A N u A Y % 5 % \r £5 Ay In ß x u % AD “ & | L > ed Mn , Re % PIC Far eh & ETC Nr? LER REN KORSE) KERER Re Ai Br SR 3 A ".n 70 I2® RS Re E 5 ah x ER .“ NE SER k 4 a BEN i Ne % Bi 3 7 Si NEN) % BERN UN: ABS BES KAER RENNEN ER ES RY% Nat Wr NA 5 LTR ae N, 9% % y: un a na IRRE Kr RR FRUST RER ELAESLIEIKEN RM ER I EN ex d 2) td EN 4 SENT u K} « q A “> d K“ u 5, mr. SE WERL ROSE, TA, .? ER BE N, RDLWERTERDSRANDINT NE By ı 7 - a ) 7 % N ER Re} ELITE: NR URERORDE BER ETTELDDILDANNY NL DI HATERT ne ns Gw Ki 0, # 5 ji r er ® a ;; & Rn De = er x 4, is ® @s z u. 4 m Ei - 2 NL A ex bo: y en . e aa Ä - * B , ir A Ei 2 J a Pan # F2 = . i Fa ae Ar Br u 2 Y X s - ’ r \ > e w Eh 3 R h ho hr E N + . u - n 3 5 2 . ’ rt na n- / / Pe: 2 g) Be 7 De art e x . 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Cohen) 1882. es vids TA simotsıA odoaigo Tag lie mulnnenn a N e ö j 10) MN No x . r x f CAFE) uno8 ni 041038 4% artalaV sl .y ‚a sr j x Ih 2 hr y, ’ un 1 H Yu . gındeassjE si sayeblaW@ Br % - siaohiih, AhriÄrendiu ir Nash Karl lndrtozuik nennen bie olasisamwehonmil an, ro. EN EM ne [r— & Aylı ano ir “2 er al - Rz | er ol hl aulgs 12 uno ZB j wre Re Inhalt. Seite Theodor Sehwann..’ Nachruf von JS. Henle, .:. ..... » I—XLIX Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. Von Dr. Gabriel Denissenko in St. Petersburg. Hierzu Tafell. . . ....» 1 Die Nervenzellen und Nerven des Herzventrikels beim Frosche. Von Joh. Dogiel. Hierzu Tafel U . . . . 5 : en Beiträge zur Histologie und Nervenendigung ae en! Mus- kelfasern. Von Prof. Dr. Ludwig v. Thanhoffer, Budapest. Tlera Toter Il nd IV a0 u a ea Ueber die Keimblätter des Huhnes. Von Dr. W. Wolff in Berlin. Thierzu,cbatel Vi... 7%. 021% ET 45 Die chordotonalen Sinnesorgane Aa GbR Gehör der an Von Vitus Graber, k. k. o. ö. Professor der Zoologie an der Universität Czernowitz. 1. Physiologischer Theil. Mit 4 Holzschnitten . . 65 Kurze Mittheilungen zur Kenntniss der Herbst’schen und Grandry’- schen Körperchen in dem Schnabel der Ente. Von Justus Car- ziexe, , Hierzu Tafel VI, ». . .,.. tee ee errzae, 14 Ueber die Endigungen der markhaltigen en mar Nerven im quer- gestreiften Muskel. Von Dr. L. Bremer. (Aus dem anatomischen Institute der Universität zn Strassburg.) Hierzu Tafel VII und VIII. 165 Die Nerven der Cornea der Knochenfische und ihre Endigung im Epithel. Yo# Dr Garl,Zelinka., ‚Hierzu Tafel IX und X ,.. . . . .,.. 202 Ein neuer Fischbrutapparat. Von v. la Valette St. George. Mit vier Holzschnitten . . . RER 2 un ua NE HOEIRET Br RS ERZAN) Ueber den Bau der Sotaalsanelien, Von Dr. Bernhard Rawitz, Assistenzarzt. Hierzu Tafel XI-XIV. . . . 244 Zur Bedeutung der Karyokinese. Von Dr. N. Uskof , aus ek Russland. (Aus dem anatomischen Institut in Strassburg) - . . 291 Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. Von Dr. Moritz Nussbaum, a. o. Professor und Prosector am anatomischen Insti- tut zu Bonn. Hierzu Tafel XV—XVOI . .. . . 296 Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate. Von Dr. c. Hörner (Wiener K. K. Thierarznei-Institut). . . . . » ; 351 Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. VonDr.N. Bas (Aus dem embryologischen Institut in Charkow.) Hierzu Tafel XIX TIER Een 2. > a Te N a A 357 IV Inhalt. _ Die Fussdrüsen der Prosobranchier und das Wassergefäss - System der Lamellibranchier und Gastropoden. Von Justus Carri£re, Pri- vatdocent der Zoologie in Strassburg. Hierzu Tafel XXI, XXI und XXIII a ; F Ueber eine Cyanwasserstoffsäure ber Ss Dre Yor Dr. Ei wa Lector der Anatomie in Utrecht. Hierzu Tafel XXIV . s Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne und das Verhältniss der Kern- theilung zur Zelltheilung. Von Eduard Strasburger. Hierzu Tafel XXV, XXVI und XXVI 2 6 26 Er Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. Von Oscar Hagen- Torn (St. Petersburg). (Aus dem anatomischen Institute zu Strass- burg.) Hierzu Tafel XXVII . Die Nerven der Capillaren, der kleineren a nd end! von Dr. L. Bremer. (Aus dem anatomischen Institut zu Strassburg.) Hierzu Tafel XXIX ; Das : Die Verwendung des Lapisstiftes zur en dcr Epithelien. Von Dr. Erie E. Sattler (Cincinnati). (Aus dem anatomischen Insti- tute zu Strassburg.) Mit 1 Holzschnitt 2 Untersuchungen über die embryonale Eintwicklungepkeckiäilte der Milchdrüse II. Vergleichend-anatomische Ergebnisse und Schluss- resultate. Von Dr. G. Rein, Privatdocent der Gynäkologie in St. Petersburg. (Aus dem anatomischen Institut zu Strassburg.) Hierzu Tafel XXX und zwei Holzschnitte a 5 : Ueber die feinere Structur des normalen Kochegirähen von Dr. G. Broesike, Custos und Assistent am Kgl. anatomischen Institut und Museum zu Berlin. Hierzu Tafel XXXI ä - Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues der Br ea Von W. Podwyssotzki (Sohn). (Aus dem histologischen Laboratorium von Prof. Peremeschko in Kieff). h Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus ai Clap. Von Eduard Meyer. Hierzu Tafel XXXII und XXXII > Bemerkungen zur Injektionstechnik bei Wirbellosen. Von Dr. H. Gries- bach in Mülhausen i. E. u Franeis Maitland Balfour. Ein Nachruf von w. ruhe : Seite 589 663 672 678 825 828 Theodor Schwann. Nachruf von J. Henle. Am 23. Juni 1873 bereitete die Universität Lüttich ihrem weltberühmten Mitgliede, Theodor Schwann, zur Feier der Vollendung des 40. Jahres seines Lehramtes eine Ovation, an welcher die Universitäten und Akademien aller eivilisirten Länder sich betheiligten. Die zahlreichen Wünsche und nach dem da- maligen Befinden des Jubilars berechtigten Hoffnungen, dass ihm noch eine lange Reihe von Jahren wissenschaftlicher Thätigkeit vergönnt sein möge, sollten nicht in Erfüllung gehn. Bald nach jenem Ehrentage legte er die Professur nieder und auch das wohlverdiente Otium cum dignitate durfte er nicht lange geniessen. Am 12. Januar d. J. erschütterte die Nachricht seines am vorher- gegangenen Tage erfolgten Todes seine Freunde und Verehrer und forderte auf’s Neue auf, der unvergänglichen Dienste, die dieser seltene Geist den organischen Naturwissenschaften geleistet, zu ge- denken. Wenn ich mich berufen fühle, diesem Gedenken öffent- lichen Ausdruck zu geben, so ist es, weil ich dem Verstorbenen in der schaffensfreudigsten Zeit seines Lebens nahe gestanden, in Berlin in Einem Hause und im täglichen Verkehr mit ihm die Ent- wicklung seiner Thätigkeit beobachtet habe. Ich sehe ihn vor mir, ein Männchen unter Mittelgrösse, mit bartlosem Gesicht, von fast kind- lichem und stets heiterm Ausdruck, mit schlichtem aber aufstrebendem dunkelblondem Haar, in pelzverbrämtem Schlafrock, im engen, Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. * II etwas düstern Hinterzimmer des zweiten Stocks einer Restauration (Ecke Friedrichs- und Mohrenstrasse) weniger als zweiten Ranges, das er oft Tage hintereinander nicht verliess, umgeben von wenigen Büchern, aber von unzähligen Glaskölbehen, Fläschchen, Reagenz- gläschen und selbstverfertigten primitiven Apparaten. Oder ich versetze mich zurück in die Arbeitsräume des euphemistisch so- genannten anatomischen Instituts hinter der Garnisonkirche, in welchen wir neben unserm gütigen Chef, Johannes Müller, bis zum späten Nachmittag verweilten. Wir hielten Jeder, um die hellen Stunden nicht zu versäumen, unsere Hauptmahlzeiten nach englischer Sitte und vereinigten uns um die Mittagsstunde in dem Zimmer des Directors zu einem zweiten Frühstück, zu welchem die Frau Castellanin die Speisen, wir, einander überbietend, den Wein und die heitere Laune lieferten. Es waren die glücklichen Tage, um die uns die heutige Generation beneiden mag, da aus den Werkstätten von Plössl in Wien und von Pistor und Schiek in Berlin die ersten guten, handlichen und aus den Ersparnissen eines studentischen Wechsels erschwinglichen Mikroskope hervorgingen, die glücklichen Tage, da es noch möglich war, durch Schaben mit der Schneide des Skalpells oder mit dem Fingernagel über eine thierische Membran fundamentale Entdeckungen zu machen. Schwann betheiligte sich eifrig an den mikroskopischen Untersuchungen, die Joh. Müller schon damals mehr anregte, als selbst bearbeitete; aber mit noch lebhafterem Feuer wandte er sich Aufgaben zu, die einer experi- mentellen Lösung fähig waren. Darin folgte er offenbar einem angebornen Triebe, der ihn bereits auf der Schule zum Studium der Physik hingezogen hatte. Er betrieb dasselbe nicht nur theo- retisch, sondern füllte seine freien Stunden auch, von dem nächst- älteren Bruder, der sich der Goldschmiedekunst widmete, unter- stützt, mit der Anfertigung von mancherlei physikalischen, nament- lich elektrischen Apparaten aus. Der Neigung, sich von den ernsteren Berufsarbeiten an derartigen, mehr mechanischen Be- schäftigungen zu erholen, ist er sein Leben lang treu geblieben. Als Daguerre durch den von der französischen Akademie aus- gesetzten Jahrgehait bewogen worden war, die nach ihm benannte Erfindung zu veröffentlichen, wandte Schwann eine Reise nach Paris daran, um die Kunst zu erlernen und seine Familie befindet sich noch heute im Besitz einiger von ihm angefertigten Daguerro- I typien. In seinen letzten Jahren war er, wie ich von seinem Collegen, Prof. Fr&ed&rieg, erfahren, Mitglied einer photographischen Gesellschaft und verlegte sich auf photographische Aufnahmen. Seiner Liebhaberei an praktischer Bethätigung verdankt ein Ap- parat den Ursprung, der im Jahre 1878 in Paris ausgestellt war!) und den Zweck hatte, den mehrstündigen Aufenthalt in irrespirabler Luft zu ermöglichen dadurch, dass in Gefässen, die in einem Tornister auf den Rücken getragen und durch Schläuche mit der Mundöffnung des Trägers verbunden werden sollten, die Kohlen- säure der Ausathmungsluft absorbirt und Sauerstoff vorräthig ge- halten wurde. Th. Schwann ist als der vierte Sohn einer kinderreichen Familie — er besass 12 Geschwister — am 7. December 1810 in Neuss geboren, wo sein Vater eine noch blühende Buchhandlung errichtet hatte. Er besuchte zuerst die Elementarschule, dann, vom 10. Jahre an bis zum 16., das Progymnasium in Neuss, unter Glasmacher’s Direction, und ferner 3 Jahre lang das ehemalige Jesuitengymnasium in Köln, welchem als Director Birnbaum vor- stand. Im Herbst 1829 bezog Schwann die Universität Bonn, wo er bis zum Herbst 1831 verblieb. Neben der grossen Anzahl der üblichen naturwissenschaftlichen und medieinischen Collegien und den zu jener Zeit noch obligatorischen Vorlesungen über Logik und Psychologie hörte Schwann in jenen vier Semestern Plücker's höhere Algebra, Hermes’ philosophische Einleitung in die katho- lische Theologie und Delbrueck’s Erklärung des Cicero de offieiis. Er hatte damals schon Joh. Müller’s Aufmerksamkeit auf sich ge- lenkt und assistirte demselben bei Vivisectionen, namentlich bei den Versuchen an Fröschen über die Rückenmarksnervenwurzeln. Doch zog ihn, der medicinischen Fächer wegen, das Ansehen, in welchem Schönlein stand, nach Würzburg, wo er sich drei Semester lang den klinischen Studien widmete. Das letzte Semester, vom Herbst 1833 bis Ostern 1834 brachte er in Berlin zu mit dem Besuch der Kliniken, mit dem medicinischen Staatsexamen und mit der Ausarbeitung seiner Dissertation. Um das Thema der letztern hatte er Joh. Müller angegangen, der unterdessen die durch Rudolphi’s Tod verwaiste Professur der Anatomie in Berlin 1) Description de deux appareils permettant de vivre dans un milieu irrespirable, inventes par Th. Schwann. Liege 1878. IV eingenommen und mit dem ihm eigenen Scharfblick die speeifische Begabung seines Schülers erkannt hatte. Müller säumte demnach auch nicht, als im Herbst 1534 sein zweiter Prosector, d’Alton, nach Halle berufen und ich in dessen Stelle eingerückt war, durch Uebertragung der frei gewordenen Gehülfenstelle am anatomischen Museum Schwann an Berlin zu fesseln. In dieser bescheidenen Stellung, die mit einem Gehalt von monatlich 10 Thlrn. dotirt war, verharrteSchwann die nächsten Jahre, ganz seinen Arbeiten hingegeben, die ihm keine Zeit liessen, an die Vorbereitung einer akademischen Laufbahn zu denken, zu welcher allerdings die da- maligen Verhältnisse der Berliner Facultät, bei zwei Ordinarien der Anatomie und dreifach besetzter Professur der Physiologie (Müller, Schultz und Horkel) nur geringe Aussicht gewährten. Sie bot sich ihm ungesucht, da die seltene Vereinigung vollendeter naturwissenschaftlicher Bildung und streng religiöser Gesinnung die Augen der katholischen Universität Löwen auf ihn lenkte. Im Herbst 1839 folgte er dem Rufe dahin an die durch Windischmann’s Tod erledigte Professur der Anatomie. Die jüngeren Genossen feierten seine Ernennung und seinen Abschied mit einem freund- schaftlichen Mahle. Ich kann mir nicht versagen, aus dem Toaste, den unser Festredner Ad. Schöll bei dieser Gelegenheit sprach, ein paar in meinem Gedächtniss haften gebliebene Strophen mitzuthei- len, weil sie, wenn auch in scherzhafter Form, die Werthschätzung ausdrücken, die der Zellentheorie von ihrer ersten Entstehung an zu Theil wurde. Sie lauten: Wovon man schon im alten Testament Die Profezeiung deutlich erkennt: Denn wie der Mann, der die Philister geschlagen In einem Löwen fand Bienenzellen, So findet jetzt Löwen im Manne der Zellen Den Simson, der die Philister wird schlagen. Und wie Simson ein Räthsel daraus machte mit Ehren, Woraus Niemand die Zellen im Löwen erkannte, Wird hinwieder mit Ehren der Ebengenannte Alle Räthsel aus Zellen in Löwen erklären. Im Jahre 1848 siedelte Schwann von Löwen nach Lüttich über, wo ihm von Staats wegen zuerst die Professur der allgemeinen und speciellen Anatomie und 10 Jahre später, als Prof. Spring zur Wi Klinik überging, dessen Professur der Physiologie und ver- gleichenden Anatomie übertragen wurde. Wie er in diesen ver- schiedenen Lehrämtern seine Schüler anzuregen und deren Sym- pathie zu gewinnen wusste, dafür liegen deren beredte Zeugnisse bei seinem Jubiläum und seinem Leichenbegängnisse vor. Sein Leben und Wirken an den belgischen Hochschulen und seine Theilnahme an den Arbeiten der wissenschaftlichen Institute des Landes ge- nauer zu schildern, muss ich seinen Adoptivlandsleuten überlassen und darf dies um so eher, da nach sicherem Vernehmen, von Seiten der Lütticher medieinischen Faeultät ein biographisches Denkmal des gefeierten Collegen vorbereitet wird. Doch halte ich mich für befugt, einen Beitrag dazu zu liefern, der vielleicht nur mir bekannt und geeignet ist, die hier und da laut gewordenen Stimmen zum Schweigen zu bringen, die es den deutschen Universitäten zum Vorwurf machen, einen Mann von solcher Bedeutung dem Ausland überlassen zu haben. Im Anfang des Jahres 1854, vor Bischoff’s Berufung nach München und zu einer Zeit, wo die Unterhandlungen mit diesem Gelehrten resultatlos verlaufen zu wollen schienen, veranlasste mich im Auftrage des baierischen Cultusministers von Zwehl mein Freund Pfeufer, eine Anfrage an Schwann zu richten, ob er sich zur Uebernahme der Miün- chener Professur bereit finden lassen werde. Seine Antwort lautete so ablehnend wie möglich. Indem er mir das Behagen seiner bürgerlichen Stellung und seines häuslichen Junggesellen- thums schilderte, fügte er die Versicherung hinzu, dass er nicht die geringste Neigung empfinde, sich in das Gezänk der deutschen Histologen einzumischen. Ohne Zweifel ist diese Versuchung, ihn dem Lande seiner Wahl zu entreissen, nicht die einzige geblieben; er selbst erwähnt in einer Eingabe an das belgische Ministerium, deren Brouillon sich unter seinen nachgelassenen Papieren befand, ausser der Vocation nach München, noch drei andere, nach Breslau (1852), Würzburg (1854) und Giessen (1855). Aber keine erschien ihm verführerisch und selbst nach dem Rücktritt vom Amte be- hielt er sein Domieil in Lüttich bei und brachte, wie vordem, nur die Ferien bei den Verwandten in Neuss, Köln oder Düssel- dorf zu. Bis in sein 70. Jahr erfreute sich Schwann einer ungetrübten Gesundheit und Rüstigkeit. Auch noch im Schuljahre 1879— 1880 trug er einen Theil der Physiologie vor, obschon er bereits Ende VI 1879 seine Emeritirung nachgesucht und einen Nachfolger in der Person des von Gent berufenen Prof. Leon Fredericq erhalten hatte. Im Herbst 1880 entsagte er gänzlich der akademischen Thätigkeit. Er litt an Anfällen von Schwindel und Beklemmung. Als Quelle dieser Leiden hatte unser gemeinschaftlicher Freund, Sanitätsrath Straeter in Aachen, schon zu Anfang des Jahres 1881 Anomalien der Herzklappen constatirt. Auf dieselbe Ursache ist wohl der apoplectische Anfall zurückzuführen, dem Schwann ein Jahr später während eines weihnächtlichen Besuchs im Hause seines Bruders in Köln nach l4tägiger Krankheit erlag. Er ruht, wie es sein Wunsch gewesen war, in heimatlicher Erde. An den Trauer- feierlichkeiten betheiligten sich Deputationen der Lütticher Pro- fessoren- und Studentenschaft, sowie der Bonner medieinischen Faeultät. Vor dem Glanz, den die Entdeckung der Uebereinstimmung thierischer und pflanzlicher Elementartheile verbreitete, mussten die früheren Arbeiten Schwann’s erbleichen. Es waren manche darunter, die für sich allein hingereicht hätten, dem Namen des Verfassers Unsterblichkeit zu verleihen. Schon seine Inaugural- Dissertation, die am 31. Mai 1834 vertheidigt wurde, löste definitiv eine Aufgabe, an welcher Naturforscher, wie Erman!) und Viborg?) sich versucht hatten, ohne ein entscheidendes Resultat zu erzielen. „De necessitate aöris atmosphaerici ad evolutionem pulli in ovo ineubato“ lautet der Titel der Joh. Müller gewidmeten Abhandlung. Die Frage, ob der Embryo im Ei athme, kann, wie Sehwann er- örtert, auf doppeltem Wege beantwortet werden, auf indireetem, indem man ermittelt, ob bei gehinderter Respiration Entwicklung Statt finde, und auf direetem, indem man an der Athemluft und an dem Embryo selbst nach den Veränderungen sucht, die die Respiration bewirkt. Auf Grund der letztgenannten Methode hatten Emmert und Blumenbach den Beweis für die respiratorische Thä- tigkeit des Hühnchens im Ei geführt, indem sie zeigten, dass die Farbe des Bluts in den Gefässen der Allantois an der Luft heller wird. Damit blieb aber das Verhalten des Embryo vor der Bil- dung der Allantois unaufgeklärt. Den Angaben von Erman und 1) Oken’s Isis. 1818. T. D. 2) Abhandlungen für Thierärzte und Vekonomen, IV, 445. vu Viborg, dass die die Eier umgebende Luft während der Bebrütung ihre Zusammensetzung nicht ändere, widersprach Dulk’s Analyse des Luftraums der Eier!), in welchem er vor der Bebrütung 25 bis 26 Procent Sauerstoff, nach begonnener Bebrütung 17,9 Procent Sauerstoff und 6 Procent Kohlensäure fand. Nicht besser stimmten die von Erman undViborg auf indireetem Wege angestellten Ver- suche an Eiern, die mit einem impermeabeln Ueberzug versehen oder in Wasser oder in unathembaren Gasarten ausgebrütet wor- den waren. Schwann bediente sich ausschliesslich der indireeten Methode: er legte die Eier in ein hermetisch verschlossenes Gefäss, welches mit Hülfe der Luftpumpe luftleer gemacht oder an Stelle der atmosphärischen Luft mit Wasserstoff-, Stiekstoff- oder kohlen- sauerm Gase gefüllt wurde. Das Gefäss wurde in den Brütofen gesetzt zugleich mit einigen Eiern, die zur Vergleichung frei da- neben lagen. Die zahlreichen Experimente werden in zwei Reihen vorgeführt: die der ersten Reihe sollten darüber Aufschluss geben, ob der Keim ohne Sauerstoff sich überhaupt zu entwickeln be- ginne; dazu mussten die Eier längere Zeit (4—14) Tage der Brut- wärme ausgesetzt werden. Gaben diese Versuche ein positives Resultat, so sollte sich aus denen der zweiten Reihe ergeben, bis zu welchem Stadium der Entwicklung die Eier ohne Sauerstoff ausdauern und entwicklungsfähig bleiben; dazu war es nöthig, die Bebrütung in unathembaren Gasen rechtzeitig zu unterbrechen und in atmosphäriseher Luft fortzusetzen. In der ersten Versuchsreihe zeigten die Eier Spuren von Entwicklung, doch war die Keim- scheibe stets zerstört. Die zweite Reihe ergab, dass im Wasser- stoffgas die Entwicklung bis zur Trennung der Keimblätter und der Area pellueida vor sich geht; sie bleibt vor der Anlage des Primitivstreifens und des Blutes stehn. Da diese unter normalen Verhältnissen um die 15. Stunde beginnt, so musste geschlossen werden, dass um diese Zeit die Entwicklung in unathembaren Gasen ihr Ende erreicht. Da aber der Stillstand der Entwicklung nicht zugleich den Abschluss der Entwicklungsfähigkeit bedeutet, wie ja auch Erwachsene noch eine Zeitlang, nachdem ihre Respi- ration unterbrochen worden, ins Leben zurückgerufen werden kön- nen, galt es zu ermitteln, bis zu welchem Zeitpunkt Eier, die die ersten Entwieklungsstadien ohne Sauerstoff durchgemacht haben, 1) Schweigger’s Journ. 1830. I, 336. VII sich auf der erreichten Stufe lebensfähig erhalten. Dies wurde durch Uebertragung der Fier aus der unathembaren Atmosphäre in eine athembare erreicht. Nach 24 Stunden Aufenthalt in Wasser- stoff setzten die Eier ihre Entwieklung in atmosphärischer Luft fort, nach 30 Stunden nicht mehr, doch hatten die Gebilde, die zu ihrer Entwieklung, des Sauerstoffs nicht bedürfen, noch etwas an Ausdehnung zugenommen. Unter den von Sechwann zur Disputation aufgestellten Thesen heisst die erste: Infusoria non oriuntur generatione aequivoca. Daraus erhellt, dass seine Gedanken sich schon damals mit dem viel ventilirten Gegenstande beschäftigten, dem er wenige Jahre später eine neue Wendung gab. Inzwischen folgte er der Aufforderung Joh. Müller’s zur Bearbeitung einer Frage der physiologischen Chemie, die nicht nur ihres unmittel- baren Interesses wegen, sondern auch als ein weiterer Schritt zur Befreiung der Physiologie aus den Banden des Vitalismus die Gemiüther erregte. In seinem ersten Jahresbericht!) zählt Müller neben den beiden grossen Entdeckungen, die die Geschichte der Physiologie aufzuweisen habe, neben der Entdeckung des Kreis- laufs und der verschiedenen Funetionen der hintern und vordern Wurzeln des Rückenmarks, als dritte die von Wöhler ausgeführte künstliche Darstellung des Harnstoffs auf. Wie musste ihn die Thatsache begeistern, dass mit dem dem Magen entnommenen Secret, ja mit einer Mischung von Schleim und käuflicher Säure Eiweiss und Fleisch sich im Brütofen ebenso lösen und verdauen lassen, wie im lebenden Magen. Zwar hatten schon Spallanzani, so wie Tiedemann und Gmelin den Magensaft, den sie aus Vögeln und Hunden durch verschiedene Proceduren gewannen, ausserhalb des thierischen Körpers auf feste Nahrungsmittel wirken lassen und Anfänge der Verdauung constatirt; aber der Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Versuche verstummte erst, als eine durch Zufall im Jahre 1834 an einem lebenden Menschen angelegte Magenfistel dem amerikanischen Arzte Beaumont?) Gelegenheit gab, den Verdauungsprocess in seinen verschiedenen Phasen zu studiren und Tag für Tag mit dem menschlichen Magensafte zu 1) Archiv 1834. S. 1. 2) Experiments and observations on the gastric juice and the physiology of digestion. Boston 1834, IX experimentiren. Eberle in Würzburg!) ging einen Schritt weiter und bereitete künstlichen Magensaft, indem er die von der Muskel- haut losgelöste und getrocknete Schleimhaut des Labmagens mit Wasser auszog und das Extraet mit Säure versetzte. Der Jahrgang 1836 von Müller’s Archiv enthält zwei Abhandlungen über diese Materie, die erste?) von Müller und Schwann, Versuche über die künstliche Verdauung des geronnenen Eiweisses, die zweite?) von Sehwann allein, über das Wesen des Verdauungsprocesses. Die erste berichtet von Experimenten, welche nach Eberle’s Methode und mit dem Erfolg unternommen waren, dessen Resultate in allen wesentlichen Punkten zu bestätigen. Würfelehen von Muskelfleisch und Eiweiss wurden mit gleichen Mengen verschiedener Säuren, die Einen für sich, die andern mit den in Wasser gequollenen Schleimhautstückchen einer Temperatur von 30° R. ausgesetzt. In der reinen Säure behielten die Würfel ihre scharfen Kanten, ihre Farbe und Consistenz, in dem sauern Magenschleim wurden sie innerhalb 12—24 Stunden weich, schmierig, gallertartig durch- sichtig; sie liessen sich leicht zerdrücken und zerflossen endlich zwischen den Fingern. Auch darin stimmten die Erfahrungen von Müller und Schwann mit denen Eberle’s überein, dass die Lö- sungen nicht mehr die Reactionen des gelösten Eiweisses ergaben, sondern, nach den Reactionen zu urtheilen, Osmazom und Speichel- stoff enthielten, in die demnach das Eiweiss und der Faserstoff sich umgewandelt haben mussten. Im Laufe der gemeinschaft- lichen Untersuchungen hatte Schwann die Erfahrung gemacht, dass das angesäuerte Extract der Magenschleimhaut noch nach der Filtration durch Leinwand seine verdauende Wirkung übte und Müller war hochherzig genug, seinem jugendlichen Mitarbeiter die weitere Ausbeutung dieser Thatsache zu überlassen, welche bewies, dass das wirksame Prineip nicht im Schleim, der in Wasser und Säure unlöslich ist, sondern in einer noch unbekann- ten Substanz gesucht werden müsse. Schwann gelang es, das- selbe zu finden und durch die Operationen, mit denen er dies Ziel erreicht, bewährt er eine Herrschaft über die Methoden der or- ganischen Chemie, wie sie gewiss nur wenig Fachmännern seiner Zeit eigen war. 1) Physiologie der Verdauung. Würzb, 1854, 2 2) S. 66. 3) S. 90. X Eberle hatte die Natur des chemischen Processes, dem das Eiweiss unter der Einwirkung des sauern Schleims unterliegt, nicht in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen. Die Ansicht, der Müller undSch wann sich zuneigten, so lange sie einem un- löslichen Stoff die verdauende Kraft zuschrieben, war, dass es sich um eine Fermentwirkung, wie bei der Zerlegung des Zuckers durch Hefe, handle, eine Wirkung, die man damals, nach Mitscher- lich’s Vorgang, damit erklärt zu haben meinte, dass man sie aus dem Contact, aus der blossen Berührung des Ferments mit der gährungsfähigen Substanz herleitete. Zur Prüfung dieser Frage eröffneten sich dadurch, dass man das Verdauungsprineip in Lö- sung vor sich hatte, neue Wege. Schwann begann damit, die Rolle zu studiren, welche die freie Säure spielt. Dass sie unentbehrlich sei, war durch Versuche mit neutralisirter Verdauungsflüssigkeit leicht dargethan. Ueber die Art ihrer Wirkung wird eine Reihe von Vermuthungen aufgestellt und negativ beantwortet bis auf die Eine, dass sie ohne eigene Zersetzung, durch ihren Contact, die zu verdauenden Stoffe zur Zersetzung disponire. Dafür zeugt, dass der Gehalt der Verdauungsflüssigkeit an freier Säure bei der Ver- dauung des Eiweisses unverändert bleibt. Wie verhält es sich nun mit dem andern, neben der Säure in der Flüssigkeit enthal- tenen wesentlichen Stoff? Geht er in gewöhnlicher Weise, nach den Gesetzen der Wahlverwandtschaft, lösliche Verbindungen mit dem Eiweiss oder dessen Bestandtheilen ein, oder muss auch sein Einfluss den Contaetwirkungen zugezählt werden? Zwei Kriterien hatte Schwann aufgestellt, um von den Wirkungen der Wahlver- wandtschaft die Contaetwirkungen zu unterscheiden: das erste, dass, entgegen den bestimmten und einfachen Proportionen, in welchen bei den eigentlich chemischen Processen die Stoffe auf- treten, bei den Contaetwirkungen ein auffallendes Missverhältniss der Quantität zwischen dem die Zersetzung einleitenden Körper und den Producten der Zersetzung besteht; das zweite, dass weder der die Zersetzung bewirkende Körper, noch einer seiner Bestandtheile sich mit den Bestandtheilen des zersetzten Körpers verbindet. Schwann versucht es zuerst mit dem ersten Kriterium und bestimmt die Quantität des verdauenden Prineips, die noth- wendig ist, um eine bestimmte (Quantität Eiweiss zu lösen. Es ergab sich durch fortgesetzte Verdünnung der ursprünglichen Ver- dauungsflüssigkeit mit angesäuertem Wasser, dass eine Flüssigkeit, Xl welche 0,1 Gran fester Substanz enthält, hinreicht, um 10 Gran trocknes Eiweiss zu lösen, ungefähr dasselbe Verhältniss, in wel- chem nach The&nard bei der Weingährung die Hefe sieh noch wirk- sam zeigt. Das zweite Kriterium traf nicht zu: die Kraft des Verdauungsprineips erwies sich als eine begrenzte, sie schwand allmählich in dem Maasse, wie sie zur Auflösung des Eiweisses verwandt wurde. Demnach musste angenommen werden, dass das Prineip sich zersetze, ohne dass es jedoch möglich gewesen wäre, über die Producte der Zersetzung und deren Beziehungen zu den Zersetzungsproducten des verdauten Körpers Aufschluss zu er- halten. Auch hierin bewährte sich die Aehnlichkeit des Ver- dauungsprocesses mit dem Process der alkoholischen Gährung: bei dieser wird ebenfalls, freilich nur in reinem Zuckerwasser, das Ferment zerstört und was aus den Producten der Zerstörung wird, darüber sollte Sehwann erst später durch seine eigenen Arbeiten aufgeklärt werden. Vorläufig räth er demnach, Gährung und Ver- dauung unter einen gemeinsamen Begriff zu bringen, indem man die Gährung definirt als freiwillige Zersetzung organischer Ma- terien, hervorgerufen durch einen schon im Minimum wirksamen Stoff. Damit war wenigstens ein Anfang gemacht zur Auflösung der buntscheckigen Gruppe der Contactwirkungen, in welcher neben der Wein- und Essiggährung noch die Entzündung des Wasser- stoffs durch Platinschwamm figurirte. Es diente zur Förderung der Einsicht in den Gährungs- und Verdauungsprocess, dass Schwann den Analogien derselben ihre Verschiedenheiten gegenüberstellte, Verschiedenheiten sowohl be- züglich der ihrem Einfluss zugänglichen Substanzen, wie auch bezüglich ihrer eigenen Constitution. Die Constitution des Ver- dauungsprineips prüfte er in der Weise, dass er mit verschiedenen Reagentien Niederschläge aus der Verdauungsflüssigkeit erzeugte und sodann zu ermitteln suchte, ob die verdauende Kraft an der Flüssigkeit haftete oder dem Niederschlage folgte. Das Resultat dieser Versuche fasst er in folgenden Sätzen zusammen: Das Verdauungsprincip, dem er den Namen Pepsin ertheilt, ist löslich in Wasser und in verdünnter Salz- und Essigsäure; durch Wein- geist und durch Siedhitze wird es zersetzt; essigsaures Blei schlägt es sowohl aus der sauern, wie aus der neutralen Lösung nieder, Kaliumeiseneyanür fällt es aus keiner von beiden. Durch Sublimat wird es aus der neutralen Auflösung gefällt. Galläpfelinfusion Xu zerstört seine verdauende Kraft, wahrscheinlich, indem der Gerb- stoff einen unlöslichen Niederschlag mit ihm bildet. Als die am meisten eharacteristische Reaction des Pepsins stellte sich sein Verhalten gegen den Käsestoff heraus, den die neutralisirte Ver- dauungsflüssigkeit aus einer Lösung, die nur 0,0625 Käsestoff ent- hielt, noch deutlich erkennbar niederschlug. Sehwann nannte die Abhandlung, die ich hier in gedrängtem Auszug wiedergegeben habe, eine vorläufige und deutete die Hoff- nung an, dass sich später auf die ermittelten Reactionen ein ana- Iytisches Verfahren zur isolirten Darstellung des Pepsins gründen lassen werde. Er kam indess auf den Gegenstand nicht wieder zurück und es mag ihm Beruhigung und Genugthuung gewährt haben, dass die Folgezeit trotz aller Fortschritte der organischen Chemie und trotz hundertfältig angelegter Magenfisteln es nicht weiter gebracht hat, als zu einigen Verbesserungen in der Methode der Fällung des von ihm entdeckten Enzyms, das übrigens auch in seiner unisolirten Gestalt zu einem kostbaren Ingrediens unseres Arzneischatzes geworden ist. Bei der oben erwähnten Vergleichung des Gährungs- und Verdauungsprocesses und der Vereinigung derselben zu einer eigenen Gruppe der Contactwirkungen hatte Schwann die Fäulniss von dieser Gruppe ausgeschlossen, „weil sie nicht durch die positive Wirkung eines besondern Stoffes, sondern durch das Aufhören der die Verbindung erhaltenden organischen Kräfte vor sich gehe‘). Mit diesem Ausspruche bekundete er sich ganz als Sohn seiner Zeit. Die freiwilligen Zersetzungen, wie die Fäulniss und die ihr ähnlichen Processe hiessen, wurden damit motivirt, dass die Ele- mente, nachdem sie gleichsam widerwillig in die complieirten organischen Verbindungen eingegangen seien, das Aufhören des von der Lebenskraft geübten Zwanges benützten, um ihrem natür- lichen Hang zur Vereinigung in einfacheren, binären Verhältnissen zu folgen. Ueber den mythischen, antbropomorphistischen Cha- racter dieser Erklärung, die den leblosen Stoffen menschliche Leidenschaften andiehtet, täuscht sich heute Niemand mehr; noch am Ende des vorigen Jahrhunderts nahm man sie so ernst, dass Alexander von Humboldt?) eine Parabel zu diehten meinte, 1) a. a. 0.8. 110. 2) Der rhodische Genius 1795, XII als er den Jubel eines Festes schilderte, an welchem die Elementar- stoffe als Gäste, anfangs mürrisch in Gruppen vertheilt, sich zu- letzt paarweise nach Neigung zusammenfanden und mit einander tanzten. Aber Schwann’s regsamer Geist war es auch, der sich und uns aus der aller Naturforschung feindseligen, falschen Be- ruhigung aufrüttelte, die die Annahme freiwilliger Processe ge- währt. Und diese glänzende That, deren Nachwirkungen die heutige Chirurgie ihre besten Erfolge verdankt, muss um so mehr hervorgehoben werden, da die deutsche Unart, das ausländische Verdienst vor dem einheimischen zu schätzen, mit der Gründung des stolzen deutschen Reiches noch nieht abgethan und Pasteur’s Name unserm ärztlichen Publicum viel geläufiger ist, als der Name Schwann’s. Der Kritik der freiwilligen Zersetzungen ging die Kritik der freiwilligen Zeugung voran, als deren Gegner Schwann sich, wie erwähnt, schon bei der Disputation für den Doctorgrad bekannt hatte. Er folgte darin einer Strömung, der nichts fehlte, als der entscheidende Beweis. Der Glaube an die Entwicklung selbstän- diger Organismen aus formloser organischer oder gar unorganischer Materie ist schon aus allgemeinen Gründen anfechtbar und wieder- holt angefochten worden. Es widerstrebt der durch die Methode der Induetion bewusst oder unbewusst geschulten Naturanschauung, neben der so allgemein verbreiteten Fortpflanzung von Generation zu Generation durch Theilung, Sprossen- oder Eibildung eine anderartige Entstehung organischer Wesen anerkennen zu müssen, zumal diese Anerkennung sich nur auf negative Beweise berufen kann. Die Behauptung, dass Thiere oder Pflanzen irgendwo spon- tan aufgetreten seien, sagt nur so viel, dass man die gewöhnliche und bekannte Ursache ihres Auftretens, ihre Eltern oder Keime, nicht gefunden habe. In dieser Lage befanden sich zu Anfang der dreissiger Jahre nur noch zwei Gruppen organischer Wesen, die Eingeweidewürmer und die mikroskopischen Thier- und Pflan- zengeschlechter. Auf diese stützten sich die Anhänger der Gene- ratio aequivoca, doch hatten beide Stützen bereits angefangen, hinfällig zu werden. Um für die Eingeweidewürmer die Annahme einer Erzeugung derselben aus den Säften ihrer Wirthe zu recht- fertigen, dazu hatte vorzugsweise der Umstand gedient, dass man sie in Oertlichkeiten fand, von denen man meinte, dass sie gegen das Eindringen fester Körper gesichert seien. Es kam hinzu, dass XIV sie eine besondere Classe im zoologischen System bildeten, deren Gattungen und Arten man nirgends, als in den von ihnen be- wohnten Thieren und nicht anders, als im reifen Zustande antraf. Von diesem Punkte aus, der als das festeste Bollwerk der Theorie segolten hatte, war bereits der wirksamste Angriff gegen dieselbe eröffnet. Dies geschah durch Entdeckung einer Fortpflanzungs- weise, deren manchfaltige Formen Steenstrup später unter dem Namen des Generationswechsels zusammenfasste !). Das Wesen desselben besteht darin, dass aus den Eiern eines Mutterthiers zunächst eine Brut hervorgeht, die in Gestalt und Lebensweise den Eltern unähnlich ist und auf ungeschlechtlichem Wege, in ihrem Innern oder durch Sprossen, Nachkommen bildet, welche unmittelbar oder nach Wiederholung desselben Processes zur ge- schlechtlichen Form des Mutterthieres zurückkehren. Die ge- schleehtslosen Zwischenglieder, welche Steenstrup „Ammen“ und, wenn sie abermals geschlechtslose Individuen erzeugen, „Gross- ammen“ nannte, sind entweder für den Aufenthalt im Freien aus- gerüstet oder verleben ihre Zeit als Schmarotzer in andern, als den zur Aufnahme ihrer Nachkommen bestimmten Thieren. Es wird keines weitern Details und keiner besondern Beispiele bedürfen, um begreiflich zu machen, wie viele Dunkelheiten in der Ge- schichte der Eingeweidewürmer dadurch Licht empfingen, dass wir als Entwieklungsstufen derselben anders geartete, frei lebende, zum Theil längst bekannte und in anderen Klassen des Systems untergebrachte Wesen kennen lernten. Zu der Zeit, von der hier die Rede ist, hatten bereits aus Distomeneiern Mehlis und von Nordmann?) mit Wimpern versehene Junge ausschlüpfen sehen, welche der Letztere den Infusorien der Gattung Paramaeeium täuschend ähnlich fand, und v. Siebold hatte in Burdach’s Phy- siologie 3) die Erfahrungen von Nitzsch, Bojanus, v. Baer, Carus und seine eigenen gesammelt über Entwicklung der Öercarien aus gelben Würmern, belebten Keimschläuchen u. dgl. und die Um- wandlung von Cercarien in Distomen durch Abwerfen des Schwan- 1) Ueber den Generationswechsel oder die Fortpflanzung und Entwick- lung durch abwechselnde Generationen. A. d. Dänischen von Lorenzen. Kopenhagen 1842. 2) Mikroskopische Beiträge. Hft. II. Berlin 1832. 5. 139. 3) Bd. II. 1837. $. 193. XV zes. Auf die eigenthümliche Bewaffnung mancher dieser Zwi- schenstufen, auf das Vorkommen infusorien- und filarienartiger Thierchen im kreisenden Blut durfte die Hoffnung gegründet werden, dass auch das Räthsel des Aufenthalts parasitischer Or- ganismen in geschlossenen Körperhöhlen bald seine Lösung finden werde. Gegen die selbständige Erzeugung der Infusorien hatte vom Jahre 1830 an Ehrenberg den Kampf eröffnet in einer langen Reihe von Schriften und mit vielen indireeten Beweisen. Aller- dings machte die complieirte Organisation, ja der Besitz von Ge- schlechtsorganen, womit nach Ehrenberg die Infusorien ausge- rüstet erschienen, deren Entstehung aus faulender Substanz un- wahrscheinlich; doch blieben von diesen Entdeekungen die mi- kroskopischsten Arten unberührt. Nachdem von vielen Seiten die Fähigkeit niederer Organismen, aus dem getrockneten Zustande wieder aufzuleben, constatirt war, stand der Vermuthung, die schon Spallanzani ausgesprochen hatte, dass sie und ihre Keime durch die Luft transportirt würden, nichts im Wege. Die ausser- ordentliche Schnelligkeit, mit der, nach Ehrenberg’s Beobach- tung, die Vermehrung der Diatomeen durch Theilung vor sich geht, konnte dazu dienen, die Allgegenwart der Infusorienkeime zu erklären. Nach allen diesen Wahrscheinlichkeitsgründen gab es doch nur Einen Weg, die Generatio aequivoca der Infusorien gründ- lich zu beseitigen; es musste der Beweis recht eigentlich auf dem Wege der Excelusion, durch Ausschliessung der minimalen Orga- nismen und ihrer noch minimaleren Keime geführt werden. Mit wechselndem Erfolg, je nach der aufgewandten Vor- sieht, hatte man experimentell die Frage zu beantworten versucht, ob die Infusorienbildung in übrigens dazu geeigneten Flüssigkeiten dadurch verhindert werden könne, dass man dieselben, nachdem durch Hitze die etwa vorhandenen Keime getödtet worden, herme- tisch verschliesse. Die hohe Bedeutung der Versuche, welche fast gleichzeitig F. Schulze!), später Professor der Chemie in Rostock, und Schwann?) zu diesem Zweck anstellten, beruht nicht so sehr auf der Zuverlässigkeit derselben, als auf der Anwendung einer 1) Poggendorf’s Annalen. Bd. XXXIX. 1836. S. 487. 2) Ebendas. Bd. XLI. 1837. S. 184. XVI Methode, welche erst volles Licht über die Wirkung des hermeti- schen Verschlusses verbreitete. Wenn in den von jedem Verkehr mit der Aussenwelt abgesperrten Aufgüssen kein Leben sich regte, so konnte die Schuld dem Mangel an Sauerstoff zugeschrieben werden, dessen Erneuerung bekanntlich zur Einleitung und Unter- haltung vieler chemischen und vor Allem der organischen Pro- cesse unerlässlich ist. Diese Deutung wiesen Schulze und Schwann dadurch zurück, dass sie dem Gefäss, in welchem die zu prüfende Flüssigkeit sich befand, von Zeit zu Zeit frische Luft zuführten, die aber vorher einer Behandlung ausgesetzt war, welche, ohne deren wesentliche Bestandtheile zu alteriren, organische Bei- mischungen zerstören musste. Schulze erreichte dies dadurch, dass er Luft durch ein Glasrohr einströmen liess, die vorher ein Gefäss mit Kalilösung oder Schwefelsäure passirt hatte. Schwann erhitzte die durch das Glasrohr zugeleitete Luft vermittelst einer Flamme, die unter dem Rohr in einiger Entfernung von der Ein- mündung desselben in das Gefäss, welches die fäulnissfähige Flüssigkeit enthielt, angebracht war. Die erhöhte Temperatur, weleher die Luft an einer beschränkten Stelle vor ihrem Eintritt in die Flüssigkeit ausgesetzt wurde, konnte an ihrem Gasgehalt niehts ändern. Wenn dennoch, wie es der Fall war, die Infuso- rienbildung regelmässig unterblieb, so musste die Ursache der- selben in einem der Luft beigemengten Stoffe gesucht werden, den eine nicht einmal sehr ansehnlich gesteigerte Temperatur unwirksam machte. Vorsichtig genug sagt Schwann von seinen Experimenten, sie könnten dahin interpretirt werden, dass die muthmasslich in der Luft schwebenden Keime des Schimmels und der Infusorien beim Ausglühen der Luft zerstört würden. Mit der Frage nach dem Ursprung der Infusorien stand aber eine andere, eine Frage der organischen Chemie, in innigem Zu- sammenhang. Es ist nicht nöthig, das Mikroskop zur Hand zu nehmen, um sich über die An- oder Abwesenheit der Infusorien zu unterrichten. Ihre Anwesenheit verräth sich durch die Er- scheinungen der Fäulniss, vor Allem durch den mit der Fäulniss verbundenen Geruch, der ohne weiters auf eigenthümliche chemi- sche Processe in den von Infusorien bevölkerten Stoffen schlies- sen lässt. Der Connex zwischen Fäulniss und Infusorienbildung war längst anerkannt; es hatte sich aber, so lange die Unter- suchung ausschliesslich im biologischen Interesse geführt wurde, XVoH nur um die Alternative gehandelt, ob die faulende Masse Infuso- rien producire, oder ob die anderswoher stammenden Infusorien sich, etwa wie die Raben auf ein Schlachtfeld, aus Liebhaberei auf die faulende Masse niederlassen. In beiden Fällen erschien das Auftreten der Infusorien als Wirkung der Fäulniss, mochte der faulende Stoff die Organismen erzeugt oder auch nur ange- zogen haben. Auf die Ursache der Fäulniss einzugehn, lag den Biologen fern; sie würden sich dadurch eines Uebergriffs in das chemische Gebiet schuldig zu machen geglaubt haben. Indessen musste die Wahrnehmung, dass mit der sichern Ausschliessung der Infusorienkeime zugleich die Fäulniss regel- mässig ausgeschlossen wird, nothwendig dazu führen, das Cau- salverhältniss zwischen Fäulniss und Infusorienbildung einer er- neuten Betrachtung zu unterziehn. Sind die Infusorien nicht Pro- duet der Fäulniss, so ist vielleicht die Fäulniss Product der In- fusorien? Auch zur Beantwortung dieser Frage hatte Schwann alsbald einen Versuch ersonnen. Er bestätigte die Vermuthung, dass die Fäulniss von den Infusorien angeregt werde, durch den Nachweis, dass Stoffe, welche für Pflanzen und Thiere gleich- mässig giftig sind, wie Arsenik und Sublimat, Fäulniss und Schimmelbildung verhüten, wogegen die Gifte, die, wie Strychnin, nur auf Infusorien und nicht auf Pflanzen wirken, nur die Fäul- niss, nicht aber die Schimmelbildung aufzuhalten vermögen. So weit die Fäulniss. Nun aber glaubte Schwann noch den Beweis schuldig zu sein, dass die Luft durch Erhitzung nicht die Befähigung verliere, solche chemische Processe einzuleiten, bei welchen Entwicklung von Pflanzen und Thieren nicht Statt findet und als derartige Processe wählte er die Respiration und — die Weingährung. Es zeigte sich, dass, der Voraussetzung gemäss, ein Frosch in ausgeglühter Luft ganz behaglich athmete; gegen die Voraussetzung aber blieb die Gährung aus, wenn zu einer mit Hefe versetzten und dann ausgekochten Zuckerlösung nur ge- glühte Luft zugelassen wurde. „Es drängte sich sofort der Ge- danke auf, dass auch die Weingährung eine Zersetzung des Zuckers sei, welche durch Entwicklung eines thierischen oder pflanzlichen Wesens veranlasst werde.‘ Dies gab Anlass, die Hefe mikroskopisch zu untersuchen und die Zusammensetzung derselben aus runden Körperchen von etwa 0,01 mm Durchmesser, die schon Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. x XVoOI Leeuwenhoek!) bekannt war, wieder zu entdecken. Die gleiche Entdeckung machte gleichzeitig in Paris Cagniard Latour, als er, wie es in dem Berichte der französischen Academie?) heisst, das Studium der Biergährung, das ihn schon früher beschäftigt hatte, mit neuen Mitteln der Beobachtung, worunter das Mikroskop, wieder aufnahm. Leeuwenhoek hatte die fraglichen Körperchen für Krystalle gehalten; Schwann und Cagniard Latour setzten deren organische Natur ausser Zweifel, indem sie die Art ihres Wachsthums, der Eine auf dem Öbjectträger des Mikroskops, der Andere an successiv dem gährenden Bier entnommenen Proben verfolgten. Es verdient hier noch ein sinnreiches Experiment er- wähnt zu werden, durch welches Schwann bei einer spätern Ge- legenheit?) den direeten Antheil der Hefepilze an der Zerlegung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure zu erweisen trachtete: Ein langes Reagensgläschen wurde mit einer schwachen, durch Lacmus schwach blau gefärbten Zuckerauflösung gefüllt und sehr wenig Hefe zugesetzt, so dass die Gährung erst nach mehreren Stunden beginnen und die Pilze sich vorher auf den Boden ab- setzen konnten. Hier begann nun die Röthung der blauen Flüs- sigkeit (durch die sich entwickelnde Kohlensäure) wirklich vom Boden des Gläschens. Wurde ein Steg in der Mitte des Gläs- chens angebracht, auf welchen Pilze sich ablagern konnten, so begann die Röthung vom Boden und von diesem Steg. Hieraus folgte schon, dass ein ungelöster Stoff, der schwerer ist als Was- ser, die Gährung veranlasst. Es sollte nun durch denselben Ver- such im Kleinen unter dem Mikroskop dargethan werden, dass die Röthung von den Pilzen ausgeht; aber in dieser Verdünnung war die Farbe mikroskopisch nicht zu erkennen und in intensiver ge- färbter Flüssigkeit trat die Gährung nicht ein. So war die Vermuthung, dass die Infusorien Fäulniss machen, bestätigt durch die Erfahrung, dass auch die Gährung Folge der Entwicklung mikroskopischer Organismen ist. Wie die Einen und Andern die Zersetzung der organischen Substanz, auf deren Kos- ten sie sich vermehren, zu Stande bringen, war zwar im Einzelnen 1) Opp. omnia. Lugd. Batav. 1722. T. IV. p. 2 ft. 2) Comptes rendus de l’acad. francaise. 1838. Juill. p. 227. 3) Mikroskop. Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Struc- tur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin 1859. 5. 234. GX ALL noch völlig unklar; doch durfte man sich auf das im Allgemei- nen zweifellose Vermögen lebender Körper berufen, zum Behufe ihrer Ernährung sowohl vorhandene Combinationen der Elemente zu zerstören, als auch neue herzustellen. Wer, wie Schreiber dieser Zeilen, das Glück hatte, Schwann an der Arbeit zu sehn und die Consequenz seines Vorschreitens, die Nüchternheit seiner Beobachtung, die Umsicht seines Experi- mentirens wahrzunehmen, bei dem konnte ein Zweifel an der Zu- verlässigkeit und unmittelbaren Verwendbarkeit der von ihm ge- wonnenen Resultate nicht aufkommen. Ich beschäftigte mich da- mals mit allgemeiner Pathologie, die ich im folgenden Semester zu lesen gedachte und namentlich mit der Contagienlehre. Die Ursache der miasmatisch-contagiösen Epidemien in’s Auge fassend, hatte ich aus der Vermehrungsfähigkeit derselben und aus dem zeitlich gesetzmässigen Ablauf der von ihr bedingten Krankheiten den Schluss gezogen, dass das Contagium eine organisirte, lebende Substanz sein müsse. Oft schon war dasselbe mit einem Fer- ment, seine Wiedererzeugung im Blut mit der Wiedererzeugung des Ferments in der gährenden Flüssigkeit verglichen worden. Hatten unter Schwann’s Händen die Fermente die Gestalt niederer Thier- und Pflanzenorganismen angenommen, so durfte die Hypo- these gewagt werden, dass auch die flüchtigen Ansteckungsstoffe aus in der Luft schwebenden, vielleicht nur ihrer Kleinheit wegen ununterscheidbaren lebenden Wesen beständen. Heutzutage hat sich diese Hypothese einer allgemeinen Anerkennung und für ein- zelne Infeetionskrankheiten, wie Milzbrand und Febris recurrens, der thatsächlichen Bestätigung zu erfreuen; doch bedurfte es da- zu einer Wiederholung der Schwann’schen Entdeckung, die zu- erst bekämpft und dann sammt meinen darauf gebauten Folge- rungen in Vergessenheit gerathen war. Ich glaube mich nicht zu weit von meinem Thema, der Schilderung von Schwann’s Einwirkung auf Wissenschaft und Leben, zu entfernen, wenn ich zu ermitteln versuche, wie die Ungunst der Zeiten ihn um den un- mittelbaren Effect seiner Fäulniss- und Gährungstheorie und um den ihm gebührenden Antheil an dem Danke gebracht hat, den die Menschheit der segensreichen Lister’schen Methode spendet. Ein energischer und wegen der Autorität, die er verdienter- massen genoss, erfolgreicher Gegner erstand der Schwann’schen Lehre in Liebig. Den Chemikern war es nicht so sehr zu ver- XX denken, wenn sie sich in der Anerkennung der Leistungen, die den Pilzen bei der Gährung zugeschrieben wurden, skeptisch ver- hielten. Stand doch der alkoholischen Gährung und der Fäulniss, für die die Mitwirkung der Organismen in Anspruch genommen war, eine grosse Zahl ähnlicher Processe gegenüber, wie die Um- wandlung des Alkohols in Essig, des Stärkemehls in Zucker, des Milehzuckers in Milchsäure u. A., welche noch niemals in dem Verdachte gewesen waren, von Entwicklung lebender Wesen an- geregt oder auch nur begleitet zu werden, Zersetzungen, die zum Theil auch durch offenbar rein chemische oder physikalische Ver- fahrungsweisen, durch Kochen mit Schwefelsäure, durch Berührung mit fein zertheiltem Platin zu Stande kamen. Von einer andern Seite war die Pilztheorie dadurch dem Angriff bloss gestellt, dass die Intervention des Pilzes die Umsetzung der Atome des Zuckers nicht verständlicher machte, als es den einfachen chemischen Theo- rien gelungen war. Es war a priori wahrscheinlich, dass die Pflanze, um zu wachsen, auf die eiweissartigen Bestandtheile der gährungsfähigen Flüssigkeit angewiesen sei und es wurde dies dadurch bestätigt, dass in reiner Zuckerlösung die Gährung nie- mals spontan, sondern erst auf Zusatz von Hefe eintritt und dass die Hefe in reiner Zucekerlösung sich nicht vermehrt, sondern ver- zehrt, also auf eigene Kosten lebt. Um so weniger liess sich er- klären, durch welche Art chemischer Verwandtschaft sie die Zu- sammensetzung des Zuckers angreift. Ein ungenannter Mitarbeiter von Wöhler’s und Liebig’s Annalen der Pharmaeie'!), der offenbar dem Einen der Herausgeber sehr nahe stand, benützte diese Ver- legenheit zu einer ergötzlichen Parodie, einer mikroskopischen Schilderung der im Traubensaft verkehrenden Infusionsthiere, die er Zucker fressen und Alkohol aus dem Darm, Kohlensäure aus der Blase von sich geben gesehen haben wollte. Aber Liebig begnügte sich nicht, mit humoristischen und ernsthaften Einwendungen den Einfluss der niedern Organismen auf chemische und Krankheitsprocesse zu widerlegen. Er liess sich auch nicht genügen an einer blossen Umschreibung der eigen- thümlichen Wirkung des Ferments, die von Mitscherlich auf Con- tact, von Berzeliusauf eine katalytische Kraft zurückgeführt wor- den war. Nach Liebig?) ist Ferment und Contagium eine in Be- 1) Bd. XXIX. 1839. S. 100. 2) Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und XXI wegung, in Umsetzung ihrer Moleküle begriffene Substanz, die ihre Bewegung auf andere, durch geringe Verwandtschaft zusam- mengehaltene Verbindungen fortpflanzt nach dem schon von La- place und Berthollet aufgestellten Gesetze der Dynamik, dass ein durch irgend eine Kraft in Bewegung gesetztes Molekül einem andern Molekül, mit dem es in Berührung steht, seine eigene Be- wegung mittheilt. Das Erklärungsbedürfniss der Naturforscher war für lange Zeit durch diese Theorie befriedigt; der Anklang, den sie in ärztlichen Kreisen fand, beruhte zum Theil auf per- sönlichen Motiven. Dem Physiologen, der sich anmasste, ohne eigene ärztliche Erfahrung in pathologischen Dingen mitzureden, gönnte man die Zurechtweisung. In Frankreich waren indess die Beobachtungen von Cagniard Latour über die Organisation der Hefe und die, die Biergährung begleitende Entwicklung derselben unvergessen. Als daher Pa- steur, zum Zwecke krystallographischer Studien, die Umwandlung des Zuckers in Milchsäure verfolgte und dabei an der Oberfläche der Flüssigkeit und am Rande des Gefässes eine graue, käseartige Substanz sich ablagern sah, unterwarf er diese der mikroskopi- schen Untersuchung und fand sie aus Kügelchen und kurzen Stäbchen von organisirtem Ansehn zusammengesetzt, die weit hin- ter den Dimensionen des Hefepilzes zurückblieben. Mit sehr ge- ringen Mengen dieser Substanz liessen sich, auch bei Ausschluss der Luft, grosse Zuckermengen in Milchsäure umwandeln. Am 30. November 1857 theilte Pasteur seinen Befund der Pariser Aca- demie mit. Er zog aus demselben den Schluss, dass es, wie für die alkoholische, so auch für die Milchsäure-Gährung ein beson- deres Ferment gebe, welches die „Allüren‘ eines mycodermaartigen Körpers habe. Fortgesetzte Versuche, über die er der Academie in der nächsten Zeit berichtete, setzten ihn in den Stand, diese Be- hauptung auf die Essiggährung, auf die eigenthümliche Gährung . weinsaurer Salze, auf die freiwillige Zersetzung des Urins, der Fette u. s. f. auszudehnen!). Die Organismen, die er beschreibt, Physiologie. Braunschweig 1840. S. 202. Chemische Briefe. 4. Aufl. Leipz. u. ‘ Heidelberg 1859. Bd. I. S. 287. 1) Ein Resüm& seiner Arbeiten mit einer geschichtlichen Einleitung giebt Pasteur in den Annales des sciences natur. Zoologie. 4e. Ser. T. XVI, p- 5. Ann. de chimie et physique, 3e. Ser. 1862. p. 6, XXH sind allerdings von den Gährungspilzen sehr verschieden, dagegen nahe verwandt den organisirten Fermenten der Fäulniss, die man zu Sehwann’s Zeiten Monaden und Vibrionen nannte und dem Thierreich zuzählte, während sie heute allgemein als Bacterien zu den niedersten Pflanzen gerechnet werden. Von Schwann’s Ar- beiten scheint Pasteur erst im Jahre 1859 Kenntniss erhalten zu haben, denn erst in einer am 7. Februar dieses Jahres gelesenen Abhandlung gedenkt er der Zufuhr der Fermente durch die At- mosphäre und des Glühens der Luft als eines Mittels, die Gäh- rungen hintanzuhalten. So kömmt er in einer den Forschungen Sehwann’s gerade entgegengesetzten Richtung, von den freiwilligen Zersetzungen auf die freiwillige Zeugung und ergänzt Schwann’s Versuche dadurch, dass er den aus der Luft aufgefangenen Staub zu Versuchen benutzt. Dass durch einen in die Luft-zuleitende Glasröhre eingefügten Baumwollpfropf Gährung und Fäulniss ebenso sicher verhindert wird, wie durch Glühen der Luft, hatten schon Schröder und v. Dusch!) mitgetheilt. Pasteur wandte Schiess- baumwolle zum Verschliessen des Rohrs an; indem er alsdann den Pfropf in einem Gemisch von Alkohol und Aether auflöste, gewann er die soliden Körperchen, die sich abgesetzt hatten, zur mikros- kopischen Untersuchung; andererseits diente ihm der mit dem Staub beladene Pfropf, um in einer gegen den Zutritt der Luft geschütz- ten Flüssigkeit Gährungen einzuleiten. Ob diese Modificationen der Schwann’schen Experimente einen genügenden Anlass bieten, um Pasteur einen Antheil an dem Ruhm, die Lehre von den organisirten Fermenten geschaffen zu haben, zuzumessen, mag unentschieden bleiben. Aber das muss zugestanden werden, dass erst durch ihn die chemische Theorie aus ihren letzten Vertheidigungswerken vertrieben wurde. Er er- reichte dies dadurch, dass er den beiden altbekannten Fermenten dieser Kategorie eine stattliche Anzahl neuer hinzufügte. Er wusste das Interesse für den Gegenstand wach zu erhalten, in- dem er ihm durch Untersuchung der atmosphärischen Fauna ver- schiedener Gegenden, verschiedener Höhen u. s. f. stets neue Sei- ten abgewann. Auch die Verbindung mit der Pathologie knüpfte er wieder an, indem er gelegentlich aufforderte, zur Zeit herr-: schender Epidemien die Luft auf die in derselben verbreiteten 1) Annalen der Chemie und Pharmacie. Bd. LXXXIX, 1854, S. 232. XXIII niedern Organismen zu untersuchen. Und während Pasteur immer auf dem Platze war, um die chemische Theorie, wo sie auftauchte, zurückzuweisen !), liess Schwann die Anhänger Liebig’s gewähren und zog es vor, was wir ihm nicht verdenken wollen, sich in das Leben der Zelle zu vertiefen. Bevor wir jedoch seinen Schritten auf histologischem Gebiete und zu der grossartigsten Leistung seines Lebens und der folgenreichsten biologischen Entdeckung unseres Jahrhunderts folgen, haben wir noch einer Untersuchung zu gedenken, dieSchwann als originellen und scharfsinnigen For- scher auch in dem physikalischen Theil der Physiologie be- kundet. Es 'handelte sich?) um das Gesetz, nach welchem die Kraft eines Muskels mit der Contraetion sich ändert, demnach um Er- mittlung der Lasten, die der nämliche Muskel in verschiedenen Graden seiner Verkürzung zu heben vermag. Der Gastrocnemius des Frosches wurde zu dem Ende mit einer Wagschale in Ver- bindung gesetzt, die zum Auflegen der Gewichte diente, und mit einer Scala versehen, die die Länge des Muskels anzeigte; an dem vorher herauspräparirten N. ischiadieus wurde der galvanische Reiz angebracht. Es stellte sich heraus, dass die Kraft des Mus- kels in dem Verhältniss zunimmt, in welchem er sich weniger contrahirt oder dass sie in geradem Verhältniss mit der Conträc- tion des Muskels abnimmt. Damit war jede Erklärung der Mus- kelkraft durch eine der uns bekannten Attractionskräfte wider- legt, da diese alle so wirken, dass die anziehende Kraft wächst je mehr die anziehenden Theilchen sich einander nähern. Da- gegen ergaben die Versuche eine Uebereinstimmung des Gesetzes der Muskelverkürzung mit dem Gesetz, welches bei elastischen Körpern gilt: die Kraft ist am grössten beim Muskel in der Ruhe, bei elastischen Körpern in der Ausdehnung; sie ist = 0 beim Muskel im Zustande der äussersten Contraction, bei elastischen Körpern im Zustande der Ruhe. „Man kann nieht umhin“, sagt Ed. Weber in dem klassischen Artikel Muskelbewegung?), 1) Zuletzt und wohl zum allerletzten Mal in den Comptes rendus vom 12. und 19. Febr. 1872 gegen Fremy. 2) J. Müller’s Physiologie. Bd. II. S. 59. 3) Rud. Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. III. Abth. 2. 8. 101. XXIV „so lange es sich bloss um Muskeln als feste Körper handelt, die- selben als elastische feste Körper zu betrachten und die Erschei- nungen, welche bei ihnen beobachtet werden, demgemäss nach Analogie mit andern elastischen festen Körpern zu ordnen.“ Auch zu seinen histologischen und insbesondere mikroskopi- schen Arbeiten empfing Schwann durch Joh. Müller den ersten Antrieb. Das Berliner eneyclopädische Wörterbuch, in dessen Re- dactionscommission an Stelle Rudolphi’s Müller eingetreten war, gab dem wohlwollenden Lehrer Gelegenheit, seinen Schülern lite- rarische Beschäftigung und einen kleinen Nebenverdienst zuzu- wenden. Schwann bearbeitete die Artikel@Gefässe, Hämatosis, Harnsecretion, Hautseceretion und schilderte in dem ersten derselben !) nach eigenen Untersuchungen den feinern Bau der Gefässwände. Seine Beschreibung der fasrigen Intima der Arte- rien trifft noch heute vollkommen zu und es ist interessant, zu sehen, wie nahe er der Entdeckung des Endothels war, wenn er, wiewohl ohne Erfolg, die Färbung mit salpetersauerm Silber, salpetersauerm Quecksilberoxydul und Goldehlorid versuchte, um die Existenz einer innersten, der Epidermis ähnlichen structur- losen Haut nachzuweisen. Weniger glücklich war er mit der histologischen Analyse der Ringfaserhaut. Er gewann aus ihr die kurz zuvor von Lauth?) entdeckten eigenthümlichen Fasern des elastischen Gewebes, aber ihm entging das eigentlich contractile Element, das erst später von mir?) unvollkommen isolirt und von Kölliker*) in die spindelförmigen Faserzellen der glatten Museu- latur zerlegt wurde. Da aber die Contractilität der Arterien ziemlich allgemein anerkannt war, ja von Schwann selbst durch einen ebenso einfachen als positiven Versuch, durch mikrometri- sche Messungen an den mit kaltem Wasser behandelten Arterien der Schwimmhaut des Frosches, über allen Zweifel erhoben wor- den war, so blieb ihm nichts übrig, als dem elastischen Gewebe der Arterienhaut contractile Eigenschaft zuzuschreiben und so eine 1) Berliner encyclopäd. Wörterbuch. Bd. XIV. 1836. S. 212—246. 2) L’Institut. Paris 1834. Nr. 57. 3) Allgemeine Anatomie. 1841. S. 499. 4) Ztschr. für wissensch. Zoologie. Bd. I, 1849, S, 48, XXV contractile Varietät des elastischen Gewebes aufzustellen. Abge- sehen von diesem Fehlgriff war die Beschreibung der verschiede- nen Formen des elastischen Gewebes und seiner Verbreitung, welche Schwann in dem erwähnten Artikel und in einer gleichzeitig er- schienenen, von ihm inspirirten und geleiteten Dissertation!) gab, so genau und erschöpfend, dass die Folgezeit nichts zu ändern, und kaum etwas hinzuzufügen fand. Im Jahre 1837, da Joh. Müller den Theil seines Handbuchs schrieb, der die animalischen Funetionen behandelte, verwandte Schwann seine Musse auf Studien über Muskel- und Nervenge- webe, von denen sodann Müller theils im Handbuch, theils im Jahresbericht Kunde gab. Was Schwann in Betreff des gestreif- ten Muskelgewebes ermittelte?), hat nur noch historischen Werth, denn die Vergrösserungen, deren wir uns damals bedienten, waren nicht geeignet, den complieirten Bau der Muskelfasern zu ent- hüllen. Immerhin ist es anerkennenswerth, dass Schwann in der Frage nach der Bedeutung der Querstreifung die Ansicht ver- trat, die sich später als die richtige erwies. Seine Naivetät be- wahrte ibn vor den Künsteleien, womit die Nachfolger die That- sache, dass in dem Muskelbündel bald Längs- bald Querstreifung vorherrscht, zu erklären suchten; er hatte keinen Zweifel, dass das Muskelbündel aus parallelen Fibrillen besteht und dass die Querstreifung des Bündels Ausdruck der Querstreifung der Fi- brillen ist; die Querstreifung der Fibrillen zu deuten, gab es bei den unzulänglichen optischen Hülfsmitteln nur zwei Möglichkeiten, Kräuselung oder Varicosität der Fasern. Fieinus?) entschied sich für die erste, Schwann mit den meisten seiner Zeitgenossen für die zweite Auslegung. Schliesslich soll nicht vergessen sein, dass er zuerst die gestreiften Bündel in der oberen Hälfte des Oeso- phagus und in den sogenannt erectilen Anhängen am Schnabel des Truthahns wahrnahm. Schwann’s Beiträge zur Anatomie der Nervenfaser*) beziehen 1) Eulenberg, de tela elastica. Berol. 1836. 2) Müller’s Archiv. 1836. S. X. 1837. S. XXXVIL Physiologie. Bd. I. S. 33. 3) De fibrae muscularis forma et structura. Diss. inaug. Lips. 1836. 4) Müller’s Archiv 1836. S. XV. 1837, S, III. XLVH. Physiol. Bd. I. 5. 381 ff. 524. Bd, II, S, 54. XXVI sich auf deren Regeneration und peripherische Endigungsweise. Die Regenerationsfähigkeit der Nervenfasern wurde an Fröschen, deren N. ischiadieus durchschnitten worden, dargethan, mikrosko- pisch mittelst Untersuchung des Narbengewebes und experimentell durch den Nachweis des Leitungsvermögens der Narbe. Das letztere gedachte Schwann auch zur Beantwortung der Frage zu verwerthen, ob die in dem gemischten Nerven enthaltenen Faser- stümpfe verschiedener physiologischer Qualität mit einander zu verwachsen vermöchten. Wäre dies der Fall, so sollte nach seiner Meinung die Reizung einer sensibeln Rückenmarkswurzel Muskel- zuckungen auslösen. Das Resultat der Versuche war ein negatives, wodurch aber, wie Müller hinzufügt, die Frage nicht entschieden wird, weil es ungewiss ist, ob sensible Fasern den Reiz in peri- pherischer Richtung fortzupflanzen im Stande sind. Schwann’s Untersuchungen über die Endigung der Nerven sprechen berechtigte Bedenken aus gegen Valentin’s Endschlingen ), die eben auf- tauchten und bald für einige Jahre zur ausschliesslichen Herrschaft gelangten; dagegen dürften sie als Vorläufer der Lehre Max Schultze’s von dem fibrillären Bau des Axeneylinders Erwähnung verdienen. Von dem Axeneylinder war zwar noch nicht die Rede, aber auf ihn kann doch nur bezogen werden, was Schwann am Mesenterium des Frosches und am Schwanze der Froschlarven be- obachtete, feine in grössern Zwischenräumen mit kleinen An- schwellungen versehene, netzförmig verbundene Fasern, von gröbern, unzweifelhaften Nervenfasern abgehend, in welchen die feinern vorgebildet schienen. Der strueturlosen Scheide, welche Schwann’s Namen in der Histologie des Nervensystems verewigt, wird erst in den Untersuchungen über die Uebereinstimmung der Thier- und Pflanzengewebe gedacht. An dem Zeitpunkt angelangt, der durch die Veröffentlichung dieser Untersuchungen eine Epoche in der Geschichte der organi- schen Naturwissenschaften bezeichnet, liegt es mir ob, dem Ent- wieklungsgang der Ideen nachzugehn, die sich so rasch und wider- standslos Bahn brachen. Denn es ist keine gewöhnliche Er- 1) Ueber den Verlauf und die Enden der Nerven. Bonn 1836, XXVIl scheinung, dass Theorien von so allgemeiner Tragweite, wie die Zellenlehre, ohne einen Kampf des Alten gegen das Neue ihre Stelle und die Herrschaft über die einzelnen, von ihnen umfassten Diseiplinen einnehmen. Der Boden, auf welchem die Zellentheorie erwuchs, musste günstig vorbereitet sein und er war es von Zwei Seiten, von denen ich die Eime die ideelle oder philosophische, die andere die reelle oder histologische nennen möchte. Die philosophische Vorbereitung datirt von den Anfängen philosophi- scher Naturbetrachtung; sie wurzelt in dem angebornen Trieb des menschlichen Geistes, den einfachen Urgrund der Manchfaltigkeit der Erscheinungen zu erkennen und nöthigenfalls zu construiren. Dieser Trieb schuf die Monadenlehren eines Epieur und Leibnitz; er spricht sich aus in der Naturphilosophie Oken’s, der die höhern Organismen zusammengesetzt dachte aus den niedersten, bläschen- artigen mikroskopischen Geschöpfen, welche zeitweise ihre Selb- ständigkeit aufgäben, um Bestandtheile höher entwickelter Thiere oder Pflanzen zu werden. Mehr als einmal hat der Wunsch, jene aprioristischen Forderungen verwirklicht zu sehen, die mikroskopi- schen Beobachter so bestriekt, dass sie in optischen Trugbildern die Elemente der organischen, ja mitunter aller Körper aufgefunden zu haben glaubten, wie Fontana!) und Monro?) in den geschlängel- ten Fasern, Milne Edwards?) und F. Arnold) in den Kügelchen, aus welchen sich unter unvollkommenen Instrumenten und bei unpassender Beleuchtung alle Objecte gleichmässig zusammensetzen. Aber auch an wirkliche Gewebselemente knüpften die Hypothesen von einer allen organischen Körpern gemeinsamen Form der Ele- mentartheile an. So verglich Raspail°) die Stärkemehlkörner des pflanzlichen mit den Fettbläschen des thierischen Körpers; beide seien im entwickelten Zustande Bläschen oder Zellen, als solche mit besondern Kräften begabt, durch Intussusception wachsend; Bläschen dieser Art nennt er die „Atome“ der organischen Schöpfung 1) Abhandlung über das Viperngift. A. d. Italien. Berlin 1787. 2) Bemerkungen über die Structur und Verrichtungen des Nervensystems. A. d. E. Lpz. 1787. 3) Memoire sur la structure &lömentaire des prineipaux tissus organiques des animaux. Paris 1823. 4) Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Bd. I. Zürich 1836. 5) Systeme de chimie organique. 2e &dition. Brux. 1839. $ 831. 832. 1559. 4421 ff, XXVI und die Organisation eine „Crystallisation vesieulaire“. Noch näher der heutigen Zellentheorie kam Dutrochet!). Von den Zellen der Speicheldrüsen und der grauen Hirnsubstanz, die er als Bläschen erkannte, schloss er weiter, dass die Kügelchen sämmtlicher ani- malischer Gebilde aus einer Membran und flüssigem Inhalte bestehe. Nur so lange der Inhalt flüssig ist, führen dieElementarzellen, wie er sie nennt, ein thätiges Leben. Dutrochet verwirft die Unter- scheidung der Bestandtheile des Körpers in feste und flüssige ; die festen Theile seien Aggregate von Elementarzellen: in den flüssi- gen seien die Zellen suspendirt. Muskel- und andere thierische Fasern betrachtet er als sehr verlängerte Zellen, wie deren auch in Pflanzen vorkommen. Reflexionen dieser Art blieben unfruchtbar und wären es noch lange geblieben, . wäre nicht der Factor hinzugekommen, den ich als reellen oder histologischen bezeichnete. Körnchen, Kügelchen oder Bläschen, auch wenn man sie mit dem in der Pflanzenphysio- logie eingeführten Namen Zellen belegte, hatten zu wenig Eigen- thümliches, als dass man hätte hoffen dürfen, an ihnen den Nach- weis der ursprünglichen Gleichartigkeit der organischen Atome durchzuführen. Als aber ein besonderes Kennzeichen gefunden war, welches den Zellen den Stempel charakteristischer Individua- litäten aufdrückte, da belebte sich der Muth, nach neuen That- sachen zur Befriedigung des alten theoretischen Postulats zu suchen. Dies besondere Kennzeichen war der Zellenkern, zumal der Zellen- kern mit Kernkörperchen. R. Brown hatte ihn als einen allgemeinen Bestandtheil der Pflanzenzellen im Jahre 1831 entdeckt; von thie- rischen kernhaltigen Zellen waren die Blutkörperchen lange be- kannt; mit der Einführung des Mikroskops mehrte sich von Tag zu Tag die Zahl ähnlicher Formbestandtheile in thierischen Flüssig- keiten und Geweben. Man fand sie in der Lymphe, im Schleim und Eiter, in dem sogenannten Humor Morgasni der Linse. An den Pigmentzellen der Choroidea hatte bereits Wharton Jones?) den dem Kern entsprechenden centralen hellen Fleck gesehen und Valentin?) hatte beobachtet, dass in dem Fötusauge die Kerne 1) Mömoires pour servir ä l’histoire anatomique et physiologique des vegetaux et des animaux. Paris 1837. t. II. p. 408. 2) Edinb. medical and surgical Journal. 1833. July p. 77. 3) Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen, Berlin 1835, S. 194, XXIX zuerst vorhanden sind und von den Pigmentmolekülen umlagert werden. Die grossen feinkörnigen Zellen der Centralorgane des Nervensystems mit ihren kugligen Kernen waren von Ehrenberg!) und genauer von Valentin*) beschrieben. Mit der Entdeckung des Keimflecks durch R. Wagner?) wurde auch das Keimbläschen einer kernhaltigen Zelle ähnlich. Die interessantesten Vergleichungs- punkte mit dem Pflanzengewebe ergaben sich aus der Histologie des Knorpels, der Oberhaut und der Drüsen. Die Gallerte der Chorda dorsalis der Knorpelfische hatte Joh. Müller?) als eine durchsichtige, in ebenfalls durchsichtigen, dicht aneinander stossen- den Zellen, die den Pflanzenzellen analog sind, enthaltene Materie geschildert undSchwann gelang es, in den Wänden dieser Zellen den platten Kern aufzufinden. Die Oberhaut, nach den älteren Begriffen ein erhärtetes Secret der Cutis, war durch die Arbeiten der Purkinje’schen Schule) und Turpin’s°) zu einem organisirten, aus Kernzellen gebildeten Gewebe erhoben. Indem ich’) sodann anf die Formveränderungen und die Massenzunahme hinwies, welche die Zellen der geschichteten Epithelien im Aufrücken erfahren, und in dem Cylinder- und Flimmerepithel Modificationen des Pflasterepithels erkannte, lieferte ich an thierischen Zellen ein Beispiel ähnlichen, selbständigen, von Blutgefässen unabhängigen Wachsthums, wie es bis dahin nur den Pflanzenzellen zugestanden worden war. In den Drüsen endlich fanden Purkinje°) und ich®) gleichzeitig die den Epithelzellen ähnlichen Elemente; die Leber sahen wir sogar ganz und gar aus denselben zusammengesetzt undPurkinje vergleicht sie den Elementartheilen der Pflanzen, „wo jedes Zellchen seine Vita propria hat, aus dem allgemeinen 1) Beschreibung einer auffallenden und bisher unerkannten Structur des Seelenorgans. Berlin 1836. 2) Verlauf und Enden der Nerven. S. 77. 88. 3) Prodromus historiae generationis. Lips. 1836. 4) Vergleichende Anatomie der Myxinoiden. Berlin 1835. S. 74. 5) Raschkow, meletemata circa mammalium dentium evolutionem. Wratisl. 1835. p. 11. Valentin, Repertorium 1837. S. 143. 6) Annales des sciences naturelles. 2e sör. T. VII. 1837. p. 207. 7) Symbolae ad anatomiam villorum intestinalium. Berol. 1857. 8) Bericht über die Versammlung der Naturforscher in Prag im Jahre 1837. Prag 1838. S. 174. 9) Müller’s Archiv. 1838. 5. 103. XXX Safte sich einen specifischen Inhalt bereitet und die Absetzung eigenthümlicher Stoffe in eigene Saftbehälter vermittelt.“ Aber mit allen diesen Aehnlichkeiten war der Kernpunkt der Frage noch nicht berührt; diesen traf zuerst Schwann, als er es unternahm, den Zusammenhang beider Reiche der organischen Natur aus der Gleichheit der Entwicklungsgesetze der Elementartheile der Thiere und Pflanzen nachzuweisen. Es schmälert sein Verdienst nicht, wenn wir sagen, dass ein glück- licher Zufall mitwirkte, ihm vor Andern die Bahn der entscheidenden entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen zu eröffnen. Zu der Zeit, wo es auf den Objectträgern der Thierphysiologen von Kern- zellen wimmelte, genoss er den Vorzug, die Arbeiten Schleiden’s vor deren Publication und, wie er selbst erzählt!), durch gelegent- liche Tischgespräche kennen zu lernen, Arbeiten, welche die Ent- stehung der Zellen bei den Pflanzen zum Gegenstand hatten. Schleiden, dessen Beobachtungen im 2. Heft des Jahrgangs 1838?) von Müller’s Archiv veröffentlicht wurden, stellt nieht ohne Bedenken zwei Weisen der Entstehung der Pflanzenzellen neben- einander, die Eine, die wir nach der heutigen Gestaltung der Begriffe als freiwillige, die andere, die wir als Entstehung durch Fortpflanzung (Proliferation) bezeichnen würden. Die zweite, die Entstehung neuer Zellen im Innern der bereits vorhandenen, ist nach Schleiden die verbreitetere und zweifellose. Zur Annahme einer freiwilligen Zellenbildung entschliesst er sich nur, um die Bildung der Prosenchymzellen aus dem Cambium zu erklären, die sich wie in einem grossen Intercellularraum, plötzlich und gleich- zeitig in ihrer definitiven Grösse aus der organisirbaren Flüssigkeit abscheiden sollen. So bezieht sich auch nur auf die später so- senannte endogene Zellenzeugung, was Schleiden über die Ent- wicklung der Zelle aussagt: die Absonderung zuerst der Kern- körperchen und um diese der allmählich wachsenden Kerne aus dem feinkörnigen Inhalt der Mutterzelle, sodann die einseitige, uhrglasförmige Erhebung der Zellmembran von dem Kern und ihre allmähliche Erweiterung, woraus die wandständige Lage des Kerns sich erklärt. Den Kern nennt Schleiden Cytoblast, Bildner der 1) Manifestation en P’honneur de Mr. le professeur Th. Schwann. Liege 1878. p. 51. 2) Beiträge zur Phytogenesis. S. 137. XXXI Zelle, aus dem doppelten Grunde, weil er der Entwicklung der Zelle vorangeht und weil er in der Regel mit der vollendeten Entwicklung schwindet, mit derselben also seine Aufgabe erfüllt zu haben scheint. In der Thierphysiologie hatte das Dogma von der Entwick- Jung des Festen aus dem Flüssigen zu tiefe Wurzeln geschlagen, als dass ein Zweifel an der freien Zellenbildung hätte Platz greifen können. Von dem Ei glaubte man zu wissen, dass das Keim- bläschen seinen Inhalt erst an den Dotter abgegeben haben müsse, bevor der Aufbau des Embryo seinen Anfang nehme. Unter den physiologischen Nahrungssäften und den pathologischen Exsudaten stellte man sich um so bestimmter reine Flüssigkeiten vor, je mehr die eben aufgefundenen Gesetze der Endosmose die Ueberzeugung von der Impermeabilität thierischer Membranen für feste Moleküle bestärkt hatten. Die Berichte, welche Schwann aus verschiedenen Stadien seiner Untersuchungen vorläufig publieirte !), zeigen uns den Ent- wicklungsgang seiner Ideen. Den Mittelpunkt der ersten Mitthei- lung bilden Beobachtungen über das Gewebe der Chorda und der Kiemenknorpel der Larve von Pelobates fuseus. Die oben er- wähnten Befunde Joh. Müller’s an der Chorda der Fische führten ihn auf dies Object und keines konnte damals geeigneter sein, die Harmonie thierischer und pflanzlicher Zellenbildung zu er- weisen, da auch das Knorpelgewebe das Bild in einander ein- geschachtelter Zellen darbot. Am bebrüteten Hühnerei constatirt er die Zusammensetzung der Keimblätter aus epithel-artigen Zellen, und auf diese Thatsache, zusammengehalten mit der Kernzellen- Natur der Blutkörperchen baut er den Schluss, dass die Grund- lage aller spätern Organe aus Zellen zusammengesetzt sei. Er hat Aussicht, dies für das Drüsen-, Nerven- und Muskelgewebe durch- zuführen, ist aber einstweilen noch darauf gefasst, dass die Ana- logie des pflanzlichen und thierischen Wachsthums auf einzelne Gewebe beschränkt bleibe. Schon bei dieser ersten Gelegenheit konnte Schwann verkünden, dass sein Entwicklungsprineip für pathologische Neubildungen ebenfalls gelte und dass Joh. Müller am Enchondrom und andern Geschwülsten die zellige Structur und die Entstehung von Zellen in Zellen bestätigt habe. 1) Froriep’s Neue Notizen. Bd. V. Nr. 3. Jan. Bd. V. Nr. 15. Febr. Bd. VI. Nr. 2. April 1838. XXXU Die zweite Mittheilung bezieht sich auf Untersuchungen an Embryonen höherer Thiere, insbesondre von Schweinen. An den embryonalen Horngeweben, Klauen und Federn, wird die Zusam- mensetzung aus polygonalen Kernzellen, an der Linse des Embryo die Verlängerung der Zellen in Fasern nachgewiesen. Am aus- führlichsten wird die Entwicklung des Bindegewebes behandelt und zwar im Sinne freier Zellenbildung. In einer gallertartigen structurlosen Masse entstehn die kleinen, kugligen, körnigen Kern- zellen, die allmählich Cylinderform annehmen und nach zwei ent- gegengesetzten oder nach mehreren Richtungen sich verlängern. Muskelbündel und Nervenfasern lässt der Autor aus aneinander- gereihten und in einander sich Öffnenden Zellen hervorgehn, die Capillarnetze aus in einander mündenden Fortsätzen sternförmiger Zellen. Die Frage nach der Herkunft der Zellen ist in den Hinter- srund getreten. Auch die dritte Abhandlung enthält nur noch Einzelheiten bezüglich der Umwandlung der Zellen in die reifen Gewebe, so wie die Entdeckung des Kerns in der Wand der Fett- zellen. Sie kündigt das Erscheinen einer besondern Schrift an, in welcher die Thatsachen ausführlich und systematisch vorgetra- gen werden sollen. Diese Schrift !), deren Vorrede vom März 1839 datirt ist, zer- fällt nach einer Einleitung, welche Schleiden’s Beobachtungen wieder giebt, in folgende drei Abschnitte: 1. über die Structur und das Wachsthum der Chorda dorsalis und der Knorpel. 2. Ueber die Zellen als Grundlage aller Gewebe des thierischen Körpers. 3. Rückblick auf die vorige Untersuchung; der Zellenbildungs- process; Theorie der Zellen. Die Uebersicht des Inhalts zeigt, dass Schwann auch noch in diesem Werke den Hauptaccent auf die Vergleichung des Knorpelgewebes mit dem pflanzlichen legt. Wenn es zu beweisen gelänge, dass die meisten oder alle thie- rischen Gewebe sich aus Zellen entwickeln, so würde, wie er meint?), die Analogie dieser Zellen mit den Elementarzellen der Pflanzen höchst wahrscheinlich; sie werde aber dadurch ge- wiss, dass für ein einzelnes Gewebe im Detail die Uebereinstim- mung seiner Zellen mit den Pflanzenzellen nachgewiesen sei. 1) Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung in der Structur und dem Wachsthum der Thiere und Pflanzen. Berlin 1839. 4 Taf. 2) aM. 0, 8. 39, XXX Der zweite Abschnitt bespricht demnach die Gewebe, bei denen dies Detail nicht nachgewiesen ist und zwar in zwei Ab- theilungen das Ei mit der Keimhaut und die bleibenden Gewebe. Die Zusammensetzung des Dotters aus zellenähnlichen Kugeln, der Keimhaut aus wirklichen Kernzell en wird in der ersten Abtheilung - genauer beschrieben. In der zweiten ordnet der Verf. die Gewebe des Erwachsenen in 5 Klassen. Die erste umfasst die isolirten selbständigen Zellen (der thierischen Flüssigkeiten), die zweite die zu zusammenhängenden Geweben vereinigten selbständigen Zellen (Horngewebe, Pigment, Krystalllinse). In der dritten stehn Gewebe, deren Zellenwände untereinander oder mit der Intereellularsubstanz verschmolzen sind (Knorpel, Knochen, Zähne), in der vierten Gewebe, die aus Zellen entstehn, welche sich in Faserbündel theilen (Binde- und elastisches Gewebe), in der fünften endlich Gewebe, deren Wände und Höhlen mit einander verschmelzen (Muskeln, Nerven, Capillargefässe). Es versteht sich, dass ein System, welches auf die Resultate der ersten Durch- wanderung eines kaum noch betretenen Gebietes, der Histogenie, gebaut war, nicht auf bleibende Geltung Anspruch machen konnte; war doch die Kenntniss der reifen Formen, welche den entwick- lungsgeschichtlichen Untersuchungen hätte die Richtung geben müssen, noch in einem äusserst schwankenden Zustande. Doch halte ich es nicht für meine Aufgabe, auf eine Kritik der Stellung, welche Schwann den einzelnen Geweben anweist, näher einzugehn, da es ja der Histologie noch in diesem Augenblick an einem all- gemein befriedigenden Eintheilungsprineip fehlt. Erwähnt sei nur, was ihr an dauerndem Gewinn auch aus diesem Abschnitt der Schwann’schen Schrift erwuchs, seine Beschreibung des stern- förmigen Pigments (S. 85), der Zusammensetzung des Nagels aus Plättchen (S. 90), der Entwicklung der Federn aus Zellen (S. 93), des zelligen Ursprungs der Linsenfasern (S. 102); seine Entdeckung des Kerns der Schmelzprismen (8. 121), der von der Zahnpulpa ausgehenden, später nach Tomes benannten Zahnfasern (8. 127), der länglichen Kerne in den glatten Muskelfasern und der Kerne in der Axe und in der Scheide der Primitivbündel der gestreiften (S. 166). Die structurlose Scheide der Nervenfasern hatte zwar bereits Prochaska gesehen; zur allgemeinen Anerkennung gelangte sie aber erst durch Schwann (8. 174), der in ihr die Membranen der zur Faser aneinandergereihten primitiven Zellen vermuthete; Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 21. kr XXXIV diese Vermuthung wurde in glänzender Weise bestätigt durch Ranvier’s Schnürringe, die die Nervenfaser in Abtheilungen zer- legen, deren jede mit einem Zellenkern versehen ist. ObSchwann mit seiner Darstellung der Entwicklung des Bindegewebes (S. 133 ff.) im Recht sei, wenn er jede primäre Zelle in ein Bindegewebs- bündel auswachsen lässt, muss noch dahin gestellt bleiben. Nach den Untersuchungen von Kusnetzoff und Öbersteiner!), welche Merkel und ich zu bestätigen hatten ?), geht aus jeder Zelle eine einzige Bindegewebsfibrille hervor; doch fand seitdem die Sehwann’sche Lehre in Boll?) einen Vertheidiger. Die Umsicht und Gewissenhaftigkeit, die wir an Schwann’s experimentellen Untersuchungen zu rühmen hatien, verlässt ihn auch auf dem morphologischen Gebiete nicht, wenn es sich um die Auslegung einer nach seiner Meinung zweifelhaften Thatsache handelt. Man lese nur, wie er sich zu der Frage verhält, ob das Keimbläschen Kern des Eies oder eine junge endogene Zelle sei (S. 49) oder wie er die Bedeutung der plasmatischen Knochen- kanälchen erwägt (S. 115). Aber Vieles schien ihm unzweifel- haft, was im Laufe der Zeiten unhaltbar befunden wurde und während sein Grundsatz, dass alle Gewebe aus Zellen hervorgehn, sich mehr und mehr befestigte, musste sein Begriff von der Zelle, seine Vorstellung von den Umwandlungen der Zellen in die be- sondern Gewebe vielfachen Widerspruch erleiden. Nach drei Richtungen hat die Schwann’sche Zellenlehre ra- dieale Umgestaltungen erfahren. Erstens ergieng es der von ihm zugelassenen, ja an die Spitze gestellten freiwilligen Zeugung der Zellen genau so, wie der freiwilligen Zeugung selbständiger Or- ganismen. Je mehr die Beispiele von Zellenproliferation sich häuften oder auch nur sich zu häufen schienen, desto verdäch- tiger, ich möchte sagen unliebsamer wurde die Theorie der Bil- dung von Zellen aus dem Blastem. Das Blastem oder Cytoblastem ist Schwann so sehr die Hauptsache, dass er über der Betrachtung desselben, welches er der Mutterlauge der krystallisirbaren Stoffe vergleicht, den Gegensatz der spontanen und gleichartigen Zeugung völlig aus dem Auge verliert und keinen Unterschied darin findet, 1) Vgl. meinen Jahresbericht für 1867. S. 38. 2) Ztschrft. für rationelle Mediein. 3. R. Bd. XXXIV. 1869. S. 57. 3) Archiv für mikroskop. Anat. Bd. VII. S. 275. Bd. VIII. >. 28. (1871). XXXV ob der Niederschlag aus dem Blastem innerhalb oder ausserhalb einer Zelle sich ereigne (S. 45). Und wo er nach Schleiden’s Vorgang eine endogene Zellenbildung zugiebt, legt er doch keinen Werth auf ein wesentliches Attribut der Fortpflanzung, die Gleich- artigkeit der Mutter- und Tochterzellen. Nicht einmal von den Knorpelzellen möchte er behaupten, dass die in den ältern er- zeugten jungen Zellen wirklich Knorpelzellen seien (S. 25. 204) und ganz unbedenklich wendet er den Begriff der endogenen Zeu- gung auf alle die Fälle an, wo innerhalb eines aus reihenweise verschmolzenen Zellen gebildeten Schlauchs Elemente, wie Blut- körperehen, Drüsenzellen u. dgl. entstehn sollten, die keine Aehn- lichkeit mit den ursprünglichen Zellen haben. Wie der Glaube an die freiwillige Zellenbildung erschüttert wurde, änderten sich zweitens auch die Ansichten über den Mo- dus der gleichartigen. Schleiden und Schwann kannten nur Eine Art der Zellenproliferation, die endogene, und diese nur so, dass die neuen Zellen klein in der Mutterzelle entstehn und dieselbe erst durch allmähliches Heranwachsen ausfüllen. Schwann war be- reits auf dem Wege zu einer richtigern Anschauung, indem er sich der Beobachtungen von Rusconi und v. Baer!) über die Furchung der Froscheier erinnerte. „Es wäre zu untersuchen“, schreibt er?), „ob nicht die Spaltung des Dotters auch auf einem Zellenbildungs- process beruht, indem sich innerhalb des Dotters zunächst zwei Zellen entwickeln, in jeder derselben wieder zwei neue u. s. f.“. Bald bestand kein Zweifel mehr an der Allgemeinheit dieses, die Entwicklung des Embryo einleitenden Vorgangs; er wurde der endogenen Zellenbildung als Vermehrung der Zellen „durch Thei- lung“ gegenübergestellt und es erhob sich eine eifrige Controverse darüber, ob an der Zerklüftung die Zellmembran durch Bildung von Scheidewänden Antheil nehme, oder nicht. Wie sodann die Theilung der Zellen durch Einschnürung und Halbirung vom Kern- körperchen an, hauptsächlich durch Remak’s und Kölliker’s Ini- tiative, in Aufnahme kam und wie nun auch diese durch den Process der Karyokinese verdrängt zu werden im Begriffe steht, ist allgemein bekannt. Eine tief eingreifende Wandlung erlitt die Schleiden-Schwann- 1) Müller’s Archiv. 1834. S. 481. 2) a. a. 0. 8. 61. XXXVI sche Zellentheorie drittens durch den Umscehwung, der sich in der Beurtheilung der Constitution der Zelle vollzog. Wenn die Zellmembran sich so, wie die beiden Genannten es gesehn haben wollten, von dem Kern abhebt, so ist sie der primäre und phy- siologisch wesentlichste Theil des organischen Atoms, so bestimmt sie, indem sie dureh Intussusception wächst, zugleich den Inhalt der Zelle. Schwann nannte die Kraft eine metabolische, ver- möge welcher die Zelle die Auswahl der Stoffe aus dem Cyto- blastem trifft, und diese Kraft musste an der Zellmembran haften. Mit Nothwendigkeit entsprang aus dieser Vorstellung von der Ent- stehung und dem Wachsthum der Zelle die Annahme, dass sie, wenigstens in ihren primitiven Stadien, ein Bläschen mit flüssigem Inhalt sei und wirklich suchte Sehwann diese ihre Eigenschaft überall direet oder indireet, durch Nachweis der Moleeularbewegung der in der Zelle enthaltenen Körnchen, darzuthun. Heute erkennen wir in den kernhaltigen Bläschen nur Eine und keineswegs die primitive Form der Elementarzellen. Die jüngern Histologen, denen man ein allzupedantisches Eingehn auf die Geschichte ihres Fachs nieht zum Vorwurf machen kann, schreiben die Anbahnung dieser Reform einer Abhandlung von M. Sehultze!) zu. Durch diese Ab- handlung wurde viel mehr das Gros der Zellentheoretiker, als die Zellentheorie reformirt. Schwann selbst tritt zwar unbedingt für das Wachsthum der Zelle vom Kern aus, aber nicht unbedingt für ‘die Consolidirung der äussersten Schichte zur Membran ein; er gibt zu, dass es bei vielen Zellen nicht zur Entwicklung einer evidenten Membran, sondern nur zu einer Verdichtung der ober- flächlichen Lage komme {S$. 209). Auch an die Möglichkeit einer Verschmelzung unvollendeter, d. h. an den Berührungspunkten membranloser Zellen hat er gedacht (S. 219). Schon im Jahre 1841 begann mit Bergmann’s Untersuchungen über die Dotterfurchung?) eine Reaction gegen die Zellmembran und eine neue Auffassung der Zellenbildung, die man später unter dem Namen der „Zellen- bildung um den Inhalt“ genauer formulirt hat. Fast alle entwick- lungsgeschiehtlichen Arbeiten, an der Spitze die von Bischoff und Kölliker, schildern die letzten Producte der Furchung, die Em- 1) Ueber Muskelkörperchen und das, was man eine Zelle zu nennen habe. Müll. Arch. 1861. S. 1. 2) Müll. Arch. S. 92. XXXVI bryonalzellen, die in die Zellen der Keimhaut sich umwandeln, als hüllenlose kernhaltige Klümpchen einer zähen, die Dotter- körnchen zusammenhaltenden Substanz. In meinem Handbuche der allgemeinen Anatomie eitirte ich zahlreiche Beispiele normaler und pathologischer Zellenbildung, in welchen die Membran erst nachträglich oder gar nicht zu Stande kömmt; sie schien über- flüssig bei einer einigermassen festen Consistenz des Zellkörpers und wird erst erforderlich und vielleicht auch dann erst aus- geschieden, wenn das um den Kern gesammelte Blastem sich ver- flüssigt. Ein Fehler war es allerdings, den Namen Zelleninhalt beizubehalten, nachdem der Gegensatz zwischen Hülle und Inhalt aufgegeben war und Schultze that wohl daran, der Gleichartigkeit der Zellsubstanz durch Ausdrücke, wie Protoplasma, Zellleib u. A. gerecht zu werden !). Aber er ging jedenfalls zu weit, wenn er die mit einer äussern Membran versehenen Zellen durchgängig für abgelebte, weiterer Entwicklung unfähige erklärte. Man wird die Zellen im Schwann’schen Sinne nicht aus der Reihe der Elementar- theile der lebenden Organismen streichen dürfen, wenn auch ihre Entwieklung nicht nach dem Schwann’schen Schema vor sich geht. Wie dem sei, durch Missgriffe in der Anwendung des Prin- eips der Zellentheorie auf Einzelheiten kann der Werth des Prin- eips nicht vermindert und das Verdienst des Entdeekers nicht seschmälert werden. Während die Detailkenntnisse, abhängig von der Zuverlässigkeit der Präparationsmethoden, von der Güte der Hülfsmittel und von der Witzigung der Beobachter, langsam und schwankend vorschreiten, danken wir der Theorie die dauernde Frucht, dass wir das Verhältniss der einfachsten zu den compli- eirtesten Organismen, des Keims zum ausgebildeten Geschöpf, der normalen zur krankhaften Bildung richtig verstehn und dass jeder Fortschritt unseres Wissens in dem Einen der organischen Reiche dem andern zu Gute kömmt. Die einschneidendste Metamorphose, welche die Schwann’sche Zellenlehre erlebte, die Beseitigung der 1) Ob es deshalb auch nothwendig sei, die Bezeichnung „Zellen“ zu verbannen und sie etwa, nach Brücke’s Vorschlag durch „Elementarorganis- men“ zu ersetzen, möchte ich verneinen. Es hindert uns nichts, mit dem alten Namen, der das organische Atom repräsentirt, einen neuen Begriff zu verbinden oder vielmehr den ursprünglichen Begriff zu erweitern, indem wir bläschenförmige und solide Körperchen darunter zusammenfassen. XXXVII spontanen Zellenzeugung, vollzog sich ebenso auf unrichtigen Prä- missen. Der Virchow’sche Satz, omnis cellula e cellula, bricht sich Bahn, obschon zum Beweise desselben anfänglich nur von Eiter- körperehen erfüllte Bindegewebslücken herangezogen waren, auf dass das Wort des Dichters sich erfülle: Mit dem Genius steht die Natur in ewigem Bunde, Was dir der Eine verspricht, hält dir der andre gewiss, wenn auch mitunter auf seltsamen Umwegen. Es bleibt noch über den dritten Abschnitt des Schwann’schen Werkes zu berichten, der die Thatsachen zu erklären unternimmt, die, man muss es dem Verf. zugeben, in den beiden ersten Ab- schnitten möglichst objeetiv und möglichst reservirt vorgetragen wurden. Die Erklärungen theilen, wie sich von selbst versteht, das Schicksal der Thatsachen. Man mag sich erfreuen an dem Scharfsinn, mit welchem der Autor Cytoblastem und Mutterlauge, Zellen und Krystalle vergleicht, die Entstehung der Zellen auf die Concentration des Blastems zurückführt und schliesslich die Zellen- bildung als die den imbibirbaren Materien eigenthümliche Kry- stallisationsweise darstellt. Aber mit dem Glauben an die zellen- zeugende Kraft des Blastems fällt auch dies theoretische Gebäude. Seitdem wir Zellen nur als Nachkommen von Zellen entstehn sehn, silt für sie, was wir längst als einen fundamentalen Unterschied zwischen anorganischen und organischen Körpern anerkannt haben, dass nämlich jene in jedem Augenblick neu aus ihren Elementen geschaffen werden können, während diese, die Organismen, sich nur in ungestörter Continuität zu erhalten vermögen und jedes Einzelwesen die Wirkung der Einflüsse, denen die Reihe seiner Vorfahren unterworfen war, zur Schau trägt. Indem Schwann sodann auf die Ursachen eingeht, welche die manchfaltigen Formen der Zellen hervorbringen, kömmt er, nach einigen Versuchen mechanischer Erklärung, wie z. B. der platten und polygonalen Formen durch gegenseitigen Druck, doch sehr bald zu dem Ausspruch, dass die Kraft, welche überhaupt das Wachsthum der Zellen bewirkt, auch den gleichmässigen oder ungleichmässigen Ansatz der neuen Moleküle zu veranlassen im XXXIX Stande sei!). Und so handelte es sich zuletzt um diese Kraft, d.h. um das in organischen Körpern thätige Princip, das zu jener Zeit noch unter dem Namen Lebenskraft umging. Die zum Monismus vorgeschrittenen Anhänger der Descen- denzlehre lieben es, Schwann als einen der Ihrigen zu preisen und sich auf seine Auffassung der Lebensthätigkeit zu berufen, mit einem gewissen Anschein von Recht. Bei der Untersuchung der „Grundkräfte der Organismen“ stellt sich der Begründer der Zellenlehre vor die Alternative zwischen zwei Ansichten, die er als teleologische und physikalische characterisirt. Die teleo- logische nehme an, dass jedem Organismus eine Kraft zu Grunde liege, die ihn nach einer ihr vorschwebenden Idee forme; nach der physikalischen Ansicht wirken in der organischen Welt, wie in der anorganischen, die Kräfte durchaus nach Gesetzen der Nothwendigkeit, blind und ohne Rücksicht auf einen Zweck; sie seien ebenso mit der Existenz der Materie gesetzt, wie die physi- kalischen Kräfte und kämen nur deshalb in der anorganischen Natur nicht vor, weil in dieser die Combinationen der Moleküle fehlen, an welchen die Kräfte haften. Schwann entscheidet sich für die letztere Alternative; in Folge davon musste er am Schlusse seines Werks die Erklärung der speeifischen Zellenformen, die ihm anfangs genügt hatte, aufgeben. „Die Zelle“, heisst es auf Seite 45, „einmal gebildet, wächst durch ihre individuelle Kraft fort, wird aber dabei durch den Einfluss des ganzen Organismus so geleitet, wie es der Plan des Ganzen erfordert“. Ein Einfluss des Plans des Ganzen auf die Entwicklung der Theile findet in der physikalischen Naturbetrachtung keine Stelle. So nimmt Schwann diese Anschauung geradezu zurück, indem er S. 228 sagt: „Der Grund der Ernährung und des Wachsthums liegt nicht in dem Organismus als Ganzem, sondern in den einzelnen Elementar- theilen, den Zellen“. An dem Ei und an den zu weiterer Ent- wicklung nach der Abtrennung befähigten Zellen niederer Pflanzen lasse sich das selbständige Leben unmittelbar nachweisen. Wenn nicht jede einzelne Zelle nach der Lösung vom Organismus weiter wachse, so sei dies ebenso wenig ein Einwurf gegen ihre Selb- ständigkeit, als es ein Einwurf gegen das selbständige Leben einer Biene ist, wenn sie getrennt von ihrem Schwarm auf die Dauer 1)2.2:20! 84217. XL nicht fortbestehn kann. Die Aeusserung der der Zelle inwohnen- den Kraft hänge eben von Bedingungen ab, die ihr nur im Zu- sammenhang mit dem Ganzen geliefert werden. Wir begegnen keinem Versuch, diese Bedingungen irgendwie zu formuliren. Um nichts verloren gehn zu lassen, was ein so eminenter Kopf zur physikalischen Erklärung der Erscheinungen des organi- schen Lebens erdacht hat, schalte ich hier aus einer spätern, wenig bekannten Schrift unsers Verfassers!) die Hypothese ein, durch welche er begreiflich zu machen sucht, warum organische Wesen des Stoffwechsels bedürfen. Er erinnert an die zahlrei- chen Erscheinungen, welche beweisen, dass Moleküle im Moment der Befreiung aus einer Lösung oder Verbindung (im Status nas- cens) viel wirksamere Eigenschaften besitzen, als nach Herstel- lung des chemischen Gleichgewichts und meint, dass die Funetio- nen des Nerven- und Muskelsystems eine Beweglichkeit der Mole- küle erfordern, deren vielleicht nur die frisch abgelagerten fähig seien. So weit stimmt Schwann’s Monismus mit dem modernen über- ein. Was ihn von demselben unterscheidet, ist schon das sehr wesentliche Zugeständniss (S. 226), dass unter der physicalischen Erklärung der organischen Erscheinungen nicht nothwendig eine Erklärung durch die bekannten physikalischen Kräfte zu verstehen sei, sondern überhaupt eine Erklärung durch Kräfte, die nach strengen Gesetzen der blinden Nothwendigkeit, wie die physicali- schen Kräfte wirken, mögen diese Kräfte auch in der anorgani- schen Natur auftreten, oder nicht. Hierbei möge man sich erin- nern, welche Art organischer und namentlich medieinischer Teleo- logie es war, deren Beseitigung Schwann sich angelegen sein liess. Noch herrschten in Physiologie und Pathologie die Ideen van Helmont’s und Stahl’s, wonach die Reactionen organischer Körper von einem Wesen geleitet werden sollten, das spontan und ver- nünftig den Organismus, den es bewohnt, gegen die Aussenwelt vertheidigen sollte. Schwann führt selbst als ein Beispiel dieser nicht zu duldenden Teleologie die dazumal landläufigen Theorien an, welehe Entzündung und Fieber von dem „Bestreben“ des Or- ganismus, eine Schädlichkeit los zu werden, herleiteten. Diese 1) Anatomie du corps humain. Bruxelles. Soci6te pour l’emaneipation intellectuelle. s. a. (erschien 1855). p. 88. XLI mythische, anthropomorphistische Teleologie, welche Absichten für Ursachen verkauft und dadurch den Blick von den Ursachen ab- lenkt, bekämpften wir gemeinschaftlich und, wie ich heute sagen darf, mit Glück. Aber einer Teleologie in dem Sinne, in wel- chem ich die „Idee der Gattung“ zu Hülfe nahm und v. Baer das Wort „Zielstrebigkeit“ empfahl, würde Schwann sich schwerlich widersetzt haben; er hätte auch nach der Forderung, die er in dem eben angezogenen Satze an eine physicalische Erklärung stellt, kein Recht dazu gehabt. Denn nach diesem Begriff ist die Kraft, die den Organismus baut und ihm sein räumliches und zeitliches Ziel steckt, zwar mit keiner der anorganischen Natur- kräfte identisch, aber doch eine Kraft, die „nach strengen Ge- setzen der blinden Nothwendigkeit“ wirkt und gegen äussere Ein- flüsse reagirt. Noch im Jahre 1867, in dem Bericht über eine Abhandlung Husson’s, welche experimentell den Einfluss kiesel- saurer Salze auf die thierische Oekonomie untersucht!), äussert Schwann zwar seine Freude über die Fortschritte, welche die von ihm inaugurirte Behandlung physiologischer Fragen gemacht habe, ist aber weit entfernt zu behaupten, dass sich alle Lebenserschei- nungen ausschliesslich aus den Gesetzen der Physik und Chemie erklären. Die physikalische Methode soll nur dahin führen, mit Sicherheit den Punkt zu bestimmen, an welchem eine andere Er- klärungsweise einzutreten habe. Aber um treu die in der Zellenlehre ausgesprochene Weltan- schauung wiederzugeben, muss ich die Kluft zwischen ihr und dem Monismus noch erweitern. Schwann war in Folge seiner Er- ziehung und der Umgebung, in welcher er aufgewachsen war, strenggläubiger Katholik; er war es in dem Maasse, dass die Con- sequenzen, welche die Durchführung der Zellentheorie ergaben, ihn anfänglich beunruhigten. Freiwillig unterwarf er sein Werk, an welches er zur Zeit seiner Berufung nach Löwen die letzte Hand legte, der Begutachtung des Erzbischofs von Mecheln, der glücklicher Weise gegen die Selbständigkeit der Zellen nichts ein- zuwenden fand. Man wird fragen, wie mit der Entgötterung der Natur, der Verläugnung eines immateriellen Prineips in der or- ganischen Schöpfung der fromme Glaube sich vertragen habe. Die Antwort, so weit die „mikroskopischen Untersuchungen“ sie 1) Bulletins de l’acad. royale de Belgique. T. XXIV, p. 103. XLII enthalten, findet sich in folgendem Ausspruch (8. 222): Der Grund der Zweckmässigkeit des Organismus liegt nicht darin, dass jeder Organismus durch eine individuelle, nach einem Zweck wirkende Kraft hervorgebracht wird; sondern er liegt darin, wo- rin auch der Grund der Zweckmässigkeit in der anorganischen Natur liegt, in der Schöpfung der Materie mit ihren blinden Kräf- ten durch ein vernünftiges Wesen.“ Der Gegensatz zwischen dieser Ansicht und derjenigen Teleologie, welche heute noch Anhänger zählt, lässt sich so definiren: die moderne Teleologie betrachtet die Kraft, vermöge welcher der Entwieklungsplan verwirklicht wird, als ein Attribut materieller Wesen, welche jene Kraft durch die Zeugung von Generation zu Generation übertragen; die Schwann’sche Weltanschauung denkt sich alle diese speeifischen Entwicklungspläne und die Macht, dieselben auszuführen, in der Hand eines immateriellen Schöpfers vereinigt, der zugleich der Schöpfer des Himmels und der Erde ist. Dem populären Bedürf- niss, das nie aufhören wird, Aufklärung über Ursprung und Zweck des Weltganzen zu verlangen, mag diese Deutung, die mit der allgemeinsten Grundlage aller Religionen übereinstimmt, mehr entsprechen; vom Standpunkte der Naturwissenschaft, der die Ewigkeit der Materie ebenso unfasslich ist, wie die Erschaffung derselben, müsste, wie mich dünkt, die teleologische Ansicht, die nur eine Thatsache ausspricht, annehmbarer erscheinen, als die religiöse, die ein Glaubensartikel oder eine Hypothese ist. Als Vertreter des entschiedensten Dualismus lernen wir Schwann in der oben erwähnten populären Anatomie!), in einem am 4. Juni 1570 in der Academie gehaltenen Vortrag?) und in der Rede kennen, mit der er die bei seinem Jubiläum gespendeten Glückwünsche beantwortete®). In dem Menschen allein erkennt er ein Prineip an, das sich vor allen Kräften der Materie durch seine Freiheit auszeichne. Die Verbindung dieses freien Prineips mit der Gehirnsubstanz hat zur Folge, nicht nur die von der Aussenwelt stammenden Erregungen zu modifieiren, sondern auch seine eigene Thätigkeit zu bestimmen und dadurch mittelst der Nerven auf die Muskeln zu wirken. So ist dies Princip im Stande, 1) p. 38. 48. 84. 2) Bulletins de l’acad&mie royale des sciences. 2e ser. T. XXIX. p. 685. 3) Manifestation p. 53. XLIH Bewegungen hervorzurufen, die nicht, wie bei dem Thier, eine noth- wendige Folge eines durch eine ununterbrochene Kette von Ur- sachen und Wirkungen empfangenen Eindrucks sind, sondern durch das immaterielle Prineip angeregt, gewissermassen erschaf- fen werden. In dem academischen Vortrag, mit welchemSchwann die Interpellation von d’Omalius d’Halloy, eines Vertheidigers der Teleologie imSinne der Zielstrebigkeit, beantwortet,sprichtSchwann sich zwar gegen die Existenz einer quasi-intelligenten Kraft aus, die ohne Bewusstsein wirke, aber auch ebenso bestimmt gegen die neuere Theorie der untrennbaren Verbindung von Kraft und Ma- terie. Die Theorie beruhe auf einem in den Naturwissenschaften nur zu gewöhnlichen Fehler der Methode, auf der ungerechtfer- tigten Uebertragung eines Prineips, das von einer grossen Zahl von Fällen abstrahirt sei, auf alle Fälle. Das Prineip der Ver- bindung von Kraft und Materie gründe sich auf Thatsachen, denen der Charakter der Freiheit fehle und dürfe nicht auf Thatsachen ausgedehnt werden, die das Dasein freier Kräfte beweisen. Für solche freie Kräfte zeugen innere Vorgänge, Vorgänge des Be- wusstseins; wir erfahren in jedem Moment, dass wir alle Eigen- schaften besitzen, die von der Freiheit unzertrennlich sind, wie vor Allem das Selbstbewusstsein und diese inneren unmittelbaren Erfahrungen haben mindestens dieselbe Gewissheit, wie die Er- fahrungen von den Aussendingen, die durch Werkzeuge, durch Vermittlung der Sinne, gewonnen werden. Mit den „Mikroskopischen Untersuchungen“ endet Sch wann’s literarische Thätigkeit auf deutschem Boden, ja fast seine lite- rarische Thätigkeit überhaupt. Wenn man seinen Lebensgang mit Rücksicht auf Produetivität betrachtet, so steht man verwundert vor der Thatsache, dass ein Schriftsteller, der in den ersten fünf Jahren seiner Laufbahn die Welt mit einer Anzahl von Arbeiten aus verschiedenen Gebieten beschenkt, deren jede zu den höchsten Erwartungen nicht berechtigt, sondern sie erfüllt, dass ein solcher Schriftsteller die folgenden vierzig Jahre seines Daseins in bei- nahe vollständiger Zurückgezogenheit verbringt. Schickt es sich, den Gründen dieser eigenthümlichen Erscheinung nachzuspüren ? Gewiss nicht, um Stoff zu einem Tadel oder einer Klage zu finden. Denn es wäre undankbar, von einem Menschenleben mehr zu ver- XLIV langen, als das seinige in der kurzen Zeit seiner Publieationen dem Fortschritte der Wissenschaft geleistet hat. Und wenn er sich in Berlin die Freiheit des Privatgelehrten zu Nutze machte, warum hätte er nicht in Belgien in seiner amtlichen Thätigkeit aufgehn dürfen? Dass er sich mit ganzer Seele dem Lehrerberuf widmete, die experimentelle Methode nicht nur in seine Vorlesungen ein- führte, sondern auch beständig mit der Prüfung der Neuerungen beschäftigt war, bezeugen seine Schüler und Collegen und seine zum Theil sehr eingehenden Referate an die Brüsseler Akademie der Wissenschaften '). Nicht um anzuklagen, auch nicht um zu entschuldigen, son- dern im rein psychologischen Interesse suchen wir uns die Ver- hältnisse zu vergegenwärtigen, die unsern Helden veranlassten, von der Bühne zurückzutreten, auf welcher er so unerhörte Er- folge errungen hatte. Man hat dafür wohl den Mangel eines genü- genden Instituts, den Mangel an Anregung in der fremden Um- gebung verantwortlich gemacht. Dies trifft nieht zu bei einem Manne, der Jahre lang gewohnt war, sein Laboratorium im engsten Wohnraum aufzuschlagen und der bis dahin seiner Um- gebung sicherlich mehr Anregung mitgetheilt, als von ihr em- pfangen hatte. Einem äussern Umstand lässt sich allerdings das anfängliche Verstummen in dem neuen Wirkungskreise zuschrei- ben. Sehwann betrat denselben mit dem Grade von Fertigkeit im Gebrauch der französischen Sprache, den die Gymnasialbildung damals gewährte und noch heute gewährt. Es blieb ihm deshalb nichts übrig, als seine Collegien deutsch auszuarbeiten, mit Hülfe eines Landeskindes in’s Französische zu übersetzen und dann mehr oder weniger frei vorzutragen. Dass damit und mit dem Einleben in die systematische Anatomie die ersten Jahre ziem- lich ausgefüllt waren, ist leicht zu begreifen. Als er dann sich wieder freier zu bewegen im Stande war, hatte bereits die allge- meine ‘Anatomie und mit ihr die Zellentheorie die wechselvolle Gestalt angenommen, in der sie sich bis auf den heutigen Tag 1) Ein Verzeichniss dieser Referate, die sich über alle Zweige der naturwissenschaftlichen und medieinischen Studien verbreiten, findet sich im Anhang. Ich habe aber in dasselbe nur die Urtheile aufgenommen, in welchen Schwann als Verfasser des Berichts auftritt, während er noch in vielen andern Fällen, namentlich in den letzten Jahren neben Van Beneden, die mit dem Bericht beauftragte Commission bilden half. XLV bewegt. Joh. Müller hatte sich von ihr abgewandt, weil, wie er sich einmal mündlich gegen mich äusserte, „Jeder mitsprechen wollte“. Reichert’s Angriff gegen die fasrige Structur des Binde- gewebes hatte die langwierige Bindegewebs-Controverse eröffnet, die, wie ich aus Hartmann’s Handbuch der Anatomie zu meinem Leidwesen ersehe, für die Berliner Schule auch jetzt noch nicht ganz beendet scheint. Die Entwickelung der Gewebe war Gegen- stand eifrigster Forschung geworden, aber auch nicht das kleinste Detail derselben war unbestritten. Kann man es dem Manne, auf dessen, um mit Plat en zu reden, junge noch glatte Stirn der Schat- ten eines unverwelklichen Lorberblattes fiel, verdenken, dass er es verschmähte, sich in den heftigen Kampf der Histologen um ihre offenbar sehr verwelklichen Lorberen zu mischen? Noch Einen Punkt glaube ich erwähnen zu dürfen. Wie ich schon oben andeutete, so war Schwann durch Neigung, vielleicht auch durch die Art seiner geistigen Anlage mehr auf die physio- logischen, als auf die anatomischen Diseiplinen angewiesen. Auch während er die anatomische Professur versah, blieb sein Sinn auf das physiologische Experiment gerichtet und die erste und einzige grössere Arbeit, die während seines Aufenthaltes in Löwen im die Oeffentlichkeit gelangte, war eine experimentelle, „Versuche, um auszumitteln, ob die Galle im Organismus eine für das Leben wesentliche Rolle spielt“!). Sie ist seines Genius vollkommen würdig. Vor ihm hatten Tiedemann und Gmelin und viele An- dere, um den Antheil der Galle an dem Verdauungsprocess kennen zu lernen, durch Unterbindung des Gallengangs die Galle vom Duodenum ausgeschlossen, damit aber nur sehr zweifelhafte Re- sultate erzielt, weil der Versuch in hohem Grade unrein war. Die Complication, die er dadurch erfuhr, dass die Galle in der Leber, die Gallenbestandtheile im Blut zurückgehalten wurden, machten es unmöglich, die Folgen des Mangels derselben im Darmkanal zu ermessen. Dies störende Moment beseitigte Sehwann dadureh, dass er zugleich mit der Verschliessung des Duetus choledochus eine Gallenblasenfistel anlegte, durch welche die abgesonderte Galle sich nach aussen entleeren konnte. Wenn danach, so schloss er, das Leben sich erhält, so ist der rein exerementitielle Character 1) Müller’s Archiv 1844. S. 127. Nouv. me&moires de l’acad. roy. de Belgique. T. XVII. XLVI der Galle unzweifelhaft bewiesen, führt dagegen der Versuch, auf diese Weise ausgeführt, zum Tode, wobei natürlich von den un- mittelbaren Folgen der Operation abzusehn ist, so lässt sich schliessen, dass die Leber vermittelst ihres Secrets neben der Auf- gabe, das Blut von gewissen Auswurfsstoffen zu befreien, noch andern Zwecken im Organismus dient. Zahlreiche, an Hunden an- gestellte Experimente sprachen für die Unentbehrlichkeit der Galle. Die operirten Thiere fiengen alsbald an abzumagern und starben nach 2—3 Wochen an Erschöpfung. Eine zweite Reihe von Ver- suchen, über welche Schwann brieflich an R. Wagner berichtet !), wurde unternommen, um eine Fehlerquelle zu beseitigen, welche in die erste Reihe vielfach störend eingegriffen hatte, die Neigung der Gallenblasenfistel, sich zu schliessen, wodurch der Ausfluss der Galle gehemmt, die Seeretion selbst beeinträchtigt wurde. Durch Einlegen einer Canüle wurde diesem Uebelstande abgeholfen. Aber auch so erreichten die Thiere ihr früheres Gewicht nicht wieder und starben, wenn auch nach viel längern Zeiträumen. Am Schlusse seiner Abhandlung zeichnet Schwann die nun- mehr einzuschlagenden Wege vor, um zu erfahren, ob die Galle im Darm zur Auflösung von Nahrungsstoffen oder zur Umwand- lung aufgelöster Nahrungsstoffe diene oder ob sie ihre Wirkung erst nach der Resorption aus dem Darm in der Lymphe oder im Blute äussere. Die Vorschläge kamen nicht zur Ausführung und die Angelegenheit wurde sehr verwickelt, als die unter der Lei- tung von Bidder und Sehmidt angestellten Versuche?) ergaben, dass durch reichlichere Nahrung der Schaden, den die Ableitung der Galle nach aussen stiftet, ausgeglichen werden kann. Ein im Jahre 1843 von Schwann und Quetelet projectirtes, von der Brüsseler Academie begünstigtes Unternehmen ®), welches die periodischen Erscheinungen am menschliehen Körper in gros- sem Maassstabe statistisch festzustellen bezweckte, scheint aus Mangel an Theilnahme der zur Mitwirkung aufgeforderten Corpo- rationen bald wieder untergegangen zu sein. Sch wann's Beiträge, 1) R. Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Bd. III. Abth. 1. 1846 S. 837. 2) Schellbach, de bilis funetione ope fistulae vesicae felleae indagatae. Dorpat 1850. 3) Bulletins de l’acad&mie royale de Bruxelles. T. X. P. 2. p. 10. XLVI Gewichtsbestimmungen einer Anzahl innerer Organe menschlicher Leichen aus verschiedenen Lebensaltern, finden sich in tabellari- scher Form im 16. und 18. Bande der neuen Memoiren der Brüsse- ler Academie (1843 und 1845). Das anatomische Compendium, welches als Theil einer „En- eyelopedie populaire“, von einer Gesellschaft für intelleetuelle Emaneipation herausgegeben, 1855 erschien, zeichnet sich durch verständliche Darstellung der Organe und Functionen des mensch- lichen Körpers aus, würde sich aber für intelleetuelle Emaneipa- tion, wie wir sie heutzutage verstehn, kaum verwerthen lassen. Wenn ich noch einer Mittheilung an die Academie über einen Regen von nicht näher bestimmten Samenkörnern in der Gegend von Heinsberg!) und über abnorme Temperatur-Erhöhung einer Bodenfläche bei Lüttich ?) gedenke, so glaube ich nichts unbeachtet gelassen zu haben, was von Schwann’s naturwissenschaftlichen Beschäftigungen in die Oeffentlichkeit trat. Zu diesen Beschäf- tigungen steht die letzte seiner Publicationen 3) nur in entfernter Beziehung; es ist ein Protest gegen einen frommen Betrug, zu welchem sein angesehener Name missbraucht werden sollte. Die Geschichte der Luise Lateau in Bois d’ Haine ist bekannt. Nach- dem sie durch die an ihren Händen und Füssen hervorgetretenen Wundenmale und durch ihre ekstatischen Zustände und Visionen fast ein Jahr lang die Aufmerksamkeit der Bevölkerung in Athem gehalten hatte, erhielt Schwann die Aufforderung, einer Commis- sion beizuwohnen, die zu prüfen beauftragt war, ob die Erschei- nungen zur Annahme eines übernatürlichen Einflusses nöthigten. Scehwann gewann die Ueberzeugung, dass dies nicht der Fall sei und sprach sich den geistlichen Herrn gegenüber unumwunden in diesem Sinne aus. Da musste er es erleben, dass alsbald in den belgischen Blättern und, trotz seiner sofortigen Gegenerklärung, wiederholt in spätern Schriften ihm Worte in den Mund gelegt wurden, die eine Anerkennung des Wunders enthielten. Die er- wähnte Broschüre legt die Schritte dar, welche der Verf. vom 1) Sur des graines tombees de l’air dans la Prusse rhenane. Bulletins de P’acad. roy. de Belgique. T. XIX. P. 2. p. 5. 1852. 2) Ebendas. 3e serie. T. III. p. 6. 1857. 3) Mein Gutachten über die Versuche, die an der stigmatisirten Luise Lateau am 26. März 1869 angestellt wurden. Köln und Neuss 1875. XLVII Jahre 1869 an mit wachsender Energie, aber stets gleicher Erfolg- losigkeit unternahm, um die gegen ihn verbündeten Zeugen zur Zurücknahme ihrer falschen Aussagen zu vermögen. Schwann war durch die Weltanschauung, die er sich gebildet hatte, nicht ver- hindert, an moderne Wunder zu glauben. Aber er war ein Mann von Grundsätzen und wie er im Reiche der Organismen besondere Kräfte nur da anzunehmen gestattete, wo die bekannten physi- kalisch-chemischen zur Erklärung nicht genügten, so auch verbot ihm sein. Gewissen, an ein überirdisches Eingreifen zu glauben, bevor nicht jede Möglichkeit ausgeschlossen war, die Erscheinungen auf naturgesetzlichem Wege zu verstehn. Betrachten wir den Eifer, mit dem der sonst so milde Character den geistlichen Würden- trägern entgegentritt, um die Welt vor einer Täuschung zu behüten, so gewahren wir zu unserer freudigen Genugthuung, dass ihm noch höher als der Gott seiner Kirchenfürsten die Göttin stand, der sein Leben geweiht war, die Wahrheit. Anhang. Verzeichniss der von Schwann in den Bulletin’s der belgischen Akademie der Wissenschaften erstatteten Rapports. 1843 (T. X. P. 2. p. 123). In Verbindung mit Dumortier über eine Ab- handlung Guillot’s, Anatomie der Nervencentren in den 4 Classen der Wirbelthiere. 1847 (T. XIV. P. 2). Poelman, Verdauungsapparat des python bivittatus. 1853 (T. XX. P. 3). Bericht über zwei Preisschriften, von Udekem über den Regenwurm und von Lieberkühn über die Gregarinen. 1857 (T. XXIV. P. 3). Rameaux, des lois suivant lesquelles les dimensions du corps dans certaines classes d’animaux döterminent la capacite et les mouvements fonctionels des poumons et du coeur. 1860 (T. XXIX). v. Beneden, Embryologie der Crustaceen. 1862 (2e ser. T. XIV). Preisschrift von Cohnheim, den Muskeltonus be- treffend. 1864 (T. XVII) mit Gluge über Melsens Empfehlung des Jodkalium gegen Blei- und Quecksilberkrankheiten. 1865 (T. XIX). Boddaert, Histologie des Rückenmarks. (T. XX) Mit Poel- man über Plateau, von der Muskelkraft der Insecten. 1867 1868 XLIX (T. XXIV). Husson, Einfluss der kieselsauren Salze auf den Organis- mus. Masius, Centrum anospinale. (T. XXV). Van Beneden, über die Gattung Dactycotylus und das Ei der Trematoden. ; Grandry, über die Structur des Axencylinders und der Nervenzellen. Masius, über die Innervation der Sphincteren des Afters und der Blase. (T. XXVD. Van Beneden’s Beantwortung der Preisaufgabe über den anatomischen Bau, die Bildung und Bedeutung der einzelnen Theile des Eies verschiedener Thierklassen. van Beneden und Bessels, über die Bildung des Blastoderm bei Amphi- poden, Lernäen und Copepoden. (T. XXVIN). Masius und Vanlair, über die anatomische und functio- nelle Regeneration des Rückenmarks. Van Beneden, über die Entwicklung des Asellus aquaticus. ” über eine neue Gregarinenart. (T. XXX). v. Bambeke, Grübchen an der Oberfläche des Dotters be- fruchteter Amphibieneier. Plateau, Wirkung des Seewassers auf Süsswasser-Insecten. (T. XXXIV) mit Plateau: Delboeuf, über das Maass der Empfindungen, insbesondere der Empfindungen des Lichts und der Ermüdung. F. Plateau, physicalisch-chemische Untersuchungen über die im Wasser lebenden Gliederthiere (Sauerstoffbedürfniss, Resistenz gegen Kälte). (T. XXXV]). Nuel, electrische Erscheinungen am Herzen. (T. XXXVII. Putzeys, über die Centren der vasomotorischen Nerven. (T. XLI). Putzeys und Swaen, physiolog. Wirkung des schwefelsauern Guanidins. (T. XLII). Putzeys, über einige neue Anaesthetica (Bromures d’ethyle, de propyle et d’amyle). Chandelon, Einfluss des Blutstroms und der Nerven auf den Glycogen- gehalt der Muskeln. (T. XLIV). Fredericeq, über die Gerinnung des Bluts. (T. XLV). Putzeys und Swaen, über die Function des N. vagus beim Frosch. “(T. XLVI). Frederieg, Verdauung der Eiweisskörper bei Wirbellosen. (T. XLVII). Ders., das Blut des Krebses. „ mit v. Bambeke über Schleicher’s Zelltheilung im Knorpel. (T. XLVIII) mit Van Beneden über Masquelin und Swaen, Entwick- lung der Placenta des Kaninchen. a Kr - ee; N ANNE Art erg i s re tee il ’ | eharatı Iuma el luaehanel: TTTETT TEE er ihn’, A ‚ 2; | r Ir TI er | ler? Zub Ka anlaıar/ Maag rl Dr gun sul hu la Ar; nr ri ut ul wi vcf en Rn” Pi ah Hate hg EU EN ‘ ling. Urmlch ' ey” ser. ze alt LE EREUEIEG, x | } BARS N ee N RED rt 4 RT AN Verne Ü Er - 5 he kan rien li in an ut we ala Sein ee PO iR la AS A) uulda tal, ib wid . a 9, I. Kane urn} IrEIe u all m Te er a Ai N RER a : N Ban DR, Hin AN ee ee we iii ci $ E entlang ar eu eu ar im YA ‚ae bei ud Dun ui. ob ne kl: von auf Til Aa TITTTIRT Fe! 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Diese Erscheinung bildet in den 4 niederen Thierklassen eine sehr seltene Ausnahme, eine so seltene, dass wir in der Literatur nur eine kurze Andeutung finden, wonach (ausser dem Aal) noch einige Chelonier Getässe haben sollen ?). Diese Eigenthümlichkeit erscheint um so merk- 'würdiger, wenn wir die von uns bewiesene Thatsache ?) in Erwägung ziehen, dass die Gefässe sogar in die äussere Körner- schicht dringen, was auch Kühne und Sewall*) festgestellt haben. In neuester Zeit bemühte sich W. Krause?’), diese Angabe zu 1) W. Krause. DieMembrana fenestrata der Retina. Leipzig 1868, p. 28. 2) W. Müller. Ueber die Stammesentwicklung des Sehorgans der Wirbelthiere. Beitrag zur Anatomie und Physiologie als Festgabe an Carl Ludwig. Leipzig 1875, p. 53. 3) Denissenko. Mittheilungen über die Gefässe der Netzhaut der Fische. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 18 und vorläufige Bemerkungen über die Gefässe der Retina der Fische. Medic. Obosrenie. (Maiheft 1880.) 4) Sewall-Kühne. Zur Physiologie des Sehepithels. Untersuch. a. d. physiolog. Institut der Universität Heidelberg. Bd. III, Heft 3 und 4, 1880. 5) W. Krause. Ueber die Retinazapfen der nächtlichen Thiere. Arch. f. mikrosk. Anatomie. Bd. 19, p. 311. Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd, 21, 1 2 Gabriel Denissenko: widerlegen. Er sagt, dass das, was von uns unter dem Namen der äusseren Körnerschicht beschrieben wurde, nichts anderes als der äussere Theil der inneren Körnerschicht sei. Es ist wahr, dass die innere Körnerschieht in der Klasse der Fische in ihrem Bau eine sehr grosse Verschiedenheit darbietet. Man kann sogar behaupten, dass die übrigen Thierklassen zusam- mengenommen kaum eine so grosse Zahl von Variationen der in- neren Körnerschieht darbieten, wie wir sie bei den Fischen finden. Nichtsdestoweniger aber kann diese Schicht von der äusseren Körner- schicht stets und leicht unterschieden werden, sowohl nach ihrem eigenthümlichen Bau, der sie deutlich von der äusseren Körner- schicht trennt, als auch nach jenen Gesetzen, die, wie wir gezeigt!), für das Verhalten der Dicke dieser Schichten zu einander so wie zur Zahl und Grösse der Stäbchen und Zapfen existiren. Darum schien uns die Behauptung Krause's anfangs äusserst originell, nachher aber, nachdem er erklärt, dass er unter dem Namen der äusseren Körnerschicht die Innenglieder der Zapfen und Stäbchen versteht, und dass die Membrana limitans externa sich, seiner An- sicht nach, zwischen den Innengliedern der Zapfen befindet (was in seinen früheren Arbeiten?) nicht so deutlich ausgesprochen wurde), — dann erst wurde uns die Ursache eines solehen Irr- thunıs klar. Nichtsdestoweniger aber wird mit der Aufklärung der Ursache dieses Irrthums die Seltsamkeit der von W. Krause aufgestellten Behauptung nicht verringert, und sind wir in Anbetracht des schweren Vorwurfes, der uns damit gemacht wird, als vermöchten wir die äussere Körnerschieht von der inneren beim Aal nicht zu unterscheiden, zu einer Antwort gezwungen. Wir hatten Gelegenheit, unsere Präparate mehreren Sach- kundigen zu demonstriren: Brücke, Exner, Kölliker, Waldeyer, Claus, sowie auch auf der Ophthalmologen-Versammlung in Heidel- berg dieses Jahres, — und Niemand zweifelte auch im Mindesten, 1) Denissenko. Ueber den Bau der äusseren Körnerschicht der Netzhaut bei den Wirbelthieren. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 19, p. 413, sowie auch Untersuchungen über den Bau der inneren Körnerschicht der Netzhaut. Medizinski Obosrjenije. Moskau 1879, oder Schenk’s Mittheilungen. II. Bd. 1. Heft 1880, p. 12. 2) W. Krause. Die Nervenendigung in der Retina. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 12, 1876. Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. 3 dass die Gefässe in der äusseren Körverschicht liegen und sich bis unmittelbar unter die Membrana limitans externa erstrecken. W. Krause selbst zeichnet die Gefässe in der äusseren Körner- schicht, hält aber diese Körnerschicht für die innere. Wie erklärt sich nun dieser Widerspruch ? Da die Retina des Aales an und für sich ein hohes wissen- schaftliches Interesse hat und in der Literatur eine eingehende Beschreibung ihres Baues noch nicht vorhanden ist, so soll im Nachstehenden eine solche geliefert werden, wobei sich auch heraus- stellen wird, auf wessen Seite der Irrthum zu ünden ist. Die Aalretina stellt eine Membran von eirca 0,50 mm Dicke dar. Von diesem Maasse entfällt auf die Stäbehen- und Zapfen- Schichten: i#n%: he eeo2nm Eigentliche äussere Kör cha auch Era O0 Schieht der Centralfortsätze der Kömer der Stäb- chengundkZaptenf; tl Waltz band, 015, Zvischenkörmersehiecht 44.19. nsleıame rmaıy 3.20 05006° 1, Innerelkömerschicht a ir Na! Erin nl 10,036 Molekularsehicht» .)\.Im.!l. or. i i . 0,050: , Schicht der gangliösen Zellen sammt ide Opkionk faserschicht und der M. l. interna . . . 90157 0% Es ist selbstverständlich, dass diese Schichten an ver- schiedenen Stellen der Retina eine verschiedene Dicke haben, allein die Abnahme der Dicke dieses Organs beginnt allmählich, je mehr man sich dem Corpus eiliare nähert. Die Stäbehen- und Zapfenschicht, die Schicht der so- genannten Sehepithelzellen, nimmt, wie wir sehen, bei diesem Thiere sogar \/s der ganzen Retinadicke ein. M. Schultze!) glaubte, dass beim Aal keine Zapfen vorhanden seien, verneinte die Gegen- wart dieser Elemente auch bei vielen nächtlichen Thieren; die Unter- suchungen vonW.Krause?) zeigten jedoch, dass bei einigen solcher Thiere (Eulen, Maus, Hyäne, Fledermaus ete.) Zapfen vorhanden wären, vom Aal erwähnte er ihr Vorkommen nicht. In unserer vorigen Arbeit) liessen wir nebenbei die Bemerkung fallen, dass 1) M. Schultze. Die Retina. Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben. Leipzig 1872. 2) W. Krause. Die Nervenendigungen in der Retina. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 12, 1876, p. 774. 3) Denissenko. Mittheilungen über die Gefässe der Netzhaut der Fische. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 15 (p. 483 und Fig. 2.5). 4 Gabriel Denissenko: beim genannten Thiere sowohl Stäbchen als auch Zapfen vorhanden seien. Die später erschienene Mittheilung von Sewallund Kühne!) spricht deutlich davon, dass Zapfen bei diesem Thiere in sehr respectabler Menge vorkommen. Schliesslich bekräftigt auch W. Krause?) die Gegenwart von Zapfen beim Aale. Wie bei allen Thieren erscheinen die Zapfen kürzer als die Stäbehen. Die Stäbchen stellen Elemente dar, deren grösster Theil an frischen Präparaten das Licht stark bricht und Purpur enthält (Kühne). Die Dieke des äusseren Gliedes erreicht 0,002 mm; sie ist aber öfters bedeutend kleiner. Das Innenglied hat die Gestalt einer dieken Faser und eine verschiedene Länge. Zwischen beiden Gliedern kann man nicht selten einen dünnen durchsichtigen Streifen bemerken, der diese Theile von einander trennt. Diese Erscheinung tritt deutlicher hervor, wenn die das Innenglied be- kleidende Membran entfernt ist. An Osmiumpräparaten (am besten 1°/s) bemerken wir leicht, sowohl an in Glycerin zerzupften Stücken, als auch an Durch- schnitten, an den Stäbchen 2 Theile, die sich von einander streng unterscheiden (Fig. 3). Der äussere Theil (l), welcher Purpur ent- hält, färbt sich dunkel, ja sogar schwarz, während der andere innere Theil (e) hell und vom äusseren auffallend verschieden er- scheint. Die Dicke dieser beiden Theile erscheint gleich, und dies rührt daher, wie wir an unserer Zeichnung Figur 3 sehen, dass unmittelbar von der Membrana limitans externa angefangen eine Hülle das Korn schalenartig umgiebt, am inneren Gliede em- porsteigt, welches es ziemlich frei umschliesst, um darauf auf das äussere Glied überzugehen. Da das äussere Glied ein aus fester homogener Substanz bestehendes Element darstellt, so kann auch die daran fest haftende Membran nur mit Mühe wahrgenommen werden und dies auch nur bei denjenigen Thieren, welche sehr srosse Stäbehen haben (Salamander etc.)?). Der innere Theil besteht aus einer ungewöhnlich dünnen Faser, die den äusseren Theil des 1) Sewall und W. Kühne. Zur Physiologie des Sehepithels. „Unter- suchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg*. Bd. III, Heft 3 und 4, 1880. 2) W. Krause. Ueber die Retinazapfen der nächtlichen Thiere. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 19, p. 311 und 312. 3) Landolt. Beitrag zur Anatomie der Retina vom Frosch, Sala- mander und Triton. Dieses Arch. Bd. 7. Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. 5 Stäbehens mit dem Korn verbindet. Dieser Bau der Stäbchen er- möglicht es, dieselben an zerzupften Präparaten in zweierlei Ge- stalt zu erhalten: entweder in der Gestalt eines einem graden Stäbehen vollkommen ähnlichen Elementes, welches mit einem Korn endigt (W. Krause, beim Frosch), oder das Gebilde besteht aus einem äusseren Theil, der in Gestalt eines geraden Stäbchens er- scheint, und aus einer inneren dünnen Faser, die diesen Theil mit dem Kern verbindet. Die Mehrzahl der Forscher zeichnet die Stäbchen in der Gestalt des letztgenannten Gebildes, obwohl sich auch Zeichnungen von der anderen Gestalt finden. Sie scheinen diese Erscheinung für eine zufällige zu halten (M. Scehultze, Schwalbe, W. Krause). Behandelt man aber eine Froschretina mit 0,1°/, Ueberosmiumsäure und zerzupft sie später nach Mer- kel’s Verfahren, so kann man sich von dem Vorhandensein der beiden oben beschriebenen Formen überzeugen. Nicht gar selten sehen wir, dass in dem das innere Glied umgebenden Häutchen Oefinungen vorhanden sind (Fig. 3), die in Folge von Verwachsung benachbarter Häutchen entstanden. Auf Grund des oben Gesagten und vieler anderen Thatsachen kamen wir zu dem Schlusse, dass alle Stäbehen einen prineipiell gleichen Bau haben, und dass folg- lich das grüne Stäbchen von einem gewöhnlichen sich nur durch den langen Verbindungsfaden unterscheidet. Und dieser Ver- bindungsfaden befindet sich in seiner Hülle, wie ein isolirter Leiter in seinem Rohre. An Querschnitten und auf Flächenpräparaten erscheinen die Stäbehen rund, und miteinander vereinigt durch" eine besondere lichte Substanz, welche nur in unbedeutender Menge vorhanden ist. Die dichte Anordnung dieser Elemente von so unbedeutendem Querschnitt zeigt uns, welche grosse Menge Stäbchen in der Retina des Aales vorhanden sein muss. Zwischen den fest nebeneinander liegenden Stäbehen-Querschnitten begegnet man oft wenig grös- seren abgerundeten Zwischenräumen, diese zeigen jene Stellen zwischen den Stäbchen an, welche zu den Zapfen führen. An den Stellen, wo an Querschnitten schon die körnigen Zapfenglieder wahrgenommen werden können, haben die die Zapfen umgebenden Stäbehen nicht die oben beschriebene gut begrenzte Form, sondern schen aus wie ein lichtes um den Zapfen liegendes Protoplasma. Es sind dieses die hellen Innenglieder der Stäbchen im Quer- schnitte. Da der Querschnitt der Zapfen (ihr zweites Glied) an 6 Gabriel Denissenko: Grösse sowohl das Stäbchen, als auch jene zwischen den äusseren Stäbehengliedehen vorhandenen Oefinungen, bedeutend überwiegt, so müssen die Stäbchen 'selbst an dieser Stelle etwas zusammen- gepresst sein. Das finden wir auch in der That. Beim Huhne, Frosche sahen wir nicht selten am unteren Theil der Stäbehen einen kleinen Eindruck, der dem anstossenden Zapfen entspricht. Die Zapfen sind, wie bemerkt, bedeutend kleiner als die Stäbehen; sie erreichen beim Aale nur ?/; bis 3/; der Stäbchen- Länge = 0,075 mm. Da aber auch die Zapfen eine relativ un- bedeutende Dicke haben und einander sehr nahe liegen, so waren sie früher vielleicht desshalb unbemerkt geblieben. Je näher dem Corpus ciliare, desto kleiner werden die Zapfen. Wie bei vielen Thieren bestehen die Zapfen auch beim Aal aus 4 Theilen. 1) Der äussere Theil (Fig. 1, 2 und 4 ]) erscheint homogen und stark lichtbrechen‘ und hat die Gestalt eines Kegels, dessen Basis dem zweiten Gliede zugewendet ist, mit dem er sich vereinigt, doch nicht verschmilzt. Die Länge dieses Gliedes gleicht fast der Länge beider Glieder des inneren Theils und beträgt 0,036 mm. Seine Dicke an der Vereinigungsstelle mit dem zweiten Gliede beträgt 0,002 mm, während das äussere Ende, die Kegel- spitze, bedeutend dünner ist. 2) Das zweite Glied (k) ist grob- körnig, hat eine verlängerte Form, ähnlich einem Gerstenkorne. Seine Länge beträgt 0,015 mm, seine Breite 0,004—0,006 mm!). Dies ist der diekste Theil des Zapfens. Nur an diesem Theile ist es auch verhältnissmässig leicht möglich, die Gegenwart der Zapfen sogar an diekeren Schnitten zu constatiren. Das 3. Glied (f) erscheint mehr durchsichtig und fein. Es ist 0,015—0,021 mm lang und 0,003 mm (auch weniger) breit. Das 4. Glied der Zapfen bildet ihr Korn (äusseres Zapfenkorn) (Fig. 4 n), auf dessen Be- schreibung wir unten bei der äusseren Körnerschicht zurückkommen. Stäbehen wie Zapfen von Präparaten, die mit Müller’scher Flüssigkeit und Alkohol behandelt wurden, werden durch Häma- toxylin gar nicht gefärbt. Verweilt aber das Präparat längere Zeit in diesem Reagens, so bekommen sie eine diffuse schmutzig- 1) Wir benutzen diese Gelegenheit, um eine unrichtige Angabe unserer vorigen Arbeit (Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 19, p. 401) zu beseitigen. Die Länge des ganzen inneren Theiles (d. h. des 2. und 3. Gliedes) beträgt 0,036 mm, und ihr grobkörniges oder 2. Glied ist 0,012—0,015 mm lang bei 0,004—0,006 mm Dicke. Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. d) blaue Färbung; Karmin färbt nur den körnigen Theil der Zapfen, während es auf die iibrigen Theile gar keine oder doch nur eine sehr schwache Wirkung ausübt. Eosin färbt das äussere Glied goldig-rosenroth, das zweite oder körnige Glied intensiv rosenroth, das dritte Glied schwach rosenroth. Sewall und Kühne geben an, dass die Zahl der Zapfen in der Aal-Retina sehr gross sei. In der That sind diese Gebilde beim Aal so zahlreich, dass kaum noch ein zweiter Repräsentant dieser Thierklasse ausser dem Neunauge dieselbe Zahl von Zapfen aufweisen könnte. Indem wir aber die grossen Dimensionen dieser Gebilde beim Neunauge und die sehr feinen Elemente, sowie deren dichte Anordnung beim Aal in Betracht ziehen, so müssen wir sagen, dass die Zahl der Zapfen beim Aal nur mit deren Zahl bei den Säugethieren verglichen werden kann. Um ein schönes Bild von Zapfen, die noch dazu eine bedeutende Grösse haben, zu bekommen, empfehlen wir die Huhnretina, die mit 0,1°/, Osmium- säure behandelt und fein zerzupft in verdünntem Glycerin circa 1 Monat aufgehoben wurde. Auch hier sehen wir, dass die Zapfen aus denselben vier Theilen bestehen, 1) dem zugespitzten, kegelförmigen äusseren (l, Fig. 4), 2) dem grobkörnigen (k), 3) dem homogenen Theil (f), der am Präparat eine schwache grüne Farbe hat. Zwischen dem 2. und 3. Theile bemerken wir einen äusserst feinen lichten Streifen (d). Dann sehen wir ein abgerissenes Stück der Membrana limitans externa (l e), und die zerrissene Hülle (f‘), welche von der Membrana limitans externa angefangen sich an dem Zapfen nach aussen erhebt und alle Glieder desselben in Gestalt einer kaum bemerk- baren durchsichtigen Schale umgiebt, 4) ein Korn (n), das die Gestalt eines in die Membrana ]. ext. eingeschobenen Nagels hat. Wenn wir nun jetzt unsere in bescheidenen Dimensionen aber mit pedantischer Pünktlichkeit ausgeführten Zeichnungen (1 und 2) mit denen W. Krause’s vergleichen, so sehen wir zwischen beiden sar keine Aehnlichkeit. So hat bei Krause das äussere Glied auch eine konische Form; das grobkörnige 2. Glied ist bei ihm rundlich dargestellt und enthält nicht selten einen Kern, was wir niemals beobachtet haben. Das dritte Glied ist bei ihm am dicksten, sogar viereckig dargestellt und enthält in der Mitte einen grossen Kern, was unserer Zeichnung völlig widerspricht. Aus diesen Zeichnungen ersehen wir, dass das, was W. Krause für seine Membrana retieularis limitans externa hält, in der That nichts anderes ist, als der lichte Streifen (d), der sich zwischen dem zweiten und dritten Gliede befindet und die von ihm als Zwischen- Be) Gabriel Denissenko: körnerschicht (Membrana fenestrata) bezeichnete Haut (Mf) ist die wirkliche Membrana limitans externa. Dass der lichte Streifen zwischen dem zweiten und dritten Gliede, welches als ein schmales Protoplasma-Plättchen anzusehen ist, nicht die Membrana limitans externa sein kann, zeigt schon der Umstand, dass sowohl dieses Plättchen, als auch die übrigen drei Zapfenglieder zusammen mit dem von W. Krause für einen Kern gehaltenen Gliede von einer gemeinsamen Hülle umgeben sind, welche, wie wir vorhin bemerkten, die Zapfen von einander vollständig isolirt, wovon man sich an den nach Merkel’s Ver- fahren hergestellten Zupfpräparaten leicht überzeugen kann. Es sei uns gestattet, hier noch auf einige andere Puncte sowie auf einige Widersprüche hinzuweisen, welche sich bei genauem Ver- gleich zwischen den Zeichnungen und dem Texte W. Krause’s herausstellen. So sagt Verfasser, dass die inneren Zapfenglieder, d. h. seine Zapfenkörner eine eiförmige Gestalt haben, 0,006 mm lang und 0,005 mm breit seien und einen glänzenden Kern von 0,0005 mm enthielten. Auf Figur 4 sehen wir sie als viereckige Gebilde, in denen ein Kern eingebettet und scharf ausgesprochen ist. Wir bezweifeln sehr die Richtigkeit dieser Krause ’schen Angabe einfach schon desshalb, weil bis jetzt noch Niemand in diesen Gebilden Kerne beobachtet hat. Man braucht nur einen Blick inM. Sehultze’s, Schwalbe’s, Hannover’s Abhandlungen und sogar W. Krause’s Lehrbuch der Anatomie, sowie in seine anderen Ärbeiten zu thun, um sich zu überzeugen, dass nirgends dem Aehnliches behauptet worden ist. Wir sprechen hier von den inneren Gliedern der Zapfen, als welche die von Krause hier semeinten Gebilde zu deuten sind und nicht von den Zapfen- körnern. Wenn man die Chamäleonretina mit Ueberosmiumsäure nach dem Verfahren von Merkel behandelt und sie darauf in Glycerin zerzupft, so erscheint das innere Zapfenglied schwach grün ge- färbt und vollständig homogen. Bei starker Vergrösserung unter langsamer Schraubendrehung sieht es aus, als käme innerhalb dieses Gebildes ein Kern zum Vorschein. Wir konnten diese Er- scheinung Professor Waldeyer an Retinapräparaten eines Chamä- leons demonstriren, welche er uns für diese Untersuchung zur Verfügung gestellt hatte. Indess erwies es sich, dass der an- scheinende Kern nichts anderes sei, als ein optisches Phänomen, Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. ) bedingt durch die stärkere Absorbirung der Liehtstrahlen durch den mehr bauchigen dickeren Zapfentheil. Dadurch erklärt sich auch, wesshalb dieser scheinbare Kern bei der Schraubendrehung bald vergrössert und bald verkleinert erscheint. Auch beim Huhn (Fig. 4 f) zeigt der innere Zapfentheil bei starker Vergrösserung sich unter dem Bilde eines Kerns; diese Erscheinung ist jedoch, wie wir bereits erklärt haben, lediglich auf eine optische Täuschung zurückzuführen. Einen Beweis hiefür haben wir bei der Unter- suchung kleiner Fettkügelchen in Glycerin; bei starker Vergrös- serung nämlich und langsamer Schraubendrehung sehen wir in der Mitte der Kügelchen einen dunklen Fleck undeutlich zum Vor- schein kommen, der von einem lichteren Hofe umgeben ist, fast so, wie wir es an den Retinapräparaten vom Chamäleon oder vom Huhn gesehen haben. Wenn endlich das dritte Zapfengliedehen wirklich einen Kern enthalten hätte, so würde dieser sich mit Hämatoxylin oder Karmin intensiv gefärbt haben. Krause sagt aber selbst '): Jene Körner (i. e. die Stäbchenkörner) färben sick kaum mit Karmin und Hämatoxylin. Die Zapfen- körner nur schwach, die Körner der äussern Hälfte (der innern) Körnerschicht dagegen intensiv blau“. In diesen Worten wider- spricht der Verfasser leicht zu constatirenden Thatsachen, da bei keinem Thiere die Körner der äussern Körnerschicht sich mit Karmin und Hämatoxylin kaum oder nur schwach färben, son- dern alle intensiv. Bei genauer Betrachtung der Zeichnung und bei aufmerk- samem Durchlesen des Textes stossen wir auf eine grosse Schwierig- keit, indem wir eben nicht wissen, ob der Zeichnung oder dem Text mehr Glauben zu schenken sei, denn der Text widerspricht der Abbildung, und diese dem Text, während doch Krause auf die Abbildung, als auf eine Bekräftigung seiner Darstellung, ver- weist. So sehen wir an Fig. 1 vonKrause, dass das Innenglied des Stäbchens nach unserer Messung bei einer Vergrösserung von 600 mal 31/; mm lang ist, und bei tausendfacher Vergrösserung (Fig. 2) ist es 21mm lang gezeichnet. Folglich bei einer weniger als um zwei mal stärkeren Vergrösserung vergrösserte sich in der Zeichnung Fig. 2 das Element fast um sieben Mal. Der Verfasser sagt weiter unter anderem?): „Das Stäbehen-Ellipsoid ist Dale prrol2. 201. ep. all. 10 Gabriel Denissenko: körnig 0,003 mm lang, 0,002 mm dick. Das übrige Innen- glied fadenförmig, etwa 0,01 mm lang und 0,008 mm dick.“ Hiernach wäre bei letzterem die Dicke nur um 0,002 mm kleiner als die Länge, wie kann aber dann unter solehen Bedingungen ein Element fadenförmig erscheinen? Dagegen sehen wir auf Fig. 2, dass dieses Element in der Zeichnung ungefähr I mm Breite (nach unserer Messung) und 21 mm Länge hat, somit die Länge um 21 Mal die Breite übertrifft, wodurch das Element in der That faden- förmig erscheint. Welchen von diesen beiden Angaben sollen wir nun Glauben schenken? Dafür verändern sich die Innenglieder der Zapfen auf den Krause ’schen Zeichnungen sehr wenig. So sind sie (Fig. 1) bei sechshundertfacher Vergrösserung (nach unserer Messung) 5!/; mm breit und 5 mm lang gezeichnet und bei 1000- facher Vergrösserung (Fig. 4) nur 6 mm breit und 7'/; mm lang. Im Text sagt der Verfasser, dass die Innenglieder der Stäbchen 0,008 mm und die Körner (dritte Glieder) der Zapfen 0,005 mm diek seien; folglich übertrifft die Dicke des Innengliedes des Stäb- chens jene des Zapfenkorns (d. i. des dritten Gliedes des Zapfens) um 1,6 Mal. Auf den Abbildungen dagegen (Fig. 2 und 4) sehen wir, dass bei 1000-facher Vergrösserung das Innenglied des Stäb- chens weniger als 1 mm, während das dritte Glied des Zapfens 6 mm dick ist. Demnach stellt sich hier das Gegentheil vom Text heraus. Es sei ferner darauf hingewiesen, dass viele Dinge in den Abbildungen W. Krause’s bei sechshundertfacher Vergrösserung nicht mit den gleichen Objeeten bei tausendfacher Vergrösserung stimmen. So erscheint z. B. bei Krause unter 600-facher Ver- grösserung sein Zapfeninnenglied rundlich, körnig und scharf ab- gesetzt (Fig. 1) und bei 1000-facher Vergrösserung fast ohne Körne- lung und gar nicht gegen das Aussenglied abgegrenzt. Bei 600- facher Vergrösserung hat der Zapfen eine keilförmige Gestalt und bei 1000facher Vergrösserung bekommt er die Gestalt eines Kolben. Bei 600-facher Vergrösserung besteht der Zapfen aus 3 Gliedern (Fig. 1) und bei 1000-facher Vergrösserung (Fig. 4) nur aus zweien, während das dritte unsichtbar wurde. Mit einem Worte: bei 1000- facher Vergrösserung unterliegt das Element einer solchen Meta- morphose, dass man es nur noch nach der Erklärung der Abbil- dungen, wo es so benannt wird, als solches erkennen kann. Das letzte (vierte) Glied der Zapfen und Stäbchen sind ihre Körner (Fig. 1 und 2 ak und Fig. 3 und 4 n), die Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. 11 schon jenseits (unterhalb) der Membrana limitans externa liegen und eine äussere Körnerschicht bilden. Diese Schicht ist 0,050 mm dick und, zusammen mit der Schicht der Centralfortsätze 0,065 mm. Daraus folgt, dass diese Körnerschicht mit den Centralfortsätzen fast '/;s der ganzen Retinadicke ausmacht. Die Körner sind rund, nicht gross (0,003 mm), einige messen 0,004 mm und erscheinen ellip- soidförmig. Sie ordnen sich in 6—7 Reihen an und zwar so, dass eine unterhalb der anderen zu liegen kommt. Demnach sehen wir, dass diese Schicht beim Aal aus einer sehr bedeutenden Zahl von Elementen besteht, die vollständig jener unbedeutenden Dicke und der Dichte der Anordnung, also der Zahl der Stäbchen und Zapfen entsprechen, welche wir bei diesem Thiere finden. Die Körner liegen unmittelbar unterhalb der Membrana limi- tans externa, überschreiten jedoch niemals deren äussere Grenze. Ihre Anordnung ist eine sehr dichtgedrängte, so dass nur eine unbedeutende Menge von Zwischensubstanz vorhanden ist, welche letztere wir nur nach Färbung mit Eosin und Hämatoxylin wahr- nehmen konnten. Nach dieser Färbung erschien die Zwischen- substanz in Gestalt feiner rosenfarbiger Streifen, die die violett gefärbten Körner umgaben. Diese Zwischensubstanz geht in das ziemlich bedeutende Netz der Centralfortsätze über, die beim Aal als feine unter einander verwickelte Fasern erscheinen. Nur zu- fällig kommen Präparate vor, an denen diese Schicht in Gestalt dünner Querstreifen erscheint. Diese Fasern färben sich mit Eosin rosa, und stellen Röhrchen dar, durch welche feinste Nerven- fäserchen durchgehen. Nachdem diese Röhrehen die Zwischen- körnerschicht erreicht, erweitern sie sich, vereinigen sich mit einander und bilden das obere Plättchen der Zwischenkörner- schicht'), indess die Fasern von der Membran frei werden. Die Schicht dieser Centralfortsätze ist bald sehr schwach entwickelt — an der Peripherie der Retina, bald aber — im Centrum — sogar 0,015 m dick. Die Grösse der Stäbchenkörner unterscheidet sich nicht sehr von jener der Zapfenkörner; an den Körnern finden wir keine Querstreifung. Was die Lymphräume beim Aal betrifft, so sind sie so klein, dass wir uns von ihrem Verhalten in der Körnerschieht selbst keine 1) Denissenko. Ueber den Bau der äusseren Körnerschicht der Netzhaut bei den Wirbelthieren. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 19, p. 421. 12 Gabriel Denissenko: klare Vorstellung machen konnten. Dagegen in der Schicht der Centralfortsätze konnte man diese Räume deutlich wahrnehmen; sie haben dort eine runde Gestalt und 0,006 mm im Durchmesser. Vielleicht macht das unmittelbar unterhalb der Membrana limitans externa liegende diehte Capillarnetz die Bildung regelmässiger Kanäle oder Räume unnöthig und passiren die letzteren die schmalen Stellen, welehe sich zwischen den Körnern dieser Schicht befinden, und erreichen die Schicht der Centralfortsätze, oder sie sind so klein und so unregelmässig angeordnet, dass man sie an den Präparaten nur sehr schwer bemerken kann. Aus dem Gesagten ersieht man, dass die Meinung Krause’s, nach der diese Schicht „nur 0,009 mm weniger als die Länge eines rothen Blutkörperchens beim Aal betrage“, und nach der die Körnerelemente sieh nur in einer Lage anordnen, ein Irrthum ist. Die ächte Zwischenkörnerschicht bemerkte Krause bei seinen Untersuchungen nicht, auch hat sie auf seiner grossen Ab- bildung keinen Platz gefunden, während sie doch, zusammen mit der Schicht der Centralfortsätze, im hinteren Augenabschnitt die ziemlich bedeutende Grösse von 0,021 mm erreicht. Der Bau dieser Schicht beim Aal ist sehr schwer zu studiren, da ihre (ohne die Centralfortsätze) winzige Grösse (0,006 mm) und die Complieirtheit ihres Baues es nicht leicht machen, von ihr eine klare Vorstellung zu gewinnen. Wir haben schon oben gesagt, dass durch die Vereinigung der erweiterten Plättchen der Centralfortsätze sich ein äusserst dünnes äusseres Plättehen der Zwischenkörnerschieht bildet, und dass die dünnen Fasern, welche in der Zwischensubstanz dieser Centralfortsätze frei bleiben, öfters als eine Fortsetzung der sehr feinen, durch die ganze Dicke der Körnerschicht durchgehenden Streifen erscheinen {Fig. 2 h). Der zweite Theil dieser Schicht besteht aus Gebilden ver- schiedener Grösse (Fig. 1 und 2), die ellipsoidförmig sind. Diese Gebilde erscheinen im Durchschnitt homogen und glänzend, und lassen in sich von der zur Zwischenkörnerschicht gekehrten Innen- seite manchmal Körner wahrnehmen. Sie (diese Gebilde) gehören jenem Gewebe an, welches schon H. Müller!) in der Fischretina 1) H. Müller. Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie und Physiologie des Auges. I. Bd. Leipzig 1872. Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. 13 beschrieben hat, und bestehen aus einer Verflechtung grosser Zellen, die viele Fortsätze haben. Zwischen diesen Gebilden finden wir Gänge (q), mittelst deren die Räume der inneren Körnerschicht sich mit dem Zwischenraum (Fig. 1 und 2 0) vereinigen, der zwischen dem äusseren Plättchen und den soeben beschriebenen massiven Zellen der Zwischenkörnerschicht sich befindet. Um eine klare Vorstellung von der Zwischenkörnerschicht zu gewinnen, sind im höchsten Grade feine und gelungene Schnitte nothwendig; dagegen erhält man leicht ein allgemeines Bild von der Zwischenkörner- schicht auch an verhältnissmässig dicken Präparaten. Die innere Körnerschicht ist 0,036 mm breit und bildet somit fast 1/s der Retinadieke. Sie besteht aus runden Elementen, die 0,004—0,006 mm breit sind. Manchmal findet man auch ei- förmige Elemente. Sie ordnen sich gewöhnlich so an, dass die kleineren Elemente an die Zwischenkörnerschicht stossen, und die grösseren immer der Molekularschicht anliegen. Zwischen diesen beiden Körnerreihen befinden sich grosse Räume, Zwischensubstanz und die in diesem Gewebe vorhandenen Körner der mittleren Lage. Die Zwischensubstanz hat hier die Gestalt von Plättehen, die die Räume dieser Schicht auskleiden und Kerne enthalten. Wir haben gezeigt?), dass die Kerne dieser Schicht nie frei liegen, sondern immer in der Zwischensubstanz eingebettet sind. Die Hohlräume pflegen hier von verschiedener Form und Grösse zu sein; bald haben sie eine Grösse, die der Dicke der ganzen Körner- schicht gleichkommt, bald erreichen sie im Querschnitt kaum die Grösse von 0,005—0,004 mm. Die Körner dieser Schicht färben sich mit Hämatoxylin und Karmin ziemlich intensiv, jedoch schwächer als die Körner der äusseren Körnerschicht. Indem wir beide Körnerschichten mit einander vergleichen, finden wir, dass die Dicke der äusseren Körnerschicht jene der inneren Körnerschicht übertrifft, darum muss das Verhältniss zwi- schen ihnen, dem von uns ausgesprochenen Gesetze) folgend, das- selbe sein, wie bei den meisten Säugethieren, und auch alle 1) Denissenko. Einige Bemerkungen über den Bau der Netzhaut. Centralblatt für med. Wissenschaften 1880. Nr. 52. 2) Denissenko. Untersuchungen über den Bau der inneren Körner- schicht der Netzhaut. Medieinski Obosrjenije, Moskau 1879, oder Schenk’s Mittheilungen Bd. I, 1. Heft 1880, p. 15. Sel.'eHp. 72% 14 Gabriel Denissenko: anderen Bedingungen dieses Gesetzes müssen hier erfüllt sein. In Wirklichkeit finden wir auch, dass 1) die Körner der äusseren Körnerschieht der Grösse nach kleiner sind als die Körner der inneren Schicht, 2) die Zahl der Körner in der äusseren Körner- schicht die Zahl derselben in der inneren bedeutend übertrifft, 3) die Anordnung der Körner in der äusseren Schieht dichter ist, als in der inneren, 4) dies alles auch der grossen Zahl von sehr feinen Stäbehen- und Zapfenelementen entspricht, die so eng nebeneinander stehen, 5) die äusseren Körner mit Karmin und Hämatoxylin sich stärker färben, als die inneren, und dass endlich 6) die Hohlräume in der inneren Schicht sehr gross sind, während sie in der äusseren so klein sind, dass wir sogar keine klare Vorstellung von ihrer Form gewinnen und nur in der Schicht der Centralfortsätze dieser Körner ihre Gegenwart constatiren konnten. Die von W. Müller beschriebenen Zellen oder Körner dieser Sehieht!), welehe an der Moleeularschicht anliegen, existiren überall und konnten auch an dieken Präparaten entdeckt werden, beson- ders beim Aal, aber eine solehe Anordnung, wo diese Körner nur an der Zwischenkörnerschicht anliegen sollten, wie es W. Krause angiebt, findet sich bei keinem Thiere, auch nicht beim Aal. Es ist wahr, dass in der Klasse der Fische wohl einige Repräsentanten da sind, bei denen die innere Körnerschicht erscheint, als bestände sie aus zwei völlig verschiedenartigen Theilen, z. B. beim Bley ?) und Salmo lavaretus. Der Bau dieser Schicht bei den genannten Thieren ist äusserst eigenthümlich und kann dieselbe wohl in zwei verschiedenen Theilen beschrieben werden, doch sind diese Theile mit einander sehr eng verbunden, wesshalb man sie auch für ge- sonderte Scehiehten nieht ansehen kann. Und die Körner beider Theile sind von so eigenthümliehem Charakter, dass sie vom all- semeinen Typus dieser Schicht bei anderen Fischen stark ab- weichen. Aber bei all dieser Verschiedenheit ist es auch hier unmöglich, die äussere Körnerschicht mit der inneren zu ver- wechseln, oder die innere Körnerschicht in zwei verschiedene Schiehten zu trennen, ganz so z. B. wie es unmöglich ist, die 1) W. Müller. Ueber die Stammesentwicklung des Sehorgans der Wirbelthiere, als Beitrag zur Anatomie und Physiologie. Leipzig 1875. 2) W. Kühne und Sewall. Zur Physiologie des Sehepithels aus Untersuchungen aus dem physiologischen Institut der Universität Heidelberg. Bd. III, Heft 3 und 4, 1880, Fig. 1. + Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. 15 Scehieht der Centralfortsätze der äusseren Körnerschicht von der Körnerschicht selbst zu trennen, da sie mit einander sehr eng ver- bunden sind, und es unmöglich ist zu sagen, wo die eine Schicht beginnt und die andere endigt. Die Moleecularschiceht nimmt beim Aal ', der ganzen Retinadieke ein. Sie besteht 1) aus dieken Zwischensubstanzfäden, 2) aus einem dünnen Netze feinster Fäserchen, 3) aus mässig srossen Zellelementen, die eine gewisse Metamorphose erlitten haben, 4) aus Nervenfäden und Ganglienzellen und 5) einer grossen Zahl von Hohlräumen. Die dieken Zwischensubstanzfäden beginnen von der Zwischen- körnersehicht, gehen durch die ganze Dicke der inneren Körner- schicht, durch die Molecularschicht und reichen selbst bis zur Membrana limitans interna hin. Sie sind 0,002—0,003 mm stark und verbreitern sich an der Membrana limitans interna trompeten- föormig. An zerzupften Präparaten erscheinen sie gerade, glänzend und es hat den Anschein, als gäben sie nur in der inneren Körner- schicht Zweige ab; an feinen Schnitten jedoch sehen wir, dass in der Molecularschicht sich eine grosse Menge feinster Fäserchen an sie anheftet, so dass sie von den letzteren dicht umpflanzt er- scheinen. Das dichte Netz, welches das Gerippe der Moleeular- schicht bildet, hat an den dicken Fasern quasi eine Stütze für sich. Sowohl die dünnen, als auch die dieken Fasern färben sich mit Eosin rosa. In Mitten dieses dichten Netzes finden wir Gebilde, die sich weder mit Karmin, noch mit Hämatoxylin, noch mit Eosin färben, mit einem Wort, mit Elementen Aehnlich- keit besitzen, welche wir in der Peripherie der Moleeularschicht des Kleinhirns beschrieben !), und später?) auch in der Netzhaut bei erwachsenen Thieren gefunden hatten. Die feinen Nervenfäden kann man nicht selten von den Ganglienzellen zur inneren Körner- schicht gehen sehen; und die Ganglienzellen selbst liegen in der Moleeularschicht und ragen auf diese Weise aus ihrer Schicht hervor. Ausserdem finden wir hier eine grosse Menge Hohl- räume von mehr oder weniger bedeutender Grösse. Uebrigens 1) Denissenko. Zur Frage über den Bau der Kleinhirnrinde der ver- schiedenen Klassen von Wirbelthieren. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. 14,p. 211. 2) Denissenko. Ueber den Bau der Molecularschicht in der Retina. Medicinski Obosrjenie. Moskau 1879 oder Schenk’s Mittheilungen, Bd. 2, 1880, p. 21. 16 Gabriel Denissenko: erscheinen dieselben beim Aal im Verhältniss zu anderen Fischen viel schwächer ausgesprochen. Unsere Untersuchungen der Retina zeigten uns, dass die molekuläre Schicht aus denselben Zellelementen besteht, wie wir sie im Kleinhirn beschrieben. Später fanden wir die Ar- beit von L. Löwet), welche 1!/; Jahr nach unserer ersten Arbeit erschien, in der der Verfasser eine Parallele zieht zwischen den molekulären Schichten der Hirnrinde und der Retina und Folgendes äussert: „Die zu Generatoren der molekularen Schicht bestimmten Bildungszellen verlieren zuerst ihre Aufnahmsfähigkeit für Karmin. Sie stellen helle blasse homogene, aber noch immer mit deutlichem Kern versehene Gebilde von etwas unklarem Contur dar. Dann verwandelt sich ihr Zellleib dadurch in die molekulare Grund- masse, dass sich allerfeinste Bläschen einer ölartigen ganz hellen Flüssigkeit, eines dicht an das andere gelagert, in dem Zellproto- plasma ausscheiden. Zugleich verschwindet der Kern durch exces- sives Wachsthum einer anfangs sehr kleinen in ihm gelegenen Vacuole. Zwischen den Bläschen treten kleine dunkle Granula auf. Ebenso wie die Molekularschicht der Netzhaut entsteht auch die der Hirnrinde aus einer Umwandlung embryonaler Bildungs- zellen...” . Vergleicht man das, was früher von uns ausgesprochen I. e., mit dem, was Löwe sagt, so ersieht man, dass der Letztere die Umwandlung der embryonalen Zellen in die molekulare Grund- masse ebenso beschreibt, wie wir dies für die Hirnrinde gethan haben. Was aber die Ansicht des Verfassers betrifft betreffs der Art, auf welche die Umwandlung der Zellen in die Molekularmasse vor sich geht, und des Verschwindens der Kerne, so können wir nicht damit übereinstimmen. da es sonst unmöglich wäre, die Kerne von dem sie umgebenden Protoplasma zu unterscheiden. Wir haben gezeigt, dass bei einigen Thieren in der Hirnrinde diese Zellen ihren Kern und das ihn umgebende Protoplasma be- hielten, obwohl sie auch die Fähigkeit verloren haben, sich mit Karmin und Hämatoxylin zu färben. Ausserdem kann man in der Molekularschicht sogar erwachsener Thiere die Gegenwart dieser Gebilde beobachten. So sahen wir sie beim Ochsen, Frosch, Auer- 1) Löwe L. Die Histogenese der Retina. Arch. f. mikrosk. Anatomie. Bd. 15, 1878, p. 624. Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. il hahn und anderen Thieren. Ausserdem zeigte die Untersuchung der Retina beim Uhu und jungen Hähnen, dass in dem zu den Ganglienzellen gekehrten Retinatheil eine ziemlich grosse Schicht vorhanden ist, die aus runden nahe neben einander liegenden Ge- bilden besteht. An gelungenen Präparaten bemerkt man, dass dies keine Hohlräume, sondern Kerne sind, die, wenn sie auch die Fähigkeit verloren, sich mit Hämatoxylin und Karmin zu färben, dennoch ihren Habitus beibehielten. Hätte Löwe Recht betreffs der Umwandlung der Zellen in die molekulare Grundmasse, so wäre es unmöglich, in diesen Gebilden bei erwachsenen Thieren noch Kerne zu erkennen. Auf Grund des eben Gesagten sind wir zur Ueberzeugung gekommen, dass die Erscheinungen an den Zellen der Molekularschicht nicht im Verschwinden der Kerne und deren Zusammenfliessen mit dem Protoplasma besteht, sondern in einer besonderen Art Metamorphose, in Folge deren sie die Fähigkeit verlieren, sich mit Karmin und Hämatoxylin zu färben, wobei sie aber ihre sonstigen Eigenschaften beibehalten. Die Ganglienzellen befinden sich theils in besonderen von der retinalen Stützsubstanz gebildeten Räumen, theils in der Mole- kularschicht selbst. Diese Zellen hier sind nicht gross (0,006—0,009 mm), rund oder oval und führen einen grossen runden Kern. Nicht selten bemerkt man, dass sie in der Richtung der inneren Körner- schicht dünne Nervenfäden absenden. Die Membrana limitans interna besteht aus trompeten- förmig verbreiterten Bindegewebsplättchen, deren erweiterte Theile sich vereinigen und eine continuirliche Schicht bilden, die die Retina vom Glaskörper scheidet. Was dieSchicht der Nervenfasern betrifft, so finden wir sie beim Aal nicht so gleichmässig vertheilt, wie bei anderen Thieren, sondern sie besteht hier aus Faserbündeln, die in einer gewissen Entfernung von einander sich befinden. Wegen dieser Vertheilung kann man auf ziemlich grossen meridionalen Schnitt- Präparaten der Retina keiner einzigen Stelle begegnen, wo diese Schicht ausgesprochen wäre, und im Gegentheil gelingen feine Schnitte, die in querer Richtung ausgeführt sind, und wo man die Querschnitte dieser Bündel fast in gleicher Entfernung von ein- ander vertheilt sieht, und zwischen ihnen Stellen, welche fast ganz frei von Nervenfasern sind. Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 2 18 . Gabriel Denissenko: Bezüglich der Gefässe in der Aalretina ’) kann man sagen, dass sie sich in drei Schichten anordnen, die wir der Lage und der physiologischen Bedeutung nach in die Gefässe der Membrana hyaloidea, die Gefässe der inneren Körnersehicht und die der äus- seren Körnerschicht eintheilen müssen. In der dünnen Membrana hyaloidea lagern sich die Gefässe in Form eines ziemlich dieken Netzes. Dieses Netz besteht aus grossen Gefässstämmen, welche 0,04 mm und darüber im Durech- messer haben. Diese Stämme geben mehrere feine Zweige ab, deren schmälster Durchmesser 0,005 mm erreicht. Aus diesen der Grösse nach verschiedenartigen Zweigchen besteht das eigentliche Gefässnetz. Diese Gefässe liegen in einem und demselben Niveau. Ihrer Anordnung und Verzweigung nach erinnern sie sehr an die Gefässe im Vogelkamme, nur dass das Gefässnetz im letzteren bedeutend dicker ist als in der membr. hyaloidea. Ausser solcher Flächen- vertheilung der Gefässe finden wir noch, dass diese Gefässe Zweige von mässiger Dicke in perpendikulärer Richtung abgeben, welche Zweige sieh bis zur Membrana limitans interna erstrecken, diese durchbohren und in die eigentliche Retina gelangen. Fast auf jedem Schnitte trifft man diese Gefässe an, und nicht selten finden wir auf einem Schnitt deren mehrere. Die Stärke dieser Aeste ist verschieden. Bald sehen wir sie als Capillaren von 0,005 mm Dicke, bald als Stämme, die bis 0,015 mm dick sind, am häufigsten aber messen sie 0,008 mm. Es ist uns kein einziges Mal gelungen, hier Gefässe zu sehen, deren Durchmesser dieselbe Grösse erreicht hätte, wie in der inneren Körnerschicht oder in der Membrana hyaloidea. Nachdem die Gefässe in die Retina eingetreten sind, gehen sie bis zur inneren Körnerschicht gerade durch, und nur als eine Ausnahme kann man hier Theilungen sehen. In der inneren Körner- schicht kommt gewöhnlich eine Theilung und die Bildung des zweiten Gefässnetzes zu Stande. Die Grösse des Durchmessers der dieses Netz bildenden Gefässe ist ebenso verschieden, wie in der Membrana hyaloidea. Wir finden sowohl Gefässe, die die ganze Dieke der inneren Körnerschicht einnehmen und 0,036 mm er- 1) Denissenko. Mittheilung über die Gefässe der Netzhaut der Fische. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. 18 und vorläufige Bemerkungen über die Gefässe der Retina der Fische. Medieinsk. Obosrjenie (Maiheft 1880). Einiges über den Bau der Netzhaut des Aales. 19 reichen, als auch solche, die nur 0,005 mm haben. Den ersteren begegnet man jedoch selten, indess die letzteren ein dichteres Netz bilden, als in der Membrana hyaloidea. Bei der Untersuchung der grossen Gefässe in der inneren Körnerschicht bemerken wir, dass sie nicht zusammenfallen, ganz gleich, ob sie mit Blut erfüllt, so- mit ausgedehnt, oder leer sind, während sie in der Membrana hya- loidea zusammengefallen erscheinen, sobald sie vom Blute frei sind. In der äusseren Körnerschicht bestehen die Gefässe nur aus Capillaren !), deren Durchmesser 0,005—0,006 mm erreicht. Diese Capillaren bilden ein sehr dichtes Netz, so dass die Distanz zwi- schen ihnen manchmal nicht einmal 0,015 mm übertrifft. Diese Gefässe erhalten ihr Blut entweder aus der inneren Körnerschicht auf dem Wege feiner hieher gehender Zweige, oder sie sind auf Zweige zurückzuführen, die unmittelbar von den Gefässen in der Membrana hyaloidea beginnen, welche Gefässe entweder gerade und ungetheilt bis in die äussere Körnerschicht vordringen, oder zuerst Zweige in der inneren Körnerschicht abgeben. Wir konnten nicht bestimmen, welche von diesen Gefässen Arterien und welche Venen sind. Alle in der Retina sich befindenden Gefässe haben sehr dünne Wände und ähneln in dieser Beziehung mehr den Capillaren; nur in der Membrana hyaloidea finden wir, dass die grösseren Gefäss- stimme Wände haben, die aus zwei dünnen Häutchen bestehen. Beim Eintritt in die Retina werden die Gefässe von der dort vor- handenen Substanz umgeben. Dieses Gewebe ist nicht die dem Gefässe angehörende Membran, sondern bildet einen besonderen Kanal, der zwischen den Körnerelementen oder zwischen den Ele- menten irgend eines anderen der Retinal-Gewebe verläuft. Solche Kanäle begleiten die Gefässe in der ganzen Retina; man kann dieselben leicht um die Capillaren in der äusseren Körnerschicht wahrnehmen. Da die körnigen Elemente hier sehr eng angeordnet sind, und zwischen ihnen sehr wenig Stützsubstanz vorhanden ist, so erscheint desshalb der gemeinsame Grund mit Hämatoxylin überali violett gefärbt; wenn aber durch Ausfallen eines Gefässes eine Lücke entsteht, so erscheint diese mit der erwähnten Farbe diffus gefärbt. Bei Schraubendrehungen treten die auf dem Grunde 1) Denissenko |. c. p. 482 und Kühne und Sewall. Zur Physiologie des Sehepithels aus Untersuch. aus dem physiolog. Institut der Universität Heidelberg. Bd. III, Heft 3 und 4. 1880. 20 Gabriel Denissenko: dieser Vertiefung vorhandenen Elemente in’s Gesichtsfeld. Bei diesen Untersuchungen aber konnten wir in der Kanalwand keine Oetinungen bemerken, durch welche die Ernährungs-Flüssigkeit in’s Gewebe selbst d. i. in die Lymphräume einzudringen vermöchte. Sowohl auf unserer vorigen Abbildung, als auch auf den jetzt beigelegten sehen wir, dass die Gefässe bis unmittelbar an die Membrana limitans externa vordringen. Auch Krause’s Abbil- dung zeigt dasselbe und der ganze Widerspruch bei ihm gründet sich darauf, dass er die äussere Körnerschicht an eine falsche Stelle verlegt. Was aber den Umstand betrifft, dass diese Gefässe sowohl bei alten als auch bei jungen Individuen in gleicher Weise vorkommen, so hat Krause darin vollkommen recht berichtet. Erklärung der Abbildungen auf Taf. 1. Fig. 1. Aalretina. Reichert Oc. 2, Obj. 8. Eingesch. Tub. Fig. 2. Aalretina. Oc. 2, Obj. 8. Ausgez. Tubus. Fig. 3. Stäbchen einer Froschretina. Hartn. Oc. 2, Obj. 9. Fig. 4 Zapfen einer Huhnretina. Hartn. Oc. 3, Obj. 9, trock. ausgez. Tub. Die Präparate (Fig. 1 und 2) sind mit Müller’scher Flüssigkeit und Alkohol behandelt. Die Präparate (3 ünd 4) mit Ueberosmium- säure und in Glycerin zerzupft. SZ Stäbchen- und Zapfenschicht, le limitans externa, ak äussere Körnerschicht, Zk Zwischenkörnerschicht, ik innere Körnerschicht, m Molekularschicht, li limitans interna. l das erste Purpur enthaltende Zapfengliedehen, k das zweite grobkörnige Zapfengliedchen, f das dritte homogene Zapfengliedchen, d das helle zwischen dem 2. und 3. Zapfengliedchen liegende Plätt- chen, f der Rest der den Zapfen umgebenden Hülle, & Gefäss, h die die ganze Dicke der äusseren Körnerschicht durchdringenden feinen Faserbündel, Cf Oentralfortsätze (resp. deren Schicht) der Körner der äusseren Körnerschicht, i massive Zellen mit vielen Fortsätzen in der Zwischenkörnerschicht, o Raum zwischen den Centralfortsätzen und den massiven Zellen, q die Verbindungsgänge zwischen den Räumen beider Körnerschichten, Ir Lymphräume der inneren Körner- schicht, n Zapfenkörner der äusseren Körnerschicht, gz Ganglien- zellen, qn querdurchschnittene Nervenfaserbündel. Fig. 3. 1 das äussere, e das innere Stäbchenglied, x Oeffnungen in der Hülle des inneren Stäbchengliedchens. Fig. 1, 2 und 4 sind von Dr. Heitzmann gezeichnet. Joh. Dogiel: Die Nervenzellen u. Nerven des Herzventrikels beim Frosche, 21 Die Nervenzellen und Nerven des Herzventrikels beim Frosche. Von Joh. Dogiel. Hierzu Tafel 1. Aus den hin und wieder erscheinenden Untersuchungen über den Bau und die Function des Herzens ersieht man, dass den Autoren die Resultate, welche hierüber von mir der Academie der Wissenschaften zu Krakau und der Gesellschaft für Naturwissen- schaften, Anthropologie und Ethnographie zu Moskau mitgetheilt worden, unbekannt geblieben sind. Da bei der Erklärung der Herzfunetion überhaupt aber diese Ergebnisse von Belang sein können, so entschloss ich mich, nach einer nochmaligen Prüfung der früheren Resultate und ihrer Erweiterung durch einige neue Thatsachen in Bezug auf die Nervenzellen und Nerven im Ven- trikel des Frosehherzens, dieselben den sich hierfür Interessirenden zur Anregung einer weiteren Bearbeitung dieser Frage vorzulegen. Nach den interessanten Untersuchungen von C. Ludwig im Jahre 1848 über die Nerven des Froschherzens (Arch. für Anat. und Physiol.) erschienen eine Reihe von Arbeiten in dieser Richtung, u. A. auch einige Artikel von F. Bidder. In seiner Mittheilung: „Ueber funetionell verschiedene und räumlich getrennte Nerven- centra im Froschherzen“ (Arch. f. Anat. u. Physiol. 1852 p. 163) finden wir (p. 172) folgende Stelle: „Die schon mit unbewaffnetem Auge deutlichen grauweissen Anschwellungen, welche die Scheide- wandnerven jederseits an der Atrioventieularklappe bilden, bieten unter dem Mikroskop eine erneuerte Einlagerung sehr zahlreicher Ganglienkugeln dar. Für den Ventrikel sind dies aber auch fast die einzigen Stellen, an denen Nervensubstanz nachzuweisen ist. Denn obgleich von diesen beiden Kammerganglien mehrere Zweige ausgehen, die in verschiedener Richtung in die Substanz des Ven- trikels eindringen, so zerfallen die Elemente derselben doch so 22 Joh. Dogiel: rasch in die feinsten Fasern, dass dieselben schon in geringer Entfernung vom Ganglion sich dem Auge ganz entziehen. Daher findet man denn auch, wenn die Substanz des Ventrikels Stück für Stück unter das Mikroskop gebracht wird, nur in den jenen Ganglien zunächst anliegenden Parthien Nervenfasern, an entfernteren Stellennicht. Ebenso sind Ganglienkugeln ausser an den besagten zwei Stellen in keinem Theile des Ventrikels nachzuweisen.“ Auch Engelmann konnte weder Nerven noch Nervenzellen im Ventrikel des Froschherzens nachweisen, obwohl er verschiedene Untersuchungsmethoden anwendete. In einem Artikel: „Sur la maniere dont l’exeitation se propage dans le muscle cardiaque“ (Extrait des Archives Neerlandaises T. XI p. 4) sagt er: „je n’ai trouve aucune trace ni de fibrilles nerveuses, ni de cellules gang- lionnaires ou de quelque &l&ment nuclee plus ou moins analogue.“ Was mich betrifft, so kann ich gegenwärtig unmöglich die Meinun- sen von Engelmann und sogar von Bidder in Bezug auf das Fehlen von Nerven und Nervenzellen im Ventrikel des Frosch- herzens theilen. Meine Untersuchungsmethode bestand hauptsächlich in der Bearbeitung des Froschherzens mit Dämpfen von ÖOsmiumsäure mit nachherigem Einlegen in eine schwache Essigsäurelösung. Die Behandlung mit Chlorgold erwies sich zu diesem Zweck weniger tauglich. Der Mechanismus dieser Untersuchungsmethode ist folgender. Nachdem ich den Ventrikel und die Atrien des Frosch- herzens so geöffnet hatte, dass der Verlauf der beiden Nerven- stämme von ihrem Eintritt in die Vorkammer an bis zur Atrioven- trieulargrenze zu sehen war, entfaltete und fixirte ich das Herz in gehöriger Weise (Fig. 1). Hierauf kam es in Dämpfe von Ya %o Ösmiumsäurelösung (von 10 Minuten bis zu einer halben oder auch ganzen Stunde) und endlich auf einige Stunden in verdünnte Essig- säurelösung (1—2%). Die aus den auf solche Art zubereiteten Herzen verfertigten Präparate untersuchte ich im Glycerin mit Wasser (zu gleichen Theilen). Nerven. Macht man einen queren Schnitt durch die Herz- scheidewand im Niveau der Atrioventrieularklappen und separirt die Scheidewand zusammen mit den Klappen und der oberfläch- lichsten Schieht der inneren Ventrikelwand, so genügt schon eine geringe Vergrösserung, um folgende Nervenvertheilung im Herz- Die Nervenzellen und Nerven des Herzventrikels beim Frosche. 23 ventrikel zu sehen. Die zwei zu den genannten Klappen hin- strebenden Nervenstämme, Nervi cardiaci, zeigen ovale, schon dem unbewaffneten Auge bemerkbare, an der Atrioventrieulargrenze befindliche Anschwellungen (Fig. 1), von welchen Nervenfäden aus- gehen, die sich in demselben Bezirk verzweigen. Betrachtet man das Präparat bei geringer Vergrösserung (Hartn. Syst. 2, Oeul. 1), so sieht man, dass die Nervenstämme weniger in als unter den Klappen weiter verlaufen. Besonders leicht überzeugt man sich hiervon, wenn das Herz nach einer theilweisen Abtragung der Atrioventrieularklappen mit Osmiumsäuredämpfen und verdünnter Essigsäurelösung bearbeitet ist. In solchem Falle bemerkt man leicht, wie ungefähr in der Mitte einer jeden Klappe der Nervus cardiacus sich in 2—4 und mehr Stämmcehen theilt, welche an den aus Bindegewebe und elastischen Fasern bestehenden Streifen (ehordae tendineae?), die einerseits mit den Klappen, andererseits mit der Ventrikelwand in Verbindung stehen, weiter zum Herz- ventrikel verlaufen (Fig. 1). Diese Nervenstämmehen bestehen aus einem ganzen Bündel von Nervenfasern. Unterwegs in kleinere Bündel zerfallend, gelangen sie zu den Trabekeln; hier vertheilen sich einzelne Bündelehen und Nervenfasern unter dem Endothel des Endocardiums, andere dringen zwischen die Muskelfasern des Herzventrikels, sie anscheinend umflechtend (Fig. 2) oder durch- setzend (Fig. 3). Der Verlauf dieser Nerven lässt sich am besten bei Hartnack Syst. 4 oder 5 und Oeul. 3 beobachten. Die beschriebenen Nervenbündel werden aus doppelt eontou- rirten Nervenfasern zusammengesetzt, welche man von der Basis bis beinahe zur Spitze des Herzventrikels antreffen kann. Die Frage nach der Endigungsweise, oder wenigstens nach dem näheren Zusammenhange dieser Nerven mit den Muskelelementen betrachte ich als offen. Es ist möglich, dass das Verhältniss der Nerven zu den Muskeln im Herzventrikel demjenigen gleicht, welches Langerhans!) und Gerlach?) für die Nerven im Atrium und in der Scheidewand des Froschherzens beschrieben haben. Nervenzellen. Nachdem Bidder 1852 die Nervenzellen- haufen in der Nähe der Atrioventrieularklappen als die letzten be- schrieben hatte, nahmen die meisten Anatomen und Physiologen 1) Arch. f. path. Anat. Bd. LVII p. 65. 