von der Grösse eines Löwen. Auch bemerken wir eine Menge Thiere unter den fossilen Funden, welche nur als eine Varietät der jetzt lebenden an- gesehen werden können, z. B. Ursus priseus dem Ursus arctos sehr ähnlich, (nach Owen und von Middendorf) das fossile Pferd, der fossile Ochs und Hirsch-Arten (C. tarandinus) und endlich solche, welehe von den jetzt lebenden gar nicht ab- weichen, wie Cervus Elaphus primord., Capra Hircus, Alces fossilis.. Ma hat bisher immer den Höhlenknochen der jetzt lebenden Arten zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt und sie obenhin als erst in neuer Zeit eingetretene betrachtet, da sie doch mit den anderen vorweltlichen Thiergattungen in derselben Lage und mit gleichen Merkmalen vorgekommen sind, | Die Frage über die Zeit nun, wann der Mensch mit den später ausgestorbenen fossilen Thieren gelebt habe, geologisch zu bestimmen, erforderte zuerst das Alter der wahren Allu- vialzeit abzugrenzen. Es hat dieses aber Seine grossen Schwie- rigkeiten. So hat Hunt (Silliman’s Journal 1863) die Zeit der Bildung der Korallenriffe von Florida und Alabama auf die enorme Summe von 5,400,400 Jahren, bei jährlichem Wach- sen von !/, Zoll berechnet, wie ähnlich auch Agassiz an- 724 Prof. Mayer: nahm (s. oben). Aber hierbei wird nicht in Anschlag gebracht, dass ein grosser Theil dieser Korallenriffe schon früher in der Tertiär-Zeit oder noch weiter rückwärts entstanden, vielleicht schon von den Polypen des Uebergangsgebirges gebildet wor- den sei. Aehnliche Ungewissheit bieten uns die Tiefen der Torfmoore dar, doch möchte folgende Berechnung für meine Chronologie (S. unten) sprechen. In den Torfmooren von Abbeville fand B. de Perthes Kieselsteinwaffen in einer Tiefe von 30 Fuss. In Torfmooren wurde ferner eine römische Strasse 8 Fuss tief entdeckt. Da seitdem etwa 1600 Jahre verflossen sein mögen, so können auf die Bildung eines Fusses‘ Torfmoor 200 Jahre, was also für jene Stelle von 30 Fuss des Torfmoores von Abbeville, worin die Kieselwerkzeuge lagen, die Jahreszahl von 7000 ausmachen würde! Man hat ferner die Alluvionen des Nilschlammes in Aegyp- ten um das Piedestal der Statue von Ramses II. auf 12000 Jahre berechnet (Horner). Allein die Nil- (Fluss-) An- schlammung ist da viel grösser, wo sie, wie an der Statue, einen Anhaltspunct findet und dürfte jene Zahl von Jahren wohl noch sehr reducirt werden. Auch Lyell findet jene Chronologie nicht gesichert. Ebenso ist die Alter-Zahl, welche Horner den bei Memphis ausgegrabenen Töpfen ge- geben hat, wegen der vielen Umwälzungen des Bodens durch die alljährlichen Canalbauten ganz problematisch. Wäre nun auch die Alluvialzeit sicher abzugrenzen, so bleibt uns noch die Diluvialepoche, von ihrem ersten Entste- hen bis zu ihrem Schluss, geologisch zu bestimmen, was eben- falls sehr schwierig sein möchte. Ich bemerke nur, dass wir nach dem Vorhergehenden berechtigt und nicht durch eine eitle Bevorzugung des Menschen vor den Diluvial- Thieren gehindert werden dürfen, denselben als gleichzeitig mit diesen entstanden anzunehmen. Die Diluvialstürme und Fluthen, welche später eintraten und wobei jene Riesenthiere mit An- deren begraben wurden, sind nur als locale zu betrachten und blieben in anderen Gegenden Menschen und Thiere unversehrt. Der Mensch hat sich‘aber nach allen Traditionen in der Fluth- zeit theilweise zu retten gewusst. Auch Ouvier lässt sich Zur Frage über das Alter und die Abstammung des u. s. w. 725 gleichsam für seinen Widerspruch noch eine Hinterthüre offen, indem er sagt, dass zwar keine Menschenknochen bis jetzt authentisch gefunden worden seien, dass aber doch der Mensch vor der grossen Katastrophe gelebt haben könnte, indem des- sen Knochen vielleicht in Abgründe versenkt würden oder die Menschen beschränkte Gegenden der Erde bewohnt hätten, ‚von wo aus sie die Erde nach jenem furchtbaren Ereignisse wieder bevölkert haben mochten. (Recherches sur les oss. foss. Tom. I. pag. 10.) Dass weit verbreitete und wiederholte Ueberschwemmun- gen in der Diluvialzeit den Tod der Riesen-Pachydermen hauptsächlich herbeigeführt haben, beweisen das Zusammen- schwemmen von ihren Knochen mit Thierknochen aller Art, hier und da wohl auch mit Knochen der Menschen und ihren Geräthschaften. Eine bedeutende Aenderung in der Tempe- ratur dabei oder gar eine Nutation der Erdaxe hierzu anzu- nehmen, scheint nicht nothwendig. Scheint es doch, dass da- mals wie jetzt jede Thiergattung ihren Schutz gegen Hitze und Kälte in der dem Klima entsprechenden Hautbildung be- sass. So das Mammuth seine Wollendecke unter dem Pelz. Auch die jetzt nordischen Thiere: Rennthier, Elen u. s. w. waren wohl für das wärmere Klima, wo sie damals noch leb- ten, wie erwähnt, organisirt. Nach diesen Diluvialstürmen scheint vielmehr, wie jetzt meistens, eine etwas erhöhte Tem- peratur und in Folge derselben Trockenheit eingetreten zu sein, wo die Wasser (der Binnenseen und Flüsse), an deren Ufer früher die Pachydermen weideten und selbst Menschen wohnten, welche sich aber grösstentheils mit Hinterlassung ihrer Geräthschaften noch zeitig auf die Berge flüchten konn- ten, wieder zurücktraten, bis neue Fluthen und Ueberschwem- ‚mungen Cadaver und Knochen wegschwemmten und sie aus den oben liegenden Seen zum Thale oder durch die oberen Oeffinungen der Kalkhöhlen in diese herabwälzten. Da wir nun den Zeitpunet des Erscheinens des Menschen auf der Erde geologisch genau zu umgränzen nicht im Stande sind, so sind wir angewiesen, die Traditionen der Culturvöl- ker der Erde hierbei zu Rathe zu ziehen! 726 Prof. Mayer: Diesen Traditionen zu Folge lässt sich das Alter des Men- schengeschlechtes, die fabelhafte Zeitperiode mit einbegriffen, nach einer den Gesetzen der Wahrscheinlichkeits- Rechnung und einer der Vernunft gemässen Deutung (S. Mayer, Aegyp- tens Vorzeit S. 74) nach auf die Summe von 5000—6000 Jah- ren feststellen. Rechnen wir nun noch hinzu die Summe von 1500—2000 Jahren, welche wir für die Zeit, innerhalb welcher sich die wohl organisirten ersten Menschen — bis zur Kultur- stufe der als Götter verehrten fabelhaften Beherrscher des Menschen, die auch die Bibel als Söhne Gottes aufführt (Gen. 6, 2), erwähnt, erhoben (Mythen-Zeit), — oder überhaupt bis zur Errichtung von Wohnung, zur Bekleidung, Bewaffnung, zur Sprache und zu Familien- und Stammbündnissen, anzu- nehmen genöthigt sein könnten; so steigt jene Summe für das Alter des Menschen höchstens bis auf 7000--8000 Jahren. Dass sodann weniger gut organisirte Rassen, insbesondere in rauhen Klimaten in der Kultur länger zurückblieben, versteht sich von selbst. Es scheint mir diese Zahl von Jahren hin- reichend, um den Menschen bis zu jenen diluvialen Riesenthie- ren hinauf zu versetzen, deren früher Tod nicht blos der Ueberschwemmung, sondern auch wohl dem Mangel an Nah- rung für so grosse Thiere bei den Diluvialumwälzungen zu- zuschreiben sein möchte. Auch möchte diese Reihe von Jah- ren hinreichend sein, die Veränderungen, Bedeckungen und Vertiefungen, welche die Erdschichten später erhielten, zu er- klären. Wie es sich mit der Diluvialperiode im Zeitverhältniss zur Tertiärzeit und zu den Perioden der übrigen Lager der Erd- rinde verhalte, muss künftigen Forschungen der Geologen an- heimgestellt bleiben, indem dieselbe ja in neuester Zeit schon erfahren musste, dass das Tbierreich seine Grenze immer mehr in die Tiefe absteckt, der alte rothe Sandstein Schottland’s schon nach Murchison Reptilien beherbergt und der Lau- rentius-Kalk und Gneiss unterhalb azoischem Granite in Ca- nada liegend gefunden wurde. (8. Lyell’s Rede in der brit. Versammlung von 1864.) Zur Frage über das Alter und die Abstammung des un. s, w. 727 Ueberhaupt ist die Geologie unter den Naturwissenschaften diejenige, welche ihre Theorie und ihr ganzes System auf blos mechanischen Erklärungen gründet. Sie lässt die einzelnen Schichten der Erdrinde in willkürlich angenommenen, unge- heuren Perioden blos durch zeitweisen Uebertritt des Meeres, woraus sich die organischen Geschöpfe niederschlagen sollen, welche doch in ihm nicht vorhanden sind und nicht lebensfähig in Betreff von Landthieren sein und bleiben könnten, entstehen. Auch die bewunderte Theorie von La Place, dass die Erde sich mechanisch aus einer Dunstmasse niedergeschlagen, er- klärt nicht das Werden von Organisationen. Für diese müs- sen wir immer noch ein formgebendes Princip, eine organi- sirende Kraft, annehmen, was der Dichter des Buches der Genesis so schön mit den Worten „der Geist Gottes schwebte über dem Gewässer“ ausgedrückt hat. Als Haupt-Resultate der gesammten voranstehenden Unter- suchungen ergeben sich also folgende: 1. Der Mensch ist ein Geschöpf der Diluvial-Epoche, oder existirte gemeinschaftlich zu derselben Zeitperiode des Dilu- viums mit den ausgestorbenen grossen Pachydermen und Car- nivoren, und zugleich mit den theils ausgestorbenen, theils den jetzt lebenden ähnlichen Einhufern, Wiederkäuern, Nagern urs.t. 2. Es ist ferner kein erwiesener geologischer Gegenbeweis vorhanden, dass diese Zeitperiode weiter als 7000—8000 Jahre zurückzuversetzen sei, eine Zahl, welche auch durch die ver- nunftgemäss gedeuteten Traditionen aller Culturvölker von dem Alter des Menschengeschlechtes bestätigt wird. 3. Die Funde von Menschenschädeln aus der ältesten Pe- riode der Stein-Zeit haben gezeigt, dass der Typus derselben dem der gegenwärtig lebenden Menschenstämme ähnlich oder gleich ist (wenigstens gilt dies vorläufig für Europa und Nord- und Süd-Amerika), und dass unter diesen Schädeln sowohl kaukasische als Negroid-Formen, wie jetzt, vorkommen, die Existenz einer niedern Urrasse des Menschengeschlechtes eine blosse Fietion genannt werden müsse. 728 Prof. Mayer: Zur Frage über das Alter und die u. s. w. 4. Dass noch weniger irgend ein solcher aufgefundener di- luvialer Menschenschädel, so z. B. auch der sogenannte älteste, der Neanderschädel, einen Affentypus zeige und Abstammung des Menschen von dem Affengeschlecht erweise; und diese Lehre (Darwin’s) sowohl dem logischen Axiom rationis suf- ficientis, indem ein Wesen nicht den Keim eines Anderen von ihm verschiedenen in und aus sich erzeugen könne, wider- spricht, sondern auch der aus dem Universum uns entgegen leuchtenden Allmacht oder Schöpfung von Wesen in unend- licher Mannichfaltigkeit unwürdig ist. Prof. W. Gruber: Ueber einen Fall von Einmündung u. s. w. 729 Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga in das Atrıum dextrum cordiıs beim Menschen (Bildungshemmung und Thierbildung). Von Dr. WENZEL GRUBER, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Tafel XVI. A.) Ich habe im Verlaufe d. J. 1864 einen Theil der Resul- tate meiner in grosser Anzahl vorgenommenen Untersuchungen und Beobachtungen über die Venae cordis und die Vena cava superior bei dem Menschen und den Säugethieren in einer grösseren Arbeit und in einer Notiz veröffentlicht.) Ich fahre mit der Mittheilung weiterer Untersuchungen und Beob- achtungen fort und liefere im Nachstehenden die Beschrei- bung eines Falles von Bildungshemmung und Thier- bildung beim Menschen, der, so viel ich weiss, noch nie beobachtet worden war. 1) W. Gruber, „Ueber den Sinus communis und die Valvulae der Venae cardiacae, und über die Duplicität der Vena cava superior bei dem Menschen und den Säugethieren.“ Mit 2 Tafeln. — Mem. de P’acad. Imp. des sc. de St. Petersbourg. Ser. VII. Tom. VII. No. 2, Besond. Abdruck St. Petersburg, Riga u. Leipzig 1864. 40. — „Ru- dimentäre Vena cava superior sinistra bei einem Erwachsenen. Mit 1 Abbildung, — Zum Druck in Virchow’s Archiv -f. d, pathol. Anat, u. s. w. im Juni 1864 übergeben. Reichert’s u. du Bois-Reymond’s Archiv, 1864. - 47 130 Prof. Wenzel Gruber: Der Fall kam im September 1864 an der Leiche eines Mannes vor, welche ich behufs eines demonstrativ-anatomi- schen Examens für den Doctor-Grad präpariren lies. Die Präparanten stiessen auf einen Theil der Abweichung und setzten mich davon noch rechtzeitig in Kenntniss. Ich liess die weitere Präparation einstellen. Ich fand zwar bereits Manches verletzt, aber doch ohne Nachtheil für die künftige genaue Untersuchung des Falles. Bei der von ‘mir vorgenommenen Untersuchung ergab sich folgendes: Die Vena azyga verhält sich wie eine V. hemiazyga und die Vena hemiazyga wie eine V. azyga. Die Venen der 3—4 oberen Zwischenrippenräume der rech- ten Seite vereinigen sich zu einem Stämmchen, der V. inter- costalis superior dextra, welche in die Vena cava superior, !/, Zoll unter ihrem oberen Ende an deren hinteren Wand mündet. Die V. intercostalis dextra VI., nachdem sie oder die V. intercostalis superior die V. intercostalis dextra V. aufgenommen hatte, verläuft hinter der Aorta thoracica nach links und mündet direct in die V. hemiazyga. Die V. inter- costalis dextra VII. öffnet sich ebenfalls direct in die V. he- miazyga; bevor sich diese hinter der Aorta versteckt, commu- nieirt sie mit der V. intercostalis dextra VI. durch einen que- ren Ast. Die Venen der 4 unteren Zwischenrippenräume der - rechten Seite ergiessen sich nebst anderen bekannten Venen in die Vena azyga, welche mit ihrem unteren Ende, an dem sie durch Spaltung und Wiedervereinigung eine Insel bildet im Hiatus aortieus liegt, mit ihrem oberen Ende hinter der Aorta nach links verläuft und in der Gegend des achten Brustwirbels in die V. hemiazyga sich einsenkt. Die Vena hemiazyga (b) setzt sich mit der V. lumba- lis sinistra I. (d) fort und steigt links von der Aorta thora- eica aufwärts. Sie empfängt nebst den bekannten kleinen Venen einen 1 Zoll langen, aber schwachen Ast von dem un- teren Ende der V. azyga (#), alle V. intercostales sinistrae (7), die V. azyga und die V. intercostales dextrae VII. u. VI. In der Gegend des fünften Brustwirbels und an der linken Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga u.s.w. 731 Seite des Ueberganges des Arcus aortae in die Aorta descen- dens thoraciea krümmt sie sich über der Wurzel der linken Lunge (2) zum Ursprunge des Ligamentum arteriosum von der Arteria pulmonalis sinistra (d) nach vor- und medianwärts. Von da steigt sie vor der A. pulmonalis sinistra und vor den V. pulmonales sinistrae zum Atrium sinistrum des Herzens abwärts, durchbohrt vor ersterer das Pericardium und ist vor letzteren in dem aus einer Duplicatur des serösen Blattes des Pericardium bestehenden Lig. venae cavae superioris sinistrae primitivae eingehüllt. Sie läuft dann am Atrium sinistrum hinter dessen Auricula davon 5—6 Lin. entfernt, wie eine Vena posterior atrii sinistrii zum hinteren rechten Segment des Sulcus atrio-vertricularis cordis, den sie 1 Zoll von der Auricula sinistra entfernt erreicht, schief abwärts und rechts und zwar anfänglich am lateralen linken Abschnitte des Atrium sinistrum, später eine kleine Strecke am medialen rechten Abschnitte desselben. Im Sulcus atrio-ventricularis zieht sie wie der Sinus communis venarum cardiacarum gewöhnlicher Fälle nach rechts zum Atrium dextrum und mündet in dieses mit der Oeffnung jenes Sinus (Ostium venae coronariae mag- nae auct. unrichtig). Die Vena hemiazyga giebt am Uebergange ihres bogen- förmigen (a‘) über der Lungenwurzel gekrümmten Stückes in das vor der Lungenwurzel absteigende Stück (a’') einen schwachen Communicationsast (d) zur V. anonyma si- nistra (A‘) ab, und empfängt an dem Endstücke, mit dem sie im Suleus atrioventrieularis liegt, die V. coronaria magna (e) eine V. marginalis ventriculi sinistri (£) und eine kleine V. posterior accessoria ventriculi sinistri und endlich die V. me- dia cordis. Der Communicationsast (d) zur V. anonyma sinistra steigt schief aufwärts und rechts und mündet in die- selbe an deren unterer Wand !/, Zoll von der Einsenkung in die V. cava superior entfernt. Derselbe nimmt drei kleine Venenzweige (V. pericardiacae und mediastinales), wovon die unterste (d‘'') vielleicht eine V. bronchialis sinistra war, auf und wird gegen die V. anonyma sinistra allmählich stärker. Er ist 1'/, Zoll lang, am Ursprunge von der V. hemiazyga 47* 132 Prof. Wenzel Gruber: ®%/, L. am Ende an der V. anonyma sinistra 1'/, L. dick. Am Ostium desselben in die V. anonyma sinistra sitzt eine grosse Valvula. Diese ist'an °/, des Umfanges d. i. vorn, links und hinten befestigt. Sie vermag das Ostium gegen die V. ano- nyma sinistra völlig zu verschliessen. Die V. coronaria magna (e) verhält sich normal, mündet 1 Zoll von der Auri- cula sinistra entfernt in den Anfang des im Sulcus atrioven- tricularis liegenden Stückes der V. hemiazyga und ist daselbst 21,—2?