2) Arch. f. path. Anat. Bd. LXVI p. 187. 24 Joh. Dogiel: an, dass der Ventrikel des Froschherzens keine Nervenzellen ent- halte. Es erscheint, als ob Friedländer!) anderer Meinung wäre, wenn man nach seinen Worten (p. 65) urtheilt: „dass be- liebig ausgeschnittene Stücke des Sinus, der Vorhöfe und des obersten Dritttheils des Ventrikels entweder sogleich oder nach einiger Zeit der Ruhe regelmässig pulsirten, und dass diese Pul- sationen durch länger als 48 Stunden erhalten bleiben können “ Doch hat Friedländer weder den Ort im Herzven- trikel angegeben, an welchem sich Nervenzellen finden, noch ihre Vertheilung und ihr Verhältniss zu den Nerven beschrieben. In dieser Hinsicht hat auch Bidder?) in seiner letzten Arbeit nichts Neues geliefert. Endlich erschien die Abhandlung von Klug?), der zu folgendem Resultat kam: „in dem primären Geflecht der Ventrikelwand findet man neben blassen auch doppelt con- tourirte Nervenfasern, aber keine Nervenzellen.“ Ich überzeugte mich aber, dass im Froschherzen ausser den von C. Ludwig und F. Bidder beschriebenen Nervenzellen noch solche im oberen Drittel des Ventrikels sich vorfinden. Nach der beschriebenen Bearbeitung des Herzens mit Osmium- und Essig- säure sieht man, wie sich ausser den von Bidder beschriebenen birnförmigen Anschwellungen der Nerven in der Höhe der Atrioven- trieularklappen, noch ebensolche Verdiekungen (Figur 4) an der Uebergangsstelle der chordae tendineae in die Ventrikelwand finden. Diese Verdiekungen bestehen aus Bündeln doppelteontourirter Nerven und Gruppen von Nervenzellen von verschiedener Form und Grösse. Ausserdem trifft man im Verlaufe der Nervenbündel an den Sehnenstreifen unterhalb den Klappen bald Gruppen, bald einzelne Nervenzellen an (Fig. 4 und 5), letztere erblickt man auch zuweilen zwischen den Muskelfasern der Ventrikeltrabekeln (Fig. 4 und 5). Folglich befinden sich im Ventrikel des Frosch- herzens: 1) zahlreiche doppelteontourirte Nervenfasern, welehe theils an der inneren Ventrikelwand unter dem Endothel des Endocardium sich verzweigen (Fig. 5), theils in die Ventrikelwand zwischen die Muskelbündel treten und 2) ausser den Nervenzellen an den Atrio- uU. 8. W. 1) Untersuch. aus dem physiol. Laborat. zu Würzburg 1867 pag. 59. (Ueber die nervösen Centralorgane des Froschherzens.) 2) Du Bois-Reymond’s Arch. 1871. p. 469. 3) Arch. für Anat. und Physiol. 1881. Anat. Abtheilung p. 330. Die Nervenzellen und Nerven des Herzventrikels beim Frosche 25 ventrieularklappen noch Gruppen und einzelne Nervenzellen im oberen Drittel des Ventrikels. Die von mir gefundenen Gruppen von Nervenzellen möchte ich Ventrieularganglien nennen, zum Unterschied von den Atrio- ventrieularganglien Bidders. Erklärung der Abbildungen auf Taf. II. Fig. 1. Halbschematische Darstellung des Froschherzens, um die Vertheilung der Nerven und Nervenzellen zu übersehen. a Atrium, b Scheide- wand, e Aorta, d Ventrikel, e Klappe, f chorda tendinea, & Nn cardiaci, h chiasma nn. cardiacorum, ii Atrioventricularganglien, kk Ventricularganglien, 1 Verlauf der Nerven im Ventrikel. Fig [092 aaa Nerven an der inneren Ventrikelwand, b eine Stelle, an welcher die Nerven die Ventrikeltrabekeln umflechten, e Ventrikeltrabekeln. Syst. 4, Ocul. 3, Hartnack. Fig. 3. a Klappenrand, b Ventrikeltrabekeln, ce Verlauf der Nerven und Nervenzellen. Man sieht hier, wie ein ganzes Bündel von Nerven die Muskelfasern des Ventrikels durchsetzt. Fig. 4 aa Muskelfasern der Ventrikeltrabekeln, b Nervenbündel, welche unterhalb der Klappen im oberen Drittel des Ventrikels sich be- finden, ce Ventricularganglien, d eine Nervenzellengruppe. Syst. 4, ÖOcular 3, Hartnack. Fig. 5. a Ventrikeltrabekeln, b Verlauf der Nerven an der inneren Ventrikel- wand, c zwei kleine Nervenzellen, welche unterhalb des oberen Drittels des Ventrikels sich befanden. Syst. 4, Ocular 3, Hartnack. 26 Ludwig v. Thanhoffer: Beiträge zur Histologie und Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. Von Prof. Dr. Ludwig v. Thanhoffer, Budapest. (Akademischer Antrittsvortrag, gehalten in der dritten Section der ung. Akademie der Wissenschaften 1881, 16. Mai.) Hierzu Tafel III und IV. Die nachstehende Arbeit enthält die Ergebnisse zahlreicher und seit vielen Jahren fortgesetzter Untersuchungen über den feineren Bau der quergestreiften Muskelfasern. Vorzugsweise be- nutzte ich die Muskeln der Fliegenarten, des hydrophilus piceus, dytiscus marginalis, lucanus cervus, eybisceus Reselii, lJaethrus cephalotus, melo@ majalis, violacaeus und proscarabaeus, die Muskeln des Flohes, der Frosch- larven und der entwickelten Froscharten, die embryonalen und reifen Muskeln des Menschen und zahlreicher Wirbelthiere. Endlich untersuchte ich die an den Pseudopodien der Raupen befindlichen Muskeln während der Contraetion (hierzu kann ich die Raupe von acherontia atropos besonders empfehlen). Meine Untersuchungen führte ich an frisch auspräparirten und sich noch eontrahirenden, oder mittelst Elektrieität auf mikrosko- pischen Elektroden in Contraction versetzten Muskeln aus, nebst- dem an solchen, die mit den verschiedensten Reagentien präparirt waren. Die ruhenden und die sich contrahirenden untersuchte ich auch öfters im polarisirten Licht. Um nieht durch Citate zu ermüden, werde ich literarische An- gaben nur da beibringen, wo sie sich mit meinen Resultaten berühren. Die Beschreibung beginne ich mit dem Sarkolemma. Dieses wird im Allgemeinen als eine elastische, homogen aussehende Membran beschrieben, in welcher hie und da Kerne eingestreut Beiträge z. Histologie und Nervenendigung d. quergestreiften Muskelfasern. 27 sind. Nur in Margö’s!) ausführlicher Arbeit, welehe die Entwick- lung des Muskels und dessen Struktur behandelt, fand ich eine derartige Beschreibung des Sarkolemma’s, welche der Wirklichkeit am besten entspricht. Er gibt nämlich an, dass die untere Fläche des Sarkolemma’s eine feine Faserung zeige. Diese untere Fläche besitzt nach ihm Kerne und diese sollen mit den erwähnten ein- zelnen Fasern in Zusammenhang sein. An einer anderen Stelle giebt er seiner Meinung Ausdruck, dass die Nervenerregungen vielleicht durch diese an der unteren Fläche des Sarkolemma’s be- schriebenen Gebilde auf die Muskelsubstanz übertragen würden. Wenn ich richtig verstanden habe, so ist dies der wesentliche In- halt eines Capitels der oben erwähnten Margö’schen Arbeit und zwar jenes Capitels, in welchem das Sarkolemma behandelt wird. Schon vor langer Zeit bemerkte ich einmal während meiner Untersuchungen, dass das Sarkolemma des mit Wasser behandelten frischen Froschmuskelrohrs an einer Stelle sich so von der Muskel- substanz losgelöst hatte, dass unter ihm noch eine andere feine und kernhaltige Membran erschien, welche von der Muskelsubstanz ebenfalls losgelöst war. Damals zeichnete ich auch das Präparat seiner ausserordentlichen Wichtigkeit halber treu ab. Somit müsste das Sarkolemma eigentlich aus 2 Platten bestehen. Aber nur auf dieses eine Bild gestützt, getraute ich mich umsoweniger diesen Schluss zu ziehen, als es mir bei ähnlichem Vorgehen niemals ge- lang, diese Beobachtung zu wiederholen. Vor kurzem versuchte ich die bereits von Ludwig und Stirling?) sowie von Kühne?) und dessen Schülern geübte Ver- dauungsmethode, mit der Modifieation, welche meines Wissens für die specielle Untersuchung des Sarkolemma’s bisher noch nicht geübt wurde, ich meine die Verdauung im Magen eines lebenden Thieres. In einen Tüllbeutel genähte Insektenmuskeln brachte ich in den Magen eines mit einer Magenfistel versehenen Hundes. Nach 1) Margö T. Neue Untersuchung über die Entwicklung, das Wachs- thum, die Neubildung und den feineren Bau der Muskelfasern. Wien 1861. 2) Ludwig und Stirling. Arbeiten aus dem physiol. Laboratorium in Leipzig, 1875. 3) Kühne. Zur Histologie der motorischen Nervenendigung. Unter- suchungen aus dem physiol. Institute der Universität Heidelberg, 1878. Bd, II, Heft 2. S. 187, 23 Ludwig v. Thanhoffer: mehreren Stunden untersuchte ich sie. Ich bemerke hier, dass ich nicht blos die Muskeln, sondern die ausgerissenen Füsse von hydrophilus piceus hineinthat. Ich hatte zuvor die Chitinhülle an einem Rande des Schenkels geöffnet, damit der Magensaft besser zu den Muskeln gelangen könne. Später untersuchte ich auch in künstlichem Magensafte entweder in Kronecker’schen Verdauungs- ofen oder im Sommer zwischen zwei Uhrgläsern bei Zimmer- temperatur. Die in solcher Flüssigkeit gelegenen Muskeln boten nach Verlauf von Ys—1 Stunde in derselben Flüssigkeit untersucht, überraschende Bilder. Wie aus Fig. 1 ersichtlich (s. Zeich. a der 1. Abbild. der Tafel), besteht das Sarkolemma der Muskelröhren aus zwei separaten Platten. Die äussere ist hyalin, strukturlos; sie besitzt selten Kerne und dann auch nur wenige. Diese nenne ich die äussere oder hyaline Membran des Sarkolemma (membrana vel capsula externa hyaloidea Sarkolemmatis). Unter dieser be- findet sich in einer mit länglichen, manchmal dreieckigen körnigen Kernen versehenen Hülse die Muskelsubstanz. Diese zweite kernige Hülse (membrana vel capsula interna Sarkolemmatis) (s. Fig. 1 bei i) steht mit der von Krause!) genauer beschriebenen, von An- deren jedoch schon früher erkannten aber nur in Vergessenheit gerathenen Querlinie oder Grundmembran im Zusammenhang. Ohne diese Behandlung sind die äusseren und inneren Sarko- lemmahüllen getrennt nicht zu sehen, sie müssen durch irgend eine Kittsubstanz mit einander verbunden sein, denn sonst erscheinen sie als eine Lamelle und die Krause’schen Linien, welche die - isotrope Substanz halbiren, scheinen mit dem Sarkolemma zusam- menzuhängen, wie dies schon Krause?), nach ihm Plösz?) und andere beschrieben haben. Die -einzelnen Fasern der Schenkelmuskeln von Insekten (hydrophilus piceus) zeigen diese innere Platte des Sarkolemma’s bei dieser Behandlung selten dem in unserer Zeichnung darge- stellten Bilde ähnlich. Oftmals trennt sich diese von jenem, grösstentheils aber ist die innere kernige Lamelle so schwach von der Muskelsubstanz abgegrenzt, und wird oft in Folge von stärkerer Einwirkung des Magensaftes oder aus einem anderen mir unbe- 1) Krause ob. eit. Arbeit. 2) Krause ob. eit. Arbeit. 3) Plösz P. Orvosi hetilap. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 29 kannten Grunde körnig, so dass man sich kaum von ihrer Selb- ständigkeit überzeugen kann. In einzelnen Fällen hingegen bildet sie eine so dicke, doppelteontourirte und mit den Krause’schen Linien nicht nur fest zusammenhängende, sondern diesen sowohl bezüglich der Strahlenbrechung als auch der Consistenz vollkommen gleich sehende, sowie mit Methylgrün sich dieser gleichfärbende Grenzschichte zwischen Muskelsubstanz und äusserer Platte des Sarkolemma, dass ich sie in histologischer und histogenetischer Beziehung für ein separates Gebilde halten muss. Bemerkenswerth ist, dass sich diese und die Krause’sche Linie bei Verdauung mittelst Magensaftes lange Zeit hindurch nicht verändert, wohin- gegen die anisotrope und isotrope Substanz des Muskels ho- mogen, oft körnig wird, ja geschwunden erscheint. Bevor wir nun die Struktur der Muskelsubstanz behandeln, sei es uns gestattet, auf das Verhältniss zwischen Sarkolemma, beziehungsweise zwischen Muskel und Nerv umsomehr Rücksicht zu nehmen, als auf Grund meiner Untersuchungen zwischen Nerv und den beiden Lamellen des Sarkolemma’s ein Zusammenhang besteht. Engelmann!) beschreibt in seiner Arbeit, zeichnet es jedoch nicht ab, dass die Krause’schen Linien mit der Basis der End- platte zusammenzuhängen scheinen und dass, indem sich auf Ein- wirkung von Wasser die Muskelsubstanz von der Endplatte zurück- zieht, dieser Zusammenhang der Krause’schen Linien noch klarer erscheint. Während meiner Reise im Auslande im Jahre 1876 zeigte ich meine Muskel- und Nervendauerpräparate mehreren aus- ländischen Forschern, und diese, wenn ich sie richtig verstanden, theilten meine diese wichtige Bemerkung Engelmann’s bekräf- tigende Meinung?). Im Interesse der Wahrheit muss ich jedoch erklären, dass ähnliches — obwohl die Krause’schen Linien damals noch nicht bekannt waren — unser Landsmann Koloman Balogh’) schon 1) Engelmann. Mikroskopische Untersuchungen über die querge- streifte Muskelsubstanz. Pflüger’s Arch. Bd. VII. Heft 1—2—3. 1873. 2) Solche Präparate zeigte ich: in Wien Prof. Schenk, in Leipzig Ludwig, in München Prof. Voit und dessen damaligem Assistenten Forster, derzeitig Professor in Amsterdam, ebendort Kollmann, in Paris Ranvier, in Gratz den Professoren Rollett und Klemensiewicz. 3) Balogh Kälmän. Nehäny szö az izomidegek vegzödeseröl. Magyar akademiai ertesitö. 1865. S. 153— 178. 30 Ludwig v. Thanhoffer: gesehen und dieses in seinem akademischen Antrittsvortrag auch beschrieb und abzeichnete. Aus seinen Untersuchungen ist ersicht- lich, dass die Sohle der Endplatte gezahnt ist, und die Zähne in die anisotrope Substanz hineinragen. Seitdem sind solche Wahr- nehmungen auch von Anderen gemacht worden. Im Berichte über meine ausländische Reise!) betonte ich schon obgenannte Verhältnisse und wies sie auch dort in einer nach einem meiner Präparate entworfenen Zeichnung vor. Fig. 2 zeigt ein eben solches Bild. Vor nicht langer Zeit gelangte mir zur Kenntniss und gereichte mir zu grosser Freude eine in holländischer Sprache geschriebene Publication, welche Engelmann?) veröffentlichte und die in der kurzen Aufzählung und Constatirung der Resultate von Foettinger’s Beobachtungen besteht. Nach diesem gehen einzelne axeneylinder- artige Fortsätze aus der Endplatte in den Muskel und zwar in dessen isotrope Streifen. Zu jedem unter der Endplatte befind- lichen isotropen Streifen gingen 1—2 oder mehr Nervenfäden. Die Axeneylinder endigen immer an der Basis der Endplatte, wo sie mit den sogenannten Zwischenscheiben (Krause’sche Grund- oder Quermembran) in Contact stehen. Er sah keine den Muskel der Länge nach durchlaufende eontinuirliche Nervenfäden. Diesen Ver- hältnissen gemäss breitet sich der Reiz nach Engelmann von der Endplatte auf die Moleküle der isotropen Substanz des Muskels und so durch Muskelleitung auf den ganzen Muskel aus. Wie aus diesen ersichtlich ist, wird die schon früher von Engelmann und mir gemachte Beobachtung mit geringer Abän- derung nur bekräftigt, obwohl ich bestimmt erklären muss, dass ich die Krause ’schen Linien darum nicht als Axeneylinder ansehen kann, andererseits, dass meiner Ansicht nach die Krause’sche 1) Thanhoffer Lajos tnr. Jelentes 1876-ban külföldön tett uta- zasomröl. Kiadta a földmiv., ipar €s keresked. miniszterium. 1876. 2) Engelmann, W. (Foettinger). Koninklijke Akademie van weten- schappen te Amsterdam. 28. Juni 1879. Jahresbericht über die Fortschritte der Anatomie und Physiologie Bd. 8, 1880; weiter von Donders und Engelmann: ÖOnderzoekingen gedaan in het phys. Laborat. der Utrechtsche Hoogeschool. V. 1880. Heft 3. Centralbl. f. d. med. Wissensch., Referat von Rauber 1881. Nr. 11; und ausführlich von Foettinger: Sur les termi- naisons des nerfs dans les muscles des insecetes ete. Archiv. de Biologie. Tome I. fac. II. 1880. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 31 Linie nicht nur an der Basis der Endplatte, sondern im ganzen Muskel mit dem Nervenmantel in Zusammenhang steht, wie dies klar genug aus unserer obigen Zusammenstellung erhellt. Foettinger zeichnet unter seinen Figuren eine solche nicht ab, wie ich sie nach einem meiner aus den Schenkelmuskeln von hydrophilus piceus verfertigten Präparate in Fig. 2 versinnlichte. Dieses Präparat ist seit mehreren Jahren in Glycerin eingeschlossen, und noch immer erscheint es an ihm klar, dass der Axencylinder des eintretenden Nerven in ein feines geschlossenes Netz zerfällt und hie und da lässt es sich verfolgen, dass die einzelnen Fäden des Netzes durch die untere Lamelle der Endplatte dringend, in die Krause’sche Linien übergehen, so wie dies letztgenannte Ver- hältniss von Foettinger beschrieben und abgezeichnet wurde. Dies kann man jedoch nur sehr selten sehen, jedoch immer wahr- nehmen, dass — wenn wir bei solcher Behandlung, wie ich oben angegeben, die Insektenmuskeln untersuchen — die untere körnige und kernige, „Nervenmantel* genannte Schichte der Endplatte mit den Krause’schen Linien, mit den nach Rauber’s und meiner Meinung mit dem Namen „Nervenplatte* bezeichneten Muskel- bestandtheilen in Zusammenhang steht. In einem Falle (s. Fig. 3 d) konnte ich auch bei einem guten Goldpräparate an der Muskelröhre von hydrophilus piceus die Beobachtung machen, dass der eine der zu den beiden End- platten gehenden Axencylinder mit einem Kern des Nervenmantels zusammenhing. Fig. 4 a zeigt eine mit Ueberosmiumsäure (1 °/,) behandelte Muskelfaser der Scheere vom Flusskrebs (astacus fluviatilis) mit der Endplatte im Zusammenhange. Auf dieser sieht man deutlich den kernigen Nervenmantel, und neben diesem die besenartige Ausbreitung des eintretenden faserigen Axencylinders. Dass die den Krause’schen Linien entsprechenden Gebilde thatsächlich mit der Endplatte in organischem Zusammenhange stehen, davon können wir uns besonders schön überzeugen, wenn wir jene frisch auspräparirten und isolirten Muskelröhren von hydrophilus piceus untersuchen, welche mit der Endplatte zu- sammenhängen und sich noch contrahiren. Bei dieser Gelegenheit sehen wir, dass die Contractionswelle von der Endplatte aus- geht, wie dies auch Foettinger beobachtete, ja schon vor ihm 32 Ludwig v. Thanhoffer: Arndt!) behauptete; weiter, was wir besonders betonen müssen, dass die Krause’schen Linien während der Zeit der Contraction hier am dichtesten stehen, zum Zeichen, dass die Contraetion hier die energischeste ist; andererseits stehen die Krause’schen Linien am meisten senkrecht in der Mitte der Endplatte, wohingegen sie gegen deren beiden Enden zu an der Sohle allmählich eonvergiren, an der entgegengesetzten Seite der Muskelröhre dagegen mehr und mehr divergiren. Dies weist darauf hin, dass diese Linien zur Sohle der Endplatte gezogen werden, das heisst, dass sie mit ihr verwachsen sind. Die Zeichnung der Figur 4 versinnlicht diese Verhältnisse naturgetreu. Fig. 2 e zeigt die mit Speichel be- handelte Endplatte von hydrophilus und deren Verhältniss zum Muskel. Verdauungsversuche überzeugten mich ebenfalls vom orga- nischen Zusammenhange der Sohle der Nervenendplatte und der Krause’schen Linien. Figur 2b stellt die verdaute Muskelröhre von hydrophilus dar. Der Axencylinder der Nerven, die Nerven- substanz überhaupt wurde ausgezogen. Im Muskel sind nur die Krause’schen Linien sichtbar und zwar in organischem Zusammen- hange mit der kernigen inneren Platte des Sarkolemma’s, welche wir weiter oben Nervenmantel benannten. Aus Zeichnung b Fig. 1, welche einem verdauten Hydrophilusmuskel naturgetreu entnommen ist, ist deutlich zu sehen, dass die Hülle der Nerven mit der äus- seren Scheide des Sarkolemma’s verwächst, während die innere kernige Scheide, welche die Sohle der Endplatte bildet, eigentlich die innere kernige Platte des Sarkolemma’s ist. Gleich hochwichtig scheint mir jener Umstand, dass die Sohle der Endplatte, das heisst deren dem Muskel zugewendeter Theil, vom Muskel nicht nur durch eine dichtere kernige Nervensubstanz getrennt ist, wie dies schon Kühne?) unter dem Namen „Sohle der Endplatte* beschrieben hat, sondern, dass der Nerv nicht unmittelbar mit der Muskelsubstanz in Berührung steht, da er durch eine kernige membranartige Lamelle von dieser geschieden ist. Ich fertigte zum Beweise dieser Behauptung Längsschnitte von carminisirten Hydrophilusmuskeln an. Es ist mir gelungen, 1) Arndt: Untersuchungen über die Endigung der Nerven in den quergestreiften Muskelfasern. Arch. für mikrosk. Anatomie. Bd. IX. 2) Kühne: oben cit. Arbeit; ausserdem: Note sur un nouvel organe du systeme nerveux. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 33 so in Besitz einer wirklich gut getroffenen, zwei Endplatten be- sitzenden, rein der Länge nach durcehsehnittenen Muskelröhre und zweier an ihr befindlichen Endplatten, die ich ebenfalls longitudinal geschnitten antraf, zu kommen, wie dies Fig. 5 zeigt. Auf diesem Präparat!) konnte man deutlich bemerken, dass an der Basis der oberen Endplatte zwei spindelförmige Zellen mit ungefärbtem Körper, aber gefärbtem Kern sitzen. Aber auch ohne Längsschnitt kann man sich mit meiner Behandlungsmethode von diesem Verhältnisse überzeugen. Die Präparate, auf Grund deren ich die hier dargestellten Verhältnisse behandle, verfertigte ich auf folgende Weise. Ich entfernte mittelst einer Scheere den con- vexen Chitinrand von den Schenkeln des monatelang in Alkohol gelegenen, jedoch lebend hinein gethanen hydrophilus piceus. So färbte ich dann den Schenkel in ammoniakalischer Carminlösung. Dann wusch ich ihn in essigsäurehaltiger Lösung aus, und nach- dem ich ihn in gewöhnlichem, dann in absolutem Alkohol ent- wässert und in Terpentin aufgehellt, hob ich die ganze Muskulatur aus der Chitinhülle und bettete sie in Wachs ein. Die dann ver- fertigten Längsschnitte legte ich in Terpentin, aus diesem in Damarlack. Ebenso war mein Verfahren, wenn ich nicht Längsschnitte aufbewahren, sondern die isolirten unverletzten Muskelröhren unter- suchen wollte. Ferner verschloss ich die gefärbten und dann in Akohol und absolutem Alkohol entwässerten Muskelröhren in Glyeerin. Endlich untersuchte ich mit Ueberosmiumsäure oder mit Goldehlorid gefärbte Muskeln unter Glycerineinschluss. Fig. 2 b zeigt eine Muskelröhre von hydrophilus piceus mit Endplatte nach einem Alkohol-Carminpräparate. Die Endplatte ist gross und besitzt an ihrer Basis, wo sie mit den Krause’schen Linien zu- sammenhängt, zahlreiche glänzende Kerne. Bekanntlich ist ein Theil der Forscher der Meinung, dass die Nervenendigung ausserhalb des Sarkolemma’s der Muskelröhre sich ausbreite (Krause, Kölliker, Beale und andere); ein an- derer grösserer Theil hält dafür, dass sie sich unter dem Sarko- lemma (Kühne, Engelmann, Waldeyeru.a.), ein dritter Theil 1) Wie ich mit Bedauern erklären muss, zerbrach ein sonst ausnehmend geschickter Fachmann, dem ich das Präparat behufs Photographirens übergeben hatte, dasselbe in Stücke. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 3 34 Ludwig v. Thanhoffer: der Forscher glaubt, dass sie sich in der Muskelsubstanz selbst ausbreite (Margö, J. Gerlach, Leo Gerlach, Sokolow und theilweise auch Arndt). Auf Grund meiner Untersuchungen kann ich bestimmt be- haupten, dass der Nerv das Sarkolemma durehbohrt, aber nur dessen äussere hyaline Lamelle. Die innere Lamelle bleibt unver- letzt und in den Muskelröhren der Insecten breitet sich der Nerv in eine körnige mit Kernen, selbst mit einem feinen Netzwerk versehene Endplatte aus. Die Hülle dieser letzteren verwächst mit der äusseren Schichte des Sarkolemma’s. Was die Muskeln des Frosches anbelangt, so können wir auch deren Nervenendigung als Endplatte betrachten, so wie dies schon Kühne!) und in neuerer Zeit Fischer?) in seiner werthvollen Arbeit gethan, obwohl hier der Nerv unter dem Sarkolemma sich verästelt und eigentlich keine tellerförmige Endplatte zeigt. Meine an Goldpräparaten gemachten Untersuchungen (s. Abbild. Fig. 3) führten mieh zu Kühne’s, Fischer’s, Engelmann’s?), Kuhnt’s®) und Ranvier's’) übereinstimmenden Resultaten. Die gewonnenen Bilder stimmen vollständig überein, ausgenommen, dass ich die der älteren Ansicht Kühne’s entsprechende Struetur der Endknospen nicht finden konnte. Trotz meiner zahlreichen Goldpräparate sah ich doch nie die endplattenartigen verästelten Nervenausbreitungen die ganze Muskelröhre entlang laufen. Den Gerlach’schen®) netzartigen Gestalten (sog. intravaginales Netz) in mancher Beziehung ähnliehe Dinge fand ieh an der Eintritts- stelle der Nerven, ich konnte von diesem einzelne Fäden auch 1) Kühne oben cit. Arbeit. 2) Fischer E. Arch. für mikrosk. Anatomie. Bd. XIII, 1877. 3) Engelmann Th. W. Ueber die Endigungen der motorischen Nerven in den quergestreiften Muskeln der Wirbelthiere. Centralbl. für die med. Wissensch. 1863; und Untersuchungen über den Zusammenhang von Nerv- und Muskelfaser. Leipzig 1863. 4) Kuhnt J. H. Die peripherische Nervenfaser. Arch. für mikrosk. Anat. XII. 5) Ranvier L. Lecons sur l’histologie du syst&me nerveux. Paris 1879. 6) Gerlach J. Das Verhältniss der Nerven zu den willkürlichen Muskeln der Wirbelthiere. Leipzig, 1874 mit 4 Tafeln; und: Ueber das Ver- hältniss der nervösen und eontrahirten Substanz des quergestreiften Muskels. Pflügers Arch. Bd. VII, S. 399, 1873. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 35 weiterverlaufen und mit einem Kern zusammenhängen sehen, nie jedoch mit den interstitiellen und gefärbten Körnchenreihen. Alle jene Präparate, an denen ich in Profilansicht den Nerven auf der Muskelröhre sich ausbreiten sah, überzeugten mich sogar zweifel- los davon, dass, wie sehr verästelt die Nervenausbreitung auch immer sei, dieselbe sich immer nur unter dem Sarkolemma aus- breitete und bei keiner noch so vollkommenen Goldfärbungsmethode konnte man von ihr in der Muskelsubstanz selbst etwas sehen. Mir selbst gelang es so wie Fischer!), an Goldpräparaten die intramuseulären Nervenverzweigungen zu isoliren und mich zu überzeugen, dass diese unter dem Sarkolemma sich ausbreiten 2). Aus diesen meinen Untersuchungen erhellt es, dass der Nerv zwischen den beiden Lamellen des Sarkolemma’s sich ausbreitet, eine Endplatte an der inneren kernigen Lamelle des Sarkolemma’s bildend, welche wir „Nervenmantel“ nennen könnten aus dem Grunde, weil in Folge dieser Umstände thatsächlich dieser die in der Endplatte angesammelte Erregung der Muskelsubstanz über- mitteln kann, welche von ihr mantelförmig bedeckt wird. Ob die Krause’sche Querlinie eine Membran sei oder nicht, ist schwer zu entscheiden. Deren Strahlenbrechung, Consistenz (man kann sie auch isoliren, es gelang dies oftmals sowohl Krause, als Engelmann und mir), sowie die Ergebnisse der unter dem polarisirenden Mikroskop geschehenen Untersuchungen zeigen, dass sie der festeste Theil der Muskelsubstanz ist. Die Einwendung, dass diese Gebilde der Muskelcontraetion ein grosses Hinderniss in den Weg stellen, wird gegenstandslos, sobald wir den Muskel während der Contraction untersuchen und dessen interessanten Ver- lauf mit Aufmerksamkeit verfolgen. Ein gutes Objeet bilden für diesen Zweck die Muskeln von hydrophilus piceus und des Frosches. Jene untersuchten wir, schnell auspräparirt, während ihrer Eigenbewegung, diese bei Ein- wirkung des elektrischen Stromes. Die Fasern des auspräparirten Hydrophilen-Schenkelmuskels contrahiren sich auf folgende Weise. Am Ende oder in der Mitte 1) Fischer oben eit. Arbeit. 3) Hier sei es erwähnt, dass schon Koloman Balogh in seiner oben eitirten Arbeit zur Isolirung der Endplatte in der Blausäure ein sehr zweck- mässiges Mittel empfahl. 36 Ludwig v. Thanhoffer: der Muskelröhre entsteht eine Welle und pflanzt sich fort. An der srössten Ausbuchtung des Wellenberges kann man die Streifung noch immer sehen und diese Streifen entsprechen den Krause’- schen Linien, während an den beiden Seiten des letzteren am An- fang und am Ende der Welle um so breitere (uerstreifen sichtbar werden, je weiter diese vom Gipfelpunkt der Wellenentwickelung entfernt sind. Aus diesem ergiebt sich, dass die Querstreifen bei Contraetion des Muskels sich verschmälern, die Muskelröhre aber an der Stelle, wo die Welle entsteht, sich verbreitert. Es ist nun die Frage, ob das Schmälerwerden der Quer- streifen durch das Kürzerwerden der die Querstreifen bildenden anisotropen Fleischtheilchen (sarcous elements Bowman, Fleisch- säulen, Fleischprismen anderer Autoren), wäs kaum glaublich ist, oder durch eine andere Anordnung der von Brücke, Stricker und Anderen angenommenen „Disdiaklasten“ geschieht. Noch als Assistent an der Universität stellte ich im Auftrage meines gewesenen Chefs, Prof. Jendrässik, zahlreiche Versuche zur Prüfung dieses Gegenstandes an. Mein Verfahren war folgendes — und seither habe ich diese meine Untersuchungen oft mit ähnlichem Resultat wiederholt — dass ich unter dem Mikroskop an einzelnen auspräparirten Muskelröhren des Frosches (vonM. sartorius) mittelst des constanten elektrischen Stromes Oeffnungs- und Schliessungszuckung hervorrief und die darnach sich einstellenden Veränderungen studirte. Nach energischer Contraetion des Muskels sehen wir. worauf schon Jendrässik!) aufmerksam gemacht hat, mit schwacher oder mittelstarker Ver- grösserung, dass die Querstreifung im Muskel in kleine Körnehen (vielleicht Disdiaklasten) zu zerfallen scheint und im Muskelrohr die Querstreifung verschwindet. Aber nach Verlauf einer kurzen Zeit, wenn wir den elektrischen Strom nicht mehr auf das Muskel- rohr leiten, stellt sich Ruhe ein und es scheint uns, als ob die Querstreifung wieder hergestellt würde. Merkel?) und Engelmann?) beschreiben, dass bei der Con- 1) Jendrässik. Dolgozatok a m. k. tud. egyet. &lettani intezeteböl. M. tud. Akademia kiadvänya. 1880. 2) Merkel, F. Der quergestreifte Muskel. Arch. für mikrosk. Anat. Bd. VIII, und: Ueber die Contraction der gestreiften Muskelfaser. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XIX, 4. Heft, ausgegeben am 20. Juli 1881. 3) Engelmann. Mikroskopische Untersuchungen über die quergestreifte Muskelsubstanz. 1—2. Artik. Pflügers Arch. Bd. VII. 1873. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern 37 traction des Muskels ein sogenanntes „homogenes Stadium“ zu Stande käme, in welchem keine Querstreifung zu erkennen ist. Sie sprechen aber von keinem Zerfall in Körnchen. Sie behaupten dies auch von solehen Muskelfasern, die nicht durch den elektrischen Strom in Contraction versetzt, sondern während der natürlichen Zusammenziehung untersucht worden sind. Uebrigens müssen wir bemerken, dass es auch an Solchen nicht fehlt, die dies verneinen, wie z. B. Dwight!) und auch Ranvier?). Andererseits können wir uns bei derlei Untersuchungen leicht irren, denn es kommt vor, dass an der Oberfläche der Muskel- substanz, am unteren Theile des Sarkolemma’s, unzählige Körnchen erscheinen (wahrscheinlich Zersetzungsprodukte, die aus dem aus- geschnittenen Muskel nicht entfernt werden können), welche die tiefer liegende Querstreifung verdecken. Wenn wir das Mikroskop auf eine tiefere Stelle einstellen, so sehen wir bei der Contraction, beziehungsweise bei der hier eintretenden Verdiekung des Muskel- rohrs, wenn wir die Mikrometerschraube nicht auch nachführen, nur die Oberfläche der Muskelsubstanz mit ihren körnigen Zer- setzungsprodukten, während wir beim Zurückkehren des Muskel- rohrs in den Ruhezustand wieder die gewöhnliche Querstreifung sehen werden, aber ohne dass die Querstreifung des Muskelrohrs in obigem Sinne in Disdiaklasten zerfallen wäre. Dass diese jedoch in Körnchenreihen zerfällt, davon wenigstens überzeugte ich mich oft bei meinen mit dem elektrischen Strome geführten Untersuchungen; nur konnte ich mir von einer Restitution der Streifen in dem Sinne, als ob die Körnchen sich wieder zu solchen gruppiren, bis heute noch keine sichere Ueberzeugung ver- schaffen. Ich muss hier noch eine bemerkenswerthe Wirkung des Höllen- steins auf die Insektenmuskeln mittheilen. Wenn wir nämlich die Schenkelmuskeln deshydrophilus piceus oder anderer grösserer Inseeten mit 1—2°/,iger Höllensteinlösung imprägniren (am besten ist, wenn man die Chitinscheide des Schenkels an der einen flachen, breiteren Seite öffnet und so den ganzen Schenkel in Höllenstein- lösung legt, da die einzelnen Muskelröhren einzeln imprägnirt, ver- 1) Dwight Th. Structure and action of striated museular fibre. Jahresbericht über die Fortschritte der Anat. und Physiol. 1874. 2) Ranvier L. Du spectre musculaire. Comptes rendus Nr. 22. 1874. 38 Ludwig v. Thanhoffer: unstaltet werden), so gewinnen wir Bilder, auf denen die starken Krause’schen Linien mit schwarzen Longitudinallinien verbunden sind. Manchmal erscheinen diese Linien bei Imprägnation mit Höllen- stein oder auch mit Gold als aus lauter Körnchenreihen bestehend. Am Querschnitt zeigen die mit Gold gefärbten das Mosaik der be- kannten Felder, während diese an mit Höllenstein imprägnirten Präparaten nur an den Rändern des Querschnitts sichtbar sind, da der Höllenstein nicht tief einwirkt. Es ist nun die Frage, was für eine Bedeutung haben diese in immer gleichbleibenden Ent- fernungen auftretenden Linien? Wenn wir den Muskel mit Speichel oder Essigsäure behandeln, am besten aber, wenn wir diesen in der meines Wissens zuerst von Margö!) für den Muskel empfohlenen 1°/,igen Oxalsäurelösung, oder in Verdauungsflüssigkeit untersuchen, so sehen wir besonders schön diese mit den Krause’schen Linien zusammenhängenden länglichen Linien. Bei dieser Gelegenheit, wenn diese Reagentien eine bestimmte Zeit hindurch eingewirkt haben, wird die Muskelsubstanz theils ausgezogen, theils verliert sie ihre normale Brechung und man sieht nichts anderes als das Sarkolemma und die mit ihr zusammenhängenden Krause’schen Linien. Es sprechen solche Bilder für die Existenz der Krause’schen Muskel- fächer. Wir können sehr oft selbst zur Ansicht soleher Bilder gelangen, auf welchen die einzelnen sog. dise's (Bowman) des Insektenmuskels erscheinen, die dann entstehen, wenn wir die mit Chlorgold (1°/ige Lösung) gefärbten, und dann in Bastian- Pritehard’scher Flüssigkeit (der Reduktion halber) einen Tag hindurch gelegenen Muskelröhren des hydrophilus piceus mit- telst Nadeln zerzupfen und in Glycerin untersuchen. Wiederholtes schwaches Schlagen auf das Deckglas leistet dem Zerfall noch Vorschub. So können wir eigentlich die Krause ’schen Linien isoliren (mittelst Säuren haben Krause und Andere sie schon iso- lirt) und uns überzeugen, dass sie die in ‘der Profilansicht er- scheinenden Kanten fester Lamellen waren. An den Flächen dieser isolirten Platten können wir die Mosaik wiederfinden. Obwohl dies sich in den Muskelröhren der Insekten bei Be- handlung mit diesen Reagentien so verhält — ja man kann an ihnen selbst bei frischen Untersuchungen ähnliches sehen — s0 reifte in mir auf Grund meiner lange Zeit hindurch fortgeführten 1) Margö oben eit. Arbeit. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 839 Untersuchungen doch nicht die Ueberzeugung, dass die Krause’- schen Quer- und vorzüglich die Longitudinallinien Membranen wären. Doch ich glaubte, diese Verhältnisse ihres Interesses und ihrer Wichtigkeit halber erwähnen zu müssen. Weiter muss ich noch einer wichtigen Thatsache erwähnen. Am Sehnentheil der auf obige Weise mit Gold imprägnirten Insecten- Muskelröhre hatte ich mehrmals Gelegenheit, ein vollkommen ge- schlossenes und mit kernigen Knotenpunkten zusammenhängendes Netzwerk zu finden, wie es Fig. 6!a und 6!b zeigt. Die ein- zelnen Knotenpunkte dieses Netzwerks bilden mit mehreren Fort- sätzen versehene kernige Zellen. Manche kurze Muskelröhren zeigten diese bald ihre ganze Länge hindurch und sie liefen dann, wie Fig. 61a zeigt, nur unter dem Sarkolemma (s = Sarkolemma, i = Muskel) fort; wohingegen sie an längeren Muskelröhren an keiner anderen Stelle erscheinen, als an deren einem Ende, wo diese Netze sich auch in die Sehne fortsetzen (s. Fig. 6!b, wo i die Muskelsubstanz, s dagegen die Sehne bedeutet). Ich sah diese Netze nie mit einem Nerv zusammenhängen, obwohl ich manchmal Gelegenheit hatte, nervenähnliche Fäden zu diesen Gebilden ziehen zu sehen; genauere Untersuchungen überzeugten mich jedoch, dass diese Fäden die während der Präparation abgerissenen Muskel- fibrillen waren. Am sehnigen Ende der einzelnen kurzen Muskelröhren der Gastroknemiusmuskeln des Frosches hatte ich Gelegenheit, den Nerv durch die Sehne eindringen zu sehen, aber dessen Endigung war — vielleicht in Folge von unvollkommener Imprägnation dieser Stelle — nicht zu sehen. Am Ende von Froschmuskelröhren war ich nicht so glücklich, solch ein Zeilennetzwerk sehen zu können. Die durch Sachs und Rollett!) beschriebene Nervenendigung im sog. „sternoradialen“ Muskel des Frosches, oder die durch Golgi?) in der Sehne skizzirte Nervenendvorrichtung hatte ich nicht Ge- legenheit zu untersuchen, ich kann mich also darüber nicht äussern; das kann ich jedoch bestimmt behaupten, dass dies oben beschrie- 1) Rollett: Ueber einen Nervenplexus und Nervenendigung in einer Sehne. Sitzungsber. d. Akad. d. Wissensch. Wien 1876. Bd. LXXIll. III. Abth. 1.—5. Heft. 2) Golgi: Intorno alla distribuzione e terminazione dei nervi nei tendini del’ uomo e di altri vertebrati. Rendiconti del reale istituto lombardo, und Gazz. lomb. 1878. 40 Ludwig v. Thanhoffer: bene Netzwerk, der Beschreibung und den Zeichnungen obiger Autoren nach zu urtheilen, nicht die durch sie beschriebene Nerven- endigung ist. Dieses beim Käfer vorkommende Zellennetz, welches ich für ein Lymphraumsystem (Saftkanalsystem) zu halten geneigt bin, durchzieht thatsächlich die Muskelsubstanz, steht aber mit keinem Nerven im Zusammenhang. Die Verbindung des Muskels mit der Sehne am Insektenmuskel ist eine derartige, dass die einzelnen Lamellen der zwischen den einzelnen Bündeln der Sehne befind- lichen und von mir isolirten (nach Imprägnation mit Gold) mit lamellösen Fortsätzen versehenen Zellen, die den Waldeyer’schen . flügelförmigen Zellen ähnlich sind, zwischen die Kittsubstanz der einzelnen Bündel des Muskelrohrs eindringen, und sie jene körnigen mit kernigen Knotenpunkten versehenen Lymphräume zwischen sich fassen, deren oben Erwähnung geschah (s. Fig. 6a—b, Fig. 6!a und 6!b). Zu interessanten Resultaten, welche mit unseren Angaben in Uebereinstimmung gebracht werden können, gelangte Arnold‘), als er in den Lymphsack des Frosches indigoschwefelsaures Natron brachte und nach einiger Zeit in den Muskeln blaue Körnchenreihen in soleher Anordnung fand, in welcher Gerlach bei seinen Gold- präparaten die für Nervensubstanz gehaltenen gefärbten Körnchen- reihen gefunden. Weiter fand er, dass diese zwischen den die Muskelröhren zusammensetzenden Muskelfibrillen und den Muskel- körperchen vertheilt waren und auch mit den in der Sehne befind- lichen Räumen in Communication standen, ja, dass in diesen dureh ihn Lymphräume benannten Spalten an der Grenze zwischen Sehne und Muskel die Körnehen viel grösser und zahlreicher waren, als im Muskel selbst. L. Gerlach?) erhielt während seiner Untersuchungen mit indigoschwefelsaurem Natron analoge Resultate, er erwähnt nur keines Farbstoffes in den Muskelkörperchen. Was die im Muskel zwischen den einzelnen Fibrillen befind- liche interstitielle Substanz anbelangt. so versuchten diesbezüglich 1) Arnold, J. Ueber die Abscheidung des indigoschwefelsauren Natrons im Muskelgewebe. Virchows Archiv. Bd. 71, 1877. 2) Gerlach, J. Ueber das Verhalten des indigoschwefelsauren Natrons etc. 1876. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 41 Mehrere nachzuweisen, dass die in ihr befindlichen Körnchen Fett- körnchen seien, welche das Gold redueiren. Ich stimme mit Jendrässik!) darin überein, dass es nicht zweckmässig sei, bei allen kleinen glänzenden Körperchen ohne alle chemische Unter- suchungen zu behaupten, sie wären Fettkörnchen. Mittelst Chinolin’s (Quin-olein), von welchem uns durch Ranvier?) bekannt ist, dass es ein Fett nachweisendes Reagens ist, gelang es mir jedoch, die im Muskel in Reihen der Länge nach befindlichen Körnchen blau zu färben, und zwar war dieses Blau gerade das das Fett charak- terisirende eigenthümliche Blau. Ausserdem gelang es mir, indem ich den Muskel mit Aether behandelte, diese Körnchen in eine grössere Masse zu gruppiren und theilweise zu extrahiren, endlich mit Ueberosmiumsäure schwarz zu färben. Das Muskelrohr selbst nahm dann eine gelbbraune Färbung an. Im Winter sehen wir oft an den Muskeln von hyla arborea, bei einer eigenthümlichen und tödtlichen Krankheit, wobei ihre Muskeln wachsähnlich gelb werden, ein ausnehmend schönes Beispiel von mit Fettkörnehen gefüllten Muskelröhren. Mit solchen angestellte Versuche führten zu ähnlichen Ergebnissen. Die äussere Lamelle des Sarkolemma’s hängt mit der Sehnen- scheide zusammen, wie dies Froriep?°) auf Grund seiner Ver- dauungsversuche nachgewiesen, und diesbezüglich ist er mir mit seiner Mittheilung zuvorgekommen (s. Fig. 1 e). W. Wolff) behauptet dies auch und er gelangte auf Grund seiner an Embryonen vollführten Untersuchungen zu ähnlichen Resultaten. Auch Frederieq’) behauptet, dass das Sarkolemma auf die Sehne übergeht. 1) Jendrässik oben eit. Arbeit. 2) Ranvier, L. Trait& technique d’histologie. Fasc. I—V. 3) Froriep. Ueber das Sarkolemma und die Muskelkerne. Arch. für Anat. und Physiologie 1878. Heft IV—V. 6. Nov. 1878. 4) Wolff, W. Ueber den Zusammenhang des Muskels mit der Sehne. Dissertatio. Berlin. (Medic. Centralbl. Nr. 40.) Mit den Ergebnissen der neuesten Arbeit Wolff’s: „Ueber Nervenendigung im quergestreiften Muskel“ im Arch. für mikrosk. Anat. Bd. XIX im 3. Heft kann ich mich, wie man aus dem Vorstehenden ersieht, keineswegs einverstanden erklären. 5) Frederieq, L&on. Generation et structure du tissu musculaire. Memoire couronne. Bruxelles 1875, 42 Ludwig v. Thanhoffer: Ebenso äussert sich Wagener!), behauptet aber ausserdem, dass auch die Muskelsubstanz in das Sehnengewebe übergehe. Endlich überzeugte ich mich während meiner Untersuchungen mit Gold, dass die zwischen den Muskelröhren hinziehenden Nerven- stämme, so wie es Ranvier bei mehreren Nerven nachgewiesen, in einem Raume (perineuraler Raum) liegen, welcher um so zahl- reichere Wandungen besitzt, aus je zahlreicheren Nervenröhren der Nervenstamm zusammengesetzt ist, und dass das Innere der Wan- dungen mit Endothelzellen bedeckt ist. Hauptergebnisse meiner Untersuchungen: 1) Das Sarkolemma der quergestreiften Muskelröhren der In- seeten besteht aus zwei isolirbaren (durch Verdauung) Schichten. Die äussere ist hyalin, homogen, die innere kernhaltig und membranös. 2) Der Nerv endigt in der Muskelröhre in der bekannten End- platte und diese breitet sich zwischen den beiden Lamellen des Sarkolemma’s so aus, dass die Hülle der Nerven mit der äusseren Lamelle verwächst. 3) Der Axeneylinder des eintretenden Nerven theilt sich gabel- förmig und verästelt sich bei den Insekten netzförmig in der End- platte. In den Muskeln des Frosches endigt der Nerv unter dem Sarkolemma ebenfalls in einer Endplatte, nur dass in dieser der Axeneylinder eine von Änderen schon früher behandelte Verästelung bildet und dessen einzelne Fäden mit den über der Muskeisubstanz befindliehen Kernen zusammenhängen, beziehungsweise schmiegen sich nur die Kerne dem Axencylinder an. Dieses Netzwerk dringt nicht in die Muskelsubstanz ein, befindet sich nur an einer Stelle des Muskelrohrs, und zwar an der Eintrittsstelle der Nerven und verästelt sich nieht die ganze Länge des Muskels hindurch. 4) Die Sohle der Endplatte ist, wenigstens bei den Insekten- muskeln, durch ein zelliges membranartiges Gebilde (Nerven- mantel) von der Muskelsubstanz geschieden, während diese Sohlen- membran und die von dieser sich ausbreitende kernige innere La- melle des Sarkolemma’s mit den Krause’schen Querlinien (man kann sagen „Nervenplatten“) zusammenhängt. l) Wagener, G. Ueber die Verbindung von Muskel und Sehne unter einander. Stzber. d. Gesellsch. zur Beförderung der ges. Naturwissenschaften zu Marburg, 1874. Beiträge z. Histologie u. Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern. 43 5) Bei energischer Contraction des Muskels (durch den elek- trischen Strom) zerfällt die Querstreifung in Körnchen, die dann noch bestehende Querstreifung wird von den nahe an einander ge- rückten Krause’schen Linien gebildet, während auch diese bei sehr energischen Contractionen zu verschwinden scheinen. 6) Im Insektenmuskelrohr kann man in dessen gestrecktem Zustande alle bisher beschriebenen Streifen sehen. 7) Die äussere Scheide des Sarkolemma’s der Muskelröhren verwächst mit der äusseren hyalinen Hülle der mit ihr zusammen- hängenden Sehne, während in der Muskelsubstanz bei der Sehne aus dieser eindringende röhrenförmige Netze und an deren Knoten- punkten zellenähnliche, kernige Gebilde sich befinden, welche den Lymphräumen anderer Organe ähnlich sind. Diese dringen eine kleine Strecke weit im Muskelrohr weiter vor, dann verlieren sich ihre Aeste unbemerkbar in die Kittsubstanz der Muskelrohrfibrillen. Diese Kanäle können nichts anderes als Lymphräume sein. 8) Bei Zerzupfen von Goldpräparaten erschien es klar, dass an der Vereinigungsstelle der Sehne mit der Insektenmuskelsubstanz in diesen erwähnten Lymphbräumen Windmühlenflügeln ähnliche, mit Fortsätzen versehene Bindegewebszellen sich befinden, und dass deren einzelne Lamellen theils zwischen die Fasern des Sehnen- gewebes, theils zwischen die Fibrillen-Bündel des Muskelrohres eindringen. 9) Die Nervenstämme der Muskeln liegen in einem Raume (perineuraler Raum), welcher eine mehrschichtige mit Endothel- zellen versehene Wandung besitzt. 10) Die durch Zerzupfen isolirten Insekten - Muskelröhren (Hydrophilus), welche mit einer Endplatte zusammenhängen und in ihrer eigenen Flüssigkeit oder in Speichel untersucht, in Contraction sich befinden, bieten ein interessantes Bild. Die mit der kernigen Grundmembran (die innere Lamelle des Sarkolemma’s) der End- platte zusammenhängenden Krause’schen Linien stehen nämlich unter der Endplatte während der Contraction am gedrängtesten und convergirend, zu beiden Seiten erscheinen sie loser an einander gereiht, als ob sie durch irgend etwas an der Basis der Endplatte festgehalten würden. Dies ist ein Beweis dafür, dass die Endplatte und die Krause’schen Linien mit einander in festem Zusammen- hange stehen. 44 Ludwig v. Thanhoffer: Beiträge zur Histologie etc. Erklärung der Tafeln III und IV. Fig. 1. a Muskelrohr von hydrophilus piceus mit Verdauungsflüssigkeit behandelt. h äussere hyaline Lamelle des Sarkolemma’s, i dessen innere kernige Lamelle (Nervenmantel), b auf dieselbe Weise be- handelte und mit Endplatte versehene Muskelröhre. Die innere Lamelle bildet die Sohle der Endplatte, e mit einer Sehne zusam- menhängende Muskelröhre verdaut, die äussere Platte des Sarkolem- ma’s ist mit der Sehnenscheide verwachsen. Untersuchung mit Hart- nack’s Objectiv Nr. 8 und Ocular Nr. 2. Fig. 2. Mit einem Nerv zusammenhängendes Muskelrohr von hydrophilus piceus. Der Axencylinder ist in der Endplatte in ein Netz ver- ästelt, unten scheinen dessen einzelne Fäden mit den Krau se’schen Linien zu verschmelzen. Die Endplatte hat sich von der Muskel- substanz zurückgezogen. Hartnack’s Immersion Nr. 10; dessen Ob- Jeetiv Nr. 8 zeigt dies jedoch auch gut. Alkohol-Carminpräparat, in Glycerin eingeschlossen. Zu beiden Seiten der Krause’schen Linien sind die sog. Nebenscheiben gut sichtbar. Fig. 2 a. Sich zusammenziehende Muskelfaser von hydrophilus piceus mit Speichel untersucht. Hartn. Obj. Nr. 8, Oc. Nr. 2. Fig. 2b. Muskelfaser von hydrophilus verdaut. Man sieht nur die Endplatte im Zusammenhang mit den Krause’schen Linien. Fig. 2c. Sich zusammenziehende Muskelfaser von hydrophilus mit Speichel. Sie zeigt den Zusammenhang der Krause’schen Linie mit der Fusssohle der Endplatte. Fig. 2d zeigt eine Muskelfaser von hydrophilus mit Endplatte und deren Zusammenhang mit den Krause’schen Linien, Lackpräparat. Fig. 3a, b,c. Mit Gold und Bastian-Pritchard’scher Flüssigkeit be- handelte Froschmuskelröhren mit Nervenendigung. d Muskelrohr von hydrophilus piceus mit einem zwei sich vereinigende Axen- eylinder besitzenden Nerven. Fig. 4 Muskelrohr von hydrophilus piceus in Contraetion. a Muskelrohr mit Endplatte aus der Scheere von astacus fluviatilis. Mit Ueberosmiumsäure behandelt. Hartn. Immers. Nr. 10. Fig. 5. Muskelrohr von hydrophilus piceus. Längsschnitt mit 2 End- platten. Die eine (obere) Endplatte an ihrer Basis mit Kernen. Hartn. Obj. Nr. 8. Fig. 6. a In die Sehne übergehendes Ende des Muskelrohrs mit Endothel- zellen ähnlichen Zellen, Goldpräparat; bei b sind solche Endothel- zellen isolirt; 6—'!a mit kernigen Knotenpunkten versehenes Lymph- raumnetz, Goldpräparat. 6—!b ein ebensolches an dem in die Sehne übergehenden Muskelende. W. Wolff: Ueber die Keimblätter des Huhnes. 45 Ueber die Keimblätter des Huhnes. Von Dr.: W. Wolff in Berlin. Hierzu Tafel V. Es ist wohl kein Capitel in der gesammten Embryologie so vielfach behandelt worden als die Entstehung der Keimblätter zu- mal vom Huhne, und trotzdem ist sowohl über die Entstehung der- selben als auch über deren Bedeutung, die mit der Entstehung ja Hand in Hand geht, keine Einigung erzielt worden, im Gegentheil es existiren fast so viele verschiedene Meinungen, als Arbeiten geliefert sind. Die Ursache zu dieser Divergenz in den Meinungen liegt wohl einerseits in der Schwierigkeit der Untersuchungen selbst, die noch dadurch gesteigert wird, dass man es mit fort- während sich verändernden Elementen zu thun hat, und es leicht geschehen kann, dass man eine Phase der Entwicklung überspringt und dann zu falschen Schlüssen veranlasst wird; andererseits mag auch wohl eine gewisse Unklarheit in der Auffassung des Begriffs „Keimblatt“ den Grund zu abweichenden Anschauungen gegeben haben. Ich möchte, ohne auf eine erschöptende Definition Anspruch zu machen, denselben kurz in folgendeu Worten zusammenfassen: „Keimblatt ist eine blatt- oder hautförmige ohne Zwischenglied aus Zellen des Keimes (Blastos) durch speeifische Umlagerung und Umformung derselben hervorgegangene Anlage.“ Es kann dem- nach ein Keimblatt nicht aus einem anderen Keimblatte entstehen; würden wir dies zugeben, so wären die Keimblätter unter sich keine homologen Bildungen, sondern das eine Keimblatt wäre eine Tochter-Bildung des anderen, während das erste direet aus dem Keime hervorgegangen wäre. Ferner kann man nicht einen Zellenecomplex Keimblatt nennen, ehe nicht eine blatt- oder haut- artige Anlage vorhanden ist, endlich muss dieselbe auch von den daranliegenden Elementen des Keimes sich durch eine speeifische 46 W. Wolff: Umformung ihrer Elemente unterscheiden. Die Missachtung dieser im Prineip wohl von den meisten Forschern gebilligten Forderungen hat viel Verwirrung gemacht. Ich komme bei der Beschreibung des inneren Keimblattes noch darauf zurück. Die Furchung des Hühnereies ist von verschiedenen Forschern ziemlich übereinstimmend beschrieben worden, so dass ich hier auf dieselbe nicht näher einzugehen brauche. Doch möchte ich bemerken, dass man fast durchweg erwähnt findet: der Bildungs- dotter furche sich in der Mitte und Oberfläche schneller als in der Tiefe und am Rande. Niemand hat dies bis jetzt bewiesen; son- dern eine Thatsache ist nur die, dass die Furchung in der Mitte!) und Oberfläche beginnt, also bei gleichmässiger Schnelligkeit der Furchung hier früher beendet ist, als in der Peripherie und in der Tiefe. Für die Entstehung der Furchungshöhle, glaube ich, haben wir eine hinreichende Erklärung durch die Vergleichung mit der Furehung des Säugethiereies. Gerade so wie sich bei diesem vor der Theilung der Dotter zusammenzieht und, während er vorher die Dotterhaut ganz erfüllte, nun von derselben absteht, so zieht sich auch beim Vogelei der Bildungsdotter vor der Theilung zu- sammen, d. h. er scheidet eine flüssige Masse aus, während die festere sich um den Kern ballt. Hierdurch entsteht das Ursaft- lückensystem von Rauber, welches den Keim in seinem Maulbeer- stadium durchzieht. Aus diesem Lückensystem entsteht dadurch, dass die Furchungskugeln immer kleiner werden und näher zu- sammenrücken, schliesslich eine niedrige Furchungshöhle, über der sich der Keim als Deeke ausbreitet; diese Furchungshöhle geht später, dadurch dass sich der Nahrungsdotter auflöst, in die Keim- höhle über. Nahrungsdotter aber wird verbraucht, sobald an irgend einer Stelle des Keimes der Furchungsprocess in einen Wachs- thums- und Vermehrungsprocess übergegangen ist. Letzteres findet schon, während das Ei sieh im unteren Theile des Eileiters be- findet statt, wenn auch die Vergrösserung des Keimes in der Fläche zum grossen Theil nur auf Rechnung einer Verschiebung der Elementartheilchen zu setzen ist. Der Keim, der anfänglich linsenförmig ist, verändert im 1) Ich sage der Kürze halber Mitte; in der That liegt der Ausgangs- punet der Furchung, wie Kölliker nachgewiesen hat, etwas excentrisch. Ueber die Keimblätter des Huhnes. 47 unteren Theile des Eileiters seine Form, indem er gerade in der Mitte dünner wird als am Rande. Diese Formveränderung hängt höchst wahrscheinlich mit der Bildung des äusseren Keimblattes zusammen, indem nämlich die tieferen Schichten der Mitte zur Bildung des äusseren Keimblattes dadurch, dass sie sich in dasselbe einreihen, mit verbraucht werden. Der Keim des frisch gelegten Hühnereies besitzt ein vollständig ausgebildetes, mehrschichtiges äusseres Keim- blatt (oder eetoblastoderma), das heisst, er besitzt eine blattartige Anlage, welche als seine Aussenfläche sich von den übrigen Furchungselementen durch ihre Form und Lage geschieden hat. Ausserdem unterscheidet sie sich noch chemisch von den darunter befindlichen Furchungselementen, indem sie sich mit den meisten Färbemitteln bedeutend intensiver färbt als jene. Ob in diesem Stadium das äussere Keimblatt schon alle Zellen in sich aufge- nommen hat, die es aus dem gemeinsamen Keime bezieht und nun ganz auf sein eigenes Wachsthum angewiesen ist, oder ob es im Laufe der Entwicklung noch durch neu hineinkommende Furehungszellen vergrössert wird, ist eine schwer zu beantwortende Frage, da Unebenheiten an der unteren Fläche des äusseren Keim- blattes sowohl von Wucherungen der Zellen desselben, als auch von Anlagerungen neuer Furchungszellen herrühren können. Unter dem äusseren Keimblatte befindet sich der Rest von Furchungs- elementen, derselbe bildet eine lose zusammenhängende, ganz un- regelmässig begrenzte Schicht, in der man alle Uebergänge von der Keimzelle bis zu gröberen Furchungskugeln trifft. Diese Schicht ist da, wo sie sich über der Keimhöhle ausspannt, dünner als am Rande, wo sie dem weissen Dotter aufliegt. Der Grund hierfür ist einerseits, wie schon erwähnt, in der Aufnahme eines Theils der Keimzellen der Mitte in das äussere Keimblatt zu suchen, andrerseits aber scheint die Gegend des Keimes, die sich über der Keimhöhle ausbreitet, dünner als sie in der That ist, und zwar dadurch, dass die Furchungs-Zellen und -Kugeln hier nicht dicht an einander liegen, sondern zerstreut in der Keimhöhle, zum Theil auch am Boden derselben lagern, während am Rande die Furchungselemente aussen vom äusseren Keimblatte und innen vom weissen Dotter ohne Spielraum eingeschlossen sind. Dieser Rand (Randwulst nach Götte) ist in der hinteren Hälfte des Keimes stärker ausgebildet als in der vorderen. Der beschriebene nach der Bildung des äusseren Keimblattes 48 W. Wolff: übrig gebliebene Theil von Furchungselementen ist von mehreren Forschern inneres Keimblatt genannt worden; ich muss die Be- rechtigung zu dieser Benennung bestreiten und zwar aus dem Grunde, weil wohl ein Keim, jedoch noch keine blättrige Anlage vorhanden ist, und wir damit, dass ein äusseres Keimblatt gebildet ist, noch keine Berechtigung haben, die zu diesem Keimblatte nicht verwendeten Zellen diesem als inneres Keimblatt gegenüber- zustellen. Auf diese Weise antieipiren wir, dass alle weiteren Differenzirungen des Keimes entweder aus dem äusseren oder in- neren Keimblatte hervorgehen müssen, und wir begeben uns des Vergleiches mit Keimblättern, die auf eine andere Weise oder in anderer Reihenfolge entstehen. Auch der Name „innere Keim- schieht“ für den Rest der Furchungselemente ist zu verwerfen, da dieselbe nicht einer äusseren Keimschicht, sondern dem äusseren Keimblatte gegenübersteht, und diese beiden keine homologen Glieder einer Gruppe vorstellen. Ich glaube, dass mit dem Ausdruck „Rest der Furchungselemente“ diese Zellen genugsam bezeichnet sind; jedenfalls wird durch diese Bezeichnung der Auslegung der Weiter- entwicklung in keiner Weise vorgegriffen. Eine Membran am Boden der Keimhöhle scheint mir ebenso wenig vorhanden zu sein, wie eine solche vordem zwischen Nah- rungs- und Bildungs-Dotter existirt hat, dieselbe müsste auch bei der stetigen Formveränderung der Keimhöhle fortwährenden Wand- lungen unterworfen sein. Man sieht wohl am Boden der Keimhöhle eine durch die Härtungs- oder Gerinnungsmittel erzeugte structur- lose Schicht, dieselbe ist jedoch erst künstlich durch die Gerinnung einer geringen Menge flüssigen weissen Dotters erzeugt. Die erste Folge nun der Bebrütung ist, abgesehen von der fortwährenden Vermehrung der Keimzellen, die Ausbildung einer zweiten blattförmigen und zwar einschichtigen Anlage des Keimes; dieselbe entsteht im Gegensatz zur äusseren als innere Abgrenzung desselben und Kann füglich inneres Keimblatt (oder endoblasto- derma) genannt werden. Das innere Keimblatt entsteht durch die Verbindung und Umwandlung der innersten Keimzellen, die aus der kugligen Form sich zu grossen, platten, an der Kernstelle durch den Kern verdickten und dadurch auf dem Durchschnitte spindelförmig aussehenden epitheloiden Zellen umgestalten. Das innere Keimblatt ist nicht nur als Decke über der Keimhöhle aus- gespannt, sondern begrenzt die ganze untere Fläche des Keimes. Ueber die Keimblätter des Huhnes. 49 Ob die Umbildung zu platten Zellen des inneren Keimblattes vom Rande oder von der Mitte aus beginnt, war mir nicht möglich zu entscheiden, da dasselbe am Rande wegen des anhaftenden weissen Dotters äusserst schwer zu erkennen ist; entfernt man jedoch den weissen Dotter, so geht gewöhnlich auch das feine Zellhäutchen des inneren Keimblattes mit verloren. Ungefähr von diesem Stadium an unterscheidet man am Keime einen hellen und einen dunklen Fruchthof. Ersterer entspricht dem Theile des Keimes, der über der Keimhöhle ausgebreitet ist, letz- terer dem Theile, der auf dem weissen Dotter aufliegt; derselbe ist hauptsächlich durch das Anhaften des weissen Dotters am Keime, weniger durch die Dicke des Randwulstes bedingt. In dieser Zeit entspricht der Keim des Huhnes am meisten der Gastrulaform; er unterscheidet sich von einer reinen Gastrula dadurch, dass zwischen äusserem und innerem Keimblatte Zellen vorhanden sind, die keinem von beiden Blättern angehören; die- selben findet man jedoch bei fast allen Thieren von den höher organi- sirten Coelenteraten an aufwärts; diese Zellen sind nicht von einem der beiden Keimblätter abzuleiten, sondern sind ein plus, das der Keim nach Bildung der beiden Keimblätter übrig behält. Alsbald entsteht im hellen Fruchthof excentrisch gelagert ein bei durchfallendem Lichte dunkel erscheinender Hof, der Em- bryonalschild von van Baer; derselbe wird zum geringsten Theile durch die Entstehung des inneren Keimblattes hervorgerufen, son- dern beruht auf einer Verdiekung des äusseren Keimblattes. Hier- von kann man sich sehr leicht dadurch überzeugen, dass man das innere Keimblatt entfernt, eine Manipulation, die leider zu häufig glückt, wenn man einen mit Ueberosmiumsäure behandelten Keim in Wasser von der Dotterhaut abzuspülen sucht. Man sieht bei so behandelten Keimen ganz deutlich den Embryonalschild resp. bei älteren auch den Primitivstreifen mit seiner Rinne; ein Beweis, dass der v. Baer’sche Schild nieht von der Bildung des inneren Keimblattes abhängig ist; abgesehen davon, dass dieser Schild erst nach der Bildung des inneren Keimblattes sichtbar wird. Ich be- trachte den v. Baer’schen Schild als das verbreiterte Kopfende des Primitivstreifens; und zwar ist der Kopftheil aus dem Grunde verbreitert, weil zur Bildung des Gehirns, das ja durch Umschlag dieses Theils entsteht, eine bedeutend grössere Fläche verbraucht wird, als zur Bildung des Rückenmarkes. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 4 50 W. Wolff: Durch die Bildung des inneren Keimblattes wird, wie schon angedeutet, nicht der ganze Rest der Keimzellen verbraucht, son- dern es bleibt nun wiederum zwischen dem äusseren und dem in- neren Keimblatte ein Rest von Keimzellen, den ich Mittelkeim (oder mesoblast) nennen will, zurück. Es fragt sich nun, ob man diese Zellen nach Analogie des äusseren und inneren Keimblattes als mittleres Keimblatt auffassen kann. Sind die Forderungen, die wir an den Begriff „Keimblatt“ stellen, erfüllt? Entschieden nicht! — Diese Zellen des Mittelkeimes bilden weder ein geschlossenes blatt- oder hautförmiges Gebilde, noch haben sie durch specifische Um- formung einen neuen Charakter angenommen. Ehe sie diese For- derungen erfüllen konnten, tritt ein neues Moment ein, das sie überhaupt unfähig macht, ein Keimblatt noch Analogie des äusseren und inneren Keimblattes zu bilden; nämlich der Austausch der Elemente des äusseren Keimblattes im Primitivstreifen. Sobald derselbe eingetreten ist, haben wir ein Gemenge von Zellen des äusseren Keimblattes und des Mittelkeimes; dasselbe kann kein Keimblatt bilden, da es nicht ohne Zwischenglied aus Zellen des Keimes hervorgegangen ist. Es kommt auch gar nicht dazu, eine blattartige Anlage zu bilden, denn sobald sich der nicht verbrauchte Theil des äusseren Keimblattes von diesem Gemenge wieder trennt, haben sich aus letzterem schon die Anlagen verschiedener Organ- systeme differenzirt: wie die Anlage des Centralnervensystems, die Urwirbelplatten mit den Seitenplatten, die Chorda. Und zwar geschieht dies auf folgende Weise: Der Mittelkeim, der sich so weit erstreckt, wie das äussere Keimblatt, in grösster Masse je- doch im hinteren peripheren Abschnitte des Keimes enthalten ist, dagegen in der Gegend des hellen Fruchthofes und im vorderen peripheren Abschnitte am spärlichsten sich vorfindet, wandert cen- tripetal dem sich bildenden Primitivstreifen d. h. der strichförmigen Verdiekung und Einstülpung des äusseren Keimblattes entgegen, so dass nun der Mittelkeim in dem der area pellueida entsprechen- den Raume zusammengedrängt ist und mit seiner Peripherie nicht über den Rand der Keimhöhle herüberreicht. Ich habe absichtlich den Ausdruck „Einstülpung* gebraucht, denn im Wesentlichen ist das Auftreten des Primitivstreifen nichts anderes als der Anfang einer Einstülpung mit nachfolgender Ab- schnürung eines Theiles des äusseren Keimblattes in den Mittel- keim. Dass diese Einstülpung nicht als ein geschlossenes Ganzes, Ueber die Keimblätter des Huhnes. 51 sondern gleichsam als eine Aussaat des äusseren Keimblattes in die Zellen des Mittelkeimes vor sich geht, ist eine besondere Eigenthüm- lichkeit derselben und wohl zugleich der Grund, dass das Wesentliche dieses Vorgangs von verschiedenen Forschern verkannt worden ist. Der Boden des Primitivstreifens, der an seiner Aussenfläche alsbald entsprechend der Verdiekung und Einstülpung an der in- neren Fläche eine seichte Rinne „die Primitivrinne“ bekommt, bricht nun auf, d. h. es vermischen sich die Zellen desselben mit der darunter liegenden Schicht des Mittelkeimes, so dass nunmehr in der Region des Primitivstreifens keine Grenze zwischen dem äusseren Keimblatte und dem Mittelkeime vorhanden ist. Auf den Complex von Zellen, der einerseits durch den Aufbruch des Bodens der Primitivrinne, andererseits durch dieAnhäufung der Zellen des Mittel- keimes gesetzt ist, werde ich den Namen „Axenplatte, übertragen. Die oben erwähnte centripetale Wanderung der Zellen des Mittelkeimes geht ausserordentlich schnell vor sich, so dass, wäh- rend vor der Entstehung des Primitivstreifens die Zellen des Mittel- keimes noch, wie beschrieben, in der grösseren Masse in dem peripheren hinteren Theile des Keimes gelagert waren, alsbald nach dem ersten Auftreten des Primitivstreifens dieselben fast gänzlich aus der Gegend des dunklen Fruchthofes verschwunden sind, und man nur noch einige spärliche Nachzügler in demselben an der Grenze des hellen Fruchthofes findet. Diese Wanderung der Zellen scheint mir im Flächenbilde des Keimes ihren Ausdruck in der gleichzeitig mit dem Auftreten des Primitivstreifens auf- fallenden Sichel in der hinteren Hälfte des hellen Fruchthofes zu finden, und zwar nur in der hinteren Hälfte des Keimes, weil in der vorderen Hälfte der Mittelkeim nur spärlich enthalten ist, während er in der hinteren im Randwulste seine grösste Mächtig- keit besass. Durch diese Zellenwanderung bekommt der Keim im Laufe ungefähr einer halben Stunde eine vollständig andere Phy- siognomie. Der Randwulst ist vollständig verschwunden. Die Ausdrücke: „Randwulst, Keimwall, Keimwulst“ werden von den meisten Autoren promiscue für dasselbe gebraucht und doch decken sich diese Begriffe ganz und gar nicht. Der Rand- wulst von Goette ruht auf dem Keimwalle von His. Der Keim- wall von His ist in der That dasselbe, was Kölliker mit Keim- wulst bezeichnet, doch stellen sich beide Autoren ganz verschiedene Gebilde darunter vor; His betrachtet den Keimwall richtig als den 52 W.WOHR: Rand des weissen Dotters und rechnet ihn nicht zum gefurchten Keime; Kölliker!) dagegen hält seinen Keimwulst irrthümlich für den peripheren Theil des inneren Keimblattes, andrerseits identifieirt er seinen Keimwulst mit dem Randwulste von Götte; dieser ist aber der periphere Theil seiner inneren Keimschicht, aus weleher Schieht das innere und mittlere Keimblatt entstehen soll. Kölliker ist sich offenbar über das Verschwinden des Randwulstes beim Auftreten des Primitivstreifens nicht klar ge- worden und hält in diesem und in den späteren Stadien den am inneren Keimblatte aus Gründen, die ich weiter unten auseinander- setzen werde, anhaftenden weissen Dotter für den verdickten Theil des inneren Keimblattes und zugleich für den Randwulst Götte's. Ich adoptire die Bezeichnung „Randwulst“ für die verdiekte Peri- pherie des gefurchten Keimes nach Abzug des äusseren Keimblattes. Die weitere Folge der Bebrütung ist nun, abgesehen von der fortschreitenden Vergrösserung des ganzen Keimes, die, dass der Primitivstreifen schärfer hervortritt, ferner durch Erhebung der Primitivwülste die Primitivrinne umfangreicher wird. Im Inneren scheiden sich aus der Axenplatte die röhrige Anlage des Üere- brospinalsystems, die Urwirbelplatten mit den Seitenplatten und die Chorda ab. Ist dies geschehen, so nennen wir die Primitiv- rinne Rückenfurche 2) und die Primitivwülste Rückenwülste. Ferner wächst inzwischen der periphere Theil der Axenplatte (also wohl zumeist Zellen des Mittelkeimes) in den dunklen Fruchthof hinein. Der erste Forscher, der über die Entstehung der Keimblätter schreibt, ist Remak; derselbe hat die Thatsachen zumeist richtig erkannt, nur war seine Auffassung und Bezeichnung keine ganz logische. Dies lag wohl einerseits daran, dass ihm das der Keim- blattbildung vorangehende Moment, nämlich die Furchung des Hühnereies, unbekannt war, er also die Zustände vor der Bildung 1) Nur einmal in Fig. 14 l. ce, die einen unbebrüteten Keim vorstellt, zeichnet Kölliker den Keimwulst als den verdickten Rand des gefurchten Keimes, während er schon in Figur 24, die ebenfalls einen unbebrüteten Keim vorstellt, entschieden mit Keimwulst (kw‘) den anhaftenden weissen Dotter bezeichnet. 2) Ich finde absolut keinen Grund, die Rückenfurche als ein neu auf- tretendes Gebilde zu betrachten und halte ich die Ansicht, dass die Rücken- furche die Primitivrinne vor sich her schiebe, abgesehen davon, dass es nicht der Fall ist, für eine physikalische Unmöglichkeit. [3 Ueber die Keimblätter des Huhnes. 53 des äusseren Keimblattes nicht in den Kreis seiner Betrachtungen ziehen konnte, andrerseits kannte er auch die Bedeutung noch nicht, die den Keimblättern in der Entwicklung der gesammten Metazoen zukommt. Remak beschreibt den Keim eines unbebrüteten Eies bestehend aus einem fester gefügten äusseren und loser ge- fügten inneren Keimblatte. Von letzterem, das er auch innere Keimschicht nennt, soll sich als erste Folge der Bebrütung das Darmdrüsenblatt durch Umformung der Zellen abspalten. Den Rest seines inneren Keimblattes nennt er nun mittleres Keimblatt. Ab- gesehen also davon, dass er das eine Keimblatt nominell wenigstens aus dem anderen ableitet, kommt er schliesslich zu dem Resultat, ein mittleres und ein äusseres Keimblatt zur Verfügung zu haben, ohne dass noch ein inneres Keimblatt besteht; denn das innere Keim- blatt ist in das mittlere und in das Darmdrüsenblatt aufgegangen; letzteres allein betrachtet er als erste Anlage eines bestimmten Organsystems. Der Auffassung von Remak ist eine grosse Zahl von For- schern gefolgt. Ich sehe darin keinen thatsächlichen Unterschied, dass einige Forscher von dem inneren Keimblatte Remak’s sich das mittlere abspalten lassen und dann das Darmdrüsenblatt von Remak inneres Keimblatt nennen; es ist in diesem Falle dasselbe, ob man sagt a spaltet sich von b ab oder b von a. Im Gegensatz zu Remak lässt Kölliker alles Material des Keimes, das nicht zur Bildung des äusseren Keimblattes verwandt ist, in sein inneres Keimblatt, welches dem Darmdrüsenblatte Re- mak’s entspricht, aufgehen. Sein mittleres Keimblatt lässt er nun vollständig auf Kosten des äusseren entstehen, indem vom Primitiv- streifen aus Zellenmassen nach beiden Seiten zwischen die Keim- blätter hineinwuchern sollen. Er übersieht dabei vollständig, dass noch nach Bildung des inneren Keimblattes (des Darmdrüsenblattes von Remak) Zellen zwischen beiden Blättern zurückbleiben, eine Thatsache, die ausserordentlich leicht zu constatiren ist. Es wird daher Kölliker der Vorwurf gemacht und dies mit Recht, er hätte die früheren Stadien bis zur Bildung des Primitivstreifens über- sehen. Trotzdem er sich gegen diesen Vorwurf verwahrt, so giebt er die Berechtigung zu demselben doch unabsichtlich zu, indem er schreibt): „Ich habe angenommen, dass solche mehrschichtigen 1) A. Kölliker. Entwicklungsgeschichte des Menschen ete. p. 1009. Leipzig 1879. 54 WiWolff: inneren Keimblätter nach und nach einschichtig werden dadurch, dass ihre Zellen sieh riehten und zu einer einzigen Lage sich aus- breiten.“ Ferner: „Soviel ist sicher, dass im Bereich des Rand- wulstes keine intermediäre Lage (mein Mittelkeim) im Sinne von His besteht und drei Schichten erst von der Zeit an auftreten, wo die vom Primitivstreifen aus sich entwiekelnde Mesodermaschicht in den Bereich der area opaca einwächst.‘“ Hätte er ein gelungenes Präparat aus dem Stadium dieht vor der Bildung des Primitiv- streifens gesehen, so hätte er nicht annehmen können, dass sein mehrschichtiges inneres Keimblatt einschichtig würde, sondern hätte über dem stets einschichtig gewesenen inneren Keimblatte noch einen Rest unverbrauchter Zellen gesehen, und zwar dieselben in grosser Masse im Bereiche der area opaca im Randwulst auf seinem Keimwulste ruhend antreffen müssen. Nach dem Auftreten des Primitivstreifens konnte er sie allerdings hier nicht mehr finden, denn da waren dieselben schon centripetal zur Bildung der Axenplatte gewandert. Schliesslich sei noch erwähnt, dass Köl- liker in seinem umfassenden Werke nicht ein einziges Stadium des Keimes abbildet oder überhaupt erwähnt, das in der Zeit zwischen dem unbebrüteten Keime und dem ersten Auftreten des Primitivstreifens stände. Und selbst die einzige Abbildung, die den Beginn des Primitivstreifens im Querschnitt zeigt, stammt von einem zwei Tage bei 26° R. bebrüteten Keime und stellt ausser- dem nur einen ganz kurzen Abschnitt der Mitte dar. Den Forschern, die den Anschauungen von Kölliker ganz entgegengesetzt eine jede Betheiligung des äusseren Keimblattes an dem Mesoderma der Autoren (meiner Axenplatte) läugnen, ant- worte ich mit Kölliker: „Wer jetzt noch läugnet, dass am Primitivstreifen Eetoderma und Mesoderma verbunden sind, wird wenig Glauben finden.“ Die Wahrheit liegt, wie das so oft der Fall ist, in der Mitte; die Axenplatte (das Mesoderm der Autoren) wird weder ganz auf Kosten des äusseren Keimblattes, noch auch ganz ohne Betheiligung desselben gebildet. Der richtigen Beobachtung G oette’s, dass vom Randwaulste aus die Zellen desselben nach der Mitte zu wandern, schliesse ich mich vollständig an; nur bin ich darin mit Goette im Wider- spruch, dass ich diese Wanderung erst nach der Bildung des innern Keimblattes eintreten sehe, diese wandernden Zellen also für Zellen Ueber die Keimblätter des Huhnes. 55 des Mittelkeims halte, die mit den Zellen des Primitivstreifens zu- sammen die Axenplatte bilden. Peremeschko nimmt wie Kölliker irrthümlich an, dass durch die Bildung des äusseren und inneren Keimblattes das ge- sammte Bildungsmaterial des Keimes verbraucht wird und lässt nun zur Bildung seines Mesoderms grosse kuglige Elemente, die er als Furchungskugeln beschreibt, vom Boden der Keimhöhle zwischen die beiden Keimblätter einwandern. Hierbei will ich bemerken, dass ich einen grossen Theil dieser grossen kugligen Elemente, ich will sie mit His Megasphären nennen, als Zellen- complexe erkennen konnte, bei denen durch die Aufnahme von Dotterkörnern die Zellgrenzen und die Kerne verdeckt und sehr schwer erkennbar waren, und halte ich dieselben in den jüngsten Stadien für die zuletzt gefurchten Elemente des Keimes, also wie Peremeschko für Furchungselemente; in den älteren Stadien der Bebrütung für Zellencomplexe, die sich durch eine ausser- ordentliche Vermehrungsenergie auszeichnen. Doch finde ich, dass dieselben nach Bildung des inneren Keimblattes, wodurch der Keim gegen die Keimhöhle hin abgeschlossen wird, schon in den- selben aufgenommen und auch zum weitaus grössten Theile in die einzelnen Zellen zerfallen sind. Die Bewegung derselben vom Boden der Keimhöhle bis in den Keim wird wohl dadurch be- dingt, dass dieselben specifisch leichter sind als die Keimhöhlen- flüssigkeit. Ich wende mich nun zu den Anschauungen von His. Seine Auffassung des frisch gelegten Keimes zeichnet sich dadurch vor- theilhaft aus, dass er in demselben nur ein Keimblatt, das äussere Keimblatt annimmt, den Rest der Furchungselemente bezeichnet er mit dem nicht gerade glücklich gewählten Namen „der subgerminalen Fortsätze“. Nach der Bildung des inneren Keimblattes bleibt zwischen beiden Blättern eine Schicht von Zellen, seine intermediäre Schicht (mein Mittelkeim); dieselbe tritt mit dem Axenstrang (Primitivstreifen) in Verbindung, so dass hier keine scharfe Grenze zwischen den Zellen des Axenstranges und den intermediären Zellen zu machen ist. Bis hier stimme ich im Wesentlichen mit der Auffassung von His überein. Während ich nun den Mittel- keim (die intermediäre Schicht von His) als den Ursprung der gesammten Bindesubstanz auffasse, lässt His aus den Elementen des weissen Dotters im Keimwalle Zellen entstehen, die zwischen 56 W.' Wolff: die beiden Keimblätter hineinwandern und hier dem Binde- gewebe, Blut und den Gefässendothelien ihren Ursprung verleihen sollen. Ich werde nun zeigen, dass allerdings im weissen Dotter Zellen enthalten sind, dass dieselben jedoch erst vom gefurchten Keime aus in denselben hineinwandern; wir also die Behauptung, dass aus dem ungefurchten Theile des Eies Zellen entständen und diese zum Aufbau des Embryo verbraucht würden, als eine irr- thümliche energisch zurückweisen können !) Um uns über die fraglichen Gebilde klar zu werden, müssen wir das Randwachsthum des Keimes studiren. Bis zum Auftreten des Primitivstreifens wächst der Keim in allen seinen Schichten gleichmässig und zwar bildet das äussere mit dem inneren Keimblatte einen spitzen Winkel, dessen Scheitel durch Zellen des Mittelkeimes ausgefüllt wird. Erst nach dem Auftreten des Primitivstreifens, wenn die Zellen des Mittelkeimes von der Peripherie sich nach der Mitte zurückziehen, um in der Vereinigung mit den Zellen des Primitivstreifens die Axen- platte zu bilden, bekommt das Randwachsthum des Keimes eine andere Physiognomie. Der Rand des Keimes wird jetzt von einem durch das Fehlen der Zellen des Mittelkeimes solider erscheinenden langgezogenen Keile, der nur drei bis vier übereinander liegende Zellschiehten enthält, die den Zellen des inneren und äusseren Keimblattes entsprechen, gebildet. Während sich nun dieser Keil an der Peripherie immer weiter über den weissen Dotter vor- schiebt, lösen sich in einer geringen Entfernung von derselben die unteren Zellen von dem Keile ab, so dass nunmehr nur eine aus einer Zellenlage bestehende Haut in der Fortsetzung des äus- seren Keimblattes bleibt. Ein Theil der abgelösten Zellen nimmt den Charakter der Zellen des inneren Keimblattes an und verläuft in der Fortsetzung dieses als ein dünnes Zellhäutehen unter dem äusseren Keimblatte als oberste Begrenzung des weissen Dotters, stets hinter dem Rücken des Keiles, der sich immer weiter vor- schiebt, zurückbleibend. Ich werde dieses Häutehen Grenzhaut des weissen Dotters nennen. Die übrigen abgelösten Zellen wan- 1) Die Vergleichung mit holoblastischen Eiern hätte bei His schon einen gelinden Zweifel an der Richtigkeit seiner Befunde und Schlüsse auf- kommen lassen müssen. Ueber die Keimblätter des Huhnes. 57 dern in den weissen Dotter hinein, werden sternförmig verzweigt und bilden mit ihren anastomosirenden Fortsätzen ein Netz, das mit der Grenzhaut communieirt und dessen Maschen von den weissen Dotterkugeln ausgefüllt werden. Ich will hier ausdrück- lich darauf aufmerksam machen, dass man in einem jeden Schnitte alle Uebergänge von den vom Keile sich ablösenden Zellen bis zu dem verzweigten Netze von der Peripherie ausgehend central- wärts verfolgen kann, und zwar sieht man wie peripher die Zellen am Keile sich lockern, dann nach unten auseinanderweichen, so dass sie schliesslich in den weissen Dotter zu liegen kommen; weiter centralwärts sieht man diese Zellen mit kleinen und grössern Fortsätzen, mit denen sie die Dotterkugeln umfassen und schliess- lich das Netzwerk bilden, das den gesammten weissen Dotter durchzieht. Dieses Hineinwandern der Zellen in den weissen Dotter und ihre netzförmige Verbindung ist der Grund, dass beim Abspülen des Keimes vom Dotter stets an der inneren Fläche eine Lage weissen Dotters zurückbleib. Am Rande der Keimhöhle bildet dieses Netz durch Schwund der in ihm enthaltenen weissen Dotterkugeln eine solide mehrschichtige Zellenlage, die sich verjüngend in den einschichtigen Theil des inneren Keimblattes, der über der Keimhöhle ausgespannt ist, über- geht. Oder in umgekehrter Richtung beschrieben: das über der Keimhöhle einschichtige innere Keimblatt wird am Rande derselben mehrschichtig; diese compacte mehrschichtige Zellenlage geht als- bald in die einschichtige feine Grenzhaut und in das Netzwerk der anastomosirenden Zellen, die den weissen Dotter durchsetzen, über. Der Unterschied des Randwachsthums des Keimes vor und nach dem Auftreten des Primitivstreifens liegt darin, dass nach Bildung desselben die Zellen des Mittelkeimes, die nach der Mitte gewandert sind, im Rande fehlen, die dicht aneinander liegenden Zeilen des äusseren und inneren Keimblattes am Rande in geringer Ausdehnung verschmelzen und auf diese Weise den zwar dünneren aber fester gefügten Keil bilden. Ich habe also gezeigt, wie die Zellen, die His aus den Ele- menten des weissen Dotters entstehen lässt, erst vom gefurchten Keime aus in den weissen Dotter hineingelangen; nur durch Ver- mehrung dieser Zellen wird der weisse Dotter organisirt, nicht jedoch durch Umbildung weisser Dotterkugeln zu Zellen. Im Gegen- theil, der Dotter, der im Bereich dieser Zellen ist und fortwährend 58 W. Wolff: hineingelangt, geht hier zu Grunde'); er wird gleichsam von diesen Zellen verdaut und zur Aufnahme in die Blutgefässe tauglich ge- macht. Da also aus den weissen Dotterelementen keine organisirten Gebilde hervorgehen, aus denen die Bindesubstanz entstehen könnte, bleibt mir noch übrig zu beschreiben, in oder aus welchem Theile des Keimes das Bindegewebe, die Endothelien und das Blut entstehen.. Ich verliess die Axenplatte, nachdem sich aus derselben die Anlage des Centralnervensystems, die Urwirbelplatten mit den Seitenplatten und die Chorda abgeschieden hatten. Der periphere Theil der Axenplatte, für den ich den Namen Gefässblatt beibehalten werde, wächst nun zwischen dem äusseren Keimblatte und der Grenzhaut des weissen Dotters, die, wie ich gezeigt habe, eine Fortsetzung des inneren Keimblattes ist, in den dunklen Furchhof hinein und bildet selbstständig, wie dies schon längst mit Sicher- heit und grosser Uebereinstimmung von verschiedenen Forschern nachgewiesen ist, in sich das Blut und die Gefässe ohne irgend welche Betheiligung des inneren Keimblattes oder der Elemente des weissen Dotters, wie His dies annimmt. Das Gefässblatt ist von dem organisirten weissen Dotter durch die Grenzhaut ganz scharf geschieden, und man kann sich leicht mit aller Bestimmt- heit davon überzeugen, dass kein organisirter Körper die obere Grenze desselben, das feine Grenzhäutehen durehbricht und an das Gefässblatt gelangt. Der organisirte Dotter oder richtiger die Zellen, die vom gefurchten Keime aus in den Dotter hineingelangt sind und denselben organisirt haben, sind, wie ich gezeigt habe, eine Fortsetzung des inneren Keimblattes und haben die physio- logische Function desselben, es sind Verdauungszellen, sie bewirken die „Urdarmverdauung“. Schon Goette hat die Beobachtung ge- macht, dass die Dotterkugeln vom Boden der Keimhöhle in den Keimwall hineinwandern und hier zerklüftet werden. Wahrschein- lich wird nun der aufgelöste Dotter von der Grenzhaut ausge- schieden und hier von den Gefässen aufgenommen; während vor dem Auftreten der Gefässe die Keimzellen direet Dotterkörner in sich aufnahmen, welchen Vorgang man vielleicht passend ‚Urver- dauung“ nennen könnte. 1) Die Zerstörungsbilder der Dotterkugeln sind für einen Zellenbildungs- process gehalten worden; ein Irrthum, der sehr nahe liegt, wenn man diesen beschriebenen Vorgang nicht von Anfang an verfolgt. Ueber die Keimblätter des Huhnes. 59 Wie ich gezeigt habe, kommt der Mittelkeim nicht dazu, ein Keimblatt zu bilden, sondern differenzirt sich gleichsam in einer niederen Phase der Entwicklung weiter. Ich bin nun der Ansicht, dass aus den Zellen des Mittelkeimes die gesammte Bindesubstanz, zu der ja auch das Blut und die Endothelien gehören, entsteht. Die Bindesubstanz bildet das Gehäuse, in welehem die Gewebe, die aus den beiden Keimblättern entstanden sind, entweder lose eingebettet liegen, wie z. B. die Drüsenzellen und die Epithelzellen, oder von welchem sie so fest umschlossen werden, dass sie gleich- sam mit dem Gehäuse verwachsen und ein Gewebe zu bilden scheinen, wie die quergestreiften Muskelfasern!) und die Nerven. Ein exacter histologischer Nachweis lässt sich allerdings dafür nieht führen, dass die gesammte Bindesubstanz aus Elementen des Mittelkeims entstanden sei, da die Zellen desselben während ihrer Weiterentwicklung stets mit Zellen des äusseren Keimblattes ver- mengt einhergehen, und wir vor der Hand noch kein Mittel be- sitzen, dieselben für unser Auge auseinderzuhalten; doch weist die vergleichende Anatomie und Embryologie auf eine solche Ent- stehung hin. Ehe eine Spur eines Mittelkeimes in der Entwick- lungsreihe der Metazoen auftritt, entstehen schon Muskeln und Nerven (selbstverständlich ohne bindegewebige Hülle), so bei den niederen Coelenteraten, den Chaetognathen und vielen Nematoden; hingegen erscheint mit dem Auftreten des Mittelkeimes d. h. also mit dem Auftreten von Keimzellen zwischen dem äusseren und inneren Keimblatte die erste Spur von Bindesubstanz, so bei den höher entwickelten Coelenteraten, den meisten Würmern und den übrigen Metazoen. Andrerseits wissen wir, dass bei den niedrigsten Thieren, bei denen zuerst Muskeln und Nerven auftreten, dieselben in einer Zelle?) enthalten sind, welche zum äusseren Keimblatte gehört. Würden wir nun das Muskelsystem für Bindesubstanz halten, so müssten wir das Nervensystem eben dahin rechnen, oder wir müssten annehmen, dass in einer Zelle zwei ganz ver- 1) Schon im Jahre 1877 in meiner Dissertation „Ueber den Zusammen- hang des Muskels mit der Sehne“, Berlin, bin ich dafür eingetreten, dass die quergestreifte Muskelfaser aus zwei verschiedenen Geweben besteht, von denen das eine, das Sarkolemma, continuirlich in die Sehne übergeht, während das andere, die Fibrillen, im Schlauche des Sarkolemma abge- schlossen liegt. 2) N. Kleinenberg Hydra, Leipzig 1872. 60 W.:WIeLEE: schiedene Gewebe enthalten seien. Bei den höher organisirten Thieren ist die Abstammung und Entwicklung des Nerven- und Muskelsystems schwieriger zu verfolgen, weil hier dieselben kein einfaches Gewebe, sondern eine Vereinigung zweier verschiedener Gewebe vorstellen. (Der Axeneylinder des Nerven z. B. ist von der Schwann’schen Scheide, die fibrilläre Substanz vom Sarkolemma eingeschlossen. Eine quergestreifte Muskelfaser ist passend einem Drüsenschlauche zu vergleichen, das Sarkolemma entspräche der membrana propria, die Fibrillen den Drüsenzellen.) Es muss daher in irgend einem Zeitpunkte der Entwicklung eine Vereinigung der beiden Gewebe oder der Uranlagen derselben stattfinden. Bei den höheren Wirbelthieren ist letzteres der Fall; wenigstens liegt dies für das quergestreifte Muskelsystem, das aus dem unteren Theile der Axenplatte entsteht, ausser Zweifel. Etwas anders steht die Sache schon bei dem Nervensystem, dasselbe geht aus dem oberen Theile der Axenplatte hervor; es ist daher wohl möglich, dass in diesem Theile derselben keine Elemente des Mittelkeimes enthalten sind, da in der Hauptsache die Axenplatte durch eine Wanderung der Zellen des äusseren Keimblattes in den Mittelkeim gebildet wird, nicht jedoch durch ein Hineinwandern der Elemente des Mittel- keimes in das äussere Keimblatt. Die äusserste Schicht der Axen- platte, die nach Umschlag der Rückenwülste zur innersten Schieht des Cerebrospinalsystems wird und wahrscheinlich unter anderem der epithelialen Auskleidung der Gehirn- und Rückenmarkshöhle ihren Ursprung verleiht, scheint sicher aus intakten Zellen des äusseren Keimblattes zu bestehen, wenigstens ist an derselben während der Bildung der Axenplatte keine Veränderung, die auf eine Bewegung und Wanderung der Elemente schliessen lassen könnte, wahrzunehmen. Wenn nun mit Sicherheit festgestellt würde, dass sämmtliche bindegewebigen Theile des ausgebildeten Cerebrospinalsystems von aussen her erst in dasselbe hineinwüchsen, nicht in der Anlage desselben selbst entständen, so wäre man zu dem Rückschlusse berechtigt, dass in dem Theile der Axenplatte, aus welchem sich das Cerebrospinalsystem differenzirt, keine Ele- mente des Mittelkeimes enthalten seien. Es würde in diesem Falle keine Vereinigung der Uranlagen stattfinden, wie bei der Ent-. stehung des quergestreiften Muskelsystems, sondern erst später eine Vereinigung der schon bis zu einem gewissen Grade ausgebildeten Gewebe. Hierin allein bestände eventuell der genetische Unter- Ueber die Keimblätter des Huhnes. 61 schied in der Entwieklung des Muskel- und Nervensystems der höheren Wirbelthiere. Es liegt auch die Möglichkeit sehr nahe, dass bei der einen oder andern Thiergruppe nicht nur die Anlage des Cerebrospinalsystems, sondern auch die des Muskelsystems sich direet aus dem äusseren Keimblatte differenzire und erst später der bindegewebige Antheil des Mittelkeimes hinzutrete. Eine solche Entstehungsweise würde ganz besonders für meine Auffassung der Herkunft der Gewebe aus den angegebenen Uranlagen sprechen. Der Schluss, den ich aus meinen Untersuchungen und Be- trachtungen ziehe, ist nun folgender: Der thierische Organismus besteht aus zwei im Verlaufe ihrer frühesten Entwicklung unter- schiedenen Klassen von Geweben. Die eine Klasse bilden die Gewebe, die im Laufe ihrer Differenzirung das Stadium der Keim- blattbildung durchlaufen haben, die andere Klasse bilden die Ge- webe, welche als direete Differenzirung der Keimzellen, ohne in die Phase der Keimblattbildung eingetreten zu sein, angesehen werden können. Für die erstere Art der Entwicklung wähle ich die Bezeichnung Blastodermatogenese, für letztere Mesoblastogenese. Die blastodermatogenetischen Gewebe können wiederum eingetheilt werden in solche, die aus dem äusseren Keimblatte und in solche, die aus dem inneren Keimblatte entstanden sind. Erstere bilden die epitheliale Bekleidung der äusseren Bedeekung mit ihren ur- sprünglichen Adnexen den Sinnes- und Bewegungs-Zellen; letztere bilden die epitheliale Bekleidung der inneren Oavität des Organis- mus, der Verdauungshöhle mit ihren drüsigen Adnexen. Die meso- blastogenetischen Gewebe sind die gesammte Bindesubstanz, zu der auch das Blut und die Endothelien!) zu rechnen sind. Nehmen wir eine spätere Phase der Entwicklung als das Auftreten der Keimblätter, nämlich das Auftreten der Axenplatte zum Ausgangspunkt einer Eintheilung der Gewebe, so bekommen wir eine Eintheilung, die den praktischen Bedürfnissen mehr ent- sprieht, während erstere eine mehr wissenschaftliche genannt werden könnte. Wir haben dann auf einer Seite alle die Gewebe, die aus einer primären Anlage des Keimes entstanden sind, und 1) Ob die Endothelien wirklich zur Bindesubstanz zu rechnen sind, muss ich vorläufig dahingestellt sein lassen. Die Entstehung aus dem meso- derma der Autoren allein ist für mich nicht beweisend, da, wie ich gezeigt habe, dasselbe auch Elemente des äusseren Keimblattes enthält. 62 W. Wolff: zwar erstens die, welche aus einem der beiden Keimblätter, zwei- tens die, welehe aus dem Mittelkeime entstanden sind. Dies wären a) die einfachen Gewebe. a) Epithelien, glatte Muskelzellen. 3) Endothelien, Blut, Bindegewebe. Auf der anderen Seite haben wir die Gewebe, die aus der Verschmelzung zweier primärer Anlagen des Keimes, also aus der Verschmelzung des äusseren Keimblattes mit dem Mittelkeime aus der Axenplatte hervorgegangen sind, dies wären: b) Die zusammengesetzten Gewebe. c) Nervensystem, quergestreiftes Muskelsystem. Die Frage, ob eine vollständige Homologie der Keimblätter in allen Stämmen der Metazoen bestehe, konnte, so gern man auch eine solche aus allgemeinen Gründen annehmen mochte, da man bei einigen Metazoen zwei, bei anderen drei Keimblätter annahm, und das dritte entweder von einem der beiden andern oder von beiden andern herleitete, nur in negativem Sinne beantwortet werden. Dadurch aber, dass man mit mir nur zwei Keimblätter annimmt und den Mittelkeim !), was allein der Wahrheit entspricht, als den nieht zum Aufbau der beiden Keimblätter verbrauchten Rest des Keimes betrachtet, hat man mit einem Schlage die er- sehnte Homologie der Keimblätter in allen Stämmen der Metazoen. Erklärung der Figuren auf Tafel V. Fig. 1. Vertikalschnitt durch einen frisch gelegten Hühnerkeim. Eet Ecto- blastoderma, K Rest der Furchungselemente, F Furchungskugeln, W weisser Dotter, H Keimhöhle, R Randwulst. 1) In wie weit der naheliegende Gedanke: das Auftreten des Mittel- keims in der Thierreihe als Eintheilungsprineip der Metazoen mit zu ver- werthen, verwendet werden kann, lasse ich vorläufig dahingestellt sein. Wie aus dem Geschriebenen ersichtlich, steht meine Auffassung im vollständigen Widerspruch zu der von O. und R. Hertwig vertretenen (Jenaische Zeit- schrift 1881, 25. Jan. Die Coelomtheorie), indem diese Forscher gerade ihr ınesenchym, das theilweise meinem Mittelkeime entspricht, als das unwesent- liche bei der Mesodermabildung auffassen und auf eine entoblastische Ent- stehung desselben durch Faltenbildung das Hauptgewicht legen. Ich werde in einer anderen Arbeit meine Ansicht über die Herkunft der Gewebe durch mehr Beweise erhärten und in derselben gleichzeitig näher auf die Coelom- theorie eingehen. Rip. v2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. Fig. 4 Ueber die Keimblätter des Huhnes. 63 Vertikalschnitt durch den v. Baer’schen Schild nach ungefähr 4'/,- stündiger Bebrütung. a die Verdickung des äusseren Keimblattes, die im Flächenbilde dem v. Baer’chen Schilde entspricht, End Endoblastoderma, M Mesoblast. Auf der einen Seite hat sich W, d. i. der weisse Dotter, etwas abgehoben und lässt dadurch den zarten peripheren Theil des inneren Keimblattes erkennen. Horizontalschnitt durch den eben auftfetenden Primitivstreifen nach ungefähr 5stündiger Bebrütung aus der Grenze zwischen hinterem und mittlerem Drittel des Keimes. Pr Primitivstreifen, von dem die Zellen soeben anfangen sich loszulösen, um sich mit dem Mittel- keime zu vermengen, S Verdickung des Mittelkeimes, die auf dem Flächenbilde als Sichel erscheint und durch die centripetale Wan- derung der Zellen des Mittelkeimes aus dem Randwulste bedingt ist. Horizontalschnitt durch einen gut ausgebildeten Primitivstreifen nach ungefähr 10stündiger Bebrütung aus dem hinteren Abschnitte des hellen Fruchthofes. V der Keil, der durch die Verschmelzung der Zellen, die den äusseren und inneren Keimblattzellen ent- sprechen, am Rande des Keimes gesetzt ist, A von diesem Keile sich ablösende Zellen, N anastomosirendes Netz dieser Zellen, G Grenzhaut des weissen Dotters, die hier besonders deutlich zu sehen ist, da sich einerseits oben das äussere Keimblatt abgehoben hat, andrerseits unten der jetzt organisirte weisse Dotter abgerissen ist, F im Auseinanderfallen begriffene Megaspbäre, W vorspringender Rand des weissen Dotters (oder des Keimwalles von His), X Axenplatte. a. Horizontalschnitt desselben Keimes wie Fig. 4 aus der hinteren Grenze des hellen Fruchthofes durch den vorspringenden Rand des weissen Dotters. H Keimhöhle, die den vorspringenden Rand des weissen Dotters vom inneren Keimblatte trennt. 4 b. Horizontalschnitt desselben Keimes wie Fig. 4 aus dem vorderen Theile des hellen Fruchthofes. X spärlich vorhandene Zellen des peri- pheren Theiles der Axenplatte, wohl hauptsächlich Zellen des Mesoblast. Horizontalschnitt durch den mittleren Theil eines Keimes nach ungefähr 30stündiger Bebrütung. Gf Gefässblatt, B Blutzellen, O organisirter weisser Dotter, Ue mehrschichtiger Uebergangstheil des einschichtigen inneren Keimblattes in die Grenzhaut und das mit ihr anastomosirende Netz, das den Dotter durchzieht, Ur Ur- wirbelplatten, Ch Ohorda. . Durchschnitt durch ein im Stadium der Keimblattbildung befindliches Ei von der Unke. Indem sich das Endoblastoderma nach innen einstülpt und weiter wächst, schliesst es einen Theil des gefurchten Keimes zwischen sich und dem Eetoblastoderma ein, dieser Theil des Keimes wird zum Mesoblast, ist also nicht: von einem der beiden Keimblätter abzuleiten, sondern direct vom Keime. Ru Rusconi’- scher After. Fig. W. Wolff: Ueber die Keimblätter des Huhnes. 7. Querschnitt durch das Ei von Leptoplana tremellaris auf drei ver- schiedenen Entwicklungsstufen (nach Hallez). Das Ei theilt sich zunächst in zwei und dann in vier Theile, von jedem der letzteren schnürt sich darauf ein kleines Segment ab. Die vier kleinen Segmente, welche das Eetoblastoderma liefern, nehmen an Zahl zu und umhüllen allmählich die grossen Segmente. Zu der Zeit, wo zwölf Ectoblastodermazellen vorhanden sind, theilt sich jede der vier grossen Zellen in zwei ungleiche Theile. Auf diese Weise entstehen vier grosse und vier kleine Zellen. Aus letzteren wird das Mesoblast, während aus den vier grossen Zellen das Endo- blastoderma entsteht '). In dieser Beschreibung sind für die Benennungen, die Balfour anwendet, nur meine Bezeichnungen gesetzt. Auch hier sehen wir das Mesoblast nicht aus einem der beiden Keimblätter hervorgehen, sondern direct vom Keime sich abspalten. A vom Keile des Keimrandes sich ablösende Zellen, a v. Baer’- scher Schild, B Blutzellen, Ch Chorda, Ect Ectoblastoderma, End Endoblastoderma, F Megasphäre, G Grenzhaut des weissen Dotters, Gf Gefässblatt, H Keimhöhle, K Rest der Furchungselemente, M Mesoblast, N Zellnetz im weissen Dotter, O organisirter weisser Dotter, Pr Primitivstreifen, R Randwulst, Ru Ruscon’cher After, S die sichelförmige Verdickung, Ue Uebergangstheil des einschich- tigen inneren Keimblattes, Ur Urwirbelplatten, V keilförmige Ver- dickung des Keimrandes, W weisser Dotter, X Axenplatte. Lineare Vergrösserung der Figuren 4a, 4b, 6 = 100. 5 „ der anderen Figuren == 350. Die Figuren sind sämmtlich aus vollständigen Schnittserien ge- wonnen. Die Präparate wurden meist hergestellt, indem sie in situ mit 10 °/, Salpetersäure gehärtet und dann in Eiweiss eingebettet wurden. DieZeit der Bebrütung ist darum nicht genau angegeben, weil es bei der verhältnissmässig kurzen Zeit der Bebrütung von grossem Einflusse auf den Grad der Entwicklung ist, bei welcher Temperatur die Eier gelegt sind. 1) Handbuch der vergleichenden Embryologie von Franeis M. Bal- four, M. A., F. R. S. I. Bd. 1880. Vitus Graber: Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 65 Die chordotonalen Sinnesorgane und das Gehör der Insecten. Von Vitus Graber, k. k. o. ö. Professor der Zoologie an der Universität ÜUzernowitz. Mit vier Holzchnitten. IH. Physiologischer Theil!) 1. Ueber das Gehör der Inseeten. Darf ich das Ergebniss meiner Untersuchungen über die Funetion der so eigenartigen chordotonalen Sinneseinrichtungen der Insecten gleich zum Anfange aussprechen, so besteht es darin, dass ich es unter Berücksichtigung aller maassgebenden Verhält- nisse für höchst wahrscheinlich halte, dass dieselben ‘der Schall- Perception dienen, und dass sie überhaupt die eigentlichen bislang vergeblich gesuchten Gehörorgane der genannten Thiere sind. Ehe ich mich aber an die schwierige Aufgabe mache, diese meine Anschauung näher zu begründen, scheint es mir beim gegen- wärtigen Stande unserer Kenntniss des Insecten-Gehöres nicht nur angezeigt, sondern geradezu unerlässlich, früher die Vorfrage zu erledigen, ob denn die Insecten, und zwar in ihrer Allgemeinheit, überhaupt das Vermögen des Schallempfindens besitzen, und ob dieses ihr Schallempfinden auch ein ganz specifisches, ein wahres Hören ist. Dass aber die Beantwortung dieser Vorfrage factisch allen weiteren Erörterungen über die Organe der Schallempfindung nothwendig vorausgehen muss, brauche ich wohl nicht umständ- licher zu motiviren. So wie bei den meisten Wirbellosen, hat man nämlich auch bei den Insecten über dem Suchen nach den Ohren auf die 1) Der I. morphologische Theil (mit dem Literaturverzeichniss) erschien im 20. Band. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 2 66 Vitus Graber: experimentelle Erforschung ihres Gehöres total vergessen, und wenn wir von gewissen Orthopteren absehen, so wissen wir in der That gar nichts Bestimmtes darüber, ob die Inseeten auf reine Schall- reize reagiren oder nicht reagiren!). Wenn ich nunmehr aber, im Zusammenhang mit meinen früheren Untersuchungen über das Orthopteren-Gehör?), auch auf die Schall-Empfindungsfähigkeit der Insecten im Allgemeinen näher eingehe, so liegt es unter den angegebenen Umständen selbstver- ständlich nicht im Entferntesten in meiner Absicht, dem Leser abermals nur mit blossen Erörterungen aufzuwarten, z. B. zu unter- suchen, ob es a priori wahrscheinlich ist, dass diese oder jene Insecten oder alle ein Gehör besitzen; was ich bringe, das sind in erster Linie Experimente, die eine positive und endgiltige Ent- scheidung der Frage gestatten. Wie schon erwähnt, sind derartige Experimente auffallenderweise bisher noch gar nie in entsprechender Weise unternommen worden, oder es haben dieselben wenigstens, wie dies u. A. betrefis der von Lubbock neuerlich mit den Ameisen angestellten der Fall war, kein entscheidendes Er- gebniss geliefert. Dieser ausgezeichnete Inseeten-Experimentator berichtet nämlich?), wie ich kurz anführen will, dass er bei den genannten Kerfen selbst unter Anwendung der stärksten und schrill- sten Töne, wie er sie z. B. durch verschiedene Pfeif- und Streich- Instrumente hervorbrachte, keinerlei unzweideutige Reactionen konstatiren konnte. Wenn Lubbock aus diesen negativen Resultaten nicht sofort den Schluss zog, dass die betreffenden Thiere, wie dies z. B. For&l*) glaubt, völlig taub seien, sondern vielmehr die Hypothese aufstellte, dass sich ihr Hörvermögen wahrscheinlich nur auf Schallreize erstrecke, die uns nicht wahrnehmbar sind, so lässt sich dagegen namentlich in Anbetracht der von demselben Forscher 1) Hinsichtlich der umfangreichen, aber im Ganzen höchst unfrucht- baren Insecten-Gehör-Literatur verweise ich u. A. auf Kirby (Einleitung in die Entomologie 4. Bd. 45. Brief) und dann auf Paasch (Troschels Arch. Bd. 39). Von den Sinnesorganen der Inseeten im Allgemeinen, von den Ge- hör- und Geruchsorganen insbesondere. | 2) Vgl. Lit. 15, (siehe I. Theil) p. 111 ff. 5) Vel. Lit. 17, p. 132. 4) Fourmis de la Suisse 1874, p. 121. „W’ouie semble par contre mangquer completement.“ Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 67 jüngst nachgewiesenen Thatsache, dass die Ameisen am meisten durch das uns unsichtbare ultraviolette Licht affieirt werden, a priori wenig einwenden; man wird andererseits aber doch zu- geben, dass eine solche Hypothese für die Grundlegung der Physio- logie des Inseeten-Gehörs wenig Bedeutung hat. A. Experimenteller Nachweis des Schallempfindungs-Vermögens der Insecten. Um die Hörfähigkeit der Insecten zu prüfen, genügt es im Allgemeinen nicht, ein beliebiges Thier zu nehmen und in dessen Nähe irgend ein stärkeres Geräusch oder einen Ton zu erzeugen; denn erstens zeigen gewisse Inseeten, wie dies ja auch bei höheren Thieren vorkommt, unter der Einwirkung von Sinnesreizen über- haupt keine oder nur geringe äussere Reactions- d. i. Bewegungs- erscheinungen und zweitens treten solche Reactionen nur unter bestimmten Bedingungen auf, z. B. wenn die als äussere Reize wirkenden Töne eine gewisse Höhe oder Intensität besitzen und wenn dieselben unter entsprechenden Umständen zur Geltung kommen. In letzterer Beziehung sei u. A. nur bemerkt, dass die Insecten, gleich uns selbst, auf Schallreize stärker reagiren, wenn dieselben nach einer längeren Ruhepause auf sie einwirken und dass ferner aus naheliegendem Grunde zu solchen Versuchen namentlich die Stille der Nacht zu empfehlen ist. Im Uebrigen will ich noch vorausschicken, dass ich, von einzelnen gelegentlichen Beobachtungen und Versuchen abgesehen, volle zwei Monate ausschliesslich nur den in Rede stehenden Ex- perimenten gewidmet habe, dass ich aber im Folgenden aus dem reichen Schatz der gemachten Erfahrungen nur einige wenige mittheile. a) Versuche an in der Luft lebenden Insecten. Unter diesen lernte ich im Verlauf meiner Untersuchungen namentlich an der jederzeit und auch im Winter leicht zu beschaffenden Blatta germanicaL. ein äusserst empfindliches und zu Nachunterschungen geeignetes Objeet kennen. Zur Prüfung der Hörfähigkeit dieses Inseets, und zwar zunächst unter ganz normalen Verhältnissen, verfährt man am Besten auf folgende Weise. Man lässt ein frisch eingefangenes Individuum auf dem Fussboden eines Zimmers laufen und beobachtet dasselbe, während ein Zweiter in entsprechen- 68 Vitus Graber: den Intervallen einen Schall erregt, was, wie ich fand, wenn man zugleich Versuche über die Unterscheidung verschiedener Tonhöhen und Tonstärken machen will, am zweckmässigsten mit einer kleinen Violine geschieht, die man während der Beobachtung auch selbst ganz bequem spielen kann. Wenn man nun in nicht zu grosser Entfernung vom Thier einen kräftigen Strich über die Saiten macht, hält dasselbe in seinem raschen Lauf einen Moment plötzlich inne und dasselbe geschieht, wenigstens die ersten Male, und wenn die Schallreize nicht zu schnell aufeinanderfolgen, ganz regelmässig bei jeder Wiederholung derselben. Da bei diesem Experiment, wenigstens bei einiger Vorsicht, jede gröbere Bewegung der Luft oder Er- schütterung der festen Unterlage, die als Tastreiz in Betracht kommen könnte, ausgeschlossen ist, so kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass die „Schwaben“ wirklich durch den Schall affieirt werden. Davon, dass diese Thiere wirklich auf reine Schallreizungen reagiren, kann man sich übrigens auch in der Weise überzeugen, dass man sie in ein rings geschlossenes (weiteres) Glasgefäss gibt und den Schall über demselben (in der Luft) erzeugt. Ist der Sehall von der entsprechenden Stärke und Beschaffenheit, so geben die Thiere jedesmal unverkennbare Zeichen von Unruhe oder Er- regung kund, indem sie plötzlich wild durcheinander rennen, oder wie von Schreeken gelähmt, von den vertikalen Wänden des’Glases, wenn sie sich gerade dort befinden, herabfallen. Von andern Versuchen mit den Blattiden sei dann noch folgender erwähnt. Ich hing, zunächst zu andern Zwecken, ein solches früher der Augen beraubtes Thier mittelst eines um ein Hinterbein gebundenen Fadens frei in der Luft auf. Als ich nach Verlauf von sechs Stunden dasselbe wieder in Augenschein nahm, war es vollkommen regungslos. Nun liess ich in der Entfernung eines Meters von demselben einen scharfen Strich über die Saiten einer Violine machen, das Thier wurde dadurch augenscheinlich auf das Hef- tigste erregt. Es schnellte sich nämlich plötzlich unter krampf- haften Zuckungen derartig in die Höhe, dass der Kopf nach oben kam. Ein zweiter gleich kräftiger Violinstrich bewirkte nur einen schwachen Tetanus einiger Beine; als ich aber nach einer Ruhe- pause von einer Stunde durch das Reiben eines grossen Glas- stoppels im zugehörigen Flaschenhalse einen äusserst durchdringenden Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 69 Ton erzeugte, wiederholten sich die zuerst angegebenen Krampfer- scheinungen. Auf ein Paar weitere höchst wichtige Versuche an decapitirten Dlattiden werde ich am Schlusse des nächsten Ab- schnittes zurückkommen. Die übrigen luftlebenden Inseeten, die ich auf ihre Schall- empfindungsfähigkeit prüfte, waren ein Paar Käfer (Coceinella, Carabus), dann eine Chrysopa, ferner die Stubenfliege und endlich eine Melolontha-Larve. Erstere, namentlich Coceinella, reagiren auf diverse Schall- reize ähnlichwie Blatta, nur in minder auffallender Weise; da- gegen konnte ich bisher am Engerling auch mit den stärksten Geräuschen und Tönen nichts Sicheres herausbringen!) und das- selbe gilt von den geprüften Ameisenarten. b) Versuche an im Wasser lebenden Insecten. Wäh- rend über die acustische Erregbarkeit von Luft-Kerfen doch wenig- stens einige Beobachtungen vorliegen, ist, soviel ich weiss, das Gehör der Wasser-Insecten noch gar nie näher erforscht worden. Aus diesem Grunde habe ich bei meinen Experimenten hauptsäch- lich diese berücksichtigt, und bin dabei, obwohl ich mir Anfangs Wenig versprochen hatte, zu in mehrfacher Hinsicht sehr interes- santen Resultaten gekommen. Ich bemerke noch, dass die Versuche mit Wasserthieren in- soferne sehr bequem anzustellen sind, als sich die Versuchsobjeete in einem geeigneten, gut bepflanzten Aquarium lange (und auch im Winter) ohne besondere Fürsorge halten lassen und der Spiel- raum, in dem sie sich bewegen, beliebig eingeschränkt werden kann. Da sich indess die frisch eingefangenen Thiere gegen Schall- reize im Allgemeinen viel empfindlicher erweisen als die länger im Aquarium befindlichen, so erneuerte ich häufig die Bewohner- schaft desselben und die nachstehenden Mittheilungen beziehen sich auch im Allgemeinen auf frisches Material. Von den meisten, insbesondere von den kleineren Versuchs- thieren hatte ich ferner stets eine grössere Anzahl, wenigstens zwei Dutzende. 1) Da ich diese Versuche leider erst bei Beginn des Winters ernstlich in Angriff nahm, konnte ich die Angabe von Bonnet (oeuvers II, 36), nach welcher einige Raupen selbst auf den Ton seiner Stimme reagirten, keiner Prüfung unterwerfen. Im Laufe des nächsten Sommers hoffe ich meine acu- stischen Experimente an luftlebenden Insecten weiter ausdehnen zu können. 70 Vitus Graber: Die Versuche theile ich nun, im Auszug des Diariums, unge- fähr in der Reihenfolge mit, wie sie angestellt wurden. Zu allererst experimentirte ich mit verschiedenen Arten der Ruderwanzen-Gattung Corixa, von denen die kleineren den Vor- zug verdienen. Die Corixen sind für unsere Zwecke geradezu klassische Ob- jeete zu nennen und zwar u. A. namentlich wegen des Umstandes, dass sie oft fünf Minuten und länger völlig regungslos und wie festgebannt an einem und demselben Orte (meist am Grunde des Wassers) verweilen, sobald sie aber heftiger erregt werden, blitz- schnell das Weite suchen, um sich dann nach kurzem Herum- schwärmen mit ihren langen Mittelbeinen wieder vor Anker zu legen. Meine Experimente mit diesen stets fluchtbereiten Thierchen begann ich nun damit, dass ich mit einem Glasröhrchen derart auf die gläserne (ca. 6 mm dicke) Wand des Aquariums hämmerte, dass ein mässig starker Schall (von bekannter Beschaffenheit) ent- stand. Der Reiz wirkte ähnlich wie auf uns ein Schreckschuss: sämmtliche Corixen, und namentlich die dem Ort der Schaller- zeugung näher befindlichen, verliessen augenblicklich ihren Stand- ort und schwärmten wild durcheinander. Nun stellte ich mir aber gleich die Frage, ob diese Wirkung ausschliesslich nur von den durch den Schlag erzeugten Schall- Öscillationen herrühre, oder ob hier nicht vielleicht gröbere mecha- nische Erschütterungen der Gefässwand resp. des Wassers, ins Spiel kommen. Obwohl mir Letzteres, da ich keinerlei Schwan- kungen des Wasserspiegels bemerken konnte, nicht wahrscheinlich vorkam, wollte ich doch zunächst durch den folgenden Control- versuch konstatiren, ob denn die Corixen überhaupt gegen gröbere Bewegungen besonders empfindlich sind. Zu dem Ende nahm ich ein pfenniggrosses Scheibehen aus Bein, das ich mittelst eines Stieles von derselben Substanz mit mässiger Geschwindigkeit gegen eine am Aquariumgrunde aus- ruhende Corixa bewegte. Ich war in der That erstaunt, dass sich das Thier gar nicht rührte, und noch mehr, dass diese Geschöpfe sich manchmal sogar von einem stärkeren Wasserstrome hin- und herschaukeln liessen, ohne, wie beim Schlag auf die Wand, sofort das Weite zu suchen. Daraus glaubte ich nun wohl mit Sicherheit entnehmen zu können, dass es beim letzteren in der That die molecularen oder Schallbewegungen und nicht die sie allenfalls Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 71 begleitenden gröbern Massenverschiebungen waren, welche die er- wähnten Schreck-Reactionen verursachten. Um mich hievon aber auch direct zu überzeugen, brachte ich das früher verwendete Scheibehen bis auf etwa 2 em Distanz an eine ruhende Corixa heran, fixirte dasselbe dann mittelst des Stieles an einem Ständer und berührte das obere frei aus dem Wasser ragende Ende des letzteren mit einer früher durch Anschlagen zum Tönen gebrachten Glocke eines kleinen electrischen Läutwerkes. Die Wirkung des so durch einen festen Körper in die nächste Nähe der Versuchs- thiere geleiteten Schalles war unzweideutig. Dieselben ergriffen, und zwar ganz regelmässig, in schnellster Eile die Flucht!). Von andern Versuchen, bei denen der Schall dem Autenthalts- medium der Corixen direet durch feste Körper zugeleitet wurde, seien dann noch folgende erwähnt. Ich nahm eine Glasglocke von 1 dm Durchmesser und rieb dieselbe mit dem abgeschliffenen Rande auf einer der (6 mm) dieken Wände des Aquariums. Dabei entsteht, ohne dass das Gefäss eine merkliche Erschütterung erfährt, ein äusserst intensiver sellender Ton, der alle Corixen augenblicklich in die Flucht jagte. Dasselbe Resultat erzielt man u. A. auch, wenn man die Glasglocke mit dem Violinbogen stark anstreicht (sie gab den Ton h‘) und dann mit dem Rande etwas ins Wasser taucht. Dass hiebei die Erschütterung des Wassers nicht in Betracht kommt, ergibt sich einfach daraus, dass, wenn man die Glocke im nicht tönenden Zustand eintaucht, die bekannten Reactionserscheinungen an den Corixen theils gar nicht, theils viel seltener auftreten. Nachdem ich mich so überzeugt hatte, dass einigermassen starke Schallreize bei den Corixen sehr leicht Reactionen resp. Reflexe auslösen, war ich gespannt darauf, zu erfahren, ob dies auch geschieht, wenn der Schall ausserhalb ihres Mediums, also in der Luft erzeugt wird. 1) Wird die Glocke entsprechend und isolirt aufgestellt und mit einem electrischen Strome in Verbindung gebracht, so erhält man einen für die in Rede stehenden Versuche äusserst bequemen Apparat. Will man Versuche mit verschieden starken Schallreizen machen, so geschieht dies am Einfachsten, wenn man das obere Ende des Stieles mit einer breiten, über das Aquarium hinausreichenden Platte versieht, auf die man dann Gewichte von verschiedener Grösse (resp. von verschiedener Höhe) herabfallen lässt. Vitus Graber: =] [8 Da die Schallwellen der Luft bekanntlich beim Uebergang in das Wasser eine sehr bedeutende Abschwächung erfahren, und ausserdem Hensen!) bei seinen auch für die allgemeine Gehör- Physiologie höchst wichtigen Experimenten über die Schallempfin- dung der Krebse ausdrücklich (p. 76 des Sep.-Abdruckes) erklärt, dass „rein in der Luft erzeugte Töne nieht wirkten“, versprach ich mir begreiflicherweise von den einschlägigen Ver- suchen sehr wenig; denn ich wusste mir a priori factisch keinen Grund anzugeben, warum die Corixen und andere stumme Inseeten besser hören oder wenigstens auf Schallreize besser reagiren soll- ten, als die mit hochentwickelten Ohren versehenen Krebse. Die nachfolgenden Versuche, denen ich allein über einen Monat opferte, überzeugten mich von Neuem, dass man sich nie und nimmermehr durch vorgefasste Meinungen beirren lassen darf. Zunächst begann ich damit, dass ich in allernächster Nähe der Aquariumwand, jedoch ohne dieselbe direet zu berühren, eine grosse Tischglocke mit sehr starkem aber ziemlich tiefem Ton anschlug. Das Resultat enttäuschte mich anfangs, denn die zahl- reichen Corixen, welche alle erst kurze Zeit im Aquarium waren, blieben vollkommen regungslos. Als ich aber die Glocke wieder- holt und noch bedeutend stärker wie das erstemal ertönen liess, da erhoben sich fast jedesmal einige und zwar unter Umständen, die es ganz ausser Zweifel stellten, dass dies in Folge des erzeugten Schalles geschah. Da ich mich seinerzeit schon bei den Heu- schrecken überzeugt hatte, dass dieselben unter sonst gleichen Ver- hältnissen im Allgemeinen sehr stark durch recht hohe Violintöne affıeirt werden ?), versuchte ich nun abermals mit der Geige mein Glück. Ich stellte mich hart ans Aquarium und spielte, die Augen auf die Corixen gerichtet, mit möglichst scharfen Striehen die Tonleiter. Die gewöhnlichen (niedern) Griffe auf der g-, d- und a-Saite führten zu keinem unzweideutigen Resultat, 1) Studien über das Gehörorgan der Decapoden. Zeitschr. f. wissen- schaftliche Zoologie XIII. Bd. 1863. -Wenn hier Hensen bemerkt, dass rein in der Luft erzeugte Töne, wie er sich „zum Ueberfluss* mit dem betreffenden Hörrohr überzeugt zu haben glaubte, gar nicht ins Wasser übergiengen, so scheint mir dies durch die Prüfung mit dem Höhrrohr doch lange nicht hinreichend be- wiesen und dürfte im Allgemeinen wohl überhaupt nicht richtig sein. Syalit. 15, p. 1 € Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 73 als ich aber auf der e-Saite bis zum d“‘ und höher kam, nahm die Zahl der flüchtig werdenden Corixen so plötz- lich und so auffallend zu, dass ich die festeste Ueber- zeugung gewann, dass die Corixen in der That den in der Luft erzeugten Schallim Wasser wahrnehmen. Dieselben Versuche wurden und, bei frischen Thieren, stets ungefähr mit demselben Resultat im Verlaufe zweier Monate wenig- stens einige hundertmale wiederholt. Dabei erschien mir mitunter ein intensives staccato, sowie ein sehr starkes Anstreichen oder Zupfen der kurzen Saitentheile jen- seits des Steges von grosser Wirkung. Sehr starke Effecte erzielte ich dann u. A. noch dadurch, dass ich mit einem Hammer auf eine über dem Aquarium be- findliche grosse Blechplatte schlug, sowie mit einer auf E abge- stimmten hölzernen Orgelpfeife!). So empfindlich sich aber auch die Corixen gegen diverse Schallerregungen im Allgemeinen erweisen, so lernte ich im Ver- laufe meiner Experimente doch noch andere Wasserinsecten kennen, bei denen sich die Hörfähigkeit noch viel sicherer demonstriren lässt. Es gehören dahin zunächst diverse kleine Wasserkäfer, namentlich aus der Gattung Laccophilus und Laccobius. Als ich mit Corixa zu experimentiren anfing, wusste ich gar Nichts von der Anwesenheit dieser Kerfe im Aquarium, was, da sie sich meist am Boden zwischen den Steinchen aufhalten, leicht begreiflich ist. Zum erstenmal bekam ich sie in den oberen Wasserschichten zur Ansicht, als ich längere Zeit hindurch in der Nähe sehr inten- sive Schalle erzeugte. In der Folge bemerkte ich sie dann regelmässig nach solchen Schallerregungen und so gelangte ich zur Vermuthung, dass sie vielleicht eben durch diese Reize aus ihren Verstecken am Grunde des Wassers aufgescheucht wurden. Wie sehr diese Vermuthung begründet war, lehrt nun folgen- der leicht zu wiederholender Versuch. Fixirt man einen Laccophilus, der ganz. ruhig ist (am Besten nahe einer Wand des Aquariums) und ferner zum Vergleiche eine in der Nähe desselben befindliche, gleichfalls des Herumschwärmens 1) Auf letztere sowie auf meinen eigenen Pfiff reagirten auch sehr stark Asellus aquaticus. 74 Vitus Graber: müde Corixa und erzeugt dann (etwa mit einer frei in der Hand zu haltenden Tischglocke) nacheinander Schalle von wechselnder Intensität, so ergibt sich, dass der Laccophilus fast immer vor der Corixa flüchtig wird. Stellt man den Versuch gleichzeitig mit mehreren Corixa- und Laceophilus-Individuen an, so kann man das Ergebniss auch so ausdrücken, dass man sagt: ein Schall von solcher In- tensität, dass er in der Regel nur eine oder die andere Corixa in die Flucht treibt, bringt die Laccophilus jedesmal fast alle in Bewegung. Sehr hübsch lässt sich das Laccophilus-Gehör-Experiment u. A. auch in der Weise anstellen, dass man ein Individuum dieses Käferchens in einem Schälchehen isolirt und dann, sobald es ruhig geworden, einen starken Bogenstrich über die Saiten einer Violine macht. Man kann fast mit apodietischer Sicherheit darauf rechnen, dass der Käfer den erzeugten Schall durch eine heftige Flucht- bewegung beantwortet. Bezüglich anderer grösserer Wasserkäfer beobachtete ich Aehnliches bei Dytiseus marginalis. Insbesondere reagirte derselbe sehr regelmässig auf den Klang einer Glocke, die den Ton e“ gibt. Zuletzt, als schon alle Tümpel der Umgebung meines Auf- enthaltsortes zugefroren waren, machte ich noch ein Paar Versuche mit Nepa cinerea, und zwar unmittelbar nach ihrer Einsetzung in ein sehr geräumiges besonderes Gefäss. Ich wartete einen Moment ab, wo sich fast alle Exemplare im Bodenschlamme befanden und klingelte dann mit einer Schelle. Obwohl nun der erzeugte Schall ziemlich schwach war, und selbst die (freilielı schon länger im Aquarium befindlichen) Laccophilus ruhig blieben, brachte derselbe doch augenscheinlich auf die Rücken- schwimmer einen mächtigen Eindruck hervor. Sie erhoben sich nämlich blitzschnell aus der Tiefe und stiegen an die Oberfläche, von wo sie indess ein erneutes Klingeln sofort wieder vertrieb. Als ich dann die Geige zur Hand nahm und damit möglichst intensive und schrille Töne erzeugte, so geriethen die Nepen in eine so wilde Bewegung, dass es den Eindruck machte, als seien ihnen diese Schalle nicht minder unangenehm, als unsern eigenen Ohren. Zum Sehlusse muss ich nun noch berichten, dass ich unter den wasserlebenden Insecten, gleich wie bei jenen, die sich in der Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 75 Luft aufhalten, auch solche kennen lernte, an denen ich bisher gar keine deutlichen Schall-Reaetionen nachzuweisen vermochte. Dahin gehören u. A. die Larven diverser Insecten, und habe ich diesfalls insbesondere jene der Ephemeriden näher geprüft. Wie harthörig diese Thiere sind oder sich wenigstens stellen, beweist am Besten der Umstand, dass sie nicht einmal dann regel- mässig die Flucht ergreifen, wenn der Schall direet auf der Aqua- riumwand, auf der sie sich gerade befinden, erzeugt wird. Dagegen habe ich bemerkt, dass gerade diese Kerfe, im Gegensatz namentlich zu den Corixen, sehr empfindlich gegen gröbere Bewegungen oder Massen-Verschiebungen des Aufenthalts- mediums sind. Um das betreffende sehr verschiedene Verhalten einerseits der Corixen und andererseits der Ephemeridenlarven recht an- schaulich zu machen, will ich noch folgendes sehr einfache Ex- periment erwähnen. Ich nahm zunächst ein Steinchen von solcher Grösse, dass, wenn es durch das Wasser auf eine schlammige Stelle des Bodens fiel, ohne also dort beim Aufschlagen einen merklichen Schall zu erzeugen, nur die in der Nähe befindlichen Ephemeriden-Larven, nicht aber die in gleicher Distanz vom fallenden Körper ausruhen- den Corixen in die Flucht getrieben wurden. In dem Fall war es somit die grobe schalllose Wasserbewegung, welche die Larven erregte. Hierauf legte ich auf den Boden des Wasser-Bassins eine Glasplatte und liess dann dasselbe Steinchen abermals (aus gleicher Höhe) fallen, wobei ein in der Luft deutlich hörbarer Schall ent- stand. Die Folge war, dass die Corixen, welche beim frühern Versuch ganz ruhig blieben, nach dem Aufschlagen des Steinchens die Flucht ergriffen. Nimmt man zu diesem Experiment ein möglichst hohes Ge- fäss, so kann man, da dann zwischen der ersten Bewegung des Wassers (beim Beginn des Falles) und dem schallerzeugenden Auf- schlagen des Steines auf dem Boden ein merkliches Zeitintervall liegt, gelegentlich sogar beobachten, dass die durch die Wasser- verschiebung von ihrem ursprünglichen Standort verscheuchten Ephemeriden-Larven schon wieder ruhig geworden sind, ehe der Aufschlag-Schall die inzwischen unbeweglich gebliebenen Corixen in die Flucht treibt. 76 Vitus Graber: Das mitgetheilte Experiment gibt zugleich eine neue hübsche Illustration für die bekannte Thatsache, dass ein und derselbe äussere Vorgang auf verschiedene Thiere in ungleicher Weise zur Einwirkung kommen kann, indem hier der Fall des Steines auf die Ephemeriden-Larven durch die ihn begleitenden Massen-Verschiebungen des Fall-Me- diums, auf die Corixen hingegen durch den Schall beim Aufschlagen auf der festen Unterlage als Empfindungs- Impuls wirksam wird!) Nachdem von mir eben zum erstenmale der exacte Nachweis geliefert worden ist, dass die Inseeten im Allgemeinen in der That durch reine Schallreize beeinflusst werden, will ich noch ein Paar Worte über die Frage beifügen, ob sich denn die Insecten dieser Schall-Erregungen auch bewusst werden, ob sie also eine wahre Empfindung derselben haben, oder ob die gewissen durch Schall- reize verursachten Reactionen blosse Reflexerscheinungen sind. Diese Frage muss ich aber desshalb berühren, weil gelegent- lich noch immer die Meinung auftaucht, dass die Inseeten über- haupt kein Bewusstsein und also auch kein wirkliches Empfinden haben, indem angeblich alle ihre Aectionen, so zweckmässig sie auch erscheinen mögen, auf reiner Reflexthätigkeit beruhen sollen. In Bezug auf diese Angelegenheit möchte ich nun in aller Kürze das Folgende bemerken. Zunächst wird man auf Grund gewisser Erscheinungen bei den höheren Thieren zugeben müssen, dass manche jener moto- rischen Erregungen, die wir bei den Inseeten unter der Einwirkung von Schallreizen eintreten sehen, in der That rein reflecetorische sind und ist es ferner wahrscheinlich, dass diese Mitbewegungen bei den Insecten im Allgemeinen häufiger sind, als bei den höhern Thieren. Daraus folgt aber selbstverständlich noch lange nicht, dass bei den Insecten gar alle jene Bewegungen oder Reactionen 1) Mit Rücksicht darauf, dass unter Umständen das Fallen eines Steines im Wasser bei den darin befindlichen Thieren auch eine Lichtempfin- dung veranlassen kann, sei noch ausdrücklich bemerkt, dass dies in unserem Fall, wie ich mich durch Controlversuche überzeugte, nicht der Fall war. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 17 unwillkürliche und noch weniger, dass speciell alle ihre durch Sehall-Impulse entstehenden Nerven-Erregungen unbewusste sind. Wenn ich die Ansicht vertheidige, dass auch die Insecten wahre d. i. in's Bewusstsein gelangende Schall-Empfindungen haben, so stütze ich mich, von anderweitigen Erwägungen ganz absehend, vorwiegend auf folgende zwei Erscheinungen. Die erste bezieht sich auf sämmtliche Insecten und besteht darin, dass sich dieselben augenscheinlich an die Schallreize ge- wöhnen, oder präeiser ausgedrückt, dass sie auf dieselben, wenn sie sich öfter wiederholen, viel schwächer oder gar nicht mehr reagiren !). Warum ich aber diese Thatsache als ein Argument gegen die Annahme refleetorischer Sechall-Erregungen anführe, ist leicht ein- zusehen, wenn man bedenkt, dass bei den echten Reflexvorgängen eine solehe plötzliche Abnahme oder gar ein völliges Ausbleiben der Wirkung bei Wiederholung des Reizes in der Regel nicht be- obaehtet wird, während sich die Erscheinung unter der Annahme bewusster Empfindungen sehr leicht erklären lässt. Noeh schlagender wird aber das Bewusstwerden gewisser Schall- Erregungen der Inseeten durch nachstehend mitzutheilende Erschei- nung bewiesen. Bekanntlich bringen stärkere Schallreize bei den Inseeten so gut wie bei den höheren Thieren in der Regel sogenannte Fluchtbewegungen hervor. Wenn nun bezüglich dieser auch kaum 1) Ein schlagendes Beispiel, wie ausserordentlich rasch sich gewisse Insecten an Schallreize gewöhnen, habe ich erst kürzlich wieder beobachtet. Ich liess an einem Wintertag die Eisdecke eines Tümpels aufbrechen und holte mir daraus eine. grössere Anzahl von Laccophilus, die ich sofort in mein schon sehr entvölkertes Aquarium einsetzte. Die Käferchen versteckten sich bald zwischen den Steinen des Wassergrundes. Probeweise brachte ich nun mit dem Mund ein Paar mässig starke Pfiffe hervor und siehe da! die meisten Laccophilus (und auch einige frisch eingefangene Corixen) erhoben sich und zwar alle fast zu gleicher Zeit und beschleunigten jedesmal ihre Fluchtbewegungen, wenn ich den Pfiff wiederholte. — Als ich dann aber nächsten Morgen den Versuch neuerdings anstellte, blieb in der Regel alles Pfeifen und andere Lärmmachen (ausserhalb des Wassers!) erfolglos. Man bedenke aber auch, welchen Wechsel solche Thiere in Bezug auf die sie treffenden Schallreize bei der Translocirung vom stillen (zugefrorenen) Teich in ein Zimmer, wo Thüren auf- und zugeschlagen werden und vielfacher anderer Lärm herrscht, erleiden. 78 Vitus Graber: in Abrede gestellt werden kann, dass sie im Allgemeinen zweck- mässig, d. h. der Erhaltung des Thieres förderlich sind, so lässt sich andererseits betreffs derselben in der Regel doch schwer be- weisen, dass sie vom Willen des Thieres abhängige und somit auf bewussten Vorstellungen berubende Schutz-Actionen sind. Anders verhält es sich aber u. A. bei den musieirenden Heu- schrecken, bei denen, ähnlich wie bei gewissen stimmbegabten Wirbelthieren, z. B. den Vögeln, der von ihnen produeirte Schall als geschlechtlicher Lockruf wirkt. Hier besteht nämlich die äussere Reaction nicht in einer Flucht-, sondern vielmehr in einer Annäherungs- Bewegung, und es hiesse doch wahrlich den Thatsachen 'Gewalt anthun, wenn man behaupten wollte, dass dieses durch den Schall der eigenen Stimme geleitete Sich-Aufsuchen der in Rede stehenden Insecten eine blosse Reflex-Aetion wäre. | Dass aber bei den Insecten das bewusste oder wirkliche Schall-Empfinden keineswegs bloss ausschliesslich auf die Heu- schrecken beschränkt ist, wird man wohl a priori einräumen; später werde -ich zeigen, dass die Beschaffenheit der betreffenden Organe einerseits bei den Heuschrecken und andererseits bei den übrigen Insecten eine derartige ist, dass wir mit voller Beruhigung annehmen können, dass die Schall-Perception im Grossen und Ganzen überall dieselbe ist. B. Ueber die nähere Beschaffenheit der Schallempfindungen der Insecten. Im früheren Abschnitt wurde gezeigt, erstens, dass die In- seeten wirklich durch reine Schallreize erregt werden und zweitens, dass dieses Erregtwerden z. Th. wenigstens ein wirkliches Em- pfinden ist. Nunmehr wollen wir, jedoch nur in aller Kürze, untersuchen, inwieferne wir uns auf Grund der mitgetheilten Experimente und gewisser anderer noch zu erwähnender Erscheinungen auch über die nähere Natur der in Rede stehenden Empfindungen eine gewisse Vorstellung zu bilden in der Lage sind. l. Ueber die relative Stärke der Schallempfin- dungen der Insecten. Bei den obigen Versuchen habe ich wiederholt neben den Inseeten, für welche die erzeugten Schallreize Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 79 zunächst bestimmt waren, auch einige unter gleichen Verhältnissen sich befindende Wirbelthiere beobachtet. So richtete ich, während mit der Blatta experimentirt wurde, mein Augenmerk mehreremale auf einen zu diesem Zweeke ge- eignet postirten Frosch und beim Studium der Schall-Erregbarkeit der Wasserkerfe wurden sehr häufig auch die im gleichen Gefäss anwesenden kleinen Fischehen (Arten von Phoxinus und Leueiseus) in Betracht gezogen. Wenn es nun auch sein Missliches hat, zunächst äussere Reac- tionsbewegungen so verschieden organisirter Thiere hinsichtlich ihrer Stärke mit einander zu vergleichen, so kann ich gleichwohl nicht umhin zu sagen, dass ich im Allgemeinen den Eindruck er- hielt, als ob bei den angewandten Reizungen die Reactionsbewe- sungen der Inseeten zum mindesten nicht schwächer als jene der bezeichneten Wirbelthiere waren. Ich hebe diesfalls insbesondere noch hervor, dass Frösche selbst unter der Einwirkung äusserst intensiver Schallerregungen, welche bei den Blatten und andern Insecten heftige tetanisirende ° Wirkungen haben, oft völlig regungslos bleiben, und dass sie auf schwächere Schallreize, die aber doch ausreichen, um etwa einen Laceophilus in Bewegung zu bringen, in der Regel überhaupt nicht reagiren. Bekanntermaassen gibt aber die Vergleichung der Reactions- intensitäten namentlich bei so verschiedenartigen Thieren durchaus keinen sicheren Maassstab für die Beurtheilung der betreffenden Empfindungsintensitäten und aus diesem Grunde ist die angeregte Frage überhaupt keiner exaeten Lösung fähig, sondern wir können auf Grund der mitgetheilten Beobachtungen höchstens nur die Ver- muthung aussprechen, dass die Schallempfindungsstärke oder die Hörkraft der Insecten wo nicht grösser, so doch gewiss nicht um sehr viel geringer, als bei den niederen Wirbelthieren sein dürfte. Eine nährere Vergleichung der Schallempfindungsstärke der Inseeten speciell mit der unsrigen wäre, wie ich noch kurz bei- fügen will, nur unter einer freilich unmöglich zu realisirenden Bedingung ausführbar. Es wäre dies dann, wenn es uns gelänge, die Entfernung zu bestimmen, bei welcher die Weibehen der oben genannten Orthopteren (und mancher anderen stimmbegabten Kerfe) 80 Vitus Graber: den bekannten Lockruf des Männchen zuerst vernehmen !). Würde man nämlich dann diese Distanz mit jener vergleichen, bei welcher wir selbst besagtes Gezirpe zuerst wahrnehmen, so wäre die Be- stimmung der relativen Hörschärfe zwischen den Heuschrecken und uns ein einfaches Rechenexempel. 2. Ueber die Unterschiedempfindlichkeit der In- secten für Schall-Intensitäten. Dass die Inseeten Abstufungen in der Stärke eines Schalles oder Tones überhaupt zu unterscheiden befähigt sind, kann nach den früheren Versuchen wohl nicht be- zweifelt werden; ich habe aber auch einige Beobachtungen gemacht, aus denen hervorgeht, dass diese ihre Unterschieds-Empfindlichkeit eine ziemlich grosse ist. Ich theile nun eine solehe Erfahrung mit. — Wenn man einen ruhenden Laccophilus erregt, indem man einen Ton von mässiger Stärke, sagen wir durch Anstreichen einer bestimmten Violinsaite (etwa der E-Saite) erzeugt, und diesen Ton in der ur- sprünglichen Stärke länger anhalten lässt, so schwimmt das Ver- suchsthier mit einer gewissen ziemlich konstant bleibenden Ge- schwindigkeit durch das Wasser. Nun habe ich wiederholt gesehen, dass, wenn man den Ton, während das Versuchsthier seine Bahn beschreibt, je- doch ohne ganz abzusetzen, etwas stärker nimmt, auch die Bewegungs- oder Flucht-Gesehwindigkeit sichtbar zu- nimmt. Erwägt man nun betreffs dieser Erscheinung, dass die Reiz- bez. die Empfindungsintensität oft einen sehr beträchtlichen Zu- 1) Eines, nämlich der grösste Abstand, bei welcher der Lockruf gewisser Inseeten von ihresgleichen zuerst als solcher empfunden wird (d. h. das Thier zur Annäherung an die Tonquelle ver- anlasst), könnte vielleicht bei einiger Mühe wirklich ermittelt werden, und wenn sich dabei, was ja immerhin möglich ist, herausstellte, dass diese Entfernung geringer ist als jene, bei welcher dieser Schall bei uns selbst die Reizschwelle über- schreitet, so wäre es auch entschieden, dass die betreffenden Thiere feinhöriger als wir sind. Auf die von verschiedener Seite geäusserte Anschauung, dass gewisse Insecten, wie z. B. die Ameisen, sich gegenseitig durch uns unhörbare Töne benachrichtigen, kann ich hier, ohne weitschweifig zu werden, nicht näher eingehen, und verweise ich diesfalls auf die Arbeiten von Landois und namentlich auf jene Lubbock’s. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. sl wachs erfahren kann, ohne eine merkliche Erhöhung der Reactions- intensität zu bewirken, so darf wohl vermuthet werden, dass im vor- liegenden Fall, wo der Unterschied in der Reactions-Intensität ein so grosser ist, auch jener der Empfindung in der That ein sehr bedeutender sein muss. Vielleicht geben vorliegende Experimente Anlass zu eingehen- deren Untersuchungen, die sich vor Allem auch auf die Bestim- mung der Reactionsschwelle, d. i. des schwächsten noch deut- liche Reactionsbewegungen gebenden Schallreizes erstrecken müssten. 3. Ueber die Unterschiedsempfindlichkeit der In- seeten für Tonhöhen. Aus denmitgetheilten Versuchen ergibt sich, dass gewisse Insecten wenigstens unter sonst annähernd gleichen Umständen auf Töne verschiedener Höhe ungleich stark reagiren. So zeigte es sich z. B., dass u. A. die Schwaben und Stubenfliegen heftiger durch die niederen, die Corixen dagegen stärker durch die höheren Violintöne erregt werden. Auf Grund dieser Erfah- rungen darf man nun wohl mit ziemlicher Sicherheit annehmen, dass die Inseeten in der That die Fähigkeit haben, Differenzen hinsichtlich der Tonhöhen, wenigstens, wenn dieselben eine gewisse Grösse erreichen, überhaupt zu unterscheiden. Jene schon früher erwähnten Insecten, die, wie z. B. die Heuschrecken, geschlechtliche Lockrufe hervorbringen, gestatten uns aber hinsichtlich der Frage nach dem Grade ihrer Ton-Unter- seheidungsfähigkeit noch einen tieferen Einblick. Sind nämlich, um mich ganz kurz zu fassen, die betreffenden Thiere, wie man theils auf Grund direeter Erfahrung !), theils nach Analogie mit gewissen höhern Thieren, z. B. den Singvögeln, an- nehmen darf, wirklich im Stande, ihre Artgenossen an der Stimme zu erkennen, so muss, da oft gleichzeitig viele solcher einander ähnlicher Lockrufe (von anderen Arten) erschallen, nothwendig vorausgesetzt werden, dass sie gleich uns selbst, die Fähigkeit 1) Interessante Daten hierüber gibt u. A. auch eine ältere Schrift von Lehmann de sensibus externis ete. Göttingen 1798. Leider fehlt noch immer eine genauere Ton-Analyse der Heuschrecken-„Stimmen“, sowie ein exacter Versuch darüber in wie weit sich denn eigentlich ein Heuschreckenweibchen beim Aufsuchen des Männchens mittelst des Gehörs allein im Gewirre verschiedener auf es einwirkender Lockrufe (anderer Gattungen und Arten) zurecht zu finden vermag. Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd, 21. 6 82 Vitus Graber: haben, diese eigenartigen Klänge resp. Geräusche wenigstens bis zu einem gewissen Grade zu analysiren, bez. die sie zusammen- setzenden Partialtöne deutlich von einander zu unterscheiden. 4. Ueber den speeifischen Character der Schall- empfindungen der Inseeten. Mit Rücksicht darauf, dass der speeifische Character der Empfindung eines bestimmten Schallreizes bei uns selbst gewisse zeitliche und individuelle Schwankungen aufweist und ferner das Nervensystem und die als Gehörorgane in Betracht kommenden Einrichtungen bei den Insecten hinsichtlich ihres Baues sehr wesentlich von den bei den Wirbelthieren be- stehenden Verhältnissen abweichen, darf zunächst wohl ohne Weiteres angenommen werden, dass "die besondere Qualität der Schallempfindungen der Insecten auf keinen Fall genau das ist oder an sich hat, was wir als Hören bezeichnen. Die Frage, die ich hier untersuchen will, kann aber selbstverständlich überhaupt nicht so lauten, welche specifische Eigenschaft das insectische Hören gerade hat, sondern es soll bloss erörtert werden, ob dieses Hören der Inseeten überhaupt bei ihnen einen specifischen Character besitzt oder ob es vielleicht mit einer andern Kategorie von Empfindungen zusam- menfällt. Letztere Eventualität ist hier aber desshalb in Betracht zu ziehen, weil in der That vielfach behauptet wurde, und noch be- hauptet wird, dass das sog. Hören der niederen Thiere kein be- sonderes eigenartiges Empfinden wie bei den Vertebraten, sondern nur eine Art Tasten oder Fühlen sei '). Indem ich gleich vorausschicke, dass ich letztere Annahme speciell mit Rücksicht auf das Insecten-Gehör für eine durchaus willkürliche und unbegründete halte, will ich nun im Folgenden, jedoch in aller Kürze, die mir hier maassgebend erscheinenden Verhältnisse auseinandersetzen. ı) Von älteren Forschern, die das Hören der Insecten nur als ein besonders feines Fühlen bezeichneten, erinnere ich an Bonnet ]. c. Be- züglich neuerer Ansichten über diesen Gegenstand vgl. man u. A. E. Häckel, Ursprung und Entwicklung der Sinnesorgane (Kosmos v. Krause, 4. Bd.), ferner Gust. Jäger, Die Organanfänge (ebenda 1. Bd.) und sein Lehrbuch der allgemeinen Zoologie (II. Physiologie) und Wundt, Physiologische Psy- chologie II. Aufl. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 83 Die Ansicht, dass das Schallempfinden speciell bei den In- secten keine eigenartige Qualität besitze, stützte man u. A. haupt- sächlich darauf, dass man bei diesen Thieren bisher auch keine gesonderten Organe für die Schallperception nachzuweisen vermochte. Setzen wir nun zunächst den Fall, dass solche speeifische acustische Nervenenden wirklich bei den Insecten noch unbekannt wären, eventuell auch ganz fehlten, so wäre trotzdem die von mir bekämpfte Anschauung noch keineswegs begründet; denn man er- wäge diesfalls u. A. nur, dass bei uns selbst u. A. für die Wirk- sammachung der thermischen Reize noch keine besonderen Angriffs- Apparate oder Nervenenden nachgewiesen sind, und dass dennoch das Empfinden dieser Reize ein ganz speeifisches ist, und speciell mit den eigentlichen Tastsinn-Erregungen gar keine Aehnlichkeit hat. Wird diesfalls aber etwa eingewendet, dass die Tast- und Schallreize einander viel näher stehen, als die Tast- und die Wärmereize, so darf doch nieht vergessen werden, dass, bei uns wenigstens, gleichwohl von einem eigentlichen Uebergang der Empfindungen der Tast- und Schallreize nicht ge- sprochen werden kann; denn das Empfinden der schallgebenden schnellen Drueksehwankungen durch das Ohr ist (bei uns) immer etwas ganz anderes, als das Empfinden langsam sich folgender oder einzelner Stösse durch Vermittlung des Haut- oder Tastsinnes. In Wirkliehkeit trifft aber bekanntlich unsere Voraussetzung, dass die Inseeten keine besonderen zur Schallperception geeignet erscheinenden Mittelorgane besitzen, durchaus nicht zu; denn wenn wir auch zunächst, um nieht den Erörterungen des nächsten Ab- schnittes vorzugreifen, von den gewöhnlichen Chordotonalorganen absehen, so kennt man doch wenigstens bei den Heuschrecken schon lange Einrichtungen, die geradezu als Seitenstücke der tympanalen Ohren der Wirbelthiere aufgefasst werden müssen. Fragen wir nun zunächst weiter, ob es wahrscheinlich ist, dass speciell diese tympanalen Organe der Orthopteren von den Sehallreizen nur eine Art Tastempfindung vermitteln, so muss dies doch entschieden in Abrede gestellt werden. Sehen wir nämlich ganz davon ab, dass man, wenn diese Annahme gemacht würde, consequenterweise dann auch den speci- fischen Character der durch die Augen oder Riechorgane dieser Thiere vermittelten Lieht- und Geruchsempfindungen anzweifeln müsste, so möchte hier namentlich noch folgende Erwägung amı 84 Vitus Graber: Platze sein. Es ist die, dass die morphologische Differen- eirung des ganzen Sinnes-Systems eines Organismus demselben wenig Vortheil brächte, wenn sie nicht auch von einer physiologischen Differeneirung begleitet wäre; denn es liegt doch auf der Hand, dass sich ein Thier leichter und sicherer über die verschiedenen auf es einwirkenden Reize orientirt, wenn dieselben qualitativ sehr verschiedene Empfindungen auslösen, als wenn die betreffenden Erregungen ungefähr denselben Character haben. Speeiell mit Rücksicht darauf, dass man vielfach und ohne exacte Begründung manchen Thieren ganz neue uns völlig fehlende Sinne zuschreibt, nimmt es sich in der That recht sonderbar aus, wenn man im vor- liegenden Fall, trotz der Sonderung der betreffenden Organe, Sinne, die bei uns getrennt sind, gewaltsam in eine Kategorie zusammenzieht. Eine weitere Begründung der Annahme, dass das Schall- empfinden der Insecten kein eigentliches Hören, sondern mehr eine Art Tasten sei, soll dann ferner noch darin liegen, dass ge- wisse Schallreize bei uns selbst ausser den eigentlichen durch das Ohr vermittelten acustischen Erregungen auch noch, durch Affi- eirung der Hautnervenendigungen, Tastempfindungen hervorrufen. Indem ich nun auf die Bekämpfung gerade dieses Argu- mentes mein Hauptaugenmerk richte, möchte ich vor Allem hervor- heben, dass hinsichtlich der bei uns selbst durch Schallreize er- zeugten Tastempfindungen vielfach eine grosse Unklarheit herrscht. Wenn z. B. u. A. Gust. Jäger (l. e.) sagt: „wir fühlen die Schwingungen einer Saite ebenso gut als wir sie hören“, so kann sich dieses Fühlen, im Allgemeinen wenigstens, doch nur auf ein directes Berühren der oscillirenden Saite beziehen, und kann also kein Schall-Empfinden, sondern nur ein gewöhnliches Tasten genannt werden. Beschränken wir unsere Betrachtung aber auch auf jene Tast- oder Hautempfindungen, welche durch eigentliche Schallreize, ich meine hiemit durch schallerzeugende Schwingungen der Luft in uns wachgerufen werden, so sind auch diese zum grösstentheile nicht einer direeten Einwirkung jener Schallbewegungen zuzu- schreiben, sondern man hat es hier nachweislich in der Regel nur mit sog. Mitempfindungen oder Irradiationserschei- Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 85 nungen zu thun. Der Schauder oder Kitzel z. B., den wir bei Einwirkung eines sehr intensiven Schalles empfinden, bleibt voll- ständig aus, wenn wir uns die Ohren verstopfen, was doch Beweis genug ist, dass diese Empfindungen nicht durch unmittelbare Ein- wirkung der äussern Schallstösse auf die Haut entstehen, sondern dass sie erst mittelbar durch die eigentlichen Gehörempfindungen, resp. von den acustischen Nervencentren ausgelöst werden. Sehen wir von den allerintensivsten Schallstössen ab, wie sie etwa bei heftigen Explosionen entstehen, so machen sich Schall- reize bei uns im Allgemeinen nur am Trommelfelle, also an einem durch grosse Zartheit und eigenthümliche Beschaffenheit ausge- zeichneten Haut-Theil fühlbar, jedoch auch nur unter gewissen Be- dingungen !!). Muss nun auch, was indess von den Anhängern der von mir bekämpften Anschauung auffallenderweise nie geschehen ist, darauf hingewiesen werden, dass, wie ich bei einer späteren Gelegenheit näher ausführen werde, speciell bei den Insecten im Allgemeinen in gewisser Beziehung fast die ganze Haut jene besondere Be- schaffenheit hat, wie sie unser Trommelfell darbietet, so darf daraus doch noch lange nicht geschlossen werden, dass ihr Schallempfinden nur ein Tasten sei, sondern höchstens nur, dass Schallreize ihre Tastnervenenden allgemeiner erregen, als dies hinsichtlich unserer Haut der Fall ist. Setzen wir nämlich auch den Fall, die ganze Haut der In- seeten hätte in der That denselben hohen Grad von Feinfühligkeit für Schallreize wie sie unser Trommelfell, also der in dieser Be- ziehung feinstfühlende Hautabschnitt besitzt, so lässt sich doch un- schwer nachweisen, dass ein so gearteter Tastsinn gleichwohl auch nicht im Entferntesten im Stande wäre, solche Schallempfindungen zu vermitteln, wie wir sie bei diesen Thieren factisch beobachten. Es wird genügen, diesfalls kurz auf folgende Momente auf- merksam zu machen. 1) In Hermann’s neuem Handbuch der Physiologie (Leipzig, Vogel) suche ich über das Fühlbarwerden von Schallreizen vergebens nach näheren Mittheilungen. Einige werthvolle Bemerkungen stehen nur in Funke’s klassischer Bearbeitung des Hautsinnes (Ill. Bd. 2. p. 311, 314 ete.). Auf eine einschlägige Bemerkung von Exner werde ich später zu- rückkommen. s6 Vitus Graber: Zunächst beachte man, dass so schwache Schalle, wie z. B. das ferne Gezirpe einer Heuschrecke, oder der von der Luft in das Wasser übergehende Klang einer Glocke, die sewisse Inseeten nicht nur überhaupt erregen, sondern bei ihnen sogar als Lock- resp. Schreckreize wirken, in uns auch nicht die leiseste Spur einer Tastempfindung hervorrufen. Ganz besonders ist aber dann der Umstand hervorzuheben, dass wirabsolut unfähig sind, selbst sehr differente Schallreize mit Hülfe der Tastempfindungen, auch nur im Entferntesten zu unterscheiden, während die Insecten, wie wir gesehen haben, selbst den Unterschied zwischen einander sehrähnlichen Tönenresp. Toncomplexen wahrzunehmen im Stande sind. Fassen wir nun zum Schlusse das Gesagte zusammen, so wird man doch zugeben müssen, dass die Annahme, nach welcher das Schallempfinden der Insecten bloss eine Art Tasten wäre, ent- schieden eine ganz willkürliche ist, während alle Umstände und namentlich die Feinheit ihrer betreffenden Empfindungen dafür sprechen, dass dieselben, ähnlich unserm eigenen Hören, einen specifischen Character besitzen. Was dann endlich die Frage nach der Existenz besonderer Organe für die Schallempfindung der Insecten betrifft, so möchte ich mich folgendermaassen aussprechen: Aus der Unkenntniss speeifischer Einrichtungen für die Wirksammachung von Schallreizen darf keineswegs geschlossen werden, dass die betreffenden Thiere gar keine echten Schall- empfindungen haben; wohl aber darf man aus der nach- gsewiesenen Feinheit dieser Empfindungen mit grosser Wahrscheinlichkeit auch auf die Existenz entsprechen- der Vermittlungsapparate schliessen. 2. Ueber die Funetion der chordotonalen Sinnesorgane. Die später eingehender zu erörternden Gründe, auf die ich meine Annahme stütze, dass die chordotonalen Einrichtungen der Schallperception dienen, sind in Kürze folgende. 1. Sind die Nervenenden der Chordotonalorgane genau von derselben specifischen Natur wie in den Tympanalapparaten der Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 87 Örthopteren, welche letztere wohl mit aller Bestimmtheit als acu- tische Einrichtungen angesprochen werden dürfen. 2. Ist auch die physikalische Beschaffenheit und die Lagerungs- weise namentlich der Chordotonalorgane im engern Sinn an und für sich betrachtet, eine solche, dass sie, um mich Weismann’s Worte !) zu bedienen, in hohem Grade geeignet erscheinen, durch Schallschwingungen in Vibration versetzt zu werden. 3. Endlich kennt man bei den Insecten, ein Paar z. Th. noch fragwürdige otocystenartige Bildungen abgerechnet, keinerlei Ein- richtungen, die zur Schallperception geeigneter erscheinen, als eben die chordotonalen. Obwohl nun aber die jetzt angeführten Gründe unstreitig sehr sewichtige sind, und die Thatsachen, auf welche sie sich stützen, grösstentheils schon vor langer Zeit konstatirt wurden, so ist doch bekanntlich die von mir vertretene Anschauung noch lange keine allgemeine. Die Sache liegt vielmehr, um es ohne Umschweife zu sagen, so, dass man die poriferen Bildungen nach Leydig’s Vorgang, zur Noth als Hörorgane hingehen lässt?), während man die übrigen bisher konstatirten Vorkommnisse in den Anhängen und im Rumpf der Dipteren und Coleopteren, über deren Function allerdings auch ihr Entdecker sich nieht weiter ausspricht, als ob sie factisch gar nicht vorhanden wären, einfach todt schweigt. Eine Ausnahme in dieser Beziehung macht nur Claus, der in seiner Zoologie (4. Aufl. p. 696) die in Rede stehenden primi- re 2) Wie in manchen anderen zoologischen Handbüchern findet man ins- besondere auch in dem eben erschienenen „Abriss der Zoologie* von Dr. A. Brass 1882, hinsichtlich der stiftführenden Insectenorgane eine wirklich höchst saloppe Darstellung. Ganz abgesehen davon, dass Brass die Tympanalorgane der Locustiden und Achetiden an der Schiene des „Hinterfusses“ (p. 206) liegen lässt, und Abdominal- und Tibialorgane zusammenwirft, spricht er u. A. auch (pag. 207) ausser von „Stäbchenfortsätzen“ von „keulen- artigen Ansätzen der Nervenendigungen“. Höchst unklar, wie der ganze betr. Abschnitt, ist u. A. auch der Passus, in welchem das Trommelfell (der Acridier?) als ein in einen Chitin- ring „eingespanntes“ Häutchen bezeichnet wird, „an dessen Innenfläche mehrere zapfenartige Vorsprünge herantreten“. Diese Vorsprünge treten doch nicht an das cuticulare Tympanum heran, sondern sind locale Verdickungen des letzteren selbst. 88 Vitus Graber: tiven Stiftorgane in den Antennen, Palpen und Tarsen, und wohl mit Rücksicht eben auf diese ihre Lage, mit dem Tastsinn in Beziehung bringt, eine Auffassung, die aber, wie schon aus dem Obigen hervorgeht und später noch umständlicher gezeigt werden soll, wohl kaum als zulässig erkannt werden kann. Ich will nun zunächst auf ein Paar Umstände aufmerksam machen, die meines Erachtens der richtigen Erkenntniss der phy- siologischen Natur der primitiven Stiftorgane im Wege waren. Dahin rechne ich einmal das weitverbreitete Vorurtheil, dass bei den Inseeten, in ähnlicher Weise wie bei den Wirbelthieren, die Sehallempfindungsorgane streng localisirt resp. nur in einem ein- zigen Paare vorhanden sein müssten. Ich nenne diese Anschauung ein Vorurtheil, weil sich dieselbe, wie ich später noch umständlicher darthun werde, durchaus nicht wissenschaftlich begründen lässt, wie ich denn vorläufig nur er- wähne, dass bei den Inseeten und verwandten Arthropoden u. A. ja auch die Organe der Sehempfindung, welche bei den Wirbel- thieren nur in einem Paar vorliegen, oft in grösserer Zahl auftreten. Dass dies Vorurtheil aber in der That weit verbreitet ist, lässt sich unschwer nachweisen. So sprieht z. B. Joh. Müller und Siebold nicht von Gehör- organen der Insecten resp. der Orthopteren, sondern stets von einem Gehörorgan, wie ja auch die oft eitirte Arbeit des Letzteren „über das Stimm- und Gehörorgan der Orthopteren“ betitelt ist. Auch Leydig nennt die scolopoferen Halterenorgane „das Ohr der Dipteren“, womit doch ausgedrückt wird, dass diese Thiere daneben nicht noch andere acustische Einrichtungen besitzen. Inwieferne aber dieses Vorurtheil die richtige Erkenntniss der Chordotonalorgane beeinträchtigte, zeigt sich gerade am letzt- erwähnten Fall, indem, wenn das Halterenorgan als das Ohr an- gesprochen wird, eonsequenterweise die neben demselben vorkom- menden übrigen Stiftorgane nicht mehr als acustische gedeutet werden können, und dasselbe gilt betreffs der weit über den Körper zerstreuten Coleopteren-Stiftorgane, wenn die porifere Bildung der Hinterflügel als eigentliches „Ohr“ betrachtet wird. Nicht weniger hinderlich erwies sich in dieser Richtung ein zweites allerdings nieht so allgemein verbreitetes Vorurtheil, näm- lich die Meinung, dass bei den Insecten, im schroffen Gegensatz zu den Vertebraten, überhaupt nicht alle Formen Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 89 besondere Gehörorgane besitzen, sondern dass die Aus- bildung soleher Einrichtungen nur bei einzelnen Thieren und zwar in Anpassungan ganz besondere solche Schall- empfindungsorgane dringend erheischende Lebensver- hältnisse erfolgt sei. Was den Ursprung dieses Vorurtheils betrifft, so glaube ich nicht fehl zu gehen, wenn ich annehme, dass es, was auf den ersten Blick befremden mag, durch die Entdeckung der Tympanalorgane, resp. durch den Umstand veranlasst wurde, dass diese ersten sicher als Hörwerkzeuge zu deutenden Einrichtungen gerade bei solchen Inseeten nachgewiesen wurden, welche ihrer tonprodueirenden In- strumente halber solcher Organe vor Allem bedürftig erschienen, während dazumal von den „stummen“ Insecten, wie z. B. den Blat- tinen, wo Siebold (Lit. 1 pag. 79) nach analogen Einrichtungen suchte, keine solche bekannt waren. Dass speciell auch Siebold im Gegensatz zu seinen Vorgängern, wie Newport ete., welche die Hörorgane verzüglich in den Fühlern und zwar auch bei stummen Insecten suchten, dieser Anschauung huldigte, entnehme ich aus dem Schlusssatz seiner oft eitirten Arbeit, wo es (pag. 79) heisst: „sehr neugierig bin ich, ob sich bei den singenden Cicaden ein dem Gehörorgan entsprechender Apparat auffinden lässt.“ Dieser Passus weist nämlich doch unzweideutig darauf hin, dass Siebold das Vorkommen besonderer Hörorgane vornehmlich nur bei den lautäussernden Inseeten voraussetzte. Von andern Forschern, welche dieser Anschauung Ausdruck verliehen, will ich nur auf Claus hinweisen, der in seiner Zoo- logie (4. Aufl. pag. 695) betrefis der eigenthümlichen von H. Lan- dois (Thierstimmen) mit den Orthopteren-Tympanis verglichenen Bildungen an den Vorderbeinen von Sphinx atropos!) sagt: 1) Ich benutze diese Gelegenheit zur Bemerkung, dass ich diese eigen- artigen Bildungen in der vorliegenden Arbeit desshalb nicht berücksichtigte, weil ich seinerzeit, wo ich sie anhaltend untersuchte, darin keinerlei Stift- organe habe finden können. Desshalb will ich aber das Vorkommen solcher sowie die Richtigkeit der Parallele mit den Orthopteren-Tibialorganen noch nicht gänzlich in Abrede stellen, sondern möchte vielmehr zu einer erneuten Untersuchung anspornen. Betreffs des Aeusserlichen dieser taschenartigen Aussackungen möchte ich auf Grund der aus jener Zeit vorliegenden Querschnitt-Zeichnungen und Notizen nur hervorheben, dass die Bildung am Meisten an das überdeckte 90 Vitus Graber: „Wahrscheinlich nimmt also der zu einer Tonproduetion befähigte Schwärmer ebenfalls Schall und Geräusche wahr‘, eine Darstel- lung, die doch offenbar so klingt, als ob Claus glaubte, dass die übrigen stummen Schmetterlinge resp. Schwärmer keine besondere Schallempfindung, geschweige förmliche Hörorgane besässen. Wie wenig aber gerade in diesem Falle die in Rede stehende Anschauung berechtigt ist, ergiebt sich daraus, dass ganz ähnliche Tibialanbänge auch bei anscheinend wenigstens ganz stummen Schwärmern, wie z. B. bei Smerinthus nerii, sowie bei andern Schmetterlingen vorkommen, das Organ also durchaus nicht auf die tonproducirenden Lepidopteren beschränkt ist. — Wenn ich im Vorhergehenden auf gewisse Anschauungen aufmerksam machte, die einer unbefangenen Beurtheilung der physiologischen Natur der Chordotonalorgane im Wege waren, so muss ich nun vor Allem auch erwähnen, dass ich mich seinerzeit bei der Ausarbeitung meines Werkes über die Tympanalapparate selbst von gewissen vorgefassten Meinungen nicht ganz losmachen konnte, und so in Gefahr kam, vom rechten Wege, dem ich dureh meine Experimente ganz nahegekommen war, noch weiter als andere Forscher ab- zuirren. Der für unsere Frage wichtige Sachverhalt ist in Kürze fol- gender. Um eine ganz feste Basis zur physiologischen Deutung der Tympanalorgane zu gewinnen, wollte ich mich vor Allem, was bisher noch niemals geschehen war, durch exacte Versuche über- zeugen, ob denn die tympanoferen Geradflügler in der That gegen Schallreize so empfindlich sind, wie dies allgemein angenommen wurde. Meine zahlreichen, hauptsächlich an der 'Feldgrille ge- machten Versuche liessen nun in der That hierüber keinen Zwei- fel zu; sie bewiesen aber auch, dass die betreffenden Thiere nach Wegnahme der Tympanalorgane noch dieselbe allgemeine Schall- empfindlichkeit besitzen. Anstatt nun aber aus diesen Befunden einfach zu schliessen, dass die Schallempfindung der be- treffenden Thiere nicht, wie man bisher geglaubt hatte, aus- schliesslich an die Tympanalapparate gebunden sei, Tibialorgan unserer Werre erinnert, dass aber neben einer tiefern Ritze noch eine seichtere Hautfalte vorhanden ist, und dass ein ausgedehntes Tympanum vermisst wird. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 91 sondern dass, wie ich mich schon damals (Lit. 15, pag. 110 u. 111) ausdrückte, neben diesen noch andere acustische Vor- richtungen vorhanden sein müssen, fing ich an, den acusti- schen Charakter der Tympanalapparate in Zweifel zu ziehen und die bisherigen Anschauungen über diesen Punct einer, wie ich jetzt offen bekennen muss, nicht durchaus stichhaltigen Kritik zu unter- werfen. Dies mein Vorgehen war um so inconsequenter, als ich selbst manche neue für die acustische Natur der in Rede stehenden Or- gane sprechende Einrichtungen aufdeckte und auch ausdrücklich darauf hinwies, dass ja diese Werkzeuge als Organe einer feinern oder musikalischen Hörfunction neben anderen gewöhnlichen acu- stischen Einrichtungen ganz wohl begreifbar wären. ZumeinerEntschuldigung darfich andererseits aber anführen, dass meine damaligen Bemühungen bei den Orthopteren ausser den tympanalen noch andere ähn- liche Chordotonalorgane aufzufinden völlig resultatlos blieben. Dadurch nämlich sowie durch gewisse eigene und fremde Beobachtungen wurde ich neuerdings zur Ansicht hingedrängt, dass der gewöhnliche Sitz der Schallempfindung der Insecten, wie dies bekanntlich vor Siebold die allgemeine Meinung war, in den Fühlern liege!). 1) Wenn neuerlich A. M. Mayer (Amer. Journal of sciene. and arts. August 1874 und Amer. Natur. VIII, p. 236 ff. 577 ff.) zu Folge des Berichtes von Bertkau gefunden hat, dass die verschieden langen Haare der Fühler der Mosquito- f‘ bei verschiedenen Tönen und namentlich bei solchen, die dem Flugton der Mosquito-Q nahekommen, in zitternde Bewegung gerathen, so darf daraus noch lange nicht geschlossen werden, dass jene Haare resp. die Fühler Höreinrichtungen sind. Das Mitschwingen auf Schallbewegungen auf solches erfolgt ja auch an entsprechend feinen ganz nervenlosen Haaren. Meiner Auffassung nach sind die Fühler im Allgemeinen nur insoweit Hörorgane, als es etwa auch die Beine der Heu- schrecken sind, d. h. insoweit in ihnen chordotonale Bildungen vorkommen. Dass letztere unter Umständen durch andere Einrichtun- gen ersetzt sein können, soll damit nicht geläugnet werden und möchte ich trotz der Ansichten von Hauser (s. u.) die Möglichkeit, dass gewisse antennale Grübchen acustischer Natur sind, nicht ganz in Abrede stellen, 92 Vitus Graber: Nach dieser kurzen historischen Darlegung leuchtet wohl von selbst ein, dass die im morphologischen Theil meiner Arbeit ge- brachten neuen Nachweise über die Verbreitung und die verschie- denen Differeneirungszustände der Stiftorgane auch für die Er- kenntnisse ihrer Funetion von allergrösster Bedeutung sind, ja dass erst sie uns den sichern Schluss erlauben, dass die Chordotonalvorriehtungen nicht nur überhaupt acusti- scher Natur sind, sondern dass sie in der That die eigentlichen Hörorgane der Insecten repräsentiren. Ich will, ehe ich auf die specielle Behandlung der einzelnen Vorkommnisse übergehe, die wichtigsten Folgerungen, die sich aus den betreffenden Untersuchungen ergeben, in Kürze andeuten. Vor Allem haben wir jetzt auch nicht den mindesten Grund mehr, den acustischen Charakter der Tympanalorgane deswegen in Zweifel zu ziehen, weil die betreffenden Thiere auch ohne die- selben auf verschiedene Schallreize reagiren; denn es kommen, wie wir jetzt wissen, thatsächlich neben diesen äusserlich differeneirten Stiftorganen noch andere im innern Bau mit jenen übereinstim- mende Bildungen vor, und letztere erscheinen vollkommen geeignet, wenn erstere ausser Action gesetzt sind, wenigstens gewisse Func- tionen der Schallempfindung weiter zu führen. Dass aber die in Rede stehenden atympanalen Organe auch thatsächlich in funetioneller Hinsicht den tympanalen im Wesent- lichen äquivalent sind, das darf wohl mit apodictischer Sicherheit aus dem Umstande geschlossen werden, dass, wie jetzt wenigstens betreffs der subgenualen Bildungen ausser Zweifel steht, die tym- panalen Zustände ja aus jenen atympanalen hervorgegangen sind und doch, namentlich im Hinblick auf die bei den Wirbelthieren obwaltenden Verhältnisse, sicherlich Niemand annehmen wird, dass die Befähigung der ersteren zur Vermittlung acustischer Reize erst mit dem Auftreten der Trommelfelle entstanden ist. Gibt man aber zu, dass die den tympanalen Orga- nen homologen resp. homotopen atympanalen Bildun- gen acustisch sind, dann muss man dies consequenter- weise auch von allen übrigen atympanalen Vorkomm- nissen annehmen; denn diese unterscheiden sich ja in nichts Wesentlichem von den vorbezeichneten und wenn auch gewisse Vorkommnisse hinsichtlich der Zahl und Gruppirung ihrer Scolo- pophoren von jenen abweichen, so darf nicht vergessen werden, Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 93 dass diese extremen Zustände durch zahlreiche Uebergangsstadien mit einander verknüpft sind. So klar mir dies scheint, will ich die Sache doch noch an einem bestimmten Beispiel erläutern. Die femoralen Pedieuliden-Organe sind unstreitig Vorkomm- nisse, die hinsichtlich der Zahl und Anordnung der Scolopophoren den Subgenualorganen der Orthopteren ausserordentlich nahe kom- men, und wenn wir letztere aus den oben angeführten Gründen als acustische ansehen, dann werden wir ersteren nur deshalb, weil sie nieht in der Tibia, sondern im Femur liegen, doch gewiss nicht eine andere Function zuschreiben, dies um so weniger, da ja die allgemein als Gehörorgane geltenden Abdominalorgane der Acridier betreffs ihrer Lage von den subgenualen Ohren der Or- thopteren weit mehr verschieden sind. Nun giebt es aber bekanntlich in den Beinen noch viele an- dere Vorkommnisse, die z. Th. von den besagten Femoralorganen sehr abweichen, indem manche von ihnen, wie z. B. die tibialen und tarsalen Phryganiden-Vorkommnisse, nur aus ein Paar Scolo- pophoren bestehen. Werden wir ihnen aber deshalb die aeustische Qualität absprechen und ihnen eine andere Funetion zuweisen? Ich denke wir werden uns einer solchen Ungereimtheit eben- sowenig schuldig machen als etwa bei der Deutung der optischen Sinneseinrichtungen, deren Fähigkeit zur Vermittlung von Licht- schwingungen wir niemals nach der Zahl, sondern nach der Art der baeilliferen Endzellen beurtheilen. Was aber von den pedalen und andern membralen Vorkomm- nissen gilt, das gilt selbstverständlich auch von den truncalen Bildungen, die zunächst mit den abdominalen Tympanalorganen der Acridier zu vergleichen sind. Ein für die physiologische Deutung der Chordotonalorgane ungemein wichtiges Ergebniss unserer Untersuchungen ist endlich noch der gleichfalls von mir gelieferte Nachweis, dass sie wo nicht bei allen so doch bei den meisten Insecten verbreitet sind. Daraus ergibt sich nämlich, dass diese Einrichtungen nicht etwa, wie man früher, so lange man dieselben nur auf einige wenige Thiere beschränkt glaubte, hätte annehmen können, zu jenen apar- ten Sinnesorganen gehören, die, wie z. B. die Nervenendigungen in der sog. Seitenlinie der niederen Wirbelthiere, ganz besonderen Lebens- oder Reizzuständen angepasst sind, sondern, dass es 94 Vitus Graber: sich hier um einen integrirenden Bestandtheil der nor- malen Sinnesausrüstung der betreffenden Thiere handelt. Erwägen wir nun weiter, dass die Inseeten mit Einrichtungen zur Vermittlung der verschiedenen bekannten Reizzustände sehr wohl versehen sind, und dass man bisher nur besondere Or- gane zur Perception der Schallschwingungen vermisste, so ist es unter Mitberücksichtigung der übrigen Verhältnisse doch im höch- sten Grade wahrscheinlich, dass die Chordotonalorgane eben diese Lücke auszufüllen bestimmt sind, dass sie also, wie ich mich schon wiederholt ausdrückte, in der That die eigentlichen Hörorgane dieser Thiere vorstellen. A. Ueber die Function der tympanalen Chordotonalorgane. Da diese Einrichtungen gegenwärtig wohl allgemein für acu- stische gehalten werden, so scheint es überflüssig auf dieselbe neuer- dings einzugehen. Es geschieht dies aber aus zwei Gründen. Einmal um die Haltlosigkeit gewisser seinerzeit von mir unter den bekannten Umständen gemachten Einwürfe gegen die herrschende Ansicht nach- zuweisen und dann, um gewisse einschlägige Verhältnisse etwas präeiser zu fassen, wie es bisher geschehen ist; denn es wäre ein grosser Irrthum, wenn man glaubte, dass man den Mechanismus dieser Einrichtungen schon ganz und gar verstände. Leider muss ich mich in letzterer Beziehung aus ökonomischen Gründen knapper fassen, als es im Interesse der Deutlichkeit wohl wünschenswerth ist!). Die Annahme der acustischen Natur der 'Tympanalapparate stützt sich bekanntlich auf Zweierlei. Erstens auf ihre gestaltliche Aehnlichkeit mit den tympanalen Vertebratenohren und dann auf ihren Zusammenhang mit den bekannten tonerzeugenden Einrich- tungen. Um nun zunächst auf die Bauverhältnisse einzugehen, so möchte ich der Detailuntersuchung ein Paar allgemeinere Bemer- kungen voransschicken. 1) Nachstehende Darstellung ist eigentlich nur ein Auszug aus einer eingehenderen Bearbeitung der Physiologie der Tympanalapparate der Orthop- teren, die aber, wie ich wohl einsah, für den Rahmen dieses (ohnehin nicht physiologischen) Journals zu gross gewesen wäre. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 95 Die erste ist die, dass die Form-Analogie zwischen den tym- panalen Orthopteren- und Vertebratenorganen bei weitem nicht so gross ist, wie man vielfach annimmt, und wie insbesondere v. Siebold geglaubt hat. Die wirkliche Uebereinstimmung beschränkt sich hauptsächlich nur auf das über einem Luftraum ausgespannte Trommelfell. Der gelegentlich erhobene Einwand, dass bei zwei sanz verschiedenen Thierklassen und noch dazu an ganz verschie- denen Orten, unmöglich so gleichartige Organe vorkommen können, ist also absolut nicht zutreffend. Dass aber bei den Heuschrecken ähnlich wie bei gewissen Vertebraten ein Stück der Körperhaut behufs ausgiebigerer Uebertragung von Schallwellen zu einem 'Trommel- fell umgewandelt wurde, ist doch wahrhaftig nichts so Wunder- bares; diese Convergens ist im Gegentheil viel geringer als z. B. die wohl Niemand befremdende zwischen den Augen der betreffenden Thiere resp. zwischen den Cornea- und Linsen- bildungen derselben. Andererseits aber, und darauf bezieht sich meine zweite Be- merkung, ist der im Vergleich zum Vertebratenohr viel einfachere Bau der ehordotonalen Tympanalorgane, gleichfalls kein Grund, eine stets nur entfernt zu denkende Analogie der Function anzunehmen; denn vollkommen oder auch nur viel mehr sich glei- chende Gehöreinrichtungen können bei so verschiedener Organisation nicht zu Stande kommen; die Aehnlichkeit geht im Ganzen so weit, als sie überhaupt gehen kann, und als sieden physiologischen Bedürfnissen gemäss ist. beigefügt sei übrigens noch, dass die in Rede stehende Ana- logie vielfach nicht dort besteht, wo man sie gesucht resp. gefun- den zu haben glaubt, und gilt dies namentlich betreffs der Haupt- theile d. i. der Nervenendigungen. Betrachten wir nun kurz die Einzelbestandtheile und zwar, so weit es angeht, gleichzeitig bei den abdominalen und subge- nualen Bildungen. Mechanismus der Schall-Leitung und -Verstärkung. 1. Trommelfelle. Dass Häutchen von der bekannten Beschaf- fenheit der Orthopteren-Tympana durch Schallwellen leicht in Transversalschwingungen gerathen, darf man zwar a priori an- nehmen, zumal wenn man noch bedenkt, dass analoge Chitinmem- branen speciell bei den Inseeten durch ihre Schwingungen Töne. 96 Vitus Graber: erzeugen; zum Ueberfluss habe ich aber während der letzten Jahre wiederholt unmittelbare Experimente hierüber angestellt, indem ich ausgeschnittene Trommelfelle auf kleine Fläschehen spannte, mit Sand bestreute und dann verschieden hohe und starke Töne auf sie einwirken liess. Unter Vergleichung mit ähnlich behandelten Verte- braten-Trommelfellen ergab sich hiebei erstens, dass jene der Heuschrecken zum Mindesten ebenso empfind- lich als die der betreffenden Wirbelthiere sind, und zweitens, dass, wie übrigens schon ein Blick auf nebenstehenden Holzschnitt 1 C lehren muss, die tympanalen Hautstrecken (a d) ihrer Zartheit wegen, viel leichter und viel stärker schwingen, als die nieht tympanalisirten (derben) Integumentabschnitte (aef, dhg). In letzterer Beziehung kann man — namentlich gilt dies von den tibialen (subgenualen) Organen — geradezu sagen, dass die durch die nicht verdünnten Hautpartieen vermittelten Schallimpulse gegenüber den durch die Trommelfelle geleiteten, nahezu ver- schwinden, oder mit andern Worten, dass die Schalleinwir- kung auf die tympanale Gegend beschränkt oder locali- sirt ist. Nachträglich bemerken muss ich, dass sich meine Experimente über die Schwingungsfähigkeit der Orthopteren-Trommelfelle nur auf die Tympana im engeren Sinne, d. i. auf die euticularen Theile erstrecken, und dass in Wirklichkeit diese Schwingungsfähigkeit dadurch etwas verringert wird, dass sich zwischen der tym- panalen Integument-Cuticulaund.deranliegenden Wand der Tracheenblase eine dünne Lage Weichgewebe resp. ein mit Blut erfüllter Spalt der allgemeinen Leibeshöhle einschiebt (vgl. nachstehenden Holzschnitt B und © sammt dessen Erklärung). Ich mache aber diesfalls schon hier darauf aufmerksam, dass das eigentliche Tympanum und die tympanale Wand der Tracheen- blase wegen der verschwindenden Enge des erwähnten hämalen Zwischenraumes so schwingen, als ob sie zusammen nur eine ein- zige einfache Membran darstellten. Ein bisher zu wenig beachtetes Moment der Uebereinstim- mung zwischen dem Orthopteren- und Vertebraten-Trommelfell liegt dann ferner einmal in der die Abstimmung modifieirenden resp. begünstigenden trichterartigen Krümmung (Holzschnitt Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 97 1C, ed!) und dann in der Einschaltung massiverer Theile in das dünne Häutchen (Binnenscheibe der Subgenual-Trommelfelle C, ac; specifische Körperehen der Acridier-Tympana), was einen gewissen Ersatz für die Belastung durch die Vertebraten-Gehör- knöchelchen (A, e) darbieten dürfte. Erklärung zu Holz- schnitt 1. Schematische Dar- stellung der tympana- len Gehörorgane der Vertebraten und Or- thopteren. Ueberall bedeutet der dunkel ausgezogene breite Randstreif das starre Ohrgehäuse resp. die relativ unnachgiebige Integument - Cuticula, ferner die leeren Stel- len Lufträume, die punctirten mit einem tropfbarflüssigen Me- dium (Lymphe - Blut) erfüllten Höhlungen und endlich der kleine Ring mit dem cen- tralen Punct (©) das acustische Nervenend- organ resp. die Gang- lienzellen desselben. Seelymp. Ohr‘ der Vertebraten, wo- bei die Schnecke der Einfachheit wegen unmittelbar mit der Paukenhöhle ver- bunden gedacht und 3 von den übrigen Labyrinth-Theilen ganz abgesehen wird. abe Trommeltfell, cty cavum tympani, tu Tuba Eust., e Kette der Gehörknöchelchen, fo fenes- tra ov., fr fenestra rot., sv scala vest., st scala tymp., Isp lamina spiralis membr. resp. Corti’sches Organ, n Nervenenden, he Helicotrema. B. Abdominales Tympanalorgan der Acridier in einem durch das Archiv f. mikrosk, Anatomie. 