/, L. dick. An ihrem Ostium hat sie die paarige oder aus zwei Segmenten bestehende Valvula Vieusseni, wovon das eine am oberen, das andere am unteren Umfange sitzt. 2 L. weiter nach rechts mündet in dasselbe Stück eine Vene (&), welche entweder die V. marginalis oder posterior ventri- euli sinistri cordis ist und daselbst eine Dicke von 1!/, L. hat. Sie hat am unteren Umfange ihres Ostium eine Valvula Ganz am Ende mündet die V. media cordis, die am rechten. Umfange ihres Ostium eine Valvula sitzen hat. Die V. hemiazyga ist bis zur Aufnahme der V. inter- costalis VI. anfänglich 2 L. dann 2!/, L., von da bis zur Auf- nahme der V. intercostalis suprema 3!/, L. dick. An dem über der Lungenwurzel liegenden Stücke beträgt der Durch- messer 2°?/, L. Von da bis zu ihrer Mündung nimmt sie all- mählich an Weite zu und ist an dem absteigenden Stücke oben 3 L., unten vor der Aufnahme der V. coronaria magna 41,—5 L., an dem im Sulcus atrioventricularis liegenden Stücke nach der Aufnahme der Vena coronaria magna am Anfange 6!/, L., am Ende 7—8 L. stark. Dieselbe ist an ihrem über der Lungenwurzel liegenden Stücke 1 Z. 4 L., von der Stelle, wo sie den Communicationsast zur V. ano- nyma sinistra abgiebt, bis zu ihrer Einmündung in das Atrium dextrum 4 Z. 3 L. lang, wovon auf das absteigende Stück 3 Z., auf das im Sulcus atrio-ventricularis liegende Endstück 1 Z. 3 L. kommen. Die V. hemiazyga hat in ihrem Verlaufe nirgends Val- vulae. Die Valvula Thebesii an ihrem Ostium im Atrium dextrum cordis sitzt an bekannter Stelle, besteht aber aus einem fibrös- musculösen Balkennetz. Von den V. intercosta- Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga u.s.w. 733 les sinistrae hat die fünfte obere an dem unteren Umfange ihres Ostium in die V. hemiazyga eine sehr grosse, 2 L. hohe Valvula und 1 L. weiter im Stamme noch eine paarige Val- vula mit einem oben und unten sitzenden Segment; die vor- letzte am oberen Umfange ihres Ostium eine grössere Val- vula; und noch ein Paar an ihren Ostia je eine rudimentäre Valvula. Die V. hemiazyga hat in der ganzen Strecke, in der sie am Atrium sinistrum herabsteigt und im Sulcus atrio-ventri- cularis nach rechts zieht, musculöse Wände. Ich konnte da- selbst an ihrer freien Wand zwei Schichten von Muskelfasern von der Beschaffenheit derer des Herzens unterscheiden, eine äussere longitudinale nur am oberen Umfange vorhandene und eine innere circuläre. Die Fasern der longitudinalen Schicht biegen an ihrem Ende in die der circulären Schicht um. Beide Schichten endigen plötzlich an der Stelle, wo die V. hemia- zyga über dem Atrium sinistrum von Lig. ven. cav. sup. pri- mit. eingehüllt wird. Die Vena cava superior ist 3 Z. lang; am oberen Ende 7 L., unten ausserhalb des Pericardiums an einem ampullen- artigen Abschnitte 9 Lin., im Pericardialsacke 6 L. dick. Sie nimmt ausser der V. intercostalis superior dextra gegenüber dieser an der vorderen Wand die V. mammaria interna dex- tra (c) auf. Die V. anonyma sinistra ist 21/, bis 2°/, Z. lang und 4—5 Lin. dick. Sie empfängt ausser dem Communica- tionsaste von der V. hemiazyga und kleineren Venen am rechten Ende ihrer oberen Wand eine grosse V. subthy- reoidea (b). Auftreten der V. azyga wie eine V. hemiazyga bei Einmündung der ersteren in letztere, und Ein- mündung der V. hemiazyga mit der Oeffnung des Sinus communis venarum cardiacarum in das Atrium dextrum ist beim Menschen meines Wissens noch nicht gesehen worden. Bei Jac. Sylvius!) steht allerdings die 1) Opera medica. Genevae 1630. Fol. De puls, calumn, XVII, p. 144, 734 Prof. Wenzel Gruber; Stelle: „Nam et idem plerique omnes ab hine annis aliquot et pernoverunt et, si anatomica scripserint, commemoraverunt, ut Nicolaus Massa Venetus abhine annis 16 hie tamen solus pro azygo ramos a cava duos in costas novem inferiores pro- dueit: duas quoque habuit, unam ab aure dextra, alteram in- feriorem a cava cordi adaperta* — aber daraus ist nicht er- sichtlich, dass die bei Massa in das Atrium dextrum geöffnete Vene wirklich die Hemiazyga war und einen Verlauf wie in unserem Falle genommen habe. Selbst das Vorkommen der Einmündung c«iner wie eine V. hemiazyga sich verhaltenden V. azyga in die V. hemiazyga bei Oeffnung der letzteren in einen der grösseren linken Stämme der V. cava superior ist bis jetzt nur zweimal und zwar von Heinr. Aug. Wrisberg!) und J. Fr. Meckel?) beobachtet worden. Das merkwürdige Präparat habe ich in meiner Sammlung aufbewahrt. Das in unserem Falle vorgekommene merkwürdige Verhalten der Vena hemiazyga ist in Bildungshemmung begründet. Wäre die Bildung der V. hemiazyga auf eine der gewöhnlichen Arten vor sich gegangen, so würde es zu einem der von Anderen und mir gesehenen anomalen Fälle gekommen sein, bei welchen die V. hemiazyga in die V. anonyma sinistra endiget. Der Communicationsast zwischen der V. hemiazyga und der V. anonyma sinistra mit dem absteigenden und in das Atrium dextrum mündenden Stücke der V. hemiazyga in un- serem Falle stellen eine verkümmerte V. cava superior si- nistra dar (d, a'', a"'). Der genannte Communicationsast entspricht dem Stücke der Vena jugularis primitiva, welche sich zum oberen Stücke der V. cava superior sinistra primi- tiva metamorphosirt, das absteigende Stück der V. hemiazyga 1) Observ. anat. de vena azyga dupliei, aliisque hujus venae va- rietatibus. Göttingae 1778. 40. Observ. III. p. 18. $. 20. — Bei einem öjährigen Knaben unter 200 Sectionen. Mündung der Hemia- zyga an der Stelle in die Subelavia sinistra, wo der Ductus thoraci- cus mündete, 2) Handb. d. menschl. Anat. Bd. III. Halle und Berlin 1817. p- 351 und Note, Mündung der Hemiazyga ebenfalls iu die Subeclavia sinistra, Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga u. s. w. 735 aber dem Ductus Cuvieri sinister, welcher mittleres und unte- res Stück der V. cava superior sinistra primitiva wird. Bei der regressiven Metamorphose dieser V. cava primitiva ver- kümmerte ihr oberes Stück und zwar mehr als gewöhnlich, konnte daher weder als das Endstück der V. intercostalis superior sinistra (gewöhnlich) noch als das der Vena hemiazyga (ausnahmsweise) auftreten, sondern nur als schwacher Com- municationsast zwischen der V. hemiazyga und V. anonyma sinistra fortbestehen. Das mittlere Stück dieser V. cava pri- mitiva, welches dem oberen Abschnitte des Ductus Ouvieri entspricht, obliterirte nicht, und das untere Stück derselben, welches dem unteren Abschnitte des Ductus Cuvieri entspricht, metamorphosirte sich nicht zur Vena posterior atrii sinistri und persistirte im Sulcus atrio-ventrieularis, wie in den ge- wöhnlichen Fällen, es wurde somit das mittlere und untere Stück der Vena cava superior sinistra primitiva, das wie diese, Vena cava verlaufende Endstück der Vena hemiazyga. Dabei hatten sich die V. jugularis sinistra primitiva von der Stelle der Aufnahme der V. subelavia sinistra bis zum oberen Ende der verkümmerten V. cava superior sinistra und der transver- sale Ast der V. jugulares primitivae auf gewöhnliche Weise zur Vena anonyma sinistra metamorphosirt, wodurch unser Fall zugleich zu den von mir beschriebenen Fällen gehört, an welchen bei völliger Ausbildung der V. anonyma sinistra eine rudimentäre V. cava superior sinistra vorkommt. Unser Fall repräsentirt aber auch zugleich eine Bildung beim Menschen, wie sie bei gewissen Säugethieren normal vorkommt. So besitzen unter den Insectivora: Talpa'); unter den Pachydermen: Sus scropha?) und Dicotyles?), und 1) Barth. Eustachius, ÖOpusc. anat. Veaetiis 1664. 40. p. 296, — Rathke. Citirt bei Stannius und Bardeleben, — J. Mar- shall. On the development of the great anterior veins in Man and Mammalia etc. Philos. Transact. of the royal society of London. Lon- don 1850. Part. 1, p. I5l. — W. Gruber. Op. eit. p. 8, 11, 28. 2) Eustachius. Op. cit. p. 295. — J. Fr. Meckel. G. Cu- vier’s Vorlesung und vergl. Anat,, übersetzt mit Zusätzen Th. IV. Leipzig 1810. S. 114. Note. — Rathke, Citirt von Bardeleben 736 Prof, Wenzel Gruber: unter den Ruminantia: Cervus Alces!), Moschus javanicus?) und die Hausthiere: Capra, Ovis und Bos?), sicher eine in das Atrium dextrum mündende Vena hemiazyga*). Mit Aus- nahme von Talpa, welche nebst der V. hemiazyga eine kleine in die V. cava superior mündende V. azyga besitzt, die ich in einem Falle an ihrem Ende nur ?/,;, L. dick fand, haben die ‘genannten Setigera und Ruminantia entweder nur die V. hemiazyga allein (Gurlt l. e.), oder diese und in eine .in sie sich ergiessende rudimentäre V. azyga zugleich (Bardeleben) d. i. constant eine gleiche oder doch ähnliche Anordnung, wie sie in unserem Falle beim Menschen ausnahmsweise vor- kam, abgesehen von dem dabei vorgefundenen Communica- tionsaste zwischen der V. hemiazyga und der V. anonyma si- nistra. Wenn gleich bei diesen Thieren, welche eine in das Atrium dextrum constant mündende V. hemiazyga besitzen, der in unserem Falle beim Menschen gesehene Communicationsast noch nicht beobachtet worden ist; so ist doch wenigstens bei einem T'hiere, welches’ nur bisweilen eine in das Atrium dex- trum sich ergiessende V. hemiazyga aufweiset, der genannte und A. — E, F. Gurlt. Handb. d. vergl. Anat. der Haussäugethiere. 4. Aufl. Berlin 1860. S. 606. — Gruber. Op. eit. p. 9, 13, 40. 3) Bardeleben, Ueber die Vena azygos, hemiazygos und coro- naria cordis bei Säugethieren. J. Müller’s Archiv f. Anat., Physiol. und wissensch. Mediein. Jahrg. 1848. Berlin p. 499. 1) Gruber. Op. eit. p. 41. 2) Bardeleben. L. ce. 8) Eustachius, Rathke, Bardeleben, Marshall, Gurlt. L. c. Gruber. Op. eit. p. 10. 13, 31. 4) Le Cat. (Hist. de l’acad. roy. des sc. de Paris ann. 1738. p. 45) hat bei einem jungen Schweine die Azyga in zwei Aeste getheilt und jeden der Aeste in eines der Atria münden gesehen. Missbildung — Beim Tapir fehlt nach Bardeleben (l. c.) die Hemiazyga, aber nach Marshall (l. c.) mag die Vena posterior atrii sinistri, die er an einem injieirten Tapirherzen im Mus. roy. coll. surgeons gesehen hat, die rudimentäre Hemiazyga gewesen sein. Alle Ruminantia, wie Bardeleben für wahrscheinlich hielt, besitzen diese Anordnung nicht, es machen darunter sicher Camelus dromedarius und Auchenia Lama (Gruber. Op. cit, p. 13) eine Ausnahme. Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga u, s. w. 737 Communicationsast gesehen worden. Ich!) habe nämlich bei Cavia, welche eine in die Vena cava superior sich öffnende V. azyga und eine in die V. anonyma sinistra endigende he- miazyga aufweiset und nach Bardeleben (l. ce.) nur die erstere besitzen soll, was unrichtig ist, unter 8 Fällen an 2 ihre V. hemiazyga in das Atrium dextrum münden gese- hen. Darunter war in einem Falle zwischen der V. he- miazyga und der V. anonyma sinistra ein, diese verbinden- der, starker, solider Faden zugegen. Dieser solide Faden wurde als die obere obliterirte Portion der V. cava superior sinistra primitiva erkannt, war daher früher offen gewesen und musste normaler Weise zu einer gewissen Zeit einen Commu- nicationsast zwischen der V. hemiazyga und V. anonyma si- nistra dargestellt haben, wie in unserem Falle beim Men- schen.?) Anmerkung. Bei dieser Gelegenheit trage ich zu den von mir und Anderen beobachteten und in meinen oben eitir- ten Schriften zusammengestellten 29 Fällen mit Duplicität der V. cava superior bei dem Menschen noch 2 nach, die von J. Hyrtl?) beschrieben worden sind. Diese zwei Fälle wur- den damals zwar nicht als solche gedeutet, gehören aber nach dem, was man jetzt über die Fehler der Metamorphose der Vena cava superior sinistra primitiva weiss, hierher. In dem einen Falle kam die Duplieität der Vena cava superior bei einem mit Atresia vaginae behafteten Mädchen vor. Die linke V. cava superior endigte im Atrium sinistrum des Herzens. Beide V. pulmonales sinistrae? bildeten einen einfachen Stamm. 1) Op. eit. p. 41. 2) Barkow — Monstra animalium duplicia TomI. Lipsiae 1828. 40. Sect. IV. p. 115 — sah die V. hemiazyga, welche bei Felis nach‘ Bardeleben und meinen Untersuchungen nur die V. azyga und keine V. hemiazyga, nach E. E. Gurlt und Franz Müller beide besitzt, wovon die erstere in die Vena cava superior, die letztere in die Vena azyga sich ergiesst, an einem Monstrum felinum femineum monocephalum bicorporeum mit einfachem Herzen in das Atrium sinistrum einmünden. 3) Venen-Varietäten. Oesterr. medic, Jahrb. Neueste Folge. Bd. XVI. St. 1. Wien 1839. p. 8, 10. No. 10, 14, Mit 1 Abbildung. 138 Prof, Wenzel Gruber: Die rechte V. cruralis war doppelt. In dem anderen Falle kam die Duplicität derselben Vene bei einem 60jährigen an Lungentuberculose verstorbenen Manne vor. Die V. cava su- perior dextra und die V. anonymae wichen kaum von der Norm ab. : Die verkümmerte V. cava superior sinistra ent- sprang von der V. anonyma sinistra etwa an der Stelle der Vereinigung des linken Drittels mit dem mittleren ihrer Länge. Sie war oben 2!/, L., dick, nahm 6 kleine Venenäste von der linken Lunge auf, welche die V. pulmonalis sinistra superior repräsentiren, und mündete vereiniget mit der V. pulmonalis sinistra inferior auch in das Atrium sinistrum. In dem Falle beim Kinde ist von der Existenz der V. anonyma sinistra nichts angegeben, sie wird daher wohl gefehlt haben. In dem Falle beim Manne war diese ausgebildet zugegen. Im ersteren Falle ist sonach der transversale Ast der V. jugulares primi- tivae völlig verschwunden, wie bei Duplieität der V. cava superior bei den Säugethieren und dem Menschen in der Re- gel vorkommt. In letzterem Falle hat sich jener transversale Ast zur Vena anonyma sinistra metamorphosirt, wie in den Fällen mit einfacher V. cava superior bei dem Menschen und wie bei manchen Fällen doppelter V. cava superior bei dem Menschen und den Säugethieren. In beiden Fällen mündete die V. cava superior sinistra in das Atrium sinistrum. ie sind daher nicht nur Bildungshemmungen, sondern auch Miss- bildungen und gehören unter die 8 Fälle bei einfachem Kör- per, welche ich in der I. Varietät untergebracht habe. Der Fall bei dem Manne kam an einer Leiche vor, die ich als Student der Medicin in Prag mit mehreren Collegen, unter welchen sich der in Wien seine Praxis ausübende, tüchtige Arzt Dr. Gunz befand, zergliederte.. Ich demonstrirte das Gefundene den Professoren Bochdalek und Hyrtl und liess das im Prager Museum aufbewahrte Präparat abbilden. Zu den von Meckel, Bardeleben und mir bei Thie- ren mit einfacher V. cava superior gefundenen und von mir in meiner grösseren Schrift zusammengestellten Fällen von Duplieität der letzteren bei Canis, Felis und Cavia gehö- Ueber einen Fall von Einmündung der Vena hemiazyga u. s. w. 739 ren: noch ein von Thom. Bartholin') im J.1641 bei einem Lamme beobachteter Fall, über den nur eine Anzeige durch- aus keine Beschreibung existirtt; und noch drei von E. F, Gurlt?) zergliederte und beschriebene Fälle von missgebil- deten Kälbern (Schistosomus reflexus), wovon eines weiblichen, zwei männlichen Geschlechtes waren. E. F. Gurlt?) eitirt noch Kerkring als Beobachter eines Falles mit Duplicität der V.cava superior bei einem Hunde. Dies ist ein Irrthum. Th. Kerkring?) hat bei einem Hunde von 2 Monaten Du- plieität der Vena cava inferior, nicht der V. cava superior gesehen. E. F, Gurlt’) erwähnt aber einer älteren Beob- achtung bei einem sonst wohlgebildeten Hunde, der in der Breslauer Sammlung enthalten ist. Erklärung der Abbildung. Herz mit den grossen Gefässen. (Ansicht von links, unten und vorn.) 1. Ventrieuli des Herzens. 1’. ‘Atrium sinistrum mit seiner Auricula, 2. Linke Lungenwurzel. 3. Arteria pulmonalis, 4. Arcus aortae. 4'. Aorta thoracica. 5. Vena cava superior (Anfangstheil), 6. Vena hemiazyga. A. Vena anonyma dextra, A’. Vena ano- nyma sinistra. B. Vena jugularis interna dextra, B’. Vena jugularis interna sinistra. C. Vena subclavia dextra. C’. Vena subelavia si- nistra. D. Arteria anonyma. E. Arteria carotis communis dextra. E'. Arteria carotis communis sinistra. F. Arteria subclavia dextra. F'. Arteria subclavia sinistra. a. Aufsteigendes Stück der Vena he- miazyga. a’. Bogenförmig gekrümmtes und über der linken Lungen- 1) Hist. anat. rarior. Cent. I et II. Amstelodami 1654, 80. Cent. 1I. Bist. 84. p. 291. 2) Lehrb. d, pathol. Anat. d. Haussäugethiere. Th. II. Berlin 1832. p. 137 u. 439, 3) De venarum deformitatibus adnexo vitii rarioris venae cavae inferioris exemplo, Vratislaviae 1819. 40. c. tab. lithograph. p. 12. 1) Spieilegium anat. ete. Amstelodami 1770. 40. -Observ. XXIX. p. 68. Tab. XI. 2) Lehrb. d. pathol. Anat. |, c. 740 Prof. W. Gruber: Ueber einen Fall von Einmündung u. s. w. wurzel gelagertes Stück der Vena hemiazyga. a’. Absteigendes Stück der Vena hemiazyga. a’''. Im Suleus atrio-ventricularis des Herzens gelagertes Stück der Vena hemiazyga. b. Vena subthyreoidea. c. Vena mammaria interna dextra.. d. Ligamentum arteriosum. «. Ast der Vena azyga zum Anfange der Vena hemiazyga. ß. Vena lumba- lis I. sinistra. y. Venae intercostales sinistrae. d. Communica- tionsast zwischen der Vena hemiazyga und Vena ano- nyma sinistra. d’ d‘. Venae pericardiacae oder mediastinales an- teriores. 0d'''. Vena bronchialis sinistra? ce. Vena coronaria magna cordis. £. Vena marginalis ventriculi sinistri cordis. Dr. W. Dönitz: Mariotte’scher Fleck bei markhaltigen u. s. w. 741 Mariotte’scher Fleck bei markhaltigen Nervenfa- sern der Retina. Von Dr. W. Dönıtz. — (Hierzu Taf. XVI, B.) Seitdem O. Becker im Jahre 1861 in der Wiener Medi- einisch. Wochenschr. No. 28, 29 die Gestaltveränderung des blinden Fleckes als Kriterium gewisser, durch markhaltige Nervenfasern in der Retina bedingter weisslicher Flecken kennen gelehrt hat, ist ein ähnlicher Befund, wie ihn Becker zu seiner Beweisführung brauchte, nicht wieder veröffentlicht worden. Es sei mir daher gestattet, die Casuistik dieser Fälle durch Beschreibung meines eigenen linken Auges zu vermeh- ren, in dem sich gleichfalls markhaltige Nervenfasern auf der Retina ausbreiten, Anamnestisch muss ich erwähnen, dass ich als Kind ein Masernexanthem leicht überstanden, sonst aber an keiner Haut- oder Nierenaffection gelitten habe. Der Fernpunct mei- nes linken Auges hat von der Cornea einen Abstand von 9 ''. Im Autophthalmoskop sehe ich heute noch dasselbe Bild wie vor drei Jahren, wo ich zum ersten Male auf den weissen Fleck neben der Papilla optica aufmerksam gemacht wurde. In der Gestalt des letzteren ist seitdem keine Veränderung eingetreten. Ich füge der Beschreibung zwei Zeichnungen bei. Die 742 Dr. W. Dönitz: eine stellt meinen blinden Fleck dar, wie ich ihn bei viel- fachen Versuchen nach der Helmholtz’schen Methode gefun- den habe. Mein Auge war dabei 8!/, '' vom fixirten Puncte entfernt. Der weniger dunkel gehaltene Theil der Figur be- zeichnet solche Stellen, von denen ich nicht sicher war, ob ich sie schon zum blinden Fleck rechnen sollte oder nicht. Die andere, von meinem Freunde Dr. H. Quincke ent- worfene Zeichnung, giebt den Augenhintergrund im aufrech- ten, virtuellen Bild wieder. Am äusseren Rande der Papilla optica sieht man eine schmale, weisse Lunula, von der Pa- pille durch einen Streifen bräunlichen Pigmentes getrennt; beides als Ausdruck der die Myopie bedingenden Sklerektasie. Vom unteren Rande der Papille aus greift ein intensiv weis- ser Fleck auf die Retina über. Seine Gestalt ist ziemlich ab- gerundet, seine Grösse geringer als die der Papille. Von letz- terer ist ein kleines Segment in den Fleck mit aufgegangen, so dass sie sich nicht in convexer, sondern in gerader Linie gegen denselben absetzt. Eine starke Vene und zwei schwächere Arterien ziehen auf der Papille gegen den Fleck hin, verlieren in demselben an Deutlichkeit, und werden erst allmählich wieder klar, in- dem sie denselben verlassen. Um den unteren Rand dieses Fleckes sieht man öfter einen, auch in der Zeichnung wieder- gegebenen Reflex verlaufen. Eine von der Papille ausstrah- lende radiäre Zeichnung des weissen Fleckes zeigt sich am deutlichsten an seinen Rändern, vorzüglich an der Stelle, wo er die grosse Vene theilweise bedeckt. Am oberen Rande hat der Augengrund längs der einen Seite einer starken Vene eine weissliche Färbung. Am linken unteren Rande der Fi- gur sieht man einige Choroidealgefässe durchschimmern. Behufs der Vergleichung dieses Befundes mit der Zeich- nung des blinden Fleckes muss man bedenken, dass dieser bei seiner Projection nach aussen geradezu umgekehrt wird, während das eben beschriebene und abgebildete virtuelle Bild aufrecht steht. Dreht man nun die eine oder die andere Fi- gur um, so wird man finden, dass der Mariotte’sche Fleck ziemlich genau der vereinigten Figur der Papilla optica und Mariotte’scher Fleck bei markhaltigen Nervenfasern der Retina. 743 des weissen Fleckes entspricht. Die halb durchscheinenden Randpartieen des weissen Fleckes correspondiren mit den Stellen des unsicheren Urtheils. Bedenkt man nun, dass der besprochene weisse Fleck seit drei Jahren auf der Retina eines bisher gesunden Auges un- verändert besteht, dass er nach innen von den Retinalgefässen liegt, die im ophthalmoskopischen Bilde zum Theil von ihm bedeckt werden, dass er eine radiäre Streifung zeigt und end- lich eine Vergrösserung des Mariotte’schen Fleckes bedingt, so wird man nicht im Zweifel darüber sein können, dass diese Erscheinung durch markhaltige Nervenfasern hervorgerufen wird. 744 C. B. Reichert: Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger Doppel-Embryonen von Vögeln, — zur Erläuterung der Entstehung von Doppel-Missgeburten. Von C. B. REICHERT. (Hierzu Taf. XVII. und XVIII.) — Die Figuren 1 und 2 geben die Rücken- und Bauch-An- sicht eines Doppel-Embryo von der Gans nach dreitägiger Bebrütung. Der Entwickelungszustand lässt sich mit dem eines normalen Embryo nach 48 stündiger Bebrütung bei gemässig- ter Temperatur (30 Gr. R.) vergleichen. An der Umhüllungs- haut war eine unregelmässige Begrenzung nicht bemerkbar; dieselbe verhielt sich im Wesentlichen wie bei einem einfachen normal entwickelten Embryo; sie hatte aber nahezu drei Vier- theile der Dotterkugel umwachsen und war demnach von grös- serer Ausdehnung, als gewöhnlich bei Embryonen in vorlie- gendem Entwickelungszustande. Ebenso bietet der Gefässhof nach Form und Ausdehnung bei oberflächlicher Beobachtung keine irgend auffällige Abweichungen von dem Verhalten einer normalen Fruchtentwickelung dar. Inmitten des bisquitförmig begrenzten Fruchthofes dagegen zeigen sich zwei Embryonen oder genauer zwei Embryonalfelder dicht bei einander, mit ihren Längsaxen parallel gestellt, Rücken- und Bauchfläche gleich gewendet. Nur der Kopf und das wenig entwickelte Schwanzende beider Embryonen sind völlig getrennt; im übri- Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 745 ‘gen Theile sind dieselben mit den einander zugewendeten Seiten derartig verwachsen und vereinigt, dass sie mit dem sich anschliessenden Gefäss- und Dotterhofe auf den ersten Blick wie Bestandtheile einer einfachen, normal entwickelten Frucht sich ausnehmen; die beiden Zeichnungen stellen den Doppel-Embryo viel deutlicher und zwar so dar, wie derselbe nur bei sehr günstiger Beleuchtung erkannt wurde. Indem ich zur genaueren Beschreibung des Doppel-Em- bryo übergehe, scheint es zweckmässig, zunächst den Ent- wickelungszustand nach den einzelnen vorhandenen Organen oder Anlagen zu erläutern. An der Rückenseite im Bereiche des Embryonalfeldes mar- kirt sich die Anlage des Central-Nervensystems (Fig. 1 m), am deutlichsten, so weit dasselbe die Röhrenform angenom- men hat, nämlich am Kopf, in der Halsgegend und auch am Schwanzende, so weit beide Embryonen zugleich vollkommen gesondert auftreten. Am Gehirn sind ferner die drei Hirn- bläschen (Fig. 1 A, B, C) deutlich zu erkennen; desgleichen sieht man die Augenblasen (Fig. I o) schon in Abschnürung vom Gehirn begriffen und, in Folge der Ausdehnung des er- sten Hirnbläschens nach vorn, mehr nach hinten gerückt. Von den Grosshirnbläschen ist noch keine Andeutung vorhanden. In einem grossen Abschnitte des Rumpfes sind die Medullar- platten noch nicht zu Röhren geschlossen; sie kleiden, gedeckt von der Umhüllungshaut, die scheinbar einfache, beiden Em- bryonen gemeinsame, noch offene Rückenfurche (Fig. } st) aus. Vom Haut- und Wirbelsystem sind die in den Rücken- platten (Fig. 1 Id) enthaltenen, hinteren Fortsätze in demsel- ben Bereiche, wie die Medullarplatten, zur Vereinigung ge- langt und auf diese Weise die betreffenden Rückenröhren für beide Embryonen am Kopfe, Hals und in einem kleinen Ab- schnitte des Rumpfes auch am Schwanzende gebildet; an der noch offenen Rückenfurche wird das Verhalten noch beson- ders besprochen. Am Wirbelsystem lassen sich etwa 24 ge- sonderte, sogenannte Wirbelabtheilungen (Fig. 1 v) unterschei- den, in welchen, wie ich nachwies, die Anlagen sowohl der Hart- als der Weichgebilde des Wirbelsystems enthalten sind. Reichert's u. du Bois-Reymond’s Archiv. 1864. 48 746 C. B. Reichert: Zur Seite der dritten Hirnblase markirt sich die Anlage des Ohrlabyrinthes in Form des noch offenen Ohrlabyrinth-Grüb- chens (Fig. 1 k). Auf der Bauchseite (Fig. 2) ist der Abschnürungsprocess vorn und hinten ebenso weit vorgerückt, wie die Röhrenbil- dung an der Rückenseite.e Am Kopfende ist demgemäss die Fovea cardiaca W. (Fig. 2 f) gebildet, deren Hohlraum am Kopf und Hals entlang zieht, und an deren hinterem concaven Rande das abgeschnürte von der Cutis-Anlage mit der Um- hüllungshaut bedeckte centrale Stratum intermedium in die Kopfkappe (Fig. 1 z,) umschlägt, um in den peripherischen Theil (Area vasculosa) überzugehen. Die Entwickelung der Visceralbogen hatte noch nicht stattgefunden. Zwischen dem concaven Rande beider Foveae cardiacae und dem mehr zwei- theilig sich zeigenden Abschnürungsrande an den beiden Schwanzenden, also in dem Bereiche, in welchem beide Em- bryonen mehr verschmolzen sind, sieht man eine scheinbar einfache Darmrinne (Fig. 2 zv,), entsprechend der scheinbar einfachen noch offenen Rückenfurche; ich komme auch auf diese Gegend, so wie auf die mehr verwachsenen Bestandtheile beider Embryonen später zurück. Von den Primitivorganen, deren Anlagen aus dem centra- len Stratum intermedium während des Abschnürungsprocesses an der Bauchseite sich nach und nach sondern und in der Visceralröhre ihre Lage erhalten, sind mit Sicherheit nur die Blutgefässe als gebildet anzunehmen, welche mit den Gefäs- sen in der Area vasculosa die erste Blutbahn constituiren. An der Foyea cardiaca sieht man deutlich die zum Theil ver- wachsenen Herzen (Fig. 2 c) beider Embryonen, ferner die dazu gehörigen Bulbi aortae (Fig. 2 e,j, desgleichen am Rande der Fovea cardiaca zwei Dottervenenstämme (Fig. 2 c,). Wahrscheinlich sind nur zwei Aortenbogen jederseits vorhan- den, ferner für jeden Embryo eine Aorta, von deren Endästen jederseits nur ein Dotterarterienstamm das Blut in die Area vasculosa leitet. Anlagen anderweitiger zum Bereiche der Ein- geweide gehöriger Organe sind nicht nachzuweisen; es fehlt namentlich noch der Wolff’sche Körper, desgleichen die Le- Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 747 ber, Lunge, ferner die Allantois. Ebenso war von der Anlage des Amnios niehts zu bemerken. In der Umgebung des Rückens des Embryo, so wie unter dem Kopf und Schwanz hinweg ist jene, bisquitförmig gegen die Area vasculosa (av) hin abgegrenzte, Abtheilung (ap,) des durchsichtigen Fruchthofes (ap) zu bemerken, in welcher der Uebergang des centralen Theils des Stratum intermedium, — einerseits von der Umhüllungshaut, anderseits von der An- lage des Darmepithels bekleidet, — in seinen peripherischen Theil (Area vasculosa) erfolgt. Hier ist es ferner, wo etwas später Kopf- und Schwanzscheide, so wie Seitenplatten des Amnios nach der Rückenseite des Embryo hin sich erheben. Obgleich die bisquitförmige Begrenzung der Area pellueida im Allgemeinen wie bei einem einfachen Embryo beschaffen ist, so bemerkt man doch am vorderen und hinteren Ende eine Abweichung darin, dass der sonst convexe Bogen in seiner Mitte mehr pa- rabolisch und fast winklig (x) ausgezogen ist. Die Kopfab- theilung des Bisquits ist durch grössere Breite ausgezeichnet. An der Schwanzabtheilung, namentlich in dem Bezirke, in welchem das Stratum intermedium vom Abschnürungsrande aus in die Area vasculosa sich fortsetzt (Fig. 1 u. 2 al), war dasselbe dieker wie gewöhnlich, und weniger durchsichtig. Da beim weiteren Vorrücken des Abschnürungsprocesses in dieser Gegend die Anlage der Allantois sichtbar wird, so darf vielleicht die Verdickung auf eine Vorbereitung zur Bildung derselben bezogen werden. Die Area vasculosa (av) ist nur wenig grösser als gewöhnlich und zeigt deutlich ihr Gefäss- netz; der Sinus terminalis ist jedoch noch nicht bemerkbar. Ihre Begrenzung nach dem Dotterhofe hin ist herzförmig und von ausserordentlicher Regelmässigkeit, während sie bei nor- malen Eınbryonen vollständig kreisförmig angetroffen wird. In der Herzform drückt sich ein bilateral-symmetrischer Bau aus, in welchem eine Sonderung in zwei Abtheilungen beginnt; auch die parabolische Polar-Begrenzung der Area pellueida darf auf eine grössere Trennung des bilateral-symmetrischen centralen Stratum intermedium in zwei gesonderte Theile be- zogen werden. 48* AA . C. B. Reichert: Eine besondere Aufmerksamkeit hat man den Theilen zu- zuwenden, in welchen beide Embryonen unmittelbar aneinan- der stossen und mit einander verwachsen sind (Fig. 3 1d°). In der Gegend des künftigen Halses zeigt sich die einfachste Verbindung zwischen den beiden Embryonen. Die Ansicht von der Rückenfläche lehrt, dass nur die an der freien Aus- senfläche gelegenen Bestandtheile des Embryonalkörpers und zwar ohne jegliche Abgrenzungslinie in einander übergehen. An der Aussenfläche befinden sich aber die epithelartige Um- hüllungshaut und die darunter gelegene Anlage des Integu- mentum commune externum entweder ganz oder doch dem Haupttheile nach als Anlage der Lederhaut. Die Anlage des Wirbelsystems, so wie das den Hohlraum der Fovea cardiaca auskleidende Stratum intermedium markiren sich als vollkom- men getrennte Theile. An der Bauchseite des Embryos liegt in derselben Gegend das Herz (Fig. 2 c). Dasselbe zeigt einen gemeinschaftlichen Bezirk für beide Embryonen und auch gesonderte Bestand- theile für jeden einzelnen. Der grösste Bestandtheil des Her- zens liegt an der Berührungsstelle beider Embryonen; es ist ein weiter ungefähr kuglig geformter Sack, an welchem äus- serlich, in der Trennungslinie beider Embryonen, eine leichte Einsenkung bemerkbar war, ohne dass jedoch mit Sicherheit ein dieser Furche entsprechendes Septum sich auffinden liess. Nach beiden Seiten hin erweitert sich der’ mittlere kuglige Theil zu lateralen Aussackungen, die nach vorn, zum Kopf hin, in den Bulbus aortae (Fig. 2 c,) jedes einzelnen Embryo, nach hinten, mittels einer kleinen Erweiterung, in das am freien Rande der Fovea cardiaca hinziehende Gefäss (Fig. 2 c,,) auslaufen, welches das Blut aus der linken und rechten Hälfte der Area vasculosa zum Herzen zurückführt und dem- nach, mit Beziehung auf die symmetrisch-bilaterale Area vas- culosa, als linker und rechter Dotter-Venenstamm angespro- chen werden muss. Jeder Embryo muss aber zwei Dotter- Venenstämme, einen rechten und einen linken besitzen. Von diesen fehlen hier also bei dem rechten Embryo der linke, beim linken Embryo der rechte Dotter-Venenstamm. Die bei- Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger n. s. w. 749 den vorhandenen Dotter-Venenstämme, welche am einfachen freien Rande des gemeinschaftlichen Zugangs der Fovea car- diaca gerade so verlaufen, wie der rechte und linke Dotter- Venenstamm eines einzigen Embryo’s und auch im vorliegen- den Fall sich genau so wie zwei normale -Dotter-Venenstämme verhalten, sind gleichwohl nur mit Beziehung auf den Dop- pel-Embryo als rechter Dotter-Venenstamm des rechten und linker Dotter-Venenstamm des linken Embryo’s anzusehen; eine gesonderte Ausbildung des jedem einzelnen Embryo noch fehlenden Dotter-Venenstammes hat also nicht stattgefunden. Am Rumpfe, vom Halse bis zur Gegend des Schwanzes, liegen die beiden Embryonen so innig verbunden aneinander, dass man auf den ersten Blick, wie schon bemerkt, einen