1) Vgl. u. A. Lit. 15 Fig. 49 und 54, sowie O0. Schmidt Fig. 15, 17, 18. Ba. 21. ‚ 98 Vitus Graber: tymp. Stigma (ö) und den centralen Trommelfellzapfen (b) gelegten Schnitt. ac Trommelfell, ty—n tympanales Nervenendorgan (Müller’sches Organ mihi), n Nerv, st Stifte, Tr tympanale Tracheenblase. C. Tibiale (subgenuale) Tympanalorgane der Locustiden und Gryllodeen an einem (genau nach der Natur copirten) Querschnitt durch die Tibia. A Aussen-, I Innen, V Vorder-, H Hinterseite des Beines, ad, f& Trommelfelle, be dieke Binnenscheibe derselben, vTr vordere, hTr hintere Tympanaltrachea, ö schematisch eingezeichnete Projection der äussern Communicationsöffnung (Tympanalstigma) derselben, i, k innere plattenartige Wucherungen der Cuticula der Trommelfellumgebung {vel. den Text), tr—n tracheales Nervenendorgan (crista acustica), st‘ Stifte, de Deckmembran, lm eristatragende Wand der vorderen Tympanaltrachea. hne hämales (supratympanales) Nervenendorgan ausgespannt im äusseren (blutführenden oder hämalen) Beinkanal, hn Ganglienzellen, st Stifte, e in- tegumentaler Fixirungspunkt der Nervenenden. Wenn ich seinerzeit (Lit. 15) trotz dieser Verhältnisse, haupt- sächlich auf Grund der an den abdominalen Tympanalorganen der Gryllodeen !) vorkommenden trommelfellartigen Integument- differeneirungen, den Satz aussprach (p. 122), dass solchen nicht nothwendig eine acustische Bedeutung zugeschrieben werden müsse, so steht jetzt, d. i. nach der Constatirung der weiten Verbreitung scolopoferer Nervenenden, die Sache insoferne ganz anders, als es wahrscheinlich ist, dass jene abdominalen Tympanal- organe der Grillen selbst acustische sind. Was die physiologische Bedeutung der von Siebold mit den Öhrmuscheln analogisirten äussern Trommelfell-Duplicaturen an- langt, so betrachte ich selbe in erster Linie als Schutzvorrichtungen für die äusserst zarten und leicht perforirbaren Tympana. Dies namentlich mit Rücksicht darauf, dass u. A. bei Encylecha luni- gera Serv. (Lit. 15, Fig. 11) diese Trommeldeckel entschieden aus dornartigen Stacheln hervorgiengen. Tracheales cavum tympani. Dass zunächst das blasenartige, dem Trommelfell zwar nicht unmittelbar aber doch sehr eng an- liegende Luftbehältniss factisch eine zu letzterem gehörige Ein- richtung ist, steht, wenigstens für das Subgenualorgan, wohl ausser allem Zweifel. Wie der nebenstehende Holzschnitt (2) näher ver- anschaulicht, beobachtet man nämlich die bis hart an die Wand des Beines reichende locale Anschwellung der Bein-Trachea (B, e, e‘) 1) Denkschriften der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1876. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 99 eben nur zwischen den Tympanis, resp. ausschliesslich nur bei jenen Thieren, die solche besitzen, während an den trommelfellosen Tibien der verwandten Heuschrecken (z. B. von Gryllaeris !) oder Rhaphidophora?)) die betreffende Trachea (A, ec‘) keine oder wenig- stens keine so bedeutende Differeneirung zeigt. Erklärung zu Holzschnitt 2. Schematische Dar- stellung des Ver- haltens der Tra- chea und des trache- alen Stigma’s an einem tympanali- sirten und nicht- tympanalisirten Vorderbeine der Locustiden und Gryllodeen. Ueberall bedeutet b Rumpf, a Beine, [3 I f Rumpf (Brust )- b. 22 Be 23 Trachea, c Bein- trachea. Die leeren 7 = RAIN = Stellen sind mit se Luft, die punctirten mit Blut erfüllt. A. nicht-tympana- lisirtes Bein. e Gemeinsames (kleines) Stigma für die Rumpf- (f) und die Beintrachea (ec). B. tympanalisirtes Bein. e‘, e“ getrennte Stigmen (Doppelstigma) für die Rumpf- (f) und die Beintrachea (ec). c' blasenartige Auftreibung der Beintrachea zwischen den tympanalisirten Stellen (Trommelfellen gh) der Bein-Outicula. Was dann die klar zu Tage liegende Bedeutung dieses trachealen Cavums und zwar in erster Linie für die Schwingungen des Trommelfelles anlangt, so habe ich seinerzeit dagegen den 1), Vel.-Lut. 15, Fig..38. 2) Ebenda Fig. 41. 100 Vitus Graber: Einwand erhoben, dass die durch die Respirationsbewegungen bedingten Druckschwankungen der Cavum-Luft eine regelmässige Uebertragung der Schallwellen durch die Tympana verhindern dürften. Das ist aber entschieden eine ganz irrthümliche Meinung; denn wie u. A. der bekannte Valsalva’sche Versuch an unserm Ohre lehrt, verträgt das Trommelfell selbst eine weit stärkere Ueberspannung, und von einem Ueberschreiten der Elastieitäts- grenze durch jene Athembewegungen kann, wie ich mich neuerlich auch durch Experimente am lebenden Thiere überzeugte, absolut nicht die Rede sein. Etwas Wahres liegt aber in jener früheren Bemerkung inso- ferne, als durch die Respirationsbewegungen die Gleichförmigkeit hinsichtlich der Intensität resp. der Amplitude der betreffenden Trommelfellschwingungen alterirt wird. Aehnliche aber wohl weit geringere Störungen müssen übrigens auch wenigstens bei jenen Wirbelthieren vorkommen, die, wie beispielsweise gewisse Amphibien, eine ganz offene Tuba haben, indem hier die Tympanalcavität ein Divertikel der Athımungswege ist!). — Auf gewisse Eigenthümlichkeiten der subgenualen Pauken- köhle komme ich noch später zurück. Tracheale Tuba des Subgenualorgans’). Wenn Siebold die Verbindung der Orthopteren-Paukenhöhle mit einem Stigma ohne Weiteres mit der Vertebratenohr-Tuba verglich, so kann dagegen allerdings eingewendet werden, dass bei den Acridiern diese Com- muniecationsvorrichtung durchaus nichts Besonderes ist, indem man ganz dieselbe Einrichtung auch bei den trommelfelllosen Formen antrifft. Abgesehen davon aber, dass hier der in Rede stehende Ab- schnitt des Tracheensystems ganz wohl die ihm zugeschriebene acustische Neben-Verrichtung besorgen kann, ohne dass sich irgendwelche auf dieselbe bezügliche Adaptirungen daran knüpfen, ist vor Allem zu bedenken, dass bei den Locustiden und Gryllo- deen resp. am Subgenualorgan eine solehe Adaptirung und zwar eine höchst auffallende in der That vorliegt. 1) Hinsichtlich des Einflusses der Respirationsbewegungen auf die Schallleitung im Säugethierohr vgl. Lucae (Tröltsch Archiv I. S. 96, 1865) und Schwarze (ebenda p. 139). 2) Vgl. Lit. 15, Taf. 11. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 101 Während nämlich, wie ich seinerzeit umständlich und nicht ohne grosse Mühe nachgewiesen habe, bei den trommelfelllosen Loeustiden und Gryliodeen die Vorderbeintrachea (Holzschnitt 2, A,e,e‘) — wie bei allen andern Inseeten — gemeinsam mit den demselben Segment angehörigen Rumpftracheen (f) aus einem ge- wöhnliehen, relativ kleinen und, wie am Tympanalstigma der Acridier, mit einem Verschluss versehenen Stigma entspringt, hat sich bei den tympanoferen Formen (Holzschnitt B) durch successive Vergrösserung und Trennung des primären Stigma’s für die tym- panale Beintrachea ein besonderer (schon von Siebold gekannter) trompetenartig erweiterter Zugang (e‘) eröffnet. Hier kann nun offenbar ein Zweifel, dass diese Adaptirung auf das Subgenualorgan Bezug hat, absolut nicht aufkommen, und wenn ich seinerzeit gleichwohl auf die Möglichkeit einer andern Bedeutung hinwies, so geschah dies eben nur, weil mir aus den bekannten Gründen die acustische Natur der Tympanalorgane überhaupt zweifelhaft erschien. Die Frage ist jetzt nur, welches denn eigentlich die wahre Be- stimmung dieser gesonderten Ausmündung der Tympanaltrachea ist. Bedenken wir diesfalls, dass dem Zwecke einer blossen Luft- druck-Ausgleichung und Lufterneuerung der Paukenhöhle wohl auch ein gewöhnliches zeitweilig geschlossenes Stigma genügte — die Vertebraten-Tuba bildet ja auch vielfach keine continuirlich offene Communication — so scheint es mir ganz selbstverständlich, dass die in Rede stehende Einrichtung hier eine andere Bedeutung hat. Worin dieselbe aber besteht, lässt sich, da eine experimentelle Prüfung des Apparates seiner geringen Dimensionen und eomplieirten Verhältnisse wegen, absolut undurehführbar ist, allerdings nicht 1) Hier kann ich nicht umhin, zu bemerken, dass diese Nachweise wie manche andere nicht die Beachtung gefunden haben, die sie mit Rücksicht auf ihre Bedeutung wohl verdienten. Ich mache diesfalls nur darauf auf- merksam, dass u. A. Oskar Krancher in seiner jüngst erschienenen sonst sehr verdienstvollen Arbeit über den Bau der Stigmen bei den Insecten (Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie 1881 p. 505 ff.), trotzdem er auch tym- panofere Gryllodeen untersucht hat, keine Silbe von den doch gewiss höchst interessanten Doppelstigmen erwähnt, sowie auch das von mir (die tympanalen Abdominalorgane) konstatirte Vorkommen eines besonderen Abziehmuskels des Verschlusshebels der Abdominalstigmen von Gryllotalpa (Denk- schriften der kaiserl. Akad. Wien 1876, Taf. I, Fig. 10 a b) völlig unbekannt geblieben ist. 102 Vitus Graber: bestimmt sagen, man darf aber vermuthen, dass es sich um eine Verstärkung der die tympanalen Nervenenden affieirenden Schall- schwingungen resp. um eine Schallzuleitungs-Einrichtung handelt. Zur Begründung dieser meiner Anschauung mögen folgende Andeutungen genügen. Vor Allem ist klar, dass die Schallwellen in die Paukenhöhle nicht nur durch das Tympanum, sondern auch durch besagte stets offen stehende Tuba gelangen, wie denn überhaupt, was zu wenig Beachtung findet, die Tracheen der Insecten natür- liche Sehallleitungs-Röhren oder Schall-Wege darstellen. Ferner ist dann zu beachten, dass, wenn in der Paukenhöhle Schallwellenzüge von entgegengesetzten Richtungen her zusammen- kommen, Interferenz bez. Bildung stehender Schwingungen statt- findet. Warum ich es aber für wahrscheinlich halte, dass gerade hier diese stehenden Schwirgungen stärker sind als die primären, hat vornehmlich darin seinen Grund, dass der Abstand zwischen dem Tympanum und dem Stigma im Vergleich zur Länge der hier in Betracht kommenden Schallwellen so gering ist, dass ich glaube, dass selbst im ungünstigsten Fall (bezüglich der Länge der Wellen und der Stellung des Thieres zur Schallquelle) die Phasendifferenz zwischen den sich begegsnenden (tympanalen und stigmalen) Wellen geringer ist als eine Viertelwellen-Länge !). Wegen der ausserordentlichen Enge der trachealen Schallwege und der vielfachen Reflexionen an den zahlreichen Theilungsstellen und Endigungen der Tracheen dürfte aber diese eventuelle Ver- stärkung jedenfalls keine grosse sein. Von einer Berechnung der Interferenz kann selbstverständlich bei den erwähnten Umständen unmöglich die Rede sein. Mechanismus der Erregung der tympanalen Nervenendapparate. Während wir uns betreffs der Trommelfelle der Orthopteren unter Anwendung geeigneter Hilfsvorrichtungen unmittelbar d. i. 1) Kurz bemerken will ich, dass aus dem genannten Grunde in einem bestimmten Moment stetsnur ein kleiner Theil einer Schallwelle sich innerhalb der Paukenhöhle befindet. Die Wände derselben stehen also entweder unter einem positiven oder negativen Druck oder endlich ein Theil derselben unter positivem, ein zweiter unter negativem, Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 103 durch das Auge überzeugen können, dass sie durch Schallschwin- sungen (von einiger Intensität) factisch erregt d. i. in Mitbewegung oder Convibration versetzt werden, ist dies hinsichtlich der zuge- hörigen Nervenenden im Allgemeinen nicht möglich. Köunen wir aber auch die Bewegung der scolopoferen Nerven- enden, vorläufig wenigstens, nicht direet sichtbar machen, so ergibt sich doch aus ihrer Lage und ihrem ganzen Zusammenhang mit dem Trommelapparat, dass eine solche Bewegung nothwendig stattfinden muss, bez. dass der Trommel-Apparat nichts Anderes ist, als ein Mechanismus zum Tetanisiren der damit verbundenen Nervengebilde. Sehr im Dunkeln befinden wir uns nur noch — dies gilt aber auch bekanntlich von den analogen Vorgängen unseres eigenen Ohres — hinsichtlich der relativen Stärke dieser Schwingungen der Nerven- enden und vor Allem betreffs der Frage, wie sich diese groben oder Massenbewegungen in jene molecularen Veränderungen um- setzen, die die eigentliche Erregung oder Reizung der acustischen Nerven ausmachen. Indem ich noch vorausschicke, dass man sich bisher um den Nachweis, wie und wie stark ungefähr die tympanalen Nerven- enden durch den Trommelapparat in Mitbewegung versetzt werden, fast gar nicht bekümmert hat, will ich nun die betreffenden Me- chanismen in Kürze etwas näher darstellen. Zunächst ist, was noch nie in entsprechender Weise hervor- gehoben wurde, zu beachten, dass sich die in Rede stehenden Nervenendorgane hinsichtlich ihrer Lage zum Trommelapparat, beziehungsweise, was das Wichtigste, hinsichtlich der Medien, in oder zwischen welchen sie sich befinden, sehr verschieden verhalten und dass sie hierin insbesondere, z. Th. wenigstens, von den ana- logen Bildungen des Vertebratenohres sehr wesentlich abweichen. Während nämlich letztere, wie bekannt, alle innerhalb eines tropfbar-flüssigen Mediums (der Labyrinth-Lymphe) liegen, ist dies betreffs der analogen Orthopteren-Organe nur bei einem Vorkomm- niss der Fall; die übrigen dagegen nehmen andere Positionen ein. Im Ganzen haben wir diesfalls dreierlei Nervenendorgane zu unterscheiden, nämlich 1) ein tympanales (i. e. S.), 2) ein tracheales und 3) "ein hämales, Ausdrücke, die ich bei der gleich folgenden Detail-Behandlung erläutern werde. 1. Das tympanale Nervenendorgan i. e. S. Als solches be- 104 Vitus Graber: zeichne ich das Müller’sche Organ der Acridier und zwar dess- halb, weil dasselbe (Holzschnitt 1, B, ty—n), wie ich seinerzeit nachgewiesen, mittelst seiner Endfasern unmittelbar mit dem Tympanum (bei b) verwachsen ist. Dass unter solchen Umständen von einer nähern Analogie zwischen diesen Nervenenden und denen des Vertebratenohres keine Rede sein kann, leuchtet wohl von selbst ein; denn wenn das Müller’sche Organ auch in einem Blutraume liegt und insoferne ein hämales genannt werden könnte, so ist doch, wie schon oben bemerkt, dieser hämale Spalt so eng, dass wir füglich sagen können, das Organ liegt so, als ob es sich im Trommelfell selbst be- fände, also in einer Haut zwischen luftförmigen Medien (nämlich der Aussenluft und der Luft des trachealen Cavums). Was nun den Nachweis der Mitbewegung dieses tympanalen Nervenendorgans durch die Transversalschwingungen des Trommel- felles betrifft, so ist derselbe selbstverständlich sehr leicht zu führen. Wenn sich nämlich das Trommelfell um seine Ruhe- lage hin- und herbewegt, muss der mit ihm verwachsene Nervenendcomplex diese Schwingung nothwendig mit- machen, genau so etwa wie der ganz ähnlich gelagerte Stiel des Hammers in der Vertebraten-Paukenhöhle. Nicht minder klar ist, dass diese passive Hin- und Herbe- wegung der gewissen Nervenendröhren eine Zerrung derselben bedingt, und verhalten sich dieselben diesfalls ähnlich wie eine schwingende Saite, oder richtiger, wie die Hälfte einer solchen, da sie im Allgemeinen nur bis zur Mitte des Trommelfelles reichen. Auf Grund gewisser von mir angestellter Experimente halte ich es ferner für wahrscheinlich, dass, wenn die Nervenendröhren in toto die angegebene Bewegung machen, die darin befindlichen Stifte sammt den Chorden selbständige feinere Vibrationen (inner- halb des Lumens der Röhre) ausführen, und dürfte hiebei der Stift, als ein relativ schwerer Körper, vielleicht eine ähnliche Rolle spielen, wie die Bleikugel an einem schwingenden Pendel'). 1) Dieses Moment der relativ grossen Schwere des Stiftes haben auch bereits Ranke (Lit. 14), sowie Wundt (Grundzüge der physiologischen Psychologie 2. Aufl. 1880, I. Bd. p. 285), und vor Allem Gust. Jäger her- vorgehoben. Letzterer bringt die Stifte geradezu, freilich in nicht ganz correeter Weise (Kosmos I. Bd. die Organanfänge pag. 206) mit den „Hör- steinchen“ in Parallele. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 105 Ich füge noch kurz bei, dass das in Rede stehende Or- gan, das wir auch als integumentales bezeichnen könnten, unter allen tympanalen Nervenendigungen (i. w. 5.) das einzige ist, welches, bei manchen Formen wenigtens, ausser Schall- auch Tastreizen zugänglich ist. Dass es aber nicht für die Perception der letzteren bestimmt sein kann, lehrt schon seine durch die Hinterbeine gedeckte Lage, vor Allem aber der Umstand, dass es in der Regel von besonderen Deckelbildungen umgeben, resp. durch dieselben den Eingriffen fester Berührungskörper vollkommen entzogen ist. 2. Das tracheale Nervenendorgan. Mit diesem Namen belege ich das Siebold’sche Seolopophoren-System der Locustiden (Crista Hensen’s) und zwar desshalb, weil dasselbe (Holzschnitt C, tr—n, st) in seiner gesammten Ausdehnung einer Wand (Im) der Tympanal- Trachea (vTr) aufliegt und zu dieser Tracheenwand eine ähnliche Beziehung hat, wie das früher behandelte Müller’sche Organ zum Tympanum. Für das Weitere bringe ich mit Hilfe des eitirten Schema’s betreffs der Einriehtung der Tympanalgegend Folgendes in Erin- nerung. Das Lumen des Beines zerfällt in drei Kammern oder Kanäle. Nämlich in einen mittleren Hohlraum, zwischen beiden Trommelfellen,. der von dem vorderen (vTr) und hinteren (hTr) Tracheensack eingenommen wird (trachealer Kanal) und in einen äusseren (A) und inneren (I) mit verschiedenem Weichgewebe und Blut erfüllten Kanal (äusserer und innerer Hämalkanal). Wie man ferner sieht, lässt jeder der zwei nebeneinander liegenden Tracheensäcke vier Wandflächen unterscheiden, nämlich 1. eine tympanale (lo, qs), 2. eine Mittelwand (mn, pr), 3. eine äussere hämale (Im, pq) und 4. eine innere hämale (on, rs). Die äussere hämale Wand der Vordertrachea (lamina haemalis externa Tr. ant.) ist die Trägerin des in Rede stehenden Organs. Setzen wir den mittleren lufterfüllten Bein-Hohlraum dem Cavum tympani des Vertebratenohres analog, und ebenso den äus- seren Hämalraum, da er der Träger der tympanalen Nervenenden ist, dem Labyrinth, so entspricht offenbar die äussere hämale Tracheenwand der Membran eines der sog. Fenster des Labyrinths und daraus ergibt sich zugleich, dass das dieser Membran aufliegende tracheale Nervenendorgan ähnlich 106 Vitus Graber: dem tympanalen, eine von den Nervenenden des Vertebratenohres ganz abweichende Position inne hat. Fragen wir nun, um zu unserm eigentlichen Gegenstande zu kommen, ob resp. wie das tracheale Organ bez. die dasselbe tragende Tracheenwand durch die unter dem Einfluss von Schall- wellen entstehenden Schwingungen des Trommelfelles bewegt wird, so kann die Antwort darauf im Allgemeinen nieht schwer sein. So wie nämlich die Membran der fenestra ovalis (Holzschnitt 1 A, fo), und zwar auch ohne die directe feste Verbindung durch das Hebelwerk der Gehörknöchelchen (e), also durch die Osecillation der Cavum-Luft, in Trans- versalsechwingungen versetzt wird, so wird nothwendig auch die erista-tragende nicht minder (wo nicht gar stärker) schwingunsfähige Tracheenwand bez. erstere selbst eine ähnliche Mitbewegung erleiden. Wenn trotz dieser so klar am Tage liegenden Verhältnisse gleichwohl Hensen (Lit. 11) es für wahrscheinlicher hält, dass die membranae tympani direet das „Labyrinthwasser“ (d. i. die Blut- flüssigkeit des äusseren Haemalkanales) in Schwingungen versetzt und glaubt, dass die Tracheenschwingungen „ohne Bedeutung“ sind, so will ich dagegen unter Verweisung auf unser Schema (C) nur kurz bemerken, dass die Schwingungen des relativ kleinen und dieken Tympanumabschnittes (ab), der über die Trachea (ol) hinaufreicht und der für die directe Bewegung des hämalen Mediums überhaupt in Betracht kommen könnte, im Vergleich zu jenen des viel grösseren und dünneren trachealen Theiles (bd), wohl unzwei- felhaft sehr geringe sind ''). Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch beifügen, dass der eristatragenden Tracheenwand resp. dem Hämalmedium_ selbst- verständlich auch durch die ganze Aussenwandung (aef) Schall- schwingungen zugeleitet werden, dass aber auch diese wegen der 1) Mit Rücksicht auf die naheliegende Frage, warum denn, wenn die Crista-Erregung durch die Schwingungen der Trachea bedingt ist, das Trommelfell sich überhaupt auch auf das hämale (die trachealen Oscillationen möglicherweise abschwächende) Medium ausdehnt, möchte ich die Ver- muthung aussprechen, dass die Verstärkung, welche die trachealen Schwingungen durch diesen Flächenzuwachs des Trommelfelles erhalten, beträchtlicher sei, als die eventuelle Abschwächung durch die hämalen Bewegungen. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 107 relativ grossen Starrheit der betreffenden Hauttheile gegen die tympano-trachealen Oscillationen fast verschwinden und eventuell höchstens eine geringe Abschwächung der letzteren verursachen können. Aeusserst schwierig gestaltet sich unter den bestehenden Um- ständen die bisher noch nie erörterte Frage nach der relativen Stärke der trachealen Schwingungen, und beschränke ich mich diesfalls auf die Hervorhebung einiger Hauptmomente. Denken wir uns zunächst, die eristatragende Tracheenmem- bran wäre genau von derselben Grösse, Dieke, Spannung u. Ss. w. wie das Tympanum, so wären gleichwohl die Oseillationen der- selben schwächer wie jene des Trommelfelles, und zwar vorzüglich desshalb, weil die trachealen Luftstösse ausser dem Ge- wicht und der Spannung der Membran selbst auch die Last der über ihr befindlichen Blut-Säule zu überwin- den haben. In dieser Beziehung verhält sich aber die in Rede stehende Tracheenplatte ähnlich wie die Membran des ovalen Fensters und haben wir also, zumal die Tracheenwand sehr nachgiebig und die erwähnte Blutsäule relativ sehr niedrig ist!), keinen Grund zur Annahme, dass die betreffenden Oseillationen zu schwach wären, um die Cristanerven entsprechend zu erregen. Die eristatragende Tracheenwand scheint aber, auf den ersten Blick wenigstens, in anderer Beziehung ungünstiger als die Fen- ster-Membran gestellt zu sein, insofern nämlich, als letztere (vgl. Holzschnitt 1, A fo) die einzige nachgiebige Stelle der ganzen im Uebrigen vollkommen starren Paukenhöhlenwandung ist, während am Orthopteren-Cavum ausser der in Rede stehenden Lamelle (Holzschnitt C, Im) auch die übrigen gleichbeschaffenen Wände den auf sie vom Tympanum her ausgeübten Luftstössen ausweichen können, wodurch, wie man sich leicht an einem mit Luft erfüllten Ballon oder an einem beiderseits mit einer elastischen Membran überspannten Trichter überzeugen kann, der Effeet auf die ein- zelnen Abschnitte der Wand in dem Masse verringert wird, als die Grösse der nachgiebigen Fläche im Vergleich zu jener, welche den Druck ausübt (hier das Tympanum) zunimmt. 1) Leider ist ein wichtiger Factor, nämlich der Blutdruck, hervorge- rufen durch die rythmische Zusammenschnürung des Hinterleibes, noch immer nicht experimentell resp. durch das Manometer nachgewiesen. 108 Vitus Graber: Indessen ist dieser Unterschied, ganz abgesehen davon, dass gelegentlich (z. B. bei Haania lanceolata und Brachytrupes me- gacephalus Lit. 15, Fig. 44 und 45) die inneren hämalen Tracheen- wände durch starre Integumentduplicaturen (Holzschnitt 1, C, i, k) gestütz werden, doch nur ein scheinbarer. Es ist nämlich, um mieh kurz zu fassen, zu beachten, dass, wenigstens bei den amphitympanalen Formen, die Mittel- (mn) und Innen-Wand (on) der Vordertrachea wegen des äquilibrirenden Gegendruckes von Seite des Hinter- Tympanums (fg) sich factisch so wie eine starre Plaite verhält. Warum dann aber nicht auch der Druck auf die erista- tragende äussere hämale Wand der Vordertrachea (lm) durch den (durch das Hämalmedium sich fortpflanzenden) Gegendruck der gleichlagerigen Wand der Hintertrachea (pq) aufgehoben und so jede Erregung der Crista-Nerven unmöglich gemacht wird, hat in der bekannten aber physiologisch bisher noch nie gewürdigten höchst interessanten Einrichtung seinen Grund, dass letztere Membran bei allen von mir untersuchten Formen sehr beträcht- lich kleiner als-die erstere, d. i. als die crista-tragende Tracheenwand ist!). Zuletzt wäre noch die Frage zu berühren, welches wohl die eigentliche Bedeutung der über der Reihe der pallisadenartig auf- gerichteten trachealen Seolopophoren dachförmig ausgebreiteten Deckmembran (Holzschnitt 1, C, de) ist. Diesfalls muss ich mich aber auf die schon seinerzeit ge- machte Bemerkung beschränken, dass die Lage dieser sco- lopoferen Endtheile eine ganz analoge ist wie jene der äusseren Hörzellen im Corti'schen Organ, insoferne nämlich auch letztere, worüber noch später Näheres, zwischen zwei relativ nachgiebigen Häuten, der der Tracheen- wand vergleichbaren Basilaris?) und der mit der Deck- l) Leider muss ich mir's versagen, auf den betreffenden Mechanismus näher einzugehen und bemerke nur noch, um Missdeutungen zu vermeiden, dass das Grössenverhältniss der innern hämalen Tracheenwände ein umge- kehrtes ist, wodurch die Aequilibrirung, resp. die Concentrirung des Vorder- tympanum-Druckes auf die Crista-Membran noch vollständiger wird. 2) Wenn ich hier die cerista-tragende Tracheen-Membran mit der Basi- laris der Schnecke analogisire, so geschieht dies selbstverständlich nur mit Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 109 membran zu parallelisirenden membrana reticularis ausgespannt erscheinen!). d. Das hämale Nervenendergan. Während die tympanalen Nervenenden der Acridier auf einer beiderseits von Luft begränzten Haut liegen und die Crista sich auf einer Membran befindet, die sich zwischen einem luftförmigen und einem tropfbarflüssigen Medium ausspannt, ist das hinsichtlich seiner Lagerung zuerst von mir richtig erkannte supratympanale Organ der Locustiden und Gryllodeen (Holzsehnitt 1 C, hn—e), das einzige von allen tympa- nalen Nervenendorganen der Orthopteren, das, ähnlich den Acu- stieus-Enden der Vertebraten, ganz innerhalb eines tropfbar-flüssigen Mediums, nämlich der Blutflüssigkeit des äussern Hämalkanales, liegt, und dürfte daher auch der demselben beigelegte Namen „hämales Organ‘ ganz entsprechend sein. Bleiben wir bei dem, freilich immer nur theilweise zu- treffenden, Vergleich mit den acustischen Nervenendor- sanen des Vertebratenohres, so entspricht das hämale Organ insoferne dem Corti’schen, als es wie dieses ein innerhalb eines tropfbar-flüssigen Mediums und zwischen starren Wänden ausgespanntes nachgiebiges Diaphragma darstellt, und als dieses Diaphragma ferner nicht kontinuirlich von Wand zu Wand reicht, sondern durch- brochen oder unvollständig ist. Das hämale Organ unterscheidet sich aber vor Allem vom Corti’schen durch die weit grössere Einfachheit des Baues, indem es im Wesentlichen nur ein System klaviersaitenartig nebeneinander liegender und sich abstufender scolopoferer Endröhren darstellt, die, analog den queren (radiären) Fasern der Basilaris, durch ein dünnes (noch nicht genau erforschtes) Zwischengewebe zu einer kontinuirlichen (flügelförmigen) Platte vereinigt sind. Rücksicht auf die andere oder Deeckmembran; die allgemeine Lagerung ent- spricht aber, wie schon bemerkt, jener des ovalen Fensters. Man könnte auch sagen: eine dem Corti’schen Apparat ähnliche Vorrichtung liegt hier auf einer schwingungsfähigen Stelle der Paukenhöhlenwandung auf. 1) Unter den bestehenden Verhältnissen scheint mir zur Erklärung des Zustandekommens der Cristanerven-Erregung Hensen’s ohnehin nicht voll- ständig klare Compressions-Hypothese (Lit. 15 p. 205) ganz überflüssig zu sein. 110 Vitus Graber: Gehen wir nun auf das Physiologische über, so kann zunächst wohl kein Zweifel obwalten, erstens, dass das hämale Organ durch Schallschwingungen, die dem betreffenden Medium zugeleitet wer- den, überhaupt in Mitbewegung versetzt wird und zweitens, dass die ausschlaggebenden Impulse von den Trommelfellen resp. von der Paukenhöhle und der erista-tragenden Tracheenmembran aus- gehen. Ersteres ergibt sich einfach aus der physikalischen Beschaffen- heit des Organs, letzteres aus dem Umstande, dass dasselbe auch bei jenen Thieren (den Gryllodeen), bei welchen gar kein anderes tympanales Nervenendorgan (resp. keine Crista) vorhanden ist, von einem Trommelapparat begleitet wird, der, wenn seine Aufgabe nicht eben in der möglichst intensiven Zuleitung der Schallschwin- sungen an das Hämalorgan bestände, völlig überflüssig erschiene. Vergleichen wir speciell den Vorgang der Mitbewegung des Hämalorgans mit dem des Corti’schen, so ist namentlich Folgendes zu beachten. Für’s Erste ist zu bedenken, dass das durch die Membran des ovalen Fensters (Holzschnitt 1, A, fo) in die Scala vestibuli (sv) hineingepresste Labyrinthwasser ?) ausschliesslich nur (von den halbzirkelförmigen Kanälen und andern in sich ge- schlossenen Divertikeln wird ganz abgesehen) nach einer Seite d. i. gegen die m. basilaris (lsp) und das Helicotrema (he) aus- weichen kann, während die unter dem Druck der trachealen Paukenhöhlenwand stehende Hämalflüssigkeit im betreffenden Bein- kanal sich nach zwei Richtungen, nämlich (bei vertikaler Stellung der Tibia) nach oben gegen das Hämalorgan und nach unten gegen den Tarsus bewegt, wodurch die Kraft des Stosses auf ersteres offenbar geschwächt wird. Zweitens kommt aber u. A. auch noch in Betracht, dass die m. basilaris im Vergleich zur Weite der freien Passage am Heli- cotrema viel grösser ist als das hämale Diaphragma der Orthop- teren und ferner, dass erstere vermöge ihrer Lage den Wasserdruck früher empfängt als das Helicotrema, wäh- rend die hämale Membran und ihr Helicotrema, wenn ich 1) Bezüglich des Näheren vgl. u. A. Lit. 15, Fig. 57, 60, 62 und 64. 2) Der Einfachheit wegen denken wir uns hier sowie in den folgenden Fällen die Erregungsursache in der Form eines einmaligen und zwar posi- tiven Stosses oder Druckes. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 111 die seitlichen Lücken zwischen ihr und der starren Beinwandung resp. der Trachea so nennen darf, von der betreffenden Wasserwelle gleichzeitig erreicht werden. Um uns schliesslich eine wenn auch nur ganz rohe Vor- stellung von der relativen Stärke der Mitbewegung oder Erregung der unterschiedenen drei tympanalen Nervenendorgane der Orthop- teren zu verschaffen, mag folgende einfache Vorrichtung dienen. Sie besteht zunächst aus einem U-förmig gebogenen, an einem Ständer befestigten Glasrohr, dessen beide (gleich hohe) Schenkel mit Wasser vollgefüllt und dann mit einer dünnen elastischen Membran verschlossen werden. Auf den einen Schenkel wird dann ferner ein gläserner Ansatztrichter, mit dem weiteren Ende nach oben, luftdicht angekittet und letzteres gleichfalls mit einer dünnen Haut überspannt. Diese Haut entspricht nun offenbar dem Trommel- fell, der lufterfüllte Trichterraum der Paukenhöhle und die da- runter befindliche Membran, am einen Ende des U-Rohres, der Membran des ovalen Fensters resp. der cerista-tragenden Tracheen- wand, während das Häutchen am andern Schenkel die Membran des runden Fensters resp. die nachgiebige Stelle des starren Beines vorstellt, die ein Ausweichen der in das Gefäss hineingepressten Flüssigkeit ermöglicht. Um nun endlich auch das hämale Organ zu veranschaulichen, schieben wir, aber natürlich vor dem Ver- schluss der U-Röhre, ein passend auf einem ringförmigen Rahmen ausgespanntes, aber von mehrfachen Lücken durchlöchertes und möglichst dünnhäutiges Diaphragma derart in einen Schenkel hinein, dass es beiderseits von Wasser umgeben ist. Drückt man nun, um die Stärke der Mitbewegung des trache- alen und hämalen Organs experimentell zu prüfen, die äussere, das Trommelfell repräsentirende Trichtermembran (sagen wir um !/s cm) nach innen, so zeigt sich Folgendes. Die dem trachealen Organ entsprechende Membran zunächst wird durch die Expansivkraft der zusammengedrückten Trommelhöhlenluft ganz merklich, jedoch viel schwächer als das Trommelfell in die Flüssigkeit des betref- fenden Schenkels hineingepresst. Was dagegen das durch das durchbrochene Diaphragma ver- sinnlichte Hämalorgan anlangt, so ist eine Bewegung desselben ohne weitere Hilfsmittel kaum sichtbar, und es bedarf eines noch stärkeren Stosses, um deutliche, dem unbewaffneten Auge erkenn- bare Schwingungen hervorzurufen. 112 Vitus Graber: Indem ich die Ursache dieser Erscheinung als bekannt voraus- setze, will ich mit Bezug auf Späteres nur bemerken, dass, wie man sich leicht auch durch den Versuch überzeugen kann, die Mitbewegung einer solchen in einem tropfbarflüssigen Medium ausgespannten Membran unter sonst gleichen Um- ständen (der Spannung, des spec. Gewichtes u. s. w.) um so ge- ringer wird, je schmäler sie ist, resp. je grösser die Lücken in derselben sind. Das Hauptergebniss der vorstehenden Erörterungen möchte ich folgendermassen aussprechen. Es kann keinem Zweifel unterliegen, dass durch einigermassen intensive Schall- schwingungen sämmtliche tympanale Nervenendorgane und zwar eben vermittelst der Trommelfelle resp. des Trommelapparates in Mitbewegung versetzt werden; die Stärke oder Amplitude dieser Mitschwingung ist aber bei den einzelnen Vorkommnissen der betreffenden Organe sehr verschieden: sie ist am grössten am tym- panalen (Acridier)-Organ, geringer am trachealen (Crista) und noch geringer am hämalen (supratympanalen) Organ. Specifische Eigenschaften der tympanalen Nervenendorgane. Nachdem im Vorhergehenden gezeigt worden, dass die tympa- nalen Nervenenden der Orthopteren vermöge ihrer Lage und ihrer Beziehung zu gewissen leicht schwingungsfähigen, elastischen Mem- branen unter dem Einfluss einigermassen starker Schalle nothwendig in Mitbewegung gerathen müssen und überhaupt nicht anders denn als acustische Organe gedeutet werden können, will ich nun noch in aller Kürze und in Ergänzung einiger hierüber bereits früher gemachten Mittheilungen darlegen, dass auch diese Nervenenden resp. Nervenendsysteme selbst Eigenschaften an sich tragen, die in ganz unzweideutiger Weise für ihren acustischen Character sprechen. Da schon von vorne herein gegen die herrschende Anschauung von der acustischen Natur der tympanalen Nervenenden der Um- stand geltend gemacht werden könnte, dass die analogen Bildungen anderer Thiere wie insbesondere jene der Vertebraten, der Mol- luscen, Vermes und der Üoelenteraten sich fast ausnahmslos als flimmertragende Zellen erweisen, während solche eiliofere Bildungen hier völlig vermisst werden, so muss ich diesfalls vor Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 113 Allem an die Thatsache erinnern, dass im Bereich des Insecten- und des Arthropoden-Organismus überhaupt nirgends solche „Haar- zellen‘ vorkommen, indem die Ausbildung derartiger freier Zell- resp. Protoplasma-Fortsätze offenbar dem ganzen Wesen der chitin- häutigen Gliederfüssler widerstreitet. Wenn aber hier, falls ich mich so ausdrücken darf, zur Herstellung von Hörorganen nicht die üblichen Elemente, d. h. die Haarzellen, zur Disposition stehen, so darf doch offenbar daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass nun bei diesen flimmer- zellenlosen Thieren überhaupt kein eigentliches Gehörorgan resp. keine eigentliche Schallempfindung möglich sei, denn die Natur ist ja, um mich wieder einer teleologischen Wendung zu bedienen, reich an Mitteln, um gewisse für die Existenz der Thiere wichtige Functionen zu ermöglichen und es wird voraussichtlich auch für die acustischen Haarzellen entsprechende Ersatzeinrichtungen geben. Geht dann aber die Frage noch weiter, wesshalb denn bei den Insecten für die in Rede stehenden Organe nicht wenigstens, wie dies bei den Crustaceen der Fall ist, die Haarbildungen der integumentalen Cuticularschichte in Verwendung kommen, so kann ich darauf ebenfalls nur erwidern, dass hier eben für die acustischen Bedürfnisse ein anderes System sich Gel- tung verschaffte, und füge ich nur noch bei, dass ja, wenn auch mehr vereinzelt, neben den tympanalen und typisch-chordo- tonalen Systefnen von Hörapparaten, auch eystidale resp. eiliophere Systeme auftreten !). Welches sind denn aber, um zum eigentlichen Thema zu kommen, die besonderen Eigenthümlichkeiten der tympanalen Ner- venenden, die als Beweise für die acustische Natur derselben geltend gemacht werden können? Es sind vornehmlich zwei, näm- lich erstens der saitenartige Habitus der einzelnen Endtheile resp. der Chorden und zweitens die so auffallende und regelmässige Grössenabstufung der Scolopophoren, wie sie namentlich an der Crista zu Tage tritt. — Was nun zunächst die Bedeutung des chor- dotonalen Charakters der tympanalen Nervenenden betrifft, so will 1) Vgl. diesfalls Grobben (Lit. 16), ferner meine Arbeit über die otocystenartigen Sinnesorgane der Tabanuslarve (dies. Arch. Bd. 16, p. 45 ff.) und Haller, Vorläufige Bemerkungen über das Gehörorgan der Ixodiden (Zool. Anzeiger 1881, Nr. 79, p. 165). Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 8 114 Vitus Graber: ich mich hierüber, da ich später ohnedem wieder darauf zurück- kommen muss, nur ganz kurz fassen. Nach der jetzt allgemein geltenden Theorie von Helmholtz wird bekanntlich das Zustandekommen einer Tonempfindung spe- eiell in der Schnecke dadurch erklärt, dass man annimmt, die einzelnen saitenartig gespannten Fasern der m. basilaris hätten ihren besondern Eigenton und wenn Schallwellen, die in annähernd gleichen Perioden schwingen, auf sie stossen, werden sie in Mit- bewegung versetzt, wobei aber, wie man ferner weiss, die weitere Frage nach der Art der Uebertragung dieser Schwingungen auf die zugehörigen Acusticus-Enden noch ziemlich dunkel ist. Wenn nun, wie wir oben gesehen haben, die ähnlich gespannten Saiten-Örgane der Orthopteren-Tympanal- apparate selbst Nervenenden sind, so ist doch einleuch- tend, dass die Helmholtz’sche Theorie der Acusticus- Erregung auf diese Bildungen noch weit besser passt als auf die analogen cochlearen Theile. Ferner muss ich hier an die wichtige Thatsache erinnern, dass, wenn auch die stiftartigen Enden der Chorden an den Ge- hörorganen anderer Thiere nicht vorkommen und also wo nicht gerade auf die Insecten allein so doch auf die Tracheaten be- schränkte Bildungen sind, dies doch nicht hinsichtlich der Chorden selbst gilt, indem dieselben, wie Hensen gezeigt, auch die wesent- liebsten Theile der an Haaren auslaufenden Hörnervenendigungen der Crustaceen darstellen, und vergleiche man diesfalls, um sich von der völligen Uebereinstimmung der genannten Vorkommnisse zu überzeugen, inHensens Arbeit!) u. A. die Figuren auf Taf. 22, namentlich Fig. 34 und 42. Dienen nun, woran wohl kaum zu zwei- feln, die vielfach mit otholithenartigen Körpern verbundenen chor- daführenden Krebshaare wirklich der Schallempfindung, dann darf dies auf Grund der genannten Uebereinstimmung bezüglich der chordalen Nervenenden wohl auch von den tympanalen Bildungen behauptet werden. Von allergrösster Wichtigkeit für die Annahme der acusti- schen Natur der tympanalen Nervenenden erscheint mir aber der claviaturartige Charakter derselben namentlich am Crista-Organ. Bekanntlich setzt nach Helmholtz die Empfindung verschieden 1) Hensen |. e., Studien über das Gehörorgan der Decapoden. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 115 hoher Töne sowohl als namentlich die von unserm Ohr bewerk- stelligte Analyse der Klänge mit ihren vielfachen Obertönen eine Vielheit von verschieden abgestimmten mitschwingenden Nerven- enden resp. von verschieden langen saitenartigen Hilfsorganen voraus und finden sich diese Bedingungen im reichsten Masse im Corti’schen Organ erfüllt. So sehr nun auch die Crista bezüglich der feineren Zusammensetzung vom Cortisschen Organe abweicht, so lässt sich doch, wie ich mit Ranke schon seinerzeit hervor- hob, nieht läugnen, dass das Hauptprineip, oder das allge- meine Schema, nämlich die reihenweise, gewissermassen die Tonskala verkörpernde Anordnung in ihren Dimen- sionen stufenweise ab- resp. zunehmender mitschwingen- der Nervenenden bei beiden Einrichtungen genau das- selbe ist. Während aber die von Helmholtz mit den verschieden langen Saiten eines Klaviers verglichenen Querfasern der m. basi- laris die von ihnen ausgeführten Schwingungen nicht selbst em- pfinden können, repräsentirt die Orthopteren-Crista ein einem Klavier entsprechendes Saiten-System, dessen Elemente die Acusticusenden nicht, wie die Basilaris- Fasern, auf sich, sondern in sich tragen. Indem ich das nähere Detail der Crista-Organisation auf Grund meiner früheren Arbeiten als bekannt voraussetze, will ich nur noch beifügen, dass eine ähnliche seriale Grössenabstufung sen- sibler Nervenenden, wie sie hier und an andern Hörorganen vor- kommt, an den übrigen Sinnesnervenendigungen noch nir- sends beobachtet ist, und dass eine solche, soweit wir ge- senwärtig den äussern Mechanismus der verschiedenen perceptiven Mittelapparate begreifen, eben nur für ein acustisches Organ Bedeutung haben kann. Wie man weiss zeigen u. A. auch die Nervenenden der bei- den Flügel des Hämalorgans eine gewisse Abstufung in ihrer Längendimension, doch behalten die Stifte im Gegensatz zur Crista überall dieselbe Grösse. Meines Erachtens sind auch diese Ein- richtungen zur Klang- Analyse geeignet, während ihnen Ranke, der freilich (zunächst bei den Acridiern) den chordalen Charakter der Scolopophoren nieht erkannte, eine solche Fähigkeit absprach 116 Vitus Graber: und die Vielheit dieser Elemente nur auf die Verstärkung der Empfindung bezog. Beziehung zwischen den tympanalen und den tonerregenden Organen der Orthopteren. Abgesehen von der Beschaffenheit der tympanalen Sinnes- einrichtungen, die, wie im Früheren gezeigt wurde, in entschie- denster Weise für den angenommenen acustischen Charakter der- selben spricht, kommt bekanntlich noch eine anderes Argument, nämlich der Umstand in Betracht, dass diese Einrichtungen im Allgemeinen ausschliesslich nur bei jenen Formen auftreten, die zugleich mit speeifischen Tonwerkzeugen ausgerüstet sind. Was nun die Bedeutung dieses Correlationsverhältnisses be- trifft, so glaube ich hierüber nicht viele Worte machen zu müssen: es lässt sich daraus eben absolut kein anderer vernünftiger Schluss ziehen als der, dass die tympanalen Sinnesorgane zur Perception der von den tonerregenden Vorrichtungen ausgehenden Schallreize dienen, und wenn ich seinerzeit geltend gemacht habe, dass sie auch bei einigen anscheinend ganz stummen Heuschrecken vor- kommen, so wiegt dieser Einwurf doch offenbar nicht mehr als die allfällige gewiss nicht ernst zu nehmende Behauptung, dass die Hörorgane der Fische und mancher anderer höherer stummer Wirbelthiere nicht zur Schallempfindung geeignet wären. Hier sei unter Verweisung auf das Kapitel „Gehör der In- seeten“ nur noch daran erinnert, dass die Tonwahrnehmung resp. die Tonunterscheidung der Orthopteren eine solche ist, dass der- artige zur Klang-Analyse geeignete Einrichtungen, wie wir sie u. A. in der Crista vorfinden, als ein nothwendiges Postulat er- scheinen. Physiologische Folgerungen aus der morphologischen Ueber- einstimmung der tympanalen und der übrigen chordotonalen Nervenendorgane. Die vorstehende neue Begründung der Annahme der acusti- schen Natur der Tympanalorgane war mir hier bekanntlich nicht Selbstzweck, sondern sie soll mir nur als Hauptstütze dienen für die weitergehende Annahme, dass sämmtliche Chordotonalorgane im Wesentlichen dieselbe Function wie die tympanalen besitzen. Ehe ich nun auf die specielle Erörterung des physiologischen Werthes der nicht-tympanalen Vorkommnisse übergehe, will ich Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 117 zunächst darlegen, was sich denn aus dem gelieferten Beweise, dass die Tympanalorgane acustische sind, in Bezug auf die in Rede stehenden Bildungen eigentlich folgern lässt. Zunächst ist klar, dass die Tympanalorgane nicht desshalb Sehallempfindung vermitteln, weil die betreffenden Nervenenden mit tympanalen Hilfseinrichtungen verbunden sind — denn letztere können ja hauptsächlich nur die Intensität der zugeleiteten Schall- schwingungen beeinflussen — sondern lediglich desshalb, weil eben diese Nervenenden selbst, vermöge ihrer spec. Energie, zur Um- wandlung der objectiven in subjecetive Schallreize geeignet sind. Worin nun, d. i. in welchen physikalischen Eigenschaften dieser Nervenenden diese ihre besondere physiologische Eigen- schaft begründet ist, darüber wissen wir freilich wenig; mit Rück- sicht aber auf die bei andern Sinnesorganen bestehenden Verhält- nisse, darf wenigstens das eine als sicher angenommen werden, dass hiebei die bekannten specifisch gearteten Nerven-Terminal- gebilde, nämlich die Chorda mit dem stiftförmigen Körperchen (neben gewissen feineren oder molecularen Structurverhältnissen) eine wesentliche Rolle spielen. Erwägen wir nun, dass, wie im beschreibenden Theile aus- führlich gezeigt wurde, die Nerven der nicht-tympanalen Chordo- tonalorgane insgesammt ganz genau die nämlichen specifischen Endigungen, d. i. Chorda und Stift, wie die tympanalen besitzen, so ist, wenn man anders consequent sein will, kein anderer rich- tiger Schluss denkbar, als dass auch diese Organe acustische sind. Das Verhältniss ist hier offenbar ein ganz analoges wie hin- sichtlich der chordenführenden „Hörhaare“ der Krebse. Sowie man nämlich diese Haare zunächst deshalb als acu- stische ansprach, weil sie in ihrer gelegentlichen Verbindung mit otocysten- resp. otolithenartigen Bildungen kaum eine andere Func- tion haben können, so wurden auch die scolopoferen Nervenenden der Orthopteren zunächst desshalb mit der Schallperception in Be- ziehung gebracht, weil dieselben gleichfalls in ihrer Verbindung mit: ausgesprochen tympanalen Hilfsorganen zu dieser Function bestimmt erscheinen. | Sowie dann ferner Hensen die extraeystidalen oder „freien“ Hörhaare !} desshalb als solche bezeichnete, weil sie den eystidalen 1) Vgl. 1. c. p. 45 (des Separatabdruckes). 118 Vitus Graber: gleichen, ebenso betrachte ich selbst die nicht-tympanalen Stift- organe als acustische, weil sie, in Bezug auf die Nervenenden, vollständig mit den tympanalen übereinstimmen. Sollte aber etwa gegen unsere Argumentation eingewendet werden, dass die Nervenenden gewisser Sinnesorgane, z. B. die haartragenden Hörzellen der Vertebraten und mancher Wirbelloser, äusserlich wenig Speeifisches an sich haben und für sich allein betrachtet oft schwer oder gar nicht von den sensibeln Terminal- elementen anders qualifieirter Perceptionseinrichtungen unterschieden werden können, so muss ich noch ausdrücklich betonen, erstens dass das Vorkommen der scolopoferen Nervenenden erfahrungs- gemäss ein viel beschränkteres als jenes der Haar- und Flimmer- zellen ist und zweitens, dass eben auch der äusserliche Character der chordalen Stiftzellen oder Scolopophoren ein weit prägnanterer als jener der ceiliopheren Elemente ist). Aus der völligen Congruenz zwischen den scolopoferen Nerven- enden der tympanalen und jenen der nicht-tympanalen Chordotonal- organe muss aber nicht nur gefolgert werden, dass letztere über- haupt der Schallperception dienen; meines Erachtens ergibt sich daraus auch, dass die Schallempfindung der nicht-tympanalen Ein- richtungen im Wesentlichen auch dieselbe Qualität wie bei den tympanalen hat. { Der Grund, auf den ich mich bei dieser Annahme stütze, ist derselbe, wie hinsichtlich der einschlägigen Auffassungen bei andern Sinnesorganen und insbesondere beim Auge. Bekanntlich wird den in der Regel mit eigenthümlichen baeil- lären Körperehen verbundenen retinalen Nervenenden der ver- schiedenen Thiere nicht nur die Fähigkeit zugeschrieben, überhaupt Licht zu pereipiren, sondern es wird auch angenommen, dass die Qualität dieser Perception, wenigstens bei allen höher differeneirten Augen, im Allgemeinen die gleiche sei. Erwägt man nun, dass die retinalen Elemente, denen eine solche Gleichheit der Perception zugesprochen wird, selbst bei ganz nahe stehenden Thieren, z. B. bei den Säugern und Vögeln, einander bei Weitem nicht so ähnlich sind wie die Scolopophoren 1) Gegen eine eventuelle functionelle Vergleichung der Stifte mit den schon im morphologischen Theil erwähnten kapselartigen Terminalbildungen der Wirbelthiere spricht u. A. vor Allem der Umstand, dass letztere niemals in Verbindung mit Trommelfellen und Hautporen vorkommen. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 119 resp. Stifte der tympanalen und nieht-tympanalen Organe, die ge- radezu als identisch bezeichnet werden können, so muss man doch zugeben, dass es, falls die Qualität der Sinnesempfindungen über- ‘haupt von der Beschaffenheit der betreffenden Nervenenden mit- abhängig ist, die grösste Inconsequenz wäre, wenn man annähme, dass die Tympanalapparate der Orthopteren ein wesentlich anderes Schall-Empfinden als die gewöhnlichen Chordotonalorgane ver- mitteln. Auf keinen Fall aber kann, wenn wir nicht den specifischen Nervenenden überhaupt jede Bedeutung für die Bestimmung einer Empfindungsqualität absprechen wollen, davon die Rede sein, dass die scolopoferen Chorden in einem Organ Schall-, im andern aber, wie bekanntlich behaupt wurde, Tast-Empfindungen vermitteln. B. Ueber die Function der poriferen Cherdotonalorgane. Die Frage, die ich mir bezüglich der poriferen Bildungen hier stelle, ist die, ob dieselben, abgesehen von den als acustisch erkannten scolopoferen Nervenenden, ähnlich den tympanalen Or- ganen, auch noch andere für den genannten physiologischen Cha- racter sprechende Verhältnisse darbieten. Fassen wir zunächst die Beschaffenheit der bekannten (poriferen) Differeneirung der die Nervenenden tragenden Haut in’s Auge, so scheinen auf den ersten Blick die in Rede stehenden Zustände, wenn wir sie mit den tympanalen vergleichen, eher gegen als für eine physiologische Uebereinstimmung zu sprechen. Bei näherer Betrachtung der Sachlage scheint mir aber der Unterschied durchaus kein fundamentaler zu sein, sondern ich glaube im Gegentheil, dass beiderlei Bildungen im Wesentlichen nach demselben mechanischen Prineip eingerichtet sind. Mögen wir uns nämlich die gewissen markirten Hautstellen als wirkliche Perforationen oder als blosse locale Verdünnungen der Cutieula vorstellen, auf alle Fälle werden die Schallschwingun- gen durch diese Hautabschnitte leichter zu den unmittelbar darunter liegenden Scolopophoren gelangen, als durch die nichtperforirten resp. nicht verdünnten Integumentbezirke !). 1) Hier bemerke ich, dass Lubbock (l. e. pag. 152) gewisse eigen- thümliche „korkzieherartige* Cuticularbildungen der Ameisen-Antennen als „microscopic stethoscopes“ bezeichnet. Nach meinen hierüber gepflogenen Untersuchungen scheint mir die 120 Vitus Graber: Vergleichen wir nun von diesem Gesichtspunct aus eine scolo- pofere Porenplatte eines Flügels oder einer Haltere mit dem Tym- panum eines Acridiers (an dem bekanntlich die Nervenenden ähn- lich wie an ersterer gelagert sind), so ist das Verhältniss zwischen diesen beiden Integumentdiffereneirungen offenbar ein ganz analoges wie das zwischen einer continuirlichen und einer facettirten Augen-Hornhaut, und unter Be- rüeksiehtigung der Anordnungsweise der Nervenenden in den betreffenden Sinnesapparaten können wir auch sagen, dass sich überhaupt das gesammte porifere Chordotonal- Organ zum tympanalen im Wesentlichen ebenso verhält, wie das unicorneale oder stemmale Auge zum multi- cornealen oder facettirten. Sollte aber gegen diese allerdings ganz neue Auffassung ein- gewendet werden, dass solchemultitympanale Schallleitungs- Einrichtungen im Mechanismus der diversen Hörorgane ein Unieum wären, so kann ich darauf einfach erwidern, dass ja die multieornealen Augen der Arthropoden im Vergleich zu den Seh- organen anderer Thiere und namentlich der Vertebraten, gleichfalls eine nicht minder sonderbare und vereinzelte Erscheinung sind. Ausser diesem alle poriferen Bildungen betreffenden Ver- hältniss kommt dann noch die schon im beschreibenden Theile erwähnte merkwürdige Aehnlichkeit zwischen den scapalen Halteren- Platten tind der membrana reticularis der Vertebraten-Schnecke in Betracht. Dass die Uebereinstimmung zwischen diesen Bildungen, abge- sehen von ihrem beidemal eutieularen Character, wirklich sehr weit geht, wurde bereits im morphologischen Theil dieser Arbeit nach- gewiesen, und vergleiche man u. A. die Fig. 42 Taf. XXXIII mit ihren alternirenden Ring- und Phalangenmaschen. Auf Grund dieser merkwürdigen Convergenz auch eine physio- logische Parallele zu ziehen, scheint nun freilich auf den ersten Blick sehr bedenklich; erwägen wir aber, dass dieses netzartige Rahmenwerk in beiden Fällen der unmittelbare Träger der acu- stischen Nervenendzellen ist und dann, dass die eine wahre Analogie repräsentirende Convergenz zwischen dem Vertebraten- und Orthop- Zulässigkeit dieser Auffassung und noch mehr jene, dass man es hier mit Gehörorganen zu thun habe. sehr fraglich. Nervenstifte konnte ich bisher im Zusammenhang mit diesen Theilen nicht auffinden. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 121 teren-Tympanum mit Rücksicht auf die betreffenden Gewebe sowohl als hinsichtlich der äusserst differenten Lage, sicher eine nicht minder merkwürdige ist, so darf der Gedanke an eine funetionelle Uebereinstimmung doch wohl nicht gänzlich von der Hand ge- wiesen werden. Ueber den speciellen acustischen Werth der Halteren-Reticu- laris können wir freilich nicht einmal eine Vermuthung äussern, da man bekanntlich auch betreffs der Vertebraten-Reticularis so viel wie Nichts weiss. Im Weitern möchte ich dann noch hervorheben, dass viel- leicht auch die seriale und namentlich die monoseriale Anordnung der pteralen Poren resp. Scolopophoren eine gewisse acustische Bedeutung hat, da wir ja an der Crista, worauf gleichfalls schon früher aufmerksam gemacht wurde, ganz ähnliche Reihenbildungen vorfinden. Man könnte unter gewissen Voraussetzungen daran denken, diese Längsporenreihen mit den Oeffnungen einer Pfeife resp. mit Abstufungen in der Empfindung verschiedener Tonhöhen in Beziehung zu bringen; doch ist eine solche Vermuthung offenbar ganz nebelhaft. Was die näher liegende Frage betrifft, von welcher Seite die Nervenenden hier durch Schalle erregt werden, so kommt ausser den Poren resp. den verdünnten Hautstellen über den Scolopophoren wahrscheinlich gleichfalls die allerdings nicht besonders differen- eirte Trachea in Betracht, da ja (vgl. Fig. 52 des morphol. Theiles) das ganze Nervenendsystem derselben aufliegt, letzteres sonach in gewissem Sinne, wie die Crista, ein tracheales ist. Wegen der relativen Enge der Trachea erscheinen mir aber deren Mitschwin- gungen weit weniger wichtig wie am Tympanalapparat. Bekanntlich erscheint die Differeneirung der tympanalen Zu- stände beziehungsweise die Vervollkommnung und Vergrösserung eines Abschnittes des gesammten Chordotonalsystems der Orthop- teren an die Ausbildung besonderer für den Verkehr der betref- fenden Thiere wichtiger Tonwerkzeuge geknüpft und es ergibt sich daher naturgemäss die bisher aber trotzdem noch nie ge- stellte Frage, ob denn nicht vielleicht auch die poriferen Differen- eirungen als Anpassungen an besondere schallerregende Einrichtun- gen der betreffenden Inseeten aufzufassen seien. Eine solche Beziehung lässt sich nun auch in der That an- 122 Vitus Graber: geben, doch ist dieselbe, wie ich schon im Vorhinein bemerken muss, nicht im Entferntesten so sicher gestellt, wie jene bei den Orthopteren. Wie man weiss, bringen die Körpertheile, auf welchen die poriferen Bildungen liegen, theils, wie die Flügel, selbst Töne resp. Geräusche hervor, theils stehen sie, wie die Halteren, mit speecifi- schen Tonwerkzeugen, den Metathorax-Brummstigmen, in unmittel- barer Verbindung. Da es selbstverständlich, um die angenommene Wechselbe- ziehung zwischen diesen Tonerregern und den poriferen Organen zu begründen, vor Allem darauf ankommt, zu beweisen, dass die betreffenden Inseeten die tongebenden Schwingungen der Flügel- und Brummstigmen-Blättehen überhaupt wahrnehmen, so habe ich nicht versäumt, diesbezügliche Versuche anzustellen, indem ich, zumeist mittelst der Violine, die bezeichneten Töne einigermaassen nachzuahmen suchte und dann deren Wirkung auf die betreffenden Inseceten beobachtete. Das Resultat sprach entschieden zu Gunsten meiner Auf- fassung, und überzeugte ich mich speciell bei unseren Stubenfliegen auf das Vollständigste, erstens, dass sie überhaupt auf verschiedene (reine) Schalle reagiren und zweitens, dass sie (wie dies bekanntlich auch A. M. Mayer von den Mosquitos berichtet) besonders heftig durch die ihrem Gebrumm nahekommenden Töne resp. Klänge erregt werden. Gegen die aufgestellte Hypothese können aber trotzdem manche Einwendungen gemacht werden, z. B. dass die Flügel vieler Insecten nicht nur nieht tönen, sondern sich (wie z. B. bei vielen Wasserthieren) auch in der Regel gar nicht bewegen. Zu beachten ist auch, dass bei den Orthopteren die Gehör- und Stimmapparate nicht so nah zusammenfallen, indem z. B. bei den Locustiden und Grillen dem truncal gelegenen Tonwerkzeug ein membrales Perceptionsorgan entspricht. Schliesslich sei noch erwähnt, dass ich einige Zeit mit Riick- sicht namentlich auf die hinsichtlich der Halterenfunction geltenden Anschauungen!) mich der Vermuthung hingab, dass die poriferen !) Vgl. diesbezüglich u. A. die Arbeit von Jousset de Bellesme: Sur une fonction de direction dans le vol des Insects im Auszug im Guide du Naturaliste. (Revue d. science. nat. par A. Bouvier Paris 1880, Nr. 1, p. 12.) Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 123 Organe vielleicht mit der Gleichgewichts-Erhaltung resp. mit der Regulirung der Körper- und zumal der Extremitäten-Be- wegung in Beziehung stehen. Eine solche Auffassung schien mir aber bei reiflicher Erwägung aller maassgebenden Faectoren und insbesondere im Hinblick auf die Tympanalorgane und die bei anderen Thieren erkannten Verhältnisse höchst unwahrscheinlich. C. Ueber die Function der primitiven Chordotonalorgane. Fragen wir nach der Function der primitiven Chordotonal- organe zunächst mit Rücksicht auf die tympanalen Einrichtungen, so lässt sich nach dem Obigen wohl kaum in Abrede stellen, dass sie im Wesentlichen mit jener der letzteren übereinstimmt, somit also eine acustische ist. Ich erinnere diesfalls nur kurz an Folgendes. Erstens besitzen die primitiven Chordotonalorgane genau die- selben Nervenendigungen wie die tympanalen, und da diese von ganz specifischer Beschaffenheit sind, so muss daraus nothwendig auch eine Uebereinstimmung der Funetion gefolgert werden. Zweitens sind gewisse primitive Chordotonalorgane, wie z. B. die Subgenualbildungen der Acridier, der Blattiden u. s. w. voll- ständig mit gewissen gleichnamigen Tympanalbildungen homolog bez. als Vorläufer der letzteren anzusehen, und ist ferner hinsicht- lich der übrigen primitiven Vorkommnisse, für welche eine solche Homologie mit tympanalen Bildungen noch nicht nachgewiesen ist eventuell gar nicht besteht, zu beachten, dass zwischen diesen und den anderen kein wesentlicher morpholo- gischer und daher auch kein physiologischer Unter- schied gemacht werden kann!). Die Negirung dieser Anschauung resp. die z. B. von Claus vertretene Gegenannahme, dass die Chordotonalorgane bald acu- stische, bald tactile Reize vermitteln, würde zu der absolut unhalt- baren Folgerung führen, dass die Chordotonalorgane erst durch l) Man darf wohl hinsichtlich der physiologischen. Be- ziehung zwischen den einander homologen tympanalen und atympanalen Chordotonalorganen behaupten, dass die Tym- panalisirung der letzteren gar nicht erfolgt wäre, wenn sie nicht schon vor derselben, also im primitiven Zustand, der Schallperception gedient hätten. 124 Vitus Graber: die Tympanalisirung der nächstliegenden Hautstrecken die acu- stische Qualification erhalten und dass ferner gleiche Nervenenden eine ganz verschiedene Reactionsfähigkeit besitzen können. So wichtig nun auch unstreitig die Tympanalapparate für die genauere Bestimmung der Function der übrigen Chordotonal- organe sind, so steht die Sache doch keineswegs so, dass dieselbe nur mit Hilfe der genannten höher differeneirten Zustände eruirt werden kann, sondern die primitiven Bildungen bieten uns, trotz ihrer Einfachheit, meines Erachtens doch hinlängliche Anhalts- puncte dar, dass wir sie, auch ganz für sich allein genommen, gerade als Schallempfindungseinrichtungen zu deuten gezwungen sind. Wir können uns in dieser Beziehung auch so ausdrücken: Wären, was ja leicht der Fall sein könnte, die Tympanalorgane, einschliesslich natürlich ihrer innern Theile, noch gar nicht ent- deckt, sondern hätten wir nur Kenntniss von den primitiven Bil- dungen, so würde es voraussichtlich allerdings noch länger als unter den gegenwärtigen Verhältnissen angestanden haben, um den acustischen Character der letzteren zu allgemeiner Anerkennung zu bringen, man würde sich aber doch, mit Rücksicht auf die physikalischen Eigenschaften derselben und im Hinblick auf den Gesammtstatus der inseetischen Orientirungseinrichtungen für die Dauer nieht haben der Erkenntniss verschliessen können, dass sie thatsächlich die Bedeutung besitzen, welche wir ihnen beilegen. Ich gehe nun ohne Weiteres an die Begründung meiner An- schauungen. Die hohe Convibrationsfähigkeit des cuticularen Insecten- Integumentes. Naturgemäss ist vor Allem zu untersuchen, ob sich denn die primitiven Chordotonalorgane unter solchen Verhältnissen befinden, dass ihnen die Schallschwingungen des äusseren Mediums in ent- sprechender Weise zugeleitet werden. Für die Schall-Leitung oder besser Schall-Aufnahme kommen bekanntlich bei den Inseeten ausser der allgemeinen Körperdecke oder der integumentalen Grenzmembran auch noch die als Tracheen bekannten dünnwandigen röhrenförmigen Einstülpungen der letz- teren in Betracht. Beachten wir aber hinsichtlich der Tracheen u. A. erstens, dass sie vielfach, z. B. bei Corethra, gar keine Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 125 äusseren Oeffnungen haben, zweitens, dass häufig weder in unmittelbarer Nähe der Chordotonalorgane noch überhaupt ähnliche blasenartige Erweiterungen wie bei den Tympanalorganen vor- kommen und endlich, dass die durch Schalle erzeugten Sehwingungen der Membran der meisten (haarfeinen) Inseeten-Tracheen im Vergleich zu den integumentalen Oseillationen jedenfalls verschwindend geringe sind, so können wir im Folgenden den Einfluss der Tracheen auf die Sehallleitung füglich vernachlässigen und uns vorstellen, als ob letztere ausschliesslich nur durch die äussere Körperhaut vermittelt würde. Was nun die besondere Schallleitungsfähigkeit des Insecten- Integuments anbelangt, so ist bekannt und habe ich neuerdings durch das Experiment mich überzeugt!), dass dieselbe im Allge- meinen eine sehr grosse ist, indem die betreffenden Membranen — wobei ich zunächst die ehitinisirte Cutieula vor Augen habe — wegen ihrer hochgradigen Elastieität und Steifheit ausserordentlich leicht dureh Schallwellen in Transversalschwin- sungen versetzt werden. Um die Sache durch einen Vergleich zu erläutern, verhält sich der Panzer eines Inseets und überhaupt eines chitinhäutigen Gliederthieres, wenn wir uns denselben ganz hohl resp. mit Luft erfüllt denken, etwa ähnlich wie der hölzerne Resonanzkasten einer Violine, wobei die relativ dieken Randleisten des letzteren mit den vielfachen localen Erhärtungen resp. Verdickungen der Insecten- hülle parallelisirt werden können. Zu beachten ist aber, dass das chitinerne Inseetenintegument im Allgemeinen weit dünner ist als der Resonanzboden des genannten Instrumentes und sich daher auch gegen dasselbe treffende Schallstösse viel empfindlicher erweist. 1) Die betreffenden Versuche wurden in ähnlicher Weise wie hinsicht- lich der Trommelfelle angestellt, indem ich Stücke der Körperdecke (meist vom Abdomen) herausschnitt, über kleine Fläschehen (oder auch auf dem Microscoptisch bequem zu handhabende Ringe) spannte, mit Sand bestreute und dann Violintöne auf dieselben einwirken liess. Die Schwingungsfähigkeit konnte auch noch konstatirt werden, nachdem ich die Innenseite der betreffenden Hautstücke, um dem natürlichen Verhalten derselben am lebenden Körper näher zu kommen, stark benetzt oder mit einer Flüssigkeitsschicht in Verbindung gesetzt hatte. 126 Vitus Graber: Die beste Illustration der hohen Schwingungs- fähigkeit des Inseetenintegumentes gibt übrigens die allbekannte Thatsache, dass gewisse Abschnitte desselben leicht zum Tönen gebracht werden können und wie man ferner weiss, factisch auch von den betreffenden Thieren vielfach als Tonwerkzeuge benutzt werden, wobei etwa. nicht allein nur gewisse Anhänge, wie die Flügel, sondern auch Theile der mit Blut erfüllten eigentlichen Körperhülle in Verwendung kommen. Besonders hervorheben muss ich dann ferner, dass die Schwingungsfähigkeit des Inseeten-Integumentes, wie man sich gleichfalls leicht durch den Versuch überzeugen kann, weit grösser ist, als bei den meisten anderen Thieren, die bekanntlich im All- gemeinen eine relative schlaffe und zugleich auch wie die Mollus- ken, viele Würmer ete. eine sehr weiche Haut besitzen. In dieser Beziehung scheint es mir nicht zu viel gesagt, wenn ich behaupte, dass sich das Integument der Insecten (resp. Arthropoden) hinsiehtlieh seines Convibrations-Ver- mögens zu der Haut anderer Thiere ähnlich verhält, wie die tympanale Integumentstrecke der Wirbelthiere zu den übrigen minder schwingungsfähigen Körperhaut- bezirken dieser Thiere. Selbstverständlich sind auch am Inseeten-Integument die tympanalen Abschnitte weit schwingungsfähiger als die übrigen; im Vergleich mit anderen Thieren aber kann man füglich, wie ich schon bei einer früheren Gelegenheit bemerkte, ohne Uebertreibung sagen, dass die gesammte Körperdecke der Inseeten von tympanaler Beschaffenheit ist oder ein einziges Tym- panum darstellt und ist diesfalls u. A. noch daran zu erinnern, dass diese elastische Membran vielfach und namentlich am Ab- domen und bei kleineren Formen resp. bei Larven (vgl. Corethra) in der That auch mit Rücksicht auf ihre Zartheit oder geringe Dieke sich nieht von einem Orthopteren-Trommelfell unterscheidet. Wenn ich eben sagte, dass die Körperdecke der Inseeten ein einziges Tympanum vorstelle, so muss ich nun zur Riehtig- stellung dieser Auffassung darauf hinweisen, dass diese mitschwin- gende Membrana keine eontinuirliche ist, sondern dass dieselbe — und zwar sowohl am Stamm als an den Gliedmassen — durch die schlaffen Gelenksfalten (vgl. nebenstehenden Holzschnitt) in mehrere unabhängig von einander oseillirende Abschnitte getheilt wird. Die chordotonalen Sinnesorgane der Inseceten 127 Speeiell der Hautschlauch des Stammes und insbesondere des Abdomens verhält sich in dieser Beziehung ähnlich wie ein System kurzer dünn- wandiger Röhren aus einem sehr elastischen Material z. B. Metall, Horn ete., die durch sehlaffe Zwischenbänder zu einem Ganzen vereinigt werden. Wie im descriptiven Theile gezeigt worden, entspricht be- kanntlich die Anordnung der Chordotonalorgane i. A. genau der angegebenen Segmentirung der mitschwingenden Körpergrenz- platte. Beachtenswerth scheint mir für unsere Frage ferner, dass — am deutlichsten am Abdomen — die einzelnen selbständig schwingenden Eau a C Ganglienkette, n Chordotonal-Nerv, San Metallophon, in der & Chord.-Ganglion, gb Chordotonal- Regel stufenweise Grössen- Nervenendstrang, li (ag) Chord.- differenzen aufweissen. Ligament. Wegen dieses Verhaltens ist nämlich anzunehmen, dass die Reaetion der einzelnen Segmente auf äussere Schallschwin- gungen eine verschiedene ist, insoferne die grösseren Segmente leiehter durch tiefe, die kleineren dagegen leichter durch hohe Töne in Mitschwingung versetzt werden. An mässig aufgeblasenen grössern Larven (Raupen), bei denen die intersegmentalen Verbindungsbänder durch Befeuchten schlaff gemacht wurden, habe ich mich übrigens auch direet von der Richtigkeit dieser Anschauung überzeugt. Erklärung zu Holzschnitt 3. Schema der segmentalen Chordotonal- organe (i. e. $S.) im Stammkörper eines Insects (Corethra). 128 Vitus Graber: Mechanismus der Erregung der typischen Chordotonalorgane und Vergleichung mit den Corti’schen Haarzellen. Verhält sieh das Insecten-Integument wirklich so, wie ich es eben dargestellt habe, d. h. wie eine künstlich gespannte Mem- bran von grosser Elastieität und Zartheit, die unter dem Einfluss von Schalloseillationen transversale Schwingungen von beträcht- licher Stärke ausführt, dann ist leicht einzusehen, dass durch die genannten Bewegungen in der That auch die Chordotonalorgane selbst erregt werden. Erklärung zu Holz- schnitt 4. Schema zur Ver- J [74 und der äusseren \ a d \ 2 g Euer OR, Haarzellen der Säu- i si \ 1 gethierschnecke. A. Chordotonalge- bilde. afg äussere Haut, ac Stift- Zelle, st Stift, ba Endfaser, ce Ganglienzelle, de Chord.-Nerv, ce Chord.- Ligament mit dem verbreiterten Ende oder Fuss. ze ? |) Fe gleichung der Bau- 2 > IT IR _ und Lagerungsver- e- RB IN ‚ hältnisse der chor- d_—_— e w : dotonalen Gebilde AN A ’ B. Aeussere Haarzelle eines Säugers (schematisch nach Waldeyer), af mem- brana reticularis, ge m. basilaris, ca äussere Haarzelle (= Corti’sche oder Stäbchenzelle Hensen’s), b Kern, x specifischer kapselartiger In- haltskörper, de zur Zelle herantretende Nervenfaser (nach Waldeyer), ce Basilarfortsatz der äussern Haarzelle mit breitem Fuss e (= Deiters’- sche Haarzelle). Zur näheren Erläuterung dieses Vorganges diene beistehender Holzschnitt (A), in welchem afeg die Körperhaut und ace ein typisches Chordotonalorgan mit der scolopoferen Endfaser ba und dem Ligament ce vorstellt. Denken wir uns nun, was im Allgemeinen auch der Fall ist, auf die Haut (eines Abdominalsegmentes wollen wir sagen) von allen Seiten (in der Richtung der Pfeile) Schallstösse einwirken, so erfährt das scolopofere Saitenorgan, ähnlich wie das tympanale Hämalorgan (s. o.) offenbar eine doppelte Bewegung. Es werden nämlich erstens, indem die Körperhaut hin- und Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 129 herschwingt, die beiden End- oder Ansatzpuncte a und e der stift- führenden Saite verschoben. Diese direete Bewegung des Chordotonalorgans können wir uns leicht dadureh veranschaulichen, dass wir einen elastischen Reif, in dem sich, in der Lage einer Sehne oder eines Durch- messers, eine mässig gespannte Saite befindet, etwas zusammen- drücken. An einer solehen Vorrichtung sieht man dann auch, dass durch die genannte Bewegung des Reifes die Saite in ähnliche transversale Schwingungen geräth, als ob sie in der Mitte gezupft worden wäre und kann dieselbe auch leicht zum Tönen gebracht werden. Da sich nun das Chordotonalorgan in der That unter ganz ähnlichen Verhältnissen wie eine solche zwischen zwei Punc- ten eines elastischen Reifes ausgespannte Saite befindet, so ist wohl nicht daran zu zweifeln, dass es unter dem Einfluss der durch Schalloseillationen erzeugten Transversalschwingungen der elastischen Körperwände auch in analoge Vibrationen wie jene geräth. Die zweite Erregung resp. Bewegung, die das Chordotonal- organ erfährt, ist dann eine indireete, nämlich durch die Druck- schwankungen des sie umgebenden tropfbar-flüssigen (hämalen) Mediums, das seinerseits durch die Transversalschwingungen der umgrenzenden Wandung eine Folge von Stössen erhält. Mit Rücksicht darauf aber, dass die Flächenentwicklung der primitiven Chordotonalorgane in der Regel eine sehr geringe ist, — meist stellen sie ja nur dünne Fäden oder Fadenstränge dar — und derartige saitenartig gespannte Körper, wie schon bei einer frühern Gelegenheit erwähnt wurde, durch die hämalen Druck- schwankungen nur wenig affiecirt werden, glaube ich mit Weis- mann (l. ec.) annehmen zu dürfen, dass hier im Allgemeinen und im Gegensatz zum tympanalen Hämalorgan die direete Erregung von der Haut aus die prävalirende resp. die ausschlaggebende ist. Denkt man sich in obigem Holzschnitt (A) das centrale Ende des Chordotonalnervs (d) am Bauchmark fixirt, so ergibt sich — worauf ich noch besonders aufmerksam mache — dass, wenn das Saitenorgan hin- und herschwingt, auch der zu ihm führende Nerv eine Zerrung erfährt. Nachdem ich gezeigt, dass die Chordotonalorgane vermöge ihrer Befestigungsweise an der elastischen Körperwand durch eini- Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. I 130 Vitus Graber: germaassen starke Schallschwingungen nothwendig affieirt d. i. mit- bewegt werden müssen, will ich noch besonders ein Paar Eigen- thümlichkeiten derselben hervorheben, aus denen ich schliessen zu können glaube, dass sie dieselben in der That gerade für acu- stische Erregungen geeignet machen. Dahin gehört vor Allem das ganz specifische Verhalten der sog. typischen oder T-Chordotonalorgane, das (vgl. Holzschnitt A) in der Ausbildung eines besonderen in die Verlängerung des chor- dalen Theiles fallenden Ligamentes (ce) besteht. Dadurch erhält nämlich, wie schon im beschreibenden Ab- schnitt erörtert worden, der den Stift führende Endstrang den Charakter einer selbstständigen wahren an zwei Puncten fixirten Saite und ich brauehe nach den früheren Auseinandersetzungen über die Theorie des Mitschwingens wohl nicht weiter darzulegen, dass eine solche Spann-Vorrichtung gerade für ein acustisches Endorgan passend erscheint, während sie für andere Perceptions- apparate ziemlich überflüssig erschiene. Es ist mir aber hier vor Allem darum zu thun, auf die in der That überraschende aber bisher ganz übersehene Analogie aufmerksam zu machen, welche in dieser Beziehung zwischen den chordalen Nervenenden der Insecten und den sog. äusseren Haarzelilen des Corti’schen Organs der Säuge- thiere besteht. So grundverschieden auch die übrigen Verhältnisse sein mögen, so wird man unter Zuhilfenahme der beiden einschlägigen Sche- mata A und B in obigem Holzsehnitte nicht leugnen können, dass das Prineip der Situirung resp. Spannung der betreffenden Ner- venenden im Wesentlichen genau dasselbe ist. Die äusseren Haarzellen sind bekanntlich, physikalisch ge- nommen, ziemlich langgestreckte Bänder oder Stränge, die in schiefer Richtung zwischen zwei elastischen Membranen, der m. reticularis (B, af) und der m. basilaris (ge) ausgespannt erscheinen. Denken wir uns, was im Grunde ja auch der Fall ist, dass die genannten zwei Membranen seitlich in einander übergehen, so ist die Uebereinstimmung des physikalischen Verhaltens im Vergleich zu jenem der Chordotonalorgane wohl nicht zu verkennen und wird man auf alle Fälle zugeben, dass, wenn die die Enden des Saitenorgans tragenden Platten resp. Platten-Theile in transver- sale Schwingungen kommen, dass dann, sage ich, beiderlei Ner- Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 131 venendgebilde in ganz analoger Weise in vibrirende Mitbewegung versetzt werden. Die Analogie wird aber ganz besonders dadurch eine sprechende, dass der basilare Abschnitt der äus- sern (Zwillings-)Haarzelle (B, ce), vollkommen einschliess- lich der häufig verbreiterten Fussplatte, den Charakter des chordotonalen Ligamentes (A, ce) zeigt, und dass ferner auch die Nervenendfasern (B,A,cd) in ganz glei- cher und höchst charakteristischer Weise seitlich unter mehr oder weniger rechtem Winkel an die strangförmi- sen Endzellen herantreten!). Ein bemerkenswerther Unterschied zwischen den in Rede stehenden chordotonalen Nervenendorganen der Inseeten und Säuge- thiere besteht u. A. nur darin, dass dieselben bei den ersteren bekanntlich sehr viel länger sind, indem sie nicht selten (Chiro- 1) Bei vorstehender Analogisirung stütze ich mich auf die Darstellung der Corti’schen Zellen, wie sie Waldeyer, grösstentheils in Uebereinstim- mung mit Gottstein, in Stricker’s Handbuch der Lehre von den Geweben des Menschen und der Thiere 1872, II. Bd. p. 942 ff. gibt und insbesondere auf dessen Abbildung Fig. 531 (u. p) und auf den Passus im Text (p. 941), wo es heisst: „Besonders hervorzuheben ist noch die sorgfältige Befestigung der äussern Haarzellen, die mittelst ihrer beiden Fortsätze und ihres Kopf- stückes unverrückbar zwischen der lam. reticularis und der Basal- membran gleichsam wie ausgespannt erhalten werden“. In der neuesten Bearbeitung der Physiologie des Gehörs von Hensen im Handbuch der Pbysiologie von Hermann (1880, III. Bd. 2. Theil) sind die berührten anatomischen Verhältnisse z. Th. allerdings etwas anders dar- gestellt, und wird insbesondere auf die (doch sicher vorhandene) Spannung der Corti’schen Stäbchenzellen gar keine Rücksicht genommen. Bemerkt sei noch, dass Hensen die Erregung der acustischen Nervenenden resp. der Corti’schen (und ev. der Deiters’schen) Zellen hauptsächlich nur durch Anstossen der Härchen gegen die mem. tectoria (oder umgekehrt) vor sich gehen lässt, und auf die doch so nahe liegende Frage, ob denn eine Erregung der genannten Terminalgebilde (von der mitschwingenden Basalmembran aus) nicht auch (im Sinne unserer Auffassung) durch Spannungsänderungen der Corti’schen Zellen erfolgen könne, gar nicht eingeht. Zur Begründung der von mir gezogenen Parallele zwischen den Corti’- schen Zellen und den Inseeten-Scolopophoren könnte übrigens noch angeführt werden, dass auch erstere einen eigenthümlichen kapselartigen Binnen- körper einschliessen. 132 Vitus Graber: nomus, Tanypus, Corethra ete.) die ganze Länge eines Hinterleibs- segmentes einnehmen. Diese an keinem andern Sinnesorgan beobachtete höchst auf- fallende Streckung der chordotonalen Theile, spricht meines Er- achtens aber gleichfalls, und zwar in unzweideutigster Weise, für die acustische Natur derselben, indem durch eine solche Prolongation einerseits die Schwingungsweite vergrössert und andererseits, durch die Bildung von ungleich langen Unterabtheilungen, eine Accomo- dirung an verschieden hohe Töne ermöglicht wird. Nach der bisherigen Darlegung lässt sich nun wohl nicht länger in Abrede stellen, dass sich die Chordotonalorgane in der That unter Verhältnissen befinden, resp. dass sie Merkmale an sich tragen, die in hohem Grade für ihre Auffassung als acustische Einrichtungen sprechen. Ausschluss der Vermittlung nicht-acustischer Reize. (Versuche über die Empfindlichkeit der Insecten gegen Wärme- und Druck-Einwirkungen.) Es erübrigt nun zunächst noch zu zeigen, dass die Chordo- tonalorgane auch factisch ausschliesslich nur für die Perception von Schalleindrücken und nicht etwa auch von gewissen anderen Reizen bestimmt sind. Prüfen wir zu diesem Behufe die eventuelle Eignung der Chordotonalorgane zur Vermittlung der verschiedenen den In- sectenkörper treffenden Einwirkungen, so darf zunächst wohl ohne Weiteres behauptet werden, dass die chemischen, ferner die Licht- und Wärmereize!) für sie absolut nicht in Betracht kommen; denn 1) Ich trenne hier absichtlich schon von vornherein die Wärmereize von den übrigen Haut- d. i. den Druck-Reizen ab, weil sich für die Annahme einer Beziehung derselben zu den Chordotonalorganen absolut kein Anhalts- punct finden lässt. Im Uebrigen gilt für die thermischen Erregungen dasselbe, was später von den Druckreizen zu sagen ist. Wie ich mich durch in jüngster Zeit an- gestellte Versuche, namentlich bei Blatta germanica, belehrt habe, ist der Wärmesinn namentlich an den Fühlern (und an den Analborsten) sehr ent- wickelt. Erstere sind gegen gewisse Temperatur-Extreme sogar empfindlicher als die in dieser Beziehung am feinsten fühlenden Theile unseres eigenen Körpers, wie z. B. die Lippen und Finger- spitzen. Nähert man z. B. dem Fühler einer geblendeten Blatta eine glühende Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 133 theils sind die bekanntlich unter die Cuticula versenkten chor- dalen Nervenenden den genannten Einwirkungen gänzlich ent- zogen, theils bestehen für diese Perceptionen anderweitige und viel geeignetere Einrichtungen. Es bleiben somit, wenn wir uns innerhalb des Kreises der gewöhnlichen äussern Erregungsursachen halten, ausser den acu- stischen nur noch die Druckreize übrig. Obwohl sich nun in Bezug auf diese schon aus den bishe- rigen Mittheilungen ergibt, dass auch sie nicht das eigentliche Objeet der Pereeption der Chordotonalorgane sein können, will ich doch, namentlich mit Rücksicht auf gewisse einer nähern Dis- cussion bedürftige Fragepuncte meine Anschauung hierüber kurz auseinandersetzen. Zu diesem Zwecke ist es angezeigt, auch hier hinsichtlich der äussern Druckreize zweierlei Zustände zu unterscheiden, nämlich erstens die tactilen Reize d. h. die durch unmittelbare Be- rührung (mit einem meist festen Fremdkörper) entstehenden Druckschwankungen, die, was das Bezeichnendste für sie ist, gleichzeitig nur relativ wenige Puncte der sensibeln Körperoberfläche treffen, und dann zweitens die Reize, welche durch Drucksehwankungen resp. Bewegungen des gasför- migen oder tropfbar-flüssigen Aufenthaltsmediums verursacht werden, und die, analog den Schallsehwingungen, gleich- zeitig auf eine grössere event. auf die gesammte Ober- fläche des irritabeln Körpers einwirken. Nadel oder die Spitzeeines sehr abgekühlten Körpers, so bringen die betreffenden Reize schon in einer Entfernung, wo wir an den genannten Theilen noch gar keine merkliche Empfindung verspüren, unzweideutige Reactionen hervor, darin bestehend, dass das Thier regelmässig den affıcirten Fühler zurückzieht. Bei der functionellen Deutung der bekannten specifischen Nervenend- körper der Fühler hat man somit auch darauf zu achten, dass diese Gliedmassen nicht nur Tast- und Riechorgane, sondern auch thermische Apparate sind. Bei dieser Gelegenheit will ich noch unter Verweisung auf frühere Mittheilungen erwähnen, dass bei manchen Insecten die Mundpalpen gegen riechende Substanzen entschieden empfindlicher als die Fühler sind. Ueber- haupt ist die Frage nach den Geruchsorganen der Insecten durch die bekannte schöne Arbeit von Hauser (Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie 1880) noch lange nicht ausgetragen. 134 Vitus Graber: Fragen wir nun zunächst, ob die Chordotonalorgane zur Wirksammaechung der gewöhnlichen tactilen Reize geeignet erschei- nen, so muss das entschieden verneint werden. Für die Perception dieser Reize findet man bekanntlich bei den verschiedenen Thieren und auch bei den Insecten zweierlei Einriehtungen, nämlich erstens das allgemeine Tastorgan d. i. die Haut mit ihren zahlreichen Nervenenden, die sozusagen von jedem Punet der Körperoberfläche eine gesonderte Empfindung vermitteln, und dann zweitens die sog. localisirten oder speeifischen Tastorgane. Nun ist vor Allem hinsichtlich der Chordotonal-Organe doch klar, dass diese nicht das allgemeine Tastorgan ersetzen resp. Vor- stellen können, denn ihre Zahl ist ja eine sehr beschränkte und das durch sie allein vermittelte Hautgefühl würde also ein äusserst lückenhatftes sein. Nicht minder klar ist aber auch, dass die Chordotonalbil- dungen keine localisirten Tastorgane sind; denn die diesen Namen führenden Einrichtungen erweisen sich stets — man denke an die Haare, Papillen, Fühler ete. — als über das Niveau der Haut her- vorragende und dieselbe vor Berührung schützende Einrichtungen, während die Chordotonalorgane ganz unter der Haut lie- sen, ja zum Theil, wie die Crista, mit der die äusseren Tastreize empfangenden Grenzschicht in gar keinem näheren Zusammenhang stehen. Fragen wir nun weiter, ob die Chordotonalorgane vielleicht für die Pereception von Druckschwankungen des Aufenthaltsme- diums in Betracht kommen, so müssen wir uns vor Allem klar machen, welchen mechanischen Effeet diese Eindrücke am affı- eirten Körper zunächst hervorrufen. Nehmen wir zu diesem Be- hufe einen bestimmten Fall an, z. B. dass auf ein Insect, welches sich am Grunde eines Wasserbassins befindet, ein einseitiger Druck (auf die Rückenfläche) ausgeübt wird, indem wir etwa ein Stäbehen, das am untern Ende eine Scheibe trägt, mit einer ge- wissen Geschwindigkeit dem Thiere nähern, so kann die mecha- nische Wirkung dieses (Wasser-)Druckes eine dreifache sein'). Zu- 1) Da die Empfindlichkeit der Inseeten gegen die in Rede stehenden Druckschwankungen bisher noch wenig experimentell erforscht ist, so habe ich in letzter Zeit hierüber ziemlich umfassende Versuche angestellt, über die ich hier aber nur in Kürze berichten will. Meine Experimente bezogen sich sowohl auf Druckschwankungen in der Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 135 nächst können dadurch die einzelnen nebeneinander liegenden Massen-Theilchen der Hautfläche, auf die der Druck applieirt wird, jedes für sich in der Richtung des Stosses verschoben werden, wodurch eine Compression der darunter liegenden Hautnervenenden entsteht. Luft, als auch im Wasser und ferner sowohl auf locale Einwirkungen resp. Verschiebungen der genannten Medien als auch auf solche, die gleichmässig die ganze Körperoberfläche treffen. Zur Hervorrufung localer (Luft- oder Wasser-)Stösse bediente ich mich der schon bei einer frühern Gelegenheit erwähnten mit einem Stiel versehenen Scheibehen (von verschiedenen Dimen- sionen), die ich mit wechselnder Geschwindigkeit gegen das Versuchsthier bewegte, während die andern Druckschwankungen vermittelst einer gewöhn- lichen Hahn-Luftpumpe erzeugt wurden, die ich mit einem das Versuchsthier enthaltenden (bald mit Luft, bald mit Wasser gefüllten) Glasgefäss verband. Die Hauptergebnisse sind folgende: l. Gegen locale Druckschwankungen der Luft sind manche Insecten weit empfindlicher, als man wohl glauben mag. Eine der Augen und Fühler beraubte Blatta germanica z. B. zeigte unverkennbare Schreck- Reactionen, wenn ich ein thalergrosses Scheibchen mit mässiger Geschwindig- keit gegen sie bewegte. Fraglich bleibt es natürlich, in wie weit hiebei auch die Temperatur-Schwankungen in Betracht kommen. 2. Gegen locale Druckschwankungen des Wassers verhalten sich die verschiedenen Insecten, wie schon oben berichtet wurde, äusserst ungleich. 3. Gegen plötzliche Aenderungen in der Dichte resp. in der Spannkraft der Luft (zwischen zwei Atmosphären und einer halben) sind die Insecten ganz ausserordentlich empfindlich, doch kommt hiebei offenbar auch sehr die Alterirung des Allgemeingefühls durch die Respiration in Betracht. 4. Was endlich den Einfluss wechselnder Belastung oder Compression des Wassers (durch Verdichtung oder Verdünnung der darüber befindlichen Luft) betrifft, so lassen sich wenigstens bei gewissen Insecten, z. B. bei Corixen, unzweifelhafte Beactionen nachweisen, die aber zum Theil gleichfalls durch die respiratorischen Vorgänge bedingt werden, indem, wie man namentlich schön bei Corixen sieht, die Lufthülle derselben bei wachsendem Druck sich verkleinert, bei nachlassendem dagegen sich ver- grössert. Bei dieser Gelegenheit sei noch bemerkt, dass von den Epheme- ridenlarven, wenn man die Luft über ihrem Medium verdünnt, regelmässig Luftbläschen aufsteigen, was mir mit Palmen’s An- sicht, dass dieselben ein ganz geschlossenes Tracheensytem be- sitzen, völlig unvereinbar erscheint. 136 Vıtus Graber: Zweitens kann das betreffende Hautfeld, wenn es, wie dies bei den Insecten in der Regel der Fall ist, schon von vorne herein eine gewisse Spannung besitzt, als Ganzes gegen das nachgiebige weiche Innere des Körpers bewegt werden, in ähnlicher Weise wie ein belasteter Abschnitt einer mit Wasser erfüllten Kautschuk- blase oder wie unsere eigene Bauchdecke, wenn wir im Bade das Wasser gegen dieselbe bewegen. Drittens endlich kann durch eine solche einseitige Bewegung oder Strömung des Wassers das Thier selbst von der Stelle be- wegt werden, wobei, sowie überhaupt, wenn der Druck eine ge- wisse Höhe erreicht, die der Gleichgewichtserhaltung des Körpers dienenden Muskeln angespannt resp. die damit verbundenen Ner- ven affieirt werden. Untersuchen wir nun, für welche der genannten drei durch äussern Druck bewirkten Zustandsveränderungen des Körpers die Chordotonalorgane als Perceptionseinriehtungen allenfalls in Be- tracht kommen könnten, so bedarf es zunächst wohl keiner wei- teren Erörterung, dass hierbei weder von einer Vermittlung der Empfindungen der einfachen Haut-Compression noch des sog. Muskel- oder Bewegungs-Gefühles die Rede sein kann; denn erstere setzt unbedingt eine Mosaik von Hautnervenendigungen voraus und letztere kann doch, — von andern Gründen sei hier ganz abge- sehen — unmöglich an Organe gebunden sein, die, wie die chor- dotonalen, in manchen grössern aber mit Muskeln reich ausgestatte- ten Abschnitten des Körpers (wenigstens bei gewissen Insecten) ganz fehlen, und die auch mit den Muskeln in gar keinem directen Zusammenhange stehen. Es bliebe sonach nur noch die Möglichkeit offen, dass sie zur Perception jener gröbern äussern Druckschwankungen dienten, welche, ähnlich den Schallwellen, gewisse Hautstrecken in eine transversale Bewegung versetzen. Fragen wir uns nun aber, ob es wahrscheinlich ist, dass ge- rade die Inseeten für die Wirksammachung der äusseren Druck- reize ausser dem Haut- und dem Muskelsinn noch einen dritten uns völlig fehlenden Empfindungsapparat besitzen oder ob nicht die Auffassung viel plausibler ist, dass dieser Mechanismus eben nur zur Perception jener feineren Druckschwankungen, die wir als Schalloseillationen bezeichnen, bestimmt ist, so werden wir, glaube ich, doch unbedingt diese letztere Annahme vorziehen. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 137 D. Entkräftigung einiger Einwände gegen unsere Annahme der acustischen Funetion der Chordotonalorgane, Nachdem ich die Gründe dargelegt habe, die mir für den acustischen Charakter der Chordotonalorgane zu sprechen scheinen, will ich- zum Schlusse noch einige Einwände zu erörtern bez. zu entkräften suchen, die allenfalls gegen meine Auffassung erhoben werden könnten. 1. Das Vorkommen der Chordotonalorgane bei stum- men Inseeten. Wie ich schon in der Einleitung angedeutet habe, war und ist noch vielfach die Meinung verbreitet, dass besondere Gehörorgane ausschliesslich nur den stimmbegabten Insecten von Nöthen wären, und da nun die chordotonalen Bildungen bei den ganz stummen Thieren eben so häufig vorkommen, könnte dieser Umstand als ein Einwand gegen meine Auffassung angesehen werden. Zur Entkräftung dieses Einwandes genügt es aber dermalen, wohl einfach an die von mir konstatirte Thatsache zu erinnern, dass auch die ganz und die anscheinend stummen Insec- ten hören und zwar zum Theil, man denke an Laccophilus ete., schr fein hören. Davon, dass für die stummen Inseeten eigene Organe zur Perception von Schallreizen überflüs- sig wären, kann also absolut nicht die Rede sein. Uebri- gens werden ja auch andern stummen Evertebraten (von den Fischen sehe ich ganz ab), wie den Krebsen, vielen Mollusken, Würmern ete., besondere Ohren zugeschrieben, obwohl man sich bei diesen Geschöpfen von ihrer Schallempfindungsfähigkeit in nur äusserst wenigen Fällen überzeugt hat. Dass auch stummen Thieren Gehörorgane sehr vortheilhaft sein können, erwähne ich nur nebenbei. Eines muss ich aber auch hier wieder ganz besonders be- tonen, dass nämlich die relativ hochentwickelten Gehörorgane ge- wisser stimmbegabter Inseeten (der Heuschrecken) eben aus jenen primitiven Zuständen sieh ableiten, die auch den stummen Formen zukommen, dass also, wenn wir die primitiven Chordoto- naleinriehtungen als acustische gelten lassen, das Ver- hältniss hier ein ganz ähnliches wie bei den Wirbelthieren ist, insoferne die Entwicklung der Stimmapparate in der That auch hier von einer höhern Entfaltung der zuge- hörigen Perceptionsorgane begleitet ist. 138 Vitus Graber: 2. Die extracephale Lage der Chordotonalorgane; das Gehör deeapitirter Inseeten. Ungleich mehr Gewicht haben die Einwände, die gegen unsere Anschauung mit Rücksicht auf das örtliche Vorkommen der Chordotonalorgane erhoben wer- den könnten. Dabei handelt es sich um zweierlei Verhältnisse. Nämlich erstens darum, dass die Chordotonalorgane im Gegensatze zu den Gehörorganen der Wirbelthiere und auch vieler Wirbelloser, in der Regel nicht wie letztere im Kopfe sich befinden, sondern, wie ich es genannt habe, eine extracephale Lage (im Rumpf und dessen Anhängen) einnehmen und dann zweitens darum, dass sie, gleichfalls im Gegensatz zu den Schallperceptionseinrichtungen der meisten andern Thiere, nicht auf ein Paar beschränkt sind, son- dern meist in grösserer Anzahl resp. an mehreren Stellen des Körpers auftreten. Ich will hier zunächst das erstere Verhältniss etwas näher ins Auge fassen, und stelle mir die Frage, ob die extracephale resp. extracerebrale Lage der Chordotonalorgane als ein stichhal- tiger Einwand gegen die Annahme ihrer acustischen Natur ange- schen werden kann. Gehen wir zunächst von der wohl fast allgemein gemachten Voraussetzung aus, dass bei jenen Thieren, welche einen geson- derten Kopf resp. ein Gehirn besitzen, wirkliche Gehörempfindun- gen nur mit Hilfe des letzteren zu Stande kommen können, so folgt daraus selbstverständlich noch lange nicht, dass die betref- fenden peripherischen oder Aufnahmsorgane auch direct mit dem Gehirn verbunden sein müssen; denn, wie uns u. A. die Verhält- nisse bei den grösstentheils nicht cerebral verbundenen Tast- und Wärmeperceptionsorganen lehren, können ja die in Rede stehenden Reize dem cephalen Sensorium auch mittelbar durch die truncalen Centra (Rücken-, Bauchmark u. s. w.) zugeleitet werden. Wenn dann aber weiter eingewendet wird, dass eben bei’den meisten Thieren hinsichtlich der sog. höhern Sinnesorgane nament- lich der Augen und Ohren in der Regel ein anderes Verhältniss besteht, indem diese direet mit dem Kopfecentrum verknüpft sind, so ist zu beachten, dass diese Regel nicht ohne Ausnahme dasteht, indem, wenn wir von den vielen nicht eerebralen Augen-Vorkomm- nissen ganz absehen, thatsächlich auch gewisse allgemein für echte Hörorgane gehaltene Bildungen, wie z. B. die Schwanz-Ötoeysten von Mysis, eine vom Kopf weit entfernte Körperstelle einnehmen. Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 139 Setzen wir aber selbst den Fall, es gäbe solche truncale Augen und speciell Ohren bei allen anderen Thieren gar nicht, so dürfte auch dann noch nicht den Chordotonalorganen der acu- stische Character ohne Weiteres streitig gemacht werden; denn bei der Beurtheilung der Function einer Sinneseinrichtung ist, vom Bedürfniss der betreffenden Thiere nach gewissen Orientirungs- werkzeugen abgesehen, in erster Linie nicht die Lage, sondern die Beschaffenheit derselben ausschlaggebend und der gelieferte Nachweis analog gelagerter Vorkommnisse kann wohl die Deutung wahrscheinlicher machen, der fehlende Nachweis kann sie aber nicht umstossen. Man muss aber nicht nur im Allgemeinen die Mög- lichkeit einräumen, dass es überhaupt Gehörorgane geben könne, die nicht im Kopfe liegen und auch nicht direet mit dem Gehirn verbunden sind; speciell für die Insecten lässt sieh sogar, wie ich gleich zeigen werde, der exaete Nachweis führen, dass eine Erregung des Körpers durch Schallreize auch ohne Kopf und ohne Gehirn stattfindet. Wie ich schon in der Einleitung angedeutet, ist es wegen der meist grossen Zahl der in einem Inseet vorhandenen Chordotonal- organe im Allgemeinen nicht möglich, die Frage, ob die Schall- Erregbarkeit dieser Thiere ausschliesslich an die Chordotonalorgane gebunden ist, auf dem üblichen Wege der Exstirpation der betref- fenden Organe zu entscheiden; eins aber, so sagte ich mir, kann möglicherweise experimentell ermittelt werden, ob nämlich die Sehall-Erregbarkeit, wie vielfach angenommen wird, wirklich aus- schliesslich an den Kopf resp. das Gehirn und an dessen sensible Adnexe (wie z. B. an die Fühler) gebunden ist. Würde sich z. B. herausstellen, dass Inseeten auch noch nach völliger Abtrennung des Kopfes auf äussere Schallreize reagiren, dann wäre doch gewiss der augenscheinliche Beweis erbracht, dass die erwähnte Ansicht nichts weiter als ein Vorurtheil ist. So viel mir bekannt, sind aber derartige Experimente bei den Inseeten noch gar nie gemacht worden, oder es wurde doch kein unzweideütiges Resultat erzielt. Obzwar ich mieh nun in dieser Richtung seinerzeit bei den Heuschrecken lange vergeblich bemüht hatte, so nahm ich doch, gelegentlich meiner übrigen Gehör-Experimente, auch diese wichtige 140 Vitus Graber: Untersuchung von Neuem auf und zwar, wie schon das Frühere errathen lässt, diesmal mit vollständigstem Erfolge. Die einschlägigen Experimente beschränken sich ausschliess- lich auf Blatta germanica und will ich, der Wichtigkeit der Sache wegen, wenigstens über eine Versuchsreihe etwas näher berichten. l. Experiment. Ich schnitt 6 Stück Blatten (mit einer Scheere) den Kopf ab und setzte sie in normaler Stellung auf eine (ungemein dieke hölzerne) Tischplatte. Die meisten taumelten und fielen auf den Rücken. Nach wenigen Minuten hatten sie sich aber sichtlich erholt und konnten aufrecht stehen — blieben aber sonst fast ganz regungslos. Nun erzeugte ich durch Aneinanderreiben zweier Gläser (vgl. oben), die mit der Tischplatte nicht in Berührung standen, einen äusserst intensiven (wahrhaft markerschütternden) Ton. Augen- blicklich begannen drei der Versuchsobjecte mit allen Beinen krampf- haft zu zappeln und eins fiel dabei wieder auf den Rücken. 2. Exp. Nach Verlauf einer Stunde standen die Mehrzahl (5) der decapitirten Blatten noch auf demselben Flecke, eines war umgefallen, lebte aber noch. Ich erzeugte nun abermals einen starken Schall, indem ich eine Glasglocke (h‘) mit dem Violinbogen stark anstrich und erstere den Versuchsthieren bis auf ca. 2 cm. nahe brachte. Vier Exem- plare bewegten heftig die Beine, eines schleppte sich sogar einen Centimeter vorwärts. 3. Exp. Nach weiteren vier Stunden lagen die meisten Blatten auf dem Rücken, lebten aber noch. Ich strich nun in einer Entfernung von 2 dm vom Tische mit dem Bogen möglichst kräftig über sämmtliche Saiten der Violine. Vier Objecte blieben regungs- los, eins bewegte schwach die Beine, das sechste aber zappelte so heftig, dass es (in der Rückenlage) 1 em weiter rutschte. 4. Exp. Nach Ablauf einer weiteren Stunde (6 Stunden vom Anfang) schienen zwei Thiere ganz todt; reagirten selbst auf starke Wärmereize nicht mehr; die anderen vier lebenden lagen auf dem Rücken. Ein Strich über die Violine brachte bei zweien krampf- hafte Zuckungen hervor. Diese reagirten auch auf intensive ein- zelne Töne und zwar, wie es mir schien, auf hohe (a‘, a‘, a*) stärker als auf niedere (g). 5. Exp. Dasselbe machte ich nach Verlauf von 9 Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 141 Stunden (vom Anfang gerechnet) und zwar in der Nacht, wobei ich vor dem Versuch allen Lärm zu vermeiden suchte. Es lebten im Ganzen nur noch zwei Thiere. Ich näherte mich behutsam dem Tische bis auf ca. !/; m und gab dann auf der a-Saite ein äusserst intensives gellendes a! an. Ein Thier zappelte und bäumte sich krampfhaft in die Höhe. Ungefähr dasselbe geschah dann nach Verlauf von ca. 10 Minuten; weitere in kürzeren Intervallen sich folgende Reizungen blieben aber ganz resultatlos oder bewirkten nur ein schwaches Zucken. Aehnliche Versuchsreihen habe ich im Laufe eines Monates mindestens zwei Dutzend gemacht und im Allgemeinen stets mit dem gleichen Erfolg. Da Exner in seiner ausgezeichneten Bearbeitung der Phy- siologie der Grosshirnrinde in Hermann’s Handbuch der Phy- siologie (Bd. II, 1, 2 pag. 200) gegen die Beweiskraft gewisser von Vulpian!) angestellter acustischer Experimente am ent- hirnten Huhn geltend macht, dass bei denselben (Abfeuern eines Gewehres oder Losschlagen eines Zündhütehens) gröbere den Tast- sinn affieirende Luftbewegungen nicht ausgeschlossen seien, muss ich noch ausdrücklich betonen, erstens, dass die von mir appli- eirten Schalle, wie z. B. die Töne einer Violinsaite in 2 dm Entfernung wohl kaum als Druck- oder Tastreize in Betracht kom- men können und zweitens, dass icb mich auch, ähnlich wie bei den früheren Experimenten, durch entsprechende Controlversuche überzeugte, dass die oben geschilderten Reactionen wirklich nur auf Rechnung reiner Schallschwingungen zu setzen sind. Eine andere Frage ist nun freilich die, ob denn auch das Erregtwerden durch Schalle bei den decapitirten resp. hirnlosen Blatten im Wesentlichen dasselbe ist wie bei den nicht operirten. Wird die Frage so gestellt, ob ein decapitirtes resp. enthirntes Inseet überhaupt noch eines bewussten Empfindens fähig ist, so muss ich dieselbe auf Grund meiner thermischen Versuche an solchen entschieden bejahen. Nähert man nämlich, um hiervon kurz Bericht zu geben, eine glühende Nadel den Afterborsten einer decapitirten Blatta, so weicht sie nicht nur mit denselben der Be- rührung sehr geschickt aus, sondern sie macht auch mit den Hinter- 1) Experiences ayant pour but de recher, quelle est la partie des centres nerveux, qui presid aux phenomönes de P’&motion. L’Institut Nr. 1590. 142 Vitus Graber: beinen deutliche Abwehr-Bewegungen, indem sie letztere über dem Abdomen-Ende kreuzt. Nun weiss ich allerdings sehr gut, dass man u. A. bei den decapitirten Fröschen gewisse analoge Bewegungen durchaus nicht allgemein als willkürliche gelten lässt!); es ist aber zu beachten, einmal, dass die Abwehr-Actionen der decapitirten Blatten viel entschiedener als jene bei den Fröschen und andern Wirbelthieren sind und vor Allem, dass bei den Insecten i. A.die centralen Rumpf-Ganglien eine grössere Selbständigkeit und einen weiter ausgedehnten sensibeln und motorischen Wirkungskreis besitzen, als das Rückenmark der Wir- belthiere. Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände scheint mir nun die Annahme durchaus nicht so gewagt, dass die an decapitirten Insecten durch Schallreize er- zeugten Erregungen z. Th. wenigstens wirkliche Empfin- dungen sind, bez. dass das acustische Centralorgan der In- seeten nicht ausschliesslich wie bei uns auf das Gehirn beschränkt ist, sondern z. Th. auch im Bauchmarke seinen Sitz hat. Sind aber die centralen acustischen Organe der Inseeten nieht ausschliesslich im Kopf zu suchen, dann kann se wohl auch nicht länger befremden, dass die peripherischen Einrichtungen z. Th. gleichfalls eine andere Lage einnehmen. 3. Die Polytopie der Chordotonalorgane. Erwägt man, dass bei uns selbst mit der Empfindung der Schallreize keine räumlichen Vorstellungen über den Ort der Körperoberfläche, auf welchen letztere einwirken, verbunden ist, und dass sich dem ent- sprechend auch die Zahl der peripherischen Aufnahmsorgane auf ein einziges Paar beschränkt, so muss es in der That sehr auf- fallen, dass bei den Insecten die von uns als Gehörorgane ange- sprochenen (chordotonalen) Bildungen in der Regel an sehr vielen Körperstellen vorkommen, ja dass gewissermaassen hier jeder Ab- schnitt und jedes Glied sein separates Ohr hat. Gleichwohl scheint mir diese Polytopie der Chordotonalor- gane mit meiner Annahme durchaus nicht unvereinbar, und zwar 1) Vgl. u. A. inHermann?’s Handbuch der Physiologie das Capitel „Seelische Thätigkeiten des Rückenmarkes“ von Eckhard (ll. Bd. II. Th. pag. 92 ff.). Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 143 selbst für den Fall, dass faetisch auch bei den Inseeten das Schall- empfinden wie bei uns, ein nicht localisirtes ist. Dass ein einheit- liches Schallempfinden nicht nothwendig auch ein einziges Per- ceptionsorgan voraussetzt, das sehen wir bei uns selbst, indem wir ja bekanntlich nicht ein Ohr sondern zwei haben. Wenn aber im Centralnervensystem der Wirbelthiere Vorrich- tungen bestehen, um die ihm von rechts und links zugeleiteten Schall-Reizungen in eine einzige Empfindung zu verschmelzen, dann kann man wohl auch nicht die Möglichkeit leugnen, dass eine solche Zusammenfassung auch hinsichtlich jener acustischen Erregungen stattfinden könne, die, wie bei den ehordotonalen, von segmentweise hintereinander liegenden Perceptionsorganen herrüh- ren, und will ich diesfalls nur noch kurz daran erinnern, dass ja die von den über die ganze Körperoberfläche verbreiteten Haut- nervenendigungen vermittelten Tast- und Wärmereize bis zu einem gewissen Grade auch zu einer einheitlichen oder eontinuirlichen Empfindung verarbeitet werden. Wie die extracephale Lage steht aber auch die Polytopie der Gehörorgane der Inseeten nicht ohne alle Analogie da, indem bekanntlich bei gewissen Krebsen otoeystenartige Bildungen so- wohl an den Antennen als im Schwanze vorkommen und ferner ausser diesen entwieckelteren antennalen und caudalen Gehöror- ganen auch noch weitere, einfachere acustische Theile, nämlich die sog. freien Hörhaare sich vorfinden. Das Mehrfach-Vorkommen von Gehörorganen lässt sich aber nicht nur überhaupt mit dem Prineip der Schallempfindung in Einklang bringen, ich glaube auch zeigen zu können, dass die Polytopie derselben unter Umständen auch gewisse Vortheile ge- währt, resp. zum Theil sogar nothwendig ist. Bedenken wir diesfalls zunächst, dass bei den Inseeten, wie ich im frühern Kapitel gezeigt habe, das acustische Centrum nicht auf das Gehirn beschränkt ist, sondern auch das Bauchmark mit- einbegreift, so muss man vor Allem doch zugeben, dass dieser Zustand nothwendig eine Vermehrung der peripherischen Organe verlangt, denn das Bauchmark ist ja bekanntlich selbst kein ein- heitliches Centrum, sondern zerfällt in eine Reihe von Unter-Cen- tren, von welchen jedes seinen besonderen peripherischen Apparat besitzt. Wenn man esnun beispielsweiee nicht so auffallend 144 Vitus Graber: findet, dass bei gewissen segmentirten Würmern jeder einzelne Abschnitt seine besonderen Augen hat (von den segmentalen Tastorganen sehe ich ihres häufigen Vorkommens wegen ab), dann ist es ja doch wahrlich nichts so Uner- hörtes, wenn diese Somiten, wie das nach meiner Auffassung u. A. eben bei den Inseeten der Fall ist, auch ihre besondern Gehörorgane besitzen und also in acustisccher Bezie- hung soweit selbständig sind, dass die betreffenden Thiere mit demallfälligen Verlust des Kopfes noch nicht vollständig ihre Hörfähigkeit einbüssen. Der decentralisirte Zustand des ganzen Gehörapparates scheint aber unter den gegebenen Umständen auch noch in anderer Be- ziehung vor dem gewöhnlichen Verhalten gewisse Vortheile dar- zubieten, worüber ich indess nur ein Paar Andeutungen geben will. Zunächst gewährt diese Decentralisation die Möglichkeit einer gewissen Arbeitstheilung, wie wir einer solchen ja u. A. bei den Heuschrecken in der That begegnen, insofern hier die tym- panalen Bildungen vorzüglich zur Perception der eigenen Tonpro- duetionen bestimmt erscheinen, während die übrigen primitiven Vorkommnisse zur Aufnahme der gewöhnlichen Schallreize dienen. Welche Bedeutung anderweitige besondere Differenzirungen haben, darüber lässt sich allerdings kaum eine Vermuthung aussprechen. Weiters scheint mir die grosse Zahl der einzelnen Chordotonal- organe eines Insects wichtig für die Erhöhung der Inten- sität der betreffenden Empfindungen, dies namentlich. mit Rücksicht darauf, dass die meisten Chordotonalorgane im Vergleich mit andern mehr concentrirten Hörwerkzeugen nur sehr wenige Nervenenden resp. Nervenendzellen umfassen. Bei dieser Gelegenheit möchte ich zugleich der Vermuthung Raum geben, dass ein localisirtes Chordotonalorgan von entspre- chend grossem Umfang desshalb nicht innerhalb der Kopfkapsel vorkommt, weil gerade hier der hierfür erforderliche — wie wir wissen ziemlich beträchtliche freie Spielraum fehlt. Endlich dürfte dann auch das Zerstreutsein der-chordotonalen Hörorgane über die verschiedenen Körpertheile für die Orien- tirung über die Richtung der einfallenden Schallwellen bez. über die Lage der Schallquelle von Bedeutnng sein. Ich will diesfalls nur kurz darauf aufmerksam machen, dass, wenn beispielsweise die Schallquelle vor dem Thiere liegt, die vorderen Die chordotonalen Sinnesorgane der Insecten. 145 Chordotonalorgane relativ stärker erregt werden als die hinteren und umgekehrt, und dass dadurch also das affieirte Objeet durch Vergleichung der betreffenden Eindrücke in Stand gesetzt wird, sich über die beiläufige Lage der Tonquelle ein Urtheil zu bilden. Leider fehlen bis zur Stunde alle Experimente über das wirk- liche Vorhandensein dieser Fähigkeit, obwohl meines Erachtens gerade diese Frage nicht so schwer entschieden werden könnte. Soll ich nun am Schlusse meine Anschauungen über die Func- tion der chordotonalen Sinnesorgane kurz zusammenfassen, so möchte ich etwa so sagen: Die von mir vertretene Annahme, dass die chordotonalen Sin- neseinrichtungen Gehörorgane sind, mag auf den ersten Blick so- wohl mit Rücksicht auf den Bau als namentlich auch auf die Vertheilung derselben innerhalb des Insectenkörpers sehr befrem- dend erscheinen; fassen wir aber den eminent saitenartigen Charakter derselben ins Auge und lassen wir insbeson- dere die scolopoferen Tympanalorgane als acustische selten, dann bleibt uns absolut keine andere Wahl, als auch die chordotonalen Bildungen insgesammt als solche anzusprechen. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 21. 10 146 Justus Carriere: Kurze Mittheilungen zur Kenntniss der Herbst’schen und Grandry’schen Körperchen in dem Schnabel der Ente. Von Justus Carriere. Hierzu Tafel VI. Sehr gut gelungene Präparate, welche ich bei einer ganz gelegentlichen Darstellung der Pacini’schen und Grandry’schen Nervenendigungen in der Wachshaut und den Papillen des Seiten- randes der Schnäbel von Gänsen und Enten erhielt, veranlassten mich zu einer genauern Untersuchung dieser Organe. Trotzdem dieses Gebiet in neuester Zeit von so vielen hervorragenden Ana- tomen und Histologen durchforscht wurde, ergaben meine Resultate einestheils einiges Neue, und da sie anderntheils zur Entscheidung einiger strittiger Punkte und zur Bestätigung bekannter Ansichten dienen können, entschloss ich mich, meine Beobachtungen trotz ihres geringen Umfanges zu veröffentlichen. Die Methoden, welche ich im Verein mit Herrn Böhm, dem Präparator des histologischen Institutes in München, anwandte, sind folgende. Ich nahm die noch warmen Köpfe frisch ge- schlachteter Thiere, löste die Wachshaut und die Papillen des Schnabelrandes ab, und brachte einen Theil in ea. 40 %%, Alkohol, nach einigen Stunden in 70 °/ Alkohol, dann in Alkohol von 90 %. Einen anderen Theil legte ich 24 Stunden in eine 1 ige Osmium- säure-Lösung, spülte dann in destillirtem Wasser ab und führte die Stücke in 90 %/, Alkohol über. In beiden Fällen hatte ich von den Papillen des Schnabel- randes den verhornten Theil der Epidermis vor der Behandlung entfernt. Einen dritten Theil vergoldete ich nach der von Böhm com- binirten Methode, indem ich die einzelnen Stücke zuerst 20 Minuten Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen ete. 147 in Ameisensäure legte, bis sie ganz durchscheinend waren; hierauf liess sich die Hornschicht des Epithels leicht ablösen, die einzelnen Stiicke wurden schnell in destillirtem Wasser abgespült und in eine 1 °/,ige Goldehlorid-Lösung übertragen. In dieser blieben sie 20 Minuten, worauf ich die Objecte wieder rasch in destil- lirtem Wasser abspülte und in die Prichard’sche Flüssigkeit!) brachte. In dieser blieben sie von Mittag bis zum nächsten Morgen in der Dunkelkammer; dann wurden sie in destillirtem Wasser abgewaschen, in Alkohol übertragen und auf die gewöhnliche Weise in Paraffın eingebettet und geschnitten. Von Wiehtigkeit ist es hier für die Erlangung guter Reaktionen, dass wenig Goldehlorid — ich hatte für eine ganze Anzahl Stücke der Haut und der Papillen nur ungefähr 10 eem der Lösung ge- nommen —, dagegen sehr viel Prichard’sche Flüssigkeit verwandt wird. Von den nur in Alkohol gehärteten Objeeten wurden die Schnitte in neutralem Karmin, Pierokarmin, Fuchsin und Häma- toxylin gefärbt, und mit den ersten drei Reagentien gute, mit dem Hämatoxylin vortreffliche Färbungen erzielt. Bei letzterem Farb- stoff ist zu empfehlen, die Schnitte aus der Hämatoxylin-Lösung kurze Zeit in Brunnenwasser zu bringen. Die Spuren von Am- moniak, welche in dem letzteren enthalten sind, genügen, um die Farbe intensiver und etwas röthlicher zu machen. Die Wirkungen der einzelnen Farbstoffe werde ich bei den betreffenden Gewebstheilen besprechen. Von den angewandten Härtungsmitteln erwies sich Alkohol als ausgezeichnet für die Herbst’schen Körperchen, während die Grandry schen darin etwas schrumpften. Umgekehrt Konservirten Ameisensäure und Goldehlorid die Grandry ’schen Zellen, während die Hüllen der Herbst’schen Körperchen an manchen Stücken eine für das Schneiden ungünstige Consistenz erhielten. Osmium- säure schien mir weniger günstig als die beiden ersteren Reagentien, aber doch unentbehrlich für den Nachweis der Markscheide. 1) Die einzelnen Flüssigkeiten besassen folgende Zusammensetzung: l. Ameisensäure: Ameisensäure 50 °/,, destillirtes Wasser 50 °/,. 2. Goldchlorid: 1 °/,ige Goldchlorid-Lösung. 3. Prichard’s Flüssigkeit: Amylalkohol 1 °,, Ameisensäure 1 °%, destillirtes Wasser 98 %,. 148 Justus Carricßre: Ich will nun zunächst kurz meine Beobachtungen an den Grandry’schen Körperchen mittheilen, da ich an diesen nichts wesentlich Neues auffinden konnte, und.es sei mir gestattet, einen kleinen Rückblick auf die Geschichte derselben zu werfen. Grandry!) beobachtete zuerst die nach ihm benannten Nervenendigungen oder Tastkugeln in der Wachshaut des Enten- und Gänse-Schnabels und innerhalb eines kurzen Zeitraumes wurden diese Körperchen von Merkel, Asper, Frey, Henle, Krause, Key und Retzius, Ditlevsen, Ranvier, Hesse und Izquierdo genauer untersucht. Der Bau dieser Organe ist ein sehr einfacher; sie bestehen aus zwei bis fünf grossen, aber flachen, kreisrunden Zellen mit kleinen Kernen, welche von einer gemein- samen Hülle umschlossen werden und an welche deutlich ein Nerv herantritt. In welcher Weise endigt aber der Nerv in den Grandry’- schen Körperchen? Bei den Schwierigkeiten der Untersuchung letzter Nervenendigungen und der Verschiedenheit der angewandten Methoden werden wir nicht erstaunt sein, mehrere und sich widersprechende Antworten auf diese Frage vorzufinden. Während Asper zu keiner bestimmten Anschauung darüber gelangte und Krause sich so unklar darüber aussprach, dass spätere Forscher annehmen mussten, er habe andere Tastkörperchen mit denGrandry’- schen verwechselt, lassen Merkel (1875), Frey und Henle den Nerv in den grossen Zellen endigen, während nach Key und Retzius, Ranvier, Hesse und Izquierdo eine Platte zwischen zwei Zellen, die sogenannte Zwischenplatte, das terminale Ende des Nerven bildet. Eine vermittelnde Stellung nimmt Merkel 1878 und 1830 ein, indem er die Ausbreitung des Axencylinders in die Zwischenplatte bestätigt, und annimmt, dass die Substanz 1) Recherches sur les corpuscules de Pacini. Journal de l’anatomie et, de la physiologie normale et pathologique 1869. Da die Literatur der Grandry’schen und Herbst’schen Körperchen von Key und Retzius — Studien in der Anatomie des Nervensystems und des Bindegewebes. II. Hälfte, 1. Abtheilung, Stockholm 1876, von Izquierdo: Beiträge zur Kenntniss der Endigung der sensiblen Nerven. Diss. aug. Strassburg 1879, und von Merkel: Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der Wirbelthiere, Rostock 1880 — in umfassendster Weise zusammengestellt ist, werde ich hier nur die Arbeiten eitiren, welche ich im Texte besprechen muss. Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen etc. 149 dieser Platte mit dem Protoplasma der Zellen verschmelze. Krause bestätigt dann in einer neuen Untersuchung mit geringen Aenderun- gen die Angaben Rauvier’s, Hesse’s und Izquierdo’s. Ich wende mich jetzt zu der Beschreibung meiner Präparate und werde bei den einzelnen Theilen näher auf die Angaben meiner Vorgänger eingehen und die Punkte, in denen ich von denselben abweiche, schärfer hervorheben, wobei ich die trefflichen Abbil- dungen, welehe Key-Retzius und Krause von den Grandry’- schen Körpern gaben, als bekannt voraussetze. Die Grandry’schen Körperchen werden, wie schon Key und Retzius beobachteten und auch Krause!) in Figur 27 zeichnet, von einer Kapsel umhüllt, welche aus lamellösen, mit Kernen versehenen Schichten besteht. An günstigen Schnitten schien es mir, als ob die Lage der Kerne nur eine einfache sei, während die meisten und nament- lich alle diekeren Schnitte eine doppelte Lage von Kernen zeigten; die Anzahl der Kerne ist eine verhältnissmässig grosse. Merkel?) hat Kapseln gefunden, in welchen nur eine Zelle lag und nennt diese Organe Tastzellen; mir ist es bis jetzt nicht geglückt, solche zu sehen und in dem einfachsten Falle finde ich zwei Zellen in einer Kapsel, während bis zu fünf Zellen von einer Kapsel umschlossen sein können. Die Form dieser Zellen ist kuchenförmig; sie sind kreisrund und ziemlich flach. Doch ist ihre Gestalt verschieden nach ihrer Anzahl und der Lage, die sie einnehmen. So sind in einem zweizelligen Körperchen beide Zellen an Gestalt einander gleich und nahezu halbkugelig, mit der ebenen Fläche einander zugewandt. Sind mehr Zellen in einer Kapsel enthalten, so zeigen die beiden äussersten immer noch eine convexe und eine ebene Fläche, stellen aber nicht mehr Halbkugeln, son- dern flachere Kugelsegmente dar; die mittleren Zellen dagegen sind auf beiden Seitenflächen eben. Abgesehen von ihrer Grösse fallen diese Zellen auch durch die Intensität auf, mit welcher sie Farbstoffe aufnehmen — eine Eigenschaft, welche st mit dem Protoplasma noch unverhornter Epidermiszellen theilen. Sie färben sich stark roth mit Fuchsin 1) W. Krause: Die Nervenendigung innerhalb der terminalen Körper- chen. Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. XIX. 1881. 2) Fr. Merkel: Die Tastzellen der Ente. Archiv für mikroskop. Anatomie. Bd. XV, 1878, p. 415. 150 Justus Carrißre: und neutralem Karmin, gelblich roth mit Pikrokarmin, violett mit Goldehlorid; ingeringem Grade werden sie durch Osmium grau gefärbt. Der im Verhältniss zu dem Durchmesser der Zelle kleine Kern zeigt ein bis zwei Kernkörperchen. In dem Protoplasma der Zellen sind Streifungen, von Körn- chen-Reihen oder Granulationen hervorgebracht, wahrzunehmen, die schon von Key und Retzius (als Gruppen von Granulationen), sowie von Ranvier, Hesse, Merkel beobachtet wurden. Diese Streifen, welche die Zelle von der eonvexen zur ebenen Fläche hin durchsetzen, erscheinen auf dem Flächenschnitt als Punkte, die den Kern in eoncentrischen Schichten gleich einem Heiligen- schein umgeben (Ranvier)!). Diese Granulationen konnte ich in gleicher Weise wahrnehmen; überraschend war nur auf den ersten Blick das Bild, welches die Zellen auf dem Querschnitt nach der Behandlung mit Goldehlorid boten. Die Mitte der Zelle zeigte sich ganz frei von den Körnchen, während nach den beiden Enden der Zelle zu die Granulationen angehäuft erschienen, und so das Ansehen einer bekannten karyolytischen Figur boten. Die Ursache dieser auffallenden Erscheinung fand ich aber bald in dem Um- stande, dass der Kern dieser Zellen bei der Behandlung mit Gold- chlorid ganz unsichtbar bleibt und man statt seiner nur eine — nicht scharf begrenzte —, von Granulationen freie Stelle wahr- nimmt. Diese Zellen wurden von Hesse?) als Deekzellen bezeichnet. Zwischen je zwei Deckzellen ragt von der inneren Wand der Kapsel ein ringförmiges Diaphragma hinein, aus einer sehr dünnen Scheibe bestehend, welche in der Mitte ein grosses, kreisförmiges Loch hat. An der Stelle, wo der Nerv eintritt, besitzt das Dia- phragma einen entsprechenden Ausschnitt. Entgegen den anderen Autoren, welche dieses Diaphragma als Fortsetzung der Kapsel auffassen, besteht es nach Ranvier nur aus einer Falte des En- dothels, welches die Kapsel auskleidet. Meine Präparate gestatten mir nicht, für die eine oder die andere Behauptung einzutreten, und ich schliesse mich desshalb einstweilen einfach der Ansicht eines Histologen wie Ranvier an. 1) Trait& technique d’Histologie par L. Ranvier. VI. fascicule. Februar 1882. 2) Ueber die Tastkugeln des Entenschnabels. Archiv für Anatomie und Entwicklungsgeschichte 1878. Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen etc. 151 Die radiäre Streifung der Membran des Diaphragmas (Hesse) konnte ich nicht wahrnehmen, dagegen sah ich an vielen flach- geschnittenen Zellen, welche mit Alkohol eonservirt waren, rings am Rande derselben eine grosse Menge feiner Zacken nach der Kapsel zu stehen, und es wäre möglich, dass dieses Bild durch das dicht aufliegende radiär gestreifte Diaphragma hervorgebracht würde. Zwischen je zwei Deckzellen liegt — in der Oeffnung des Diaphragmas — eine meist sehr dünne Scheibe, welche zuerst von Key und Retzius angegeben und dann von allen folgenden Forschern bestätigt und namentlich von Hesse und Ranvier näher untersucht wurde — die sogenannte Tastscheibe. In Gestalt eines Diskus (Disque tactil Ranvier) ist sie in der Mitte am dieksten und nimmt nach dem Rande zu immer mehr an Dicke ab. Der Durchmesser der Tastscheibe ist immer kleiner als der der Deckzellen. Mit Goldehlorid färbt sie sich sehr dunkel gleich den Axeneylindern der Nerven. Und in der That ist die Tastscheibe die Endigung des Nerven, welcher an die Kapsel heran und mit Zurücklassung der Henle’schen und der Markscheide nur mit der Sehwann’schen Scheide bekleidet (Merkel, Ranvier) in sie hineintritt um sich in die Tastscheibe auszubreiten, so dass die- selbe als terminale Endigung angesehen werden könnte. Auf den Querschnitten der Tastscheibe sieht man, dass die Schwann’sche Scheide sich als eine helle feine Linie zu beiden Seiten der Tastscheibe über diese hinzieht. So gibt Ranvier es an, und glaube ich es nach meinen Präparaten bestätigen zu können. dagegen hat Merkel schon früher und auch in seinem neuesten Werke!) eine andere Ansicht aufgestellt und vertheidigt. Nach ihm steht die Tastscheibe in unmittelbarer Verbindung mit dem Protoplasma der Zellen, und die Granulationen des Protoplasmas, deren senkrechte Streifen sich nur soweit erstrecken als die Tast- scheibe reicht, stehen mit derselben in Zusammenhang. Nun habe ich allerdings keine Präparate mit einer absolut regelmässigen Streifung, dagegen glaubte ich auf einzelnen ganz deutlich zu sehen, dass von dem mittleren Theil der Tastscheibe aus Körnchenreihen in das Protoplasma der Zelle ausstrahlen, und 1) Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven bei den Wirbelthieren. Rostock 1880. 152 Justus Carriere: wollte daraus schliessen, dass die Verbindung zwischen Tastscheibe und Deckzellen, wenn sie in der angegebenen Weise besteht, nicht auf der ganzen Fläche, sondern nur an einzelnen Stellen stattfinde; doch spätere genaueste Durchmusterung der Präparate zeigte mir die Körnchenreihen immer nur innerhalb der Zelle und nicht in die Tastscheibe eintretend, während allerdings schräge Schnitte durch die Tastscheibe und weniger starke Vergrösserung einen Zusammenhang glauben lassen. Ich muss hier noch eine Bemerkung über den Eintritt des Nerven anfügen. Während die meisten Autoren den Nerv einfach in die Kapsel eintreten und sich dann in die Scheibe ausbreiten lassen, bemerkte Hesse oft an der Eintrittsstelle des Nerven einen bläschenförmigen Hohlraum mit scharfen Rändern, welchen er als einen normalen Lymphraum betrachtet. Merkel hält diesen Hohl- raum für eine Leichenerscheinung, womit ich auf Gruud meiner Beobachtungen nicht übereinstimmen kann. Die gute Conservirung meiner Objekte gestattete mir Quer- schnittserien von 3—5 Schnitten durch ein Tastkörperchen, indem ich die Schnitte durch die Wachshaut !/o—!Ys mm dünn anfer- tigte und auf dem Objektträger in gleicher Richtung nebeneinander legte. Dabei fand ich einestheils Nerveneintritte in der bekannten Weise, dass der Axencylinder mit seinen Hüllen an die Kapsel herantritt, an ihr umbiegt, ihrer Krümmung eine Strecke weit folgt und dann gerade zwischen die Deckzellen hineintritt. Da ich noch nirgends Abbildungen und genauere Angaben über Gold-Präparate von Grandry’schen Körperchen fand, die- selben mir aber doch für die Kenntniss des Verlaufes des Axen- eylinders von Wichtigkeit scheinen, will ich hier einige von mei- nen Präparaten abbilden und beschreiben. An allen Zeichnungen von Grandry’schen Körperchen, welche ich bei den Eingangs genannten Autoren fand, war mir die ungemeine Dicke des Axen- eylinders aufgefallen; zu meinem Erstaunen bestätigte das Gold- chlorid jene durch Osmium-Säure erhaltenen Bilder, wie Figur 8, 9 und 10 zeigen. In Figur 8 ist eine häufige Art des Nerveneintrittes abge- bildet. Der mit allen Scheiden versehene Axeneylinder tritt an die Kapsel heran, lässt daselbst die Markscheide, sowie die mit der Kapsel verschmelzende Henle’sche Scheide zurück, tritt zwi- schen zwei Zellen ein und breitet sich zur Tastplatte aus. Die Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen ete. 153 auffallende Verschmälerung des Axeneylinders vor dem Eintritt in die Kapsel ist wohl zum Theil dadurch veranlasst, dass durch den vorhergehenden Schnitt ein Theil der letzten Windung des geschlängelten Axencylinders mit weggenommen wurde. Denn obschon ich in vielen Fällen — auch Figur 10 ist ein Beispiel dafür —, eine Verschmälerung des Axenceylinders bei dem Ein- tritt in die Kapsel wahrgenommen habe, so fand ich sie doch nie in so auffälliger Weise. Eine andere, und durchaus nicht seltene Art des Nervenein- trittes ist aber die, von welcher ich in Figur 9 und 10 zwei Bei- spiele abgebildet habe. Figur 9 zeigt auch den — ganz ausnahmsweisen — Fall, dass der Nerv mit der Henle’schen und der Markscheide durch die Kapsel in den Innenraum tritt, um allerdings sofort die beiden Scheiden zu verlieren. Davon abgesehen tritt der Axencylinder mit ziemlich gleich- bleibendem Querdurchmesser an die Kapsel heran, und durch- bricht dieselbe; aber anstatt sich sofort zur Tastplatte auszubrei- ten, schwillt er zunächst bedeutend an und macht ein Paar eng aneinander liegende Windungen und geht dann erst unter gleich- zeitigem Abnehmen des Umfanges in die Tastscheibe über. Finen ähnlichen Vorgang sehen wir in Figur 10. Der sehr dieke Axeneylinder wird schon vor dem Eintritt in die Kapsel dünner, tritt dann in dieselbe ein und macht — ohne Anschwel- lung — bei ziemlich gleiehbleibender Stärke eine Anzahl von Krümmungen, ehe er sich zur Tastscheibe ausbreitet. Das abge- bildete Präparat ist insofern unvollständig, als die letzte Windung, mit welcher der Axeneylinder in die Tastscheibe übergeht, über die Ebene dieses Schnittes hervorragte und so durch den vorher- gehenden Schnitt abgetrennt wurde. Diese knäuelförmigen Windungen nun erzeugen die Hohl- räume zwischen den Zellen, welehe Hesse sah, aber nicht er- klären konnte, weil er den Axeneylinder in Folge der Behand- lung mit Osmium-Säure nur undeutlich wahrnehmen konnte. Auf Schnitten, welche zu den Windungen tangential gelegen sind, sieht man natürlich nur die Hohlräume, und manchmal fallen auch wohl angeschnittene Windungen heraus und machen so die Höhlung noch auffälliger. Ich habe ausserdem diese Höhlungen nur an den Körperchen gefunden, bei welchen der Axencylinder in der 154 Justus Carriere: eben beschriebenen Weise eintrat, nie bei den anderen, und häufig beide Formen neben einander auf einem Schnitt. Was die Stellung dieser Körperchen zu anderen Nerven-End- organen betrifft, so vergleicht Krause die Deckzellen mit den Kolbenzellen des Innenkolbens der Herbst’schen Körperchen und die Tastplatte mit dem Endkolben derselben. Ich kann mir nicht versagen, zum Schlusse die interessante Hypothese Ranvier’s über das Zustandekommen der Tastempfin- dung in den Grandry’schen Körperchen hier mitzutheilen. Die Streifung der Deekzellen nämlich, wie sie ähnlich bei manchen Formen der Drüsenzellen (Schweissdrüsen) vorkommt, führt Ran- vier zu dem Gedanken, dass diese grossen Zellen als Drüsen- zellen zu betrachten seien, die unter dem Einflusse des Druckes einen eigenthümlichen Stoff absonderten, welcher die Tastscheibe auf physikalischem oder chemischem Wege reize und errege, und so die Empfindung vermittle. Indem ich mich nun zu den Herbst’schen Körperchen wende, glaube ich in Bezug auf die Literatur nach den ausführlichen Vor- arbeiten mich auf das beschränken zu können, was ich gelegent- lich der Beschreibung der einzelnen Theile dieser Organe be- rühren muss und verweise für das übrige auf die Untersuchungen von Key und Retzius und Merkel, welche dieselbe in umfassen- der Weise mittheilen. In viel geringerem Grade als mit den Grandry’schen Kör- perchen sind wir bisher mit der Struktur der Pacini’schen Kör- perchen aus dem Schnabel der Schwimmvögel (speeiell der La- mellirostres) bekannt, welche nach ihrem Entdecker jetzt meist Herbst’sche Körper genannt werden. Der Grund der mangel- haften Kenntniss derselben ist nur in den Methoden zu suchen, welehe hier angewandt wurden, und welche für sich allein ange- wandt zur Erkenntniss der Struktur des ganzen Organes absolut unbrauchbar sind, so werthwolle Aufschlüsse sie auch in einzelnen bestimmten Punkten ertheilen — ich meine die Osmium- und Gold-Methode; auch Müller’sche Flüssigkeit scheint mir — we- nigstens nach den Abbildungen bei Krause zu schliessen —, für diese Organe unbrauchbar zu sein. Nachdem Herbst die Paeini’schen Körper bei den Vögeln zuerst gesehen und erkannt hatte, dass in ihnen der Nerv mit einer keulenförmigen Endanschwellung endige, fand Leydig die Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen ete. 155 Fasern der Lamellen und die Kerne des Innenkolbens, so dass man sich ein, wenn auch nur sehr allgemeines Bild über den Bau dieser Organe machen konnte. Und es dauerte bis fast dreissig Jahre, nach der Entdeckung der Herbst’schen Körperchen, ehe durch die schönen Untersuchungen von Key und Retzius der Schleier etwas mehr gelüftet wurde, nachdem schon vorher Krause in der zwiebelförmigen Hülle eine äussere Längs- und eine innere Querfaserschicht unterschieden hatte und Engelmann annahm, der Innenkolben sei eine Fortsetzung der Markschicht, umschlossen von der kernhaltigen Verlängerung der Schwann’schen Scheide, in welcher der Axencylinder mit einer Anschwellung endige. Während Key und Retzius bei den Pacini’schen Körper- chen von Mensch und Katze keine Kerne an dem Innenkolben nachweisen konnten, fanden sie solche beim Kaninchen dichtge- drängt zu beiden Seiten desselben. Bei den Vögeln erschienen sie weniger zahlreich, dafür aber ziemlich regelmässig angeordnet ; zwischen ihnen ist der Axencylinder und seine Endanschwellung wahrzunehmen. Und speciell bei der Ente erkannten sie die Quer- faserschicht der Lamellen und beobachteten, dass der eintretende Nerv seine Myelin- und Schwann’sche Scheide bis zum Ueber- gang in den Innenkolben behält, um dann in die blasse Terminal- faser überzugehen. Merkel bestätigte diese Angaben, fand, dass der Innenkolben sich mit Gold und Osmium dunkler färbe als die Lamellen, und kam zu der Ansicht, dass beide Lamellensysteme direkt aus den perineuralen Scheiden des Nerven hervorgingen; seine Abbildung eines Herbst’schen Körperchens auf Tafel XV, Figur 14 zeigt ziemlich alles, was man mit Osmium-Säure überhaupt sehen kann. Dagegen verleiteten ihn die verzerrten Bilder, welehe Quersehnitte der Osmium-Präparate liefern, zu einem Irrthum in Bezug auf die Zellen, welche den Innenkolben bilden. Er nahm an, dass die nach innen keilförmig zugeschärften Kerne von wenig Protoplasma umgeben seien, aus welchem Lamellen hervorgehen, die nach einem bogenförmigen Verlaufe sich zu dem gegenüberliegenden Kerne hinbegeben; der Innenkolben sei also nichts anderes als ein System der Länge nach verbundener bindegewebiger Flügelzellen Wal- deyers. Wir werden weiter unten sehen, dass die Zellen des Innenkolbens zwar einen Hohleylinder bilden, aber ohne sieh in Lamellen umzuwandeln. 156 Justus Carrießre: Weniger günstig war das Präparat, nach welchem Krause!) seine Abbildung auf Tafel III, Fig.9 gab, doch erkannte er, dass die Punkte, welche man auf dem Längsschnitt auf der Aussenseite der Lamellen sieht, Querschnitte von Ringfasern seien, die in die Aussenfläche der Lamelle eingelassen sind. Auch spricht Krause von den Kolbenzellen des Endkolbens als platten, halbkreisförmig gebogenen, kernhaltigen Zellen, ohne sie jedoch abzubilden. Betrachtet man den Längsschnitt durch ein Herbst’sches Körperchen, Figur1, so fällt zunächst die zwiebelartige aus Lamellen bestehende Hülle auf, und man unterscheidet auch sofort an dieser zwei Schichten, eine äussere glatte, und eine innere, in welcher die Lamellen an der Aussenseite mit zahlreichen feinen Punkten be- setzt erscheinen. Hebt und senkt man den Tubus mit der Schraube, so findet man, dass diese Punkte — wie schon bekannt — quer- geschnittene Fasern sind, welche gleich Rippen oder Leisten an der Aussenseite der Lamellen vorspringen. Eine scharfe Grenze zwischen den beiden Schichten ist jedoch nicht zu ziehen, sie gehen allmählich in einander über, indem die Leisten nach aussen zu sich verflachen und aufhören. Die innere Schicht, deren bräunliche Färbung in frischem Zustande schon Leydig erkannte, färbt sich mit Fuchsin und Hämatoxylin dunkler als die äussere Schicht, während sie durch Pikrokarmin weniger stark hervorgehoben wird. Nach dem Vorhandensein oder Fehlen dieser Ringfaserschicht unterscheidet Krause Key-Retzius’sche Körperchen von den eigentlichen Herbst’schen Körperchen, welch’ letztere auch einen längeren Innenkolben und kürzeren Nerv besitzen. Da die Ring- fasern niemals fehlen, sondern immer, wenn auch schwächer aus- sebildet, vorhanden sind, und ebenso die verschiedensten Verhält- nisse in Bezug auf die Länge des Kolben und des Nerven sich finden, kann ich in diesen unbedeutenden Verschiedenheiten bei sonst absolut gleichem Bau keinen genügenden Grund für die Aufstellung einer neuen Species Herbst’scher Körperchen mit einem so zungenbrechenden Namen sehen. Ich fand übrigens die langkolbigen Körperchen bei der Gans viel seltener als die kurzkolbigen, und bei der Ente fiel mir unter der Menge von Präparaten, die ich durchmusterte, kein einziges auf. l) W. Krause: Die Nervenendigungen innerhalb der terminalen Körperchen. Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. XIX, 1881. ” Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen etc. 157 Zwischen den Lamellen liegen vereinzelte flache Kerne, an deren Peripherie noch öfters etwas Protoplasma nachzuweisen ist, so dass wir diese Gebilde wohl als Waldeyer’sche Flügelzellen betrachten dürfen. Am zahlreichsten finden sie sich in den äusser- sten Schichten, nach innen zu kommen sie spärlicher vor. Die Flügelzellen der innersten Lamelle liegen dem Innenkolben ganz dicht an und sind noch viel flacher als die der mittleren und äusse- ren Theile der Hülle. Ausser den flachen Kernen finden sich häufig auch kugelige und ovale Kerne zwischen den Lamellen, welche zum Theil die Kerne der Henle’schen Scheide an Grösse übertreffen; sie ge- hören wohl theils Flügelzellen an, welche noch nicht abgeplattet sind, theils solchen, welche von der Fläche gesehen werden, und scheinen mir bei der Gans häufiger zu sein als bei der Ente, ob- wohl sie auch hier in einzelnen Körperchen die Mehrzahl bilden. Ich wende mich nun zur Analyse des Innenkolbens. Um einen klaren Einblick in die Zusammensetzung desselben zu bekommen, ist es unerlässlich, neben der beliebten aber häufig an unrechter Stell angewandten Osmium-Säure auch Goldchlorid für die nervösen Elemente und Alkohol als bestes Mittel zur Conservirung der binde- gewebigen und zelligen Theile dieser Körper anzuwenden. In Alkohol gehärtete Objekte lassen nach Färbung mit Pi- krokarmin, Fuchsin oder Hämatoxylin zunächst erkennen, dass der Innenkolben aus Zellen zusammengesetzt ist, ein Umstand, wel- chen Merkel und Krause (um von den älteren Angaben von Herbst und Will zu schweigen) zwar vermutheten und behaup- teten, ohne dieselben jedoch in Folge der angewandten Reagentien genau erkannt zu haben. Betrachtet man einen Schnitt, auf welchem eine grössere An- zahl dieser Herbst’schen Körper der Länge nach getroffen ist, so sehen wir in demselben bald eine, bald zwei Reihen von Zel- len, je nachdem der Innenkolben dem Beschauer seine schmale oder seine breite Seite zuwendet. In dem letzteren Falle sehen wir den Innenkolben aus einer Doppelreihe von Zellen zusammengesetzt, deren ziemlich regel- mässig angeordnete Kerne nahe dem Längs-Rande des Kolbens liegen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Zellen je einer Reihe sind vielfach deutlich wahrzunehmen, und wenn der Schnitt nicht die mittleren Theile des Kolbens getroffen, sondern nur eben die 158 Justus Carri£re: Oberfläche desselben gestreift hat, so erkennt man auch die Grenze der beiden Längsreihen, welche als eine leichte Ziekzack - Linie (Raphe) in der Mittellinie verläuft. Die Kerne sind, der Anzahl und Lage der Zellen entsprechend, zu beiden Seiten am Rande des Kolbens angeordnet. Nur an dem Ende des Innenkolbens findet sich eine Ausnahme, indem hier ein Kern, — je nach der Riehtung des Schnittes höher oder tiefer als die beiden Kernreihen gelegen — in der Mittellinie liegt. Woher dies kommt, zeigt die Ansicht des Innenkolbens von der Seite. Figur 2. Hier erbliekt man nur eine schmale Reihe von Zellen und Kernen. die gegenüberliegenden Kerne schimmern schwach durch das Protoplasma der Zellen durch, und werden erst bei tiefer Ein- stellung deutlicher. An dem Ende der Reihe aber, wo der Kolben eine blasige Anschwellung zeigt, stehen zwei Kerne, je einer zu beiden Seiten derselben. Daraus geht hervor, dass die beiden letzten Zellen des Innenkolbens, welche die End-Anschwellung umspannen, in ihrer Lage zu den übrigen Zellen um 90° ge- dreht sind. Gleichzeitig lehrt die Ansicht von der Seite, dass an dem Ende des Innenkolbens — wie schon oben erwähnt -— eine An- schwellung sich befindet, deren quere Achse dem Querdurchmesser des Kolbens ziemlich gleich ist, wesshalb sie bei der Ansicht von der Breitseite oder — wenn wir so sagen dürfen — der Fläche wenig auffällt und hauptsächlich durch höhere und tiefere Einstellung deutlich wird, und welche nur bei der Seitenansicht sehr auffällig dadurch hervortritt, dass sie die Zellreihe nach beiden Seiten hin überragt. — Auf einem Querschnitt, Figur 5, zeigt der Innenkol- ben die bekannte Citronenförmige Figur, welche — wie Merkel und Krause richtig erkannten, durch die seitliche Lage der Kerne hervorgerufen wird. Es zieht aber nicht, wie diese Autoren an- nehmen, eine Anzahl bindegewebiger Lamellen von einem Kerne zu dem andern, sondern der Befund auf dem Querschnitte steht vollkommen im Einklange mit den oben geschilderten Ansichten von der Front und von der Seite. Von wenig Protoplasma umgeben liegen zu beiden Seiten die Kerne, während die Zelle selbst halbkreisförmig gebogen sich mit der gleichgestalteten gegenüberliegenden Zelle zu einem Ringe gereinigt. Die Berührungsstellen der beiden Zellen erscheinen Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’chen u. Grandry’schen Körperchen etc. 159 auf dem Längsschnitte als die feine Naht, welche sich in der Mitte zwischen den beiden Kernreihen hinzieht. Auf dem Querschnitte, Figur 5, welchen ich der guten Er- haltung der Zellen halber zur Abbildung auswählte, sind die Kol- benzellen durch den Druck des Messers etwas aus ihrer normalen Lage gebracht worden und ich gebe desshalb in Figur 5a eine etwas schematisirte Zeichnung nach den Bildern, welche auf den meisten Querschnitten die Kolbenzellen zeigen. Es besteht also der Innenkolben zunächst aus einem Hohl- eylinder, welcher von einer Anzahl auf einander gelagerter Ringe gebildet wird, deren jeder aus zwei halbkreisförmigen Zellen zu- sammengesetzt ist. An dem einen Ende ist dieser Cylinder durch eine aus zwei Zellen gebildete Haube geschlossen, das andere Ende ist geöffnet. Die Anzahl der Doppel-Zellen, welche den Innenkolben zu- sammensetzen. schwankt nieht zwischen weiten Grenzen. Bei der Ente zählte ich 7—10, bei der Gans je nachdem der Kolben lang oder kurz war, 12—18 solcher Doppelzellen, beziehungsweise ebenso viele Kerne auf jeder Seite des Innenkolbens. Bei einem Herbst’sechen Körperchen der Gans, dessen Innen- kolben kaum länger war als der Nerv innerhalb der Kapsel, fand ich 15 Doppelzellen, bei einem andern, dessen Kolben dreimal länger war als der Nerv, waren es nur um 3 Zellen mehr. Ehe ich die übrigen Theile des Innenkolbens erwähne, muss ich den dritten Haupt-Bestandttheil des Herbst’schen Körperchens besprechen, nämlich den Nerv. Die Eintrittsstelle desselben liegt in der Längsachse des Körperchens gegenüber dem geschlossenen Ende des Innenkolbens und weicht nur manchmal unbedeutend von derselben ab. Der Nerv besitzt noch, nachdem er in die Lamellen-Scheide des Kelbens eingetreten ist, seine sämmtlichen Hüllen. Es ist natürlich unmöglich, einen Körper, welcher aus so verschieden- artigen Theilen besteht, bei Anwendung nur einer Methode in allen Einzelheiten genau zu erkennen, und nur die Combination der durch verschiedene Methoden erhaltenen Bilder kann uns genaue Aufschlüsse geben. Die äusserste Hülle des Nerven bildet die Henle’sche Scheide (Figur 1), deren grosse Kerne besonders auf den Alkohol-Präpa- raten dadurch hervortreten, dass sie sich mit allen Farbstoffen 160 Justus Carriere: stark tingiren, und so auf das Deutlichste den Weg des Nerven bezeichnen. Die Kerne, welche ein kleines Kernkörperchen be- sitzen, scheinen unregelmässig rings um die Scheide vertheilt zu sein, so dass ihre Anzahl nur’ durch Einstellung auf verschiedene Ebenen bestimmt werden kann. Ich zählte meist 6—9 auf der Strecke von dem Eintritt des Nerven bis zu dem Beginn des Innen- kolbens. Während Osmium-Präparate nur selten die Kerne und die Scheide so deutlich erkennen lassen, wie es auf dem hier abge- bildeten Präparate (Fig. 3) der Fall ist, geben die mit Goldehlorid behandelten Objeete Bilder, welche die Alkohol-Präparate voll- kommen ergänzen (Fig. 4). Die Kerne sind auf diesen allerdings ungefärbt und schwer sichtbar, dagegen ist die Membran der Scheide sehr deutlich und man erkennt, dass die Kerne in dieselbe einge- lagert sind und von ihr überzogen werden, während in Figur 1 wegen der Durchsichtigkeit und Farblosigkeit der Scheide die Kerne aufgelagert erscheinen. Bei allen Methoden, am besten aber nach der Behandlung mit Goldehlorid, sieht man, dass die Henle’- sche Scheide sich auf den Innenkolben unter Verlust ihrer Kerne fortsetzt und denselben als eine zarte Membran umgibt. Auf Figur 1 und 2 erblickt man innerhalb der Henle’schen Scheide ein sehr feines, gefaltetes Häutchen — es ist dies die Sehwann’sche Scheide, welche zusammenfiel und runzelig wurde dadurch, dass ein grosser Theil des Myelins der Markscheide von dem Alkohol gelöst wurde. Um die Myelin- oder Mark-Scheide sichtbar zu machen, muss man sich der Osmiumsäure bedienen und Fig. 3 zeigt, wie diese Hülle den Nerv bis zu dem Innenkolben begleitet und vor demselben plötzlich endigt. Der bedeutende Unterschied in der Färbung — die Markscheide ist schwarz, der Innenkolben leicht bräunlich gefärbt —, lässt hierüber keine Täuschung zu, und es wurde auch der Verlauf der Myelin-Scheide in der hier angegebenen Weise von Key und Retzius dargestellt und ebenso von früheren Beobachtern gesehen. Am Ende der Myelinscheide zeichnen Key und Retzius einige Kerne, die sie jedoch nicht der Herbst’schen Scheide zuschreiben, sondern als zu den Kernen des Innenkolbens gehörig betrachten (Taf. 36, Fig. 9); an anderer Stelle (Paeini’sche Körperchen des Menschen) scheinen sie aber die Henle’sche Scheide mit ihren Kernen als „Fibrillenscheide“ gesehen zu haben. Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen etc. 161 Der Axencylinder, welcher bei der Behandlung mit Alkohol und Färbung mit Hämatoxylin als ein feiner, bläulicher Strich erscheint (Figur 1 und 2), ist nach der Einwirkung der Osmium- säure nicht oder nur undeutlich wahrzunehmen, während Goldehlorid ihn äusserst scharf hervortreten lässt. Bei dieser letzteren Methode sieht man (Fig. 4), wie er nach dem Eimtritt in die Lamellen- Hülle dünner wird, um dann nach dem Eintritt in den Innenkolhben wieder allmählich anzuschwellen und am Ende des Innenkolbens zu einer Kugel erweitert zu endigen. Die keulen- oder knopf- förmige Endigung des Nerven wurde schon von Herbst beobachtet. Die End-Kugel des Axencylinders erfüllt die Haube, welche von den beiden letzten Zellen des Innenkolbens gebildet wird. Ein Querschnitt des Innenkolbens, Fig. 5, zeigt uns, dass der Axencylinder den von den Kolbenzellen gebildeten Hohleylinder nicht ausfüllt, sondern dass er mit einem Mantel umgeben ist, welcher ihn von den Kolbenzellen trennt, und von dem Anfang des Innenkolbens bis zu dem Endknopfe reicht. Aus welcher Substanz dieser Mantel besteht, konnte ich nicht ausfindig machen. Mit Osmiumsäure schwärzt sie sieh nicht, sondern bräunt sieh gleich den Kolbenzellen, mit Goldehlorid nimmt sie die gleiche Färbung an, wie diese Zellen und bei mit Fuchsin oder Hämatoxylin gefärbten Alkohol-Präparaten unterscheidet sie sich von den Kolbenzellen durch schwächere Tinktion, während sie sich mit Pikrokarmin etwas stärker gelblich färbt als die Zellen. Um die Lagerungs-Verhältnisse und die Häufigkeit des Vor- kommens der Herbst’schen und Grandry’schen Körperehen zu zeigen, habe ich in Fig. 6 einen Flächenschnitt durch drei Papillen des Randes des Oberschnabels der Ente abgebildet und mit der Camera lucida die Lage der einzelnen Körperchen markirt. Wir ersehen daraus, dass, wie auch schon früher angegeben wurde, die Herbst’schen Körperchen immer so liegen, dass ihre Längsachse der Oberfläche der Haut nahezu oder vollkommen parallel ist; nie liegen sie so, dass der Innenkolben senkrecht gegen die Oberfläche steht. Es empfangen also — wenn diese Körper Tastkörper sind — zunächst die Kolbenzellen den seitlichen Druck und erregen dann den in dem Innenkolben liegenden Axeneylinder. Ausser den Herbst’schen Körperchen sehen wir auf dem Sehnitte noch kleine dunkle Scheiben mit einem Punkt in der Mitte — das sind Flächen- Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 11 162 Justus Carriere: ansichten der Grandry schen Körperchen, und gleichzeitig be- merken wir, dass diese Organe in den Papillen nur sehr spärlich ver- treten sind, während sie in dem oberen Rande gerade wie in der Wachshaut des Schnabels massenhaft neben den Herbst’schen Körpern liegen. Ihre Lage entspricht ganz der der Herbst’schen Körper, indem die breite Seite der Zellen und natürlich auch die der Tastscheibe immer parallel der Oberfläche der Haut liegt, und nie so, dass die Stelle des Nerveneintritts oder die schmale Kante der Tastscheibe senkrecht zu dieser steht. Wie ich eben gesagt habe, kommen die beiden Organe bei der Ente in der Wachshaut auf dem Oberschnabel massenhaft neben- einander vor, sie finden sich aber auch in den weichen Papillen der Zunge und den Herbst’schen ganz ähnlich gebaute Organe liegen massenhaft den Unterschenkelknochen von Flug- und Sing- vögeln an!), während Grandry’sche Kugeln sich zahlreieh in der Haut finden, welche die Nasenmuscheln bekleidet. Sind es also Geschmacksorgane? Was thun sie dann unter der hornähnlichen Epidermis des Oberschnabels? Oder sind es Tastorgane? Wozu stehen sie dann in der Nasenhöhle und am Unterschenkelknochen ? Beide kommen nebeneinander vor; sind nun die einen Tastorgane und die anderen andere Organe; sind beide Tastorgane und ver- mitteln dann vielleicht die einen die derben, die andern die feinen Empfindungen? Oder sind es überhaupt keine Tastorgane? Die Unmöglichkeit, eine genügende Antwort auf diese Fragen zu geben, bewog mich, in dieser Mittheilung nicht von Tastzellen, Tastkugeln und Tastkörperchen zu sprechen, sondern die allerdings etwas umständlichere Bezeichnung der verschiedenen Nerven-End- organe mit dem Namen ihrer Entdecker beizubehalten. 1) Vgl. die Abbildung bei Key und Retzius: Studien in der Ana- tomie des Nervensystems. Bd. I. Taf. XXXII. Kurze Mitth. z. Kenntn. d. Herbst’schen u. Grandry’schen Körperchen etc. 163 Erkärung der Abbildungen auf Tafel VI. Die Figuren mit Ausnahme von Figur 7 sind von Herrn Krapf in München unter meiner Aufsicht angefertigt, mit Ausnahme von Fig. 6 nach Seibert V./l. entworfen und nach Seibert Immersion VIIb./l. ausgeführt. Fig. 1. Längsschnitt durch die Mitte eines Herbst’schen Körperchens aus einer Papille von der Seite des Schnabels einer Ente. Alkohol- Präparat. Der Innenkolben ist von der breiten Seite gesehen. Die Lamellen, deren äussere glatte Schicht allmählich in die innere sogenannte Querfaserschicht übergeht, umschliessen den Innen- kolben‘ mit den Kolbenzellen. Ausnahmsweise stehen auf der einen Seite einige Zellen mehr, als auf der anderen. Der an den Kolben herantretende Nerv zeigt zu äusserst die Henle’sche Scheide mit grossen runden Kernen, und in dieser zusammengefallen die Schwann’sche Scheide. Der Strich, welcher durch den Nerv bis zu der Endanschwellung des Innenkolbens läuft, stellt den Axen- cylinder dar. Fig. 2. Der mittlere Theil eines Längsschnittes durch ein Herbst’sches Körperchen vom Schnabel der Ente. Der Innenkolben, von der schmalen Seite gesehen, zeigt nur eine Reihe von Kernen (die gegenüberliegende schwach durchschimmernd). Die beiden letzten Kerne an der Endanschwellung liegen nicht in derselben Ebene, wie die übrigen, sondern sind um 90° gedreht, wesshalb man in Figur l nur einen dieser Kerne — in der Mitte liegend — sieht. Die ihnen zugehörigen Zellen bilden die Haube, welche die Endan- schwellung des Axencylinders umschliesst. Alkohol-Präparat. Fig. 3. Längsschnitt durch die Mitte eines Herbst’schen Körperchens vom Schnabel der Ente. Osmium-Präparat. Die Henle’sche Scheide geht in die Hülle des Innenkolbens über. Die Mark- oder Myelin-Scheide endet plötzlich am Anfang des Innen- kolbens. Fig. 4. Längsschnitt durch die Mitte eines Herbst’schen Körperchens vom Schnabel der Ente. Goldchlorid-Präparat. Die Kerne des Innenkolbens und der Henle’schen Scheide sind nur schwach sichtbar, sehr deutlich dagegen, dass die Henle’sche Scheide sich als kernlose feine Membran auf den Innenkolben fort- setzt und ihn umhüllt. Der durch das Gold-Chlorid geschwärzte Axencylinder endet mit einer kugelförmigen Anschwellung. Die Lamellen sind bei dieser Behandlung nicht deutlich wahrzunehmen. Fig. 5. Querschnittdurch einHerbst’sches Körperchen vom Schnabel der Ente. Die innere Schicht der Lamellen ist etwas dunkler gefärbt. In der Mitte die beiden Zellen, welche zusammen einen von den Ringen 164 Fig. 6 Fig. 7 Fig. 8 Fig. 9. Fig. 10. Justus Carriere: Kurze Mittheilungen etc. bilden, aus welchen der Innenkolben zusammengesetzt ist; sie sind durch einen seitlichen Druck aus ihrer normalen Lage gebracht, welche in Fig. 5b dargestellt ist. In dem von den beiden Zellen a umschlossenen Hohlraum liegt der Axencylinder b, umgeben von einer Substanz c, welche ihn von dem Eintritt in den Innenkolben bis zu der Endanschwellung ein- hüllt. Diese Substanz ist kein Myelin. . Ein Schnitt parallel der Oberfläche durch drei Papillen vom seit- lichen Schnabelrande der Ente, um die Anordnung und Lage der Herbst’schen und Grandry’schen Körperchen darzustellen. Mit der Camera lucida gezeichnet. Die ovalen hellen Herbst’schen Körperchen liegen mit der Längsachse des Innenkolbens parallel der Oberfläche, die runden und dunklen Grandry’schen Körperchen mit der Fläche der Deckzellen und der Tastscheibe. . Ein Längsschnitt durch die Mitte eines Herbst’schen Körperchens, aus den durch die verschiedenen Methoden erhaltenen Bildern in Figur 1, 3 und 4 combinirt. a Henle’sche Scheide mit ihren Kernen. b Schwann’sche Scheide, ce Myelin-Scheide, d Axencylinder mit der kugelförmigen Endan- schwellung, e äussere glatte Lamellen, f innere gerippte Lamellen mit den dazwischen liegenden Flügelzellen und Kernen, & die Zellen des Innenkolbens. . Querschnitt durch ein Grandry’sches Körperchen aus der Wachshaut des Entenschnabels. Goldchlorid-Präparat. Der Nerv tritt an die Kapsel heran, die Henle’sche Scheide geht in dieselbe über und der Axeneylinder tritt durch die Kapsel hindurch gerade zwischen zwei Deckzellen ein und verbreitert sich zur Tastplatte. Die auffallende Verdünnung des Axencylinders vor dem Eintritt in die Kapsel rührt wohl daher, dass ein Theil der letzten Windung des geschlängelten Nerven durch den vorher- gehenden Schnitt abgetrennt wurde. Querschnitt durch ein Grandry’sches Körperchen. Goldchlorid- Präparat. Der Axencylinder, dessen Henle’sche Scheide mit durch die Kapsel hindurchtritt und erst innerhalb derselben endigt, schwillt stark an und beschreibt ein paar eng an einander liegende Win- dungen, ehe er sich zur Tastplatte ausbreitet. Querschnitt durch ein Grandry’sches Körperchen. Goldchlorid- Präparat. Der ziemlich breite Axencylinder verdünnt sich vor dem Eintritt in die Kapsel und macht dann in derselben eine Anzahl von Win- dungen, ehe er in die Tastscheibe übergeht. Die letzte Windung des Axencylinders, welche über die Ebene des Schnittes hervorragend zu der Tastscheibe ging, wurde durch den vorhergehenden Schnitt abgetrennt. L. Bremer: Ueb. die Endigungen d. markhaltigen u. marklosen Nerven etc. 165 (Aus dem anatomischen Institute der Universität zu Strassburg.) Ueber die Endigungen der markhaltigen und mark- losen Nerven im quergestreiften Muskel. Von Dr. L. Bremer. Hierzu Tafel VII und VI. Der heutige Stand der Lehre über die Nervenendigungen im quergestreiften Muskel ist ungefähr folgender: Es giebt drei, der Form nach verschiedene Nervenendapparate: 1. die Nervenendhügel bei den Arthropoden, 2. die Nerven- endbüschel bei den Amphibien und 3. die Nervenendplatten bei den Reptilien, Vögeln und Säugern. Bei den Arthropoden tritt der marklose Nerv in einen flach hügelförmigen Körper, der von einer fein granulirten, mit Kernen durcehsetzten protoplasmatischen Masse gebildet wird. Die Kerne liegen vorzugsweise an der Basis des Hügels, können aber auch ganz fehlen. Die Nervenscheide setzt sich in das Sarkolemm der Muskelfaser fort. Der Axeneylinder theilt sich beim Eintritt in den Nervenhügel in verschiedene feine Zweige. Wie dieselben enden, darüber gehen die Ansichten auseinander. Während die meisten Beobachter sie nur bis zur Basis des Hügels verfolgen konnten und sie dort in der granulirten Masse verschwinden lassen, behaupten Engelmann und Foettinger!), dass sie in die Zwischenscheiben eintreten, und zwar soll jede Zwischenscheibe einen Endzweig des Axeneylinders erhalten. Bei dem Frosche (als Repräsentanten der Amphibien) theilt sich kurz vor seinem Herantreten an die Muskelfasern der myelin- 1) Sur les terminaisons des nerfs dans les muscles des insectes. Archiv e de Biologie t. 1. 1880. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 12 166 L. Bremer: haltige Nerv zwei- bis viermal und öfter in kurze Segmente, die der Muskelfaser ausserhalb des Sarkolemmas anliegen (epilemmale Fasern Kühne). Diese Segmente verlieren ihr Mark, die Axencylinder treten unter das Sarkolemm (hypolemmale Fasern Kühne), verdicken sich und verlaufen nach gabelförmiger Theilung parallel der Axe der Muskelfaser. Sie sind mit grossen, länglichen Kernen besetzt, deren Axe in derjenigen der Muskelfaser liegt. Engelmann und Gerlach lassen die Axeneylinder sich in die Zwischensubstanz der Muskelfaser fortsetzen. Gerlach nahm in seiner ersten Arbeit!) über diesen Gegen- stand die Existenz eines äusserst reich verzweigten intravaginalen Nervennetzes an, eine Behauptung, die er in seinem zweiten Ar- tikel?2) dahin milderte, dass er für Nervennetz „Nervenplexus“ substituirte. Spätere Untersucher bestätigten die Beobachtungen Gerlachs nicht. Alle gelangten zu dem Resultate, dass weder ein intra- vaginales Nervennetz, noch ein Nervenplexus (in der Gerlach’- schen Auffassung) bestehe, und dass die Endzweige an ihrer Spitze scharf abgesetzt, nie körnig und getrübt seien, dass sie sich nicht allmählich in eine granulirte mit der Muskelzwischensubstanz eon- tinuirliche Masse fortsetzten. Bei den Reptilien, den Säugern und Vögeln verliert der myelinhaltige Nerv ebenso wie bei den Amphibien sein Mark bei seinem Durchtritte durch das Sarkolemm. Der verdiekte, an Goldpräparaten mehr oder weniger eingekerbte, mit kolbigen An- schwellungen versehene hypolemmale Axencylinder verästelt sich wiederholt. Die Aeste „ranken gegeneinander zurück“ (Kühne: Untersuch. aus dem physiol. Institut zu Heidelberg Il, 1878) und bilden häufig Anastomosen untereinander. Ranvier°’) hat drei Arten von Kernen für diese Art von Nervenendigung (die sog. Endplatte) beschrieben: Scheidenkerne 1) J. Gerlach: Das Verhältniss der Nerven zu den willkürlichen Muskeln der Wirbelthiere. Leipzig 1874. 2) J. Gerlach: Ueber das Verhältniss der nervösen und contractilen Substanz des quergestreiften Muskels. Arch. f. mikrosk. Anat. t. XIII. 3) Trait& technique d’Histologie und: Lecons sur P’histologie du systeme nerveux. Paris 1878. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 167 (noyaux vaginaux), Kerne der Endverzweigung (noyaux de l’ar- borisation) und Grund-Kerne (noyaux fondamentaux). Kühne!) nimmt einen radicalen Unterschied zwisehen End- büschel und Endplatte an. Letztere Bezeichnung will er überhaupt gestriehen und durch den nach keiner Richtung hin präjudieirenden Namen Nervenhügel substituirt wissen. Da aber „Endplatte“ einmal durch den Gebrauch histologisches Bürgerrecht erworben hat, habe ich diesen Namen beibehalten, obgleich er allerdings weder anatomisch richtig, noch durch das physiologische Raisonne- ment, welches mit dieser Bezeichnung gewöhnlich verknüpft wird, begründet ist. Kühne also urgirt den morphologischen Unter- schied zwischen Endbüschel und Endplatte und will sie als prinei- piell verschiedene Gebilde angesehen wissen. Das Vorhandensein einer granulirten Substanz an den Nerven- endigungen auch bei den Amphibien wurde von Engelmann be- hauptet, von Kühne bestritten. Das Fehlen der Grundkerne in den Nervenendapparaten der erwähnten Thierklasse wird allgemein als erwiesen angenommen. Zwischenformen von Endbüschel und Endplatte wurden neuerdings von Tschiriew?) bei der Schild- kröte, bei Triton, Salamander und der Blindschleiche gefunden. Er beschreibt diese Endigungen als traubenförmige (terminaisons en grappes) und hält sie mehr für embryonale Bildungen. Kölliker?) nimmt einen epilemmalen Verlauf der Endzweige beim Frosche an. Krause) stimmt ihm bei. Von den Endplatten behauptet Letzterer, dass sie auf dem Sarkolemm in einer sack- artigen Erweiterung der Sehwann’schen Scheide liegen, welche mit dem Sarkolemm verschmelze. Was die Endigungen von marklosen Nerven im querge- streiften Muskel betrifft, so herrscht im Allgemeinen die Ansicht, dass solche nicht an oder in den Muskelfasern, sondern im Peri- mysium und an den Muskelgefässen zu suchen sind. Der Referent über den einfach mikroskopisch-anatomischen 1) Zur Histologie der motorischen Nervenendigung. Unters. aus dem physiol. Inst. zu Heidelberg. Bd. II. p. 187 und: Ueber das Verhalten des Muskels zum Nerven. Ibid. III. p. 1 folge. 2) Sur les terminaisons nerveuses dans les muscles stries. Arch. de Phys. norm. et patholog. 2. Serie t. VI. 3) Gewebelehre, 5. Aufl. p. 168. 4) Alle. und mikrosk. Anatomie 1876, p. 490. 168 L. Bremer: Stand der Frage geräth hier in Verlegenheit, wenn er die Ansichten der Autoren registriren soll. An den anatomischen Character der Nerven im Muskel hat man gewöhnlich physiologische Eigenschaften geknüpft, indem man markhaltig für gleichbedeutend mit moto- risch, marklos oder blass als identisch mit sensibel aufgefasst und beschrieben hat. Um nicht den Citaten Gewalt anzuthun, sehe ich mich ge- zwungen, den Autoren zu folgen und ihre Angaben über die mark- losen Nerven des quergestreiften Muskels da als sensible zu eitiren, wo sie selbst dies thun, möchte jedoch Verwahrung gegen irgend- welche physiologische Präjudieirung der Frage einlegen. Nach Kölliker!) verlaufen die blassen Fasern oberflächlich, im Perimysium und zwischen den Muskelbündeln, um schliesslich frei zu enden. Odenius?) beschreibt marklose Nerven im Hautmuskel des Frosches, die von markhaltigen herstammen. Er beschreibt einen Plexus, der von diesen marklosen Fasern gebildet wird, kommt aber bezüglich ihrer Endigung an den Muskelfasern zu keinem positiven Resultate und sagt, man könne nicht wissen, ob sie über oder unter dem Sarkolemma liegen. C. Sachs?), welcher den Brusthautmuskel, Sartorius und die Bauchmuskeln des Frosches untersuchte, kommt ungefähr zu den- selben Resultaten wie Kölliker und Odenius. ‚Unter fortge- setzter Verfeinerung dringen die blassen Fasern aus dem Muskel heraus in das Perimysium externum oder die angrenzende Faseie ein und enden hier in feinste kernlose Fibrillen frei, mit spitzen Endigungen, ohne mit den Bindegewebszellen in Verbindung zu treten.“ Ein anderer Theil soll frei zwischen den Muskelfasern endigen und manchmal die letzteren spiralförmig nach Art von Wein- oder Epheuranken umwinden. Tsehiriew’s Untersuchungen haben zu ähnlichen Resultaten geführt. Er sagt*): „Ausser den Nervenfasern, welche sich zu den Ge- fässen begeben, bemerkt man noch eine beträchtliche Menge mark- 1) Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. T. XI. 2) Hofmann u. Schwalbe’s Jahresber. 1872. 3) Reichert’s Archiv 1874. 4) 1. c. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 169 loser Fasern, die in ihrem Verlaufe grosse Kerne aufweisen und die oft einen grossmaschigen Plexus bilden. Die Zahl dieser Nervenfasern in den verschiedenen Muskeln und in den verschie- denen Theilen derselben ist verschieden. Wenn man sie verfolgt, so sieht man sie manchmal sich mit markhaltigen Nerven ver- einigen, meist aber vereinigen sie sich mit Nerven, die nur zwei oder drei marklose Fasern enthalten.“ Er behauptet nun von den marklosen Nerven, die man in den dünnen Muskeln des Frosches findet, dass sie überhaupt nicht dem Muskel, sondern der Aponeurose angehören und dass ihre En- digungen dieselben seien wie in der Cornea. Ausser diesen marklosen Nerven und denen, welche den Gefässen angehören, hat er keine mit den Muskelfasern selbst in Verbindung tretende entdecken können. Die Nervenendigungen, die er sah, waren sämmtlich motorisch. Marklose Nerven mit traubenförmigen Endigungen an den Muskel- fasern waren solche, die eine kurze Strecke vorher aus myelin- haltigen hervorgegangen waren. Meine Untersuchungen über die Nervenendigungen im querge- streiften Muskel erstreekten sich vorzugsweise auf den Brustmuskel (sterno-radialis), Hyoglossus und Lingualis des Frosches, den trieeps brachii und femoris und die Zungenmuskeln der Eidechse und die Beinmuskeln von Hydrophilus. Ich wandte die Gold-Säuremethode von Loewit ihren Grund- zügen nach an und die folgenden Angaben stützen sich alle auf Beobachtungen an Präparaten, die nach diesem Verfahren angefertigt waren. In dem Sterno-radialis des Frosches (und in den Skelet- muskeln dieses Thieres überhaupt) giebt es drei morphologisch von einander verschiedene Nervenfasern: 1. Die dieken markhaltigen Nerven. Sie nehmen bei der Gold-Säurebehandlung eine dunkelviolette oder schwärzliche Farbe an und durchziehen den Muskel in mehr oder minder dicken Strängen, die in einer gemeinsamen lamellären Scheide liegen. Tritt eine Einzelröhre aus einem Nervenbündel heraus, so endigt sie gewöhnlich nach kurzem Verlauf in dem bekannten Endbüschel an einer Muskelfaser. 170 L. Bremer: Diese Nerven, welche die markhaltigen der ersten Ordnung heissen mögen, setzen sich nicht als marklose ausserhalb der Muskelfasern fort, ausgenommen die Fälle, in welchen sie eine kleine Strecke weit vor dem Eintritt in die Muskelfaser ihr Mark verlieren. 2. Die dünnen markhaltigen Nerven, durch Gold- säurebehandlung meistens schwach roth oder schwach violett ge- färbt. Ihr Durchmesser beträgt gewöhnlich nur den dritten oder vierten Theil des Durchmessers der markhaltigen Nerven der ersten Ordnung. Bei manchen jedoch ist der Markmantel so unbedeutend, dass man sie leicht mit marklosen verwechseln kann. Sie ver- laufen in Bündeln, die von dünnen lamellären Scheiden einge- schlossen sind oder einzeln und imponiren, vergliehen mit den unter l. beschriebenen, intensiv gefärbten, als blasse Fasern (Taf. VIII Fig. 17). Nervenbündel, gebildet aus Primitivröhren der ersten und solchen der zweiten Ordnung, verlaufen oft nebeneinander in gemeinsamen oder getrennten Scheiden. Bei solchem gemeinsamen Verlauf tritt der Unterschied zwischen beiden Nervenarten beson- ders scharf hervor. Tritt eine Nervenprimitivröbre der zweiten Ordnung aus einem Nervenbündel heraus, so endet sie nach kür- zerem oder längerem Verlauf an einer Muskelfaser, wo sie einen characteristischen, von den gewöhnlichen Endbüscheln abweichenden Endapparat bildet, oder sie geht in einen Nerven der 3. Ordnung über. Diese sind entschieden marklos, blass, mit länglichen Kernen besetzt. Sie anastomosiren manchmal unter einander und bilden Plexus. Man trifft sie sowohl mit markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung gemeinsam verlaufend, wie auch mit denen der ersten Ordnung an. Einzelne marklose Fasern werden häufig neben letzteren .in ihrer Henle’schen Scheide angetroffen. Auch sie haben besondere Endapparate an den Muskelfasern. Die Gefässnerven im Muskel entsprechen den Nerven der zweiten und dritten Ordnung. Freie Nervenendigungen zwischen den Muskelfasern giebt es nicht. Während zwischen den Endapparaten der Nerven der ersten Ordnung und denen der zweiten in morphologischer Beziehung ein prineipieller Unterschied besteht, zeigen die der Nerven zweiter, verglichen mit denen der dritten Ordnung nur einen Unterschied der Grösse. Der Form nach weisen beide denselben Character auf. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 171 Die gewöhnlichste Form der Endapparate der Nerven erster Ordnung im Sterno-radialis des Frosches ist: 1. Das typische Endbüschel, aus einem epilemmalen, mark- haltigen und einem hypolemmalen, marklosen Theile bestehend. Die Endfasern verlaufen in der Längsachse der Muskelfaser, sind mit länglichen Kernen besetzt, deren Längsachse mit derjenigen der Endzweige zusammen fällt. Grundkerne sind in der Regel nicht sichtbar, ebensowenig eine granulirte Substanz (sog. Platten- sohle). Letztere scheint überhaupt zu fehlen oder doch nur spär- lich vorhanden zu sein, während erstere zuweilen an günstigen Präparaten zur Darstellung gebracht werden können (Figur 1). Obwohl selten, kommt es dennoch vor, dass die Endzweige ana- stomosiren und so ein Netz bilden (s. Fig. 1 bei e). Ueber das Verhalten der Endzweige zur Zwischensubstanz werde ich gelegent- lich der Endigungen der Nerven zweiter Ordnung sprechen. Die oben besprochene Endigungsart, obwohl die bei weitem vorwiegende, ist jedoch nicht die einzige, welche die Nerven der ersten Ordnung aufzuweisen haben. Es giebt 2. Ausserordentlich einfache Formen, die aus dem einmal getheilten, nach entgegengesetzten Richtungen verlaufenden hypo- lemmalen, glatten oder gezähnelten, verdickten Axencylinder eines markhaltigen Nerven bestehen. Manchmal ist es sogar nur ein markloser Zweig eines markhaltigen Nerven, der von einer Ein- schnürungsstelle zu der Muskelfaser geht und hier den erwähnten einfachen Endapparat bildet (Fig. 3). 3. Eine complieirtere Form kommt dadurch zu Stande, dass zwei nach entgegengesetzten Richtungen in der Längsaxe ziehende Endzweige, anstatt glatt oder gezähnelt zu verlaufen, mehr oder weniger Ausläufer unter den verschiedensten Winkeln und in stärkeren oder schwächeren Curven aussenden. Sie wird von W. Krause in seinem Handbuche Fig. 279 abgebildet, ist aber seither entweder ignorirt oder bestritten worden. Diese Form kommt allerdings selten in den Skeletmuskeln, häufig aber im Hyoglossus zur Beobachtung (Fig. 4 und 5). 4. Es kommen Nervenendigungen vor, welche sich in ihrem Habitus den Endplatten der höheren Vertebraten nähern und die als Zwischenform zwischen den typischen Endplatten bei der Eidechse und dem typischen Endbüschel beim Frosch betrachtet werden können (Fig. 2). 172 L. Bremer: 5. Endlich giebt es noch eine Form, die ich kurz als „End- dolde‘ bezeichnen will, weil sie mehr den Character der Dolde als den der Traube hat, welchen Namen („grappe“) Tschiriew für diese Bildungen vorgeschlagen hat. Bei dieser wird gewöhn- lich der markhaltige Nerv schon eine gewisse Strecke vor seiner Endigung marklos, oder es findet sich ein markloser Nerv in der Henle’schen Scheide des markhaltigen und bildet mit diesem gemeinsam den Endapparat (Fig. 6). Die marklose Faser verlässt zuweilen die gemeinsame Henle’sehe Scheide kurz vor dem Eintritt des markhaltigen Nerven in die Muskelfaser und bildet eine kleine Dolde, welche mit der grösseren des markhaltigen Nerven verschmilzt (Fig. 7). Die Endausbreitungen der markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung weichen in ihrer Form von den typischen Endbüscheln der markhaltigen Nerven erster Ordnung ab und unterscheiden sich auch von den übrigen für dieselben beschriebenen Endigungen durch gewisse Eigenthümlichkeiten. Ihre Endzweige sind viel dünner und Gabelungen fehlen. Oft spaltet sich der Axencylinder schon vor seinem Eintreten in die Muskelfaser in eine (oft sehr grosse) Anzahl von feinen Fasern, die sich nur leicht verdicken, sobald sie hypolemmal geworden sind. Der Nerv kann aber auch seinen Markmantel bis an das Sarcolemm beibehalten; auch kommt es, wenn schon selten, vor, dass sich eine epilemmale markhaltige Verzweigung bildet, welche in ihrem Aussehen nur durch den ge- ringeren Durchmesser der Segmente von einem typischen Endbüschel abweicht, während der hypolemmale Theil wieder die characteri- stische Form der Endapparate der Nerven zweiter Ordnung aufweist. Die Endzweige der letzteren bilden bald Curven, bald verlaufen sie in der Längsachse der Muskelfaser und in diesem Falle in den durch die Gold-Säureeinwirkung sichtbar gemachten dieken Zwischensubstanzlinien, mit welchen sie oft verschmolzen scheinen. Sie enden nicht scharf umrissen, sondern setzen sich allmählich in die Zwischensubstanz fort. Verlaufen sie quer zur Längsachse der Muskelfaser, so verbinden sie benachbarte Zwischensubstanz- linien untereinander, wodureh ihr Verlauf treppen- oder terrassen- förmig wird.. Oft haben sie zierliche, mit Knöpfen oder Kolben besetzte Ausläufer und zeigen manchmal eine granulirte Zone. Sie erzeugen den Eindruck von langgestreckten, dünnen, mit zier- lichem, spärlichem Laubwerk besetzten Zweigen. Neben den Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven ete. 173 kleineren, mit viel Protoplasma umgebenen Kernen der Endverzwei- sung sind grosse, runde oder ovale, blasse, protoplasmaarme Kerne siehtbar, von den ersteren durch Grösse, Entfernung von den End- zweigen und Farbe leicht zu unterscheiden. Sie sind öfters mit Kern- körperchen versehen und liegen zuweilen in Haufen bis zu drei dicht aneinander, so dass die Masse als ein Riesenkern imponirt. Anastomosen der Endzweige sind nicht selten, und in diesem Falle findet man oft Grundkerne in den Maschen liegen (Figg. 15, 16, 17). Die marklosen Nerven endlich, die, aus den markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung entspringend, auf längere Strecken den Muskel durchlaufen, um schliesslich einen Endapparat an einer Muskelfaser zu bilden, behalten manchmal die Henle’sche Scheide, welche sie beim Austritt aus der gemeinsamen lamellären Scheide des Nervenbündels als Fortsetzung der letzteren erhielten, bis an den Eintritt in die Muskelfaser. Meistens aber verliert sich die Henle’sche Scheide bald nach dem Austreten des Nerven aus dem Nervenbündel, und letzterer ist nur mit der den marklosen Nerven im Allgemeinen zukommenden, mit länglichen Kernen besetzten Schwann’schen Scheide bekleidet. Wie sich letztere zum Sarko- lemma verhält, darüber fehlen mir sichere Erfahrungen. Die Endapparate der marklosen Fasern entsprechen, wie schon weiter oben bemerkt, ihrer Form nach im Wesentlichen denen der markhaltigen Nerven zweiter Ordnung. Ueber ihr Ver- halten zur Zwischensubstanz gelten die oben gemachten Angaben. Diese sind überhaupt für das Verhalten der Endapparate zur Muskelfaser für den Frosch allgemein gültig. Aus den Endigungen der dünnen markhaltigen, sowie denen der marklosen Nerven an einer Muskelfaser entwickelt sich zu- weilen eine neue epilemmale Nervenfaser, welche an derselben oder an einer benachbarten Muskelfaserähnliche, aber kleinere Endapparate bildet, oder einfach eine Verbindung mit der Endigung eines anderen Nerven derselben Art herstellt. Wenn sich mehrere Endigungen an einer Muskelfaser befinden und dureh mehrere blasse Fasern solche Verbindungen mit den multiplen Endapparaten einer andern Muskelfaser hergestellt werden, so kann eine aus Nerven- fasern und Endausbreitungen bestehende Netzbildung zu Stande kommen (Fig. 15). Alle diese Angaben,beziehen sich auf den Sterno-radialis des Frosches. Aber auch an dem Triceps femoris desselben Thieres 174 L. Bremer: habe ich sie verifieiren können und mögen dieselben mithin wohl als allgemeingültig für die Skeletmuskeln angesehen werden können. Im M. Hyoglossus des Frosches lässt sich die Grenze zwischen den markhaltigen Nerven der ersten und denen der zweiten Ordnung nicht mit derselben Leichtigkeit ziehen, wie im Sterno-radialis, weil die ersteren unter Umständen sehr markarm werden und sich dadurch den Nerven der zweiten Ordnung be- deutend nähern. Letztere verlaufen nicht in separaten Bündeln, wie dies oft im Sterno-radialis der Fall ist, sondern sie gehen neben denen der ersten Ordnung in gemeinsamen lamellären Scheiden, oder, wenn sie zu zwei verlaufen, in einer gemeinsamen Henle’schen Scheide einher. An marklosen Fasern ist dieser Muskel sehr reich. Sie entstehen ebenso, wie die im Sterno-ra- dialis, aus den markhaltigen Fasern zweiter Ordnung, verlaufen einzeln oder zu mehreren, in der Regel aber in gemeinsamen Henle’schen Scheiden mit markhaltigen Nerven zusammen. In Betreff der Endapparate der Nerven des M. Hyoglossus silt im Allgemeinen das, was darüber beim Sterno-radialis gesagt worden ist; doch kommen Eigenthümlichkeiten genug vor, die eine Einzelbesprechung der Nervenendigungen in diesem Muskel recht- fertigen. Wenn in dem Sterno-radialis der Verlust des Markmantels in einer beträchtlicheren Entfernung von dem Eintritt des Nerven in die Muskelfaser die Ausnahme ist, so ist dies hier die Regel. Uebergangsformen zwischen Endbüscheln und Endplatten kommen ziemlich häufig vor. Die typischen Endbüschel sind ver- hältnissmässig selten und die Doldenform ist die vorwiegende bei markhaltigen wie bei marklosen Nerven. Häufig betheiligen sich ein markhaltiger Nerv der ersten Ordnung und eine marklose Faser, die innerhalb oder ausserhalb der Henle’schen Scheide des ersteren verlaufen kann, an der Bildung einer Enddolde. Aus dieser sieht man dann zuweilen beide Nerven sich fortsetzen und an einer andern Muskelfaser einen ähnlichen Endapparat bilden. Häufiger jedoch ist es, dass aus dem Endzweige eines Endbüschels oder einer Enddolde eine marklose Faser sich fortsetzt, um an derselben oder an einer andern Muskelfaser kleinere doldenförmige Endapparate zu bilden. Abbildungen von diesem Verhalten habe ich beim Lingualis (siehe Fig. 18) gegeben. Auch Arndt (Dies. Arch. IX. pag. 481 seqq.) Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 175 hat dieses Verhalten gesehen und in Fig. 13, Taf. XX bei b ab- gebildet. Hiermit will ich aber die Zeichnung Arndt’s in allem Uebrigen nicht als zutreffend anerkannt wissen; meiner Meinung nach muss ihr ein unvollkommenes Goldpräparat zu Grunde gelegen haben. An den langgestreckten Enddolden kann man nicht selten Bilder finden, wie sie in Fig. 14 bei m (Hyoglossus) und Fig. 17 (vom Sterno-radialis) dargestellt sind. Vom Nerven, welcher in einer grösseren Strecke dem Muskel entlang läuft, treten in län- geren oder kürzeren Intervallen kleine Aestehen zum Muskel, welche dort kleinste Enddolden, oft nur in Form punetförmiger Anschwel- lungen, bilden. Der epilemmale Nerv springt dabei oft in wieder- holten Bögen über das Profil der Muskelfaser vor. Letzteres muss wohl auf Contraction der Muskelfaser an den betreffenden Stellen zurückgeführt werden (s. Fig. 14 m). Endapparate von markhaltigen und marklosen Nerven so ge- bildet, dass die Endzweige beider anastomosiren, sind nicht selten. Es kommen auf diese Weise Formen zu Stande, die eine frappante Aehnlichkeit mit Endplatten haben (Fig. 8). Auch separat, d.h. von verschiedenen Nerven gebildete Endbüschel und Enddolden können in Verbindung treten (Fig. 14 n). Markhaltige, von marklosen begleitete Nerven, beide ver- schiedenen Nervenbündeln angehörend, können sich in einer End- dolde treffen (Fig. 9). Eine und dieselbe marklose Faser gibt in dichotomischer Theilung einen Muskelzweig, der eine Enddolde bildet, und einen Gefässzweig ab. Seltener ist der in Fig. 12 abgebildete Fall, dass die Mutterfaser nicht marklos ist, sondern eine markhaltige Faser zweiter Ordnung. Im m. lingualis des Frosches gibt es Nervenstränge, die Ganglien enthalten, welche man im Hyoglossus und den Skelet- muskeln nie findet. Diese Ganglien liegen entweder innerhalb der lamellären Scheide oder in kapselartigen Ausstülpungen der- selben. Sie kommen in diesen Kapseln vereinzelt zu zwei, oder in Nestern von vielen vor. Auch an kleinsten Nervenbündeln und an Einzelfasern trifft man sie in verkleinertem Maassstabe. Die Nerven, welche mit ihnen in Verbindung stehen, sind entweder marklose oder markhaltige der zweiten Ordnung. Sie gehen ent- weder zu den Gefässen, oder vertheilen sich zwischen den Muskel- 176 L. Bremer: fasern, an welchen sie Endapparate bilden. Fast alle myelinhal- tigen Primitivröhren der ersten Ordnung scheinen marklose Fasern in ihren Henle’schen Scheiden zu führen. Marklose Nerven, einzeln oder in Bündeln von zwei und drei, unter einander anastomosirend und weite Maschen bildend, durch- ziehen den Muskel. In der Regel kann man bei genügender Länge der Fasern nachweisen, dass sie aus markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung stammen, doch lässt sich in allen Fällen dieser Nachweis nicht führen, da öfters ein markloser Nerv sich aus einem dieken Strange markhaltiger Fasern abzweigt und es dann nicht gelingt, über seine Herkunft ins Klare zu kommen. Einzelne marklose Fasern sowohl wie jene Maschensysteme stellen Verbin- dungen her zwischen zwei oder mehreren Nervenbündeln. Das typische Endbüschel kommt im M. lingualis fast gar nicht zur Beobachtung. Die Enddolde ist, wie auch im m. hyo- glossus, die vorwiegende Form. Doch herrscht hier die grösste Manigfaltigkeit und Regellosigkeit der Gestalten, die sich zuweilen sar nicht elassifieiren lassen (Fig. 19). Von den auffallendsten will ich die kreisförmige (Fig. 11) und die netzförmige (Fig. 10) Nervenendigung anführen. Die einfachsten Endapparate bestehen aus zwei oder drei knopfähnlichen Anschwellungen eines terminalen Axenecylinders. Selbst die Nerven der ersten Ordnung verlieren im M. lin- gualis fast ausnahmslos auf längere Strecken vor ihrem Endap- parate das Mark. Die Eigenthümlichkeit, dass sich hypolemmale Axeneylinder von Endapparaten aus wieder als epilemmale fortsetzen und neue Enddolden bilden, ist hier die Regel. Es kommen auf diese Weise Plexus- und selbst vielleicht Netzbildungen zu Stande, von ähn- licher nur noch viel complicirterer Form, wie es gelegentlich der Besprechung der marklosen Nerven im Sterno-radialis beschrieben worden ist. Alles, was über die Nervenendigungen im M. hyoglossus ge- sagt ist, findet auch für den M. lingualis seine Anwendung. Eine Eigenthümlichkeit, die vorzugsweise in diesem Muskel zur Beobachtung kommt, besteht darin, dass ein markloser Nerv, der sich oft in feinste Fibrillen auffasert, welche sich dann wieder zu einer Faser vereinigen, parallel neben einer Muskelfaser einher- läuft und von Strecke zu Strecke Ausläufer, einzeln oder zu Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 177 mehreren an dieselbe abgiebt, welche alle kleine Enddolden bilden (Fig. 13). Es können auch zwei und selbst drei marklose Fasern, Anastomosen bildend, eine Muskelfaser umflechten und in der an- gegebenen Weise innerviren. Dass ein markhaltiger Nerv sich theilt und der eine Zweig an eine Muskelfaser tritt, um hier einen Endapparat zu bilden, während der andere Gefässnerv wird, kommt hier noch öfter vor als im Hyoglossus. Nerven, welche mit Ganglien, manchmal mit einer Reihe von Ganglien in Verbindung stehen, bilden ebenfalls Nervenendigungen an den Muskelfasern, die sich morphologisch nicht wesentlich von den andern Nervenendigungen unterscheiden (Fig. 19). Grundkerne lassen sich, wenn auch nicht bei allen, so doch bei vielen Enddolden im Lingualis nachweisen, selbst in den klein- sten; ebenso eine granulirte Zone, während Verzweigungskerne selten gesehen werden (Fig. 18). Für die Untersuchung der Endplatten habe ich vorzugsweise Eidechsenmuskeln (Lacerta viridis und muralis), und zwar die- jenigen des Triceps und der Zunge benutzt. Die Nerven im Triceps femoris oder brachii lassen sich wie diejenigen im Sterno-radialis des Frosches und der Skeletmuskeln überhaupt, in die oben angegebenen drei Klassen theilen. Alles was an betreffender Stelle über das Verhalten und den Verlauf der Nerven gesagt worden ist, behält auch bei den in Rede stehen- den Muskeln seine Gültigkeit. Die markhaltigen Nerven der ersten Ordnung enden in den bekannten Endplatten an der Muskelfaser. Die Endplatte kommt dem Prineip nach durch die Theilung des Axencylinders in mehrere Endzweige, von welchen wieder kleinere Aeste ausgehen, zu Stande. Die Endzweige anastomosiren häufig miteinander und sind (bei Lac. viridis) zuweilen mit länglichen Kernen besetzt. Sie sind von einer granulirten Zone und einer beträchtlichen Anzahl von Grund- kernen umgeben. Letztere treten an guten Goldpräparaten deutlich in die Erscheinung. Die Kerne der Endverzweigung sind schwer nachzuweisen und scheinen überhaupt selten zu sein, während die Scheidenkerne, d. h. die Kerne der mantel- oder glockenartig über die Axeneylinderverzweigung ausgebreiteten Henle’schen Scheide an Profilbildern leicht zu erkennen sind. Manchmal theilt sich der zuführende Nerv in verschiedene markhaltige Segmente, welche 178 L. Bremer: dann, dem Sarcolemm aufliegend, dem epilemmalen Theile des Endbüschels beim Frosch entsprechen würden. Die markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung enden in langgestreekten Platten, die sich der Doldenform sehr nähern (Fig. 21), in der Regel aber haben sie schon, bevor sie ihren End- apparat bilden, ihr Mark verloren und enden in Dolden. Die Nerven der Zunge bei der Eidechse zeigen im Allgemeinen in ihrem Verlauf dasselbe Verhalten wie diejenigen der Frosch- zunge. Die markhaltigen Nerven der ersten Ordnung werden sehr markarm, die marklosen, aus denen der zweiten Ordnung hervor- sehend, anastomosiren miteinander. Die doldenförmige Endigung kommt hier öfter zur Wahrneh- nehmung als im Triceps, weil die marklosen Nerven in der Zunge ungleich zahlreicher sind als in den Skeletmuskeln. Markhaltige Nerven der ersten Ordnung verlieren häufig ihr Mark schon auf längere Strecken vor ihrem Endapparat, bilden aber immer nur eine Endplatte, nie eine Enddolde. In den Skeletmuskeln wie in den Zungenmuskeln der Eidechse findet man ähnlich wie beim Frosch, dass marklose Fasern in einer und derselben Henle’schen Scheide mit markhaltigen Nerven der ersten Ordnung verlaufen (Fig. 20 a) und unter Umständen eine gemeinsame Endplatte bilden (Fig. 22). Auch zwei markhaltige Nerven der ersten Ordnung, von ver- schiedenen Nervenbündeln kommend, können sieh zur Bildung einer Endplatte vereinigen (Fig. 24). Eine Muskelfaser kann zwei Endplatten aufweisen. Es kom- men zwei und mehrere Enddolden an einer Muskelfaser vor, oder eine Endplatte und eine oder mehrere Dolden zusammen. In eine Enddolde treten oft: mehrere marklose Nervenfasern ein (Fig. 18 B und Fig. 20). Auch die Endzweige der Nervenendplatte setzen sich in die Zwischensubstanz fort (Fig. 23). In den Muskeln des Hydrophilus gibt es nur marklose Nerven, welche von einfachen Scheiden umgeben sind. Bezüglich des Verlaufs der Terminalaxeneylinder im Nervenhügel von Hydrophilus bin ich zu keinem definitiven Resultate gekommen. An Goldpräparaten habe ich einige Male mit grosser Deutlichkeit Gebilde wie das in Fig. 25 abgebildete gesehen. Ausserdem glaube ich mit Bestimmtheit angeben zu können, dass ich an Querschnitten Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven ete. 179 von Muskelfasern, wie man sie bei Gold- Säurepräparaten oft in grosser Menge erhält, gesehen habe, wie ein Endzweig sich in die Zwischensubstanz fortsetzte, welche die Cohnheim’'schen Felder begrenzt. Der zuführende Nerv war in diesen Fällen an den Quer- schnitten haften geblieben. Die Beobachtungen Engelmann’s und Foettinger’s, nach welehen die Endzweige an die Zwischenscheibe gehen, konnte ich nicht bestätigen. An ÖOsmiumpräparaten sind allerdings die Bilder, welche man zuweilen erhält, sehr verführerisch, und die Zwischenscheiben, welche hier ganz besonders deutlich in die Erscheinung treten, laden den Beobachter förmlich ein, die Terminal- fasern zu ihnen verlaufen zu lassen. Doch konnte ich niemals Sicherheit darüber gewinnen, dass die Fädehen, welche scheinbar mit den Zwischenscheiben zusammenhingen, in der That Nerven- fibrillen waren. Ueber das Verhalten und den Verlauf der markhaltigen Nerven in dem quergestreiften Muskel sind die Angaben der Autoren noch unvollständig. Bekannt ist, dass neben den dicken markhaltigen Nerven, welche vorzugsweise den Vordersträngen entspringen, dünne markhaltige, die in den Hintersträngen ihren Ursprung haben, in Bündeln und Scheiden verlaufen. Volkmann stellte das numerische Verhältniss der beiden Nervenarten für den m. extensor digiti pedis longus des Menschen auf 100 zu 12 fest. Dies mag auch wohl im Allgemeinen den Ver- hältnissen in den Skleletmuskeln des Frosches entsprechen. Aus den vorhandenen Angaben scheint hervorzugehen, dass man die schmalen Fasern, welche ich als markhaltige Nerven zweiter Ordnung bezeichnet habe, stets mit den dunkleren dickeren Nerven (erster Ordnung) in einem und demselben Bündel zusammen verlaufen lässt; ich habe jedoch vielfach Bündel, welche aus- schliesslich aus Fasern der zweiten Ordnung bestanden, gesehen, die sich aus gemischten Bündeln abzweigten (vgl. Fig. 17 A). Auch ist der Unterschied bis jetzt nicht präeisirt worden, dass die dieken markhaltigen Nerven erst dicht vor ihrem Eintritt in die Muskelfaser marklos werden, während die markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung sehr häufig in frei verlaufende marklose übergehen, und dass letztere nur von markhaltigen Nerven der zweiten Ord- nung herstammen. In der Zunge des Frosches fällt dieser Unter- 180 L. Bremer: schied allerdings weg. Wie schon angegeben, verlaufen hier auch die markhaltigen Nerven der ersten Ordnung auf lange Strecken, bevor sie enden, als marklose. Eine Verwechslung der beiden Nervenarten ist also hier leicht möglich. Aber auch in den Skeletmuskeln ist es nicht immer leicht, die markhaltigen Nerven zu classifieiren. W. Krause sagt über diesen Punkt!): „Da sich der Durchmesser der doppelteontourirten Nervenfasern bei den Theilungen successive vermindert, so ist es schon an sich klar, dass keine speeifischen Unterschiede zwischen stärkeren und feineren Fasern bestehen können; die Beobachtung lehrt in der That das Vorkommen aller möglichen Uebergänge. Indessen sind im Allgemeinen die motorischen Nervenfasern (so- wohl in den Centralorganen als) in den peripherischen Nerven- stämmen stärker, die sensiblen feiner. Letztere sind früher mitunter als sympathische Fasern bezeichnet und solche dunkelrandige dürfen nicht mit den blassen resp. sympathischen Nervenfasern verwechselt werden.“ Ueber die pbysiologische Bedeutung der markhaltigen Nerven im Muskel und ihre Endverbreitung sagt derselbe Autor?): „Die nervi spinales, Spinalnerven, Rückenmarksnerven, ent- halten feinere und stärkere, doppelteontourirte Nervenfasern ge- mischt. Der Bau der letzteren ist vollkommen übereinstimmend, ihre Function aber verschieden: im Allgemeinen sind die feineren, auch wohl sympathische genannten sensibel; die diekeren moto- risch, ohne dass sich in Zahlen eine scharfe Grenze ziehen liesse. Jedenfalls überwiegen in den Muskelnerven die diekeren Nerven- fasern (Verhältniss wie 10: 1) in den sensibeln Nerven die feinern Fasern.“ „Es lässt sich das Gesetz nachweisen, dass die sensiblen Wurzeln in denjenigen Hautstellen sich verbreiten, welehe die von Fasern der gleichnamigen vordern Wurzeln versorgten Muskeln und deren Sehnen bedecken.“ Krause thut hiernach der marklosen Fasern im Muskel und ihres Ursprunges keine Erwähnung und lässt die markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung als solehe in die Haut treten, um sich hier zu vertheilen. 1) Allgemeine und mikroskop. Anatomie 1876. p. 370. 2) 1. c. p. 470. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 181 Auch Kölliker’s Angaben über den fraglichen Gegenstand sind nicht ganz vollständig): „Die in die Muskeln eintretenden Stämme bestehen vorzüg- lich aus dieken Nervenröhren, so dass auf 100 solehe im Mittel ungefähr 12 feine kommen (Volkmann). Im Innern des Muskels findet eine Verschmälerung derselben statt, so dass die Endplexus nur aus feinen Fasern, von dem Durchmesser von 2,2—5,6 u be- stehen, ja in einzelnen Fällen lässt sich die allmähliche Verschmä- lerung bestimmter Fasern selbst unmittelbar beobachten, was be- weist, dass dieselbe wenigstens in diesen Fällen nicht durch Theilung zu Stande kommt. Mit dieser Aendlerung im Durchmesser nehmen die Nervenröhren ganz das Ansehen der sogenannten sympathischen an und werden schliesslich blass, einfach begrenzt und zu Anschwellungen geneigt. Die blassen Endfasern messen beim Frosche 1,1—2,2 u.“ Aus diesen Angaben ist nicht ersichtlich, ob sieh die Eigen- thümlichkeit, dass markhaltige Nerven marklos werden, blos auf die dünnen (zweite Ordnung), oder auf die dieken (erste Ordnung) bezieht. In letzterem Falle entspräche die Angabe nicht den That- sachen in den Skeletmuskeln, während ihre Gültigkeit für die Zungenmuskeln unzweifelhaft ist. Specifische Endapparate für die Nerven der zweiten Ordnung und die marklosern Fasern in den Muskeln sind bis jetzt nieht beschrieben worden. Die letzteren liess man frei zwischen oder an den Muskelfasern, oder in knopfförmigen Anschwellungen, oder in Perimysium externum nach Art der Nerven der Cornea enden: Die Figuren 15, 16, 17, 19, 20, Taf. VIII beweisen nun, dass sowohl beim Frosche als bei der Eidechse die markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung und die aus ihnen hervorgehenden marklosen Nerven ganz bestimmte, characteristische hypolemmale Endapparate bilden. Wenn man früher freie Enden von marklosen Fasern ge- sehen hat, so hat es sich hier jedenfalls entweder um jene Fasern gehandelt, die von ihren Endapparaten losgerissen waren, oder in den meisten Fällen wohl um Fragmente von Gefässnerven. Dass ein Theil der markhaltigen Nerven der zweiten Ord- nung in die Haut geht, um sich dort zu vertheilen und dass die marklosen Nerven theilweise in dem Perimysium externum einen 1) Kölliker Gewebelehre 1867, p. 169. Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 21. 15 3 182 L. Bremer: Endplexus bilden, ist von verschiedenen Beobachtern nachgewiesen worden und unterliegt wohl keinem Zweifel. Ebenso sicher aber ist es, dass ein anderer Theil jener Nerven an den Muskelfasern selbst die beschriebenen Endapparate bildet. Beim Frosch sind diese Endigungen in den Skeletmuskeln so characteristisch, dass sie in zweifelhaften Fällen das Kriterion abgeben können, ob man es mit einem markhaltigen Nerven der ersten oder einem der zweiten Ordnung zu thun hat. Bei der Eidechse ist in zweifelhaften Fällen die Entscheidung schwieriger als beim Frosch, weil, vorzugsweise bei Lacerta viridis, selbst die Nerven erster Ordnung sehr langgestreckte Endplatten, welche sich der Doldenbildung bedeutend nähern, bilden können. Hier muss der Gesammteindruck der Endigungen und das Vor- handensein oder Fehlen des Ueberganges der markhaltigen in marklose Nerven und die damit verknüpfte Enddoldenbildung ent- scheiden. In der Zunge der Eidechse habe ich Nerven der zweiten Ordnung nicht beobachtet, will aber deren Vorkommen nicht be- streiten. An Stelle derselben findet man marklose, gewöhnlich zu mehreren verlaufende, enddoldenbildende Fasern, welche sich, ab- gesehen von ihren sonstigen morphologischen Eigenschaften, durch diese Endapparate von den marklosen Nerven, die aus markhaltigen der ersten Ordnung hervorgehen und typische Endplatten bilden, unterscheiden. Nach dem Gesagten muss die Auffassung Tschiriew’s, nach welcher die Enddolden der Eidechsen em bryonale Formen seien, als hinfällig erscheinen, mag man nun diesen Ausdruck als syno- nym mit jung, noch nicht ausgebildet oder mit mangelhaft, abortiv auffassen. Bei manchen Enddolden liesse sich wohl an eine schliessliche Transformation in typische Endplatten denken, dagegen giebt es andere, die so langgestreckt sind, dass die frag- liche Umwandlung als schlechterdings unmöglich erscheinen muss. Der Umstand ferner, dass an der Bildung einer Enddolde gewöhn- lich mehrere marklose Fasern theilnehmen, dass dieselben oft drei bis vier Enddolden an einer Muskelfaser bilden, und dass dies in allen Muskeln der Eidechsen der Fall ist: alles dieses spricht für den speeifischen Character dieser Endigungsform. Betrachtet man nun die den Enddolden entsprechenden Endapparate in den Skelet- muskeln des Frosches, so ist es erst recht nieht denkbar, wie aus Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 183 einer Endigung eines Nerven der zweiten Ordnung oder einer marklosen Faser ein Endbüschel der gewöhnlichen Form werden könnte. Diese Bildungen sind so eigenthümlich und so constant, dass sie als Endapparate sui generis aufgefasst werden müssen. Die Nervenendigung beim Frosch, d. h. das typische End- büschel, wie es vor zwanzig Jahren von Kühne entdeckt und besehrieben, und der Hauptsache nach von spätern Beobachtern bestätigt wurde, hat von jeher eine exceptionelle Stellung unter den Nervenendigungen der Wirbelthiere eingenommen. Kühne besonders legt grosses Gewicht auf den morpholo- gischen Unterschied der beiden Typen, des Endbischels und der Endplatte, und urgirt für den ersteren als Besonderheit die der Längsachse der Muskelfasern parallel laufenden Gabelungen der terminalen Axeneylinder. In einer neueren Arbeit!) über diesen Punkt sagt er: „Dies darf als erledigt erachtet werden, dass nieht nur zwi- schen meinen Angaben über das ausschliessliche Vorkommen sog. blasser Terminalfasern bei den Amphibien und solehen Angaben, welche diese von mir gefundene Form intramuseulärer Axeneylinder den Nervenhügeln der übrigen Thiere ebenfalls zuschrieben, keine Gemeinsamkeit besteht, sondern dass das Objeet in Wahrheit nichts davon zeigt. Der Unterschied zwischen meiner Darstellung der Platte im Nervenhügel und derjenigen, welche darin blasse Terminal- fasern sah, ist grösser, als der zwischen einem entlaubten Weiden- zweige und dem Schaufelgeweihe des Dammhirsches.‘ In seiner neuesten Arbeit?) über denselben Gegenstand sagt der genannte Forscher: „Es giebt bei den Amphibien kein hypo- lemmales Nervengeäst ohne Parallelfasern und nur unsymmetrische bajonetartige Abgabelung derselben von den Wurzeln.“ Diesen Angaben vermag ich nach meinen Beobachtungen nicht beizupflichten. Man hat schon seit Langem nach Vermittlungsformen zwischen Endbüscheln und Endplatten gesucht, um jene ihrer Sonderstellung unter den Nervenendigungen bei den Wirbelthieren zu entheben. 1) Zur Histologie der motorischen Nervenendigung. Unters. aus dem physiolog. Institut der Universität Heidelberg. Bd. II. 1878. 2) Ueber das Verhalten des Muskels zum Nerven. Unters. aus dem physiologe. Institut der Universität Heidelberg 1879. 184 L. Bremer: Einen Schritt vorwärts auf diesem Gebiete machte in neuester Zeit Tsehiriew!), welcher eine intermediäre Form bei der Blind- schleiche beschreibt, die, obwohl die gewöhnliche Form der Nerven- endigung bei diesem 'Thiere die Endplatte ist, dem Endbüschel des Frosches sehr nahe kommt. Man weiss ausserdem längst, dass bei Lacerta viridis End- platten vorkommen, deren Endzweige so weit auseinanderstehen, dass sie sich in ihrem Aussehen dem Endbüschel nähern. Man kann aber auch den Beweis, dass zwischen den zwei Typen der Nervenendigungen der Wirbelthiere kein wesentlicher Unterschied besteht, dass Endbüschel und Endplatte ihrem Prineip- nach mehr oder weniger verästelte und verdiekte terminale Axen- eylinder sind, umgekehrt durch die Thatsache erbringen, dass es beim Frosch Formen von Endapparaten giebt, welche den End- platten ähnlich sind (Figg. 2, 5, 8). Dies bestätigt die Richtigkeit der Beobachtungen, die schon vor Jahren von Waldeyer und Axel Key über Endplatten im Froschmuskel gemacht wurden. Dieselben Einkerbungen der Endzweige, derselbe unregel- mässige Verlauf unter beliebigen Winkeln zur Längsaxe der Muskel- faser und dieselben kugeligen oder ovalen, durch Gold-Säurewir- kung abgeschnürten Fragmente finden sich bei den Nervenendigungen des Frosches wie bei denen der Eidechse. Was aber die beiden Thiere rücksichtlich ihrer Nervenend- apparate besonders nahe bringt, ist die beiden gemeinsame Dolden- traubenform. Ein zweiter Unterschied zwischen Endbüschel und Platte sollte darin bestehen, dass beim ersteren die Anastomosen der intermuskulären Endzweige fehlen. Ranvier hat diesen Unterschied nicht anerkannt, indem er das Vorkommen von Anastomosen auch für die Endplatte bestreitet. Auch Tschiriew besteht auf der einfachen Arborisation, obgleich seine Abbildung einer Endplatte der Eideche, wie schon Kühne bemerkt hat, gegen seine eigene Behauptung spricht. Thatsache ist, dass diese Anastomosen bei- den Endplatten vorhanden sein können, dass sie ihr aber nicht ausschliesslich zukommen, sondern dass sich dieselben auch in den Endapparaten des Frosches, ob- IM. © Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 185 gleich bei Weitem nieht mit derselben Häufigkeit wie bei den übri- sen Wirbelthieren, nachweisen lassen. Beim Frosch habe ich sie vorzugsweise gefunden an End- apparaten, die von markhaltigen Nerven der ersten Ordnung und marklosen gebildet werden, im M. hyoglossus (Fig. 8), ferner sehr häufig in den Endigungen der markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung und der marklosen in den Skeletmuskeln (Fig. 15 an der Muskelfaser A im Verlaufe des Nerven e und in Fig. 16 um den mit a, bezeichneten Grundkern herum), und schliesslich sogar in Endbüscheln, welche mit Ausnahme dieser Eigenthümlichkeit alle characteristischen Eigenschaften aufweisen, die dem typischen End- büschel zukommen (Fig. 1). Im M. lingualis habe ich eine intra- musculäre Netzbildung der Endzweige an allen möglichen En- digungsformen constatiren können. Ein dritter Unterschied, den man darin suchte, dass man den Nervenhügeln und den Endplatten eine Plattensohle oder, richtiger, eine granulirte Zone als etwas diesen allein Zukommendes beschrieb, ist auch hinfällig. Je mehr sich in dem Endapparat des Frosches die terminalen Axeneylinder gegenseitig nähern, je mehr sie der Endplattenform ähneln, desto mehr tritt auch hier eine granulirte Zone hervor, wie diese umgekehrt spärlicher in der Endplatte der Eidechse wird, je mehr sich die terminalen Axencylinder von einander entfernen. Auch bei der Enddolde ist die Zone oft nach- zuweisen. Durch übermässige Säureeinwirkung bei der Goldbehandlung kann die granulirte Masse der Endapparate bei allen Thieren, wo sie überhaupt vorkommt, zum Verschwinden gebracht werden. Die Engelmann’sche Beobachtung über die granulirte Sub- stanz in der Nervenendigung beim Frosch kann also als bestätigt angesehen werden; und wenn, wie behauptet worden ist, die Krause’sche Entladungstheorie an dem angeblichen Mangel jener Substanz bei dem Frosche scheiterte, so stünde deren Wahrschein- lichkeit von dieser Seite kein Hinderniss mehr entgegen. Dass aber die Plattensohle nieht in dem Sinne, wie Krause und Kühne sie auffassen, besteht, sondern dass sie eine Lage von protoplasmatischer Substanz an oder neben den Endzweigen, nicht unter derselben ist, wie dies schon von Ranvier be- hauptet worden ist. dafür wird der Beweis weiter unten erbracht werden. 186 L. Bremer: Ein vierter Unterschied, der Mangel von Grundkernen bei den Nervenendapparaten des Frosches, besteht ebenfalls nicht. An den typischen Endbüscheln bemerkt man diese Kerne nicht so häufig als an den Endigungen der markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung und der marklosen. Ob dies darin seinen Grund hat, dass man diese überaus zarten Gebilde nur bei der günstigsten Goldwirkung zu Gesichte bekommt und wenn die Muskelfaser ge- rade im Zustande der genügenden Entfärbung angetroffen wird, während das derbere Endbüschel schon bei mangelhafter oder (für den Muskel) zu intensiver Goldwirkung erscheint, oder ob sie bei letzterem in der That seltener sind, lasse ich dahin gestellt. Ihr Vorkommen bei allen Endigungsformen unterliegt keinem Zweifel. Constant jedoch scheinen sie nicht zu sein. Die Frage über den hypolemmalen oder epilemmalen Verlauf der terminalen Axencylinderausbreitung dürfte wohl definitiv zu Gunsten der Behauptung Kühne’s und seiner Anhänger gegen Kölliker und Krause entschieden sein. Dass bei den Arthro- poden die Endzweige unterhalb des Sarcolemms liegen, darüber herrscht wohl keine Meinungsverschiedenheit, da man selbst an der frischen Muskelfaser den Uebergang der Bindegewebsscheide des Nerven in das Sarkolemm leicht wahrnehmen kann. Den intra- muskulären Verlauf der Endzweige beim Frosch beweisen, ausser Kühne, Cohnheim durch seine Silberbilder und Ranvier durch Osmiumpräparate. Diesem entgegen steht die Behauptung Köl- likers, dem Krause beistimmt, dass viele blasse Enden beim Frosch entschieden aussen am Sarcolemm liegen. Ich selbst habe beobachten können, dass zuweilen Terminalfasern über das Profil der Muskelfaser hervorragen. Bei näherer Untersuchung konnte ich jedoch einen Riss im Sarcolemm nachweisen. Es giebt, wie schon oben angegeben, allerdings Endigungen, deren intramuskuläre Axeneylinder das Sarcolemm wieder durehbohren, sich wieder mit Schwann’scher Scheide versehen zeigen und, auf längere oder kürzere Strecken neben der Muskelfaser einherlaufend, später wieder hypolemmal werden, unter Umständen auch, wie betreffen- den Orts beschrieben wurde, an derselben oder einer benachbarten Muskelfaser neue Endigungen bilden. Kölliker’s Angabe ist also correet insofern, als ein Endzweig epilemmal verlaufen mag. Solche epilemmale Endzweige zeichnen sich von deu hypolemmalen durch schärfere, glattere Contouren, dureh geringeren Diekendurchmesser Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 187 und kleinere Kerne, die gewöhnlichen Kerne der Schwann’schen Scheide, aus. Scheidenlose extramuskuläre terminale Axencylinder giebt es nicht. Ausser den beiden angeführten negativen Beweisen für den hypolemmalen Verlauf der Endzweige durch Silber- und Osmium- präparate, und abgesehen davon, dass bewährte Forscher, beson- ders Kühne, an frischen Muskelfäden die intramuskuläre Lage der Endzweige beobachteten, können auch Präparate, die nach dem Loewit’schen Verfahren angefertigt werden, den Beweis dafür liefern. Sowohl beim Frosch wie bei der Eidechse lässt sich darthun, dass die sogenannten (hypolemmalen) Endverzweigungen in Wahr- heit nicht die letzten Endigungen der Nerven im Muskel sind, dass sie nicht abrupt endigen, sondern sich allmählich in eine ihnen ähnliche Masse, eine feine granulirte Substanz, die Zwischen- substanz der Muskelfasern, fortsetzen. Engelmann!) stellte dieses Verhalten als physiologisches Postulat auf. Gerlach erbrachte den anatomischen Beweis dafür. Die Beobachtungen Gerlach’s, welche allen bis dahin gül- tigen Anschauungen zuwider liefen, haben bei einer ganzen Reihe von Nachuntersuchungen (Biedermann, Fischer, Ewald u. A.) keine Bestätigung gefunden. Auch Ranvier bestreitet ihre Richtig- keit. Die Mehrzahl der Histologen läugnet die Continuität der Endzweige mit der Zwischensubstanz. Eine Contiguität soll nach Fischer und Ewald allerdings beim Frosch bestehen, während bei den beschuppten Reptilien, den Säugern und Vögeln die granulirte Plattensohle zwischen contractile Substanz und Nerven- ausbreitung treten soll. Dieselben Autoren halten die Sprenkelungen an den vergoldeten Muskelfasern für Fettgranulationen, eine Be- hauptung, die schon durch Biedermann’s Untersuchungen als nicht zutreffend nachgewiesen ist. Fett wird nicht durch Gold gefärbt, wenigstens nicht in der intensiven Weise, wie man dies an den Sprenkelungen beobachtet. Es wird allgemein zugegeben, dass man nach der Gerlach'- schen Methode elegante Goldbilder von Nervenendigungen dar- stellen kann, aber die Resultate seiner Untersuchung sind nicht anerkannt worden. 1) Contractilität und Doppeltbrechung. Pflüger’s Arch. XI. 188 L. Bremer: Ohne den Gerlach’schen Vorschriften zu folgen (Entfärbung der vergoldeten Muskelfaser durch Cyankalium) habe ich Bilder erhalten, welche die Gerlach’sche Auffassung zum Theil zu stützen im Stande sind. Im Prineip stimmt übrigens die von mir angewandte mit der späteren Gerlach’schen Methode überein, insofern sie sich auf verlängerte Säureeinwirkung auf die vergoldete Muskelfaser stützt. Mit Kunstprodueten hat man es bei den so erlangten Bildern, welche den Zusammenhang zwischen Endfasern und Zwischensubstanz beweisen, nicht zu thun. Es ist eine bekannte Thatsache, die schon Kühne bei der Vertheidigung der Anasto- mosen der Endzweige in der Platte hervorgehoben hat, dass die Säurebehandlung wohl Abschnürungen erzeugt, bestehende Verbin- dungen trennt, nicht aber auf der andern Seite Verbindungen her- stellen kann, wo früher keine vorhanden waren. Gerlach hat die Vorstellung, dass die Muskelfaser als con- tractile Endausbreitung des Nerven aufzufassen sei, dass die con- traetile oder anisotrope Substanz Cylinder darstelle, die von einem dünnen Mantel isotroper oder nervöser Substanz umgeben seien und dass dieser Mantel sich an einer Stelle streifenartig verdicke. Diese streifenartige Verdiekung sei die Ursache der Längsstreifen an dem Längsschnitt der vergoldeten, der Säurewirkung längere Zeit ausgesetzten Muskelfaser. Er bringt seine Beobachtungen in Verbindung mit den physiologisch-histologischen Schlussfolgerungen Engelmann’s, „dass nach Entfernung der contractilen doppelt- brechenden Theilchen aus dem Muskelfaden ein Gebilde übrig bleibe, das in physiologischer Hinsicht von einem Nerven nicht wohl abweichen würde. Denn ihm würden die Eigenschaften der Reizbarkeit, sowie des Reizleitungsvermögens und auch der Haupt- sache nach dieselben electro-motorischen Wirkungen wie einem Nerven zukommen. Die isotrope Substanz der Muskeln würde demnach als eine, wenn auch etwas modificirte Fortsetzung des Axeneylinders der motorischen Nervenfaser zu betrachten und als nervöse von der contractilen oder motorischen zu unterscheiden sein. Wahrscheinlich sei es auch, dass sie die anatomisch mit dem Axenceylinder am innigsten verbundene sei. Die Feststellung des letzteren Punktes sei von grösster Wichtigkeit, scheine aber mit unseren gegenwärtigen Hülfsmitteln nieht wohl erreichbar zu sein.“ Gerlach nun geht in seinen Sehlussfolgerungen noch radiealer Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven ete. 189 zu Werke, indem er die isotrope Substanz nicht als „modifieirte Fortsetzung des Axencylinders“ auffasst, sondern als identisch mit „nervös“ annimmt. Selbst die Muskelkerne sieht er als nervös an, weil sie isotrop seien. Eine logische Folge dieser Anschauungs- weise ist die Aufstellung seines „intravaginalen Nervennetzes“. Dagegen wäre zu bemerken, dass es Muskelfasern giebt, die in keinem Zusammenhang stehen mit Nerven und dennoch die gewöhnlichen optischen Erscheinungen, speciell auch die Zwischen- substanz der mit Nerven versehenen darbieten. Physiologisch ist dieser Mangel an Innervation von Kühne an einem Theile des Sartorius nachgewiesen worden. Ich selbst habe an den Muskeln im Schwanze der Eidechse, die man ihrer Kürze wegen leicht übersehen kann, nervenlose Fasern gefunden. Ausserdem würde gegen eine vollständige Identität der Umstand sprechen, dass bei übermässiger Säureeinwirkung die isotrope Substanz schwindet, während die Terminalfasern des Axenceylinders bleiben. Ich ver- mochte mich nun an meinen Präparaten wenigstens von einem Zusammenhange der sogenannten Zwischensubstanz der Muskel- fasern mit den nervösen Endzweigen zu überzeugen. Beweisende Bilder erhält man nur bei sehr günstiger Gold- reaction. Am besten konnte ich den Nachweis an solchen Muskel- fasern erbringen, welche genügend entfärbt die parallelen, conti- nuirlichen Streifen mit grosser Deutlichkeit aufwiesen. Die Muskel- substanz war blass rosa oder matt weiss. Besonders waren es die Endapparate der markhaltigen Nerven zweiter Ordnung in den Skeletmuskeln des Frosches, welche die frappantesten Bilder lieferten. Nervenendzweige und Zwischensubstanzlinien waren hier oft vollständig mit einander verschmolzen und die erstere setzte sich stets allmählich in die letzteren fort. Ebenso überzeugend waren Endplatten von Eidechsen, welche durch Zerdrücken der zugehörigen Muskelfaser losgelöst waren. Hier konnte ich oft lange Fortsätze der Endfasern, von Zwischen- substanz gebildet, wahrnehmen (Fig. 23). Das von Gerlach dargestellte Netz in der Nähe der End- büschel und Endplatten habe ich nicht gesehen. Anders als Gerlach und ich fasst Flesch bei den mensch- lichen Endplatten (Sitzung der physikal. med. Ges. in Würzburg) S. Mai 1880) den Zusammenhang zwischen der Endplatte und der Zwischensubstanz auf. Wenn ich ihn recht verstehe, so bezeichnet 190 L. Bremer: er mit dem Namen „Endplatte“ das, was Kühne und Andere „Sohlensubstanz“ genannt haben, d. i. die feinkörnige, protoplas- matische kernhaltige Masse, in welcher die hypolemmale Verä- stelung des Axencylinders liegt, denn er spricht von einer „Aus- breitung des Axencylinders in dem Protoplasma der Endplatte.‘“ ör stellt nun als sicher hin, dass die Zwischensubstanz des Muskels mit dem Protoplasma dieser seiner Endplatte zusammenhinge. Die Gerlach’sche Entdeckung beweist nun ausser dem hypo- lemmalen Verlaufe der Endverzweigung, dass eine Plattensohle und damit eine Endplatte in der gewöhnlichen physiologischen Auffassung dieses Gebildes nicht existirt, dass die granulirte Sub- stanz nicht unter den terminalen Axencylindern, sondern zwischen und an denselben gelagert ist, wie dies auch Ranvier, der im Uebrigen das beschriebene Verhältniss zwischen Endzweigen und Zwischensubstanz verneint, behauptet hat. Wenn meine Präparate die Gerlach’sche Auffassung unterstützen, so gehe ich, wie ich ausdrücklich hervorheben will, in der Deutung der Bilder nicht so weit, wie der genannte Forscher. Was ich einzig behaupten will und kann, ist, dass die hypolemmalen Axencylinder nicht scharf abgeschnitten aufhören, sondern dass ihre Substanz sich ohne wahrnehmbare Grenze in die sogenannte Zwischensubstanz der Muskelfaser fortsetzt, mit diesen in Öonti- nuität steht. Folgt daraus, dass nun die Zwischensubstanz selbst nervös ist, oder gar, nach Gerlach’scher Interpretation, dass durch den ganzen Muskel hindurch ein ungemein dichtes, feines (intravaginales) Nervennetz vorhanden ist? Keineswegs! Denn ich glaube nicht, dass man so weit gehen darf, alle protoplasmatische Substanz, welche in continuirlicher Verbindung mit einem Nerven steht, ohne weiteres selbst als nervöser Natur anzusprechen. Dann müssten auch alle Epithelzellen (vgl. z. B. die Verhältnisse beim Amphioxus), alle Drüsenzellen, mit denen man Nerven in Verbindung gesehen hat, als Nervenzellen angesprochen werden, was doch wohl Niemand vertreten möchte. Die Annahme eines continuirlichen Ueberganges von Axencylindersubstanz in die Zwischensubstanz bietet aber, da beides protoplasmatisches Material ist, an und für sich keine Schwierigkeiten. — Wir stehen hier vor einer prineipiellen Frage von grösster Bedeutung. Angesichts der neueren Angaben von Pfitzner!) muss nämlich erwogen werden, ob denn überhaupt ein Axeneylinder, resp. eine Axenfibrille mit dem Protoplasma einer Epithel- resp. Drüsen-Zelle in continuirlicher Verbindung stehe, in ihm aufgehe. Waldeyer in seinem Referate über den jetzigen Stand der Lehre von den Nervenendigungen (dieses Archiv XVII. 367) hat sich der Ausdrücke bedient: „Endigung in einer Zelle“ und „Endigung mit einer Zelle.“ Im ersteren 1) Morphol. Jahrb. Bd. VII. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven ete. 191 Falle liegt die Sache so, wie Pfitzner es abbildet, dass der Nerv in das Protoplasma einer Zelle zwar eindringt, aber bis zu seinem letzten Ende distinet sich erhält, d. h., dass seine Substanz mit der des Zellenleibes nicht ver- schmilzt, im zweiten Falle geht die protoplasmatische Axencylindersubstanz in das Zellenprotoplasma einfach auf. Dass in solchen Fällen die terminale Zelle sich wie eine Ganglienzelle ausnimmt, liegt auf der Hand. Indessen lässt sich das nicht ohne weiteres entscheiden. Jedenfalls muss bei allen Nervenendigungsuntersuchungen auch diese Seite der Sache genau in’s Auge gefasst werden. Beim Muskel tritt dieselbe Frage wieder auf. Auch hier handelt es sich darum festzustellen, ob die Nerven re vera enden, d. h. wie abgeschnitten aufhören und nur eine Oontiguitäts-, nicht aber eine Continuitäts- Verbindung mit irgend einem Bestandtheile des Muskels eingehen, oder ob nicht sowohl ein Nervenende, als ein Uebergang, eine organische Verbin- dung zwischen Nerv und Muskelsubstanz besteht. Meine Präparate sprechen für das letztere. Verfrüht aber wäre es, nun auch die betreffende Muskel- substauz als nervöser Natur ansehen zu wollen; darüber wage ich keine Entscheidung. (Späterer Zusatz.) Die Ergebnisse der hier mitgetheilten Untersuchungen lassen sich wie folgt zusammenfassen: Bezüglich noch controverser Puncte stelle ich mich auf Seite Kühne’s: 1) in der Frage nach der Lagerung der Endausbreitung des Nerven, diese ist eine hypolemmale; 2) bestätige ich ihm das Vorkommen mehrerer Endapparate an einer und derselben Muskel- faser beim Frosch, sowie 3) die Existenz von Anastomosen zwischen den hypolemmalen Axeneylindern der Endplatten — vgl. auch weiter unten. — Ich kann dagegen Kühne nicht zustimmen in der scharfen Unterscheidung der von ihm angenommenen beiden Typen der Muskelnervenendigung, vielmehr vermochte ich zahlreiche Uebergangsformen zwischen den typischen Endapparaten beim Frosche und bei den Eidechsen nachzuweisen. Bezüglich der granulirten Substanz stimme ich Ranvier zu, welcher dieselbe als eine protoplasmatische Zone auffasst, die in derselben Ebene mit den Endzweigen an diesen letzteren, jedoch nicht wie eine Sohle unter denselben, d. h. zwischen der nervösen Endausbreitung und der contractilen Substanz, gelegen ist. Ferner bestätige ich ihm die drei Kernformen (bei L. viridis), Scheiden-, Grund- und Geästkerne (noyaux de l’arborisation), sowie den Um- stand, dass nicht die Schwann’sche Scheide, sondern die Henle'- sche Scheide es ist, welche in das Sarkolemma sich fortsetzt. Mit Gerlach muss ich eine continuirliche Verbindung zwischen hypo- lemmalen Axeneylindern und der Muskelzwischensubstanz an- 192 L. Bremer: nehmen, möchte jedoch daraus nicht folgern, dass letztere nervöser Natur sei. Als neue glaube ich unter meinen Resultaten nachstehende bezeichnen zu dürfen: 1) Dass unter Umständen zwei markhaltige Nerven in einen und denselben Endapparat eintreten können (vgl. Fig. 9 und 24). Man könnte vielleicht diese beiden abgebildeten Fälle auch dahin interpretiren, dass zwei benachbarte Endplatten einer und derselben Muskelfaser in anastomotische Verbindung setreten seien. 2) Die so häufige Betheiligung markloser Fasern an der Bildung der Endapparate. Hier können mehrere Fälle unterschieden werden: entweder werden die Nervenfasern auf kürzere Strecken vor dem Uebergange zum Muskel marklos und auf dieses Verhalten möchte ich ein besonderes Gewicht nicht legen, obgleich dasselbe auch nicht hinreichend anerkannt ist, oder aber es treten ganz feine marklose Fasern, deren Herkunft von markhaltigen man selbst bei Verfolgungen auf lange Strecken hin nicht zu constatiren im Stande ist, in einen Endapparat ein. Sie können mit einer markhaltigen Faser zusammen diesen Endapparat bilden und anastomosiren dann beide Fasern in eben diesem Ap- parate, oder sie bilden auch einen terminalen Apparat für sich allein. Die auf langen Strecken marklos verlaufenden Fasern bilden stets Endapparate von abweichender Gestalt, die ich als „doldenförmige“ bezeichnet habe. Besonders hervorzuheben ist noch, dass es dieselben marklosen Fasern sind, welche zu den Gefässen treten und zu den eben genannten Enddolden (Froschzunge). Bezüglich einiger Einzelheiten, die theils als neu gelten dürfen, theils bisher unbestimmt blieben, erwähne ich ferner als Resultate meiner Untersuchungen noch folgende: Die sogenannten „noyaux de l’arborisation“ Ranvier’s halte ich mit Engelmann für die Kerne der Schwann’schen Scheide. Ich gedenke in einer späteren Mittheilung über die Kühne’schen Muskelspindelu das Nähere hierüber beizubringen. — In der Regel nehmen an der Bildung einer Enddolde bei Eidechsen und Fröschen mehrere marklose Fasern Theil. — Enddolden kommen in allen Eidechsen- und Froschmuskeln, auch in den Skeletmuskeln, vor. — Bemerkens- werth ist ferner der fast vollständige Mangel an Endbüscheln im M. Lingualis des Frosches; dagegen tritt hier eine Plexusbildung markloser, Enddolden bildender Nerven hervor, desgleichen auch im Lingualis der Eidechse. — Anastomosen in Endbüscheln und Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 193 Enddolden des Frosches sind bisher nicht bekannt gegeben worden, ich habe oben auf das Vorkommen derselben hingewiesen; ebenso fehlte bis jetzt der Nachweis eines Zusammenhanges von Muskelnerven mit Ganglienzellen, wie ich ihn für den Lingualis des Frosches geben konnte. Ieh will nieht unerwähnt lassen, dass durch die von mir be- stätigten zahlreichen Anastomosen innerhalb einer und derselben Endplatte, so wie durch die hier beschriebene Vereinigung zweier von verschiedenen Nervenbündeln stammenden markhaltigen Fasern in einem Endapparate und durch die so häufige Verschmelzung markhaltiger und markloser Fasern die Valentin’schen und Emmert’schen Endschlingen in gewisser Weise rehabilitirt werden. Die Angaben der Autoren über Muskelnervenendigung sind, so weit sie sich mit den hier zusammengestellten Resultaten be- rühren, meist im Text berücksichtigt worden; nur glaube ich noch genauer auf die Untersuchungen Beale’s und Tschiriew’s zurückkommen zu sollen, da grade bei diesen Beiden die meisten Hinweise auf diejenigen meiner Ergebnisse sich finden, welche ich als neue glaubte ansehen zu dürfen. Einer Angabe Beale’s!), wonach die von ihm so genannten „nerve tufts“ in der Zunge des Chamäleon mit den Capillarnerven in Verbindung stehen sollen, kann desshalb keine Bedeutung für unsern Gegenstand beigelegt werden, weil diese „nerve tufts“ durchaus nicht den jetzt allgemein acceptirten Endapparaten, in vorliegendem Falle also wohl der Endplatte, entsprechen. Beale vertrat zur Zeit jener Angabe gegen die deutschen Forscher auf diesem Gebiete die Lehre der intramuskulären Nervennetze und Endschlingen, die niemals in direete Verbindung mit den Muskel- fasern treten sollten, ein Standpunkt, der selbst damals längst durch die Untersuehungen Kühne’s, Krause’s und Rouget’s als unhaltbar erwiesen worden war. Beale’s intramuskuläre Nervennetze, welche schon von Kühne?) richtig als Bindegewebe interpretirt worden waren, haben mit den marklosen Nerven und ihren Endapparaten, wie ich sie für die Skelet- und Zungenmuskeln im Frosch und in der Eidechse beschrieben habe, nichts gemein. 1) „The nerves of capillary vessels and their probable action in health and disease.“ Monthly mierosceop. Journ. Vol. VII. 1872. p. 9. 2) Ueber die peripherischen Endorgane der motorischen Nerven. 1862. 194 L. Bremer: Die Figuren 182, 183, 184, 380 und 384 in seinem Werke „How to worck with the mieroseope“ 4. ed. 1868 zeigen, dass Beale wirkliche Endplatten und Endbüschel noch nicht gesehen hatte, und da er in einer Controverse mit Klein im Jahre 1872!) immer noch sein intramuskuläres Nervennetz in dem Sinne der feinsten Nervenvertheilung an den Muskelfasern vertheidigt, so be- weist dies, dass er damals, als er die Behauptung aufstellte, dass er eine feine Nervenfaser von einem nerve tuft an ein benaechbartes Capillargefäss verfolgt hätte, die wahren Nervenendigungen immer noch nicht kannte. Der Name „nerve tuft“ ist von ihm überhaupt nieht in dem Sinne einer Nervenendigung gebraucht worden?). Dagegen scheint Beale den Verlauf einer marklosen neben einer markhaltigen Nervenfaser in einer gemeinsamen Scheide, welche letztere er übrigens nicht als solche, sondern als eine Masse durchsichtigen Bindegewebes auffasst, beobachtet zu haben?). Dass Tschiriew die Zwischenformen der Endbüschel und der Endplatten gekannt hat, ebenso wie die von ihm als „termi- naisons en grappe“ beschriebenen abweichenden Formen, ist schon vorhin bemerkt worden. Ferner hat er bereits constatirt, dass die in die „grappes“ eintretenden Fasern zwar aus markhaltigen hervor- gehen, jedoch bereits auf längere Strecken vorher marklos werden. Aber er hält (im speciellen Falle bei den Reptilien) ebenso wie seine Vorgänger, die beiden Arten von markhaltigen Fasern nicht auseinander. Der Schwerpunkt meiner Angaben liegt darin, dass jene in Dolden (Trauben, Tschiriew) endenden marklosen Fasern, falls ihre Herkunft überhaupt bestimmbar ‚war, stets aus mark- haltigen Fasern der zweiten Ordnung hervorgingen. Soviel dies möglich gewesen ist, habe ich bis jetzt die phy- siologische Seite der Frage vermieden. Sind die markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung und die blassen Fasern in den Skelet- muskeln sensible Nerven? Hierüber könnte in letzter Instanz viel- leicht nur die Durehsehneidung der Hinterstränge des Rückenmarkes mit nachfolgender Untersuchung der von diesen ausgehenden peri- 1) Monthly microse. Journ. 1872. p. 253. 2) Vel. On the ultimate nerve-fibres distributed to muscle and some other tissues, with Observations upon the structure and probable mode of action of a nervous Mechanism. Croonian Lecture 1865. Proceedings of the Royal Society of London. Vol. XIV. 1865. p. 248, 249, 262. 3) Ibid. p. 241. Ueber die Endigungen der markhaltigren und marklosen Nerven etc. 195 pherischen Nerven entscheiden. Zeigten sich dann an jenen Nerven und ihren Endigungen die bekannten Veränderungen, so wären die so lange gesuchten Endigungen der sensiblen Nerven im quer- gestreiften Muskel gefunden. Man wüsste dann, dass die Nerven, welche dazu bestimmt sind, den Muskelsinn zu vermitteln, mittelst bestimmter Apparate mit der Muskelfaser in Verbindung treten, ähnlich wie die motorischen Nerven. Man wüsste bestimmt, dass das Gefühl der Contraction, das Muskelgefühl, im Muskel selbst läge, dass es weder ein rein psychischer Act wäre, der nur den Grad der Willensäusserung auf die Muskeln abmisst, noch in der Haut oder gar in den Gelenken gesucht werden müsste. Man könnte dann, wenigstens bei Frosch und Eidechse, im physiologischen Sinne drei Klassen von Nervenendigungen auf- stellen, 1) rein motorische, die der markhaltigsn Nerven der ersten Ordnung, 2) rein sensible, die der zweiten und dritten, und 3) ge- mischte, der Bewegung und Empfindung zugleich dienende, die- jenigen, die von markhaltigen Nerven der ersten Ordnung und marklosen zugleich gebildet werden. Für die verschiedenen Theorien, die bezüglich der Einwir- kungsweise der Nerven auf die Muskeln aufgestellt worden sind, gestatten meine Befunde keine sichere Entscheidung; am meisten werden dadurch Engelmann’s Anschauungen gestützt. Die Methode, welche ich anwandte, ist eine Modification der von Loewit angegebenen. Ich nahm kleine Muskelstückchen des frisch getödteten Thieres (Frosch oder Eidechse) legte diese in eine 25procentige Ameisensäureverdünnung, bis sie durehsichtig wurden, dann 15 bis 20 Minuten in eine Iprocentige Goldehloridlösung, darauf in eine 25procentige Ameisensäureverdünnung 24 Stunden im Dunkeln. Letztere ersetzte ich dann durch eine Misehung von gleichen Theilen destillirten Wassers und Ameisensäure, in welcher das Material abermals 24 Stunden im Dunkeln verblieb. Dann legte ich es 2 bis 3 Wochen in 20procentiges ameisensaures Gly- cerin, bis es den nöthigen Grad der Entfärbung hatte. Zu gleicher Zeit wurde dureh die continuirlicehe Säurewirkung das Bindege- webe so weit macerirt, dass die einzelnen Muskelfasern leicht auseinander fielen. Die so behandelte Muskelsubstanz muss eine fast gelatinöse Beschaffenheit haben. Kleine Stücke werden mit der Scheere aus der Mitte parallel dem Faserverlauf herausgeschnitten und in einem 196 L. Bremer: Tropfen Glycerin auf den Objeetträger gebracht. Bei gut gerathenem Material genügt oft schon die Schwere des Deckglases, um eine theilweise Auseinanderbreitung der Muskelfasern zu bewirken, die dann dureh einen leichten Druck vervollständigt wird. Natürlich lassen sich die Vorschriften, wie dies leider bei allen Goldmethoden der Fall ist, nach Tag und Stunde nieht prä- eisiren. Ich habe von Tag zu Tag, ja von Woche zu Woche mein Material untersucht und habe gerade dadurch, dass ich Alles auf- bewahrte und immer wieder untersuchte, die brauchbarsten Präpa- rate erhalten. Die besten erhielt ich aus Material, welches schon 2 bis 3 Monate alt war. Hat man brauchbare Muskelsubstanz er- halten, so ist sie in lprocentigem ameisensaurem Glycerin aufzu- bewahren. Mit Hydrophilus-Muskeln verfuhr ich ebenfalls auf die an- gegebene Weise, mit dem Unterschiede jedoch, dass ich dieselben 3 Stunden lang in einer '/sprocentigen Goldchloridlösung liegen liess. Die Vorwürfe, welche den Goldlösungen namentlich von Kühne nicht mit Unrecht gemacht sind, habe ich bei meinen Be- schreibungen stets in Rechnung gezogen, und will durchaus nieht behaupten, dass die von mir getreu nach den Präparaten gezeich- neten Figuren völlig der Gestalt der terminalen Apparate in der lebenden Muskelfaser entsprechen. Darauf kommt es aber auch für diejenigen Punete, über welche ich hier berichtet habe, nicht an. Mag namentlich auch die Gestalt der Terminalapparate alterirt sein, jedenfalls wird man daraus nicht schliessen dürfen, dass die von mir angenommenen Uebergangsformen, so wie die Verschieden- heiten der Endigungsformen je nach den verschiedenen Muskeln und nach der Betheiligung von marklosen Nervenfasern reine Kunstproduete seien. Nach Beendigung meiner Untersuchungen kam mir Ranvier’s sechstes Heft (Februar 1882) seines Trait& technique d’Histologie zu Gesicht, in welehem traubenförmige Endigungen der Nerven in der Frosehzunge beschrieben werden. Auch der Umstand wird erwähnt, dass sich aus den Endzweigen dieser Trauben oft Nerven- fasern fortsetzen, welche an benachbarten Muskelfasern neue End- trauben bilden. „Manchmal werden die Verhältnisse complieirt und man sieht eine ganze Reihe motorischer Endigungen, die, unter- einander durch Nervenfasern verbunden, mit diesen einen wirk- lichen Plexus bilden.“ Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven ete. 197 Bei der Besprechung der Endplatte der Eidechse giebt Ran- vier das Vorkommen von Anastomosen der Endzweige nunmehr zu. Auch die im jüngsten Hefte dieses Archives publieirte Arbeit v. Thanhoffers (Beiträge zur Histologie und Nervenendigung der quergestreiften Muskelfasern) gelangte erst nach Abschluss meines Manusceriptes zu meiner Kenntniss. Für die Nervenen- digungen beim Frosche bringt v. Thanhoffer nichts Neues, die Enddoldenform, sowie die Betheiligung markloser Fasern bei den Vertebraten erwähnt er nicht, dagegen scheinen seine Beobachtun- sen bei Hydrophilus die Angaben Föttinger’s zu stützen. Wenn ich sage „scheinen“, so denke ich dabei an einzelne Abweichungen, welche sich zwischen v. Thanhoffer’s und Föttinger’s Darstel- lungen finden. Nach den Beschreibungen und Abbildungen des Letzteren sollen die Axenfibrillen, indem sie divergirend auseinander- fahren, direct, ohne vorherige Anastomosenbildung innerhalb der Endplatte, zu den Zwischenscheiben treten. Im Gegensatze dazu beschreibt v. Thanhoffer (s. I. ec. p. 31 und Fig. 2) netzförmige Anastomosenbildung im Bereiche der Endplatte, erst aus diesem Netze der Axenfibrillen sollen die Fäden zu den Zwischenscheiben treten. Alles dies, sagt v. Thanhoffer, bekomme man nur selten zu Gesicht und er führt diese Punkte auch in seinem Schluss- Resum& nicht mit auf; dort, so wie im Text, betont er nur den Zu- sammenhang eines an der unteren Sohlenfläche gelegenen mem- branartigen Gebildes mit den Zwischenscheiben. Nach diesen Differenzen bin ich vor der Hand um so weniger geneigt, meine vorhin geäusserten Zweifel an der richtigen Interpretation der von Föttinger erhaltenen Bilder fallen zu lassen. Erklärung der Abbildungen auf Tafel VII und VIII Wo keine besonderen Angaben gemacht werden, sind die Zeichnungen mit Hartnack Syst. VII. Oc. 3 gemacht worden. Fig. 1. Nervenendbüschel aus dem Triceps femoris des Frosches. Zwei zu- führende myelinhaltige Nerven bei a, in einer gemeinsamen Henle’- schen Scheide verlaufend, bilden ein Endbüschel. Die beiden mark- haltigen Zweige bei b enden an derselben Muskelfaser als hypo- lemmale Fasern, was in diesem Bilde wegen Raummangels nicht Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 14 198 Fig. Fig. 1 L. Bremer: gezeichnet werden konnte. ccc Kerne der Endzweige, dd Grund- kerne. Bei e eine Anastomose von Eudzweigen (neben dem Kerne c). . Nervenendigung im Sterno-radialis des Frosches, welche sich dem Typus der Endplatten bei den Eidechsen nähert. Die Endzweige verlaufen unter den verschiedensten Winkeln zur Längsaxe der Muskelfaser und sind von einer deutlichen granulirten Zone um- geben. aa Grundkerne, b Kern eines Endzweiges. . stellt die einfachste Nervenendigung beim Frosch dar. a Kern eines Endzweiges. Aus dem Sterno-radialis. . Häufig vorkommende Form der Nervenendigung im M. hyoglossus (Frosch). Der Nerv wird auf eine beträchtliche Strecke vor der Endigung marklos und theilt sich in zwei, in entgegengesetzter Richtung verlaufende Endfasern, welche kurze Ausläufer unter ver- schiedenen Winkeln zur Längsachse der Muskelfasern abgeben. . Geweihförmiges Endbüschel aus dem Hyoglossus des Frosches. aa Grundkerne, b Kern eines Endzweiges. . Endigung in Doldenform aus dem Sterno-radialis des Frosches. Der markhaltige Nerv d wird von einem marklosen (e) in der Henle’- schen Scheide des ersteren verlaufend, begleitet. Das Eintreten des marklosen Nerven in die Enddolde konnte an diesem Präparate nicht nachgewiesen werden. aaa Kerne der epilemmalen Endzweige, b Kern eines hypolemmalen Endzweiges, e Muskelkern, f trichter- förmige Ausbreitung der Henle’schen Scheide. Doldenförmige Endigung aus dem Sterno-radialis des Frosches. Ein markloser Nerv (c), welcher in der Henle’schen Scheide eines markhaltigen verläuft, tritt kurz vor seiner Endigung an der Muskel- faser aus der gemeinsamen Scheide heraus, und bildet eine End- dolde, welche sich mit der des markhaltigen Nerven vereinigt. a Grundkern, bb Kerne eines Endzweiges. . Mischform von Endbüschel und Endplatte. aa’ Grundkerne, a‘ ein Doppelkern, der von einem Ringe, durch Theilung und Wieder- vereinigung eines Endzweiges gebildet, eingeschlossen wird. Bei b setzt sich der Endzweig deutlich in die Zwischensubstanz fort. Netzbildung der Endfasern des markhaltigen (c) und marklosen Nerven (d), welche sich bei e kreuzen. Die granulirte Substanz tritt stellenweise deutlich zu Tage. Aus dem Hyoglossus des Frosches. Enddolden von zwei markhaltigen und mehreren dieselbe begleitenden marklosen Nerven gebildet. Die markhaltigen Nerven mit ihren marklosen Fasern kommen von zwei verschiedenen Nervensträngen. a Henle’sche Scheide, die weiter unten unsichtbar wird, bb zwei begleitende marklose Fasern. Das markhaltige Segment c wird ig. 11. Fig. Fig. Fig. 15. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven ete. 199 10. 12: 13. 14. ausserhalb des Sarcolemms marklos und tritt in die Enddolde d ein. Hyoglossus, Frosch. Nervenendigung zweier markloser Fasern in Netzform. a und b marklose Nerven, ce Kern eines Endzweiges, d Grundkern, ee Muskel- kerne. Aus dem Lingualis des Frosches. Endapparat mit kreisförmigen Partien eines marklosen Nerven im Lingualis des Frosches. Ein markhaltiger Nerv zweiter Ordnung, aus dem Bündel d stam- mend, gibt einen Muskelzweig mit Enddolde (c) und einen mark- losen, zu einem Capillargefässe a hintretenden Ast b ab. Aus dem Hyoglossus des Frosches. Zwei Muskelfasern aus dem Lingualis des Frosches, von je einem marklosen Nerven begleitet, mit vielen Enddolden. a Flächenbild, b Profilbild. Uebersichtsbild von Nervenendigungen im Hyoglossus des Frosches. Bei a’aaa Endbüschel markhaltiger Nerven der ersten Ordnung. Die blasse Nervenfaser b, welche sich zu einem Endzweige des End- büschels bei a‘ fortsetzt, bildet an derselben Muskelfaser (B) bei c und d Endigungen und vereinigt sich bei o mit dem Nerven, wel- cher an der Muskelfaser A ein Endbüschel bildet. e, f, g, h vier marklose Nerven, welche an einer Muskelfaser D Endausbreitungen bilden. Diejenigen von e und f stehen in sichtbarem Zusammen- hang. Die blassen Nerven bei i sind dicht mit Kernen besetzt. Bei k tritt ein markhaltiger Nerv der zweiten Ordnung aus einem Nervenstrange heraus, wird marklos und bildet Endigungen an den Muskelfasern A und C. 1 Kern der Theilungsstelle eines marklosen Nerven, m bogenartige epilemmale Vorsprünge einer Terminalfaser. Bei n, an Muskelfaser C, vereinigt sich der Endapparat eines mark- haltigen mit dem eines marklosen Nerven. Entworfen nach Hartn. Syst. IV. Oc. 3, ausgeführt mit Syst. VL. Oc. 3. Drei Muskelfasern aus dem Sterno-radialis des Frosches von mark- haltigen Nerven der zweiten Ordnung und marklosen innervirt. a Nervenbündel aus markhaltigen Nerven zweiter Ordnung bestehend; bei b Endapparat einer Primitivröhre dieses Bündels. Aus den End- zweigen dieses Endapparates setzen sich eine Anzahl markloser Nerven fort, die sich zu dem Nerven c vereinigen, welcher sich wiederum theilt. Die Aeste bilden wieder Endigungen an derselben und einer andern Muskelfaser. Derselbe Vorgang wiederholt sich noch einmal. Vorzugsweise an der Muskelfaser A, weniger an B ist der Uebergang von Endzweigen in die Zwischensubstanzlinien deutlich wahrzunehmen. d Grundkerne. Anastomosen der mark- losen Nerven; Netzbildung der Endzweige an der Muskelfaser A. 200 Fig. 19. L. Bremer: Die Faser f, welche sich von e abzweigt, bildet bei dd zwei kleine Endapparate an der Muskelfaser C, um dann wieder nach B zu gehen, um hier eine Endausbreitung zu bilden. Aus dieser entsteht wieder der Nerv g, welcher schliesslich an C endigt. . Endigune eines mit einer Henle’schen Scheide versehenen mark- g losen Nerven, mit Anastomosen der Endzweige. a’aa Grundkerne, b Kern eines Endzweiges. Der Grundkern a’ liegt in einer von dem Endzweige gebildeten Masche. ce Muskelkern. Aus dem Sterno-radialis des Frosches. ‚. Aus dem Nervenbündel A, welches aus markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung und aus marklosen Fasern besteht, löst sich eine marklose Faser c, welche hier nur in einem Fünftel der Länge, in welcher sie am Präparat erhalten war, wiedergegeben ist, um einen Endapparat an einer Muskelfaser zu bilden. aaa Grundkerne, b Kern an der Theilungsstelle im epilemmalen Endzweige. Das Nervenbündel bei B veranschaulicht den Unterschied zwischen den markhaltigen Nerven der ersten und denen der zweiten Ordnung. E markhaltiger Nerv der ersten Ordnung. Aus dem Sterno-radialis des Frosches. | . Uebersichtsbild von Nervenendigungen im Lingualis des Frosches. A markhaltiger Nerv der ersten Ordnung, begleitet von einem der zweiten Ordnung in einer gemeinsamen Scheide. B Fortsetzung dieses Nerven; hier ist der markhaltige Nerv der zweiten Ordnung marklos geworden. (Bei a ist ein Stück des Nerven, welches an B anschloss, wegen Raumersparniss weggelassen.) Die marklosen Fasern b und c stammen wieder von andern hier nicht gezeichneten Nervenbündeln her, treten aber mit den eben genannten in einen und denselben Plexus zusammen. Bei e wird eine Muskel- faser durch eine Reihe von Endapparaten innervirt, die von Zweigen theils des markhaltigen Nerven erster Ordnung, theils solchen des Nerven der zweiten Ordnung gebildet werden. Bei f und an den meisten Endapparaten ist eine granulirte Zone wahrnehmbar. Die bei & gezeichnete Bifurcation erweist sich bei genauer Untersuchung nur als eine scheinbare, indem hier der Nerv zweiter Ordnung unter den Nerven erster Ordnung tritt, und später wieder frei sichtbar wird (hier nicht mehr gezeichnet). Endapparate markloser, aus markhaltigen hervorgehender, mit Gang- lien in Verbindung stehenden Nerven. aa ete. Ganglienzellen. Bei bb ist ein Markmantel vorhanden, der an den übrigen Theilen des Nerven zu fehlen scheint. ce Kern eines Endzweiges, dd Grund- kerne, ee Kerne der Henle’schen Scheide. (Zeiss Syst. F. Oc. 2). . Uebersichtsbild von Nervenendigungen im Triceps femoris von Lacerta viridis. Ein Nervenbündel, bestehend aus markhaltigen Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Ueber die Endigungen der markhaltigen und marklosen Nerven etc. 201 Nerven der ersten Ordnung, wird von marklosen Fasern begleitet. Endplatten der ersteren, Eunddolden der letzteren. Bei a tritt ein markloser, bei a’ ein wahrscheinlich markhaltiger Nerv der zweiten Ordnung aus den resp. Henle’schen Scheiden der‘ markhaltigen Nerven heraus. Beide bilden nach kurzem Verlauf Enddolden. Die marklosen Fasern verlaufen meist zu mehreren und sind zu Auffaserungen geneigt. An der Bildung der Enddolden nehmen meist mehrere Fasern Theil, was bei bb sehr deutlich wahrzu- nehmen ist. Dass Enddolden und Endplatten an derselben Muskel- faser gefunden werden, konnte an diesem Präparate nicht mit Be- stimmtheit nachgewiesen werden, weil die Muskelfasern theilweise übereinander lagen, ein Verhältniss, das in der Zeichnung nicht gut wiederzugeben war. . Eine Enddolde, der Endplatte sehr nahe stehend, eines markhaltigen Nerven der zweiten Ordnung. . Muskelfaser mit Platte aus dem Lingualis von Lacerta muralis. Ausser dem markhaltigen Nerven a tritt ein markloser b in die Endplatte ein. ‚ Eine von ihrer Muskelfaser losgelöste Endplatte mit anhaftenden Fragmenten der Zwischensubstanz a,a,a. . Zwei markhaltige Nerven der ersten Ordnung, verschiedenen Nerven- büscheln angehörig, bilden eine Platte, Endverzweigung eines Nerven in einer Muskelfaser von Hydro- philus. Die Querstreifung ist durch Goldsäurewirkung verschwun- den. aa Nervenscheide im Halb-Profil. Die Muskelfaser ist nur zu einem Drittel ihres Durchmessers gezeichnet. Zeiss F. Oc. 2. 202 Carl Zelinka: Die Nerven der Cornea der Knochenfische und ihre Endigung im Epithel. Von Dr. Carl Zelinka. Hierzu Tafel IX und X. Während sich unsere Kenntnisse von den Hornhautnerven höherer Wirbelthiere, Dank den gründlichen Arbeiten zahlreicher Forscher bedeutend erweitert haben, können wir uns nicht be- friedigt fühlen, wenn unsere Blicke auf die spärlichen Notizen fallen, welche in der Literatur zerstreut den Nerven der Fischeornea gewidmet sind. Diese auffallende Vernachlässigung ist wohl durch zwei Thatsachen zu erklären, welche die Untersuchung zu einer äusserst schwierigen machen. Es sind erstens die Nerven der Fischhornhaut ausserordentlich zart und klein in ihren Elementen, zweitens aber bietet das äussere Epithel, den Verhältnissen im Wasser angepasst, der Imbibition einen bedeutenden Widerstand. Durch letztere Undurchdringlichkeit und weiters die ungleiche Dieke der Hornhaut in der Mitte und am Rande ist eine gleich- mässige Durchtränkung mit Reagentien nahezu unmöglich, so dass selten ein vollständiger Niederschlag der zur Nervendarstellung verwendeten Edelmetalle hervorgerufen werden kann. Wir begegnen über dieses Objeet nur vereinzelten Bemer- kungen bei Gelegenheit der Beschreibung anderer Wirbelthierhorn- häute. Die erste, unser Thema berührende Angabe findet sich bei Kölliker!) in seiner 1854 erschienen „Mikroskopischen Ana- tomie“, wo er beim Flussbarsche zahlreiche Nervenstämmchen am Rande der Cornea erwähnt, welche unter vielfachen Anasto- .mosen einen mehr oder weniger vollkommenen Ring bilden und 1) Kölliker: „Mikroskopische Anatomie“ 1854. Band II. 2. Hälfte. pag. 627. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 203 blasse anastomosirende Aestchen bis in die Mitte der Hornhaut senden. Aehnlich beschreibt Leydig!) bei Gobio fluviatilis den Nerven- verlauf; er sah, dass sich beiläufig 12 vom Hornhautrande eintre- tende Stämmehen durch Austausch ihrer Fasern geflechtartig ver- binden und dann ihre Fibrillen in den hellen Abschnitt senden, wo sie aufs Neue ein weitmaschiges Geflecht bilden. Aus diesem kommen äusserst blass gewordene Fasern hervor, welche das End- netz bilden. Eine daselbst beigegebene Flächenansicht von der Cornea des Cobitis fossilis veranschaulicht schematisch das Ein- dringen der Capillaren und Nerven. Die Untersuchungen von Th. Sämisch?) erstreckten sich neben den höheren Wirbelthieren auch auf die Cornea von Aal, Schleie und Flussbarsch. Eine specielle Besprechung dieser Fische geschieht in der Arbeit von Sämisch jedoch nirgends, die Be- schreibung hält sich nur an Frosch, Maus, Kaninchen und Andere. Ciaccio?) gibt eine Vergleichung der Nervenhistologie in den Hornhäuten der verschiedenen Wirbelthiere, wobei er auch den Aal in den Kreis seiner Untersuchungen gezogen. Eine ein- gehende Beschreibung der Nerven der Aalhornhaut wird nicht ge- liefert. Näher darauf einzugehen, hiesse Hoyer’s Worte wieder- holen, welcher p. 260 seiner Arbeit Ciaccio’s Untersuchung einer kritischen Besprechung unterzieht. Unrichtig ist seine Angabe, dass markhaltige Fasern in der Cornea nicht vorkämen, sondern nur helle. Wie wir unten sehen werden, umfasst die Cornea ein Ring von markhaltigen Nerven, von welchem dann dieselben dunkel- gerandeten Fasern noch eine Strecke weit in das eigentliche Corneal- gewebe hinein verfolgt werden können. | Nach Ligshtbody’s*) 1866 veröffentlichten Untersuchungen besitzt der beim Stockfisch deutlich, weniger beim Conger ent- wickelte conjunctivale Theil der Cornea ziemlich zahlreiche Nerven. 1) Leydig: „Lehrbuch der Histologie.“ 1857. p. 232. 2) Th. Sämisch: „Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie des Auges.“ Leipzig. W. Engelmann 1862. p. 8. 3) „On the Nerves of the Cornea, and of their Distribution in the Corneal Tissue of Man and Animals.“ By J. V. Ciaccio, M.D. of Naples. Quarterly Journ. of mikroskop. scien. Vol. XI. N. S. 1863. p. 77. 4) Lightbody, W. H.: „Observations on the comparative microscop. anatomy of the Cornea of Vertebrales.“ Journ. of anat. and physiol. Nr. 1 1866. pag. 15. 204 Carl Zelinka: Ob die wahre Cornea Nerven enthalte, ist nach Lightbody un- gewiss, aber wahrscheinlich, da er beim Aal zahlreiche Nerven fand, welche rund um den Rand sich verzweigten, also wahrschein- lich auch hineinliefen. Eine sehr kurze Angabe ist in Hoyer’s bekannter Arbeit!) vorhanden, welche in wenigen Worten im Allgemeinen die Ver- hältnisse denen der höheren Vertebraten analog schildert, aber die Schwierigkeiten betont, welche der Nervenaufsuchung in diesem Objecte sich entgegenstellen. Er gibt daher, obwohl er bereits Goldehlorid anwendete, nichts über die feinere Vertheilung der Nerven im Stroma und Epithel, ebensowenig als die Vorgänger in diesem Thema, welche ihre Arbeiten vor der Entdeckung der Goldmethode durch Cohnheim gemacht hatten. Der letzte Forscher, welcher die Hornhautnerven der Fische zur Sprache bringt, ist ©. Emery?). Im Gange der Arbeit über den Bau der Hornhaut erwähnt derselbe gelegentlich, dass er Nerven gefunden, so bei Sargus anularis und unterscheidet zwischen conjunctivalen und seleralen Nerven. Die conjunctivalen formiren einen oberflächlichen Plexus, von welchem ein feines subepitheliales Netz ausgeht. Die scleralen Nerven sind aber ganz verschieden davon, besitzen einen ziekzackförmigen Verlauf und kehren zum grössten Theile in die eigentliche Selera zurück. Trotz dieser mit aller Bestimmheit ausgesprochenen Ergebnisse wurden doch Zweifel laut an dem Vorhandensein von Nervenfasern in der Hornhaut der Fische, welche ihren entschiedensten Ausdruck in Merkel’s?) Behauptung fanden, dass die Fische der einfach sensiblen Nerven und damit auch der freien Nervenenden selbst in der Hornhaut zu entbehren schienen. Ich werde in den folgenden Zeilen meine diesbezüglichen Untersuchungen veröffentlichen und will vorausschicken, dass die Fische in manchen Punkten von ihren Verwandten im Wirbelthier- reiche abweichen und vor Allem der Reichthum und die Compli- cation der Nervenausbreitung nicht so gross ist, wie bei diesen. 1) Hoyer, H. ‚Ueber die Nerven der Hornhaut“. Arch. für mikrosk. Anatomie. Bd. IX. p. 250. 1873. 2) C. Emery: ,.De la cornea dei pesci ossei“. Palermo 1878. 3) Fr. Merkel: ‚Ueber die Endigungen der sensiblen Nerven in der Haut der Wirbelthiere.“ Rostock 1880. p. 161. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 205 Zur Untersuchung gelangten Repräsentanten zahlreicher Familien der Süss- und Seewasserfische. Die Hornhäute wurden sowohl frisch untersucht, um die Ausbreitung der markhaltigen Nerven zu erkennen, als auch mit Goldehlorid behandelt, dessen Reduetion nach Ranvier’s und Klein’s Methode gute Resultate ergab. Auch mehrstündige Re- duetion einer 1/,—!/sstündig mit Gold getränkten Cornea in 20% Ameisensäure lieferte brauchbare Präparate. Bemerkenswerth bleibt jedoch die grosse Unsicherheit bezüglich des Erfolges. Die Horn- häute wurden entweder in Glycerin aufbewahrt oder in Alkohol gehärtet und geschnitten. Zum Studium der Structur der Horn- häute wurden Querschnitte durch Objeete gemacht, welche in Chromsäure oder einem Gemische von Chromsäure und Osmium- säure conservirt waren. Vor der Beschreibung der Nerven und ihrer Verbreitung erscheint es nothwendig, den Bau der Fischhorn- haut und die diesbezüglichen hauptsächlichsten Differenzen mit kurzen Worten zu berühren, da, wie es sich zeigen wird, die Zu- sammensetzung der Cornea aus verschiedenen Schichten einen auf- fälligen Unterschied in der Nerventopographie zur Folge hat. Vergleicht man Querschnitte verschiedener, in Chromsäure oder Chrom-Osmiumsäure gehärteter Hornhäute, so kann man bei manchen Fischen eine durchgängige Gleichartigkeit des Baues der ganzen Hornhaut constatiren, welche ganz an die der höheren Wirbelthiere erinnert; die Hornhaut ist in allen Niveaus aus gleich- artigen Lamellen zusammengesetzt, nur der Hornhautrand macht davon eine Ausnahme. Andere Hornhäute erscheinen dagegen von complieirter Struetur, die Gleichartigkeit der Lamellen hat einer Verschiedenheit derselben in den Niveaus Platz gemacht, die Cornea ist geschichtet. Wie gross bei den verschiedenen Fischen die Anzahl der Schichten, in welehem Grössenverhältnisse sie zu einander stehen, von welcher histologischen Struetur sie sind, ist Gegenstand der oben eitirten inhaltreichen Abhandlung von C. Emery. Für diese Arbeit ist nur eine gedrängte Beschreibung dieser Verhältnisse nothwendig, wobei ich Gelegenheit nehme, die von Emery nicht untersuchte Gruppe der Süsswasserfische einzu- beziehen, um sowohl eine noch unerforschte Lücke auszufüllen, als auch, weil dieselben für die Mehrzahl der Fälle leichter zu beschaffen sind, als Seefische. Als typisch für den einfachen Bau der Hornhaut wählen wir 206 Carl Zelinka: aus der Familie der Cypriniden die Karausche „Carassius vulgaris“. Der Seleralknorpel und das ihn umgebende sclerale Bindegewebe setzen sich direet in die Substanz der Hornhaut fort, dadurch dass aus ihnen am Cornealrande dieLamellen gewissermassen ausstrahlen, so dass in einer kurzen Entfernung vom Rande die von der Selera entstammende Cornea (sC) eine bedeutend grössere Dicke zeigt als jene (Fig. 4). Diese Verdiekung schwindet gegen das Horn- hauteentrum bald vollkommen, es tritt eine Verjüngung des Cornea- querschnittes ein und zwar sowohl durch Reduction der Zahl der Lamellen, als auch Verjüngung der Lamellen selbst. Die Rand- verdiekung wird durch das mächtig entwickelte zellige Ligamentum pectinatum noch vergrössert und fällt, von der hinteren Fläche gesehen, als ein Ringwulst in die Augen, welcher jedoch nicht im ganzen Umkreise die gleiche Höhe besitzt. Der Winkel, welcher am Rande zwischen dem Epithel und der Selera gebildet ist, wird von der Cutis oder Conjunctiva (Cj) eingenommen, welche keilförmig zwischen die Substantia propria corneae und das Epithel sich einschiebt. Annähernd über dem Knorpelrande trägt sie noch die ihr eigenthümlichen Cutiszapfen, auf welchen die bekannten Geschmacksorgane sitzen, dann verliert sie rasch an Mächtigkeit, bis sie dem Auge entschwindet. Ob sie in der Bowmann’schen Lamelle wiederzuerkennen sei, wie von vielen Seiten — so von Waldeyer für den Menschen, von Leuckart für Vertebraten im Allgemeinen, von Krause ebenfalls für die menschliche Hornhaut, von Emery für die Fische — angenommen wird, erscheint hier nicht von solcher Bedeutung, wo es nur auf den Einfluss des Baues auf Eintritt und Verlaufsrichtung der Nerven ankommt, da die Bowmann’sche Lamelle bei Fischen keine eigenen Nerven besitzt, sondern nur von jenen, welche zum Epithel durchtreten, auf kürzestem Wege perforirt wird. Die Conjunetiva ist die Trägerin der Randschlingen der Blutgefässe; die Ausdehnung der Bindehaut gibt auch die Grenze an, bis zu welcher Capillaren über das Auge vordringen. Bei Carassius ist die Grenze daher eine wenig über den Hornhautrand hinausgehende, und es zeigt also die Cornea bis auf die Randpartie einen einheitlichen Bau, den wir den scleralen Typus nennen wollen. Dahin gehören fast alle Cypriniden: Squalius, Telestes, Cyprinus, Rhodeus, Scardinius und Phoxinus. Aus der Familie der Esocidae: Esox lueins. Gewissermassen das Gegentheil dieses einfachen Baues bietet ® Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 207 jener Typus, welchen Emery in Sargus anularis aufgestellt hat. Da mir hauptsächlich Cottus gobio zu meinen Untersuchungen dieses Typus gedient, so wähle ich diese Form, um die Schichtung, so- weit nöthig, zu beschreiben. Vor Allem imponirt das Verhalten der Conjunetiva (Fig. 5 Cj). Sie zieht in ihrer ganzen Mächtigkeit über das Auge hinweg. Dieses Verhalten der Bindehaut des Auges war schon Lightbody!) und Leuekart?) bekannt (Ersterer beschrieb es bei Gadus und Conger, Letzterer bei Petromyzon)?). Die Conjunetiva ruht auf einer lockeren Schichte Bindegewebes, welches eine Fortsetzung des subeutanen Bindegewebes ist (sube.). In Chrom-Osmiumsäure färbt sie sich viel dunkler, vermöge ihrer leichteren Durchdringbarkeit. Unter dieser subeutanen Schichte (Stratum intermedium, Emery) zieht die selerale Cornea (se), welche allein als Fortsetzung der harten Wand des Bulbus anzu- sehen ist. Nach innen davon folgt der uveale Theil der Cornea (Stratum intimum, Emery, U in Fig. 5). Alle diese Schichten bestehen aus Lamellen, aber so verschieden von Aussehen und Structur, dass sie sich scharf. von einander absetzen. Den Schluss nach innen bildet das Ligamentum pectinatum iridis, dessen Ele- mente über die hintere Hornhautfläche als Endothel sich verbreiten. Näher auf diese Verhältnisse einzugehen, ist hier unmöglich, ausser- dem bietet Emery’s Arbeit darüber hinreichenden Aufschluss. Ausser Cottus aus der Familie der Trigliden zeigte auch Lota vulgaris den conjunetivalen Typus. Die Bindehaut trägt hier eben- falls die Capillaren, welche weit in die Hornhaut, bei Zota nach Injeetion fast bis zur lrisgrenze reichen. Diese beiden Extreme stehen aber nicht unvermittelt da, vom seleralen und eonjunetivalen Typus aus gibt es Bindeglieder zwi- schen Beiden. Von der seleralen Hornhaut zur eonjunetivalen führt die Familie der Salmoniden und Gobio fluviatilis, von der conjunc- tivalen zur seleralen Perca fluviatilis. Aus der Familie der Salmoniden zeigt Trutta fario und noch mehr Thymallus vexillifer eine weiter über das Auge reichende Conjunctiva, als Carassius, was zur Folge hat, dass auch die 1) Siehe oben p. 203.- Anm. 4. 2) Leuckart: „Organologie des Auges“ in Gräfe und Sämisch „Handbuch der Augenheilkunde.“ p. 206. 1874. Bd. 1. 3) Berger, Zool. Anzeiger 1881. pag. 259 bestätigte Emery’s und Leuckart’s Angabe für Chrysophys und Petromyzon. 208 Carl Zelinka: Attribute der Cutis, Pigmentzellen und Blutgefässe viel weiter hineinziehen. Von der Fläche gesehen ist aber die Grenze der Conjunetiva nach innen keine glattrandige, sondern sie springt in Zapfen vor, dort wo sie ein Gefäss oder einen Nerv enthält. Gobio fluviatilis, welcher ebenfalls zu diesem Uebergangstypus gehört, besitzt eine noch weiter entwickelte Bindehaut (Fig. 6). Perca fluviatilis dagegen zeigt eine vollständige Conjunetiva und Uvea, aber es mangelt eine subeutane Schichte. Es wäre demnach folgende Reihe aufzustellen: Vom scleralen Typus: Carassius (Cy- prinidae) -ausgehend, durch Thymallus (Salmonidae) und Perca (Pereidae) zum conjunetivalen Typus: Cottus (Triglidae) = Sargus- Typus von Emery. Bei der Besprechung der Nervenverhältnisse beginnen wir mit dem seleralen Typus. Die Nerven der Cornea stammen von den Ciliarnerven ab, deren Zahl sich auf 2 beschränkt, wovon der eine dem Ganglion eiliare (Ramus ciliaris oeulomotorii, Schwalbe)!) entspringt, ent- sprechend den Ciliares breves beim Menschen, der andere von Trigeminus kommt (Ramus eiliaris trigemini), welcher die Stelle der Ciliares longi einnimmt. Betreffs einer eingehenden und vergleichenden Beschreibung dieses Abschnittes des Nervensystems verweise ich auf Stannius?), sowie auf Schwalbe’s ebengenannte Arbeit. Der Uebersicht halber und weil, so weit mir bekannt, eine Abbildung vom Ciliarnerven- systeme noch nicht vorhanden ist, bringe ich dasselbe von Zeus faber zur Abbildung (Fig. 1). Der Nervus oculomotorius (III) trägt an einer minimal entwickelten Radix brevis das Ganglion eiliare (G ec), (oculomotorii Schwalbe), einen länglich ovalen Körper, in dessen hinteres Ende die Radix longa vom Ramus eiliaris lon- gus seu trigemini sich einsenkt. Dieses Ganglion erhält bei manchen Fischen noch ein sympathisches Element, wie Stannius (l. ce. p. 39) von Scomber, Cyclopterus, Belone und Esox beschreibt. Sehr deut- lich fand ich es bei Oorvina nigra. Aus dem vorderen Ende kommt 1) Schwalbe, G.: „Ueber die morpholog. Bedeutung des Ganglion ciliare.“ Sitzungsber. der Jen. Gesellsch. für Naturw. und Medicin 1878. 11. Sitz. und „das Ganglion oculomotorii“ 1879. Jen. Zeitsch. für Naturw. XII. pag. 173—268. Vgl. dagegen Krause: „Ueber die Doppelnatur des Ganglion ciliare.“ Morphol. Jahrb. 1881. pag. 43. 2) Stannius: „Das peripherische Nervensystem der Fische“. p. 38, Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 209 der Ramus eiliaris brevis (oculomotorii Schwalbe hervor) (r eb), um im Anschlusse an den Optieus (II) neben demselben in den Bulbus einzutreten. Der Ramus ceiliaris brevis läuft daher von da an längs der ganzen Ausdehnung der inneren Bulbuswand — dahin ist auch Hoyer’s!) Beschreibung zu corrigiren, welcher die Nerven gleich wie bei den Säugern durch die Selerotica in das Ligamentum eiliare, von hier in den vordersten Abschnitt der Selera und aus dieser in die Cornea treten lässt — im Gegensatz zum Ramus eiliaris longus (r e 1), welcher nach Abgabe der Radix longa zum Ganglion eiliare, im Bindegewebe der Augenhöhle gelagert am Bulbus aussen entlang zieht und erst in der Höhe der Muskelinsertionen neben dem Musculus rectus superior in die Sclera sich einsenkt. Bei manchen Knochenfischen und zwar solchen vom conjunc- tivalen Typus, z. B. Chrysophys aurata, liess sich eine Theilung dieses Ramus eiliaris longus verfolgen, in den eigentlichen eiliaris longus und einen knapp neben ihm parallel laufenden und für die Conjunetiva bestimmten Ast, welchen: wir Ramus conjunetivae nennen wollen. Die beiden Ciliarnerven begeben sich sofort nach ihrem Durch- tritte durch die Selera zwischen die Blätter der Choroidea. Die Untersuchung des intraocularen Verlaufes ist dadurch am frischen Objekte unmöglich geworden, und man muss zu einer Methode greifen, welche es erlaubt, das Bindegewebe ohne Zerrung zu ent- fernen und die Nerven dabei unverändert zu lassen. Man erreicht dies am besten durch die Anwendung der Salpeter- oder Salz- säure?). Nach hinreichender Lockerung des Bindegewebes der Choroidea gelingt es leicht bei einiger Sorgfalt, dasselbe abzupin- seln, ohne die Nerven zu verletzen. Auf diese Weise wurde das Bild in Figur 2 erhalten. Beide Nerven lassen vorerst je einen seitlichen Ast abzweigen, welcher sich in der Pigmenthaut verliert, und theilen sich dann, ziemlich in demselben Niveau angelangt, der Ramus ciliaris longus kurz nach seinem EFintritte, der Ramus eiliaris brevis erst später in Folge seines längeren innern geraden Verlaufes. Im Allgemeinen erscheint ein Zerfallen jedes Nerven in je zwei ringförmig ziehende Stämmchen als Regel, welehe wieder Zweige abgeben. Von den Letzteren laufen Nerven unter baum- 1) S. Anmerk. p. 204; 1. c. p. 250. 2) 10 Volumina Säure, 10 Volumina Glycerin, 100 Vol. Aqua dest.; Einwirkungszeit bis 12 Tage. 210 Carl Zelinka: förmiger Verästelung theils in die Iris, theils verlassen sie die Pigmenthaut und treten am äusseren Rande der Iris in die Cornea ein, nachdem sie sich meist vorher ein kurzes Stück Weges an die Selera angelegt. Die Stellen, an welchen sich Nerven in die Cornea senken, sind durch 7 bezeichnet, die übrigen Fasern enden in der Iris. Das weitere Schicksal der letzteren übergehend, wenden wir uns den durchtretenden und die Choroidea verlassenden Stämm- chen zu. In Fig. 3 ist eine frische, von der Iris und Choroidea befreite Hornhaut von Carassius vulgaris abgebildet. Eine geringe Anzahl von Nerven nähern sich dem Hornhautrande, der Selera anliegend. Sie enthalten je 15 — 30 markhaltige Fasern. Beim Kreise des Cornealrandes angelangt, an der Uebergangsstelle der Selera in die Cornea, begeben sie sich in den charakteristisch verdickten Ring, an dessen hinterer Seite sie mit ihren Nachbarn durch Aussendung von Randfasern einen Ringplexus bilden, von welchem die Aestchen theils in die Cornea treten und dann meist ihr Mark verlieren !), theils sich in die Iris zurückbegeben. Auch können aus der Iris Nervenstämme selbst durch das Ligamentum pectinatum hindurch in die Cornea ihren Weg nehmen (Phoxinus laevis). Wir sehen hier einen Gegensatz zu den höheren Wirbelthieren. Während bei diesen die Nerven nach den bisherigen Untersuchungen eine Strecke lang in der Sclera laufen und von dieser in die Cornea eintreten, sind sie hier nur unter der Selera zu finden, da dieselbe ihrem grössten Theile nach knorpelig ist. Die Nerven dringen hier erst von unten her und direct in die Cornea ein. Durch diesen Um- stand ist die spätere Verlaufsrichtung bestimmt, welche von der- jenigen der höheren Vertebraten verschieden ist. Alle die besprochenen markhaltigen vom Ringplexus abtreten- den Aestchen variiren in der Dicke und enthalten 1—10 Fasern. . An frischen Hornhäuten kann man sich auch leicht von Ciaccio’s Irrthum überzeugen, nach welchem markhaltige Fasern die Cornea gar nicht erreichen sollen, da vielmehr verschieden lange markhaltige Bündel in das Cornealgewebe hinein verfolgt werden können. Allerdings sieht man nie solche Nerven den in- neren Irisrand überschreiten und können auch Randfasern bereits 1) Nach W. Wolff, dieses Arch. Bd. 20, p. 374 geht das Mark in ein blasses „Corneamark“ über (nach Präparaten an Frosch und Meerchweinchen). Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 211 ihren Markreichthum verlieren, so dass in Folge dessen der Ring- plexus nieht vollständig geschlossen erscheint. Während die markhaltigen Nerven, welche von dem ring- förmigen Randgeflechte, als dem Ausgangsorte der Hornhautnerven, abtreten, noch an dem frischen Objecte durch einfaches Zugänglich- machen der hinteren Corneafläche mittelst Abtrennen der Iris ge- sehen werden können, wird es bei Untersuchung der weiteren Verhältnisse nöthig, die Goldmethode anzuwenden, um sowohl die doppelteontourirten als auch blassen Aestchen verfolgen zu können, welche in regellosen Abständen von einander vom Ringplexus weg in die Cornea ziehen. Diese Nerven haben sowohl die über ihnen liegende Partie als auch das Centrum zu versorgen und schlagen desshalb von der hinteren Fläche der Hornhaut, in welcher der grobe Ringplexus liegt, drei Richtungen ein (Fig. 4), um zu ihrem Ziele zu gelangen. Wir finden: 1. Senkreeht oder im kürzesten Bogen aufstrebende Bündel. Sie lassen eine spärliche Verbindung mit einander erkennen und theilen sich meist kurz unter der Oberfläche in 3—4 Gabeläste. Etwa die Hälfte derselben begibt sich, nachdem sie die Bowmann’- sche oder Reichert’sche Lamelle durchbohrt (Rami perforantes), entweder unter das Epithel, oder steigt sofort in das Epithel auf. Jene unter dem Epithel bleibenden Aestechen sind gegen das Centrum gerichtet und verlieren durch Vertheilung an Stärke (sub- epitheliale Fasern). Der andere Theil bleibt unter der Bowmann’- schen Lamelle und geht in den Plexus in der obersten Randpartie in der Substantia propria über. 2. Bedeutend schräger laufende Bündel, in Folge dessen sie erst weiter vom Rande entfernt unter oder in das Epithel gelangen. Von ihnen gilt bezüglich ihrer Vertheilung dasselbe, wie von den Nerven erster Richtung. Sie sind bei Carassius stark entwickelt. 3. Die nun zu erwähnenden Bündel erfahren bei den verschie- denen Fischen dieses Typus ein verschiedenes Schicksal. Entweder sind sie flach ansteigend bis gegen das Centrum noch als bestehende Stämme unterschieden, wie bei Carassius vulgaris (Fig. 4 und 7), oder sie gehen bereits am Rande in den Stromaplexus auf, welcher dann als eine Fortsetzung des Ringplexus erscheint. Telestes Agassizüt (Fig. 16). In beiden Fällen ist jedoch der Stromaplexus deutlich ent- wickelt und nimmt am Rande mehr den hinteren Theil der Horn- haut ein, woselbst bei Squalius cephalus (Fig. 17) ein dichtes feines 212 Carl Zelinka: Netz nachgewiesen werden konnte, erhebt sich aber in einiger Entfernung vom Rande so weit, dass sein grösster Theil in den vorderen und mittleren Schichten der Hornhaut liegt. Die hinteren Schichten des Corneacentrum fand ich nervenlos. Betrachtet man eine Cornea, nachdem man sie von Epithel und Iris befreit, von oben, und stellt auf die Bowmann'sche Lamelle ein, so erkennt man die Stellen, an welchen die perforirenden Stämmehen durchtreten. Die Nerven der ersten Richtung bilden dabei den grössten Kreis, von den einzelnen Durchtrittsstellen strahlen die Fasern gegen das Centrum aus. Eingeschlossen von diesem Kreise liegt der kleinere der Nerven zweiter Richtung, welche jedoch schon mehrfache Unregelmässigkeiten in der Lage bilden. Innerhalb dieser sind die Rami perforantes der dritten Richtung vertheilt. Der Stromaplexus wird unter Betheiligung der Nerven sämmt- licher Richtungen gebildet, so dass auch die oberste Schichte der Randpartie eines Nervengeflechtes nicht entbehrt. Dasselbe ent- steht aus dem unter der Bowmann’schen Lamelle bleibenden Theile jener Bündel, welche wir als die der ersten und zweiten Richtung bezeichnet haben und hängt mit dem Stromaplexus gegen die Mitte so zusammen, dass es als die peripherische Fortsetzung . desselben erscheint. Erwähnenswerth ist noch, dass auch bei den Fischen vom Ringgeflechte aus einzelne isolirte feine Fasern ein- dringen, wie es Hoyer!) vom Frosch beschrieben. Die Zahl der vom Rande eintretenden Stämmehen richtet sich nach deren Stärke und nach dem Alter und Grösse des Thieres selbst. Bei einem erwachsenen Carassius erscheint als Totalsumme der Stämme 30 bis 40, bei Jungen stellt sieh die Zahl bedeutend niedriger. Die differenten Bilder, welche die Vergleichung einer Anzahl verschie- dener Hornhäute aus dem seleralen Typus ergibt, erklären sich aus der Verringerung der Anzahl von Fasern der einen Richtung im Verhältnisse zu denjenigen der anderen. Bei Carassius z. B. sind alle drei Richtungen deutlich ausgebildet, nur treten die Fasern der ersten Riehtung an Stärke gegen die Anderen zurück (Fig. 4); wir sehen ausserdem den langen Verlauf der der dritten Richtung angehörenden Nerven als gesonderte Bündel (Fig. 7). Zwischen Letzteren zeigen sich aber auch Stämmchen, welche weder in das Epithel eintreten, noch als solche lange Nerven sich verfolgen lassen, sondern schon am Rande eine vollkommene Auffaserung 1) loc. eit. p. 246. Die Nerven der Cornea der Knochenfisehe u. ihre Endigung im Epithel. 218 erfahren und in Plexusbildung übergehen (Figur 18). Telestes Agassizii zeigt dagegen wenig Nerven der ersten Richtung, sondern meist solche der zweiten, während die übrigen, wie oben erwähnt, schon am Rande in den Stromaplexus aufgehen und nur eine kurze Strecke als selbstständige Fasern gesehen werden. Auch können ausnahmsweise Bündel eine Mittelstellung zwischen zwei Richtungen einnehmen, wie ich an einem Aestehen von Oyprinus Carpio (Fig. 15) sah, welches, vom groben Ringplexus abtretend, nach oben um- biegt und im flachen Bogen aufsteigt, nach beiden Seiten Zweige zum feinen Ringplexus abgibt, gegen das Centrum zu aber zwei Theilungen erfährt. Aus der rechts gelegenen Partie gehen mehr oder weniger parallel laufende Bündel hervor, welche sich schliess- lich zu einem Ramus perforans sammeln, links verzweigen sich die Fasern auf langem gewundenen Wege schwach ansteigend und verflechten sich im Centrum mit Anderen zum Stromaplexus. Was die Conjunetiva anbelangt, welche den Rand umgibt, so besitzt sie ihre eigenen Nerven, welche bei Carassius noch die da- selbst stehenden Sinnesorgane zu versorgen haben. Es kommt vor, dass von den Nerven der ersten Richtung aus der Cornea feine Fasern eine Verbindung mit der Conjunctiva suchen, einen regel- mässigen Zusammenhang konnte ich daselbst nicht nachweisen. Das Bindegewebe, welches den Seleralknorpel umgibt, und welches zugleich mit dem Knorpel an dem Aufbaue der Lamellen sich be- theiligt, indem es am Rande ebenso in dieselben übergeht, wird auch von den Ciliarnerven versorgt, wenigstens sieht man bei Squalius cephalus, bei Cyprinus carpio nnd Anderen Aestchen, welche von den Ciliarnerven stammen, den Knorpel durchbohren und sich in dem äusseren, umhüllenden Gewebe vertheilen. Für das nahe am Knorpelrand liegende Gewebe können auch Nerven von dem Ringplexus bestimmt sein, welche dann einen centrifugalen Lauf nehmen und über den Knorpelrand zurückziehend, das umliegende Bindegewebe innerviren. Die ebenfalls zum scleralen Typus gehörige Pfrille „Phoxinus laevis“ besitzt einen Ringplexus, welcher der Lage nach an Caras- sius erinnert, auch hier ziehen die Hauptstämme entweder selbst am Rande unter mehrfacher Theilung hin oder senden Randbündel nach beiden Seiten aus. Zu diesen gesellen sich aber auch Nerven, welche von der Iris ab durch das Ligamentum pectinatum in die Cornea aufsteigen und sich dem Plexus einverleiben. Die Zahl Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 15 214 Carl Zelinka: der von dem Randgeflechte abtretenden Nerven beträgt im Mittel 40—45, darunter gegen 25 von ausgeprägt zweiter Riehtung, in der Breite von 0.01316—0.01645 mm. Die übrigen sehr kurzen Stämmehen, welche durch eine geringere Stärke auffallen, lösen sich schon am Rande in den grossmaschigen Stromaplexus auf, dessen Fasern fein und zart sind. Es erinnert dies an Telestes Agassizü, bei welchem (bei gleicher Körperlänge von 10 cm) sowohl die Nerven-Anzahl übereinstimmt, als gleichfalls die lang verlaufen- den stärkeren Stämme, welche wir als die der dritten Richtung bezeichnen, fehlen. Eine ausserordentlich reich mit Nerven versehene Hornhaut zeigt Scardinius erythrophthalmus, welcher bei einer Grösse von 14 em etwa 100 vom Ringplexus abzweigende Stämmchen besitzt. Ueber die Hälfte derselben erscheint als Nerven dritter Riehtung, während der Rest die erste und zweite Riehtung einschlägt und in kurzer Entfernung vom Rande zum Epithel aufsteigt. Scardinius folgt, wie ersichtlich, durch den Besitz langer Nervenstämme Caras- sius nach, der Ringplexus jedoch findet eine andere Lage, indem er nicht der hinteren Hornhautfläche am nächsten, sondern dicht am Knorpelrande liegt, so dass seine Bündel vielfach vom Knorpel gedeckt werden. Bei der grossen Anzahl der Nerven erscheinen ihre Dimensionen beim Betreten der Cornea bemerkenswerth, da sie nur 0.00638—0.01316 mm im Durchmesser halten. Durch den Umstand, dass viele Stämme schon am Rande in mehrere unter einander gleich starke Nervenbündel zerfallen, welche theils parallel, theils unter mannigfachen Kreuzungen gegen die Hornhautmitte ziehen, sinkt die Stärke derselben bald weit unter das obige Mass. Der Stromaplexus zeichnet sich durch seine grosse Dichte aus und es tritt hier auch eine Verbindung der eintretenden Stämme deut- lich auf, welehe man als feinen Ringplexus bezeiehnen kann. Obwohl fast bei allen besprochenen Fischen (Fig. 15, Fig. 18) sichtbar, er- scheinen doch hier seine langgestreckten, dem Cornearand parallelen Maschen aus feinen marklosen Fasern am ausgeprägtesten. Im Gegen- satz zu dieser grossen Menge der Randnerven steht die geringe Zahl derselben bei Esox lucius. Eine Cornea eines mehr als YY» m langen Hechtes wies nur 20—25 Stämme auf, deren Grösse bis zu 0.0148 mm schwankt. Durch baumförmige Verzweigung dieser grossen Nerven, welche ähnlich Carassius meist der zweiten und dritten Richtung angehören, entsteht jedoch ein sehr dichtes Geflecht mit abgerundeten Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 215 Winkeln der Maschen, das am Rande das mittlere Niveau der Hornhaut einnimmt, gegen das Centrum wie bei den übrigen Fischen, die obersten Schichten durchzieht. Von Carassius weicht auch Esox durch die Lage seines Ringplexus ab, weleher ähn- lich Seardinius nieht an der hinteren Corneafläche, sondern ganz nahe am Knorpelrande, denselben umfassend seine Fasern verflicht. Dadurch, dass dieser Knorpel sich etwa an die Mitte der Hormn- hautdicke ansetzt, liegt auch das Randgeflecht in dieser Höhe und entsendet von hier aus die Nerven zum Stroma und Epithel. Die hinterste oder unterste Partie der Cornea fand ich auch am Rande nervenlos. Bei Rhodeus amarus (6!/s cm) beträgt die Zahl der eintreten- den Nerven gleich der in der Hornhaut von Phoxinus 45 im Mittel, wovon jedoch mehr als die Hälfte der lang verlaufenden dritten Richtung angehören, mit einer grössten Breite von 0.00978 mm, während die übrigen zur ersten und zweiten Richtung zu rechnen sind, da sie kurz vom Rande die vordere Grenzlamelle durch- bohren. Sie halten 0.0053—0.00658 mm im Durchmesser, wie überall am Cornearande gemessen. Verschieden von dem streng sceleralen Typus ist die Nerven- vertheilung in der Familie der Salmoniden und bei Gobio fluviatilis. Wie Eingangs erwähnt, zeigt sich hier eine stärkere Betheiligung der Conjunetiva an dem Aufbau der Hornhaut. Folgerichtig sind auch die eonjunetivalen Nerven stärker entwickelt. Eine Cornea von Thymallus vexillifer oder Trutta fario von der oberen Fläche betrachtet, lässt die besprochenen einspringen- den Zapfen der Bindehaut erscheinen (Fig. 8 z), in welchen Nerven und Gefässe verlaufen und mitunter Pigmentzellen als Begleiter derselben eingewandert sind. Man kann hierzu sowohl Goldprä- parate als auch frische oder in schwach angesäuertem Wasser liegende Hornhäute benützen!). Bei der Verfolgung dieser Nerven- stämmehen von der Spitze solcher Zapfen zurück gegen ihren Ursprung bemerkt man, dass ein Theil derselben aus der Tiefe kommt, welehe man der ersten Richtung zuweisen muss, ein Theil 1) So behandelte Objecte halten sich viele Tage unverändert, wenn sie in geschlossenen Gefässen aufbewahrt werden. Es ist dies die alte, viel- benützte Methode von Kölliker. Ztschr. f. wissenschaftl. Zool. Bd. XII. 1862. „Untersuchungen über die letzten Endigungen der Nerven.“ 216 Carl Zelinka: aber in den oberflächliehen Schichten bleibt. Die Randpartie zeigt ausserdem noch eine weitere beachtenswerthe Differenz. Während bei dem streng scleralen Typus das markhaltige Ringgeflecht unter oder vor dem Knorpel, aber immer an der hinteren Fläche gelegen hatte, biegen hier die eintretenden Stämme nach aufwärts im Bogen über den Knorpelrand und verbinden sich dann erst ge- flechtartig, so dass der Ringplexus zum grössten Theile auf oder über dem Knorpel sich befindet. Seine Schlingen aber reichen bis in die Conjunctiva und treten hier mit dem cutanen gross- maschigen Nervengeflechte, wie es sich überall in der Unterhaut findet, in einen Faseraustausch und zwar werden nicht nur ge- mischte Stämmchen, sondern auch rein conjunctivale gebildet. Diese Nerven rein conjunctivalen Ursprunges sind es, welche bei Flächenbetrachtung nicht aus der Tiefe aufsteigen, sondern aus der gleichen Höhe aus dem umgebenden eutanen Geflechte ent- springen (Fig. Sen). Die aus der Tiefe aufsteigenden sind die seleralen Nerven (sn), welche durch den erwähnten Faseraustausch des Ringgeflechtes auch conjunctivale Nervenfasern erhalten. Mit kurzen Worten gesagt, fallen die Nerven der ersten Richtung ent- weder in das Gebiet der Conjunetiva, oder sie werden ganz ver- misst, es treten dafür die Nerven der Conjunetiva vicariirend ein, die dann diesen Randbezirk innerviren, welcher bei Carassius noch den Nerven der ersten Richtung zur Versorgung anheim fiel. Die Nerven der zweiten und dritten Richtung sind seleral, wie bei Caras- sius; die letzteren lassen bei Thymallus auch in der hinteren Partie des verdickten Randes einen wohl entwickelten Stromaplexus ent- stehen. Gobio (Fig. 6) zeigt die vordringenden Zapfen der Binde- haut nicht, da dieselbe noch nicht an den Stellen, wo keine Nerven und Gefässe streichen, zurückgetreten ist, sondern bis zur innern Irisgrenze mit ungebuchtetem Rande reicht. Die Zahl der Nerven steigt hier an einem 12 cm langen Exemplare zur Höhe von 50 Stück im Mittel, von einer zwischen 0.0629 — 0.0164 mm wechselnden Stärke am Rande. Von diesen erscheint ein Drittel der lang verlaufenden dritten Richtung an- gehörig, die Uebrigen streifen als Nerven erster und zweiter Rich- tung fast ausschliesslich in der Conjunctiva und sind hier nach ihrem Durchtritte durch die Bowmann’sche Lamelle noch ein Stiick weit sehr deutlich als subepitheliale Nerven zu sehen. Die in der Substantia propria bleibenden Aeste bilden einen schön Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 217 ausgeprägten Stromaplexus, dessen in mannigfachen Curven ziehende Fasern grosse, vollkommen unregelmässige Maschen bilden. An jungen Gobio fluviatilis von 6 em Länge zählte ich 20--25 Stämm- chen im Ganzen, welche eine durchschnittliche Breite von 0.00638 mm aufwiesen. Durch Vergleichung mit den obigen Zahlen erweist es sich, dass sowohl die Menge als die Stärke der Corneanerven mit der Körpergrösse oder, was dasselbe sagt, mit der Grösse der Cornea!) zunimmt. Einen Sehritt weiter in der Antheilnahme der Conjunctiva und ihrer Nerven an der Cornea macht Perca fluviatilis, jenes Bindeglied, welches die Conjunetiva über das ganze Auge ent- wickelt hat und eine ausgeprägte Uvea besitzt. Hier wird der Ringplexus zu gleichen Theilen von conjunetivalen und seleralen Nerven gebildet und man kann deshalb die eine Hälfte des Ge- fleehtes durch Abtrennen der Bindehaut in derselben erhalten (Fig. 9). Die Mächtigkeit der zur hinteren Corneafläche tretenden scleralen Nerven hat abgenommen in demselben Masse, als die conjune- tivalen Nerven für sie eintreten. Sie bilden den Ringplexus, den peripherischen Sammelplatz aller Hornhautnerven, nicht mehr allein, sondern haben diese Function mit der Conjunetiva zu theilen. Am Querschnitte erscheinen keine Nerven erster und zweiter Richtung mehr ausgeprägt, dieselben sind von den conjunetivalen Nerven vollkommen verdrängt. An der Bildung des Stromaplexus bethei- ligen sich die letzteren und die noch vorhandenen scleralen Nerven dritter Riehtung. Die uveale Partie der Hornhaut, welche bei Perca den grössten Theil des Querschnittes einnimmt, erscheint nervenlos, im Gegensatze zu den seleralen Hornhäuten, welche in den hinteren Schichten gerade ein oft sehr reichliches Geflecht besitzen. In einer Hornhaut eines 15 em langen Barsches zählte ich etwas über 30 selerale Stämme, deren Grösse 0.006—0.025 mm im Durchmesser betrug, welchen 60 conjunctivale Nerven gegenüber- stehen, deren stärkste 0.013 mm massen. Der Stromaplexus zeigt eekige Maschen, in welchen sowohl rechte, als stumpfe und spitze Winkel zu finden sind. Ein ganz ähnliches Verhalten tritt uns bei Cobitis barbatula 1) Ich führe die Körperlänge an, als ein leichter und sicherer zu be- stimmendes Mass als der Durchmesser der Cornea ist. 218 Carl Zelinka: entgegen. Auch dessen Cornea ist mit einer vollständigen Con- jJunetiva ausgestattet und besitzt den Ringplexus sowohl im seleralen wie auch conjunetivalen Randgewebe, so dass in den getrennten Membranen je ein Theil des Geflechtes zurückbleibt. Aus dem scleralen Theile entspringen bei 25 Nerven, welche entweder durch die oberen Schichten des scleralen Gewebes ziehen, oder zur Con- junetiva aufsteigen und dort sich mit den zahlreichen Stämmen derselben zum Stromaplexus vereinigen, in welchem das weite Hineinreichen der doppelteontourirten Fasern imponirt, indem die- selben die Irisgrenze fast überschreiten. Die Winkel der Veräste- lungen und Verflechtungen zeigen hier eine auffallende Regel- mässigkeit, insoferne als sie meist 90° betragen. Bei einem 8 cm langen Fische fand ich am Rande als Durchmesser der Stämme 0.00476 mm im Mittel. Dieses Uebergehen des Nervenreichthums in die Conjunetiva bei deren weiterer Ausdehnung hat seinen Höhepunkt in Cottus gobio erreicht (Fig. 19). Der Ringplexus, bei Carassius an der hinteren Corneafläche gelegen, umzieht hier ganz in der Bindehaut gelagert den Hornhautrand. Die sclerale Cornea erhält nur spär- liche Fasern, während die Conjunetiva das schön entwickelte Ringgetlecht zeigt, welches funetionell dem Ringplexus des seleralen Typus entspricht. Der Charakter des Geflechtes ist dem lockeren Gewebe angepasst, indem die einzelnen doppeltcontourirten Fasern nicht fest aneinander liegen, wie beim scleralen Typus, sondern ein ziemlich regelloses Wechseln ihrer gegenseitigen Lage zur Schau tragen. Aus diesen Fasern entspringen die Corneanerven, welche in vielfachen Curven und stellenweise geradlinigem Ver- laufe über die ganze Hornhaut ziehen. Die Abstammung dieser Fasern wird zum grössten Theile von dem Ramus conjunetivae des Nervus ciliaris longus abzuleiten sein, welcher, in der Con- junetiva angelangt, sich in grosse, die Cornea in einiger Entfernung bogenförmig umziehende Stämme auflöst, aus welchen sich die Nervenbündel zum Ringgeflechte abzweigen. Im scharfen Gegen- satze zum scleralen Typus hat also hier die Conjunctiva die Inner- virung der Cornea übernommen. Die Sclera selbst trägt zur Versorgung des Stromaplexus nur insoferne bei, als bei Cottus und Anderen regelmässig mehrere aus doppelteontourirten Fasern bestehende Nervenstämme von wechseln- der Stärke — 0.013 —0.023 mm bei einem Thiere von 7.5 em Länge — Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 219 von der Unterseite der Hornhaut durch den Knorpel oder den Cornearand selbst in die der Selera aufliegenden Gewebetheile emporsteigen. Beim Durchtritte drängen sich die vorher im Stamme ausgebreiteten Fasern zusammen, so dass dieser Stamm nunmehr °/; bis !/;, seiner früheren Breite beträgt, wobei er zu- gleich eylindrisch wird. Nachdem er aber den Knorpel senkrecht durchbohrt, formiren die Fasern wieder ein Nervenband, welches sich bald früher, bald später im Verlaufe dem Ringplexus zuge- sellt und ihm seine Fasern zuführt. Solche Nervenbänder, die von den innerhalb des Augenbulbus befindlichen Ciliarnerven abstam- men, fand ich noch mehrfach bei Fischen von ausgeprägt conjune- tivalem Typus, z. B. bei Trigla lineata, Serranus scriba, wo sie mitunter mehr als 0.06 mm massen, ferner bei Maena vulgaris, bei welchem Fische sie, nachdem sie den Knorpelkanal verlassen, sich in 2 nach entgegengesetzten Seiten laufende Randbänder theilten, bei Ohrysophys aurata u. a. m. Wie früher angedeutet, ist die sclerale Cornea nicht nerven- los, wenn sie auch, was Reichhaltigkeit betrifft, den Vergleich mit dem seleralen Typus nicht aushalten kann. Wo wir früher am Knorpelrande und in dem davon abgehenden Gewebe der Hornhaut den grossen starken Ringplexus gefunden hatten und Nerven in den erwähnten Richtungen die sclerale Cornea durchsetzten, ist hier eine bedeutende Reduetion bemerkbar, indem die Nerven dieses Gewebes sowohl an Stärke als Zahl zurückstehen. Sie er- scheinen an mehreren Stellen des Randes und zwar bei Cottus in variabler Anzahl. Ich fand Hornhäute, wo nur 2 Nervenstämmchen vorhanden waren und in dem Falle an diametralen Partien der Peripherie eintraten, in anderen Fällen aber bis zu 5 allerdings kleinere Bündeln aufgefunden wurden. Sie alle theilten sich und liefen den Rand entlang, wobei sie mitunter einen wirklichen seleralen Randplexus bildeten, der jedoch weder eine constante Existenz besass, noch irgend eine mächtigere Entfaltung aufwies. Solehe Randfasern waren noch bei anderen Fischen sichtbar und ich zähle davon nur Orenilabrus paro, Maena vulgaris, Fobrus niger, Serranus scriba und Blennius tentacularis auf, welch’ letzteres Objeet ich zur näheren Besprechung dieser Randnerven und des davon ab- gehenden Plexus wähle. Hier sieht man an einzelnen Stellen der Peri- pherie der seleralen Cornea eine oder zwei Faserbündel von 0.0006 bis 0.0009 mm Breite hinziehen, welche aus verschiedenen, an einigen 220 Carl Zelinka: Punkten von unten herauf zutretenden Nerven abzweigen und bald einander parallel laufen, bald sich kreuzen, den Rand jedoch nicht ver- lassen, bis sie sich schliesslich in unmessbar feine Fibrillen auflösen, die dann mit varicösen Knötchen besetzt vom Rande sich wegwenden. Man sieht sie dann meist auf weitere Strecken in schnurgeraden Linien ziehen, manchmal plötzlich im scharfen Winkel abbiegen und in der neuen Richtung weiter streichen, sich theilen, mit einem Worte ein Bild zeigen, sehr ähnlich demjenigen, wie es die hinreichend bekannten feinsten Fasern der Froscheornea bieten, wobei jedoch an einen derartigen Reichthum nicht gedacht werden darf. Ana- stomosen dieser Fibrillen sah ich nicht, sie hörten plötzlich auf, und ieh konnte nicht entscheiden, ob in Folge einer natürlichen Endigung oder ob nur die Goldreduction ihren Dienst versagt hatte. Aehnliches findet man auch bei Serranus etc. Ein Bild, wie es Emery in Fig. 11 von Sargus zeichnet und von Serranus und Scorpaena im Texte angibt, nach welchem die Nerven wieder zur Selera zurückkehren sollten, fand ich nicht. Nach den beigegebenen Figuren 11 und 12 erscheint es zweifel- haft, ob man es hier überhaupt mit Nerven zu thun hat, oder, wie es wahrscheinlicher ist, nur vergoldete Spalt- und Kittlinien des Gewebes vorliegen, wie sie in der Cornea oft vor Augen treten und neben den Nerven erscheinen. Bei COrenilabrus macht das zarte Geflecht einem viel massigeren Platz, welches nicht aus Primitivfibrillen allein, sondern auch aus Fibrillenbündeln. zusam- mengesetzt ist. Emery hat diesen Plexus eines anderen Labriden, nämlich von Julis, richtig abgebildet und ebenso bereits seine grosse Annäherung an die gelben Pigmentzellen der Cornea da- selbst bemerkt, wobei er die beachtenswerthe Annahme macht, dass jene Nerven mit diesen Zellen im physiologischen Zusammen- hange stehen möchten. Vielleicht wäre dadurch auch eine Er- klärung dafür gegeben, dass dieser selerale Plexus bei den Labriden eine grössere Stärke besitzt, als bei erwähnten Blennius u. A., bei welchen gelbe Zellen daselbst fehlen. Wir haben in der Cornea des eonjunetivalen Typus nunmehr 2 Geflechte erkannt, und zwar einen Plexus in der Conjunetiva, welcher funetionell dem Stromaplexus des scleralen Typus ent- spricht, und einem im scleralen Gewebe von bedeutend zarterer Ausbildung, deren weitere Ausbreitung unabhängig von einander und ohne Zusammenhang stattfindet, wenigstens konnte ich niemals, Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 221 ausser am Rande, Fasern oder Faserbündel finden, welche vom seleralen zum conjunetivalen Plexus zogen. Zu diesen Hauptge- fleehten kommt noch ein drittes, welches mir bei @obius auffiel. Dasselbe liegt zwischen der scleralen und uvealen Schichte und zwar der letzteren dicht an, so dass bei Wegnahme derselben auch die Nerven entfernt wurden. Ich nenne ihn den uvealen Plexus des eonjunetivalen Typus. Seine Eigenthümlichkeit besteht darin, dass seine Fasern nur in einer Ebene laufen, welche durch die Oberfläche des uvealen Gewebes gegeben ist, dass also nicht mehrere Fasern oder Gefleehtsmasehen über einander liegen, son- dern der ganze Plexus einschichtig einer Fläche anliegt. Seine Fasern, von der gewöhnlichen Struktur der marklosen Cornea- nerven, sind nicht einzelne Fibrillen, sondern Fibrillenbündel, unter einander gleichmässig diek, mit einer mittleren Breite von 0.0024 — 0.0069 mm. Die Maschen, welche von ihnen gebildet werden, sind sehr gross und nehmen, wie die Fasern des scleralen Gewebes, vom seleralen Hornhautrande ihren Ursprung, ohne dass eine weitere Verbindung zwischen beiden daraus hervorgehenden Plexus aufzufinden wäre. Von anderen Fischen stehen mir keine Beobachtungen zu Gebote, doch wird wohl diesem Plexus kein vereinzeltes Vorkommen, sondern eine weitere Verbreitung zuzu- schreiben sein. Ueber seine Bestimmung und Endigung kann ich keine Mittheilungen machen, vielleieht ist, analog den gelben Zellen, hier der continuirliche endotheliale Belag, welchen Emery zwischen diesen Schiehten aufgefunden, damit in Connex zu bringen. Zur Besprechung der Conjunetiva zurückkehrend, finden wir also den eigentlichen Stromaplexus, welcher die Rami perforantes zum Epithel abgibt, in derselben. Cottus hat bei einer Körper- länge von 10 em durchschnittlich 45 eintretende Nerven von sehr wechselnder Breite, von welchen etwa 5—8 starke Bündel aus Fasern zusammengesetzt sind, die im frischen Zustande meist doppelteontourirt erscheinen. Eine genaue Angabe des Durch- messers dieser Stämmehen ist dadurch erschwert, dass diese mark- haltigen Nerven nicht enge aneinander liegen und ich gebe daher besser die Stärke der einzelnen Fasern an, wobei ich erwähne, dass in den 5—8 starken Bündeln etwa 5—10, in der Mehrzahl markhaltige, in den übrigen eintretenden Nerven 1—3 meist schon blass gewordene Fasern zu zählen sind. Dabei ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass auch Einzelne von den Letzteren noch doppelt- 222 Carl Zelinka: contourirt sein können. Die noch unverletzten markhaltigen Nerven des Ringplexus schwankten im Durchmesser zwischen 0.00158 bis 0.003517 mm, welche Breite sie auch in den abtretenden Stämmen beibehielten, bis sie plötzlich ihren Markreichthum einbüssten und dem Auge entschwanden. Die weiteste Strecke, auf welche solche starke Stränge aus doppelteontourirten Nerven vom Ringplexus weg zu sehen waren, betrug 0.3 mm in der ovalen Cornea von Cottus, deren grosse Axe 3 mm, deren kleine 2.3 mm mass. Ein in die Augen fallendes Bild gaben im Ringplexus dabei einzelne, ausserordentlich hellglänzende markhaltige Fasern in der bemerkenswerthen mittleren Breite von 0.00456 mm, die aus den zuführenden conjunetivalen Stämmen kamen und in den Ringplexus übergingen. Sie theilten sich in demselben und liefen dann als Fasern von gewöhnlichem Durchmesser und Glanze entweder weiter, oder gesellten sich einem die Cornea betretenden Bündel zu. Ihre Abstammung dürften sie vom Ramus ceiliaris brevis nehmen, da Stannius in seinem Werke über das peripherische Nervensystem in demselben Ramus „breite Primitivröhren‘“ beschreibt und aus- drücklich angibt, dass der Ramus cil. longus selbst nur „feine köhren“ besitzt. Vergleichen wir mit diesem Fische andere vom gleichen Typus, so findet sich nieht überall ein so geschlossener Ringplexus, wie ihn die Zeichnung von einer günstigen Hornhaut von Cottus wiedergibt. COrenilabrus pavo zeigt in seiner Hornhaut mehrere mächtige Hauptstämme, welche eine vollständig baumförmige Ver- ästelung aufweisen und gewissermassen das Gerüste des ganzen Plexus sind. Am Fussende jedes Stammes gehen für den Rand Kreisäste von ziemlicher Stärke ab, welche dadurch, dass sie sich dort verflechten, wo sie aufeinander treffen, den Ringplexus bilden. Mitunter ist ein Kreisast stärker als der in die Cornea ziehende Hauptstamm, in welchem Falle das Bild dieser Stelle sich Cottus nähert. Bei einer Totallänge von 8 cm besitzt Crenilabrus in seinem conjunetivalen Theile der Hornhaut 30—40 Stämme, wo- runter beiläufig 5 die erwähnten Hauptstämme darstellen und durch ihre Breite von 0.027—0.03 mm auffallen, während die übrigen aus den Kreisästen oder Ringplexus entspringenden Faserbündel bedeutend schmächtiger sind, so dass deren kleinste einen Durch- messer von nur 0.006558 mm haben. Orenilabrus schliessen sich an: Lota vulgaris (33 em) mit Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 223 35—-40 Nerven, deren maximale Breite von 0.019—0.02 mm schwankt, Motella trieirrhata (25 em), bei welcher von den 50 Stämmen die stärksten 0.02 massen, Dlennmius tentacularis (8 cm) mit der, durch die unverhältnissmässige Kleinheit seiner Cornea erklärlichen ge- ringen Zahl von 15 — 20 Nerven, im Mittel 0.01 — 0.016 mm be- tragend. Bei Maena vulgaris dagegen sind die Kreisäste stärker ent- wickelt, als die davon abgehenden Stämmehen und es erinnert das Bild, welehes uns der Rand zeigt, wieder an Cottus. Die Stämm- chen sind auffallend zart, der Mehrheit nach 0.00353—0.0065 mm messend, nur wenige zeigen eine Breite von 0.0098 mm. Wie wir bei Scardinius früher gefunden, dass der geringen Breite der Nervenbündel eine grössere Anzahl von etwa 100 entspricht, so steigt auch bei einer Maena (von 10 em) dieselbe auf 80—85. Ein ähnliches Verhalten ist weiters bei Sargus anularıs zu beobachten, wo die zum Cornearand zutretenden Stämme sich in breite Nervenbänder theilen, wie bei Cotius, welehe im Bogen den Rand umziehen und nachdem sie sich nach einer Weile aufzu- lockern begonnen, den Ringplexus formiren. Gleich Maena sind auch hier die eintretenden Nerven fein, wobei sie auch eine solche hohe Anzahl erreichen und in der Hornhaut eines 5 cm langen Exemplars auf 60—70 steigen. Hatten die Stromanerven des scleralen Typus einen mehr unregelmässig gewellten Verlauf, mit Theilungen in ganz ungleichen Winkeln und Bögen, so fanden wir schon bei Perca und Oobitis eine in der Folge beim eonjunctivalen Typus gesetzmässige Art der Verästelung des Stromaplexus, dadurch gesetzmässig, dass die Fasern mehr gerade ziehen, die Winkel mehr bestimmt und eckig erscheinen, als bei den im Anfange besprochenen Fischen. Der Plexus von Corvina nigra (Fig. 20) wird uns dieses fast typische Ver- halten anschaulich machen, woselbst die Faserbündel mitunter parallel sind, so dass wir an manchen Stellen die Bildung von rechtwink- ligen Maschen erkennen. Die Richtung der grossen Stämme ist im Allgemeinen centripetal, manche der feineren Aeste schlagen jedoch einen rücklaufenden Weg ein und vertheilen sich dann eentrifugal, mit eigenen und fremden Stämmen sich verbindend. Der Stromaplexus der übrigen Fische des gleichen Typus differirt nicht wesentlich, wenigstens fand ich es so bei Dentew vulgaris, Serranus seriba, Sargus anularis, Blennius ete. Eine Ausnahme 224 Carl Zelinka: machen die grossen Stämme, wie sie in der Hornhaut von Orenilabrus z. B. erscheinen, und die davon abzweigenden und in leichten Krümmungen ziehenden stärkeren Aeste, deren meist spitze Thei- lungswinkel ungleich und am Scheitel oft gerundet sind, während erst die davon abgehenden feineren Bündel geradlinig laufen und sich rechtwinklig theilen. An den Theilungsstellen und Knotenpunkten treten mehreckige Verbreiterungen auf, welche weiter unten be- sprochen werden sollen. Von dem Stromaplexus zweigt sich eine weitere Geflechtbildung ab, aus feineren Fasern bestehend, die dem subbasalen PlexusHoyer’s oder feinem Stromaplexus Waldeyer’s!) entspricht. Sowohl bei den Fischen des seleralen Typus als in den Uebergängen zum conjuneti- valen Typus und bei denen des letzteren selbst, kann fast überall diese Scheidung in zwei Plexus gemacht werden. Nur bei jenen Fischen, deren Cornea-Nerven sehr zart sind, wie bei Phoxinus, Maena, Sargus fällt eine allseitige Unterscheidung schwer, indem hier die feinen Fasern des Stromaplexus in der Stärke wenig von den subbasalen Nerven differiren und der erstere Plexus in den letzteren allmählich übergeht. Im seleralen Typus, wo der Stromaplexus am Rande eine sehr tiefe Lage hat, ist auch der feine Stromaplexus, für welchen die Bezeichnung „subbasal“ hier nicht passt, an denselben Ort gebunden und die Maschen sind hier oft langgezogen, wie von Squalius oben bemerkt worden. In einiger Entfernung vom Rande jedoch hebt sich der Stromaplexus und das feine Geflecht wird subbasal. Man kann hier nun zwei Schichten dieser Nervenver- theilung erkennen, von welchen die eine in den Maschen des groben Plexus liegt und deren Räume durchzieht, die andere ober derselben, aber unter der Bowmann'’'schen Lamelle zu suchen ist. Das Bild eines solchen Plexus ist nach den Beobachtungen an Uyprinus carpio, Scardinius, Esox lueius u. s. w. ein wenig regel- mässiges. Die Messung ergab für die stärksten Fasern des unter- halb liegenden groben Stromaplexus 0.0066 mm, für die von diesen abzweigenden Primitivfibrillenbündel 0.003—0.001 mm, aus welchen Bündeln endlich die Primitivfibrillen selbst unmessbar 1) Waldeyer: „Mikroskopische Anatomie der Cornea, Sclera, Lider und Conjunctiva“ pag. 207 in Gräfe und Sämisch ‚Handbuch der Augen- heilkunde“. Bd. I. 1874. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 225 fein hervorgehen und durch weitere Strecken in mancherlei Win- dungen und Winkeln ziehen. Ueber die Endigung der feinsten Fasern konnte ich beim seleralen Typus keine Sicherheit erlangen. Schon bei @obio fluviatilis und Perca gewinnt dieses Geflecht ein bestimmtes Aussehen, welches schon einigermassen an den fein- faserigen Plexus der Froscheornea erinnert, indem zierliche scharf- winklige Maschen, meist von 90 ° die Oberhand gewinnen. Noch mehr ist dies im conjunctivalen Typus der Fall, für welchen ich @o- bius zur Beschreibung herausgreife (Fig. 22). Von dem in den tieferen Schichten liegenden groben Stromaplexus mit höchstens 0.0066 mm im Durchmesser haltenden Fasern, welches Mass mit dem seleralen Typus vollkommen übereinstimmt, laufen feinere Fasern fast überall im rechten Winkel, um sich entweder zu theilen oder für sich weiter zu laufen und den tieferen Theil des feinen Stromaplexus zu bilden, welcher also auch hier in den Maschen des groben Plexus zu finden ist. Von den Stämmcehen des letzteren Geflechtes steigen, mitunter an den später zu besprechenden flachen Aus- breitungen, ziemlich kräftige Faserbündel senkrecht oder nahezu in dieser Richtung auf, wobei sie die Schichten der hier schön ausgeprägten grossen Hornhautkörperchen passiren müssen. Wenn sie die zu oberst liegenden Körperchen erreicht haben, lassen sie seitlich an einer Stelle ein Nervenbündel abtreten, welches sich’ auf diesen obersten Körperchen zu einem Geflechte auflöst. Bei seinem weiteren Aufstiege gibt der senkrechte Stamm meist zum zweiten Male in grösserer Höhe, gerade unter der Bowmann’- schen Lamelle ein Faserbündel ab, welches also über den Körper- chen zu liegen kommt, oder ein zugleich mit dem früheren Bündel abgegebenes horizontales Stämmehen hebt sich in diese Höhe em- por, ohne die Hornhautkörperchen zu berücksichtigen, in welch’ beiden Fällen daselbst ein drittes Geflecht gebildet wird. Dann erst steigt dieses verticale, jetzt dünnere Bündel als Ramus perforans durch die vordere Grenzlamelle in das Epithel. Solcher senkrechter Stämme oder Rami perforantes, welche also die Fasern aller höher liegenden Hornhautschichten sammeln und dem Stromaplexus zu- führen, gibt es sehr viele und zwar am Rande zahlreicher als in der Mitte, wo sie auch kürzer sind, da, trotzdem der Ringplexus schon in der Conjunctiva liegt, die Geflechte doch sich gegen das Centrum etwas heben. Dieses Längersein der gegen die Peripherie stehenden Rami perforantes erscheint jedoch nieht so auffällig, wie 296 Carl Zelinka: beim seleralen Typus, weil ja bei letzterem der Ringplexus und die benachbarten Partien des Stromageflechtes meist nahe der Unterseite der Cornea liegen und die perforirenden Stämmehen den ganzen verdiekten Randquerschnitt der Substantia propria zu durchsetzen haben. Die erwähnten grossen Hornhautkörperchen erscheinen bei @obius in zwei übereinander befindlichen Lagen, selten kann man noch eine dritte darüber liegende Zelle erblieken. Alle besitzen ihren deutlichen Kern mit einem Nucleolus und weisen die eigenthümlich zerrissenen und gezackten Umfangs- linien auf. Die zuerst von den Rami perforantes in horizontaler Richtung abtretenden Fibrillenbündel legen sich nun auf das nächste der obersten Körperchen und zerfallen in ihre einzelnen Fibrillen. Solehe Auffaserungen sind überall deutlich zu sehen und die daraus hervorgehenden Elemente, die jedoch noch keine Primitivfibrillen sind, da sie sich noch theilen, liegen den obersten Zellen im weiteren Verlaufe dicht an, benützen die Zellsubstanzbrücken, um zu den nächsten zu gelangen, indem sie sich dabei den Formen derselben genau anpassen und vielfache Windungen beschreiben. Ein Theil der Fibrillen wird schliesslich varicös und beginnt eine gerade Richtung einzuschlagen, wobei sie sich oft so weit heben, dass sie in das nächste höhere Geflecht übergehen. Ein anderer Theil jedoch behält meist seine scharfen, continuirlichen Contouren bei und tritt schliesslich an die Kerne der Hornhautkörperchen heran, mitunter sich der Rundung derselhen ein ganz kleines Stück weit anlegend und dann verschwindend, oder die Faser schien in den Kern einzudringen, wenigstens war ihre Linie innerhalb des Kernumfanges zu erblieken; die Dunkelheit des Objeetes verhin- derte zu erkennen, ob hier ein wirkliches Eintreten oder nur ein Auflegen der Nervenfaser auf die Kernmembran stattfand. Eine Endigung des Nerven in Netzart auf den Hornhautkörperchen, wie in Klein’s jüngster Arbeit beschrieben, konnte ich nirgends ent- decken. Die anderen Fibrillen, welehe varieös geworden und in die höhere Schichte aufgestiegen waren, finden daselbst einen feinen Plexus vor, der, wie schon gesagt, ebenfalls von den Rami perfo- rantes abzuleiten ist. Seine Haupteigenthümlichkeit ist die recht- winklige Theilungsart der Bündel in Fibrillen und der lezteren in Primitivfibrillen, welche ausserdem oft in ihrem Wege um 90° Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 227 abbiegen und weiter laufen, zuweilen jedoch nochmals einen rechten Winkel machen und sich selbst parallel werden. Die Fasern, welche eigenartig fein gewellt erscheinen, lösen sich schliess- lieh in varieöse Linien oder Primitivfibrillen auf und es scheint für jene, welehe sich nicht an Begegnende anlegen und mit diesen weiterziehen, ein freies Aufhören charakteristisch zu sein, da zellige Elemente in dieser Schichte nicht zu sehen waren. Irgend welche Anschwellungen wurden an den Enden nicht bemerkt, sondern ein allmähliches Feinerwerden schien die Endigung herbeizuführen. Auch glaube ich, da ich an vielen Hundert Hornhautquerschnitten in der Bowmann’schen Lamelle nur durchtretende Aeste gefunden habe, von einem in dieser Lamelle liegenden ‚„intrabasilaren“ Plexus, dessen Existenz Klein für die Mammalia erwiesen hat, absehen zu müssen und annehmen zu dürfen, dass diese feinsten Fasern unter der Bowmann’schen Grenzlamelle bleiben und in der Sub- stantia propria corneae selbst eine freie Endigung besitzen, wie Hoyer für die ganz analoge obere Schichte seines „subbasalen Plexus“ bei den Säugern annimmt und auch Klein von den Fasern seines tiefen „subbasilaren Plexus“ derselben Classe glaubt. Ehe ich einige Worte über die Verhältnisse der Verbreiterungen der Nerven im Stromaplexus spreche, will ich noch bemerken, dass Emery in Fig. 10 ein und zwar auf den Hornhautkörperchen liegendes Stück des subbasalen Plexus, ohne ihn als solchen zu erkennen, abgebildet hat, und ihn sofort in ein subepitheliales Geflecht (a Fig. 9) übergehen lässt. Letzteres weicht jedoch so sehr vom Habitus der Geflechtsbildung der Nerven im Allgemeinen ab, so dass ein Zweifel an seiner Nervennatur gerechtfertigt ist. Es er- scheinen daselbst so regelmässige und in so kleinen polygonalen und geschlossenen Maschen geführte Linien, dass sie mit den sub- basalen Nerven, welche man sonst zu finden gewöhnt ist und welche ich unten besprechen werde, ganz und gar nicht überein- stimmen, vielmehr ist es wohl anzunehmen, dass hier eine Ver- wechslung vorliegt mit den Spuren der basalen Epithelzellen, wie sie so oft an der Bowmann’schen Lamelle haften bleiben, wenn das Epithel abgefallen oder entfernt ist. Solche Bilder sind mit- unter sehr täuschend, besonders sobald einzelne Querwände der Zellen gänzlich fehlen und dadurch längere scharfe Linien Nerven vorzustellen scheinen. Auch mir kamen derartige Contouren so oft vor, dass ich sie wohl in Erinnerung habe und hier wiedererkenne. 228 Carl Zelinka: An Theilungsstellen, welche oft nahe aneinander liegen, er- scheint die bekannte Ausbreitung und Zerspaltung des Nerven- astes, gewissermassen eine flache Auffaserung und Sonderung der Fibrillen, welche mit einer Umlagerung derselben verbunden ist. An den Knotenpunkten kann man den Tausch von Fasern ver- folgen, während an anderen Stellen die Wechselbeziehungen der sich begegnenden Fasern nicht bis zu einer so innigen Verfleehtung gediehen sind und nur eine Aneinanderlagerung der Fasern oder ein Durehtreten eines Stämmchens durch den Spalt des anderen beobachtet werden kann. In allen drei-, vier- oder fünfeckigen Knotenpunkten und Theilungsstellen gelingt es leicht, die Fibrillen hindurch zu verfolgen. Auch die bekannten Pappenheim’schen Kerne, aus deren Existenz von His, Coceius, Lightbody und Lavdowsky!) eine Ganglienzellennatur dieser Gebilde erschlossen worden war, wurden beobachtet. Sie erscheinen an den übrigen Stellen der verlaufenden Aeste in länglich ovaler Form, an den Knotenpunkten aber in breiterer Gestalt, mitunter eckig. Auch bei den Fischen zählt man an grösseren Knoten bis zu 3 Kernen, ganz analog der Schilderung von Hoyer bezüglich der Säugethier- cornea. Ich konnte mich ebensowenig als Hoyer von der Gang- liennatur dieser Stellen überzeugen, vielmehr schienen sie mir als reine Durchgangs- und Wechselstationen für die Fibrillen zu dienen, welche insofern auch die Funktion von Ganglienzellen übernehmen dürften. Desgleichen schliesse ich mich Hoyer an, welcher die Kerne für Elemente der die Fibrillen vereinigenden bindegewebigen Scheiden erklärt und kann daher auch Thanhoffer?) nicht bei- stimmen, welcher sie für Kerne von Wander-Endothel- und Horn- hautzellen anspricht. Man wird sich jedoch leicht überzeugen, dass sie zu den Nerven in viel innigerer Beziehung stehen, als man nach Thanhoffer glauben dürfte und Hoyer’s Auffassung als die den Verhältnissen entsprechendste anzusehen ist. Die Rami perforantes begeben sich entweder direct in das Epithel oder sie laufen unter den Epithelzellen als subepitheliale 1) Vergleiche Hoyer’s vortreffliches Literaturverzeichniss auf pag. 277 ff. Nr. 21, 26, 31, 48. Vergleiche auch Lavdowky’s neue Arbeit, das Saugadersystem und die Nerven der Cornea. Arch. f. mikr. Anat. Bd. VII. p. 538—567. 2) Thanhoffer: Beiträge zur Physiologie und Histologie der Hornhaut des Auges. Virchow's Arch. Bd. LXUI. p. 136—175, 1875. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 229 Nerven. Auf Fig. 14 ist ein Ramus perforans im Epithel darge- stellt, während Fig. 11 die letzterwähnten Nerven zeigt. Das subepitheliale Geflecht liegt bei den Knochenfischen nicht in seiner ganzen Ausdehnung unter den Epithelzellen, wie es Klein!) zuletzt für die Säugethiere behauptet hat, sondern es laufen nur die starken Bündel eine Strecke weit unter den Epithelzellen und lassen sich bei vollkommen entferntem Epithel nicht weiter verfolgen, während man leicht der Fortsetzung dieser Nervenver- theilung nachgehen kann, wenn an einigen Stellen die Basaltheile der tiefsten Zellen an der Bowmann’schen Lamelle haften ge- blieben sind, wie es Figur 11 von Trutta fario wiedergibt. Diese bei den Fischen festgestellte Thatsache würde auch für die An- gaben von Krause und Izquierdo bei anderen Wirbelthieren übereinstimmen, welchen jedoch Klein’s bestimmte Aussage, dass er die subepitheliale Nervenausbreitung auch bei vollständig ab- gefallenem Epithel verfolgen konnte, entgegensteht. Wie in allen übrigen Verhältnissen der Nervengeflechte in der Fischeornea gibt sich auch hier eine merklich ärmere Be- theiligung der Fasern am Plexus kund und es scheinen die ein- fachen innervirten Fischhornhäute für die Plexusnatur der er- wähnten Gebilde zu sprechen, da es hier bei der einfacheren Ge- flechtsbildung leichter gelingt, die Anastomosen und Netzbildungen als blosse Kreuzungen oder Aneinanderlagerung der Fasern zu erkennen. Gegen die Auffassung von Klein als Netzbildung und für die von Hoyer angenommene Plexusnatur erheben sich auch die physiologischen Versuche von Ranvier?). Bei wirklichen Anastomosen, bei einer Verschmelzung der feinsten Fibrillen müsste jeder Reiz, er möge die Hornhaut an einer Stelle treffen, wo immer, unbedingt zum Centralorgan geleitet werden und das auch, wenn ein Theil der netzbildenden Nerven durchschnitten wäre. Ran- vier’s Sectoren- und Segmentenschnitte beweisen zur Genüge, dass von physiologischer Seite keine andere Verbindung als eine ge- flechtartige anzunehmen ist. Die durch Ineision am Hornhautrande von der Leitung isolirten Partien der Hornhaut waren, nachdem 1) Quarterly Journal of mikrosk. se. 1880. Vol. XX. N. S. p. 459. 2) Ranvier: Recherches experimentales sur la signifieation physiolo- gique du plexus nerveux terminal de la cornde 1879. Compt. rendus t. 88. p- 1087— 1089. Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd, 21. 16 230 Carl Zelinka: ihre Randnerven durchschnitten worden, unempfindlich, was bei Netzbildung nicht eintreten könnte, da die Fortleitung des Reizes nach der unverletzten Seite hin zu erfolgen hätte. Ranvier folgert hieraus, dass die Nerven in diesen Geflechten in beschränkten Bahnen laufen und keine wahren Anastomosen bilden. Ich erwähne dies hier, da durch diese Versuche auch die Frage der Ganglien- zellennatur der bekannten Knotenpunkte im verneinenden Sinne entschieden sein dürfte. Ich komme nun auf den wichtigsten Punkt der Nervenver- ästelung in der Cornea zu sprechen, nämlich auf die Vertheilung der Nerven im Epithel. Wie ich schon oben erwähnte, stammen die Nerven des Epithels zum Theile direct von den Rami perforantes, theils erheben sie sich erst von den subepithelialen Nerven. Die Verfolgung derselben stösst auf bedeutende Schwierigkeiten. Die Epithelzellen färben sich durch Gold meist viel stärker, als die Nervenfasern, welche oft blass bleiben, ein ähnlicher Uebelstand wie bei den Amphibien. So wie bei diesen entschwindet ein deutlich eintretendes Stämmehen plötzlich den Augen. War schon im übrigen Gebiete der Hornhaut die Untersuchung keine leichte, so wird das Procentverhältniss der gelungenen Präparate nun ein so ungünstiges, dass nur eine sehr grosse Anzahl von Hornhäuten eine Aufklärung verschaffen kann. Hindernd tritt hier die Un- möglichkeit in den Weg, ein Präparat zu erhalten, in welchem die Nerven sowohl in den tieferen als oberflächlichen Schichten gesehen werden könnten. Da das Gold durch das Epithel nur sehr schwer eindringt, so geschieht die Imbibition zum grössten Theile durch die Substantia propria und die weichen tiefen Schichten des Epithels viel rascher als von oben her. Lässt man nun das Objeet während einer für die hinreichende Durchtränkung der unteren Zellen bereehneten Zeit in der Goldlösung, so tritt die Reduetion hierauf in diesen Regionen intensiv, in der obersten Epithelschiehte aber fast gar nicht auf. Wenn jedoch umgekehrt die letztere redueirt erscheint, eignet sich die inzwischen dunkel gewordene weichere Partie der Cornea nicht mehr zur Beobachtung. An den Bildern, die ich in den Zeichnungen zur Ansicht brachte, sind daher die Nerven nur immer in einer der beiden Schichten zu sehen. Störend wirken auch die mitunter in alten Hornhaut- schichten anzutreffenden Wanderzellen ein, welche hier im Epithel bis in die Lage der platten Zellen eindringen. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 231 Die im Epithel zwischen den Cylinderzellen aufsteigenden Nerven bestehen immer aus mehreren Fibrillen, so dass sie oft dicker erscheinen, als die centralen Rami perforantes. Sie geben entweder schon in der tiefsten Lage Fibrillen ab, oder winden sich in Spiralen bis in die mittlere Schichte hinauf, um sich erst hier aufzulösen. Die von allen diesen Stämmchen abzweigenden Fibrillen sind meist varieös und ausserordentlich zart. Die Ver- theilung und Endigung ist ähnlich der bei den Säugethieren. Vor allem kann man auch hier an den meisten Stellen zwei Schichten unterscheiden, in welchen die von den Stämmehen abtretenden Fibrillen parallel zur Oberfläche am Querschnitte, also horizontal laufen und zwar die der eylindrischen tiefen Zellen und die der platten oberflächlichen (Figg. 12, 13). Sie wurden von Kölliker beim Meerschweinchen zuerst be- schrieben; auch Klein widmete ihnen eine specielle Besprechung und lässt sie in seiner ersten Arbeit!) in zwei Schichten auftreten, in der tieferen und in der oberflächlichsten, widerruft jedoch in seiner neuesten Publication?) diese Unterscheidung, da er diese horizontalen Fasern nun in allen inzwischen liegenden Zelllagen ebenfalls gefunden hat. Bei den Fischen jedoch sieht man die beiden Schichten durch die mehr eubischen Zellen getrennt, zwi- schen welchen die Nerven schräg ansteigen. Die untere horizontale Nervenfaserausbreitung hat nicht die Beständigkeit, mit welcher die obersten horizontal laufenden Fibrillen auftreten und kann in vielen Fällen gar nicht nachgewiesen werden. Regelmässig aber sind die letzteren Fibrillen vorhanden. Man sieht die Fibrillen meist zwischen den Zellen hinziehen, an manchen Stellen weichen sie von diesem Wege ab und laufen quer über die Zelle. Auch an den übrigen Stellen deckt die Fibrille nieht immer die Zellgrenze, sondern biegt meist in kleinen Curven nach verschiedenen Seiten über dieselbe hinaus, so dass etwa eine Verwechslung mit gefärbten Kittlinien ausgeschlossen erscheint. Theilungen der feinen Fasern beobachtet man nicht selten, auch scheinbar Anastomosen, die in den meisten Fällen als blosse Kreuzung von zweien, aus verschiedenen Ebenen und Richtungen kommenden Fibrillen aufgelöst werden konnten. 1) On the peripheral distribution of non medullated Nerve-fibres. By Klein. Quart. Journ. of mier. sc. 1871. p. 405. 2) S. Anm. 1 p. 229. 232 Carl Zelinka: Wenn nun diese varieösen Fibrillen eine Zeit lang zwischen den oberflächlichen platten Zellen ihren Weg gesucht haben, steigen sie, indem sie nach oben umbiegen, meist zwischen den äussersten Zellen an die Oberfläche und enden daselbst entweder einfach auf- hörend oder mit einer bemerkbaren Verdicekung. Ein Theil der Nerven konnte nicht bis zu dieser bestimmten Endigung verfolgt werden. So beschreiben auch Kölliker, Engelmann, Petermöller und Andere die Nervenendigung in der Hornhaut höherer Wirbel- thiere und ich kann Izquierdo!) nur beistimmen, wenn er ein intraepitheliales Netz läugnet und freie Enden annimmt, indem ich mich einerseits von Klein’s Angabe, dass ein solches Netzwerk existire, nicht überzeugen konnte, anderseits das Aufhören der Fibrillen zwischen den äussersten Zellen zu klar vor Augen liegt, so dass ich auf der Angabe freier Nervenenden bei den Knochen- fischen bestehen muss. Die Fibrillen sah ieh mitunter an Schräg- schnitten ein ganz kleines Stück scheinbar oberflächlich zwischen zwei Zellen horizontal laufen, wobei sich aber niemals jene Netz- bildung erkennen liess, welehe Durante?) vom Kaninchen abbildet und die wohl auf gefärbte Kittlinien zurückzuführen ist. Frei vor- stehende Endknöpfehen, welche Cohnheim und nach ihm Lav- dowsky°) angenommen, konnte ich nirgends sehen, sondern überall hörten die Fibrillen an der Oberfläche auf. Nachdem es mir nun geglückt war, in der Fischeornea die angezweifelten Nerven aufzufinden und sie bis zu ihrer freien Endigung im Epithel zu verfolgen, war es für mich von grösstem Interesse zu wissen, ob nicht auch in der übrigen Fischhaut freie Nervenenden existiren. Bis jetzt sind in dem Epithel der Fischhaut nur zwei Arten der Nervenendigung bekannt, die der Nervenhügel und der Ge- schmacksknospen Fr. E. Sehulzes. Merkel, welcher in seinem Buche ausführlich über dieselben berichtet, kommt zu dem Schlusse, dass sämmtliche sensitive Nerven der Fischhaut nur in diesen beiden bekannten Sinnesorganen endigen. Ich habe diesbezüglich 1) Waldeyer: „Ueber die Endigungen der sensitiven Nerven.‘ Arch. für mikrosk. Anat. Bd. 17. p. 367. (Nach Untersuchungen Izquierdo’s). 2) Durante: „Sulla terminatione dei nervi della cornea.“‘ Richerche fatte nel laborat. di anat. norm. Roma 1873 publ. dal Todaro. 3) Lavdowsky: „Das Saugadersystem und die Nerven der Cornea.“ Arch. für mikrosk. Anat. Bd. 8. p. 538. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 233 eine Thatsache mitzutheilen, welche für die Histologie und Physio- logie der Fischhaut von Wichtigkeit sein dürfte. Gute Querschnitte durch Stücke von der Fischhaut, z. B. Lippe oder Gaumenschleim- haut ete. von Squalius, Tinca und Anderen, welche nach einer 1—2- stündigen Durchtränkung mit 0.5 °/, Goldehloridlösung der voll- kommenen Reduction in Bastian-Pritehard’scher Flüssigkeit ausgesetzt waren, zeigten nicht nur die zu den Geschmacksknospen und Nervenhügeln hinansteigenden Nervenbündel, sondern ausser- dem sehr feine, von den eben erwähnten Bündeln wohl unter- schiedene, marklose Fasern, die zwischen je zwei Papillen, auf welchen hier die bekannten Endorgane stehen, in das gewöhnliche Oberhautepithel eintraten. Sie stiegen entweder mit den Stützfasern aus den tieferen Geflechten senkrecht auf oder zweigten sich von mehr unter dem Epithel hinziehenden Nervenbündeln ab. Die Zahl derselben belief sich in den dünnen Querschnitten auf 2—3 zwischen je zwei Endorganen, selbstverständich nur ein Bruchtheil aller zwischen den Organen vorhandener Fibrillen. Sie liessen sich eine Strecke weit in das Epithel verfolgen, wo sie meist senkrecht zwischen den Zellen emporstiegen, bis die Beschaffenheit derselben, namentlich die grosse Anzahl der Becherzellen der weiteren Beob- achtung ein Ende machte. Manche Fäserchen theilten sich etwas tiefer in feinste varieöse Fibrillen. Von dieser Thatsache kann sich Jedermann leicht an feinen, senkrechten Querschnitten überzeugen. Ueber die Endigung dieser epithelialen Fasern stehen mir keine direkten Beobachtungen zu Gebote. Ich glaube jedoch, die Enden dieser Nerven als freie bezeichnen zu können und zwar nach Analogie der Verhältnisse bei den höheren Vertebraten. Wir wissen, dass in der Öberhaut derselben fast sämmtliehe Nerven frei enden und dass diese Endigungsweise die am sichersten nachgewiesene ist!). Da ich ausserdem die freien Enden an einer besonders günstigen Stelle der Fischhaut, nämlich an der Cornea nachweisen konnte, so ist es wohl sicher anzunehmen, dass dieselben auch, wie bei den höheren Wirbelthieren, in der übrigen Körperhaut vorhanden sind. Ich möchte hier zugleich auf eine Consequenz hindeuten, welche sich aus dem Vorhandensein einfach sensibler Nerven in der 1) Nur Merkel hat neben den freien Enden noch isolirte Tastzellen im Epithel der Säuger und Vögel beschrieben, über deren Verbreitung bei den übrigen Wirbelthieren jedoch nichts bekannt ist. 234 Carl Zelinka: Fischhaut ergibt. Wie oben gesagt, enden nach Merkel sämmt- liche sensible Nerven in der Haut der Fische nur in den Nerven- hügeln und Geschmacksknospen. Da nun Gemeingefühle bei Fischen erscheinen, so konnten sie folgerichtig nur in einem der beiden Hautsinnesorgane gesucht werden und Merkel war geneigt, dieselben den Nervenhügeln zuzuweisen. Durch den erbrachten Nachweis noch anderer sensibler Nerven in dem Epithel fällt vor Allem die Nothwendigkeit einer solenen Annahme weg und da für diese Nerven eine so complieirte Endigungsweise, wie in den Nerven- hügeln nieht aufgefunden werden konnte, wird es der Wahrschein- lichkeit entsprechender sein, für diese einfachsten sensiblen Nerven auch die einfachsten und niedersten Gefühle, nämlich die Allgemein- sefühle in Anspruch zu nehmen, sei es, dass diese auf chemischen oder mechanischen Reiz erregt werden. Es liegt nicht in dem Rahmen dieser Arbeit, für diese physiologische Annahme Argumente zu erbringen, ich verweise, da wir diesbezüglich ein Vergleichs- objeet am Menschen haben, auf Funke!) in Hermann’s Physio- logie, dessen Schluss dahin geht, dass wohl kaum eine andere Deutung möglich, als dass die freien Nervenenden den Gemein- gefühlen, die Terminalapparate aber den Tastempfindungen dienen. Ich hoffe damit, einen, wenn auch kleinen Beitrag zur Aufklärung der Verhältnisse in der Körperhaut der Fische gegeben zu haben, erneute histologische und vor Allem gründliche physiologische Untersuchungen werden darüber volle Sicherheit zu bringen haben. Werfen wir einen kurzen Rückblick auf die besprochenen Verhältnisse, so können wir die Haupt-Resultate in folgenden Punkten zusammenfassen: 1. Die Knochenfische schliessen sich bezüglich der Topo- graphie ihrer Ciliarnerven keiner der anderen Wirbelthierklassen vollkommen an. Während die Ciliarnerven bei den Säugern die Sclera ganz hinten durchbohren, bei den Amphibien jedoch erst vorne eintreten, zeigen sie bei den Knochenfischen eine Verschie- denheit untereinander, indem der Ramus eiliaris brevis sich ganz hinten, der Ramus eiliaris longus aber erst vorne sich durch die Sclera begibt. 2. Die Betheiligung der Ciliarnerven und ihr Eintritt in die Hornhaut verhält sich nach dem Baue derselben verschieden. Bei Hornhäuten vom sceleralen Typus geben beide Ciliarnerven zu gleichen 1) Handbuch der Physiologie von Hermann. 3. II. p. 218. 1880. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 235 Theilen ihre Aeste an die hintere Gorneafläche ab, wo sich ein Ringplexus befindet. Von demselben aus steigen die Nerven in die Cornea auf. Die tiefe Lage dieses Randgeflechtes und des Stromaplexus am Rande, welcher sich erst in einiger Entfernung von der Peripherie gegen die Oberfläche erhebt, weist auf die tiefe Lage des Nervengeflechtes in der Hornhaut der Amphibien hin. Vereinzelt steht der Umstand, dass die Nerven vor ihrem Eintritte in die Cornea nicht eine Strecke weit in der Sclera laufen wie bei den übrigen, bis jetzt untersuchten Wirbelthieren beschrieben worden, sondern nach ihrem Wege in der Choroidea, unmittelbar an der Grenze zwischen Selera und Cornea direct in letztere ein- dringen, nachdem sie meist nur ein kurzes Stück vorher unter der Sclera sichtbar geworden sind. Im conjunetivalen Typus hat ein Ciliarnerv und zwar der eiliaris longus durch seinen Ramus conjunetiva die Versorgung der Cornea zum grössten Theile übernommen. Der Ringplexus liegt in der Conjunetiva, in welcher auch der Stromaplexus sich aus- dehnt, ein Verhalten, wie es in den höheren Wirbelthieren eben- falls nicht gefunden wird. Der scelerale Theil der Cornea besitzt einen eigenen, viel schwächeren Plexus. Bei Gobius kommt zu dem Stromaplexus und scleralen Geflechte noch ein dritter, nämlich uvealer Plexus hinzu. 3. In beiden Typen liegt der Stromaplexus zum grössten Theile in den oberen Schichten der Cornea, wie es bei Säugern der Fall ist. Vom Stromaplexus zweigt ein mehrschichtiger feiner oder subbasaler Plexus ab, welcher den Raum zwischen dem groben Stromaplexus und der Bowmann'’schen Lamelle einnimmt. 4. VondenRami perforantesgehtein subepitheliales Geflecht aus. 5. Die Nerven steigen in das äussere Hornhautepithel auf und enden zum grossen Theile frei an der Oberfläche zwischen den obersten Zellen. 6. Auch im übrigen Körperepithel kommen Nerven vor, welche weder zu den Nervenhügeln, noch zu den Geschmacks- knospen gehören und deren Endigung als eine freie anzusehen ist. Verzeichniss der untersuchten Fische: Physostomi: Fam. Esoeidae : Esox lueius. Fam. Salmonidae : Trutta fario. Thymallus vexillifer. 236 Carl Zelinka: Fam. Cyprinidae : Carassius vulgaris. Cyprinus carpio. Rhodeus amarus. Phoxinus laevis. Telestes Agassizii. Squalius cephalus. Scardinius erythrophthalmus. Gobio fluviatilis. Fam. Acanthopsidae : Cobitis barbatula. Anacanthini: Fam. Gadidae : Lota fluviatilis. Motella trieirrhata. Acanthopteri: Fam. Labridae : Crenilabrus pavo. Fam. Percidae : Perca fluviatilis. Serranus scriba. Fam. Pristipomatidae: Maena vulgaris. Dentex vulgaris. Fam. Sparidae : Sargus anularis. Fam. Triglidae : Cottus gobio. Trigla lineata. Fam. Sciaenidae : Corvina nigra. Fam. Gobiidae : Gobius 020. gilumigier: Fam. Blenniidae : Blennius tentacularis. Zum Schlusse habe ich noch eine tief empfundene Schuld der Dankbarkeit meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Fr. E. Sehulze für seine Anregungen und Rathschläge abzutragen. In dessen Institute wurde die Arbeit ausgeführt und ich sage so- wohl ihm als dem hohen k. k. Ministerium für Cultus und Unter- richt für die Ermöglichung eines einmonatlichen Aufenthaltes an der k. k. zoologischen Station in Triest meinen Dank. Ebenso leistete auch die Güte des Inspeetors der Station, des Herrn Dr. E. Gräffe der Arbeit einen bedeutenden Vorschub durch ausser- ordentlich zuvorkommende Beschaffung des nöthigen Arbeits- materiales.. Auch ihm sei mein Dank ausgedrückt. Graz am 28. März 1882. Die Nerven der Cornea der Knochenfische u. ihre Endigung im Epithel. 237 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Erklärung der Tafeln IX und X. . Ciliarnervensystem von Zeus faber. II. Opticus; V‘ Ramus ciliaris longus vor Abgabe der Radix longa zum Ganglion ciliare, Ge Gang- lion ciliare, III. Oculomotorius, rcl Ramus ciliaris longus nach Ab- gabe der Radix longa, reb Ramus ciliaris brevis aus dem Ganglion ciliare. . Intraocularer Verlauf der Ciliarnerven von Zeus faber. Das Auge mit Salzsäure behandelt und die Choroidea entfernt. Il. Opticus. rcl Ramus ciliaris longus, rcb Ramus ciliaris brevis, I Iris, Cr Cornealrand. Natürl. Grösse. . Frische Cornea von Carassius vulgaris von der unteren Fläche ge- sehen. Die Iris abgetragen, deren Contour durch zwei Kreislinien angedeutet. Zeigt den groben, markhaltigen Ringplexus des scleralen Typus. Cr Cornealrand. 44:1 auf Vergröss. 15 :1 reducirt. . Querschnitt durch eine Cornea von Carassius vulgaris. Gold, Klein’s Methode. Scleraler Typus. Die sclerale Cornea (s C) ist aus vielen feinen Lamellen zusammengesetzt, deren Querschnitte, um das Bild nicht zu verwirren, nicht eingezeichnet sind. K Knorpel der Sclera, Cj Conjunetiva mit Sinnesorganen, Pigmentzellen und eigenen Nerven. E Epithel, Lig p Ligamentum pectinatum, I Iris. Die im Schnitte getroffenenen Nerven lassen die drei Richtungen deutlich erkennen. 120:1 auf 50:1 reducirt. . Querschnitt durch eine Cornea von Cottus gobio. Chromsäure-Os- miumsäure. Conjunctivaler Typus. Cj die über das ganze Auge ziehende Conjunctiva, am Rande mit Pigmentzellen, sub ce subcutane Schichte, lockeres Gewebe, eine Verschiebung der Conjunctiva er- möglichend, s C sclerale Cornea von Knorpel K ausgehend, U uvealer Theil der Cornea, Lig p Ligamentum pectinatum, wenig entwickelt. I Iris. 120:1 auf 50: 1. reducirt. . Querschnitt durch eine Cornea von Gobio fluviatilis. Chrom-Osmium. Uebergangstypus. Cj Conjunctiva bis zur inneren Irisgrenze reichend. Uebrige Bezeichnungen wie in Fig. 5. 120:1 auf 50:1 reducirt. . Carassius vulgaris. Corneahälfte, von der oberen Seite gesehen. Epithel und Iris entfernt. Gold, Ameisensäure. Man sieht inner- halb der durchsichtigen, von sternförmigen Pigmentzellen umgebenen Cornea hauptsächlich die langen Nerven dritter Richtung. Am Rande die oberflächlich liegenden Capillarschlingen. Die Pigment- zellen sind der Einfachheit halber nicht in der ganzen Peripherie gezeichnet. 44:1 auf 20:1. . Trutta fario. Randpartie einer Cornea, von oben gesehen. Epithel entfernt. Gold, Klein. Man sieht die einspringenden Zapfen (z) Fig. Fig. Fig. ig. 15. Fig. 10. sh 13. 14. 17. Carl Zelinka: der Conjunetiva mit Nerven und Pigmentzeilen, welche an denselben eingewandert sind. Ferner erscheint das tiefe sclerale Ringgeflecht dunkel gehalten (sn), auf dem Scleralknorpel liegend, der bei Cr in die Cornea übergeht. Die oberflächlich ziehenden conjunctivalen Nerven (cn) sind hell gehalten, sowie auch die von ihnen abgehen- den Zweige zu den conjunctivalen Zapfen. Der mittlere starke Nervenstamm steigt vom scleralen Geflechte auf. 120:1 auf 50:1 redueirt. . Quadrant aus einer Conjunctiva von Perca fluviatilis (Uebergangs- typus mit vollständiger Conjunctiva, scleraler Cornea und Uvea, ohne subeutanes Gewebe.) Gold, Klein. Conjunctivale Hälfte des Ringplexus mit dem davon entspringenden Nervengeflechte, durch Abziehen derselben von der darunter liegenden scleralen Cornea erhalten. Das Pigment ist nur an den beiden Seiten ange- deutet. 120:1 auf 50:1. Stelle einer oberflächlichen Nervenausbreitung im Stromaplexus von Corvina nigra. Zeigt die Knotenpunkte der Nerven mit den Pappen- heim’schen Kernen. Gold, Ranvier. 420:1. Subepitheliales Geflecht von Trutta fario. Die Spuren der Basal- zellen haften an der Bowmann ’schen Lamelle. Gold, Klein. 800:1. 2. Squalius cephalus. Querschnitt durch das Cornealepithel mit der Nervenausbreitung in den tieferen Schichten. Es sind die horizon- talen Fasern zu sehen und einige direct aufsteigende Fibrillenbündel. Gold, Bastian-Pritchard. 800 auf 400: 1 reducirt. Squalius cephalus. Cornealepithel, die Nervenendigung zeigend. Zwei Langerhanns'sche Zellen sind in das Epithel eingedrungen und durch Gold schwarz gefärbt. Gold, Bastian-Pritchard. 800 auf 400: 1 reducirt. Querschnitt durch das Cornealepithel von Phoxinus laevis; ein langer Ramus perforans am Rande der Cornea, im Epithel in Fi- brillen aufgelöst. Gold, Bastian-Pritchard. 800 auf 400: 1 reducirt. Randpartie einer Cornea von Cyprinus carpio. Gold, Klein. Cr Cornearand, R pl feiner markloser Ringplexus, Ra p Ramus perfo- rans, Bl Blutgefäss. 150:1. Cornea von Telestes Agassizü, von Epithel und Iris befreit. Gold, Klein. Cr Cornealrand. Von oben gesehen, zeigt die kurzen Fasern der ersten Richtung, die längeren der zweiten, die punktirten Linien bezeichnen dabei die Durchtrittsstellen der Nerven durch die Bowmann’sche Lamelle. Die Fasern dritter Richtung sind in den Stromaplexus aufgegangen. 120:1 auf 10:1 reducirt. Feinste Nervenausbreitung von der hinteren Randpartie bei Squa- lius cephalus. Auflösung der Fasern in varicöse Primitivfibrillen. 800 : 1 auf 400: 1 reducirt. Fig. Fig. Fig. 18. 19. Carl Zelinka: Die Nerven der Cornea der Knochenfische. 239 Einzelnes Randstämmchen in der Hornhaut von Carassius vulgaris. Gold, Klein. Auflösung in ein Geflecht. Cr Cornealrand, R pl Fasern des feinen Ringplexus, III ein Nervenstamm der dritten Richtung. 300:1 auf 150 : 1 reducirt. Conjunctiva von Cottus gobio. Von der seleralen Cornea abgezogen, von der oberen Seite betrachtet, nach Entfernung des Epithels. Ringpiexus, aus locker neben einander laufenden doppelteontourirten Fasern gebildet; der grosse nur umrissene Stamm entspricht dem Ramus conjunctivae nervi ciliaris longi. Die Vertheilung der mark- losen Nerven ist nach Essigsäurebehandlung eingezeichnet. 120:1 auf 25:1 reducirt. Stromaplexus aus dem conjunctivalen Theile der Cornea von Cor- vina nigra. Zahlreiche Knotenpunkte mit Auffaserung der Bündel. Rechtwinkliche Maschen, rücklaufende Fasern. Gold, Ranvier. 120 ::1 auf 60 : 1 reducirt. . Grober Stromaplexus mit abgehendem feinen subbasalen Plexus von Esox lucius. Gold, Klein. Vergr. 290: 1 auf 140 : 1 reducirt. . Man sieht an der einen Seite den groben Stromaplexus, welcher zu unterst liegend gedacht werden muss, mit den davon recht- winklig abzweigenden und die Maschenräume erfüllenden feinen Fasern des ersten Theiles des feinen Stromaplexus. In der Mitte die darüber liegende oberste Schichte der Hornhautkörperchen mit dem zugehörigen zweiten Theile des feinen Stromaplexus, auf der anderen Seite der oberste dritte Theil desselben mit rechtwinkligen Maschen. Conjunctiva von Gobius niger. Gold, Klein. Vergr. 560: 1 auf 140 : 1 reducirt. 240 v. la Valette St. George: Ein neuer Fischbrutapparat. Von v. la Valette St. George. Mit vier Holzschnitten. Der Aufschwung, welchen die Zucht und Pflege der Fische unserer Gewässer genommen hat, gab Veranlassung zur Erfindung und Anwendung der verschiedenartigsten Apparate, welche die Weiter- entwicklung der künstlich befruchteten Eier zum Zwecke haben). Wie sehr dieselben nun auch in der Form von einander ab- weichen mögen, so besteht der wesentlichste Unterschied ihrer Einriehtung darin, dass bei den einen das Wasser von oben, bei den anderen dasselbe von unten her die auf einem Siebboden liegenden Eier umspüilt. In mehr als zwanzigjähriger Praxis habe ich alle mir zugäng- lichen Apparate durchprobirt — ältere wie neuere — und bin mit allen: der Jacobi’schen Brutkiste, den Coste’schen Brutkacheln, dem sehr zu empfehlenden Kuffer’schen Bruttiegel, Holz-, Sand- stein-, Cement- und Granittrögen, zum Ziele gekommen, falls der Hauptfactor zur Erbrütung: klares richtig temperirtes Wasser in genügender Weise vorhanden war; wenn auch das californische Prineip der Unterspülung, auf welchem z. B. von dem Borne's und Eekardt’s sinnreiche Construktionen beruhen, den Vorzug ver- dienen mag. Bestrebt, einzelne, durch zu complieirte Einrichtung oder un- sünstiges Rohmaterial noch immer hervortretende Mängel zu be- seitigen, habe ich nach mancherlei Versuchen bereits vor zwei Jahren einen neuen Brutapparat construirt und in den beiden letzten Wintern zur Anwendung gebracht. Das Ziel, welches ich dabei verfolgte, war möglichst eompendiöse, einfache, handliche Form, hergestellt aus einem Material, welches weder durch das Brut- wasser verändert wird, noch der so gefährlichen Pilzbildung Vor- 1) Eine ausführliche, historisch wie kritisch, gleich werthvolle Abhand- lung „Ueber Brutapparate für Salmoniden“ aus der Feder eines unserer ersten Fischzüchter, des Herrn F. Zenk, I. Vorstand des unterfränkischen Kreis-Fischerei-Vereins in Würzburg, bringt seit dem 15. October 1881 die „Bayerische Fischerei-Zeitung“. Ein neuer Fischbrutapparat. 241 schub leisten kann. Die erstere ist hervorgegangen aus dem, in den Cireularen des Deutschen Fischereivereins von 1879 S. 107 beschriebenen „Bruteimer“; als letzteres habe ich Fayencemasse verwenden lassen. | Ich will nun eine kurze Beschreibung des Apparates geben, der in seiner Ausführung durchaus keine technischen Schwierig- keiten bietet, in der Hoffnung, dass er nicht nur für den prak- tischen Fischzüchter, sondern auch als Hülfsmittel zu embryologischen Studien sich zweckentsprechend erweisen möge. Es besteht derselbe aus zwei ineinander passenden Trögen. Der äussere ist eylinderförmig, 26 em tief mit einer lichten Weite von 30 em. Der obere Rand steht1 em über. An der Aussenseite ist ein Rohr ange- setzt, welches, zur Aufnahme des Was- sers dienend, am \W m oberen Ende trich- |} N en ABU N, terförmig erweitert, > eine lichte Weite von 6 cm besitzt und diehtüber dem Boden mit einerdcm weiten Oeffnung in den Trog ausmündet. Der Ein- flussöffnung gegen- über ist der Rand dieses Aussentroges bis auf 5 em ausgeschnitten für den S em breiten und 9 cm langen, etwas geneigten Ablauf oder Ausguss. Dicht über der Einlaufsöffnung des Seitenrohrs, so- mit 5 cm über dem Boden des Aussentroges, springt ein Rand von 1 cm Dicke, 1,5 em breit, gegen den inneren Raum vor. Auf diesem flachen Rande ruht der zweite, 20 em tiefe Trog auf, dessen Boden fein durchlöchert ist. Die Wand des Einsatzes steht in einer Höhe von 5 cm senkrecht, verjüngt sich darauf in einer Höhe von 5 em um 2 cm und erweitert sich nach oben wieder zum Umfange des Bodens. Der obere Rand ist umge- bogen, 2 cm breit. Der zweite, im Durchschnitt einen einspringenden 242 v. la Valette St. George: Winkel zeigende Ab- schnitt des Innentroges ist in seiner ganzen Peripherie, wie der Bo- den siebförmig durch- löchert. Die Thätigkeit des Apparates wird nun leicht verständlich sein. Durch das seitlich angebrachte Rohr fliesst das Wasser ein, um am Boden des Aussen- troges in diesen aus- zuströmen, tritt dann durch das Bodensieb des Innentroges hin- durch und bespült die Eier, welche {bis zu einer 5 cm hohen Schicht dasselbe bedecken können, dringt dann durch den Siebring an der Peripherie des Ein- satzes in den Aus- sentrog, muss je- doch noch 5 cm höher steigen, um durch den Ausguss desAussentrogesab- fliessen zu können. In einer Minute lässt der Apparat 3 Liter Wasser durch- laufen. Die Vortheile dieser Construetion sind leicht ersichtlich. Zunächst fällt das Vorsieb weg, welches die Besichtigung der Eier hindert, sich leicht zusetzt und die Fischehen durch An- treiben derselben schädigt. Die durchbrochene Wand des Einsatzes lässt eben so viel Wasser in den Aussentrog abfliessen, als durch den Siebboden zuströmt; da jedoch der Ausguss des Aussentroges noch 5 em Ein neuer Fischbrutapparat. 243 höher liegt, als der Siebring und demnach über diesem noch ein Wasserstand von 5 em bleiben muss, so findet gar keine Strömung nach den peripherischen Sieblöchern statt und die jungen Fisch- chen sind keinerlei Beschädigung durch Antreiben und Verletzung der Dotterblase ausgesetzt, was sonst nur durch grosse, somit un- bequeme, Vorsiebe erreicht werden kann. Sogenannte Fangkästen sind durchaus entbehrlich, da die ausgefallenen Fische noch einen wasserfreien Raum von 5 cm über sich haben und demnach in keiner Weise zu entschlüpfen vermögen. Man kann sie bis zur vollendeten Reife im Brutapparate belassen, wenn man nicht aus anderen Gründen es vorzieht, sie auf ein grösseres Wasserquantum zu vertheilen. Während der Apparat zur Genüge 5000 Eier fassen kann, nimmt er doch sehr wenig Raum ein, ist durchaus sauber und bequem zu handhaben. Durch Aufheben und Niederdrücken des Einsatzes lassen sich die Eier beim Auslesen leicht bewegen. Freilich ist Fayence so zerbrechlich, wie gar Vieles in unserem nothwendigen Hausrath. Leidet die Hand, die ihn bedienen soll, an chronischer Ungeschicklichkeit, so greife man zum Blech, Holz, Stein oder Cement. Zu theuer, auch nicht theurer, wie andere, demselben Zwecke dienende, ist dieser Bruttopf gewiss nicht, da die Porzellan- und Fayence-Fabrik von Ludwig Wessel in Bonn ihn in bester Ausführung für zehn Mark liefert. 244 Bernhard Rawitz: Ueber den Bau der Spinalganglien. Von Dr. Bernhard Rawitz, Assistenzarzt. 1: Die Gliederung des Organes und vergleichende Anatomie desselben. Hierzu Tafel XI—XIV. In dem ersten Theile der Arbeit (dies Archiv Bd. XVII) „über die Struktur der Zellen“ in den Spinalganglien der Am- phibien und Säuger habe ich mich lediglich auf den Nachweis beschränkt, dass die von Beale und Arnold als ein normales Gebilde beschriebene Spiralfaser durchaus Artefakt sei, dass bei den untersuchten Thieren vielmehr ausschliesslich unipolare Zellen vorkommen, d. h. Ganglienzellen, die nur einen Fortsatz absenden. Es musste nun meine nächste Aufgabe sein, die so zwischen Fischen und Amphibien resp. Säugern von neuem wiederhergestellte Kluft zu überbrücken. Der Fehler aller bisherigen Arbeiten, die über den Bau der Spinalganglien vorhanden sind, liegt darin (das war mir bald klar geworden), dass jeder Forscher das, was er für seine, von ihm untersuchte Gattung gefunden hatte , sofort zu generalisiren keinen Anstand nahm. Die unglaubliche Verwirrung der Ansichten, die über den Bau der Spinalganglien herrscht, die oft geradezu sonderbaren Meinungen, die hier zu Tage treten, sprechen für obige Behauptung. Um diesen Fehler zu vermeiden musste daher das strittige Organ in der gesammten Wirbelthier- reihe untersucht werden, und zwar sowohl was die dasselbe con- stituirenden nervösen Elemente betrifft, als auch deren Gruppirung im Organ. Es waren das mühsame und zeitraubende Unter- suchungen. Da nun einerseits mein Dienst mir für histologische Arbeiten nicht allzuviel freie Zeit übrig liess, andererseits die Be- Ueber den Bau der Spinalganglien. 245 schaffung des Untersuchungsmaterials und der einschlägigen neueren Literatur bei der Entfernung der Garnison Metz von den Central- punkten der Wissenschaft keine leichte, im Gegentheil eine mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpfte war, da endlich die Her- stellung der Figurentafeln bei meiner ungefügen Hand auf mancher- lei Hindernisse stiess, so hat sich der Abschluss der Arbeit länger verzögert, als mir lieb war. Bevor ich zur Besprechung meiner Untersuchungsergebnisse übergehe, halte ich es für angezeigt, zunächst die in der Literatur ausgesprochenen Ansichten, soweit sie hierher gehören, einer ein- gehenden Kritik zu unterziehen. Dann muss auf die Arbeit von Freud!) eingegangen werden, weil dieselbe über einen Fisch handelt, den ich mir durchaus nicht als Untersuchungsmaterial be- schaffen konnte. So viel Missliches auch das Erstere an sich hat, so ist es doch nothwendig, da dadurch einerseits die falschen Ge- sichtspunkte näher erkannt werden können, von denen aus bisher die Untersuchung der Spinalganglien vorgenommen wurde, anderer- seits es besser zu verstehen ist, warum von mir mancher Punkt, dessenwegen in den bisherigen Arbeiten so grosse Staubwolken aufgewirbelt worden sind, z.B. die Faservermehrung im Ganglion, gar nicht berücksichtigt worden ist. Rudolf Wagner?) war es wohl zuerst, der der bipolaren Zelle (oppositipol: Courvoisier) in den Spinalganglien ausschliessliches Vorkommen vindizirte, ja sogar dieselbe für nothwendig zum Bell’- schen Satze erklärte. Er hat die Fasern der aus- und eintreten- den Nervenwurzel gezählt und dabei gleiche Resultate erhalten, also eine Faservermehrung im Spinalganglion nicht constatiren können. In neuerer Zeit hat Holl?) bei Zählung der Nervenfasern an Querschnitten des ein- und austretenden Stammes gleiche Faser- mengen gefunden; daher nimmt er ebenfalls nur bipolare Zellen an und hält die Ansicht von der Existenz der unipolaren für widerlegt. 1) Freud: Ueber Spinalganglien und Rückenmark des Petromyzon. Wiener acad. Sitzungsber. LXXVIN. II. Abth. Juli-Heft 1878. 2) R. Wagner: Handwörterbuch der Physiologie. Bd. 3 Abth. I und „Neue Untersuchungen über den Bau und die Endigungsweise des Nerven und die Struktur der Ganglien“. 3) Holl: Wiener acad. Sitzungsber. 72. Bd. 1875. Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 21. 1 u | 246 Bernhard Rawitz: Stannius!) erklärt, bei Fischen, sowohl in den Spinalgan- glien, wie im Ganglion Gasseri, nur bipolare Zellen gesehen zu haben. Die Fortsätze dieser Zellen sind, wie seine Figuren er- geben, bis an die Zelle markhaltig. Ueber die Faservermehrung lässt er sich nicht aus. Nach einem Referate Stiedas?) über eine Arbeit von Kut- schin bestehen die Spinalganglien „aus Zellen, welche zwei Fort- sätze haben und den Zellen der Centralgruppe ähnlich sind.“ Es sind also offenbar bipolare Zellen gemeint. Dem entgegen steht Kölliker?’), welcher, wenigstens für höhere Wirbelthiere, die Fasern der sensiblen Wurzel nicht mit Ganglienzellen in Verbindung treten lässt; er verfolgte solche Fasern durch das ganze Ganglion hindurch und sah keine Theilung derselben. (Es heisst immer, dass die sensible Wurzelfaser sich theile resp. sich nicht theile, je nach der Ansicht des Forschers. Es ist diese Ausdrucksweise aber durchaus unlogisch, da man nur von centrifugal leitenden l'asern sagen kann, dass sie sich theilen, von centripetal leitenden, wie es die sensiblen Wurzelfasern sind, aber sagen muss, dass sie sich vereinigen.) Schwalbe*) kennt nur unipolare Zellen und eine dadurch bedingte Faservermehrung im Ganglion. Er nennt die von der unipolaren Zelle entspringende Faser nach dem Vorgange von Axmann?) „gangliospinal“, eine sehr glücklich gewählte Bezeich- nung, die ich in Folgendem beibehalten werde. Entgegen R. Wag- ner und Holl fand er durch Messung, dass der austretende Ner- venstamm breiter sei, als der eintretende (bei der Eidechse). Fräntzel®) sah beim Menschen nur unipolare Zellen, die in Kapseln liegen, welch letztere einen durch Silberlösungen darstell- baren Endothelialüberzug haben. 1) Stannius: Das peripherische Nervensystem der Fische. 2) Stieda: Referate aus der russischen Literatur. Dies Archiv Bd. H. pag. 529. 3) Kölliker: Mikrosk. Anat. Bd. I. p. 202. 4) Schwalbe: Dies Arch. Bd. 4. 5) Axmann: Beiträge zur mikroskopischen Anatomie und Physiologie des Gangliennervensystems des Menschen und der Thiere. 6) Fräntzel: Virchow’s Arch. Bd. 38. 1867. m Ueber den Bau der Spinalganglien. 247 Nach Schramm!) gibt es apolare, bipolare und unipolare Zellen, von denen die letzteren die häufigsten sind. Sigmund Mayer und Remak nehmen eine Faservermeh- rung durch Theilung der Wurzelfasern an, logischer: eine Faser- verminderung durch Verschmelzung derselben. Diejenigen Autoren, welche nur bipolare Zellen anerkennen, meinen, dass überall da, wo sie unipolare zu Gesicht bekamen, dies stets verstümmelte bipolare gewesen sind. Andere?) wieder meinen, dass die Fortsätze der bipolaren Zellen bei Säugern nach derselben Richtung verlaufen, also fast parallel zu einander. Hierher gehört die Arnold-Beale’sche Spiralfaser, von der der erste Theil dieser Arbeit handelt. Ranvier?) fand durch eine besondere Methode seine T-Faser (efr. den ersten Theil der Arbeit). Ihm schliessen sich bedingt Key und Retzius an. Beson- ders hat Retzius*) in neuerer Zeit Untersuchungen über das Vor- kommen der T-Faser angestellt. Oft ist nach ihm mehr eine diehotomische Teilung, keine eigentliche T-Faser vorhanden, welch letztere beim Menschen häufig sein soll. Retzius nimmt an, dass bei den unipolaren Zellen der einzige, weiterhin dichotomisch ge- theilte Ausläufer physiologisch den beiden Ausläufern der bipolaren Zelle entspreche, indem er gewissermaassen eine Art Verschmelzung der beiden vor der Vereinigungsstelle darstelle. Die eine Theilungs- faser verlaufe centripetal, die andere centrifugal. Freud (l. e. pag. 16 und 17) schliesst seine ausführliche Literaturangabe mit den Worten: „Das Wesentliche aller dieser Betrachtungen scheint mir zu sein, dass die Kluft zwischen uni- und bipolaren Zellen ausgefüllt ist, indem Zellen nachgewiesen sind, welche nur einen Fortsatz entsenden, aber dennoch mit Centrum und Peripherie in Verbin- dung stehen, wie die bipolaren, und weder eine Faservermehrung bedingen, noch eine Sackgasse für die Nervenleitung darstellen. 1) Schramm: Neue Untersuchungen über den Bau der Spinalganglien. Würzburg 1874. 2) Betreffs einer genaueren Literaturangabe sei auf die eitirte Freud’- sche Arbeit verwiesen. 3) Ranvier: Comptes rendus 1875. 4) Retzius: Archiv für Anatomie und Physiologie. Anat. Abth. 1880. 248 Bernhard Rawitz: 2.2.0.0. . Scheint mir den unipolaren Zellen im Sinne der alten Histologie der Boden entzogen zu sein.