ein- zigen Embryo mit stärker entwickelten Rückenplatten vor sich zu haben glaubt (Fig. 3 Id). An der Rückenseite zeigt sich die noch offene gemeinschaftliche Rückenfurche (st) beider Embryonen; sie wird von der stärker ausgebildeten rechten Rückenplatte des rechten, und von der linken Rückenplatte des linken Embryo begrenzt. Vorne gehen diese Platten, welche bekanntlich die Spinalfortsätze des Haut- und Wirbel- systems und die resp. linke und rechte Medullarplatte der be- treffenden Embryonen, überzogen von der Umhüllungshaut, enthalten, in kurzen Bogen unmittelbar ineinander über; hin- ten (Fig. 1 z,,) dagegen ist der Vereinigungsbogen durch eine vom Scheitel hervorspringende kurze Spitze zweitheilig, und jede Abtheilung gehört zu dem freien Schwanzende des Em- bryo’s ihrer Seite. Die scheinbar gemeinschaftliche Rückenfurche wird gleich- wohl durch eine in der Mittellinie vom Grunde sich erhebende Leiste (Fig. 1 Id’) in zwei Unterabtheilungen geschieden. Diese Leiste läuft vorne in ein Septum aus, welches die ver- einigten Halspartieen beider Embryonen trennt, und weiter nach dem Kopfende hin in die einander zugewendeten Hälf- ten der daselbst gesondert geschlossenen Rückenbestandtheile beider Embryonen sich fortsetzt. Nach hinten wird die Längs- leiste allmählich niedriger; sie hört dann eine Strecke lang gauz auf und erhebt sich erst wieder an der vorher erwähn- 750 ©. B. Reichert: ten Spitze des hinteren Vereinigungsbogens der Rückenplatten um sofort in die respectiven Hälften der freien Schwanzenden sich zu spalten. In dieser Längsleiste (Fig. 3 1d°) liegen, wie die genauere Untersuchung ergiebt, die einander zugewen- deten Rückenplatten. beider Embryonen mit den darin enthal- tenen Bestandtheilen in solcher Vereinigung und Verschmel- zung vor, dass die Outis und die Umhüllungshaut gar nicht unterschieden werden können, und dass an den vorhandenen Organen (Rückenmark, Wirbelsystem) auch nicht einmal eine sie trennende Demarcationslinie bemerkbar ist. Es ist vorauszusehen, dass, wenn der Rücken beider Em- bryonen von der gegebenen Grundlage aus vollständig würde ausgebildet werden, die in dieser Leiste enthaltenen Bestand- theile nur in sehr verkümmertem Zustande daran betheiligt sein können; es ist ferner anzunehmen, dass die Hohlräume beider Abtheilungen der Rückenfurche sich zu einer gemein- schaftlichen Höhle schliessen werden, deren Wandungen, so zu sagen, bilateral-symmetrisch aus der rechten Rückenplatte des rechten und aus der linken des linken Embryo gebildet, sich darstellen müssten. Der Hohlraum selbst würde als ge- meinschaftlicher Centraleanal der Rückenmarke beider Em- bryonen anzusehen sein. An der Bauchseite sieht man, in derselben Länge wie die Rückenfurche, die scheinbar gemeinschaftliche sogenannte Darm- rinne (Fig. 2 u. 3 zv,), welche vorn durch die gemeinschaftliche und im Allgemeinen wie bei einem einfachen Embryo gestal- tete Oeffnung der Fovea cardiaca in die durch den Abschnü- rungsprocess schon gebildeten und für beide Embryonen ge- sondert bestehenden Hohlräume (Kopftheil des Tubus respi- ratorius und alimentarius) übergeht; nach dem Schwanzende zu ist auch die Darmrinne, wie es scheint, für beide Embryo- nen in einer kleinen Strecke durch eine etwas vorspringende Leiste getrennt. Die Seitenwände der gemeinschaftlichen Darmrinne werden hauptsächlich rechts durch die rechte Visce- ralplatte (Bauchplatten des Haut- und Wirbelsystems) und durch die rechte Hälfte des centralen Stratum intermedium (Darmplatten) mit dem Epithel des rechten Embryo’s (Fig. 3 Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger uw. s, w. 75] hv, uv, zv, t), sowie die linke Wand durch die linke Hälfte derselben Bestandtheile des linken Embryo’s gebildet. In der Medianlinie des Grundes der Darmrinne schimmert die be- sprochene Leiste der Rückenfurche hindurch; hier liegen fer- ner die einander zugewendeten und vereinigten oder nicht ge- trennten Hälften der Anlagen an der Bauchseite beider Em- bryonen (vergl. Fig. 5). Unmittelbar unter den vereinigten Hälften des Wirbelsystems, welche von den correspondirenden Hälften durch die Chorda dorsualis (ch) getrennt werden, sieht man die vereinigten Abtheilungen des centralen Stratum intermedium (Fig. 3 z) und die Anlage des Darmepithels (Fig. 3 t) beider Embryonen. Wollte man auf Grundlage der vorliegenden Anlage des Doppel-Embryo’s sich eine Vorstellung von seinem Verhalten an der Bauchseite beim weiteren Fortschreiten der Entwicke- lung machen, so ist es — vorausgesetzt, dass beide Embryo- nen gleichmässig sich ausbilden!) — wahrscheinlich, dass während des Abschnürungsprocesses sowohl das centrale Stra- tum intermedium mit dem Darm-Epithel, als auch das Wir- bel- und Hautsystem sich unter Ausbildung eines einzigen ge- meinschaftlichen Hohlraums röhrenförmig schliessen werden. An demselben wären ferner die bilateral-symmetrisch gestell- ten Hälften aller sich jetzt bildenden Organe, desgleichen die paarigen Organe durch die rechte Seite des rechten Embryo’s und durch die linke des linken ausgebildet und vertreten. Es würden demnach nur eine” Brust- und Bauchröhre, nur ein Amnios, nur eine Leber, eine Allantois, ein Dottersack, nur ein Darm vorhanden sein, deren bilateral-symmetrisch gebaute Hälften auf zwei Individuen zu beziehen wären. Die Ur- nieren, Nieren, keimbereitenden Geschlechtsorgane u. s. w. werden paarige Organe sein, welche gleichfalls zweien Indi- 1) Verkümmert ein Embryo im weiteren Verlauf der Entwickelung, so ist das schliessliche Verhalten des Bildungsproductes nicht genau vorauszusehen, da das Mass der Verkümmerung und der jedesmalige Bildungszustand des prädominirenden Embryo’s das Auftreten einer zahllosen Menge, so zu sagen, gehemmter Doppel-Missgeburten be- dingt, 752 ©. B. Reichert: viduen angehören. Dasselbe gilt in Betreff des Wirbel- und Hautsystems. Dagegen wäre es möglich, dass sich zwei Aortae descendentes ausbilden, welche durch mehr weniger zahlreiche Anastomosen untereinander in Verbindung stehen, und von denen nur Aeste der zur Ausbildung gelangenden entsprechen- den Seite des betreffenden Embryo’s sich entwickelt haben. In Betreff der Leber, des Darms, der Allantois würde das Blut zu den jedem Embryo angehörigen Hälften durch beson- dere, also durch paarige von beiden Aorten ausgehende Ge- fässstämme hinzugeführt werden. Ich habe schon bemerkt, dass das Amnios von der vorlie- genden Anlage des Doppel-Embryo aus nur einfach sich ent- wickeln könne, und dass also beide Embryonen beim weite- ren Fortgange der Entwickelung von einer einzigen Amnios- hülle und natürlich auch nur von einer, beide Embryonen und den gemeinschaftlichen Nahrungsdotter aufnehmenden, serösen Hülle umschlossen sein konnten, deren rechte Hälfte auf den rechten, die linke auf den linken Embryo zu beziehen wäre. Was die Lungen betrifft, so liegt die Stelle, wo sie sich bil- den, an der Wandung der Fovea cardiaca, und da diese ge- sondert für beide Embryonen ausgebildet ist, so können in der Rumpfhöhle für jeden Embryo auch die vollständigen zwei Lungen zur Ausbildung gelangen. Der Doppel-Embryo würde endlich, wie ein gewöhnlicher Embryo, zwei Extremitäten- paare ausbilden, von welchen die rechterseits zum rechten, die auf der linken Seite zum linken Embryo gehören. Sowohl das anatomische Verhalten des vorliegenden Dop- pel-Embryo’s, als der voraussichtliche Entwickelungsgang und das schliessliche Bildungsproduct leiten die unbefangene Beob- achtung zu der schon von Meckel vertretenen Ansicht, dass man es im vorliegenden Falle mit einer Doppel -Missgeburt zu thun habe, deren Genesis durch ein Selbstständigwerden der beiden Hälften des bilateral-symmetrisch construirten Wir- belthierkörpers bedingt sei. Ich habe mich früher in meiner Schrift „Die monogene Fortpflanzung“ S. 148 mit Th. Bischoff gegen eine solche Entstehungsweise von Doppel- Missgeburten ausgesprochen, Es schien mir, als ob die voll- Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 753 ständige Scheidung des Wirbelthierkörpers in zwei symme- trische Hälften Angesichts der unpaaren Bestandtheile (Chorda dorsualis, Herz, Aorta u. s. w.) nicht durchzuführen sei. Diese Schwierigkeiten scheinen mir indess nicht genügend begrün- det. Man kann selbst die Chorda dorsualis als ein zwischen den Urhälften des Wirbelsystems frühzeitig eingeschobenes unpaares Zwischenglied ansehen, dessen so unbegreifliches Hin- schwinden bei den höheren Wirbelthieren durch die innigere Vereinigung der ursprünglich gegebenen bilateralen Hälften herbeigeführt werde. Die übrigen unpaaren Bestandtheile bie- ten, nach dem bekannten gesetzlichen Verhalten der zwischen die bilateralen Hälften eingeschobenen oft unpaaren Theile» dieser Vorstellung vollends keine Schwierigkeiten dar. Es» lässt sich in der That annehmen, dass der Wirbelthier-Orga- nismus ursprünglich durchweg bilateral construirt sei. Eine andere Frage ist es, ob der Bilateralismus des Wirbelthier- Organismus wirklich aus der Vereinigung der Hälften zweier Individuen hervorgegangen zu denken sei. Die Entscheidung dieser Frage ist wichtig, nicht allein für die morphologische Auffassung des Wirbelthieres, namentlich auch für das Ver- ständniss mehrerer Entwickelungserscheinungen und der Chorda dorsualis, sondern auch für die richtige Beurtheilung der Ent- stehung vieler Doppel-Missgeburten, so auch der vorliegenden. Man hätte dann zwei Kategorien von Doppel-Missgeburten zu unterscheiden: 1) solche, die dadurch entstehen, dass an einem befruchteten Ei durch zufällig veranlasste Keimspaltung die Anlagen zweier Individuen auftreten, welche später bei der Entwickelung sich mehr oder weniger vereinigen, und in der Berührungslinie gewisse Theile oder Hälften opfern; — 2) solehe, bei welchen zwei normal in dem bilateralen Wir- belthierkörper sich vereinigende Individuen oder deren Anla- gen, ihre bei der normalen Vereinigung ausfallenden Hälften, mehr oder weniger vollständig ausbilden und dadurch die Ent- stehung eines Doppel-Embryo bedingen. Mit Rücksicht auf den vorliegenden Doppel-Embryo würde man in Betreff der vollkommen getrennten Köpfe und Schwänze und der dazwi- schen gelegenen verwachsenen Theile im ersten Falle sagen 154. ©. B. Reichert: müssen: die Vereinigung ist am Kopf- und Schwanzende nicht — am Rumpfe theilweise gelungen; im zweiten Falle dagegen würde es heissen: die Trennung der ursprünglich normal im Wirbelthier-Organismus vereinigten Individuen sei im vorliegenden Doppel-Embryo am Kopfende und am Schwanze vollständig gelungen, am Rumpfe dagegen nur unvollständig und mit theilweiser Erhaltung des bilateral construirten Wir- belthierkörpers zur Ausführung gelangt. Ich kann nicht läugnen, dass ich mit Rücksicht auf die zahlreichen Fälle von Missgeburten mit zwei Köpfen und zwei getrennten Schwänzen, namentlich bei Fischen, vor Allem in Grundlage des vorliegenden Doppel-Embryo’s zur Meckel- schen Ansicht hinneige und demgemäss auch zurückschliessend den in Rede stehenden paarigen Embryo zum Beweise des scheinbar paradoxen Satzes verwenden möchte, dass der bila- terale Wirbelthierkörper aus zwei Individuen entstanden zu - betrachten sei, welche die ihnen fehlenden Hälften bei der Vereinigung zum Opfer gebracht haben. Während die Vor- stellung, dass bei dem vorliegenden Doppel-Embryo die ur- sprünglich getrennten Anlagen zweier Individuen sich einan- der genähert hätten und theilweise verwachsen seien, durch das Verhalten desselben in keiner Weise gestützt werden kann, auch hinsichtlich der ersten Entwickelungsvorgänge auf un- überwindliche Schwierigkeiten stossen würde, lässt sich dies Alles ohne Zwaug im Meckel’schen Sinne erläutern. Der Embryo lag an dem Dotter, wie in normalen Fällen, so aus- gebreitet, dass man durch das spätere Auffinden des Doppel- Embryo’s überrascht wurde. Es war eine wesentlich normal gebildete Umhüllungshaut vorhanden, die mit ihrem Centrum über dem einfachen Dotterhöhlengang sich befand. Es kann nicht bezweifelt werden, dass sie an einer wie gewöhnlich be- schaffenen Bildungsdotter-Zellenmasse sich gesondert habe und weiter gewachsen sei. Für die ursprüngliche Beschaffenheit der alsdann aus der Bildungsdottermasse unter der Umhüllungs- haut sich sondernden Anlagen (des Central-Nervensystems, des Stratum intermedium, des Darm-Epithels) giebt uns die gegenwärtige Beschaffenheit des peripherischen Theiles des Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 755 Stratum intermedium (Area vasculosa) genügende Aufklärung. Die Area vasculosa ist fast normal beschaffen. Der periphe- rische Theil des Stratum intermedium, dieser wichtigen An- lage für den gesammten Wirbelthierkörper, muss wie bei einem gewöhnlichen Embryo aus einem normalen centralen Theile hervorgegangen sein und dem entsprechend auch die Anlage des Central-Nervensystems und des Darmepithels sich verhal- ten haben. Dann aber muss die Einleitung für den Aufbau des bilateral eonstruirten Wirbelthier-Organismus gestört sein, Diese Einleitung wird zuerst für das Central-Nervensystem durch das Auftreten der Primitivrinne gekennzeichnet. Es ist daher wahrscheinlich, dass das Central-Nervensystem nicht wie gewöhnlich durch eine einfache primitive Rinne in die symmetrischen Hälften sich gesondert habe, oder dass viel- leicht die Sonderung zu kräftig erfolgt sei, so dass jede Hälfte selbstständiger wurde und in diesen Fortsang der Entwicke- lung auch das Stratum intermedium und das Darmepithel gleich- sam hineinzog. Dass dann bei weiterer Entwickelung die Zu- sammengehörigkeit des abnorm getrennten, gewissermassen paarig gewordenen Individuums sich fortdauernd geltend macht und durch ein theilweises Vereinigtbleiben Beider zum Aus- druck gelangt, darf kein Befremden erregen. In den Figuren 4, 5, 6 u. 7 gebe ich die Abbildungen zweier Doppel-Embryonen vom Hühnchen, die ziemlich auf gleicher Entwicklungsstufe sich befinden. Bei einem normal sich entwickelnden befruchteten Hühnerei zeigt sich der vor- liegende Entwickelungszustand schon gegen Ende des ersten Tages der Bebrütung bei einer Temperatur von 30° R. Der in der Figur 4 gezeichnete Doppel-Embryo war Ende des dritten Tages, der unter Figg. 5 u. 6 abgebildete Ende des zweiten Tages der Bebrütung untersucht. Beide Doppel-Embryonen besitzen noch eine vollständig offene Rückenfurche, nur sind bei dem in Fig. 4 gezeichneten Doppel-Embryo die Rückenplatten stärker erhoben, — nament- lich, wie gewöhnlich, am vorderen Ende, und mit den freien Rändern einander mehr genähert. Auf der Bauchseite hatte 756 C. B. Reichert: der Abschnürungsprocess am Kopfende begonnen und, wie aus Fig. 6 zu ersehen, zur ersten Anlage der Fovea cardiaca (Fig. 6 f) geführt. Aus der Bildungsgeschichte des Hühnchens ist bekannt, dass in dem vorliegenden Entwickelungszustande folgende Be- standtheile, resp. Anlagen des Embryo nachzuweisen sind. An der Rückenfläche breitet sich die Umhüllungshaut aus, die ganze Fläche des scheibenförmigen Embryo’s einnehmend (im Durchschnitt Fig. 7 i). Am Stratum intermedium beginnt der peripherische Theil sich zu entwickeln und dadurch die Abzeichnung der Area vasculosa hervorzurufen (Fig. 7 ap,). An der Bauchseite liegt die Anlage des Cylinderepithels des Darmceanals (Fig. 7 t) mit dem peripherischen Theile sich ebenso weit wie die Umhüllungshaut erstreckend.. Im Em- bryonalfelde der Area pellucida befinden sich die Anlagen fol- gender Primitivorgane: des Central-Nervensystems (Fig. 7 m), des Wirbelsystems mit der Chorda dorsualis ((u, ch), des Haut- systems (h), welche an der Bildung der Rückenplatten und an dem durch die genannten Primitiv-Organe gebildeten Rücken des Thieres betheiligt sind. Zwischen dem Embryo- nalfelde und der Area vasculosa liegt ein Bezirk der Area pellueida, in welchem, wie schon bemerkt, der Uebergang des centralen Theils des Stratum intermedium zum peripherischen Statt hat, und wo der Umgebung des Embryonalfeldes zunäehst sämmtliche den Abschnürungsprocess an der Bauchseite voll- führende Anlagen (die Visceralplatten oder Bauchfortsätze des Wirbel- und Hautsystems und die Darmplatten des Stra- tum intermedium) ihre Lage haben. Bei dem in Fig. 4 gezeichneten Doppel-Embryo vn. die Embryonalfelder, welche oben die Gegend