“ Die Untersucher der Spinalganglien sind also in drei Heer- lager gespalten. In dem einen gilt nur die bipolare Ganglienzelle: Rudolf Wagner, Stannius, Kutschin-Stieda, Holl und Freud. In demanderen kennt man nur die unipolare: Schwalbe, Fräntzel u. A. Im dritten endlich werden beide Zellformen anerkannt: Kölliker, der für Fische die bipolare Zelle gelten lässt, Schramm ete., und ihnen schliessen sich als Naehtrab diejenigen an, welche für die Ranvier’sche T-Faser plaidiren. Neben dem Problem, welches die Struktur der nervösen Zellen in den Spinalganglien sei, namentlich wieviel Fortsätze dieselben haben und welcher Art diese seien, geht die Frage, ob in diesem Organe eine durch neu in ihm entstandene Fasern bedingte Faser- vermehrung stattfände oder nicht. Diejenigen, die nur bipolare Zellen gelten lassen, beantworten diese Frage schleehthin mit „nein“; die beiden anderen Gruppen mit „ja“, und diese gestehen noch die Möglichkeit zu, dass durch Theilung der Wurzelfasern neue Fasern entstünden. Wie schon oben bemerkt, muss es statt Faservermehrung durch Theilung sensibier Wurzelfasern logisch heissen: Faserverminderung durch Verschmelzen centripetaler Bahnen. An und für sich ist dies ein ganz interessantes physiologisches Problem: ob es nämlich möglich ist, dass zwei differente sensible Reize, die auf discreten Bahnen einen grossen Theil ihres Weges zum Centralorgan zurück- gelegt haben, sich in einem einzigen Leitungsdrahte vereinigen können, und ob es ferner möglich ist, dass auf diesem so verein- fachten Wege zwei verschiedene periphere Reize auch central ver- schieden wahrgenommen werden können. Eine anatomische Unter- lage würde für die Lösung dieses Problems allerdings nicht vor- handen sein, wenigstens kann ich versichern, dass ich nirgends auch nur Andeutungen davon gesehen habe, dass eine solche Verschmelzung überhaupt vorkommt. So interes- sant aber auch dieser Gegenstand sein, so grosse Bedeutung er für unsere physiologischen Anschauungen haben mag, so irrelevant ist er doch bei der Untersuchung über den Bau der Spinalganglien und er kann daher auch völlig unberücksichtigt bleiben. Nimmt man nur unipolare Zellen an, so ist die Frage, ob eine Vermehrung der Fasern im Ganglion stattfindet, bejaht, Ueber den Bau der Spinalganglien. 249 wenn die gangliospinalen Fasern alle oder zum grössten Theil centrifugal resp. centripetal, verneint, wenn gleiche Theile cen- tripetal und centrifugal verlaufen. Wie auch immer die Antwort ausfallen möge, für die Erkenntniss unseres Organes gibt sie nur ein untergeordnetes Hülfsmittel, da ja dann die behauptete Uni- polarität der Zellen dem nicht abzuleugnenden Vorkommen bipo- larer bei Knorpelfisechen immer noch unvermittelt gegenüber steht. Und das ist das Hauptproblem: ob es Uebergänge zwischen der exquisit oppositipolen Zelle der Selachier zu der unipolaren der höheren Wirbelthiere gibt. Die geminipole (Courvoisier) Zelle Arnold’s hat durch die Spiralfaser einen solchen Uebergang herbeizuführen gesucht; doch ist diese Hoffnung zu nichte gewor- den, da sich herausgestellt hat, dass die Spiralfaser Artefakt ist. Alle anderen Fragen treten vor dieser Kardinalfrage beim Studium der Spinalganglien in den Hintergrund und werden gleichzeitig mit dieser erledigt. Insbesondere ist dies mit der Frage nach der Faservermehrung der Fall, die eine ganz untergeordnete Bedeutung be- sitzt und eben bei Lösung jenes Hauptproblems ihre Erledigung findet. In neuerer Zeit hat die Ranvier’sche T-Faser den ge- wünschten Uebergang herzustellen gesucht, indem Ranvier an- nimmt, dass nach der Theilung der eine Schenkel des T zum Cen- trum, der andere zur Peripherie gehe. Halten wir uns mehr an Key und Retzius, besonders an Retzius, so sollen neben der ausgesprochenen T-Form der Theilung, bei der also die Schenkel einen gestreckten Winkel bilden, auch einfache dichotomische Thei- lungen vorkommen, d. h. die beiden neuen Fasern bilden einen spitzen Winkel. Ja es soll diese letztere Form bei den höheren Wirbelthieren sogar die häufigere sein, während beim Menschen die reine T-Faser prävalirt. Was nun die diehotomische Theilung anlangt, so ist es mög- lich, dass die Theilfasern entweder beide peripher, oder beide cen- tral, oder drittens nach entgegengesetzten Richtungen verlaufen. Diesen letzteren Fall will ich gemeinsam mit der eigentlichen T- Form besprechen. Bei den ersten beiden Möglichkeiten haben wir aber immer eine unipolare Zelle vor uns, nur dass deren Ausläufer sich in grösserer oder geringerer Entfernung von seinem Ursprungs- ort gablig theilt. Anatomisch wird sonach nichts am Faktum der Unipolarität geändert, nur für das physiologische Verständniss wird eine neue Schwierigkeit geschaffen. 2350 Bernhard Rawitz: Findet dagegen keine gablige Theilung statt, sondern bilden die Theilfasern mit der Ursprungsfaser die Figur eines T, resp. laufen beide Fortsätze nach der Theilung nach entgegengesetzten Richtungen, so sind wiederum zwei Möglichkeiten vorhanden, ein- mal, es ist die Zelle wirklich der Ursprungsort des gemeinsamen Faserschenkels, oder sie ist nur interpolirt. Im ersteren Falle, wenn die gangliospinale Faser sich theilt, wenn sie kein Schalt- stück ist, haben wir also ebenfalls nur eine unipolare Zelle vor uns, deren Fortsatz nach längerem oder kürzerem Verlauf sich in zwei nach diametral entgegengesetzten Richtungen gehende Aeste spaltet. Auch hier würde also nur physiologisch die Frage com- plieirt, und zwar sehr complieirt; anatomisch dagegen würde an der Sachlage auch nicht das Geringste geändert. Nimmt man aber an, dass die Zelle nur interpolirt ist, d. h. dass der periphere Schenkel der zuleitende,, der centrale der ab- leitende ist, dass der periphere Reiz durch das Faserschaltstück (so kann man kurz die gemeinsame Nervenstrecke bezeichnen) in die Zelle hinein, aus dieser dann zunächst auf demselben Wege heraus und durch den centralen Schenkel zum Centralorgan geht, so hat man sowohl anatomisch, wie physiologisch ein unlösbares Räthsel geschaffen. Und in der That scheint Retzius dies wirk- lieh zu glauben. Es soll eine solche Zelle, deren Fortsatz sich T-förmig theilt, physiologisch einer bipolaren entsprechen, indem der gemeinsame Schenkel eine Vereinigung beider Fasern darstellt. Dies aber ist dieSackgasse für die Nervenleitung, die nach Freud’s Meinung so glücklich vermieden sein soll; dies sind die unipolaren Zellen, die nur einen Fortsatz entsenden, aber mit Centrum und Peripherie in Verbindung stehen und keine Faservermehrung bedingen sollen. Es dürfte die Sache der Physiologen sein, dieses von Ran- vier und Retzius aufgegebene Räthsel zu lösen. Um anatomisch mit der T-Faser abzuschliessen, will ich gleich hier bemerken, dass ich meine über dieselbe im ersten Theile ausgesprochene Ansicht vollkommen aufrecht erhalte. Eine T-Faser, d. h. eine Faser, die sich in diametral entgegengesetzte Schenkel spaltet, habe ich nie, selbst beim Menschen nicht, gesehen. Dichotomische Theilungen, d. h. solehe, bei denen die Theilfasern nach derselben Richtung verlaufen, habe ich allerdings gesehen, aber so selten, dass ich dieses Vorkommniss nur als ein ausnahmsweises betrachten kann. Ueber den Bau der Spinalganglien. 251 Ranvier meint, dass alle Zellenfortsätze sich theilten. Da ich nun weit über tausend Präparate im Laufe der Zeit angefertigt habe, so hätte ich doch ein oder das andere Mal ein im Ran vier'- schen Sinne wohlgelungenes Präparat erhalten müssen, d. h. ein Präparat, in dem die überwiegende Majorität der gangliospinalen Fasern jene Theilung zeigte. Dem war mit nichten so; immer fanden sich jene Formen nur vereinzelt, ausnahmsweise; dabei war die eine Theilfaser stets kürzer abgerissen, als die andere und hatte ein weit weniger normales Aussehen, als diese. Daher glaube ich berechtigt zu sein, die Faser „en T* ganz zurückweisen, die gablige Theilung als irrelevante Ausnahme betrach- ten zu dürfen, und werde auch bei Besprechung meiner Unter- suchungsergebnisse auf dieselbe nicht mehr zurückkommen. Nachdem so die hauptsächlichsten Ansichten der Autoren be- sprochen sind, deren Bestreben im allgemeinen die verunglückte Aufstellung eines Analogon für die oppositipole Zelle ist, ist es Zeit, diesen Gegenstand fallen zu lassen und auf die Freud’sche Arbeit über die Spinalganglien von Petromyzon näher einzugehen. Was zunächst die von ihm angewendete Präparationsmethode anlangt, so gewährt sie den Vortheil, dass durch Zerstörung des Stützgewebes die Struktur der Ganglien sehr leicht zu erkennen ist. Einen weiteren Vorzug bot das Object selber dar, indem die nervösen Bestandtheile desselben flächenhaft und so weitmaschig angeordnet sich zeigten, dass in den meisten Fällen das Bild des Ganglions ohne weiteres zu verstehen war. Im wesentlichen bestehen die Spinalganglien des Petromyzon nach Freud aus bipolaren Zellen. Unter bipolaren Zellen ver- steht er sowohl oppositipole, als auch solche, deren Fortsätze un- mittelbar nebeneinander entspringen und erst nach allerdings kurzem Verlaufe entgegengesetzte Richtungen einschlagen. Da- durch, dass er diese bipolaren Zellen auch zuweilen als „sogenannte unipolare‘“ bezeichnet, entsteht in der ganzen Nomenklatur einige Verwirrung. Viel praktischer ist es, mit Courvoisier diejenigen Zellen, deren Nerven an entgegengesetzten Polen liegen, oppo- sitipol, diejenigen, deren Fortsätze von demselben Pole oder dicht bei einander entspringen, geminipol zu nennen: eine Be- zeichnung, die ich stets in Folgendem gebrauchen will. Obgleich Freud mit einer gewissen Schärfe die Existenz wirklich uni- polarer Zellen leugnet, ja sie als histologisch unm öglich erklärt 252 Bernhard Rawitz: (l.e. p. 17), so bildet er doch selber auf Taf. I Fig. 3 eine soleh’ unzweifelhaft unipolare Zelle ab; wenigstens hat er die Theilung ihres Fortsatzes nicht gezeichnet. Die Zelle ist leicht kenntlich, denn sie ist die einzige, deren Kern ein Kernkörperchen hat, während an allen anderen abgebildeten Zellen derselbe als ein heller, inhaltloser Fleck erscheint. Als eine Modification der oppositipolen Zelle fasst Freud solehe geminipole Zellen auf, deren Fasern kurz vor der Zelle zu einem Stück verschmelzen: also die Ranvier’sche T-Faser. Seine Angaben lassen es unzweifelhaft, dass er die Zelle nur als Inter- polation, nicht als Ursprung der Faser auffasst. Trotz der guten Abbildungen, obwohl das fragliche Gebilde in situ, ohne weitere Präparation zu sehen ist, kann ich meine gegen diese Deutung weiter oben ausgesprochenen Bedenken nicht zurücknehmen. Ja, Freud schien die Sache selber nicht ganz geheuer zu sein, sonst hätte er wohl nieht darnach gesucht, ob sich nicht in dem Faser- schaltstück Andeutungen einer Zusammensetzung aus zwei Nerven vorfänden. Dass das Ergebniss dieses Forschens ein negatives war, will im allgemeinen nicht viel sagen, da Freud’s Methode immerhin alterirend auf solch zarte Gebilde einwirkt und so die Einfachheit des Faserschaltstückes vorgetäuscht werden kann. Die Zellen liegen in Kapseln, die keine Kerne besitzen, wenigstens sind keine abgebildet; auch die Nervenfasern sind sehr kernarm: ein Verhältniss, das in einigem Widerspruch steht zu dem bei den übrigen Wirbelthieren. Aus dem Habitus der Zellen, aus dem Umstande, dass die Hinterhornzellen ein fast gleiches Aussehen haben, sowie aus ent- wieklungsgeschichtliehen Thatsachen zieht Freud in Cap. V den Schluss, dass die Spinalganglienzellen eine Frgänzung für die wenig zahlreichen Hinterhornzellen sind, dergestalt, dass diejenigen Nerven, die im Ganglion als durchtretende erscheinen, von Hinter- hornzellen stammen, die dagegen, welche im Ganglion an Zellen herantreten, im Hinterhorn mit keinen in Verbindung stehen. Diese Anschauung hat sehr viel für sich; damit aber ist die Analogie der Spinalganglien von Petromyzon mit denen der höhe- ren Wirbelthiere, besonders der Säugethiere, aufgegeben und wir haben es hier mit einem Organ zu thun, dessen nervös-zellige Elemente functionell denen des Rückenmarks gleich stehen. Die gleiche Annahme für dies Organ der höheren Wirbelthiere zu Ueber den Bau der Spinalganglien. 253 machen, erscheint mir unstatthaft, da auch nicht der Schatten eines Beweises zur Zeit dafür vorliegt. Das, was man unter Spinal- sanglion bei den höheren Vertebraten versteht, käme demnach bei Petromyzon gar nicht vor; Schlüsse aus den Befunden bei diesem Fisch auf die Nervenzellen im fraglichen Organ der übrigen Thiere sind daher zum mindesten sehr gewagt. Nach allen diesen Betrachtungen will ich nun zu den Resul- taten der eigenen Untersuchungen übergehen. A. Fische. eo) Selachier. Der einzige von mir aus dieser Ordnung untersuchte Fisch war Torpedo marmorata. Das Material verdanke ich der Güte meines vorstorbenen Lehrers Karl Sachs, unter dessen Auspizien ich 1878 im Sommer meine Untersuchungen begann. Er gab mir einen Theil des Rückenmarks, das sich noch im Wirbelkanal be- fand und mehrere, in Glycerin aufbewahrte, mit Pikrokarmin ge- färbte Ganglien. Von den letzteren machte ich Isolationen, vom ersteren präparirte ich die Ganglien heraus, färbte sie in toto in saurer Karminlösung, tränkte sie, da die Härtung nicht gut gelungen war, mit Gummiglycerin und fertigte dann mit dem Fritsch’schen Mikrotom !) Längsschnitte an. Das Spinalganglion von Torpedo ist der klassische Sitz der oppositipolen Zellen. Dieselben sind die einzigen nervösen Zellen in diesem Organ und liegen in einer sehr kernreichen Kapsel. Die Kerne dieser letzteren sind rund oder oval, durch Pikrokarmin tiefroth gefärbt und sind sowohl wandständig ange- ordnet, also an den nieht von der Zelle eingenommenen Stellen, als auch über dieser selber sichtbar. Die Zelle ist sehr zart granu- lirt, der Kern ist gross, rund oder oval oder durch Schrumpfung etwas eckig, dabei stets durch einen scharfen Contur gegen den 1) Es sei mir gestattet, hier auf dieses Mikrotom hinzuweisen, von dessen Existenz manche Histologen zu meiner Verwunderung keine Kenntniss besassen, wie ich mich gelegentlich überzeugen konnte. Für so kleine Organe, um die es sich bei meinen Untersuchungen handelte, wie überhaupt für die sichere Anfertigung sehr feiner Schnitte ist es meiner Ansicht nach durch kein anderes Mikrotom zu ersetzen. 254 Bernhard Rawitz: Zellenleib abgegrenzt; das Kernkörperchen ist stets einfach. Kern und Kernkörperchen sind roth gefärbt, ersterer blass, letzteres tief, während der Zellenleib einen gelblichen Farbenton angenommen hat. Was die Gestalt der Zelle anlangt, so ist dieselbe mehr ei- förmig, stellenweise kuglig, während die exquisite Spindelform nicht vorkommt. Die Fortsätze der Ganglienzellen sind stets mark- haltige Nervenfasern, von denen indessen nur die Axeneylinder mit dem Zellenleibe in Verbindung treten. Dieselben haben sich blassroth gefärbt, verlaufen wellig und sind meist in nur kurzer Entfernung von der Zelle sichtbar, während sie weiterhin unkennt- lich werden. Die eintretende Faser ist etwas schwächer als die abgehende, 0,014 : 0,018 mm, doch ist diese Differenz nicht kon- stant. Das Mark der Nervenfaser ist für gewöhnlich nicht sicht- bar. Nur wenn die Zelle und ihre Fortsätze etwas stärker mazerirt sind, unter welchen Verhältnissen allerdings der Axeneylinder nicht erkennbar ist, kann man dasselbe sehen. Es zeigt sich dann, dass beim Uebergang der Scheide zur Kapsel die Faser sich durch Zu- nahme des Markes verdickt. Unmittelbar vor der Zelle theilt sich das Mark in zwei, an Grösse etwas differirende Partieen, welche um die Zelle herumgehen, zwischen sich und dieser einen 0,001 mm breiten Spalt lassen und sich hinter der Zelle wieder vereinigen. Dabei findet, wie schon bemerkt, eine Zunahme des Breitendurch- messers des peripheren Fortsatzes um 0,004 mm statt und diese Zunahme betrifft fast .ausschliesslich das Mark. Die Schwann’- sche Scheide der Nervenfasern zeigt ausserordentlich viel Kerne, die oval oder spindelförmig ausgezogen sind und alternirend an- geordnet erscheinen. Auf Längsschnitten durch das Ganglion (Figur 1), welches makroskopisch als eine spindelförmige Anschwellung der hinteren Wurzel erscheint, zeigen sich für die Zellen und deren Fortsätze die Verhältnisse in Etwas geändert. Weder Axencylinder noch Mark sind gefärbt, sondern der Nerv erscheint als ein durchsichtiges, farbloses, von rothen Streifen, der Sehwann’'schen Scheide, ein- gesäumtes Band. Daher sieht es so aus, als ob fortsatzlose Zellen in den Kapseln liegen, zumal letztere von ersteren nicht ganz aus- gefüllt werden. Der Zellenleib ist blass rosa, der Kern tiefroth gefärbt, das Kernkörperchen nieht sichtbar. Die oppositipole Be- schaffenheit der Zellen tritt weniger an diesen selber, als an den Kapseln zu Tage, die als eine Fortsetzung der Schwann’schen Ueber den Bau der Spinalganglien. 255 Scheide erscheinen. Die Zellen sind von einander durch ein ziemlich reichlich entwickeltes perizelluläres Ge- webe getrennt, welches grosse, runde oder ovale und unregel- mässig angeordnete Kerne enthält, welche sich, gleich den Kapsel- kernen und den Kernen der Schwann’schen Scheide, tiefroth gefärbt haben. Noch sei hier bemerkt, dass an den Nerven Ran- vier’sche Einschnürungen nicht beobachtet :worden sind. Eine systematische Anordnung der Zellen ist nicht sichtbar, indem die gangliösen Anschwellungen sich da zeigen, wo sie Platz haben und nie eine Zelle eng der anderen anliegt, so dass sie sich gewissermassen gegenseitig nicht geniren. Nicht alle Wurzelfasern treten mit Zellen in Ver- bindung, sondern ein Theil geht frei durch das Gang- lion hindurch. Die Gliederung des Organes ist dann so, dass die eine Hälfte des Ganglions (welche? konnte ich leider nicht feststellen) von den Zellen mit ihren Nerven, die andere von den frei durchtretenden Fasern eingenommen wird. ß) Teleostei. Untersucht wurden: Solea vulgaris, Esox lucius, Cyelopterus lumpus; Silurus glanis, Barbus fluviatilis, Cyprinus carpio und Trigla hirundo. Von diesen sieben Arten haben die ersten drei im Spinal- ganglion, sowie im Ganglion Gasseri (auf diese beiden Ganglien habe ich meine Untersuchungen beschränkt), sowohl oppositipole, wie unipolare Zellen, die übrigen vier nur unipolare. Um die Ele- mente des Organes isoliren zu können, bin ich nach verschiedenen Versuchen zur Arnold’schen Methode (Essigsäure und Chromsäure efr. I. Theil) zurückgekehrt, weil sie die sichersten Resultate lieferte und habe zur Färbung fast ausschliesslich Goldlösungen (2% und 0,1 °%/) gewählt. Schnittserien habe ich mit Karmin tingirt. Betrachten wir zunächst die Ganglienzellen bei den ersten drei Arten. Bei Solea vulgaris, von dem ich keine Schnitte ange- fertigt habe, kommen also im Spinalganglion und Ganglion Gas- seri, wie vorhin schon erwähnt wurde, oppositipole und unipolare Zellen vor. 256 Bernhard Rawitz: Was die oppositipolen Zellen betrifft, so ist von denselben Folgendes auszusagen: Man kann bei ihnen zwei von einander scharf geschiedene Formen aufstellen. Die einen, die häufigeren, sind die grösseren; der Zellenleib derselben ist sehr grob granulirt und setzt sich halbkreisförmig gegen den Axenceylinder ab, mit der diesem zuge- kehrten Konvexität. Unter ihnen kann man wieder zwei Unter- arten unterscheiden, von denen die einen eine mehr kuglige, stellenweise kürbissähnliche (Fig. 2b), die andern eine mehr der Spindel sich nähernde Gestalt (Fig. 2 a, g) haben. Der Kern dieser Zellen ist klein, einfach, liegt bald in der Mitte, bald excentrisch, bald polar; ist kreisrund oder oval; in der Regel eben so grob, selten feiner granulirt, als der Zellenleib und setzt sich scharf gegen diesen ab. Das Kernkörperchen ist stets einfach vorhanden. Die Zelle liegt in einer Kapsel, von der sie sich zwar ungleich retrahirt hat, doch so, dass ihre Form nicht alterirt wird. Die Nervenfasern dieser Zellen sind stets breit und markhaltig, und zwar bis an die Zelle heran markhaltig. Dieselben inseriren sich nicht immer central, sondern öfters excentrisch, manchmal in so hohem Grade, dass die Zelle wie eine seitliche Anschwellung der Faser aussieht. Die Fasern sind unmittelbar vor, resp. hinter der Zelle am stärksten und verjüngen sich erst ganz allmählich zu dem Durchmesser, den sie im übrigen Verlaufe haben. Dieses Verhält- niss ist konstant und aus dieser Verbreiterung der Fasern erklärt es sich, dass die Diagnose einer wirklich oppositipolen Zelle keine Schwierigkeiten bereitet. Es ist ganz irrig anzunehmen, dass durch Verstümmlung oppositipoler unipolare Zellen vorgetäuscht werden können. Es wird stets ein Rudiment des einen Fortsatzes vor- handen sein. und dieses Rudiment wird nie eine Verwechselung mit Kapselrissen ermöglichen resp. wird man nie ein ausgerissenes Stück der Kapsel mit jenem Faserrudiment verwechseln können. Die Kapsel der Zelle, die derselben im normalem Zustande eng anliegt, wird erst nach Einwirkung der Reagentien durch Schrumpfung des Zellenleibes siehtbar. Man sieht an der Ansatz- stelle der Nerven einen feinen Contur über dieselben hinwegziehen, welcher eine Faltung der Kapsel andeutet. Diese, sowie die Sehwann’sche Scheide haben nie Kerne, wodurch sich die oppositipolen Zellen der Knochenfische von denen bei Torpedo auf das schärfste unterscheiden. Ueber den Bau der Spinalganglien. 257 Die zweite Hauptform oppositopoler Zellen (Fig. 2f) ist seltener und kleiner, als die besprochene. Sie haben exquisite Spindelform, sind ebenfalls grob granulirt, mit einfachem, kreisrundem resp. ovalem, dabei sehr kleinem Kern und einfachem Kernkörperchen. Diese Zellen sind stets nackt, d. h. sie liegen in keiner Kapsel; die an sie herantretenden Nervenfasern bestehen nur aus nackten Axeneylindern, welehe in Folge ihrer Brüchigkeit nur kurze Strecken weit zu verfolgen sind und deren Uebergang in markhaltige Fasern daher nie beobachtet werden konnte. Während sich die oppositipolen Zellen leicht isoliren lassen, ein Umstand, der später noch besprochen werden soll, ist die Iso- lation der unipolaren mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft. Es rührt dies von dem perizellulären Gewebe her, in das die Zellen eingebettet sind, das durch seine Widerstandskraft gegen Reagentien nie vernichtet wird und das in Folge seiner sehr grossen Zähigkeit durch die Präparirnadel selten völlig beseitigt werden kann. In Folge dessen gelingt es auch nur selten, eine gänzlich isolirte Zelle zu erhalten; meistens liegen die Gebilde nesterweise zusammen, was bei den oppositipolen nie der Fall ist. Die Form der Zelle gleicht einer Birne oder Keule oder ist durch die Einwirkung des Reagens ganz undeutlich geworden. Der Zellenleib ist zart granulirt, der Kern einfach, gross, bläschen- förmig; er liegt bald an dem dem Nervenursprung entgegengesetzten Pole, bald in der Mitte, bald ganz am Nervenpole. Das Kern- körperchen ist einfach. Während die Durchmesser der oppositi- polen Zellen in den beiden Formen unter sich nur wenig schwanken, ist die Differenz bei den unipolaren eine grössere. Die Breite schwankt zwischen 0,012--0,068 mm, also innerhalb sehr weiter Grenzen. Die Zelle liegt in einer Kapsel mit deutlich vorhandenen, stellenweise sehr reichlichen Kernen (Fig. 2e). Auf die Nerven- faser setzen sich die Kerne nicht fort. Die gangliospinale Faser ist sehr zart, durch Gold rosa gefärbt und zeigt einen so geringen Markgehalt, dass fast nur der Axeneylinder sichtbar ist. Das Mark, das sieh in Goldlösungen nicht färbt, ist nur bei grosser Aufmerksamkeit zu sehen. Während die oppositipolen Zellen stets rosa gefärbt sind, erscheinen die unipolaren tiefroth oder violett, selbst blau; die Kapsel der Zellen sieht zuweilen grün aus. Diese Differenz in der Farbe bei Imprägnation der Objecte mit Goldlösung ist 258 Bernhard Rawitz: konstant und beruht wohl auf einer chemischen Differenz beider Gebilde. Noch sei erwähnt, dass an den Wurzelfasern im Spinalgang- lion Ranvier’sche Einschnürungen vorkommen, dass dieselben aber im Ganglion Gasseri fehlen. Die gleichen Verhältnisse sind bei Esox lueius und Cy- elopterus lumpus vorhanden, mit der Ausnahme, dass die nackten oppositipolen Gebilde nicht vorkommen und bei den unipolaren der Reichthum der Kapsel an Kernen ein viel grösserer ist. Bei beiden Fischen liegt das Ganglion Gasseri der sensiblen Portion nur an; dieselbe tritt nicht, wie dies bei den Spinalgang- lien mit der hinteren Wurzel der Fall ist, in das Organ ein; da- durch wird das Verständniss ungemein erleichtert. Auf Längsschnitten, die sowohl diese Portion treffen, wie das Ganglion, lässt sich nun bei Esox Folgendes sehen (Fig. 3)'): Genau dem Ganglion gegenüber, ohne makroskopisch sich kenntlich zu machen, finden sich in dem vorbeiziehenden Nerven- stamme, den ich für die sensible Portion halte, etwa 20—22 oppo- sitipole Zellen (Fig. 4 a), die ganz denselben Charakter, wie die von Solea vulgaris haben und mit sehr breiten markhaltigen Fasern in Verbindung stehen, von denen der Axencylinder allein in den Zellenleib aufgeht. Sie haben ein hartes Aussehen, liegen in einer ganz kernlosen Kapsel und sind durch keinerlei Zwischengewebe von einander getrennt. Dieser Mangel an Zwischengewebe zwischen den oppositipolen Zellen bei allen drei Arten, wodurch sie sich von den homologen Gebilden bei Torpedo auf’s schärfste unterscheiden, erklärt es, warum ihre Isolation so gar keine Schwierigkeiten macht. Die meisten Forscher haben daher wahrscheinlich, da sie zur Isolation keine geeigneten Methoden verwenden konnten, nur diese oppositipolen Zellen ge- sehen, während die unipolaren zu unentwirrbaren Klumpen zusam- mengeballt lagen, die dem Verständniss schlechterdings unzugäng- lich blieben. Der Kern dieser Zellen ist klein, das Kernkörperchen punkt- förmig. Die Nervenfasern dieser Portion sind ausserordentlich 1) Als ich diese Arbeit im Berliner physiologischen Institute begann, machte mich Herr Professor Fritsch auf das zu beschreibende, ihm in der Hauptsache bereits bekannte Verhältniss aufmerksam; ihm gebührt also die Priorität in dieser Angelegenheit. Ueber den Bau der Spinalganglien. 259 breit, namentlich die Achseneylinder , 0,010—0,014 mm (Fig. 4), während die Axeneylinder der gangliospinalen Fasern nur bis 0,002 mm Breite haben. Diese Breite ist aber für sensible Fasern eine so ungewöhnliche, dass ich dieselben anfangs für motorische hielt. Die Fasern sind wirr durcheinander geflochten und stets nur auf kurze Strecken sichtbar; auch bei ihnen konnten, wie bei Solea vulgaris, keine Ranvier’schen Einschnürungen gefunden werden. An der dem Ganglion abgewendeten Seite des Faserstammes kommen keine Ganglienzellen vor. Die Zellen des Ganglions sind sämmtlich unipolar. Die Kapsel, in der sie liegen, ist relativ kernreich; sie sind in ein sehr kern- reiches, perizelluläres Gewebe eingebettet (Fig. 4b), so dass das Ganglion nach Karminfärbung, bei schwachen Vergrösserungen, wie mit Farbstoffkörnern übersät aussieht (Fig. 3ggl.).. Diese Kerne, resp. die Kapselkerne, setzen sich auf die von den Zellen ent- springenden Fasern nicht fort; daher erscheint das Ganglion dunkel-, der austretende Faserstamm hellroth und tritt diese Farben- differenz plötzlich ein. Die gangliospinalen Fasern sind sofort markhaltig ; sie schlagen nicht immer direkt den Weg zur Peripherie ein, sondern wenden sich zuweilen zuerst centralwärts, um dann nach kürzerem oder längerem Verlaufe zur Peripherie umzubiegen. Genau dieselben Verhältnisse sind am Ganglion Gasseri und Spinalganglion von Cyelopterus lumpus zu constatiren. Im Spinalganglion sieht man, dass die Wurzelfasern, aber auch nicht alle, mit den oppositipolen Zellen in Verbindung treten, während die unipolaren in 9— 12 durch Bindegewebssepta, die von der Durahülle kommen, scharf von den Wurzelfasern getrennte Gruppen angeordnet sind. Im Allgemeinen ist das perizelluläre Gewebe hier nicht sehr reichlich, kann aber wiederum an einzelnen Stellen eine grosse Mächtigkeit erlangen. Von den weiter oben besprochenen normalen Formen der oppositipolen und unipolaren Zellen kommen, immerhin selten, Abweichungen vor, von denen ich die folgenden erwähnen will. Einmal (Fig. 2a) sah ich den Axeneylinder einer oppositi- polen Zelle nach kurzem Verlaufe zum zweiten Male in eine gan- gliöse Anschwellung übergehen. Diese zweite Zelle sah ganz genau ebenso aus, wie die erste, von der sie sich nur durch ihre geringere Grösse unterschied. Die Kapsel derselben hatte ebenfalls keine 260 Bernhard Rawitz: Kerne. (Das gleiche Verhältniss ist in dem eitirten Werke von Stannius auf Taf. IV Fig. 12 abgebildet.) Ferner fand ich eine Zelle von unipolarem Charakter, die eine kernlose Kapsel hatte und in derselben wie in einer Frucht- schale lag. In S ist eine unipolare Zelle dargestellt, deren Fort- satz sofort eine mittelbreite, markhaltige Faser ist. Die kernlose Kapsel zeigt an der Abgangsstelle des Nerven beiderseits eine dreieckige Verdiekung, die bis zum Mark reicht. Fig. 2e der- selben Tafel zeigt in kernloser Kapsel eine geminipole Zelle, deren einer Fortsatz eine normale, markhaltige Nervenfaser, während der andere eine, von einem nur noch angedeutet vorhandenen Axen- eylinder eingenommene, sonst übrigens leere Scheide ist. Letzteres ist unzweifelhaft eine degenerirte oder degenerirende Nervenfaser. Neben solchen auch sonst vorkommenden degenerirten Nerven fin- den sich auch degenerirte Zellen vor, wie das Anhängsel von e deutlich zeigt. Wenden wir uns jetzt zu den Resultaten, welche die Unter- suchung der übrigen, als Material benutzten vier Fischarten ergibt: Barbus fluviatilis, Cyprinus carpio, Trigla hirundo und Siluus glanis. Wenn ich weiter oben sagte, dass bei diesen Fischen keine oppositipolen Zellen vorkommen, so ist das nieht ganz richtig. Es finden sich nämlich zuweilen Andeutungen solcher Gebilde vor. Es sind dies spindelförmige Anschwellungen der hinteren Wurzel- fasern, die sich aber von den Zellen der ersten drei Arten bedeu- tend unterscheiden. Sie sind erstens sehr klein, zeigen nicht jene srobkörnige Beschaffenheit, auch nicht die feinere Granulation der unipolaren, sondern sind durchaus homogen, ohne Protoplasma. Zuweilen ist ein Kern vorhanden, zuweilen nicht. Ich halte diese Gebilde, die, wie gesagt, ganz ausserordentlich selten sind, nicht für Nervenzellen, sondern nur für spindelförmige, zuweilen selbst kernhaltige Anschwellungen der Axencylinder. Die Isolation der unipolaren Zellen ist sehr schwer. Das perizelluläre Gewebe ist ausserordentlich zäh, besonders bei Bar- bus, und so kernreich, wie bei keinem der früheren Fische (Fig. 7a). Die Kerne desselben, die sich mit Gold rosaroth, mit Karmin tiefroth färben, sind rund, oval, nierenförmig oder ganz unregel- mässig gestaltet. Die Zellen selber haben eine birnen- oder keulen- förmige Gestalt (eine charakteristische Eigenschaft derselben), sind, Ueber den Bau der Spinalganglien. S6l wie alle unipolaren Zellen, sehr zart granulirt und retrahiren sich in der Regel vom Nervenpole aus am stärksten von der Kapsel. Der Kern der Zellen ist gross, nur beiBarbus in der Regel klein, und bläschenförmig. Das Kernkörperchen ist ganz aussergewöhn- lich klein, rund und einfach, doppelt, selbst mehrfach vorhanden und hat an ungefärbten Präparaten bei Cyprinus einen tinten- schwarzen Contur. Bei Trigla kann man zwei Formen der Zellen unterscheiden: die einen sind gross, färben sich in Karmin blass- roth, während der Kern tiefroth erscheint, die anderen sind klein, färben sich in demselben Stoffe dunkelroth, während der Kern blassroth bleibt. Die Differenz in der Grösse der Zellen schwankt ziemlich beträchtlich. Bei Trigla ist noch zu bemerken, dass die Spinalganglien, welche an den von den Anschwellungen des Rücken- markes kommenden Wurzeln liegen, doppelt so gross sind, als alle übrigen. Neben den unipolaren kamen auch apolare Zellen vor, die aber mit den ersteren dann stets in einer Kapsel liegen, wie dies in Fig. 7a bei y abgebildet ist. Die Zellen liegen in einer sehr kernreichen Kapsel, deren Kerne rund oder oval sind und sowohl über der Zelle, wie wand- ständig angeordnet erscheinen. In Fig. 7a habe ich bei x einen Riss in der Kapsel abgebildet, durch den selbst im Schnitt ein Theil derselben so von der Zelle abgehoben ist, dass er als zweiter Fortsatz imponiren könnte. Die Fortsätze der Zellen, die gangliospinalen Fasern, unter- scheiden sich bedeutend von denen bei den erst besprochenen drei Fischarten und gleichen mehr denen von Torpedo. Auf den ersten Blick (Fig. 5 und 7b) könnte man sie fast für Remak’sche Fasern halten, so schmal und zart und schwer erkennbar ist der Axenceylinder und so zahlreich und gross sind die alter- nirend gestellten Kerne derSchwann’schen Scheide. Es sind dies aber wirklich markhaltige Fasern, denn erstens kann man den Axencylinder als einen, allerdings nur fadendünnen, feinen Streifen erkennen und dann sieht man an ihnen Ranvier’sche Einschnürungen. Noch eine gute Strecke weit hinter dem Ganglion ist diese Kernanhäufung der Schwann’schen Scheide zu sehen (Fig.7 u. 8); wie weit sie aber überhaupt reicht, habe ich leider nicht verfolgt. Die Wurzelfasern sind gewöhnlich ziemlich breite, markhal- Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 18 262 Bernhard Rawitz: tige Fasern (Fig. 7e) mit Ranvier’schen Einschnürungen. Beide Faserarten, die der Wurzel und die gangliospinalen, zeigen recht beträchtliche Breitendifferenzen ; die Durchmesser der ersteren schwanken zwischen 0,012—0,020 mm, während die der letzteren nur 0,004—0,0061mm betragen, also höchstens die Hälfte der schmal- sten Wurzelfasern erreichen. Eigenthümlieh resistent zeigt sich der Axencylinder der letzteren, sowohl gegen Reagentien, als gegen die Insulte der Präparirnadel. Auf Schnitten, sowohl durch das Spinalganglion, wie durch das Ganglion Gasseri kann man ebenfalls den unipolaren Charakter der Zellen eonstatiren. Man kann nämlich ihren Fortsatz, dessen Verlauf zuweilen ein gewundener ist, also erst centralwärts und dann im Bogen zur Peripherie, oft durch den ganzen Schnitt ver- folgen. Wenn man noch immer keine unipolare Zellen gelten lassen wollte, das müsste doch wunderbar erscheinen, dass man dann nie, wie bei Esox und Cyelopterus, den entgegengesetzten Nerven auch einmal im Schnitte träfe. Da das aber nie der Fall ist, da man stets auf Schnitten, und Silurus glanis eignet sich vorzüglich dazu, immer nur einen, ausnahmslos ungetheilten, Fort- satz sieht, so wäre das der letzte Beweis für die Existenz wirklich unipolarer Zellen, wenn ein solcher Beweis überhaupt noch bei- gebracht werden müsste. In Fig. 6 ist ein Längsschnitt durch das Spinalganglion von Silurus glanis abgebildet. Man sieht zunächst, dass die ein- tretende Wurzel (r i) schmäler ist, als der austretende Stamm (r e) 0,08: 0,12 mm. Ferner sieht man, dass die Wurzelfasern grösstentheils durch das Ganglion hindurchtreten, ohne auch nur die Zellen gesehen zu haben, indem diese seitlich vom Stamm in zwei Kuppen angeordnet liegen: ein Verhältniss, das bei den übrigen Wirbelthieren noch klarer ist. Der Schnitt liegt etwa in !/;, der Höhe des Ganglions. Weiter der Mitte zu strahlen die Wurzelfasern pinselförmig auseinander und werden aus der Axe des Organes durch die Zellen verdrängt, so dass sie sich um diese herumwinden müssen. Die sowohl auf der eintretenden Wurzel, wie im durchtretenden Stamm angedeutete Körnung rührt von dem Zwischengewebe, nieht von den Sehwann'schen Scheiden her; dagegen ist deren Kernreichthum der Grund für die auf dem aus- tretenden Stamm angebrachten Punkte. Der in Fig. 9 abgebildete Längsschnitt durch das Ganglion Ueber den Bau der Spinalganglien. 263 Gasseri von Silurus glanis, der gleichfalls nicht die Mitte ge- troffen hat, zeigt deutlich, dass die sensible Portion sich gar nicht am Aufbau des Ganglions betheilig. pm ist die motorische Portion, gekennzeichnet durch ihre breiten, etwas wirr durchein- andergeworfenen Fasern. Sie ist von einer starken Bindegewebs- hülle umgeben, welche sie von der sensiblen Portion trennt und welche da, wo diese sich abbiegt, sehr verdickt ist. Die sensible Portion, p s, hat feinere, gleichmässiger angeordnete Fasern, die nicht, wie bei Esox und Cyelopterus, in oppositipole Zellen über- gehen. Ihr liegt an, aber durch breite Bindegewebszüge getrennt, das Ganglion, ggl, dessen kuglige Gestalt seinen Namen recht- fertigt. Die Zellen desselben liegen in einem sehr kernreichen Gewebe eingebettet, ebenso sind die Scheiden der abgehen- den Nervenfasern sehr kernreich, wie dies die Figur wieder- zugeben versucht. In den tieferen Schnitten bleibt zwar das Ganglion von der sensiblen Portion getrennt, doch vermischen sich deren Fasern mit den gangliospinalen ; gleichzeitig verschwindet die Bindgewebs- scheide. N So offen zu Tage, wie beim Ganglion Gasseri, liegt allerdings die Nichtbetheiligung der sensiblen Wurzelfasern am Aufbau der Spinalganglien nicht; doch glaube ich nachgewiesen zu haben, dass in letztern wirklich nur unipolare Zellen vorkommen und die Wurzel frei durchgeht. Nachzutragen und gleichzeitig mit aller Schärfe hervorzuheben ist noch, dass die gangliospinalen Fasern sämmtlich die Richtung zur Peripherie einschlagen. Zuweilen sieht man im Faserstamm, in grosser Entfernung vom Ganglion, eine oder zwei Ganglienzellen, selten mehr im ganzen Organ. Ueber die Natur dieser vagirenden Zellen, wie ich sie nennen möchte, bin ieh nieht ganz in’s Klare gekommen, doch möchte ich sie für kernhaltige Anschwellungen der Fasern halten und dürfte ihnen eine besondere Bedeutung nicht zukommen. Uebrigens finden sie sich auch nach Freud (l. e.) bei Pe- tromyzon. Ziehen wir nun das Faecit der bisherigen Betrachtungen. Die oppositipole Zelle der Selachier ist eine ganz andere, wie beiden Teleosteern. Diese nämlich liegt in einer kernlosen Kapsel, ist nicht in ein kernhaltiges Bindegewebe 964 Bernhard Rawitz: eingebettet und bildet in Massen makroskopisch keine erkennbare Anschwellung. Ihre Fasern sind sehr breit, so breit, wie dies bei sensiblen Nerven sonst nicht der Fall ist; daher können dieselben leicht mit motorischen verwechselt werden. Bei jenen dagegen liegt die Zelle in einer sehr kernreichen Kapsel und in einem sehr kernreichen Bindegewebe eingebettet. Ihre Nervenfortsätze sind nicht so breit, wie bei den Teleosteern; ihre Anwesenheit dokumentirt sich makroskopisch durch eine spindelförmige An- schwellung der hinteren Wurzel und zwar wird diese Anschwellung durch das perizelluläre Gewebe bedingt. Die Einbettung in ein kernreiches Bindegewebe, mag man dasselbe nun nennen, wie man will, zeichnet die oppositipolen Zellen von Torpedo also aus vor denen der Teleosteer. Dies haben sie mit den unipolaren Zellen der übrigen untersuchten Arten, so- wie mit den nervösen Zellen des Centralorganes aller Wirbelthiere und, soweit meine Erfahrungen reichen, auch der Wirbellosen ge- meinsam. Ebenso sind die Zellen des Grenzstranges in ein ziem- lich kernreiches Gewebe eingebettet. Der Kernreichthum der Kapsel stellt sie den peripheren Ganglienzellen an die Seite, während er jenen mangelt. Mit anderen Worten: Jede wirklich 'nervöse Zelle liegt stets in einem mehr oder weniger kernreichen Gewebe eingebettet und ist in peripheren Organen stets von einer kernhal- tigen Kapsel umgeben. Ausnahmen von diesem Gesetz giebt es nicht; und wo sie anscheinend vorkommen, da sind die zelligen Gebilde nicht mehr als Nervenzellen, d. h. als Aus- gangspunkte oder als Umlagerungs- resp. Verstärkungsstätten speei- fischer Erregungen, sondern nur als kern- und protoplasmahaltige Interpolationen der Nervenfasern aufzufassen. Darum kann ich die oppositipolen Gebilde bei Esox, Solea und Cyelo- pterus nicht als nervöse Zellen in dem genannten Sinne anerkennen. Eine andere Frage ist die, ob die oppositipole Zelle der Se- lachier in irgend welchen Vergleich zu den unipolaren der übrigen Thiere gesetzt werden kann. Dies möchte ich verneinen. Mir kommen zwar keine entwicklungsgeschichtlichen Daten zu Hülfe, wie Freud, auch habe ich das Rückenmark von Torpedo nicht studirt, dennoch möchte ich die Vermuthung aussprechen, dass diese Gebilde, gleich denen von Petromyzon, funktionell den Ueber den Bau der Spinalgavglien. 265 kückenmarkszellen gleich stehen. Einen Beweis haben wir wenig- stens, dass nämlich nur ein Theil der sensiblen Wurzelfasern an Zellen herantritt, der andere, gleichwie bei Petromyzon, frei durch das Ganglion hindurch geht. Das Spinalganglion der Sela- chier, wenn die bei Torpedo gefundenen Thatsachen diese Ver- allgemeinerung gestatten, wäre demnach ebenfalls, wie das- selbe Organ der Cyelostomi, ausser jeder Analogie mit dem gleichen Organ der höheren Wirbelthiere. Den Beweis für diese Vermuthung werde ich leider nicht beibringen können, da mir dazu jegliches Material abgeht. Unter den untersuchten Teleosteern besteht aber ausser dem Vorkommen jener grossen, kern- und protoplasmahaltigen Inter- polationen bei den einen, und ihrem gänzlichen Mangel bei den anderen, noch ein weiterer Unterschied, der, wie wir später sehen werden, durch die gesammelte Wirbelthierreihe hindurch geht. Bei denjenigen nämlich, welche jene Interpolationen zeigen, haben die unipolaren Zellen markhaltige Fortsätze, deren Sehwann’sche Scheide kernarm ist, d. h. immer nur einen Kern zwischen zwei Einschnürungen besitzt. Bei denjenigen, welche ausschliesslich unipolare Zellen haben, zeigen die ganglio- spinalen, also markhaltigen Fasern stets eine Kern- anhäufung in der Sehwann’schen Scheide, wie sie bisher nur bei Remak’schen Fasern bekannt war. Dass die Verwechse- lung mit diesen Gebilden ausgeschlossen ist, habe ich oben be- wiesen. Wenden wir uns jetzt zu den B. Amphibien. Untersucht wurden Rana esculenta und temporaria und Triton eristatus. Betreffs der Details über die Zellen kann ich auf den ersten Theil dieser Arbeit (dies Archiv Bd. XVIII) verweisen und will hier nur hervorheben, dass die gangliospinalen Fasern eine gewöhnliche, kernarme Schwann’sche Scheide haben. Immer wieder haben die riesigen Kapselkerne bei Triton (Fig. 9) mein Erstaunen erregt, da sie in der ganzen Wirbeithier- reihe ohne Gleichen dastehen. Es erübrigt nur noch, über die beim Studium von Längs- schnitten erkannte Gliederung des Organes zu berichten. Die 266 Bernhard Rawitz: Resultate sind für die beiden untersuchten Ordnungen dieser Klasse völlig gleich. Fig. 10 stellt einen solchen Längsschnitt durch das Spinal- sanglion des Frosches bei zehnfacher Vergrösserung dar. rm ist die motorische Wurzel, welche von ihrer starken Durahülle um- geben ist und durch diese vom Ganglion getrennt wird. rs ist die eintretende sensible Wurzel, re der austretende Faserstamm, der, wie ein Blick auf die Figur lehrt, bedeutend breiter, als jene ist. gel ist das Ganglion, dessen Zellen hier, deutlicher als bei Silurus, die kuppenförmige Anordnung zeigen. Sie nehmen also die beiden Seiten des Organes ein, resp. wie Querschnitte zeigen wür- den, bilden sie einen Mantel um die in der Axe hindurchtretenden Wurzelfasern. Man kann diese in der That durch den ganzen Schnitt verfolgen, ohne je zu bemerken, dass sie sich an Zellen heranbegeben. Von den Zellenkuppen ist diejenige, welche der motorischen Wurzel rm anliegt, die kleinere, die von derselben abgewendete die grössere, woraus hervorgeht, dass die Wurzel nicht genau in der mathematischen Axe durch das Ganglion hin- durchgeht. Dies erkennt man übrigens schon makroskopisch; das Organ bildet nämlich stets eine seitliche Anschwellung der hinteren Wurzel. Ganglion wie Wurzel sind von einer starken Durahülle umgeben. Bei stärkerer Vergrösserung sieht man, dass dies umhüllende Durablatt an der Eintrittsstelle der hinteren Wurzel , beiderseits von derselben, einzelne Scheiden in das Ganglion sendet. Diese Scheiden erkennt man bei Tinction der Schnitte mit Bismarckbraun an ihrem gesättigteren Farbenton und härterem Aussehen. Etwa in der Mitte des Ganglion sammeln sich die Durafortsätze zu einer die Zellenmassen und deren Nerven von der Wurzel scharf trennenden, breiten Scheide, die sich am centralen Ende der Zellen- kuppen mit den aussen anliegenden Durablättern vereinigt. Inner- halb der letzteren liegt eine Arterie, während die Venen ausserhalb der dura mater verlaufen. Auf den mit Bismarckbraun gefärbten Schnitten (Fig. 11) treten Ganglienzellen, Nerven und Bindegewebe zurück in Folge ihrer sehr blassen Färbung. Intensiv braun sind nur die Kerne der Kapseln, der Schwann’schen Scheiden (in der Axe des abgebildeten Schnittes) und des perizellulären Gewebes. Bei e der gedachten Figur sieht man die Reste des Endothelialüberzuges der Kapseln, Ueber den Bau der Spinalganglien. 267 wie ihn bekanntlich Fräntzel (l.c.) beim Menschen durch Silber- lösungen dargestellt hat. 6. Reptilien. Untersucht wurden Lacerta agilis und Emys europaea. Die Spinalganglien dieser Klasse sind, bei den untersuchten Arten wenigstens, so klein und schwer zu präpariren, dass ich mich lediglich auf die Untersuchung der ganglia Gasseri beschränkte. Dass ich die bei diesen erhaltenen Resultate verallgemeinernd auf das erstere Organ anwende, dürfte wohl kaum einem Widerspruch begegnen. Bei Lacerta agilis ergiebt die Isolation, dass fast aus- schliesslich unipolare Zellen vorhanden sind. Dieselben (Fig. 12 a, b) sind sehr zart granulirt, birnen- oder keulenförmig, haben einen grossen, runden Kern mit stets einfachem Kernkörperchen. Die von ihnen entspringenden Fasern sind in Goldlösungen blassroth gefärbt, so dass man weder Mark noch Axencylinder unterscheiden kann. In Folge der alternirend angeordneten, sehr zahl- reichen, roth gefärbten Kerne der Scheiden liegt ihre Verwechselung mit Remak’schen Fasern nicht ausser dem Bereiche der Möglichkeit. Indessen findet man an besonders langen Fasern Ranvier'sche Einschnürungen, so dass auch sie als markhaltige Nerven angesprochen werden können. Die Kapseln, in der die Zellen liegen, sind relativ kernreich, die Kerne sind wandständig angeordnet und über der Zelle sichtbar. Ich sagte vorhin, es seien fast alle Zellen unipolar. Es kommen nämlich, allerdings sehr selten, kernhaltige, aber proto- plasmalose Anschwellungen vor, die ein eingefleischter Gegner der unipolaren sofort für oppositipole Zellen erklären würde, denen ich aber eine zellige Bedeutung nicht vindiziren kann und die denen bei Silurus glanis vollständig gleichen. Ausserdem finden sich noch, nicht gar so selten, apolare Zellen (Fig. 12e), denen, wie ein Käppehen, zuweilen ein Kern des perizellulären Gewebes aufsitzt. Weit interessantere und viel schönere Bilder liefert Emys europaea. Das Ganglion wurde in toto in saurer Karminlösung gefärbt, dann entwässert, nach Einbettung in sehr feine Schnitte zerlegt, diese in Terpentin aufgehellt und in Kanadabalsam aufbewahrt. 268 Bernbard Rawitz: Die Färbung ist eine sehr diskrete. Das perizelluläre Gewebe ist kaum angefärbt; die Kerne desselben sind hellroth, ebenso die der Kapsel und der Sehwann’schen Scheiden; der Zellenleib ist blassrosa, der Zellkern tiefroth ohne sichtbares Kernkörperchen. Fig. 13 giebt, soweit dies unkolorirt möglich ist, ein annähernd getreues Bild dieser Verhältnisse. Der dunkle Zellkern enthält kein Kernkörperchen, dagegen zahlreiche, noch dunkler gehaltene Körnungen; er ist stets kreisrund urd meist einfach vorhanden. Bei starken Vergrösserungen (Zeiss 3 F.) zeigt er zuweilen eine radiäre Zeichnung; zwischen den Radien liegen dann jene dunkle- ren Körnungen. Nur drei Ausnahmen habe ich von dieser Regel gefunden. Im ersten Falle waren zwei Kerne vorhanden, die dicht aneinander lagen (Fig. 17a beix) und von denen der eine kleiner war, als der andere; beide hingen noch zusammen. Im zweiten Falle hatten sich beide Kerne bereits getrennt; doch war der augenscheinlich jüngere kleiner und nicht so intensiv gefärbt, als der andere. Beide lagen noch nahe bei einander. Im dritten Falle endlich waren beide Kerne gleich gross, völlig kreisrund und von gleicher Färbungsintensität. Dabei nahmen sie entgegengesetzte Pole des Zellkörpers ein. Der Zellenleib ist ausserordentlich zart granulirt, von meist birnenförmiger Gestalt. Stellenweise, wo die Zellen dichter ge- drängt liegen, baben sie sich durch Schrumpfung bei der Härtung gegenseitig abgeplattet und so eine polygonale Gestalt angenommen. Sie liegen in einer ziemlich kernreichen Kapsel, deren Kerne sieh auf die stets einfach vorhandenen Fasern fort- setzen. Diese machen ebenfalls bei oberflächlicher Betrachtung (Fig. 17b) den Eindruck von Remak’schen Fasern, da die Kerne der Sehwann’schen Scheide sehr zahlreich sind, alternirend stehen und der Axeneylinder‘ nur bei grosser Aufmerksamkeit wahrzu- nehmen ist. Um die Zellen herum findet sich zuweilen eine An- häufung der Kerne des perizellulären Gewebes; wenn diese An- häufung, wie das hin und wieder der Fall ist, spitz zuläuft, so entsteht der Eindruck oppositipoler Beschaffenheit, der indessen bald schwindet. Nur der Charakter der vagirenden Zellen, die sich auch hier finden und weit vom Ganglion entfernt liegen, ist schwer zu ent- räthseln. Die Gliederung des Organes ist nicht ganz übersichtlich. Am Ueber den Bau der Spinalganglien. 269 centralen Pole desselben liegen die Ganglienzellen am massigsten; weiter zur Peripherie zu entweder in Reihen hintereinander zu 4—12 oder nesterweise gruppirt zu 4—6 und mehr. Doch kann man im grossen und ganzen drei Hauptgruppen unterscheiden ; zwei derselben liegen lateral der Axe des Ganglion, die dritte mehr der Mitte zu; alle drei durch breite Faserzüge von einander getrennt. In der Fig. 13 sind diese Faserzüge durch die in Reihen angeordneten Kerne der Scheiden angedeutet. Die Fortsätze der Zellen kann man selten durch das ganze Ganglion hindurch verfolgen, ja zuweilen sind sie gar nicht sicht- bar, indem sie sofort nach ihrem Ursprung in andere Ebenen, als die ist, die der Schnitt getroffen hat, umbiegen. Die gangliospinalen Fasern verlaufen bei Amphi- bien und Reptilien stets zur Peripherie. D. Vögel. Untersucht wurden: Rabe, Stieglitz, Kardinal; Huhn; Taube; Ente und Gans. Zuerst die Resultate der Isolationen. Wie bisher, wurde auch hier fast ausschliesslich dazu die Arnold’sche Methode angewendet und die Organe (Spinalganglien und ganglia Gasseri) sowohl ungefärbt, als nach Imprägnation mit Goldlösungen (hier nur 0,1 °/.) untersucht. Beim Raben finden sich ausschliesslich unipolare Zellen. Die- selben haben die gewöhnliche Gestalt, d. h. keulen- resp. birnen- förmig und sind, wie alle unipolaren Zellen, sehr zart granulirt. Auffallender Weise haben sie sich fast gar nicht von ihrer Kapsel retrahirt und da, wo die Schrumpfung dennoch eingetreten ist, ist sie geringfügig und durchaus gleichmässig erfolgt, so dass die Gestalt der Zellen dadurch nicht alterirt wird. Der Kern ist rund oder oval, von wechselnder Grösse und enthält stets nur ein run- des, an ungefärbten Präparaten grünlich glänzendes Kernkörperchen. Die Zellen liegen in einer sehr kernreichen Kapsel, deren Kerne sowohl wandständig angeordnet, als auch über der Zelle sichtbar sind und meist ovale Gestalt haben. Zuweilen haftet der Kapsel, in Folge seiner grossen Zähigkeit, ein Fetzen des perizellulären Gewebes an, welches, in bedeutender Anzahl, grosse Kerne von rundlicher oder ovaler Gestalt enthält. 270 Bernhard Rawitz: Es kommen zwei Formen von Nerven vor, breite und schmale. Letztere entspringen von den Zellen und gleichen etwas den Remak’schen Fasern. Ihre Sehwann’schen Scheiden zeigen sehr zahlreiche, alternirend gestellte Kerne von fast spindelförmiger Gestalt. Dieselben färben sich merkwürdigerweise nicht mit Gold, ebenso bleibt das Mark ungefärbt und nur der Axeneylinder nimmt einen röthlichen Farbenton an. Da sich nun auch noch an ihnen Ranvier’sche Einschnürungen vorfinden, so sind sie als markhaltige Fasern zur Genüge charakterisirt. Die breiten markhaltigen Fasern sind die Wurzelfasern, welche nie an die Zellen herantreten. An ihnen bemerkt man, allerdings äusserst selten, jene schon früher beschriebenen spindelförmigen Anschwellungen, die auf den ersten Blick als oppositipole Zellen imponiren könnten. Dieselben sitzen am Axeneylinder und be- dingen eine entsprechende Erweiterung der Schwann’schen Scheide, sind durchaus homogen und haben zuweilen einen ovalen Kern mit Kernkörperchen. Für Ganglienzellen kann ich diese Gebilde nicht halten, denn ihnen mangelt das Protoplasma; mit den vagirenden Zellen stehen sie in keiner Beziehung. Beim Stieglitz!) und Kardinal sind die Verhältnisse ganz dieselben. Bei ersterem Vogel sah ich einmal deutlich einen Axen- cylinder der gangliospinalen Faser von dem Kernkörperchen kom- men, welches knopfförmig erschien. Leider habe ich versäumt, diese so seltene Erscheinung sofort zu zeichnen. Die Wurzelfasern beim Stieglitz zeichnen sich dureh eine ausserordentliche Brüchig- keit des Markes, auch an gefärbten Präparaten, aus, so dass die Fasern unter dem Mikroskop zum grössten Theil als nackte Axen- eylinder erscheinen. Jene spindelförmigen Anschwellungen habe ich hier nicht gesehen. Während beim Stieglitz das Mark der Wurzelfasern sich als sehr brüchig erweist, kommt diese Eigenschaft bei unserem Haushuhn den gangliospinalen Nerven zu. In Folge dessen er- scheinen letztere fast stets als nackte Axeneylinder. Gleichzeitig mit dem Mark geht aber auch die Schwann’sche Scheide und deren zahlreiche, alternirend gestellte Kerne verloren, so dass dieselben hier nur selten zur Betrachtung gelangen; nur 1) Herr Oberstabsarzt Dr. Thalwitzer hatte die Güte, mir einige Singvögel zur Untersuchung zu übergeben, wofür ich ihm hiermit öffentlich meinen Dank abstatte. Ueber den Bau der Spinalganglien. 271 an einzelnen, etwas besser conservirten Fasern lässt sich ihr Vor- kommen constatiren. Die von den unipolaren Zellen entspringen- den Nerven sind also wirkliche, markhaltige Nerven und dürfen nicht mit den Remak’schen zusammengestellt werden. Noch in anderer Beziehung sind die Zellen des Huhns von Interesse. Sie sind, wie alle Spinalganglienzellen, sämmtlich uni- polar, aber ihre Isolation ist ausserordentlich schwierig wegen des zähen, perizellulären Gewebes. Sie liegen meistens zu 4 bis 6 eng aneinander und haben dann durch gegenseitige Abplattung eine polygonale Gestalt angenommen. Diese schwindet sofort, wenn man die Gruppe durch Zerreissen des Bindegewebes trennt, und macht einer birnenförmigen Platz. Sie sind durch die Ein- wirkung der Reagentien stark geschrumpft und man erkennt dann, dass sie in einer Kapsel liegen, die höchstens vier ovale Kerne enthält. Diese Kapsel ist stets völlig geschlossen, so dass nie die Stelle zu sehen ist, wo sie in dieSchwann’sche Scheide übergeht. Der Zellenleib ist sehr grob granulirt und hat ungefärbt einen srünlichen Glanz, während er bei den anderen untersuchten Arten, in Folge der Chromsäureeinwirkung, einen gelben Farlenton an- genommen hat. Der Kern ist gross, rund und bläschenförmig, er enthält immer nur ein Kernkörperchen und bleibt bei Behandlung des Objekts mit Goldlösungen ungefärbt. Auch beim Huhn kommen an den Wurzelfasern jene spindel- förmigen Anschwellungen vor, die ich schon mehrfach erwähnt habe und die mit oppositipolen Zellen verwechselt werden könnten. Sie sind, wie überall, sehr selten. Der Habitus der unipolaren Zellen, wie ich ihn bisher bei allen Thierklassen beschrieben habe und der im wesentlichen ein durchaus gleichartiger ist, ist so charakteristisch und von dem der oppositipolen so grundverschieden, dass er kaum je wird verkannt werden können. In zweifelhaften Fällen, wenn die Umstände für ein sicheres Urtheil zu ungünstig sind, dürfte man daher der Wahr- heit näher kommen, wenn man die fragliche Nervenzelle für uni- polar hält und nicht für oppositipol. Bei den höheren Wirbel- thieren braucht die Unipolarität nicht bewiesen zu werden, sondern die Bipolarität. Die Wurzelfasern des Huhns sind mittelbreite, markhaltige Fasern mit Ranvier'schen Einschnürungen. Auch bei den Schwimmvögeln ergeben Isolationen das 272 Bernhard Rawitz: ausschliessliche Vorkommen unipolarer Zellen. Dieselben sind stets keulenförmig, sehr zart granulirt, mit grossem, bläschenförmigem Kerne, in welchem immer nur ein grosses Kernkörperchen vorhan- den ist. Sie liegen in sehr kernreichen Kapseln (bei der Ente ist dieser Kernreichthum ein grösserer, als bei der @ans) und sind von einem ebenfalls kernreichen Bindegewebe umgeben. Die Kapseln färben sich in Gold blauschwarz, fast schwarz, die Zellen violett, die Kerne der Kapseln und des perizellulären Gewebes fast gar nicht. Auch hier hat man zwei Arten von Nervenfasern zu unter- scheiden :: breite und schmale. Der Breitendurchmesser der schmalen beträgt etwa nur !/s, höchstens die Hälfte von demjenigen der breiten. Letztere sind die Nerven der sensiblen Wurzel. Während sie auf Längsschnitten, die mit Karmin oder Pikrokarmin gefärbt sind, gerade verlaufen (Fig. 16a), ergehen sie sich bei Imprägnation mit Goldlösungen und nachheriger Isolation in den abenteuerlich- sten Biegungen, die nur durch die Figuren übertroffen werden, welche der Axencylinder beschreibt. Dieser ist roth gefärbt, wäh- rend das Mark blau ist; an letzterem finden sich Ranvier’sche Einsehnürungen, an denen man die von mir!) beschriebenen Ver- diekung der Schwann’schen Scheide deutlich sehen kann. Die schmalen Fasern, welche allein mit den Ganglienzellen in Verbindung stehen, zeigen wiederum jene zahlreichen, alter- nirend gestelltenKerne derSchwann’schen Scheide. Gold- färbungen geben über die Natur der Fasern keinen genügenden Aufschluss; aber Tinktionen mit Pikrokarmin (Fig. 16b) zeigen inmitten der gelblichen Faser den röthlichen Axeneylinder und lassen so über ihren Charakter als markhaltige Nerven keinen Zweifel aufkommen. Durchaus dieselben Verhältnisse liegen bei der Taube vor. Makroskopisch zeigt hier das Spinalganglion folgende Verhältnisse (Fig. 17). Kurz nachdem die sensible Wurzel rs zum Spinal- sanglion sich verbreitert hat, etwa an der Grenze des ersten und zweiten Drittels dieses Organes, gehen zwei feine Nervenstämmchen ab, a noch oben, d nach unten (wohin? darnach habe ich leider nicht geforscht). Aus dem Ganglion tritt dann der Faserstamm re aus, der fast noch einmal so breit ist, als die Wurzel. 1) Archiv für Anatomie und Physiologie von His, Braune und du Bois-Reymond. 1879. Anat. Abth. Ueber den Bau der Spinalganglien. 273 Wenden wir uns jetzt zu den Ergebnissen, welche das Studium der Längsschnitte durch die Spinalganglien ergiebt. Den Typus der Gliederung des Organes findet man bei der Gans, von der Figur 15 stammt, während die Verhältnisse bei den übrigen Thieren nicht so klar liegen. Vom Raben, Stieg- litz und Kardinal habe ich keine Schnitte angefertigt. Das Spinalganglion der Gans wurde ohne Verlust in zahl- reiche Schnitte zerlegt, deren jeder eine Dieke von !/s, mm hatte, diese in ammoniakalischem Karmin und, nach gehörigem Aus- waschen, in gesättigter alkoholischer Pikrinlösung gefärbt und nach Entwässerung und Aufhellung in Kanadabalsam aufbewahrt. Nach einigen Tagen hatte die gelbe Färbung etwas nachgelassen und das Pikrin sich in Form verschieden grosser, unregelmässiger Krystalle auf den Schnitten niedergeschlagen. Gelb ist nur das Nervenmark gefärbt; die Axencylinder der Wurzelfasern sind röthlich, mit Vorwiegen der gelben Nüance, während bei denen der gangliospinalen der röthliche Farbenton mehr hervortritt. Die Zellkerne verschwimmen mit dem Zellenleib, der gelblich roth aussieht. Die sehr grossen Kernkörperchen der Ganglienzellen, die Kerne der Kapsel und die der Nervenfasern sind tiefroth gefärbt, ohne jede gelbliche Beimischung. Die Kapseln, sowie das perizelluläre Gewebe sind gar nicht gefärbt ; letzteres, das doch der Isolation so bedeutende Schwierigkeiten bereitet, ist auf Schnitten in Folge der durch die Härtung bedingten Schrum- pfung nur schwer erkennbar. Dureh die rothe Färbung ihrer Scheidenkerne haben die gangliospinalen Fasern im Ganzen ein röthliches Aussehen erlangt und unterscheiden sich daher schon bei schwachen Vergrösserungen sehr scharf von den gelben Wurzelfasern. Auf den ersten Schnitten treten nur Zellen auf, dann sieht man einige gangliospinale Fasern zwischen dieselben sich schieben; auf einem späteren Schnitt ist auch die hintere Wurzel getroffen und damit wird die Gliederung des Organes klar. Die hintere Wurzel (Fig. 15 ri) geht glatt dureh das Ganglion hindurch, ohne mit den Zellen in Berührung zu kommen; sie ist gelb und enthält röthliche Fäden, die Axencylinder. Die Zellen liegen ihr kuppenförmig an, und zwar ist die eine Kuppe — die- jenige nämlich, welche auf der der motorischen Wurzel zugekehr- ten Seite des Ganglions sich befindet — die kleinere, während 274 Bernhard Rawitz: die andere, die gewissermassen die freie Seite einnimmt, die grössere ist. Jene kehrt dem durchtretenden Faserstamm ihre Concavität, diese ihre Convexität zu. Von der kleinen zur grossen Zellkuppe geht ein Faserzug quer über die durchtretende Wurzel hinüber; derselbe ist röthlich und man sieht schon bei schwachen Ver- srösserungen (Fig. 15) die reichlichen Kerne der Schwann'’schen Scheiden. Unter ihm kommt dann die Wurzel wieder zum Vor- schein und verlässt das Ganglion re. Zur Zeit hat der austretende Nervenstamm noch die gleiche Breite, wie der eintretende, weil sich ihm noch nicht die gangliospinalen Fasern beigesellt haben. Die hintere Wurzel ist umhüllt von einem Fortsatz der dura mater. Dieser überzieht auch das Ganglion, an dessen freier Seite (bei x in Fig. 15) er sehr stark entwickelt ist. Er trennt das Ganglion von der vorderen Wurzel und spaltet sich beim Abziehen derselben in mehrere Blätter. Auf der freien Seite des Organes sendet er, parallel mit den Nerven, einen Fortsatz in das Innere, wel- cher bis zur Mitte des Ganzen reicht und Zellen von Wurzelfasern streng scheidet. Da, wo er aufhört, ist die Wurzel von der Kuppe noch etwas abgehoben. Auf etwas tiefer gelegenen Schnitten wird dies Bild noch deutlicher und übersichtlicher. Die kleine Kuppe wird grösser; dem austretenden Faserstamm sind jetzt gangliospinale Fasern bei- gemischt und er daher breiter, als der eintretende. In den Kuppen sind die Zellen oft reihenweise angeordnet, die einzelnen Reihen durch Züge gangliospinaler Fasern von einander geschieden. Je stärker diese wurden, je näher der Mitte also man kommt, desto mehr verwischt sich die kuppenförmige Anordnung der Zellen. Diese bilden jetzt drei diskrete Gruppen, zwei laterale und eine mediane. Alle drei fangen spitz an und hören spitz auf, d.h. jede beginnt mit nur einer Zelle, schwillt allmählich an, bis sie am Aequator des Ganglions die grösste Mächtigkeit erreicht hat und nimmt dann allmählich ab, um wiederum mit einer Zelle zu enden. Geschieden sind diese drei Gruppen durch Nervenzüge, welche aus sangliospinalen und Wurzelfasern bestehen. Gerade hier, bei der Untermengung dieser beiden, tritt auch ihre Differenz sehr deutlich hervor. Gleichzeitig mit dem Verschwinden der Kuppen und der Vermengung beider Faserarten wird der zwisehen Zellen und Wurzel sich trennend sehiebende Durafortsatz undeutlich , ohne indess ganz zu schwinden. Ueber den Bau der Spinalganglien. 275 Von der Mitte ab tritt nach einigen Schnitten wieder die erste Anordnung hervor, bis zuletzt nur Zellen ohne beigemischte Fasern übrig bleiben. Von diesem Typus weichen die Ganglien der übrigen von mir untersuchten Vögel mehr oder weniger ab. Das Huhn zeigt nur die drei Gruppen, während die kuppenförmige Anordnung der Zellen nicht vorhanden ist. Sehr schwer verständlich ist aber die Gliederung unseres Organes bei der Taube. Wie bei allen Längsschnitten erhält man anfangs nur Ganglienzellen, während die Nerven erst später auf- treten. Die Anordnung erinnert dabei an das Bild einer Niere. Die Zellen bilden nämlich einen Bogen, wie die Rindensubstanz, und liegen dicht unter der sehr breiten, ven der dura mater stam- menden Hülle. Die von ihnen entspringenden Nervenfasern con- vergiren nach der Peripherie zu, wie die Marksubstanz. In ihnen finden sich zerstreute Zellen, einzeln oder zu dreien neben- oder zu 6—10 in Reihen hintereinander, vor. Die Fasern der eintreten- den Wurzel sind nur sehr spärlich vorhanden und liegen in der sehr breiten Hülle des Ganglions. Diese nierenförmige Gruppirung schwindet allmählich, die Zellen bilden zwei mächtige, halbmond- förmige Kuppen, die sich am centralen Pole berühren und nur einen schmalen Spalt zwischen sich lassen, in welchem die ganglio- spinalen Nerven liegen. Diese treten an der peripheren Oeffnung beider Kuppen als ein feines Stämmehen heraus, dem sich die in der Durahülle verlaufenden Wurzelfasern beigesellen. Erst mehr der Mitte zu treten die letzteren deutlicher hervor, wobei gleich- zeitig die trennende Durascheide schwindet. Ein Theil von ihnen windet sich um die Zellen herum, während der andere glatt durch- seht und so entstehen 3 Fasersysteme. Das eine enthält nur sen- sible Wurzelfasern, und zwar den grösseren Theil derselben; das andere nur gangliospinale Fasern, gleichfalls deren grössere Menge; das dritte endlich enthält den Rest der gangliospinalen + dem der Wurzelfasern. Alle drei Systeme sind von einander durch sehmale Bindegewebszüge scharf getrennt. Auf Querschnitten nehmen die Ganglienzellen den grössten Platz ein, neben denen, durch mehrblättrige von der dura mater stammende Scheiden von ihnen getrennt, drei an Umfang sehr ver- schiedene , gegen einander durch dünne Bindegewebslamellen be- srenzte Nervenfaserbündel liegen. Das kleinste liegt eng dem 276 Bernhard Rawitz: Zelleneomplexe an, hinter ihm befindet sich das mittlere und seit- lich von diesem das grosse System. Allmählich, anfangs nur 9 an Zahl, dann rasch zunehmend, drängen sich die Zellen zwischen die drei Nervengruppen, so dass diese schliesslich als diskrete Ge- bilde nicht mehr zu erkennen sind. Gleichzeitig schwinden die Fortsätze, welche die dura mater aussendete und die sich trennend zwischen Nerven und Zellen schoben. Die Gruppirung ist also jetzt derart, dass die Ganglienzellen den Hauptbestandtheil bilden und zwischen ihnen sich, ohne erkennbares Prineip angeordnet, zahl- reiche Querschnitte markhaltiger Nerven finden, die nur noch an der besetzten Seite des Organes, also an der, welche der motori- schen Wurzel zugekehrt ist, dicht unter der dura mater etwas kom- pakter liegen. Jetzt treten zwei dünne Züge längsgetroffener Fasern auf. Es sind dies die in Fig. 17 durch a und d bezeichneten, nach auf- und abwärts gerichteten Aestchen des Ganglions. Die Fasern haben, wie alle gangliospmalen der Vögel, Schwann’sche Scheiden mit zahlreichen, alternirend gestellten Kernen. Durch das Auftreten dieser Längsbündel entsteht eine scharfe Trennung im Schnitt, derart, dass auf der einen, der inneren, d.h. der vorderen Wurzel anliegenden Seite sich die Hauptmasse der Zellen mit ihren Fortsätzen und sämmtliche sensiblen Wurzelfasern finden, während auf der anderen, der freien Seite durch einen deutlichen Spalt getrennt, der aber nicht von einem Fortsatz der dura mater aus- gefüllt wird, diejenigen Zellen liegen, von denen jene beiden zarten Aestchen entspringen. Diese Seite, die viel schwächer ist, als die andere, ist gleichzeitig tiefer roth gefärbt. Die Zellen sind in ihr weit sparsamer vertheilt, haben aber denselben Charakter, wie alle übrigen Ganglienzellen des Organes. Nach 6 Schnitten (der Schnitt l/,, mm stark) schwinden die Längsbündel und ihre Zellen. So viel geht aus den angeführten Thatsachen hervor, dass bei der Taube das Spinalganglion seitlich der sensiblen Wurzel anliegt, dass sich die Zellen nur auf der freien, nicht auf der be- setzten Seite finden, vor allem dass, wie auch bei allen übrigen Arten, die hintere Wurzel nur nebensächlich am Aufbau des Organes betheiligt ist. Ein Hauptergebniss ist der charakteristische Unter- sehied in dem Aussehen der gangliospinalen und der sensiblen Wurzelfasern. Ueber den Bau der Spinalganglien. 277 Aber nicht alle Wirbelthbiere zeigen ihn, sondern nur die- jenigen Knochenfische, welche gar keine oppositipolen Gebilde haben, die Reptilien und Vögel, während bei den- jenigen Teleosteern, bei denen oppositipole Gebilde vor- kommen, ferner bei den Amphibien und, wie ich hier vorweg- nehmen will, bei den Säugethieren dieser Unterschied nieht vorkommt. Bei diesen ist die gangliospinale Faser nur durch ihre ge- ringere Breite von der sensiblen Wurzelfaser unterschieden , bei jenen kommt noch dazu, und dies bildet eben die Differenz, ein ausserordentlicher Kernreichthum der Sehwann’schen Scheide. Gleichzeitig finden sich bei Vögeln, Reptilien und bei den ihnen zugehörigen Fischen jene oben beschriebenen kern- haltigen aber protoplasmalosen, spindelförmigen An- schwellungen der Axeneylinder, die den anderen Klassen der Vertebraten durchaus abgehen. Es zeigt also die vergleichende Untersuchung der Spinalganglien eine durch die ganze Wirbelthierreihe gehende scharfe Trennung. Auf der einen Seite ein Theil derFische, Amphibien und Säuger, auf der anderen der andere Theil der Fische, Reptilien und Vögel. Sollte (diese Frage ist zu natürlich, um sie zu unterdrücken) dieser tiefgreifende Unterschied, wie er sich an diesem kleinen Organe zeigt, und wie er auf anderem Wege weit sicherer und klarer erkannt wurde '), nicht auch im Centralorgan selber sich finden? Meines Wissens sind umfassende vergleiechend ana- tomische Untersuchungen des Centralnervensystems der Wirbel- thiere noch nicht vorgenommen. So weit meine Kenntniss der Literatur reicht, sind die Centralorgane der einzelnen Wirbel- thierklassen zwar jedes für sich den eingehendsten Forschungen unterworfen worden; aber nie hat man dabei den vergleichenden Standpunkt consequent gewahrt und nie aus den gewonnenen Thatsachen, dienur durch Vergleichung einen allgemeinen Werth gewinnen können, ein naturwissenschaftliches Gesetz gefolgert. Wenn aber ein solcher Unterschied, wie der für die Wirbelthierreihe behauptete, durch den dieselbe in zwei Haupt- 1) ef. Häckel: Natürliche Schöpfungsgeschichte p. 529. Stammbaum der Wirbelthiere. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 19 278 Bernhard Rawitz: gruppen getrennt wird, paläontologisch, und wie Häckel andeutet, auch entwicklungsgeschichtlich zu begründen und nachweisbar ist, so muss er sich doch auch, sollte ich meinen, am ausgebildeten Thiere finden lassen. Einen Vortheil hat die Untersuchung des erwachsenen Thieres vor jeder anderen voraus: das ist die leichte Zugänglichkeit des Materials; eine Thatsache, dass diese Grup- pirung der Vertebraten in zwei Hauptlager besteht, hat sie bereits im Spinalganglion geliefert. Eine Untersuchung über den Bau von Gehirn und Rückenmark mit Rücksicht auf die Vergleichung hätte allerdings sehr grosse Schwierigkeiten zu überwältigen, hätte aber auch wiederum den Vortheil, dass sie interessanter und von weit- tragendster Bedeutung wäre. E. Säugethiere. Untersucht wurden Mensch, Affe'); Hund, Katze; Maus, Meerschweinchen, Kaninchen; Hammel. Es wurden gleichfalls Isolationen (nach der Arnold’schen Methode, Färbung mit Gold und saurer Karminlösung), als auch Längs- und Querschnitte durch das fragliche Organ angestellt. Bei‘ der Grösse der Spinalganglien habe ich das ganglion Gasseri nur selten mit in Betracht gezogen. Von den Organen der Katze, der Maus, des Meerscehweinchens und des Hammels habe ich keine Schnitte angefertigt. Die Isolation ergibt, dass ausnahmslos bei allen untersuchten Säugern unipolare Zellen vorkommen, wie dies auch bereits im ersten Theil der Arbeit?) hervorgehoben worden ist. Verwechse- lungen mit oppositipolen Zellen können durch abgehobene Kapsel- risse und durch die nicht immer keulen- oder birnenförmige, son- dern bisweilen langgezogene Gestalt der Zellen hervorgerufen wer- den. Die Anwendung einer starken Vergrösserung wird aber bald über den Irrthum aufklären. Auf die Struktur der Zellen noch des Näheren einzugehen, würde aus zweierlei Gründen überflüssig sein: einmal ist dieselbe bereits im ersten Theile dieser Arbeit zur 1) Das Material vom Affen verdanke ich der liebenswürdigen Zuvor- kommenheit meines hochverehrten Lehrers, des Professors Herrn Dr. Her- mann Munk, der es mir auf meine Bitte bereitwilligst zur Verfügung stellte. Ihm zolle ich hiermit öffentlich meinen aufrichtigsten Denk. 2) Dies Archiv Bd. XVII. Ueber den Bau der Spinalganglien. 279 Genüge abgehandelt, so dass ich dem dort Gesagten nichts hinzu- zufügen habe, und zweitens unterscheiden sich die unipolaren Zellen der Säuger im Nichts von den gleichen Gebilden der übrigen Wirbelthiere. Nur muss ich anführen, dass die gangliospina- len Fasern bei all’ ihrer Feinheit deutlich markhaltig sind und keine Kernanhäufung der Schwann’schen Scheide zeigen. Vielmehr entsprechen sie in dieser Hinsicht dem üblichen Schema, d. h. sie haben zwischen zwei Einschnürungen nur einen Kern. Bemerkenswerth ist dabei, dass von dem Abgang der Faser von der Zelle bis zur ersten Einschnürung überhaupt kein Kern in der Schwann’schen Scheide vorhanden ist. Nur jugendliche Thiere scheinen davon eine Ausnahme zu machen, indem nämlich bei ihnen, wie dies Fig. 20 von der jungen Katze (und in Theil I Fig. 13 Taf. XV vom jungen Hunde) zeigt, die Kapselkerne sich noch eine ganz kurze Strecke weit auf die Nervenfasern fortsetzen. Durchaus aber nicht in dem Maasse, wie dies bei den Vögeln der Fall ist, so dass ein gleiches Verhältniss, wie bei diesen , bei jugendlichen Säugern nicht vorhanden ist. Andererseits darf man nicht glauben, dass die untersuchten Vögel sich in jugendlichem Alter befanden; im Gegentheil, es waren recht alte Thiere. Nur einige Besonderheiten, wie sie Einem bei fast jeder Unter- suchung in stets wechselnder Weise vorkommen, will ich hier er- wähnen. Das bei weitem kernreichste perizelluläre Gewebe und die ebenfalls bei weitem kernreichsten Kapseln in der ganzen Wirbel- thierreihe besitzen die Spinalganglienzellen des Hammels (Fig. 15a bed). An ungefärbten Präparaten ist das so störend, dass man vor lauter Kernen die Zellen gar nicht sieht, die erst nach Be- handlung mit Gold zu Tage treten. Wenn zwei Zellen, deren Kerne im allgemeinen sehr klein sind, eng aneinander liegen (Fig. 13 a und b), findet sich zwischen ihnen in der Regel ein Fetzen vom perizellulären Gewebe, wodurch leicht Bipolarität vorgetäuscht wer- den kann. Sehr selten sieht man (Fig. 18 c) zwei Zellen in einer Kapsel, von denen die eine, die dem Nervenpol abgewendete, immer apolar ist. Häufiger sind frei umherschwimmende , fortsatzlose Zellen (Fig. 18 ec), die stets nackt, d. h. kapsellos sind und denen nie ein Kern des perizellulären Gewebes anklebt. Die sensiblen Wurzelfasern haben einen Axeneylinder, der in einer nach Gold- einwirkung auffälligen Weise breit und grade bleibt. Sonst ist nach 2380 Bernhard Rawitz: Imprägnation der Objekte mit Goldlösungen der Axeneylinder stets schmal und macht sehr unregelmässige Windungen in der Faser. Im Spinalganglion des Hundes findet man zuweilen uni- polare Zellen, die eine herzförmige Gestalt haben (Fig. 19a). Ihnen hängt dann regelmässig etwas perizelluläres Gewebe an. Nicht gar so selten finden sich Zellen, deren Kerne zwei, ja drei Kern- körperchen haben (Fig. 19 b). In beiden Figuren gehen die Zellen in nackte Axeneylinder über; das Mark ist bei diesem Thiere sehr brüchig (dabei spielen offenbar individuelle Verschiedenheiten eine Rolle), so dass diese Erscheinung sehr häufig ist. Im Ganglion Gasseri der Maus, dessen Zellen etwas grob granulirt sind, haben die markhaltigen Nerven der sensiblen Portion keine Schwann’schen Scheiden, sie erscheinen daher vari- kös, ganz wie die Fasern des Centralorganes. Demgemäss finden sich auch keine Ran vier’schen Einschnürungen an denselben. In einem Längsschnitt durch das in Kali biehromieum erhär- tete Spinalganglion des Menschen (über die Gliederung des Or- ganes soll später gesprochen werden), der durch Kalilauge aufge- hellt war, zeigten die Ganglienzellen ein reichlich entwickeltes, in Folge der Einwirkung der verschiedenen Reagentien zum Theil abgeblasstes Pigment, das ihnen kuppenförmig auflag; das Bild erinnerte lebhaft an die Gianuzzi’schen Halbmonde in den Speicheldrüsen. An einzelnen Zellen war der Kern im Zerfall be- griffen, andere hatten extranukleär träubehenförmige Anhäufungen dunkler Körnehen in solcher Masse, dass der Zellenleib fast völlig verdeckt war. Diese Zellen waren offenbar degenerirte oder de- generirende. An Karminpräparaten erscheint beim Menschen, allerdings nicht in allen Fällen, der Kern der Ganglienzelle von einem hellen, kreisrunden Hof umgeben, gegen den er sich durch seinen scharfen Contur deutlich absetzt. Dabei ist derselbe im Verhältniss zur Zelle ganz ausserordentlich klein (Fig. 25). Den Typus für die Gliederung der Organes finden wir beim Hunde. Auf Längsschnitten sehen wir dort Folgendes: In den ersten Schnitten sind noch keine Nervenfasern vor- handen, das mikroskopische Bild wird vielmehr von den Ganglien- zellen beherrscht. Allmählich treten diese mehr zur Seite, je mäch- tiger die Faserzüge der hintern Wurzel werden und je reichlicher sich diesen die gangliospinalen zugesellen. Dann bilden die Gan- glienzellen zwei halbmondförmige, concav-convexe Kuppen, die Ueber den Bau der Spinalganglien. 281 ihre concave Seite der Faseraxe, ihre convexe nach aussen zu kehren. In den Ganglien des Lumbalmarks (Fig. 21) kehrt die- jenige halbmondförmige Kuppe , welche der motorischen Wurzel, also der besetzten Seite des Organes zu liegt, ihre Convexität nach innen, ihre Concavität nach: aussen. In dem Faserstamm selber finden sich nur wenige unipolare Zellen. Dieselben liegen meistens zu mehreren in Reihen hintereinander; bei stärkeren Vergrösse- rungen sieht man deutlich die Wurzelfasern an ihnen vorbeiziehen. Die an einem solchen Bilde gewonnenen Maasse ergeben für die Kuppen an ihrer breitesten Stelle 0,35 mm, für das ganze Ganglion 1,0 mm; sonach kämen 0,65 mm auf die Faseraxe (die Hüllen sind nicht mitgemessen). In der Mitte des Organes haben sich die Kuppen verschmälert und messen an ihrer grössten Breite 0,29 mm, das Ganze 1,25 mm; demnach kommen auf die Faseraxe 0,96 mm. Da die Kuppen beide stets gleich breit sind, so ist der Zuwachs des Durchmessers allein auf Kosten der Nerven zu setzen; da ferner die sensiblen Fasern stets einfach bleiben, so wird das Plus durch das Hinzutreten der gangliospinalen herbeigeführt. Die Kuppen fangen spitz an und hören spitz auf, d. h. sie beginnen mit nur einer Ganglienzelle (Fig. 22), nehmen gegen den Aequator des Organes an Umfang zu, sind hier am mächtigsten und redu- eiren sich nach der Peripherie zu wiederum bis auf eine Zelle. Die sensible Wurzel erhält von der dura mater eine Hülle, welche sich am centralen Pole des Ganglions in zwei Lamellen spaltet (Fig. 21 d), von denen die stärkere die Aussenseite über- zieht, während die schwächeren sich zwischen Zellenkuppen (gglk Fig. 21) und Faserstamm (rs) einsenkt. Stärkere Vergrösserungen zeigen (Fig. 22), dass diese Durascheiden aus mehreren Blättern lockigen Bindegewebes bestehen. Die innere Durascheide senkt sich bis etwa gegen die Mitte hin, 0,9 mm weit, in das Ganglion hinein. Im Gegensatz zu der ähnliehen Anordnung bei Vögeln bleibt die Durascheide scharf sichtbar, so lange die kuppenförmige Gruppirung besteht, d. h. so lange bis die Nervenfasern verschwin- den und nur noch Zellen im Schnitt erscheinen. Dies tritt all- mählich ein, je weiter man sich von der Mitte entfernt. In Folge jenes trennenden Durafortsatzes haben die ganglio- spinalen Fasern, die von den am meisten eentral gelegenen Zellen kommen, zu den Wurzelfasern einen schr spitzen, stellenweise parallelen Verlauf, während diejenigen, welche unterhalb des 282 Bernhard Rawitz: Aequators ihren Ursprung nehmen, in einem fast dem rechten sich nähernden Winkel sich zur Faseraxe begeben. Eigenthümlich und auffallend sind die axialen Zellengruppen (ag Fie. 21). Es ist dies Verhältniss aber leicht erklärlich, wenn man die Gliederung des Organes, wie sie sich bei jugendlichen Thieren, bis zu 14 Tagen, zeigt, in Erwägung zieht !). Dort näm- lieh überwiegen in allen Theilen des Organes die Zellen in dem Maasse über die Nervenfasern, dass diese nur in einzelnen dünnen Strängen zwischen jenen sichtbar werden. Die Nerven sind sehr schmal und haben einen geringen, stellenweise noch gar keinen Markgehalt. Je mehr letzterer mit dem Wachsthum des Thieres zunimmt, je breiter also die Fasern werden und je mächtiger deren Züge hervortreten, desto mehr werden die Zellen zur Seite gedrängt. Nur die am meisten axial gelegenen können der allgemeinen ex- centrischen Bewegung nicht folgen und bleiben daher als zerstreute Gruppen im Faserstamm liegen. Es finden sich diese axialen Zellen auch nicht auf den ersten Schnitten, auf denen die hintere Wurzel getroffen ist, sondern sie zeigen sich erst, wenn sich die Schnitte der Mitte des Organes nähern: ein Umstand, der obige Erklärung ihrer Anordnung bedeutend zu stützen geeignet ist. Von allgemeinem Interesse ist es, dass die Spinalganglien derjenigen Wurzeln, die von der Hals- und Lendenanschwellung des Rückenmarks kommen, an Grösse diejenigen weit übertreffen, welche an den Wurzeln aus dem Dorsalmark sich finden. Es stellt sich diese Thatsache der von Pierret gefundenen Grössendifferenz der Vorderhornzellen an jenen Stellen gut zur Seite. Auf Quersehnitten durch das Spinalganglion des Hundes ist zuerst nur die sensible Wurzel getroffen und das mikroskopische Bild daher von den Sonnenbildchen eingenommen. Es ergiebt sich dabei, dass dieselben von einer starken, doppelten Scheide, der Fortsetzung der dura mater, umgeben sind. Nach einigen Schnitten treten die ersten Zellen auf, und zwar zwischen dem äusseren und inneren Blatte dieser Scheide; sie bilden dabei zwei Nester, die sich an zwei entgegengesetzten Polen des Querschnittbildes zeigen. Allmählich werden diese Nester grösser, sie vereinigen sich und bilden so einen aus mehreren Zellenlagen bestehenden Ring um 1) ef. meine vorläufige Mittheilung im Centralblatt für die med. Wissensch. 1879. Nr. 42. Ueber den Bau der Spinalganglien. 283 den Wurzelquerschnitt. Ist man nahe am Aequator des Organes angelangt, dann schwindet die innere Bindegewebslamelle, welche Zellen und Nerven scharf von einander trennte. Gleichzeitig treten jetzt auch in der Faseraxe Zellen auf, die eine bestimmte Grup- pirung nicht erkennen lassen. Aus dieser Gegend ist der Schnitt, nach welchem Figur 23 gezeichnet ist. Man erkennt an demselben die mehrblättrige Bindegewebshülle des Ganzen, welche eine Fort- setzung der dura mater ist; dann folgt der Ring der Ganglien- zellen, der aus fünf Lagen besteht, und nach innen die Nerven- quersehnitte, in denen sich zerstreut einige Zellen finden. Der Nervenkern ist durch helle, stellenweise durch dünne, von der dura mater kommende Fortsätze ausgefüllte Spalten m 25 Gruppen von sehr ‚verschiedener Grösse zerlegt. Die gangliospinalen sind von den Wurzelfasern nur durch ihr kleineres Querschnittsbild unter- scheidbar, sonst aber mit ihnen völlig vermischt. Allmählich, je mehr man sich von dem Aequator entfernt, schwindet der Zellen- ring und es bilden schliesslich nur wieder Nerven das mikrosko- pisehe Bild. Dabei ist aber hervorzuheben, dass die innere La- melle der bindegewebigen Umhüllung, die anfänglich vorhanden war, nun nicht wieder auftritt. Im Zellenringe sieht man zuweilen Längsschnitte von Nerven; es sind dies solehe, welehe nach ihrem Ursprung eine Strecke weit central verlaufen, dann umbiegen und sich zur Peripherie begeben. An der Umbiegungsstelle müssen sie auf Querschnitten der Länge nach getroffen werden. Von Anfang an war der Nervenkern durch ein breites Septum in zwei unsymmetrische Hälften getrennt, das von der dura kommt und aus 5—8 Blättern besteht. Diese Unsymmetrie bleibt be- stehen und ist auch in der Figur zu erkennen. In dem Septum finden sich eine Arterie und eine Vene, von denen nur die letztere gezeichnet ist. Aus den Längs- und Querschnittsbildern ergiebt sich die Gliederung des Spinalganglions beim Hunde dahin, dass der Kern des Organes von den Wurzelfasern gebildet wird, denen sich vom Aequator ab die gangliospinalen zugesellen. In diesem Nervenkern finden sich nur wenige zerstreute Ganglienzellen vor. Umhüllt wird derselbe von der Hauptmasse der Ganglienzellen, wie von einem Mantel; derselbe erscheint auf Querschnitten ringförmig. 284 Bernhard Rawitz: Dieser Mantel ist nicht eylindrisch, sondern an zwei Stellen seines Anfanges, wie seines Endes spitz ausgezogen. Die die sensible Wurzel umgebenden beiden Blätter der dura mater trennen sich am Anfang des Ganglions so, dass das innere die Wurzel noch eine Strecke weit in das Organ hinein begleitet, während das äussere die äussere Hülle desselben bildet und an seinem peripheren Ende in das Neurilemm (im alten Sinne) des austretenden Stammes übergeht. Die grosse Uebersichtlichkeit dieser Verhältnisse hat ihren Grund darin, dass das Spinalganglion des Hundes im Vergleich zu seiner Grösse und zur Masse der sensiblen Wurzelfasern nur wenig Ganglienzellen besitzt. Bei allen anderen Säugern sind letztere viel reichlicher vorhanden, daher die Gliederung unseres Organes bei ihnen unklarer. Insoweit aber dürfte allgemein das beim Hunde gefundene Prineip gewahrt bleiben, dass die Haupt- masse der Zellen den aus sensiblen und gangliospinalen Nerven bestehenden Kern als Mantel umgiebt. Nur sind bei allen anderen Arten die axial gelegenen Zellgruppen in weit grösserer Mächtigkeit vorhanden, als beim Hunde. Dies zeigt sich z. B. auf Längsschnitten durch das Organ des Kaninchens. Hier treten drei, an Masse einander vollkommen ebenbürtige Gruppen von Ganglienzellen auf, zwei lateral, eine median gelegen. Alle drei haben mit den Wurzelfasern nichts zu thun; die beiden lateralen sind von ihnen durch einen starken Bindegewebszug getrennt, während die Wurzelfasern deutlich zu beiden Seiten der medianen Gruppe vorbeiziehen. Das ist überhaupt allen Säugern gemeinsam, dass die von der dura mater stammende Scheide mit ihrem äusseren Blatte die Aussenseite des Ganglions überzieht, mit ihrem inneren die hintere Wurzel bis fast zum Aequator des Organes begleitet. Wie massig die mediane Zellengruppe beim Kaninchen ist, lehren deutlich Querschnitte, wie dies Figur 24 wiederzugeben sucht. Man sieht dieselbe von den den Mantel bildenden lateralen Gruppen durch einen feinen Spalt getrennt, der fast eine Kreis- linie bildet. Daran wird er auf der einen Seite durch die beiden grossen Nervenbündel, auf der anderen durch einen mächtigen, sich von der dura mater aus in das Innere einsenkenden Fortsatz gehindert. Die fast ganz central gelegenen eckigen Faserkomplexe sind die von der medianen Gruppe entspringenden gangliospinalen Ueber den Bau der Spinalganglien. 285 Fasern, während die von den beiden lateral kommenden nirgends zu grösseren Strängen sich vereinigt haben. Von der Umhüllung des Ganglions gehen in sein Inneres eine grössere Anzahl Fortsätze, welche meistens dünn sind und sich nur in den Zellenmantel einsenken, zweimal aber bis zur Mitte vordringen. Der eine dieser grossen Fortsätze ist bereits erwähnt, der andere, der in seiner Färbung gesättigter ist, theilt die sen- sible Wurzel in zwei gleich grosse Bündel und giebt kleine Seiten- zweige beiderseits in die Zellenmassen ab. Alle solche Durafort- sätze führen Gefässe und zwar gewöhnlich Arterien und Venen, die grossen die Hauptstämme, die kleinen Nebenzweige. Auf Längsschnitten durch das Spinalganglion des Affen findet sich die kuppenförmige Anordnung der Zellen, gleich wie beim Kaninchen, nur angedeutet. Die Zellenmassen bilden nämlich kein einheitliches Ganzes, sondern werden durch Fortsätze, welche von der mehrblättrigen Durahülle ausgehen, in einzelne, von einander oft, wenn diese Fortsätze nämlich sehr breit sind, sehr scharf ge- schiedene Abtheilungen zerlegt, so dass das Ganze aussieht, wie aus einzelnen acinis zusammengesetzt. Die mehr axial gelegenen Zellenmassen bilden sehr kompakte Nester oder Reihen. Je tiefer man in das Organ eindringt, desto deutlicher wird dieser acinöse Bau. Die denselben bedingenden Fortsätze der dura mater ent- stehen an dieser mit dreieckiger Basis, wie das auch für das Kaninchen aus dem Querschnittsbild (Figur 24) ersichtlich ist. . Dieselben verjüngen sich bald und dringen meist bis zur Mitte vor; sie enthalten Gefässe. Auf Querschnitten sind Zellen und Nerven ganz getrennt von einander. In den Zellenkomplexen liegen keine Fasern; diese sind vielmehr von jenen durch breite Bindegewebs- scheiden getrennt, liegen also anfangs der Ganglienmasse nur an. Je mächtiger aber die Fasern durch den Zuwachs werden, den sie von den gangliospinalen Nerven her erhalten, desto tiefer dringen sie in die Zellen ein und drängen sie zur Seite, so dass dieselben einen auf der einen Seite offenen Ring bilden. Vom Aequator abwärts tritt allmählich wieder die ursprüngliche Anordnung auf. So viel wenigstens geht aus diesen Thatsachen hervor, dass beim Affen die sensible Wurzel nur seitlich dem Ganglion anliegt und dass die Zellen, nicht wie beim Hunde, einen kompakten Mantel um den Faserkern bilden, sondern dass dieser in ihnen wie in einer Mulde liegt. 286 Bernhard Rawitz: Sehon Lupenvergrösserung zeigt auf den Längsschnitten durch das Spinalganglion des Menschen eine so kolossale Masse von Zellen, die anscheinend so regellos durch einander geworfen sind, dass das Verständniss der Gliederung ganz ungemein erschwert ist. So viel lässt sich mit der Lupe, schon nieht mehr mit stärkeren Vergrösserungen (Zeiss 2 B) feststellen, dass im grossen und ganzen vier bis zum Aequator des Organes ziemlich scharf getrennte, von da ab aber völlig durcheinander gemischte Gruppen von Zellen vorhanden sind. Zwei derselben liegen lateral, die anderen beiden median von denselben. Diesen vier Gruppen entsprechen vier in der sensiblen Wurzel deutlich gekennzeichnete Fasersysteme. Die- selben sind durch breite, von der dura mater stammende Scheiden von einander getrennt, von denen diejenigen, welche die lateralen Nervenbündel umhüllen, jene, welche die medianen umgeben, an Breite und Länge bedeutend übertreffen. Während jene bis fast zum Aequator gehen, enden diese schon in dem ersten Drittel des Organes. Jedem dieser Systeme ist eine Gruppe Zellen zuge- ordnet, doch nur so, dass deren Fortsätze, die gangliospinalen Fasern, sich mit ihnen mischen, die Nerven der sensiblen Wurzel aber mit den Zellen selber in keinerlei Kontakt treten. Noch un- gemein erschwert wird das Verständniss durch den Verlauf der gangliospinalen Fasern. Diese nämlich gehen nie direct zur Peri- pherie, sondern wie man namentlich an beiden medianen Gruppen erkennen kann, deren Zellen zu Nestern geballt liegen, regelmässig fast durch das ganze Organ hindurch zunächst centralwärts und dann erst in weitem Bogen zur Peripherie. Figur 25 giebt nur eine ganz schwache Vorstellung von diesem kühnen Schwunge der Fasern; solch’ kleine Bögen gehören zu den äussersten Seltenheiten. Hin und wieder scheinen Fasern direkt von der umgebenden Binde- sewebshülle zu kommen; es sind dies solche, die sofort nach ihrem Abgang von der Zelle in andere Ebenen umbiegen. Aus alledem aber, um mich kurz zu fassen, geht mit Evidenz das sicher hervor, dass die sensible Wurzel frei durch das Ganglion hindurehtritt; ihre Fasern sind diejenigen, welche am regelmässig- sten verlaufen und oft in ihrer ganzen Länge vom Centrum zur Peripherie verfolgt werden können. Das Organ wird aufgebaut durch unipolare Ganglienzellen und sein nach der Peripherie hin zunehmender Umfang durch die in ihm entstandenen gangliospinalen Fasern bewerkstelligt. Ueber den Bau der Spinalganglien. 287 Am Anfange der Arbeit, bei Besprechung der in der Literatur niedergelegten Anschauungen habe ich als Hauptproblem auf- gestellt: Gibt es einen Uebergang von der oppositipolen Zelle zu der unipolaren des Menschen? Dieser Uebergang ist nieht gefunden, vielmehr besteht die tiefe Kluft zwischen beiden Gebilden nach wie vor. Aber das Spinalganglion der Selachier ist gar nicht mitdemaller übrigenWirbelthiere inAnalogie zu setzen; dasselbe stellt vielmehr nur eine Ergänzung zu den Hinterhornzellen des Rückenmarks dar; das, was man unter Spinalganglion versteht, kommt bei dieser Ord- nung überhaupt nicht vor. Diese Sätze sind zwar nicht be- wiesen, sie sind nur eine Hypothese, aber doch immerhin eine dis- kutable Hypothese. Dieselbe gewinnt an Sicherheit, da sich herausgestellt hat, dass bei den Knochenfischen die oppo- sitipole Zelle den Werth einer Ganglienzelle nicht hat. Bei allen Wirbelthieren vielmehr, aufwärts von den Te- leosteern, kommen im Spinalganglion nur unipolare Zellen vor. Die Kluft zwischen den Selachiern und den übrigen Wirbel- thieren wäre, wenn jene Hypothese zu beweisen ist, nicht mehr auf die Nervenzellen beschränkt, sondern bestände zwischen den Organen selber. Es müsste daher darnach geforscht werden, ob bei jenen Fischen ein dem Spinalganglion der höheren Wirbel- thiere analoges Organ überhaupt existirt oder nicht. Es hat sich ferner herausgestellt, dass durch die gesammte Wirbelthierreihe, von den Knochenfischen an, eine Spaltung geht, derart, dass auf der einen Seite Esoces, Pleuronectae, Discoboli, die Amphibien und dieSäuger, auf der anderen Cyprinoidei, Siluroidei und Cataphracti, Reptilien und Vögel stehen. Begründet ist diese Spaltung einmal durch die gangliospinalen Fasern, die bei der letzteren Gruppe zahlreiche, alternirend gestellte Kerne in der Sch wann’'schen Scheide be- sitzen, während dieselben den ersteren mangeln, und ferner haben bei der zweiten Gruppe die Axencylinder der sensiblen Wurzel- fasern in spärlichen Fällen spindelförmige, nicht protoplasma- aber kernhaltige Anschwellungen , welche keinen Zellenwerth besitzen. Drittens endlich haben die sensiblen Fasern bei den Knochen- fischen der ersteren Gruppe oppositipole Gebilde in ihren Verlauf 288 Bernhärd Rawitz: interpolirt, die einer Nervenzelle nieht entsprechen und am Trige- minus ausserhalb des Ganglions sich finden. Für das Organ selber ergiebt sich, dass die sensible Wur- zel sieh nur indirekt an seinem Aufbau betheiligt, wie dies namentlich am Trigeminusganglion der Fische deutlich ist, und sich bei den Säugern dadurch documentirt, dass dieselbe als Kern des Organes von den mantelförmig um sie sruppirten Zellen umhüllt wird, deren Fortsätze, sämmt- lich peripher verlaufend, sich ihr anschliessen. Damit sind die Fragen nach der Faservermehrung, der Rich- tung der gangliospinalen Nerven u. s. w. ohne weiteres beant- wortet. Welches aber ist die physiologische Leistung des Organes ? Was nimmt die Summe von kleinen Nervencentren, die anschei- nend ausserhalb jedes Konnexes mit Gehirn und Rückenmark stehen, in der Oekonomie des Thierkörpers für eine Stellung ein ? Es wäre Vermessenheit, hierüber irgend eine Vermuthung aus- zusprechen; diese Fragen zu beantworten, ist nur möglich an der Hand des physiologischen Experimentes. Die Waller’schen (Müller’s Archiv 1862) und Axmann’schen (l. ec.) Versuche geben keinen oder nur einen ungenügenden Aufschluss, ebenso die von Bärensprung’sche Beobachtung (Charit6-Annalen 1863) über die Betheiligung unseres Organes bei Herpes zoster, die in neuerer Zeit manche Bestätigung erfahren hat. - Wenn aber auch die bis- herigen Versuche und pathologischen Erfahrungen nicht genügen, einen Anhalt geben sie doch für jede weitere Forschung. Von Interesse wäre es, zu erfahren, ob und in welehem Maasse sich das Spinalganglion bei der Tabes dorsalis betheiligt, worüber die betreffenden Lehrbücher nichts enthalten. Vor der Hand, so wie die Thatsachen zur Zeit liegen, bildet das Organ für das physiologische Verständniss noch ein ungelöstes Räthsel. Und es scheint die Lösung desselben recht schwer zu sein, scheint auf fast unüberwindliche Hindernisse zu stossen, denn nur dann kann man sich das Bestreben erklären, aus den uni- polaren Zellen Modifikationen, und was für Modifikationen!, der oppositipolen zu machen. Aber alle diese Bestrebungen sind zweck- los, die Spinalganglien enthalten unipolare Zellen, und nur unipolare Zellen in der gesammten Wirbelthierreihe. Fig. 1 Fig, 2 Hip!‘ 3 Fig. 4 Fig. 5 Fig. 6 Fig. 7 Kie.>''8. Bie) 9. Fig. 10. Kie. 11. Fig. 12. Fig. 13 Fig. 14. Ueber den Bau der Spinalganglien. 289 Erklärung der Abbildungen auf Tafel XI—XIV. . Theil eines Längsschnittes durch das Spinalganglion von Torpedo marmorata. Saure Karminlösung. 1: 320. . Ganglienzellen von Solea vulgaris. abc e aus dem Spinal- ganglion, dfg aus dem ganglion Gasseri. Goldfärbung. 1:750. Das Nähere im Text. . Längsschnitt durch das ganglion Gasseri von Esox lueius. Karminfärbung. 1:80. ggl Ganglion, ps sensible Portion. . Eine Stelle des vorigen Schnittes bei stärkerer Vergrösserung. 1: 320. a aus der sensiblen Portion, b aus dem Ganglion. . Spinalganglion von Barbus fluviatilis. Goldfärbung. 1: 750. Gangliospinale Fasern. . Längsschnitt durch das Spinalganglion von Silurus glanis. Karminfärbung. 1:100. ri eintretende Wurzel, re austretender Stamm. . a ein Theil des vorigen Schnittes bei stärkerer Vergrösserung. 1:320. bei x abgehobener Kapselriss, bei y apolare Zelle mit einer‘ unipo- laren in derselben Kapsel. N: 2 b gangliospinale Fasern 1: 320. e sensible Wurzelfasern Längsschnitt durch das ganglion Gasseri von Silurus glanis. 1: 100. Karminfärbung. pm motorische, ps sensible Portion, &g1 Ganglion. Zelle aus dem Spinalganglion von Triton cristatus. Pikro- karmin. 1: 320. Längsschnitt durch das Spinalganglion von Rana esculenta. 1: 10. Bismarckbraun. rm motorische, r s sensible Wurzel. ggl Ganglion, r e austretender Stamm. Ein Theil des vorigen Schnittes bei stärkerer Vergrösserung. 1: 320. Bei e (in der leeren Kapsel) Endothelreste (ef. Text). Zellen aus dem ganglion Gasseri von Lacerta agilis. Gold. 1: 750. ab unipolare Zellen, ce apolare Zelle. . Längsschnitt durch das ganglion Gasseri von Emys euro- paea. Saure Karminlösung. 1 : 155. a einzelne Zellen aus dem vorigen Schnitt. Bei x Kerntheilung. 17790. b gangliospinale Fasern ebendaher. 1 : 750. 10; . ‚16. el. a: 19 ie. 21. . 25. Bernhard Rawitz: Ueber den Bau der Spinalganglien. Längsschnitt durch das Spinalganglion der Gans. Pikro- karmin. 1: 135. ri sensible Wurzel, re austretender Stamm. x Verdickung der bindegewebigen Hülle. a Wurzel, b gangliospinale Fasern aus dem vorigen Schnitt. 1: 320. Spinalganglion der Taube schematisch. rs sensible Wurzel, re austretender Stamm. gg1 Ganglion, a aufsteigender, d ab- steigender Ast. Spinalganglion des Hammels. Gold 1: 750. a—d unipolare Zellen, e apolare Zelle. Spinalganglion des Hundes. Karmin 1: 320. a herzförmige Zelle, b Zelle mit 3 Kernkörperchen. Zelle aus dem Spinalganglion der jungen Katze. Gold. 1 : 320. Längsschnitt durch das Spinalganglion des Hundes. Karmin. 1:10. rs sensible Wurzel, re austretender Stamm, eg1lk Ganglienzellenkuppen, ag axiale Zellen, d Spaltungsstelle der Umhüllung. . Die Stelle bei d der vorigen Figur. 1: 320. 3. Querschnitt durch das Spinalganglion des Hundes. Karmin. 1: 135. Querschnitt durch dasSpinalganglion des Kaninchens. Karmin. 1: 135. Eine Stelle eines Längsschnittes durch das Spinalgan- glion de Menschen. Karmin. 1: 320. N. Uskoff: Zur Bedeutung der Karyokinese. 291 (Aus dem anatomischen Institut in Strassburg). Zur Bedeutung der Karyokinese. Von Dr. N. Uskoff, aus Kronstadt, Russland. Bis jetzt hat die Erscheinung der Karyokinese die Aufmerk- samkeit fast aller Beobachter nur als Lebenserscheinung der ein- zelnen Zellen auf sich gelenkt. Soweit mir bekannt geworden, haben bisher nur Kölliker und Altmann die Karyokinese bei Embryonen für die Beantwortung anderer Fragen verwerthet, in- dem sie aus dem Vorkommen oder Fehlen solcher Theilungsbilder auf die grössere oder geringere Betheiligung der betreffenden Theile am Wachsthum des Embryo Schlüsse zogen. Ich verweise statt weiterer Citate auf die jüngst erschienene Abhandlung Köllikers: Die Entwickelung der Keimblätter des Kaninchens, Festschrift zur 300jähr. Jubelfeier der Universität Würzburg. Leipzig 1882 pag. 37. 58. Ich habe nun ebenfalls an zahlreichen Schnittserien von Säugethier-, Hühner- und Fischembryonen, welche ich behufs des Studiums der Entwickelung des Herzbeutels und des Diaphragma anfertigte, eine Reihe von Erfahrungen bezüglich des Vorkommens der Karyokinese bei Embryonen gemacht, die ich im Nachstehen- den in aller Kürze mir mitzutheilen erlaube. So lange die Theilung des Protoplasmas selbst, oder das Vorhandensein zweier Kerne in der Zelle für das einzige An- zeichen der Theilung derselben galt, blieb das erstaunlich schnelle Wachsthum der Keimscheibe des Hühnchens, bei sehr geringer Zahl von Zellen mit zwei Kernen, schwer erklärlich, da die Wachs- thumsgeschwindigkeit in keinem Verhältniss zu der Zahl der Zellen mit Proliferationserscheinungen stand. Die Untersuchungen von Auerbach, Bütschli, Flemming, Peremeschko, Stras- burger, van Beneden, ©. Hertwig, Henneguy u. v. a. haben dargethan,, dass die Zelltheilung, lange noch vor Anfang der sichtbaren Theilung des Protoplasmas mit der Erscheinung der von Schleicher sog. Karyokinese beginnt. Mit dieser That- sache wurden die Anzeichen der Proliferation von Zellenelementen 292 N. Uskoff: viel zahlreicher, so dass dieselbe nun da, wo sie früher nur ver- muthet werden konnte, direct zu constatiren ist. Da nun ferner- hin alle Phasen der Zelltheilung von Anfang bis zu Ende verfolgt sind, so ist dadurch auch die Möglichkeit des Rückschlusses ge- geben, dass die Elemente eines Gewebes, welches keine Zellen mit karyokinetischen Erscheinungen aufweist, bestimmt nicht prolife- riren, und, falls das Gewebe dennoch erwiesenermaassen wächst, dieses Wachsthum nur von Volumvergrösserung der einzelnen Zellen oder von bedeutenderer Aufspeicherung von Intercellularsubstanz oder von einer Einwanderung anderswo entstandener Zellen her- rühren kann. Nun ist die Zahl der Organe, die zur Beobachtung in leben- dem Zustande passen, sehr gering, und ist es also nothwendig, eine Methode aufzufinden, welche die Karyokinese auch an todten Geweben sichtbar macht. Uns scheint folgendes einfache Verfahren sehr geeignet: Die erste und nothwendigste Bedingung ist möglichste Frische des Gewebes, wenn es zur Untersuchung kommt; übrigens erhielten wir günstige Resultate z. B. noch an Kaninchenembryonen, die im ausgeschnittenen Uterus 2 bis 3 Stunden gelegen hatten. Die schon lange in der histologischen Technik gebrauchte Salpetersäure (5°) ist für unsere Zwecke die beste fixirende Flüssigkeit. Wenn der Embryo oder das Organ genügende Zeit (10 —30 Minuten) in derselben gelegen hat, wird das Objeet mit einer ver- dünnten Alaunlösung übergossen und auf 12—24 Stunden in schwachen Weingeist gelegt. Darauf wird das Object in Gre- nacher’schen Alauncarmin auf 24 Stunden (ist es grösser, auf 48 Stunden), schliesslich in gewöhnlichen Weingeist gelegt, und ist dann für die weitere Untersuchung fertig. Die karyokinetischen Figuren Flemming’s sind nun in so gut ausgeprägter Weise fixirt, dass sie, ohne Schaden zu leiden, der ausgezeichneten, aber für die zarten embryonalen Gewebe roh erscheinenden Methode des Einschmelzens in Spermacet, nebst allen vorhergehenden und nachfolgenden Operationen unterworfen werden können. -Das Präparat kann in Glycerin untersucht wer- den; man kann, wenn auch einzelnes nicht ganz deutlich, selbst die feinen Details der Karyokinese erkennen. Für den von uns oben angegebenen Zweck ist es aber viel bequemer, das Object nach Zur Bedeutung der Karyokinese. 293 den allgemeinen Regeln in Spermacet einzuschmelzen mit nachfol- sender Conservirung der Präparate in Canada-Balsam. Die auf diese Weise erhaltenen Figuren sind natürlich nicht so fein und schön, wie an lebendigen Objeeten, sie sind aber so deutlich und, Dank den Eigenschaften der Chromatinsubstanz , so scharf, dass es in jedem einzelnen Falle keinem Zweifel unterliegen kann, wo wir es mit einer Karyokinese zu thun haben. Wir beobachteten an unseren Präparaten vornehmlich die drei folgenden Formen von Figuren: 1) Der Kern hat deutlich sternförmige Gestalt. 2) Der Kern hat die Form eines langen, stäbehenförmigen Körpers mit zahlreichen Ausläufern nach allen Seiten hin. 3) In der Zelle liegen zwei gegeneinander concave bogen- förmige Stäbchen mit Ausläufern an der concaven Seite, manchmal mit einander zusammenstossend, so dass sie auf diese Weise die bekannte, sogenannte fassförmige Figur bilden. Besonders zahlreich sind nun solehe Figuren in den Zellen des Gehirns und des Rückenmarks der Embryonen !). Bearbeitet man auf die oben beschriebene Weise Embryonen von nicht sehr weit fortgeschrittenem Entwickelungsstadium, so erscheint auf Durchschnitten der der Höhle zugekehrte Theil des Hirns buch- stäblich besäet mit intensiv sich färbenden karyokinetischen Figuren, wie ich Altmann, s. 1. e. bei Kölliker, bestätigen kann. Be- sonders zahlreich beobachteten wir sie bei Fischen (Lachs) in dem letzten Drittel der Eiperiode, beim Kaninchen vom elften Tage und beim Hühnchen vom zweiten Brütungstage an. Ich überzeugte mich, dass in allen Entwickelungsstadien die Erscheinungen der Karyokinese mit Bestimmtheit zu constatiren sind, und wenn hier die oben angeführten Perioden namhaft gemacht wurden, so ge- schah dies nur, um zu zeigen, wann die Zahl der Kernfiguren am grössten ist. Beim Kaninchen z. B. finden sich, so lange das Markrohr noch nicht geschlossen ist, verhältnissmässig sehr wenige Figuren, sie sind dagegen in sehr grosser Anzahl bald nach Schluss des Rohres vorhanden, in späteren Stadien sind sie wieder be- deutend seltener. Die angeführte grosse Zahl der Figuren von fixirter Karyo- 1) Für Salamanderlarven erwähnt auch Pfitzner (Arch. f. mikrosk. Anat. XX. Bd. p. 127 ff.) das reichliche Vorkommen karyokinetischer Figuren im Central-Nervensystem. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 30 294 N. Uskoff: kinese im Gehirn und Rückenmarke stimmt vollkommen mit der allgemein angenommenen Thatsache des äusserst raschen Wachs- thums dieser Organe in der ersten Entwickelungsperiode überein. Folgende Thatsachen beweisen noch mehr die Möglichkeit, sich auf die Gegenwart von fixirter Karyokinese, als zweifellosem Kriterium des Wachsthums dieses oder jenes Gewebes zu stützen. So existirt beim Hühnchen nach 12stündiger Bebrütung Prolife- ration des Epiblasts in der Gegend des Primitivstreifs, sowie in den Zellen, die schon den Streif gebildet haben, während die Zellen des Mesoblasten, welche peripherisch an den Primitivstreifen unmittelbar angrenzen, keine Kerntheilungs-Figuren geben. Die Anlagen der primitiven Blutgefässe im Gefässblatt sind mit Zellen angefüllt, von denen keine ohne Kernfiguren ist. Eine grosse Anzahl von Figuren beobachteten wir auch hier in einem verhältnissmässig späten Stadium; so enthalten die Blutgefässe des Hühnchens am fünften Bebrütungstage eine Masse von Blut- körperchen mit Karyokinesen-Erscheinungen. Im Gewebe der Extremitäten-Anlagen, der Segmente, im Epi- thelium des Darmrohrs und aller seiner Derivate fanden wir die- selben gleichfalls. Im Epithelium der Wolff’schen Körper sind am fünften Tage noch viele Figuren, am siebenten kann man sie kaum mehr finden, am achten fehlen sie gänzlich. Eine grosse Menge von Kerntheilungsfiguren wird am längsten von allen Or- ganen in der Leber, und dann in den Lungen beobachtet. Alles hier von dem Hühnchen angegebene lässt sich mit derselben Be- ständigkeit an Kaninchenembryonen beobachten. Beim achttägigen Kaninehenembryo gelang es uns ausserdem , schöne Karyokinese in den Endothelialzellen der vv. omphalo-mesentericae, und zwar in dem in der Parietalhöhle gelegenen Theile derselben, sowie in den Zellen der Wandungen dieser Höhle zu beobachten. Von Interesse scheint uns noch folgende dabei beobachtete Thatsache: die Fi- guren sind in dem medialen Theile besonders zahlreich und können in dem innersten Winkel an der Mehrzahl der Präparate getroffen werden; dies spricht für ein rasches Wachsthum der Parietalhöhle und zwar hauptsächlich in der Richtung der Axe des Embryo, sowie dass dasselbe mit Proliferation der Zellen einhergeht. Ver- gleicht man einmal in dieser Hinsicht Querschnitte von achttägigem Kaninchen mit solchen von neuntägigem, so überzeugt man sich definitiv von der vollkommenen Uebereinstimmung selbst der Details Zur Bedeutung der Karyokinese. 295 der Wachsthumserscheinungen dieser Gegend mit den durch die fixirte Karyokinese gegebenen Erscheinungen. Wir fügen bezüglich der drei oben angeführten Arten der Karyokinese noch einige Worte hinzu. In den ersten Entwickelungstadien ist die sternförmige die häufigste Art der Figuren, etwas später tritt in bedeutender Anzahl die Stäbehenform und verhältnissmässig spät die dritte Form, die zu Ende sogar vorherrschend wird, auf. Wir wollen nicht be- haupten , dass irgend eine Periode existirt, in der nur eine be- stimmte von den drei Formen zu sehen sei, wir sprechen nur von einem gewissen Grade des Vorherrschens dieser oder jener Form in einer gewissen Periode. Das Blut bietet z. B. eine ausgesprochene Ausnahme: es können in demselben stets Blutkörperchen mit allen Formen der Karyokinese, ohne Spur von Vorherrschen der einen oder der anderen angetroffen werden. Andererseits wird in den jüngsten Entwickelungsstadien eine so vorherrschende Menge der Sternforın beobachtet, dass sie fast ausschliesslich zu treffen ist; selbst die Blutkörperchen der Primitivgefässe machen hievon keine Ausnahme. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Menge dieser oder jener Form der fixirten Karyokinese unter anderem auch von der Dauer der intravitalen Phase einer gewissen Form abhängt: die Menge einer gewissen fixirten Form muss in direetem Ver- hältniss zu der Dauer der Phase stehen. Das oben angeführte angenommen, scheint es uns möglich, den nicht unwahrscheinlichen Schluss zu ziehen: je jünger der Embryo, desto schneller läuft in ihm die die stäbehen- und fassförmige Figur der Karyokinese er- gsebende Phase ab. Nicht minder wichtig, wie für die Embryologie, wird die Berücksichtigung der karyokinetischen Bilder für alle Arbeiten über Regeneration, und sämmtliche pathologische Proliferationsprocesse sein, in welch’ letzterer Hinsicht ja auch bereits einschlägige Be- funde von J. Arnold!) vorliegen, sowie auch namentlich Flem- ming?) ausdrücklich auf die Bedeutung hingewiesen hat, welche die Verwerthung der Karyokinese für den Entscheid der wichtig- sten Fragen in der Entzündungslehre haben muss. 1) Arnold, J. Ueber feinere Structur der Zellen unter normalen und pathologischen Bedingungen. Virchow’s Arch. 77. Bd. 1879. 2) Flemming, W. Ueber das Verhalten des Kerns bei der Zelltheilung und über die Bedeutung mehrkerniger Zellen. Virchow’s Arch. 77. Bd. 1879. 296 Moritz Nussbaum: Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. I Van Mittheila no. Von Dr. Moritz Nussbaum, a. o. Professor und Prosector am anatomischen Institut zu Bonn. Hierzu Tafel XV—XVII. Seit dem Erscheinen meiner III. Mittheilung hat die Lehre von der Drüsenthätigkeit eine umfassende Bearbeitung durch Heidenhain erfahren. Wie viel noch zu leisten, könnte kaum trefflicher und mit mehr Berechtigung zum Ausdruck gebracht werden, als es im Eingang der Schlussbemerkungen zu Heiden- hain’s Abhandlung!) geschehen ist. Zwar hatte schon vor Heidenhain im Jahre 1357 Leydig?) in seiner Histologie auf die verschiedenen Zustände von Drüsenzellen aufmerksam gemacht; auch war im Jahre 1864 Robin durch Cl. Bernard?) veranlasst 1) R. Heidenhain: Physiologie der Absonderungsvorgänge in Her- mann’s Handbuch der Physiologie 1880. Bd. V, Theil 1. 2) Leydig: Lehrbuch der Histologie 1857, pag. 317: „Die Zellen, welche bei Batrachiern die Magendrüsen erfüllen, werden in verschiedenen Zuständen getroffen, indem ich bald helle (Landsalamander), bald in ver- schiedenem Grade körnige beobachtet habe.“ i 3) Cl. Bernard: Du röle des actions reflexes paralysantes dans le phenom£ne des secrötions. — Journal de l’anatomie et de la physiologie par Ch. Robin 1864, p. 507, note: „M.Robin a montre dans ce travail que les deux glandes dont il s’agit different dans leur structure intime et möme que la parotide differe un peu des sousmaxillaires. Ces glandes prösentent, de plus, quelques modifications de structure, relatives en partieulier & leur &pithelium, suivant qu’on les observe pendant l’ötat de seeretion active, ou dans les intervalles de celle-ci & l’etat de repos.“ Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 297 worden, Speicheldrüsen vor und nach der Reizung mikroskopisch zu untersuchen. Trotzdem wird man Heidenhain für den Be- gründer einer Methode halten müssen, die den Gedanken von dem beständigen Wechsel der Gestalt alles Organisirten und die Vor- stellung von der intimen Verknüpfung der Gestaltänderung mit dem Wechsel der Function auf den Bau und die Thätigkeit der Drüsen fruchtbringend anwendet. Seitdem sind noch nicht zwei Decennien verflossen und wir befinden uns in der That, wie Heidenhain sagt, erst in den An- fängen. — Wenn in Folge dessen die Werthschätzung des Ge- wonnenen, die Abweisung entgegengesetzter Ansichten zuweilen mit mehr Eifer und Heftigkeit betrieben wird, als es bei völliger Klärung der Probleme denkbar ist, so wird man, den jugendlichen Entwicklungszustand unserer Kenntnisse berücksichtigend, die Er- klärung und Entschuldigung hierfür finden. Die vorliegende Mittheilung will, wie die früheren, Beiträge zur Lösung der höchst verwickelten Fragen über den Secretions- mechanismus liefern, soweit er vorwiegend mit Hülfe des Mikro- skops zu erkennen ist. Um dies in übersichtlicher Folge thun zu können, handelt der I. Abschnitt: von dem Einfluss natürlicher und künstlicher Reize auf die Thätigkeit der Drüsenzellen. II. Abschnitt: von der Regeneration der Drüsenzellen im Vorder- darm der Wirbelthiere; zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Bau der Magenschleimhaut. III. Abschnitt: von der Bedeutung der Drüsenzellen und den Be- ziehungen dieses Vorganges zur Secretion. IV. Abschnitt: von der Veränderung der Kerne und vom Neben- kern der Drüsenzellen. 1. Abschnitt. Von dem Einfluss natürlicher und künstlicher Reize auf die Thätigkeit der Drüsenzellen. In der vorigen Mittheilung (dies Archiv, Bd. 16 p. 543) war am Schluss des die Magendrüsen betreffenden Abschnittes gesagt: „ich halte fest an dem Satz, dass durch den Reiz der eingeführten 298 Moritz Nussbaum: Nahrung der Fermentreichthum in den Drüsen gesteigert werde.‘ Auf die Kritik, von Grützner an den diesem Satze zu Grunde liegenden Versuchen geübt, möchte ich nieht gern zurückkommen, da wir Beide den Mängeln der Methoden Alles das zur Last legten, was fast ausschliesslich auf die geringe Zahl der Versuche zurück- zuführen ist, auf das Untersuchungsobjeet und auf die verschiede- nen Zeiten, zu denen die Versuche am Thier angestellt worden sind. Leider stand mir zu meinen früheren Experimenten keine srosse Zahl von Hunden zu Gebote. Bei den von mir genauer untersuchten Amphibien ist die Secretionsphase eine sehr lang- dauernde und nicht allein früher von mir, sondern bisher überhaupt nieht vollständig geprüft worden. Meine an Amphibien durch zahl- reiche Versuche gewonnenen Resultate glaubte ich unbedingt auch auf die Säugethiere übertragen zu dürfen, weil erstens auf beiden Seiten eine totale Uebereinstimmung sich mir gezeigt hatte, und weil die Methode Grützner’s keine exakte ist!). Die Methode reicht aber aus, um so grosse Unterschiede, wie sie regelmässig vorkommen, augenfällig zu demonstriren. Fortgesetzte Untersuchungen haben mir nämlich gezeigt, dass sowohl der von Grützner aufgestellte Satz (während der Ruhe- pause wird Secretionsmaterial in den Drüsenzellen aufgehäuft), als auch der von mir vertretene (durch den Reiz der eingeführten Nahrung wird in den Drüsen der Fermentreichthum gesteigert) zu Recht bestehe. Nach der Beschreibung meiner neuen Versuche wird es alsdann möglich sein, diesen beiden Sätzen eine allgemeinere Fassung zu geben. Von zwölf im August eingefangenen, längere Zeit hungernden kräftigen Rana esculenta wird ein Exemplar sofort getödtet, ein anderes ohne Nahrung gelassen, den übrigen zehn je ein Muskel- stück von dem Gewicht eines Gastroenemius des getödteten Frosches in den Magen eingeführt. Diese zehn Frösche wurden darauf in verschiedenen Inter- vallen getödtet. Da nach zwei Tagen gewöhnlich der Frosch- magen nach einer reichlichen Mahlzeit wieder leer geworden ist, so wurden von der 52. Stunde an zwei Frösche gleichzeitig ge- tödtet. Von diesen zwei war der eine kürzere oder längere Zeit vor der Tödtung noch einmal gefüttert worden. An dem gefütterten 1) cf. Hoppe-Seyler: Physiologische Chemie. Il. Theil, p. 229. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 299 Exemplar konnte die Wirkung der durch die eingeführte Nahrung verursachten Reizung mit dem Hungerzustande verglichen werden. Als Maassstab für den Reichthum an Ferment oder dessen nächste Vorstufen wurde neben wenigen Verdauungsversuchen vorzugs- weise der Gehalt jener grossen Granula in den Oesophagealdrüsen verwerthet, wie sie Bd. XIII dieses Archives beschrieben sind. Man hat nur darauf zu achten, die Granula nicht ausschliesslich frisch untersuchen zu wollen, oder nur an Osmiumsäurepräparaten; da frisch die peripher in den Zellen zu gewissen Zeiten auftreten- den Fettgranula kaum von den Fermentkörnern zu unterscheiden sind. In Ueberosmiumsäure werden die durch Aether extrahirbaren, peripher gelegenen Fettpartikelehen intensiver geschwärzt als die Fermentgranula, diese aber während einer bestimmten Periode der Ruhepause in Ueberosmiumsäure völlig gelöst, worauf wir später noch einmal zurückkommen werden. Durch Langley’s neuere, sowie durch meine früheren Ver- suche ist die Berechtigung, den Reichthum an Granula mit dem Reichthum an Ferment oder seinen direeten Vorstufen zu identi- fieiren, hinlänglich dargethan. Bei den während des Hungerzustandes gefütterten Fröschen hatten nun ausnahmelos die Granula in den Oesophagealdrüsen wenige Stunden nach der Fütterung zugenommen. Verfolgt man andererseits den Gang der eycelischen Verände- rungen zwischen zwei nicht zu weit auseinandergelegenen Fütterun- gen, so findet man die Beobachtungen Grützner’s am Hund und die Langley’s an verschiedenen Amphibien bestätigt: das durch die Verdauung verbrauchte Ferment wird während der Ruhepause von Neuem gebildet. — Für den Frosch gelten bezüglich der Pepsin bereitenden Oesophagealdrüsen folgende Daten: Geht man von dem Zeitpunkt des grössten Fermentreichthums dieser Drüsen aus, so wird die Hauptmasse des Secretionsmaterials binnen 48 Stunden nach einer Fütterung verbraucht. Von da an steigt der Vorrath an Ferment wieder, der um die 72. Stunde nach der Fütterung in Form selbst in Ueberosmiumsäure löslicher Granula vom Lumen der Alveolen beginnend, bis gegen die Membrana propria hin in den Zellen abgelagert wird. Nach diesem Zeitpunkt werden die Granula in Ueberosmiumsäure unlöslich und das Maxi- mum an Vorrath dieser Granula ist um die 96. Stunde vorhanden. Es umfasst somit die ganze Phase einer Secretion bei den Oeso- 300 Moritz Nussbaum: phagealdrüsen des Frosches (Rana eseulenta) volle vier Tage. Diese Zeit kann durch eine früher eintretende Fütterung abgekürzt wer- den, indem schon nach zwei Tagen die eingeführte Nahrung die ganzen Zellen mit Granula füllt. Es kann dagegen auf dem von der Natur gegebenen Culminationspunkt der Aufspeicherung von Secretionsmaterial,, also am vierten Tage, durch Nahrungszufuhr keine weitere Steigerung des Vorrathes an Ferment erzielt werden. Demgemäss ist die Curve der Bildung des Secretionsmaterials und der Ausstossung des Secretes in den Oesophagealdrüsen von Rana eseulenta auf die Zeit von vier Tagen berechnet; ihre Gestalt kann dureh künstliche Nahrungszufuhr verändert werden, indem der auf- steigende Schenkel durch eine Fütterung vor dem vierten Tage steiler wird. Der Uebersichtliehkeit halber und im Interesse einer kürzeren Darstellung folgen die Resultate einer Serie von Versuchen am Frosch (Rana esculenta) in Form einer Tabelle (s. pag. 301). Fütterungsversuche an Salamandra maculosa, wesentlich zum Zweck des Studiums der Regeneration der Drüsenzellen angestellt, ergaben gleiche Resultate. Die Entleerung des Magens nimmt 72 Stunden und mehr in Anspruch. Nach längerem Hungern kann man binnen 8 Stunden die aus den Labdrüsen und dem Pancreas während der Hungerperiode fast völlig geschwundenen Granula dureh Nahrungszufuhr wieder reichlich anhäufen; die Drüsen ent- leeren das Seeretionsmaterial im Laufe der Verdauung und bilden es vom vierten Tage nach einer Fütterung wieder neu in den Zellen. Bei hungernden Salamandern und auch vielen anderen Am- phibien ist nicht selten in dem sonst leeren Magen die abgestossene » Epidermislage des Thieres aufzufinden. Um die 72. Stunde nach der Fütterung enthalten die Lab- drüsen peripher in den Zellen reichlich Fettkörnchen; eine Er- scheinung, wie sie von den Eileiterdrüsen der Amphibien nach Ablauf des Laichgeschäfts und auch von den Oesophagealdrüsen und Labdrüsen des Frosches bekannt ist. Blectrische Reizung der einzelligen Drüsen von Argulus folia- ceus bewirkte Entleerung des angehäuften Secretionsmaterials, das in.der Ruhepause längstens in drei Tagen wieder völlig neugebildet wurde. Reizung der Schleimdrüsen in der Haut von Salamandra ma- 501 usen. t der Drü gkei i Ueber den Bau und die Thät wneg doyyaıy aodaydııad) ‘“aapwuyds u uoqoueur ur !97doaydosjfoa epnueadg Yıuıl U9JOoaAIY ınyos) epnuea) uw vradoad wuraqwow Amz sIq YpIp uafoaay Ally "awaydıs Iıyoru us9zu9ad][oz Ip !yınyod vepnuead rw zued pun ss01d UOLOOAAIY rearyppIs :OTOLIILION Pun SSOLD U9JOAALY "UOPIOM FUNBIIOI HAneswnmsorsgeN ur op “Tugod epnueas) uop run ung eııdord euwaqwom nz sıq pun ss04 U9JOAALY yoıynap pums u9zu9ası[oz 91p AUT ueONsOn SEELE NgI] OUT HTNEHON ZUR MUDS FUy oyLıp auro !umeag USOUONT uo]foz STOPLR ‘OUIONUOGON pun audoyl 91BJosponusjod 1J0 uasoIp ut age zu®d U9][OZ OJOTA !4qaBJod SIyDayds -Jung puIS UOJO9ATY 9LPp Syonzugs se} AOLIOM Ip uaryaz uoyerederd -DANBSUMLWSG UF "INFPS WIOWLIOY JW zued YosLıp ‘SS0O1D UOTOAALY 'Y1mmJ93 EINUE.IK, JITU ZUB.O upfoaay aypuzu 18 'SSO.LD AUS UOJOIALY umprgdoudoy 9Y.1RIS "uo]foz uap ur vjnuwag Stusm nu !urof] UOJOaAIY I "T9AJIOUION ZUBS 9dopur dopaım ‘mp3 epnueang yıuı zueD, 9A9pUB -AUOZIIUIOY mL M PTeayuo9 Hu U9STUrd UT !FIOUTOTNLIA USTOIALY "UOYIWLIONII9 T UOJOAALY AOp ordaydızag aop uy afeayua) "OSSEN ASLULOYUTIF HULd US[O9AIY Aap uam wuf ofeayua) 08 ‘Jungages yaeıs HAmgsumntunso1sgdN] ur pun AIOSS0AI1DA UOJOAAY "uo][oz uop ur epnueın) our 'Iqay7o3 Stuom “punı oudoy[[oz !troy UOJOaALYy "1IOSSOLIIIA UASLIOA OIP 198 wMAOPoIM UO[O9AIY OL "HUOZIOUIOM| HUOZIOULOM "UIPAOM ABAFIIS UOLINS WALDE TO nu HUIONT[oZ aLp ssep (uOSeJ, G OS aayoıs 19duny) 78 7% 35 98 IS 0c1 486 IS 96 == IS 76 754 IS 9, > IS 14 IS7 IS 96 = IS 69 = IS 87 = IS 18 ae) doduny woasdue] yoeu Spo1s -yoanp *pead Any93 Stssgun 199] ıng93 yoysıs 199] Zuwd IseJ ı HRS NoySıs | Amps | uouoydag ru 793 paysıs 199] -Snpg ur ead. -Snj [Jr Sısseun -sn Ju Stssgun | | | | ‚StuoM ıanu [OySnA] mepaaA "sl Ss 1 al | m nen "79418498 aaneswuntwusorsgean °/, I ar sproqg “yostaf s[IoyF “ussnappesseydossg up uw punpog aoyostdoysoayım -Sunasggn,T II dp | 'I op yozı 494P9909 ‘SIULIBT SOP peaıösdunjmAg ones 911944nJA9A do uoyyey -19 [I], uo4sS0A13 | unz [oysSnm 99.109 aones -MEOA a9q 'fjead ' YyDIoMAao yoryorf, aones |-1090 fequp "ıead, aones a99] ones | FUPIOMAE yoıyoey yırıs -1990 Ijeyup 'Tead dones | 199] aones | FYPIOMA9 yaıyoey Yarıs |-1090 Yeyup 'Tead ones yydın aao donBs 1.1218 d99] FIISSNTLIIA pun yyoromas udoy aones [uojeayusd uouLoy y1ı2js |uouTO ne sıq eyu] aones | Yy9IoMmad yaılyoper 2ı1eIs -10q0 Yequf [eud —_ 199] "sSU9seNT SOp uorpesy| Sunmd "an 302 Moritz Nussbaum: eulosa !) brachte eine Entleerung des Schleimes zu Wege. Die schleimigen Köpfe der Zellen verschwanden durch die Reizung: indem sie als Seeret verflüssigt und entleert wurden. Die Kerne der Zellen werden nach der Reizung grösser, wie dies in höchst auffallender Weise auch an den Eileiterdrüsen der Amphibien zu verschiedenen Jahreszeiten beobachtet werden kann?). Wenn der Schleim aus den Zellen dieser Drüsen entleert ist, werden die zur Zeit der reichlichsten Anfüllung der Zellen mit Schleim kaum sichtbaren Kerne wieder saftig und gross. Dasselbe ist ja auch von Zellen bekannt, die Reservestoffe, wie Fett, Stärke ete. in sich aufnehmen und wieder abgeben können. Fassen wir die gewonnenen Resultate zusammen, so gilt für fermentirende und schleimbereitende Drüsen der auch von Heiden- hain ausgesprochene Satz, dass in der Ruhepause Secretions- material in den Zellen angehäuft und bei dem Act der Absonde- rung in die definitiven Secretbestandtheile übergeführt werde. Für jede Drüse jedes einzelnen Thieres besteht eine bestimmte Phase, die beim natürlichen Ablauf der die Secretion bedingenden Vorgänge streng inne gehalten wird. Es ist aber auch möglich, durch künst- lich eingeführte Reize Seeretionsmaterial in den Zellen anzuhäufen zu Zeiten, wo ohne den Reiz die Zellen nach wie vor arm an specifischen Bestandtheilen geblieben wären. Die Nahrungszufuhr bei länger hungernden Thieren regt nicht allein die Ausstossung, sondern auch die Bildung der Secretionsstoffe so mächtig an, dass die Bildung bei Weitem den Verbrauch übertrifft, was bei Zufuhr der Nahrung am Ende der natürlichen Phase keineswegs der Fall ist. Dann verarmt die Drüse progressiv an Secretionsmaterial. Nahrungszufuhr beschleunigt aber auch die Bildung der Secret- bestandtheile in den Drüsenzellen, wenn sie in eine Zeit fällt, wo unter natürlichen Bedingungen die Vorstufen der Seerete noch nicht in den Zellen regenerirt sind. 1) Zum bequemen Vergleich der gereizten und ungereizten Drüsen wird man folgende Einrichtung des Versuchs geeignet finden: Man decapitirt einen Salamander, schneidet die Wirbelsäule mit Haut und Rückenmuskeln aus dem Rumpf heraus und führt in kurzem Abstande nadelförmige Elec- troden quer durch das Präparat. Zwischen den Electroden bedecken sich nach jeder Reizung die Oeffnungen der kleinen Schleimdrüsen mit weissen Tröpfchen; die übrige Haut bleibt trocken. 2) Hebold: Ein Beitrag zur Lehre von der Secretion und Regeneration der Schleimzellen. Inaug. Dissert. Bonn 1879, p. 29. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 308 Il. Abschnitt. Von der Bedeutung der Drüsenzellen im Vorderdarm der Wirbelthiere; zugleich ein Beitrag zur Lehre vom Bau der Magenschleimhaut. Wie in dem vorigen Abschnitt die Widersprüche in Bezug auf den Modus der Secretbildung eine befriedigende Lösung er- fahren haben dürften, so glaube ich auch durch das Folgende einen Beitrag zu liefern, der den lang geführten Streit um die Natur der Haupt- und Belegzellen beizulegen im Stande sein wird. Die von mir als Reagens auf Fermente empfohlene Ueber- osmiumsäure leistet nieht genug. Dass sie jedoch wirksame Fer- mente intensiv bräune, ist nicht in Frage zu ziehen. Wenn sie auch andere Körper bräunt oder schwärzt, so kann dies keinen Gegengrund für ihre Anwendung abgeben. Die Schwäche der Reaction besteht darin, dass gewisse Vorstufen des Ferments der Labdrüsen in dem Reagens spurlos aufgelöst werden, was ich erst in neuerer Zeit habe erkennen können. Als Heidenhain in den Labdrüsen der Säugethiere zwei Zellenarten, die Haupt- und Beleg-Zellen, entdeckt hatte und Eb- stein die Hauptzellen mit den Zellen der Pylorusdrüsen identi- fieiren zu müssen glaubte, nahm man, gestützt auf die von Heiden- hain und Grützner angestellten Verdauungsversuche, ziemlich allgemein an, dass die Pylorusdrüsen sowie die Hauptzellen der Labdrüsen das Ferment, und dass die Belegzellen die Säure des Magensaftes produeirten. Es gibt, so folgerte man, zwei Drüsen- arten im Magen der Säugethiere: die Haupt- und Belegzellen führenden Labdrüsen und die ausschliesslich Hauptzellen tragenden Pylorusdrüsen. In Hermann’s Handbuch der Physiologie hat Heidenhain auf einige Unterschiede im feineren Bau der Hauptzellen und Pylorusdrüsenzellen aufmerksam gemacht; aber erst Langley wies nach, dass zwischen diesen beiden Zellenarten keine Uebereinstim- mung bestehe. Die Entdeckung Heliodor’s von Swiecicki, dass in den Oesophagealdrüsen der Frösche Pepsin gebildet werde, ist nach verschiedenen Richtungen verwerthet worden. Heidenhain und seine Schüler, sowie Langley fanden in der Uebereinstimmung 304 Moritz Nussbaum: der frischen Oesophagealdrüsenzellen des Frosches und der von ihnen untersuchten Hauptzellen der Säugethierlabdrüsen, einen neuen Beweis für die Pepsinbildung in den Hauptzellen der Säuge- thierlabdrüsen. Ich selbst glaubte wegen der Resistenz und Bräu- nung der Granula der Oesophagealdrüsenzellen des Frosches und der Löslichkeit der Granula der Hauptzellen in Ueberosmiumsäure jede Beziehung zwischen beiden Zellenarten von der Hand weisen zu können. Es schien nicht wahrscheinlich, dass ein und derselbe Körper das eine Mal in einem Reagens löslich, das andere Mal darin unlöslich sein sollte. Wie schon oben mitgetheilt, sind aber auch zu gewissen Zeiten die Granula in den Oesophagealdrüsen der Frösche in Ueberosmiumsäure löslich. — Die neueren Publicationen Lang- ley’s berichten von Unterschieden der Löslichkeitsverhältnisse bei den Granula in den Hauptzellen verschiedener Säugethiere. Es wird unten gezeigt werden können, dass auch bei den Säugethieren kein Unterschied in der Species, wie Langley anzunehmen scheint, sondern einfach der Zeit nach existirt, ob die Fermentgranula der Hauptzellen in Ueberosmiumsäure löslich sind oder nicht. Die Oesophagealdrüsenzellen des Frosches und die Haupt- zellen der Säugethierlabdrüsen enthalten grosse Körner, die erst in Ueberosmiumsäure löslich sind, später aber in diesem Reagens erhalten bleiben und gebräunt werden. Die Körner sind in den gebräuchlichsten mineralischen und organischen Säuren und in Alkalien löslich. Die Zellen füllen sich mit den Körnern, dem Secretionsmaterial, von dem am Lumen der Schläuche gelegenen Theile aus und kommen somit in diesem Punkte völlig mit den Zellen des Panereas überein. In Folge dieser Uebereinstimmung muss ich meine frühere Behauptung zurücknehmen, das Ferment sei ausschliesslich in den Belegzellen vorhanden. Die Hauptzellen bilden also Ferment, wie Heidenhain, seine Schüler, sowie Langley behaupteten. Der Reichthum an Körnern in den Hauptzellen gibt auch hier einen Maasstab ab für die Schätzung des Fermentgehalts, wie ich dies früher von den Oesophagealdrüsen der Frösche angegeben hatte. Wo man das Secret der Belegzellen isolirt auffangen konnte, wie beim Frosch, fand man ein saures sofort wirksames Pepsin darin. Das von den Hauptzellen (Oesophagealdrüsen des Frosches) Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 305 zu gewinnende Secret ist alkalisch und bedarf zu seiner Wirksam- keit erst des Zusatzes von Säure. Meine früher am Frosch angestellten Versuche, den Magen zu isoliren und das von seinen Belegzellen gelieferte Secret ge- sondert auf Eiweisskörper einwirken zu lassen, habe ich zwar selbst nicht für völlig beweisend erklärt. Diese Versuche werden aber durch die von Langley kürzlich veröffentlichten Verdauungs- versuche hinlänglich bestätigt. Die Belegzellen in den Labdrüsen der Säugethiere und der Frösche sind fein granulirt; sie bräunen sich in Ueberosmiumsäure und liefern eiweissverdauendes Ferment in saurer Lösung. Die Pylorusdrüsenzellen sind Schleimzellen; sie bräunen sich weder in Ueberosmiumsäure, noch liefern sie peptisch wirk- same Extracte. Es kommen aber bei manchen Säugethieren Beleg- zellen in den Pylorusdrüsen vor, die von mir schon früher für die Möglichkeit der Gewinnung peptisch wirksamer Extracte aus der Pylorusschleimhaut des Hundemagens verantwortlich gemacht worden waren. Diese drei Arten von Drüsenzellen: Haupt-, Beleg- und Pylorusdrüsenzellen kommen allen Wirbelthierklassen gleichmässig zu; wenn wir von den Säugethieren absehen, so ist selbst die Reihenfolge und die Form der Drüsen, in denen die obengenannten Zellen sich finden, eine typische und für alle Klassen gemein- schaftliche. Rechnet man zu diesen Drüsenformen noch die in ihrem Vor- kommen höchst inconstanten Schleimdrüsen des Oesophagus hinzu, so trägt die Schleimhaut des Vorderdarmes der Wirbelthiere der Reihe nach 1. Schleimdrüsen des Oesophagus. 2. Zusammengesetzte Pepsindrüsen, ausschliesslich Haupt- zellen führend; Secret (beim Frosch geprüft) alkalisch. 3. Einfache Pepsindrüsen, ausschliesslich Belegzellen füh- rend; Secret (beim Frosch geprüft) sauer. » 4. Schleimdrüsen des Pylorus. Diese Drüsen können in verschiedener Weise auf Oesophagus und Magen vertheilt sein; bei Rana liegen die sub 2 angeführten Drüsen im Oesophagus; bei Lacerta an der Grenze von Oesophagus und Magen; bei Triton im ersten Abschnitt des Magens. Für die Amphibien hat Langley eine ähnliche Eintheilung 306 Moritz Nussbaum: gegeben; nur wird man die Uebereinstimmung in Bau und Function seiner Oesophageal glands und anterior oxyntic glands nicht läugnen können. Die Säugethiere haben Haupt- und Belegzellen in denselben Drüsenschläuchen gemischt; neben den Schleimdrüsen des Oeso- phagus kämen hier also nur noch zwei Drüsenarten, Lab- und Pylorusdrüsen vor. Doch gibt es auch Säugethiere, wo wenigstens der Form nach drei Drüsenarten in derselben Reihenfolge wie bei den übrigen Klassen unterschieden werden können: auf die grosse zusammengesetzte Magendrüse des Biber (Castor fiber) folgen ein- fache Pepsindrüsen und dann ein Pylorustheil. Zur Illustration des Gesagten mögen einige mehr oder weniger detaillirte Beschreibungen der Schleimhaut des Vorderdarmes ver- schiedener Repräsentanten aller Wirbelthierklassen folgen. 1. Der Magen der Säugethiere. Bei den Säugethieren ist die Histologie der Magendrüsen bis jetzt nur auf wenige Species ausgedehnt worden. Soweit die vor- handenen Beobachtungen einen Schluss gestatten, scheint eine und dieselbe Anordnung allgemein vorhanden zu sein. Die Drüsen sind einfach oder zusammengesetzt schlauchförmig; sie nehmen von der Mitte des Magens aus nach auf- und abwärts, sowohl gegen die Cardia als den Pylorus zu allmählich an Länge ab. Die Schleimhaut gliedert sich in zwei grössere Abschnitte: die Labdrüsen- und Pylorusschleimdrüsenzone. Dabei ist jedoch ein Unterschied bei verschiedenen Thiergruppen zu constatiren, indem bei manchen der Pylorustheil bedeutender, bei anderen geringer ausgebildet ist. Dies erkennt man makroskopisch an der mächtigen Muskulatur des Pylorustheiles und der hellen dünnen Schleimhaut dieser Zone. Die Region der Labdrüsen hat dünne Muskulatur, dicke chocoladen- farbene Schleimhaut. — Bei den Wiederkäuern bezieht sich das Gesagte selbstverständlich nur auf den Labmagen. Beim Pferd kommt im Anfangstheil des Magens noch ein grosser, drüsenloser Blindsack hinzu. Viele Nager haben ausser den beiden genannten Abschnitten noch eine besondere Magendrüse. Ueber den feineren Bau der Pylorusschleimhaut der Säuge- thiere ist nur wenig zu sagen. Die Drüsen sind ächte Schleim- Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 307 drüsen. Kürzlich hat Stöhr!) auch beim Menschen Belegzellen ?) dort nachgewiesen und seinen Fund durch trefflicke Abbildungen illustrirt. Auch der Pylorustheil des Fledermäusemagens enthält vereinzelte Belegzellen. Beim Maulwurf ist die Ausdehnung der Pylorusschleimdrüsen eine ganz minimale. Eine eingehende Durchmusterung der eigentlichen Labdrüsen- zone verschiedener Säugethiere hatte Langley°) dazu geführt, zu unterscheiden zwischen solchen Arten, bei denen die Granula der Hauptzellen in Ueberosmiumsäure erhalten bleiben und solchen, wo durch Einwirkungen von Ueberosmiumsäure die Granula aus den Hauptzellen spurlos verschwinden. Es wird gezeigt werden können, dass dieser Unterschied nicht besteht (ef. oben p. 304). Ausser den Haupt- und Belegzellen kommen den Labdrüsen aller Säugethiere noch jene von Heidenhain) zuerst beschriebe- nen „kleineren Zellen“ zu. Sie finden sich im Drüsenhalse und im oberen Ende des Drüsenkörpers am zahlreichsten, also dort, wo die ausgeprägten Hauptzellen selten werden oder gänzlich ver- schwinden. Bei vielen Säugethieren, am prägnantesten wohl bei den Fledermäusen , sitzen die Hauptzellen am Grunde der Schläuche und die Belegzellen, sowie die kleinen Zellen im oberen Theile derselben. Bei den meisten Säugethieren jedoch sind Haupt- und Belegzellen völlig gemischt. Die absolute Länge der Drüsenschläuche variirt nach der Species, abgesehen von den relativen Unterschieden der einzelnen Loealitäten der Schleimhaut. Hund, Schwein, Kaninchen haben lange Labdrüsen; Meerschweinchen, Maulwurf, Fledermaus kurze. Das Cylinderepithel ‚der Oberfläche geht verschieden weit in die Schläuche nach abwärts; im Allgemeinen um so tiefer, je näher dem Pylorus. Oft sitzen Belegzellen dicht am Ausgange der Drüsen. Hr Ph. Stohr, d. Arch. Bd. 20, Taf. 15. 2) Die Belegzellen im Pylorustheil des Hundemagens sind von mir (d. Arch. Bd. XVI) beschrieben worden. Die von Grützner gegen die Beleg- zellennatur dieser Zellen erhobenen Einsprüche sind schon von Stöhr (l. ce.) widerlegt worden. 3) Langley: Journal of Physiology. Vol. II. Nr. 3. 4) Heidenhain, d. Arch. Bd. VI, p. 389. 308 Moritz Nussbaum: Die Hauptzellen des Hundes, des Kaninchens, der Fledermaus sind gross und deutlich gegen die Belegzellen abgehoben ; die Hauptzellen des Maulwurfs und des Meerschweinchens sind klein. Während des Hungerzustandes sind nach Heidenhain die Hauptzellen gross und die Belegzellen klein. Während der Ver- dauung gilt das umgekehrte Verhältniss. Wie Heidenhain!) angibt, dauert beim Hunde, wenn der- selbe durch 24stündige Nahrungsentziehung auf eine reichliche Mahlzeit vorbereitet worden ist, die Verdauung bis zur völligen Entleerung des Magens gegen 20 Stunden. Der Maulwurf hat nach 1 bis 2 Stunden seine nach längerem Hunger aufgenommene Nahrung völlig verdaut. Es ist bekannt, dass Kaninchen des Hungertodes sterben können, ohne ihren Magen von Speiseresten vollständig entleert zu haben. Das Meerschweinchen ist weit gefrässiger als das Kaninchen und hat schon 10—12 Stunden nach der Nahrungsaufnahme seinen Magen entleert. Vergleicht man mit diesen Daten den relativen Gehalt der Magenschleimhäute dieser Thiere an Hauptzellen , so weisen die Thiere mit langsamer Verdauung einen grösseren Reichthum dieser Zellenart auf, während bei dem gefrässigen und schnell verdauen- den Maulwurf und dem Meerschweinchen die Belegzellen vor- wiegen. Ob diese Unterschiede durchgreifend seien, muss durch weitere Untersuchungen erst bestätigt werden. Die hier folgenden Notizen über die Schleimhaut des Magens einiger Säugethiere machen keinen Anspruch auf erschöpfende Be- handlung aller in Frage kommenden Details; sie sind gelegentlich von Beobachtungen gewonnen, welche auf die Veränderung von Zellleib und Zellkern durch die Secretion gerichtet waren. Der Magen des Kaninchens?) (Lepus cuniculus). Rige. u, 2, 11, 21. Die Magendrüsen des Kaninchens sind von Langley und Sewall in neuerer Zeit noch beschrieben worden, so dass dieser 1) Handbuch der Physiologie von Hermann. V. Bd., 1. Theil, p. 142. 2) Vergleiche hierzu: Rollett, Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histologie in Graz. II. Heft. Heidenhain |. c.; Langley and Sewall: Journal of Physiology Vol. II. Nr. 4, p. 293. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 309 Darstellung nur Weniges hinzuzufügen bleibt. Von der Ausdehnung des Pylorustheiles an der kleinen Curvatur bis gegen die Cardia findet man bei Langley und Sewall eine schematische Dar- stellung. Die Angaben über die Vertheilung der Granula in den Hauptzellen der verschiedenen Regionen des eigentlichen Labdrüsen- theils und die Vermehrung dieser Granula nach kurzer Hunger- periode kann man schon makroskopisch erkennen. Die Drüsen des Fundus sind bei hungernden Thieren weiss, bei verdauenden durchsichtig; die Drüsen der grossen Curvatur findet man fast durchweg hell und durchscheinend. Bei mikroskopischer Unter- suchung bestätigt es sich, wie Langley und Sewall angeben, dass die Hauptzellen der Fundusdrüsen beim hungernden Thier mit glänzenden Granulis angefüllt sind. Die Granula sind gross, grösser als andere unzweifelhafte Fermentgranula desselben Thieres und lösen sich in Ueberosmiumsäure (cf. oben pag. 304). Rollett und Heidenhain haben diese Granula der Hauptzellen wohl ge- kannt; auch wird man sich zur bequemen Untersuchung des frischen Objectes wohl der Angabe Rollett's von der leichten Isolirbarkeit der Labdrüsenschläuche des Kaninchens erinnern. Zur bequemen Demonstration frischer Magendrüsen und ihrer beiden Zellenarten ist das Kaninchen am meisten zu empfehlen. Setzt man zu den in Jodserum isolirten Schläuchen einen Tropfen Ueberosmiumsäure zu, so erhält man Präparate, die in Glycerin eingeschlossen dauernd und prägnant die Unterschiede zwischen Haupt- und Belegzellen, zwischen den Drüsen im Fundus des Magens und an der grossen Curvatur erhalten. Die Fundus- drüsen sind kürzer als die in der Mitte der grossen Curvatur. Im Fundus hungernder Thiere erscheinen die Hauptzellen gross, hell und mit dunkel gefärbten zackigen Kernen; die Belegzellen sind gebräunt, scharf contourirt, fein granulirt; ihre Kerne gross, blass, oval, mono- bis polynucleolär. In der grossen Curvatur verschwin- den die Färbungsunterschiede mehr, da auch die Hauptzellen einigermaassen gebräunt sind; die Kerne derselben haben stets ein Kernkörperchen. In der nächsten rechts gelegenen Umgebung der Cardia sind Haupt- und Belegzellen in den Schläuchen ge- mischt; dann beginnt die Formation der Pylorusdrüsen, deren In- halt in verdünnter Essigsäure sich trübt, während die Labdrüsen- schläuche durch dieses Reagens aufgehellt werden. Ob die Belegzellen an der grossen Curvatur, wie Langley Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 21 310 Moritz Nussbaum: angibt, überwiegen, während im Fundus die Hauptzellen zahlreich sind, dürfte schwer zu entscheiden sein. Es gibt an der grossen Curvatur Schläuche, die in ihrem unteren Ende auch nicht eine einzige Belegzelle enthalten. — Prägnant sind allein die Unterschiede der Hauptzellen beider Re- gsionen im Gehalt an Granula und mit Bezug auf die Form ihrer Kerne, namentlich nach Erhärtung in Ueberosmiumsäure. Da je- doch die Kerne in den Hauptzellen der Fundusdrüsen im unver- änderten Zustande durch die groben Granula verdeckt werden nnd erst zu erkennen sind, wenn die Granula gelöst wurden, so kann nicht gut entschieden werden, in welcher Weise das chemische Reagens bei der Lösung der Granula auch auf die Kerne einge- wirkt hat. Der Magen des Meerschweinchens !) (Cavia cobaya). Der weissliche Pylorustheil bildet eine gürtelförmige Zone, auf die etwa der sechste Theil der Länge des ganzen Magens kommt; der übrige Theil der Schleimhaut ist grauröthlich gefärbt und mit Labdrüsen besetzt. Im Fundus des Magens messen die Schläuche durchschnittlich 0,2 mm, an der grossen Curvatur 0,35 mm, doch so, dass sie nach dem Pylorus zu an Länge wieder abnehmen. Die Drüsen sind frisch in Jodserum oder öligen Flüssigkeiten gut zu isoliren. Tödtet man Thiere nach etwa 12stündigem Hunger, so erscheinen die Labdrüsen wie dunkele mit hellen Buckeln be- schlagene Stäbe. Das Centrum der Schläuche bildet eine unregel- mässig begrenzte Zone grosser glänzender Granula, die in ver- dünnten Säuren (Salzsäure, Essigsäure, Ueberosmiumsäure) und Ammoniak spurlos verschwinden. Langley gelang es, diese Gra- nula in Ueberosmiumsäure zu conserviren?). Vielleicht haben wir auch an diesem Objeet nicht zu denselben Zeiten untersucht und es ist denkbar, dass die lösliche Form der Granula in eine unlös- 1) Vergleiche hierzu: Rollett: Untersuchungen aus dem Institute für Physiologie und Histologie in Graz. II. Heft, p. 171. — Langley: Journal of Physiology. Vol. III, Nr. 3. 2) Nachträglich füge ich hinzu, dass ich auch beim Meerschweinchen in Ueberosmiumsäure unlösliche Granula der Hauptzellen, wie Langley angegeben, gefunden habe; es bestätigt sich also die oben ausgesprochene Vermuthung. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. sıl liche übergeführt wird oder umgekehrt. Damit würden auch die Angaben Langley’s (l. ec. pag. 273) vom Magen des Kaninchens, des Frettehens und des Schafes übereinstimmen, wo sich zuweilen die Granula der Hauptzellen in Ueberosmiumsäure erhalten, ge- wöhnlich aber darin verschwinden. Untersucht man gleichzeitig die Zellen des Pancreas von demselben Thiere, so sind die Granula in den Zellen dieser Drüse kleiner als die der Hauptzellen und etwa von derselben Grösse, wie die Granula der Belegzellen. Die Granula der Belegzellen sieht man frisch und nach Erhärtung in Ueberosmiumsäure recht gut. Zusatz von Essigsäure macht die Belegzellen kurz nach der Einwirkung des Reagens ganz glasig; bald darauf werden die Zellen wieder dunkler und erscheinen grob sranulirt. Etwas Aehnliches berichtet Heidenhain!) von der Einwirkung des sauren Magensaftes: „Hat man bei Anfertigung eines Schnittpräparates Spuren des sauren Magensaftes von der Oberfläche her auf den Drüsengrund übertragen, so heben die Be- legzellen sich heller und durchsichtiger gegen den dunkeln Schlauch- inhalt ab.“ Der Reichthum der Labdrüsenschläuche an Belegzellen steht auf einer Linie mit dem der gleichen Drüsen des Maulwurfs. Während man bei Hund, Schwein, Kaninchen oft recht ansehnliche Strecken fast ausschliesslich mit grossen Hauptzellen bekleidet findet, sind die gleiehwerthigen Zellen in Labdrüsenschläuchen des Meerschweinchens klein und nicht zahlreich. An Längsschnitten in Alkohol oder Osmiumsäure erbärteter Schleimhautstücke sehen die in Anilinfarben tingirten Schläuche aus, als wären sie nur aus Belegzellen zusammengesetzt. Stärkere Vergrösserungen lassen eine feine bandartige, stärker gefärbte Zeichnung zwischen den Belegzellen erkennen. Dies sind die Hauptzellen, deren Contouren man am besten auf Querschnitten ansichtig wird. Der Magen der Fledermaus?) (Vesperugo Nathusii und Vesperugo serotinus). Pat. XViiPige:'3,, 5,422, Der Magen der untersuchten Species ist dünn und durch- scheinend. Im Fundus sind die Drüsenschläuche kurz: sie werden 1) Heidenhain: Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. VI, p. 376. 2) Vergleiche hierzu: Rollett I. c. — Langley Il. c. 312 Moritz Nussbaum: bis gegen die Mitte der grossen Curvatur länger und nehmen zum Pylorus hin wieder an Länge ab. Belegzellen finden sich wie beim Hunde und Menschen in allen Magendrüsen, und zwar sind die spärlichen Belegzellen in den Schleimdrüsen des Pylorus in keiner Weise von den Belegzellen der übrigen Drüsenschläuche verschieden. Bei hungernden Thieren — es fanden sich bei einem frisch eingefangenen Exemplare einige Haare, bei dem anderen einige unverdauliche Reste im Magen vor — sind die Hauptzellen vieler, doch nicht aller Fundusdrüsen mit groben Körnern ange- füllt; diese groben Körner fehlten den Hauptzellen in den Drüsen an der grossen Curvatur, wie es auch Langley beschrieben hat. Die Belegzellen sind dunkel und fein granulirt, ihre Kerne zuweilen polynueleolär. Safranin färbt die Granula der Hauptzellen sehr intensiv, so dass bei geeigneter Behandlung auf diese Weise bequem die Ver- theilung der Haupt- und Belegzellen in den Schläuchen und die Verbreitung der Granula in den Hauptzellen zu studiren ist.') Man überzeugt sich dann auch, wie schwer es ist, die Gruppirung von Haupt- und Belegzellen schematisch darzustellen. Oft reichen die Belegzellen bis dieht unter das Oberflächenepithel; oft ist die erste Belegzelle durch ein recht langes Schaltstück von der Ober- fläche entfernt. Der Drüsengrund der Schläuche des Fundus ent- hält vorwiegend Hauptzellen; doch sind auch in vielen Fällen Be- legzellen eingestreut. Die mittlere Partie der Drüsenschläuche trägt wohl die meisten Belegzellen; nur von wenigen körnerreichen Hauptzellen ist diese fast continuirliche Belegzellengruppe unter- brochen. Es gibt aber auch Schläuche, deren mittlere Partie ziem- lich breite Ringe von continuirlich aneinandergefügten Hauptzellen enthält. Im Drüsenhalse sind zwischen den in Osmiumsäure ge- bräunten Belegzellen helle, kleinere Zellen mit ovalem oder rundem Kern und grossem glänzenden Kernkörperchen eingeschaltet. Die Granula der Hauptzellen nehmen in den meisten Fällen blos die centrale Partie der Zelle ein; oft ist die ganze Zelle damit erfüllt. 1) Wo die Granula sich nicht in Osmiumsäure conserviren, heben sich bei kurzer Einwirkung von Anilinfarben die Hauptzellen ebenfalls deutlich ab, wie Rollett dies bereits beschrieben hat. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 313 Der Magen des Maulwurfs!) (Talpa europaea) Figg. 4, 6, 28. zeichnet sich durch seine Durchsichtigheit vor dem anderer Säuge- thiere wesentlich aus. Die Drüsen sind inselförmig gruppirt, was namentlich gut nach Injection verdünnter Ueberosmiumsäure sicht- bar wird. Der Pylorustheil ist auffallend klein und bildet einen Ring von etwa 6 mm Länge. Seine Drüsen sind niedrig, einfach oder verzweigt schlauchförmig und werden in Ueberosmiumsäure nicht gebräunt. 3 mm vom Anfang des Duodenum entfernt finden sich vereinzelte Belegzellen in den Drüsenschläuchen. Von da an nimmt die Zahl der Belegzellen enorm zu. In der eigentlichen Labdrüsenzone findet man nur schwer die kleinen Hauptzellen zwischen den Beiegzellen ; doch sind sie wie überall vom Fundus der Schläuche bis zum Drüsenhalse zwischen den Belegzellen gruppirt. Füttert man ein hungerndes Thier, so sehen die Belegzellen in der oberen Hälfte der Schläuche wie angefressen aus; ihre Kerne sind multinucleolär, während die Kerne der an der Basis gelegenen Belegzellen und die Kerne der Hauptzellen mononucleolär nach Behandlung mit Ueberosmiumsäure erscheinen. Die Belegzellen sind fein granulirt. In der centralen Hälfte der Hauptzellen an der Basis der Schläuche finden sich zuweilen grössere Granula, die in Osmiumsäure leieht gebräunt werden. Was das Vorkommen der Belegzellen anlangt, so sind vorhin die nöthigen Angaben darüber schon gemacht worden. — Die Haupt- 1) Vergleiche hierzu: G. Cuvier: Vorlesungen über vergleichende Anatomie, übers. von J. F. Meckel 1810, III. Theil, p. 385. — F. Leydig: Histologie 1857, p. 317. — Langley: Journ. of Physiology. Vol. III, Nr. 3, pag. 270. ; Es dürfte vielleicht interessiren, einige Notizen über das Verdauungs- vermögen des Maulwurfs hier anzuschliessen. Ein hungernder Maulwurf verzehrt mit grosser Gier bis zu acht feiste Regenwürmer, deren vorderes Leibesende er geschickt mit den Vorderfüssen erfasst und dann bissenweise in den Rachen nachschiebt. Ein bis zwei Stunden später ist in seinem Magen kaum eine Spur der genossenen Mahl- zeit mehr zu finden. Die Verdauung ist jedenfalls eine sehr energische. Das für einen Carnivoren auffallende Verhältniss der Darmlänge zur Länge des Körpers (8 : 1) ist schon von Cuvier angegeben worden. Am Darme ist äusserlich kein Colon und kein Coecum abgesetzt. Nahe dem Rectum und weiter nach aufwärts zeigt der Darm schöne Peyer’sche Plaques. 314 Moritz Nussbaum: zellen finden sich am Grunde der Schläuche in ausgeprägter Form und mit centraler in Ueberosmiumsäure gebräunter Zone grosser Granula bis nahe am Pylorus. Ein leicht mit Ueberosmiumsäure aufgeblähter Magen eines erwachsenen Maulwurfs misst an der grossen Curvatur von der Kuppe des links gelegenen Blindsackes bis zum Pylorus 10 em; 1,5cm vom Pylorus entfernte Schnitte ent- halten noch Hauptzellen. Die Cylinderepithelien der Mageninnenfläche sind während der Verdauung von einer mehrschichtigen Schleimlage bedeckt, zwischen deren einzelnen Lamellen eine grosse Zahl zu Grunde gegangener Zellen eingeschlossen ist. Hat ein Maulwurf zwei bis drei Tage gehungert, so sind die Belegzellen klein; manche enthalten keine Granula, sind aber in Ueberosmiumsäurepräparaten stark gebräunt. Der Magen des Bibers !) (Castor fiber). Der Magen vieler Nagethiere zeigt bekanntlich vom Baue des Säugethiermagens abweichende Eigenthümlichkeiten. Schon früh ist der Magen des Bibers mit dem Vogelmagen verglichen worden. Durch die Güte des Herrn Geheimrath von Leydig stand mir der Magen eines Castor fiber zur Disposition. Leider war an dem in diluirtem Alcohol aufbewahrten alten Sammlungspräparate die histologische Ausbeute nur gering. Mit Sicherheit konnte jedoch festgestellt werden, dass die Magenschleimhaut in drei verschiedene Abschnitte zerfalle: 1) die grosse Drüse; 2) daran sich anschlies- send und den links gelegenen Blindsack nebst Curvatura major und minor umgreifend eine Zone, in deren Schläuchen viele isolirte Zellen erhalten waren;. 3) zuletzt ein Pylorustheil mit völlig ma- cerirten Drüsenschläuchen, von denen nur noch die bindegewebigen Hüllen, das Stroma, restirten. Vergleiche mit ähnlich behandelten, aber anderweitig gut gekannten Magenschleimhäuten anderer Thiere 1) Vergleiche hierzu: Vorlesungen über vergleichende Anatomie von G. Cuvier (Meckel’s Uebers.) III. Theil 1810, pap. 391. — Medicinische Zoologie von J. F. Brandt und Ratzeburg, I. Bd. 1829, pag. 19. Dort ist auch die ältere Literatur eitirt. — Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der Wirbelthiere von Siebold und H. Stannius 1846. II. Theil. pag. 425. — Leydig: Lehrbuch der Histologie 1857, p. 315. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 315 lehrten, dass, wie in dem vorliegenden Bibermagen, nach einiger Zeit in diluirtem Alcohol Oberflächenepithel und Pylorusdrüsen- zellen nicht mehr aufzufinden sind; während in den Labdrüsen Zellen erhalten bleiben. Ob in den Drüsen des Fundus und der grossen Curvatur, ob in der grossen zusammengesetzten Drüse Haupt- und Belegzellen vorkommen, liess sich nicht entscheiden. Doch sollte man erwarten, dass bei der anscheinenden Einfachheit, die Drüse aus dem Connex des Bibermagens operativ zu entfernen, an diesem Objeet eine elegante Lösung der Frage nach der Pepsin- und Säurebildung im Säugethiermagen gewonnen werden könnte. Der Magen der Vögel. In der Absicht auf vergleichend anatomischem Wege Beweise für die Pepsinbildung in den Belegzellen der Säugethiere zu er- bringen, war in der ersten dieser Mittheilungen Einiges über den Bau der Labdrüsen der Vögel erwähnt worden. Seit jener Zeit hat Ed. Remouchamps!) eine Beschreibung der Magendrüse von Rhea americana geliefert. Ueber den feineren Bau der Drüsen- zellen sind keine Angaben gemacht; doch interessirt die Notiz, dass nur eine Zellenart in den Schläuchen sich finde. Bei eignen erneuten Untersuchungen war die Aufmerksamkeit im Wesentlichen auf die Constatirung einer dem Bibermagen ana- logen Vertheilung der Drüsenformen und die Auffindung von Haupt- und Belegzellen gerichtet. Das Folgende wird zeigen, wie weit die gehegten Erwartungen gerechtfertigt waren. Bei einem Haushuhn (Gallus domestieus) maass der ganze Drüsenmagen im Längendurchmesser 4,5 em. Davon kamen 3 em auf die Zone der etwa 50 bis 60 flaschenförmigen zusammenge- setzten Labdrüsen, deren Dieke in der Mitte dieser Zone am mächtigsten ist (etwa 5 mm) und nach beiden Richtungen, nach oben und unten hin, gleichmässig abnimmt. Auf diesen Abschnitt folgt ein zweiter 1,5 em langer, mit einfach schlauchförmigen, kaum 1 mm hohen Labdrüsen. Der Muskelmagen mit hornigem Belag macht den Beschluss. 1) Ed. Remouchamps: Sur la glande gastrique du Nandou d’Ameri- que. Archives de Biologie, publiees par Ed. van Beneden et Ch. van Bambeke. Vol. I, p. 583. 316 Moritz Nussbaum: Dass der Muskelmagen der Vögel dem Pylorustheil des Magens anderer Wirbelthiere homolog sei, hat Retzius überzeugend dar- gethan. Dies lässt sich auch bei Raubvögeln, denen ein horniger Muskelmagen fehlt, leicht erkennen. Untersucht man den Magen von Raubvögeln, so findet sich auch hier die Dreitheilung wieder. Zuerst ein Abschnitt mit grossen flaschenförmigen Drüsensäcken; darauf einfache Labdrüsenschläuche und schliesslich der Pylorus- theil. Mir sind die Magenschleimhäute vom Mäusebussard (Faleo buteo) und von der Schleiereule (Strix flammea) bekannt geworden. Als Paradigma sei der Magen von Strix flammea etwas eingehender beschrieben. — Das untersuchte Thier hatte einen Tag gehungert. Der Oesophagus ist mit dicht gestellten Schleimdrüsen aus- gestattet. Der erste Magenabschnitt trägt die ca. 3 mm mächtige Schicht zusammengesetzter flaschenförmiger Labdrüsen. Bekanntlich sind in jeder Drüse eine grosse Anzahl von Drüsenschläuchen ent- halten, deren Secret in einen gemeinschaftlichen, central gelegenen Ausführungsgang entleert wird. Zwischen den Mündungen der weitbauchigen und schmalhalsigen Drüsencomplexe zieht die Schleimdrüsenschicht des Oesophagus continuirlich weiter, so dass sich ein Bild präsentirt, wie es Bergmann!) bereits vom Staar dargestellt hat?). Die einzelnen Tubuli der grossen flaschen- förmigen Labdrüsen tragen nur eine Art granulirter Zellen. Die Granula werden in Ueberosmiumsäure gebräunt. Auf diese erste, nur von einer dünnen Muskelhülle umkleidete Zone der Magenschleimhaut folgt ein stark muskulöser Theil mit einfachen sehlauchförmigen Drüsen besetzt. Die Architektonik der Zellen erinnert an die des Pankreas: einwärts vom Kern eine in Ueberosmiumsäure sich bräunende fein granulirte Zone; der Mem- brana propria zugewandt ein heller protoplasmatischer Abschnitt. Was die Deutung der Drüsen in diesen beiden Abtheilungen der Magenschleimhaut anlangt, so wird man in Grundlage der Form der Schläuche sich dafür entscheiden, die zusammengesetzten Drüsen mit den Oesophagealdrüsen der Frösche und die einfachen mit den soge- nannten Labdrüsen der Frösche zu vergleichen. Dafür spricht auch die 1) Müller’s Archiv 1862, Taf. XIV A, Fig. 1. 2) Die Lage der Brunner’schen Drüsen unter der eigentlichen Schleim- haut des Duodenum hat viel Aehnlichkeit mit dem hier geschilderten Ver- halten. Ebenso liegen die Oesophagealdrüsen der Frösche tief unter dem Epithel der Oberfläche. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 317 Reihenfolge der Drüsen und die relative Grösse der in den Zellen enthaltenen Granula. Die Granula sind in den Oesophagealdrüsen und in den zusammengesetzten Drüsen des Vogelmagens grösser als in den Labdrüsen der Frösche und in den Schläuchen der soeben beschriebenen zweiten Abtheilung des Drüsenmagens der Vögel. Trotzdem ist man vorläufig noch nicht völlig berechtigt, die Drüsenzellen in den zusammengesetzten Drüsen des Vogel- magens für Hauptzellen und die der einfachen Schläuche für Be- legzellen zu erklären, da, wie es scheint, die Anordnung der Granula in den Zellen gerade die umgekehrte ist. ‚Ein eigentlicher Muskelmagen, d. h. ein von quergestreifter Musculatur umhüllter, innen mit erhärtetem Drüsensecret ausge- kleideter Pylorustheil fehlt. Auf den eben beschriebenen zweiten Abschnitt folgt aber noch ein dritter von dem Baue der Pylorus- zone der übrigen Wirbelthierklassen. Die Drüsenschläuche werden gegen das Duodenum zu immer niedriger. Osmiumsäure bräunt sie ebensowenig als die Schleimdrüsen des Oesophagus. Der Vorderdarm der Reptilien '). Figg. 10, 14, 15, 16, 17, 18, 19. Mit Bezug auf die eigenartige Vertheilung der Labdrüsen im Vorderdarm der nächsten Wirbelthierklasse, der Amphibien, musste auch der Oesophagus der Reptilien eingehender durchmustert wer- werden. Auch bei den Reptilien herrschen die grössten Ver- schiedenheiten im Vorkommen von Oesophagealdrüsen. Dass der Oesophagus von Lacerta agilis und von Coluber natrix drüsenlos sei, dass dagegen bei Testudo graeca eine schon mit freiem Auge erkennbare Drüsenschicht im Oesophagus sich finde, hat bereits Leydig angegeben. Unterschiede im Baue der vorderen und weiter gegen den Pylorus gelegenen Labdrüsen von Coluber natrix hat Langley und das Vorkommen eines ächten Pylorustheiles Edinger beschrieben. Meine eigenen Untersuchungen beziehen 1) Vergleiche hierzu: Leydig: Anatomisch-histologische Untersuchun- gen über Fische und Reptilien 1853. — Histologie 1857. p. 312. — Partsch: Archiv für mikroskopische Anatomie Band XIV. — Edinger: Dasselbe Archiv, Bd. XVII. — Machate: Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 32. — Langley: Philosophical Transactions of theRoyal Society. Part. III. 1881. 318 Moritz Nussbaum: sich auf Lacerta agilis, Anguis fragilis, Emys europaea, Testudo sraeca, Coronella laevis. Lacerta agilis. Der Oesophagus ist bis auf einen kleinen, etwa 2 mm langen, an den Magen anstossenden Ring frei von Drüsen. Das Oberflächenepithel, auf breiten eonfluirenden Längs- leisten arrangirt, besteht aus Flimmerzellen und Becherzellen mit breiter Theea und feinem, kreisförmigem Stoma. Der Oesophagus ist durch eine eirculäre, am aufgeblähten Präparat nach innen vorspringende Falte gegen den Magen abge- setzt. Ueber diesen Ring hinaus gehen die im unteren Bezirk des Oesophagus beginnenden Drüsen weiter in den Magen hinein. . Das Oberflächenepithel verändert seinen Character schon im Oesophagus von der Stelle an, wo die Drüsen beginnen und setzt sich in der- selben Form in den Magen hinein fort. Dies ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber dem Verhalten der Oberflächenepithelien beim Frosch, wo die erste, pepsinbereitende Drüsenart des Vorder- darms im Oesophagus unter einer Decke von Becher- und Wimper- zellen liegt. Bei Lacerta hört jedoch in der Region der beginnenden Drüsenbildung im Oesophagus jede Wimperung auf und man findet nur Schleimzellen, deren Secret bei verschiedenen Präparations- methoden ausgepresst wird, so dass eine Zelle mit Kern, Proto- plasmafuss und hohlem oberen Aufsatz zurückbleibt. In Ueber- osmiumsäure bleiben die Zellen unverändert; der Schleim wird nieht eliminirt. Die Höhe der schleimigen Zone varlirt sehr. Zu- weilen erreichen die nach abwärts zugespitzten Zellen eine enorme Länge; in einem Falle mass der protoplasmatische Fuss 36 u, die schleimführende Theca 18 wu. In diesen Zellen ist kein kreisförmiges Stoma wie bei den Becherzellen vorgebildet; auch besitzen die Zellen keine Membran'!). Die Drüsen selbst sind mehrbuchtige 1) Man würde in der Histologie des Thierreichs jede Differenz in der Darstellung vermeiden können, wenn man consequent nur das eine „Me m- bran“ nennen würde, was aus Zellen besteht, wie die Membrana granulosa bei den Eiern der Wirbelthiere oder die Cysten- und Follikelhaut der Samen- zellenkugeln. Sobald die thierische Zelle ihre amoeboide Beweglichkeit aufgegeben hat, erhärtet ihre Rinde mehr oder weniger und gibt dadurch der Zelle eine definitive Gestaltung, ohne dass Zellleib und Rinde chemisch different zu sein brauchen. In anderen Fällen umgeben sich die Zellen allseitig, so die Eier Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 319 Schläuche, zwischen deren einzelne Zipfel, wie bei den zusammen- gesetzten Labdrüsen der Vögel, Blutgefässcapillaren eindringen. Das Innere der Zellen ist mit grossen, in ÖOsmiumsäure sich bräunenden Granulis gefüllt; die Vermehrung derselben schreitet wie bei den Oesophagealdrüsen des Frosches und den pancrea- tischen Drüsen aller Wirbelthierklassen von dem Centrum — d.h. von dem am Lumen anstossenden Theile der Zelle — gegen die Peripherie vor. Haben Eidechsen längere Zeit gehungert, so sind die Drüsen verkleinert; nur in wenigen Zellen sind vereinzelte Granula erhalten. Füttert man ein Thier nach längerem Fasten, so füllen sich die Zellen in den ersten Stunden der Verdauung wieder mit den groben Körnern; nicht selten findet man in den Schläuchen Zellen, die wie leer aussehen, keine Granula enthalten und deren Kern von derselben Beschaffenheit ist, wie Keme in pancreatischen Zellen des Landsalamanders, die abgestorben sind und eben ausgestossen werden. Auf diese erste Art von Magendrüsen folgt, in der Mitte des Magens an Grösse zunehmend, eine zweite Form von Drüsen, die zu mehreren vereinigt in runden, schlitz- oder T-förmigen Grübchen der meisten Wirbellosen, mit einer „Hülle“, wie die Pflanzenzelle mit einer Celluloseschicht. An vielen Oberflächen, in den Buchten und Binnenräumen epithelialer Bildungen wird einseitig entweder eine continuirliche oder in den Zellgrenzen unterbrochene, erhärtete, oft von feinen Poren durchsetzte Hülle abgeschieden. Diese Hüllen sind wie die Cellulose vom ursprünglichen Zellprotoplasma verschieden und gehören vielleicht alle wie die Cellulose zu den Kohlehydraten. Die Becherzellen haben um den schleimigen Inhalt eine isolirbare Hülle; ob diese nur die erhärtete Rindenschicht des ursprünglichen protoplasma- tischen Kopfes der Zelle sei, oder, ob sie einem complieirten Chemismus ihren Ursprung verdankt, wie eine Cuticula, muss vorläufig unentschieden bleiben. Sie ist etwas für sich Bestehendes, aber zugleich mit ihrem Inhalt aus der anfangs protoplasmatischen Zelle hervorgegangen. Die Hülle der Becherzellen ist an der freien Fläche kreisförmig durch- brochen; bei den Schleimzellen der Magenoberfläche ist diese Oeffnung meist sechseckig, weil hier gleichartige Zellen aneinandergelagert sind und die gleichzeitige Dehnung aller Zellen jeder einzelnen einen gewöhnlich sechs- seitigen Querschnitt gibt. Sind nicht alle Zellen gleichzeitig mit Schleim gefüllt, also mit weichen protoplasmatischen, nackten oder bewimperten Zellen gemischt, so kommt die Becherform der Schleimzellen zu Stande, aus der sich durch ideelle Verlängerung der Mündung die einzellige Drüse mit langem Ausführungsgang ableiten lässt. 320 Moritz Nussbaum: münden. Die Grübchen sind am frischen Präparat 0,5—1,5 mm von einander entfernt. Diese Drüsen sind gestreckt schlauchförmig. Das Epithel der Oberfläche ragt verschieden weit in den Hals der Schläuche hinein. Im eigentlichen Drüsenkörper sind zwei Zell- arten vorhanden. Die eine Art ist namentlich während der Verdauung mit feinen senkrecht zum Lumen der Drüse in Reihen geordneten Körnchen und Stäbchen gefüllt. Diese durch Osmiumsäure braun färbbaren Körnchen umgeben einen grossen, hellen runden oder ovalen Kern. Die andere Zellart bildet Schleim und kann weder durch Osmiumsäure noch durch Carmin gefärbt werden. In Beale’scher Carminlösung und beim nachherigen Auswässern des Präparats geht der schleimige Inhalt der Zellen verloren, und diese zeigen ein ähnliches Aussehen, wie die Epithelien der Magenober- fläche, bei gleicher Behandlung. Die erhärtete Rindenschicht der Zellköpfe ragt als leere Hülle über den protoplasmatischen kern- tragenden Fuss der Zelle hinaus: der Schleim ist durch Einwir- kung des Wassers gequollen und nach Aussen entleert worden. Im Alkohol geht die feinere Structur aller Zellen zu Grunde. Gegen den Pylorus zu wird die Muskulatur des Magens mächtiger, die Drüsenschicht niedriger. Die Schläuche sind einfach oder ver- ästigt und enthalten Schleimzellen, die in Osmiumsäure nicht ge- bräunt werden. Anguis fragilis hat einen lang gestreckten Vorderdarm. Der Oesophagus flimmert nicht. Das Epithel der Oberfläche be- steht aus langgestreekten keilförmigen Zellen mit protoplasmatischem Fuss und einem kleinen seehsseitigen Aufsatz mit schleimigem In- halt. Vereinzelt und dureh grössere Zwischenräume getrennt sind der Schleimhaut flache Schleimdrüschen eingelagert. Beim Ueber- gang des Oesophagus in den Magen beginnen die Labdrüsen, die durch Osmiumsäure je nach dem Grade ihrer Füllung mit kör- nigem Inhalt mehr oder weniger lebhaft gebräunt werden, während die Oesophagealdrüsen und die Drüsenschläuche der Pylorusregion sich indifferent gegen die Ueberosmiumsäure verhalten. Die Lab- drüsenzone zerfällt wie bei Lacerta in zwei Abschnitte; ein vorderer mit grossen Granulis in den Zellen der niedrigen, buchtigen Drüsen; ein hinterer Abschnitt mit vorwiegend fein gestrichelten Zellen, zwischen denen auch einige Schleimzellen sich finden. Die Striche- lung der Zellen ist auch hier auf die radiäre, reihenweise Anord- nung feiner Körnehen und Stäbehen zurückzuführen. Im Vergleich Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 321 zu Lacerta sind alle in Betracht kommenden Verhältnisse bei Anguis zarter und kleiner, so dass der Vorderdarm von Anguis nur die Schleimdrüsen und der von Lacerta das Wimperepithel im Oesophagus als speeifisches Merkmal aufweist. Im Uebrigen ist der Bauplan und seine detaillirte Durchführung bei beiden Species nahezu derselbe. Während aber bei der Eidechse und der Blindschleiche im eigentlichen Labdrüsenabschnitt des Magens - zwei verschiedene Drüsenarten mit typischen Zellformen aufeinanderfolgen,, ist im Magen der Schildkröten und der von mir untersuchten Coronella laevis eine andere Anordnung vorhanden; es fehlen die Pepsin- drüsen mit den grossen Granula in den Zellen, welche bei Rana im Oesophagus und bei Lacerta und Anguis im vorderen Abschnitt des Magens sich finden. Dafür sind zwischen den Schläuchen der Lab- drüsenzone der Schildkröten mit dem Charakter der Labdrüsen- schläuche des zweiten Magenabschnittes von Lacerta und Anguis oder des ersten Magenabschnittes von Rana, andere Schläuche eingeschaltet, die während des Hungers ganz das Aussehen von Schleimdrüsen zeigen. Ebenso häufig sind aber auch in demselben Schlauch beide Zellen- arten in der Weise gemischt, dass, wie Machate dies von Emys europaea hervorgehoben hat, kurze Strecken desselben Schlauches von den grösseren fein granulirten Zellen austapezirt, andere Strecken wieder mit hellen, schmalen eylindrischen Zellen besetzt sind. Ob die hellen Zellen Hauptzellen oder wirkliche Schleim- zellen seien, habe ich nicht entscheiden können, da zu gewissen Zeiten beide dasselbe Aussehen haben können. Zerzupfungspräpa- rate lassen sich nicht mit genügender Klarheit herstellen. Feine Schnitte durch die Schleimhaut des eben getödteten Thieres zeigen nicht mehr als Osmiumsäurepräparate und, abgesehen von der ein- tretenden Bräunung der granulirten Zellen, dasselbe Bild. In ab- solutem Alkohol wird zwar das Aussehen gegen den frischen Zu- stand wesentlich verändert, aber die Unterschiede der beiden Zellenarten treten recht deutlich hervor. Da mir aber nur Thiere zu Gebote standen, die lange gehungert hatten und es nicht ge- lingen wollte, dieselben zum Fressen zu bringen, so ist es möglich, dass die hellen Zellen zu anderen Zeiten doch jene bei allen Wirbelthieren wiederkehrenden grossen Granula bilden. In meinen Präparaten waren sie gewiss nicht vorhanden. Es müssen also fortgesetzte Untersuchungen diesen Punkt weiter aufklären. — Die 392 Moritz Nussbaum: aufgelöste Labdrüsenzone der Schleimhaut wirkte peptisch. Da nun bei den Schildkröten in den Labdrüsenschläuchen sich Zellen finden von dem Charakter der Belegzellen der Säugethiere und den Zellen im ersten Abschnitt des Froschmagens — von letzteren hat Langley noch kürzlich erst Fermentbildung nachgewiesen — so wird man die peptische Wirksamkeit der Labdrüsenschleimhaut des Schildkrötenmagens diesen fein granulirten, in Osmiumsäure sich bräunenden Zellen zuschreiben. Dies um so eher, als es über- haupt fraglich ist, ob bei den Schildkröten Hauptzellen vorkommen. Der von Machate gegebenen Beschreibung des Vorderdarmes von Emys europaea wäre kaum etwas hinzuzufügen; nur habe ich häufig gesehen, wie die hellen Schläuche noch eine Strecke weit in die Museularis mucosae hineinragten, ein Verhalten, wie es bei anderen Wirbelthieren wohl nicht bekannt sein dürfte. Beim Ueber- gang des Oesophagus in den Magen finden sich einige Schleimdrüsen, die sich an Präparaten aus absolutem Alkohol schon makroskopisch durch ihre grössere Resistenz und hellweisse Färbung von der übrigen weicheren und etwas grau gefärbten Schleimhaut unterscheiden. Testudo graeca. Die Länge des Magens einer nach drei- monatlichem Winterschlaf getödteten Testudo graeca betrug 8 em, wovon 3,3 em auf den grauröthlichen Anfangstheil, das übrige auf den bis zum Pylorus hinziehenden weisslichen Abschnitt kamen. Der Oesophagus enthält grosse nah gestellte Schleimdrüsen, die beim Aufspannen des aufgeschnittenen Vorderdarms als opake Körner mit blossem Auge in der Schleimhaut sichtbar sind. Um diese Zeit waren die Drüsen prall mit Schleim gefüllt. Der geröthete Theil der Magenschleimhaut hat zweierlei Schläuche, wie bei Emys. Die granulirten in Osmiumsäure ge- bräunten Zellen haben ein fein radiär gestricheltes Aussehen von der regelmässigen Anordnung der kleinen Körnchen; das Proto- plasma der Zellen am Lumen der Schläuche ist frei von Einlage- rungen, homogen. Wo der helle Theil der Magenschleimhaut be- ginnt, werden diese Belegzellen immer seltener; die Zahl und die Länge der Schläuche nimmt bis zum Pylorus ab, und bald sind alle Schläuche von Schleimzellen erfüllt, die in diesem Stadium wie im Oesophagus viel schleimige Masse enthalten. Die Schläuche der gerötheten Schleimhautzone, welche ganz mit den hellen Zellen ausgekleidet sind, sind breiter als die ganz oder theilweise mit Belegzellen erfüllten. In den hellen Zellen habe ich Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 323 ebensowenig, wie bei Emys Granula aufgefunden, weder frisch, noch nach Erhärtung der Schleimhaut in Ueberosmiumsäure. Coronella laevis. Der Oesophagus ist drüsenlos, trägt ein aus Becher- und Flimmerzellen bestehendes Epithel. Der vordere Magenabschnitt hat zusammengesetzte, der folgende Theil lange einfache Schläuche; beide jedoch mit derselben Zellenart belegt, in denen gleichartige grosse Granula angehäuft sind. Im Hals der Drüsen finden sich viele helle in Ueberosmiumsäure nicht gefärbte Zellen. Der Pylorustheil mit seinen Schleimdrüsen macht den Beschluss. Der Vorderdarm der Amphibien !). Figg. 13, 32, 33, 34. Genauer untersucht sind bis jetzt Rana temporaria und eseu- lenta, Bufo variabilis, Triton taeniatus und Triton eristatus. Der Beschreibung von Langley wird man kaum Etwas hinzuzufügen haben. Ueber die von ihm gewählte Nomenclatur ist schon oben die Rede gewesen. Von mir wurden noch weiter untersucht Sala- mandra maculosa und Triton helvetieus; der Vorderdarm ist im Bau übereinstimmend mit dem des von Langley geschilderten Triton taeniatus und ceristatus. Demgemäss kommen den Amphi- bien drei Drüsenarten im Vorderdarm zu; da Schleimdrüsen im Oesophagus allgemein zu fehlen scheinen, und nur ein auf Kämmen und Riffen angeordnetes Epithel von Wimper- und Becherzellen im Oesophagus sich findet. Die erste Drüsenart, aus Hauptzellen auf- gebaut, liegt entweder im Oesophagus (Rana) oder am Uebergange des Oesophagus in den Magen (Bufo) oder wie bei Triton und Salamandra im Anfaugstheil des Magens. Die zweite Drüsenart besteht aus einfachen Schläuchen, die mit Belegzellen ausgekleidet sind. Es ist seit Heidenhain bekannt, dass zwischen den Beleg- zellen sich auch hier und da Schleimzellen vorfinden. Die Schleim- drüsen des Pylorustheiles bilden die dritte Drüsenart des Vorder- darmes der Amphibien. Vom Frosch ist nachgewiesen , dass die zusammengesetzten Drüsen des Oesophagus Pepsin in alkalischer Lösung, und dass 1) Vergl. hierzu: R. Heidenhain, dies Archiv Bd. VI, p. 394. — C. Partsch, d. Arch. Bd. XIV, p. 179. — N. Langley, Philosoph. Transactions of the Royal Soc. III. Part. 1881. 