bezeichnen, wo der Rücken des zum freien Leben bestimmten Individuums sich ent- wickelt, in einer und derselben Axe des Eies so, dass das Kopfende beider sich berührt und die Schwanzenden in gera- der Linie von einander abstehen. Die Primitiv-Rinne und die Median-Linie wird durch denselben Durchschnitt des Eies ge- troffen. An der Berührungsstelle der Kopfenden war eine Verschmelzung nicht vorhanden. Es ist also zweifellos, dass Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 757 der Rücken beider Embryonen zugleich mit dem Kopfende sich frei von einander weiter ausbilden konnte. Dagegen liess sich keine Trennungsgrenze, auch nicht die Spur einer Demarcationslinie im Dotterhofe (Fig. 4 a), im Gefässhofe (av), selbst nicht in dem Theil der Area pellucida nachweisen, welcher als Uebergangsbezirk des Embryonalfeldes der Area _ pellucida zum Gefässhofe bezeichnet wurde. An der äusseren Begrenzung des Dotterhofes war keine auffällige Abnormität zu bemerken; sie reichte bis zur Aequatoriallinie der Dotter- kugel. Der Gefässhof (Fig. 4 av) hatte eine etwas unregel- mässige langgezogene elliptische Begrenzung. Die kürzeste Axe der Ellipse trennte die beiden Embryonen angehörigen Antheile desselben. Die Längsaxe scheidet rechte und linke Hälfte aller Anlagen jedes einzelnen Embryo’s. An der Bauch- seite waren gleichfalls in der kürzesten Axe der Ellipse, also in der Scheidegrenze beider Embryonen keine Trennungszei- chen zu bemerken. Die Fovea cardiaca befand sich in der Bildung begriffen wie in Fig. 6 f£. Demnach befand sich hier ein Doppel-Embryo an einem einzigen Ei, und zwar an der Stelle des gewöhnlichen Hah- _ nentritts, mit seinen Fruchthöfen liegend. Die beiden Embryo- nen gemeinschaftliche Umhüllungshaut ist im Wesentlichen so beschaffen, wie bei einem einfachen Embryo, nur im Verhält- niss zum Entwickelungszustande des Embryonalfeldes von grös- serer Ausdehnung. Aehnlich ist das Verhalten des Oylinder- Epithels des Darmcanals.. Für beide Anlagen kann die dop- pelt-embryonale Eigenschaft nur in so weit ausgesagt werden, als der im Gefäss- und Fruchthof sich ausbreitende Abschnitt derselben, auf die zum Theil verschmolzenen, zum Theil ge- trennt auftretenden Anlagen zweier Embryonen bezogen wer- den muss. Zu den vollkommen getrennten Anlagen beider Embryonen gehören: Die Anlage des Central-Nervensystems, die des Wirbelsystems mit der Chorda dorsualis, und die des Hautsystems. Mehr in einander verschmolzen ist das Stratum intermedium, sowohl im Bereiche des centralen, wie des pe- ripherischen Theils beider Embryonen; namentlich ausgespro- chen in letzterer Beziehung, 758 C. B. Reichert: Es sind zwei Fragen, deren Beantwortung für die Vor- stellung von der Bildung der Doppel-Missgeburten von Wich- tigkeit sind: 1) wie. verhielt sich die Dotterbildungsmasse beim Beginne der Entwickelung; und 2) in welcher Form würde sich die vorliegende Anlage der Doppel -Missgeburt weiter ausgebildet haben. Da an der zuerst erscheinenden Umhüllungshaut keine Zweitheiligkeit bei ihrer Ausbreitung um den Nahrungsdotter hervortritt, so darf man voraussetzen, dass der Bildungsdotter wie in normalen Fällen den Furchungs- process absolvirt habe, und dass an der Oberfläche der etwa in Linsenform angehäuften Masse von Bildungsdotterzellen die Anlage und das weitere Wachsthum der Umhüllungshaut statt- gefunden habe. An dem Reste des Bildungsdotters muss je- doch eine Spaltung eingetreten sein in der Art, dass die Tren- nungslinie in die Queraxe des Bildungsdotters zu setzen ist und an beiden Theilen nunmehr die weitere Entwickelung zweier Embryonen in der Art begonnen hat, dass die einheit- liche Beziehung der Bildungsdotter-Masse sich immer noch durch Vereinigung und Verschmelzung beider Embryonen nach Umständen geltend macht. Die Anlage des Oentral-Nerven- systems muss völlig getrennt für beide Embryonen sich ge- sondert haben. Es ist auffällig, dass in den wenigen bis jetzt bekannt gewordenen Fällen so früher, in einer Axe gelegener Doppel-Embryonen (vergl. v. Bär Bull.del’Ac. Imp. Tome II. No. 8), stets die Kopfenden beider Embryonen und also auch des Centralnervensystems gegeneinander gewendet gewesen sind und sich mehr oder weniger berührten. Die Anlagen des Darmepithels und des Stratum intermedium beider Embryonen ist gleich an- fangs wahrscheinlich so aufgetreten, dass an der Berührungs- stelle in der Queraxe keine scharfe Grenze vorhanden war. In Betreff der weiteren Fortentwickelung der Anlagen des 1) Man kann in dem Dotter mit Rücksicht auf den gewöhnlichen normalen Verlauf der Entwickelung und also mit Beziehung auf den daraus hervorgehenden Embryo, die drei dem Wirbelthierkörper ent- sprechenden Axen, also auch Rücken- und Bauchseite, Kopf- und Schwanzende, endlich auch linke und rechte Seite unterseheiden, Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 759 vorliegenden Doppel-Embryo ist nur das eine für alle Fälle mit Sicherheit voraus zu sagen, dass beide Embryonen einen gemeinschaftlichen Dottersack mit zwei verschmolzenen Ge- fässhöfen haben müssen, da bei der kräftigen Anlage beider Embryonen kaum vorausgesetzt werden darf, es werde der eine allein die Uebermacht erhalten und nach Verkümmerung des zweiten den Dottersack für sich allein in Anspruch neh- men. Sodann lässt sich bei der vorliegenden Anlage ganz gut der Fall denken, dass beide Embryonen gleichmässig den Abschnürungsprocess an der Bauchseite, desgleichen die Fort- entwickelung der vorhandenen und die Sonderung und Fort- entwickelung neuer Anlagen alsolviren, so dass zwei vollstän- dig ausgebildete Embryonen mit getrenntem Amnios, mit ge- trennter Allantois durch zwei Darmnabelgänge mit dem Dot- tersack in Verbindung stehen und wahrscheinlich auch von einer gemeinschaftlichen serösen Hülle umgeben sind. Es kann aber auch geschehen, dass nur die Rückenseite beider Embryo- nen getrennt sich ausbildet, und dass die an der Bauchseite nunmehr sich bildenden Theile beider Embryonen mehr oder weniger in Vereinigung treten; doch lässt sich der unter den unzähligen Fällen hier gerade eintretende Fortgang der Ent- wickelung gar nicht bemessen. Die bisher besprochenen Anlagen von Doppel-Missgeburten unterscheiden sich dadurch von einander, dass die letztere eine Spaltung der unter der Umhüllungshaut ausgebreiteten Bildungsdottermasse in der Queraxe, die zuerst beschriebene in der Richtung der Längsaxe voraussetzt. Eeim Doppel-Embryo von der Gans wurde es sogar wahrscheinlich gemacht, dass eine Spaltung des Keimes oder der Bildungsdottermasse in der Längsaxe den bilateral construirten Wirbeltbier - Organismus zum Grunde liege. Die beiden Hälften eines Wirbelthier-Or- ganismus wären als die rechte und linke Hälfte der durch Spaltung begründeten Anlagen zweier Embryonen anzusehen, welche sich mit Aufopferung der beiden anderen Hälften zu dem bilateral gebauten Wirbeithier-Organismus vereinigt hät- ten. Die Doppel-Missgeburten entstehen hier dadurch, dass 760 ©. B. Reichert: die Anlagen dieser beiden Embryonen in abnormer Weise ihre selbstständige Ausbildung theilweise oder ganz zur Geltung bringen. Der von mir in Fig. 5, 6 und 7 gezeichnete Doppel-Em- bryo kann als ein besonderer Fall der ersten oder zweiten Art der Entstehung von Doppel-Missgeburten betrachtet wer- den. Eine bestimmte Entscheidung wage ich nicht auszuspre- chen, da ich leider es verabsäumt habe, die Richtung der Trennungslinie in der Area pellucida beider Embryonen zu bemerken, worauf ich sogleich noch ausführlicher zurückkom- men werde. Der vorliegende Doppel-Embryo hatte gleichfalls nur eine Umhüllungshbaut, die etwa !/,; der Dotterkugel umwachsen hatte. Im mittleren Felde sieht man die Area pellucida mit den Embryonalfeldern beider Embryonen (Fig. 5 u. 6 ap). Sie sind mit der Längsaxe fast genau unter einem rechten Winkel gegen einander gestellt und an der Berifhrungsstelle derartig mit einander vereinigt, dass dabei Abschnitte der vor- deren Hälfte beider gegen einander gewendeten Fruchthöfe verloren gegangen sind und auch die Begrenzung des Frucht- hofes Abweichungen erlitten hat. Die Scheidegrenze beider Fruchthöfe zeigt zugleich eine deutlich markirte gerade Linie (Fig. 5, 6), (namentlich an der Bauchseite) die durch Uneben- heiten und eine runzlige Oberfläche ausgezeichnet ist. Es sieht fast so aus, als hätte die Ausbildung des Gefässhofes sich in dieser Linie die Bahn brechen und so die Trennung beider Embryonen mehr vervollständigen wollen. Der Ge- fässhof (Figg. 5, 6 av) ist in erster Entwickelung begriffen und zieht sich wie ein breiter Saum um die Area pellucida herum, die Form eines Kleeblattes deutlicher ausbildend. Zwei Blätter repräsentiren die mehr getrennten Bezirke beider Em- bryonen, das dritte die vereinigten Theile derselben. An dem Gefässhof war die markirte Trennungslinie nicht zu bemerken. Was die weitere Fortentwickelung dieses Doppel Embryo betrifft, so liesse sich nur das wiederholen, was bei dem Em- bryo in Fig. 4 angeführt wurde. Nur möchte mit grösserer Sicherheit vorauszusagen sein, dass zwei vollkommen ausge- Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 761 bildete und getrennte Hühnchen daraus hervorgehen können, Was die erste Anlage betrifft, so hängt die Entscheidung der Frage davon ab, in welcher Richtung die bezeichnete Demar- cationslinie, mit Beziehung auf das Ei und die Bildungsdot- termasse, gestellt zu denken ist. Diese Linie nämlich giebt uns offenbar eine Andeutung von der Richtung, in welcher die ursprüngliche Spaltung des Bildungsdotters vor sich ge- gangen ist. Zieht die Linie in der Längsaxe, so sind die bei- den Embryonen als die selbstständig gewordenen Hälften der ursprünglich zum bilateralen Bau des Wirbelthier- Organismus bestimmten Dotterzellen-Massen anzusehen. Die rechtwinklige Stellung der Embryonen zu einander wäre dann dadurch ent- standen, dass die selbstständige Sonderung beider Hälften vom hinteren Ende her in überwiegendem Maasse vorgeschrit- ten wäre. Es wäre aber auch möglich, dass die bezeichnete Demareationslinie die Queraxe der Keimspaltung bedeutet, dass von der linken Seite her, und zwar einseitig am Kopf- ende, eine selbstständigere Entwickelung begonnen hätte, na- mentlich im Bereiche der Uebergangs-Zone der Area pellucida wie es hier wirklich der Fall ist, und dass dadurch eine Verschiebung beider Embryonalfelder aus der Längsaxe be- wirkt sei. Uebersicht. Die drei beschriebenen frühzeitigen Doppel-Embryonen lie- fern, wie mir scheint, eine Einsicht in die Entstehungsge- schichte sämmtlicher Doppel-Missgeburten. Dieselben werden sich wahrscheinlich bei genauerer Prüfung in zwei Abtheilun- gen unterbringen lassen: 1) in solehe, bei welchen die so genannte Keimspaltung in der Längsaxe, und 2) in solche, bei deren Genesis eine Spaltung des Keims in der Queraxe vorausgesetzt werden muss. Es werden allerdings auch Fälle vorkommen, bei welchen vielleicht, wie bei dem beschriebenen dritten Doppel-Embryo, nicht mit Sicherheit entschieden werden kann, ob eine Quer- Reichert's u. du Bois-Reymond's Archiv. 1864. 49 762 ©. B. Reichert: oder Längsspaltung des Keims voraufgegangen ist, da durch unregelmässige Entwickelung einer oder beider durch Keim- spaltung gegebenen Anlagen das Lageverhältniss ihrer Axen zu einander so verschiebbar ist, dass der Uebergang aus dem Gebiete der einen Abtheilung in das der anderen stattfinden könnte. Ich gehe hierbei von der Annahme aus, dass Dop- pel-Missbildungen mit einem nur rudimentär entwickelten In- dividuum aus zwei gleichwerthigen Anlagen dadurch entstan- den seien, dass die eine nur sich mangelhaft ausbildet. Sollte sich nachweisen lassen, dass derartige Doppel-Missgeburten aus einer unregelmässigen Keimspaltung mit Rücksicht auf die Richtung der Axen und in Betreff der qualitativen und quan- titativen Beschaffenheit des Keimes hervorgehen können, dann würde man die in Rede stehenden Doppel-Missgeburten zu den regelmässig angelegten rechnen müssen. Für die Bildungsgeschichte solcher Doppel-Missgeburten lassen sich nach den vorliegenden Befunden folgende Gesetz- lichkeiten aufstellen. 1) Jede Anlage einer Doppel-Missgeburt entsteht an einem befruchteten Ei, an welchem auffällige Unterschiede von dem gewöhnlichen befruchteten Eie sich nicht nachweisen lassen. 2) Da die Doppel-Embryonen an einer regelmässig gebil- deten Umhüllungshaut entstehen, so muss vorausgesetzt wer- den, dass der Bildungsdotter den Furchungsprocess wie bei normal sich entwickelnden befruchteten Eiern absolvirt und auch seii.e Entwickelungsgeschichte in normaler Weise mit der Sonderung und Bildung der Umhüllungshaut begonnen hat. Die Anlage für die Doppel-Missgeburt muss also an dem von der Umhüllungshaut ganz oder theilweise bekleideten Reste der Bildungsdotterzellenmasse entweder vor oder nach stattgehab- ter Sonderung in die ersten Grundanlagen des Wirbelkörpers (Central-Nervensystem, Stratum intermedium, Oylinder-Epithel des Darmcanals) erfolgen. 3) Man hat den Act, durch welchen der Uebergang der bezeichneten Dottermasse oder ihrer ersten Anlagen für die Primitivorgane des Wirbelthierkörpers in die Anlage einer Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 763 Doppel-Missgeburt erfolgt, mit dem Namen Keimspaltung be- zeichnet. Es ist ferner schon seit vielen Jahren von anderen Forschern, wie von mir selbst (Bemerkungen zur vergleichen- den Naturforschung im Allgemeinen, und vergleichende Beob- achtungen über das Bindegewebe u. s. w., 1845, S. 14, und „die monogene Fortpflanzung“ 1852, S. 147 und S. 93,) dar- auf hingewiesen, dass diese Keimspaltung auf gleichem Boden mit den Zeugungsprocessen stehe. Joh. Müller sagt in seinem Buche über die Zeugung „alles Wachsen beruhe auf der Bildung eines virtuellen Mul- tiplums und zwar in doppelter Weise: in Form der Multipli- cation der das Ganze als Mechanismus zusammensetzenden Zellen und in der Bildung der Multipla in unentwickelter Form als Urzellen.“ Das Wachsen bestehe daher zum Theil in einer Umwandlung des potenziellen Ganzen in ein expli- cirtes Ganze, wobei die einzelnen Bestandtheile in einem Multiplum gegeben sein können; ausserdem aber sei in ein- zelnen Zellen des Organismus (Keimorgan) die Kraft, das Ganze implicite zu sein, enthalten, In meiner Schrift (die monogene Fortpflanzung S. 92, 93) habe ich den Sinn dieser Sätze so ausgedrückt, dass man den Bildungsdotterzellen zwei Eigenschaften mit Rücksicht auf die Doppel-Missgeburten und den Zeugungsprocess zuschreiben müsse. Nach der einen Eigenschaft sind sie befähigt, einzeln als Keim eines Individuums aufzutreten und nach gesetzlichen oder abnormen Umständen diese Fähigkeit zur Geltung zu bringen, nach der zweiten vermögen sie in Gemeinschaft mit anderen in den Bildungsprocess eines Organismus überzugehen, wobei ein Theil der Zellen nach und rach die erste Eigen- schaft mehr oder weniger einbüsst, ein anderer Theil aber als keimfähiges Material (Keimorgan) bei ihnen reservirt bleibt. Der letzte Fall ist der normale in der Bildungsgeschichte der Organismen einer Species. In den Doppel-Missgeburten da- gegen offenbart sich diese Eigenschaft unter abnormen Ver- hältnissen. 