3234 Moritz Nussbaum: die Belegzellen eine saure Pepsinlösung absondern. Langley'!) hat durch vergleichende Verdauungsversuche bei Triton taeniatus den Nachweis erbracht, dass die Zone der Belegzellen mehr Pepsin enthalte, als die der Hauptzellen. Dies ist zwar bei andern Thieren nicht der Fall. Doch wird durch Langley’s Beobachtung die Pepsinbildung in den Belegzellen a fortiori bewiesen. Es braucht wohl nicht besonders hervorgehoben zu werden, dass die mit Haupt- und Belegzellen benannten Zellen des Am- phibiendarmes in allen Punkten: der Grösse und der Art der Auf- speicherung, der Löslichkeitsverhältnisse und dem Verhalten ihrer Granula gegen Ueberosmiumsäure mit den gleichnamigen Gebilden der Säugethiere völlig übereinstimmen. Die Maasse sind natürlich nicht dieselben, wohl aber alle bei Säugethieren hervorgehobenen relativen Beziehungen. Der Magen der Fische). Taf. XVII, Fig. 29. Die Classe der Fische zeigt die mannigfachsten Variationen im Bau der Schleimhaut des Vorderdarmes und in engem Zu- sammenhang damit auch des Panereas. Vielen Fischen geht ein peptisches Ferment gänzlich ab und man sucht vergebens die Drüsen, welche nach dem Typus der Labdrüsen gebaut wären. Das Pancreas ist bei diesen Arten, wie Legouis?) im Anschluss an die Entdeckung Weber’s gezeigt hat, disseminirt und die einzige eiweissverdauende Drüse des Vorderdarmes. Was die Be- hauptung Krukenberg’s anlangt, es fehle manchen Teleostiern ein Pancreas, so kann ieh nach meinen Untersuchungen wenigstens für den Hecht nieht zustimmen. Alessandrini°) hat beim Hecht ein Pancreas beschrieben, und es kommt diese Drüse in der That 1) Langley: Philosoph. Transactions Part III. 1881, p. 690. 2) Vergleiche hierzu: Edinger: Ueber die Schleimhaut des Fisch- darmes. D. Archiv Bd. XIII und die dort angeführte Literatur. — Kruken- berg: Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg. I. Bd. Heft 4, II. Bd. Heft 1 und 4. 3) Legouis: Annales des sciences naturelles. 1873, V. serie (Zoologie), T. 17 et 18. (Recherches sur les tubes de Weber et sur le paner6as des poissons osseux.) 4) Weber: Ueber die Leber von Cyprinus carpio in Meckel’s Arch. 1827. 5) Alessandrini: Nov. Comment. Acad. Bonon. 1835, T. II. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 325 beim Hecht vor. >Sie liegt in einer grossen Fettanhäufung ver- borgen. Die Schläuche der Drüse sind zur Zeit der Verdauung mit den charakteristischen Granula gefüllt; es lässt sich ein tryp- tisches Extraet daraus gewinnen, während die gleichartig behan- delte Leber keine verdauende Wirkung zeigt !'). Bei den Cyprinoiden (Cyprinus carpio) geht der Oesophagus 1) Zur historischen Entwicklung der Kenntnisse vom Pancreas der Fische: Cuvier et Valeneiennes (Histoire. nat. des poissons, Paris 1828 p. 503, T. D: Labrus, Silurus, Cyprinus, Esox fehlt das Panereas und das System der Appendices pyloricae. Weber (Meckel’s Archiv 1827, pag. 298) entdeckt bei Cyprinus die nach ihm benannten Gänge und spricht die Vermuthung aus, dass die Leber bei den Cyprinoiden zugleich die Function eines Pancreas habe. Allessandrini (Nov. Comment. Acad. Bonon. 1835, T. II) weist bei Esox lucius und Accipenser sturio ein Pancreas nach, soweit dies mit Hülfe der ausschliesslich anatomischen Methoden möglich ist. Alessandrini glaubt allen Fischen ein gesondertes Pancreas zusprechen zu müssen und zieht Weber’s oben angeführte Meinung und die Cuvier’s, dass bei den Fischen mit mangelndem Pancreas und fehlenden Appendices pyloricae der Dünndarm drüsenreicher zu sein pflege, in Zweifel. Joh. Müller (Müller’s Arch. 1840, pag. 132 Anmerkung) beschreibt bei Lota das Vorkommen von Appendices pyloricae und eines auch mikros- kopisch von ihm untersuchten Pancreas. Ebenso kommt nach Müller dem Wels, Aal und Hecht ein drüsiges Pankreas zu, während diesen Fischen die Pylorialanhänge fehlen. (Die Bedeutung der Appendices pyloricae als Aus- stülpungen der Darmwand, ‚von demselben Baue wie diese“ hat Edinger nachgewiesen. D. Arch. Bd. XIII). Stannius gibt 1846 in Müller’s Archiv eine Zusammenstellung seiner in Brockmann’s Dissertation niedergelegten Entdeckungen über das Pan- ereas der Fische. Aus der oben angeführten grossen und umfassenden Arbeit des Pater Legouis sei noch erwähnt, dass von diesem Forscher (l. e. T. 17, pag. 41) Esox lucius, Muraena, Conger, Anguilla, Pleuronectes, Accipenser sturio ein Pancreas zugeschrieben wird. Krukenberg weist mit Hülfe von Verdauungsversuchen die Fermente der pancreatischen Drüsen nach. — Nur sei die Bemerkung gestattet, dass das Hepatopancreas der Fische keine einheitliche Drüse darstellt wie bei Wirbel- losen; die weissliche Pankreassubstanz ist vielmehr von der gelblichen oder bräunlichen Lebermasse völlig histologisch getrennt. Die Drüsen sind nur makroskopisch innig gemischt. Auszüge der frei präparirten Knötchen des Pancreas von Cyprinus carpio wirken pancreatisch; die Auszüge der isolirten Lebersubstanz verdauen kein Eiweiss. [80] m Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 21. 326 Moritz Nussbaum: in einen erweiterten Abschnitt über, der dem Bau und der Ver- richtung seiner Schleimhaut gemäss als Duodenum anzusprechen ist; an der Grenze beider Abschnitte münden die Ausführungsgänge der Leber und des disseminirten Pancreas. Bei den Petromyzonten fehlen ebenfalls die Pepsindrüsen; es kommen aber zwei Drüsen vor, von denen man vermuthen darf, dass sie fermentirende Secrete liefern. Die erste Drüse liegt am Uebergange des Oesophagus in den Darm, die zweite in der Substanz der Leber; beide sind von einerlei Bau. Sie bestehen aus Schläuchen, die sich an den zur Untersuchung bis jetzt verbrauchten Thieren nur zum kleineren Theil in Ueberosmiumsäure bräunten. Auch fehlten in den Zellen die charakteristischen Granula, die im Pancreas aller Wirbelthiere zu finden sind. Ob demgemäss die Drüsen ein Pancreas seien, kann vorläufig nicht entschieden werden, da das zu Gebote stehende Material zu gering war. Selbst wenn es ausreichte, so würde es doch wenig Erfolg versprechen, da die Meeresneunaugen (Petro- myzon marinus), bevor sie im Rhein gefangen werden, sicher längere Zeit schon gehungert haben. Wenigstens war bei den von mir untersuchten Exemplaren der Darm absolut leer. Es würde aber interessant sein, die Bedeutung der Drüsen mit Sicherheit zu kennen, weil bei Cyprinus nur ein disseminirtes Pancreas vor- kommt, und bei vielen anderen Wirbelthieren die vorderen Pepsin- drüsen mit ihren grossen Körnern, der Entwicklung derselben in den Zellen und der zusammengesetzten Bauart, sehr an das Pancreas erinnern und, wie beim Frosch, auch im Oesophagus gelegen sein können. Man könnte desshalb vermuthen, die Drüsen am Ueber- sang des Oesophagus in den wimpernden Darm der Petromyzonten entsprächen der ersten, ausschliesslich Hauptzellen enthaltenden Form von Labdrüsen bei den übrigen Wirbelthieren. Die nicht weit abwärts in der Lebersubstanz befindliche und auf Längs- schnitten durch die Mitte der am Darm befestigten Leber sichtbare weissliche Drüse würde dann das compacte Pancreas der anderen Wirbelthiere darstellen. Die Drüsen am Uebergange des Oesophagus in den Darm waren Bojanus bekannt; Langerhans hat sie beim Querder entdeckt; Stannius gibt über die in der Leber gelegene Drüse eine kurze Notiz. Der Vorderdarm der höher stehenden Fische hat, wie am Hecht leicht gezeigt werden kann, schon die Organisation der fol- genden Klassen; im eigentlichen Magen kommen drei Drüsenarten Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 327 vor. Schleimdrüsen fehlen im Oesophagus, dessen schleimprodu- eirendes Epithel auf mannigfach gezackten Kämmen in mehrfachen Lagen angeordnet ist. Im vorderen Abschnitt des Magens findet man Labdrüsen mit groben Körnern in den gleichartigen Zellen. In Ueberosmiumsäure bräunen sich die Körner; die Kerne der Zellen treten nicht deutlich hervor. Die Zellen selbst sind den Hauptzellen vergleichbar. Auf diese Zone folgt eine zweite, mit Drüsenschläuchen besetzt, deren Hals relativ lang und deren Drüsen- körper recht kurz ist. Die Zellen sind fein granulirt; die Granula radiär zum Lumen der Schläuche geordnet, wie dies von den Be- legzellen der Reptilien und Amphibien oben berichtet wurde. In Ueberosmiumsäure werden die Granula gebräunt und die Kerne treten deutlich hervor. Auf diese Schleimhautzone folgt der kurze, an einem zweipfündigen Hecht kaum lem messende Pylorustheil mit zusammengesetzten kurzen Schleimdrüsen, die sich in Ueber- osmiumsäure nicht bräunen. Es wäre einer erneuten Untersuchung vielleicht nieht un- werth, ob bei den Fischen mit peptischem Magensaft immer zwei Formen von Pepsindrüsen sich finden, und ob die erste Art der- selben ein alkalisches, die zweite Art ein saures Secret liefere. Der Nachweis des letzteren Verhaltens fehlt übrigens auch noch für Vögel und Reptilien, während er beim Frosch bereits er- bracht ist. | III. Abschnitt. Von der Regeneration der Drüsenzellen und den Be- ziehungen dieses Vorganges zur Secretion. Figg. 25, 27, 28, 30, 31, 36, 37, 44. Es möchte heutzutage ') wohl nur noch Wenige geben, die das Wesen der Secretion in einer Ausstossung von Zellen finden wollen. Man ist darüber einig, dass nieht weiterhin, wie es früher vielfach beliebt wurde, Hoden und Eierstock den Typus einer se- cernirenden Drüse abgeben können. Die Eliminirung der Geschleehts- producte Hat mit einem Secretionsvorgange nichts gemein. Samen 1) Vergl. hierzu: Pflüger: Die Endigungen der Absonderungsnerven in den Speicheldrüsen. Bonn 1866, p. 41—45. 328 Moritz Nussbaum: und Ei bethätigen nur lebend ihre Funetionen ; sie werden desshalb lebend und als moditieirte Zellen ausgestossen. Die Secrete können unbeschadet ihrer Wirksamkeit mit den dem Leben feindlichsten Reagentien behandelt werden; sie sind nur die ausgestossenen Producte lebender Zellen. Wie es Beale zuerst gethan hat, soll man die Seeretbildung mit der Entwicklung der höheren Gewebe vergleichen. In der That gibt es alle Uebergänge von dem einen Typus zum anderen. Man könnte wohl gegen den intendirten Vergleich den Einwand machen, dass die Secrete, ob fest oder flüssig, immerhin etwas schnell Vergängliches; die höheren Gewebe dagegen, wie die quer- gestreifte Muskulatur, sehr stabiler Natur seien. Doch gibt es auch bleibende Secrete. Während die Zellen des Clitellum vieler Wür- mer die anfangs flüssige und erst als Coconhülle zu einer ehitinigen Haut erstarrende Masse absondern , die dem elterlichen Organis- mus demgemäss als Secret entzogen wird, liefern für den Leib des Thieres die sogenannten Matrixzellen der Cuticula dasselbe Secret in bleibender Form. Die Zellen bleiben sogar, wie die Zellenreste der quergestreiften Muskulatur, innig mit der Cutiecula verbunden. Die Pylorusschleimhaut der meisten Wirbelthiere produeirt ein flüssiges Seeret, das schnell eliminirt wird; im Pylorustheil der körnerfressenden Vögel — dem Muskelmagen — wird ein bleiben- des Secret abgesondert, das zu einer dicken, starren Reibfläche erhärtet. Wie wir nun aber seit langer Zeit schon gewohnt sind , die Muskelzellen als etwas Stabiles zu betrachten und die Fähigkeit der Regeneration zu Grunde gegangener quergestreifter Substanz der verkümmerten ursprünglichen Bildungszelle zuzuschreiben, so nehmen wir ein Gleiches für viele seeretorische Zellen an. Somit würde die Entwicklung der Secrete und Gewebe nach einem ge- meinsamen Schema ablaufen und ein durchgreifender Unterschied erst in der Function gegeben sein: es käme den Drüsenzellen die Chemie, den Gewebezellen die Mechanik des lebenden Haushaltes zu. Diese Unterscheidung schliesst nicht aus, dass die das Leben charakterisirenden chemischen Vorgänge auch in den Gewebezellen sich abspielen und Secrete gelegentlich als passive mechanische Vorrichtungen dienen. Man würde demnach histologisch die ur- sprüngliche Muskelzelle der secretfreien Drüsenzelle, beziehungs- weise dem der Membrana propria zugewandten Abschnitt der- Ueber den Bau und die Thätiekeit der Drüsen. 329 selben, das Secret oder die dem Lumen zugewandte Zone des Seeretionsmaterials der quergestreiften Substanz vergleichen , und nur dem Protoplasma und dem Kern beider Zellarten eine grössere Lebensdauer und zugleich die Fähigkeit der Regeneration zu- sprechen. Bei alledem dürfte es nicht überflüssig erscheinen, für diese Ansicht einen sicheren und unumstösslichen Beweis zu haben. Die Wandlungen im Aussehen der Zellen im Laufe einer Secretions- phase sind bekannt; diese erstreckt sich aber über viele Stunden, ja bei Kaltblütern über mehrere Tage und in einzelnen Fällen über ein ganzes Jahr. Die vorliegenden Beobachtungen haben aber nur den Werth von Augenblicksbildern. Was dazwischen liegt, kann wohl erschlossen, aber auch falsch gedeutet werden. Die direete Beobachtung ist unerlässlich. Nun ist es klar, dass diese direete Beobachtung an den inneren Organen von Wirbelthieren nicht ausgeführt werden kann. Wenn auch bei er- haltener Circulation die natürlichen Vorgänge eine Zeit lang nahezu in gewohnter Weise ablaufen mögen, so wird doch die unvermeid- liche Hervorzerrung der beobachteten Organe aus geschützten Körperhöhlen, die Entblössung von der deckenden Haut alsbald von Entzündung gefolgt werden. Solche Beobachtungen dürfen somit für die Construction des ceyelischen Ablaufs normaler Ver- änderungen nicht ohne Weiteres verwerthet werden. Man kennt bis jetzt die Veränderungen durch die Seeretion nur an compacten Drüsen und weiss durch die Untersuchung er- härteter Organe, dass zu derselben Zeit in verschiedenen Regionen derselben Drüse verschiedene Zustände der Zellen sich finden können, so dass man den einen Zustand aus dem andern mit ab- soluter Gewissheit nicht ableiten kann. Günstiger für die Entscheidung wären schon die vereinzelten Drüsen der durchsichtigen Nick- oder Schwimmhaut des Frosches. Versuche, beim curarisirten Frosch die Niekhautdrüsen von der Mundhöhle nach Enucleirung des Auges, oder die Drüsen der aus- gebreiteten Schwimmhäute direet zu beobachten, bieten keine tech- nischen Schwierigkeiten; aber es wollte mir nicht gelingen, an diesen vielzelligen Drüsen eine genügende Sicherheit zu gewinnen. Ueberhaupt wird in Bezug auf die Frage, ob die Zelle befähigt sei, des Oefteren Seerete zu bilden und wieder abzugeben, die Ungewissheit so lange bestehen bleiben, als es sich um die Be- obachtung zusammengesetzter oder auch einfacher aber vielzelliger 330 Moritz Nussbaum: Drüsen handelt. Hier sind die Veränderungen an einer und der- selben Zelle unmöglich zu verfolgen. Eine absolute Garantie wäre geboten, wenn an einer hin- reichend grossen und isolirten einzelligen Drüse die Veränderungen durch die Secretion bekannt wären: wenn durch künstliche Reizung beliebig oft das Secret aus der Drüse entfernt und in derselben Zelle von Neuem gebildet würde. So sind wir auf Thiere ange- wiesen, deren Leib durchsichtig genug ist und bei seiner Kleinheit eine längere fortgesetzte Beobachtung unter dem Mikroskop ge- stattet, ohne dass der Zusammenhang der Theile in irgend welcher Art gestört wird. Meine auf dem internationalen Aerzte - Congress zu London ausgesprochene Absicht, an marinen Copepoden den Secretions- vorgang einzelliger Drüsen zu studiren, hat sich nicht verwirklicht. Nach Bonn zurückgekehrt, war ich somit auf Süsswasserthiere an- sewiesen. Auf den Argulus foliaceus hatte ich schon lange, aber vergebens Jagd gemacht; bis ich zu Ende des vergangenen Herbstes durch die Güte des Herrn von la Valette St. George mit einer grossen Anzahl dieser prächtigen Thiere beschenkt wurde. Die Anatomie des Argulus foliaceus ist von Leydig') und Claus?) in erschöpfender Weise behandelt worden. Die einzelligen Drüsen sind im Mantel, den Beinen und in den Schwanzflossen gelegen und alle der direeten Beobachtung zugänglich. Am günstigsten für die Zwecke einer längere Zeit fortzusetzenden Untersuchung sind die Drüsen in der Schwanzflosse jüngerer Weibchen. Bei den Männchen nehmen die Hoden einen srossen Theil der Flosse ein, und ältere Weibchen sind zu dick, um eine Beobachtung mit stärkeren Linsen zu gestatten. In der Schwanzflosse sind nicht alle Drüsen von derselben Grösse. Die Ausführungsgänge sind runde Röhrchen, oft von be- deutender Länge. Zellen und Ausführungsgänge sind von einer kernhaltigen Membran umzogen, so dass das Blut in einem viel- buehtigen Sinus eireulirt, in den, wie in die Bauchhöhle der Wirbelthiere die Eingeweide, die einzelnen Drüsen hineinragen. An der Peripherie der Flosse bleibt eine breite Bahn für die Cir- eulation der Blutflüssigkeit frei; hier ragt zuweilen eine Drüsen- 1) Leydig: Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie. Bd. II. 2) Claus: Ibid. Bd. XXV. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 331 zelle hinein: ein Umstand, der für die Beobachtung einer be- stimmten Zelle nieht ohne Vortheil ist. Man kann sich aber auch anderweitig hinlänglich sichern, bei wiederholter Untersuehung desselben Thieres stets dieselbe Drüsenzelle wieder aufzufinden, so dass die Wahl nicht schwer fällt. Nimmt man einen Argulus frisch von seinem Fischwirth, so sind die grössten einzelligen Drüsen von einem zarten strahligen Gefüge. Vom langgestreckten Lumen des Ausführungsganges ziehen meridionale feine Strassen bis fast an den entgegengesetzten Pol der Drüsenzelle, wo der mononucleoläre Kern sich findet. In den Interstitien der feinen helleren Strassen liegen dicht gereihte Körn- chen: das Seecretionsmaterial. In Wasser verquellen die isolirten Zellen; die Granula verschwinden. Auf Zusatz von Ueberosmium- säure zum frischen Präparat tritt intensive Bräunung der Granula ein, so dass man wohl annehmen darf, das Secret sei von speei- fischer giftiger Wirkung, wie bei den grossen Rückendrüsen der Salamandra maeulosa, deren Granula sich ebenfalls intensiv in Ueberosmiumsäure schwärzen; Schleimzellen bleiben überall un- gefärbt. Reizt man einen Argulus mit Induetionsschlägen, die einen Froschmuskel eben zur Contraetion bringen, so entleert sich das Secret. Es stürzt bei Beginn der Reizung, wie Pulverdampf aus einem Geschützrohr, aus dem Ausführungsgange hervor. Eine con- tinuirliche Secretion ist nieht zu erzielen. Dies sieht man am besten an den seitlich mündenden Drüsen des Mantels. Unterbricht man die Reizung, erschlafft die Körpermuskulatur, so tritt auf neue Reizung neuer Tetanus der quergestreiften Muskulatur und im Beginn desselben erneute Ausstossung von Secret aus den Drüsen- zellen ein. Der Tetanus ist niemals so heftig, dass das Thier zwischendurch nicht spontane Bewegungen macht. In einigen Fällen sieht man bei electrischer Reizung eine offenbare Contraction der Drüsensubstanz eintreten; in vielen an- deren Fällen bleibt dieselbe jedoch aus, und die Zelle wird nur dureh die Contraetion der quergestreiften Muskeln gleichsam aus- gepresst. Die Schwanzflosse besitzt eine grosse Zahl von quer- gestreiften Muskelfasern, wie es Claus in Figur 41, Tafel 18 der Zeitschrift für wissenschaft. Zoologie Bd. 25 abgebildet hat. Neben den in der Längsrichtung der Flosse verlaufenden Muskel- fasern gibt es noch andere, die man am lebenden Thier nicht 332 Moritz Nussbaum: ohne Weiteres als solche erkennen kann. Diese an die kern- tragende Membran der Drüsenzellen herantretenden Muskelfasern haben einen zur Längsachse der Schwanzflosse senkrechten oder auch schräg gebogenen Verlauf. Man sieht am unverletzten Thier wohl die Contraetionen und die Kerne dieser eigenartigen, im op- tischen Querschnitt siegelringähnlich erscheinenden Fasern; ihre Querstreifung, nur an einer Seite der Muskelfaser vorhanden, kann aber erst an Zerzupfungspräparaten erkannt werden. In 0,6 % Kochsalzlösung führen die isolirten Fasern noch lange Zeit spontane rhythmische Bewegungen aus. Somit ist es nicht möglich, für den Act der Ausstossung des Secretes immer eine Contraction der Zellsubstanz verantwortlich zu machen, obschon die Drüsenzellen des Argulus zu gewissen Zeiten ganz sicher contraetil sind. Man sieht auch, wie Claus dies schon hervorgehoben, zuweilen am ungereizten Thier buchtige Drüsen; zu anderen Zeiten nur glattrandige!). Hat man durch öfter wiederholte kurzdauernde Reizung die Drüse erschöpft, so dass kein Seeret mehr zu erhalten ist, so bleibt der Kern der Zelle unverändert mononucleolär, wie es zu Anfang .der Reizung war. 1) Ueber die Beobachtungen von Stricker und Spina an den Haut- drüsen des Frosches und ihre Tragweite für den Mechanismus der Secretion hat sich schon Heidenhain ausgesprochen. Es ist nicht möglich, den ganzen Ablauf der Secretion von einem Gesichtspunkt aus erklären zu wollen. Vor Allem ist bei den secernirenden Drüsen der Act der Bildung des Secretes und seiner Vorstufen scharf zu trennen von dem Moment der Ausstossung, den man nicht selten mit dem Namen „Seeretion“ belegt hat. Die morpho- logischen Veränderungen der Drüsen zur Zeit der Aufspeicherung und nach der Entleerung des Secretes beruhen auf der schaffenden Thätigkeit des Protoplasmas und dürfen nicht zusammengeworfen werden mit den Stricker- Spina’schen Beobachtungen über Protoplasmabewegung in Drüsenzellen während der Ausstossung des Secrets. Gewiss werden innere Verschiebungen des Protoplasmas der Drüsen- zellen bei der Entleerung des Secretes eine grosse Rolle spielen können. Nur so viel scheint gewiss zu sein, dass neben den von Stricker und Spina beobachteten Contractionen und amoeboiden Bewegungen noch viele andere Vorgänge coneurriren, um die Secerete aus den Zellen fortzuschaffen. Die Muskeln der Drüsen, die verschiedenen Druckhöhen, unter denen die Secrete der einzelnen Drüsen aus den Ausführungsgängen abfliessen, weisen da- rauf hin. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 333 Die Strassenbildung und die Granula in der Zelle sind aber geschwunden und das gelblich opake Aussehen der Zellen hat einem durchsichtigen Platz gemacht. Bringt man jetzt das 'T'hier an einen Fisch zurück, so ist nach höchstens drei Tagen die Zelle mit Secret wieder angefüllt und hat ihr ursprüngliches Gepräge wieder gewonnen. Neue Reizung wird das Secret nochmals ent- ziehen, und die Ruhepause es in der Zelle wieder regeneriren. In einem günstigen Falle konnte ein und dieselbe Zelle vierzehn Tage lang beobachtet werden; das Thier wurde in dieser Zeit vier Mal 15 bis 25 Minuten lang discontinuirlich eleetrisch gereizt. Dieselbe Zelle hat 3 Mal neues Secret gebildet. Einige Tage nach der vierten Reizung ging das Thier zu Grunde. Länger als einen Monat liessen sich die Arguli überhaupt nicht am Leben erhalten; obwohl sie theils in fliessendem Wasser, theils in vortrefflichen Aquarien an kleinen Cyprinoiden gehalten wurden. | Zu diesen direeten, am lebenden Object angestellten Beobach- tungen dürften die folgenden an gehärtetem Material gewonnenen eine brauchbare Ergänzung liefern. An den Drüsen des Argulus foliaceus konnte wohl die wiederholte Neubildung von Secretions- material verfolgt werden; allein es wollte nicht gelingen, die Lebensdauer einer Zelle und die Art ihres Ersatzes zu controliren. Zu diesem Zwecke wurden erwachsene Salamander (Salamandra maculosa), die ich in grosser Zahl der Freundlichkeit des Herrn Dr. Pfitzner verdankte, in der oben p. 298 geschilderten Weise gefüttert. Die hier gewonnenen Resultate konnten durch ähnliche Er- scheinungen bei anderen Thieren bestätigt werden. Es zeigten sich nun in den Magendrüsen von Salamandra und von Lacerta, im Pancreas von Salamandra Zellen, die in toto ausgestossen werden sollten. Während die benachbarten Zellen von Fermentgranula erfüllt waren, waren diese durch den absoluten Mangel an Granula aus- gezeichnet und durch einen Kern, der sich wesentlich von dem Verhalten normaler Kerne unterschied. Der lebenskräftige Zell-. kern ist in frischem Zustande glänzend und wird in Ueberosmium- 334 Moritz Nussbaum: säure leicht gebräunt; die Kernkörperehen bewahren auch in diesem Reagens einen lebhaften Glanz. Die Kerne der abgestorbenen Drüsenzellen sind matt von Aussehen, sie bleiben in Ueberosmium- säure hell; die in ihrem Inneren enthaltenen Körnchen werden mattschwarz. Die hier beschriebenen Zellen sind, so lange sie noch in dem Gefüge der übrigen Drüsenzellen verblieben, stark vergrössert. Ihr Leib enthält eine in Ueberosmiumsäure sich ab- solut nieht färbende Substanz. Die Nachbarzellen sind stark com- primirt. Neben den noch an der Membrana propria und den Nach- barzellen haftenden abgestorbenen Zellen kommen weiter solche vor, die sich mehr oder weniger aus dem Zusammenhange gelockert haben; andere, die an tieferen oder höheren Punkten des Aus- führungsganges frei im Lumen desselben liegen. Der Leib der Zelle wird mit dem Vorrücken im Ausführungsgange kleiner und der ganze Zellenrest in Ueberosmiumsäure mehr und mehr tingir- bar. Drüsen, deren Ausführungsgänge oder secernirende Schläuche solche Zellen enthalten, sind in ihren Endabschnitten — dem Grunde der Schläuche — durch eine im Lumen enthaltene farblose Masse stark gebläht. Die Zeit des Auftretens dieses Absterbeprocesses der Zellen fällt in die Phase der lebhaftesten Verdauung und in die erste Periode der Regeneration des verbrauchten Secretionsmaterials. Während der Verdauung ist die Magenschleimhaut von Talpa europaea mit mehrfachen Lagen einer gerinnbaren Substanz be- deckt. Zwischen den einzelnen Schichten dieser Masse sind aus- gestossene Zellen eingeschlossen. An eine mechanische Entleerung aus den Drüsenschläuchen bei der Präparation ist nicht zu denken, und die Beobachtung ausgestossener Zellen im Lumen der secer- nirenden Drüsen niederer Wirbelthiere (Salamandra, Lacerta) spricht dagegen, dass diese Zellen ausschliesslich vom Oberflächenepithel des Magens abstammen sollten. Seitdem die Kernfiguren in den sich theilenden Zellen be- kannt geworden sind, hat man auch in den Darmdrüsen erwachse- ner Thiere diese Bildungen nachgewiesen (Pfitzner, Gaule). Es kam mir darauf an, die Zeit zu bestimmen, wann dieser Process der Zelltheilung sich vollziehe, und an welcher Art von Zellen er ablaufe. Die Fütterungsversuche an Salamandra ergaben, dass längeres Hungern geeignet ist, eine enorme Vermehrung der im Darm vor- Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 335 handenen Drüsenzellen in der ersten Zeit nach der Nahrungsauf- nahme herbeizuführen. Das Keimlager der Oesophagusepithelien, die Magsendrüsen und namentlich der von Eberth!) beschriebene Ueberzug der Leber waren voll von Kerntheilungsfiguren. Zu anderen Zeiten sind die Kermtheilungsfiguren sehr selten; sie konnten in zahlreichen Schnitten von Oesophagus, Magen, Panereas und Leber von 50 zu verschiedenen Zeiten nach der Fütterung getödteten Salamandern nicht nachgewiesen werden. Durch den Ablauf einer einzigen normalen Seeretionsperiode werden die Zellen also ihre Lebenskraft nicht einbüssen, wie dies auch durch die Beobachtung an den Drüsenzellen des Argulus erhärtet wird. Da aber Kern- und Zelltheilungen in Drüsen vorkommen, so fragt es sich, woher der Ersatz des Abgängigen geleistet wird. In den Drüsen sind die Zellen nur in einfacher Lage angeordnet; die Art des Ersatzes muss demnach eine andere sein als bei den ge- schiehteten Epithelien, wo die unteren Lagen nicht über den em- bryonalen Charakter hinauskommen. Im Oesophagus finden sich die Kerntheilungsfiguren nur in dem Lager polygonaler Zellen unterhalb der Becher- und Flimmerzellen; in der Epidermis, der Cornea und den Niekhäuten der Amphibien vorzugsweise in der tiefsten und selten noch in der darauffolgenden Zellschicht. In den Drüsen bewahrt jede einzelne Zelle die Fähigkeit der Reproduction, wenn sie auch schon funetionirt hat. Es existirt somit zwischen den Drüsenepithelien und den in Lagen geschich- teten Epithelien derselbe Unterschied, auf den ich in einer früheren Abhandlung hingewiesen, als es sich um den Vergleich der Fort- pflanzung bei den Protozoen und den Metazoen handelte?). In dem Pancreas von Salamandra maculosa sind zu keiner Zeit die Kerntheilungsfiguren so häufig als in den Magendrüsen dieses Thieres. Die Theilung vollzieht sich, wie das am Pancreas gerade recht deutlich nachgewiesen werden konnte, an Zellen, die mit den übrigen in gleicher Flucht das Lumen begrenzen, und die in ihrer eentralen Partie Secretionsmaterial abgelagert haben. Wie die Neubildung von Zellen eingeleitet werde, wird man sich wohl in folgender Weise erklären können. Die zur Elimi- 1) Eberth, d. Archiv, Bd. II. 2) Dies Arch. Bd. XVII, pag. 97 und 98. — Das Keimlager der ge- schichteten Epithelien würde den Geschlechtsdrüsen der Metazoen entsprechen. 336 Moritz Nussbaum: nirung bestimmten Zellen sind gebläht; sie üben auf die Nachbar- schaft einen in seiner Wirkung deutlich hervortretenden Druck aus. Vielleicht genügt dieser mechanische Reiz, die Nachbarzellen zur Theilung anzuregen , wie dies bei makroskopisch sichtbaren Neubildungen an geschichteten Epithelien hinlänglich bekannt ist. — Dass die Nachbarschaft auch bei geschichteten Epithelien Defecte zu decken im Stande ist, während im Allgemeinen und für ge- wöhnlich nur senkrecht aufstrebende Nachschübe junger Zellen er- folgen, ist an der Benarbung grosser Wundflächen gut genug zu verfolgen. Was demgemäss für die geschichteten Epithelien das Keimlager,, ist für die in einfacher Lage ausgebreiteten Drüsen- zellen der protoplasmatische Fuss und der Kern der Zelle; von diesen geht jede Neubildung aus. Da nun in den Drüsen nachgewiesenermaassen Zellen zu Grunde gehen und durch neue ersetzt werden, so wird man sich nach den Gründen zu fragen haben, wesshalb die Secretion etwas Anderes sei, als die Ausstossung der Geschlechtsstoffe oder die Absehuppung und Abstreifung der Oberflächenepithelien. Wie die Verfolgung des Secretionsvorganges bei Argulus foliaceus zeigt, ist Secretion nicht identisch und fällt auch zeitlich nicht zusammen mit dem Absterben der Zellen. Dass dem nicht so sei, geht ferner aus dem Bau der ausge- stossenen Zellen des Pancreas und der Magendrüsen hervor: die Zellen haben sich stets, bevor sie ausgestossen werden, ihres speei- fischen Secrets entledigt. Die Seeretion besteht in der Bildung und Aufspeichernng der Vorstufen des Seeretionsmaterials, seiner Umformung in den Zellen und in der Entleerung des fertigen Secretes aus den Zellen. Wie alles Lebende aus uns unbekannten Ursachen abstirbt und neuen Generationen Platz macht, so gehen auch nach einer gewissen Zeit Drüsenzellen zu Grunde und werden von lebens- kräftigen Nachbarzellen ersetzt. Sterben alle Zellen gleichzeitig ab, so ist die Drüse vernichtet wie eine Protozoencolonie, von deren einzelnen einzelligen Organismen keiner mehr zur Theilung ge- schickt ist. Seeretion, Absterben und Vermehrung von Zellen sind zwei in gewissem Sinne völlig unabhängig von einander verlaufende Vorgänge. Die Secretion mag wohl die Zelle abnutzen; die Zelle wird Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 337 altern. Der Act der Secretion ist aber nicht gleichbedeutend mit Zellentod; er ist eine energische Lebensbethätigung. IV. Abschnitt. Von der Veränderung der Kerne!) und vom Nebenkern der Drüsenzellen. Tarary Hvar RTL RIES 25,727, 7285038070. Die neueren Arbeiten über den Zellkern haben eine Compli- eirtheit des Baues nachgewiesen, die früher nicht geahnt worden war. Wenn an dieser Stelle der Gegenstand ebenfalls berührt wird, so geschieht es aus dem Grunde, eine Reihe einzeln schon bekannter Erscheinungen in zeitlicher Folge vorzuführen; frühere eigne Beobachtungen durch neue zu ergänzen, und dureh weitere Mittheilung von Thatsachen Beiträge zu einer erweiterten Kennt- niss vom Baue der Zelle und ihrer Bestandtheile zu liefern. In den zahlreichen aus «dem Breslauer physiologischen In- stitut hervorgegangenen Arbeiten über die histologischen Verän- derungen in den Drüsen wird auch auf eine constante?) Aenderung an den Kernen der Drüsenzellen hingewiesen. An Alcohol-Carınin- präparaten sind die Zellenkerne der ruhenden Drüse zackig; sie werden rund und zeigen scharf hervortretende Kernkörperchen, sobald durch Nervenreizung die Drüse in Thätigkeit versetzt wor- den war. Aehnliche Erscheinungen hat Hebold®) an den Eileiter- drüsen der geschwänzten Amphibien beobachtet. Was die Erklärung dieses Verhaltens anlangt, so wird man 1) Vergleiche hierzu: Auerbach: Organologische Studien. Breslau 1874. — Strassburger: Zellbildung und Zelltheilung. 1. Auflage 1875. 3. Aufl. 1880. — Flemming: Beiträge zur Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen, d. Arch. Bd. XVI, XVII, XX. — Auerbach, Strass- burger und Flemming geben die Litteratur so vollständig, dass es wohl erlaubt ist, auf die ihren Arbeiten beigefügten Litteraturverzeichnisse zu verweisen. — R. Hertwig: Beiträge zu einer einheitlichen Auffassung der verschiedenen Kernformen. Morphol. Jahrb. Bd. II, p. 63. 2) Heidenhain: Hermann’s Lehrbuch der Physiologie 1. e. 3) Hebold: Inaugural-Dissertation, Bonn 1879. 338 Moritz Nussbaum: nicht fehlgehen, wenn man annimmt, die Kerne in den ruhenden Drüsenzellen seien durch das im Leib der Zellen angehäufte Seere- tionsmaterial mechanisch eomprimirt und fänden erst nach der Ent- leerung des Secrets die Möglichkeit, sich wieder in eine ihnen zukommende Gleichgewichtslage zurückzuversetzen. Man findet nämlich nicht allein in den secernirenden Zellen, sondern in allen Zellen, die zeitweise sich mit Stoffen beladen und sieh derselben entledigen, immer die von Heidenhain hervorgehobene Erscheinung wiederkehren. In den früheren Abschnitten ist auf diese Eigen- thümlichkeit der Kerne der Hauptzellen und der Schleimdrüsen- zellen aufmerksam gemacht worden; hier sei noch auf die Com- pression der Kerne in Fettzellen und ähnlichen mit Reservestoffen gefüllten Zellen hingewiesen. In den Hautdrüsen des Argulus foliaceus sind die Zellenkerne in verschiedenen Zuständen; die einen enthalten während des Lebens nur ein Kernkörperchen, die anderen deren zwei und mehrere. Reizt man eine Drüse mit mononucleolärem rundem oder ovalen saftigen Kern, so bleibt der Kern auch nach der Aus- stossung des Secretes mononucleolär. Die Secretion kann dem- gemäss die Kerne verändern: die Kernveränderung ist aber keine wesentliche Erscheinung, da sie ebensogut fehlen kann. Während diese Veränderungen also in einfachster Weise auf mechanischem Wege ihre Erklärung finden dürften, möchte es vor der Hand nicht gerathen sein, andere gleich zu bespreehende erklären zu wollen. Wir müssen uns begnügen, die Formen in ihrer natürlichen Reihenfolge zu beschreiben und verzichten vor- läufig auf jede Erklärung. Auerbach hat in seinen organologischen Studien die eigen- artige Erscheinung des sog. mono- und multinucleolären Zustandes der Zellenkerne genetisch verfolgt und dabei die wichtige Beob- achtung gemacht, dass bei den Musciden zu Anfang und am Ende des Larvenlebens die Zellen der Speicheldrüsen und des Fett- körpers nur ein Kernkörperehen enthalten, während in der Zwischen- zeit die Zahl der Kernkörperchen gewaltig vermehrt gewesen war. Es steht also die Beobachtung an Eiern nicht unvermittelt da, wo ebenfalls eine Vermehrung und Wiederabnahme von Kernkörperchen beobachtet worden ist. Bei meinen Untersuchungen an den Darmdrüsen der Wirbel- thiere und den Hautdrüsen des Argulus foliaceus war es auffallend, Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 339 wie mono- und multinucleoläre Kerne nicht allein gleichzeitig neben einander vorkamen, sondern wie auch unter bestimmten Bedingungen die eine Art von Kernen vorwiegend war. Es liess sich im Allgemeinen feststellen, dass während des ungestörten Ablaufs der Secretion die mononueleolären Kerne vor- herrschten, dass nach längerem Hunger die multinucieolären Kerne an Zahl vermehrt waren. Beim Argulus foliaceus konnte sogar der Uebergang der einen Form in die andere beobachtet werden. Dazu erwiesen sich am geeignetesten die zweizelligen Drüsen in dem Blutraum der Saug- scheiben. Die Drüsenzellen der Saugscheiben sind von Leydig und Claus (l. e.) schon beschrieben worden. Es gibt zwei Arten. Die eine liegt in dem Bauch des kelchförmigen Saugfusses; die andere, um die es sich hier handelt, unterhalb des Velum, welches durch Muskeln retrahirt und durch den Anprall der im Inneren eireulirenden Bluttlüssigkeit vorgestülpt werden kann. Die Drüsen- zellen sind stets zu zwei vereinigt). Ihr Ausführungsgang ist schwer zu sehen; doch glaube ich ihn einmal beobachtet zu haben. Wo derselbe im Centrum der Berührungsfläche der beiden ver- bundenen Zellen beginnt, liegt eine von hellem Hof umgebene Figur radienartig in beide Zellen hineinragender Strahlen. Bei den zahlreichen zur Untersuchung verwandten Arguli fan- den sich regelmässig in den Drüsen kräftiger Thiere, und wenn sie eben aus den Teichen eingefangen waren, vorwiegend mono- nucleoläre Kerne. Verfolgte man eine bestimmte Zelle eine längere Zeit hindurch, so verwandelte sich allmählich der mononucleoläre Zustand in den polynucleolären und wenn dieser eine Zeit lang bestanden hatte, ging manche der polynucleolär gewordenen Zellen zu Grunde. Diese Beobachtungen sind vielfach wiederholt ange- stellt worden. Ein Drüsenzellenpaar der Saugscheibe von Argulus foliaceus hatte am 12. October mononucleoläre Kerne; am 18. October zeigten sich viele Kernkörperchen im Kern; nach und nach ging die Gra- nulirung der Zellen, die Strahlung verloren und die Kerne waren 1) Zweizellige Drüsen hat jüngst Andreae von Sipunculus nudus be- schrieben (Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie Bd. 36, p. 214); zwei- und mehrkernige Drüsenzellen Max Weber vom Hepatopancreas der Crustaceen (d. Arch. Bd. 17, p. 402). 340 Moritz Nussbaum: platte Ovoide mit mehreren glanzlosen Körperchen darin. In der einen Zelle umgab schliesslich nicht einmal eine gemeinschaftliche Hülle die Reste des Kernes. Nachdem dieser Zustand seit dem 25. October angedauert, ging das Thier am 6. November zu Grunde. Unterdessen waren auch die anderen Drüsenzellenkerne sowohl in dem beobachteten Quadranten als in den übrigen beiden Saug- scheiben entweder polynucleolär geworden, oder die Zellen hatten die oben beschriebene regressive Metamorphose mehr oder weniger durchgemacht. 1 l Der multinucleoläre Zustand des Kernes bezeichnet dem- gemäss einen Wendepunkt im Zellleben. Da bei den Eiern und nach ‚Auerbach’s Beobachtungen auch an anderen Zellen der polynueleoläre Zustand in den mononucleolären zurückgeführt wer- den kann; da nach meinen Beobachtungen der polynucleoläre Zu- stand des Kernes dem Tode der Zelle voraufgeht; da weiter der polynucleoläre Zustand des Kernes aus dem mononucleolären sich entwickelt, so wird man den Kern mit vielen Kernkörperchen als den Ausdruck einer Ruhepause der Kernfunetionen auffassen können, die entweder zum kräftigen Leben oder zum Tode überleitet. — Die Zellen, welche aus den Drüsen ausgestossen werden sollen, die Zellen in den abgestossenen Epidermisschichten haben poly- nucleoläre Kerne; in den Gänglienzellen findet sich nur ein Kern- körperchen. Diese Erscheinungen spielen sich an jedem Zellkern ab. Soll der Kern und mit ihm die Zelle sieh theilen, so kann dies, soweit wir bis jetzt wissen, in zweifacher Weise geschehen. Der eine dieser Vorgänge ist erst in den letzten zehn Jahren bekannt ge- worden und besonders von Strassburger und Flemming sorg- fältig studirt; der andere wird von vielen Histologen ganz geleug- net, obwohl er der früher ausschliesslich bekannte war. Es handelt sich um die sogenannte indireete und directe Kerntheilung, eine Theilung mit oder ohne voraufgehende Bildung eines Fadenapparates im Kern. Im XX. Band dieses Archivs hat Henle der direeten Kern- theilung nieht ganz mit Recht den Boden zu entziehen versucht. Die bisher beschriebenen Formen entstehen nieht allein unter der Einwirkung von Säuren, sondern sind auch in den überlebenden Geweben schon vorhanden. Wenn man, wie dies von la Valette Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 341 St.George!) gezeigt, die Entwicklungsstadien der Spermatosomen verfolgt, so findet man die maulbeerförmigen Kerne bei der Unter- suchung des frischen im Humor aqueus zerzupften Hodens. Meine eigenen Angaben ?) über das Vorkommen der maulbeerförmigen Kerntheilung in den Geschlechtsdrüsen der Embryonen und er- wachsenen Thiere sind ebenfalls auf Untersuchung der frischen Organe zum grössten Theil basirt. An der in Humor aqueus des Thieres überlebenden Cornea von Salamandra und Rana kann man die eingeschnürten Kerne nicht allein im tiefsten Zellenstratum beob- achten, sondern auch bei Reizungsvorgängen an den Wanderzellen zwischen den Epithelien alle Uebergangsstadien von dem vielfach eingeschnürten bis zum vielfach getheilten Kern. Daneben kom- men auch Kernfiguren vor. In meiner Arbeit über die Differen- zirung des Geschlechts?) sind beide Vorgänge beschrieben und vielfach abgebildet. Aehnliches berichtet Klein*) von der Epi- dermis der Amphibien. Bezüglich der maulbeerförmigen Kerntheilung in den Sper- matogonien kann ich der von Krause?) geäusserten Meinung nicht beipflichten. Die maulbeerförmige Kerntheilung tritt nicht gegen das Ende der Samenkörperentwicklung auf, sondern am Anfang. Ein Cystenkern in regressiver Metamorphose ist auf Taf. III Bd. 18 d. Arch. abgebildet; an diesem ist von maulbeer- förmiger Theilung Nichts zu sehen, wohl aber an der unter der abgängigen Cyste in ihrer Follikelhaut gelegenen Spermatogonie, aus der sich demnächst neue Samenkörper entwickelt haben wür- den. — Es würde zu weit führen, die Angaben Krause’s in extenso zu besprechen, die im Allgemeinen eine Bestätigung des Entwick- lungsgesetzes der Samenkörper enthalten, wie es von la Valette St. George aufgestellt hat; nur möchte ich auf den einen Punkt hinweisen, dass „Spermatogonie“ (von la Valette St. George) nicht mit „Fusskern der Spermatoblasten“ (Krause) identifieirt werden darf. 1) D. Arch. Bd. XII, Taf. 34 Fig. 8 und a. a. 0. 2) D. Arch. Bd. XVIl. 3) D. Arch. Bd. XVIM. 4) Quarterly Journal of microscop. science, 1879. 5) W. Krause: Handbuch der menschlichen Anatomie; Nachträge zum I. Bd. 1881. Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd, 21. 253 342 Moritz Nussbaum: Vielleicht ist in Folge dieser von Krause adoptirten ab- weichenden Auffassung die Deutung der maulbeerförmigen Kerm- theilung als eines Absterbungsphänomens zu erklären. Ein mustergültiges Object für das Studium der Beschaffenheit des Zellkernes ist der von Eberth !) zuerst beschriebene und von ihm als Iymphoides Gewebe gedeutete Ueberzug der Salamander- leber. Es finden sich dort mono- und polynucleoläre Kerne, Kerne in allen Stadien der directen und indirecten Kerntheilung. Die in- direete Kerntheilung ist nach einer ausgiebigen Fütterung die vor- wiegende. Die eingeschnürten Kerne, Zellen mit drei bis fünf deutlich abgegrenzten Kernen sind zu allen Zeiten reichlich vor- handen. Wenn sich die Natur des Leberüberzuges bei Salamandra maculosa als eines Iymphkörperbildenden Organes bestätigen sollte, so wäre auch für die farblosen Blutkörperchen eine indirecte Kern- theilung nachgewiesen. Daneben besteht aber auch eine direete Kerntheilung, von der es allerdings vorläufig noch nicht mit der- selben Sicherheit durch die Beobachtung festgestellt ist, ob sie von einer Zelltheilung gefolgt werde. Doch machen die Beobach- tungen an den Geschlechtsdrüsen dies sehr wahrscheinlich. Dass aber eine Zelle nicht absterbe, wenn oder weil sie mehrere Kerne enthalte, dürfte aus den Untersuchungen Webers?) an dem Hepatopanereas der Crustaceen hervorgehen. Auch in den Epi- thelien des Darmes habe ich bei Armadillo öfters zwei Kerne in derselben Zelle gesehen. Ob nun, wie Elias Metschnikoff?) anzunehmen scheint, die sogenannte direete und indirecte Kerntheilung nur Phasen eines zusammengehörigen eomplieirten Processes seien, kann vorläufig nicht mit Sicherheit entschieden werden; nur soviel ist gewiss, dass die auch Fragmentation genannte, maulbeerförmige oder direete Kerntheilung zu einer ächten Theilung führt und keine regressive Metamorphose darstellt. Das Gesagte zusammenfassend, würde man bei den verschie- denen Kernformen von dem mononucleolären Zustande auszugehen haben; dieser wird in den polynucleolären übergeführt. Stirbt die Zelle ab, so zerfällt der Kern zuweilen ganz. Zu einer Vermeh- 1), 0. Arch. BaW IE. 2) D. Arch. Bd. XVII, p. 385 sqq,, besonders p. 402. 3) Zeitschr. für wissenschaftl. Zoologie, Bd. 36, p. 433. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 343 rung von Zellen bedarf es einer vorgängigen Theilung des Kernes, die, soweit dies durch continuirliche Beobachtung bis jetzt hat festgestellt werden können, durch die Bildung eines eigenthüm- lichen Fadenapparates im Kern eingeleitet wird. Neben dieser indireeten Kerntheilung kommt auch eine directe in Folge einer Durehschnürung des Kernes vor. Dass diese Form der Kernthei- lung zu einer ächten Theilung von Zellen führe, ist wahrscheinlich. Wenn oben von mono- und polynucleolären Kernen die Rede war, so ist diese Auerbach entlehnte Bezeichnung auch aus dem Grunde beibehalten werden, weil an dem lebenden Object keine weitere Struktur an den Zellkernen wahrzunehmen war. Es kom- men auch vernetzte Kerne vor; die sog. Substanz des Kernes kann sich vermöge ihrer amöboiden Bewegungsfähigkeit in die ver- schiedensten Gestalten umgiessen. Doch wird man nicht berechtigt sein, die durch Reagentien neben den Kernkörperchen hervor- gerufenen Netze in den Kernen als präexistirend anzusehen; weil die wirklichen tingirbaren Netze, von der zartesten Form bis zur breitfadigen Kernfigur, auch im frischen Zustande gesehen werden können. Schliesslich möchte ich eines Gebildes Erwähnung thun, dessen Entstehungsgeschichte und Bedeutung für das Leben der Zelle ich bis jetzt vergeblich aufzuklären versucht habe. Fortgesetzte Unter- suchungen werden vielleicht zum Ziele führen. Es finden sich nämlich im Panereas von Salamandra maculosa und zwar in dem nicht von Secretionsmaterial erfüllten Theile der Zellen, zwischen Kern und Membrana propria, eigenartige Gebilde, die nieht zu allen Zeiten gleich häufig und gleich gestaltet sind, denen ich vorläufig ohne Präjudiz den Namen „Nebenkern“ beilegen möchte. RRHERTE Der Nebenkern ist entweder solitär oder multipel, solid oval oder spiralig gedreht, oft auch lockig gewunden. Der solitäre Nebenkern ist grösser als viele gleichzeitig in einer Zelle, vorhan- denen einzeln genommen. Im frischen unter Zusatz von Jodserum oder Humor aqueus bereiteten Zerzupfungspräparat oder nach Maceration in verdünnter Chromsäure kann er isolirt werden und nimmt Farbstoffe in sich auf. Man findet ihn in Zellen, deren Kerne mono- oder polynucleolär oder auch ganz regressiv sind. Am 4. bis 5. Tage nach einer Fütterung ist er fast in jeder Zelle des Pancreas vorhanden. In der ersten Zeit nach der Fütterung 344 Moritz Nussbaum: wird man ihn schwer oder vielleicht gar nicht finden. In der Drüse längere Zeit hungernder Thiere ist er selten. Ausser dem Pancreas des Salamanders zeigten auch 72 Stun- den nach einer Fütterung die Oesophagealdrüsen von Rana, die des Secrets beraubten Drüsen von Argulus, das Pancreas von Triton ächte Nebenkerne; die fadenartige Beschaffenheit konnte bei Triton ebenfalls eonstatirt werden. Die Nebenkerne der übrigen ange- führten Zellen waren anscheinend solid. Vergleicht man den Nebenkern der Drüsenzellen mit ander- weitig bekannten Bildungen, so wird man wegen des zeitweisen Auftretens an eine Art von Nervenendigung, wie sie Pfitzner!) Jüngst im Epithel von Froschlarven beschrieben hat, nicht denken können. Die Möglichkeit der Isolirung des Nebenkernes, sein der Zeit und der Zahl nach variables Vorkommen sprechen dagegen. Man wird auch nicht leicht geneigt sein, den Nebenkern der Drüsenzellen mit solchen Einlagerungen in Zellen zu vergleichen, die zu einer totalen chemischen Umwandlung der Zelle führen, wie sie jüngst noch von Waldeyer?) an verhornenden Epithelien be- schrieben worden sind. Dagegen wird man den Nebenkern der Drüsenzellen wohl mit dem von Wittich?) entdeekten Dotterkern der Eier, dem durch von la Valette St. George*) zuerst bekannt gewordenen Neben- kern der Spermatocyten, den von Leydig?°) aus der Epidermis von Pelobateslarven beschriebenen Bildungen ®) in eine Categorie bringen dürfen. Sicheren Aufschluss kann man jedoch erst dann erwarten, wenn die Entstehungsgeschichte dieser Gebilde in derselben Weise gefördert sein wird, wie es kürzlich für den Dotterkern ?) ge- schehen ist. 1) Morphol. Jahrb. Bd. VII. p. 726. 2) Festgabe an Jacob Henle, Bonn 1882, p. 141—163. 3) von Wittich: Inaugural-Dissertation, Halle 1845. 4) D. Archiv, Bd. III, 1867. 5) Neue Beiträge zur anatomischen Kenntniss der Hautdecke und Haut- sinnesorgane der Fische. Halle 1879. 6) Die von Leydig gegebenen Zeichnungen erlauben nicht, den Ein- lagerungen in den Zellen dieselbe Bedeutung zu geben wie sie Pfitzner für die von Eberth gemachten Angaben (d. Arch. Bd. II) versucht hat. 7) Sehütz: Ueber den Dotterkern etc. Inaug.-Dissert. Bonn 1882. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 345 Erklärung der Abbildungen auf Tafel XVY—XVIN. (Sämmtliche Figuren sind mit der Camera lucida in der Höhe des Mikros- Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. koptisches gezeichnet.) Tafel XV. . Der untere Theil einer in Jodserum isolirten und dann in 1 °/, Ueber- osmiumsäure gehärteten, in Glycerin aufbewahrten Labdrüse der grossen Curvatur des Magens von Lepus cuniculus. Die Färbungs- unterschiede in Ueberosmiumsäure sind nicht so gross, wie in Fig. 2. h Hauptzelle, b Belegzelle. Zeiss CC, Oe. I. . Unterer Theil einer Labdrüse aus dem Fundus desselben Kaninchen- magens, in derselben Weise behandelt. In den Hauptzellen lagen vor der Einwirkung der Ueberosmiumsäure grosse Granula, nach deren Auflösung die verzerrten Kerne in den Zellen erst sichtbar werden. h Hauptzelle, b Belegzelle. Zeiss CC, Oe. I. Eine Drüse mit Belegzelle (b) aus dem Pylorustheil der Magen- schleimhaut von Vesperugo serotinus. Zeiss CC, Oc. II. Unteres Ende einer Magendrüse aus dem mittleren Theile der Magenschleimhaut einer 2!/, Stunden zuvor gefütterten Talpa euro- Sg 2 S paea. ÖOsmiumsäurepräparat. Zeiss F, Oc. I. h Hauptzelle, b Be- legzelle. . Labdrüse von Vesperugo serotinus aus dem Cardialtheile (Fundus) der Magenschleimhaut. Osmiumsäurepräparat. Zeiss CC, Oc. III. h Hauptzelle, b Belegzelle. Untere Parthie einer Labdrüse von Talpa europaea (2 Tage Hunger.) Osmiumsäurepräparat. Zeiss F, Oc. I. Die Belegzellen sind kleiner als in Figur 4; manche sind stark gebräunt und enthalten keine Granula. h Hauptzelle, b Belegzelle. . Blindes Ende eines Pankreasdrüsenschlauches von Cyprinus carpio. — Magen leer. — In den Zellen centrale Körnerzone. Osmium- säurepräparat. Zeiss F, Oec. I. . Zum Bau des Pancreas von Salamandra maculosa. Schnittpräparat parallel zur Oberfläche einer in Osmiumsäure erhärteten Drüse. In den Ausführungsgang münden zahlreiche verästigte Schläuche. ZeissCC, Öc. U. A Ausführungsgang mit den warzenartigen Zellen. . Bau der pancreatischen Drüsenzellen von Salamandra maculosa (48 Stunden nach der Fütterung). Auf die centrale Körnerzone folgt 346 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 10. 11. 13. . 14. wel) I. 17. 18. Moritz Nussbaum: der Kern und zwischen diesem und der Membrana propria des Drüsenschlauches der Nebenkern. Die Zelle war frisch in Jodserum isolirt. Zwei Drüsen aus dem zweiten Abschnitt der Magenschleimhaut von Anguis fragilis. Zeiss F, Oc. 1. Unteres Ende einer Labdrüse aus dem Fundus des hungernden Kaninchens nach Einwirkung von Ueberosmiumsäure. Zwischen den der Granula beraubten Hauptzellen (h) mit verzogenen Kernen drei Belegzellen (b) mit runden oder ovalen mononucleolären Kernen und fein granulirtem Zellleib. Zeiss F, Oe. II. (Das nach Auflösung der Fermentgranula sichtbare Filigran in den Hauptzellen ist in der Lithographie zu hart ausgefallen.) Labdrüse aus dem Magenfundus von Vesperugo Nathusii. Osmium- säurepräparat. Die Granula der Hauptzellen (h) sind erhalten und können ungefähr als Paradigma dieser Granula in den frischen Hauptzellen anderer Säugethiere dienen. Die meisten Zellen sind total mit den groben Körnern gefüllt, andere nur in der centralen Zone. Die Belegzellen (b) sind feinkörniger; in manchen Fällen ist eine zum Lumen des Schlauches radiär gestellte Anordnung der feinen Granula in den Belegzellen zu erkennen. Die Kerne der Hauptzellen sind mononucleolär (vgl. Figur 5); manche Kerne der Belegzellen polynueleolär. Zeiss F, Oc. U. (Der Magen des Thieres enthielt einige Haare.) Taf. XVI. Drüse mit Ausführungsgang (A) aus dem in Ueberosmiumsäure er- härteten Oesophagus von Rana esculenta. Zeiss BB, Oc. I. (M Mün- dung des Ausführungsgangs.) Eine Drüse aus dem ersten Magenabschnitt von Lacerta agilis; vier Stunden nach der Fütterung. Osmiumsäurepräparat. Zeiss F, Oec. Il. Eine Drüse ebendaher von einem längere Zeit hungernden Thiere. Ösmiumsäurepräparat. Zeiss F, Oc. II. Eine Drüse aus dem ersten Magenabschnitt von Anguis fragilis. Osmiumsäurepräparat. Zeiss F, Oe. II. Schleimdrüsen im Oesophagus von Anguis fragilis. Querschnitt durch die Wand des Oesophagus. Unter dem Epithel und nach Aussen von der Muscularis Pigmentzellen im Querschnitt. Osmiumsäure- präparat. Zeiss CC, Oc. I. Die Muscularis mucosae bildet Leisten in der Schleimhaut. Querschnitt einer Drüse aus dem Magen einer hungernden Emys europaea. Osmiumsäurepräparat. Zeiss F, Oc. I; rechts im Bild Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. ES): 21. 22. 23. 24. 25. 26. 27. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 347 drei fein granulirte Zellen, Belegzellen; links fünf helle und eine ganz geschwärzte, in der keine Structur zu erkennen ist. Querschnitt einer Drüse aus dem zweiten Abschnitt des Magens von Lacerta agilis; radiäre Anordnung der Körnchen in den Belegzellen. Querschnitt durch Drüsen der grossen Curvatur von Cavia cobaya. — ÖOsmiumsäure, Alcohol, Safranin. — h Hauptzelle, b Belegzelle. Zeiss BR, Oc: 1. Unteres Ende einer Fundusdrüse des Magens von Lepus cuniculus. — Osmiumsäure, Alcohol, Safranin. — Zeiss F, Oc. II. Das Filigran der Hauptzellen ist ziemlich naturgetreu im Vergleich zu Figur 11 auf Taf. I; h Hauptzelle, b Belegzelle. Oberes Ende einer zusammengesetzten Labdrüse von Sus scrofa. Zeiss CC, Oc. I. (Die Belegzellen sind im Drüsenhalse nicht conti- nuirlich aneinandergereiht; sie stossen an das Lumen an, und ihre Kerne sind meist polynucleolär) ; b Belegzelle. Querschnitt einer Magendrüse von Talpa europaea. Alcohol, Carmin- präparat. h Haupt-, b Belegzelle. Unteres Ende einer Magendrüse vom hungernden Hund (1 Tag nach der Fütterung.) Zeiss CC, Oc. III. (Die Belegzellen b reichen auch hier an das Schlauchlumen heran; ihre Kerne sind meist mono- nucleolär.) Tafel XVII. Ungereizte mit Secretionsmaterial gefüllte Drüse aus der Schwanz- flosse eines @ Argulus foliaceus. Bei Zeiss F, Oc. II nach dem Leben gezeichnet. Der Ausführungsgang ist nur zum kleinen Theil dargestellt. Die zweite, tubulöse Form der Magendrüsen von Lacerta agilis. Zeiss BB, Oc. I. Osmiumpräparat. In der Lithographie treten die Färbungsunterschiede der beiden Zellenarten im Grunde der Schläuche nicht deutlich genug hervor. und 28. Dieselbe Drüse aus der Schwanzflosse eines @ Argulus foliaceus in verschiedenen Stadien. Bei Zeiss F, Oc. II nach dem Leben gezeichnet. Ausführungsgang nur zum Theil dargestellt; die bindegewebige Hülle nicht gezeichnet; in Fig. 27 n Nebenkern; in Figur 28 m ein optischer Querschnitt der contractilen Elemente (quergestreifte Muskelfasern) zwischen den Drüsenzellen. Zur weiteren Erläuterung diene Folgendes: Die dargestellte Drüse hatte (25. November 1881) dsselbe Aussehen wie Fig. 25. Nach 10 Minuten langer intermittirender Reizung mit Inductionsschlägen nahm die Drüse das Aussehen Fig. 28 an; 1!/, Stunden später war die starke Lappung der Oberfläche wieder verschwunden, die 30 Minuten nach 348 Fig. 29. Fig. 30. Fig. 31. Fig. 32. Fig. 33. Fig. 34. Moritz Nussbaum: dem Aufhören der Reizung noch vorhanden gewesen. Am folgenden Tag war die Granulirung der Zelle wieder kräftiger geworden; die Strassenbildung aber noch nicht in ihr zu sehen. Am 27. November wurde die Drüsenzelle wieder schön strassig; ihr Kern gross, blass; die Zahl der Kernkörperchen nicht zu bestimmen. (Der Kern war zu Anfang der Beobachtung mononucleolär gewesen.) Nach einer 10 Minuten langen electrischen Reizung trat die Buckelbildung an der Drüse wiederum auf; die Granulirung nahm ab und die Strassen- bildung verschwand ganz. Am folgenden Tage (28. November) hatte die Drüse ihr ursprüngliches Aussehen noch nicht wiedererlangt. — Fig. 27 stellt die Drüse dar, wie sie sich in der abgeschnittenen Schwanzflosse am 28. November verhielt. Das Präparat wurde in Wasser untersucht; die Muskeln contrahirten sich nicht spontan, wie sie es vorher in andern auf gleiche Weise behandelten Präpa- raten gethan hatten; die Schwanzflossen waren dicht oberhalb ihrer Insertion abgeschnitten. Magendrüsen der hungernden Forelle (Salmo fario) Dezember. Ösmiumsäure. Zeiss CC, Oc. IH. Ungereizte Hautdrüse (kleine Schleimdrüse) von Salamandra macu- losa; 0,2 °/, Chromsäure, Alcohol. Zeiss CC, Oec. 1. Eine Hautdrüse (kleine Schleimdrüse) von derselben Salamandra maculosa nach kurzdauernder Secretion. Dieselbe Präparation und Vergrösserung wie in Fig. 30; im Inneren der Drüse ist eine ge- ronnene Schleimwolke; umgeben ist die Drüse von einer feinen Muskellage und dichtem Pigment. Diese Aeusserlichkeiten der Um- gebung sind in Fig. 30 nicht dargestellt. Schlauchquerschnitt einer ÖOesophagealdrüse (Rana esculenta, 71 Stunden nach der Fütterung getödtet.) Osmiumsäure, Hämatoxylin, Zeiss F, Oc. I. — Die Fermentgranula des frischen Präparats sind in der Ueberosmiumsäure fast total aus den Zellen geschwunden. In der Lithographie treten die Färbungsunterschiede nicht scharf genug hervor: die homogen erscheinenden Zellen mit mononucleo- lärem Kern sind tiefbraun durch die Ueberosmiumsäure gefärbt worden; die feinpunctirten mit mono- oder polynucleolären Kernen blieben hell. Aus einer Magendrüse (Pepsindrüse) von Rana esculenta. 71 Stunden nach der Fütterung. Zellen gross, Kerne mononucleolär; feine Granula in den Zellen. — Osmiumsäure. Zeiss F, Oc. 1. Aus einer Magendrüse (Pepsindrüse) von Rana esculenta: 3 Wochen Hunger. (Winter 1880; das vorige Präparat, Fig. 33, Sommer 1881.) Zellen klein; die Kerne polynucleolär; Granula in den Zellen fehlen. — ÖOsmiumsäure, Zeiss F, Oc. I. Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. 349 Fig. 35. Drüse aus der Schwanzflosse eines ® Argulus foliaceus, 9 Stunden post mortem. Das Thier war vorher mehrere Male electrisch ge- reizt worden; die Drüse hatte in gewohnter Weise nach jeder Reizung Secret abgegeben und im Laufe von ein bis zwei Tagen wieder neugebildet. — Osmiumsäure. n Nebenkern dunkler gefärbt als der Kerrn. Zeiss F, Oc. II. Fig. 36—39. Querschnitte durch je einen Schlauch der Eileiterdrüsen von Fig. 40 Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 42. 43. 44. 45. 46. Rana fusca zur Demonstration der Umwandlung der Kerne. Fig. 36. Habitus der Zellen und Kerne vom Hochsommer bis zur Laichzeit; Fig. 37 nach dem Laichen. Beide Figg. bei Zeiss CC, Oc. II ge- zeichnet und mit Rücksicht auf den schleimigen Inhalt der Zellen vor der Laichzeit beide Präparate in absolutem Alcohol gehärtet. Fig. 58 und 39 stellen Schläuche nach dem Laichen dar mit poly- und mononucleolären Kernen. In Fig. 38 ist ausserdem die be- kannte Fettkörnchenbildung in Zellen vorhanden. Die Figg. 38 und 39 sind bei Zeiss F, Oc. I gezeichnet. und 41. Aufeinanderfolgende Stadien von regressiver Metamorphose an einem Paar zweizelliger Drüsen aus der Saugscheibe von Argulus foliaceus (Fig. 40 vom 25. October, Fig. 41 vom 1. Novbr. 1881.) cf. Fig. 51 auf Taf. XVII. Tafel XVII. Pancreas von Salamandra maculosa, Osmiumsäure, Serie III, Nr. 7. (120 Stunden nach der Fütterung.) Zeiss F, Oc. Il. — Die Zelle x hat sich losgelöst und wird eliminirt; in y Vorbereitung zu diesem Process. n Nebenkern in Hämatoxylin intensiv gefärbt. Ebendaher; Ansicht von oben auf das blinde Ende eines Drüsen- schlauches. Osmiumsäure. Zeiss F, Oc. II. In den Zellen mononu- cleoläre, regressive und buchtige Kerne (o); letztere Art ist in Fig. 60 aus einem frischen Isolationspräparat abgebildet. Pancreas von Salamandra maculosa. 0,2 °[, Chromsäure, Alcohol, Safranin. (Serie I, 48 Stunden nach der Fütterung.) Aus einem Längsschnitt eines Drüsenschlauches. Bei a die Membrana propria; bei b das Lumen des Schlauches; in der mittleren Zelle eine Kern- figur; im Kopf aller Zellen Secretionsmaterial. Zellen der oberen Epidermisschicht von Triton taeniatus; regres- sive Metamorphose der Kerne. — 0,2 °, Chromsäure, Alcohol, Safranin. Aus der tiefsten Zellenlage einer infiltrirten Cornea von Rana escu- lenta; 0,2 °/, Chromsäure, Alcohol, Safranin. Das Präparat zeigt 350 Moritz Nussbaum: Ueber den Bau und die Thätigkeit der Drüsen. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 47. 48. a. . 51. 52. 54. 58. 59. 60. einen mononucleolären, einen fein vernetzten und drei buchtige Kerne. Aus der nächstfolgenden Zellenlage derselben Cornea. Zellen zwischen den Epithelien und in der Substanz derselben Cornea. (Präparation wie bei 46 und 47.) a mit zackigen Fortsätzen, also wohl amoeboid: b mit drei isolirten Kernen; c mit mehreren Kernen. und 50. Isolirte Kerne aus Oesophagealdrüsenzellen von Rana escu- lenta.. Osmiumsäure, Hämatoxylin. Zeiss F, Oc. II. Drüsenzellenpaar aus der Saugscheibe von Argulus foliaceus. Die einzelnen Zellen sind in ihren Details nicht gleichzeitig gezeichnet; die untere mit mononucleolärem Kern am 12. October, die obere am 18. October 1881. Die weiteren Veränderungen sind in Figg. 40 und 41 dargestellt. Alle diese vier Zeichnungen stammen von demselben Drüsenzellenpaar. a vermuthlicher Ausführungsgang, g Strahlenfigur. Aus dem Oesophagus von Rana esculenta; 3 Wochen Hunger wäh- rend des Winters. b polynucleolärer Kern aus demselben Präparat. . Aus dem Oesophagus von Rana esculenta 71 Stunden nach der Fütterung; Osmiumsäure, Alcohol, Hämatoxyltn. Zeiss CC, Oe. II. n Nebenkern. Frisch in Jodserum isolirte Zelle des Pancreas von Salamandra maculosa, 10!/,;, Tage nach der Fütterung. Die Kernsubstanz ist wurstförmig an der Kernwand ausgebreitet. Zeiss F, Oc. I. . Aus dem Pancreas von Salamandra maculosa frisch in Humor - aqueus. n Nebenkern. ). Ebendaher; zwei Nebenkerne in der Zelle; links davon ein isolirter Nebenkern. .„ Aus dem Pancreas von Salamandra maculata frisch in Jodserum zerzupft. Die farblose Kugel am Kern zeigt sich auch in Zellen, die in Humor aqueus untersucht werden, tritt nicht an allen Zellen auf und bleibt bei Tinktionen farblos. Isolationspräparat aus dem Pancreas von Salamandra maculoso nach Behandlung mit Chromsäure, Alcohol und Safranin. n Neben- kern solid in einer Vacuole gelegen. NB. In frischen Isolations- präparaten sieht man viele kleine Kugeln von der Grösse dieses Nebenkernes im Präparat flottiren. Ein gleiches Präparat wie das vorige; n Nebenkern aus zwei soliden Körperchen bestehend und in einer Vacuole gelegen, Eine isolirte Zelle aus dem Pancreas von Salamandra maculosa mit buchtigem Kern. (Das Thier hatte längere Zeit vorher gehungert.) C. Nörner: Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate. 551 Fig. 61. Fig. 62: Fig. 63. Unteres Bruchstück einer pancreatischen Zelle von Salamandra maculosa mit knäuelförmigem breitfadigem Nebenkern. Zeis F, Oc. III. n Nebenkern. Eine pancreatische Zelle von Salamandra maculosa mit spiralig gedrehtem Nebenkern n. Frisch in Jodserum isolirte Formen von Nebenkernen. Fig. 64—70. Kernformen aus dem Ueberzug der Leber von Salamandra maculosa. Fig. 64—67. Eingeschnürte und multiple Kerne in den Zellen. Fig. 68—70. Progressive Verdickung und Ausbildung des Fadenapparates in den Kernen. (NB. Da es hier nur darauf ankommt, das Vor- handensein und das Fehlen von feinen Netzen in den Kernen zu illustriren, so sind die bekannten, in unserm Object in grosser Zahl nebeneinander vorkommenden, weiteren Stadien der indirecten Kern- theilung nicht abgebildet. Nochmals sei aber darauf hingewiesen, dass der in 0,2 %, Chromsäure gehärtete Leberüberzug von Sala- mandra maculosa vorzugsweise zur Demonstration der verschiedenen Phasen der indirecten Kerntheilung sich eignet.) Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate. Von Dr. C. Nörner. (Wiener K. K. Thierarznei-Institut.) Die Haupteinbettungsflüssigkeiten für mikroskopische Präpa- rate, die gegenwärtig in der mikroskopischen Technik Verwendung finden, sind: der Canadabalsam, der Damarlack und das Glycerin. Der Canadabalsam leidet an dem Fehler, dass er meistens zu gelb ist, mit Ausnahme des englischen, welcher wohl der beste, aber in Deutschland schwer zu bekommen ist. Der Damarlack, welcher früher mehrfach verwendet wurde, von dem Canadabalsam aber 352 C. Nörner: mehr und mehr verdrängt worden ist, besitzt dagegen eine helle weisse Farbe. An dem Damarlack wird gerügt und ist dies auch mit Schuld daran, dass er augenblicklich weniger in Gebrauch ist, dass er nach längerer Zeit brüchig werde, Sprünge bekäme und sich alsdann Pilze in dem Präparate ansiedelten. Bei dem reinen Damarlack scheinen diese Fatalitäten nicht einzutreten, wie ich mich wiederholt an älteren Präparaten, die ich hier in Wien viel- fach zu sehen Gelegenheit hatte, überzeugen konnte. Wahrschein- lich werden diese Nachtheile dadurch vermieden, dass dem hiesigen Damarlack nicht Terpentinöl u. s. w., sondern Chloroform beige- mengt ist. Ich schliesse meine sämmtlichen histologischen Präpa- rate in Damarlack ein, habe aber noch nie damit ungünstige Re- sultate erzielt. Als dritte Einbettungsflüssigkeit wäre das Glycerin zu nennen. Dieses ist hier in Wien von ganz besonderer Güte und Dicke. Während meiner Leipziger akademischen Studien hatte ich Gelegen- heit, bei meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Professor Zürn, mich mit der damals üblichen Methode, Glycerinpräparate in Wachs einzuschliessen, bekannt zu machen. Eine Methode, die ausser- ordentlich viel Mängel in sich schliesst. Ist schon die ganze Art und Weise, wie das Präparat durch das aufgetropfte Wachs ein- geschlossen wird, eine ‘verwerfliche, so kommt noch der grosse Uebelstand hinzu, dass die Haltbarkeit so behandelter Präparate nur eine äusserst geringe ist. Wenn auch der Wachsrand durch einen zweiten darauf gebrachten Rand von Maskenlack oder an- derem Lack geschützt wird, so kommt es trotzdem vor, dass das Glycerin verdunstet, das Präparat mithin verdirbt. Hierzu kommt noch, dass das Leipziger Glycerin wenig concentrirt ist. Durch die Güte des Herrn B. Sturt in Dessau wurde ich später mit der in England schon seit langer Zeit gebräuchlichen Einschliessungs- flüssigkeit für Glycerinpräparate, dem sog. Gold-Size!) bekannt. Dieses ist eine gelblich braune dünne Flüssigkeit, die mit einem Pinsel um das Glycerinpräparat gestrichen wird. Die Masse trocknet an der Luft sehr schnell. Es empfiehlt sich jedoch, die so behandelten Präparate noch mit einem Lackrand zu versehen, 1) Zu haben bei James How, Farringdon Street; 73 London. Preis a Fläschchen 1 Mark, mit Porto 1.50 Mark. Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate. 353 um denselben eine grössere Haltbarkeit zu verleihen. Gold-Size ist eine sehr brauchbare und dauerhafte Einschliessungsflüssigkeit und führte ich dieselbe deshalb in Leipzig ein, woselbst sie all- gemeine Anerkennung fand. In dem Laboratorium des Herrn Csokor, Professor der pathologischen Anatomie am k. k. Thierarzneiinstitute in Wien, welcher mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit mir ein Zimmer und Material zum Arbeiten zur Verfügung stellte, hatte ich Gelegenheit, eine neue, mir bis dahin unbekannte Einschliessungsmethode, welche auch in Deutschland noch nicht bekannt sein dürfte, kennen zu lernen. Ich erlaube mir daher, dieselbe Fachgenossen hiermit zur Kenntniss zu bringen. Die Art und Weise der Behandlung ist folgende: Man nimmt den gewöhnlichen käuflichen verharzten Terpentin, zerkleinert denselben und lässt die Stücke in einem Wasserbade flüssig werden, giesst hierauf die Flüssigkeit in ein entsprechendes Gefäss und lässt erkalten. Es bildet sich dann eine glasharte, dunkelbraune, spröde Masse, in welche man nicht mit dem Finger einzudrücken vermag. Man kann auch etwas ver- harztes Terpentinöl zu der Flüssigkeit hinzufügen, nur muss man alsdann das Ganze mehrere Stunden im Wasserbade erhitzen, um den nothwendigen Härtegrad beim Erkalten zu erzielen. Vermittelst eines sehr einfachen Instrumentes wird der so gewonnene Terpentin an das Deckglas des einzuschliessenden Glycerinpräparates gebracht. Dieses primitive Werkzeug besteht aus einer halben, abgebrochenen Stricknadel, deren unteres Ende zur besseren Hantirung in einem Holzgriff steckt. Das obere Ende ist in einer Länge von 15—18 mm, welche ungefähr der Deckglas- breite entsprieht, rechtwinklig umgebogen. Die Länge des Holz- griffes beträgt ungefähr 75 mm; die Länge der Nadel bis zur Krümmung 45 mm. Dieses Instrument wird an seiner Spitze in einer Gasflamme erwärmt und mit dem gebogenen Ende in den Terpentin hineingedrückt. Beim Herausziehen ist ein Tropfen von dem Terpentin hängen geblieben, welcher dann am Rande des Deckglases des einzuschliessenden Glycerinpräparates ausgebreitet wird. Und so weiter bis das Deckglas völlig mit Terpentin um- geben ist. Hierauf wird die Strieknadel von neuem erwärmt und der Terpentin ein wenig über den Rand des Deckglases hinweg- gezogen, sowie die umhüllende Masse in eine gefällige Form ge- bracht. Nur muss man die Vorsicht gebrauchen, die Stricknadel 354 C. Nörner: nicht so stark zu erhitzen, dass das Glas beschlägt. Liegt das Deckglas nicht fest an, oder ist noch Glycerin am Rande, so em- pfiehlt sich eine Combination von Gold-Size und Terpentin. Gold- Size hat das Gute, dass es sich mit dem Glycerin sehr gut verträgt. Man braucht nicht so sorgfältig zu arbeiten, es kann ruhig etwas Glycerin ohne Nachtheil überstehen. Nachdem das Gold-Size troeken geworden ist, bringt man noch einen zweiten Rand von Terpentin auf. Ich wende diese Combination häufig beim Ein- schluss von Würmern an, wenn das Deckglas wegen der Dicke des Objektes nicht an allen Seiten völlig schliesst. Den Terpentin- rand kann man unbeschadet auf den Gold-Size-Rand aufbringen. Die Methode, Glycerinpräparate in Terpentin einzuschliessen, gewährt den grossen Vortheil der ausserordentlichen Haltbarkeit. Ferner kann man die Präparate mit einem Lederläppchen zu jeder Zeit reinigen, ohne befürchten zu müssen, dieselben bei Anwendung stärkeren Druckes zu verletzen. Noch einen Lackrand, wie bei Gold-Size- und anderen Präparaten unbedingt nöthig, anzubringen, kommt bei Gebrauch des Terpentin völlig in Wegfall. Das Be- handeln der Glycerinpräparate mit Terpentin hat den Nachtheil, dass es etwas länger dauert, als z. B. das Einschliessen mit Gold- Size; aber bei einiger Uebung bringt man es bald zu einer ge- wissen Gewandtheit. Nun möchte ieh die Aufmerksamkeit noch auf einige hier gebräuchliche Tinktionsmittel lenken. Die verschiedenartigen Or- gane resp. die verschiedenen Thier- und Pflanzengattungen ver- halten sich sehr verschieden zu den Tinktionsflüssigkeiten. Nehmen wir z. B. das bekannte Pikrokarmin (nach Ranvier), so sehen wir, dass sich z. B. Bandwürmer in dieser Farblösung sehr schnell färben und zwar roth, während wieder andere Würmer, wie die Nematoden, sich langsam tingiren und dabei einen gelben Ton annehmen, indem die Pikrinsäure bei ihnen zuerst in Wirkung tritt, erst nach und nach bei längerer Einwirkung des Pikrokarmin das Karmin. Milben verhalten sich ebenfalls verschieden. Ein Theil von ihnen färbt sich gelb, der andere Theil roth, ein dritter auch wohl gar nicht. Und gerade für ein eingehendes Studium der anatomischen Verhältnisse, besonders der Mundtheile der Milben, wie ich an anderen Orten!) ausführlich gezeigt habe, ist ein 1) Dr. C. Nörner: Syringophilus bipectinatus. In der Vierteljahres- schrift des K. K. Thierarzneiinstitutes in Wien. Juli-Heft 1882, p. 93 und f. Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate. 355 Tingiren unbedingt erforderlich. Bei histologischen Präparaten überwiegt wieder das Karmin vor der Pikrinsäure. Vor einiger Zeit wurde nach dem hiesigen Thierarzneiinstitute von dem Herrn R. Siebert!), Besitzer einer Handlung von Uten- silien für Mikroskopie, unter Anderem eine neue Tinktionsflüssig- keit — Magdala-Roth-Anilin zur Probe gebracht. Nach- dem ich diesen neuen Farbstoff nach verschiedenen Richtungen hin probirt hatte, bin ich zu folgenden Resultaten gekommen: das Magdala-Roth-Anilin hat sich als eine ausserordentlich brauchbare Tinktionsflüssigkeit herausgestellt, da es allen Anforderungen in gleich günstiger Weise entspricht. Es besitzt ein ausgezeichnetes Differenzirungsvermögen und übertrifft sogar das in dieser Be- ziehung vortreffliche Pikrokarmin. Auch färbt es alle Gewebe gleichmässig, mögen sie frisch sein oder aus Alkohol oder chrom- saurem Kali kommen. Und was das Wichtigste ist, das Differen- zirungsvermögen tritt namentlich schön bei botanischen Präparaten hervor, bei welchen jedes einzelne Gewebe eine besondere Färbung annimmt. Nur muss man die Vorsicht gebrauchen, die Schnitte nur wenige Augenblicke in der Farblösung zu lassen, da das Magdala-Roth-Anilin ungemein intensiv färbt. Zur Untersuchung der schwer zu erhaltenden Siebröhren muss das Magdala-Roth- Anilin sehr vortheilhaft sein. So zeichnen sich z. B. die Gefässe des Plerom sehr scharf vor dem Periblem u. s. w. ab. Auch die gewöhnlichen niederen Pilze, wie. Mucor, Penieillium, Aspergillus u. s. w. werden schön gefärbt, desgleichen histologische Schnitte. Auch ein Behandeln der Parasiten (Milben, Würmer u. s. w.) mit Magdala-Roth-Anilin liefert ein überaus befriedigendes Resultat. Einen weiteren Vortheil gewährt das Magdala-Roth-Anilin dadurch, dass es sehr widerstandsfähig gegen Kali ist. Man kommt hier- bei in die angenehme Lage, geeignete Präparate bei Bedarf erst färben und dann mit Kali behandeln zu können. Für ein Doppel- färben scheint mir das Magdala-Roth-Anilin nicht geeignet, da es den anderen Farbstoff verdrängt. Ob es aber nicht denselben Nach- theil, wie Haematoxylin und die übrigen Anilinfarben besitzt und nach einiger Zeit aus dem Präparat verschwindet, es also unbe- ständig ist, vermag ich noch nicht zu entscheiden. 1) Weinzierl’s Nachfolger. Wien VIII. Alsenstr. 19. I. 356 €. Nörner: Beitrag zur Behandlung mikroskopischer Präparate. Ich benutze noch diese Gelegenheit, um wiederholt auf ein anderes Tinctionsmittel aufmerksam zu machen, welches bereits von Prof. Csokor in diesem Archive besprochen worden ist (Bd. XVII, p. 412): die Cochenille-Karminlösung. Wenn sie auch für die Färbung ganzer Thiere (Würmer ete.) nicht mit Vor- theil verwendet werden kann, so bietet sie doch nach meinen viel- fachen Erfahrungen für Schnitte von Geweben und Organen so viele Vorzüge, dass ich einen erneuten Hinweis auf diese Lösung mir gestatten möchte. N. Kastschenko: Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 357 Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. Von Dr. N. Kastschenko. (Aus dem embryologischen Institut in Charkow.) Hierzu Tafel XIX und XX. Nachdem ich Batrachierknochen einem genauen genetischen und topographischen Studium unterzogen und mich mit den an denselben verlaufenden elementaren Ossifications- und Wachsthums- vorgängen vertraut gemacht hatte, wollte ich meine Untersuchungen über denselben Gegenstand noch weiter ausdehnen und die mit Krapp gefärbten Batrachierknochen in verschiedenen Entwicklungs- stadien der Thiere studiren. Es lag der Gedanke nahe, dass die nach der Krappmethode angestellten Untersuchungen die in meiner früheren Arbeit !) existirenden Lücken ausfüllen und zur Lösung der schwierigen Frage über Krappfärbung beitragen möchten. Nach den aus den Untersuchungen von Du Hamel?), Flou- rens®), Brull& und Hugueny*) hervorgegangenen und zu all- gemeiner Geltung gekommenen Ansichten, färben sich bei den mit Krapp gefütterten Thieren nur die mit Kalksalzen imprägnirten Gebilde, die Weichtheile bleiben aber farblos und was die Knochen betrifft, so werden nur die während des Versuchs abgelagerten 1) Ueber die Genese und Architecetur der Batrachierknochen. Archiv für mikrosk. Anatomie Bd. XIX, Heft 1, 1880. 2) Histoire d’Academie des Sciences. 1839—41. 42—483. 3) Annales des sciences naturelles. 1840, 2 Serie, T. XIII. — 1841, 2. Serie, T. XV. — 1845, 3. Serie, T. IV.— Compt. rend. 1840, T. X. — 1842, T. XV. Recherches sur le d&veloppement des os et des dents. Paris 1842. — Trait& experimental de la formation des os. Paris 1847. 4) Annales des sciences naturelles. 1845. 3. Serie. T. IV. Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 24 358 N. Kastschenko: Knochenschicehten roth, die vor der Krappfütterung gebildete Knochensubstanz erscheint ungefärbt. Nach Aussetzung der Krapp- fütterung soll die Krappfärbung durch Resorption der gefärbten Knochenschichten verloren gehen. Diese aus makroskopischen Betrachtungen der Krappknochen gefolgerten Schlüsse sind von Serres et Doyere!) aufs ent- schiedenste in Abrede gestellt worden. Diese Forscher haben die Krappknochen zum ersten Male mikroskopisch untersucht und ge- funden, dass die Knochen der mit Krapp gefütterten Thiere nur an den Rändern der Havers’schen Kanäle gefärbt werden, die äusseren Knochenflächen bleiben aber farblos, wie lange auch. die Krappfütterung dauern mag. Obwohl die genannten Autoren bahn- brechend auftraten und den Weg zu einem richtigen Verständniss der Krappbilder eröffneten, haben ihre Beobachtungen keine Be- achtung gefunden und die frühere Meinung schien wieder durch die makroskopischen Beobachtungen von Lieberkühn?) und Kölliker°®) unterstützt zu werden. Erst später hat Strelzoff*®) eingehende mikroskopische Studien der Taubenkrappknochen ge- liefert, dieselben in verschiedenen Entwicklungsstadien der Thiere genetisch und topographisch untersucht, die Angaben von Serres und Doyere bestätigt und in vielen Beziehungen erweitert. Ob- wohl es mir unmöglich ist, an Froschknochen eine so zusammen- hängende Reihe von Krappbildern, wie es Strelzoff an Tauben- knochen gelungen ist, an den Augen der Leser vorüberzuführen und das von mir Erreiechte weit hinter dem Erstrebten zurück- bleibt, darf ich doch hoffen, dass die vorliegende Arbeit als will- kommen betrachtet werden wird, da die von Strelzoff auf dem genetischen Wege durchgeführten Untersuchungen ganz vereinzelt dastehen und die Krappknochen der kaltblütigen Thiere bisher gar nicht untersucht worden sind. 1) Comptes rendus. 1842. T. XIV. — Annales des sciences naturelles. 1842. T. XVII. Expose de quelques faits relatifs & la coloration des os chez les animaux soumis au regime de la garance. 2) Ueber Wachsthum und Resorption der Knochen. Marburg 1867. 3) Die normale Resorption des Knochengewebes und ihre Bedeutung für die Entstehung der typischen Knochenformen. Leipzig 1873. 4) Genetische und topographischa Studien des Knochenwachsthums. Unters. aus dem patholog. Institut zu Zürich, herausgegeben von Eberth 1874. II. Heft. Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 359 Untersuchungsmethode. Die Untersuchungen sind an 27 Fröschen (Rana esculenta) verschiedenen Alters (von 33 bis 39 mm Kopfsteisslänge) angestellt worden. Die Krappfütterung jüngerer Frösche ist höchst schwierig und die Anfertigung feiner Knochenschliffe, wegen der Feinheit der Knochen, fast unmöglich. Die 89 mm langen Frösche sind die grössten, welche in Charkow und seinen Umgebungen zu finden sind, sie sind also die ältesten. Im Beginn und am Ende der Krappfütterung wurde jedes Versuchsthier gemessen und die Fütterungsdauer notirt. Zu den Fütterungsversuchen habe ich mich der fein pulverisirten Krappwurzel bedient, welche ich in Pillenform mit einer gebogenen Pincette in den Magen der Thiere einführte. Anfangs bekamen die grössten Frösche vier und die kleinsten zwei Gran Krapppulver täglich, da aber einige Thiere bald darauf zu Grunde gingen und der Darmkanal derselben bei der Autopsie mit Krapppulver vollgestopft gefunden wurde, ver- minderte ich die Krappdose um das zweifache. Doch ist die Menge der verzehrten Krappwurzel selbst approximativ nicht zu bestimmen, da manche Versuchsthiere die eingeführten Krapppillen sehr oft wieder herausförderten. Ausserdem wurden die Frösche ein- bis zweimal in der Woche mit Fleisch gefüttert. Im Allgemeinen dauerte die Krappfütterung von 3 bis 105 Tage. Da die Frösche sehr langsam wachsen und die am längsten gefütterten Thiere zu gleicher Zeit die ältesten waren, so hat kein einziges von den Versuchsthieren während der Krappfütterung in der Länge zuge- nommen. Die zu Grunde gegangenen oder getödteten Thiere wurden in Spiritus aufbewahrt. Bei einem mehr als zweijährigen Aufenthalt der Präparate in Spiritus war keine Decoloration der mit Krapp gefärbten Theile zu bemerken. Die Knochen wurden an feinen Schliffen untersucht, da die Entkalkung der Knochen wegen des Erblassens der Färbung keine Dienste leisten kann. Um die feineren Nuancen der Krappfärbung besser zu studiren, ist es zweckmässig, die Knochen sowie die Weichtheile bei auf- fallendem Lichte und auf einer weissen Unterlage zu untersuchen. Bei der Untersuchung der Haut leistet eine schwarze Unterlage bei auffallendem Lichte viel bessere Dienste. Die mikroskopischen Präparate wurden in Glycerin, oder in Glycerin mit Gelatine auf- 360 N. Kastschenko: bewahrt. Die folgende Tabelle zeigt die Dauer der Krappfütterung, die der darauffolgenden Aussetzung derselben und die Länge der Versuchsthiere in mm. Sa ee 28 Daue „äs | Dauer d 25 | Darernden! auer der 28 Dauer der | Pauer der Bau? E R Aussetzung || | 2 4 N ı Aussetzung = .2| Krappfüt- 1 ° [#2 Krappfüt- | 5 25 | der Krapp- | zz der Krapp- 73a) „ berung., , | 2. Sa) terung. | _. au fütterung. I .|E ‚ fütterung. z = | | = iz | | | | | 144 3 Tage 0 1552| 46 Tage | 0 236 6 0 1652) 46 | #5 388 8 0 1746, 48 | 0 4173| 12 0 118149] 49 0 5133| 14 0 119,48] 54 0 634 14 0 2057| 57 0 741 16 0 21/71] 59 0 852, 18 0 22.60) 62 | 0 9142| 36 | 0 11123168) 69 0 1052| 36 0 12467 73 0 11/62) 36 0 112566) 85 7 1272| 36 0 1126,60) 86 0 13/82 36 0 2789| 105 30 1448 42 0 Färbung der Weichtheile. An einem senkrechten Schnitt durch die Cutis (Taf. XIX, Fig. 1) unterscheidet man mikroskopisch drei Schichten derselben und zwar: die äussere oder epidermoidale (a), die untere, aus den parallel verlaufenden, groben Bindegewebsfasern der Cutis bestehende (d) und die mittlere, die Hautdrüsen einschliessende Schieht (b). Bei einer näheren Betrachtung dieser Gebilde ergibt sich, dass sich zwischen den Hautdrüsen (h) ein lockeres, aus stern- und spindelförmigen Elementen und einer feinfaserigen Sub- stanz bestehendes Bindegewebe findet, welches in seinen oberen Partieen grosse sternförmige, schwarzpigmentirte (g) und kleinere unregelmässige, weisspigmentirte Zellen (f) enthält. Dieses lockere Bindegewebe verbindet sich mit dem subeutanen Zellgewebe durch gesonderte, ziemlich weit von einander gelagerte, die Cutis senk- recht durehsetzende Bündel (k), welche aus Bindegewebsfasern und, nach Eberth!), aus glatten Muskelfasern zusammengesetzt sind. 1) Untersuchungen zur normalen und pathologischen Anatomie der Froschhaut. Leipzig 1869. Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 361 Zwischen der mittleren und unteren Hautschicht findet sich noch ein Gebilde (e), welches sich an einem senkrechten Sehnitt in Gestalt eines 0,009—0,021 mm breiten Streifens darstellt, gegen die Drüsenschicht scharf begrenzt wird und gegen die Cutis sich unmerklich verliert. An einem Flächenschnitt stellt es sich in Gestalt eines continuirlichen, siebförmig durchlöcherten Septum dar, welches die ganze Dicke der Cutis in die zwei obengenannten Schiehten trennt, und dessen Maschen die oben erwähnten, die beiden Hautschichten verbindenden Bündel durchlassen. Diese siebförmige Hautschicht sieht feinkörnig aus, verliert sich an den Rändern der Maschen nicht abrupt, sondern schlägt sich nach unten um und bildet für die verbindenden Bündel trichterförmige, mit breiteren Oeffnungen nach Aussen zugekehrte Scheiden (Fig. 1, i). Bezüglich der feineren Struktur der betreffenden Hautschicht sagt Eberth (l. e.), dass dieselbe bei Rana esculenta aus feinen Bindegewebsfasern zusammengesetzt sei. Bei sorgfältigen Unter- suchungen frischer, sowie in Spiritus und in Müller’scher Flüssig- keit conservirter Präparate konnte ich nichts weiter, als feine Körner finden. Zwar kann man an der unteren Grenze dieser Schieht zwischen den Körnern auch sehr feine, Bindegewebsfasern wahrnehmen; doch überzeugt man sich, dass dieselben aus der unterliegenden Hautschicht emporsteigen und gerade an dieser Stelle sehr fein sind. Sie durchdringen nicht die ganze Dicke der siebförmigen Schicht und machen keineswegs die Hauptmasse der- selben aus. Die Körner sind nicht gleichmässig, sondern vielmehr haufenweise vertheilt. Bei sorgfältigen und allseitigen Unter- suchungen dieser Hautschicht konnte ich weder zellige Elemente isoliren, noch Kerne nachweisen. Mit Karmin, Pikrokarmin, Häma- toxylin, Eosin und Anilinfarben tingirt sich dieselbe in ihrer ganzen Dicke sehr schwach und gleichmässig. Die beschriebene siebförmige Hautschicht, welehe unter nor- malen Verhältnissen eine sehr schwach gelbliche Nuance besitzt, färbt sich roth bei den mit Krapp gefütterten Thieren (Fig. 1, ce). Die Färbung ist bei durch- und auffallendem Lichte sehr klar zu beobachten. An dem Frosch Nr. 20 kann man schon makrosko- pisch rosarothe Zeichnungen an den Stellen sehen, wo die schwarz- pigmentirten Zellen sehr sparsam sind, wie an der Bauchhaut und an den inneren Flächen der Schenkel. An einem auf schwarzer Unterlage und bei auffallendem Lichte untersuchten Flächenschnitt 362 N. Kastschenko: (Taf. XIX, Fig. 9) beobachtet man ein, an ein injieirtes Lymph- gefässnetz sehr erinnerndes Bild; man sieht nämlich ein aus mächtigen, anastomosirenden, rosaroth gefärbten Balken bestehendes Retieulum, dessen nieht gefärbte Maschen diejenigen sind, welche die verbindenden Bündel durchlassen. Die Ränder der Balken sind intensiver als die mittleren Theile derselben gefärbt und ent- sprechen den Stellen, wo die siebförmige Schicht sich triehter- förmig vertieft, wovon man sich leicht an senkrechten Schnitten überzeugen kann. Die Epidermis wird ebenfalls mit Krapp gefärbt, die Färbung ist aber so schwach, dass dieselbe an senkrechten Schnitten kaum zu sehen und nur an Flächenschnitten zu beobachten ist. An abgefallenen Epidermisstücken lebendiger mit Krapp gefütterter Frösche fand ich hauptsächlich die Zellkerne gefärbt; bei der Untersuchung der tieferen Epidermisschichten der in Spiritus con- servirten Präparate schienen die Epidermisszellen gleichmässig rosaroth gefärbt zu sein. Die Färbung der Haut ist nach einer zweiwöchentlichen Fütterungsdauer sehr deutlich und nimmt bei fortgesetzter Füt- terung an Intensität zu. Bei sehr alten Fröschen (Nr. 13, 27) gelingt die Färbung schwieriger, als bei jüngeren und es ist zu bemerken, dass dieselbe bei gleich alten Thieren und bei gleicher Fütterungsdauer sehr grossen Schwankungen unterliegt (Nr. 17, 18). Die mit Krapp gefärbte Cutis ist ein sehr überzeugendes Object, um eine Decoloration der gefärbten Theile nach der Aussetzung der Krappfütterung nachzuweisen. Am besten konnte ich dies an den Fröschen Nr. 16 und 25 beobachten. In beiden Fällen zeigte die Cutis am Ende der Fütterung eine ziemlich in- tensive rosarothe Färbung ; nach der Aussetzung der Krappfütterung wurde die Färbung immer schwächer und verlor sich unmerklich nach zwei Wochen ganz und gar, so dass ich weder makroskopisch noch mikroskopisch irgend eine Färbung mehr wahrnehmen konnte. Der Eierstock besteht bei Rana esculenta aus zwei La- mellen, welche sehr leicht mit Nadeln von einander getrennt wer- den können und dünn genug sind, um ohne etwaige Präparation mikroskopisch untersucht zu werden. An jeder Lamelle (Taf. XX Fig. 12) unterscheidet man ein feinfaseriges Stroma und Graaff- sche Follikel, welehe an einem und demselben Eierstock von ver- schiedenem Alter zu treffen sind (A und B). Der Graaff'sche Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 363 Follikel besteht aus einer faserigen Kapsel (theca), einer structur- losen, mit länglichen Kernen versehenen, die epitheliale Schicht des Follikels darstellenden Membran (membr. granulosa) und einem darin liegenden Ei (a). Das letztere besitzt ein grosses, in einer isolirbaren Membran eingeschlossenes Keimbläschen (b) mit zahl- reichen Keimflecken. Je nach dem Alter des Eies sieht das Ei- protoplasma verschieden aus: an jüngeren Eiern ist das Proto- plasına hell und feinkörnig; bei grösseren und älteren Eiern er- scheint dasselbe dunkel und grobkörnig und bietet besondere Gebilde dar, welche bei mit Krapp gefütterten Fröschen roth ge- färbt werden. } Bei dem Frosch Nr. 22 fand ich im Eiprotoplasma der älteren Eier sehr zahlreiche intensiv purpurroth gefärbte Körner (Fig. 12 ce), deren Grösse von einem kaum bemerklichen Pünktchen bis zu 0,05 mm betrug. Die Körner lagen so dicht an der Peri- pherie des Eiprotoplasmas, dass dieselben zu der Membrana granu- losa zu gehören schienen, doch traten die Körner nach dem Zer- quetschen des Graaff’schen Follikels aus dem letzteren heraus und schwammen in der Untersuchungsflüssigkeit frei herum. Die Körner stellen sich in Gestalt abgerundeter, aber nicht ganz runder stark lichtbrechender Körper dar, welche weder in Aether noch in Säuren und Alkalien löslich sind, mit Ueberosmiumsäare schwarz, mit Jod gelb tingirt werden. Bei sehr jungen Fröschen fehlen diese Gebilde ganz und gar, erst bei den 40—46 mm langen Krapp- fröschen sind dieselben wegen ihrer rotlıen Färbung in Gestalt punktförmiger,, rundlicher Körner deutlich zu sehen (Nr. 9, 17). Dass dieselben mit dem Alter der Frösche an Grösse zunehmen, kann man an älteren Fröschen, sowie an einem und demselben Eierstock eines ausgewachsenen Frosches beobachten. Ich halte diese Gebilde für Dotterkörner, obwohl dieselben im abgesetzten Froschlaich immer kleiner und abgerundeter sind. Anstatt zahl- reicher kleiner Dotterkörner findet man manchmal im Eiprotoplasma einen einzigen stark lichtbrechenden, bei Krappfröschen intensiv purpurroth gefärbten grossen Körper. Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Dotterkörner desto intensiver gefärbt werden , je länger die Krappfütterung dauert. Bei den Fröschen , welche weniger als eine Woche mit Krapp gefüttert werden, auch bei denjenigen, bei welchen die Krappfütterung sehr lange ausgesetzt wird (Nr. 27), findet man die Dotterkörner farblos. Individuelle 364 N. Kastschenko: Schwankungen sind auch hier nicht selten, so bietet z. B. der Frosch Nr. 22 eine viel intensivere Färbung der Dotterkörner, als der Frosch Nr. 26 dar. Auch in der Leber der Krappfrösche habe ich roth gefärbte Körper gefunden, welche den im Eiprotoplasma beschriebenen sehr ähnlich, aber kleiner sind. Das sind längliche Körper, deren kleinerer Durchmesser 0,0015—0,0075 mm und deren grösserer 0,0875 bis 0,0375 mm beträgt. Diese Gebilde sind nicht im Zellprotoplasma, sondern zwischen den Leberzellen so gelagert, dass an einem Längsschnitt der Lebertrabekel dieselben reihenweise in der Axe der Trabekel liegen und ein ziemlich regelmässiges Netz bilden. An einem quergeschnittenen Lebertrabekel findet man ein roth ge- färbtes Körnchen in dessen feinem Lumen eingekeilt. Es unterliegt also keinem Zweifel, dass diese Gebilde in den Gallengängen liegen. Gegen chemische Reagentien verhalten sie sich, wie die im Eiprotoplasma beschriebenen, mit dem Unterschied jedoch, dass die ersteren mit Ueberosmiumsäure etwas schwächer gefärbt wer- den. Was die Natur dieser Gebilde betrifft, so konnte ich nichts mehr herausbringen und in den nicht mit Krapp gefütterten Fröschen konnte ich diese Körner nicht nachweisen. Ausser den beschriebenen Gebilden, welche mit Krapp sehr intensiv gefärbt werden , findet man bei der Untersuchung der " Krappfrösche, dass sich alle Weichtheile ohneAusnahme mehr oder weniger intensiv und gleichmässig, aber verhältnissmässig schwach rosaroth färben. Makroskopisch ist diese Färbung immer sehr deutlich zu sehen, mikroskopisch aber muss man grobe Schnitte bei auffallendem Lichte, schwacher Vergrösserung und auf einer weissen Unterlage untersuchen, um die rosarothe Färbung deutlich zu beobachten. In Betreff der Krappfärbung der Weichtheile kann man im Allgemeinen sagen, dass dieselbe nach einigen Tagen der Krapp- fütterung zum Vorschein kommt, mit der Fortsetzung der Fütterung intensiver wird, bei erwachsenen Fröschen viel leichter gelingt, nach der Aussetzung der Krappfütterung in einigen Tagen ver- schwindet und endlich individuellen Schwankungen unterliegt. Der Harn der Krappfrösche ist mehr oder weniger rosaroth gefärbt. Bei der Autopsie eines Krappfrosches habe ich in der Harnblase zwei rosaroth gefärbte Distomen gefunden. Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 365 Färbung der Knochen. Ich habe fast alle Knochen der zur Beobachtung kommenden Thiere untersucht und die Krappbilder so einförmig gefunden, dass ich gar nicht für nothwendig erachte, alle die von mir untersuchten Knochen zu beschreiben. Ich werde mich auf die Darstellung der Krappbilder beschränken, welche ich an der Tibio-fibula ver- schieden alter und verschieden lange Zeit mit Krapp gefütterter Frösche beobachtete. Ich finde es jedoch nothwendig, den be- treffenden Knochen eines erwachsenen Frosches zu beschreiben, mit der Voraussetzung, dass die von mir gebrauchte Terminologie für die Architekturelemente der Froschknochen (l. ec.) dem Leser bekannt ist. Die Tibio-fibula des Frosches (Taf. XIX Fig. 4) stellt einen etwas gebogenen, mit abgerundeten, schwach abgeplatteten knorpe- ligen Enden versehenen Knocheneylinder dar, welcher an seiner vorderen und hinteren Fläche eine an den Knochenenden ziemlich tiefe, gegen die Mitte der Diaphyse unmerklich sich verlierende Längsfurche (e, d) besitzt. Desswegen erscheint der Knochen im mittleren Drittel ganz eylindrisch, im oberen und unteren Drittel wie aus zwei verwachsenen Knochen zusammengesetzt. An einem frontalen Längsdurehschnitte (Taf. XIX Fig. 5) findet man in dem mittleren Drittel des Knochens einen einfachen Tubus medullaris (b), in dessen Mitte ein poröses Knochenröhrchen (a) in schräger Richtung verläuft (Canalis nutritius) und zwei einander gegenüber liegende Foramina nutritia (Fig. 4a und b) verbindet. Das obere und untere Drittel des Knochens besitzt zwei parallel verlaufende, durch eine Knochenwand getrennte Knochenmarkhöhlen (Fig. 5 c e). Das die letzteren trennende Septum (d und e) ist als aus zwei parallelen Knochenlamellen bestehend zu betrachten, da in dem- selben Gefässkanäle und zwar immer in sagittaler Richtung ver- laufen, d. h. in der Richtung derjenigen Fläche, welche die oben erwähnte vordere und hintere Längsfurche verbindet. An den beiden pilzförmigen Gelenkknorpeln (Fig. 4e und f) sieht man auch eine seichte vordere und eine hintere Furche, welche darauf hindeuten, dass jeder pilzförmige Gelenkknorpel aus zwei ver- wachsenen Knorpeln gebildet wird. An Querschliffen erhält man verschiedene Bilder, je nach der Höhe, in weleher der Schnitt geführt wird. In der Höhe des 366 N. Kastschenko: Gelenkknorpels stellt das Präparat zwei Knochenringe dar, von denen jeder mit einer Schicht Periost und einer Schicht Knorpel umgeben ist. Im oberen und unteren Drittel des Knochens beob- achtet man das die beiden Knochenmarkhöhlen trennende, aus zwei Lamellen bestehende knöcherne Septum (Taf. XIX Fig. 7B). Hier scheint der ganze Knochen aus zwei verwachsenen Knochen- eylindern zu bestehen; an jedem Knochenring kann man alle die von mir früher beschriebenen Architeeturelemente der Batrachier- knochen beobachten. Die homogene Knochenschicht (d) ist immer sehr deutlich und die periechondrale Grenzlinie (f) nur in dem Falle zu sehen, wo der endostale Knochen vorhanden ist. In der Mitte der Diaphyse erscheint der quergeschnittene Knochen elliptisch oder kreisförmig (Taf. XIX Fig.2 und 10); das Bild sieht aber darum etwas complieirt aus, weil gerade in dieser Höhe der röhrenförmige, intramedullär entstandene Canalis nutritius (Fig. 2a) sich vorfindet. Die Gestalt des beschriebenen Knochens wird durch seine Entwieklungsgeschichte erklärt. In einem Entwicklungsstadium, wo noch keine Knochenbildung stattfindet, beobachtet man zwei parallel nebeneinander liegende präformirte Knorpel, welche durch eine Schicht Perichondrium von einander getrennt werden (Taf. XX Fig. 13). Bei dem Auftreten der regressiven Metamor- phose des Knorpels wird das mittlere Drittel der beiden Knorpel zerstört (Taf. XX Fig. 14d). Von hier aus geht der Zerstörungs- process in die zwei oberen und zwei unteren Drittel des Knorpels über. Etwas früher tritt ein perichondraler Ossificationsprocess auf, der zu den freien oberen und unteren Enden des präformirten Knorpels fortschreitet (Fig. B und 14 b b). Das das mittlere Drittel der beiden Knorpel trennende Stück Perichondrium ver- knöchert aber nicht, sondern gibt die Matrix des Markgewebes ab. Die beiden oberen und unteren Enden des eben gebildeten Knochens verwachsen später mit einander und bilden die oben erwähnten knöchernen Septa (Fig. 13 und 14 e). Nach dem Ablauf des Ver- knöcherungsvorganges findet man den Knochen so gestaltet, wie ich dies vorhin auseinandergesetzt habe. Das knöcherne Septum in der Mitte der Diaphyse, wo der Tubus medullaris einfach ist, wird gar nicht gebildet (Fig. 13 und 14d). Jetzt gehe ich zu der Beschreibung der Tibio-fibula bei Krappfröschen über, wobei ich es zweckmässig finde, das ganze Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 367 Material nach dem Alter der Frösche und der Dauer der Krapp- fütterung in fünf gesonderte Gruppen einzutheilen. I. Gruppe. Hierher gehören junge 33 bis 44 mm lange Frösche, welche 3 bis 16 Tage mit Krapp gefüttert wurden (NN. ], 2, 5, 6 und 7). Frosch Nr. 2; — 36mm lang; — 6tägige Krapp- fütterung. Makroskopisch ist der ganze Knochen gleichmässig in seiner ganzen Masse schwach rosaroth gefärbt. An mikrosko- pisch untersuchten und in verschiedener Höhe geführten Quer- schliffen (Taf. I Fig. 6) bemerkt man zwei rosarothe Streifen, von denen der eine (b) den inneren Rand des Knochenringes einnimmt und den Tubus medullaris unmittelbar umgibt, der andere (a) in einiger Entfernung von der äusseren Knochenfläche liegt und einen eontinuirlichen ununterbrochenen Ring bildet. Das sind die Strel- zoff’schen Krapplinien. Die übrige Knochensubstanz scheint un- gefärbt zu sein. Von den zwei beobachteten Krapplinien werde ich die erstere, die Knochenmarkhöhle umgebende, als innere, die letztere, in einiger Entfernung von der äusseren Knochenfläche verlaufende, als äussere Krapplinie bezeichnen. Aehnliche Bilder bieten alle Frösche dieser Gruppe dar, mit dem Unterschied, dass die äussere, ungefärbte Knochenschicht bei verschiedenen Fröschen verschieden diek ist. An dem beschriebe- nen Exemplar ist die betreffende Knochenschicht am dicksten (0,15 mm). Bei einem 3 Tage lang gefütterten Frosch (Nr. 2) ist nur die äussere Krapplinie deutlich zu sehen, die innere scheint ganz zu fehlen. II. Gruppe. Junge, 42 bis 49 mm lange Frösche, welche 36 bis 54 Tage mit Krapp gefüttert wurden (NN. 3, 14, 17, 18 u. 19). Frosch Nr. 18; — 49 mm lang; — 49tägige Krapp- fütterung. Makroskopisch ist die ganze Tibio-fibula gleichmässig durch und durch rosaroth gefärbt. Mikroskopisch unterscheidet man an Querschliffen (Taf. I Fig. 8) die äussere (a) und innere (b) Krapplinie. Die äussere ungefärbte Knochenschicht ist sehr dünn und bei schwacher Vergrösserung nicht immer in dem ganzen Umkreise des Knochens wahrzunehmen. — Die ganze Gruppe zeigt dieselben Bilder. Bei dem Frosch Nr. 19 (Taf. I Fig. 10) sind die Krapplinien sehr schwach ausgesprochen. An der mittleren ungefärbten Knochenschicht (e) beobachtet man rosarothe Pünkt- chen, welche nichts Anderes sind, als gefärbte Knochenhöhlen. 368 N. Kastschenko: Ill. Gruppe. Hierher gehören 52 bis 71mm lange, 18 bis 86 Tage mit Krapp gefütterte Frösche (Nr. 8, 10, 11, 15, 20, 21, 22, 23, 24 und 26). Frosch Nr. 8; — 52mm lang; — 1Stägige Krapp- fütterung. Makroskopiseh ist die ganze Tibio-fibula gleichmässig rosaroth gefärbt. An mikroskopischen Querschliffen (Taf. XIX Fig. 2) beobachtet man die äussere (f) und innere (g) Krapplinie; die erstere wird durch eine dünne ungefärbte Knochenschicht (ce) von der äusseren Knochenfläche getrennt. Die verkalkten Knorpel- inseln sind roth gefärbt. An den in der Höhe des Canalis nutritius geführten, auf einer weissen Unterlage und bei auffallendem Lichte untersuchten Querschliffen beobachtet man rosaroth gefärbte Strahlen (ee), welche von der äusseren Knochenfläche gegen den Tubus medullaris convergirend verlaufen, aber die innere Knochenfläche nicht erreichen und in der Dicke der Knochenwand unmerklich verloren gehen. Diese Färbung entspricht den von mir schon früher beschriebenen (Fig.9 und 10 der eitirten Arbeit), strahlenförmig verlaufenden Geflechten von Saftkanälen. In der Höhe des oberen und unteren Drittels des Knochens ist die mittlere (radiärgestreifte) Knochenschicht diffus und gleichmässig rosaroth gefärbt. Accessorische Foramina nutritia (Fig. 2d) besitzen je einen sehr feinen, roth gefärbten Ring, der in einiger Entfernung von der Fläche liegt (Havers’sche Krapplinien Strelzoff's). Hier sind die Verhältnisse gerade so, wie an der äusseren Knochen- fläche. Frosch Nr. 11; — 62 mm lang; — 30tägige Krapp- fütterung. Makroskopisch ist der ganze Knochen sehr schön und gleichmässig roth gefärbt (Taf. XIX Fig. 4 und 5). In den Längsfurehen (Fig. 4 e, d) ist die Färbung etwas intensiver. Die verkalkten Knorpelinseln sind ungleichmässig und schwach tingirt. Die an mikroskopischen Querschliffen zu beobachtenden Krapp- bilder sind denjenigen des oben beschriebenen Exemplars ganz ähnlich, aber schärfer ausgesprochen. Frosch Nr. 15; — 52 mm lang; — 46tägige Krapp- fütterung. Makroskopisch ist der Knochen gleiehmässig intensiv roth gefärbt. An den in dem oberen und unteren Drittel geführ- ten Querschnitten untersucht und makroskopisch oder mit der Loupe betrachtet, erscheint die Knochenwand aus drei concentrischen con- tinuirlichen Ringen zusammengesetzt, von denen der mittlere und Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 369 zu gleicher Zeit der mächtigste roth gefärbt ist. Der innere und äussere Ring sind fast farblos und umgeben den mittleren Ring saumartig. Mikroskopisch findet man (Taf. XIX Fig. 3), dass, ab- gesehen von einer diffusen Färbung der Zwischensubstanz des mittleren Ringes (d), die Knochenhöhlen desselben (radiär gestreifte Knochenschicht des Verf.) roth gefärbt sind (Taf. XX Fig. 16 g). Die dem genannten Knochen anliegende homogene Knochenschicht (Fig. 3 und 16e) ist ganz farblos. Mikroskopisch bemerkt man, dass der äussere sowie der innere Knochenring je eine sehr mäch- tige Krapplinie besitzt (Fig. 3 und 16 b und ec); die letzteren liegen in einiger Entfernung von der Knochenfläche. Die an dem früheren Präparate beschriebenen rosarothen Strahlen sind auch hier in dem mittleren Drittel des Knochens sehr deutlich zu sehen. Die übrigen Exemplare dieser Gruppe bieten ähnliche Krappbilder dar, mit dem Unterschied, dass die Färbung nicht immer gleich intensiv ist. IV. Gruppe. Ausgewachsene, 72—83 mm lange Frösche, welche 8 bis 36 Tage mit Krapp gefüttert wurden (Nr. 3, 4, 12 und 13). Frosch Nr. 3; — 85mm lang; — Stägige Krapp- fütterung. Makroskopisch ist der Knochen sehr schwach rosa- roth gefärbt. An mikroskopischen Querschliffen beobachtet man, dass der äussere und innere Krappstreifen in verschiedenen Höhen des Knochens eine ungleiche Mächtigkeit und eine verschiedene Färbungsintensität darbieten (Taf. XIX Fig. 7 und 11). In dem mittleren Drittel des Knochens sind die beiden Krapplinien sehr schwach ausgesprochen. Der äussere Krappstreifen wird desto mächtiger, je näher derselbe den Knochenenden liegt. In der Höhe des pilzförmigen Knorpels ist dieser Streifen sehr breit und inten- siv purpurroth gefärbt (Fig. 11b). An der Stelle der an der äusseren Knochenfläche befindlichen Längsfurchen ist derselbe immer mächtiger (Fig. 7e). Die Verstärkung der Krappfärbung und das Breitwerden des äusseren Krappstreifens gegen die Ge- lenkenden zu, sowie an der Stelle der Furchen sind an allen Krappknochen mehr oder weniger zu beobachten. Bei den er- wachsenen Fröschen tritt diese Erscheinung am deutlichsten hervor. Die äussere Krapplinie wird hier auch von der äusseren Knochen- fläche durch eine dünne, ganz farblose Knochenschicht getrennt, welche letztere in den Längsfurchen und besonders gegen die 370 N. Kastschenko: Knochenenden stärker wird (Fig. 7C, Fig. 11a). An einigen Stellen des oberen und unteren Drittels des Knochens bemerkt man eine sehr schwache Färbung der radiärgestreiften Knochenschicht (Fig. 7 e). Die verkalkten Stellen des pilzförmigen Knorpels (Fig. 11g) sind ungleichmässig roth tingirt. Die übrigen Versuchsthiere dieser Gruppe bieten dieselben Krappbilder dar; die Färbung ist aber nicht an allen Thieren gleich intensiv. V. Gruppe. Verschieden alte, 52—89 mm lange, 46 bis 105 Tage mit Krapp gefütterte Frösche, bei welchen die Krappfütterung 7 bis 30 Tage ausgesetzt war (Nr. 16, 25 und 27). Frosch Nr. 25; — 66m lang; — S5tägige Krapp- fütterung und darauffolgende Ttägige Aussetzung der- selben. Makroskopisch ist der Knochen rosaroth gefärbt. An mikroskopischen Querschliffen und nur bei auffallendem Lichte beobachtet man überall die beiden Krapplinien, von denen die äussere gegen die Gelenkenden etwas mächtiger wird. Die radiär- gestreifte Knochenschicht des oberen und unteren Drittels des Knochens ist sehr schwach gefärbt. Die Foramina nutritia sind von rosarothen Säumen umgeben ; der verkalkte Knorpel bietet eine sehr schwache Färbung dar. Frosch Nr. 16; — 52mm lang; — 46tägige Krapp-. fütterung und Il5tägige Aussetzung derselben. Makrosko- pisch ist die Färbung der Tibio-fibula kaum sichtbar. An mikros- kopischen Querschliffen sind die beiden Krapplinien, sowie die Havers’schen Säume an den Foramina nutritia nur auf einer weissen Unterlage bei auffallendem Lichte und schwacher Ver- srösserung zu beobachten. Die übrige Knochensubstanz ist farblos. Frosch Nr. 27; — 89 mm lang; — lO5ötägige Krapp- fütterung, 30tägige Aussetzung derselben. Makroskopisch scheint der Knochen ungefärbt zu sein. An mikroskopischen Quer- schliffen, bei auffallendem Lichte, schwacher Vergrösserung und auf weisser Unterlage ist nur die äussere Krapplinie und zwar kaum sichtbar. Vergleichen wir die Intensität der Krappfärbung an den Knochen der fünf beschriebenen Gruppen, so nehmen wir wahr, dass die Knochen der jungen Frösche (I. und II. Gruppe) nach 3tägiger Krappfütterung schon gefärbt werden, mit der Fort- setzung der Krappfütterung eine etwas intensivere Färbung dar- Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 371 bieten, aber nie eine so intensive Färbung gewinnen, wie die Knochen älterer Thiere, so dass nach einer 54tägigen Krappfütte- rung junger Frösche die Knochen derselben verhältnissmässig ziem- lich blass aussehen. Bei erwachsenen Fröschen (III. Gruppe) färben sich die Knochen viel intensiver, als bei jungen, dech bemerkt man nur einen sehr unbedeutenden Unterschied in der Färbungs- intensität zwischen den Knochen der 8 und der 26 Tage lang mit Krapp gefütterter, zu dieser Gruppe gehöriger Frösche. Bei alten Thieren (IV. Gruppe) gelingt die Färbung auch nicht schleeht und zwar so, dass die alten Froschknochen bezüglich der Färbungs- intensität unter sonst gleichen ‚Verhältnissen zwischen den jungen und ausgewachsenen Knochen stehen, also sich intensiver als die jungen Froschknochen färben. Nach der Aussetzung der Krapp- fütterung werden die Knochen allmählich blasser und endlich ganz decolorirt (V. Gruppe). Vergleichen wir den Frosch Nr. 25, wel- cher nach einer 7tägigen Aussetzung der Krappfütterung unter- sucht wurde, mit den fast gleich langen und fast die gleiche Zeit mit Krapp gefütterten Fröschen (Nr. 24 und 26), so finden wir die Krappfärbung der Knochen bei dem ersteren bedeutend schwächer als bei den beiden letzteren. Will man aber den Frosch Nr. 16, bei welchem die Krappfütterung während 15 Tage ausge- setzt wurde, mit dem ganz gleich langen und die gleiche Zeit mit Krapp gefütterten Frosch Nr. 15 vergleichen, so findet man den Unterschied in der Färbungsintensität so auffallend, dass die De- coloration der Knochen nach der Aussetzung der Krappfütterung kaum irgend einem Zweifel unterliegen kann. Der Frosch Nr. 27, welcher unter meinen Versuchsthieren am längsten, d. h. 105 Tage mit Krapp gefüttert und nach 30tägiger Aussetzung der Krapp- fütterung untersucht wurde, bot an seinen Knochen nur spurweise eine schwache Krappfärbung dar. Bezüglich der Färbungsintensität ist es nothwendig hervorzuheben, dass an jedem Krappknochen ohne Ausnahme, eine diffuse und eine streifige Färbung zu unterscheiden ist. Die erstere bedingt die makroskopisch sicht- bare gleichmässige Färbung der ganzen Knochenmasse, die letztere entspricht den von Strelzoff an Taubenknochen beschriebenen Krapplinien. Was die Verbreitung der Krappfärbung betrifft, so ver- dienen einige der von mir beschriebenen Knochenschichten eine besondere Besprechung. In erster Linie will ich auf die Knochen- 312 N. Kastschenko: schieht aufmerksam machen, welche nach aussen von der äusseren Krapplinie liegt, fast an allen Krappknochen zu beobachten ist, die oberflächliehe Schicht des Knochens bildet und immer farblos erscheint. Da die betreffende Knochenschicht öfters äusserst schmal ist und bei dem Schleifen des Präparats nicht selten abbricht, so kann dieselbe an manchen Präparaten über- sehen werden. Wenn man aber alle diese Verhältnisse berück- sichtigt, so kann man die betreffende Knochenschicht an allen Krappknochen nachweisen. Was die feinere Struktur dieser Knochenschicht betrifft, so verhält sich dieselbe auf verschiedene Weise, je nach der Mächtigkeit derselben. Ist dieselbe sehr schmal (Taf. XX Fig. 16a), so erscheint sie als ein strukturloser, aus schwach lichtbrechender Substanz bestehender Streifen, welcher durch undeutliche und kaum sichtbare, in fast gleicher Entfernung von einander stehende Schatten quer gestreift erscheint. Dieses Aussehen deutet wahrscheinlich auf eine Reihe von Osteoblasten hin, welche ihre zellige Natur verloren haben und in Verschmel- zung begriffen sind. Bietet die in Rede stehende Knochenschicht einige Mächtigkeit dar (Taf. XX Fig. 15a), so ist dieselbe der gewöhnlichen Knochensubstanz sehr ähnlich, mit dem Unterschied, dass die Contouren der Knochenhöhlen etwas verwischt sind, die Ausläufer der Knochenhöhlen ganz fehlen, und die Interzellular- substanz das Licht etwas schwächer bricht, als die des übrigen Knochens. Ich bin zu der Ueberzeugung gelangt, dass diese Knochenschicht, welche ich als osteoide Schicht bezeichne, keine Kalksalze enthält, obwohl es etwas schwierig ist, einen objeetiven Beweis dafür zu liefern. Wegen seiner Feinheit kann dieses Ge- bilde nicht isolirt mit Salzsäure geprüft werden. Setzt man aber einen Tropfen verdünnter Salzsäure dem ganzen mikroskopischen Präparat zu, so beobachtet man, dass die Auflösung der Kalksalze und Bildung der Luftblasen an der äusseren Krapplinie beginnt und gegen den Tubus medullaris fortschreitet, wobei das Licht- breehungsvermögen der betreffenden Knochenschieht nicht verän- dert wird, dasselbe aber an der übrigen Knochensubstanz schwächer und dem der farblosen Knochenschicht ähnlich wird. Da die osteoide Schicht an den entkalkten Präparaten wegen des gleichen Lichtbrechungsvermögens der ganzen Knochensubstanz nieht zu beobachten ist, so habe ich dieses Gebilde in meiner früheren Arbeit, wo ich hauptsächlich entkalkte Knochen untersuchte, über- Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 375 sehen; ich habe aber hervorgehoben, dass dasselbe sich gegen die Farbstoffe anders als die übrige Knochensubstanz verhält {l. e. S. 23). Im Allgemeinen kann man sagen, dass die Mächtigkeit der osteoiden Schicht von der Energie der Knochenbildung ab- hängt. Bei jungen Fröschen, sowie an Knochenenden und Furchen ist dieselbe mächtiger, als bei alten Fröschen und in der Mitte der Diaphyse. Die homogene Knochenschicht, welche der Knochen- höhlen, sowie der Knochenhöhlenausläufer ganz entbehrt, bleibt immer farblos in den Fällen, wo dieselbe zwischen den anderen Knochenschichten liest. Wenn aber dieselbe den Tubus med. un- mittelbar umgibt, so ist ihre Fläche mehr oder weniger intensiv roth gefärbt. Der feine rothe Saum ist nichts anderes, als die innere Krapplinie, von der noch weiter unten die Rede sein wird. Die Färbung dringt aber nie in die Dicke dieser Knochenschicht ein. Diese Beobachtung deutet darauf hin, dass das Vorhandensein der Knochenhöhlenausläufer für die Krappfärbung der Knochen- flächen gar nicht nothwendig ist. Was die Krappfärbung der inneren Knochenterritorien betrifft, so lässt eine direete Beobachtung diese Frage leicht be- antworten. Dass die Färbung nach dem Verlauf der Saftkanäle sich verbreitet, wird am besten durch die strahlenförmige Färbung der radiärgestreiften Knochenschicht in dem mittleren Drittel des Knochens nachgewiesen. Hier sieht man ohne Weiteres, dass die Krappbilder sehr genau der Lagerung der Saftkanäle entsprechen und diese Thatsache ist ohne Ausnahme an allen Krappknochen zu beobachten (III. Gruppe). Die Abwesenheit der Havers’schen Kanäle im oberen und unteren Drittel der Batrachierknochen wird wahrscheinlich durch eine reichliche Entwickelung der Saftkanäle in der radiärgestreiften Knochenschicht (Taf. XX, Fig. 16 f) com- pensirt. Hier ist es nothwendig den Umstand zu erwähnen, dass die Knochenhöhlenausläufer der radiärgestreiften Knochenschiecht spindelförmige Erweiterungen und öfters massenhaft darbieten (Fig. 16 h). Diese Erweiterungen darf man aber nicht für ange- schnittene Knochenhöhlen halten, da dieselben viel kleiner, nur ausschliesslich in der betreffenden Knochenschicht zu beobachten und viel zahlreicher als die Knochenhöhlen sind. An dicken Quer- schliffen kann man dieselben in der Dieke des Knochens sehr deutlich beobachten und sich überzeugen, dass dieselben nie Archiv f, mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 25 374 N. Kastschenko: Knochenkörperchen enthalten. Aehnliche Erweiterungen der Saft- kanäle sind an den Knochenvorsprüngen, wo die Sehnen sich an- heften, nicht selten zu finden. An diesen Stellen sind die Saft- kanäle sehr zahlreich, kurz und spaltförmig, so dass die Knochen- substanz etwas cavernös erscheint und immer mit Krapp gefärbt wird (Taf. XX, Fig. 19 d und 20 e). Die verkalkten Knorpelinseln werden entweder an den Rändern oder in ihrer ganzen Masse diffus gefärbt. Im Allgemeinen findet die erstere Erscheinung in den Fällen statt, wo die ver- kalkten Knorpelstellen homogen aussehen, wenn aber die verkalkte Stelle aus punktförmigen Kalkkrümeln besteht, wird dieselbe diffus gefärbt. Die äussere Krapplinie trennt die osteoide Schicht von der übrigen Knochensubstanz und liegt also nie an der Knochen- fläche. Die mehr oder weniger intensive Färbung dieser Linie wird gegen die osteoide Schicht scharf eontourirt und geht gögen den Tubus med. unmerklich verloren. In dem ganzen Verlauf der äusseren Krapplinie beobachtet man ein dichtes Ge- flecht von feinsten Saftkanälen, deren Lumina rosaroth gefärbt zu sein scheinen (Taf. XX, Fig. 15 und Fig. 16b). In meiner früheren Arbeit glaube ich nachgewiesen zu haben, dass an äusseren Flächen der Batrachierknochen während des ganzen Lebens des Thieres eine Knochenbildung ununterbrochen vor sich seht. Untersucht man die äusseren Knochenflächen junger Frösche (1. und 2. Gruppe), so beobachtet man, dass der Ossificationsprocess in den verschiedenen Höhen derselben fast gleichmässig fortschreitet und dass die äussere Krapplinie überall fast die gleiche Dicke und Farbe darbietet. Etwas anders verhalten sich die Knochen- flächen der ausgewachsenen Frösche (3. Gruppe); hier geht der Össificationsvorgang an den Knochenenden viel energischer, als in der Mitte der Diaphyse vor sich; dem entsprechend ist die äussere Krapplinie an den Knochenenden viel mächtiger, als in der Mitte des Knochens. Die Havers’schen Krapplinien, d. h. diejenigen, welche die Ernährungslöcher umgeben, verhalten sich in allen Beziehungen so, wie die äusseren Krapplinien und werden von der dem Lumen zugekehrten Knochenfläche durch eine feine farblose osteoide Schicht getrennt. In dem ganzen Verlauf der Havers’schen Ueber die Krappfärbkung der Froschgewebe. 375 Krapplinien beobachtet man eine reichliche Entwiekelung der Saftkanäle. Die innere Krapplinie (Fig. 16 ce) ist nie so breit und so in- tensiv gefärbt wie die äussere. Hier findet man fast nie eine nennenswerthe Entwickelung der Saftkanäle. In der Mehrheit der Fälle liegt dieselbe an der Knochenfläche und umgiebt den Tubus med. unmittelbar. Verhältnissmässig selten findet man hier die oberflächliche farblose osteoide Schicht und in manchen Fällen nur stellenweise. Ich habe früher nachgewiesen (l. e.), dass die Knochenbildung an den dem Tubus med. zugekehrten Knochen- flächen sehr oft nur stellenweise stattfindet und manchmal ganz und gar fehlt. Dieser Unterschied in dem Verlauf der elementaren Össificationsvorgänge an der äusseren und inneren Knochenfläche, sowie eine schwache Entwickelung der Saftkanäle an der inneren Knochenfläche kann vielleicht den Unterschied in der Mächtigkeit und Färbungsintensität der äusseren und inneren Krapplinie er- klären; die erstere tritt immer stärker, als die letztere hervor. Da die innere Krapplinie immer continuirlich, nie unterbrochen er- scheint und den Tubus medullaris als ein feiner rother Saum um- gibt, so ist man berechtigt den Schluss zu ziehen, dass die aplasti- schen Knochenflächen auch mit Krapp gefärbt werden. Vergleicht man die von Strelzoff beschriebenen und abge- bildeten sehr complieirten Krappzeichnungen an Taubenknochen mit meinen verhältnissmässig sehr einfachen Krappbildern der Batrachierknochen, so kann man diesen Unterschied wegen des Vorkommens der Havers’schen Kanäle in Taubenknochen sehr leicht begreifen und erklären. Die von Strelzoff beschriebenen Havers’schen Krapplinien sind an den Froschknochen nur an den Foramina nutritia zu sehen. Anstatt parallel verlaufender genereller Krapplinien Strelzoff’s, findet man an Batrachier- knochen nur eine einzige äussere Krapplinie. Um eine ganze Reihe der generellen Krapplinien an Batrachierknochen zu erhalten, müsste man die Frösche wahrscheinlich jahrelang mit Krapp füttern, da diese Thiere sich sehr langsam vergrössern, die Tauben aber in vier Monaten ausgewachsen sind. Aus den von mir beobachteten und in der vorliegenden Schrift niedergelegten Thatsachen bezüglich der Krappfärbung der Frosch- knochen ergibt sich, dass die makroskopisch siehtbare rothe Färbung der Knochen in der That gar nieht gleichmässig in der ganzen 376 N. Kastschenko: Knochenmasse vertheilt ist. Mikroskopisch lassen sich die charak- teristischen Knochenschichten nachweisen, welche immer farblos bleiben (die osteoide und homogene Knochenschicht), wie lange auch die Thiere mit Krapp gefüttert werden mögen. Die gefärbten Knochentheile sind auch nicht gleichmässig gefärbt. Die am in- tensivsten tingirten Stellen treten als rothe Linien hervor, welche immer eine charakteristische und ihnen eigenthümliche Lage be- halten und an allen Krappknochen zu beobachten sind. Selbst die diffuse Färbung der radiärgestreiften Knochenschiehten ist charak- teristisch, da dieselbe an gewissen und immer denselben Stellen strahlenförmig sich verbreitet. Es fragt sich nun, wovon hängt diese Verschiedenheit in der Intensität und der Verbreitung der Krappfärbung ab? Bei einem genauen Studium der Knochenbildung überzeugt man sich, dass, abgesehen von der oberflächlichen osteoiden Schicht, die dem Ver- lauf der äusseren Krapplinie entsprechende Schicht der ächten, d. h. der verkalkten Knochensubstanz die jüngste ist. Gerade an dieser Stelle beobachtet man bei starker Vergrösserung, dass die Kalksalze punktförmig, krümelartig abgelagert werden. Aus den an verkalkten Knorpeln angestellten Beobachtungen kann man schliessen, dass eine punktförmige Ablagerung der Kalksalze für Krappfärbung viel günstiger, als eine homogene ist. Der elemen- tare Verknöcherungsprocess und die punktförmige Ablagerung der Kalksalze gehen nach meinen Beobachtungen gleichzeitig, Hand in Hand, vor sich; die beiden Vorgänge scheinen für die Krapp- färbung der Knochen günstig zu sein. Diese Beobachtung kann auf den Gedanken führen, dass die früheren Ansichten über die Verbreitung der Krappfärbung, nach welchen sich neu abgelagerte Knochenschichten ausschliesslich oder vorzugsweise färben und die Kalksalze in der Krappfärbung eine Rolle spielen, thatsächlich bestätigt werden. Ich glaube aber, dass dem gar nicht so ist. Die radiärgestreifte Knochenschicht, welche bei allen meinen Ver- suchsthieren vor der Krappfütterung unzweifelhaft existirte, fand ich immer mehr oder weniger intensiv roth gefärbt, je nach der Dauer der Krappfütterung. Will man meine Untersuchungen mit denjenigen von Strelzoff vereinigen und die beobachteten Thatsachen verallgemeinern, 80 kann man sich bei mikroskopischen Untersuchungen leicht über- zeugen, dass die im Wachsthum begriffenen und ganz ausge- Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 377 wachsenen Knochen fast gleich intensiv mit Krapp gefärbt werden und dass die Krappbilder in beiden Fällen einander ganz ähnlich sind. Immer findet man die in einiger Entfernung von den Knochenflächen liegenden Krapplinien. Betrachtet man aber die Krappknochen der im Wachsthum begriffenen und die der aus- gewachsenen Thiere makroskopisch, so findet man einen grossen Unterschied: die ersteren scheinen purpur- oder scharlachroth, die letzteren schwach rosaroth oder kaum gefärbt zu sein. Dieser Unterschied wird durch die Mächtigkeit der Knochenbalken und durch die Menge und Breite der Havers’schen Kanäle erklärt. An jungen Taubenknochen sind die durch feine Knochenbalken getrennten Havers’schen Kanäle sehr breit und mikroskopisch von den rothen Krapplinien umgeben, makroskopisch erscheint dieser spongiöse Knochen ganz roth; bei den erwachsenen Tauben sind die engen, kaum ein capillares Blutgefäss durchlassenden Havers’schen Kanäle durch sehr breite Knochenterritorien von einander getrennt und mikroskopisch auch von Krapplinien um- geben. Solche compacte Knochen, makroskopisch betrachtet, sehen ganz blass aus. Da die Batrachierknochen keine Havers’schen Kanäle besitzen und von Anfang au compact sind, so findet man bei der makroskopischen Betrachtung derselben einen solchen Unterschied in der Färbungsintensität zwischen den jungen und den alten Knochen nicht, wie man dies bei Tauben beobachtet. Man muss nicht vergessen, dass gleichzeitig mit der Ab- lagerung der Knochensubstanz und der Sclerosirung derselben eine reichliche Entwickelung der Saftkanäle stattfindet, welche eine reichliche Zufuhr der Nährsäfte und eine intensivere Färbung der betreffenden Stelle begünstigt. Bei Tauben wie bei Fröschen verbreitet sich die Krapp- färbung nach der Richtung der Saftkanäle, und von der mehr oder weniger reichlichen Entwickelung derselben hängt, unter sonst gleichen Verhältnissen, die Intensität der Färbung ab. Dieser Satz ist für alle Wachsthumsstadien der Knochen gültig. Während des Knochenwachsthums bei Tauben findet eine periodisch vor sich gehende Ausbildung dichter Geflechte von Saftkanälen statt, welche parallel der Knochenfläche verlaufen, mit Krapp gefärbt werden und das Entstehen der nach dem Ablauf des Knochenwachsthums makroskopisch sichtbaren rothen Zonen (virole colorde) bedingen. Wegen der Feinheit der Knochenbalken und der reichlichen, perio- 378 N. Kastschenko: disch fortschreitenden Ausbildung der Saftkanäle der im Wachs- thum begriffenen Knochen, liegen die Krapplinien sehr nahe neben- einander und bedingen das makroskopisch siehtbare trügerische Bild, als ob die rothe Zone intensiver als die übrige Knochen- substanz gefärbt wäre. Die mikroskopischen Untersuchungen der wachsenden Krappknochen setzen uns in Stand, die von verschie- denen Forschern aus der makroskopischen Betrachtung der Krapp- knochen gezogenen irrthümlichen Schlüsse zu begreifen und die- selben zu widerlegen. Nun tritt uns eine sehr schwierige Frage entgegen, die Frage über die Betheiligung der Kalksalze an der Krappfärbung. Früher dachte man, dass das Vorhandensein der Kalksalze für die Krapp- färbung eine nothwendige Bedingung und dass der Krappfarbstoff an diese mineralischen Theile gebunden sei. Die an Mollusken angestellten Untersuchungen von E. Heckel!) haben gezeigt, dass die knorpelige Schädelkapsel der Cephalopoden mit Krapp gefärbt wird und die kalkhaltige Schale farblos bleibt. Lieberkühn?) hat Alizarinnatrium in Venen von Hunden und in Lymphsäcke von Fröschen injieirt und gefunden, dass die Weichtheile sehr rasch eine gelbe Färbung gewinnen, welche nach einer kurzen Zeit sich verliert, da der Farbstoff sehr rasch durch den Darm- kanal und die Nieren ausgeschieden wird. Aus den von diesem Autor an Fröschen angestellten Untersuchungen hat sich ergeben, dass, abgesehen von den Knochen, welche eine blaurothe Färbung gewinnen und dieselbe sehr lange behalten, die oberflächlichen Epidermiszellen, Corium und Hautdrüsen ebenfalls roth gefärbt werden. Durch diese meine Untersuchungen glaube ich nun un- zweifelhaft nachgewiesen zu haben, dass die Weichtheile, welche keine Kalksalze enthalten, und einige unter denselben sehr in- tensiv, bei den mit Krapp gefütterten Fröschen roth gefärt werden. An Tauben hat Strelzoff (l. ec.) gezeigt, dass die mit Krapp ge- färbten Knochen nach der Entkalkung ihre rothe Färbung behalten 1) De quelques phönomenes de localisation des matieres minerales et organiques chez les Mollusques, Gasteropodes et Cephalopodes. Compt. rend. T. LXXIX. p. 614. 1875. 2) Ueber die Einwirkung von Alizarin auf die Gewebe des lebenden Körpers. Sitzungsbericht der Gesellschaft zur Beförderung der gesammten Naturwissenschaften zu Marburg. Nr. 3. 1874. Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 379 und den Schluss gezogen, dass der Farbstoff hauptsächlich an die organische Unterlage der Knochen gebunden ist; ob die minerali- schen Bestandtheile sich auch mit dem Farbstoff verbinden, hat er dahingestellt sein lassen. Die von Strelzoff durch die Untersuchung der Taubenknochen herausgebrachten Thatsachen kann ich an Frosehknochen bestätigen. — Sind wir nicht vielmehr berechtigt, die Bedingungen der Krappfärbung in der Beschaffenheit der orga- nischen Unterlage der Knochen und Knorpel zu suchen? Aus den Untersuchungen von Strelzoff!) wissen wir ja, dass das Verhalten der verkalkten und nicht verkalkten Knorpelgrundsubstanz gegen das Hämatoxylin gar nicht dasselbe ist. Aus meinen Beobachtungen geht hervor, dass die osteoide Schicht an entkalkten Knochen sich sanz anders gegen das Karmin verhält, als der ächte Knochen. Wollen wir uns an die Thatsachen halten und den Umstand be- rücksichtigen, dass die Verbindung des Krappfarbstoffs mit den Kalksalzen der Krappknochen von Niemand dargethan worden ist und dass die Färbung der Weichtheile als eine unwiderlegliche Thatsache feststeht, so ist man berechtigt zu vermuthen, dass das Vorhandensein der Kalksalze bei der Färbung der Knochen keine Rolle spielt. Eine intensivere Färbung der krümelig verkalkten Stellen kann durch eine günstigere Circulation der Nährsäfte in denselben erklärt werden. Findet man die von mir angeführten Angaben nicht genügend, um die Frage über die Rolle der Kalk- salze in Krappfärbung entschieden zu beantworten, so muss man nothwendigerweise zugestehen, dass die betreffende Frage ganz offen bleibt. Bezüglich der pathologischen Knochenbildung hat F. Busch?) in der neuesten Zeit an Hunden Krappversuche an- gestellt, aus welchen er die Frage zu beantworten suchte, ob nur die während der Krappfütterung abgelagerte, oder auch die vor der Krappfütterung gebildete Knochensubstanz gefärbt wird. Nach Busch sind die von verschiedenen Forschern aus der Krapp- methode geführten Folgerungen desshalb nicht stichhaltig, weil die 1) Ueber die Histogenese der Knochen. Untersuchungen aus dem pathologischen Institut zu Zürich. Leipzig 1873. 2) Ueber den Werth der Krappfütterung als Methode zur Erkennung der Anbildung neuer Knochensubstanz. Langenbeck’s Archiv für klin. Chirurgie. Bd. XXI. Heft 2. 1877. 380 N. Kastschenko: Autoren nicht genau wussten, welche Knochentheile in einem ge- gebenen Zeitraum neugebildet wurden. Um genau zu wissen, was in dem Knochen neugebildet und was alt ist, hat Busch eine andere Methode angewandt; er hat ausgewachsene Hunde, bei denen er auf experimentalem Wege (durch chirurgische Eingriffe) eine reichliche pathologische Knochenbildung hervorrief, mit Krapp gefüttert. Die fünf Versuche haben folgende Resultate ergeben: in drei Fällen war der alte Knochen farblos, der neugebildete Callus „biass und matt“ gefärbt. In dem vierten Falle fand er die alte Knochensubstanz farblos, den Callus intensiv roth gefärbt, wobei die oberflächliche Knochenschicht des Callus „auffallend heller“ war, als die tieferen Callussehichten. Endlich in dem fünften Versuche bot die neugebildete Knochensubstanz eine in- tensive rothe Färbung dar, zu gleicher Zeit waren der alte Knochen um die Havers’schen Kanäle rosaroth gefärbt. Aus diesen Be- funden schliesst der Autor, dass die in dem fünften Versuche be- obachtete, die Havers’schen Kanäle umgebende Knochensubstanz auch neugebildet, da dieselbe roth sei. Man kann leicht einsehen, dass Busch denselben Fehler gemacht hat, dem er zu entgehen suchte, indem er nichts weniger als nachgewiesen hat, dass die die Havers’schen Kanäle umgebenden Knochenschichten während der Krappfütterung abgelagert wurden. Eingehende feinere Unter- suchungen fehlen in der Arbeit von Busch ganz und gar; man kann nicht aus seinen Angaben ersehen, was eigentlich an dem Callus gefärbt ist. Man kann nur so viel wissen, dass der während der Krappfütterung neugebildete Callus, bei makroskopischer Be- trachtung, viel intensiver als die alte Knochensubstanz gefärbt zu sein scheint. Ganz zufällig fand ich einen 82 mm langen Frosch (Nr. 13), welcher eine geheilte, in der Mitte der rechten Tibio-fibula sich befindliche Knochen fractur mit einem haselnussgrossen, knoehen- harten Callas darbot. Nach der 36 Tage langen Krappfütterung ist der Callus an mikroskopischen Querschliffen untersucht worden, wobei es zu bemerken ist, dass seine Grösse und Consistenz ganz unverändert geblieben sind. In der Mitte des Callus (Taf. XX, Fig. 18) beobachtete man die quergeschnittenen Fraeturenden des Knochens in Gestalt zweier gegenüber liegender Halbringe (a, a), zwischen denen zwei verschieden grosse, mit Knochenmark aus- sefüllte Knochenmarkhöhlen vorhanden waren. Aussen sind die Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 381 beiden Halbringe von Callusgewebe umgeben, welches sich zwischen dieselhen hineinschiebt, dieselben zusammenhält und die beiden Knochenmarkhöhlen von einander trennt. Die Fracturenden und der Callus haben ein ganz verschiedenes Aussehen: Indem die ersteren aus einer ganz compacten Knochensubstanz bestehen, er- scheint der Callus spongiös, aus Knochenbalken und Markkanälen bestehend. In der Nähe der Fracturenden sind die Knochenbalken des Callus (b, b) viel mächtiger und die Markkanäle enger, als gegen die Peripherie desselben. Die peripherischen Knochenbalken, deren Vorsprünge ganz knorpelig sind (ec, e), enthalten stellenweise verkalkte Knorpelreste. Die beschriebene spongiöse Knochenneu- bildung ist von einem feinen, continuirlichen, compaeten Knochen- ring (d) umgeben. Studirt man das Callusgewebe etwas genauer, so überzeugt man sich aus dem vor sich gehenden Ossifications- process, dass der Callus ursprünglich knorpelig war. Der Ver- knöcherungsvorgang geht hier metaplastisch vor sich, gerade so, wie ich es an den Gelenkenden der Batrachierknochen beschrieben habe (l. e.); nach der vorausgehenden Canalisation und partiellen Verkalkung des Knorpels wandelt sich der letztere direet in Knochen um, wobei von den Markräumen aus noch eine geringe Anbildung von Knochensubstanz intramedullär stattfindet. Das Detail des elementaren Ossificationsvorganges ist hier dasselbe, wie bei der normalen Verknöcherung der knorpelig präformirten Batrachier- knochen. Der metaplastisch ossifieirte knorpelige Callus entspricht der endostalen Knochensubstanz der normalen Knochen; — ausser- dem ist hier auch periostaler Knochen vorhanden; dies ist der oben erwähnte, den knorpelig präformirten Callus umgebende, von dem Periost aus neoplastisch gebildete Knochenring (d). Derselbe wird von dem metaplastisch gebildeten endostalen Knochen durch die perichondrale Grenzlinie getrennt und besitzt auch eine zwar sehr feine, aber bei genauer Untersuchung deutlich sichtbare homogene Knochenschicht. Es ist interessant zu beobachten, dass alle die von mir beschriebenen charakteristischen Architeeturelemente der normal wachsenden Batrachierknochen bei der pathologischen Knochenbildung wieder zu finden sind. Jetzt gehe ich zu den Krappbildern des betreffenden Knochens über. Makroskopisch ist der ganze Knochen schwach rosaroth und der Callus intensiv purpurroth gefärbt. Bei makroskopischer Be- trachtung des quergeschnittenen Callus (Taf. XX Fig. 17) scheint 382 N. Kastschenko: das Callusgewebe diffus und gleichmässig roth gefärbt, die Fraetur- enden erscheinen aber farblos. Untersucht man das Callusgewebe an Querschliffen mikroskopisch (Fig. 15), so findet man, dass die rothe Färbung nur an den Rändern der Knochen- und der ver- kalkten Knorpelbalken, sowie an der äusseren Fläche des den Callus umgebenden Knochenrings vorhanden ist und an der übrigen Knochensubstanz ganz und gar fehlt. Was aber die Fraeturenden betrifft, wird hier auch der Knochen an seinen freien Flächen ge- färbt. Die Färbung erscheint immer in Gestalt von den schon an normalen Knochen beschriebenen Krapplinien. Es ist leicht zu begreifen, dass der makroskopisch sichtbare Unterschied in der Färbungsintensität der Fracturenden einerseits und des dieselben umgebenden Callus andererseits durch den Umstand bedingt wird, dass die ersteren aus einer compacten, der letztere aber aus einer spongiösen Knochensubstanz besteht. Da die in dem Callusgewebe verlaufenden Krapplinien sehr zahlreich sind und in mikroskopi- scher Entfernung von einander liegen, so summiren sich die ge- gefärbten Knochenstellen und bedingen die makroskopisch zu be- obachtende intensive diffuse rothe Färbung des Callus. In meinem Versuche war der Callus vor der Krappfütterung vorhanden; der- selbe ist nicht dadurch intensiver als der alte Knochen gefärbt, dass derselbe während der Krappfütterung in Bildung begriffen gewesen wäre, — dies ist hier gar nicht der Fall, — sondern dadurch, dass seine Knochensubstanz, ihrer Struktur nach, in gün- stigeren Verhältnissen für den Zutritt der mit dem Farbstoffe im- prägnirten Nährsäfte sich befindet. Die intensivere Färbung des Callus in den Versuchen von Busch wird durch die oben angeführten Betrachtungen vollkon- men erklärt und die ausschliessliche Färbung der während der Krappfütterung abgelagerten Knochensubstanz ist von Busch gar nicht nachgewiesen. Was die Zuverlässigkeit der Krappmethode für die Beur- theilung des Knochenwachsthums betrifft, so unterliegt es keinem Zweifel, dass die aus einer makroskopischen Betrachtung der Krappknochen geführten Schlüsse werthlos sind und dem gegen- wärtigen Stand der Wissenschaft nicht entsprechen. Selbst eine eingehende mikroskopische Untersuchung der Krappknochen kann nur dann Dienste leisten, wenn man die Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 385 Knochen in verschiedenen Entwickelungsstadien untersucht, wobei die Krappmethode nur als ein Hülfsmittel dienen kann. Aus den in der vorliegenden Arbeit niedergelegten Beobach- tungen glaube ich folgende für die Krappfärbung der Froschgewebe gültige Schlüsse ziehen zu dürfen: 1. Der Krappfarbstoff tritt in das Blut- und Lymphgefäss- system des Thieres ein, durchtränkt alle seine Gewebe, färbt die- selben mehr oder weniger intensiv roth und wird durch die Harn- organe ausgeschieden. 2. Die am intensivsten gefärbten Gebilde sind: a) die sieb- föormige Schicht der Cutis, b) die Dotterkörner des Eiprotoplasmas, e) die nicht näher erörterten, in den Gallengängen zu beobachten- den Körper und d) die organische Unterlage des Knochen- und verkalkten Knorpelgewebes. Ob der Farbstoff, wenigstens zum Theil, auch an die Kalksalze gebunden wird, muss dahingestellt bleiben. 3. Die Krappfärbung der Froschgewebe nimmt mit der Fort- setzung der Krappfütterung bis zu einer gewissen Grenze an In- tensität zu, dann bleibt sie in Statu quo stehen, wobei es hervor- zuheben ist, dass die Färbung erwachsener und alter Frösche besser als junger gelingt. 4. Nach der Aussetzung der Krappfütterung geht die Krapp- färbung der Gewebe verloren. 5. Bei der makroskopischen Betrachtung der Krappknochen scheinen dieselben in ihrer ganzen Masse durch und durch, mehr oder weniger intensiv, roth gefärbt zu sein. Mikroskopisch unter- scheidet man eine diffuse und eine streifige Färbung. Die diffuse Färbung nimmt hauptsächlich die radiärgestreifte Knochenschicht ein, wobei zu bemerken ist, dass das obere und untere Drittel derselben diffus und gleichmässig, das mittlere aber diffus und strahlenförmig gefärbt ist. Die streifige Färbung stellt sich in Gestalt rother Linien (Krapplinien Strelzoff’s) dar, welche in einiger Entfernung von den Knochenflächen verlaufen und immer eontinuirlich sind. 6. Die diffuse sowie die streifige Färbung wird durch eine noch nicht näher bekannte Beschaffenheit der organischen Unter- lage, durch eine mehr oder weniger reichliche Entwickelung, An- ordnung und Verlaufsrichtung der Saftkanäle bedingt. Je reich- licher die Saftkanäle entwickelt sind, desto intensiver wird die 384 N. Kastschenko: Färbung, und dieser Satz ist für die Knochenflächen, sowie für die inneren Knochenterritorien gültig. 7. Die äussere, osteoide Schicht bleibt immer farblos, unab- hängig davon, ob dieselbe an der äusseren Knochenfläche oder in dem Canalis nutritius sich findet. 8. Die der Saftkanäle und Knochenhöhlen entbehrende homo- gene Knochenschicht bleibt ungefärbt. 9. Pathologische Knochenneubildungen (Callus) verhalten sich gegen die Krappfärbung in allen Beziehungen ähnlich wie die nor- malen Knochen. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XIX—XX. Die Abbildungen sind (die Figuren 4, 5, 13, 14 und 17 ausgenommen) mit der Camera lucida von Hartnack gezeichnet. Fig. 1. Ein senkrechter Durchschnitt der Cutis des Krappfrosches Nr. 20. Syst. 5 von Hartnack. a Epidermis, b Drüsenschicht, e siebförmige Schicht, d Derma, e subeutanes Zellgewebe, f weisspigmentirte Zellen, g schwarzpig- mentirte Zellen, h Drüsen, i trichterförmige Vertiefung der sieb- förmigen Schicht, k verbindende Bündel. Fig. 2. Ein Querschnitt durch die Mitte der Tibio -fibula vom Krappfrosch Nr. 8. Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage unter- sucht. Syst. 2 von Hartn. a Canalis nutritius, b Tub. medullaris, e osteoide Schicht, d Foramina nutritia accessoria, e, e Geflechte von strahlenförmigen Saftkanälen (roth), f äussere Krapplinie, g innere Krapplinie. Fig. 3. Ein Querschliff an der Grenze zwischen dem oberen und mittleren Drittel der Tibio-fibula vom Krappfrosch Nr. 15. Bei auffallendem Lichte und weisser Unterlage untersucht. Syst. 2 von Hartn. A, B Knochenmarkhöhlen, a knöchernes Septum, b äussere Krapp- linie, ec innere Krapplinie, d gefärbte mittlere (radiär gestreifte) Schicht des periostalen Knochens, e homogene Knochenschicht, f, g perichondrale Grenzlinie. Fig. 4. Aeussere Fläche der Tibio-fibula vom Krappfrosch Nr. 11. 2'/, mal vergrössert. A vordere Seite, B hintere Seite, a Foramen nutritium anterius, Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. 6. 10. Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. 385 b Foramen nutritium posterius, ce obere Längsfurche, d untere Längsfurche, e oberer pilzförmiger Knorpel, f unterer pilzförmiger Knorpel. Innere Fläche desselben Knochens. A vordere Hälfte, B hintere Hälfte, a Canalis nutritius, b ein- facher Tubus medullaris, c, e doppelter Tubus medull., d oberes Septum, e unteres Septum. Ein Querschliff' durch das mittlere Drittel der Tibio-fibula vom Krappfrosch Nr. 2. — Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht. Syst. 3 von Hartn. A Tubus medullaris, a äussere Krapplinie, b innere Krapplinie, e osteoide Schicht. Ein Querschliff durch das obere Drittel der Tibio-fibula vom Krapp- frosch Nr. 3. Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht. Syst. 1 von Hartn. A Knochenmarkhöhle, B Septum, C, C vordere und hintere Längs- furche, a äussere Krapplinie, b innere Krapplinie, e mittlere (radiär gestreifte) Schicht des periostalen Knochens, d homogene Knochen- schicht, e stark entwickelte äussere Krapplinie in der Längsfurche, f perichondrale Grenzlinie. Ein Querschliff an der Grenze zwischen dem oberen und mittleren Drittel der Tibio-fibula vom Krappfrosch Nr. 19. Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht. Syst. 2 von Hartn. A Tubus medullaris, a äussere Krapplinie, b innere Krapplinie, ce perichondrale Grenzlinie, d Septum. Cutis von der inneren Seite des Schenkels vom Krappfrosch Nr. 20. Bei auffallendem Lichte und auf schwarzer Unterlage untersucht, von der Fläche betrachtet. Syst. 4 von Hartn. a weisspigmentirte Zellen, b schwarzpigmentirte Zellen, e Löcher der siebförmigen Hautschicht. Ein Querschliff durch das mittlere Drittel der Tibio-fibula vom Krappfrosch Nr. 18. Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht. Syst. 2 von Hartn. A Tubus medullaris, a äussere Krapplinie, b innere Krapplinie, ce gefärbte Knochenhöhlen, d, d perichondrale Grenzlinie. 1l. Ein Querschliff durch den pilzförmigen Knorpel des Tibio -fibula vom Krappfrosch Nr. 3. Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht. Syst. 2 von Hartn. A Knochenmarkhöhle, B Knochenwand, a osteoide Schicht, b äussere Krapplinie, e innere Krapplinie, d perichondrale Grenzlinie, e Periosteum, f nicht verkalkter Theil des pilzförmigen Knorpels, eg verkalkter Knorpel. . Eierstock vom Krappfrosch Nr. 22. Syst. 5 von Hartn. A ein älteres Ei, a Vitellus, b Keimbläschen, e Dotterkörner, B jüngere Eier. ie. 15. ie. 19. 13. . 14. Zu yE ig. 18, 20. N. Kastsehenko: Ueber die Krappfärbung der Froschgewebe. Schema der Tibio-fibula im Anfang ihrer Entwicklung. a, a prä- formirte Knorpel. Li N iostaler Knocl Bern periostaler Knochen, d Stelle, wo kein Knochen gebildet wird. Schema der Tibio-fibula bei weiterer Entwickelung derselben. a, a Knorpel, b, b Knochenwand, e knöchernes Septum, d Tubus medullaris im Beginn der Knorpelzerstörung. Das in Fig. 6 abgebildete Präparat, bei durchfallendem Lichte, mit Immersionssystem 9 von Hartn. untersucht. a osteoide Schicht, b äussere Krapplinie. Das in Figur 3 abgebildete Präparat, bei durchfallendem Lichte betrachtet. Syst. 7 von Hartn. A Knochenmarkhöhle, a osteoide Schicht, b äussere Krapplinie, ce innere Krapplinie, d endostaler Knochen, e homogene Knochen- schicht, f mittlere (radiär gestreifte) Schicht des periostalen Knochens, g gefärbte Knochenhöhlen, h Erweiterungen der Saftkanäle, i peri- chondrale Grenzlinie. Ein Querschnitt durch den Callus der Tibio-fibula vom Krappfrosch Nr. 4. Natürliche Grösse. Die farblosen halbmondförmigen Figuren in der Mitte des Callus sind die Fraeturenden des Knochens. Dasselbe Präparat, fein geschliffen, bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht, 10 mal vergrössert a, a Fracturenden des Knochens, b, b, b Knochenbalken des Callus, ce, €, e nicht ossifieirte Knorpelinseln, d periostaler Knochenring. Ein grober Querschliff der Tibio -fibula vom Krappfrosch Nr. 21. Bei auffallendem Lichte und auf weisser Unterlage untersucht. Syst. 2 von Hartn. A Tubus medullaris, a äussere Krapplinie, b innere Krapplinie, c perichondrale Grenzlinie, d gefärbte Stelle eines Knochenvor- sprunges der Tibio-fibula. Dasselbe Präparät, fein geschliffen. Bei durchfallendem Lichte unter- sucht. Syst. 4 von Hartn. A Tubus medullaris, a äussere Krapplinie, b innere Krapplinie, ce quergeschnittene Saftkanäle, d längsgeschnittene Saftkanäle, e perichondrale Grenzlinie, f homogene Knochenschicht, & mittlere (radiär gestreifte) Schicht des periostalen Knochens. Justus Carri£re: Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc, 387 Die Fussdrüsen der Prosobranchier und das Wasser- gefäss-System der Lamellibranchier und Gastropoden. Von Justus Carriere. Privatdocent der Zoologie in Strassburg. ‚Hierzu Tafel XXI, XXH, XXIII Betrachtet man die Fusssohle einer Nassa mutabilis, viel- leicht des gemeinsten Prosobranchiers im Golfe von Neapel, wäh- rend sie an der Wandung eines Glasgefässes kriecht, so fällt dem Beobachter sotort eine kleine helle Stelle auf, welche in der Medianlinie dicht hinter den Lippen des Fusses liegt, und sich von der dunklen Farbe der Fusssohle deutlich abhebt. Dieser halbmondförmige Fleck erscheint bei genauer Betrachtung mit der Lupe als der etwas wulstige Rand einer Oeffnung, welche in das Innere des Fusses führt. Diese Beobachtung, welche man nicht nur bei Nassa, sondern auch bei vielen anderen Schnecken — besonders schön bei Fasus Syracusanus — machen kann, ist allerdings nicht neu. Schon delle Chiaje hatte sie gemacht und die Oeffnung ist in der Wissenschaft bekannt als Porus aquaticus!), da delle Chiaje annahm, dass durch sie Wasser in den Körper des Thieres ein- geführt würde. Wie wir aus der neuesten Auflage von Claus Lehrbuch der Zoologie 1882 ersehen, gilt diese Ansicht bis heute, ein Umstand, der nur dadurch zu erklären ist, dass sich in den letzten 20 Jahren kein Zoologe mit der feineren Anatomie des Fusses dieser Schnecken beschäftigt hat. Durch eine frühere Untersuchung?) war ich gleichsam ge- 1) Bronn: Klassen und Ordnungen des Thierreiches. Bd. III. p. 896, 976, Taf. LXXXI, Fig. 2, 3, Taf. LXXXV, Fig. 3. 2) Carri@re: Die Drüsen im Fusse der Lamellibranchiaten. Arbeiten aus dem zool. zoot. Institut Würzburg. Bd. V. 388 Justus Carriere: zwungen worden, diesem Verhältnisse meine Aufmerksamkeit zu- zuwenden. Denn als ich gefunden hatte, dass die Oeffnungen in der Fusskante der Muscheln Drüsenmündungen sind, lag nichts näher als der Gedanke, es könne sich mit dem „Wasserporus“ der Schnecken ähnlich verhalten. Und ein paar Schnitte, welche ich damals (1879) durch den Fuss von Conus mediterraneus machte, überzeugten mich von der Richtigkeit dieser Annahme. Erst im Frühjahr 1881 war es mir vergönnt, auf der zoologischen Station in Neapel meine Beobachtungen an lebenden Thieren anzustellen und meine Untersuchungen auf eine grössere Anzahl von Familien und Arten auszudehnen. Das auf's Beste eonservirte Material be- gann ich nach meiner Rückkehr in Strassburg. zu bearbeiten und führte die Untersuchung in München zu Ende; Herr Professor Kupffer hatte mir hier zu diesem Behufe trotz der sehr be- schränkten Lokalitäten, über welche er verfügen konnte, in seinem histologischen Institute einen Arbeitsplatz eingeräumt, wofür ich ihm zu innigem Danke verpflichtet bin. Methode der Untersuchung. Die hier mitgetheilten Resultate wurden auf folgende Weise gewonnen. Von den Schnecken, welche ich auf der zoologischen Station in Neapel in mehreren Aquarien hielt, that ich eine kleinere Anzahl verschiedener Gattungen in ein kleineres, aber weites Glassgefäss mit Wasser und beobachtete zunächst die lebenden Thiere. Während diese an den Wänden herumkrochen, konnte ich die Sohle mit unbewaffnetem Auge sowie mit der Lupe genau untersuchen und auch mittelst eines von Aussen an die Glaswand angelegten Maassstabes Messungen auf der Sohle aus- führen. Wollte ich dann einen Fuss zur weiteren Untersuchung zubereiten, so fasste ich das Gehäuse des Thieres — bei grösseren Schnecken mit den Fingern der linken Hand, bei kleineren mit einer Pincette — und zog es leise, aber stetig von der Wandung ab, so dass der Zug senkrecht auf den Fuss wirkte. Nur in sehr wenigen Fällen liessen die Thiere bei der ersten Berührung sofort ihren Halt fahren und sich zu Boden fallen. In der Regel war die Wirkung des ruhigen Anzuges die, dass die Schnecken sich mit der Fusssohle fest an die Wand des Gefässes ansogen und indem ich den Zug stetig wirken liess, weit aus dem Gehäuse Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 389 heraustraten. Dann durchsehnitt ich mit einer scharfen Scheere auf einen Schlag die Muskeln, welche den Fuss mit dem Körper verbinden; dabei war die Schnittriehtung meistens so, dass Kopf und Fühler mit am Fusse blieben. Den abgetrennten Fuss brachte ieh dann in eine schwache, ungefähr Us °%ige Chromsäure-Lösung und suchte Verkrümmungen desselben mit Fingern und Pincette zu verhüten, was auch in der Regel gelang. Nachdem ich die Chromsäure je nach der Grösse des Fusses verschieden lange Zeit hatte einwirken lassen — höch- stens 6—8 Stunden — brachte ich das Präparat zunächst auf kurze Zeit in ea.50 °/sigen, dann in 70 P/sigen Alkohol und verfuhr weiter in der gewöhnlichen Weise, um den vorderen Theil des Fusses in Serien von Quer- oder Längsschnitten zu zerlegen. Dabei war mir der Gebrauch der Luftpumpe, welchen ich auf der Station in Neapel kennen gelernt hatte, von grossem Nutzen. Die dieksten und massigsten Stücke, deren Durchtränkung mit Nelkenöl und dann mit Paraffın sonst viele Tage erfordert hätte, wurden unter der Luftpumpe in wenigen Stunden sehnitt- fähig. Vor allem wichtig bei so massiven Stücken ist die sichere und vollständige Verdrängung des Nelkenöles durch flüssiges Paraffin, die mit der Luftpumpe in kürzester Zeit erzielt wird. Ich färbte entweder vor dem Schneiden in toto, namentlich bei kleineren T'hieren, mit Pikrokarmin, oder ich färbte die ein- zelnen Schnitte. Letzteres ist allerdings sehr zeitraubend, bietet aber den Vortheil, die Wirkungen der verschiedensten Farbstoffe unmittelbar nebeneinander beobachten zu können. So gebrauchte ich namentlich abwechselnd Pikrokarmin, Fuchsin und Cochenille- tinktur, und lernte in letzterer ein vortreffliches Reagens auf Schleimdrüsen und Becherzellen kennen. In ersteren werden die Körnehen des Zellinhaltes schwarz, in letzteren der homogene In- halt der Zellen gleichmässig grau gefärbt, genau wie es auf Fig. 14a und b abgebildet ist, während die Kerne röthlich hervor- treten. Auch Doppelfärbungen, namentlich mit Cochenilletinktur und Pikrokarmin, waren mir in vielen Fällen von Nutzen. — Um eine unmittelbare Vergleichung der Abbildungen untereinander zu er- möglichen, sind die Zeiehnungen auf Taf. XXI und XXII mit dem 20 24 1 ui entworfen, die histologischen Zeichnungen auf Taf. XXIII alle mit Seibert Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. 21. 26 Zeichenprisma ziemlich in gleichem Verhältnisse 390 Justus Carriere: Objeetiv V und dem Oberhäuser’schen Zeichenapparat und immer bei derselben Höhe des Zeichentisches angefertigt. Zur Ausführung der Zeichnungen diente Seibert Objeetiv VII b, Oeular 1. Ehe ich mich zu dem Gegenstande dieser Abhandlung wende, halte ich es für zweekmässig, einige Worte über die äussere Ge- stalt des Fusses der Schnecken zu sagen. Im Allgemeinen, nament- lich wenn das Thier ausgestreckt kriecht, erscheint der Fuss, be- ziehungsweise die Fusssohle, als ein gleichschenkliges, spitzwink- liges Dreieck, dessen Basis der Vorderrand bildet. Bei vielen Thieren, wie z. B. bei Nassa mutabilis, Marginella glabella (Fig. 1D, Fig. 12), ist das auch noch an dem in Chromsäure und Alkohol conservirten Fusse zu erkennen. Bei anderen, wie Conus, Fusus Syraeusanus, Fasciolaria lignaria ete. (Fig. 51, Fig. 7 B) stellt der Umriss der Sohle schon an dem lebenden Thiere mehr ein läng- liches Viereck dar, dessen beide Längsseiten namentlich bei den eonservirten und im Absterben eontrahirten Füssen nicht conver- giren, sondern einander parallel laufen. Wir unterscheiden an den Füssen der Prosobranehier also den Vorderrand, die beiden Seitenränder und das Hinter- ende, welches entweder zugespitzt oder abgestumpft ist. Der Vorderrand ist durch einen Spalt in zwei übereinander liegende Lippen getrennt, von denen die dorsal gelegene oder obere die untere ventrale meist um ein geringes, manchmal aber auch be- deutend überragt (Fig. 1D, Fig. 7B, o und u). In der Median- linie der Fusssohle hinter den Lippen und meist nur wenig (Fig. 6), zuweilen aber auch ziemlich weit — bis zu 6 mm — (Fig. 3) von ihnen entfernt, sieht man bei vielen Thieren eine rundliche oder ‘ovale Stelle von I—2 mm Durchmesser, welche sich meist durch eine von der Grundfarbe der Sohle abweichende hellere Färbung kenntlich macht. In diesem Fleek kann man dann mit der Lupe eimen bis zu 2 mm langen Spalt, welcher gewöhnlich einfach der Länge oder der Quere nach gestellt ist, zuweilen aber auch diese Form — ı — zeigt (Fusus Syracusanus, Triton cor- rugatus) erkennen. Doch tritt diese Oeffnung nieht immer hervor; so konnte ich z.B. auf der dunkelrothen Fusssohle von Faseiolaria lignaria ebensowenig etwas davon wahrnehmen. wie bei einzelnen Exemplaren von Triton corrugatus, während an denselben Füssen nach ihrer Abtödtung in Chromsäure diese Oeffnungen leicht kenntlich wurden. An den auf diese Weise behandelten Schneckenfüssen Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 391 sind sie überhaupt bedeutend auffallender als bei dem lebenden Thiere, indem während des Absterbens wahrscheinlich durch die Einwirkung der Chromsäure auf die Muskulatur die Ränder der Spalte weit auseinander treten und sich dabei in Gestalt kleiner Wülste etwas über die Oberfläche der Sohle erheben. Was die von mir in der nachfolgenden Beschreibung ge- brauchten Ausdrücke wie „oben“, „unten“ ete. betrifft, so orientire ich mich an dem Fuss immer so, dass ich mir die kriechende Schnecke von oben betrachtet denke. „Vorne“, „hinten“ ist also in der Richtung nach dem Vorder- beziehungsweise Hinter-Ende zu gelegen, „unten“ ist die ventrale oder distale, „oben“ die dorsale oder proximale Fläche des Fusses ete. Nach diesen kurzen, einleitenden Sätzen beginne ich sogleich mit der Beschreibung der drüsigen Organe des Fusses, um dann die Literatur in einem späteren Abschnitte zu behandeln. Ich werde die Organe in der Reihenfolge behandeln, wie sie im Fusse hintereinander liegen und desshalb den Anfang mit der Lippen- drüse machen. Das Vorhandensein dieser Drüse wurde schon von Keferstein!) vermuthet, ohne dass er wegen der noch un- genügenden Methoden jener Zeit sie nachweisen konnte. Die Lippendrüse. Die Lippendrüse ist bei allen von mir untersuchten Schnecken nach demselben Schema gebaut und ihre Gestalt ist bedingt dureh die Form des Organes, welchem sie eingelagert ist. In Folge dessen ist sie in ihrem vorderen Theile, welcher in den Lippen des Fusses liegt, breit und flach, indem sie die Lippen fast voll- ständig erfüllt. Zu beiden Seiten erstreckt sieh die Drüse meist nicht viel weiter nach hinten, als die Lippen selbst reichen. Der mittlere Theil dagegen ragt in Form eines dieken, am Ende kegel- förmig zugespitzten Cylinders weiter in den Fuss hinein, so dass die Gestalt des ganzen Organes am besten mit einem Pistolen- halfter verglichen werden kann. Der vordere Theil der Drüse mündet direkt in den Spalt zwischen den beiden Lippen, der hintere in den von ihm umgebenen ziemlich engen Kanal, welcher genau in der Medianlinie des Fusses, mit leichten Krümmungen in 1) Bronn: Klassen und Ordnungen. Bd. III. Abth. II. p. 894. 392 Justus Carriere: der Vertikalebene, bis zum Ende der Drüse verläuft. Fig. 3 B und C, sowie Fig. 2 A und B erläutern diese Verhältnisse in einfachster Weise. Fig. 3 stellt zwei Querschnitte durch den Vorderrand des Fusses von Conus mediterraneus und einen sagittalen Längs- schnitt in der Medianlinie des Fusses dar. Fig. 3 B, ein Quer- schnitt dieht hinter der Verwachsungslinie der beiden Lippen, lässt den Spalt fast seiner ganzen Breite nach erkennen, in seiner sanzen Ausdehnung von der Drüse umgeben. Der andere, C, etwas weiter nach hinten zu gelegen, zeigt uns den eylindrischen Theil der Drüse, und ziemlich in seiner Mitte den Kanal, welcher sich von dem Spalt aus in ihn erstreckt. In Fig. 2 sind zwei Längs- schnitte durch den Fuss von Nassa cornieulum wiedergegeben, der eine, B, ist gegen den Seitenrand des Fusses zu gelegen und zeigt nur den Spalt, während der andere, genau in der Medianebene liegend, den vom Spalt ausgehenden Kanal in seiner ganzen Länge getroffen hat. Diesen Kanal kann man als Sekretbehälter be- trachten, wenn man den Spalt zwischen den Lippen als Ausfüh- rungsgang nimmt, um so mehr, als er nieht immer in der ganzen Länge von gleichem Durchmesser ist, wie bei Conus (Fig. 3 A), sondern öfters bald gegen den Anfang, bald gegen das Ende hin ausgebaucht und erweitert ist. Keferstein!) hatte ganz recht, wenn er aus der vom übrigen Fusse verschiedenen Struktur der inneren Seite der Lippen auf eine Art drüsiger Bildungen in denselben schloss; er sah auch die Drüsenzellen, ohne sie als solche zu erkennen, — „schöne runde, kernhaltige Zellen, wie sie als Bindegewebe bei den Schnecken vorkommen.“ Mit diesen Worten sind die Drüsenzellen, sowie man sie am frischen Objeete oder mit Karmin gefärbten Schnitte sieht, ganz treffend charakterisirt; denn man erkennt meist nur den Kern, vom übrigen Inhalt der Zelle fast nichts, wie es Fig. 2 A B und E und Fig. 17 und 18 A zeigen. Wendet man dagegen Cochenille-Tinktur an, so erscheint die Zelle mit kleinen schwarz gefärbten Schleimkügelehen erfüllt. Die deutlichsten Bilder über die Gestalt und Anordnung der Zellen erhält man aber mit Fuchsin (Fig. 3 A, B, C). Dieses färbt den ganzen Inhalt dieser Schleimzellen tief roth und macht so die Zelle in ihrer ganzen 1) Bronn: Klassen und Ordnungen des Thierreiches. Bd. III. Abth. II. pag. 894. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 393 Ausdehnung sichtbar. Die scheinbar runden Zellen erweisen sich als die kugeligen Kolben von Retorten-förmigen Zellen, deren Hals je nach der Lage der Zelle direkt oder auf Umwegen dem Spalte oder dem Sekretbehälter zustrebt und zwischen den Epithel- zellen hindurch in ihn ausmündet, und zwar ohne mit den Secret- gängen anderer Zellen sich zu vereinigen. Auf diese Weise er- langen natürlich die Zellen eine sehr bedeutende Länge, 0,5 mm und darüber. 3ei den Muriciden findet in Bezug auf die Reaktion gegen die oben erwähnten Farbstoffe eine Abweichung in der Art statt, dass die Zellen von Fuchsin leicht bläulich, dagegen stark roth von Pikrokarmin gefärbt werden. In der Vorderkante der oberen Lippe findet sich meist ein Complex von Drüsenzellen, welche anscheinend zu der Lippendrüse gehören, aber durch andere Färbung bei Anwendung von Tinktionen (heller bei Anilinfarben, dunkler bei Pikrokarmin) sich ziemlich scharf von der Hauptmasse der Drüse abheben. Fig. 1 und 5A a, Fig. 17 a (Conus, Nassa). Eine zweite Anhäufung von Drüsenzellen wird bei Färbung mit Pikrokarmin oder Cochenilletinetur — und zwar wenn über- haupt, dann immer an einer bestimmten Stelle — durch stark rothe Farbe sichtbar, am häufigsten in der oberen Lippe (Fig. 4 A b), zuweilen auch in der unteren (Fig. 6 A b.) Am stärksten ausge- bildet und am deutlichsten treten diese Zellen häufig in der Ober- lippe derjenigen Prosobranchier auf, welche keine „Drüse der Fusssohle“ besitzen, wie Littorina ete., und regelmässig finden sie sich als gelbbraune Zellen in der unteren Lippe von Murex. Das Epithel, welches den Spalt und den Kanal auskleidet, ist immer von dem sonstigen Epithel des Fusses verschieden. Es besteht aus Cylinder-Flimmerzellen, welehe aber niedriger sind, als die der Fusssohle und nur ausnahmsweise trifft man zwischen ihnen Becher- oder Schleimzellen an. Häufig ist auch das Epithel der Spalt-Seite der Unterlippe und das des Kanals in der Weise ver- schieden, dass das erstere von kürzeren und dickeren, das letztere von dünneren und höheren Zellen gebildet wird. Bei einzelnen dunkel gefärbten Schnecken, wie Littorina und Conus, erstreckt sich das Pigment bis in die Tiefe des Kanales, während für ge- wöhnlich schon der Spalt pigmentlos ist. Die Abweichungen, welche die Lippendrüsen der verschiedenen 394 Justus Carriere: Familien von einander aufweisen, beschränken sich im Allgemeinen auf die geringere oder bedeutendere Grösse der Zellen, welche stets im Einklange steht mit der Ausbildung der übrigen Gewebe. Die Untersehiede in dieser Beziehung sind ziemlich bedeutend — Fig. 16, 17 und Fig. 18 A und B sind nach derselben Vergrösse- rung gezeichnet. Die grössten Kerne und Zellen in den Geweben des Fusses fand ich bei Faseiolaria lignaria und bei Columbella seripta, einer der kleinsten Schnecken, die ich untersuchen konnte. Ueber das Verhältniss der Muskulatur zu der Drüse wäre Fölgendes zu bemerken. Von den grösseren Muskelbündeln, welche in den Fuss eintreten, läuft eines nach vorne und inserirt sich an dem hinteren Ende und den Seitenwandungen des Kanales. Andere Muskelfasern ziehen sich von der Fusssohle zur Rückenfläche oder ziehen von diesen beiden Seiten her zu dem Kanal. Auf diese Weise wird ein Netzwerk gebildet, zwischen dessen Maschen die Zellen der Drüse — meist zu mehreren — eingebettet sind. Ich gebrauchte dafür früher den Ausdruck „Nester“ von Drüsenzellen. Bei Austritt des diekflüssigen, zähen Secretes — es füllt bei den in Chromsäure abgetödteten und in Alkohol konservirten Füssen den ganzen Kanal und erscheint meist zwischen den Lippen zu einem dünnen, breiten Bande ausgezogen — scheint ein ziem- licher Druck von Seite dieser Muskeln ausgeübt zu werden. Dafür würde wenigstens der Umstand sprechen, dass in dem Sekret fast immer Zellkerne sich finden, welche mit demselben durch die engen Kanäle zwischen den Epithelzellen hindurchgetrieben und bei dieser Gelegenheit sehr in die Länge gezogen und verschmälert wurden. Wie ich schon oben bemerkte, färbt Fuchsin (mit Ausnahme der Murieiden) den Inhalt der Zellen der Lippendrüse so stark, dass dieselben undurchsiehtig werden, während Karmin dieselben meist ebensowenig färbt wie Fettzellen. Da nun dieses Verhalten des Fuchsins charakteristisch ist für mucöse Drüsen, so erlaubt uns die Reaktion des Farbstoffes wohl einen Schluss auf die Be- schaffenheit des Sekretes der Lippendrüse zu ziehen. Einen Punkt muss ich noch erwähnen — es ist das der un- gemeine Reichthum an grösseren und kleineren Ganglien, welche in den vorderen Theil der Lippendrüse eingebettet sind und durch Kommissuren untereinander in Verbindung stehen. Ich werde bei Gelegenheit noch darauf zurückkommen. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 395 Die Drüse der Fusssohle. 1—5 mm hinter den Lippen des Vorderrandes und immer in der Medianlinie der Sohle des Fusses liegt die Mündung dieser -Drüse, bald mit unbewaffnetem Auge erkennbar, bald auch mit der Lupe nicht zu sehen. Am leichtesten ist sie aufzufinden bei den Thieren, deren Fuss intensiv gefärbt ist, wie bei Fusus, Conus, Nassa ete., denn bei diesen ist die Mündung, welche meist die Gestalt eines feinen kurzen Spaltes hat, gewöhnlich von einem Hofe heller gefärbter oder ganz pigmentloser Epithelzellen umgeben, und man kann aus der Anwesenheit einer solchen Stelle in der Medianlinie der Fusssohle sofort auf das Vorhandensein der Drüse schliessen. In vielen anderen Fällen bemerkt man die Mündung nur, wenn sie geöffnet ist, und manchmal wird sie erst bei dem Absterben des Fusses in Chromsäure sichtbar. Nicht an dem lebenden Thiere, wohl aber an den gehärteten und conservirten Füssen tritt eine wallartige Erhöhung hervor, welche die Mündung umgibt, und je nachdem dieselbe von einem Quer- oder einem Längsspalte gebildet wird, ist auch der Wall quer oder längs zur Fusssohle gestellt. Manchmal ist dieser Wall kaum bemerkbar, manchmal erhebt er sich allmählich wie bei Conus (Fig. 3 A w), dann aber steigt er auch zuweilen schroff und steil in die Höhe wie bei Nassa und Triton (Fig. 1 und 4 w). Was nun die Drüse selbst betrifft, so erscheint sie in dem einfachsten Falle als eine mit einem Belag von Drüsenzellen ver- sehene Einstülpung des Epithels, wie bei Fusus Syracusanus. In- dem die Wandung der Drüse gelegentlich der Oberflächenvergrös- serung sich mannigfach faltet, treten dann complieirtere Formen auf, wie die Drüsen von Conus oder Nassa, welche immerhin mit den ersteren einen Grundtypus erkennen lassen. Nach einem sanz abweichenden Schema sind die Drüsen der Murieiden ge- bildet. In allen mir bekannt gewordenen Fällen ist die Drüse bila- teral-symmetrisch gebaut. Das tritt nun in dem einen Falle mehr, in dem andern weniger deutlich hervor (die Querschnitte in Fig. 1, 2, 3, 4, 6,7, 8 von Nassa, Triton, Pisania, Faseiolaria und Murex können als Typen der verschiedenen Formen gelten), ist aber nie zu verkennen. Ist die Drüse stark verästelt, so besitzt sie wohl 396 Justus Carricere: am Vorder- und am Hinterende je ein Paar kurzer zipfelförmiger Fortsätze, wie das ein Querschnitt durch den Anfang der Drüse von Nassa mutabilis Fig. 1 B zeigt. Was die Ausdehnung der Drüse nach den verschiedenen Dimensionen betrifft, so ist dieselbe in einem Falle, bei Fusus Syracusanus, (Fig. 5 A und B) eine gleichmässige. Quer- und Längsschnitt geben hier dieselben einfachen Bilder. In den meisten anderen Fällen überwiegt die Breite und Tiefe bedeutend gegen die Höhe. Vielfach erstreckt sich die Drüse im Fusse schräg nach oben und hinten, doch nimmt sie auch zuweilen eine fast horizon- tale Lage an, wie bei Pisania maculosa (Fig. 6 A), oder eine mehr vertikale, wie bei Murex erinaceus und Edwardsi (Figur 9 A und 10 A). Während bei der Mehrzahl dieser Drüsen die Entwiekelung der Falten immer nach Aussen zu geht, so dass die Peripherie der Drüse eine meist grosse Anzahl mannigfacher, aber im Allge- meinen symmetrischer Vorsprünge zeigt, ist bei den Murieiden das Gegentheil der Fall. Hier geht die Faltenbildung nur nach Innen zu vor sich, so dass die Drüse von Aussen gesehen einer glatten, länglichen Blase gleicht, und an der Aussenseite eine bila- terale Symmetrie nicht wahrzunehmen ist. Dagegen ist dieselbe im Innern der Drüse deutlich ausgeprägt, wie ein Blick auf die in den Figg. 8 B und C, und 10 C abgebildeten Querschnitte be- weist. Man sieht da in dem vorderen Theile der Drüse beider- seits eine hohe Falte und in dem mittleren und hinteren Theile dessgleichen einen Wulst in das Lumen der Drüse vorspringen, und so ist auch hier die Drüse nach zwei Seiten symmetrisch entwickelt. Betrachten wir die Drüse hinsichtlich ihrer mikroskopischen Struktur, so müssen wir auch nach dieser zwei Gruppen bilden, von denen eine als die bedeutend grössere der anderen, bis jetzt nur von den Murieiden gebildeten gegenüber steht. Alle Haut-Drüsen !), welehe bis jetzt von Lamellibranchiern und Prosobranchiern bekannt sind, und mag ihre Masse und ihr Um- fang ein noch so bedeutender sein, sind nur einzellige Drüsen oder Anhäufungen gleichartiger einzelliger Drüsen zu einer grösseren Drüsenmasse. Das heisst in einer, aus einer be- 1) Ich möchte unter dieser Bezeichnung die hier beschriebenen Drüsen mit den Byssusdrüsen zusammenfassen im Gegensatz zu Darm- und Ge- schlechtsdrüsen. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 397 liebigen Anzahl von Zellen bestehenden Drüse ergiesst eine jede Drüsenzelle ihr Sekret direkt und ohne sich mit Nachbarzellen zu vereinigen, in den Sekretbehälter oder den Ausführungsgang. So sind auch hier die in Frage stehenden Drüsen der ersteren Gruppe gebildet. Eine mehr oder weniger diehte und hohe Schicht von Drüsenzellen umgibt den Sekretbehälter, weleher mit Cylinderflimmerzellen ausgekleidet ist. Das Epithel des Sekret- hehälters ist immer abweichend von dem der Fusssohle gebaut (vgl. Fig. 19—23 mit Fig. 30-35). Mit einer Ausnahme, Pisania maculosa (Fig. 22), ist es in allen anderen Fällen niedriger als dasselbe und besteht fast immer nur aus Cylinder-Flimmerzellen, welche unter Umständen so niedrig werden können, dass sie eher als eubische Zellen zu bezeichnen wären. Nur in wenigen Fällen finden sich vereinzelte Schleimzellen (Fusus Syracusanus) und noch seltener regelmässig abwechselnd mit den Flimmerzellen Becher- zellen wie bei Pisania maculosa. Die Drüsenzellen selbst zeigen je nach den Familien, welchen die Thiere angehören, Verschiedenheiten in Bezug auf Grösse, Gestalt und gegenseitige Stellung, und man kann in der ersteren Haupt- gruppe die Nassaceen den übrigen Gliedern der Gruppe als kleinere Abtheilung gegenüberstellen. In dieser Familie stehen die kolben- törmigen Zellen so dicht aneinander, dass man die Form der ein- zelnen Zellen nicht genau erkennen kann, und färben sich weder mit Karmin noch mit Fuchsin oder Cochenille- Tinktur intensiv (Pig. 19). Die andere viel allgemeinere Form der Drüsenzellen ist die deutlich kolben- oder keulenförmige. Wie die Abbildungen Fig. 20—23 zeigen, kann dabei die Verschiedenheit der Drüsen nach den einzelnen Familien eine recht beträchtliche sein, je nachdem die Zellen grösser oder kleiner sind, einander näher oder entfernter stehen, dann vor allem je nach ihrem Verhalten gegen Farben- stoffe, nach der Grösse des Kernes und nach dem Gefüge des Zellinhaltes, welcher sich als ganz fein- bis sehr grobkörnig er- weisen kann. Die Drüse wird von zahlreichen Muskelfasern durchsetzt, unter denen erstens radiäre zu unterscheiden sind, welche von allen Seiten her senkrecht auf die Peripherie der Drüse zustreben (Fig. 22 und 23), zweitens und drittens Muskelfasern, welche zwischen den Drüsenzellen und dem Epithel, dicht über dem letzteren, als 398 Justus Carriere: Längs- und Quermuskeln verlaufen. Die radiären Muskeln zer- theilen die Drüsenzellen in einzelne Gruppen. Gang abweichend gestalten sich die Verhältnisse bei den Murieiden. Hier findet sich, wie oben erwähnt, an Stelle der verästelten eine blasenförmige Drüse von völlig verschiedenem histologischem Bau. Es lassen sich hier nicht ein Epithel des Sekretbehälters und darüber gelegene Drüsenzellen unterscheiden, sondern Epithel und Drüse ist eines, indem die Drüse aus langen, geschichteten Cylinder-Flimmerzellen besteht (Fig. 24). Auch die Beziehung der Drüse zur Muskulatur ist eine ganz andere. Während die nach Aussen verästelten Drüsen von Muskel- fasern ganz durchsetzt und durchwoben, ja die einzelnen Zellen oft förmlich in die Muskulatur eingebettet sind, ist der Zusammen- hang der blasenförmigen Muriciden-Drüse mit der Muskulatur ein viel lockerer. Die radiären Muskelfasern fehlen hier gänzlich, und die Drüse liegt lose in einem gleichgestalteten Hohlraume zwischen den Muskeln des Fusses, nur durch vereinzelte Muskel- fasern in ihrer Lage erhalten, so dass auf Querschnitten sehr häufig die Drüse aus dem Fusse herausfällt, und zwar oft aus einer ganzen Anzahl aufeinanderfolgender Schnitte. — Bei vielen Muri- ciden liegt unmittelbar hinter dieser Drüse eine zweite, welche breit und tief, aber sehr flach (niedrig) ist, und deren Mündung nahezu so breit als die Drüse selbst ist. Die Zellen dieser letzteren Drüse sind keulenförmig, ihr Lumen ist mit niedrigen Cylinder-Flimmerzellen ausgekleidet, und sie ist von Radiär-, Längs- und Quermuskeln ebenso durchflochten, wie die verästelten Drüsen der ersten Gruppe. Im Gegensatz zu der Lippendrüse ist das Sekret der Drüse der Fusssohle dünnflüssig. Bei Nassa mutabilis versuchte ich eine Prüfung desselben mit Lakmuspapier und erhielt auch eine, allerdings sehr schwach saure Reaktion. Da aber die Versuche in dem natürlicher Weise mit Säuredämpfen aller Art erfüllten grossen Arbeitsraume der zoologischen Station in Neapel ausge- führt wurden, so glaube ich ihnen einstweilen keinen Werth bei- legen zu dürfen, bis nicht neue Versuche unter den nöthigen Vorsichtsmassregeln angestellt sind. Was die gegenseitige Lage der Lippendrüse und der Drüse der Fusssohle betrifft, so liegt zwar der vordere und seitliche Ab- schnitt der Lippendrüse immer vor der Drüse der Fusssohle; der Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 399 mediane cylindrische Theil aber kann vor, über oder unter der- selben liegen. Der letzte Fall ist mir bis jetzt am seltensten vor- gekommen, und zwar stark ausgeprägt nur bei Marginella glabella. In dem Fusse der Prosobranchier gibt es bekanntlich grosse Blutgefässe, und der Hauptstamm derselben verläuft meist in der Medianebene des Fusses und erstreckt sich mit seinen Verzwei- gungen nach vorne bis zu den Drüsen der Lippe und der Fuss- sohle. Auf den Längsscehnitten von Murex trunculus, Fusus Sy- racusanus und Tritonium cutaceum (Fig. 9A, 5A, 4A) ist der- selbe besonders gut zu sehen, und die Zeiehnungen erläutern auf diese Weise zugleich den Weg, auf welchem durch den „Porus aquaticus“ das Blutgefässsystem injieirt wurde. Die Drüse der Fusssohle konnte ich bis jetzt bei folgenden Thieren beobachten: Trivia pulex, Tritonium eutaceum und corru- satum, Conus mediterraneus, Defrancia purpuracea, Marginella glabella, Pisania maculosa, Fusus Syracusanus, Pseudomarginella leptopus und platypus, Nassa corniculum, pygmaea und mutabilis, Murex trunculus, brandaris, erinaceus, KEdwardsi, cristatus und Columbella rustica? Dagegen fand ich sie nicht bei Buceinum undatum, Columbella seripta, Littorina littoralis, Euthria cornea, Cerithium vulgare, Fusus? rostratus, Nassa inerassata und bei Trochus, Turbo, Natica und Nerita. Das Epithel des Fusses. Ehe ich zu der Beschreibung der einzelnen Drüsen übergehe, möchte ich noch ein paar Worte über das Epithel des Fusses sagen. In den meisten Fällen, vielleicht allgemein, besteht das Epithel der Sohle des Fusses bei den Prosobranchiern aus Flimmer- und Becherzellen, welche abwechselnd stehen, so dass auf Quer- und Längsschnitten immer auf eine Becherzelle eine Flimmerzelle, dann wieder eine Becherzelle, und so weiter, folgt, wie dies in Fig. 30 A und B (von Faseiolaria lignaria) besonders deutlich zu sehen ist. Figur 30 A stellt die Flimmerzellen von der schmalen, 30 B von der breiten Seite gesehen dar. Die Kerne der Flimmer- zellen stehen meistens in der Mitte der Zellen, die der Becher- zellen liegen mehr oder weniger deformirt auf dem Boden der- selben. Zuweilen, wie bei Pisania maculosa, sind die ziemlich 400 Justus Carri6re: grossen Kerne der Becherzellen nicht geschrumpft, sondern kugelrund. Das Epithel der Aussenseite der oberen Lippe trägt denselben Charakter, wie das der Fusssohle. Bei Columbella seripta, welche in allen Geweben verhältnissmässig sehr grosse Kerne besitzt, zeichnen sich auch die Becherzellen der oberen Lippe durch solche aus. Eine etwas abweichende Form des gemischten Epithels sehen wir bei Tritonium eutaceum (Fig. 31). Hier liegen die kugeligen Kerne der Becherzellen nicht am Boden, sondern zwischen dem ersten und zweiten Dritttheil der Zellen. Die Zeichnung ist der Deutlichkeit halber einer Stelle entnommen, an welcher die Zellen sehr breit waren, Im Allgemeinen sind sie viel schmaler, unge- fähr wie die Epithelzellen der Drüse der Fusssohle von Pisania maculosa (Fig. 22). Interessant dürfte die Beobachtung sein, dass das Epithel der Fusssohle bei den Prosobranchiern auf das genaueste mit dem Trachea-Epithel des Menschen und anderer Wirbelthiere überein- stimmt. — Bei den Flimmerzellen ist immer zwischen den Cilien und dem protoplasmatischen Körper der Zelle ein ziemlich breiter, gestreifter Saum vorhanden; über diesem und am Grund der Cilien läuft ein schmaler Streifen, welcher sich mit Fuchsin sehr stark färbt — ich möchte ihn für Schleim halten, welcher sich da ange- setzt, falls er nicht doch dem Saume angehört. Die dorsalen und lateralen Flächen des Fusses sind nur mit einem einfachen Cylinder- Epithel ausgekleidet, ohne Flimmern und meist ohne Becherzellen; dagegen finden sich darin öfters vereinzelte Schleim- oder Sekret- zellen, welche sich durch ihren körnigen Inhalt von den homogenen Beeherzellen unterscheiden, und ziemlich an allen Stellen des Fusses vorkommen können. In einzelnen Fällen, wie bei Fusus Syraeusanus und den Tritonen kommen auch noch Becherzellen auf der dorsalen Fläche des Fusses vor, stehen dann aber nicht so regelmässig wie auf der Fusssohle. Fig. 30 b stellt ein Stück des Cylinderepithels von Mitrella seripta dar, welches pigmentirt ist. Die Pigmentkörnchen liegen nur in der vorderen Hälfte der Zelle, während die hintere ausser dem Kern noch klares mit Karmin leicht roth gefärbtes Proto- plasma besitzt; die gleiche Anordnung findet sich auch bei den Epithel-Pigmentzellen anderer Prosobranchier. Die Kerne der in Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 401 den Geweben des Fusses vorkommenden Zellen besitzen nur selten — mit Ausnahme der Lippendrüse — 1—2 grössere Kernkörper- chen (Fig. 17 und 18), sondern enthalten an deren Stelle meist eine grössere Menge kleiner Körnehen, welche theils in verschie- dener Weise gruppirt, theils durch den ganzen Kern gleichmässig vertheilt sind (Figg. 16, 24, 32). In Cylinderzellen findet sich öfters, und am deutlichsten bei Euthria eornea (Fig. 33) die An- ordnung, dass die Körnchen oder Körperehen im Kerne nur in der Längsachse desselben dieht aneinandergereiht stehen. Aechnlich — wenn auch nicht so regelmässig gebaute Kerne findet man in den Geweben verschiedener Prosobranchier, und im dorsalen und lateralen Epithel des Fusses von Fusus Syracusanus, Faseiolaria lignaria, 'Tritonium eutaceum. In den Zeichnungen Figg. 20—25 fallen sehr dunkle, ver- schiedenartig gestaltete, manchmal runde, oft hantelförmige Körper auf, welche bisweilen auch langgestreckt sind (Fig. 25 a). Die- selben kommen auch massenhaft zwischen den anderen Geweben des Fusses vor und ich kann sie nur für Blutkörperchen halten, welche, während sie in Bewegung waren, von der eindringenden Chromsäure zum Theil getödet wurden, ehe sie sich kontrahiren konnten. Mit Karmin färben sie sich wenig oder gar nicht, da- gegen sehr intensiv mit Fuchsin. In dem folgenden Abschnitte habe ieh die Thiere ohne Rück- sicht auf ihre Stellung im Systeme nur nach den in Bezug auf die Drüse der Fusssohle aufgestellten Gruppen auf einander folgen lassen, so dass zunächst die grosse erste Gruppe mit der Unter- abtheilung Nassa, und dann die zweite Gruppe, Murex, beschrieben werden, und beginne mit Nassa mutabilis. Bei jedem einzelnen Thiere stelle ich vor den Befund der mikroskopischen Untersuchung die kurze Bemerkung, welche ich bei der Beobachtung des lebenden Thieres seinerzeit aufge- zeichnet habe. Nassa mutabilis. Fig. 1 A—D. Der Umriss der Fusssohle bildet ein langes spitzes Dreieck, von dessen hinterem, etwas abgestumpften Ende zwei contraktile oder einziehbare Tentakel ausgehen. Der Vorderrand des Fusses 402 Justus Carricre: ist durch eine ziemlich seichte Spalte in zwei übereinander liegende Lippen getheilt. „Bei den lebenden Thieren bemerkt man 2 mm hinter der Lippe in der Medianlinie der dunklen Sohle einen hellen, pigment- freien, halbmondförmigen Fleck, dessen eoncave Seite nach den Lippen zu gestellt ist. An einem Fusse von 3,5 em Länge betrug die Breite der hellen Stelle 1,5 mm, die Höhe 1 mm.“ Wurden die Thiere in Chromsäure abgetödtet, so trat an Stelle des hellen Fleckes eine viereckige Oeflnung mit waulstigen Rändern auf (Fig. 1 D). Die Lippendrüse ist ungefähr 2,3 mm lang bei nicht ganz 1,5 mm Querdurehmesser des eylindrischen Abschnittes. Sie besteht aus zwei deutlich gesonderten Abtheilungen, deren vordere, in der Spitze der Oberlippe gelegene (a) sich mit Karmin stärker, mit Fuchsin dagegen bedeutend schwächer färbt als die Hauptmasse der Drüse. Vereinzelte Drüsenzellen, welche, wie die Reaktion gegen die Farbstoffe beweist, zu der vorderen Abtheilung gehören, münden auch auf der dorsalen Seite der oberen Lippe aus (Fig. 1A a‘). InFig. 15 sind zwei derartige dicht nebeneinander- gelegene Zellen abgebildet. Die Drüse der Fusssohle ist geweihförmig stark verzweigt und auffallend deutlich bilateral-symmetrisch. Von der Mündung der Drüse an, aber weiter nach innen zu, erstreekt sich noch beiderseits der Lippendrüse und etwas ventral von ihr ein Zipfel der Fusssohlendrüse ziemlich weit nach vorne, und nach hinten zu endet sie ebenfalls in zwei solchen, aber kürzeren Hervorragungen. Der Querschnitt 1 B, welcher wie der Pfeil 1 Ban dem Längssehnitt zeigt, ziemlich dureh das Ende der Lippendrüse geht, zeigt die beiden vorderen Zipfel sehon ziemlich gross und nur noch durch eine schmale Brücke von Muskulatur von einander getrennt. Der Schnitt C, in der Riehtung des Pfeiles 2 C geführt, geht durch die Mündung der Drüse, und zeigt die Falte x sowie zwei seitliche Falten, welche in den Sekretbehälter hineinragen, auf dem Querschnitt. Das Epithel dieser Drüse besteht aus ganz niedrigen, fast eubischen Oylinder-Flimmerzellen, welehe kaum den dritten Theil so hoch sind wie die Epithelzellen der Fusssohle. (Das Epithel Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 403 der Fusssohle ist auf der Zeichnung nur ganz schematisch ange- geben; es stimmt genau mit dem von Nassa corniculum (Fig. 2A) gezeichneten überein.) Die Drüse (Fig. 19 von Nassa eornieulum entspricht im All- gemeinen auch der Drüse von Nassa mutabilis) selbst besteht aus mehreren Schichten langer, kolbenförmiger Zellen, welche zwischen den Epithelzellen ausmünden und deren Zellinhalt sieh mit Pikro- karmin und mit Fuchsin nur wenig färbt und ziemlich homogen erscheint. Nur stellenweise kann man kleine helle Körnchen darin wahrnehmen. Nassa eornieulum. Fig. 2 A—D, Fie. 16, Fig. 19. „An dem lebenden Thiere ist ca. 1 mm hinter den Lippen in der Medianlinie der Fusssohle ein gelblicher Fleck wahrzu- nehmen.“ Während der Bau der beiden Drüsen ganz mit Nassa muta- bilis stimmt, zeigt das Verhältniss ihrer gegenseitigen Lage inso- fern einen kleinen Unterschied, als bei Nassa cornieulum die Drüse der Fusssohle etwas weiter nach vorne gerückt ist und mehr horizontal nach hinten verläuft; daraus folgt, dass die Fusssohlen- Drüse hier unter der Lippendrüse liegt, während sie bei Nassa mutabilis sieh mehr vertikal in den Fuss erstreckt und so hinter der Lippendrüse gelegen ist. Die abgebildeten Längsschnitte, welehe, soweit es der kleine Maassstab, in welehem sie entworfen sind, gestattete, treue Copien sind, zeigen, dass das Hinterende der Lippendrüse hier schwach entwickelt ist und die Zellen in schmalen Streifen zwischen den Muskeln vertheilt sind. Die Zellen der Lippendrüse (Fig. 16), welche ziemlich klein sind, färben sich mit Pikrokarmin stark und bilden so eine Aus- nahme; dabei haben sie ein fein granulirtes Aussehen. Ihre runden Kerne zeichnen sich dureh die Anordnung der in ihnen enthaltenen Kern ?-Körperchen aus, welehe nicht gleichmässig vertheilt sind, sondern hauptsächlich in der Mitte und an der Peripherie stehen. Die Zellen der Fusssohlendrüse (Fig. 19) färben sich mit Pikrokarmin roth und das Sekret leicht gelblich. Die Kerne sind oval und die Zellen mehr eylinder- als kolbenförmig, und kürzer als die von Nassa mutabilis. 404 Justus Carricre: Das Lumen der Drüse ist mit einem sehr niedrigen Cylinder- Flimmerepithel ausgekleidet, dessen ovale Kerne im Verhältniss zu den Zellen sehr gross sind. Die Verhältnisse des Epithels der Fusssohle zu dem der beiden Drüsen und das Aussehen des ers- teren sind auf den Längsschnitten Fig. 2 A und B ziemlich genau ' dargestellt. Fig. 2C entspricht einem Querschnitt durch den Anfang der Mündung der Drüse der Fusssohle in der Gegend des Pfeiles 1 C. Fig. 2D einem solchen nahe dem Ende der Drüse, entsprechend dem Pfeile 2 D. Beide Schnitte erläutern den bilateral- symme- trischen Bau der Drüse der Fusssohle und gleichzeitig das Ver- hältniss derselben zu der Lippendrüse. Wegen des übereinstim- menden Baues der Drüse bei Nassa mutabilis und Nassa cornieu- lum habe ich die von beiden abzubildenden Schnitte so ausgewählt, dass sie sich gegenseitig ergänzen. Nassa pygmaea. „Ungefähr 1 mm hinter den Lippen ist auf der Fusssohle eine kleine Oeffnung zu bemerken.“ Diese Spezies stimmt im Bau der Drüse so vollkommen mit den beiden oben geschilderten überein, dass ich von einer näheren Besprechung derselben absehen kann. Die Richtung und Lagerung der beiden Drüsen ist die gleiche wie bei Nassa cornieulum, mit dem kleinen Unterschiede, dass die Lippendrüse nicht bis zum Ende der Drüse der Fusssohle reicht, sondern schon früher endigt. Triton eorrugatus und Tritonium eutaceum. Fig. 4 A—C. Da diese beiden Formen die einzigen waren, bei welchen der histologische Bau der Drüse der Fusssohle mit dem von Nassa Aehnlichkeit zeigte, so lasse ich die Beschreibung derselben sich hier anschliessen. „Während ich an den ersten beiden Exemplaren vom Triton corrugatus, welche ich beobachtete, weder mit blossem Auge noch mit der Lupe eine Oeffnung oder eine sich durch abweichende Färbung auszeichnende Stelle auf der Fusssohle sehen konnte, be- merkte ich an dem dritten Thiere 5-6 mm hinter den Lippen Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 405 eine ca. 1,5 mm breite Querspalte, welche bei dem Abtödten in Chromsäure als weitere Oeffnung hervortrat. Bei einem vierten Thiere fand ich an derselben Stelle eine dreitheilig gespaltene Oeffnung von der Gestalt eines A. Tritonium eutaceum besitzt 5—6 mm hinter den Lippen einen Querspalt, un- gefähr 1,5 mm breit, genau wie Triton corrugatus“, wesshalb ich nur den Fuss des ersteren abbilden liess (Fig. 4 ©). Bei dem einzigen Exemplare von Triton nodosus, welches ich lebend beobachtete, konnte ich keine Oeffnung im Fusse sehen, woraus natürlich nicht folgt, dass keine vorhanden sei. Die beiden ersteren Species haben so viel zusammen gemein, dass ich wohl eine gemeinsame Schilderung derselben geben darf. Die Lippendrüse ist im Anfange sehr stark entwickelt, und der mediane Theil derselben, dessen Peripherie auf dem Quer- schnitte nicht wie sonst gewöhnlich einen Kreis, sondern mehr ein Viereck bildet, ist um einen weiten Kanal herumgelagert. Sie besteht aus grossen Zellen mit kleinem Kern, die Farb- stoffen gegenüber das charakteristische Verhalten zeigen. Der mittlere Theil der Drüse reicht kaum halbwegs bis zu der Spalte in den Fuss hinein und endet weit vor Beginn der Drüse der Fusssohle, liegt also vor derselben. Die Drüse der Fusssohle ist verästelt, aber lange nicht so stark wie bei den Nassaceen, wie sie denn auch in der sonstigen Entwickelung hinter diesen zurück- steht. Im Verhältniss zu der Grösse des Thieres ist sie als auf- fallend klein zu bezeichnen. Die Zellen, von welchen sie zusammengesetzt wird, sind keulenförmig, nicht besonders hoch, aber sehr dicht gestellt, und färben sich stark mit Fuchsin, wenig mit Karmin. In Figur 4B ist die Form der Drüse von Triton corrugatus, etwas hinter der Mündung, auf dem Querschnitt dargestellt. Als Ergänzung dieses Querschnittes diene ein sagittaler Längs- schnitt durch den Fuss von Tritonium eutaceum (Fig. 4 A). In der im übrigen nur ganz schematisch angegebenen Lippen- drüse tritt eine Partie stärker gefärbter retortenförmiger Zellen in der unteren Lippe hervor, welche ihr Sekret nieht in den Spalt, sondern dieht hinter demselben auf die Fusssohle ergiessen. Man kann hier vortrefflich verfolgen, wie das Sekret in dem lang ausgezogenen schlauchförmigen Theil der Zelle (dem Hals der Retorte) nach den Epithelzellen hin und zwischen ihnen hindurch Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 21. 27 406 Justus Carriere: austritt. Die längsten dieser Zellen sind mit dem Ausführungsgang ungefähr 1 mm lang; die nur wenig verzweigte und sehr kleine Drüse der Fusssohle besteht aus einer niedrigen Schicht von kleinen Zellen, ähnlich wie sie oben von Fusus corrugatus beschrieben wurden. Sehr auffallend ist bei den Tritonen das sehr hohe Epithel des Fusses. Wie in den meisten anderen Fällen besteht es aus alternirend gestellten Becher- und Flimmerzellen. Während sonst aber die Kerne der Schleimzellen auf dem Grunde des Bechers liegen, befinden sie sich hier an der Grenzlinie zwischen dem ersten und zweiten Dritttheil der Länge der Zelle (Fig. 33). Das Lumen der Drüse ist mit einem hohen Flimmerepithel ausgekleidet und ebenso ist das Epithel der Lippendrüse kaum niedriger als das der Fusssohle. Auf der dorsalen Seite des Fusses besteht das Epithel aus hohen Cylinder- und Becherzellen. Conus mediterraneus. Fig. 3 A—D. Fig. 17, Fig. 20. Mit Conus beginnt die Reihe der Formen, welche sich in Bezug auf die Struktur der Fusssohlendrüse ziemlich scharf von Nassa und ähnlichen unterscheiden. Während sie dort aus einer Menge kleiner dicht aneinander gelagerter Zellen besteht, ist sie hier aus langen, kolbenförmigen Zellen zusammengesetzt, welche nicht dieht nebeneinander, sondern mehr vereinzelt stehen und durch die zahlreich auf die Drüse zulaufenden Muskelfasern von einander getrennt, beziehungsweise zu kleinen Gruppen vereinigt werden. „An dem lebenden Thiere sieht man ungefähr 2 mm hinter den Lippen einen kleinen Längsspalt, umgeben von einer etwas helleren, ovalen Zone.“ Die Lippendrüse besteht aus den bekannten hellen grossen Zellen mit kleinem Kern, mit Ausnahme des vordersten Theiles in der oberen Lippe (Fig. 3 A, a); die Zellen desselben färben sich mit Pikrokarmin und mit Fuchsin, mit letzterem Farbstoffe aber — mit Ausnahme der Kerne — nur sehr schwach. Die Haupt- masse der Drüse färbt sich mit Pikrokarmin gar nicht, und lässt nur eine sehr dichte, ziemlich feine Körnelung in den sonst wasser- Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 407 hellen Zellen erkennen, welche, wie schon Eingangs erwähnt, durch Fuehsin undurehsichtig blauroth werden. Sowohl in dem vorderen als dem hinteren Theil der Drüse enthalten die Zellen — nament- lich in der Nähe des Kernes — vereinzelte Pigmentkörner. Fig. 17, welche der Grenze der beiden Abtheilungen der Drüse entnommen ist, gibt eine klare Anschauung dieser Verhältnisse nach einem Pikrokarminpräparate. Zwei Punkte sind es, welche hier an der Lippendrüse auf- fallen. Einmal der, dass der Kanal der Lippendrüse bis an sein tieftes Ende mit schwarz pigmentirten Zellen ausgekleidet ist, ein Umstand, dem wir übrigens noch bei einigen anderen dunkel ge- färbten Schnecken begegnen werden. Der zweite ist eine Ein- senkung in der Mitte der dorsalen Wand des Kanals (Fig. 4B und C, b), welche am Anfange breiter, dann tiefer und schmaler, von dem Beginne des Kanales bis fast zu seinem Ende reicht. Diese Stelle tritt dadurch besonders hervor, dass hier das Epithel, zu beiden Seiten von schwarzen Pigmentzellen umgeben, pigment- los ist und auch in der Form der Zellen von diesen abweicht. Am Rande der Einsenkung lang gestreckt, auf dem Grunde derselben kurz, besitzen diese Zellen sehr grosse, sich intensiv färbende Kerne. Ueber diesem Epithel liegt eine dicke Lage von Längs- und Quer-Muskelfasern, und über diesen eine kleine Anzahl länglicher Zellen, in deren kaum gefärbtem Protoplasma einzelne grössere Pigmentkörnchen liegen, wie sie sich aber auch an vielen anderen Stellen in dem Gewebe des Fusses finden. Bei Vergleichung von Längs- und Querschnitten ergibt sich, dass diese Zellen eine Fortsetzung des vorderen Theiles der Lippen- drüse in Gestalt eines schmalen Stranges sind, welcher, von der hinteren Partie der Lippendrüse umgeben und überdeckt, bis gegen Ende des Kanales der dorsalen Wandung desselben anliegt. Die Lippendrüse endet vor dem Beginn der Drüse der Fusssohle. Letztere, welche sich schräg nach innen und hinten in den Fuss hineinzieht, ist ziemlich stark verzweigt und im äusseren Bau der gleichen Drüse von Nassa sehr ähnlich, indem sie wie diese an ihrem Vorder- und Hinterende in je zwei kurze Fortsätze ausläuft. Sie ist mit einem Cylinder-Flimmerepithel ausgekleidet, welches nur wenig niedriger ist als jenes der Fusssohle. Gleich diesem ist es pigmentirt, und die Menge des Pigments ist nach den einzelnen Individuen verschieden. Während es bei den einen 408 Justus Carriere: kaum bemerkbar ist, erscheint bei anderen fast jede Zelle stark pigmentirt. (Auf der Zeiehnung Fig. 20 C ist das Pigment nicht angegeben.) Die Drüse selbst (Fig. 20) besteht aus einer niedrigen Schicht langgestreckter, kolbenförmiger Zellen, welche mit grossen Sekret- körnehen erfüllt sind und sich mit Fuchsin blan färben. Die Kerne werden weder durch Anilinfarben noch durch Karmin intensiv ge- färbt und schimmern nur schwach aus dem Inneren der Zelle her- vor. (Um dies deutlicher zu zeigen, war ich genöthigt, die Zellen etwas dunkler zu halten, als sie in der That erscheinen.) Das Sekret ergiesst sich in dieken Strömen zwischen den einzelnen Epithelzellen hindurch in das Lumen der Drüse. Fusus Syracusanus. Fig. 5 A—C, Fig. 21. „Von allen Thieren, welche ich lebend zu beobachten Gelegen- heit hatte, zeigt Fusus Syracusanus den „Porus aquatieus“ am deutlichsten. Wenn das Thier an der Wand des Glasgefässes kriecht, fällt schon von weitem in der schön rothen Fusssohle eine von gelblichen Rändern umgebene spaltförmige Oeffnung auf. Bei dem erwachsenen Thiere liegt sie ungefähr 3 mm hinter den Lippen und ist ca. 2 mm lang; sie ist unregelmässig geformt, theilweise ausgezackt und zeigt meistens die Gestalt eines Kreuzes, dessen längerer Arm nach vorne zu steht, oder auch eine Figur ähnlich wie Y. Bei jüngeren Thieren war die Oeffnung häufig nicht zu bemerken.“ Von der Lippendrüse ist nichts Besonderes zu erwähnen. Sie besteht aus den grossen hellen Zellen, ähnlich wie ich sie von Conus mediterraneus abgebildet habe, und der vordere Theil (Fig.5 A a) mit den mehr protoplasmatischen Zellen ist im Verhältniss zu dem hinteren sehr klein, fast verschwindend. Die Lippendrüse, welche sich stark mit Cochenilletinktur färbt, endet noch vor der Fusssohlendrüse. — Um so bemerkenswerther ist hier die Drüse der Fusssohle, welche von allen von mir beobachteten Formen bei der grössten Einfachheit des Umrisses gleichzeitig die stärkste Entwicklung der Drüse selbst aufweist. Längsschnitt und Quer- schnitt der Drüse geben dasselbe Bild, was ich bis jetzt bei keiner Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 409 anderen Schnecke gefunden habe. Die Gestalt ist die eines Hohl- kegels, dessen Spitze abgeschnitten und dessen Boden nach innen eingedrückt oder vorgewölbt ist, ohne Verzweigungen, fast ohne jede Spur von Faltenbildung auf der Innenfläche. Man könnte sie wohl am besten mit dem unteren Ende und dem Boden einer Champagnerflasche vergleichen. Die Innenfläche ist ausgekleidet mit einem hohen Cylinder-Flimmer-Epithel mit grossen Kernen; zwischen diesen Flimmerzellen stehen in unregelmässigen Abständen einzelne grosse Becherzellen (Fig. 21). Was die Drüse selbst betrifft, so konnte ich wegen ihrer ver- hältnissmässig grossen Dicke nur einen Theil derselben abbilden, und ich wählte dazu den äusseren mit dem Epithel. Die Zellen sind gross mit entsprechenden Kernen, und in mehreren Lagen dicht an- und nebeneinander gestellt, so dass immer Gruppen von 3, 4 oder 5 Zellen entstehen, welche durch schmale aber deutliche Zwischenräume von den benachbarten Gruppen getrennt sind. Die Form der einzelnen Zelle ist keulenförmig; sie nehmen von dem dicken hinteren Ende, in welchem der Kern liegt, nach vorne zu allmählich an Umfang ab und lassen ihr Sekret in äusserst feinen Zügen zwischen den Epithelzellen hindurch austreten. Die Zellen sind in ihrer ganzen Ausdehnung von einem sehr feinkörnigen Plasma erfüllt, welches sich mit Fuchsin schwach blau färbt. Tin- girt man einen Schnitt mit Pikrokarmin und lässt ihn dann längere Zeit in Alkohol liegen, so wird das Pikrin aus allen Geweben aus- gezogen mit Ausnahme der Drüse der Fusssohle, deren Zellen tief gelb gefärbt bleiben mit rothen Kernen. Nur ein Theil der Drüse erscheint dabei von dem übrigen bedeutend abweichend — es ist dies die mit e in Fig. 5 A und B bezeichnete Zone, welche die Mündung ringförmig umgibt. Die Zellen sind hier schwächer ge- färbt, wie wenn sie zum Theil entleert wären und die Mehrzahl der Kerne erscheint ungemein auffallend durch das starke Licht- breehungs-Vermögen, vermittelst dessen sie aus dem Prä- parate förmlich hervorleuchten; dabei sind sie von glasartiger Beschaffenheit, gelb gefärbt und von sehr unregelmässiger Gestalt. Ausser diesen Kernen sind noch andere dazwischen, welche, obschon gelb geworden, doch das kernartige Aussehen und die rundliche ovale Form noch nicht verloren haben und von diesen finden sich wieder Uebergänge zu den normalen Kernen der Drüsenzellen. 410 Justus Carriere: Bei Fuchsinfärbung erscheinen diese Kerne homogen und dunkelblau gefärbt, aber ohne Lichtbrechungsvermögen, während letzteres bei Anwendung von Cochenilletinktur erhalten bleibt, wenn auch nicht so intensiv wie durch die Pikrinsäure. Pisania maeulosa. Fig. 6 A—C, Fig. 22. „Dieht hinter den Lippen ist auf der Fusssohle des lebenden Thieres eine kleine Oeffinung sichtbar.“ — Die Lippendrüse enthält in der Oberlippe in ihrem vorderen Theile eine Anzahl kolbenförmiger Zellen, welche sich von den übrigen dadurch unter- scheiden, dass sie grosse Sekretkörner enthalten, und sich mit Cochenille-Tinktur und mit Pikrokarmin intensiv roth färben. Diese Zellen stehen dieht beisammen und münden an der Stelle in den Spalt, wo derselbe in den Kanal übergeht. Nur wenig hinter der Querspalte des Vorderrandes befindet sich die Mündung der Drüse der Fusssohle, welche sich nahe- zu horizontal nach hinten zu erstreckt. Sie ist nur wenig ausge- buchtet und erscheint auf dem Querschnitt fast als ein gleich- schenkliges Dreieck, dessen Basis parallel der Fusssohle liegt (Fig. 6 A, B). Die Zellen der Drüsen sind lang gestreckt, kolbenförmig, mit mittelgrossen Sekretkörnchen erfüllt, und stehen ziemlich vereinzelt zwischen den Muskelfasern; ihr Sekret ergiesst sich in dünnen Fäden zwischen den Epithelzellen hindurch in den Sekretbehälter (Fig. 22). Das auffallendste an dieser Drüse ist das Epithel, von welchem sie ausgekleidet wird und welches zweierlei Formen auf- weist. Auf der der Fusssohle zunächst liegenden Seite der Drüse steht ein einfaches Epithel von Cylinderflimmerzellen mit relativ srossen Kernen; die beiden anderen Seitenflächen und der dorsale Theil dagegen sind mit dem höchsten Epithel bedeckt, welches ich bei Mollusken beobachtet habe. Es besteht aus abwechselnd gestellten Becherzellen mit rundlichen Kernen, und Flimmerzellen mit langen, dünnen Kernen, beide Zellformen ungemein schmal und lang, so dass dieses Epithel noch einmal so hoch ist als das oben erwähnte Cylinderepithel der ventralen (unteren) Seite der Drüse. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 411 Fasciolaria lignaria. Fig. 7 A und B; Fig. 18 A und B; Fig. 25; Fig. 30 a—c. Hier konnte ich an dem lebenden Thiere auch mit der Lupe keine Oeffnung in der dunkelrothen Fusssohle wahrnehmen. An dem in Chromsäure abgetödteten Fusse dagegen traten die eigen- thümlichen Verhältnisse der Fusssohle sehr deutlich hervor (Fig.7B). Die Oberlippe des Vorderrandes erscheint durch einen tief bis in die Mitte eindringenden Längsspalt in zwei Hälften zerlegt und überragt die untere Lippe bedeutend. Der Querspalt zwischen den beiden Lippen ist sehr seicht. Ungefähr 1,5 mm hinter diesem Querspalt ward eine rautenförmige Oeffnung sichtbar, von welcher aber nur die vorderen Ränder deutlich waren. Von der Mitte der Unterlippe zog eine schmale und seichte Furche in der Median- linie des Fusses gegen das Hinterende desselben hin. Die Lippendrüse in der Oberlippe besteht aus grossen retortenförmigen Zellen, welche je nach dem Stadium der Sekret- entwickelung, in welchem sie sich befinden, alle Formen, wie sie in Fig. 18 A und B abgebildet sind, zeigen. Neben Zellen, deren Inhalt mit Ausnahme des Kernes sich mit Karmin nicht färbt, liegen andere, in welchen erst einzelne, dann viele braunroth ge- färbte Körnchen auftreten, bis schliesslich die ganze Zelle mit ihrem Ausführungsgang voll mit diesen rothen Sekretkörnchen an- gefüllt erscheint, und der Kern nicht mehr sichtbar ist. Auffallend sind die Kerne in der Lippendrüse durch den Besitz von zwei grösseren Kernkörperchen, während sonst immer eine grössere An- zahl kleiner Körperchen neben einem grösseren im ihnen vorhan- den ist. Diese Zellen erreichen durch den sehr langen und dünnen Hals oder Ausführungsgang eine Länge von ungefähr 1,5 mm und münden in den Längsspalt, welcher tief in die Oberlippe eindringt. Der sehr seichte Querspalt, welcher die kaum entwickelte untere Lippe von der oberen trennt, setzt sich in einen kurzen, schräg nach innen und hinten verlaufenden Kanal fort, der mit einem niedrigen Epithel von Cylinderflimmerzellen ausgekleidet ist. Dieser, sowie die Drüse überhaupt, endet lange bevor die Drüse der Fusssohle beginnt. Die Oeffnung in der Medianlinie der Fusssohle, ungefähr 2 mm hinter der Querspalte der Lippendrüse, ist die Mündung der Drüse der Fusssohle. Diese beginnt etwas vor der Oeffnung zwischen 412 Justus Carricre: 2 und 3mm tief im Fusse in Gestalt zweier kurzer, kleiner Zipfel, und besitzt im Anfange auf dem Querschnitte eine rundliche, un- regelmässig ausgezackte Gestalt. Dann tritt der Sekretbehälter mit dem Ausführungsgang a in Verbindung (Fig. 7 A, ein Quer- schnitt dureh die Mitte der Drüse) und mündet fast auf die ganze Länge der Drüse durch die rautenförmige Spalte nach aussen. Die Form der ungefähr 2,5 mm langen und 3 mm tiefen Drüse ist die einer einfachen, sackförmigen schmalen Einstülpung, deren Wände nicht besonders stark mit Falten versehen sind. Die Zellen der Drüse (Fig. 23) sind keulen- bis retortenförmig und zeigen bei Fuchsinfärbung blaue Kerne umgeben von einem röthlichen oder bräunlichen, mit vielen runden Körnehen durchsetzten Proto- plasma. Bei Färbung mit Pikrokarmin erscheint der Inhalt der Zellen gelb, die Kerne roth. In der Abbildung sind zwischen den Muskelfasern hinter den Drüsenzellen noch drei Arten von Kernen zu unterscheiden. Ganz tief gefärbte und homogene, ganz farblose, und solche (zwei) mit ganz hellem Kerne und sehr dunklen Kernkörperchen. Die er- steren halte ich für Kerne von Blutkörperchen, die anderen ge- hören vielleicht dem Bindegewebe an. Das Epithel, welches den Sekretbehälter auskleidet, besteht aus Cylinderflimmerzellen mit langen Kernen. Das Epithel der Fusssohle ist aus Becher- und Flimmerzellen zusammengesetzt und zeigt dieselben besonders deutlich (Fig. 30 a, b und e). Das nähere darüber findet sich unter dem Abschnitt über das Epithel. Zu beiden Seiten des Längsspaltes in der Oberlippe steht nicht das gewöhnliche Epithel, sondern die in Fig. 30 e abgebildeten Cylin- derzellen, welche sich mit Pikrokarmin und Cochenilletinktur sehr dunkel färben und deren Kerne eigenthümlicherweise an ihrem äusseren Ende scharf abgestutzt erscheinen, während das innere Ende wie gewöhnlich abgerundet ist. Defrancia purpuracea. „An der Fusssohle des lebenden Thieres bemerkt man dicht hinter den Lippen eine kleine Spalte, und von der Fusssohle (der Spalte?) aus geht ein dünner ziemlich starker Schleimfaden, mit welchem das Thier bei dem Kriechen an der Wand des Glasge- Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 413 fässes sich festklebt und mittelst welchem es sich beim Schwinmen von der Oberfläche des Wassers herablässt.‘ Bei diesen Thieren besitzen die Gewebe anscheinend noch einen embryonalen Charakter, ein Umstand, welcher wohl durch die massenhaften grossen runden Kerne, welche in ihnen liegen, hervorgebracht wird. Die Lippendrüse ist gross und besteht zum Theil aus schwach gefärbten Zellen mit grossen Kernen, theils aus Zellen, welche sich mit Pikrokarmin rothbraun färben und über der Drüse der Fusssohle liegend bis zu deren Ende sich erstrecken. Die Drüse der Fusssohle zeigt auf dem Querschnitte ein kreuzförmiges Lumen, und hat auf dem Längsschnitt die Form eines wenig gefalteten Sackes, sie besteht scheinbar aus rundlichen Zellen mit grossen Kernen; der Inhalt der Zellen färbt sich mit Pikrokarmin gelblich. Wahrscheinlich durch irgend einen Fehler bei der Präparation, vielleicht aber auch durch die Einwirkung des von der Drüse ab- gesonderten Sekretes ist das Epithel derselben und auch zum Theil die Drüsenzellen so vollkommen zerstört, dass ich keine näheren Angaben darüber machen kann. Trivia pulex. Von dem einzigen lebenden Exemplare, welches ich bekommen konnte, ging mir der abgeschnittene Fuss verloren, so dass ich mich einstweilen damit begnügen muss, die kurze Notiz, welche ich mir über das lebende Thier gemacht habe, zu referiren. „In der fleischfarbenen Fusssohle zeigt sich ungefähr 1,5 mm hinter den Lippen des Vorderrandes eine kleine Oeffnung mit gelb- rothem Rande.“ Columbella rustiea. „An dem lebenden Thiere ist bei ausgestrecktem Fusse ca. lmm hinter den Lippen ein ungefähr 2mm langer Spalt mit weissen Rändern sichtbar.‘ An dem konservirten Fusse zieht sich vom Vorder- zum Hinterende in der Medianlinie eine seichte Furche hin, welche an der Stelle des Spaltes etwas. vertieft erscheint. Die Lippendrüse, deren Zellen sich mit Pikrokarmin und X Cochenilletinktur schwach roth färben, lässt in der oberen Lippe 414 Justus Carricre: drei Regionen unterscheiden. Zunächst eine vordere, welche sich mit Fuchsin tief violett färbt und noch vor dem Spalte zwischen den Epithelien der Oberlippe ausmündet; dann eine mittlere, mit Fuchsin sich roth färbende, welche in den Spalt, und eine hintere Abtheilung, welche in den Kanal mündet und nach Anwendung von Fuchsin blass violett erscheint. Trotz des deutlich sichtbaren Spaltes konnte ich hier keine Drüse der Fusssohle finden, welehe in ihrem Bau den bisher be- trachteten entsprochen hätte. Dagegen ist der Spalt, dessen Wandungen und Boden leichte Längsfalten zeigen, mit Drüsen- zellen besetzt, welche sich bei Pikrokarminpräparaten von den anderen bei Columbella rustiea vorkommenden Zellen deutlich unterscheidet. Nach Färbung mit Fuchsin aber (sie werden dun- kelviolett wie die Lippendrüse z. B. von Conus) scheinen diese Zellen ganz mit den übrigen kolbenförmigen Drüsenzellen, welche in Gestalt eines diehten und ziemlich hohen Polsters über der ganzen Sohle des Fusses liegen, übereinzustimmen, nur sind sie kleiner als an den anderen Stellen. Es scheint also hier eine ganz oberflächliche, noch nicht tiefer in das Innere des Fusses eingesenkte Drüse vorzuliegen, welche von den Epitheldrüsen der Fusssohle noch nicht scharf differenzirt ist. Die Zellen der Drüse liegen nur in 2 bis 3facher Schicht über den Epithelzellen; ihr Inhalt färbt sich mit Pikrokarmin und Cochenille-Tinktur stark roth, und ebenso sind die Epithelzellen des Spaltes dunkler ge- färbt als an den übrigen Theilen der Fusssohle. Ich füge hier noch kurze Mittheilungen über die drei Fälle an, in welchen ich im Fusse der Schnecken Oeffnungen und Drüsen fand, aber wegen des mangelhaften Erhaltungszustandes auf eine eingehende Beschreibung — namentlich der histologischen Einzel- heiten — verzichten muss. Es sind dies Marginella glabella, Pseudomarginella leptopus und platypus!'). Ueber letztere mag man denken wie man will, jedenfalls sind es zwei anschei- nend neue Formen, deren Wiedererkennung, beziehentlich Ein- reihung an die gehörige Stelle ich durch genaue Abbildung und Beschreibung des Fusses, sowie des Deckels und der Radula mög- lichst zu erleichtern gesucht habe, und welche beide im Besitze des „Porus aquaticus“ und der zugehörigen Drüsen sind. 1) Ausführliches darüber findet sich in Marginella glabella und die Pseudomarginellen. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie 1882. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 415 Marginella glabella. Fig. 12. Zwischen 4 und 5mm von den Lippen entfernt liegt auf der Fusssohle ein elliptischer Wulst von 3 mm Länge und 1,5 mm Breite, welcher in seiner Mitte einen kleinen Längsspalt zeigt (nach einem Spiritus-Exemplar). Die Lippendrüse ist nach dem allgemeinen Schema gebaut und stark entwickelt; sie unterscheidet sich dadurch von den bis- her betrachteten Formen, dass ihr mittlerer (eylinderförmiger) Theil nieht vor oder über, sondern unter dem vorderen Abschnitte der Drüse der Fusssohle liegt, welche sehr weit nach vorne reicht. Die letztere ist die absolut grösste, welche ich bis jetzt ge- funden habe, indem sie bei einer Länge von 7 mm eine Breite von fast 5 mm besitzt, und tritt bei einem Schnitt durch den ein- fach in Spiritis conservirten Fuss durch ihre grelle Farbe im Ge- gensatze zu der weissen Lippendrüse und den hellen Muskeln scharf hervor. Ihr Bau ist sehr einfach, indem sie in der Mitte ausgebaucht und vorne wie hinten spitz zulaufend eine ungefähr dick-spindel- fürmige Gestalt besitzt. Der Sekretbehälter, welcher am Anfang und am Ende ein einfacher Längsschnitt ist, bildet durch einen in der Mitte auftretenden Querspalt auf dem Querschnitt die Figur eines Kreuzes. Die Drüse besteht aus retorten- oder kolbenförmigen Zellen, deren Inhalt aus hellen, gelblichen Körnchen besteht und sich mit Pikrokarmin glänzend gelb, mit Cochenille-Tinktur intensiv roth färbt. Pseudomarginella leptopus. Figur 13. Ungefähr 1 mm hinter dem Spalt zwischen den beiden Lippen liegt eine kleine Oeffnung von nicht ganz 1 mm Durchmesser. (Nach einem Spiritus-Exemplar.) Die Oberlippe überragt die untere und der beide trennende Spalt reicht nicht bis zu den Seitenrändern des Fusses. Die Lippendrüse ist wie gewöhnlich gebildet, ihr medianer Theil ist sehr kurz und reicht nieht bis zu der Drüse der Fuss- sohle. Die Seitentheile der Drüse reichen längs den beiden Kanten des Fusses weiter nach hinten als der mittlere Theil. 416 Justus Carricre: Die Drüse der Fusssohle ist sehr einfach gebaut, klein, ungefähr 1,5 mm lang und breit, und ihre Wandungen sind nur mässig eingebuchtet oder gefaltet. Ihr Querschnitt gleicht etwas dem derselben Drüse von Pisania maculosa, doch ist diese Aehn- lichkeit eine rein äusserliche, da, soviel die schlecht erhaltenen Gewebe erkennen lassen, die mikroskopische Struktur eine ganz verschiedene ist. Die Zellen der Drüse der Fusssohle scheinen klein und dicht an einander gelagert zu sein, etwa ähnlich denen von Nassa corniculum. Pseudomarginella platypus. Figur 14. Die untere Lippe ist durch eine mediane Spalte in zwei seitliche Hälften getheilt. Dicht unter dieser Spalte ist eine quer- gestellte Oeffnung von ungefähr 0,5 mm Breite und 0,1 mm Länge. (Nach einem Spiritus-Exemplar). Der mediane Theil der Lippendrüse ist sehr kurz und die Hauptmasse der Drüse liegt in den beiden Seitenhälften der un- teren Lippe. Die Epithelzellen des kurzen Kanales sind schwarz pigmentirt. Die Drüse der Fusssohle ist sehr klein, ungefähr 1 mm lang und 0,5 mm breit und hat die Gestalt eines schmalen, von der Mündung aus nach vorne zu sich erstreckenden Kanales; sie ist nur sehr locker mit der umgebenden Muskulatur verbunden. Ich komme jetzt zu der zweiten, kleineren, bis jetzt aus- schliesslich von den Murieiden gebildeten Gruppe, bei welehen eigentlich nur der Platz, an welchem die „Drüse der Fusssohle“ liegt, uns berechtigt, dieselbe mit dem gleichen Namen wie in der ersten Gruppe zu bezeichnen. Murex truneulus. Figur 8 A—D, Figur 24, Figur 27. „Mit unbewaffnetem Auge ist bei diesen Thieren ungefähr 3 mm hinter den Lippen in der Medianlinie der Fusssohle eine länglich-runde, ea. 1 mm lange, pigmentlose Stelle sichtbar, in Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 417 weleher mit der Lupe ein Spalt zu erkennen ist. Bei einem an- deren Exemplare war an demselben Orte eine grosse, quergestellte Oeffnung zu bemerken, von ungefähr 2 mm Breite und 1 mm Länge.“ Während die Lippendrüse der Muriciden in ihrer äusseren Gestalt von dem bekannten Schema nur wenig in Bezug auf die Reaktion gegen Farbstoffe in der Eingangs angegebenen Weise abweicht, zeigt die Drüse der Fusssohle in ihrem Bau sich von den bisher betrachteten so verschieden, sowohl was die äussere Gestalt, als was die mikroskopische Struktur betrifft, dass man die Murieiden in dieser Beziehung als geschlossene Gruppe den anderen bis jetzt auf die Fussdrüse untersuchten Prosobranchiern entgegenstellen kann. Die Lippendrüse ist verhältnissmässig wenig entwickelt und reicht kaum bis zu der Drüse der Fusssohle zurück. In der unteren Lippe findet sich, wie bei den übrigen Murieiden, ein Com- plex bräunlicher Zellen, welche am Anfange des Spaltes aus- münden, und gerade bei Murex trunculus durch die Feinheit der Ausführungsgänge und die Schärfe, mit der sich diese bis zu ihrem Durchtritt und der Ausmündung zwischen den Epithelzellen ver- folgen lassen, ausgezeichnet sind. Vereinzelt finden sich solche braune Zellen auch in den hinteren Theilen der Drüse. Die Drüse der Fusssohle (Figur S A, B und C) erscheint in Fig. A auf dem sagittalen Längsschnitt genau in der Medianebene des Fusses wie eine einfache, nach innen zu etwas erweiterte und mit Epithel ausgekleidete blasenartige Einstülpung. Seitliche Längsschnitte, noch besser aber Querschnitte, zeigen, dass in dem vorderen Theile der Drüse zwei grosse Falten in das Lumen der- selben hineinragen (B), während in dem hinteren Theile von beiden Seiten je ein bis zum Ende der Drüse reichender Wulst (Fig. 8 Cw) das Lumen in der Mitte verengt. Was nun die Drüse selbst betrifft, so kann man hier nicht wie bei den bisherigen Beispielen Epithelzellen und Drüsenzellen unterscheiden, sondern die ganze Drüse besteht aus einem ge- schichteten Epithel von hohen Cylinderflimmerzellen (Fig. 24). Die grossen Kerne dieser Zellen bilden eine Schicht, welche ungefähr die hintere Hälfte des Epithels einnimmt. Sie färben sich mit Karmin dunkel, mit Fuchsin behandelt erscheinen sie hell. In dem vorderen Theile des Epithels liegen unregelmässig vertheilt zahlreiche Kerne, welche sich mit Karmin wenig, mit Fuchsin 418 Justus Carri6re: sehr intensiv färben und eine sehr unregelmässige Gestalt haben. Da ganz die gleichen Kerne auch in den Geweben, welche die Drüse umgeben, zwischen den Muskelfasern ete. vorkommen, und entschieden Blutkörperchen angehören, so glaube ich nicht zu irren, wenn ich auch die hier in Frage stehenden Kerne solehen zusehreibe. — Dieses Drüsenepithel sitzt sehr lose auf einer dünnen Lage von Ringsmuskelfasern auf, welche ihrerseits nur durch wenige Fasern mit der umgebenden Muskulatur in Verbindung steht, so dass breite Spalten (Bluträume) dazwischen gebildet werden (Figur 24 v). Bei Tinktion mit Pikrokarmin färbt sich der vordere Theil der Zellen mit den darin befindlichen Körnchen gelblich, und in der gleichen Weise das schon ausgetretene, noch zwischen den Flimmereilien oder schon vor diesen befindliche Sekret. Wie die Querschnitte und der Längsschnitt zeigen, reichen die Drüsenzellen nieht bis zu der Mündung der Drüse, sondern setzen plötzlich ab und ein sehr niedriges Flimmerepithel zieht von dieser Stelle bis zu der Mündung hin, wo es in das wie ge- wöhnlich gebaute Epithel der Fusssohle übergeht. Murex eristatus. „Dieht hinter den Lippen befindet sich ein kleiner Längsspalt.“ Die beiden Drüsen sind ganz ähnlich wie bei Murex truneulus gebaut, mit dem Unterschiede, dass die Wandung der Drüse der Fusssohle etwas stärker gefaltet ist, als dort. Murex cerinaceus. Figur 9, Figür 25 und 26. „Ungefähr 1 mm hinter den Lippen ist auf der Fusssohle ein 1-—1,5 mm langer Spalt mit weisslichen Rändern zu bemerken.“ Die Lippendrüse I besteht aus den bekannten grossen Zellen mit relativ kleinem Kern und einem Kernkörperchen. Die nun folgende Drüse der Fusssohle (Fig. 9 D) ist nach demselben Grundtypus gebaut wie bei Murex truneulus, aber nicht so einfach wie dort. Ausser den beiden seitlichen Falten oder Wiilsten findet sich noch ein kegelförmiger, unpaarer, medianer Theil, weleher von dem Grunde der Drüse aus in das Lumen der- selben hineinragt und seinerseits ebenfalls mannigfache kleinere Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 419 Vorsprünge trägt. Auch die äussere Grenzfläche der Drüse ist nicht glatt, sondern mit einer grösseren Anzahl niedriger, von vorne nach hinten zu laufender Falten bedeckt, und die Seiten- flächen ebenfalls stärker gefaltet. Die Drüse selbst ist in zwei Abschnitte getheilt, indem die Deeke und die seitlichen Hervorragungen mit einem hohen, gross- kernigen, hellen Cylinder-Flimmerepithel ausgekleidet sind, in welehem sich spärliche Drüsenzellen, mit gelblichem Sekret erfüllt, finden; auch die vordere Wand der Drüse ist — mit etwas nied- rigeren — Cylinderflimmerzellen bedeckt. Die Drüsenzellen, wie sie bei Murex trunceulus die ganze Drüse zusammensetzen, sind bier auf den unpaaren, kegelförmigen Theil der Drüse und seine nächste Umgebung beschränkt. Die Drüsenflimmerzellen, welche sich bei Pikrokarmintinetion in ihrer ganzen Masse gelb färben und eine grosse Menge feiner Körnchen enthalten, unterscheiden sich nur dadurch von den gleichen Zellen bei Murex trunculus, dass ihre Kerne vielleicht etwas länglicher sind und weiter nach aussen zu liegen. Ferner scheint dieses Epithel nicht so geschichtet zu sein, wie dort, sondern fast einfach. Sehr deutlich ist hier auch zu sehen, wie locker die Drüse mit dem umgebenden Gewebe zusammenhängt und dieselbe fast vollkommen frei (die wenigen an sie herantretenden Muskelfasern sind auf diesem Schnitte durchschnitten) in einer Art von Blut- sinus liegt. Hinter dieser Drüse, welche ich als erste Sohlendrüse (I) bezeichnen will, liegt nun noch eine zweite (Fig. 9, II; Fig. 10, A, B und D—F), welche ohne jede Verbindung mit der ersten sie von unten und zum Theil auch von den Seiten her umgibt. Die- selbe erstreckt sich ebenso tief und noch tiefer in den Fuss hinein als die erstere Drüse, und erscheint auf dem Längsschnitt als eine einfache, sehr niedrige, aber wie die Querschnitte zeigen, sehr breite Einsenkung. Die Gestalt der zweiten Drüse, und ihr Verhältniss zu der ersten lässt sich am besten mit Hülfe der Murex Edwardsi entnommenen Schnitte erkennen, welche Fig. 10, A—F wiedergibt. (Ich wählte Murex Edwardsi, da bei der Grösse des Fusses von Murex erina- ceus die Zeichnungen zu viel Platz eingenommen haben würden.) Ich werde desshalb zunächst die Drüsen dieser Schnecke beschrei- ben und dann erst die Histologie der zweiten Drüse — welche 420 Justus Carri6re: bei den beiden Thieren nicht wesentlich verschieden ist — nach Murex erinaceus behandeln. Murex Edwardsi. Fig. 10 A—F. „Ungefähr Imm hinter den Lippen des Fusses ist ein Imm langer Schlitz in der Fusssohle des kriechenden Thieres wahr- nehmbar.“ Die Lippendrüse stimmt im übrigen so ziemlich mit den eben beschriebenen überein, reicht aber in einzelnen kleinen Theilen weiter in den Fuss zurück, so dass sie noch über dem Anfange der ersten Drüse der Fusssohle tiegt. Diese ist ähnlich ge- baut, wie bei Murex trunculus, mit dem Unterschiede, dass die beiden seitlichen Wülste (w, Fig. 10 C) eine stärkere Ausdehnung gewonnen haben, so dass sie die ganzen Seitenflächen einnehmen und nur einen schmalen, gleichmässig breiten Spalt zwischen sich lassen, und dass die Rinne r sich halbkreisförmig um die Wülste herumzieht. Gegen das Ende der Drüse zu verschwinden diese Wülste, und zwar wie die Abbildungen zeigen, nicht vollkommen sleichmässig. Der mikroskopische Bau ist der gleiche wie bei Murex truneulus. | Nieht weit hinter der Mündung der ersten Drüse treten zu beiden Seiten derselben die vordersten geweihförmig verästelten Theile der zweiten Drüse auf (Fig. 10 D), welche hier ausmün- det. Die beiden Schnitte Fig. 10 D und F, von denen der erstere dieht hinter der Mündung, der zweite kurz vor dem Ende der zweiten Drüse gelegen ist, zeigen, wie nur der vordere Theil derselben zweitheilig, der hintere dagegen einfach muldenförmig ist. Diese anscheinend bilaterale Symmetrie der Drüse wird aber nur dadurch erzeugt, dass ihre Seitenränder rechts und links von der ersten Drüse nach vorne zu gebogen sind. Diese Drüse lässt sich ihrer Gestalt nach wohl noch am besten mit einem ganz flachen und breiten Behälter vergleichen (etwa einem Futteral, wie sie jetzt den Büchern mit kunstreichem Einband beigegeben werden), dessen obere (hier vordere) Seite durch die darüber und davorgelagerte erste Drüse eingedrückt und so in zwei symmetrische Hälften getheilt ist. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 421 Drüse von Murex erinaceus. Figur 25. Die Wandung des Sekretbehälters der Drüse ist mit einem reinen nicht besonders hohen Epithel von Cylinder-Flimmerzellen ausgekleidet. Darauf folgt eine dieke Lage von Muskelfasern, und dann die kolbenförmigen Zellen der Drüse. Die Drüsenzellen stehen ziemlich dicht nebeneinander; ihre Kerne färben sich nur wenig mit Pikrokarmin, dagegen sehr intensiv blau mit Fuchsin, der Inhalt der Zelle erscheint sehr homogen, so dass kaum mit starken Vergrösserungen eine feine Körnelung nachweisbar ist, und färbt sich mit Fuchsin leicht bläulich, mit Pikrokarmin röth- lich. Das Sekret der Zellen wird durch den langen und sehr fei- nen Ausführungsgang jeder einzelnen Zelle zwischen der dieken Muskellage und den Epithelzellen hindurch ausgeführt. Die eigenthümlich geformten, häufig Hanteln ähnlichen Kerne zwischen den Drüsenzellen und dem Epithel gehören Blutkör- perchen an. Käme bei den Muriciden nur die erstere (die Flimmerzellen-) ‚Drüse vor, so würde man sie wohl ohne weiteres trotz der histo- logischen und sonstigen Verschiedenheiten als der Drüse der Fusssohle, wie sie den übrigen Familien eigen ist, homolog be- trachten. Der Umstand aber, dass bei einer Anzahl von Muriciden sich zwei Drüsen hintereinander da befinden, wo wir sonst nur eine zu finden gewohnt sind, und zwar zwei durchaus verschieden gebaute Drüsen, lässt den Fall etwas verwickelter erscheinen. Denn entweder entspricht die erste Drüse der Muriciden der „Drüse der Fusssohle“ (wofür ihre Lage dicht hinter der Lippen- drüse spräche), dann besitzen einige Species noch um ein derar- tiges Organ mehr, oder die erste Drüse ist ein, der Familie Mu- vex speciell eigenthümliches Organ, und die zweite Drüse ist der „Drüse der Fussohle* gleichzusetzen (was durch den mikros- kopischen Bau nahe gelegt wird), dann fehlt eben Murex truneulus die „Drüse der Fusssohle“. Es ist vielleicht ziemlich gleichgiltig, ob und wie diese Frage beantwortet wird, und bei dem verhält- nissmässig geringen Material, welches zur Untersuchung und Ver- gleichung vorliegt, möchte ich mich nicht sofort für das eine oder andere entscheiden. Doch scheint mir der Bau der Drüse bei Murex brandaris einen Wink zu geben über die eventuelle Archiv f. mikrosk, Anatomie. Ba. 21, 28 422 Justus Carri£re: Entstehung der zweiten Drüse und ich lasse desshalb die Be- schreibung derselben hier folgen. Murex brandaris. Fig. 11 A—E. „Während bei einzelnen Tbieren keine Andeutung einer Oeff- nung auf der Fusssohle zu bemerken war, konnte ich bei anderen mit unbewaffnetem Auge 2—3 mm hinter den Lippen einen unge- fähr 1 mm langen Spalt sehen.‘ Die Lippendrüse endigt vor der Drüse der Fusssohle. Die Drüse der Fusssohle ist durch ein Diaphragma, welehes nur in der Medianlinie des Fusses (und natürlich auch der Drüse) eine kleine Oeffnung besitzt, in zwei Abtheilungen geschieden, eine innere b und eine äussere a (den Ausführungs- gang). Die innere Abtheilung b, welche auf dem medianen Längs- schnitt (Fig. 11 A) grosse Aehnlichkeit mit der gleichgelegenen Drüse von Murex trunculus hat, auf dem Querschnitt (Fig. 11 C, D.) sich als etwas stärker gefaltet erweist, besteht gleich dieser aus geschichtetem Flimmerepithel und stimmt in histologischer Bezie- hung genau mit ihr überein. Die ihr zugewandte Wand des Diaphragmas ist mit einem aus niedrigen Cylinderflimmerzellen zusammengesetzten Epithel bedeckt. | Der vordere Theil der Drüse a (Fig.11 A—D) ist mit dem glei- chen niedrigen Epithel bedeckt, unter welchem eine flache Schicht kleiner Zellen mit kleinen Kernen liegt, welche wahrscheinlich Drü- senzellen sind; die Wandung ist im hinteren Theile stärker gefaltet als die der inneren Abtheilung, das heisst der eigentlichen Drüse. Berücksichtigen wir alle die angeführten Momente, nament- lich die gegenseitige Abgeschlossenheit der Drüse und ihres Aus- führungsganges, so wird man kaum umhin können, anzunehmen, dass die äussere Abtheilung nicht nur der Ausführungsgang der inneren Drüse, sondern selbst eine solche ist, die in ihren Geweben von jener die bedeutendsten Verschiedenheiten zeigt. Mir kam nun bei Betrachtung des Längsschnittes (Fig. 11 A) folgender Gedanke. Würde der hintere Theil des Diaphragmas sich mit dem vorderen nicht vereinigen, sondern sich in der Rich- tung nach der Mündung hin verlängern, so würde er den äusseren Abschnitt der Drüse dadurch in zwei Theile zerlegen (Fig. 11 E a’ und a“), deren vorderer a‘ den Ausführungsgang der inneren Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 423 Drüse b bildete, während der hintere a“ dann zu einer selbst- ständigen Drüse wurde. Vergleicht man das nach dieser Betrachtung aus Fig. 11 A eonstruirte Schema Fig. 11 E mit dem in Fig. 9 A copirten Längsschnitt durch den Fuss von Murex erinaceus, so ist nicht zu leugnen, dass zwischen beiden eine auffallende Aehnlichkeit be- steht, und es wäre nicht undenkbar, dass die zweite Drüse der Fusssohle sieh auf diese Weise von der ersten losgetrennt hätte. In diesem Falle würden beide Drüsen zusammen der einen Drüse der Fusssohle bei den übrigen (bis jetzt untersuchten) Pro- sobranchiern homolog sein. Ausser diesen an einer bestimmten Stelle localisirten Drüsen finden sich bei den meisten — wenn nicht bei allen — Proso- branchiern Drüsenzellen, welche auf der ganzen Unterseite des Fusses dicht unter dem Epithel eine gleichmässige Schicht bilden. Die Unterschiede, welche diese Zellen bei den einzelnen Familien und Species zeigen, beschränken sich theils auf die Grösse der Zellen und auf die Dichtigkeit, in welcher sie aneinander gelagert sind, so dass sie zuweilen ein förmliches Polster bilden, theils auf den mikroskopischen Bau, indem die Zellen einmal feinkörniger, heller und mit grösseren, hellen Kernen versehen sind — das heisst weniger Farbstoff anziehen, — ein anderesmal sieh dunkler färben und kleine Kerne haben. Letztere Zellen stehen meist vereinzelt oder in gesonderten Gruppen von 3—5 und mehr Zellen vereinigt. Von zwei Schnecken, welche diese Formen in ihren Extremen besitzen, habe ich histologische Bilder gegeben. Es sind dies Murex erinaceus (Fig. 9 d und Fig. 26) und Murex truneulus (Fig. 8 A d und Fig. 27). Bei Murex erinaceus (Fig. 26) sind die Zellen gross, liegen nahe bei einander und bilden ein dichtes Polster unter dem Epithel; ihre Gestalt ist keulen- und kolbenförmig. Der Inhalt der Zelle färbt sich mit Pikrokarmin roth oder röthlichgelb, mit Fuchsin röthlich und die bläulichen Kerne lassen ein bis zwei tief dunkelblaue Kernkörperchen erkennen. Der gezeichnete Theil ist einer der Stellen entnommen, an welchen die Schicht der Drüsen- zellen am flachsten war. Meistens betrug die Höhe der Schicht und die Anzahl der Zellen nahezu das doppelte. 424 Justus Carriere: Die vereinzelten oder gruppenbildenden Zellen, wie sie Murex truneulus besitzt, sind (Fig. 27) etwas kleiner und färben sich mit Pikrokarmin sowie mit Cochenille-Tinktur dunkelroth, mit Fuchsin roth, und ihre kleinen Kerne mit letzterem Farbstoff intensiv blau. Die Gestalt der Zellen ist die retorten- oder kolbenförmige ; sie stehen verhältnissmässig weit von den Epithelzellen ab und münden durch einen langen Hals oder Ausführungsgang zwischen ihnen aus. (Auf der Zeichnung ist nur der kernführende Theil der Zellen angegeben, ohne den Hals.) Als Beispiele von gruppen- bildenden Drüsenzellen sind unter anderen Nassa, Tritonium euta- eeum und namentlich Pisania maculosa zu nennen; ein dichtes Polster bilden die Zellen bei Triton corrugatus und bei Co- lumbella rustica, wo sich die Drüsenzellen mit Fuchsin stark violett und mit Pikrokarmin rothbraun färben. In anderen Fällen, wie bei Fusus Syracusanus ist die Grenze zwischen „dichtstehenden Gruppen“ und „Polster“ schwer zu ziehen, und bei einer Anzahl ist es schwer, die Drüsenzellen deutlich zu erkennen, da sie sich oft mit keinem der von mir angewandten Farbstoffe anders färbten als das umliegende Gewebe. Bedeutend stärker entwickelt als in all diesen Fällen finden sich diese Drüsenzellen-Polster bei den Schnecken, welche keinen „Porus aquatieus und somit auch keine eigenartig entwickelte „Drüse der Fusssohle“ besitzen. So besitzt Fusus rostratus ein dickes Polster von grossen Drüsenzellen, welche gelbliche Sekretkörner enthalten und sich mit Pikrokarmin und Cochenille-Tinktur stark färben. Ganz be- sonders auffallend ist es bei Cerithium vulgare und auch bei Lit- torina littoralis; hier stehen in grossen Massen dichtgedrängt sehr lang gestreckte schmale Zellen mit kleinen Kernen, welche sich mit Grenachers Karmin bläulich färben, während mit Pikro- karmin der Zellinhalt farblos bleibt. Ein näheres Eingehen erfordern diese Drüsen bei Nassa incrassata Figur 29. Ueber der ganzen Fusssohle, aber durch eine nicht unbedeutende Lage von Muskeln von ihr getrennt, liegt ein Polster von grossen, gelben Zellen, welches in der Mitte am dicksten (es stehen hier bis zu fünf Zellen übereinander) nach den Seiten hin sich abflacht, so dass der Seitenrand von einer einzigen Zelle gebildet wird. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 435 Die Zellen, welche ohne Anwendung von Farbstoffen gelb mit gelben Sekretkörnern und glänzend gelben Kernen sind (ich glaube kaum, dass diese Farbe von der Abtödtung in Chromsäure herrührt) bewahren dieses Aussehen auch bei Behandlung mit Pikrokarmin, Cochenille-Tinktur und Fuchsin; nur erhalten die Kerne durch letzten Farbstoff einen leichten rothen Ton. Die Kerne sind meist homogen, eckig oder oval, zuweilen gekörnelt. Besonders deutlich ist an den entleerten Ausführungsgängen dieser Zellen zu sehen, dass es Schläuche sind, die eine doppeltcon- tourirte Wandung besitzen, während an den Ausführungsgängen der früher betrachteten ähnlich gestalteten Zellen der Lippen- und Fusssohlen-Drüse die Wandung wegen ihrer ungemeinen Zartheit sich nicht immer scharf unterscheiden lässt. Was die Grösse dieser Zellen betrifft, so sind sie von allen, welche ich bei den Prosobranchiern gefunden habe, die umfangreichsten und diejenigen welche etwas weiter von dem Epithel entfernt sind, erreichen eine Länge von mehr als 0,5 mm. Die Lippendrüse färbt sich hier mit Pikrokarmin roth. Columbella scripta. Fig. 23 A und B. „Von der Fusssohle, ungefähr 1 mm von der Spitze entfernt geht ein feiner, aber starker hyaliner Faden aus, der 10—11 mm lang an der Wand des Glasgefässes befestigt ist.‘ Bei dieser Schnecke, welche unter allen von mir beobachteten Prosobranchiern die absolut grössten Zellkerne besitzt, besteht die Lippendrüse aus retortenförmigen Zellen, welche durch Pikrokarmin roth gefärbt werden; Fuchsin färbt sie ebenfalls roth und das Sekret in ihren Ausführungsgängen dunkelviolett. Figur 28 A giebt eine Gruppe von Zellen nach Pikrokarminfärbung wieder. Dieselben sind leicht gekörnelt, die Kerne lassen meist neben verschiedenen kleinen Körnchen zwei grössere Körperehen unter- scheiden. Diese Zellen liegen nur in der Oberlippe und in dem dorsalen Theile des Fusses. Die ganze untere (ventrale) Hälfte desselben, sammt der unteren Lippe sind erfüllt mit einem diehten Polster von Zellen, Figur 23 B, welche bei Pikrokarminpräparaten am meisten leeren Fettzellen gleichen, indem sich nur der Kern, und zwar sehr dunkel, der Inhalt der Zelle aber gar nicht färbt. 426 Justus Carriere: Nur eine bei stärkerer Vergrösserung hervortretende feine, aber farblose Körnelung zeigt an, dass die Zelle nicht wirklich leer ist. Wendet man Fuchsinfärbung an, so ändert sich das ganze Bild, indem das Drüsenpolster nun bläulich bis blassviolett gefärbt ist und die Ausführungsgänge der scheinbar eiförmigen, in der That aber kolben- oder retortenförmigen Zellen deutlich werden. Während Fuchsin weniger von den Körnchen als von der Grundsubstanz, in welche diese eingebettet sind, angenommen wird, färbt Cochenille-tinktur den ganzen Zellinhalt, vorzugsweise aber die Körnchen, dunkelgrau ; die Kerne dieser Zellen haben mit wenig Ausnahmen ihre kugelige Gestalt verloren und erscheinen zu allen möglichen eckigen Formen zusammengeschrumpft. Valvata piscinalis. Nicht nur bei den marinen Prosobranchiern, sondern auch bei denen des süssen Wassers finden sich die beiden von mir be- schriebenen Drüsen. Bis jetzt sind sie durch Simroth!) im Fusse von Valvata piscinalis nachgewiesen, dessen Angaben ich hier in der Kürze wiedergebe. Der vordere Rand des Fusses ist durch einen Querspalt, welcher sich in der Mitte trichterförmig vertieft, in zwei Lippen getheilt. Diese Spalte ist mit einer grossen An- zahl gewöhnlicher Hautschleimdrüsen besetzt, welche in der Mittel- linie am grössten sind und nach den Seiten eontinuirlich an Länge abnehmen, um dann in kleinerem Maassstabe sich rings um den einfachen Fussrand fortzusetzen. In der Mitte des Fusses liegt noch eine Y-förmige Drüse, mit dem Ausführungsgange nach hinten; ihre Schenkel, welche ungleichmässige Reihen von Acinis tragen, beginnen dicht hinter den Pendalganglien. Mit freiem Auge sieht man bei dem leben- den Thiere diese Drüse schneeweiss durchschimmen, unter dem Mikroskop erscheint sie dunkel und grobkörnig. Auch das Sekret beider Drüsen scheint dem der marinen Prosobranchier ähnlich zu sein, das der Lippendrüse wie dort zähe. Obwohl die Antwort einstweilen nur eine ungenügende sein kann, glaube ich doch die Frage nieht übergehen zu dürfen, mit welchen Drüsen der Pulmonaten und der Lamellibranchier sich 1) Zoologischer Anzeiger IV. Jahrgang, Nr. 94. Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 427 die beiden Fussdrüsen der Prosobranchier vergleichen lassen. Was die ersteren betrifft, so scheint mir kein Zweifel — und auch Simroth sieht es so an — dass die Fussdrüse der Pulmonaten der Lippendrüse der Prosobranchier homolog oder direkt aus ihr hervorgegangen sei. Für die Drüse der Fusssohle da- gegen scheint sich kein analoges Organ zu finden (wenn man nicht etwa die Schwanzdrüse von Arion hieher beziehen will; dabei ist aber zu berücksichtigen, dass schon bei den Prosobranchiern diese Drüse nicht allgemein verbreitet ist, sondern nur einer Reihe von Familien und auch bei diesen nicht einmal allen Ordnungen und Arten zukommt. Etwas sehr lockendes hat schon auf den ersten Blick die Vergleichung der beiden Prosobranchier-Drüsen mit den Fussdrüsen der Byssusmuscheln, beziehungsweise der Muscheln mit rudimen- tärer Byssusdrüse. Denn hier finden sich auch zwei Drüsen, deren eine nahe der Spitze des Fusses durch einen kleinen Querspalt ausmündet, und deren andere bei den Muscheln mit rudimentärem oder fehlendem Byssus auf Quer- und auch auf Längsschnitten oft eine frappante Aehnlichkeit mit der „Drüse der Fusssohle‘“ zeigt. Ich verweise zur Vergleichung nur auf die Abbildungen, welche ich in meiner Abhandlung über „die Drüsen im Fusse der Lamellibranchiaten“ in Band V der „Arbeiten aus dem zool.-zoot. Institute Würzburg‘ auf Tafel V Figur 9 und 10 von der rudi- mentären Byssusdrüse von Arca granosa, Cardita sulcata und Venus decussata gegeben habe. Man wird mir zugeben müssen, dass die Uebereinstimmung grösser ist, als dass man sie bei so verhältnissmässig nahen Verwandten dem reinen Zufall zuschreiben könnte; und wenn man eine direkte Beziekung zwischen Lamelli- branchiaten und Gastropoden annimmt, dann wird man nicht um- hin können, die .„Drüse der Fusssohle“ als ein von den Byssus- muscheln überkommenes Erbtheil zu betrachten. Nachdem ich in dem vorliegenden Theile dieser Abhandlung den Nachweis geführt zu haben glaube, dass der „Porus aquatieus“ nur die Mündung einer Drüse ist, wende ich mich zu der Be- trachtung des Wassergefässsystemes bei den Lamellibranchiaten und Gastropoden. Die Forscher, welche man immer als Hauptzeugen für das Wassergefäss-System der Muscheln genannt findet, sind Anton 428 Justus Carriere: von Heide, v. Baer und Treviranus, doch stehen diese Na- men in dieser Frage nicht an ihrem richtigen Platze, und ich hoffe hier zu zeigen, dass sie in der Streitfrage bezüglich des Wassergefäss-Systemes mit Unrecht als Begründer oder Verfechter desselben angeführt werden. Was zunächst Heide!) betrifft, so sagt dieser: ... . Medius duetus derivatur e foramine H in sinu conspieuo, permeäatque linguae longitudinem, communicans cum vasis Cristam nee non hepatis superficiem, ac Pinguedinis superficiem convexam perrep- tantibus: nam flatus vel liquor foramini immissus dieta vasa tur- gescere faeit. Ich lasse den Untersuchungen Heide’s ihr volles Recht widerfahren, aber wenn er angibt, bei Mytilus entspringe der mitt- lere Gefässstamm des Fusses aus der Querspalte in der Spitze desselben, und er habe durch diese Oeffnung die Gefässe der Eingeweide injieirt, so dürfen wir es gewiss der Unvollkommen- heit seiner Instrumente und optischen Apparate zuschreiben, wenn Heide die dünne Scheidewand, welche den Boden der Quer- spalte von dem Mittelgefässe trennt, übersah oder verletzte. Dass er dann, in das Gefässlumen eingedrungen, durch dasselbe die Eingeweide-Gefässe injieiren konnte, ist selbstverständlich. Er er- wähnt übrigens die Sache nur nebenbei und sagt nichts von einer Wasseraufnahme durch diese Oeffnung, welche nach den neuesten Untersuchungen übrigens nicht in das Blutgefäss, sondern in eine Drüse führt. Es kann also durch sie keine Communication zwi- schen den Blutgefässen und dem umgebenden Wasser stattfinden, und Heide nicht als der erste Beobachter einer Wasseraufnahme durch den Fuss eitirt werden, da er von einer solchen nichts er- wähnt hat. Auch von €. E. v. Baer?) glaube ich nicht, dass man sich auf ihn berufen darf, wenn es sich darum handelt, Beweise für das Vorhandensein eines Wassergefäss-Systems bei den Mu- scheln anzuführen. Denn an der immer eitirten Stelle macht er gar keine direkten Angaben, auch hat er keine anatomische 1) Antonio de Heide: Anatome Mytuli. Amstelodami 1684. 2) Baer, C. E. v.: Bemerkungen über die Entwicklungsgeschichte der Muscheln und über ein System von Wassergefässen in diesen Thieren. Königs- berg 1825. — Froriep’s Notizen Nr. 265. Bd. XIII Nr. 1. 1826. p. 1. Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 429 Untersuchung angestellt. Sondern „er schliesst aus dem Aus- spritzen von Wasserstrahlen aus dem geschwellten Fuss einer sich plötzlich contrahirenden Muschel, und aus dem Anschwellen des Fusses und dem Wasserausfluss aus dem Afterschlitz bei lang- samer Contraktion auf die Anwesenheit eines Wassergefäss-Systems“, — ohne sich irgendwie über den Bau desselben und die Aufnahme des Wassers auszusprechen. Die Angabe, dass man zwei Strahlen aus der Fusskante erhielte, wenn man den Fuss einer rasch aus dem Wasser genommenen Muschel zwischen den Fingern drücke, ist mit Recht von späteren Beobachtern auf Zerreissungen des Epithels zurückgeführt worden. Treviranus!) schliesslich wird ganz ohne sein Verschul- den als Autorität für das Vorhandensein eines Wassergefäss- Systemes und die Mündung desselben nach Aussen angeführt. Die Stelle seines Buches, welche dazu Anlass gegeben hat, lautet fol- gendermassen: „d’Argenville erzählt von einem dieser Thiere (Siphoniaten),* das Wasser werde von demselben (durch den Sipho) fast bis 15 Fuss weit fortgespritzt.“ Dieses heftige Ausstossen ge- schieht aber vielleicht nicht durch eine der Röhren des Mantels, sondern durch einen nach Aussen offenen und von sehr starken Muskelfasern umgebenen Kanal des Fusses. Wenigstens fand ich eine solche Höhlung in diesem Theile bei Solen ensis.* Dem Texte nach handelt es sich hier um die Aufnahme und Erneuerung des Athemwassers, welches die Kiemen umspült und durch den einen Sipho in die Mantelhöhle eingesogen, durch den anderen ausgestossen wird. Die unglückliche Idee, für das besonders kräftige Ausstossen des Wassers die Mittelarterie des Fusses in Anspruch zu nehmen und sie zu diesem Zweck nach Aussen münden zn lassen, fusst auf einer unklaren Vorstellung von der Anatomie dieser Thiere. Aber Treviranus schreibt hier kein Wort nieder, welches uns einerseits zu der Annahme ermächtigen könnte, er dächte hier an ein Wassergefäss-System, an eine direkte Wasseraufnahme durch den Fuss, oder an das Ausstossen so in den Körper aufgenommenen Wassers, noch anderseits uns gestattet, seine Angaben auf solche Erscheinungen zu beziehen. l) Treviranus, G. R.: Die Erscheinungen und Bewegungen des organischen Lebens. Bd. I, 1831. p. 276. 430 Justus Carricßre: Indem ich mich jetzt zu den Forschern wende, welche Beob- achtungen und Mittheilungen über das Wassergefäss-System und die direkte Wasseraufnahme bei den Lamellibranchiern und Gastro- poden gemacht haben, beginne ich mit delle Chiaje!) als dem ersten, welcher den Ausdruck „Wassergefäss-System“ in bestimm- ter Weise gebrauchte, um damit Kanäle zu bezeichnen, welche ähnlich den Tracheen unabhängigvon den Blutgefässen den Körper der Thiere durchziehen und an einer oder mehreren Stellen mit dem umgebenden Wasser in direk- ter Verbindung stehen’). Bei vielen Thieren konnten die von ihm angegebenen Oeff- nungen nicht wiedergefunden werden, so z. B. bei Aplysia. Bei andern dagegen ist eine Oeffnung auf der Fusssohle deutlich sicht- bar, wie bei Buceinem galea (Dolium galea), B. mutabile (Nassa mutabilis), Conus rusticus (Conus mediterraneus?), Murex Syraeu- sanus (Fusus Syracusanus) und den verschiedenen Murex-Arten, Ueber die Funktion der von diesen Mündungen aus sich in den Körper verzweigenden Wasserkanäle sprach sich delle Chiaje in folgender Weise aus: Die Saugnäpfe der Cephalopoden, die Oeffnung der Doriden, die kleine Mündung bei Trochus, Turbo und Buceinum Galea, dann die Oeffnung im Fusse bei Buceinum mutabilis und Syracusanus, die kleineren Oeffnungen bei Nerita etc. haben nur die Aufgabe, Seewasser in die Leibeshöhle einzu- führen, welches die Körperwandungen aufschwellt, eine gewisse Gymnastik der eingeschlossenen Eingeweide, besonders des Magens, der Leber, des Eierstockes und des Eileiters bewirkt, die Tur- gescenz des Zeugungs-Gliedes unterstützt (aufrecht erhält) in gleicher Weise, wie sie bei uns das Blut in den corpora cavernosa erzeugt, und so die Ausübung der diesen Organen zukommenden Funktionen begünstigt. 1) Delle Chiaje: Deserizione di un nuovo Apparato di canali acquosi scoperto negli animali invertebrati marini delle due Sicilie, in Memorie sulla storia e anatomia degli animali senza vertebre del regno di Napoli. Napoli 1823—29. Tom. II. p. 259 ff. 1826. 2) Allerdings hat schon Poli (Testacea utriusque Siciliae eorumque historiae et anatome tabulis aerneis illustrata. Parma 1791—95. Tom. U) den Fuss von Pecten und Lima zum Theil als Trachee abdominale oder als Languette bezeichnet, ohne sich jedoch eingehender über den Grund dieser Bezeichnung auszusprechen. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 431 Dieser Anschauung trat zuerst 1835 P. J. van Beneden!) entgegen durch die Mittheilung, er halte das von delle Chiaje entdeckte wasserführende System für identisch mit dem Venen- system, während ein solches selbständiges Wassergefäss-System nicht existire. Im Jahre 1845 kam er wieder darauf zurück ?) und äusserte sich dahin, dass bei den niederen Thieren das zum Fortleiten des Sauerstoffs und der nährenden Flüssigkeiten bestimmte Blut durch von Aussen eindringendes Wasser ersetzt werden könne, welches jene beiden Lebenselemente in den Organismus einführt. In diesem Falle eirkulire statt des Blutes und der Nährflüssigkeiten blosses Wasser in den Höhlen des Körpers und erfülle die Räume zwischen den Organen. Von dieser Ansicht ausgehend sucht er bei den ver- schiedenen Thierklassen Oeffnungen, durch welche das Wasser eindringen kann, und findet diese theils in den Enden der Anhänge vieler Nacktschnecken des Meeres, theils, bei den Acephalen, in der Mündung des Bojanus’schen Organes (welches das Pericar- dium und die Stigmen repräsentire) oder vielleicht in der Mitte des Fusses bei Anodonta, Aplysia, Carinaria. — In dem folgenden Jahre ergreift er nochmals die Gelegenheit ?), seine Ansicht dahin zu formuliren, dass das Wasser bei fast allen wirbellosen Thieren in das Innere des Organismus eindringe und anstatt des Blutes in den Gefässen kreise, so dass es eine Bluteirkulation, eine ge- mischte Cirkulation und eine reine Wassereirkulation gäbe. Be- richtigend fügt er bei, dass er die von delle Chiaje angegebenen zahlreichen Oeffnungen im Fusse von Aplysia nicht finden konnte, und dass das Wasser hier durch die Haut aufgenommen werde. Wenn auch van Beneden’s Hypothese über diesen Blut- Wasser-Kreislauf keinen Anklang fand, so wurde ihm doch in den übrigen Punkten seines Kampfes gegen delle Chiaje’s Wasser- gefäss-System volle Unterstützung zu Theil. Denn gleichzeitig mit 1) P. J. van Beneden: Resultats d’un voyage fait sur les bords de la Mediterrann&e. Comptes rendus 1835 tome I. p. 230. 2) P. J. van Beneden: Sur la eirculation dans les animaux inferieurs. Comptes rendus T. XX. Nr. 8. pag. 517, 1845. Deutsch in Froriep’s Neue Notizen, 1845. Bd. XXXIV. p. 1. 3) P. J. van Beneden: L’Institut Nr. 627. Deutsch in Froriep’s Neue Notizen, Bd. XXXVII, 1846. p. 65 ff. 432 Justus Carricre: ihm hatte sich Milne Edwards!) im Jahre 1845 mit Untersuchun- gen darüber beschäftigt, und ich kann es mir nicht versagen, die Mittheilung, welche der berühmte Gelehrte darüber macht, mit seinen eigenen Worten wiederzugeben. Er sagt: „Ich habe mich davon überzeugt, dass der wasserführende Apparat, welchen delle Chiaje beschreibt, nichts anderes ist, als ein Theil des grossen Lücken-Systemes, welches in dem Körper der Aplysia die Venen ersetzt. Es sind nicht, wie der geschickte neapolitanische Anatom vermuthet, Mündungen vorhanden, welche eine direkte Verbindung zwischen diesen Lücken oder der Abdominalhöhle und dem See- wasser herzustellen bestimmt wären, und wenn zuweilen Wasser in bedeutender Menge eintritt, so ist dies lediglich eine Erschei- nung der Endosmose. Die Turgescenz, welche man häufig bei den Aplysien wahrnimmt, ist eine Folge der Venen-Absorption und nicht etwa eine solche der direeten Einführung des Wassers von Aussen durch Kanäle, welche an der Körperoberfläche münden. Als ich ähnliche Untersuchungen in Betreff des grossen Triton des Mittelmeeres anstellte, überzeugte ich mich, dass auch bei diesem Weichthiere nur Venenkanäle von delle Chiaje für das Wasser-Gefäss-System angesehen worden sind.“ Dieser eben so exakten als wahren Schilderung habe ich nichts zuzufügen. Auf- fallend ist nur, dass gegentheilige Angaben ihr gegenüber bis in die neueste Zeit haben Stand halten können. Ebenfalls aus dem Jahre 1845 besitzen wir von A. Valen- ciennes?) eine Mittheilung über die Anatomie der Lucinen, in weleher er von dem Fusse der Lucina lactea sagt: „Höchst merk- würdig ist der Umstand, dass er seiner ganzen Länge nach hohl ist und dass diese Röhre direkt und weit mit den Lacunen der Eingeweide communieirt‘. Es findet hier ein neuer, wegen seiner Wichtigkeit für die Physiologie sehr wesentlicher Umstand statt, dass nämlich die inneren Höhlen, welche das Blut enthalten, mit- telst des Kanales im Fusse der Lueinen in direkte Verbindung mit der das Thier umgebenden Flüssigkeit treten“. Merkwürdig ist 1) Milne Edwards, H.: Comptes rendus des seances del l’Acad. d. Se. T. XX. Nr. 5. 1845. Deutsch in Froriep’s Neue Notizen, Nr. 732, 733. Bd. XXXIV. 1845. p. 98. 2) A. Valenciennes: Comptes rendus, T. XX, Nr. 23. 1845. Deutsch in Froriep’s Neue Notizen. Bd. XXXVI. Nr. 777. [>] Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 433 es allerdings, dass Valeneiennes nicht daran dachte, dass dieser Kanal das Haupt-Gefäss des Fusses sein könne und dass er dieses Blutgefäss dureh eine nicht vorhandene Oeffnung mit dem Wasser in Verbindung treten lässt. Die Berichtigungen van Beneden’s und Milne Edwards fanden zunächst kein Gehör; der Eindruck, welchen das prächtig ausgestattete Werk delle Chiaje’s machte, war noch zu mächtig, seine Behauptungen zu bestimmt. So kam es, dass v. Siebold') in seiner vergleichenden Anatomie vom Jahre 1848 zunächst im Allgemeinen die Ansicht delle Chiaje’s wiedergiebt, indem er sagt, bei den Muscheln sei ein doppeltes Lacunen-System vorhan- den, und zwar einmal ein Netz von ziemlich gleich weiten Kanälen welche an bestimmten Stellen nach aussen münden und der Respi- ration dienen sollen, das sind die Wasserkanäle. Zwischen und über diesen sei dann noch ein zweites Netz von engeren Kanälen siehtbar, welche nichts anderes sein könnten, als die Blutlaeunen. Gleichzeitig erhebt er aber Bedenken gegen diese Auffassung; denn nähme man an, sagt er, das eine Lacunensystem enthalte nur Wasser, das andere nur Blut, wie sollten zweierlei Netze von wandungslosen Kanälen stets von einander getrennt den Körper durchziehen; wollte man aber beide dem Blutgefäss-System zu- rechnen, wie vertrüge sich damit der Gedanke, dass auf diese Weise das Blutgefäss-System der Blatt-Kiemer nach aussen hin geöffnet sei, wodurch theils Blut durch natürliche Mündungen aus- gelassen, theils Wasser zum Blute direkt eingelassen werden könnte. v. Siebold konnte sich also von dem Einflusse delle Chiaje’s noch nicht völlig frei machen, aber auch seine gewichtigen Ein- wände nicht verschweigen. Anderseits schien ihm eine direkte Communikation des Blutgefäss-Systemes mit dem umgebenden Wasser ganz unwahrscheinlich und undenkbar. Auch die über das Wassergefäss-System der Cephalophoren gemachten Angaben schienen ihm noch nicht genügend bestätigt, und wir verdanken es vielleicht seiner Darstellung und den von ihm angeregten Zweifeln, dass seitdem das Wassergefäss-System im Sinne delle Chiaje’s aus den Lehrbüchern verschwand. Die Idee eines selbstständigen Wassergefäss-Systemes war 1) Siebold, C. Th. v.: Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Thiere. 1848. p. 297, 337. 434 Justus Carric6re: unhaltbar geworden; aber an ihre Stelle trat die Annahme einer direkten Wasseraufnahme in das Blut, sei es, um damit das Anschwellen des Körpers und die Locomotion des Thieres zu erklären, oder um das Wasser für physiolo- sische Funktionen in Anspruch zu nehmen. Für den Eintritt des Wassers waren aber deutliche Oeffnungen nöthig; solche fanden sich bei den Muscheln am Grunde des Ab- domens nahe der Ansatzlinie der Kiemen, wo dicht nebeneinander oder auch gemeinsam das Geschlechts- und das Exeretions-Organ ausmünden. Die Funktion und Bedeutung des letzteren war noch sehr unklar, wesshalb ihm die verschiedensten Verrichtungen zu- erkannt wurden; man hatte es für Schalendrüse, Lunge, Hoden gehalten — warum sollte es nicht die Wasseraufnahme besorgen, um so mehr als es dicht bei dem Herzen lag und mit demselben in direkter Verbindung zu stehen schien? Eine grössere Bedeutung erlangte die Frage, als man sich überzeugte, dass das Bojanus’- sche Organ, wenn auch nicht mit dem Herzen selbst, so doch mit dem Perieard durch bewimperte Kanäle ecommunieirt. Andere Einlässe für das Wasser sah man in den längeren oder kürzeren Spalten, welche in der Fusskante von Byssusfüh- renden und auch von vielen Byssuslosen Muscheln, sowie in den Oeffnungen (Porus aquatieus), welche auf der Fusssohle vieler Gehäuseschnecken des Meeres aus der Ordnung der Prosobranchier sich befinden. Während Anfangs diese verschiedenen Stellen als gleich- werthig angesehen wurden, theilten sich die Forscher bald in zwei Parteien, von denen die eine nur die Nierenmündung, die andere nur die Spalten im Fusse als zur Wasseraufnahme dienend be- trachtete. Leydig!) war der erste, welcher den Gedanken an das Ein- dringen des Wassers durch die Niere in Anregung brachte. Er wurde zu dieser Ansicht durch seine schönen Untersuchungen über Paludina im Jahre 1850 geführt und sagt davon: „Das Blut mischt sich in der Niere mit von aussen eingedrungenem Wasser, indem der Vorhof oder der erweiterte Ausführungsgang desselben, welcher in der Kiemenhöhle ausmündet, mit den Blutgefässen in direkter l) F. Leydig: Ueber Paludina vivipara. Zeitschr. für wissenschaft. Zoologie. Bd. II. 1850. p. 175 ff. Die Fussdrüsen der Prosobranchier ete. 435 Verbindung steht. Das Blut kann sich also in ihm mit Wasser vermischen, welches durch die Oeffnung am Basalrande des Uterus- zapfens von aussen eingedrungen ist, und in der That findet sich im Vorhofe eine wässrige Flüssigkeit mit wenig Blutkörperchen, die auf Spermatozoiden der Paludina ebenso neutral wirkt, wie das Blut des Thieres selbst.“ Trotzdem die geschilderten Verhält- nisse vollkommen richtig sind, lassen sich doch verschiedene Ein- wände gegen die daraus gezogenen Schlüsse geltend machen, und Leydig selbst hat, wie wir sehen werden, seine Ansicht darüber später wesentlich geändert. Ich möchte nur gelegentlich hier be- merken, dass die Reaktion mit den Spermatozoiden nicht beweisend sein kann dafür, dass die betreffende Flüssigkeit Blut, oder Blut mit Wasser ist, da auch aus dem Blute ausgeschiedene wässrige Flüssigkeiten sich bekanntlich den Geweben gegenüber ebenso neutral verhalten wie dieses selbst. Es genügt, Serum und Humor aqueus zu nennen; dann ist auch noch zu erwähnen, dass die Wasseraufnahme durch die Oeffnung am Uterus-Zapfen von Leydig nieht direkt beobachtet, sondern nur erschlossen wurde. Wie schon früher Milne Edwards, so sprach sich im Jahre 1851 Keber!) entschieden gegen die Existenz eines Wasserge- fäss-Systems und die direkte Aufnahme des Wassers aus. Das blasige Anschwellen des Muschelleibes, zu dessen Erklärung man ja eine direkte Zufuhr von Wasser für nöthig hielt, könne nicht von dem Einsaugen des umgebenden Wassers vermittelst der ver- meintlichen Wassergefässe herrühren, da es auch bei Muscheln vorkommt, die Tage lang im Trocknen liegen, und ein Offenstehen der Gefässenden nach aussen finde nirgends statt. Die Erscheinung des zeitweiligen Anschwellens von Fuss und Mantel erkläre sich aus dem turgor vasorum, der in Folge Verschlusses des Venenbehälters an seinem vorderen Ende durch die Venen- schleuse eintreten müsse, indem dadurch der Rückfluss des Blutes ganz oder theilweise gehemmt, der Zufluss durch die Arterien aber nicht gehindert wird. Die Beobachtung Keber’s ist vollkommen richtig — wie wenig sie aber beachtet wurde, zeigt eine Anzahl der später noch zu be- sprechenden Untersuchungen. 1) Keber: Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Weichthiere. Königsberg 1851. p. 71 ff. 436 Justus Carriere: R. Leuekart!) berichtet in seiner vergleichenden Anatomie im Jahre 1852 die alte Behauptung, dass bei Gastropoden und Lamellibranchiern Oeffnungen zur Wasseraufnahme in wechselnder Grösse und Zahl gewöhnlich an dem Rande des Fusses, seltner in der Gegend des Afters oder an dem hinteren Leibesende liegen. Die Oeffnungen führten in die wandungslosen Lacunen des venösen Cireulations-Apparates, und hier mische sich sofort das Wasser mit dem Blute. Leuekart weiss dieser alten Ansicht eine neue Seite ab- zugewinnen, indem er sie von dem physiologischen Standpunkt näher erörtert und auf die Wichtigkeit des längeren Verweilens des Wassers im Körper hinweist, wodurch ein innigerer Austauch und eine stärkere Einwirkung der im Wasser und Blut gelösten Stoffe stattfinde. Gleichzeitig betont er aber die Verschiedenartig- keit der Gebilde, welehe bei den einzelnen Thierklassen unter der Bezeichnung „Wassergefässsystem‘“ zusammengefasst wurden. Sehr bemerkenswerth ist, dass Leuckart schon in dem folgenden Jahre eine direkte Communikation zwischen dem Peri- cardium und dem exeretorischen Organ bei Phyllirhoe beobachtete ?), eine stark wimpernde Oeffnung, durch welche der Pericardialraum mit der Niere und so auch mit der äusseren Körperoberfläche in unmittelbarem Zusammenhange steht. „Mit Hilfe des betreffenden Organs (Excretionsorgan) kann der Pericardialraum mit Wasser gefüllt werden, und zwar um so leichter, als ja der ganze Schlauch in hohem Grade contraktil ist. Der Flimmerbesatz an der Ver- bindungsstelle mit dem Pericardium mag dann die Bestimmung haben, die festen, dem Wasserstrom etwa beigemischten Körperchen zurückzuweisen. Ich habe mich übrigens vergeblich be- müht, das Einströmen von Wasser in den Pericardial- raum direkt zu beobachten. Der Pericardial-Raum schien mir immer ziemlich enge und ohne auffallende Veränderung seines Volumens.“ Im Folgenden führt Leuckart aus, das dieses negative Resulat nicht gegen die Existenz einer Wasseraufnahme überhaupt spräche, wenn der etwaige Zufluss durch einen entsprechenden 1) €. Bergmann und R. Leuckart: Anatomisch - physiologische Uebersicht des Thierreiches. Stuttgart 1852. p. 279, 2) R. Leuckart: Nachträgliche Bemerkungen über den Bau von Phyllirhoe. Archiv für Naturgeschichte XIX. 1853. Bd. 1. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 437 gleichzeitigen Abfluss balaneirt würde. Dieser finde statt durch die Communikation, welche zwischen dem Vorhofe und dem Herzen durch die in der Wandung des letzteren befindlichen Lücken be- stehe, und durch diese Oeffnungen finde ohne Zweifel das durch die Niere eingepumpte Wasser seinen Abfluss, um sich unmittelbar dem farblosen Blute beizumischen. Ich kann dieser Erklärung nicht beistimmen. Da das Wasser nicht elastisch ist, Pericard und das Herz aber ständig Flüssigkeit enthält, so müsste meiner Ansicht nach das Pericard doch erwei- tert werden, wenn von der Niere aus Wasser in dasselbe hinein- gepresst würde, denn das Wasser könnte aus ihm unmöglich mit solcher Schnelligkeit in einen benachbarten, ebenfalls mit Flüssig- keit erfüllten Raum abfliessen, dass bei seinem Durchgang durch den dünnwandigen Pericardialraum nicht ein Stauen des Wassers und damit eine Erweiterung des Pericards bis zur Beendigung des allmählichen Uebertrittes der Flüssigkeit bewirkt würde. Doch das mag sich verhalten wie es will — die Hauptsache scheint mir zu sein, dass es auch einem so vortrefflichen Beob- achter wie Leuckart nicht gelang, das Einströmen von Wasser in den Pericardialraum direkt zu beobachten, oder einen Beweis für diese Annahme beizubringen. Auch die m dem Jahre 1854 veröffentlichten Untersuchungen von Gegenbaur!) über Polycera und Phyllirhoe enthalten keine anderen Angaben hierüber, als dass bei diesen Thieren die Niere mittelst eines kurzen Kanales in den Pericardialraum münde. Besonders zu beachten scheint mir der Umstand, dass die sehr entwickelten Cilien, mit welchen der Kanal besetzt ist, von dem Herzbeutel gegen den Nierenschlauch zu ge- richtet sind. Dadurch würde eine Communication vom Pericard zur Niere entschieden befördert, der umgekehrte Weg aber versperrt oder doch erschwert werden. In dem gleichen Jahre veröffentlichte Rengarten?) eine Beobachtung, die meines Wissens seither nicht bestätigt wurde, dass nämlich bei Anodonta die Nierenöffnung 8S—10 Contrak- tionen in der Sekunde mache. Selbst wenn sich das so ver- hält, beweist es nichts für eine Wasseraufnahme durch die Niere. 1) Müller und C. Gegenhaur: Ueber Phyllirhoe bucephalum. Zeit- schr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. V. 1854. p. 366. 2) v. Rengarten: De Anodontae vasorum systemate. Diss. inaug. Dorpati Livonorum. 1854. 8 Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 21. 29 438 Justus Carri£re: Eine neue Ansicht über die Art des Wassereintrittes und das Wassergefäss-System stellte Leydig!) im Jahre 1855 gelegent- lich seiner Untersuchung über Cyelas auf. Er sagt: „An jungen Thieren (Embryonen) habe ich auch bezüglich des Wassergefäss- Systems etwas gesehen, was unsere Ansicht über die Existenz der wasserfübrenden Kanäle fester stellen dürfte. Ich erblickte näm- lich mit aller Schärfe die „Fori aquiferi“ der Haut. Hat die Muschel den Fuss bestmöglichst ausgestreckt, so fixire man den Rand derselben, man wird da erkennen, dass zweierlei Wimper- häärchen schlagen, feinere und von Stelle zu Stelle ein Büschel längerer. Die Wimperzellen bilden einen fein feingranulirten, ziemlich dieken Saum. Wendet man diesem seine Aufmerksamkeit zu, so markiren sich klar und deutlich in ihm helle Kanäle von 0,0008‘ Durchmesser, einfach oder verzweigt. Die äussere Mün- dung ist zwischen den Flimmerhäärchen angebracht, die innere seht in das Lückennetz über, welches zwischen der Fussmuskula- latur bleibt.“ H.v. Ihering hat das als eine grobe Täuschung hingestellt, beruhend auf einer Verwechslung mit den Falten des Epithels. Ich konnte sie früher nicht wahrnehmen, glaube mich aber jetzt von dem Vorhandensein dieser von Leydig beschriebenen Kanäle überzeugt zu haben; nur möchte ich denselben eine andere Bedeu- tung zuschreiben. Auf genügend dünnen Schnitten, welche man durch den Fuss von Muscheln oder Schnecken legt, und die mit Carmin gefärbt sind, bieten sich Bilder, welche ganz der Leydig- schen Beschreibung entsprechen. Färbt man aber mit Cochenille- tinktur und mit Fuchsin, auch mit Pikrocarmin, so sieht man, dass diese scheinbar leeren Kanäle entweder vorher unsichtbar gewesene Drüsen- und Becherzellen des Epithels, oder die Aus- führungsgänge der unter dem Epithel gelegenen kolbenförmigen Drüsenzellen sind (Fig. 17, 22, 24, 32 A und B). Mit Carmin färbt sich der Schleim nicht, der Inhalt der Ka- näle bleibt unsichtbar und dieselben erscheinen leer, beziehungs- weise mit Wasser gefüllt. Auch an den Kiemen erkannte Leydig wasserführende Porenkanäle, doch hatte ich an diesem Objekt noch keine Gelegen- heit, mich von ihrem Vorhandensein zu überzeugen. 1) FE. Leydig: Ueber Cyclas cornea Lam. Müller’s Arch. 1855. p. 55. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 439 Aus dem Jahre 1856 besitzen wir zwei einander wider- sprechende Angaben. Langer!), welcher das Getäss-System der Teiehmuschel eingehend untersuchte, kommt zu dem Schlusse, dass die Wasseraufnahme nicht durch Oeffnungen am Fusse vor sich gehe. Sondern der Weg führe durch die Niere und den rothbraunen Manteltheil in das Pericard, und nur an dieser Stelle sei das Ge- fäss-System nach aussen geöffnet und nur auf diesem Wege könne es Wasser aufnehmen. Da der obere Theil des Muschelleibes dicht an der Schale liege, so müsse Oeffnen und Schliesen dersel- ben mit Volumveränderungen der dortigen Höhlungen (Herz mit Vorhöhle, Bojanus’sches Organ) vor sich gehen. Schliessen der Schalen presse den Inhalt aus, Oeffnen sauge Wasser durch das Athemloch (Nierenöffnung) in sie hinein, und es sei leicht denk- bar, wie durch wiederholtes Oeffnen der Schale, nachdem das ein- mal eingesogene Wasser in den Fuss durch die Arterien und in den Mantel seinen Ablauf genommen habe, das Thier förmlich Wasser in sich hineinpumpen könne. Agassiz?) dagegen lässt die Wasseraufnahme gerade durch den Fuss geschehen. So findet sich nach ihm bei Pyrula carica und Pyrula eanaliculata in der Mitte des Fusses eine bedeutend grosse Oeffnung, — weit genug, eine Federspule aufzunehmen —, die sich in dem Fusse verästelt und endlich frei durch eine Menge kleiner Zweige in die Bauchhöhle mündet. Bei anhaltenden In- jektionen durch diese Oeffnung glückte es, nicht nur den Fuss und die Bauchhöhle, sondern auch das ganze Gefäss-System zu füllen. Mactra solidissima von Massachussets besitzt zu beiden Sei- ten des Fusses an "seiner unteren Hälfte regelmässig in schiefe Reihen geordnete Poren, welche sich nach innen zu immer weite- ren Kanälen vereinigen und im oberen Theil des Fusses eine ge- räumige Höhle bilden. Auch durch ein Experiment suchte Agassiz die direkte Wasseraufnahme durch diese Oeffnungen nachzuweisen, indem er Thiere von Natica heros, welche ganz in ihre Gehäuse zurückge- zogen waren, in einen graduirten Cylinder voll Wasser brachte, 1) Karl Langer: Das Gefässsytem der Teichmuschel. Denkschriften der Wiener Akademie, mathem.-naturwissenschaftl. Classe. Bd. XII. Abth. II. 1856. p. 43. 2) Agassiz, L.: Ueber das Wassergefässsystem der Mollusken. Zeit- schr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. VII. 1856. p. 176. 440 Justus Carriere: und nun beobachtete, dass auch bei dem stärksten Anschwellen des Fusses der Stand des Wassers sich nicht änderte. Also musste dasselbe durch den Porus in den Fuss eintreten. Was diese Oeffnungen betrifft, so wissen wir jetzt, dass sie niehts anderes darstellen, als die Mündungen verschieden grosser und verschieden stark verästelter Drüsen. Agassiz gerieth eben bei seiner Untersuchung unmerklich aus der Drüse in die be- nachbarten Blutgefässe, durch welche er natürlich die Bauchhöhle und das Gefäss-System injieiren Konnte. Das Experiment, welches Agassiz beweisend schien, lässt vielleicht auch die Deutung zu, dass in dem Maasse, als sich der Fuss aus der Schale hervorstreckt, entsprechend Wasser dafür in dieselbe hineintritt. Und mit was dehnt denn z. B. eine Land- schnecke, wie Helix pomatia, ihren Fuss und den vorderen Theil ihres Körpers aus, welchen sie oft ausserordentlich weit aus dem Gehäuse heraustreten lässt? In derselben Mittheilung gibt Agassiz von Fischen, wie Rhom- bus eryptosus, an, dass sie, und zwar speziell die genannte Art zu beiden Seiten in einiger Entfernung von der Rückenlinie eine Reihe weitgeöffneter Wasserporen besitzen, die leicht injieirt werden können, durch einen gemeinsamen Gang in den Cuvier- schen Sinus münden, und somit dem Blute Wasser zuführen. Seit den schönen Untersuchungen Leydig’s!) und F. E. Sehulze’s?) wissen wir, dass diese Organe ganz anderen Funk- tionen vorstehen. Warum wollen wir denn ‚nicht zugeben, dass Agassiz sich wie in diesem, so auch in dem anderen Fall geirrt haben könne? In dem Lehrbuche der Histologie, welches Leydig?) im Jahre 1857 veröffentlichte, nimmt er einen seinen früheren An- schauungen gegenüber etwas veränderten Standpunkt ein. Er vermuthet, dass das durch die Haut aufgenommene Wasser, nachdem es sich dem Blute beigemengt und den Körper durch- kreist hat, durch die eontraktile Niere sich entleert, und da- 1) F.Leydig: Ueber die Schleimkanäle der Knochenfische. Müller’s Archiv 1860. — Ueber das Organ eines 6. Sinnes. Dresden 1868. 2) FE. E. Schulze: Ueber die Sinnesorgane der Seitenlinie bei Fischen und Amphibien. Zeitschr. f. mikrosk. Anatomie. 1870. 3) F. Leydig: Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfurt 1857. p. 394, 442. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 441 bei die Öoneremente derselben mitnimmt. Dieser Auffassung Leydig’s steht keinerlei anatomisches Hinderniss im Wege und ich glaube, dass sich auch von physiologischer Seite kein Ein- spruch dagegen erheben wird, während sie auch mit den Ansichten von Keber und Leuckart, sowie mit der früheren von Milne- Edwards leicht zu vereinigen ist. In den im Jahre 1858 erschienenen Lecons sur la physiologie nimmt Milne Edwards!) allerdings nach Langer eine Aufnahme des Wassers durch das Bojanus’sche Organ behufs Schwellung des Fusses an, obwohl seine Arbeiten im Jahre 1844 ihm zu beweisen schienen, dass eine direkte Wasseraufnahme nicht stattfinde; doch die Angaben von Agassiz und Langer sprächen zu klar dafür und die Poren im Fusse dienten dann wohl zur Ausfuhr des durch die Niere eingenommenen Wassers. Auch bei den Gastropoden dürfe man nach den sich täglich mehrenden Beobachtungen nicht mehr an dem Vorhandensein direkter Verbindungen zwischen den Blutbehältern und der Körperoberfläche zweifeln; Verbindungen, durch welche eine gewisse Quantität Wasser direkt in diese La- cunen eindringen und sich dort mit der Blutflüssigkeit mischen kann, oder durch welche ein Theil des letzteren entweichen kann, wenn das Thier sich gezwungen sieht, sein Körpervolum beträcht- lich zu verkleinern. — Nur der positive Ton, mit welchem nament- lich die Angaben von Agassiz auftraten, vermochte Milne- Edwards, den neueren Untersuchungen den Vorrang vor seinen eigenen älteren einzuräumen, und er gibt die neueren Anschauungen wieder, referirend und ohne für dieselben einzutreten, und wie es mir scheint, ohne seine frühere Meinung, welche wohl die richtige war, wirklich aufzugeben. Uebereinstimmend mit Agassiz und im Gegensatze zu Langer glaubte Hessling?) in seinem 1859 erschienenen, an interessanten Aufschlüssen reichen Buche über die Perlmuschel die Eintrittsstelle des Wassers in einer Oeffnung im Fusse nach- weisen zu können. Er bespricht zuerst zwei andere Stellen, aus welchen Wasser- strahlen ausgestossen werden könnten, wobei er eine direkte 1) Milne Edwards: Lecons sur la physiologie. Tome Ill. Paris 1858. pag. 125, 155. 2) Hessling: Die Perlmuschel und ihre Perlen. Leipzig. Engelmann. 1859. p. 258. 442 Justus Carriere: Ausmündung der Kiemenvenen am hinteren Ende der Muschel an- nimmt, und fährt dann fort: die dritte und vorzüglichste Oeffnung in der Mitte der unteren Fusskante führt in einen 20—22 mm langen, 4 mm breiten von unten nach oben und hinten gebogenen Kanal; dieser mündet mit einer eigenen bindegewebigen Wan- dung versehen in das spongiöse, graugelbe Gewebe, welches die Muskulatur des Fusses und die in ihm gelegenen drüsigen Organe von einander scheidet. Thiere, welche nach dem Absterben ein paar Tage in frischem Wasser gelegen hatten, konnten durch diesen Kanal vollständig injieirt werden. Ich habe schon früher!) nachgewiesen, dass dieser Kanal der Ausführungsgang einer ziemlich stark entwickelten Drüse ist, was Hessling bei Anwendung des Mikroskopes wohl auch gefunden haben würde. Einer ganz eigentümlichen Ansicht über das Wassergefäss- System begegnen wir bei Rolleston und Robertson), welche auf Grund von Injektionsversuchen dasselbe in die Geschlechts- organe verlegten und deren Oeffnungen zu beiden Seiten des Körpers als seine Ausführungs-Oeffnungen betrachteten, während sie die Geschlechtsorgane an anderen Stellen zu finden glaubten. Darauf entgegnete H. Lacaze-Duthiers®) noch im gleichen Jahre, dass seine Nachuntersuchung ihm seine früheren Angaben über die Funktion der fraglichen Organe bestätigt habe und hielt die von ihm erkannte und zuerst näher erforschte Bedeutung als Geschlechtsorgane aufrecht. Was dann das Vorhandensein eines bald geglaubten, bald geleugneten Wassergefäss-Systems beträfe, so beschränke sich dasselbe auf eine Wasseraufnahme in das Blut vermittelst der Niere, während seine reinen Injektionen durch die von ihm bei Pleurobranchus aurantiacus gefundene Oeffnung bis in das Herz des Thieres hinein dringend bezeugten, dass bei 1) Die Drüsen im Fusse der Lamellibranchiaten. Arbeiten aus dem zool.-zoot. Institut Würzburg. Bd. V. 1879. 2) Geo.Rolleston and Robertson: Proceedings of the Royal society. Vol. IX. Nr. 34. p. 634. 1859. 3) H. Lacaze-Duthiers: Note respecting the Circulation of Gastero- podous Mollusca, and the supposed Aquiferous Apparatus of the Lamel- libranchiata. Dezember 1859. 'The annals and magazine of natural history. Vol. V. Series III. p. 225. London 1860. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 443 Pleurobranchus das Blutgefäss-System mit dem umgebenden Wasser in direkter Verbindung stehe. Das Vorhandensein einer solchen direkten Communikation lasse die Annahme eines Wassergefäss- Systemes zur Erklärung der Volumveränderungen des Mollusken- körpers weniger nothwendig erscheinen. Auf diese Ausführung von Lacaze-Duthiers erwiderte Rolleston!) im Jahre 1861 in ausführlicher Weise; er gibt seinen Irrthum in Bezug auf die Geschleehts-Organe zu, erklärt aber da- bei, dass er seine Ansicht, der Körper der Lamellibranchier sei von einem Kanalsystem durchzogen, welches von den Blutgefässen getrennt ist, aufrecht halte. Bei den Lamellibranchiaten oder wenigstens bei den Unioniden hängen seiner Auffassung nach die Blindsäcke der Geschlechtsdrüsen seitlich an den Verzweigungen des Wassergefäss-Stammes; sie liegen nicht in der direkten Bahn der Wasserkanäle und letztere gehen jenseits der Blindsäcke in ein sehr fein zertheiltes System von Capillar-Röhren auseinander. Die Oeffnungen an jeder Seite des Fusses führen also nicht nur zu den Geschlechtsdrüsen, sondern auch in ein durch den ganzen Fuss verbreitetes Röhrensystem. Rolleston glaubt nicht, dass dieses mit den Blutgefässen oder den Oeffnungen in der Fuss- kante in Verbindung stehe, und stellt den Vorgang der Wasser- aufnahme folgendermassen dar. Wenn das Thier seine Schalen öffnet, so erweitert sich der Pericardialraum, und es wird in den- selben Wasser durch das Bojanus’sche Organ eingesogen. Dieses Wasser strömt dann mit dem Blute in den Blutgefässen weiter, diffundirt aus denselben in die innen überall anliegenden Wasser- röhren und wird normaler Weise durch dieselben (also durch die Ausführungsgänge der Geschlechtsorgane) entleert. Diese Hypothese stützt Rolleston auf Injektionen, welche er bei Anodonta und Margaritana margaritifera machte, und bei welchen er von 2 bis 3 Punkten aus (z. B. Sinus venosus, Aorta und Genitalöffnung) eben soviel verschieden gefärbte Massen in den Körper hineinschickt. Dieselben erfüllten neben und zwischen einander den ganzen Fuss. Bei leichtem Druck kommen bei Ano- donta kleine .Tröpfehen der Injektionsmasse an der Fusskante 1) Geo. Rollestonand Robertson: On the Aquiferous and Oviducal System in the Lamellibranchiate Mollusca. August 1861. Philosophical Trans- actions of the Royal society of London. 1862. Vol. II, 152, p. 29. London 1863, 444 Justus Carriere: heraus, bei Margaritana wurde nur das Epithel Hernien-förmig an einzelnen Stellen vorgedrängt. Und auch bei starkem Druck auf den ganz mit Injektionsmasse erfüllten Fuss drang dieselbe nicht durch den langen und breiten Kanal heraus, was Rolleston be- wog, die Einsenkungen und Poren in der Fusskante der Muscheln als Drüsen zugehörig zu betrachten. Er schliesst desshalb auch auf ein entsprechendes Verhalten bei Pyrula und neigt sich zu der Ansicht, die drüsige Einsenkung bei Margaritana sei homolog der Fussdrüse der Gastropoden und eine direkte Communication zwischen diesem Organ der Lamellibranchier und dem Gefäss- System bestehe ebensowenig, als zwischen letzterem und der Schleimdrüse von Limax. Sehr bemerkenswerth scheint mir die Ansicht zu sein, welche Hancock!) 1364 über diesen Gegenstand äusserte. Er kommt gelegentlich einer Untersuchung der Niere bei einer Anzahl Nudi- branchiaten und einer Vergleichung derselben mit den Harnorganen der Cephalopoden auch auf das Wassergefäss-System zu sprechen und schliesst mit folgenden Sätzen: Such being the condition of the renal organs in these two groups of mollusks, it seems evident enough that they are not designed for the reception of water from the exterior; and indeed in neither the Cepha- lopod nor the Nudibranch could it possibly penetrate further than the first or renal chamber, as the passages connecting it with the other chamber in both these forms would be closed on the slightest pressure of tlıe contained fluid, much in the same manner that the ureters are in the bladder of the higher animals. Fluid, however, may be easely made to pass in the contrary direction, namely, from the genital chamber in the one, or from the pericardial chamber in the other, to the renal chamber, and hence to the exterior through the external orificees. Thus an irresistible inferenee is raised in favour oft the view that these cham- bers are for the purpose of throwing fluid out of the system, not for the purpose of taking it in. Es ist dies im Allgemeinen die 1) Hancock sieht die Niere als aus zwei Theilen bestehend an, der Pericardial-Kammer und der Renal-Kammer, während wir jetzt meist nur den äusseren Abschnitt Niere, den inneren (Herzbeutel) Pericardium nennen. 2) A. Hancock: On the structure and homologies of the renal organ in the Nudibranchiata Mollusca. The transactions of the Linnean society of London. Vol. XXIV, London 1864. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 445 alte Leydig’sche Annahme, aber was Leydig nur als seine Vermuthung hinstellte, spricht Hancock bestimmt aus, wenn er sagt, aus der Beschaffenheit der Harnorgane sei klar ersicht- lich, dass sie nicht zur Aufnahme von Wasser bestimmt seien; dieses könne weder bei den Cephalopoden noch bei den Nudibranchiern weiter eindringen als in die äussere oder Nieren- kammer, da die Verbindungen derselben mit der anderen Kammer bei beiden Formen bei dem leisesten Druck in ähnlicher Weise verschlossen würden wie die Uretheren in der Blase der höheren Thiere. In entgegengesetzter Richtung, nämlich von der Genital- Kammer im einen und der Pericardial-Kammer im anderen Fall zu der Renalkammer könne sich Flüssigkeit leicht bewegen, und diese Kammern könnten also nur den Zweck haben, Wasser aus dem Gefäss-System auszuscheiden, nicht es in dasselbe einzuführen. In dem gleichen Jahre kam Leydig!) in seinem leider nicht zu Ende geführten Buche über den Bau des thierischen Körpers auf seine früheren Angaben über Paludina und Cyclas cornea zurück und erwähnte dann als Beispiel für die Wasseraufnahme durch die Haut, dass Nacktschnecken, welche auf nassen Steinen herum- krochen, soviel Wasser aufgenommen hatten, dass sie davon ganz prall gefüllt waren und man die Eingeweide durchschimmern sah. In dem Augenblick wo die Thiere berührt wurden, floss in Menge ein helles Fluidum und zwar anscheinend durch die Nierenöffnung ab. Schon im nächsten Jahre sprach sich Leydig?) wieder über die Wasseraufnahme in den Körper der Mollusken und zwar speeiell der Lungenschneeken aus, und im Einklange und mit Erweiterung seiner früheren Mittheilungen lässt er dieselbe bei den Muscheln durch die Kanäle des Epithels, bei den Land- schneeken aber hauptsächlich — gleich Gegenbaur?) — durch den Mund geschehn, indem die Thiere förmlich trinken. Die Ausscheidung des so aufgenommenen Wassers geht dann durch die Niere vor sich und zwar ebensowohl bei den Lungen- schnecken des Landes wie bei denen des Wassers, wofür Leydig 1) F. Leydig: Vom Bau des thierischen Körpers. Tübingen 1864. p. 68. 2) F. Leydig: Zur Anatomie und Physiologie der Lungenschnecken. Arch. f. mikrosk. Anatomie Bd. I. 1865. 3) C. Gegenbaur: Grundzüge der vergleichenden Anatomie. 1859. pag. 352. 446 Justus Carrießre: eine Anzahl von Beispielen theils eigener Beobachtung, theils an- deren Autoren entnommen, anführt. Die austretende Flüssigkeit scheint Harn vermischt mit Blutwasser zu sein. Während so Leydig von den Lungenschnecken be- hauptete, dass die Niere hier nicht die Aufnahme, sondern die Aus- scheidung des Wassers vermittle, wurde Rud. Bergh!) durch seine Untersuchungen der Opistobranchier zu der gleichen Ueberzeugung gebracht. Er fand für die Communikation zwischen Pericard und Niere den bezeiehnenden Namen „Nierenspritze“ (Nyresprööte, Syrinx renalis), indem er annahm, dass dieses Or- gan der Wimperrichtung entsprechend die Niere mit der Haemo- Iymphe des Herzbeutels ausspritze und so die Harneonkremente herausbefördere. Der entgegengesetzten Ansicht ist Semper?). Gelegentlich der Beschreibung eines Räderthieres im Jahre 1872 spricht er sich auch über das Wassergefässsystem der Mollusken folgendermassen aus. Bei diesen Thieren wird durch die Niere nicht nur Wasser in das Blut, sondern auch das Produkt des drüsigen Theiles der Niere selbst aufgenommen. Dies ist ziemlich leicht bei der Gattung Pinna festzustellen. Die sehr grossen Konkremente gelangen als solche nie in den weiten, sackförmigen Vorhof der Niere, welcher einerseits mit kleiner spaltförmiger Oeffnung nach aussen mündet, anderseits durch einen Kanal in den Herzbeutel. Der Nierensack nun enthält eine braune Flüssigkeit, deren Farbe nur durch die Auflösung der braunen Konkretionen entstanden sein kann. Es wird also auch hier das Sekret des Exkretionsorganes in flüssiger Form dem Stoffwechsel wieder zugeführt. Ich muss gestehen, dass mir das vollkommen widernatürlich vorkommt, und es mir leichter erscheint anzunehmen, dass die in den Herzbeutel ausgeschiedene Flüssigkeit, ehe sie den Körper verlässt, noch die Konkremente auflöst und so durch die enge Nierenöffnung nach aussen mit entleert. Während die meisten Autoren, welche den Oeffnungen in dem Fuss eine Rolle bei der Wasseraufnahme zuschreiben, sie als 1) Rud. Bergh: Bidrag til en Monographie of Phyllidierne. Natur- hist. Tidschrift V. 1869. p. 527, 540. 2) C. Semper: Trochosphaera aequatorialis. Zeitschrift für wissen- schaftl. Zoologie 1872. Bd. XXI. p. 317. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 447 Eintrittstellen des Wassers ansehen, nimmt Gegenbaur an, dass sie dem Austritte des Wassers dienen. Gegenbaurt) ist der Ansicht, dass die Leibeshöhle wie bei vielen Würmern, so auch bei den Mollusken durch die Exkretions- organe mit dem umgebenden Medium kommunizirt, woraus eine Aufnahme von Wasser und eine Zumischung desselben zum Blute entspringt. Ausser diesen Verbindungen nach aussen bestehen aber noch besondere direkte Kommunikationen durch Oeffnungen am Fusse bei Muschelthieren und Cephalophoren, wodurch der Auslass von Leibesflüssigkeit besorgt wird. Das aufgenommene Wasser dient zum Schwellen des Fusses und somit der Lokomotion. — Da zu diesem Zwecke eine grössere Menge Wassers eindringen sollte, war es natürlich, dass Gegenbaur sich nach Oeffnungen umsah, durch welche dieses nach Verrichtung seines Dienstes wieder aus- gestossen werden konnte, und weil er der Niere die Aufnahme zutheilt, musste er konsequenter Weise in den Oeffnungen am Fusse, deren anderweitige Bestimmung ja erst in neuester Zeit nachgewiesen wurde, die Auslässe des Wassers sehen. Wiederum im Widerspruche hiermit stehen die Resultate, zu welchen Kollmann?) durch seine 1876 veröffentlichten Unter- suchungen gelangte. Er weist zunächst darauf hin, dass Injek- tionen bei Thieren, welche abstarben während der Fuss weit zwi- schen den Schalen hervorragte, zeigen, dass die Füllung der ar- teriellen Gefässe und Capillaren allein genüge, um die enorme Schwellung des Fusses herbeizuführen. Dann spricht sich Koll- mann gegen Langer’s Ansicht aus und glaubt nicht, dass Wasser von dem Bojanus’schen Organ in das Blutgefässsystem übergehe, sondern nimmt an, dass die Wasseraufnahme bei Anodonta wie bei Unio margaritifera und Mactra solidissima, ferner bei Pecten, My- tilus, Spondylus und Pinna durch Oeffnungen an der Kante des Fusses stattfinde. Bei Unio margaritifera zeigen Injektionen durch den Spalt am Fusse die direkte Kommunikation des venoes-Iymphatischen Stromgebietes mit dem umgebenden Wasser, sobald das Thier die- 1) C. Gegenbaur: Grundzüge der vergleichenden Anatomie 1859. Grundriss der vergleichenden Anatomie 1874. p. 397. 2) Kollmann: Der Kreislauf des Blutes bei den Lamellibranchiern, den Aplysien und den Cephalopoden. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. XXVI. 1876. 448 Justus ÜCarriere: selbe herstellen will. Aber gegen die Angaben von Hessling und Agassiz gelingt es Kollmann niemals, von dem Spalt aus das ganze Gefässsystem zu injieiren, sondern es füllten sich zuerst die Lücken des Bindegewebes, dann der Sinus Bojanus und die Kiemen, nie die Arterien und das Herz. „Was bei Peeten, Spon- dylus und Mytilus bisher als Fuss, auch als „rudimentärer Fuss“ bezeichnet wurde, ist nichts anderes als eine mit Streck- und Schliessmuskeln vortrefflich eingerichtete Röhre, welche die Zufuhr des Wassers vermittelt. Man wird also in Zukunft diese walzen- förmigen, schirmartigen und trichterförmigen Anhänge besser als Wasserröhren bezeichnen.“ — Da sich später herausstellte, dass die Basis, von der Kollmann bei Anfertigung der Injektionen ausging und auf welcher er seine Schlüsse baute, unrichtig war, indem er statt in offene Wasserröhren in Drüsenmündungen imjieirte, sodass die Injektionsmasse erst nach Durchbrechung der Drüsen- wandung in den Körper gelangte (womit ganz übereinstimmt, dass sich nach seiner Angabe zunächst die Lücken des Bindegewebes füllten) werden wir auch die aus seinen Injektionen gezogenen Schlüsse nieht mehr als bindend annehmen dürfen. Aus den Jahren 1876 und 1877 besitzen wir verschiedene Mittheilungen H. v. Ihering’s!) über diesen Gegenstand, die in ihrer Folge zeigen, wie der Autor von seiner ersten Ansicht über die Wasseraufnahme durch die Niere im Laufe seiner Unter- suchungen mehr und mehr zurückkam. So sagt er, um mit der ersten zu beginnen, folgendes über das Wassergefässsystem von Thetis. Es kommunizirt der Ureter durch einen Trichter (die ‚‚Nieren- spritze“ Bergh’s) mit dem Pericard, doch kann die Kommuni- kation durch einen in der Pericardialöffnung befindlichen, von zahlreichen ringförmigen Muskelfasern gebildeten Sphinkter nach Belieben aufgehoben worden. Bei lebenden oder erst vor sehr kurzer Zeit gestorbenen Thieren gelang es nicht, Flüssigkeiten vom Ureter aus durch den Trichter in das Pericardium zu injieiren, dagegen leicht bei Thieren, die schon längere Zeit todt waren. Daraus folgert Ihering, dass durch den Ureter nicht blos das Wasser eingeführt werde, durch welches die festen Nieren- 1) H. v. Ihering: Thetys. Ein Beitrag zur Phylogenie der Gastro- poden. Morphologisches Jahrbuch. Bd. II. Heft 1. 1876. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 449 konkremente ausgespült werden, sondern auch das Wasser, welches dem Blute zugeführt wird. Dann führt er die Mittheilung Trinchese’s über Ercolania an, dass bei diesem Thiere neben dem After eine Oeffnung liege, die in das, Hydrocardium genannte, Endstück der Niere führt. Diese Oeffnung schliesst und öffnet sich von Zeit zu Zeit. Bei dem Oeffnen erweitert sich das Hydrocardium, sobald sie sich schliesst, kontrahirt sich dasselbe, und zur selben Zeit schwellen die Kiemen an. Weder durch die eine noch durch die andere Angabe scheint mir eine direkte Wasseraufnahme in das Blut konstatirt zu sein. “ In einer andern Arbeit stellt Ihering!) die Existenz der Leydig’schen Wasserkanäle zwischen den Epithelzellen in Abrede und nimmt an, dass Leydig durch Falten des Epithels getäuscht worden sei, während er die von delle Chiaje angegebenen Kanäle des Wassergefässsystems von Tritonium nodiferum als aus einem inneren nicht flimmernden Epithel und einer dasselbe umgebenden sehr mächtigen Ringmuskelschicht bestehend erwähnt. Die Notiz hierüber ist sehr kurz gehalten, und es ist mir nicht klar, was Ihering hier gesehen hat und ob vielleicht eine Verwechslung mit grossen Blutgefässen möglich sein könnte. In dem Jahre 1877 äussert Ihering?) über diesen Gegen- stand: „das von der Niere aufgenommene Wasser würde die doppelte Leistung vollziehen, einmal die Niere auszuspülen und die Harn- konkremente zu entfernen und dann dabei den respiratorischen Gaswechsel zu unterstützen. Die Bedeutung der Niere für die Wasseraufnahme in das Blut scheint bedeutend überschätzt zu wer- den, und man hätte nicht nöthig, so sehr auf diesem Punkte zu bestehen, da anderweitige Einrichtungen zur Aufnahme von Wasser in das Gefässsystem bestehen. Dann kommt er im Jahre 1878?) noch einmal darauf zurück und weist darauf hin, dass er selbst die Irrigkeit der verbreiteten 1) H. v. Ihering: Ueber die Ontogenie von Oyclas und die Homologie der Keimblätter bei den Mollusken. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie Bd. XXVI, 1876, p. 418. 2) H. v. Ihering: Zur Morphologie der Niere der sogenannten „Mol- lusken“. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. XXIX, 1877. p. 602. 3) H. v. Ihering: Ueber die Hautdrüsen und Hautporen der Gastro- poden. Zoologischer Anzeiger Bd. I. 1878. p. 274. 450 Justus Carricere: Annahme nachgewiesen habe, wonach die im Pericardium der Schnecken anzutreffende Oeffnung der Wasseraufnahme diene, da ja das Perieardium einen geschlossenen Sack darstelle, der, wie die Existenz von Pericardialkiemen bei Phillidiaden und Doriopen (Bergh) lehrt, der Respiration dienen kann. Obschon ich die Arbeiten von Ihering, in welcher er über eine Wasseraufnahme durch die Niere spricht, alle zu kennen glaube, ist mir doch die Stelle, wo er direkt ihr Nichtvorhanden- sein nachweist, entgangen; ich begnüge mich aber damit durch die oben eitirten Stellen zu konstatiren, dass Ihering schliess- lich ein entschiedener Gegner der Wasseraufnahme durch die Niere geworden ist. — Während Kollmann angibt, dass die Wasser- aufnahme in den Fuss die Anschwellung desselben bewirke und nur eintrete, wenn es sich um Ortsveränderungen handle, oder die Thiere sich unter fremden Bedingungen befänden, sagt Sabatier!), welcher sonst Kollmanns Standpunkt vertritt, in seiner eingehenden Untersuchung über die Anatomie des Mytilus edulis: Das Wasser- gefässsystem steht nicht in Beziehung zu dem Anschwellen des Fusses bei den Muscheln. Die Beschaffenheit desselben, die Klein- heit der Oeffnung, der Mechanismus der Wasseraufnahme sprechen gegen eine schnelle Aufnahme einer grösseren Wassermenge. Diese Erscheinung entsteht einfach durch eine Dislocation der schon im Körper enthaltenen Flüssigkeit, welche durch die Con- traktion des übrigen Körpers in den Fuss getrieben wird. Das durch die Oeffnung in der Fussspitze in kleinen Quantitäten, tropfenweis aber fast beständig aufgenommene Wasser dient einer- seits dazu, die in ziemlicher Menge durch Exosmose und Harnaus- scheidung verloren gehende Flüssigkeit zu ersetzen, anderseits dazu, dem Blute sauerstoffreiches Wasser zuzuführen. Mit dem einen Theile dieser Darlegung, wonach die An- schwellung des Fusses durch die in dem Körper schon vorhandene Flüssigkeit zu Stande kommt, bin ich ganz einverstanden. Mit dem zweiten Theile aber, der Ausführung über die Auf- nahme und Verwendung des Wassers, hat sich der Autor dieser schönen Untersuchung eine vergebliche Mühe gemacht; denn durch die Oeffnung unterhalb der Spitze des Fusses kann weder in grossen noch in kleinen Quantitäten Wasser eingenommen werden, 1) M. A. Sabatier: Anatomie de la moule commune. Annales des sciences naturelles, VI serie, Zoologie, Tome V, p. 1. Paris 1877. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 451 da sie, wie Tullberg!) zuerst nachgewiesen hat, nicht existirt. Das heisst, eine rautenförmige Spalte ist da wohl vorhanden, aber nur als die Mündung einer Drüse. Eine Wasseraufnahme durch das Bojanus’sche Organ nimmt Sabatier nicht an. Die letzte Aeusserung über die Wasseraufnahme verdanken wir Griesbach?). Sie ist von um so grösserer Wichtigkeit, als derselbe durch eine ebenso eingehende als genaue Untersuchung des Bojanus’schen Organes zu dem Schlusse kommt: Eine Wasseraufnahme durch die Niere findet nicht statt, die Oeff- nung in der Vorhöhle des Bojanus’schen Organs ist keine Aus- und Einfuhr-Oeffnung, sondern nur das erstere. Als Stellen des Wassereintrittes bezeichnet Griesbach dann vornemlich den Fuss (nach Kollmann) und den rothbraunen Manteltheil (nach Langer), indem er für den von ihm verschlossenen Weg einen anderen nach- weisen zu müssen glaubte. im Jahre 1879 legte ich?) in einer kleinen Abhandlung dar, dass die Oeffnungen, welche sich bei vielen Muscheln in der Kante des Fusses befinden, Mündungen von Drüsen sind, durch welche eine Aufnahme von Wasser in das Blut nicht ver- mittelt werden kann, und kam zu dem Schlusse, dass, wenn über- haupt Wasser in grösserer Menge in das Blut aufgenommen würde, dies nur durch die Niere geschehen könne. Die gleichzeitigen Untersuchungen von Th. Barrois*) über die Drüsen im Fusse verschiedener Muscheln bestätigten meine An- gaben in jedem Punkte. Schon damals begann ich mit der Untersuchung des „Porus aquaticus“ der Gastropoden, und kam, wie im ersten Theile dieser Abhandlung beschrieben ist, zu dem Resultate, dass auch hier die an dem Fusse vorhandenen Oeffnungen Mündungen verschieden- artiger Drüsen und nicht Einlässe für das Wasser sind. Die Geschichte des Wassergefäss-Systemes der Lamellibranchier und Gastropoden, welche ich hier zusammenzustellen versuchte, überrascht durch die Art und Weise, wie die verschiedenen Theo- 1) Tycho Tullberg: Ueber die Byssus des Mytilus edulis. Upsala 1877. 2) Griesbach: Ueber den Bau des Bojanus’schen Organes der Teich- muschel. Arch. f. Naturgeschichte. 43. Jahrg. Bd. 1. p. 63. 1877. 3) Justus Carriere: Die Drüsen im Fusse der Lamellibranchiaten. Arbeiten aus dem zool.-zoot. Institut Würzburg. Bd. V. Taf. V und VI. 4) Th. Barrois: Bulletin scient. du Departement du Nord. Lille 1879—80, 452 Justus Carriere: rien, von denen fast jede die Aufgabe hat, die zeitweilige An- schwellung des Fusses zu erklären, immer eine der anderen wider- sprechen. Beinahe alle diese Theorien fussen auf der Annahme, dass eine solche locale Vergrösserung eines Körpertheiles nur zu Stande kommen könne mit Hilfe von Wasser, welches die Thiere direkt aus dem umgebenden Medium in die Blutbahn ihres Kör- pers einführten. Der ursprünglichen Ansicht delle Chiaje’s, nach welchem die Lamellibranchier und Gastropoden neben dem Blutgefäss-System und unabhängig von demselben ein System von Wasserkanälen besitzen sollten, welche den Tracheen der Insekten vergleichbar den Körper der Thiere durchziehen und dureh deutliche Oeff- nungen — meist am Fusse — ausmünden, erwuchsen schnell ge- wichtige Gegner. In dem Maasse, wie unsere Kenntnisse der Ana- tomie der Mullusken zunahmen, schwand der Glaube an dies System mehr und mehr und fünfundzwanzig Jahre nach seinem ersten Auftreten war das Wassergefäss-System delle Chiaje’s als nicht vorhanden erkannt und aufgegeben. Doch damit war die Frage noch nicht erledigt, denn man sah ja, dass der Fuss der Muscheln und Schnecken sich zeit- weilig vergrösserte, und man sah auch die Oeffnungen an dem- selben. Es wurden desshalb nur neue Hypothesen an Stelle der abgeworfenen gesetzt mit der Aenderung, dass die Wasserauf- nahme direkt in die Blutgefässe stattfinden sollte. Diese neueren Anschauungen lassen sich in zwei allgemeine Gruppen zusammen- stellen, so dass die beiden Hauptsätze lauten würden: 1) Es gibt eine direkte Wasseraufnahme durch die Niere oder das Bojanus’sche Organ und das Pericardium. 2) Die Wasseraufnahme findet nicht durch die Niere statt, son- dern am Fusse durch Oeffnungen, welche unmittelbar in Blutge- fässe führen. Wie verhalten sich aber die Autoren, welche diese Frage bearbeitet haben, zu den beiden Thesen ? Ein Blick auf die obige historische Uebersicht zeigt, dass allein in den letzten 30 Jahren ungefähr 16 Antworten ertheilt wurden, von welchen sieben den ersteren und sieben den zweiten der beiden Sätze bestätigten! Und das Auffallende ist dabei, dass diejenigen Autoren, welche das Bojanus’sche Organ am genauesten untersucht haben, erklären, das Wasser könne nicht durch die Niere aufgenommen werden, Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 453 sondern müsse durch die Oeffnungen am Fusse eindringen, wäh- rend anderseits die Untersuchung eben dieser Oeffnungen zeigte, dass durch sie ein Eintritt des Wassers nicht möglich ist. Sollte es noch nöthig sein zu betonen, dass Forscher wie Leydig zuerst eine Wasseraufnahme durch die Niere annahmen, und dann im Laufe ihrer Untersuchungen zu der Ueberzeugung gelangten, die Niere diene nicht der Einfuhr, sondern der Aus- fuhr von Wasser, — um den Schluss hier als den einzig mög- lichen erkennen zu lassen: Weder durch die Niere, noch durch die Oeffnungen am Fusse findet eine direkte Aufnahme von Wasser in das Blutgefäss-System statt. Wenn aber weder die sichtbaren Oeffnungen im Fusse, noch die Niere den Eintritt des Wassers vermitteln, und auch die An- nahme Langers, derselbe finde durch den rothbraunen Mantel- theil statt, als ganz unbegründet zurückgewiesen werden muss, so werden die Fragen auftreten und zu beantworten sein: Wie kommt das Anschwellen des Fusses zu Stande und welches ist die Be- deutung der Communication zwischen Pericard und Niere? Schon vor langer Zeit hat man beobachtet, dass Süsswasser- Muscheln manchmal im Wasser ihren Fuss sehr weit aus der Schale herausstrecken und anschwellen lassen; war ja doch ge- rade diese Erscheinung die Veranlassung, ein Wassergefäss- System und eine direkte Wasseraufnahme in das Blut anzu- nehmen, da man die vorhandene Blutflüssigkeit nicht für hin- reichend hielt, eine solche Vergrösserung eines Organes herbei- zuführen. Ob das Letztere wirklich der Fall ist, wird sich aus den wenigen Versuchen ergeben, welche über diesen Gegenstand gemacht sind. Gerade die erste Bemerkung, welche ich hier an- führe, scheint mir wichtig zu sein, da der Autor, ohne die Frage des Wassergefäss-Systemes zu berühren — und auch wohl ohne sie zu kennen — nur gelegentlich das berichtet, was er bei Beob- achtung der Thiere sah. Unger!) nämlich, welcher im Jahre 1827 eine Dissertation über die Teichmuscheln schrieb, sagt an einer Stelle: „Legt man eine Teichmuschel in’s Trockene oder in ein Gefäss, dass ihre sonstige Lage im Schlamm auf was immer für eine Art abändert, 1) Unger, F. F., Anatomisch-physiologische Untersuchung über die Teichmuschel (Anodonta anatina). Inaug.-Dissert. Wien 1827. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 30 454 Justus Carrißre: so bemerkt man bald, dass das Thier den Fuss langsam und vor- siehtigt herausstreekt, oft zu einer ausserordentlichen Weite nach allen Dimensionen, besonders in die Länge, ausdehnt und die ihn zunächst umgebenden Gegenstände befühlt.“ Keber!) hat das Gleiche beobachtet und spricht sich darauf- hin direkt gegen eine Wasseraufnahme aus: „Das blasige An- schwellen des Muschelleibes kann nicht von Einsaugen des umge- benden Wassers vermittelst der vermeintlichen Wassergefässe her- rühren, da es auch bei Muscheln vorkommt, die Tage lang im Trocknen liegen.“ Die Erscheinung des zeitweiligen Anschwellens von Fuss und Mantel erklärt Keber aus dem Turgor vasorum, der entstehe, in- dem der Rückfluss des Blutes theilweise oder vollständig gestaut, der Zufluss durch die Arterien aber nicht gehindert werde. In ähnlicher Weise hatte Milne-Edwards?) sich schon früher dahin geäussert, dass die Turgescenz, welche man häufig bei den Aplysien wahrnimmt, eine Folge der Venenabsorption sei, und nicht eine solche der direkten Einführung des Wassers von aussen durch Kanäle, welehe an der Körperoberfläche ausmünden. Wenn zuweilen Wasser in grösserer Menge aufgenommen würde, so sei dies lediglich eine Erscheinung der Endosmose. Kollmann?) schliesslich fand durch Injeetionen, dass die Füllung der arteriellen Gefässe und Capillaren allein ausreiche, die Schwellung des Fusses zu Stande zu bringen und war der Ansicht, dass die Wasseraufnahme in den Fuss und die stärkere Anschwellung desselben nur eintrete, wenn es sich um Ortsver- änderungen handle, oder wenn die Thiere sich unter fremden Be- dingungen befänden. Die oben erwähnten Aeusserungen von Unger und Keber hatten meine Verwunderung in hohem Grade erregt und ich stellte zur Kontrole folgende Versuche an. 1) Keber: Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Weichthiere. Königsberg 1851. p. 12, 71. 2) Milne-Edwards: Comptes rendus des s6ances de l’Acad. des Sciences. T. XX. Nr. 5. 1845. Froriep’s Neue Notizen. Nr. 732, 733, Bd. XXXIV. Nr. 7. 1845. 3) Kollmann: Der Kreislauf des Blutes bei den Lamellibranchiern, den Aplysien und den Cephalopoden. Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. XXVI. 1876. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 455 Ich verschaffte mir eine Anzahl Unio und Anodonta; die eine Hälfte der Thiere liess ich in dem Wasser liegen, die andere nahm ich heraus, während die Thiere den Fuss zwischen die Schalen zurückgezogen hatten, liess das zwischen den beiden Mantelhälften befindliche Wasser ablaufen und legte die Thiere, um das Austrocknen derselben zu verhüten, auf angefeuchtetes Fliesspapier, welches ich mit einer grossen Glasglocke bedeckte. Die Körper der Muscheln waren somit zwischen den klaffenden Schalen nur von feuchter Luft umgeben. Anfangs lagen die Muscheln mit fest geschlossenen Schalen da; bald aber sah ich zu meinem Erstaunen, wie sie nicht nur — erst langsam, dann schneller — den Fuss aus der Schale heraustreten liessen, sondern ihn sogar soweit herausstreckten, dass die Kante des Fusses von dem Rande der Schale wei- ter entfernt war, als der Querdurchmesser der Schale vom Schlosse bis zu dem Rande betrug. Dabei war der Fuss prall und durch- scheinend, gerade wie bei den nebenan im Wasser befindlichen Thieren. Bei Berührung zogen die Thiere den Fuss ein, streckten ihn aber nach kürzerer oder längerer Zeit wieder ebensoweit aus, wie vorher. Dabei zeigten sie zum Theil deutlich das Bestreben, ihre Lage zu verändern und sich in die feuchte Unterlage eimzugraben. streekten den Fuss nach verschiedenen Richtungen und tasteten mit demselben weit umher. Manche machten Versuche sich auf- zuriehten, indem sie den Fuss dieht am Rande der Schale um- bogen und ihn unter die Schale, auf welcher sie lagen, schoben. Die meisten erzielten durch das jetzt erfolgende Spiel der Muskeln nur eine mehr oder weniger grosse Ortsveränderung, einem Thiere aber gelang es, sich vollkommen aufzurichten und es kroch dann auf der etwas verbreiterten Kante seines Fusses aufrecht ebenso auf dem feuchten Papier herum, wie die Muscheln es häufig auf feinem Sande zu thun pflegen, wo man ihre schmale Spur oft mehrere Meter weit verfolgen kann. Ich glaube, dass diese so leicht zu wiederholenden Versuche in Verbindung mit den gleichlautenden Angaben aus früherer Zeit genügend sind, um zu beweisen, dass das Anschwellen des Fusses mittelst der in dem Körper enthaltenen Blutflüssigkeit allein zu Stande kommt. Die Aufnahme von Wasser in den Fuss erscheint somit gänzlich ausgeschlossen und fällt auch behufs 456 Justus Carrißre: Vornahme von Ortsveränderungen — auf welchen Fall Kollmann sie schon beschränkt wissen wollte — hinweg. Wenn nun eine direkte Wasseraufnahme in das Blutgefäss- System nicht stattfindet, so sind wir auch nicht mehr gezwungen, Oeffnungen für den Eintritt des Wassers zu suchen, und wenn die „Nierenspritze“ dem Blute kein Wasser mehr zuführen soll, so werden wir zu untersuchen haben, welch’ andere Bedeutung dieser Communication zwischen Niere und Pericard zukommen kann. Die Verbindung der Nierenhöhle und des Pericardial-Sackes, welehe den Gastropoden eben so gut eigen ist wie den Ace- phalen, wurde bekanntlich für die letzteren zuerst von Garner!) (bei Anodonta) nachgewiesen und dann von Lacaze-Duthiers?) für eine Reihe von Familien bestätigt. Für die Prosobranchier wurde sie wohl zuerst von Leydig bei Paludina gefunden, bei den Opistobranchiern zuerst von Leuckart, Gegenbaur (bei Phyllirho@) beschrieben und von Rud. Bergh?°) als „Nierenspritze“ bezeichnet. Diese Communikation wurde, wie ich vorher gezeigt habe, in sehr verschiedener Weise gedeutet. Während ein Theil der Autoren wie Leydig, Leuckart, Gegenbaur daraus zu- nächst auf eine direkte Zufuhr von Wasser in das Blut schlossen, nahmen andere die Nierenspitze für eine entgegengesetzte Leistung in Anspruch, und Hancock betrachtete geradezu das Pericardium der Nudibranchier als innere Nierenkammer, deren Flüssigkeit durch die Verbindungsöffnung in den äusseren Nierensack trete. Und wenn Leydig und Bergh auch nicht die Terminologie Hancocks annahmen, so gaben sie ihm doch in der Sache Recht und bestätigten, dass in das Pericard abgeschiedene Flüssigkeit (Hämolymphe) mittelst der Nierenspitze durch die Niere ausge- stossen würde. Doch nicht nur die Wasser-, auch die Land-Schnecken be- sitzen diese Verbindung zwischen Perieard und Niere, undSemper®) 1) Garner: Transact. of the Zool. Soc. London. Bd. II. p. 94. 1841. 2) Lacaze-Duthiers: Ann. sc. Ser. IV. tom. 4. p. 273. 1855. Eine umfassende Schilderung des Bojanus’schen Organs mit Angabe der Literatur gibt Milne-Edwards in den Lecons sur la physiologie Bd. VII. p. 382. 1862 3) Rud. Bergh: Bidrag til en Monographie of Phyllidierne. Natur- hist. Tidschrift V. 1869. p. 527, 540. 4) Semper: Einige Bemerkungen über die Nephropneusten v. Ihering. Arbeiten aus dem zoolog.-zoot. Institut Würzburg. Band III. pag. 485 Anmerkung. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 457 wies nach, dass die früher bei den Stylommatophoren nicht bekannte Nierenspitze auch bei Helix und Vaginulus sich findet. Sollte dieses Organ wirklich die Funktion haben, Wasser in das Blut einzuführen, so ständen wir hier vor dem eigenthümlichen Fall, dass ein nutzlos gewordenes Organ in dem kolossalen Zeit- raume, der seit dem Auftreten von Land-Schnecken verflossen ist, nicht rudimentär ward oder verschwand, sondern vollkommen normal erhalten blieb. Daraus nun, dass die Nierenspitze sich bei Fluss- und Meer- muscheln, bei Meeres-, Süsswasser- und Landschnecken, bei Proso- branchiern, Opistobranchiern und Pulmonaten in gleicher Weise findet, scheint mir hervorzugehen, dass dieses allen zukommende Organ auch eine gemeinsame Bedeutung habe und nicht bei den einen Thieren Wasser in das Blut einführe, bei den anderen Wasser aus dem Blute ausführe, sondern dass die Nierenspitze bei Gastropoden wie bei Acephalen dazu dient, die Flüssigkeit, welche aus dem Blute in den Herzbeutel abgeschieden wird, durch die Niere auszuführen, wobei noch die in derselben abgesonderten Harnconcremente aufgelöst und hinausgeschwemmt werden. Die Menge des aus dem Blute abgesonderten Wassers ist natürlich nach Aufenthalt und Lebensweise der Thiere verschieden. Sie wird bei einer Wasserschnecke grösser sein als bei einer Landschnecke, am bedeutendsten aber bei den Muscheln. Welch’ enorme Quantitäten von Wasser muss ein solches Thier in seinen Verdauungskanal aufnehmen, um seinen Darm mit seiner aus mikroskopischen Organismen bestehenden Nahrung anzufüllen. Dieses Wasser diffundirt natürlich aus dem Darm in das Blut und muss aus diesem beständig in das Pericardium ausgeschieden und durch die Niere entfernt werden, damit die Zusammensetzungen des Blutes keine zu grossen Schwankungen erfahre, sondern eine gleichmässige bleibe. Dabei ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass bei Thieren, wie Schnecken, welche verhältnissmässig wenig Wasser mit der Nahrung aufnehmen, und desshalb auch nur wenig ausscheiden werden, in einzelnen Fällen die Funktion der Nierenspritze durch Contraktionen des äusseren Theiles der Niere unterstützt werden können. Dadurch wird Wasser in den Nierensack aufgenommen und wieder ausgestossen, welches die doppelte Funktion haben 458 ‘ Justus Carricre: kann, zunächst die Harneoneremente zu lösen und auszuführen, und dann — unter Umständen — zur Respiration zu dienen, wie bei Phyllidiaden und Doriopen, wo Bergh das Vorkommen von Pericardial-Kiemen nachgewiesen hat. Was die Wasseraufnahme durch das Epithel betrifft, so bin ich wenigstens bei den Wasserschnecken von der Meinung abge- kommen, als ob eine Diffusion von aussen nach innen stattfinde; und bei den Landschnecken — wo ganz andere Verhältnisse herrschen — kann ich sie mir nur so denken, dass die Epithel- zellen die Flüssigkeit in sich aufnehmen und dann den Ueber- schuss an das Blut abgeben. Natürlich habe ich hierbei die Fälle im Auge, wo es sich um Schnecken handelt, welche nach längerer Trockenheit benetzt wurden. Wenn Gehäuseschnecken unter Wasser erstickt werden, so glaube ich in dem übermässigen Aufquellen des Vorderkörpers einen pathologischen Vorgang beziehungsweise eine Leichenerscheinung sehen zu müssen, indem bei dem ster- benden Thiere eine starke Diffusion durch das gequollene Epithel stattfindet, wie sie unter normalen Verhältnissen nie beobachtet wird. Fasse ich zum Schlusse die Resultate dieser und meiner früheren Untersuchung zusammen, so lassen sie sich kurz in den vier Sätzen wiedergeben: Die Oeffnungen im Fusse der Gastropoden und Lamellibranchiaten sind Mündungen verschiedenar- Leer Drüsen: Weder durch diese Oeffnungen, noch dureh die Niere wird Wasser direkt in das Blut aufgenommen und zur Schwellung des Fusses genügt die Blutflüssigkeit des Thieres. Mittelst der Nierenspritze wird nicht Wasser in das Blut eingeführt, sondern die aus dem Blute in den Herzbeutel abgeschiedene Flüssigkeit durch die Niere ausgestossen. Weder bei den Gastropoden, noch bei den Lamelli- branchiaten existirt ein „Wassergefäss-System.“ Es ist wohl gestattet, zur Ergänzung auch einen Blick auf die anderen grossen Classen, welche mit den Lamellibranchiern und Gastropoden noch zu einem Typus vereinigt werden, und Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 459 welchen ein Wassergefäss-System zugeschrieben wird, zu werfen. Ich meine die Heteropoden, Pteropoden und Cephalopoden. Um mit den letzteren zu beginnen, so ist bei diesen ein Wassergefäss-System bekannt, seitdem Krohn!) bei Eledone lange Kanäle beschrieb, welche die Genitalkapsel mit den Harnsäcken verbinden, und sie „Wasserkanäle“ nannte. Diese Verbindung wird bekanntlich durch die Kapseln der Kiemenherzanhänge ver- mittelt, und zwar so, dass der von der Genitalkapsel kommende Wasserkanal zunächst in den verlängerten Hals der Kapsel des Kiemenherzanhanges tritt, und mit diesem gemeinsam in den Harn- sack mündet. Die Harnsäcke münden nach aussen und in ihnen flottiren die Exeretionsorgane im Wasser, welches ab- und zuge- führt werden kann. | Doch nur die Octopoden besitzen diese Wasserkanäle und die bindegewebigen Bauchfelltaschen, welche die oben erwähnten Organe als „Kapseln“ umschliessen. Bei den Dekapoden liegen die Geschlechtsdrüse, Herz und ein Theil des Magens in einer geräumigen Höhle, von Vigelius Visceropericardial-Höhle ge- nannt, welche durch zwei von Brock?) entdeckte Mündungen mit den Harnsäcken (ausserdem auch mit der Kiemenherzkapsel) kommunieirt. Zwischen diesen beiden Formen besteht scheinbar eine grosse Verschiedenheit, doch hat Brock°) kürzlich dargethan, dass die- selbe eben nur scheinbar ist. Die Genitalkapseln wie die Wasserkanäle der Octopoden sind umgewandelte Theile der Vis- ceropericardial-Höhle, so dass die Wasserkanäle dem vorderen, die Genitalkapsel dem hinteren Abschnitte der bei den Decapoden vorhandenen Visceropericardial-Höhle entspricht. Was nun die Funktion dieses ‚, Wassergefäss-Systemes“ betrifft, so glaube ich nicht, dass wir durch den Namen, welchen Krohn den von ihm entdeckten Kanälen beilegte und durch den Umstand, dass dieselben in den Harnbehälter münden, gezwungen sind an- l) Krohn: Ueber das wasserführende System einiger Cephalopoden. Müller’s Archiv 1839. e 2) Brock: Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. XXXN. 3) Brock: Zur Anatomie und Systematik der Cephalopoden. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. 1832. Bd. XXXVI. 460 Justus Carri£re: zunehmen, dass die „Wasserkanäle“ aus dem Harnsacke Wasser in die Genital- und Kiemenherzanhangs-Kapsel, beziehungsweise in die Visceropericardial-Höhle einführen. Dafür liegt weder ein annehmbarer Grund, noch irgend ein Beweis vor, und die bei den Lamellibranchiaten und Cephalophoren gegen die Wassereinfuhr angeführten Gründe lassen dieselbe auch hier als äusserst unwahr- scheinlich erscheinen. Dagegen fürchte ich nicht, vielen Wider- spruch erfahren zu müssen, wenn ich behaupte, dass die Oeffnun- gen der Wasserkanäle und der Visceropericardial-Höhle in den Harnsack der Ausfuhr dienen, indem sie Flüssigkeit, welche aus dem Blute in die Kapseln und die Visceropericardial-Höhle diffun- dirt, in die Harnsäcke überführen, und dass somit ein Wasserge- fäss-System in dem bisherigen Sinne des Wortes bei den Cepha- lopoden nieht existirt. Bestimmte Behauptungen und Beobachtungen über eine Wasser- aufnahme in den Perieardialraum liegen nur bei den Heteropoden und Pteropoden vor. Hier steht die Niere durch eine verhältniss- mässig weite Oeffnung mit dem Pericardialsinus in Verbindung, durch welehe nach Leuckart!) und Gegenbaur?) das von der mit Muskulatur versehenen Nierenwandung in die Niere einge- pumpte Wasser in den Pericardialraum gelangt und sich dort mit Blut mischt. Ich hatte leider noch nicht Gelegenheit, eigene Untersuchungen hierüber anzustellen und auch anderseitige sind mir ausser den beiden genannten nicht bekannt geworden; ohne solche aber geht es nieht wohl an, so positive Angaben kritisiren oder anders deuten zu wollen. Doch kann ich die Bemerkung nicht unter- drücken, dass mir aus dem Eintritt des Wassers in den Pericar- dialraum noch nicht unbedingt die Ueberführung desselben in das Blutgefäss-System zu folgen scheint. Könnte nicht durch die Wan- dung des Herzens hindurch ein Gasaustausch stattfinden und so das in den Pericardialsinus aufgenommene Wasser mit rythmi- schen Contraktionen den Athmungsvorgang vermitteln, ohne dem Blute direkt beigemischt zu werden und auf dem Rückweg die 1) Leuckart, R.: Der Bau der Heteropoden. Zool. Untersuchungen. Heft III. Giessen 1854. 2) Gegenbaur, K.: Untersuchungen über Pteropoden und Heteropoden. Leipzig 1855. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 461 Niere ausspülen? Dann würden die Verhältnisse hier ähnlich liegen, wie bei den übrigen Mollusken, und es wäre dann der ganze Typus der Mollusken von dem Wassergefäss-Systeme sensu strieto befreit; das was man bis jetzt so nannte, gehört eines Theils zu dem exeretorischen Organsystem — wie ja auch dem früheren Wassergefäss-System der Würmer jetzt allgemein eine solche Funktion zuerkannt wird, während anderen Theils die so- genannten „Pori aquatici“ der Lamellibranchier und Cephalophoren sich als Drüsenmündungen erwiesen. Nachtrag. Während vorstehende Abhandlung schon unter der Presse war, erschien eine neue Untersuchung von Kollmann über „Verbin- dungen zwischen Cölom und Nephridium“ in der „Festschrift zur Feier des 300jährigen Bestehens der Julius-Maximilians-Universität zu Würzburg, gewidmet von der Universität Basel.“ Basel 1882. Am Schlusse der Darlegung seiner schönen Entdeckung der Triehter in dem Bojanus’schen Organ — in der Gastropoden- Niere hat Leydig!) diese Trichter schon gesehen und vergleicht sie mit den rosettenförmigen Organen der Anneliden — widmet Kollmann einige Seiten der Streitfrage über das Wassergefäss- system der Muscheln, und sucht meine Behauptung, dass durch die Oeffnungen im Fusse kein Wasser aufgenommen werden könnte, zu widerlegen. Was ich zu meiner Vertheidigung zu sagen habe, steht in dem zweiten Theil dieser meiner Abhandlung; nur auf einzelne Punkte will ich hier nochmals eingehen, um der Frage eine bestimmtere Form zu geben. Wenn von der Körper-Oberfläche eines Molluskes ein Kanal in das Innere des Körpers abgeht, so setzt sich das einschichtige Cylinderepithel der Oberfläche in den Kanal fort, indem es zumeist etwas flacher wird, aber immer deutlich zu unterscheiden ist. Die Grösse des Thieres ist dabei natürlich ohne jeden Einfluss. Ein anderes Verhalten ist unbekannt und undenkbar. 1) Leydig: Die Hautdecke und Schaale der Gastropoden. Berlin 1876. p. 45. Fig. 16. 462 Justus Üarriere: Alle derartigen Einsenkungen etc. in der Fusskante der Muscheln — und ich habe das an vielen Sechnitt-Serien und Tausenden von Schnitten untersucht — führen in Drüsen, ver- ästeln sich zuweilen, wie in der Fussspitze von Mytilus, und en- digen blind, umgeben von Drüsenzellen. Die grossen Kanäle im Fusse dieser Muscheln, in welchen kein Epithel zu sehen ist, und welche in keinem Zusammenhange mit der Aussenseite des Thieres stehen, sind Blutgefässe. Speciell bei Spondylus ist der Grund des Trichters (Fusses) von einem zusammenhängenden Epithel ohne Einsenkungen in das Innere des Fusses überzogen. Ich kann desshalb im Muschelfusse nur Blutgefässe und Drüsengänge, nicht aber ausser diesen noch Wasserkanäle, oder Uebergänge der Drüsengänge im Blutgefässe finden. Was das Experiment von Agassiz betrifft, welcher die Wasser- aufnahme übrigens nicht direkt gesehen, sondern erschlossen hat, so wird mir nach Berücksichtigung des Umstandes, dass Agassiz bei den Fischen die direkte Communikation des Blut- gefässsystems mit dem umgebenden Wasser durch die Schleim- kanäle ebenso positiv beobachtet und behauptet hat, Kollmann vielleicht nicht übelnehmen, wenn ich meinerseits der Ansicht bin, dass eine gute Schnittserie mehr werth ist, als beliebig viele soge- nannte positive Beobachtungen. Die Annahme Kollmann’s, dass mir Injektionen den Zu- sammenhang des Porus aquaticus mit der lacunären Bahn gezeigt hätten, muss auf einem Missverständnisse beruhen, da meiner An- sicht nach Injektionen der Blutgefässe durch einen sogenannten „Porus aquaticus“ nur mittelst Zerreissung der Wandungen des- selben ausführbar sind. Uebrigens verweise ich hier auch auf die Injektionsversuche von Rolleston, welche pag. 444 dieser Abhandlung angeführt sind. Scheinbar stehen sich also die Ansichten von Kollmann und mir sehr schroff gegenüber; doch erhoffe ich gerade durch die vorliegende Abhandlung eine Annäherung zwischen den Anschauun- gen meines verehrten Lehrers und Freundes, und den meinigen und bitte die knappe Fassung dieser Zeilen damit zu entschuldigen, dass sie in dienstfreien Viertelstunden während des Manövers ab- gefasst wurden. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 463 Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXI— XXI. Alle Zeichnungen mit Ausnahme der Abbildungen der Schneckenfüsse (Fig. 1 D etc.), welche Herr Krapf in München machte, sind von mir selbst angefertigt und alle mit dem Zeichenapparat entworfen. Die histologischen Zeichnungen, welche ich der Uebersicht halber alle auf Tafel IV zusammen- gestellt habe, wurden sämmtlich mit dem Oberhäuser’schen Zeichenprisma und dem Objectiv Seibert V angelegt und mit Seibert Immersion VII b Öcular I ausgeführt. Eine vis major, welche mich zwang, meine Arbeit in bedeutend kürzerer Zeit druckfertig zu stellen, als ich ursprünglich beabsichtigt hatte, ist Ursache, dass nicht alle Uebersichtsbilder ebenso ausgeführt wurden, wie Fig. 1, 2, 4, 8, 9, sondern dass ich mich mit der schematischen Angabe nur der in Frage kommenden Organe begnügen musste. Doch hoffe ich, dass auch diese Ab- bildungen zur Erläuterung des Textes genügen werden. Tafel XXI und XXI. Fig. 1. Nassa mutabilis. 20:1. A Sagittalschnitt in der Medianebene des Fusses, B Querschnitt in der Richtung des Pfeiles 1 B durch den An- fang, © Querschnitt in der Richtung des Pfeiles 2C durch die, Mün- dung der Drüse der Fusssohle, D Fuss von Nassa mutabilis, von unten gesehen. p Mündung der Drüse der Fusssohle (der frühere „Porus aquaticus‘‘), o obere, u untere Lippe des Vorderrandes des Fusses. Für alle Abbildungen von Quer- und Längsschnitten durch die ganzen Drüsen gültige Bezeichnungen: o obere, u untere Lippe des Fusses, sp Spalt zwischen den beiden Lippen, k der mediane Kanal oder Sekretbehälter der Lippen- drüse, 1 die Lippendrüse, a vorderer Theil der Lippendrüse, wel- cher sich mit Karmin, aber nur schwach mit Fuchsin färbt, a’ ver- einzelte Zellen dieses vorderen Theiles, welche auf der dorsalen Fläche der Oberlippe ausmünden. FD Drüse der Fusssohle, w der Wulst, welcher die Mün- dung derselben umgibt. Fig. 2. Nassa corniculum. 20:1. A Sagittalschnitt in der Medianebene des Fusses, B Sagittalschnitt durch den Fuss, etwas seitlich der Median- ebene, C Querschnitt durch die Mündung der Drüse der Fuss- sohle, in der Gegend des Pfeiles © 1, D Querschnitt durch das Hinter- ende derselben Drüse in der Richtung des Pfeiles D 2. Fig. 3. Conus mediterraneus. 20:1. A Sagittaler Schnitt durch den Fuss in der Medianebene, B Querschnitt durch Fuss und Lippendrüse in der Gegend des Pfeiles 1 B, C Querschnitt durch den Fuss in der 464 Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 9. Fig. 10. Justus Carri£re. Gegend des Pfeiles 1C, D Querschnitt durch die Mündung der Drüse der Fusssohle; nur die Umrisse der Drüse sind angegeben. a vorderer Theil der Lippendrüse, welcher sich mit Carmin roth und mit Fuchsin nur schwach färbt. Die Schnitte waren mit Fuchsin gefärbt. A Sagittaler Schnitt in der Medianebene durch den Fuss von Tritonium cutaceum. 20:1. B Querschnitt durch die Drüse der Fusssohle von Triton corrugatus. 20:1. b vorderer Theil der Lippendrüse in der unteren Lippe, d Drüsengruppen der unteren Fläche des Fusses, v vorderer Stamm des Haupt-Blutgefässes im Fusse. C Fuss von Tritonium cutaceum, p Mündung der Drüse der Fusssohle (Porus aquaticus). Fusus Syracusanus. A Sagittalschnitt durch den Fuss in der Medianebene. 20 : 1. B Querschnitt durch die Mündung der Drüse der Fusssohle. 20:1. a wie oben, ce der Theil der Drüse mit den stark lichtbrechenden Kernen. Fuchsin-Präparate.e C Fuss von Fusus Syracusanus. 1:1. p Mündung der Fusssohlendrüse. Pisania maculosa. A Sagittalschnitt in der Medianebene des Fusses. B Querschnitt durch die Drüse der Fusssohle in der Gegend des Pfeiles 1B. Nur die Umrisse der Drüsen sind angegeben. b der sich mit Pikrokarmin stark färbende Theil der Lippendrüse, © Fuss von Pisania maculosa. 1:1. Fasciolaria lignaria. A Querschnitt durch dieMitte der Drüse der Fusssohle 20:1. a Ausführungsgang. B Fuss von Fasciolaria lig- naria 1:1. p Mündung der Drüse, o obere, u untere Lippe des Fusses, t Tentakel. Murex trunculus. 24:1. A Sagittalschnitt durch den Fuss in der Medianebene, B Querschnitt durch die Drüse der Fusssohle in der Gegend des Pfeiles Bl, C Querschnitt durch die Drüse der Fuss- sohle in der Gegend des Pfeiles 0 2, a die braunen Zellen der Lippendrüse in der unteren Lippe, d Gruppen einzelliger Drüsen auf der ganzen unteren Fläche des Fusses, r Rinne zwischen den beiden seitlichen Wülsten w und der unteren Seite der Drüse. D Fuss von Murex trunculus. 1:1. p Mündung der Drüse der Fuss- sohle. Murex erinaceus. Sagittalschnitt durch den Fuss in der Median- ebene. Fuchsinpräparat. 24:1. a vorderer Theil der Lippendrüse mit den braunen Zellen, FD die Drüse der Fusssohle, besteht hier aus zwei verschiedenen Drüsen, einer vorderen I und einer hin- teren II, im Text als erste und zweite Drüse bezeichnet, d Polster von Drüsenzellen über der ganzen unteren Fläche des Fusses. Murex Edwardsi. A Sagittalschnitt in der Medianebene des Fusses, B Sagittalschnitt seitlich der Medianebene des Fusses, C Querschnitt durch die Drüse der Fusssohle I, D Querschnitt durch die Mündung . 12, Mer e. 14. . 15. ie. 16. fe >18: 19. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 465 der Drüse II, E Querschnitt durch die Mitte der Drüse I, von der Drüse I ist noch das hinterste Ende zu sehen, F Querschnitt durch die Drüse II nahe ihrem hinteren Ende, I vordere, II hintere Drüse der Fusssohle, r Rinne zwischen den beiden seitlichen Wülsten w und der unteren Seite der Drüse. . Murex brandaris. 20:1, A Sagittalschnitt durch die Medianebene des Fusses, B Sagittalschnitt seitwärts, dicht neben der Medianebene des Fusses, C Querschnitt durch die Mündung der Drüse der Fuss- sohle, D Querschnitt durch die Drüse der Fusssohle, etwas hinter der Mündung, a äusserer, b innerer Abschnitt der Drüse der Fuss- sohle, d das Diaphragma, welches beide Abschnitte der Drüse trennt, x Falten, welche von der Seite und von Oben in die Mündung hinein- ragen, E Schema, um zu erläutern, wie vielleicht aus der Drüse von Murex brandaris die doppelte Drüse I und IH von Murex erina- ceus und M. Edwardsi abzuleiten ist. Fuss von Marginella glabella L. a Mündung der Drüse der Fusssohle. Fuss von Pseudomarginella leptopus. a wie oben. Fuss von Pseudomarginella platypus. a wie oben. Tafel XXIU. Nassa mutabilis. Eine Gruppe von zwei Drüsenzellen des vorderen Theiles der Lippendrüse, welche auf der Dorsalseite der Ober- lippe ausmünden; vgl. Fig. la. Ein Stück aus der Lippendrüse von Nassa corniculum. Die hellen Kerne lassen hauptsächlich am Rande und in der Mitte Körnchen (Kernkörperchen?) erkennen. Pikrokarmin-Präparat. Zellen aus der Lippendrüse von Conus mediterraneus, von der Grenze der vorderen und hinteren Abtheilung der Drüse. Pikro- karminpräparat. Die Zellen des vorderen Theiles, a, sind röthlich gefärbt und besitzen runde Kerne, die des hinteren sind farblos und lassen nur eine feine Körnelung erkennen; ihre Kerne sind sehr deformirt und stark gefärbt. In beiden Formen finden sich einzelne Pigmentkörner. A Zellen aus der Lippendrüse von Fasciolarialignaria, welche noch kein, oder nur wenig Sekret enthalten. B Zellen ebendaher, welche mit Sekret gefüllt sind. Pikrokarminpräparat. Die noch nicht umgewandelten Zellen erscheinen farblos, die mit Sekret er- füllten tief roth. Ein Theil der Drüse der Fusssohle von Nassa corniculum. (Pikrokarminpräparat). E Epithel des Sekretbehälters, M Muskel- fasern; dazwischen die Drüsenzellen. M, quergeschnittene Muskel- fasern (Muskelröhren). 466 Fig. Fig. Fig. Fig. 20. 23. . 24. 26. 29. Justus Carriere: Ein Theil der Drüse der Fusssohle von Conus mediterraneus E Epithel des Sekretbehälters, M Muskeln, D Drüsenzellen; die dunklen Kerne gehören Blutkörperchen an. Fuchsinpräparat. . Dem Epithel zunächst gelegener Theil aus der Drüse der Fuss- sohle von Fusus Syracusanus. Fuchsinpräparat. Die rund- lichen dunklen Kerne sind bei Pikrokarminfärbung sehr stark licht- brechend. In dem Epithel des Sekretbehälters zwei Becherzellen b. . Aus der Drüse der Fusssohle von Pisania maculosa. Fuchsin- präparat. E das Epithel des Sekretbehälters, hier aus sehr hohen abwechselnd gestellten Flimmer- und Becherzellen bestehend; a Flimmerzelle, b Becherzelle, D Drüsenzellen. Aus der Drüse der Fusssohle von Faseciolaria lignaria. Fuchsinpräparat. E Epithel des Sekretbehälters, D Drüsenzellen, M Muskulatur; die dunklen Kerne gehören Blutkörperchen an. Aus der Drüse der Fusssohle von Murex truneculus. Die Drüse besteht aus geschichteten Cylinder-Flimmerzellen, welche zu- gleich das Epithel des Sekretbehälters bilden. Zwischen den hellen, grossen Kernen dieser Zellen und dem Wimpersaume liegen zahl- reiche verschieden gestaltete dunkel gefärbte Kerne von Blutkörper- chen. M Muskulatur, v Zwischenräume zwischen der Muskulatur und der Drüse, in welchen Blut eirkulirt. Aus der hinteren zweiten Drüse der Fusssohle von Murex erinaceus. E Epithel des Sekretbehälters, M Muskulatur, D Drüsen- zellen. Die Kerne der Blutkörperchen zwischen den Drüsenzellen und dem Epithel zeigen hantelförmige und noch stärker in die Länge gezogene Figuren, a. Murex erinaceus. Aus dem dichten Polster von Drüsenzellen, welches sich auf der ganzen unteren Fläche des Fusses über dem Epithel befindet. E die Basis des (nicht gezeichneten) Epithels der Fusssohle, d Drüsenzellen, M Muskulatur. . Zellen — ohne die Ausführungsgänge — aus den Gruppen von Drüsenzellen, welche über die ganze untere Fläche des Fusses von Murex trunculus verbreitet sind, um den Unterschied des Zell- inhaltes und der Kerne von den Polsterzellen bei Murex erinaceus zu zeigen. . Columbella scripta. Pikrokarminpräparat. A Gruppe von Zellen aus der Lippendrüse; der Inhalt der Zellen färbt sich roth. B Gruppe von Zellen aus dem Drüsenpolster, welches die ganze untere (ventrale) Hälfte des Fusses erfüllt. Die Zellen erscheinen bei der Pikrokar- minfärbung farblos, nur eine feine Körnelung ist wahrzunehmen. Mit Fuchsin färbt sich die Substanz, in welcher die Körnchen liegen, bläulich, mit Cochenilletinktur werden die Körnchen schwarz gefärbt. Nassa incrassata. Drei Zellen aus dem dicken Polster von grossen gelben Drüsenzellen, welches bei Nassa inerassata über der Fusssohle Fig. 31. Fig. 32. Die Fussdrüsen der Prosobranchier etc. 467 liegt. Die Zellen sind mit gelbem Sekret erfüllt, die Kerne ebenfalls gelb und glänzend. Die Ausführungsgänge der Drüsenzellen sind deutlich doppelt contourirt. Bei den am weitesten von dem Epithel entfernten Zellen ist der Ausführungseang nahezu 0,5 mm lang. a Zelle, b Ausführungsgang. . Epithel von der Fusssohle von Fasciolaria liguaria. A Die Kerne der Becherzellen, meist stark deformirt, liegen auf dem Boden, die der Flimmerzellen stehen ungefähr in der Mitte der Zellen. In Folge der Färbung mit Cochenilletinktur ist der Schleim in den Becherzellen grau gefärbt, so dass diese sich sehr schön von den dunkelrothen Flimmerzellen abheben. In den bei x stehenden Zellen glaube ich junge Becherzellen sehen zu dürfen. B Während in A die Flimmerzellen von der schmalen Seite dargestellt sind, zeigt sie B von der breiten Seite gesehen. Deutlich ist in A und B der ge- streifte Saum an den Flimmerzellen; eine tief dunkelroth gefärbte Schicht zwischen diesem Saum und den Cilien ist, falls sie nicht dem Saum angehört, wohl für Schleim zu halten. © Cylinderzellen welche auf der Oberlippe des Fusses zu beiden Seiten des medianen Längsspaltes stehen. Sie färben sich stark mit Karmin und Coche- nilletinktur, und ihre Kerne sind am äusseren Ende scharf abgestutzt. Epithel von Tritonium cutaceum. Die kugeligen Kerne der Becherzellen stehen hier zwischen dem ersten und zweiten Dritttheil der Zelle. Dieses Epithel steht im Allgemeinen noch dichter und die Becherzellen sind meist schmaler, fast so wie bei Pisania ma- culosa Fig. 22; doch wurde die gezeichnete Stelle der grösseren Deutlichkeit halber ausgewählt. A Epithel von der Oberlippe von Columbella scripta; die Kerne der Becherzellen sind hier gross und langgestreckt, und stehen nicht auf dem Boden auf. B Epithel von dem Rücken des Fusses des gleichen Thieres; die ziemlich niedrigen Cylinderzellen führen Pig- ment in Gestalt feiner Körnchen, p, aber nur in dem vor dem Kerne gelegenen Theile der Zelle. . Epithel der dorsalen Fläche des Fusses von Euthria cornea. Die Kerne der Cylinderzellen zeigen die auffallende Erscheinung, dass die in ihnen enthaltenen Körnchen (Kernkörperchen?) regel- mässig in Längsreihen in der Mitte der Kerne angeordnet sind. München, Juni 1882. 468 Max Weber: Ueber eine Cyanwasserstoffsäure bereitende Drüse. Von Dr. Max Weber, Lector der Anatomie in Utrecht. Hierzu Tafel XXIV. Im Archiv für die gesammte Physiologie wird Herr Gulden- steeden-Egeling die interessante Entdeckung mittheilen, dass ein Myriapode freie Blausäure bereitet. Die Aufmerksamkeit wurde auf diesen Tausendfüssler dadurch gelenkt, dass derselbe ergriffen oder sonst wie gereizt einen deutlichen Geruch nach Bittermandelöl verbreitet, der noch weit intensiver wird, wenn man das Thier zerreibt. Nachdem nun Herr Guldensteeden- Egeling im Stande war, auf chemischem Wege dar zu thun, dass dieser Geruch in der That der Bildung von Cyanwasserstoff- säure zu danken sei, galt es nachzuweisen, an welchem Orte dieses Gift gebildet wird. Diesen Nachweis zu liefern soll in den folgen- den Zeilen versucht werden. Bevor wir nun hieran gehen, soll zunächst das Thier selbst zoologisch näher bestimmt werden. Dasselbe lebt in verschiedenen Treibhäusern in Zeist, Utrecht und Amsterdam und zwar in feuchter Erde unter Blumentöpfen ; kommt jedoch, wenn die Atmosphäre feucht-warm ist, gern an die Oberfläche. Es war den Blumenhändlern früher unbekannt, während es gegenwärtig zu einer wahren Plage mancher Treib- häuser geworden ist, es muss daher wohl erst kürzlich mit aus- ländischen Pflanzen eingeführt worden sein, doch weiss Niemand Näheres über die etwaige Herkunft anzugeben. Es ist ein Chilognath, zu den Polydesminen gehörig, der nach den mir vorliegenden Werken von C. L. Koch!) am meisten 1) ©. L. Koch: System der Myriapoden. Regensburg 1847. p. 142 und: Die Myriapoden. Bd. I. p. 51. Halle 1863. Ueber eine Cyanwasserstoffsäure bereitende Drüse. 469 mit Fontaria graeilis übereinstimmt. Da die vorliegenden Gattungs- und Art-Diagnosen manches zu wünschen übrig lassen, sei es ge- stattet, kurz eine Beschreibung des Thieres beizufügen, um dasselbe leichter wiedererkennen zu können. Der für eine Fontaria schmale Leib erreicht beim ausge- wachsenen Thiere eine Länge von 2 em. { An dem 7gliederigen Fühler ist das 1. Glied sehr kurz; die 5 folgenden sind unter einander gleichlang; das letzte hat unge- fähr ein Viertel der Länge des vorletzten. Der Halsring ist ohne Seitenlappen, die folgenden 18 Seg- mente mit einem solchen. Der Seitenlappen ist kurz, platt, nach hinten in ein spitzes Eekchen ausgezogen. Auf seinem wenig breiten Aussenrande trägt er nach vorne zu ein Haar und auf Segment 5, 7, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 17, 18, 19 nach hinten eine kleine Oeffnung (foramen repugnatorium, sog. Seitenstigma oder Saftloch der systematischen Werke). Der Endring ist mit einem kegelförmigen, an der Spitze ab- gestutztem und ausgeschnittenem Schwänzchen versehen. Ueber die Rückenfläche der Segmente läuft eine tiefe Quer- furche weg. Die Farbe ist an der Oberseite dunkelkaffeebraun, zuweilen schwärzlich ; Fühler heller braun. Seitenläppehen, Schwänzchen, Beine und Unterseite gelblich weiss. Bei der Beantwortung der Frage, von welchem Theile des Körpers der Bittermandelöl-Geruch herkomme, ist zunächst anzu- merken, dass man denselben wahrnimmt, sobald man das Thier erfasst oder drückt ohne es zu verletzen. Die Quelle des characteristischen Geruches muss sich daher an der Oberfläche des Körpers öffnen. Nun finden sieh bei den Chilognathen ausser den Tracheen-, Mund-, Anal- und Geschleehts-Oeffnungen noch die unter dem Namen foramina repugnatoria bekannten Oeffnungen, von denen bereits gemeldet wurde, dass sie das 5. 7. 9. 10. 12. 13. 15. 16. 17. 18. und 19. Segment auszeichnen. Da man sich leicht davon über- zeugen konnte, dass weder der Mund noch der After der Ort seien, welchem der Geruch entströmt, war es um so natürlicher zu muth- maassen, das in den foramina repugnatoria die Quelle des Geruchs zu suchen sei, als sie ja, wie bekannt, die Oeffnungen von Haut- drüsen sind, von denen man längst weiss, dass sie die Bildungs- Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. ; 31 470 Max Weber: stätte stark riechender Seerete sind. Schon von Savi, Waga und Burmeister nämlich wurde die Auffassung von Treviranus, welcher in diesen Oeffnungen Tracheen-Stigmen erbliekte, dahin berichtigt, dass es die Ausmündungen von unter der Haut gelegenen Drüsensäckchen seien. Der Bau derselben wurde allerdings von ihnen nicht erkannt; erst Leydig!) gab eine kurze Beschreibung des Drüsenapparates von Julus terrestris und sabulosus und neuer- dings hat Voges?) hierauf Bezügliches von Spirobolus eupulifer Voges, doch ohne histologisches Detail, mitgetheilt. Bei unserer Fontaria nun finden sich die Drüsensäckchen, entsprechend der oben angeführten eigenthümlichen Vertheilung der foramina repugnatoria, in den verschiedenen Segmenten in typischer Weise. In Fig. 2 ist ein skizzenhaftes Bild dieses Ver- haltens gegeben, es stellt jedoch in sofern eine Abweichung dar, als in der Regel der Körper ausser dem Kopfe 20 Segmente be- sitzt. Derartige Abweichungen der Anzahl Körperringe von der Normalzahl — natürlich ist nur von ausgewachsenen Exemplaren die Rede — kommen übrigens bei Myriapoden mehrfach vor. Ein derartiger Drüsensack liegt im Seitentheil eines Leibes- ringes (vergl. Fig. 3), eingebettet in das Gewebe des Fettkörpers, das reich an eingelagerten Fetttröpfehen und Conerementen von harn- sauren Salzen (oder Guanin ?) ist. Nach der Medianlinie zu grenzt er an Hautmuskeln, die von der Dorsalfläche der Leibesringe ihren Ursprung nehmen und theilweise die Wandungen der Säckchen bedecken. Die Gestalt eines Drüsensäckchens ist, so lange dasselbe noch ganz in seiner Lage sich befindet, länglich elliptisch. Nach Maassgabe der Menge des Secretes, die es enthält, kann es sein Volum ein wenig ändern, muss sich jedoch hierbei stets nach dem Raume fügen, der zwischen den Muskeln und den Wänden des Segmentes frei bleibt. Seine Länge beträgt 5 mm. Was den feineren Bau der Drüse angeht, so besteht die äusserst zarthäutige, durchsichtige Wand aus einer einschichtigen Lage von platten Epithelzellen, welehe näher der Ausmündungsstelle des Drüsensackes zu, längliche, unregelmässige Zellen führt (vergl. 1) Leydig: Lehrbuch der Histologie 1857. p. 116. 2) Voges: Beiträge zur Kenntniss der Juliden. Ztschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. XXXI. p. 145. Ueber eine ÜÖyanwasserstofisäure bereitende Drüse. 471 Fig. 5), während im übrigen Theile der Drüsenblase die Epithel- zellen grösser und mehr oder weniger regelmässig polygonal sind (Fig. 4). Hier erreichen die Zellen das grösste Maass. Das Pro- toplasma der zarten, blassen Zellen ist feinkörnig, doch bemerkt man in demselben, namentlich in den grösseren Zellen, eine reichlichere oder sparsamere Menge lichtbrechender Granula von wechselnder Grösse, die anders nichts sind als kleinste Secrettröpfchen. Ein kleiner Kern ist stets vorhanden und mit einem Kern- körperchen versehen. Das gesammte Drüsenepithel ist äusserst zart. Am besten bekam ich es zu Gesicht, wenn unter der Lupe aus einem Seg- ment ein Drüsensäckcehen in Pikrokarmin, Osmiumsäure oder Pal- liumehlorid herauspräparirt wurde. Doch auch dann gelang es nicht leicht ein Uebersichtsbild zu erlangen, da das Säckchen in störender Weise vom Gewebe des Fettkörpers umsponnen ist. Dieses Drüsenepithel liegt zwischen zwei Häuten chitinöser Natur: einer Tunica propria und intima. Auch deren Anwesen- heit erschwert das Erkennen des Drüsenepithels. Beide fallen nämlich, wenn die Drüsenblase durch Seeret nicht gespannt er- halten wird, knitterig gefaltet zusammen (vgl. Fig. 1). Nament- lich gilt dies von der Tunica propria, weniger von der Intima, die auch von zarterer Beschaffenheit zu sein scheint. Diese beiden Tunieae sind bereits von Leydig!), der den Drüsenapparat von Julus terrestris und sabulosus untersuchte, be- schrieben worden, doch unterscheiden sie sich insofern von denen der Fontaria, als bei Julus die Intima stärker ist als die Tuniea propria. Auch ist nach Leydigs Abbildung zu urtheilen das Drüsenepithel bei Julus durch seine kubische Form verschieden von dem platten Epithel, wie es bei Fontaria sich findet. An dem einigermassen elliptischen Drüsensack sitzt ein flaschen- förmiger Ausführungsgang, der dort, wo er sich aus dem Sacke ent- wickelt, von einem Ringe eirceulärer Muskelfasern umschnürt ist, die nach Art eines Sphincter wirken werden. Am entgegengesetzten Ende ragt er mit kegelförmiger Spitze in ein retortenförmiges Säckchen hinein. Die ganze Länge dieses Ausführungsganges beträgt höchstens 2 mm. Er bildet eine direete Fortsetzung der Tunica propria der Drüsenblase; ob sich deren 1) Leydig: Lehrbuch der Histologie 1857. p. 116. 472 Max Weber: Epithelbelag nebst der Intima auch in den Ausführungsgang fort- setze, konnte ich nicht ausmachen. Es gelang mir nicht, einen Zellenbelag in demselben zu erkennen. Das retortenförmige Säckchen endlich öffnet sich nach aussen durch ein foramen repugnatorium. Letzteres ist eine ovale, nahezu kreisrunde Oeffnung, die in einer flachen Vertiefung am Aussen- rande des Seitenlappens eines Segmentes liegt. Auch in diesem Säckehen gelang es nicht, einer Epithelbe- kleidung ansichtig zu werden. Dasselbe dürfte wohl eine direete Fortsetzung des Hautpanzers sein und als solches dem Matrical- gewebe desselben seinen Ursprung zu danken haben. Oben wurde bereits hervorgehoben, dass der Drüsensack vom Gewebe des Fettkörpers umsponnen sei. Derselbe erhält auf diese Weise eine Art von äusserst weitmaschiger Tunica externa, die aus einzelnen, netzförmig unter einander verbundenen Zellen be- steht, die ihrerseits wieder mit dem eigentlichen Fettkörper in Verbindung stehen und solcher Gestalt zur Fixirung der Drüsen- blase beitragen. Dass das Drüsensäckchen in verschiedenem Masse dureh Sekret angefüllt sein könne, wurde bereits früher angemerkt. Dies Secret nun ist eine wasserklare Flüssigkeit von ölartiger Natur, wie sich dies zunächst schon aus dem optischen Verhalten eines Secrettröpfehens ergiebt, das, noch in der Drüsenblase enthalten, unter das Mikroskop gebracht wird. Ein solches Bild giebt Fig. 1 wieder. Auch die Einwirkung der Osmiumsäure auf das Sekret spricht für dessen fettige Beschaffenheit; das Secret gerinnt näm- lich durch genannte Säure zu einer festen schwarzen Masse. Ob es sich mit Wasser vermengt, nachdem man ein Drüsensäckchen unter Wasser zerzupft hat, jedenfalls einer der einfachsten Ver- suche nach dieser Richtung hin, liess sich nieht entscheiden, da das Secret selbst wasserklar ist. Auch dürfte vielleicht das Verhalten des Seeretes der Haut- drüsen anderer Chilognathen einen Rückschluss erlauben auf die Beschaffenheit des Blausäure-haltigen Seeretes. Ebenfalls bei den übrigen Chilognathen scheint nämlich das Secret durchgehends die Natur eines Jlüchtigen Oeles zu besitzen. So beschreibt Savi!) den Drüsensaft von Julus communis l) Savi: Bemerkungen über Julus ecomm. Isis. 1823. Bd. I. 214. Ueber eine Cyanwasserstoffsäure bereitende Drüse. 475 als „diekflüssig wie Olivenöl“. Burmeister!) hält die gelblich- grüne Flüssigkeit einer andern Julusart „für ölartiger Natur“. In gleichem Sinne spricht sich ganz allgemein Waga?) aus. Leydig?) endlich bezeichnetdas Seeret von Julus terrestrisund sabulosusals eine hellgelbliche Flüssigkeit mit einzelnen fettähnlichen Tropfen. Von der „ölartigen Natur“ des Secretes konnte ich mich ferner bei Julus sabulosus, Blaujulus guttulatus und Allajulus punctatus über- zeugen. Alle lieferten ein ölartiges Secret trotz der weiteren Ver- schiedenartigkeit desselben in Farbe und Geruch. Schliesslich gilt es nachzuweisen, dass eben dieses Drüsen- seeret die Quelle des Geruches nach Bittermandelöl ist, dass also in demselben unter geeigneten Bedingungen Blausäure sich ent- wickelt und nun durch die Foramina repugnatoria nach Aussen tritt. Ohne nochmals auf die Thatsache zurückzukommen, dass die Fontaria auch unverletzt den characteristischen Geruch verbreitet, ohne auf die homologen Hautdrüsen anderer Chilognathen hinzu- weisen, die stimkende flüchtige Oele durch die Foramina repugna- toria nach Aussen ergiessen, möchte ich diesen Nachweis durch Folgendes liefern. Zerlegt man — was leicht gelingt — ein Exemplar von Fon- taria in seine einzelnen Segmente und zerreibt dieselben einzeln, dann geben eben nur die Segmente den intensiven Geruch nach Blausäure, die den Drüsenapparat enthalten; mithin Segment 5, 7, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 17, 15 und 19. — Dies dürfte wohl aus- reichend beweisend sein und den direeten Nachweis von Blausäure in den einzelnen Drüsen, der nicht zu führen war, hinlänglich er- setzen. Um einen Begriff zu geben von der Stärke des Geruches nach Blausäure, dürfte wohl angeführt werden, dass derselbe — trotz der Kleinheit der Thiere — so intensiv ist, dass er zuerst von ver- schiedenen Laien in zoologischen Dingen, Gärtnern nämlich, unab- hängig von einander wahrgenommen wurde. Er wird schwächer bei Exemplaren, die längere Zeit hindurch unter wenig günstigen Bedingungen in der Gefangenschaft gehalten wurden. Am stärksten 1) Burmeister: Isis. 1834. p. 145. 