4) Die beiden Abtheilungen von Doppel- Missgeburten, 49* 164 ©. B. Reichert: welche bei Wirbelthieren unterschieden werden können, zeigen mit Rücksicht auf ihre Genesis folgende Unterschiede: Bei Doppel-Missgeburten, welche aus einer Querspaltung hervorgehen, muss die Anlage für beide Embryonen in einer Spaltung der Bildungsdotterzellenmasse unmittelbar nach der Bildung der Umhüllungshaut und vor Anlegung der primiti- ven Grundlage des Wirbelthier Organismus eingetreten sein. Die Entwickelung des Wirbelthier-Organismus beginnt also mit zwei ursprünglich gesonderten Anlagen. Die Vereinigung und das Verwachsen kommt dadurch zu Stande, dass die Bezie- hungen der Doppelanlagen zu der einheitlichen von nur einer Umhüllungshaut bedeckten Grundlage sich geltend machen. Bei den durch Längsspaltung des Keims hervorgegan- genen Doppel-Missgeburten kann die Ansicht zu Grunde ge- legt werden, dass der normal entwickelte bilateral gebaute Wirbelthier- Organismus, so zu sagen, ein paariges Individuum darstelle, in welchem die linke und rechte Hälfte zweien In- dividuen angehören, welche sich mit Aufopferung der fehlen- den Hälften zu dem bilateral construirten Wirbelthierkörper ver- einigt haben. Dem entsprechend muss man sich vorstellen, dass bei normaler Entwickelung eines Wirbelthierkörpers eine Spaltung der Bildungsdottermasse unter der Umhüllungshaut in der Längsaxe gegeben sei, und dass beide Anlagen dann in Vereinigung die Entwickelung eines bilateral construirten Kör- perbaues herbeiführen. Die Entstehung der Doppel-Missgeburt wird hier dadurch bedingt, dass die auf die Vereinigung be- züglichen Bildungsvorgänge gestört und eine selbstständige Entwickelung und eine mehr oder weniger vollständige Tren- nung der für den bilateralen Bau normal berechneten Doppel- anlage im weiteren Fortgange der Entwickelung zur Geltung kommt. Es ist aber selbstverständlich, dass sich unter solchen Umständen Verwachsungen der sich weiter entwickelnden An- lagen eines Doppel-Embryo’s in geringerem oder grösserem Umfange einstellen werden, dass ferner in diesen Verwach- sungen, so zu sagen, die Rückkehr in die normale Bahn sich offenbart, und dass endlich darin mehr oder weniger deutlich -Anatomische Beschreibung dreier, sehr frühzeitiger u. s. w. 765 die Beziehung zur bilateralen Construction des Wir- belthierkörpers, wie z. B. in den bezeichneten Figuren 1, 2, 3, ausgedrückt sein wird. Erklärung der Abbildungen. Taf. XVII. Fig. 1. Doppel-Embryo einer Gans vom dritten Tage der Bebrü- tung. — Rückenfläche. — Dotterhof unvollständig. Fig. 2. Derselbe Embryo von der gegen den Dotter gewendeten Bauchseite. Fig. 3. Schematischer Durchschnitt desselben Embryo. — Gegend des Rumpfes, Taf, XVII Fig. 4. Doppel-Embryo eines Hühnchens vom zweiten Tage der Bebrütung. — Rückenfläche. — Dotterhof unvollständig. Fig. 5. Doppel-Embryo eines Hühnchens vom zweiten Tage der Bebrütung. — Rückenfläche. — Dotterhof unvollständig. Fig. 6. Derselbe Embryo von der Bauchseite. Fig. 7. Schematischer Durchschnitt desselben Embryo’s. — Gegend des Rumpfes, Allgemeingültige Bezeichnung, a Dotterhof. av Gefässhof. ap Fruchthof. ap’ Uebergangszone des Embryonalfeldes des Fruchthofes in den Gefässhof, r Primitiv- Rinne. m Central-Nervensystem, Medullarplatten., m, Anlage des Ge- hirns. m, Anlage des Rückenmarkes. z Stratum intermedium, z, Kopfkappe, 2, Schwanzkappe desselben, in welcher sich durch eine verdickte Stelle die Anlage der Allantois (?) markirt. zv Die sich ab- schnürende Platte des Stratum intermedium, sogenannte Darmplatten, zv, Darmrinne. f Fovea cardiaca. W. u Urplatten des Wirbelsy- stems. v Abtheilungen des Wirbelsystems. ch Chorda dorsualis. h Anlage des Hautsystems. i Die Umhüllungshaut. t Anlage des Cy- linder-Epithels des Darmcanals. st Rückenfurche. ld Rückenplatten. Id? Leiste innerhalb der Rückenfurche, in welcher die vereinigten und mangelhaft ausgebildeten Rückenplatten beider Embryonen enthalten sind. ud Rückenfortsätze des Wirbelsystems. hd Rückenfortsätze des Hautsystems. hv Bauchfortsätze des Hautsystems, uv Bauchfortsätze des Wirbelsystems, welche beide als Visceral- oder Bauchplatten be- zeichnet werden, E Die durch eine Querfalte bezeichnete Grenze, bis 766 C. B. Reichert: Anatomische Beschreibung dreier, u. s. w. zu welcher die Abschnürung des Kopftheils der Visceralhöhle erfolgt ist. CO B A Erstes, zweites, drittes Hirnbläschen. o Augenblase. k Ohrlabyrinthgrübchen. c Herz. c, Bulbus aortae. ce,, In das Herz einmündender Abschnitt des Dotter-Venenstammes. ar Aorta. pe Kopftheil des Embryo’s und des Embryonalfeldes. pt Rumpftheil des Embryo. x Parabolisch ausgezogenes vorderes Ende des Fruchthofes. al Verdickte Stelle des Stratum intermedium. (Anlage der Allantois.) l Scheidegrenze der beiden vereinigten Fruchthöfe in den Figuren 5 und 6. Ueber das Muskelgeräusch. Von Hrn. Helmholtz. (Abgedruckt aus den Monatsberichten der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Mai 1864, S. 307.) 1. Das bekannte und oft bezweifelte Muskelgeräusch hört man sehr deutlich und unter Umständen, wo Reibung des Ohrs oder des Ste- thoskops an der den Muskel bedeckenden Haut ganz ausgeschlossen sind, wenn man sich an einem stillen Orte, am besten des Nachts, die Ohren mit Propfen aus Siegellack oder aus nassem Papier dicht verstopft, und dann Muskeln des Kopfes z. B. die Masseteren in kräf- tige Zusammenziehung bringt. So lange die Muskeln in gleichmässi- ger Spannung bleiben, hört man ein dumpfes, brausendes Geräusch, dessen Grundton durch vermehrte Spannung nicht ‘wesentlich verän- dert wird, während das- damit vermischte Brausen stärker und höher wird. Nicht blos die Spannuug der kräftigen Kaumuskeln, der Massete- res, Pterygoidei und Temporales, sondern auch die der viel schwäche- ren Gesichtsmuskeln,, der Orbiculares oris und palpebrarum, des Pla- tysma myoides, des Levator labii superioris alaeque nasi, der Zunge u. s. w. giebt hörbare Geräusche, die alle im Wesentlichen von dem- selben Charakter sind, nur lauter, deutlicher und reiner, wie die be- kannten Geräusche, welche man hört, wenn man das Stethoskop auf die zusammengezogenen Muskeln des Armes setzt. Die Höhe des Grundtons des musikalischen Theils dieser Geräusche zu bestimmen ist sehr schwer, weil er an der unteren Grenze der wahrnehmbaren Töne liegt. Hr. S. Haughton!) hat ihn kürzlich 1) Outlines of a new theory of muscular action, being a thesis read for the degree of Doctor in Medicine ete. London 1868. Helmholtz: Ueber das Muskelgeräusch. 767 durch mehrere Personen bestimmen lassen, er entsprach bald dem C von 32 Schwingungen, bald dem D von 36; 35 bis 36 war auch die höchste Zahl, welche Wollaston dafür gefnnden hat. Ich finde dasselbe für meine Kaumuskeln, dagegen ist der Ton für die schwä- cheren Gesichtsmuskeln etwas tiefer. 2. Ich wiederholte diese Beobachtungen, aber so, dass ich die Zu- sammenziehung der Muskeln nicht durch meinen Willen, sondern durch einen Inductionsapparat mit schwingender Feder hervorbrachte, der bei passender Einstellung bis 130 Schwingungen der Feder, und eben so viel Oeffnungsschläge geben konnte. Der Inductionsapparat stand in einem durch zwei geschlossene Thüren getrennten Zimmer, so dass unmittelbar durchaus nichts von seinem Tone gehört werden konnte, So wie ich aber die Elektroden an meinen Masseter ansetzte, und ihn dadurch in kräftige Contraction brachte, hörte ich den Ton der Feder des Inductionsapparates,. Wurde derselbe von einem Gehülfen durch andere Einstellung der Schraube verändert, so hörte ich die Verän- derung. Dass der Ton aus dem zusammengezogenen Muskel gehört wurde, und nicht durch eine directe Wirkung der elektrischen Ströme auf das Ohr, ging namentlich daraus hervor, dass der Ton erst dann hör- . bar wurde, wenn die Stromstärke genug gesteigert wurde, um eine Zusammenziehung des Muskels zu geben. 3. Ebenso gelang es, wenn auch weniger stark, den Ton mittels des Stethoskops zu hören aus den Armmuskeln eines jungen Mannes, welche durch die sie durchfliessenden Inductionsströme in Zusammen- ziehung gebracht waren. In diesem Falle wurde das Ohr und der Gehörnerv des Beobachters selbst gar nicht von den elektrischen Strö- men getroffen. Man hätte aber daran denken können, dass der elek- trische Strom den gespannten Muskel direct, wie einen gespannten Draht, in Erschütterung setzte. Um auch diese Möglichkeit auszu- schliessen, liess ich endlich den Strom durch den Nervus medianus am Oberarm gehen, und schwächte seine Stärke so, dass er direct auf die Muskeln applicirt, diese nicht in Zusammenziehung brachte. So wie der Strom den Nerven kräftig genug traf, dass starke Con- tractionen der Vorderarmmuskeln entstanden, hörte ich aus diesen den Ton der stromunterbrechenden Feder deutlich heraustönen. Wenn ich dagegen die Electroden am Oberarm ganz wenig zur Seite schob, dass die Wirkung auf die Vorderarmmuskeln aufhörte, so verschwand auch der Ton. Daraus geht hervor, dass die periodische Bewegung, welche der Draht dem Nerven zuleitete in Form von elektrischen Stössen, vom lebenden Nerven mit unveränderter Periode zum Muskel geleitet wurde, und in diesem endlich wieder in eine mechanische Erschütterung, in 768 Helmholtz: Ueber das Muskelgeräusch. Schallschwingungen, umgesetzt wurde. Die Zahl der Schwingungen betrug hierbei 130 in der Secunde. Diese Versuche scheinen mir erstens jeden Zweifel an der Existenz eines eigenthümlichen, von dem Zustande der Contraction abhängigen Muskelgeräusches und jede Erklärung desselben aus einer Reibung des Muskels an den umliegenden Theilen oder dieser an einander zu be- seitigen. Dass ein scheinbar gleichmässig zusammengezogener Muskel in der That in einem schnellen Wechsel entgegengesetzter Molecularanord- nungen begriffen sei, war von Hın. E. du Bois-Reymond schon aus der Erscheinung des sogenannten secundären Tetanus gefolgert worden. Die Geschwindigkeit dieses Wechsels ist einer der wesent- lichsten Gründe, dass die elektrischen Wirkungen der Muskeln auf die Existenz sehr kleiner elektromotorischer Molekeln zurückgeführt wer- den müssen. Aber der Beweis eines solchen Wechsels beruhte haupt- sächlich nur auf dem Umstande, dass der Muskelstrom eines tetani- sirten Muskels, durch einen audern Nerven geleitet, dessen Muskel ebenfalls tetanisirt. Dazu würden etwa zehn Wechsel in der Secunde ausreichen. Wenn es nun auch schon äusserst wahrscheinlich erschei- nen mochte, dass die Zahl der inneren Veränderungen eines durch eine Reihe von Inductionsschlägen tetanisirten Muskels der Zahl der elektrischen Schläge gleich käme, so glaube ich doch, dass ein directer Beweis davon, wie er durch den Ton des Muskels geliefert wird, un- ter diesen Verhältnissen von Wichtigkeit ist. Ich bemerke, dass ich auch in meinen Untersuchungen über die Tonempfindungen genöthigt war, die Möglichkeit von etwa 130 ge- trennten Erregungen in der Secunde für den Gehörnerven anzunehmen. Im Augenblicke hatte ich keine Apparate, um mit Sicherheit mehr als 130 Oeffnungsschläge in regelmässiger Periodicität zu geben, doch zweifle ich nicht, dass sich viel höhere Töne in den Muskeln werden erzeugen lassen. Als ich eine Stimmgabel von 120 Schwingungen den Strom unterbrechen liess, hörte ich im Muskel verhältnissmässig stark auch den Ton von 240 Schwingungen, die höhere Octave des Toones der Gabel, welcher durch die gleichzeitig wirkenden 120 Oeffnungs- schläge und die etwas schwächeren 120 Schliessungsschläge hervorge- rufen zu sein schien. Der Unterschied in der Stärke beider Arten von Schlägen war in diesem Falle weniger gross, weil die Unterbre- chung des Stromes aus Quecksilber geschah. Andererseits habe ich durch Stimmgabeln, die zwischen den Schen- keln von Elektromagneten stehen, und welche mit dem Bogen gestri- chen durch ihre Bewegung elektrische Ströme von der Form regel- mässiger Sinuswellen in der Drahtumwickelung der Elektromagneten erzeugten, Froschschenkel in Tetauus gesetzt, und gefunden, dass selbst 600 ganze Schwingungen in der Secunde noch Tetanus geben; indes- sen war ich bisher noch nicht im Stande, Schallschwingungen der Froschmuskeln wahrnehmbar zu machen. Berlin, Druck von Gebr. Unger (C. Unger), Königl. Hofbuchdrucker. Wasenschieber se. = er E£ en EDEL EG we ” r - £ # v e> I ee =; a # { = . Wu N Taf L. Archio RP Anal u. Piyf 1364 Wagenschteber sr. u dan Ks R 6 * , ‘ 3 i a nn ee EL EEZELET EBENE rer; 2 eu? TEEN - EEE DE ET TEE EEELTEEEEÄLLT ALERT LE ee ae | ö | ua i REN Re , en _ En Zr - = EEE 27 irımee EAnae u hf VEOS. En E 2 Wengescchieher sc} io flnat ul ir} A: le 8%, > er re aa), IE ED | ® = s 2%, 0 = a ; o 7} m & 20,8 e « > F a 0° - s e°e- r : ” as ® : ı « r 8): = > \ sei a \\er os 7 TeurE a 3 nO sa Se oO o0% oO CRRere, [6) „Q I 0000 Q br} BD5 [0) o0 eonH [61°] tr 2 N. 7.nat. u Payj' 180%: Wagenschwber sc ch iR 5 4% | h Ark f-Anatı a Playf‘ 186% , | Taf > [nat ulhyf 1867 ER eat Ey og -_ u 2 m » o >= Na > —R “ F: f ® N we S A Rt ; S 3 Wäagenschteber sc x hi ze DEE Es ar x ty en u kuss ren! 2 ee ee ec L . ii ag, Wauenscheber se. terenscher Tre a Si .Z = & e Anino £ Anatn Diyf 1864. use Zapf Izgenschichers. Ärchzo FAnat-u. Ph: 863. rc p Anat a Plyp 704. 8 17. Wingensehtber st TEE ne N na ZN Ds ige arenschiaber se Iron FäArnat zu. Dhuf, TISCH. N IR „ff urn? h N 21 fl j i a ; | R N x! kl e E N N ANY S Ss NS) N { \ EEE EEE EEE EEE En nn Arche 7 Anat.u Phyj: 180%. Jap MU Denstz der. Wizsmschinser se FR Law, SH 5 Archiv f. Anat u. Phuf 1864. u "AI. N 0. % RER de - 724 Denit: de. Warenschieber sc EB Re RL ah, LITERARISCHER ANZEIGER zu REICHERT un Du BOIS-REYMOND'’S Arcnıv. 1864. No. 1. Insertionsgebühren für die Petitzeile oder deren Raum 2 Ngr. Im Verlage von Breitkopf und Härtel in Leipzig ist soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Physiologische Untersuchungen im Gebiete der Optik A. W. Volkmann. Zweites Heft. Mit 13 in den Text eingedruckten Holzschnitten. gr.8. Preis 15 Ngr. Bei Karl Czermak in Wien ist erschienen und in allen | ) Buchhandlungen zu haben: Mittheilungen aus dem physiologischen Privatlaboratorium Joh. N. Czermak n Prag; Med. et Chir, Dr., vormals Professor der Physiologie an den Universitäten von Krakau und Pest, correspondirendes Mitglied der k,k. Akademie der Wissenschaften in Wienetc, I. Heft. (Mit 1 Vignette und 9in den Text gedruckten Holzschn. IV. u. 72 Seiten 8.) | Preis 20 Sgr. \ Die „Mittheilungen‘ werden in zwanglosen Heften erscheinen. ü Das erste enthält: I. Versuche mit Curare, II. Ein Apparat zur Erläuterung der Innervationsgänge,?» welche rhythmisch erfolgende Bewegungen erzeugen und/ reguliren. III. Sphygmische Studien. (Neue Untersuchungen über den Arte- 7 rienpuls.) IV. Bemerkungen über einige physiologische Apparate. 0 Bei Fr. Frommann in Jena ist erschienen: Untersuehungen über die normale und pathalogische Anatomie des Rückenmarks von Dr. K. Frommann. I. Theil. 17 Bogen und 4 Tafeln mikroskopische Abbildungen. Preis 31/; Thlr. Nee medicinijche und naturwifjenicaftlide Verlagswerke der 9. Laupp’ihen Buchhandlung — Laupp & Siebeck — in Tübingen vom Jahre 1863. — 1 allen Buchhandlungen zu haben. — Bruns, Prof, Dr. V. v., Nachtrag zu meiner Schrift: Die erste Aus- rottung eines Polypen in der Kehlkopfshöhle durch Zerschneiden ohne blutige Eröffnung der Luftwege. Mit 5 Abbildungen. Lex.-8. broch. — 21 kr. — 6 Ngr. Henkel, Prof. Dr. J. B., Atlas zur medizinisch-pharmazeutischen Botanik, die Analysen der wichtigsten Pflanzenfamilien enthaltend. 54 Tafeln nebst Erklärung. Complet in Mappe. Lex.-8. fl. 6. 48 kr. Rthlr 4. Lebert, Prof.Dr. H., Handbuch der praktischen Medicin. Britte verbesserte Auflage. Zwei starke Bände. Lex.-8. broch. fi. 16. 48 kr. Rthlr. 10. Luschka, Prof. Dr. H., Die Anatomie des Menschen in Rücksicht auf die Bedürfnisse der praktischen Heilkunde bearbeitet. Zweiter Band. 1. Abtheilung: Der Bauch. Auch unter dem Titel: Die Anatomie des menschlichen Bauches. Mit 48 feinen Holzschnitten. Lex.-8. broch. fl.5. Rthlr.3. — Jede Abtheilg. des Iten Bds. kostet fl. 5. 48kr. Rihlr. 3. 15 Ngr. MoHl, Prof. Dr. 9. v., Nede gehalten bei Eröffnung ver naturwifienichaft- on Facultät der Univerfität Tübingen. Lex.-8. brod. — 18 fr. — gr. \ Roser, Prof. Dr. W., Handbuch d. anatom. Chirurgie. Vierte umgearbeitete Auflage. Mit Holzschnitten. In 2 Lieferungen complet. gr. 8. broch. fl. 6. 48 kr. Rthlr. 4. Bei Ferd. Schneider in Beriin Mlatthäilirchftraße 29) erfchten md ift in allen Buchhandlungen zu haben: Fuller (Arzt am Et. Georgs- Hospital in London) Die Krankheiten des Herzens und der großen Gefäße. Heberfegt von Dr. Schulgen, praft. ES DE EL nn rn RS RR U Balentiner, Privatdocent Dr., Chemifche Diagnoftik in Krankheiten. sr Meiste 2 nl a... Lane VeHr Hadermann, Phyfifus Dr., Lehrbuch der Medizinalpolizei. 1 Thlr. 24 Sgr. Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Ecker, Dr. Alexander, (Professor der Anatomie und der Ba Anatomie an der Universität zu Freiburg i. Br.,) Die Anatomie des Frosches. Ein Handbuch für Physiologen, Aerzte und Studirende. Erste Abtheilung: Knochen- und Muskellehre. Mit 93, theilweise mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzstichen. Royal 8. geh. Preis 1 Thlr. 15 Sgr. Henle, Dr. J., (Professor der Anatomie in Göttingen) Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen. In drei Bänden. gr. 8. Sat. Velinpap. geh. Erster Band. Erste Abtheilung: Knochenlehre. Mit 290 in den Text eingedruekten Holzsehnitten. Preis 1 Thlr. 15 Sgr. Zweite Abtheilung: Bänderiehre. Mit 161 mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzschnitten. Preis 1 Thlr. 10 Sgr. Dritte Abtheilung: Muskellehre. Mit 159 mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzschnitten. Preis 2 Thir. 10 Sgr. Zweiter Band. Eingeweidelehre. Erste Lieferung: Haut, Verdauungs- und Respi- rations-Apparat. Mit 215 mehrfarbigen in den Text eingedruckten }Tolzschnitten. Preis 2 Thlr. 10 Sgr. Zweite Lieferung: Harn- und Geschlechtsapparat. Mit 193 mehrfarbigen in den Text eingedruckten Holzschnitten. Preis 2 Thlr. :0 Sgr. Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient. LITERARISCHER ANZEIGER zu REICHERT unp Du BOIS-REYMOND’S Arcnıv. 1864. No. 2. Insertionsgebühren für die Petitzeile oder deren Raum 2 Ngr. Im Verlag von Breitkopf & Härtel in Leipzig ist soeben erschienen : _ Heidenhain, Prof. Dr. Rud,, Mechanische Tristung, Würmerntwicklung um Stuffumsat; : bei der Muskelthätigkeit. Ein Beitrag zur Theorie der Muskelkräfte. Mit einer lithogr. Tafel und 3 Holzschnitten. gr. 8. Preis 1 Thlr. 10 Ngr. H. Georg’s Verlags-Buchhandlung, Basel. Crania helvetica. Sammlung Schweizerischer Schädelformen. In Gemeinschaft mit’ L. Rütimeyer, Prof. der Zoolögie und vergl. Anatomie, bearbeitet von W.His, Prof. der Anatomie und Physiologie in Basel. Atlas von 82 Doppeltafeln nebst Text 4° in Kapsel. Preis Rthlr. 16. —_— Im Verlag von Fr. Mauke in Jena erschien soeben und ist in jeder Buchhandlung vorräthig: , Lehrbuch der pathologischen Anatomie von Dr. August Förster, ordentl. öffentl. Professor der pathologischen Anatomie zu Würzburg. Mit 4 Kupfertafeln. Siebente vermehrte und verbesserte Auflage, gr. 8. broch. Preis Rthlr. 2. 20 Ngr. In meinem Verlage ist soeben erschienen: Anatomische Abbandlangen Perennibranchiaten und Derotremen. Von Dr. 3. 6. Fischer. Erstes Heft: Die Visceralbogen und deren Muskeln. — Die Gehirnnerven. Mit d Tafeln Abbildungen, 21!1/, Bogen gr. 4°, 6 Rthlr. Otto Meissner’s Verlag in Hamburg. In der ©. F. Winter’schen Verlagshandlung in Leipzig und Heidelberg sind soeben erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: Versuch physiologischen Pathologie der Nerven. Von &. Yalentim. Swei Abtheilungen. gr. 8. eleg. geh. Preis 3 Thir. 20 Neger. unnnnnov Atlas topographischen Anatomie des lenschen mit ergänzenden Erklärungen. Von Dr. W. Henke, &. 0. Professor in Marburg. l. Heft: Becken und Hüfte. Folio. eleg. geh. Preis 2 Thlr. Das vollständige Werk wird aus eirca 80 in Steindruck ausgeführten Tafeln und 20 Bogen Text bestehen und in 5 Heften erscheinen, welche sämmtlich innerhalb eines Jahres zur Ausgabe kommen werden. Der Suberiptionspreis ist 2 Thlr. für das Heft. In allen Buchhandlungen ist das erste Heft vorräthig und werden Subsciptionen angenommen. Verlag von Friedrich Vieweg und Sohn in Braunschweig. (Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) Untersuchungen über elektrische Nervenreizung Dr. Adolf Fick, Professor zu Zürich. Mit 26 in den Text eingedruckten Holzstichen. Hoch 4. geh. Preis 1 Thlr. 15 Ngr. Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient. Tübingen. Mi Prospect. Novbr. 1864. der allgemeinen Pathologie und Therapie mit besonderer Rücksicht auf die ärztliche Praxis von Dr. Hermann Lebert, Professor der medicinischen Klinik und der speeiellen Pathologie und Therapie in Breslau Verlag der H, Laupp’schen Buchhandlung. — Laupp & Siebeck. — Schon in der ersten Auflage des Handbuchs der praktischen Medizin hatte Herr Professor Lebert uns eine allgemeine Pathologie und Therapie als nothwendige Ergänzung der speziellen versprochen. Seit jener Zeit sind 5 Jahre verflossen und jenes Werk ist bereits in drei starken Auflagen verbreitet. Um so mehr musste man den Autor an sein Versprechen von vielen Seiten her erinnern, als er seit bald 20 Jahren, seit dem Erscheinen seiner Physiologie pathologique, nicht aufgehört hat, sich mit allgemeiner Pathologie sehr eingehend zu beschäftigen, so dass der in zwei dicken Foliobänden bestehende Text seines Prachtwerkes über patho- logische Anatomie viele der wichtigsten Themate der allgemeinen Pathologie monographisch bearbeitet enthält. Die grosse Schwierigkeit des Gegenstandes einerseits, der rege Wunsch des Autors nach gründlichster Allseitigkeit andrerseits haben diese lange Verzögerung begründet. Dagegen ist jetzt das ganze Werk so weit vollendet, dass die zweite Abtheilung der ersten nur um wenige Monate folgen wird. Ganz besonders hat sich der Autor zur Aufgabe gestellt, neben dem vorgerücktesten Standpunkte der theoretischen Medizin auch stets die prak- tische Anwendbarkeit moderner Forschung hervorzuheben und so durch seine Darstellung zu zeigen, dass pathologische Physiologie auch für die Klinik und für die Behandlung der Krankheiten eine sichere und dem rein empirischen Standpunkte gegenüber sehr vervollkommnete Basis darbietet. Das Werk beginnt mit den allgemeinen Begriffen der Krankheit, mit ihrem Verlauf, mit ihrer Prognose und ihren verschiedenen Ausgängen, um dann bald die Methode der Krankenuntersuchung und der Feststellung all- gemeiner Thatsachen gründlich und kritisch zu erörtern. Sodann folgt die allgemeine pathologische Morphologie, die patholo- gische Zellenlehre und ihre Bedeutung, und hier wird besonders wieder streng das Bereich der Thatsachen von den oft zu weit gehenden Schluss- folgerungen getrennt, für letztere aber vor jeder verfrühten Theorie gewarnt. Nun gelangt der Autor zu den Veränderungen in den einzelnen Körper- theilen. In erster Linie werden hier die Veränderungen des Blutes aus- führlich besprochen und wird namentlich auch der chemische Theil sehr ausführlich dargestellt. Zu den pathologischen Modificationen in den verschiedenen, beim Kreis- lauf mitwirkenden Theilen, übergehend, wird zuerst als dieselben oft ein- leitend das Fieber, die Krisenlehre, die Prognose und die allgemeine Be- handlung des Fiebers besprochen. Alsdann folgt die allgemeine Pathologis der Kreislaufsstörungen, welche vom Herzen und den grossen Gefässen aus- gehen, wobei wie in dem ganzen Werke die Semiotik in ihren wichtigsten Zügen auseinandergesetzt wird. Die allgemeine Pathologie der Arterien beginnt mit der Pulslehre. Alsdann folgen: Atherom der Arterien, Er- weiterung derselben, Aneurysmen, Verengerung und Verschliessung der- selben; 'Thrombose und Embolie mit ihren Folgen finden hier ihre Stelle. Alsdann folgen nach einander. Erweiterung der Venen und Cyanose mit ihren Ursachen. Von den örtlichen Kreislaufsstörungen werden locale, Anämie und Hyperämie zuerst und dann die Entzündung in sehr ausführ- licher Art auseinandergesetzt. Namentlich ist hier auch der allgemein therapeutische Theil sehr vollständig. Die nächstfolgenden Capitel be- schäftigen sich mit der Ulceration, dem Brande, der Blutung und der Wassersucht. Der Autor gelangt jetzt an das grosse Capitel der Störungen der Ernährung. Hier folgen nach einander: Atrophie, Degeneration mit ihren verschiedenen Formen, Hypertrophie und Neubildung, welche bei den letzteren, wenn auch nur in den wichtigsten Zügen, doch möglichst voll- ständig besprochen werden. Die Parasiten des Thier- und Pflanzenreichs schliessen sich nun an. Die pathologischen Concretionen sind um so ge- nauer dargestellt, als hier die organische Chemie mit ihre schönsten Triumphe in der Beleuchtung klinischer Thatsachen, ja auch therapeutischer Indi- eationen feiert. An die letzte hierher gehörige Beschreibung, die nämlich der Harnsteine, in welcher auch die Analyse derjenigen der eigenen Sammlung des Verfassers mitgetheilt wird, schliesst sich ganz natürlich der Abschnitt über die Stö- rungen der Harnbildung und der Harnexcretion an. Auch dieser Theil ist mit besonderer Vorliebe bearbeitet worden, weil in ihm nicht bloss viele der festesten Anhaltspunkte für die Beurtheilung des pathologischen Stoffwechsels liegen, sondern auch von jeher die wissenschaftliche Harnuntersuchung eine sehr hohe klinische Bedeutung gehabt hat. Nach der Vervollständigung dessen, was noch über die sonstigen Zeichen der Erkrankungen der Harn- organe hinzuzufügen war, gelangt der Autor zu der Auseinandersetzung unserer gegenwärtigen Kenntnisse über chemische Umsetzung der Organ- bestandtheile in Krankheiten. Nun erfolgt der umfangreiche Abschnitt der allgemeinen Pathologie der Verdauungsorgane mit allen zugehörigen Hilfsapparaten. Auch hier ist nicht bloss die Semiotik und besonders die Auseinandersetzung des Werthes der Erscheinungen möglichst gründlich dargestellt, sondern in mannigfachster Art auch der Zusammenhang mit therapeutischen Fragen und Thatsachen erörtert. In einem besondern Abschnitte sind auch noch die Störungen der Resorption und namentlich die verschiedenen Erkrankungen des Lymph- drüsen- und Lymphgefässsystems besprochen. Der nicht minder wichtige und umfangreiche Abschnitt der allgemeinen Pathologie der Athmungsorgane beschäftigt sich nicht bloss mit den mit so vieler Vorliebe bearbeiteten akustischen Phänomenen, sondern ganz besonders auch mit den anderen physikalischen Charakteren der Athmungsorgane und ihrer Functionen, mit den Reflexerregungen derselben, mit den subjectiven Erscheinungen, mit den Veränderungen in der Quantität und Qualität der ausgeathmeten Luft, mit denen im vitalen Lungentonus und in der Lungen- elasticität, mit den Erscheinungen endlich der Athmungs- und Lungen- insufficienz. Nicht minder gründlich und in vieles Einzelne eingehend konnte die allgemeine Pathologie des Nervensystems bearbeitet werden. Nach einleitenden allgemeinen Bemerkungen werden zuerst die Störungen der Sensibilität, die Hyperästhesie, der Schmerz, die Neuralgie, die An- ästhesie, die Sensibilitätsstörungen der Sinnesorgane besprochen. Alsdann folgt die Auseinandersetzung der Motilitätsstörungen, und hier werden nach einander erörtert: Der Krampf, die Lähmung und die combinirten Störungen der Sensibilität und der Motilität. Darauf folgen die mannigfachen Ver- änderungen der psychischen Functionen, sowohl im Einzelnen, wie in ihrer Combination zu wirklichen Geistesstörungen, Psychosen, welchen eine um so grössere Aufmerksamkeit gewidmet worden ist, als das so umfangreiche Capitel der Geisteskrankheiten in dem Handbuche der praktischen Mediei nicht dargestellt werden konnte. | Den letzten Abschnitt dieser speziellen Semiotik, dieser allgemeinen Pathologie der Organgruppen, bilden die der Geschlechtssphäre. Die Ursachen der Krankheiten, die allgemeine Aetiologie, ist ebenfalls möglichst eingehend bearbeitet worden. Hier sind nach einander die dem Individuum inne wohnenden Ursachen, die auf dasselbe durch Erblichkeit übertragenen, dann die von aussen her einwirkenden Verhältnisse besprochen. Nach diesen individuellen Krankheitsursachen folgen die in der Aussenwelt begründeten, von dem Willen des Individuums unabhängigen. Unter diesen werden die atmosphärischen und kosmischen Verhältnisse, die tellurischen mit ihren Emanationen, die Miasmen und Contagien, der Parasitismus, der Einfluss des Virus, des Giftes, der Arznei, der Infection auseinandergesetzt. Alsdann erfolgen Erörterungen über Diathese und zuletzt über mechanisch wirkende äussere Schädlichkeiten. Ein letzter Abschnitt des ganzen Werkes endlich beschäftigt sich mit der allgemeinen Wirkung, Absorption, Elimination der Arzneistoffe. Aus dieser sehr kurzen Skizze geht hervor, dass Herr Prof. Lebert sich bemüht hat, dem Studirenden, wie dem jüngeren Arzte, sowie dem von den grösseren Bildungscentren entfernt lebenden Fachgenossen überhaupt eine möglichst allseitige Uebersicht unserer jetzigen allgemeinen Kenntnisse in der Medicin zu geben, und selbst seit mehr als dreissig Jahren mit wahrer und andauernder Begeisterung Arzt, auch der medi- einischen Jugend und den Collegen neben den Kenntnissen der Details auch die Freude an der philosophischen Verallgemeinerung unseres freilich in Vielem sehr lückenhaften Wissens mitzutheilen. Der Preis des vollständigen Werkes von ca. 55 Bogen Lex.-8. wird ungefähr Rthlr. 5'/s betragen. Handbuch der medicinischen Statistik von Dr. Fr. Oesterlen. Erste Hälfte und zweite Hälfte 1. Lieferung. Schon der Titel dieses Werkes zeigt zur Genüge die Aufgabe, deren Lösung sich der Verf. bei demselben stellte; und in einer Zeit, wo die Statistik eine immer hervorragendere Rolle spielt, wäre es fast überflüssig, hier erst auf dessen Bedeutung näher hinweisen zu wollen. Es genüge die Bemerkung, dass der Verf. bestrebt war, hier die wichtigsten und sicher- sten Data statistischer Forschung im Gebiet der Mediein möglichst vollstän- dig niederzulegen und zugleich durch kritische Auswahl wie durch metho- dische Darstellung in Form eines Handbuchs dem allgemeinen Gebrauch zugänglicher zu machen. Schon die Thatsache aber, dass dies der erste Ver- such dieser Art ist, und dass die Literatur keines Landes etwas ihm Aehn- liches zu bieten vermag, berechtigt uns vielleicht zu der Hoffnung, dass derselbe auch weiteren Leserkreisen nicht unwillkommen sein dürfte. ' Das Hauptgewicht legte der Verf, auf die Statistik der Krankheiten wie der Morbilität, des Krankseins überhaupt, auf deren Ursachen und Ge- seze. Denn nicht allein dass dies der für die Mediein weitaus wichtigste Theil der medicinischen Statistik ist, sondern es erwuchs auch hier gerade zumal durch die höchst umfassenden Registrirungen aller Todesfälle und ihrer Ursachen in verschiedenen Ländern ein Material, wie es jener Stati- stik vordem abgieng, und welches allein den Verf. zu einer Arbeit wie die vorliegende befähigen konnte. Erstreckt sich doch dasselbe über viele Mil- lionen von Krankheitsfällen, und bildet überhaupt den wahren Grundstock der Krankheits-Statistik. Auch hielt sich der Verf. bei seiner Analyse und Verarbeitung, seinen Berechnungen vorzugsweise an die Data jener Länder, und dies um so mehr, als dieselben bis jezt seitens der Medicin, in der Krankheitslehre keineswegs in dem Umfang verwerthet wurden, wie sie es verdienen. Weil aber ein richtigeres Verständniss aller auf Leben, Krank- heit und Tod bezüglicher Zahlen der Statistik vor Allem eine Kenntniss der statistischen Untersuchungsmethoden selbst voraussezt, und die wichtig- sten Geseze des Erkrankens nur im Zusammenhang mit gewissen allgemei- nen Verhältnissen des Lebens und Sterbens überhaupt richtiger sich auf- fassen lassen, musste diesen Forderungen gleichfalls Rechnung getragen werden. Deshalb schickt der Verf. seiner Krankheits-Statistik eine bündige Zusammenstellung der numerischen oder statistischen Methode selbst vor- aus, wie sie sich vielleicht nirgends in dieser Weise findet, weiterhin die für jede Krankheits-Statistik unentbehrlichsten Data der allgemeinen Lebens- oder Bevölkerungs-Statistik, wodurch sicherlich der Werth seines Werkes in den Augen aller Sachverständigen noch bedeutend gewinnen muss. Auch ist der ganze reiche Inhalt desselben in einer Weise geordnet und dargestellt, wie es ein Arzt oder Lehrer, ein Studirender braucht. - Denn dem Lehrer sollte hier nicht sowohl ein gelehrtes als vielmehr ein nüzliches Werk dargeboten werden; und vor Allem wollte der Verf. durch das Labyrinth der medicinischen Statistik einmal etwas wie eine Strasse ziehen helfen, auf der Jeder wandeln kann. Im ganzen Verlauf seines Werkes sah deshalb derselbe auf die Erzielung möglichst sicherer, nicht möglichst vieler Zahlenangaben, mehr auf deren Qualität als Quantität, während er zugleich deren Verständniss durch klare, präcise Darstellung auch den mit Statistik wenig Vertrauten nach Kräften zu erleichtern suchte. Immer zeigt er-weiterhin, wie die Fragen statistisch zu fassen, wie nicht, und ist bestrebt, all dies durch Mittheilung der gediegensten Untersuchun- gen in seinem Gebiet zu fördern. Auch in dieser Beziehung ist also ein statistisches Erfahrungs- und Lehrmaterial hier vereinigt, wie es sich bis jezt nirgends findet. Ja durch den Reichthum der Literatur erhält dieses Handbuch zugleich die volle Bedeutung eines Quellenwerkes, welches gar Manchen nicht blos Bibliotheken ersezen, sondern auch höchst werthvolle Mittel zu eigenen selbstständigen Forschungen liefern dürfte. So glauben wir uns denn nicht dem Vorwurf einer Ueberschäzung die- ses Werkes auszusezen, wenn wir die Ueberzeugung aussprechen, dass das- selbe für jeden seiner Leser seinen Werth haben wird. Findet sich doch nichts darin, was nicht für Jeden wichtig, interessant und lehrreich genug ist. Der Mann der Praxis wie der Wissenschaft wird da Data in Hülle und Fülle finden für nicht wenige seiner wichtigsten Fragen. Auch wird er ihnen um so eher vertrauen dürfen, als er hier nur die relativ zuver- lässigsten bei einander findet, welche zudem ganz auf der Höhe unserer Zeit stehen, und durch begleitende Verwarnungen selber gegen ein Miss- verständniss wie gegen jeden Missbrauch schüzen. Um das Angeführte noch weiter zu bekräftigen, lassen wir eine kurze Inhalts-Uebersicht des ganzen Werkes folgen. Inhaltsverzeichniss. Allgemeiner Theil. I. Aufgabe, Inhalt und Bedeutung der medieinischen Statistik. Me DI: Methodik der statistischen Untersuchung, zunächst im Gebiet der Mediecin. Specieller Theil. Erster Abschnitt. Allgemeine statistische Verhältniäse der Bevölkerung. Deren Bedeutung für medic. Statistik und Krankheitslehre. Zweiter Abschnitt. Statistik der Krankheiten und anderer Ursachen des Todes. Erste Abtheilung. Statistik der Krankheiten. I. Classe. Allgemeine Krankheiten. I. Gruppe. Allgemeine chronische Krankheiten. I. Gruppe. Allgemeine acute Krankheiten. II. Classe. Oertliche, relativ localisirte Krankheiten. Gruppe. Krankheiten des Nervensystems. II. Gruppe. Krankheiten der Circulationsorgane. III. Gruppe. Krankheiten der Athmungsorgane. IV. Gruppe. Krankheiten der Verdauungsorgane. V. Gruppe. Krankheiten der Harnorgane. VI. Gruppe. Krankheiten der Geschlechtsorgane. VII. Gruppe. Krankheiten der Bewegungsorgane. VII. Gruppe. Krankheiten der Hautdecken. Zweite Abtheilung. Statistikanderer, nichtkrankhafter Todesursachen. I. Gruppe. Mängel und Fehler der ersten Entwicklung. II. Gruppe. Marasmus senilis, Altersschwäche. III. Gruppe. Aeussere Gewalt, gewaltsame Todesursachen. IV. Gruppe. Rasche, plözliche Todesfälle. V. Gruppe. Unbestimmte Todesursachen s. Todesfälle. TabellarischeZusammenstellungen über die relative Häufigkeit der einzelnen Krankheiten und anderer Todesursachen in England, C. Genf u. a. Dritter Abschnitt. Statistik der Morbilität, des Krankseins überhaupt als Ganzes wie unter wechselnden Umständen. Die 2. Lieferung der II. Hälfte erscheint Ende Decbr. d. J. und wird das voll- ständige Werk, ca 66 Bogen Lex.-8. fl. 10. — Rthlr. 6 kosten. Im gleichen Verlage ist ferner neu erschienen: Die Anatomie des Menschen in Rücksicht auf die Bedürfnisse der praktischen Heilkunde bearbeitet von Dr. Hubert Luschka, Professor der Anatomie und Vorstand der anatom. Anstalt an der Universität Tübingen. Erster Band. Erste Abtheilung: Der Hals. Auch unter dem Titel: Die Anatomie des menschlichen Halses,. Mit 35 feinen Holzschnitten. Lex.-8. broschirt. fl. 5. 48 kr. oder Rthlr. 3. 15 Neger. Desselben Werkes erster Band. Zweite Abtheilung: Die Brust. Auch unter dem Titel: Die Anatomie der Brust des Menschen. Mit 40 feinen Holzschnitten. Lex.-8. broch. fl. 5. 48 kr. — Rthlr. 3. 15 Ngr. — dto — Zweiter Band. Erste Abtheilung: Der Bauch. Auch unter dem Titel: Die Anatomie des menschlichen Bauches. _ Mit 48 feinen Holzschnitten. Lex.-8. broschirt. fl. 5. oder Rthlr. 3. — dto — Zweiter Band. Zweite Abtheilung: Das Becken. Auch unter dem Titel: Die Anatomie des menschlichen Beckens. Mit 62 feinen Holzschnitten. Lex.-8. br. fl.5. 48 kr. — Rithlr. 3. 15 Ngr. Dieses Werk wird die ganze Anatomie des Menschen von demjenigen Stand- punkte aus umfassen, welcher dem Bedürfnisse der praktischen Heil- kunde am meisten entsprechen dürfte. Das Gesammtwerk wird aus sechs Abtheilungen bestehen, deren jede ein in sich abgeschlossenes Ganzes bildet und einzeln käuflich ist. In dieser Weise wird auch noch die Anatomie des Kopfes und der Glieder erscheinen. Beiträge zur Gynäkologie und Geburtskunde von Johannes Holst, Professor der Geburtshilfe und Direetor der Entbindungsanstalt der Universität Dorpat. Erstes Heft. Mit 1 Tafel Abbildungen. 13 Bogen gr. 8°, broch. fl. 2. — Rthlr. 1. 8 Ngr. Hiermit wird eine Reihe interessanter Beobachtungen aus dem Gebiet der Gynäkologie und Geburtskunde eröffnet, dieses erste Heft enthält deren 10; ein zweites Heft mit Beiträgen von anderen Mitarbeitern wird im nächsten Jahre erscheinen. Vom Bau des thierischen Körpers. Handbuch der vergleichenden Anatomie. Von Dr. Franz Leydig, Professor der Zoologie und vergleichenden Anatomie an der Universität Tübingen. Erster Band. Erste Hälfte. Lex.-8. broch. fl. 3. — Rithlr. 1. 25 Neger. Zweck und Inhalt des hier in seinem Anfang vorliegenden Buches ist: die Verbindung der vergleichenden Anatomie und Histologie. Beide Doctrinen, welche man bisher gesondert abzuhandeln pflegte, gehören innig zusammen und sind eigentlich eine einzige untrennbare Wissenschait. Das Werk erscheint in Lieferungen und ist auf drei Bände berechnet, der Band zu circa 30—36 Bogen. Tafeln zur vergleichenden Anatomie. Dr. av Leydig. Erstes Heft. Zum Nervensystem und dem Sinnesorgane der Würmer und Gliederfüssler. 10 Tafeln nebst Erklärungen. In»Mappe 2. 10. (kthle 02, 7 Darer f Es stehen diese Tafeln in näherer Beziehung zu dem gleichzeitig erschei- nenden Buche: „Vom Bau des thierischen Körpers“: sie versinnlichen einen Theil der dort niedergelegten neuen Thatsachen. Und obschon sich der Herr Verf. bemüht hat, die den Figuren beigegebene Erklärung so zu fassen, dass die Tafeln auch für sich zu gebrauchen sind, so eröffnet sich natürlich das volle Verständniss erst beim zu Rathe ziehen n genannten Buches. Grundriss der Physiologie des Menschen von Dr. Karl Vierordt, Professor der Physiologie an der Universität Tübingen. Dritte verbesserte Auflage. Mit 216 Figuren in Holzschnitt. 404 Bogen Lex.-8. broch. fl.4. 48kr. — Rthlr.2. 25 Ngr. Die weite Verbreitung, welche auch die zweite ansehnliche Auflage auf deutschen und ausserdeutschen Universitäten gefunden hat, machte schon nach zwei Jahren eine neue Auflage nöthig. Dieselbe hat an sehr zahlreichen Stellen wesentliche Veränderungen und selbst vollständige Umarbeitungen im weiteren Zusammenhang erfahren, welche sowohl durch die jüngsten Fortschritte des Faches selbst, als ganz vorzugsweis im Interesse möglichster Erleichterung des Studiums schwierigerer Fragen für den Anfänger geboten waren. Das Buch, das mit 40 enggedruckten Bogen die Mitte hält zwischen den kürzeren Compendien und den umfänglicheren Handbüchern, kann nicht bloss den Studirenden, sondern auch, wie die Kritik besonders hervorgehoben hat, den- jenigen Aerzten empfohlen werden, welchen eine übersichtliche und alle Theile gleichmässig berücksichtigende Darstellung des heutigen Standes der so rastlos fortschreitenden Physiologie ein Bedürfniss ist. Beiträge zur pathologischen Anatomie und Klinik der Leberkrankheiten von - Dr. €. Liebermeister, Professor an der Universität zu Tübingen. ” Mit 3 Tafeln Abbildungen. gr. 8. broch. fl. 4. 24 kr. — Rthlr. 2. 20 Ngr. Inhalt: I. Formveränderungen der Leber in Folge von Anomalien der Respirationsorgane. II. Die Wucherungen des Bindegewebes in der Leber. a) Cir- rhose der Leber. b) Die atrophische Muscatnussleber. c) Interstitielle Binde- gewebswucherung als Folge von Gallensteinen. d) Verschiedene Wucherungen des ul web Ill. Die ae en der u Ueber Haus- und Volksmittel und über die Aufgaben der populären Mediein von eu Dr. Niemeyer. er. 8. broch. 27 kan — 9 Ngr. Handbuch der anatomischen Chirurgie von W. Roser, Professor der Chirurgie an der Universität Marburg. Vierte umgearbeitete Auflage. Mit Holzschnitten. gr. 8. broch. fl. 6. 48 kr. Rthlr. 4. — ee Medizinisch-pharmazeutische Botanik nebst Atlas enthaltend die Analysen der wichtigsten Pflanzenfamilien von Dr. J. B. Henkel, Prof. der Pharmazie an der medizin. Facultät zu Tübingen. 22 Bog. Lex.-8. Text und Atlas von 54 feingravirten Tafeln. Preis fl. 9. 36 kr. — Rthlr. 5. 20 Ngr. Lehrbuch der Kinderkrankheiten von Dr. Carl Gerhardt, Professor der medizin. Klinik in Jena. 32 Bog. Lex.-8. broch. fl.4. 20 kr. — Thlr. 2. 20 Ngr. Handbuch der praktischen Mediein von Dr. Hermann Lebert, Professor der medizinischen Klinik und der speziellen Pathologie und Therapie in Breslau. Zwei starke Bände. Dritte verbesserte Auflage. 140 Bog. Lex.-8. broch. fl. 16. 48 kr. Rthlr. 10. — Der so ungewöhnlich rasche Absatz von zwei starken Auflagen dient zum Belege dafür, dass dieses Werk, wie es denn den vorgerücktesten Standpunkt der medicinischen Wissenschaft repräsentirt, so auch in den weitesten Kreisen die ausgezeichnetste Anerkennung gefunden hat, nicht nur in Deutschland, sondern auch im Auslande, wie die russische und holländische Uebersetzung darthut. Diesen Erfoig, bei so grosser Goncurrenz, verdankt das Werk theils der Genauigkeit seiner, auf der Analyse überaus zahlreicher eigener Beobach- tungen beruhenden Krankbeiten-Beschreibung, theils der umfassenden Kenntniss- nahme und Benützung der einschlagenden Litteratur und der Behauptung des neuesten physiologischen und naturwissenschaftlichen Standpunktes, theils end- lich der sorgfältigen Erörterung der Therapie und der steten Verbindung der letzteren mit Hygieine und Chirurgie, Der Bearbeitung dieser neuen Aufl. hat der Verfasser sich verpflichtet gefühlt, seine ganze wissenschaftliche Sorgfalt zu widmen, und ihr diejenigen, namentlich die Diagnose und die Therapie betreffenden zeitgemässen Zusätze zu geben, welche das ihm zu Gebote stehende reiche Material ihm darbot. Wir unterlassen die bedeutenden Verbesserungen einzeln anzuführen; da man sich leicht überzeugen kann, dass das Werk in dieser neuen Auflage mit Recht als ein erweitertes und vervollkommnetes bezeichnet werden darf. Obgleich durch so vielfache Bereicherungen auch die Bogenzahl wieder ansehnlich vermehrt wurde, und das Buch nun 140 Bogen stark ist, lassen wir doch den bisherigen Ladenpreis von fl. 16. 48 kr., Rthlr. 10 ohne alle Erhöhung auch für diese dritte Auflage fortbestehen, um unserem Werke auch hinsichtlich der Wohlfeilheit den Vorrang zu bewahren. | Druck von H. Laupp. 1864. No.1. ARCHIV FUR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE UND WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN voN D*. CARI, BOGISLAUS REICHERT PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D’. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL’S UND AUTENRIETH’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1864. Bogen 1—9. Tafel I—-IIl. HEFT I. LEIPZIG. VERLAG von VEIT ET COMP. Ausgegeben im März 1864. | Inhalt des dritten ‚Heftes. Seite Zur Embryologie der Insecten. Von Dr. August Weismann, Privatdocent in Freiburg i. Br. (Hierzu Taf. VII.B). . . . 265 Die sogenannte Raddrehung des Auges in ihrer Bedeutung für das Sehen bei ruhendem Blicke. Von Dr. Ewald Hering, Docent der Physiologie in Leipzig . . . . 278 Vorläufige Mittheilung über die secundären Eusswnzselkns in | des Menschen. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Ana- tomie in Petersburg. . . . . . 286 Nachträgliche Bemerkungen über den Stiel dr Vortieellinen. Von Elias Mecznikow. . .. 291 Bemerkungen zu Volkmann’s neuen Enrlorcuehungen aber das. Binocularsehen. Von Dr. Ewald Hering, Docent der Phy- siologie in Leipzig . . - . 303 Untersuchung über die Chärlischeh Bedinenneen A Eirasltiing des Muskels. Nr. II. Von Dr. Johannes Ranke, Privat- docent der Physiologie in München . . . . . 320 Beiträge zur systematischen Neurologie des een u Von Dr. W.Krause, Professor i in er (Hierzu Taf. VIII Kie: 1 W232) 200. . 349 Die Bursae mucosae in ders inneren Ale Van m Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. IX.A). . . RN. ' Ueber die Schleimhaut des De Dr. w. Dönitz. heran Ta Re ee see SONNE a Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Blättern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. ARCHIV FÜR ANATOMIE, PHYSIOLOGIE WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. HERAUSGEGEBEN VON D*. CARL, BOGISLAUS REICHERT "PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATERS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND - D*. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL'S, REIL’S UND AUTENRIETH’S, - J. FE. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1864. Bogen 26—33. Tafel XI, XILA. u. B. HEFT IV. R,.EEDBEZTG. VERLAG vox VEIT ET COMP. Inhalt des vierten Heftes. Seite Ueber die Schleimhaut des ’Darmkanals.. Von Dr. W. Dönitz. (Sehluss.) (Hierzu Taf.X) . . . . 298 Zur vergleichenden Anatomie und le des Derchallann an Dr. Ludwig Stieda, Privatdocent und Assistenz-Arzt in der medicinischen Klinik zu Dorpat ...... 2°... 0.0 .0.70407 Zur Anatomie der Arteria radialis. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg . . . 2. 2..2..484 "Studien -über a: Von Dr. J. Rosenthal in Beilm....... . 456 Weitere Beiträge zu de en ee der Me Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Pe- tersburg. (Hierzu Taf. XL). . . . . 478 Mittheilungen aus dem chemischen Ebbe der Universitäts. | klinik. Von Dr. med. Otto Schultzen . . . . 491 Ein Beitrag zur Kenntniss vom Bau des Birkenna von vi. pera berus Lin. Von J. Grimm, stud. med. (Hierzu Taf. XII. A.) 502 Zu den Anomalien der Arteria pediaea. Von Dr. Wenzel Gruber, Professor der Anatomie in St. Petersburg. (Hierzu Taf. XII.B.) 512 Beiträge zur vergleichenden Pneumatologie des Blutes. Von Dr. Senelkows. rn ee Beiträge können: an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten Bläitern einge- schickt werden. Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen 25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. Frl ER Eu? de 2 P: fa as Pie € ah us DÄ " F ER g rn Eu We BRENN ap. f £ F : ” % BR RR 2 u I 4 fe. Sr y a ah Zr dr“ ch ER NER rn B J " ve a a ur LEBER ec ER DR 223 Aka; * RR; PART [0 SER N f f h u, er # 07 dr Ba r a j He x 5 j Se Fe 3 WR R B # ° e G Es ie MY d Ya F x z# x E R er Rn ) Sie on sn ARCHIV ANATOMIE, PHYSIOLOGIE | WISSENSCHAFTLICHE MEDICIN. D*. CARL BOGISLAUS REICHERT - PROFESSOR DER ANATOMIE UND VERGLEICHENDEN ANATOMIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN ANATOMISCHEN MUSEUMS UND ANATOMISCHEN THEATE RS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, UND D®. EMIL DU BOIS-REYMOND PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE, DIRECTOR DES KÖNIGLICHEN PHYSIOLOGISCHEN LABORA- TORIUMS, MITGLIED DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN, FORTSETZUNG VON REIL’S, REIL'S UND AUTENRIETE’S, J. F. MECKEL’S UND JOH. MÜLLER’S ARCHIV. JAHRGANG 1864. Bogen 34—-40. Tafel XIIL.A. u. B., XIV, XV. N HEFT V. h b SEERIPZLG, - = VERLAG von VEIT ET COMP. Ausgegeben iin Januar 1865. Ä Ueber die physiologischen Wirkungen des Stickstoffoxydulgases. Inhalt des fünften Heftes. Von Dr. Ludimar-Hermann in Berlin . RA Ueber die Malpighi’schen Knäwel der Nieren nnd ihre sogenann- ten Oapseln. Von Dr. R. Reger. (Hierzu Taf. XIIL.A) . . 537 Eine Versuchsreihe, betreffend das Absterben der Erregbarkeit in Muskeln und Nerven. Von Dr. E.Neumann in Königsberg i.Pr. 554 Reticulirte Hypertrophie der menschlichen Magenschleimhaut: ein eigenthümliches, bisher noch nicht beschriebenes Verhalten der- selben. Von Dr. Wilhelm Ebstein, Assistenz-Arzt und Pro- sector am städtischen Krankenhospital zu Allerheiligen in Bres- Tau. (Haerau Aus Byron ne, 0 ee 568 Ein neuer Blutwellenzeichner. Von Dr. Adolf Fick . . . .583 Ueber die Muskeln der Würmer und ihre Bedeutung für das Sy- stem. Von Dr. Anton Schneider. a N Ueber Knochenwachsthum. Von N. Lieberkühn. (Hierzu Taf. RIV. Und RN % . 598 Untersuchungen über den Mechanismus des regulatorischen Herz- nervensystems. Von Dr. J. Bernstein in Berlin. . . . . 614 Beiträge können an jeden der beiden Herausgeber oder auch an die Verlagshandlung eingesendet werden. Es wird dringend gewünscht, dass etwaige Zeichnun- gen auf von dem Manuscripte getrennten: Blättern einge- schickt werden. | Die Herren Mitarbeiter haben von ihren Beiträgen ‚25 Extra-Abdrücke frei. Sie werden gebeten, sich gleich- ‘zeitig mit Einsendung des Manuscripts darüber zu erklä- ren, ob sie Extra-Abdrücke verlangen, die ihnen zur Zeit durch die Verlagshandlung zugehen werden. REN) ER RR TEN nun 3 2044 093 344 760