2) Waga: Observat. s. 1. Myriapodes, Rev. Zoolog. p. 1. soc. Cuvierienne. 1840. p. 78. 3) Leydig: Lehrbuch der Histologie. 1857. p. 116. 474 Max Weber: nahm ich ihn wahr bei solchen Thieren, die sich gerade gehäutet hatten und alsdann an ihrer schneeweissen Farbe kenntlich sind. Fragt man schliesslich nach der Bedeutung dieser Abschei- dung von Blausäure, so lässt sich diese wohl mit Recht dahin an- geben, dass sie zum Schutze des Thieres geschieht. Von diesem Gesichtspunkt aus verdienen somit auch hier die Oeffnungen, durch welche das Secret der Drüsensäckchen zu Tage tritt, mit allem Rechte den Namen Foramina repugnatoria. Dieser Name wurde von den früheren Untersuchern den sog. Seitenstigmen der Chilo- gnathen gegeben, als man erkannt hatte, dass diese mit der Re- spiration nichts zu thun haben, wohl aber die Mündungsstellen von Drüsenbläschen sind, die hierdurch stark- und übelriechende Secrete nach Aussen ergiessen. Wenn man denselben auch mancherlei Funetionen zuschrieb, so legte man doch das Hauptgewicht darauf, dass sie auf etwaige Feinde der Tausendfüssler abschreekend wirken sollten und wählte dementsprechend den Namen Foramina repugnatoria. Dass die Blausäure im gleichen Sinne nur äusserst vortheilhaft für die Fontaria sein kann, bedarf keiner näheren Darlegung. Man braucht sich diese schützende Wirkung nun nicht bloss in der Weise vorzustellen, dass eine verfolgte Fontaria den verfolgenden Feind bloss durch den Geruch abschreekt. — Ich möchte dies betonen, da immer eine gewisse, wenn auch kurze Zeit darüber verfliesst, bis der Geruch in ganzer Kraft sich be- merkbar macht. — Man kann vielmehr auch an ähnliche Verhält- nisse denken, wie sie wohl bei den Heliconiden z. B. vorliegen mögen. Der Abscheu erregende Geschmack derselben konnte nicht eher dem Individuum zum Schutze gereichen, als bis sich bei den Feinden die Erfahrung befestigt und vererbt hatte, dass die Heli- coniden nicht zu geniesen seien. — So wird auch bei unserem Blausäure-Fabrikanten schon der schwächere Geruch als Warnungs- zeichen dienen, das den Feind daran erinnert, dass er hier nicht zugreifen darf. Ueberflüssig dürfte es sein auf die Bedeutung des Nachweises von freier Blausäure als Bildungsproduct des thierischen Körpers hinzuweisen. Fig. Fig. Fig. Fig. Fig. Ueber eine Cyanwasserstoffsäure bereitende Drüse. 475 Erklärung zu Tafel XXIV. stellt den oberwärts unvollständigen Drüsensack dar und zwar dessen knitterig zusammengefaltete Tunica propria t. In demselben liegt der Secrettropfen s von ölartiger Beschaffenheit. Der Ausführungsgang ist von einem eirculären Muskel m umgeben und ragt kegelförmig vor in das Säckchen r,' welches durch die Oeffnung f (foramen repugnatorium) nach Aussen ausmündet. Das Säckchen r ist durch- sichtig gehalten, so dass man den Kegel durchscheinen sieht. Vergrösserte Umrisszeichnung eines erwachsenen Exemplares von Fontaria. — Ausnahmsweise nur mit 19 Körperringen — in welche die Drüsen eingezeichnet sind, um die Vertheilung derselben auf Segment 5, 7, 9, 10, 12, 13, 15, 16, 17, 18 (und normaliter auf dem hier fehlenden Ring) klar zu legen. Drüsensack in seiner Lage im Segment, umgeben von Fettkörper- gewebe. d eigentlicher Drüsensack mit dem Epithelbelag- c Ausführungsgang. b Säckchen, in welches derselbe ausmündet. a foramen repugnatorium. Drüsenepithelzellen. Dasselbe näher dem Ausführungsgange des Drüsensäckchens zu. 476 Eduard Strasburger: Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne und das Verhältniss der Kerntheilung zur Zelltheilung, Von Eduard Strasburger. Hierzu Tafel XXV, XXVI und XXVII. Es soll hier zunächst meine Aufgabe sein, einige Beispiele der Kern- und Zelltheilung möglichst eingehend zu schildern. Diese Beispiele wurden so gewählt, dass sie, soweit meine Erfah- rung reicht, die gegebene Mannigfaltigkeit der Fälle annähernd erschöpfen. Schon bei der Bearbeitung der letzten Auflage meines Zellenbuches, wo ich durch den Umfang der Aufgabe genöthigt, meinen Sinn mehr auf das Ganze richten musste, hatte sich der Wunsch zu einer, mehr in’s Einzelne gehenden Untersuchung be- sonders ausgewählter Objecte in mir geregt. Aeussere Umstände und anderweitige Arbeiten verhinderten längere Zeit die Ausfüh- rung dieses Planes und würde derselbe kaum in einem Abschlusse schon vorliegen können, wenn mir nicht von befreundeter Seite unverhoffte Hilfe zu Theil geworden wäre. Als ich nämlich vor längerer Zeit, noch in den Arbeiten über Membranbildung begrif- fen, Herrn Emil Heuser aus Aachen meine Absichten betreffs erneuerter Untersuchung der Kerntheilung entwickelte, hatte der- selbe die Güte, sich zur Anfertigung der gewünschten Präparate anzubieten. Dieser Aufgabe widmete derselbe seitdem mit uner- müdlichem Eifer jeden freien Augenblick und. als ich meine Unter- suchungen über Kerntheilung wieder aufnehmen konnte, lag mir bereits eine Fülle der vorzüglichsten Präparate zur Verfügung vor. Fast alle in diesem Aufsatz zur Besprechung kommenden Sa- franin-Präparate sind von seiner Hand; Herr Emil Heuser hat in der Anfertigung derselben sich schliesslich eine wahre Meister- schaft erworben; für seine so erfolgreiche Hilfe bin ich ihm zu aufrichtigstem Danke verpflichtet. Die neuen Arbeiten, welche seit dem Erscheinen der dritten Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 477 Auflage meines Zellenbuches auf dem Gebiete der Kern- und Zelltheilung veröffentlicht worden sind, so wie die Gegensätze, die sich aus denselben entwickelt haben, sollen in dieser Arbeit besondere Berücksichtigung finden. Im Hinblick auf die erwähnten Gegensätze, die in dieser Zeitschrift vornehmlich ihre Formulirung fanden, habe ich auch meine Arbeit derselben anvertraut. Die Disposition dieser Arbeit ist nun die: dass nach Angabe der Untersuchungsmethoden, eine allgemeine Verständigung über den Bau des Zellkörpers und die bei dessen Schilderung zu brau- chenden Ausdrücke folgen soll, hieran die in’s Einzelne gehende Beschreibung bestimmter Fälle angeknüpft wird und schliesslich eine Zusammenfassung der Resultate und Litteraturbesprechung den Schluss bildet. Zur Untersuchung dienten fast ausschliesslich gehärtete Prä- parate, nur wenige Objecete wurden vergleichsweise auch im Leben studirt. Die Härtung geschah mit absolutem Alcohol oder mit 19%, Essigsäure. Um Dauerpräparate zu erhalten, diente nur das erste Verfahren, welches sich für Pflanzen meist vorzüglich bewährt. Solche Präparate wurden dann nach der Hermann’schen, durch Flemming!) weiter entwickelten Methode, mit Safranin gefärbt. Die Schnitte haben in einer Lösung von Safranin in absolutem Alcohol, nachdem diese etwa halb mit destillirtem Wasser verdünnt wurde, 12 bis 24 Stunden zu liegen, worauf man sie in absoluten Alcohol überträgt und hier so lange hin und her bewegt, als noch sichtliche Farbenwolken abgehen. Dann bringt man die Schnitte in Nelkenöl und, sobald völlig durchtränkt, in kalte Damarlösung (Damar in warmem Terpentin gelöst und bis zu Syrupdicke ab- gedampft?), wo sie sich unverändert halten. Bei richtiger Be- handlung ist nur die Kernsubstanz tingirt. Einige Uebung lässt den Tinetionsgrad richtig treffen und liefert Präparate von ausser- ordentlicher Schärfe und Deutlichkeit. — Der 1°%/, Essigsäure, mit der ich andre Präparate fixirte, war etwas Methylgrün zugesetzt. Diese Lösung fixirt und tingirt fast momentan und ist, da auch der Farbstoff bei riehtiger Concentration nur in die Kern- substanz aufgenommen wird, ein vorzügliches Hilfsmittel beim 1) Archiv f. mikr. Anat. Bd. 19. p. 317. 2) Flemming |. c. p. 320—322, 478 Eduard Strasburger: Studium '). Namentlich ist diese Methode zu empfehlen dort, wo es gilt, rasch sich zu orientiren. Sie ergänzt auch die Safranin- Nelkenöl - Damara - Präparate, indem sie die Spindelfasern viel schärfer hervortreten lässt. Leider halten sich die Essigsäure- Methylgrün-Praparate meist nur wenige Stunden; auch veranlasst die Essigsäure eine Quellung der jüngeren Cellulose-Wände wo solche vorhanden, was ebenfalls die Beobachtung alsbald stören kann. — Mit Methylgrün tingirte Alcohol-Präparate sind wegen der raschen Färbung und des deutlichen Hervortretens der Spin- delfasern oft von Werth; ich setze den Farbstoff verdünntem Gly- cerin zu und lege in dieses die Schnitte ein, die Tinetionen sind aber viel weniger dauerhaft als diejenigen mit Safranin. Auch mit 50%, Salpetersäure?) habe ich in manchen Fällen fixirt, nach dem Auswaschen mit Methylgrün gefärbt und auf diese Art sehr scharfe Tinetionsbilder erhalten. Fixirungen mit Chrom- und Pierinsäure entsprechenden Concentrationen habe ich nicht vorgenommen, da die angeführten Methoden bereits allen Anforderungen genügten. Car- min und Haematoxylin habe ich vermieden, weil diese zu leicht auch das umgebende Zellplasma tingiren und hielt mich an die specifischen Kernfärbungsmittel allein. Es standen mir übrigens von früher her noch Soltwedel’sche und eigene, zum Theil durch Chromsäure, zum Theil durch Pierinsäure fixirte Präparate zur Verfügung, von welchen einige mit Carmin, andere mit Hae- matoxylin gefärbt waren, und welche somit zum Vergleich heran- gezogen werden konnten. Nach neuen Färbungsmitteln unter den gegebenen Umständen zu suchen hielt ich aber für überflüssig. — Einige meiner älteren Präparate, auf deren erneuerte Prüfung es mir besonders ankam, habe ich, so weit möglich, nach der neuen Safranin-Methode umgefärbt und in Damarlösung übertragen. Die Untersuchung wurde ausgeführt mit Zeiss’schen Objec- tiven, in schwierigen Fällen mit dem "/ıs für homogene Immer- sion, welches Objectiv wohl kaum durch irgend welches andre in seinen Leistungen übertroffen wird. Vielfach habe ich die Objeete bei einer schwächeren Vergrösserung gezeichnet, dann aber das Bild bei der stärksten controlirt. 1) Zellbildung und Zelltheilung III. Aufl. p. 141. 2) Vergl. Flemming, Arch. f. mikr. Anat. Bd. XX. p. 8. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 479 Unter Protoplasma verstehe ich den ganzen lebendigen Leib der Zelle. Zu diesem gehören das Zellplasma und der Zell- kern, bei Pflanzen ausserdem noch die Chromatophoren (Chloro- phylikörper und verwandten Bildungen !), so weit sie lebendig sind, d. h. sich durch Theilung vermehren oder Stärke bilden können. Der Zellkern und die Chlorophylikörper werden auch allgemein in botanischen Lehrbüchern als differenzirte Theile des Protoplasma angesehen, es muss hinzugefügt werden, dass sie auch lebendige Theile desselben sind. Hiegegen repräsentiren die Pro- teinkörner leblose Ruhezustände der das Protoplasma aufbauenden Eiweisskörper und sind in diesem Zustande vom Begriff des Pro- toplasma zu trennen. Denn das Protoplasma besteht aus activem Eiweiss und hört auf Protoplasma zu sein, sobald das Eiweiss aus dem activen in den unactiven Zustand getreten ist. Innerhalb des Protoplasma unterscheide ich je nach der Bil- dung, in welche es eingeht: Zellplasma oder Cytoplasma, Kern- plasma oder Nucleoplasma?) und Farbstoffträgerplasma oder Plasma der gefärbten oder unter Umständen sich färbenden Körper: Chro- matoplasma°). In allen diesen Vorkommnissen zeigt das Proto- plasma eine Zusammensetzung aus einer hyalinen Grundsubstanz und dieser eingebetteten Körnehen. Die Grundsubstanz ist von Hanstein®) als Hyaloplasma, die Körnehen sind als Mikrosomata — in der Verkürzung jetzt als Mikrosomen gebraucht — bezeich- net worden. Wir hätten hiernach das Cyto-, Nueleo-, Chromato-, Hyaloplasma und die Cyto-, Nucleo-, Chromato-, Mikrosomata zu unterscheiden. Der wässerige Saft, der die Maschen des Proto- plasmanetzes erfüllt, könnte Cyto-, Nucleo- oder Chromato-Chylema heissen; er ist als solcher nicht scharf zu trennen von dem wäs- 1) So auch andre Farbstoffkörper und Stärkebildner auf den Vorschlag von Fr. Schmitz als Chromatophoren zusammengefasst. 2) Richtiger wäre es hier die Bezeichnung Coccoplasma zu wählen, doch klingt diese Wortbildung zu schlecht und ich meine auch komisch, wie denn in Frankreich fast alle Papageien Coco heissen, so dass ich die vox hybrida Nucleoplasma vorziehe. 3) Hierher auch das Protoplasma der Stärkebildner, welches nach Um- ständen ergrünen kann. 4) Das Protoplasma p. 22 u ff. 480 Eduard Strasburger: serigen Inhalt, der die Vacuolen, das heisst besondere abge- grenzte Hohlräume im Protoplasma, füllt. Dieses vorauszuschicken war für das Verständniss der im Folgenden zu brauchenden Bezeichnungen nöthig, die Einführung derselben zu motiviren, kann aber erst später versucht werden. Die Zellkerne der Liliaceen gehören zu den grössten des organischen Reiches. Statt besonderer Messungen diene hier der Hinweis auf meine Figuren und die in der Tafelnerklärung ange- gebene Stärke der Vergrösserungen. Als erstes, eingehend zu beschreibendes Beispiel wähle ich die Pollenmutterzellen von Fritillaria persica. Zwar werden wir finden, dass die Zellkerne genannter Mutterzellen sich in einem bestimmten Vor- gange von den Zellkernen rein vegetativer Zellen unterschei- den, doch brauchen wir nur von diesem Vorgange zu abstra- hiren, um allgemein giltige Gesichtspunkte zu gewinnen. Dann ist aber gerade dieses Object recht geeignet, einige meiner älteren Angaben und Anschauungen in das rechte Licht zu stellen. Schnitte, durch Antherenanlagen geführt, in denen eine Trennung der Mutterzellen sich noch nicht vollzogen hat, zeigen die Zellkerne als vorwiegend ellipsoidische Körper von ziemlich dichter Consistenz (Taf. XXV, Fig. 1). Zu unterscheiden sind in dem- selben bei sehr starker Vergrösserung feine Fäden am Hyaloplasma, denen sehr kleine Mikrosomen eingelagert sind. Einzelne dieser Mikrosomen sind grösser, und von diesen bis zu den grössten, welche die Bezeichnung Nucleolen verdienen, sind alle Mittelstufen vorhanden. Das Hyaloplasma bleibt bei richtiger Safranin-Tinetion farblos; die Mikrosomen sind scharf gefärbt, sie erscheinen um so dunkler, je grösser sie sind; so in Steigerung bis 'zu den Nucleolen. Oft schreitet die Entwieklung im Staubfaden von einem Ende gegen das andere, oder auch von der Mitte gegen die beiden Enden fort und man findet verschiedene Entwicklungszustände. So lässt sich denn als nächster Zustand der Figur 1, die Figur 2 bezeich- nen. Der Fadenknäuel ist dichter geworden, die Fäden zeigen stark wellenförmigen Verlauf. Die Kernkörperchen sind verschwun- den, während die Mikrosomen eine entsprechende Zunahme er- Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 481 fuhren. Die Fäden erschienen in Folge dessen dieker. Die Mikro- somen sind fast gleich gross und folgen dicht, in regelmässigen Abständen aufeinander. Sie bilden nur eine einfache Reihe im Faden. Folgt jetzt eine rasche Grössenzunahme der Pollenmutterzelle und ihres Zellkerns (Fig. 3). Die Fäden des Knäuelwerks rücken auseinander. Alcohol sowohl, als auch 1°/, Essigsäure und auch andere von mir angewandte Reagentien bewirken jetzt eine Con- traktion des Nucleoplasma, so dass es von der Kernwandung zu- rücktritt. Da kann denn schon festgestellt werden, was uns auch an allen anderen Beispielen entgegentreten wird, dass die Kern- wandung nicht dem Nucleoplasma, sondern dem Oytoplasma ange- hört. Das tingirte Netzwerk des Nucleoplasma zieht sich zusammen, ohne eine besondere Hülle an seiner Oberfläche zu zeigen. Viel- mehr ist leicht festzustellen, dass die Fadenwindungen des Knäuels ohne merkliche Aenderung in ihrer Anordnung bis an die Ober- fläche reichen. Die Kernwandung verbleibt, ohne sich zu tingiren, an dem umgebenden Cytoplasma, sie ist eine Hautschicht des- selben. Diese Hautschicht ist übrigens auf dem vorliegenden Entwieklungszustande noch sehr schwach ausgeprägt; sie nimmt später an Dieke zu und soll dann noch eingehender geschildert werden. — Bei genauer Betrachtung der Fig. 3 wird man noch bemerken, dass eine homogene, stark liehtbrechende Substanz sieh an einer, seltener an mehreren Stellen der Kernoberfläche angesammelt hat. Sie geht nieht unmittelbar aus den Kernkörperchen hervor, die ja schon auf vorausgehenden Stadien verschwunden waren, vielmehr repräsentirt sie, allem Anschein nach, ein Secret, das sich mit Safranin zunächst ziemlich intensiv tingiren lässt. Diese ausgesonderte, anfangs linsenförmige Masse, setzt sieh immer schärfer gegen das Netzwerk des Nucleoplasma ab und zeigt von Anfang an eine peripherische Lage: sie berührt die Kernwandung. Nicht selten haben Präparate dieser Entwicklungszustände in Al- cohol gelitten; das Nucleoplasma hat sich ganz einseitig in der Kernhöhle zusammengezogen und die ausgesonderte Substanz trat in mehreren Tröpfehen in das umgebende Cytoplasma. Wir stehen in Figur 4 einem Zellkern gegenüber, der dureh weiteres Wachsthum noch vergrössert wurde. Der Faden- knäuel aus Nueleoplasma hat sich gelockert, die Windungen der Fäden wieder gestreckt. Die Mikrosomen in den Hyaloplasma- 482 Eduard Strasburger: fäden sind leicht zu sehen und unschwer jetzt deren fast gleiche Grösse und regelmässige Vertheilung festzustellen. Sie bilden ein- fache Reihen und sind durch ungefärbt gebliebenes Hyaloplasma verbunden. Besonders deutlich war dieser Bau Und der ganze Verlauf des Fadens in einem sehr grossen Zellkerne, den ich in in Fig. 5 dargestellt habe. Die Kernhöhle mag bei der Fixirung des Objekts sich vergrössert haben, wodurch die Windungen des Fadenknäuels starke Streckung erfuhren. Kurzum, die Verhältnisse des Kerninneren lagen hier besonders klar zu Tage und ich konnte mich bereits des Eindrucks nicht erwehren, dass nur ein einziger ohne Ende in sich zurücklaufender Faden, mit zahlreichen in ein- ander greifenden Windungen, die Kernhöhle erfülle. — Auf den Zustand der Fig. 4 war eine Contraetion des Kernleibes nicht mehr erfolgt. Der ausgesonderte Stoff hatte sich kugelig abgerun- det, einige kleine Vacuolen traten in demselben auf. Wäre die Entwieklungsgeschichte dieses Körperchens nicht bekannt, es müsste als Kernkörperehen angesprochen werden. So geschah es denn auch von Tangl, der dieses Körperchen in den Pollenmutterzellen von Hemerocallis gesehen hat!). Wir wollen dasselbe fortan als Se- eretkörperchen bezeichnen. Der nächstfolgende Zustand (Fig. 6) zeigt uns eine beginnende Aenderung in der Anordnung des Inhalts. Der Faden im Knäuel wird kürzer und dieker; dies geschieht oft deutlich, indem er sich draht- federartig in enge Windungen legt. Grössere Mengen von Mikrosomen werden so aneinander gebracht. Auf diesem Zustand zerfällt der Fadenknäuel bereits in eine bestimmte Anzahl von Stücken. Die schraubenförmige Einrollung dauert noch auf dem nächsten Entwicklungszustande fort, wie Fig. 7 zeigt. Die ein- zelnen Fäden sind dieker und kürzer geworden, deutlich von ein- ander getrennt; ihre Substanz erscheint feinkörnig. Doch schon die folgenden Bilder verrathen eine Verschmel- zung der Mikrosomen innerhalb der Fäden, welche letzteren dem- entsprechend ihr feinkörniges Aussehen einzubüssen beginnen (Fig. 8). Es tritt schon deutlicher eine Differenzirung der Fäden in abwechselnd dunkle und helle Scheiben hervor. Diese Struktur 1) Die Kern- und Zelltheilung bei der Bildung des Pollens von Heme- rocallis fulva L. Denkschr. d. math.-naturw. Cl. d. K. A. d. W. zu Wien. Sep.-Abdr. p. 2, 1882. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 485 war Baranetzky!) in den Pollenmutterzellen von Tradescantien aufgefallen, sie ist von Pfitzner?) und Balbiani?) an thierischen Objekten geschildet worden. Wir kommen auf dieselbe später zurück. Folgt nunmehr ein sehr eigenthümliches Verhalten. Die ein- zelnen Fäden aus Kernplasma klappen der Länge nach zusammen (Fig. 9). Die beiden sich aneinander legenden Hälften kommen alsbald in so vollständigen Contakt, dass eine Grenze zwischen ihnen nieht mehr zu sehen ist. Es scheinen einfache Fäden von doppelter Dicke zu sein (Fig. 10, 11). Die doppelte Zusammen- setzung verräth sich aber meist noch an dem einen Ende des Fadens, welches den freien Enden der zusammengelegten Hälften entspricht, indem hier nämlich diese beiden Enden auseinander- spreizen. Dadurch bekommt ein jeder solcher Faden die Gestalt eines Y (Vergl. 10 u. 11). Nach erfolgtem Zusammenlegen dürfte auch eine Trennung der beiden Hälften an der Umbiegungsstelle sich vollziehen, denn hin und wieder sieht man auch an diesem Ende die beiden Hälften auseinanderspreizen, wodurch die Figur die Gestalt eines x erhält. Diese kurzen, dieken, zusammenge- klappten Fäden sind ohne gegenseitigen Contakt mehr oder weniger regelmässig in der Peripherie der Kernhöhlung vertheilt. Es fällt auf, dass sie alle, entweder ihrer ganzen Länge nach oder doch wenigstens mit irgend einem Punkte ihrer Oberfläche der Kernwandung anliegen. Solche Stadien wie diejenigen der Fig. 9 sind nun auch besonders geeignet, um uns mit der Natur dieser Kernwandung vertraut zu machen. Es kann auch nicht dem ge- ringsten Zweifel unterliegen, dass sie dem umgebenden Zellplasma zugehört; sie ist, wie schon hervorgehoben wurde, eine Hautschicht desselben. Von der Hautschieht an der Oberfläche des Zellplasma unterscheidet sie sich nur durch geringere Dieke. Sie erscheint wie aus einer einfachen Schicht gleich grosser Körnchen aufge- baut; ein Aussehen, das wohl auf einen eng-netzmaschigen Bau derselben hinweist. Die Körnehen wären kleine Knoten, ent- sprechend den Ansatzstellen des Cytoplasmanetzes, das von dieser Hautschicht abgeschlossen wird. Nichts ist leichter als gleich- 1) Bot. Zeitung 1880. p. 283. 2) Morph. Jahrb. 1881. Bd. VII. p. 289. 3) Zool. Anz. 1881. Nr. 99 und 100; früher schon Comptes rendus Bd. 85, 1876, p. 831. 484 Eduard Strasburger: zeitig zu eonstatiren, dass keiner dieser Cytoplasmafäden in die Kernhöhle eindringt. Ebenso leicht ist festzustellen, dass die Kernhöhle ausser den schon besprochenen Fäden und den kuge- ligen Seeretkörperchen keinerlei geformten Inhalt erhält; wenig- stens keinen solchen, der durch die bekannten Mittel zu fixiren wäre. Die ganze Kernsubstanz ist eben in den Fäden und, in diesem speciellen Falle, auch in einem Seeretkügelehen vertreten, ausser diesen führt die Kernhöhle nur Kernsaft. Daher die Kernfäden auch nicht irgendwie frei in der Kernhöhle suspendirt sein können, vielmehr sämmtlich der Kernwandung anhängen. Das Secretkügelehen liegt auch der Kernwandung oder irgend einem der Kernfäden an. Auf diesem Entwieklungszustande hat das Seeretkügelchen bereits seine Tinctionsfähigkeit mit Safranin, die seit längerem schon im Sinken war, fast vollständig einge- büsst. Es entspricht dies der Angabe von Tangl!): der Nucleolus werde aisbald durch Methylgrün nicht mehr gefärbt. Auf den Stadien der Figuren 9, 10 oder 11 lässt sich auch wohl ohne grosse Mühe die Zahl der in der Kernhöhle vorhan- denen Fäden feststellen. Diese Zahl ist fast immer 12, doch können auch wohl ein oder zwei Elemente mehr oder weniger gegeben sein. Die Entwicklungsgeschichte lehrt, dass der Faden- knänel der früheren Zustände mit einem Mal in die definitive An- zahl von Stücken zerfällt. Diesem Ergebniss entspricht auch die Anzahl der gefundenen Stücke, die ja nicht etwa auf succedane Zweitheilung sich zurückführen lässt. Während in dem Stadium der Figur 9 die Kernwandung noch in aller Schärfe vorhanden war, sieht man dieselbe auf dem Stadium der Figuren 10 u. 11 schwinden. An diesen schönen, grossen Kernen, bei so vollkommener Tinetion, lässt sich ohne weiteres feststellen, dass das umgebende Zellplasma jetzt zwischen die Elemente der Kernsubstanz eindringt. Als augenscheinliche Wirkung dieses Eindringens tritt uns gleichzeitig ein Zusammen- rücken der Kernelemente nach der Mitte der Zelle entgegen (Fig. 12). Tangl?) beschreibt für Hemerocallis auf diesem Stadium eine Resorption der Kernmembran und die Bildung eines kleinen hüllen- losen, nur aus tingirbarer Substanz bestehenden Kernes, den er Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 485 sich aus der Verschmelzung der früheren tingirbaren Körner des Kerns mit dem Nucleolus entstanden denkt. In Wirklichkeit sind bei Hemerocallis die Vorgänge nicht anders als hier, wie später noch näher berührt werden soll. — Wie Fig. 12 zeigt, ist bei günstiger Lage der Zelle, einer Lage, die durch Rollen der- selben gewonnen werden kann, das farblose Seeretionskügelchen auch auf diesem Zustande noch ausfindig zu machen. Es liegt in der Peripherie des Knäuels und beginnt augenscheinlich an Grösse abzunehmen. Sobald sich die ganze ursprüngliche, den Kernsaft führende Kernhöhle mit Cytoplasma angefüllt hat, beginnen die Kernfäden, an diesem ihren Halt findend, wieder auseinanderzuweichen (Fig. 13, 14). Sie werden allseitig von Cytoplasma umgeben, das, wie bei hin- reichend starker Vergrösserung zu constatiren ist, mit zarter Haut- schicht sich gegen einen jeden dieser Kernfäden abgegrenzt zeigt. Das Secretkügelchen verlässt die Kernfäden, um gegen die Peri- pherie zu rücken (Fig. 14). Es nimmt an Grösse immer mehr ab. — Eine bestimmte Anordnung der auseinander weichenden Kernfäden ist zunächst nicht zu constatiren, wohl aber tritt sie alsbald ein. Bevor dies geschieht sieht man die inneren Theile des Cytoplasmas streifig werden. — Wer die Entwicklungsgeschichte hier kennt, constatirt hat, dass die gesammte Kernsubstanz in die Bildung der Kernfäden einging, dass das umgebende Protoplasma in die Kernhöhlung vordrang, die Kernfäden in einen Knäuel von relativ geringem Durchmesser im Innern der Zelle zusammenrückten, kann schlechterdings nicht daran zweifeln, dass die sich jetzt bildende relativ grosse Spindel aus Spindelfasern dem Cytoplasma angehört. Dass aber die Entwicklungszustände hier wirklich so aufeinanderfolgen, wie ich es darstelle, das zeigen in überzeu- gendster Weise solche Präparate, die in einer bestimmten Riehtung fortschreitend, alle auf einander folgenden Entwicklungszustände bieten. Der von den Spindelfasern eingenommene Raum erscheint heller als das umgebende Cytoplasma, was damit zusammenhängen mag, dass das vordringende Cytoplasma den Kernsaft in sich auf- nimmt, somit besonders saftreich wird. Auch sind grössere körnige Bildungen aus diesem Raume ausgeschlossen und die Spindelfasern werden gebildet von dünnen Strängen des Cytohyaloplasma mit in diese eingereihten Cytomikrosomen. Diese Spindelfasern stossen an den beiden Polen mehr oder weniger vollständig zusammen, Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd, 21. 32 486 Eduard Strasburger: doch ohne dass es gelänge ein Polarkörperchen an dem Vereini- gungspunkte nachzuweisen. Ein solches erscheint bei Pflanzen nur bei sehr scharfem Aufeinanderstossen der Spindelfasern und ist der Ausdruck deren verschmolzener Enden. Sobald die Spindelfasern aufgetreten sind, beginnt das Ein- ordnen der Kernfäden in die Aequatorialebene der Spindel, zur Bildung der Kernplatte (Fig. 15—19). Augenscheinlich üben die Spindelfasern hierbei einen wichtigen Einfluss. Denselben entlang bewegen sich die Kernsubstanzelemente, um in ihre definitive Lage zu gelangen. Die beigefügten Figuren führen die verschiedenen Stadien dieser Wanderung vor. Eirizelne Elemente können hinter den andern zurückbleiben, und gelangen oft erst spät (wie z. B. das eine Element der Figur 18) in ihre definitive Lage. Dabei lässt sich feststellen, dass die Stellung, welehe die Elemente im Aequator der Spindel erhalten, auch insofern noch eine ganz be- stimmte ist, als sie, Y-förmig gedacht, ihren Fuss annähernd äqua- torial, ihre Schenkel polar stellen. Der eine Schenkel liegt so- mit auf der einen, der andere auf der andern Seite der Aequa- torialebene; beide folgen je einer Spindelfaser. Diejenigen Ele- mente, welehe in der Peripherie der Spindel liegen, richten ihren Fuss nach aussen. Auch diejenigen Elemente, deren beide sie bildenden Fäden der ganzen Länge nach aneinander lagen, weichen jetzt an ihren vorderen (den ursprünglich freien Schenkelenden entsprechenden) Enden auseinander, um die beiden Schenkelenden auf die beiden Hälften der Spindel zu vertheilen und nach deren beiden Polen richten zu können. Das Secretkügelchen ist während dieser Vorgänge verschwunden, es hat sich, fort und fort an Grösse abnehmend, noch auf dem Stadium der Figur 17 in peri- pherischer Lage innerhalb des Cytoplasma nachweisen lassen. Diese Thatsache hat den Ausspruch von Tangl!) für Hemero- callis veranlasst: „bei der Umgestaltung der Mutterkerne werden in manchen Fällen aus denselben kleine Nucleolen in das Proto- plasma ausgestossen und dort resorbirt.“ — Wir sahen, dass es sich hierbei nieht um Nucleolen handelt und dass der Vorgang nicht manchmal, sondern stets sich abspielt. Wie weit dieser Vor- gang überhaupt verbreitet ist, wollen wir später erfahren. Die fertige Kernspindel (Fig. 20, 21) besitzt somit eine, aus 1) 1. c. p. 20. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 487 scheinbar einfachen Körnern .gebildete Kernplatte. Jedes dieser Körner sendet den Spindelfasern entlang je einen schmalen polaren Fortsatz aus. Die beiden Schenkel des Y sind nämlich sehr schmächtig geworden, sie haben an Volumen zu Gunsten des Fusses verloren; dieser selbst hat sich zusammengezogen und abgerundet. An einzelnen der genannten Kernplattenelemente können die polaren Fortsätze auch so kurz werden, dass man nur den Eindruck eines einfachen Kornes erhält. Alle die fixirten und tingirten Präparate, wie vollkommen die Methode auch sei, zeigen mir in den meisten Fällen nicht mehr als das Gesagte und nur nach langem Suchen gelingt es wohl, eine Kernspindel zu finden, mit einzelnen deutlich doppelt zusammengesetzten Elementen, die das in Fig. 22 repro- dueirte Bild gewähren. So mag es denn wohl entschuldigt sein, wenn ich, vom Studium pflanzlicher, meist noch kleinerer Kern- spindeln ausgehend, zu der Ansicht gelangte, dass solche Kern- plattenelemente einfach seien und sich erst bei der Theilung der Kernplatte verdoppeln. Erst die Entwieklungsgeschichte dieser Gebilde, die ich hier zum ersten Mal gewann, klärte mich über deren wahre Natur auf. Nunmehr ist es mir sicher, dass auch solche, scheinbar einfache Kernplatten aus doppelt zusammenge- setzten Elementen bestehen. — Der früheren Zählung gemäss finden wir meist 12 solcher doppeltzusammengesetzter Kernplattenelemente in der Kernspindel. Die Lage derselben ist schon aus der Figur 25 zu ersehen, welche uns die Kernplatte in geneigter Lage vorführt, viel besser noch aus den polaren Ansichten Fig. 24 und 25. In Fig. 25 waren nur 11 Elemente in der Kernplatte vertreten. So gut wie ausnahmslos liegen zwei Elemente im Innern der Kern- platte, von den übrigen wie von einem Kranze umgeben. Wie schon gesagt, kehren diese Elemente ihre Schenkel nach innen, ihren Fuss nach aussen; so auch fast immer die im Innern der Kernplatte gelegenen. In Fig. 24 sind die Ursprungstellen des dem Beobachter zugekehrten Schenkels dunkler schattirt. Wie die Figuren 21 und 22 deutlich zeigen, treffen bestimmte Spindelfasern auf die Schenkel der Kernplattenelemente. Diese Spindelfasern sind kräftig entwickelt und scharf gezeichnet und daher auch wohl schon öfters als allein vorhanden angesprochen worden. Zwischen denselben liegen aber zartere andere, die sich hier oft leicht aus der einen Hälfte der Spindel in die andre verfolgen lassen. Die allergrösste Aufmerksamkeit wandte ich dem nun fol- 488 Eduard Strasburger: genden Entwicklungszustande zu, der das beginnende Auseinander- weichen der beiden Kernplattenhälften zeigt. Es gelang mir, diesen Vorgang schliesslich völlig klar zu legen. Wie Fig. 26 zeigt, spaltet sich, seiner doppelten Zusammensetzung gemäss, jedes Kernplatten- element in zwei Hälften. Der aequatorial gerichtete Fuss des Y wird von der Schenkelseite her geöffnet und seine Hälften suchen sich polar zu stellen. Sie bleiben am längsten mit ihrem basalen Ende verbunden, demjenigen Ende, welches der früheren Umbie- gungsstelle entspricht. Bilder wie die Fig. 22, sowie die auf früheren Zuständen beobachteten und dort erwähnten x-förmigen Figuren mancher zusammengelegten Fäden lassen die Annahme gerechtfertigt erscheinen, dass an dieser Umbiegungsstelle früher schon die Trennung der beiden Fadenhälften erfolgt ist. Zu unter- scheiden wäre dies auf den Stadien beginnenden Auseinander- weichens der beiden Kernplattenhälften nicht wohl möglich. Wäh- rend der Fuss des Y sich in dieser Weise öffnet, beginnt jede der beiden Hälften der Figur wieder gleichmässigere Dieke in ihrer ganzen Ausdehnung zu erlangen und ausserdem sich an ihrem po- laren Ende hakenförmig zu krümmen (Fig. 26, 27). Dass diese hakenförmige Krümmung nicht etwa der Ausdruck allein ist für die zuvor polwärts gerichteten Schenkeln des Y, zeigt der Ver- gleich der Figuren 26 mit 27—29. Es liegt eine active Krümmung dieses Endes vor, welche im Resultate zur Bildung eines N führt mit polwärts gerichteter Basis. Wie dieser Vorgang sich abspielt, wie die Umbiegung zunächst fast an Ort und Stelle vor sich geht, und hierauf erst das weitere Auseinanderweichen beginnt, das zeigen besser als die Beschreibung die schon angeführten Figuren. — Einige Elemente bleiben hinter den andern in Trennung und Auseinanderweichen zurück (Fig. 30) und das veranlasste meine früheren Angaben über einzelne Elemente, die fadenförmig ausge- zogen werden. Bei diesen relativ grossen Objeeten wird, bei guter Tinction, eine solehe Auffassung und Deutung unmöglich. — Jederseits des Aequators findet man jetzt dieselbe Anzahl U-för- miger Elemente, als zuvor Kernplattenelemente gegeben waren (Fig. 31, 33). Zwischen den auseinanderweichenden Kernplatten- hälften sind deutlich die zurückbleibenden Spindelfasern zu sehen. Auch polwärts sind dieselben, wenn auch an den Safranin-Nelkenöl- Präparaten oft nur schwach, zu verfolgen. (Nur in Fig 32 dar- gestellt.) Während die Anordnung der Kernplattenelemente zur Kern- Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 489 platte erfolgte, konnte man sich des Eindruckes nicht erwehren, als würden die Kernplattenelemente durch die Spindelfasern geführt. Dieser Eindruck tritt noch bestimmter während des Auseinander- rückens der beiden Kernplattenhälften dem Beobachter entgegen. Die U-förmigen Elemente gleiten an den Spindelfasern entlang, ähnlich wie sonst Mikrosomen, in Hyaloplasmafäden. Die stärkern Spindelfasern führen das ihnen zufallende Element, die schwächeren Spindelfasern dienen dazu es von den Seiten her in einer richtigen Lage zu erhalten. Vor Anlage der Spindelfasern sahen wir, dass die Kernfadenstücke in dem nicht in bestimmten Richtungen dit- ferenzirten Cytoplasma zerstreut lagen, erst mit der streifigen Differenzirung des Cytoplasma trat der ordnende Vorgang ein. Die Spindelfasern aber als Kanäle aufzufassen, innerhalb welcher sich die Kernelemente bewegen sollten, so wie es neuerdings von Za- lewski!) und Soltwedel?) geschah, liegt kein Grund vor; ja diese Möglichkeit wird durch die richtige Erkenntniss der Form der Kernelemente und der Krümmungen, die sie selbständig aus- führen, für das uns vorliegende Object ausgeschlossen. In dem Maasse als die U-förmigen Elemente aneinanderrücken, werden deren beide oft ungleich langen Schenkel, einander ge- nähert (Fig. 32); weiterhin sieht man dieselben etwas kürzer und dieker werden (Fig. 34). In der letzt angeführten Figur haben die Tochterkernelemente bereits die früheren Spindelpole erreicht. Hier nähern sie sich zunächst an der Polseite, bis zur seitlichen Berührung, was bei weniger vollkommener Tinetion durchaus den Eindruck gegenseitiger Verschmelzung macht (Fig. 35). Die ein- zelnen Elemente haben noch glatten Umriss, doch schon auf nächst- folgendem Stadium zeigen sie sich wiederholt eingeschnürt, so dass sie perlschnurförmig erscheinen (Fig. 36). Dabei lässt sich wohl noch bei polarer Ansicht die Zahl der ursprünglich vorhandenen Elemente bestimmen (Fig. 37). Die bisher glatte, homogene Sub- stanz der einzelnen Elemente beginnt feinkörnig zu werden (Fig. 38). Jedes Element krümmt sich hierauf einwärts an seinem äqua- torialen Ende, wodurch die Tochterkernanlagen auch diesseits abgerundet erscheinen (Fig. 39). Gleichzeitig verschmelzen: hier die aufeinandertreffenden Enden der benachbarten Elemente, so !) O dzieleniu sie jader etc. Kosmos VI. Lemberg 1881. Sep.- Abdr. p. TE. 2) Jen. Zeitschr. f. Naturwiss. Bd. XV. 1881. p. 372. 490 Eduard Strasburger: dass wieder ein einziger fortlaufender Faden in der Kernanlage gegeben ist (Fig. 39). Auf diesem Zustand wird auch vom um- gebenden Cytoplasma die Kernwandung gebildet. Die einzelnen Windungen des Fadenknäuels strecken sich hierauf, sich gleichsam wieder so ausspinnend, wie sie im Mutterkern sich zusammenge- zogen hatten. Die Windungen treten gleichzeitig aus einander, eine Kernhöhle wird ausgebildet, der Kern vergrössert sich. So wird der Zustand der Figur 40 erreicht. Der Faden zeigt einen ziek- zackförmigen Verlauf, er hat immer noch ziemliche Dieke und erscheint in Folge dieser und der vielen Krümmungen, wie grobkörnig. Eine Ernährung der Zellkerne vom umgebenden Cytoplasma aus erfolgt wohl kaum, dieselben bleiben an Gehalt weit hinter dem Mutterkern zurück. Von dem Stadium der Figur 35 an nahm die Zahl der Ver- bindungsfäden zwischen den Tochterkernanlagen zu. Ich kann nur wiederholen, was ich schon angegeben, dass nämlich die neu hinzukommenden Verbindungsfäden sich in keiner Weise von den auf die Spindelfasern zurückzuführenden unterscheiden. Die einen wie die andern sind Stränge von Zell-Hyaloplasma mit sehr kleinen Zell-Mikrosomen im Innern. Der tonnenförmige, von den Verbin- dungsfäden gebildete Körper nimmt an Umfang zu und wenn der Zustand der Figur 36 erreicht ist, beginnt sich die erste Andeu- tung der Zellplatte zu zeigen. Ich habe den Vorgang erst neuer- dings wieder geschildert!) und zu zeigen gesucht, dass die Zell- platte aus Zell-Mikrosomen entsteht, welche, innerhalb der Ver- bindungsfäden fortschreitend, sich im Aequator der letzteren an- sammeln. Einen vorgeschritteneren Zustand zeigt Fig. 38, worauf alsbald die Bildung der Cellulosescheidewand aus der Zellplatte folgt. Die Tochterkerne beginnen, ohne längere Ruhezeit, sich zu einem neuen Theilungsschritt vorzubereiten. Da zeigt sich denn zunächst dieselbe sehraubenförmige Contraction des Fadens, wie wir sie im Mutterkern geschildert. Die sich verkürzenden Win- dungen nehmen eine bestimmte Stellung innerhalb der Kernhöble ein, derjenigen noch immer annähernd parallel, welche zuvor die U-förmigen Tochterkernelemente zeigten. So präsentiren sich die Windungen ihrer ganzen Länge nach, wenn man die Toehterkerne von der Kante sieht (Fig. 41), sie zeigen nur ihre Umbie- 1) Zellhäute p. 172, 1882. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 491 gungsstellen, wenn man die Tochterkerne von der Fläche betrachtet (Fig. 42). Die aufeinanderfolgenden Zustände, welche von dem schraubenförmigen und feinkörnigen zu dem homogenen Aussehen des Fadens führen, werden uns durch die Figuren 43— 46 vergegen- wärtigt. Dabei findet, wie dieselben Figuren zeigen, eine entsprechende Umlagerung im Fadenknäuel statt. Die Fäden bilden eine Schleifen- figur, deren Aussehen sich wohl am besten den Bildern selbst ent- nehmen lässt. In der Figur 44 schliesst der rechts gelegene Knäuel, in der Anordnung seiner Windungen, wohl noch unmittelbar an die An- ordnungen der Fig. 43 an. Die Windungen des Knänels links in Fig. 44 beginnen sich bereits in der Richtung der zukünftigen Kernspindelaxe zu strecken. Eine Einfaltung dieser Elemente im Aequator macht sich gleichzeitig bemerkbar. So wird der Zustand erreicht, den die beiden Kernbilder in Fig. 45 zeigen. Die Streekung polwärts, die Einfaltungen im Aequator haben sich noch mehr ausgeprägt. In dem Kernbilde links der Fig. 45 öffnen sich die polwärts gerichteten Schleifen und bald darauf folgt auch eine Continuitätsunterbrechung der Einfaltungsstelle im Aequator. So kommt die Kernplatte zu Stande, wie sie sich rechts in Fig. 46 und 47, links in Fig. 48, präsentirt. Sie hat, wie im Mutterkern, eine doppelte Zusammensetzung. Doch sind die polwärts ge- richteten Schenkel der Kernplattenelemente viel länger, die äquatorial gerichteten relativ kürzer und berühren sich nur un- vollkommen. Auch die Regeimässigkeit der Bilder ist eine viel ge- ringere und die polwärts laufenden Schenkel halten durchaus nicht streng die Richtung nach den Polen ein. Die seitlichen Krümmungen der äquatorial gerichteten Schenkel und der wellen- förmige Verlauf bestimmt die polare Ansicht der Kernplatte, die sich kranzförmig zeigt (Fig. 46 links und 47 links). Die Bilder, wie ich sie entworfen, lassen sich freilich nur bei fortgesetzter Aenderung der Einstellung gewinnen. In Fig. 47 habe ich das polwärts gerichtete Ende der Fäden dunkler bezeichnet. Das Ab- zählen der Elemente ergab auch hier meist die Zahl 12. Auf den zwischen Fig. 43 und 44 liegenden Entwicklungs- stadien wird die Kernwandung aufgegeben und das Cytoplasma dringt in die Kernhöhle ein. Da aber die Windungen des Kern- knäuels in gegenseitiger Verbindung sind, sich somit gegenseitig stützen, auch hinreichende Dicke und Festigkeit besitzen, so unter- 492 Eduard Strasburger: bleibt während der Plasmaeinwanderung eine Contraktion der Kern- figur, wie wir eine solehe im Mutterkern gesehen. Der Zusammenhang der Fadenwindungen macht auch die frühzeitige Ausbildung der Spindelfasern überflüssig, indem die Windungen an einander sich ohne Hilfe der Spindelfasern richten können. Erst nach Oeffnung der polaren Schleifen stellen sich die, hier sehr zarten, Spindelfasern ein. Ihre schwache Entwicklung mag bedingen, dass auch jetzt noch die polwärts gerichteten Schenkel der Kernplattenelemente starke seitliche Krümmungen zeigen. Die beiden rechts in der Kernspindel der Fig. 47 gelegenen Kernplattenelemente können ohne weiteres vergegenwärtigen, wie hier das Auseinanderweichen der beiden Kernplattenhälften vor sich gehen wird. Der untere aequatoriale Schenkel der Kern- plattenelemente wird nämlich, während sich die polaren Schenkel polwärts zu bewegen beginnen, mehr oder weniger vollständig ge- rade gestreckt (Fig. 48 rechts). Die auseinanderweichenden Enkel- kernelemente haben hier somit die Gestalt entweder einfacher, gerader, oder nur schwach hakenförmig eingekrümmter Stäbe. Der Haken kann sich an dem polaren oder dem aequatorialen Ende, oder auch an beiden Enden befinden. In letzterem Falle bekommen die Elemente die Gestalt sehr lang gezogener S oder C (vergl. Fig. 48). Die gegenseitige Anordnung der Elemente ergibt sich am besten aus der etwas schräg polaren Ansicht der Enkelkern- anlage in Fig. 49. Die weitere Ausbildung der Enkelkerne hier im Einzelnen zu schildern, wäre überflüssig; sie wiederholen die an den Tochter- kernen beobachteten Erscheinungen. Nur auf einige Punkte sei nochmals hingewiesen. Die bis zur Berührung polwärts ge- näherten, hier sich einkrümmenden Elemente werden kürzer und dieker, dann perlschnurförmig, erscheinen hierauf feinkörnig, krüm- men sich auch an der aequatorialen Seite und verschmelzen mit ihren Enden (Fig. 50). Die Windungen des Fadenknäuels beginnen hierauf wieder auseinander zu weichen (Fig. 51), der Faden sich auszuspinnen, bis dass der Ruhezustand erreicht ist. Die Vermeh- rung der Verbindungsfäden, Anlage der Zellplatte, Ausbildung der Cellulose-Scheidewand erfolgen während dem in gewohnter Weise. Durch die im Einzelnen abweichenden, im Wesentlichen über- einstimmenden Differenzirungsvorgänge, die sich an dem Mutterkern und den Tochterkernen bei der Theilung abspielen, gewinnt das hier Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 493 behandelte Objeet ein bedeutendes Interesse. Denn wir lernen an demselben gleich das Wesentliche des Vorgangs vom Unwesent- lichen zu scheiden, sehen auch sofort, dass ein einziges, auf An- ordnung der Kernelemente begründetes Theilungsschema sich nicht durehführen lässt. Findet es doch in diesem Falle nicht einmal Anwendung auf die sich folgenden Theilungsschritte derselben Mutterzelle. Die Untersuchung der Pollenmutterzellen bei Lilium eand i- dum und eroceum ergab gegen Fritillaria nicht wesentlich neue Gesichtspunkte. Die Uebereinstimmung ist fast vollständig. Lilium candidum habe ich an Essigsäure-Methylgrün-Präparaten, Lilium eroceum an Alkohol-Safranin-Präparaten studirt. Die noch im Gewebeverbande befindlichen Mutterzellen von Lilium eandidum, aus etwa 10 mm hohen Knospen, haben mehrere Kernkörperehen aufzuweisen, welche mit eintretender Verkürzung und Verstärkung der Windungen des Fadenknäuels als solche schwinden. Dahingegen werden ein, selten mehr, Secretkörperchen ausgesondert und die Bilder präsentiren sich alsbald in jener, dureh die Fig. 52 Taf. XXV vergegenwärtigten, charakteristischen Form. Der Fadenknäuel aus Nucleoplasma zeigt sich hierbei stark eontrahirt, von der Kernwandung zurückgezogen und man hat es leicht, sich über die wahre Natur und den Bau dieser Kernwandung zu orientiren. Dass sie als Hautschicht das an- grenzende Cytoplasma abschliesst und diesem zugehört, kann einem Zweifel nicht unterliegen. — Das Secretkörperchen liegt der Kernwandung dicht an; es wird bei seinem Auftreten durch Methylgrün zunächst gefärbt, büsst diese Tinctionsfähigkeit aber alsbald ein. Mit Carmin ist es hingegen, wie schon Tangl!) bei Hemerocallis bemerkte, bis zuletzt zu färben. Der Umstand, dass die Tinetionsfähigkeit des Secretkörperchens in Methylgrün ab- nimmt, weist jedenfalls auf Veränderungen hin, die seine Substanz allmählich durchmacht. Dass auf diese Veränderung nicht ein allzugrosses Gewicht zu legen ist, werden uns aber andere Ob- jeete zeigen, bei welchen die Tinetionsfähigkeit des Sekretkör- perehens in Methylgrün bis zuletzt erhalten bleibt. — Die Trennung des Knäuels in die Fadenstücke, das Zusammenklappen der letz- teren und die Ausbildung der Kernspindel erfolgen in der für 1) 1. c. Sep.-Abdr. p. 3. 494 Eduard Strasburger: Fritillaria beschriebenen Weise. Eine kleine Abweichung im Aus- sehen bieten hingegen die fertigen Toehterkernspindeln insofern dar, als die polsichtigen Schenkel der Kernplattenelemente sich ziemlich stark nach aussen gebogen zeigen (Fig. 53). Dadurch erscheint die Kernplatte flacher ausgebreitet und bekommt auf- fallende Aehnlichkeit mit den Kernplatten von Salamandra. Die zarten Spindelfasern der Tochterkernspindel treten an diesen Essigsäure-Präparaten schärfer als an den Nelkenöl-Präparaten hervor (Fig. 53). In Figur 54 habe ich die Kernplatte in der Polansicht dargestellt. Ich fand bei Lilium-Arten wie bei Fritil- laria die Zahl der Kemplattenelement-Paare in den primären wie in den secundären Spindeln meist 12 betragend, oder doch nur um Weniges von dieser Zahl abweichend. Zalewski!) ist nun auf Grund seiner Untersuchungen, vornehmlich an Lilium eandi- dum, der Meinung, dass die Spindelfasern die Kernsubstanz um- hüllende Röhren sind, aus denen sich letztere äquatorialwärts zurückzieht, um die Kernplatte-zu bilden. Die Elemente der Kern- platte würden somit in Taschen stecken, die sich polwärts in die feinen Röhrchen, die Spindelfasern, fortsetzen. Innerhalb dieser köhren hätte dann auch das Auseinanderweichen der Schwester- elemente vor sich zu gehen. Dass diese Vorstellung mit den für Fritillaria geschilderten Thatsachen nieht in Einklang zu bringen ist, brauche ich wohl nicht erst zu betonen; dass sich aber Lilium candidum nicht anders als Fritillaria verhält, habe ich bereits hervorgehoben. Lilium eroceum schliesst noch unmittelbarer als candidum an Fritillaria persica an. Die meisten Liliaceen zeigten mir annähernd dieselbe An- zahl von Elementen in der Kernplatte, die Zahl 12 wog nämlich vor. Doch fand ich einen Fall, und viele andere dürften bei fort- gesetztem Suchen hinzukommen, wo dieses Zahlenverhältniss sich anders gestaltete. In dem gedachten Falle, es handelt sich um die primäre Kernspindel der Pollenmutterzellen von Funkia Siebol- diana, war die Zahl der Elemente viel bedeutender, meist etwas grösser als 24. Die Elemente selbst waren entsprechend kleiner. Dabei pflegten sich einige randständige durch etwas bedeutendere Grösse und abweichende Gestalt auszuzeichnen. Die Figuren 55 1) 1. ec. Sep.-Abdr. p. 6 u. ff. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 495 und 56 geben zwei Polansichten dieser Kernplatten und erfordern keine weitere Erklärung. In den Techterkernspindeln war die Zahl der Elementpaare in der Kernplatte auf die Hälfte redueirt. In den Pollenmutterzellen von Alstroemeria chilensis, einer Amaryllidee, gelang es mir hierauf, eine Kernplatte zu finden, die nur, und zwar ziemlich constant, S Elemente führte (Taf. XXV, Fig. 57 u. 55). Von der doppelten Zusammensetzung dieser Ele- mente hält es hier noch schwerer als bei Fritillaria sich zu über- zeugen. Sie scheinen durchaus einfache Körner zu sein. Die Ent- wicklungsgeschichte ist aber dieselbe wie bei Fritillaria und ent- scheidet über deren Bau. Während bei Funkia zahlreiche der kleinen Elemente im Innern der Kernplatte zu liegen kommen, pflegt hier meist nur ein centrales Element von 7 peripherischen umgeben zu sein. — Wegen der Grösse der Kernplattenelemente dürften die Pollenmutterzellen von Alstroemeria sich zu Demonstra- tionen eignen. Es genügt eine entsprechend alte Blüthenknospe quer zu durchschneiden und den Inhalt der Antheren in einen Tropfen von Essigsäure-Methylgrün auszudrücken, um schön tingirte, deut- liche Theilungsbilder zu erhalten. Doch ich kehre nochmals zu den Pollenmutterzellen der Liliaceen zurück, um eine Pflanze zu schildern, die vor Kurzem den Vorwurf zu einer ausführlichen Abhandlung von Tangl ab- gab. Diese Pflanze ist Hemerocallis fulva. Ihre Pollenmutter- zellen sind wenig für das Studium der Kerntheilung geeignet, da die Kerne derselben relativ kleine Theilungsfiguren bilden. immer- hin war es, nach vorausgegangener Orientirung an den grossen Objeeten, möglich, auch hier den Zusammenhang im Einzelnen zu gewinnen. Ich studirte die Pollenmutterzellen zuerst an Essigsäure- Methylgrün- und Aleohol-Methylgrün , dann auch an Safranin-Prä- paraten. Noch im Gewebeverbande befindliche, Jüngste Pollenmutter- zellen (Taf. XXV, Fig. 59) besitzen, wie Tang] bereits angibt'), mehrere, sich mit Methylgrün tingirende Kernkörperchen. Später findet man, fast ausnahmslos, nur das einzige, alsbald sich mit Methylgrün nicht mehr tingirende Kügelchen?), das aber auch hier nicht ein Kernkörperehen, vielmehr ein Secretkörperchen ist (Fig. 60). In diesem sind stets kleine Vaeuolen sichtbar®). Der 1) 1. c. Sep.-Abdr. p. 1. 2) Tangl1. ce. p. 3. 3) Die Vacuolen auch von Tangl angegeben |], c. p. 3. 496 Eduard Strasburger: Kernfadenknäuel zieht sich stark zusammen und zerfällt in relativ sehr kurze Stücke, welche zusammenklappen und der Kernwan- dung anliegen, oft nicht anders als wie einfache Körner aussehend (Fig. 61). Dann folgt das auch von Tangl beschriebene Schwin- den der Kernwandung?) und Zusammenrücken der Kernelemente; nur dass sie weder miteinander, noch mit dem Secretkörperehen verschmelzen, wie es Tangl°’) will, letzteres vielmehr in allen Fäl- len alsbald beseitigt wird*). Die Kernspindel hat das Aussehen der Fig. 62, Taf. XXV. Die doppelte Zusammensetzung der Kern- plattenelemente ist trotz deren geringer Grösse doch deutlich. Die polwärts gerichteten Schenkel sind relativ lang, die äquatorial gerichteten kurz, doch angeschwollen; solche Anschwellungen zei- gen sich meist auch am Ende der polwärts orientirten Schenkel. Die Zahl der Doppelelemente in der Kernplatte ist annähernd 12. Das Auseinanderweichen geschieht in früher beschriebener Weise. Dabei findet oft eine eigenthümliche Abweichung von den norma- len Vorgängen statt, die weiter besprochen werden soll. Die Tochterkerne sind stark abgeflacht; die Differenzirung der Toch- terspindeln geschieht trotzdem in einer, den bisher geschilderten Liliaceen entsprechenden Weise; so auch der Abschluss des Thei- lungsvorganges°). Die von Tangl*®) gemachte Angabe eines öfters beobachteten helleren Hofes um die Kernspindel lässt sich unge- zwungen auf die ursprüngliche Kernhöhle zurückführen. Das in dieselbe eindringende Cytoplasma hat den Kernsaft zu verschlucken und ist deshalb wasserreicher. Die Angabe von Tangl”), dass die Pollenmutterzellen von Hemerocallis fulva simultan in die vier Pollenzellen zerfallen sollen, l) Dieses Bild nach einem Alcohol-Präparat, daher relativ klein. Ay ey Dr 4 3) Ebendas. 4) Diese Gebilde sollen nach Tangl (l. ce. p. 5) die Kerne einer nur relativ geringen Anzahl von Mutterzellen begleiten und Nucleolen sein. Die Bedingungen für ihre Entstehung sollen dort gegeben sein, wo eine Pollen- mutterzelle, auch auf relativ vorgeschrittenem Zustande, einen multinucleo- laren Kern besitzt. 5) Diese Bilder konnte Tangl unmöglich richtig deuten, da ihm nicht die andern günstigen Objecte bekannt waren. Dial. DD: N. Cord Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete, 497 stimmt nicht zu meinen Beobachtungen. Die Zellplatte, die nach dem ersten Theilungsschritt gebildet worden ist, wird nicht auf- gelöst, sie bildet eine Scheidewand aus Cellulose !), die aber sehr zart bleibt. An diese schliessen die Scheidewände an, die nach der Theilung der Tochterkerne entstehen und zwar in der für die meisten Monocotylen gewohnten Weise. Die Theilung der Schwes- terzellen erfolgt nämlich entweder in derselben Ebene, oder in zwei sich rechtwinklig schneidenden Ebenen. Hierauf erst folgt eine rasche Verdickung aller erzeugten Wände. Tangl fügt weiter hinzu?), „dass einzelne Specialmutterzellen der Tetraden auf Stadien, die der Bildung der Pollenzellen voraus- gehen, in den meisten Fällen noch nachträgliche Theilungen er- fahren.“ Hiermit komme ich zu dem vorhin angedeuteten Ver- halten, das sehr eigenthümlich ist, freilich ganz anders verläuft, als eben von Tangl angegeben wurde. Gleich beim ersten Theilungsschritt der Pollenmutterzelle werden nämlich häufig mehr als zwei Zellen gebildet. Zwei Zellen sind hierbei stets grösser, es sind das diejenigen, die normaler Weise anzulegen waren. Neben ihnen bemerkt man eine oder selbst zwei kleinere Zellen. Diese kleineren Zellen haben auch einen bei weitem kleineren Zellkern aufzuweisen. Zwei Fälle dieser Art, in denen je drei Zellen gebildet wurden, habe ich in den Figuren 64 und 65 Taf. XXVI abgebildet. Es frug sich, wie ein solcher Theilungsschritt, der augenscheinlich simultan eintrat, möglich sei. Das nächste war an eine dreipolige Kernspindel zu denken, wie ich solche an andern Orten beobachtet hatte; doch störte die ungleiche Grösse der Theilkerne. Da stellte sich endlich, nach ziemlich mühsamer Untersuchung, ein bisher noch nicht beobachteter Vorgang heraus. Bei der Trennung der Kernplattenelemente in ihre beiden Hälften kommt es hier nämlich häufig vor, dass einzelne Elemente, statt gegen den Pol zu rücken, im Aequator der Spindel verbleiben (Fig. 63, Taf. XXVI). Die Vermehrung der Verbindungsfäden schreitet nun in gewohnter Weise fort und das denselben äqua- torial anhaftende Kernplattenelement wird hiedurch gegen die Peripherie geschoben. Kommt nun der Augenblick der Zell- 1) Tang] findet auch, dass diese erste Zellplatte zur Bildung einer Cellulose-Scheidewand führe, nichts desto weniger nimmt er deren Resorption an, 1. c..p. 18: a) le:,9r,9: 498 Eduard Strasburger: plattenbildung, so sieht man die beiden Schwersterkerne sich eben so gut gegen einander als auch gegen das kleinere Element abgrenzen. Dieses ist in Fig. 64 deutlich zu verfolgen. Die Zell- plattenstücke, welche das kleinere Kernelement gegen die beiden Sehwersterkerne abgrenzen, halten sich in halber Entfernung zwischen diesen und jenem. Die einfache Zellplatte wird hier in zwei Hälften gespalten. Während nun die weitere Differenzirung in den beiden Schwersterkernen beginnt, stellt sie sich in derselben Weise auch in dem isolirten Elemente ein und es bildet sich dieses schliesslich zu einem ganz normal aussehenden, nur sehr kleinen Zellkerne aus (Fig. 64). Das Anwachsen des Complexes von Ver- bindungsfäden hat ein andauerndes Fortrücken des kleinen Kerns gegen die Peripherie zur Folge, bis dass die beiden Zellplatten- hälften die Wand der Mutterzelle erreicht haben (Fig. 65). Jetzt wird die Zellplatte in eine zarte Cellulosewand verwandelt. Bei dem nächsten Theilungsschritt der beiden grösseren Schwester- zellen kann sich auch die kleine dritte mittheilen: dann schliesst die ursprüngliche Mutterzellhaut 6 Zellen ein. Hat sich die kleine Zelle nicht mehr getheilt, so sind deren nur 5. Sind neben den zwei grösseren zwei kleinere Zellen beim ersten Theilungsschritt gebildet worden, so sind im Resultat 6, 7 oder 8 Zellen möglich. Ich habe deren bis 9 einmal gezählt ; da hatten beim ersten Thei- lungsschritt zwei grössere und drei kleinere Zellen entstehen müssen. In allen Fällen ist es aber derselbe Vorgang, der, bei dem ersten Theilungsschritt der Mutterzelle, in einer so eigenthümlichen Weise die Bildung von Nebenzellen veranlasst. Diese kleineren Zellen werden weiterhin als sonst normale, nur entsprechend kleinere Pollenkörner entwickelt. Es ist jedenfalls von allgemeinerer Be- deutung, dass hier einem jeden Stückchen des, in fast zufälliger Weise, abgetrennten Protoplasma der Pollenmutterzelle die Fähig- keit zukommt, die speeifisch-charakteristische Wandung an seiner Oberfläche auszubilden. Ein wenig Kernsubstanz ermöglicht die Existenz und veranlasst daher auch die Individualisirung der ein- zelnen Protoplasmatheile. Dass Verschiedenheiten in der Grösse, auch der fertigen Pollenzellen hier obwalten, wird bereits von Tangl!) angegeben. — Ob dieser merkwürdige Vorgang auch anderswo noch vorkommt, werden spätere Untersuchungen zeigen RE La > Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 499 müssen. Ein Bild von Hofmeister!), welches zwei grössere und einen kleineren Kern in einer Pollenmutterzelle von Passiflora coerulea zeigt, scheint für eine ähnliche Möglichkeit dort zu sprechen. Vielleicht auch ein Bild mit mehreren Theilstücken innerhalb einer Pollenmutterzelle, das er für Iris pumila entwirft?). So könnte endlich auch eine Angabe von Wimmel?°) für Fuchsia, wo „die Zahl der in der Pollenmutterzelle entstehenden Theile nicht bestimmt“, die Theile auch nicht von gleicher Grösse sein sollen, für eine ähnliche Erscheinung dort sprechen. Ueberhaupt hätte sich aber die Untersuchung hier an Pflanzen zu wenden, die auch im fertigen Zustande neben normal-grossen, kleinere Pollen- körner aufzuweisen haben. Die Theilungsvorgänge der Zellkerne in den Pollenmutter- zellen der Tradeseantia-Arten weichen von den bisher ge- schilderten Fällen in einem Punkte ab. Der Mutterkern derselben theilt sich nämlich im Wesentlichen bereits so, wie es bisher erst die Tochterkerne thaten. Der Fadenknäuel des Mutterkernes trennt sich somit in Stücke erst dann, wenn die vorbereitenden Anord- nungen zur Bildung der Kernplatte bereits getroffen sind. Auch zeichnen sich hier die Kernfäden durch besondere Dicke aus. Der feine, zarte Fadenknäuel mit einigen schwach markirten Nueleolen, den wir in jüngsten Pollenmutterzellen von Tradescantia subaspera finden, weicht alsbald dem schärfer markirten Faden- knäuel, welchem seitlich das hier sehr flache Seeretkörperchen anliegt. Dann zieht sich der feine Faden zu einem relativ kurzen, mindestens zehn Mal diekeren zusammen. Es ist hier, ungeachtet der mehrfachen Windungen, leicht festzustellen, dass es sich nur um einen einzigen solehen, ohne Ende in sich zurücklaufenden Faden handelt). An diesem hat nun bereits Baranetzky den Aufbau aus abweichenden helleren und dunkleren Scheiben consta- tiren können. In der That tritt dieser Bau dem Beobachter bei jeder Art der Behandlung, namentlich auch an Wasserpräparaten, 1) Bot. Zeitung 1848, Sp. 652 u. Taf. VI, Fig. 7. 2) Abh. der math.-phys. Cl. d. Kl. sächs. Gesell. d. Wiss. 1861. Bd. V. at. xx Bir. 16. 3) Bot. Zeitung 1850, Sp. 243. Aus den zugehörigen Figuren 97—103, Taf. V ist kaum etwas zu ersehen. 4) So schon Baranetzky, Bot. Zeitung 1880, Sp. 246 u. 247. 500 Eduard Strasburger: scharf entgegen. Die Kernfäden zeigen, schreibt Baranetzky!), „regelmässige glatte, in regelmässigen Abständen von einander liegende dunkle Streifen, welche mit ungefähr eben so breiten Streifen von hellerer Zwischensubstanz abwechseln“. „Die Schärfe und Regelmässigkeit des Baues ist oft so gross, dass beim ersten Anblick die Kernfäden unwillkührlich an die aus platten Zellen bestehenden Oscillarienfäden erinnern.“ „Genauere Untersuchung der so differenzirten Kernfäden zeigt, dass ihre Contourlinien nicht mehr glatt, sondern wellenförmig oder wie unterbrochen erscheinen. Das kommt daher, dass jeder dunkle Streifen nach Aussen einen leistenförmigen Vorprung mit abgerundeter scharfer Contourlinie bildet, während die einspringende Umrisslinie der weichen Zwischen- substanz sehr zart, manchmal kaum zu erkennen ist.“ So weit stimmen meine Beobachtungen mit den Baranetzky’schen über- ein, doch kann ich ihm nicht in dem Ausspruch folgen, dass es sich bei dieser Structur um eine eng gewundene Spirale handle. Zunächst müsste es in der That‘ scheinen, als wenn die früher von mir gegebene Entwicklungsgeschichte, welche die dicken Fäden durch drahtfederartiges Zusammenrollen der dünnen entstehen lässt, für eine solche Auffassung spräche; doch lehrt die direete Wahr- nehmung das Gegentheil und ihr kommt ja definitiv die Entschei- dung zu. Die Angabe vonBaranetzky?), dass die Spirale ausge- zogen werden kann, gelang es mir nicht zu bestätigen, vielmehr setzte ich mit Hülfe der Tinetionen und der besten optischen Hülfs- mittel fest, dass es sich in der That um die Abwechselung flacher Scheiben handle. Es findet bei der Verkürzung des dünnen Fadens, respective dem sich Einrollen desselben, eine vollständige Verschmel- zung der kleinsten Theilchen statt und die dieken Kernfäden be- stehen aus (so weit unterscheidbar) homogenen Scheiben, von ab- wechselnd Nucleo-Hyaloplasma und’ Nucleo -Mikrosomensubstanz. Neben den Kernfaden ist stets noch das Secretkörperchen, hier relativ häufig auch zwei, zu sehen. An Essigsäure-Methylgrün- Präparaten ist es übrigens meist nicht zu finden; es wird hier, so scheint es, gelöst; wohl aber tritt es scharf an den Alkohol- Safranin-Präparaten hervor. — Der lange, wurmförmige, dicke 1) Baranetzky spricht hingegen von einem Convolut von Kernfäden l. e. Sp. 248. 2) 1. c. Sp.,284. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 501 Kernfaden legt sich hierauf in Windungen, die in der Höhe nicht unbedeutend abweichend, doch alle mehr oder weniger parallel zu- einander laufen. So bilden jetzt die Windungen des Fadens eine Scheibe !), deren Lage mit derjenigen der zu bildenden Kernplatte zusammenfällt. Gleichzeitig war die Kernwandung aufgegeben worden und das Cytoplasma wandert zwischen die Windungen des Fadens ein. Dies muss an Essigsäure-Präparaten studirt werden, die Alkohol-Präparate zeigen nur eontrahirte Bilder. Ueberhaupt ist die Mutterzelle des Tradescantia-Pollens insofern ein empfind- liches Objeet, als die Anordnung ihres Inhalts leicht leidet ?). Dahingegen ist der Kernfaden, als soleher, ein sehr resistentes Gebilde und bleibt viele Stunden lang erhalten selbst dann, wenn man ihn aus der Zelle in umgebendes Brunnenwasser ausdrückt. — Wie schon berichtet wurde, sind auf dem der Kernplattenbildung unmittelbar vorangehenden Stadium die Windungen des Fadens so gelegt, dass die Umbiegungsstelle polwärts, die gerad laufenden Stücke senkrecht gegen die Aequatorialebene gerichtet erscheinen. Hierauf öffnen sich die Schleifen an den Polenden, erfolgt auch eine Continuitäts-Unterbrechung in der Aequatorialebene, wo dann die freien äquatorialen Enden der respeetiven Fadenstückhälften mehr oder weniger stark hakenförmig eingekrümmt werden. Jetzt erst treten beiderseits die schwach markirten Spindelfasern auf. Die Zahl der Elemente in jeder Kernplattenhälfte, vom Pol aus betrachtet, schwankt meist zwischen 10—12. — Die auseinander- weichenden Elemente sind an ihrem polwärts gerichteten Ende hakenförmig oder U-förmig eingekrümmt. Auf die Differenzirung der Tochterkerne gehe ieh hier nicht weiter ein und bemerke nur, dass sich in den Tochterzellen alsdann die Vorgänge wesentlich so wie in der Mutterzelle abspielen. Es lag nahe zu fragen, ob die Ausscheidung eines Seeret- körperehens aus den Pollenmutterzellen etwa nur auf die Mono- cotylen beschränkt sei, oder weitere Verbreitung habe. Letzteres musste von vorn herein wahrscheinlicher erscheinen, liess sich aber 1) Baranetzky sagt bereits 1. e. Sp. 265, das Convolut der Kernfäden bilde eine Scheibe, die Windungen seien mehr oder weniger parallel. 2) Daher die meisten der Baranetzky’schen Bilder 1. e. Taf. V. o Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 33 502 Eduard Strasburger: doch nieht so leieht nachweisen, als ich gehofft hatte. Die Pollen- mutterzellen der Dieotylen gehören nämlich zu den ungünstigsten Untersuchungsobjeeten. Sie sind auf den betreffenden Stadien relativ klein, lassen sich meist nur schlecht fixiren und färben. Ileh werde daher im Folgenden aueh nicht vollständige Schilde- rungen der Theilungsvorgänge geben, vielmehr nur das für uns Wichtigste herausgreifen. Sehr leicht ist die Existenz des Seeretkörperchens gleich nach dessen Bildung, auf demjenigen Stadium, das dem Schwinden des Seeretkörperehens folgt, zu constatiren. Das Seeretkörperchen be- findet sich dann stets in peripherischer Lage, der Kernwandung anliegend. Es färbt sich mit Methylgrün nicht oder nur schwach, nimmt übrigens bei manchen Arten auch intensive Färbung an. — Ich fand das Secretkörperchen bis jetzt bei allen untersuchten Dieo- tylen, so beispielsweise bei Delphinium intermedium, Aconitum Napellus, Glaueium fulvum, Althaea rosea, Bryonia dioica. Am leiehtesten dürfte der Nachweis bei Glaueium fulvum sein. Das Seeretkörperchen färbt sich hier, auf dem angeführten Stadium mit Methylgrün nur noch unmerklich. Der Kernfaden sondert sich hierauf in sehr kurze Stücke, die der Kernwandung anliegen. Auch hier sind diese Stücke völlig frei gegen einander, so dass ein soleher Zustand nothgedrungen früher als körnig bezeichnet werden musste. Die Kleinheit des Objeetes lässt über die doppelte Zusammensetzung der einzelnen Stücke nur relative Sicherheit er- langen. Doch unterliegt es wohl kaum einem Zweifel, dass eine solehe Zusammensetzung auch hier vorliegt. Das Secretkörperchen nimmt an Grösse ab und schwindet, während die Kernwandung aufgegeben wird, das Plasma zwischen die Kernelemente einwan- dert und diese in die Mitte der Zelle zusammenrücken. Folgt hierauf die Ausbildung der Kernspindel, die sehr schlank ist, aber eine Kernplatte von nur geringer Höhe besitzt. Die Zusammen- setzung der Letzteren aus doppelten Elementen ist in den günstigsten Fällen zu erkennen; im allgemeinen präsentirt sie sich nur wie eine aus stäbehenförmigen Elementen gebildete Scheibe, von der einzelne polwärts gerichtete, doch nur kurze Vortsätze ausgehen. Die Tochterkerne wiederholen denselben Vorgang wie der Mutter- kern. Die primäre Zellplatte wird währenddem resorbirt. Nach erfolgter Theilung der Tochterkerne werden die fehlenden Ver- bindungsfäden im umgebenden Cytoplasma ergänzt und die tetra&- Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 508 drische Theilung der Pollenmutterzellen hierauf vollzogen. Ein- sehendes Studium der primären, relativ schlanken Kernspindel musste mir auch hier wieder die vollste Ueberzeugung aufdrängen, dass die Spindeifasern aus dem Cytoplasma hervorgehen. — Bei Al- thaea rosea bleibt das, im Verhältniss zur übrigen Kernsubstanz sehr voluminöse Secretkörperchen bis zuletzt mit Methylgrün tinetionsfähig. Es zeigt auch weiterhin ein eigenthümliches Ver- halten, indem es sich, zerfliessend, um die ganze Kernhöhle zieht und auch noch die fertige Kernspindel in einiger Entfernung, wie ein dunkler gefärbter Mantel umgiebt. — Auch in den Pollenmutter- zellen von Pinus silvestris fand ich das Secretkörperchen unter den gewohnten Erscheinungen wieder. Die primäre Kernspindel dieser Zellen zeigt relativ dieke, kurze Elemente; dieselben liegen deutlich in einer Doppelschieht. — Es lag nun nahe, nach den Secretkörperchen auch bei den höheren Kryptogamen zu suchen und hier trat es mir denn auch gleich in den Sporenmutterzellen von Equisetum limosum entgegen. Man findet in den jungen Sporenmutterzellen leicht Zustände, welche den mit Methylgrün stark tingirten Fadenknäuel in Contraetion und, demselben einseitig anliegend, das nicht oder doch schwächer tingirte Seeretkörperchen zeigen (Taf. XXVI, Fig. 66). Folgt auch hier bald ein Zustand, wo der Zellkern isolirte „Körner“ führt, welche alle der Kernwandung anliegen. Dass es zusammengelegte Fadenstücke sind, lässt sich wohl hin und wieder constatiren. Das Secretkörperchen liegt diesen „Körnern“ von innen an. Es wird allmählich kleiner und schwindet zuletzt. Die Kernspindel hat die Gestalt einer Citrone (Fig. 67). Sie ist ausgezeichnet durch die sehr dichte Kernplatte, sehr scharf gezeichnete Spindelfasern und ebenso scharfen äusseren Contour. Die Kermplatte besteht aus den zahlreichen Elementen, die wir vorhin an der Kernwandung sahen; diese Elemente sind so dicht an einander gedrängt, dass die Kernplatte ein fast solides Aus- sehen erhält. Der äussere, scharfe Contour rührt nieht, wie ich früher meinte !), von der Kernwandung her. Diese ist hier, wie auch sonst, auf einem früheren Zustande verschwunden: der scharfe Umriss ist vielmehr nur der Ausdruck für die gleich scharfe Ausbildung der Spindelfasern; diese sind es, die so deutlich gegen die Umgebung absetzen. Die eigenthümliche Gestalt der Kern- 1) Zellbildung und Zelltheilung III. Aufl. p. 155. 504 Eduard Strasburger: spindel wird dureh deren Abrundung an den Seiten, plötzliche Zuspitzung an den Polen veranlasst. Die seeundären Kernspindeln zeigen ganz dieselbe Entwicklung wie die primären und haben, von der geringeren Grösse abgesehen, auch dieselbe Gestalt. Die eigentliche Zusammensetzung der Kernplatte verräth sich während ihres Auseinanderweichens. In Figur 68 ist festzustellen, dass die einzelnen, auseinanderweichenden Elemente U-förmig sind und ihre Krümmungsstelle polwärts wenden. — Auch bei Psilotum trique- trum fand sich das Seeretkörperchen wieder, relativ sehr klein im Verhältniss zu der Kerngrösse (Fig. 69). Ein feiner Faden- knäuel erfüllt die Kernhöhle. Der Faden besteht aus Nucleo- Hyaloplasma mit regelmässig aneinandergereihten Nueleo-Mikro- somen. Auf späteren Zuständen findet man die an der Kernwan- dung vertheilten „Körner“ (Fig. 70), und kann leicht feststellen, dass das Seeretkörperehen, an diesen hängend, in die Kernhöhle hineinragt. Der bedeutenden Grösse der Kerne entsprechend lassen sich die einzelnen Körner unschwer als aus einem der Länge nach zusammengesetzten Fadenstücke bestehend nachweisen. Auch die Alternation hellerer und dunklerer Scheiben ist in den Fäden sichtbar. Die Zahl derselben ist sehr gross. Die Kernspindeln sind flacher als gewöhnlich; die Elemente in der Kernplatte dicht an einander gedrängt; ich muss die Zahl derselben auf etwa 140 schätzen. Es sieht aus, als wenn die Kernplatte aus einfachen, sich gegenseitig berührenden Körnern oder Stäbchen gebildet wäre. Die Spindelfasern neigen stark zusammen, um sich an den Polenden etwas aufzurichten und eine verlängerte Spitze zu bilden '). Die Tochterkerne machen dieselben Veränderungen wie der Mutter- kern dureh, um zur Spindelbildung zu gelangen. Die Tochter- spindeln stimmen somit auch in ihrem Bau vollständig mit der Mutterspindel überein. | Wie schon früher berührt wurde, meinte Tangl?) nur an solehen Kernen der Pollenmutterzellen von Hemeroeallis, welehe multinueleolär gewesen, das Austreten der nicht tingirbaren 1) Vergl. meine älteren Abbildungen der Kernspindel 1. e. Fig. 121. Wie sich jetzt zeigt, hätte die Fig. 115 dort erst auf 120 in der Entwicklungs- reihe folgen sollen. Auch geben die Figuren wohl den allgemeinen Eindruck, nicht aber die Details, richtig wieder. In Fig. 117—119 ist auch dort das Secretkörperchen zu sehen. Zyrlne.p. D. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 505 Körperchen beobachtet zu haben und erklärte sie für Nucleolen. Dass sie mit uni- oder plurinucleolären Zuständen nichts zu thun haben, glaube ich gezeigt zu haben. Sie treten erst auf, nachdem das Kernkörperchen oder die Kernkörperehen in dem Fadenknäuel des Kerns Aufnahme gefunden. Ihre Entwieklungsgeschichte unter- scheidet sich auch von derjenigen echter Nucleolen, denn sie treten nicht im Verlauf der Fadenwindungen auf, vielmehr ausser- halb derselben, stets an der Wand der Zelle. Ausgeschlossen ist ja nicht, dass in der so ausgesonderten Substanz die Substanz früher Kernkörperchen vertreten sei, aber erweisen lässt sich dies nieht. Thatsächlich giebt es auch ächte Nucleolen, die sich schwer oder überhaupt nicht mit den Kerntinetionsmitteln färben: so beispiels- weise die Nucleolen der Kerne in den sich theilenden Zellen der Staubfädenhaare von Tradescantia. Auch sind kleine Vacuolen eine in echten Nucleolen nicht eben seltene Erscheinung. Dem fertigen Zustande nach könnte das Secretkörperchen somit durch- aus als Kernkörperchen gelten, wenn nicht dessen Entwicklung die vorhin berührten Eigenthümlichkeiten zeigen möchte. Tangl betrachtet die Ausstossung eines solchen Körperchens aus dem sich zur Theilung anschickenden Zellkern bei Hemero- eallis als: einen abnormen Vorgang, der sich doch nur selten ein- stelle!); wir fanden hingegen, dass es eine constante Erscheinung nicht nur in allen Pollenmutterzellen von Hemerocallis, sondern auch in allen andern von uns bisher untersuchten Pollenmutterzellen von Angiospermen und Gymnospermen, ja selbst den Sporen- mutterzellen ist. Womit soll nun dieser Vorgang der Ausson- derung eines bestimmten Substanztheiles aus den Kernen der Sporen und Pollenmutterzellen verglichen werden ? Es lag nahe an die Aussonderungen zu denken, die oft mit der Anlage oder dem Reifen der Geschleehtsproducte verbunden sind. Ich habe solche Vorgänge an andern Orten behandelt?), doch auf den vorliegenden Fall lassen sie sich nur schwer anwenden. Liegt schon zwischen der Ausschei- dung des Secretkörperchens aus dem Korn einer Pollenmutterzelle und dem Befruchtungsvorgang ein langer Weg, so noch ein viel grösserer zwischen der Ausscheidung des Secretkörperchens aus dem Kern einer Sporenmutterzelle von Equisetum und den sich Dh ep 18: 2) Zellbildung und Zelltheilung III. Aufl. p. 97. 506 Eduard Strasburger: am Prothallium dieser Pflanze abspielenden Befruchtungsvörgängen. Als durch die Uebereinstimmung merkwürdig muss hier jeden- falls erwähnt werden, dass von la Valette St. George’) und Grobben?) „Nebenkerne“ gerade auch für Spermatocyten der Thiere angegeben haben. Tangl vergleicht die Bilder die er gesehen mit einigen von O. Hertwig?’) in thierischen Eiern (Haemopis, Mytilus) bei der Bildung der Richtungsspindel beobachteten Erscheinungen. In der That sieht man auch dort neben der Richtungsspindel häufig ein kleines rundes Kügelchen liegen. Doch beschreibt jetzt M. Nussbaum‘) solitäre oder mul- tiple „Nebenkerne“ auch im Pankreas von Salamandra maculosa, in den nicht von Secretmaterial erfüllten Zellen, zwischen Kern und Membrana propria liegend. Es ist kaum wahrscheinlich, dass es sich hier überall um entsprechende Gebilde von gleichem Ur- sprung handelt und werden weitere Untersuchungen hierüber mehr Licht zu verbreiten haben. So wollen wir uns denn auch zunächst mit der Feststellung der Thatsache begnügen, dass vor der Thei- lung der Sporen und Pollenmutterzellen das Nucleoplasma eine bestimmte Veränderung erfährt, die mit Aussonderung eines gewissen Bestandtheiles aus dem Kern verbunden ist. Dass aber eine solche Ausscheidung einzelner Bestandtheile des Zellkerns nicht etwa jede Kerntheilung begleitet, konnte ich, bei speziell auf diesen Punkt gerichteter Aufmerksamkeit, an hinreichend zahlreichen Objekten feststellen. Die bedeutende Grösse der Zellkerne bei Monoeotyledonen veranlasste mich, auch weitere Objeete für eingehendes Studium in dieser Abtheilung des Pflanzenreichs aufzusuchen. Ein schönes Beispiel für rein vegetative Zelltheilung und damit verbundene Kerntheilungsvorgänge gewährte das Endosperm von Fritillaria imperialis. Die ruhenden Zellkerne (Taf. XXVI, Fig. 71), zeigen ein feines Gerüst von Fäden, welche scheinbar zu einem Netzwerk verschmolzen sind. Dem mit dem Bau anderer Zellkerne Vertrauten wird es immerhin gelingen, einzelne Fäden 1) Archiv f. mikr. Anat. Bd. III. 1867. 2) Arbeiten des zool. Inst. in Wien Heft I, 1878. Sep.-Abdr. p. 37. 3) Morph. Jahrb. Bd. IV, p. 191 u. 201. Taf. X. Fig. 2 u. 14. 4) Archiv f. mikr. Anat. Bd. XXI. 1882. p. 343. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 507 auf längere Strecken hin in diesem scheinbaren Netzwerk zu ver- folgen. Ich bin zu der Ueberzeugung gekommen, dass auch sehr dieht erscheinende Kerne aus einem einzigen, vielfach gewundenen Substanzfaden bestehen, wobei nicht ausgeschlossen, dass sich die Windungen seitlich berühren und so gleichsam die Maschen eines Netzes bilden. In meiner Auffassung bin ich schliesslich auch im vorliegenden Endosperm durch einige Kerne bestärkt worden, welche, durch das Messer geöffnet, nunmehr deutlich den Verlauf ihrer Fadenwindungen zeigten. Dass diese Auffassung richtig, folgt alsbald auch aus den sich anschliessenden Entwicklungszuständen, welche den sich verkürzenden Faden nunmehr übersichtlich zeigen (Fig. 72). Der Faden verkürzt und verdickt sich in der früher ge- schilderten Weise, indem er sich drahtfederartig zusammenzieht. Letzterer Vorgang ist übrigens weder hier noch anderswo in vol- - ler Regelmässigkeit zu denken; es ist nur zu constatiren, dass der Faden während seiner Verkürzung ziekzackförmig verlaufende Linien bildet (Fig. 72). Die hinteremander gelegenen Mikrosomen werden so nebeneinander gebracht und können verschmelzen; es entsteht der Zustand, wo ein relativ dickfädiger Knäuel die Kern- höhle erfüllt (Fig. 75a). Nur die Substanz dieses Knäuels ist tingirt; die Kernwandung farblos; sie gehört auch hier, wie anderswo, als Hautschicht dem sie umgebenden Cytoplasma an. Ausser dem gefärbten Knäuel ist in der Kernhöhle keinerlei ge- formte Substanz nachzuweisen. Es war ausserordentlich leicht, sich hiervon an einigen Kernen zu überzeugen, die bei der Fixi- rung des Objeets gequollen waren und weit auseinandergerückte Fadenwindungen zeigten. An solchen Kernen trat mir öfters die Zusammensetzung des Fadens aus abwechselnd hellen und dunk- len Scheiben auch sehr klar entgegen. In Figur 73b habe ich ein Stückchen Faden, aus einem derartigen Kerne stammend, bei starker Vergrösserung wiedergegeben. Die tingirten, aus der Verschmelzung der Mikrosomen entstandenen Scheiben werden dureh die nicht tingirten Hyaloplasma-Brücken verbunden, und vielleicht auch noch von einem unmessbar dicken Hyalo- plasmaschlauch umscheidet. Auf dem nächstfolgenden Stadium schwindet die Kernwandung (Fig. 74) und das Cytoplasma wan- dert zwischen die Windungen des Fadenknäuels ein. Eine Con- traction der Figur findet hierbei auch in diesem Falle nicht statt, da der ganze zusammenhängende Faden ziemliche Stärke besitzt und 508 Eduard Strasburger: dem vordringenden Cytoplasma hinlänglieh widersteht. Die An- ordnung der Windungen beginnt hierauf eine andere zu werden; sie strecken sich in der Richtung der späteren Längsaxe der Kernspindel. Die Streckung beginnt an den zukünftigen Polen (Taf. XXVI, Fig. 74, 75) und pflanzt sich gegen den Aequator fort (Fig. 76). Währenddem beginnen an den beiden Polen sich be- reits einige Schleifen zu öffnen. Die Kernfigur bekommt so das Aussehen der Fig. 77, in welcher die polwärts gerichteten Enden | bereits mehr oder weniger gerade gestreckt erscheinen, in der Aequatorialgegend hingegen noch zahlreiche, verschieden orientirte Windungen liegen. Auch hier beginnen sich aber alsbald die Schleifen zu öffnen, und die befreiten Enden der Fäden in die definitiven Lagen anzuordnen. Das Zwischenstadium Fig. 80 u. 81 führt zu der definitiven Kernspindel Fig. 82 bis S4. Das ist der gewöhnliche Vorgang, der sich, entsprechend der Anpassungs- - fähigkeit so plastischer Formen, je nach Umständen etwas modi- fieirt. Eine relativ geringfügige Abweichung führt uns das in Fig. 79 dargestellte Bild vor, das dem Zustand der Fig. 80 ent- spricht. Das Aussehen der Kernfiguren wird stärker verändert, wenn sich die Fadenschlingen sehr eng aneinander legen. In den mir zur Verfügung stehenden ziemlich zahlreichen Präparaten war, wie gesagt, der eben geschilderte Entwicklungsmodus der Kern- spindel aus dem Fadenknäuel vertreten; ob derselbe der einzig mögliche für das Endosperm der Fritillaria imperialis sei, soll später noch erwogen werden. Die Spindelfasern werden erst nach erfolgter Trennung des Fadens in die einzelnen Stücke, gebildet. Sie sind sehr schwach und weil durch die polwärts gerichteten Schenkel der Kernplatte verdeckt, nur in den günstigsten Fällen zu sehen. Dass sie aber vorhanden, zeigen am schönsten solche Fälle, wo die Kernplatte schwach, auf die Aequatorialebene beschränkt ist: da treten die Spindelfasern in ihrer ganzen Länge vor (Fig. 86). Aus Figur 82, in welche ieh absichtlich nur einen Theil der Kernplattenelemente eingetragen habe, ist der Verlauf und die An- ordnung derselben am besten zu ersehen. Jedes dieser Elemente ist an seinem äquatorialen Ende hakenförmig gekrümmt. Mit der Krümmung liegen die Elemente der beiden Plattenhälften einander an. Das Hakenende ist mehr oder weniger polwärts emporgerichtet; es steht an Länge bei weitem dem von Anfang au polwärts ge- Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 509 richteten Schenkel nach. Die Figuren 33 und 84 sollen zur Vervollständigung des Eindrucks und Ergänzung der gegebenen Schilderung dienen. Die Fig. S5 giebt eine Ansicht der Kern- platte von einem der Pole der Kernspindel aus. Die dunkel ge- haltenen Enden der Fäden sind die aufwärts gerichteten. Die Zahl der Elemente in jeder Plattenhälfte abzuzählen, ist kaum mit voller Bestimmtheit möglich, diese Zahl übersteigt 24. Vom Pol aus betrachtet, zeigen die Elemente der Kernplatte einen mehr oder weniger radialen Verlauf ihrer kürzeren Schenkel. Eine Anzahl Elemente liegt im Innern der Figur, die andern sind um dieselben vertheilt. — In der Kernspindel, die ich Fig. S6 dargestellt habe, sind die Kernplattenelemente von ungewöhnlicher Kürze, nament- lich die polwärts gerichteten Schenkel redueirt. Das Auseinanderweichen der beiden Kernplattenhälften tritt uns hier, gegen früher betrachtete Fälle, mit einer gewissen Ab- weichung entgegen. Diese hängt wohl mit der grösseren Länge der polwärts gerichteten Schenkel zusanımen. Während sich näm- lich das untere hakenförmig gekrümmte Ende des Fadens gerade streckt, gewissermassen senkrecht auf der Aequatorialebene zu stellen sucht, krümmt sich nicht, wie wir das sonst gesehen, das obere Ende des polwärts gerichteten Schenkels, derselbe erfährt vielmehr eine Biegung dicht oberhalb der Stelle, wo zuvor seine hakenförmige Krümmung begann. So bekommt denn jeder ein- zelne Faden annähernd solche Gestalt In mit nach dieser oder jener Richtung orientirter Krümmung. Am besten ist dies aus der Figur 87 zu ersehen. Die gegenüberliegenden Fäden der beiden Kernhälften berühren sich nur noch mit ihren äussersten Enden. Das Bild würde mit demjenigen des gleichen Entwick- lungszustandes an der ersten Kernspindel der Pollenmutterzellen von Fritillaria persica übereinstimmen, wenn wir uns dort den einen Schenkel des N polwärts umgebogen und verlängert dächten. Die Umbiegungsstelle schreitet nun wie eine Welle an dem Faden pol- wärts fort, so dass wir sie in steigender Entfernung von der Aequatorialebene finden (Fig. 88). Der äquatoriale Contact der gegenüberliegenden Fäden hat sich während dem nicht verändert. Die Umbiegungsstellen der Fäden liegen in derselben Ebene und bringen daher auch einen Gesammteffeet hervor. Diese Stellen zeich- nen sich besonders dunkel an der Spindel und rufen bei unvollkom- mener Tinction die Vorstellung einer seitlichen Verschmelzung 510 Eduard Strasburger: hervor. — Schliesslich hat die Welle das polare Ende des Fadens erreicht, das nunmehr dauernd hier hakenförmig umgebogen bleibt. So ist die hakenförmige Krümmung von dem unteren nach dem oberen Ende des Fadens übertragen worden. Ein- zelne Fäden, vornehmlich die innern, strecken sich aber meist ge- rade (Fig. 59) und schauen dann polwärts aus den Kernhältten her- vor. Einen guten Einblick in diese Verhältnisse bietet die Figur 90, die besonders locker gebaut war. Auf diesen letzten Stadien wird auch erst der Contact der beiden Kermplattenhälften im Aequator aufgegeben. Beide Hälften entfernen sich nun von einander (Fig. 93). Ansichten von den Polen aus geben jetzt Bilder wie Fig. 91 u. 92. Die Kernfäden neigen polwärts fast bis zur Be- rührung zusammen (Fig. 95) und die hinausragenden, langen, krümmen sich jetzt ziekzackförmig ein, um auf den Körper der Kernanlage zurückzugehen (Fig. 95, 94). Diese Krümmungen setzen sich vom Pol aus weiter auf die Fäden im Innern der Kernanlage fort (Fig. 95), so dass ein dichter Fadenknäuel ent- steht. Es folgt eine Contraction des Knäuels bis zur Berührung der Windungen und gleichzeitig eine Verschmelzung der Faden- sticke an ihren Enden zu einem einzigen Faden (Fig. 96). Die Substanz des Fadens wird hierauf feinkörnig und spinnt sich in immer feinere Windungen aus (Fig. 97). Mit diesem Vorgang ist eine Volumenzunahme verbunden, die nur zum Theil auf Lockerung des Knäuels basirt. Denn es findet auf diesen und den folgenden Zuständen eine energische Ernährung der jungen Kerne aus dem umgebenden Cytoplasma statt. Die Zelltheilung wird in der oft geschilderten Weise vollzogen. Die Verbindungsfäden werden als- bald nur noch in der Aequatorialebene vermehrt (Fig. 97). Hier sind sie dieht aneinander gedrängt, laufen aber nach den Kernen zu in relativ nur wenige Fäden aus. Die Zellplatte überspannt schliesslich den ganzen Querschnitt der Zelle, worauf sie sich in eine zarte Cellulosewand verwandelt. Dank der Güte des Herrn Emil Heuser lagen mir auch prachtvolle Präparate aus den Embryosäcken von Fritillaria imperialis vor, die freie Kerntheilung im protoplasmatischen Wandbeleg zeigend. Ich würde dieses Objekt hier aber nicht be- sonders zur Sprache bringen, wiche es nicht in einem Punkte von den Endospermpräparaten ab. Die Zellkerne fand ich hier noch grösser und nur einen der kleineren habe ich in Fig. 98 Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. Sll dargestellt. Die Kernkörperchen werden relativ später in den Fadenknäuel aufgenommen. Fig. 98 stellt sie während dieser Aufnahme dar. Die Streckung des Fadenknäuels schreitet nicht von den Polen in der Richtung zum Aequator vor, vielmehr strecken sich die Windungen quer zur Längsaxe des Kerns (Fig. 99), und laufen vielfach in einandergreifend durch die Kernhöhle. Hierauf erfolgt eine Continuitäts-Unterbrechung auf der einen Seite des Kerns (Fig. 100, 101, 102). Die bisher zusammenhängenden Win- dungen werden auf diese Weise in einzelne zweischenklige Schleifen zerlegt. Diese Schleifen legen sich nun auseinander, so dass die beiden Schenkel sich nach den beiden zukünftigen Polen richten (Fig. 101—105). Gleichzeitig verschieben sie sich gegen einander im Aequator, um sich gleichmässig gegen einander zu vertheilen. Die Schleifen strecken sich gerade bis auf eine äquatoriale Schleife, in welcher hierauf die Trennung erfolgt. So zerfällt jede der ursprünglichen Schleifen in zwei einander cor- respondirende Hälften zu den beiden Seiten der Aequatorialebene. Das befreite äquatoriale Fadenende krümnıt sich noch weiter hacken- förmig ein und so wird der fertige Zustand der Kernplatte er- reicht, der sich nicht mehr von demjenigen der Kernplatten im Endosperm unterscheidet. So auch stimmen die weiteren Entwick- lungszustände überein. Da die Trennung der Windungen, die zur ersten Segmentirung des Kernfadens führt, meist in der Ebene des Wandbelegs erfolgt, so ist sie relativ leicht zu beobachten. Ich hob vorhin, bei Besprechung der Vorgänge im Endosperm, hervor, dass auch dort eine andere Entstehung der Kernspindel als die damals geschilderte wohl möglich sei. Es lässt sich näm- lich denken, dass der bei der freien Kerntheilung beobachtete Vorgang unter Umständen auch dort eintrete. Wir werden in der That ein Objeet kennen lernen, an dem sich beide Vorgänge eonstatiren liessen. Welche Bedingungen aber für das Zustande- koınmen des einen oder des andern Vorganges bestimmend sind, konnte nicht festgestellt werden. An das Vorhergehende schliesse ich die Betrachtung der freien Kerntheilung im Wandbeleg des Embryosacks von Lilium Mar- tagon an. Dieses Objeet wieder vorzunehmen war mir besonders erwünscht, da ich jetzt hoffte, correetere Abbildungen von dem- selben gewinnen zu können. Die Ruhezustände hier nochmals zu zeichnen halte ich für 512 Eduard Strasburger: überflüssig; dieselben zeigen das uns bekannte Fadenwerk, dem hier relativ viel Nucleolen eingebettet sind. Der Faden wird kürzer und dicker, während dessen Windungen sich gleichzeitig quer zum längeren Durchmesser der Kernhöhle strecken. Man sollte nun meinen, dieses müsse zu demjenigen Modus der Spindel- bildung führen, den wir bei der freien Kermbildung von Fritillaria imperialis beobachtet, doch mit Nichten. Die quer gestreckten Windungen ziehen sich parallel zur Längsaxe des Kerns, ähnlich wie beim zweiten Theilungsschritt der Pollenmutterzellen von Fritil- laria persica und wir erhalten ein Bild, das im einfachsten Falle das Aussehen der Figur 106 Taf. XXVI hat. Die langgestreckten Stränge beginnen sich hierauf in der äquatorialen Gegend einzu- falten (Fig. 107). Der Vorgang prägt sich immer schärfer, wenn auch zunächst in geringer Regelmässigkeit aus (Fig. 108). Die Schleifen ziehen sich hierauf immer bestimmter nach der Aequa- torialebene (Fig. 109). Jetzt öffnen sich die polaren Schleifen und alsbald folgen ihnen in diesem Vorgange auch die äquatoria- len (Fig. 110); die sehr zarten Spindelfasern treten auf und ist die Bildung der Kernspindel vollendet (Fig. 111). Die Figuren 110 und 111 stimmen im Wesentlichen mit der Flemming’schen Fig 2a Taf. III!) von Lilium eroceum überein. Die Unterschiede sind nicht grösser als sie von Präparat zu Präparat vorliegen. In Fig. 112 liegt eine stark abgeflachte Kernspindel vor, ähnlich der- jenigen, die ich früher gezeichnet, doch in richtigerer Ausführung ?). Im freien Wandbeleg der Embryosäcke von Lilium ero- ceum fand ich die Entwicklung der Kernspindeln zum Theil so, wie ich sie oben für Lilium Martagon geschildert, zum Theil auch so, wie wir sie im Wandbeleg der Embryosäcke von Fritillaria imperialis kennen lernten, mit querer Anordnung der Windungen, einseitiger Unterbreehung derselben und Aufklappen der Schleifen. Um nicht die Zahl der Zeiehnungen all zu sehr zu steigern, be- sinne ich hier gleich mit der fertigen Kernspindel, welche in Figur 113 dargestellt ist. Das Auseinanderweichen der beiden 1) Archiv f. mikr. Anat. Bd. XX. 2) Zellb. u. Zellth. III. Aufl. Taf. IV. Fig. 98. Die vorliegenden und die anschliessenden Figuren waren stark verwischt aus den Händen des einen Lithographen in die des andern übergegangen und hatten durch nachträgliche Correctur auf dem Steine vollends gelitten. Spindelfasern, von denen im Text (p. 31) die Rede ist, wurden überhaupt unsichtbar. co Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 51 Kernplattenhälften zeigen uns die Figuren 114 und 115. Die Figuren stimmen weniger mit den Figuren b e und d (Fig. 2.1. e.) von Flemming überein, weil derselbe den Vorgang des Ausein- anderweichens hier nicht richtig erkannte und bemüht war, ihn auf das von ihm aufgestellte Salamandra-Schema zurückzuführen. Thatsächlich erfolgt hier der Vorgang ebenso, wie im Endosperm von Fritillaria imperialis, wo wir ihn eingehend geschildert haben. Aus den beiden Kernplattenhälften sieht man auch hier öfters einzelne Fadenenden polwärts hinausragen, auch sie werden aber alsbald hakenförmig eingekrümmt. Nach vollendeter Uebertragung der hakenförmigen Umbiegung von dem äquatorialen auf das polare Ende der Fäden, sieht das Bild wie in Figur 116 aus. Hierauf folgen die Stadien, die Flemming ganz richtig dargestellt hat (l. e. Fig. 2. e, f, g), wo die Kernfäden vom Pol aus beginnend, sich ziekzackförmig zusammenziehen, mit ihren Windungen in- einandergreifend. Jetzt findet eine starke Contraction der Anlage statt (Fig. 117) und Verbindung der Fadenenden ; hierauf wieder Volumenzunahme mit Dünnerwerden des Fadens und andauernder Zunahme der Windungen. ° Der junge Zellkern wird währenddem aus dem umgebenden Cytoplasma ermährt (Fig. 118). Die Bildung der Zellplatte aus den Cyto-Mikrosomen ist in dieser Figur schön zu sehen; in den Verbindungsfaden geführt, sammeln sie sich in halber Länge derselben an. Sehr eingehend habe ich auch die Vorgänge der freien Kerntheilung im Wandbeleg des Embryosacks von Galanthus nivalis studirt. An den Safranin-Nelkenöl-Präparaten war auch hier mehr als an meinen älteren Carmin- und Hämatoxylin-Prä- paraten zu sehen; auch trat ich jetzt mit erweiterter Fragestellung an die Objecte heran. Die Zellkerne sind hier meist durch ein einziges, sehr grosses Kernkörperehen ausgezeichnet. Ein Fadenknäuel von Nucleo-Hyalo- plasma mit verhältnissmässig voluminösen Nueleo-Mikrosomen lehnt sich im ruhenden Zellkerne an das grosse Kernkörperchen und die Kernwandung an (Taf. XXVI, Fig. 119). Letztere besteht hier wie anderswo aus der Hautschieht des umgebenden Cyto- plasma. Statt eines Kernkörperchens trifft man in den Zellkernen auch noch zwei, selten mehr, derselben. Vielfach ist das Kerm- körperehen unregelmässig eingesehnürt, gleichsam im Theilungs- stadium. Die Stücke runden sich gegen einander ab und hängen 514 Eduard Strasburger: oft nur dureh eine schmale Brücke zusammen. Die Theile sind von ungleicher Grösse. Die Grösse der Kernkörperehen gewährt hier besonders günstige Einblicke in die Verhältnisse. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Theilung des Kern- körpers ein mehr passiver Vorgang ist, hauptsächlich dureh Druck und Zug, die von den Windungen des Cytoplasmafadens ausgeübt werden, veranlasst. Werden die Windungen des Fadens in die Länge gezogen, so muss das zwischen diesen Windungen gelegene Kernkörperchen sich den neuen Bedingungen anpassen, es wird in die Länge gezogen und da es aus einer zähflüssigen Substanz besteht, so kann eine solche Streckung alsbald zur Theilung führen. In manchen Kernen mit eingeschnürtem Kernkörperchen lagen deutlich den Einschnürungsstellen entsprechend gerichtete Faden- windungen an. Wegen der relativ groben Elemente im Zellkern von Galan- thus sind auch die zur Kerntheilung führenden Vorgänge leichter als sonst zu verfolgen. Zunächst wird der Kernfaden kürzer und dieker und zeigt die eharaeteristische Abwechslung der hellen und dunklen Scheiben (Fig. 121). Das grosse Kernkörperchen respective das Kernkörper- ehenpaar bleibt noch erhalten. In einem Präparat liess sich ausserdem eine ganz auffallende Erscheinung beobachten. An jedem zur Theilung sich anschickenden Zellkerne war nämlich Protoplasma angesammelt, derart, dass beide zusammen einen vor- springenden Höcker am dünnen Wandbelege bildeten. Das wäre aber an sich noeh nicht auffallend gewesen, wenn nicht dieses angesammelte Protoplasma spindelförmige Gestalt und longitu- dinale Streifung gezeigt hätte (Fig. 121). Der Vergleich aufeinander- folgender Zustände lehrte ausserdem, dass die Längsaxe der Spindel, so wie deren Streifung, mit der Richtung der zukünftigen Kernspindel zusammenfielen. Es war somit in dem angeführten Präparate ein Einfluss des umgebenden Cytoplasma zur sichtbaren Geltung gekommen, wie er früher in gleich characteristischer Weise nur etwa in thierischen Eiern beobachtet worden ist. Die gestreifte Cytoplasma-Spindel überbietet den Zellkern nicht an Breite, sie setzt ihm vorwiegend zwei konische Kappen auf, welehe in ihrer Lage den Polen der zukünftigen Spindel entsprechen. Nicht dass etwa diese Streifen der Cytoplasmaspindel bereits den späteren Spindelfasern entsprechen sollten, sie sind aber von Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 515 gleicher Substanz wie jene gebildet und zeigen, dass sich jetzt schon riehtende Kräfte im umgebenden Cytoplasma geltend machen und sicher ihren Einfluss auf den in Theilung eintretenden Zell- kern ausüben. Die nun folgenden Bilder sind nicht den oben besprochenen Präparaten entnommen, weil die Klarheit der einzelnen Kernfiguren dort unter der Ansammlung von Cytoplasma litt. Doch stimmen die zur Darstellung gewählten Bilder mit den dort beobachteten überein. Zunächst streeken sich die Windungen des Kernfadens in zu einander mehr oder weniger paralleler Richtung (Fig. 122). Diese Richtung fällt bereits in dem erst geschilderten Präparate mit der Richtung der Cytoplasma-Streifen zusammen. Das Kernkörperchen ist auch jetzt noch nicht in den Kernfaden aufgegangen, doch kann es in mehrere Stücke von unregelmässiger Gestalt zerfallen sein. Die Kernwandung ist bereits verschwunden und das Cytoplasma in die Kernfigur eingewandert. Eine Contraetion der Kernfigur lag in einigen Präparaten vor, in andern nicht. Zum Theil mag dieser Unterschied dem wechselnden Einflusse des Alkohols zuzu- schreiben sein, zum Theil auch der grösseren oder geringeren Resistenzfähigkeit des Kerngerüstes dem Vordringen des Cytoplasma gegenüber. — Die Figur 123 zeigt den nächstfolgenden Zustand. Ein Rest des Kernkörperchens ist an der Anschwellung und stärkeren Tinetion der links gelegenen spindelförmigen Masse, in dieser zu erkennen. Diese Masse vereinigt eine grössere Anzahl von Fadenwindungen. Auch in den Figuren 124 und 125 ist noch je ein Theil der Kernkörperehen zu erkennen. Die drei Figuren zeigen, dass die Windungen des Kernfadens weder dieselbe Ge- stalt noch Höhe haben; nur in der dominirenden Richtung stimmen sie überein. Eine Einfaltung in der Aequatorialgegend hat begonnen. In Figur 126 ist sie noch weiter fortgeschritten; letzteres Bild war seitlich relativ stark ausgebreitet. In Fig. 127 beginnen sich die Schleifen am Aequator zu öffnen. In Figur 128 ist die Spindel- bildung im Wesentlichen vollendet und doch das Kernkörperehen noch nicht vollständig in der Figur vertheilt. Auf dem nächsten Stadium (Fig. 129) ist diese Vertheilung für alle Fälle vollendet. Die Kernplatte ist in gewohnter Weise doppelt zusammen- gesetzt; die einzelnen Elemente derselben sind hakenförmig, wie hier bei der grossen Dicke und geringen Zahl der Elemente leicht 516 Eduard Strasburger: zu sehen. Gerade aber auch hier gehören gelungene Tinetions- bilder dazu, um die einzelnen Elemente auch im Aequator unter- scheiden zu können und sie hier nicht in scheinbarer Verschmel- zung zu sehen. Die Spindelfasern sind nur schwach gezeichnet; in dem Präparate mit Cytoplasmaansammlungen um die Kerne liegen sie im Innern dieser Ansammlungen, können somit nicht direet aus den zuvor schon vorhandenen Cytoplasmasträngen hervorgehen. Das Auseinanderweichen der beiden Kernplattenhälften spielt sich nach dem für Fritillaria-Endosperm und Lilium-Wandbeleg geschilderten Typus ab. Hier tritt der Vorgang relativ noch deut- lieher hervor. Das Emporrichten des unteren hakenförmig ge- krümmten Fadenendes, das Aufwärtsschreiten der Krümmung, bis sie das obere Ende des Fadens erreicht, illustriren die Figuren 130—132. Schliesslich sind die Fäden an ihren äquatorialen En- den gerade, an ihren polaren Enden hakenförmig eingekrümmt (Fig. 132) und weichen auseinander (Fig. 153, Taf. XXVD. Das Zusammenneigen der Kernfäden an der Polseite zeigt Fig. 134 n. 35, Taf. XXVII. Hierauf beginnen sich die Kernfäden auch an der Aequatorialseite einzukrümmen (Fig. 136, Taf. XXVID); es folgt eine Contraetion der Kernfigur und eine Verschmelzung der Faden- enden. Hierauf fangen die Windungen des Knäuels an ausein- ander zu weichen (Fig. 137). Gegen die sonstige Regel ist auf diesem Zustande hier das umgebende Cytoplasma nur äusserst schwach gegen die Kernhöhle abgegrenzt und es ragen einzelne Schleifen in unregelmässiger Weise aus der Kernperipherie her- vor. Einzelne der hervorragenden Fortsätze scheinen auch wohl einfache zu sein, ob nun das Reagens wirklich eine Unterbreehung des Fadens an jener Stelle bewirkte, ob nun, wie nachweisbar in vielen Fällen, die beiden Schenkel der Schleife dieht an einan- der liegen. — Weiter vorgeschrittene Zustände aus einem anderen Präparate zeigen, bei schwächerer Vergrösserung, die Tochterkerne in den Figuren 139 und 140. Hier sind Kernkörperchen bereits differenzirt. Dieselben vereinigen sieh später zu dem einzigen grossen. Die Kernspindeln in den parenehymatischen Geweben des Blüthenschaftes von Hyacinthus orientalis zeigen starke Ent- wieklung der Spindelfasern im Verhältniss zu der nur wenig hohen Kernplatte, deren doppelte Zusammensetzung aber sehr deutlich zu sehen ist. Die Kernspindeln liegen einseitig der Zellwand an Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 517 (Taf. XXVII, Fig. 141) und theilen sich auch in dieser Lage. Die Verbindungstäden breiten sich in Zellen mit weitem Lumen, zu einer sehr flachen Linse ab, um dieses Lumen zu durchsetzen (Fig. 42). Die beiden Tochterkerne werden einander hierbei bedeutend ge- nähert. Die an den Polen zusammenmneigenden Fäden der Kern- anlage spreizen äquatorialwärts sehr stark auseinander, so dass die Kernanlage im optischen Schnitt ein gespreizt-fächerförmiges Aussehen erhält. Interessant war das Verhalten der sich frei theilenden Kerne im Wandbeleg des Embryosackes von Hyacinthus orientalis. Auf dem Stadium der Fig. 143 fand ich nämlich ein Strahlen- system an jeder Tochterkernanlage ausgebildet. Die Strahlen be- standen augenscheinlich aus eben solchen Cytoplasmasträngen wie die Verbindungsfäden. Sie convergirten nach derjenigen Stelle, der sich auch die Fäden der Kernanlage zuwandten. Diese Stelle ent- spricht dem ursprünglichen Kernspindelpol. Cytoplasma-Strahlen an Kernpolen sind in solchem Grade der Ausbildung bisher nur für thierische Eier beschrieben worden. Im Uebrigen schliessen die Vorgänge der Kerntheilung bei Hyaeinthus nahe an Galan- thus an, verdienen immerhin eine gesonderte Besprechung der Deutlichkeit wegen, mit der die Verschmelzung der Fadenenden in den Kernanlagen vor sich geht. Die Fig. 144 zeigt eine gegenseitige Annäherung der Kernfäden und stärkere Einkrümmung derselben an der Polseite. In Fig. 145 sind auch die äquatorialen Enden der Fäden nach Innen zu gebogen und eine Verschmelzung der aufeinanderstossenden Fadenenden ist bereits vollzogen. Ebenso in der nach einem anderen Präparate dargestellten Figur 146. Es findet eben bei Hyacinthus, im Wandbelag des Embryosacks, eine nur geringe Contraction der Figur, auf den in Betracht kommenden Stadien, statt und gestattet daher leichten Einblick in die sich abspielenden Vorgänge. Die nun folgende Vergrösserung der Kern- anlage (Fig. 147, 148) ist mit gleichzeitiger Streckung des Kern- fadens verbunden. Derselbe zieht sich einfach in die Länge und vermehrt hierbei auch die Zahl seiner Windungen. Die Kernkör- percehen treten im Verlauf der Fäden auf. | Die Kernspindeln von Iris sibirica stehen den bisher für Monoeotylen geschilderten bei weitem an Grösse nach (Taf. XXVII, Fig. 149). Die Kernspindel sieht aus, als bestände sie aus dün- nen Spindelfasern und einer unregelmässigen, aus kleinen Kör- Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd. 21. 34 518 Eduard Strasburger: ? nern gebildeten Kernplatte. Entsprechende Tincetionen lehren aber, dass die dünnen, nach den Polen zu scharf eonvergirenden Fäden nur die polwärts gerichteten Schenkel der Kernplattenelemente sind und die kleinen scheinbaren Körner im Aequator nur die etwas verdiekten, kurz hakenförmig umgebogenen äquatorialen En- den derselben Fäden. Die Kernspindel von Iris schliesst somit unmittelbar an diejenige der Lilium-Arten an. Die Kernspindeln in den Geweben von Asparagus offi- cinalis sind noch kleiner. Sie zeigen zarte Spindelfasern und eine körnige Kernplatte (Taf. XXVI, Fig. 150). Diese in die doppel- ten Elemente aufzulösen gelingt nieht mehr, doch ist es wohl, nach all dem Vorausgegangenen sicher, dass auch hier die näm- lichen Verhältnisse wie anderswo vorliegen und nur die geringe Grösse des Objects deren Feststellung vereitelt. Angefügt sei, dass ich bei Convallaria majalis in sich theilenden Endospermzellen schlanke Kernspindeln mit wenig hoher doch deutlich doppelter Kernplatte fand und dass ich mich in den Endospermzellen von Nothoscordum fragrans und von Allium odorum von der doppelten Zusammensetzung der Kernplatte ebenfalls überzeugte. Die Präparate von Nothoscordum, auf die sich meine früheren Angaben bezogen, zeigen, nach erfolgter Umfärbung, eine sehr niedrige, scheinbar körnige Kern- platte. Nur mit Hülfe anderweitig gesammelter Erfahrung kann man diese Kernplatte in kurze, dicke, hakenförmig gekrümmte, auf einander stossende Elemente zerlegen; nur vereinzelte derselben lassen sich in einen kurzen Fortsatz polwärts verfolgen. Allium odorum hat in meinen Präparaten ebenso kurze, doch immerhin längere Elemente als Nothoseordum aufzuweisen. Hier sieht es bei der gedrängten Lage der Elemente aus als wenn dieselben stäb- chenförmig wären. Ich lasse hier von der Veröffentlichung ent- sprechender Figuren ab, da sich die genannten Objeete nunmehr als relativ ungünstige herausstellten und meine Schilderung jetzt an Bekanntes anschliesst. Die Figur 22 Taf. VIII!) von Flemming, eine Kernspindel aus dem Fruchtknoten von Allium odorum dar- stellend, zeigt uns einen Fall mit relativ langen, stark nach aussen gebogenen Kernelementen. Diese Ausbildung der Kernspindel war mir bisher im Endosperm nicht begegnet, doch zeigen ja die ver- 1) Theil II, Archiv f. mikr. Anat. Bd. XVIIL Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 519 schiedenen Gewebe einer Pflanze nicht selten solche, im Grunde genommen nur unwesentliche Unterschiede. Ja, kann doch die Form der Kernspindel nicht unbedeutend selbst in einem und demselben Gewebe variiren. So fanden wir ein Endosperm von Fritillaria imperialis, dessen Kernspindeln im Allgemeinen sehr lange Kernplattenelemente führen, auch eine Kernspindel (Fig. 86) mit relativ kurzen Kernplattenelementen und diese in einer An- ordnung ähnlich derjenigen des Flemming’schen Bildes. Ich musste nun auch von vorn herein annehmen, dass mir einige Zustände der Kerndifferenzirung in den lebenden Zellen der Staubfädenhaare von Tradescantia entgangen waren. Ich wiederholte meine Beobachtungen nach dem Leben und fand hier zunächst, dass meine ältere Beschreibung des Vorgangs !), so weit sie das schilderte was zu sehen ist, correet war. Ich versuchte, ob es nicht möglich sei, den lebenden Zellkern zu tingiren, ähn- lich wie es neuerdings K. Brandt?) für Amoeben und Heliozoen gelang, doch vergebens. Die Kernbilder traten wohl in schwach mit Bismarekbraun, Haematoxylin ete. tingirten, wenigprocentigen Zuckerlösungen alsbald schärfer hervor, doch zunächst ohne sich zu färben und nur in Folge beginnenden Absterbens. Die Zell- häute hatten sich alsbald intensiv gefärbt. Auch jede andere die Zellen langsam abtödtende Lösung lässt die Kernbilder deutlicher werden, sistirt aber gleichzeitig die weiteren Entwicklungsvorgänge. Um die volle Seite der Erscheinungen zu gewinnen studirte ich somit auch hier Essigsäure-Methylgrün- und Alkohol-Safranin-Präparate. Der ruhende Zellkern in den Zellen junger, noch in der Vermehrung begriffener Zellen, der Staubfädenhaare von Trades- cantia subaspera, elata, virginica u. a. erscheint sehr dicht, netz- förmig gebaut. Auch hier ist es aber nur ein reich gewundener Faden, dessen enge Windungen nach allen Richtungen hin dicht gedrängt in einander greifen, der diese Erscheinung hervorruft. An richtig tingirten und auch an absterbenden Zellkernen kann man sieh mit Hilfe entsprechend guter und starker Objeetive hiervon überzeugen. Der Zellkern schliesst einige Kernkörperchen ein; ich glaubte früher an deren Blaufärbung mit Jod, doch war dies nur eine optische Täuschung. Thatsächlich färben sie sich mit 1) Zellb. u. Zellth. III. Aufl. p. 109. 2) Biologisches Centralblatt 1881—82, p. 203. 520 Eduard Strasburger: Jod überhaupt kaum, und wenig auch mit den sonstigen Färbungs- mitteln der Kernkörperchen. Sie sind stark lichtbrechend und erscheinen bei Jodfärbung innerhalb der sich gelb färbenden Kern- fäden leicht in der Complementärfarbe. Während der Zellkern sich streckt werden die Windungen des Fadens kürzer und dicker und alsbald beginnen sich dessen Windungen in die Diagonale zu legen. Die Kernkörperchen werden gleichzeitig in die Kernfigur aufgenommen. Im frischen Zustande glaubt man jetzt diagonal angeordnete Reihen von Kömern zu sehen. Diese scheinbaren Körner sind scharfe, enge Biegungen, die der Faden in seinem Verlaufe zeigt. Die Windungen strecken sich gerader und hierauf werden die weiteren Vorgänge am frischen Objecte unsichtbar. Man stellt nun an den fixirten und tingirten Objeeten fest, dass sich die Windungen ziemlich parallel zur Längsaxe des Kerns strecken, ähnlich wie in unserm Bilde Fig. 106 Taf. XX VI, für Lilium, nur dichter sich an einanderlegend ; dass hierauf eine Einfaltung der Elemente im Aequator und dann das Oeffnen der Schleifen an den Polen und am Aequator folgt. So entsteht die Kernplatte aus hakenförmig in der Aequatorialebene umgebogenen Fäden auf- gebaut. Die Theilung der Kernplatte erfolgt wie bei dem zweiten Theilungsschritt in den Pollenmutterzellen von Fritillaria persica (Vergl. Fig. 47, 48 Taf. XXV). Die Fäden strecken sich zunächst fast gerade und stehen nun mit ihren äquatorialen Enden aufein- ander. Dieser Zustand wird nun wieder auch am frischen Ob- jeete deutlich sichtbar. Oefters zeigt die Kernspindel einen Schopf an ihren beiden Polen, es tritt derselbe dann auf, wenn die Kernfäden zuvor stark im Aequator eingebogen waren; sie zeigen eben, nach erfolgter Streekung am Aequator, die entsprechende Einbie- gung an den Polen; für gewöhnlich ist aber letztere nur unbe- deutend. Hierauf beginnt das Auseinanderweichen der beiden Kernplattenhälften. Die sich mit ihren aequatorialen Enden be- rührenden Elemente entfernen sieh jetzt von einander. Wie wir das auch sonst gesehen, kommt es hier vor, dass einzelne Kern- fädenpaare länger in Berührung bleiben und später erst nachge- zogen werden. Die Spindelfasern sind auch an den fixirten Prä- paraten wegen der grossen Länge der bis an die Spindelpole reichenden polaren Schenkel der Kernplattenelemente nicht zu sehen; ausnahmsweise, an Spindelfasern mit relativ gedrängter Kernplatte, brachte ich sie mit Essigsäure-Methylgrün doch zur Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 521 Anschauung. Das weitere ist an dem lebenden Objecte zu sehen und früher schon von mir geschildert worden. Die einzelnen Verbindungsfäden werden freilich erst wieder an fixirten Objeeten sichtbar. Die auseinander weichenden Kernfäden krümmen sich für alle Fälle hakenförmig an ihren Polenden, sie werden gleich- zeitig etwas kürzer und dicker. Sie legen sich zunächst an ihren Polenden an einander, krümmen sich hierauf an ihren Aequatorialenden nach innen und verschmelzen in der schon oft geschilderten Weise mit ihren Enden. An fixirten Objeeten ist der Vorgang unschwer zu constatiren. Der vom polwärts ange- sammelten Oytoplasma ernährte Zellkern vergrössert sich hierauf, doch lange noch ist in demselben die ursprüngliche Anordnung der Kernfäden sichtbar. Diese strecken sich und bilden ziekzack- förmig gekrümmte Windungen, die immer zahlreicher werden und in einander zu greifen beginnen, worauf die ursprüngliche An- ordnung der Fadenwindungen sich verwischt und der Tochterkern allmählich den scheinbar netzförmigen Bau wieder annimmt. Ich erwähnte schon in meinem Zellenbuche !), dass ich im protoplasmatischen Wandbelege des Embryosackes von Leucoium aestivum Kernspindeln mit drei Polen gesehen hätte. Solt- wedel bildete diese Kernspindeln seitdem ab?). Ich füge hier, nach einem Soltwedel’schen Präparat, ebenfalls eine Figur bei (Taf. XXVII, Fig. 150), um zu zeigen, in welcher Weise diese Kern- spindeln an die bereits geschilderten anschliessen. Die Figur 180 zeigt deutlich die drei Pole, zahlreiche scharf gezeichnete, nach denselben convergirende Spindelfasern und eine dreitheilige Kern- platte. Die Elemente dieser Kernplatte sind hakenförmig bis S-förmig, mehr oder weniger regelmässig gekrümmte Fäden, die in der Aequatorialebene auf einander stossen. Die polwärts auf- gerichteten Schenkel sind stark nach aussen gekrümmt. — In Zellkernen, die sich zur Theilung vorzubereiten beginnen, wird der Faden relativ dick und allem Anscheine nach continuirlich. Die Kernkörperehen färben sich mit Methylgrün schlecht, gut mit Safranin und zeigen meist kleine Vacuolen. Sie werden relativ spät, wie bei Galanthus, in die Kernfigur aufgenommen. Von dicotylen Pflanzen sei hierauf Dietamnus albus ge- 1) III. Aufl. p. 18. 2) Jen. Zeitschrift für Naturwiss,. Bd. VIII. 1881. Taf. XVII. Fig. 2—4. 522 Eduard Strasburger: schildert!). Der Wandbeleg im Embryosack zeigt die Zellkerne, welche in Theilung eintreten sollen, in dem Aussehen der Fig. 151 Taf. XXVIL Die Windungen des Fadens strecken sich hierauf ent- sprechend der zukünftigen Längsaxe der Kernspindel (Figur 152) und öffnen alsbald ihre Schleifen an den Polen (Fig. 153). Die Kernkörperchen bleiben lange Zeit erhalten. Es folgt die Trennung der Fadenstücke im Aequator, Ausbildung der Spindelfasern und starke Einziehung der Elemente der Kernsubstanz auf die Aequa- torialebene. Diese Elemente werden dieker und kürzer und krüm- men sich hakenförmig (Fig. 154). Bei beginnender Trennung der beiden Kernplattenhälften führen die einzelnen Fadenstücke die S-, respective CU-förmige Bewegung aus, wodurch sie (}-förmig, mit polwärts gerichteter Umbiegungsstelle, werden. Beide Kernplatten- hälften weichen auseinander (Fig. 155), dann rücken die Elemente jeder Hälfte seitlich zusammen (Fig. 156) und werden feinkörnig. Trotz relativer Kleinheit des Objects lässt sich deutlich sehen, dass auf diesem Zustande die Enden der benachbarten Elemente sich verbinden (Fig. 157). Hierauf beginnen die Kerne grösser zu werden (Fig. 158), erhalten vom umgebenden Cytoplasma aus eine Wandung (Figur 158, 159) und gehen mit Ausbildung der Kernkörperchen (Fig. 159, 160) in den Ruhezustand ein. Auch im Endosperm von Corydalis cava Whlbrg. lassen die Kernspindeln, nach entsprechender Tinetion, die doppelte Zusam- mensetzung ihrer Kernplatte erkennen (Figur 161). Freilich ist diese Ueberzeugung nur mit Hülfe der besten optischen Hülfsmittel zu gewinnen und nur auf Grund anderweitiger Erfahrungen das Gesehene richtig zu deuten. Noch sehwieriger wird es, sich im protoplasmatischen Wand- beleg der Embryosäcke von Lupinus subearnosus Hoock. die Kernplatte der Kernspindeln doppelt zu denken; hier versagen auch bei guter Tinction selbst die stärksten Vergrösserungen den Dienst. Man sieht die Kernplatte nur als körnige Scheibe. Die Spindelfasern sind sehr deutlich, das Aussehen der Kernspindeln so, wie ich es früher in der botanischen Zeitung ?) abgebildet. 1) Vergleiche auch Soltwedel „Freie Zellbildung in Embryosack der Angiospermen‘ Jen. Zeitschrift für Naturwiss. Bd. VIII, 1881, Taf. XVII, Fig. 31—40. 2) 1880, Taf. XII, Fig. 63. (eb; | DD ©) Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. Die Zellkerne im protoplasmatischen Wandbeleg des Embryo- sackes von Helleborus foetidus haben hingegen eine für Dico- tylen relativ bedeutende Grösse. Sie schliessen in ihrer Differen- zirung an Dietamnus albus an, nähern sich aber noch mehr als jene Pflanze es ‚that, den Vorgängen bei Galanthus nivalis. Die Aehnlichkeit der Kernspindeln mit denjenigen von Galanthus ist in manchen Präparaten sehr gross, gewöhnlich sind aber die pol- wärts gerichteten Schenkel der Kernplattenelemente kürzer als bei Galanthus. Je nach der Länge der polwärts gerichteten Schenkel gehen nun die Fäden entweder sofort durch S- oder C-förmig fortschreitende Bewegung in das N) über, oder diese Krümmung erfolgt im Verlauf des Fadens und schreitet gegen das Polende fort, so dass die Zwischenstadien die Gestalt eines [] haben, da- von ein Schenkel polwärts umgebogen und verlängert erscheint. Für die Theilungsvorgänge bei Chara!) kann ich meine älteren Angaben im Wesentlichen nur bestätigen ?). Ich finde in dem Präparat ®) Kernspindeln mit Kernplatten und zwischen den Tochterkernanlagen Verbindungsfäden mit Zellplatte. Die ruhenden Zellkerne haben, wie ich jetzt hinzufügen möchte, ein ziemlich dichtes Fadengerüst und ein oder mehr Kernkörperchen aufzu- weisen. Die Kernkörperchen meist mit Vacuolen. Das Fadenge- rüst ist in meinen Präparaten etwas zusammengezogen und so von der Kernwand getrennt, deren Zugehörigkeit zu dem umgebenden Cytoplasma sich hiedurch offenbart. Die Kernspindel zeigt dünne Spindelfasern und eine scheinbar körnige Kernplatte. Ihre Länge richtet sich nach den Raumverhältnissen. Sehr kurze Kernspindeln sind breit und haben fast parallele Spindelfasern. Die Tochter- kernanlagen an solchen Kernspindeln sind zunächst sehr flach. Die Verbindungsfäden werden vermehrt, sind in meinem Präparate sehr deutlich und bilden in der für höher organisirte Pflanzen giltigen Form die Zellplatte. In welcher Weise die von Johow*®) für Chara foetida beschriebenen Vorgänge an die hier geschilderten anzuknüpfen sind, bleibt abzuwarten. 1) Nach den Fragmenten in meinen Präparaten möchte Dr. Johow annehmen, dass es sich um Chara fragilis und nicht um foetida, wie ich an- gab, handelt. 2) Zellb. u. Zellth. III. Aufl. p. 19. 3) Mit 1°/, Chromsäure fixirt, dann mit Beale’schem Carmin gefärbt. 4) Bot. Zeitung 1881, Sp. 732 ff. 524 Eduard Strasburger: Es lag nahe, auch meine älteren Präparate von Spirogyra majuseula und Oedogonium tumidulum einer besseren Tinetion und hierauf folgenden erneuerten Prüfung zu unterwerfen. Bei Spirogyra majuscula war nun in der That mit Hilfe der Safranin-Nelkenöl-Methode mehr denn zuvor zu sehen. Ich gebe hier daher auch einige Abbildungen, nach denen meine älteren zu verbessern, respective zu ergänzen wären. Vor Allem ist fest- zustellen, dass der ruhende Zellkern ausser dem einen oder meh- reren Kernkörpercehen, ein feines Gerüstwerk von Fäden führt. Diese kommen vornehmlich zur Ansicht, wenn der flache scheiben- förmige Zellkern, aus seiner normalen Lage gebracht, in Flächen- ansicht vorliegt (Taf. XXVII, Fig. 162). Die feinen Fäden bestehen aus Hyaloplasma und führen relativ wenig zahlreiche Mikrosomen. Auffallend ist hier die relativ geringe Tinetionsfähigkeit dieser Mikrosomen im Verhältniss zu der Tinetionsfähigkeit der Kern- körperehen. Das Fadengerüst des Zellkerns erscheint nicht viel dunkler als dasjenige des umgebenden Cytoplasma gefärbt. Die Dichte des Fadengerüstes ist je nach den Präparaten etwas verschieden. In Kernen mit relativ lockerem Gerüst glaube ich mich mit Sicherheit von der Continuität des Fadens überzeugt zu haben. Freilich ist hier nur relative Sicherheit zu erlangen. Der äussere Contour des Kernes zeigt oft etwas vorspringende Ecken, welche den Ansatzstellen der Aufhängefäden entsprechen. Diese Fäden gehen unmittelbar in die Kernwandung über (Fig. 162), von der anzunehmen ist, dass sie auch hier eine Hautschicht des Cytoplasma sei. Ich habe früher für lebendes Material be- schrieben !), wie sich Cytoplasma an den beiden Endflächen eines Zellkerns sammelt, der zur Theilung angeregt werden soll und wie es neigt sich in senkrecht gegen denselben gestellte Fäden zu differenziren. Der Vorgang erinnert seiner Natur nach an das, was wir jetzt auch an den Kernen von Galanthus, im Wandbeleg des Embryosacks, Gelegenheit zu sehen hatten. Der Zellkern wird dicker, alsbald im optischen Durchschnitt fast rechteckig (Fig. 163), dann biconcav (Fig. 164). In lebenden Objecten scheint jetzt das Kernkörperchen zu schwinden; in Wirklichkeit geht es in den Bau des Kernfadens ein, der sich in zahlreiche Windungen legt, die annähernd parallel zu einander und senkrecht zu den End- 1) Zellb. u, Zellth, III. Aufl. p. 173. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 525 flächen der Kernhöhle verlaufen. Der Vorgang wird uns im Wesent- lichen dureh die Figuren 163 und 164 vorgeführt, wobei freilich, um die Bilder, so wie ich oben that, zu deuten, anderweitige Ana- logieen zu Hilfe gezogen werden müssen. Ich hatte an lebenden Objeeten beobachtet '), wie jetzt eine rasche Längenzunahme (d. h. eine Zunahme in der Richtung der Längsaxe der sich bildenden Kernspindel) erfolgt und wie das an den beiden Endflächen des Kerns angesammelte Cytoplasma in denselben eindringt, um die Spindelfasern zu bilden. Diese Angabe, die verschiedentlich an- sezweifelt wurde, findet wohl in den zahlreichen Schilderungen dieser Abhandlung ihre hinlängliche Stütze. — Die fertige Kern- spindel (Fig. 165) zeigt sich ihrer Hauptmasse nach von den zarten Spindelfasern gebildet, deren Anordnung hier insofern eigenthüm- lich ist, als sie völlig parallel zu einander laufen, nach den Polen zu durehaus nieht convergirend. Die Kermplatte ist relativ niedrig, sie scheint aus kurzen Stäbchen zu bestehen. Nach der Safranin- Nelkenöl-Behandlung löst sie sich in sehr feine, scharf tingirte Fäden auf. Jetzt lässt sich die Ueberzeugung gewinnen, dass auch hier die Kernplatte aus einer doppelten Lage von Kernfäden be- stehe. Diese zeigen eine schwache äquatoriale Einbiegung, einzelne sind auch wohl S-förmig. Die gegenüberliegenden Fäden stossen auf einander (Fig. 165). Bevor das Auseinanderweichen der beiden Kernplattenhälften beginnt, wird die Kernspindel etwas in die Länge gestreckt (Figur 166). Hierauf weichen die beiden Kern- plattenhälften längs der Verbindungsfäden auseinander. Es unter- liegt keinem Zweifel, dass auch hier eine Umbiegung der Fäden dem Auseinanderweichen vorangeht, denn die sich von einander entfernenden Elemente sind oft deutlich N-förmig (Figur 167). Während des weiteren Auseinanderweichens rücken die Elemente jeder Kernanlage aneinander, so dass sich das Bild der Fig. 168 uns präsentirt. Bekommt man auf solchen Zuständen eine der Kernanlagen von der Fläche zu sehen, so erscheint sie gleichsam netzförmig. Die Figur 169 zeigt die Anordnung der Elemente, welehe dieses Aussehen veranlasst. Während dieses Zusammen- rückens findet aller Analogie nach eine Verbindung der Fadenenden statt, um einen geschlossenen Fadenknäuel aus einem fortlaufenden Kernfaden wieder zu bilden. Dieser tritt uns dann auch als zu- Dar8ep-1173. 526 Eduard Strasburger: sammenhängendes Gebilde auf den Zuständen entgegen, welche eine beginnende Vergrösserung der Kerne zeigen. Jetzt hat die Kernanlage auch eine Wandung aufzuweisen und wenn auch bei der Kleinheit des Objectes ihr Ursprung nicht zu verfolgen ist, so zweifle ich doch nicht, dass sie vom umgebenden Cytoplasma aus gebildet wurde. So präsentiren sich uns jetzt in stäter Auf- einanderfolge die Figuren 170—179. Zunächst in der Seitenan- sicht (Fig. 170, 171, 172) annähernd parallele, senkrecht gegen die Endflächen der Kernanlage gerichtete, relativ dieke Fäden mit Mikrosomen von annähernd gleichem Volumen; dann scheinbar netzförmige Bilder (Fig. 174, 175, 176, 177), welche eine Ansamm- lung stark lichtbrechender Substanz in wurmförmigen Massen an einzelnen Stellen der Fäden, Dünnerwerden andrer Stellen der Fäden uns zeigen; Vereinigung dieser stark lichtbrechenden Sub- stanztheile endlich zu einem, selten mehreren Kernkörperchen (Fig. 178, 179). Die Ansammlung der stark liehtbrechenden Sub- stanz an den zarten, im frischen Zustande unsichtbaren Faden- windungen ruft den Eindruck von Kernkörperchen hervor, die man bei der Entstehung des einen grossen Kernkörperchens glaubt schwinden zu sehen. Recht augenscheinlich ist bei Spirogyra die Ernährung der Tochterkerne von dem an ihrem Polende angesam- melten Cytoplasma aus; dieses wird in dem Maasse verbraucht, als der Tochterkern an Grösse zunimmt. Auch der Kernsaft, der die Kernhöhle erfüllt, muss aus dem umgebenden Cytoplasma stammen, welches denselben ebenso gut liefern kann, als es ihn zuvor beim Einwandern in die Kernhöhlung verschlucken konnte. Wie ich das früher schon geschildert, werden hier die Ver- bindungsfäden meist vermehrt und verschmelzen, nachdem die Tochterkernanlagen einen bestimmten Abstand erreichten, zu meh- reren stark concav werdenden Strängen. Die Insertionsstellen dieser Stränge rücken an den Rand der Kernanlagen !). Meinen älteren Angaben über Anlage und Fortbildung der Scheidewand habe ich nichts Wesentliches hinzuzufügen, doch zeigten erneute Untersuchungen, dass die zur Verwendung kommenden Körnchen Cyto-Mikrosomen und nicht Stärkekörnchen sind ?). J. M. Macfarlane?°) glaubt, dass die Fäden, auf denen der 17 200, p. 1176: 2) Vergl. Bau und Wachsthum der Zellhäute 1882, p. 173. 3) Transact. Botan. Soc. of Edinburgh Vol. XIV, 1881, p. 202. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 527 Zellkern von Spirogyra nitida suspendirt ist, in das Innere des- selben eindringen und sich daselbst in feine Fasern fortsetzen. Ausserdem giebt er an, dass man mit wasserentziehenden Mitteln z. B. alkoholischer Eosinlösung eine Trennung der Kernwand von der inneren Kernsubstanz zu Stande bringen kann, eine Angabe, die mir nicht uninteressant ist, weil gerade hier die Kernwand leicht den Eindruck hervorruft, als wenn sie integrirender Be- standtheil der Kernsubstanz wäre. Der Nucleolus ist, nach Mac- farlane, auf feinen Fäserchen, aus welchem die Kernsubstanz besteht, aufgehängt. Dieser Nucleolus soll eine Membran besitzen und einen Nucleolonucleus enthalten. Der Nucleolonucleus soll sich theilen und hierauf erstauch der Kern sichtbare Veränderungen er- fahren. Ein Theil dieser Substanz soll durch die Membran hin- durch an den Polen heraustreten und sich dort anhäufen; dann wird die Membran unter den polaren Anhäufungen aufgelöst. Der Nucleolus bleibt an seiner Stelle und ist durch zarte Fasern mit den polaren Substanzansammlungen verbunden. Der Nucleolus soll sich hierauf theilen und seine Hälften auseinanderrücken, die polaren Ansammlungen vor sich schiebend; dann in sie eindringen und mit ihnen zusammen von einer Membran umgeben werden. So sollen die Kerne der Tochterzellen entstehen. Entsprechend meinen früheren Angaben fand ich auch jetzt die Kernspindel von Vedogonium tumidulum ähnlich den Liliaceen-Kernspindeln gebaut. Sie stimmt fast vollständig mit einer Kernspindel von Lilium Martagon (Taf. XAVI, Fig. 111) über- ein, wenn bei letzterer die polwärts gerichteten Schenkel conver- giren und die äquatorialen Umbiegungen sehr redueirt sind. Die der Spindelbildung vorausgehenden Zustände zeigen auch, dass die Entwicklung der Spindel ganz die nämliche wie bei Lilium Martagon ist. Spindelfasern sind zwischen den bis an die Pole reichenden Elementen der Kernplatte nicht zu unterscheiden. Der ruhende Zellkern der Pflanzenzellen wird, wie ich im Vor- hergehenden nachzuweisen suchte, aus Nucleoplasma aufgebaut, in welchem, wie im Cytoplasma, zwei Substanzen zu unterscheiden sind: die sich tingirende Nucleo-Mikrosomen-Substanz und die sich, 528 Eduard Strasburger: mit specifischen Kernfärbungsmitteln nicht tingirende Nucleo- Hyaloplasma-Substanz. Das Nucleoplasma bildet einen einzigen in sich ohne Ende zurücklaufenden, dünneren oder diekeren Faden. Dieses lässt sich für einzelne Objecte sicher nachweisen, wird durch die Beobach- tungen an anderen gestützt; für die meisten Fälle lässt es sich nur nach Analogie erschliessen. Die Windungen des Fadens können enger oder weiter sein; oft lässt er sich leicht, auf lange Strecken hin, in mehr oder weniger geraden Bahnen verfolgen, oft zeigt er sehr stark welligen Verlauf. Namentlich die letztern Fälle rufen durchaus den Eindruck von Netzwerken hervor; doch lässt sich selbst ein scheinbar so diehtes Netz, wie wir es im Zellkern der Tradescantia-Staubfädenhaare finden, auf enge Windungen eines fortlaufenden Fadens zurückführen. Ausgeschlossen ist nicht, dass sich die Windungen des Fadens seitlich berühren, dass sie sich aber an den Berührungsflächen wieder trennen können, beweisen die Zustände, die mit Eintritt in die Theilungsstadien durchge- macht werden. Der fortlaufende Kernfaden wird aus Nucleo-Hyaloplasma gebildet, dem die Nucleo-Mikrosomen-Substanz in Form kleiner Körnehen, oft in grosser Regelmässigkeit eingelagert ist. Die Körnchen bilden eine einfache Reihe. Von den Mikrosomen zu den Nucleolen sind oft Uebergänge vorhanden. Die Nucleolen-Substanz zeichnet sich meist durch ihre besondere Tinetionsfähigkeit aus, doch sind mir auch Fälle be- kannt, wie z. B. die Zellkerne der Staubfädenhaare der Tradescantia u. a. m., wo die Nucleolen mit den speeifischen Kernfärbungs- mitteln nicht tingirt werden. Wo Uebergänge zwischen Mikro- somen und Nucleolen gegeben sind, steigt die Tinetionsfähigkeit der Substanz mit deren Masse und mag nur ein Ausdruck dieser letzteren sein. Es ist aber auch sicher, dass in andern, z.B. den vorhin gedachten Fällen, sich die Nucleolen-Substanz von der Mikrosomen-Substanz unterscheiden muss. Ob die Nucleolen-Sub- stanz trotzdem nur eine Modification der Mikrosomen-Substanz sei und aus dieser hervorgehe, will ich dahingestellt bleiben lassen. Wahrscheinlich ist mir aber das letztere, wenn ich bedenke, dass bei Eintritt in die Theilungsvorgänge selbst die stark modifieirte Nucleolen-Substanz Aufnahme in das Kerngerüst findet und sich in demselben nicht anders als wie die Mikrosomen-Substanz ver- Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 529 hält). Man könnte die Nucleolen-Substanz vielleicht als einen Reservestoff des Zellkerns auffassen, als eine momentan ausser Action gesetzte Substanz. Dafür spricht das allem Anschein nach passive Verhalten der Nucleolen-Substanz während der Ruhezeit im Zellkern, ihr scheinbarer Mangel an besonderer Organisation, die kleinen runden Vacuolen, die in derselben oft auftreten, ja selbst das anscheinend passive Verhalten der Nucleolen bei ihrer Theilung (vergl. Galanthus). Oft finden wir die Kernkörperchen erst relativ sehr spät in das Kerngerüst der Theilungsstadien ein- gehen, erst wenn die wesentlichsten Differenzirungsvorgänge voll- endet sind (Galanthus), dann freilich wird die Substanz des Kern- körperchens scheinbar wieder activ, gleich aetiv wenigstens wie die Substanz der Mikrosomen, um wie jene in dem Kerngerüst ver- theilt zu werden. Als eigentlichen Lebensträger fasse ich freilich im Cyto- wie im Nucleoplasma die farblose Grundsubstanz, das Hyaloplasma auf. Auch die Mikrosomen könnten bereits als Ruhe- punkte in derselben gelten. — Die Nucleolen, wenn klein, liegen in dem Hyaloplasma-Faden; mit Grössenzunahme treten sie aus demselben hervor und hängen ihm nur seitlich an. Ein solches Kernkörperchen stösst dann oft an zahlreiche benachbarte Faden- windungen an und vereinigt dieselben scheinbar. In andern Fällen halten sich die benachbarten Windungen des Kernfadens in ge- ringer Entfernung vom Kernkörperchen, so dass dieses in einer kleinen Höhlung zu liegen kommt; doch ist nicht ausgeschlossen, dass in vielen solcher Fälle Contractionen der Nucleolarsubstanz durch das Reagens mit im Spiele seien. Für manche Zellkerne ist ein einziges grosses Kernkörperchen charakteristisch, für andere mehrere. Gewöhnlich pflegen unter den mit einem Kernkörperchen versehenen auch solche mit mehreren vorzukommen. Der Nucleoplasma-Faden, sammt Mikrosomen und Nucleolen liegt in der mit Kernsaft erfüllten Kernhöhle. Dieser Kernsaft ist eine wässrige Flüssigkeit die keinerlei geformte Produete bei der gewohnten Fixirung der Zellkerne mit Alcohol oder Säuren giebt. Sie wird auf bestimmten Entwiekelungszuständen von dem um- gebenden Cytoplasma verschluckt und später auch wieder aus demselben, in die sich bildende Kernhöhle ausgesondert. 1) Vergl. hierzu auch Schmitz, Sitzber. d. niederrh. Gesellsch. für Natur- und Heilkunde in Bonn 13. Juli 1880. Sep.-Abdr. Anm. 2 p. 18. 530 Eduard Strasburger: In dem Kernsaft liegt das Gerüst aus Nucleoplasma allseitig eingetaucht. Nach aussen ist die Kernhöhle von einer Wandung abge- schlossen, welche nicht der Kernsubstanz, sondern dem umgebenden Cytoplasma angehört und eine Hautschicht desselben ist. Bei sehr starker Vergrösserung erscheint sie wohl fein porös. An dieser Kernwandung setzt das Netz des umgebenden Cytoplasma an, manchmal, wie bei Spirogyra, nur einzelne Cytoplasmastränge. Häufig liegt der Zellkern in Pflanzenzellen in einer dichteren An- sammlung von Cytoplasma, die v. Hanstein als Kerntasche be- zeichnete. Die Cytoplasmafäden setzen sich aber in keinem Falle durch die Kernwandung in die Kernhöhle fort. Dass die Kern- wandung dem Cytoplasma angehört, folgt nieht nur aus ihrer ge- ringen, mit dem Verhalten des Cytoplasma übereinstimmenden Tinc- tionsfähigkeit, sondern auch aus dem Umstande, dass sie auf den zur Kerntheilung führenden Zuständen in das Cytoplasma aufge- nommen wird. Wenn somit Auerbach!) einmal den Zellkern als eine Va- cuole bezeichnete, so liesse sich jetzt hingegen sagen: der Zell- kern liegt in einer Vacuole. Mit den Fäden des umgebenden Cytoplasma stimmt der Kernfaden darin überein, dass er wie jene aus einer glashellen Grundsubstanz und diesen eingefügten mehr oder weniger vorwie- genden Körnehen besteht?). Die Körnchen des Cytoplasma und des Nueleoplasma unterscheiden sich durch ihre verschiedene Tinetionsfähigkeit?). Es ist in der That meist leicht, mit den spe- eifischen Kernfärbungsmitteln die Nucleo-Mikrosomen intensiv zu tingiren, ohne dass die Cyto-Mikrosomen auch nur eine Spur von Färbung zeigen. Der Bau des Cytoplasma weicht von demjenigen des Nucleoplasma darin ab, dass die Cytoplasma-Fäden vielfach mit einander anastomosiren. Zwar lassen sich einzelne Cytoplasma- fäden oft auf grössere Strecken hin verfolgen, doch eben so sichere Maschenbildungen sind an andern Orten zu beobachten. Dass übri- gens auch das Cytoplasma ähnliche fadenknäuelartige Differen- 1) Organologische Studien 2. Heft 1874. p. 202—217. 2) Ueber den Aufbau des Cytoplasma aus Hyaloplasma und Mikrosomen vergl. v. Hanstein, das Protoplasma p. 22 u. ff. Schmitz, Sitzber. d. nie- derrh. Gesellsch. f. Natur- u. Heilkunde in Bonn 15. Juli 1880. Sep.-Abdr.p. 4. 3) Vergl. hierüber auch Schmitz I. c. p. 14. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 531 zirungen erfahren kann, geht aus Flemming’s!) Schilderung des Baues der Spinalganglienzellen hervor. „Der Zellleib wird durch- zogen von feinen Fädchen, welche zwar die verschiedensten Win- dungen und Kniekungen beschreiben, aber doch in der Weise gleichmässig vertheilt zu nennen sind, dass sie überall im Zellkörper ungefähr gleiche Entfernungen von einander ein- halten.“ — Die Hautschichten des Cytoplasma fasse ich mit Schmitz?) als ein sehr stark contrahirtes Gerüst- resp. Maschen- werk auf, aus dem die Mikrosomen verdrängt werden, so dass es nur aus Cyto-Hyaloplasma besteht, welches seine chemische Na- tur vielleicht gleichzeitig in Etwas veränderte. Um Einblick in die besprochenen Verhältnisse zu gewinnen, ist übrigens Anwen- dung soleher Tinetionsmittel — etwa von Haematoxylin und Car- min — nothwendig, welche ausser dem Nucleoplasma auch das Cytoplasma tingiren?). Flemming*) beschreibt im ruhenden Zellkerne „ein loses, unregelmässiges Gerüst von feinen und gröberen Strängen, Ver- diekungen darin, Nucleolen meist in diesen eingeschlossen; eine Kernmembran, "die einen scharfgefärbten eontinuirlichen Grenz- eontour zu bilden scheint und als übrige Substanz des Kerns eine Zwischensubstanz, die körnig aussieht und anscheinend gleich- mässig und viel matter als die vorerwähnten Theile gefärbt ist.“ In der scheinbar homogenen Zwischensubstanz ist bei entsprechen- der Tinetion und Vergrösserung noch ein viel feineres Gerüst- werk von tingirten Bälkehen, in Fortsetzung der gröberen, zu er- kennen. Das was man Zwischensubstanz des Kerns nennen kann, werde hierdurch sehr redueirt und zwar auf die Substanz, die noch zwischen den feineren Bälkchen übrig bleibt und die wirk- lich achromatisch sein kann. Die Kernwandung besteht aus klei- nen Portionen von chromatischer Substanz die innen an dem Um- 1) Henle’s Festschrift, 1882, p. 13. 2) Sitzber. d. niederrh. Gesellsch. f. Natur- u. Heilk. in Bonn, 13. Juli 1880. Sep.-Abdr. p. 9. 3) Ueber den netzförmigen Aufbau des Cytoplasma, vergl. überhaupt Frommann, Beobachtungen über Structur und Bewegungserscheinungen des Protoplasma der Pflanzenzellen 1880 und Schmitz, Untersuchungen über die Structur des Protoplasma und der Zellkerne der Pflanzenzellen, Sitzber. d. niederrh. Gesellsch. für Natur- und Heilkunde in Bonn 13. Juli 1880. 4) Theil III. p. 52. 532 Eduard Strasburger: fangscontour des Kerns anlagern und genau ebenso intensiv gefärbt sind, wie die chromatischen Gerüste im Innern des Kerns. Diese Portionen sind von meist abgeflachter, unregelmässiger Form, er- strecken sich hier und da als stärkere Fortsätze in das Innere des Kerns, sind an den meisten Stellen von annähernd gleicher Grösse, so dass es aussieht, als sei die Kernwand von ziemlich gleichmässig durchbrochenen Lücken durchbrochen. Ob ausserdem noch eine nicht tingirbare, schliessende Membran den Kern um- gibt, lässt Flemming unentschieden!). Für den Kern der Spinal- ganglienzelle gibt Flemming?) ganz neuerdings an, dass er wie andere Kerne besteht: „aus einem Gerüst oder Netzwerk, das chro- matische Substanz trägt, aus einer weichen oder flüssigen Zwischen- substanz (Kernsaft anderer Autoren), aus einem rundabgegrenzten Nucleolus, der stark liehtbreehend und sehr chromatinreich ist und endlich aus einer Kernmembran.“ Die letztere wird als un- unterbrochene ehromatische Wandschicht beschrieben. Ich verdanke der Güte von Flemming und Emil Heuser einige Salamandra-Präparate (eines mit Haematoxylin, die übrigen mit Safranin gefärbt), an denen ich mir ein eigenes Urtheil über den Aufbau der Zellkerne, sowohl im Ruhezustande als auch während der Theilung, bilden konnte. Das Gerüstwerk ist in den ruhenden Zellkernen von Salamandra zu eng, als dass die Ent- scheidung möglich wäre, ob man es mit einem Netzwerk oder einem fortlaufenden Faden zu thun habe, doch widersprechen die Bilder (Fig. 181, Taf. XXVII) 3) sicher nicht dieser letzten Auffas- sung. Bestärkt werde ich in derselben noch durch die späteren, mit Vorbereitung zur Theilung eintretenden Zustände, die dann sicher nur einen diekern Faden zeigen. Den Fadenwindungen sind sehr kleine, zum Theil auch grössere Nucleo-Mikrosomen eingestreut. Einzelne der letzteren zeichnen sich wiederum durch ihre Grösse aus, die sich zu derjenigen der Nucleolen allmählich steigern kann. In manchen Zellkernen sind die Nucleolen auch ziemlich unver- 1) 1. c. p., 54. u. 5D. 2) Vom Bau der Spinalganglienzellen; aus der Festgabe für Henle. 1882, p. 23. 3) Mein Bild stellt einen mittelgrossen Zellkern dar, es entspricht der Flemming’schen Figur 10, Taf. III, Theil II, nur dass bei Flemming auch eine aus „kleinen Portionen von chromatischer Substanz bestehende ‘ Kernwandung“ zur Darstellung kommt. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 533 mittelt da. Die schönen Safranin-Präparate Flemming’s zeigen bei entsprechend guter und starker Vergrösserung nur die Nucleo- Mikrosomen tingirt. Ganz wie in Pflanzenkernen wird die Ober- fläche des Gerüstes durch die, die Peripherie erreichenden hier umbiegenden, ihr auch wohl eine Zeitlang folgenden Windungen gebildet. Auch bei sehr engem Knäuelwerk muss somit, so wie es Flemming schon angiebt, die Oberfläche des tingirten Kern- gerüstes durchbrochen erscheinen. Diese Oberfläche nenne ich aber nicht Kernwandung, eine Bezeichnung, die für Pflanzenkerne ganz unmöglich wäre. Kernwandung ist für mich vielmehr die vom umgebenden Cytoplasma gebildete Abgrenzung. Diese fehlt denn auch den Salamandrakernen nicht. Ist sie auch für den Ruhezustand kaum nachzuweisen, so kann man sich doch von ihrer Existenz unschwer auf jenen Stadien überzeugen wo der Kernfaden dieker geworden, nicht so enge Windungen bildet. Sehr instruetiv ist hier vor Allem der Vergleich der Safranin- mit den Hämatoxylin-Präparaten, indem bei erstern diese Kernwandung meist zu fehlen scheint, während sie bei letzteren mitgefärbt, unschwer in die Erscheinung tritt. Ob die von Flemming beschriebene Wan- dung der Spinalganglienzellkerne der Kernsubstanz angehört, etwa durch sehr eng aneinanderliegende in der Oberfläche des Kerns verlaufende Fadenwindungen gebildet wird, oder dem umgebenden Cytoplasma angehört, oder ob beide an dem scharfen Contour der Flemming’schen Zeichnung sich betheiligten, muss ich dahin gestellt lassen. Nach obiger Auseinandersetzung halte ich an der früheren Bezeichnung: Kernsubstanz und Kernsaft fest. Die Kernsub- stanz besteht aus Nucleoplasma und zwar aus Nucleo-Hyalo- plasma, Nucleomikrosomen und Nucleolen; die Kernwandung gehört zum Cytoplasma. Der Kernsaft ist eine wässerige, nicht fixirbare Flüssigkeit, welche die von der Kernwandung um- schlossene Kernhöhle einnimmt und in der der Nucleoplasma- Faden liegt. Die von Flemming eingeführte Bezeichnung Chromatin und Achromatin müsste somit, wenn überhaupt, anders gebraucht wer- den, als es von Flemming geschehen. Chromatin wären unsere Nucleo-Mikrosomen und Nucleolen, Achromatin das sie tragende Nueleo-Hyaloplasma; während bei Flemming zum Achromatin auch noch der Kernsaft und die, dem Zellkern gar nicht ent- Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 35 534 Eduard Strasburger: stammenden Spindelfasern gehören. Doch sind diese Bezeichnun- gen überhaupt aufzugeben, da sie schlecht gewählt waren. Han- delt es sich doch hier, beim „Chromatin“, um die Eigenschaft bestimmte Farbstoffe aufzuspeichern, eine Eigenschaft, die auch so vielen andern Körpern zukommt. Anders wenn diese Substanz durch die relativ seltene Eigenschaft ausgezeichnet wäre, etwa bei Berührung mit Wasser, atmosphärischer Luft, oder sonst einer farblosen Flüssigkeit oder Gasart, eine charakteristische Farbe anzu- nehmen. Meine hier in Vorschlag kommenden Bezeichnungen scheinen mir für alle Fälle den Vorrang zu verdienen, denn sie sind der Eigenart der Objeete, wie sie an sich besteht, entnommen; auch zeigen diese Bezeichnungen die Stellung dieser Objeete im Zellleib und ihr Verhältniss zu den andern Theilen des Zellleibes an. Die Hautschicht, welche die Kernhöhle abgrenzt, fahre ich aber fort als Kernwandung zu bezeichnen, ungeachtet sie nicht der Kernsubstanz, sondern dem umgebenden Cytoplasma angehört, denn sie bildet ja thatsächlich die Wandung der Kernhöhle und tritt uns als solche im Pflanzenreich meist scharf genug entgegen; dass sie aber der Kernsubstanz nicht zugehört, theilt sie mit der Zellwandung, die ebenfalls von dem Cytoplasma verschieden, nichts desto weniger den Namen Zellwand führt. Auch Pfitzner!) giebt neuerdings für den ruhenden Zell- kern von Salamandra an, dass er eine scharfe Sonderung in zwei Substanzen erkennen lasse: die eine Substanz stärker liehtbrechend, hauptsächlich tingirbar, die sogenannte Kernsubstanz; die zweite, die sich mehr dem flüssigen Zustande nähert, der sogenannte Kern- saft. Pfitzner zieht vor, sie als Chromatin und Achromatin zu bezeichnen. Das „Chromatin‘“ ist beim ruhenden Zellkern im Kerngerüst und in den Nucleolen enthalten. Die Zwischenräume des „Gerüstwerkes“ fand Pfitzner bei allen ruhenden Kernen ungefärbt. Doch sei das Chromatin nur in den „Chromatinkugeln“ enthalten und führe das Gerüst ausserdem noch eine dem Chro- matin nicht gleich zu achtende Zwischensubstanz. Die Nucleolen liegen im ruhenden Kern ausserhalb des Gerüstes, in seinen Maschenräumen. Während des weitern Verlaufs der „Karyokinese“ sollen sie verschwinden, ohne direet mit dem Gerüst in Verbin- dung zu treten. Eine Kernmembran stellt Pfitzner in Abrede, - 1) Morphol. Jahrbuch Bd. VII, p. 295. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 535 doch spricht er von einer scharfen Grenze zwischen Kernmasse und Zellmasse, die sich auch zwischen Kernsaft und Zellmasse zunächst erhält, wenn mit beginnender Karyokinese das Gitter- werk weitmaschiger wird. Diese scharfe Grenze würde unserer Kernmembran entsprechen. In einer nachträglichen Anmerkung zu seinem Aufsatz über die Spermatozoiden giebt E. Zacharias!) an, dass es ihm ge- lungen sei, in den ruhenden Kernen von Pollenmutterzellen ausser dem Nucleus eine Substanz nachzuweisen, welche in ihren Reae- tionen mit den Spindelfasern übereinstimmt. Aus dieser Substanz, schreibt Zacharias, nicht aus dem Protoplasma der Zelle, gehen die Spindelfasern hervor. Es wird sich aus der angekündigten Abhandlung von Zacharias zeigen müssen, wie er diese Ent- stehung der Spindelfasern nachweisen will; inzwischen lässt sieh aber denken, dass es das Nucleo-Hyaloplasma sei, das nicht auf Nucelein reagirt. In den Pollenmutterzellen könnte es sich freilich auch noch um jene Substanz handeln, welche wir aus dem Zell- kern vor der Theilung als Secretkügelehen austreten sahen. In den Zellkernen, die sich zur Theilung anschicken, beginnt vor Allem die Contraction des Kernfadens. Derselbe wird kürzer und dieker. Ich habe nun beschrieben und an Bildern zu zeigen gesucht, wie hierbei der Kernfaden sich gewissermaassen draht- federartig zusammenzieht. Die Bilder zeigen ihn ziekzackförmig in enge Windungen gelegt, welche alsbald verschmelzen. Nicht in allen Fällen ist ein soleher Modus der Contraetion nachzu- weisen, doch häufig genug. Durch diesen Vorgang werden aber zahlreiche Mikrosomen an einander gebracht und verschmelzen zu- letzt mit einander. Letzteres ist wenigstens aus dem Umstande zu schliessen, dass der Faden während der Zusammenziehung fein- körnig oder fein punktirt erscheint, nach Vollendung der Contrae- tion von abwechselnd dichten, scheinbar homogenen Scheiben auf- gebaut sich zeigt. Die Nucleolen pflegen während dieser Entwick- lungsstadien bereits in das Kerngerüst aufgenommen zu werden, das geschieht, indem sie sich dem Verlauf des Fadens anschmiegen, in die Länge strecken und so ihre Substanz sich gewissermaassen auf den Faden vertheilt. Nicht selten zerfallen hierbei die Kern- körperchen in mehrere Stücke, die verschiedenen Fadenabschnitten 1) Bot. Zeitung 1881, Sp. 852. 536 Eduard Strasburger: zu Gute kommen. Nicht selten sind auf den geschilderten Ent- wicklungsstadien die Kernkörperchen noch vorhanden und ver- breiten sich erst später in der geschilderten Weise über die Kern- figur (Galanthus). Eine Streckung des Zellkerns in der Richtung der zukünftigen Kernspindel wird auf diesen Stadien meist schon merklich. — Ueber die geschilderten Differenzirungsvorgänge, die zur Verstärkung und Verdiekung des Kernfadens führen, giebt Flemming an!): „Die erste Metamorphose des Kerns bei der Theilung besteht darin, dass seine sämmtliche tingirbare Substanz, auch die in den Nucleolen und der Membran enthaltene, allmählich in das Kerngerüst eingezogen wird, welches dadurch wächst, sich zu- nächst verfeinert und unter Schlängelung seiner Bälkchen sich gleich- "mässig durch den Innenraum ausdehnt; also eine so völlige morpholo- gische Umwandlung erleidet, dass man es mit dem Gerüst des Ruhe- zustandes nicht mehr vergleichen kann. In einer späteren Publication fügt Flemming hinzu, dasser seinen früheren Angaben nichts Wesent- liches hinzuzusetzen habe?) und bemerkt nur, dass die feinfaserige dichte Knäuelform, mit der die Karyokinese anhebt, sich auf morphologischer Grundlage des Netzwerks im ruhenden Kerne bilde, aber aus der gesammten tingirbaren Substanz des Kerns.“ Wie Flemming zeigt), sind die Windungen im Salamandrakern sehr regelmässig, sie halten im Ganzen gleiche Distanzen ein, lagern sich aber in der Peripherie der Kernfigur enger als im Centrum. Gleich regelmässige Windungen sind mir im Pflanzen- reich kaum vorgekommen, es sei denn im Wandbelege des Embryo- sackes von Fritillaria imperialis. — Darauf findet, nach Flem- ming, Verkürzung und zugleich Verdiekung dieses zusammen- hängenden Fadengewindes statt. Eine Discontinuität desselben sei auf diesen Stadien nicht nachweisbar, doch nicht unmöglich. Die Nucleolen schwinden auf sehr frühen Stadien des Fadenknäuels. Hier stellt Flemming die Hypothese auf, „die Nucleolen seien vielleicht gar keine morphologisch wichtigen Theile des Kerns, sondern nur Ablagerungen von Substanzen, welche für den Stoff- wechsel im Kern verbraucht und wieder neugebildet werden: sie würden damit physiologisch wichtige Theile des Kerns bleiben, 1) Theil I, p. 368. 2) Theil II, p. 195. 3) Ebendas. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 537 aber doch keine eigentlich organischen, d. h. auch morphologisch wesentlichen Kernbestandtheile.‘“ — Nach dem, was ich selber bei Salamandra gesehen, glaube ich mit Bestimmtheit behaupten zu können, dass auch dort der lange dünne Faden des Ruhezustandes sich in ähnlicher Weise zu dem kürzeren regelmässig gewundenen zu- sammenzieht, wie wir dies in den Pflanzenzellen gesehen. — Unsere Figur 182 soll dies vergegenwärtigen. Die Stadien der Zusammen- ziehung fallen leicht durch den unbestimmten Contour des sich verdickenden Fadens und dessen feine Granulirung auf. Der Vor- gang spielt sich mit geringer Regelmässigkeit ab; einzelne Stellen des Fadens erscheinen dieker wie andere, namentlich diejenigen, an denen grössere Kernkörperchen lagen; diese Stellen fallen auch durch ihre stärkeren Tinctionen auf. Dagegen sagt Pfitzner!), „aus dem Chromatingerüst geht die karyokinetische Fadenfigur her- vor, indem sich an einzelnen Stellen bedeutende Verdickungen derselben bilden, bisweilen an einer, bisweilen an mehreren Stellen gleichzeitig, jedoch keineswegs im Anschluss an die Nucleolen, mit denen sie leicht verwechselt werden können.“ Um dies zu bekräftigen, weist Pfitzner auf eine Figur von Flemming hin (Theil II, Taf. VII, Fig. 1 b), die aber ein sehr vorgeschrittenes Stadium der Fadenverdickung darstellt. — Der unregelmässig con- tourirte Faden glättet sich bald und so kommt das Bild Figur 3 (Taf. VOL, Theil II) von Flemming zu Stande, dem meine Figur 183 entspricht. Der Faden ist noch zusammenhängend, sehr regel- mässig gewunden. Er zeigt bereits unter günstigen Verhältnissen die Zusammensetzung aus abwechselnd dichten und weniger dichten Scheiben. Diese Zusammensetzung hat neuerdings Pfitzner?) be- schrieben und glaubte überhaupt der Entdecker solcher Struetur- verhältnisse zu sein. Thatsächlich sind dieselben aber schon von Baranetzky°) in den Pollenmutterzellen der Tradescantien beob- achtet worden, wie ich dies an den betreffenden Orten bereits ausführlich angab. Die „einzelnen Fäden der Kernfigur‘ von Sala- mandra, berichtet Pfitzner, werden von einer einfachen Reihe von Körnchen gebildet, deren Grösse dem Dickendurchmesser der Fäden genau entspricht. „Diese Zusammensetzung gewinnt ihren I)vlecl pP. 298. 2). ep. 290. 3) Bot. Zeitung 1880. Sp. 284. 538 Eduard Strasburger: optischen Ausdruck dadurch, dass bei bestimmter Einstellung regel- mässig hellere (stärker liehtbrechende) Partien von der Länge der Fadendicke mit schmalen dunkleren (weniger stark licht- brechenden) meist nur am Rande deutlich ausgesprochenen Partien abwechseln; auch scheinen bei entsprechender Tinetion nur die Körnchen gefärbt, die Zwischenräume farblos zu sein!). Pfitzner stellt sich vor, dass das „Chromatin“ der eigentliche Träger der vitalen Funktionen des Kerns ist und die „Chromatinkugeln“ elementare, mit gewissen molekularen Eigenschaften begabte Be- standtheile des Kerns repräsentiren, auf deren Anziehung und Ab- stossung die Form- und Lagerungsveränderungen der „karyokine- tischen Figur“ zurückzuführen wären?) Ja, Pfitzner glaubt in den „Chromatinkugeln wahre, wirkliche, nur durch die Einwirkung der Reagentien veränderte“ Moleküle vor sich zu haben. In diesen Vorstellungen kann ich nun Pfitzner nicht folgen, wohl aber bestätigen, dass ich bei Salamandra die Verbindungsbrücken aus Hyaloplasma relativ schwach im Verhältniss zur Ausdehnung der Mikrosomscheiben fand und dass es oft sehr schwer fällt, sich von der Existenz des zwischenliegenden, ungefärbten Hyaloplasma zu überzeugen. Den Längendurchmesser der Mikrosomenscheiben finde auch ich annähernd dem Querdurchmesser der Fäden gleich. Dass ich dem Hyaloplasma die active Rolle im Nucleo- wie im Cyto- plasma zuertheile, habe ich schon an anderer Stelle ausgesprochen; Jeder, dem die Strömungserscheinungen im Cytoplasma, Bewe- sungen der Amoeben, Plasmodien und dergleichen aus eigener An- schauung bekannt, wird mir wohl in dieser Auffassung folgen. Einen Aufbau aus flachen, abwechselnd dunkleren und helleren Scheiben eonstatirte Balbiani?) in ganz auffälliger Weise an dem Kernfaden der grossen Kerne der Speichelzellen der Larven von Chironomus. Es ist hier nicht der Ort, auf den Bau dieser eigen- thümlichen Kerne einzugehen, constatirt sei nur, dass bei jungen Larven nur ein einziger Faden in der Kernhöhle vorhanden ist. Dieser Faden mündet mit beiden Enden in je einen Nucleolus ein. Beide Nucleolen sind öfters verschmolzen und schliessen dann den Faden in voller Continuität ab. Die dunklen Scheiben, schreibt Iy, Le. .p, 294. 2) 1. c. p. 298. 3) Zool. Anzeiger 1881. Nr. 99 vw. 100. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 539 Balbiani, scheinen allein von einer festen Substanz gebildet zu sein, die hellen von einer flüssigen. Wenn der Faden gebogen wird, treten die dunklen Scheiben an der convexen Seite auseinander ohne an Dieke zuzunehmen, die hellen Scheiben werden hier hin- gegen breiter. Saure Methylgrünlösung färbt rasch die dunkleren Scheiben, nicht die Nucleolen, und die eigenthümliche Anschwel- lung die sich an den beiden Fadenenden dicht unter ihrer Ein- mündung in die Nucleolen findet; umgekehrt verhält sich Carmin und Haematoxylin. Ausser diesem Gebilde enthält die Kernhöhle nur eine homogene Flüssigkeit. Balbiani glaubt, dass das oben seschilderte analoge Verhältniss auch für die übrigen Zellkerne der Larven von Chironomus gelte. Jedenfalls ist dasjenige, was hier relativ so leicht an den grossen Zellkernen der Speichelzellen zu gewinnen ist, geeignet, auch andre, früher von uns für die ruhen- den Zellkerne entwickelten Gesichtspunkte zu beleuchten und zu bekräftigen. Der Vorgang, welcher auf die Ausbildung des derberen Fa- denknäuels folgt, ist nun bei den verschiedenen Pflanzen verschie- den. Entweder nämlich zerfällt jetzt der Faden in einzelne Stücke, oder er bleibt zusammenhängend und legt seine Windungen in die Gestalt der zukünftigen Kernspindel. In der ersten Kategorie der Vorgänge, der wir in verschie- denen Pollenmutterzellen beim ersten Theilungsschritt begegnen, erfolgt somit zunächst, ziemlich simultan, ein Zerfall des Kern- fadens in einzelne Stücke. Die Zahl der Stücke ist annähernd constant. Die getrennten Stücke können sich nicht frei schwebend im Kernsafte erhalten, sie haften mit einer grösseren oder gerin- geren Fläche der Kernwandung d. h. der Hautschicht des umge- benden Cytoplasma an. Hierauf legt sich jedes Fadenstück der Länge nach zusammen. Die beiden Schenkel berühren einander so dicht, dass die Fadenstücke als einfach, nur verkürzt erscheinen könnten, wenn nicht die Enden der beiden Schenkel meist etwas auseinander spreizen möchten. Jedes Fadenstück hat jetzt die Gestalt eines Y, in manchen Fällen auch die eines x, aus welcher letzten Form zu schliessen ist, dass an der Umbiegungsstelle be- reits eine Trennung erfolgte und die frei werdenden Enden hier nun auch auseinandertreten können. Oefters sind die zusammen- gelegten Fadenstücke so kurz, dass sie auch bei starker Vergrös- serung nicht anders als wie isolirte, der Kernwandung anliegende 540 Eduard Strasburger: Körner erscheinen. Diese Bilder bestimmten mich früher die Existenz körniger Zustände im Zellkern zu behaupten; von: diesen Bildern schloss ich auf die Möglichkeit anderer und in der That könnte erst durch das hier gewonnene Ergebniss der Entwick- lungsgeschichte eine richtige Auffassung derartiger Zustände ge- wonnen werden. Nach erfolgtem Zusammenklappen der einzelnen Fadenstücke beginnt das Cytoplasma in die Kernhöhle vorzu- dringen. Da muss vor Allem die Hautschicht des Cytoplasma schwinden. Ich nehme an, dass hierzu das enge Gerüstwerk, welches die Hautschicht bildet, sich nur zu erweitern, die Elemente desselben nur auseinanderzutreten brauchen. Das vordringende Cyto- plasma nimmt den Kernsaft in die Maschen seines Gerüstes auf und hat alsbald die ganze Kernhöhle erfüllt. In manchen Fällen kann es nun sein, dass dieses in die Kernhöhle eingedrungene Cytoplasma eben in Folge des aufgenommenen Kernsaftes dauernd weniger dicht als das entferntere Cytoplasma bleibt und dass der kaum, welcher von der Kernhöhle eingenommen war, auch später noch durch sein lichteres Aussehen in dem Bilde auffällt. In den meisten Fällen vertheilt sich aber der Kernsaft ziemlich gleich- mässig durch das ganze Cytoplasma und ist ein wesentlicher Unterschied zwischen den centralen und den peripherischen Theilen des letzteren in Hinblick der Dichte nicht zu bemerken. Doch bleiben meist gröbere metaplasmatische Einschlüsse des Cytoplasma von dem Raume der ursprünglichen Kernhöhle ausge- schlossen. — Die isölirten Stücke des Kernfadens werden durch das vordringende Cytoplasma nach der Mitte des ursprünglichen Kernraumes zusammengedrängt, das ist die „Contraction* der Kernsubstanz, die auf diesem Stadium eintritt. Hierauf erst, nach- dem der ganze Raum mit Cytoplasma ausgefüllt ist, beginnen die Fadenstücke, innerhalb desselben sich bewegend, auseinanderzu- treten. Die Kernfigur erweitert sich wieder. Das Auseinander- weichen erfolgt in mehr oder weniger radialen Bahnen, doch ohne bestimmte Regelmässigkeit. Jetzt nimmt das im Innern der Zelle befindliche Cytoplasma streifige Structur an. Es bilden sich die, nach zwei Polen hin convergirenden Spindelfasern aus. Die seit- liche Ausbreitung dieser Spindelfasern richtet sich nach der Entfernung, bis zu welcher die Kernfadenstücke auseinandergewichen sind. Dieselben liegen zum Theil zwischen den entstehenden Spindelfasern, zum Theil der Oberfläche der äussersten derselben Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 541 an. Die Spindelfasern sind feine Stränge von Cyto-Hyaloplasma, mit sehr kleinen, oft äusserst spärlichen Cyto-Mikrosomen versehen. Sie gehen, wie aus dieser Schilderung ganz zweifellos folgt, aus dem Cytoplasma hervor. Alle fixirbare Substanz des Zellkerns ist in dem segmentirten Kernfaden vertreten, ausser diesem war nur Kernsaft in der Kernhöhle vorhanden; somit liess sich auch zuvor sehon nieht einsehen, welches andere Kernmaterial die in Pflanzen- zellen oft so zahlreichen Spindelfasern liefern sollte. Wie Zacha- rias deren Ursprung aus der Substanz des ruhenden Kerns nach- weisen will, bleibt hiernach abzuwarten; derselbe hat andrerseits gezeigt !), dass die Spindelfasern nicht aus Nuclein bestehen, letzteres nur in den Kernplattenelementen vertreten sei?). — So- bald die Spindelfasern angelegt sind, beginnt sich ein riehtender Einfluss auf die Kernfadenstücke geltend zu machen. Derselbe geht, allem Anschein nach, von den Spindelfasern aus. Die Kern- fadenstücke, die ich jetzt als Kernplattenelemente bezeichnen will, rücken den Spindelfasern entlang, bis sie in die Aequatorialebene der Spindel gelangen. Die einzelnen Elemente ordnen sich noch im Besondern so an, dass sie ihre den beiden Enden des zu- sammengelegten Fadenstückes entsprechenden Schenkel nach den beiden Polen der Spindel richten. So kommt der Fuss des Y in eine zur Aequatorialebene parallele Lage, die beiden Schenkel desselben folgen den, nach den beiden Polen gerichteten Spindel- fasern. In manchen Fällen können nun freilich die Schenkel des Y so redueirt sein, dass von dem Y-förmigen Element eigentlich nur der Fuss vorhanden. Ist dieser sehr kurz, so sieht man eben uur ein scheinbar einfaches Korn in der Aequatorialebene der Spindel liegen. In der That ist es in den meisten Fällen, selbst bei bester Tinetion und vorzüglichen optischen Hülfsmitteln unmög- lich, sich von der doppelten Zusammensetzung eines solchen Korns zu überzeugen. Und wie erst dann, wenn man mit sehr kleinen Kernspindeln zu thun hat! Daher mag es denn wohl entschuldigt erscheinen, wenn ich, da solche Kernspindeln im Pflanzenreich besonders verbreitet, an der einfachen Zusammensetzung der Kern- 1) Bot. Zeitung 1881, Sp. 175. 2) Schmitz lässt die ‚„‚achromatischen Fasern“ aus der feinpunktirten Grundsubstanz des Zellkerns, in andern Fällen aus dieser mit Betheiligung des umgebenden Protoplasma entstehen. Sitzber. der niederrh. Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde in Bonn, 13. Juli 1880, Sep.-Abdr. p. 26 ff. 542 Eduard Strasburger: platte so lange festhielt. Solebe Fälle mussten in der That meine Deutung bestimmen, so lange die nicht eben ganz leicht zu ge- winnende Entwicklungsgeschichte derselben mir unbekannt war. Dass es bei grossen Kernspindeln, auch wo sie scheinbar nur einfache Körner führen, an einzelnen der letzteren gelingt, die äquatoriale Trennungslinie zu sehen, konnte jetzt auch festgestellt werden. Oft gehört aber längeres Suchen und für alle Fälle sehr gute Tinetion sowie ausreichende Vergrösserung hierzu. Entsprechend der schon berührten, annähernd constanten Zahl der Kernfaden- stücke, ist auch die Zahl der Elemente in der Kernspindel an- nähernd constant. In dem einfachsten Falle fand ich deren 8 (Alstroemeria), sehr häufig bei Liliaceen 12, auch gegen 24 (Funkia), oder auch sehr viele (über 150 bei Psilotum). In keinem dieser Fälle waren die Elemente (vom Pol aus betrachtet) zu einem Kranze angeordnet, immer hatten einzelne derselben, und zwar in ziemlich ceonstanter Anzahl, eine innere Lage. In grösseren Kern- spindeln muss es auffallen, dass diejenigen Spindelfasern, die auf die Kernplattenelemente treffen, sich besonders stark markiren. Oefters scheinen sie die einzig vorhandenen zu sein, in andern Fällen ist die Existenz zarter, zwischen den Kernplattenelementen aus der einen in die andere Spindelhälfte ohne Unterbrechung laufender Spindelfasern sicher zu constatiren. Der von den Spin- delfasern eingenommene Raum erscheint stets, schon in Folge mangelnder grösserer, körniger Bildungen, heller. Wie in der Einleitung zu diesem Aufsatz bereits hervorgehoben wurde, sind die Spindelfasern in den Safranin-Nelkenöl-Präparaten nur schwach, ja oft gar nieht zu sehen; sie treten scharf in den Aleohol-Methyl- srün- und Essigsäure-Methylgrün-Präparaten hervor. Die andere Kategorie der Kernspindelbildungen, die uns in den Pollenmutterzellen, beispielsweise oft beim zweiten Theilungs- schritt (während der erste dem eben beschriebenen Bildungsmo- dus folgte) entgegentrat, ist dadurch charakterisirt, dass sich die Windungen des Fadenknäuels in die Formen der Kernspindel vor der Segmentirung legen. Dieser Vorgang trat uns in mehreren Modificationen entgegen, es mögen noch andere sich auffinden lassen. Im einfachsten Falle strecken sich die Windungen des Faden- knäuels gleich in der, der späteren Kernspindelaxe entsprechenden Richtung. Dabei sind die Windungen nicht eben streng parallel, und Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 543 auch nicht alle von völlig gleicher Länge zu denken. Auch brauchen sie in ihrem Verlauf nicht eben gerade zu sein, wenn sie auch hin und wieder jener Anforderung annähernd entsprechen (Fig. 106 für Lilium Martagon, Wandbeleg des Embryosackes). Die Streekung schreitet von den zukünftigen Polen nach dem Aequator zu (Fri- tillaria imperialis, Endosperm), oder erfolgt ziemlich gleichzeitig in der ganzen Ausdehnung (Lilium Martagon). Am übersicht- lichsten wäre das Bild für den ersten Kern der Pollenmutterzelle von Tradescantia, wenn es sich dauernd fixiren liesse. Hier legen sich die Windungen des einen, relativ sehr dieken, ohne Ende in sich zurücklaufenden Fadens, in parallele Windungen von relativ ge- x» ringer Höhe, so dass sie zusammen eine Scheibe in der Zelle bilden. In anderen Fällen (etwa in den Staubfädenhaaren von Trades- cantia) legen sich die Windungen des Fadens zunächst diagonal zu der Längsaxe des gestreckten Zellkerns und hierauf erst gehen sie in eine zu dieser Längsaxe annähernd parallele Richtung über. Dem entsprechend sind auch hier die nebeneinander liegenden Windungen von ungleicher Länge. In noch anderen Fällen legen sich die Windungen zunächst quer zur Längsaxe des Kerns. In den Pollenmutterzellen von Fri- tillaria persica biegen die Fadenwindungen der Tochterkerne an der Kernwandung scharf um und laufen nun wieder zur entgegen- gesetzten Wand. Es geschieht das in der Richtung des kleinern Durchmessers der stark abgeflachten Kerne, Betrachtet man die Kerne von der Kante, so sieht man somit die Fadenwindungen in ihrem ganzen Verlauf (Fig. 41, Tat. XXV), betrachtet man die Kerne von der breiten Fläche (Fig. 42), so sieht man nur die Ansatzstellen der Windungen. Um die zur Längsaxe der zukünftigen Kernspindel parallele Lage zu erlangen, strecken sich hierauf die Windungen in einer zu ihrem früheren Verlauf senkrechten Richtung (Fig. 43—45) und bilden nun zwischen einander greifende Schleifen von ungleicher Länge. Endlich sind mir auch Fälle vorgekommen (Fritillaria impe- rialis, Wandbeleg des Embryosackes; Lilium eroceum, ebendaselbst), wo die Windungen des Fadens sich quer zur Längsaxe des Fadens legen, eine Längsstreckung der Windungen später aber nicht erfolgt. Die quer gerichteten Windungen sind hier nicht so übereinstimmend orientirt wie im vorhergehenden Falle, sie greifen vielfach durch- einander und das Bild bleibt sich ziemlich gleich, von welcher 544 Eduard Strasburger: Seite man den Kern auch sieht. Der Uebergang zur Kernspindel wird nun dadurch eingeleitet, dass die Windungen einseitig durchbrochen werden. Der Kernfaden zerfällt auf diese Weise in zweischenklige Schleifen. Die Schleifen klappen nun auseinander, indem sich deren beide Schenkel nach den beiden Polen richten. Die Schleifen verschieben sich gleichzeitig gegeneinander und ver- theilen sich gleichmässig im Querschnitt. In der Aequatorialebene bleibt eine Falte und in dieser erfolgt alsbald die zweite Segmentirung, nämlich die eines jeden Fadenstückes in zwei auf beide Seiten des Aequators vertheilte Hälften (Fig. 99—105, Taf. XXVI]). Dass übrigens alle diese Vorgänge nur Modificationen eines und desselben Verfahrens sind, zeigt der Umstand, dass sie neben- einander bei derselben Pflanze vorkommen können. Die Kerne in den Endospermzellen von Fritillaria zeigen eine von den Polen gegen den Aequator fortschreitende Streekung der Windungen; die freien Kerne im Wandbeleg des Embryosackes derselben Pflanze, die einseitige Segmentirung; im Wandbeleg des Embryosackes von -Lilium eroceum fand ich, je nach den Präparaten, eine longitudinale Streckungdes ganzen Fadengerüstes, oder die einseitige Segmentirung. Alle die geschilderten, auf beide Kategorien der Kernspin- deln sich erstreckenden Vorgänge, haben aber das Gemeinsame, dass der Kernfaden sich zunächst in einzelne Stücke trennt und diese hierauf nochmals in je zwei Stücke zerfallen, welche auf beiden Seiten der Kernplatte vertheilt, die Elementepaare derselben bilden. Doch bleiben wir zunächst noch bei der zu zweit geschilderten Kategorie der Kernspindelbildungen, um hier auf weitere Ein- zelheiten einzugehen. Mit beginnender Umlagerung der Fadenwindungen im Kern - geht hier die Kernwandung verloren und wandert das Cytoplasma zwischen die Windungen ein. Ist das Fadengerüst fest, so dass die einzelnen Windungen einander hinlänglich stützen, so ist mit dieser Cytoplasma-Einwanderung eine Contraction der Kernfigur nicht verbunden, im umgekehrten Falle findet eine solche statt. Dasselbe Gewebe der nämlichen Pflanze kann hierin Verschieden- heiten bieten, wobei nicht ausgeschlossen, dass in vielen Fällen diese Abweichungen dem verschiedenen Einflusse des fixirenden Mediums zuzuschreiben seien. Die erste Segmentirung des Fadens erfolgt in den Fällen der Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 545 Unterbrechung quer gelagerter Windungen relativ früh, sonst erst wenn die Windungen die der Kernspindel adäquate Lage ange- nommen haben. Der einseitigen Durchbrechung der queren Win- dungen im ersten Falle, entspricht die Trennung an den polaren Umbiegungsstellen im zweiten Falle. Die Durchbrechung der äquatorialen Schleifen erfolgt erst später und zwar in der hier in Betracht kommenden Kategorie von Fällen auf annähernd gleichem Entwieklungszustande. Nicht alle. einander entsprechenden Seg- mentirungen im Fadenknäuel brauchen völlig gleichzeitig zu er- folgen: manche gehen voran, andere bleiben ein wenig zurück. — Die äquatorialen Einfaltungen der Fäden werden, falls die Win- dungen sich zuvor völlig gerade streckten, wieder gebildet. In sehr vielen Fällen kommt es überhaupt nicht erst zu völliger Gerade- streekung an dieser Stelle, so dass die äquatorialen Falten schon während der Umlagerung der Windungen zurückbleiben. In allen Fällen sind diese Falten zunächst nicht regelmässig in der Aequa- torialebene gelegen und werden dann erst zurechtgerückt. So entsteht die doppelt zusammengesetzte Kernplatte. Sie kann bei gleicher Entwicklung eine sehr verschiedene Höhe haben, je nach- dem die polwärts gerichteten Schenkel länger oder kürzer sind. Sehr oft ziehen sich die Fäden, nachdem die Schleifen unter- brochen wurden, noch sehr stark auf den Aequator zurück. Auch können die sonst polwärts gerichteten Schenkel sich nach aussen legen. Andererseits findet man Kernplatten mit fast vollständig fehlender hakenförmiger Umbiegung der Elemente im Aequator. Sehr selten sind bei Pflanzen Kernplatten, deren Elemente zwei gleich lange Schenkel haben, und auch da lässt sich, von der Lage vereinzelter Elemente abgesehen, der eine Schenkel als polarer, der andre als äquatorialer bezeichnen. Die gegenüberliegenden Ele- mente treffen bei starker äquatorialer Umbiegung nur unvollkommen auf einander. Ihr Zusammentreffen ist um so auffallender, je kürzer die äquatoriale Umbiegung. Die Zahl der Elemente war, so weit abzählbar, in beiden Kernplattenhälften stets gleich. Erst wenn die Schleifen der Kernfigur sich an den Polen zu öffnen beginnen, respective wenn die Schenkel der in querer Lage segmentirten Schleifen in polare Richtung gelangen, werden die Spindelfasern aus dem zuvor schon eingedrungenen Cytoplasma gebildet. In den Kernspindeln erster Kategorie treten die Spindel- fasern relativ früher auf, entsprechend der Nothwendigkeit, die 546 Eduard Strasburger: Stücke des frühzeitig segmentirten Fadens in die richtige Lage zu bringen. Die Spindelfasern sind in Kernspindeln mit sehr langen polaren Schenkeln kaum sichtbar, was sich daraus erklärt, dass es gerade die stark markirten Spindelfasern sind, welehe an die Kernplattenelemente ansetzen. Reichen die Kernplattenelemente somit bis an die Spindelpole, so werden eben die deutlichsten Spindel- fasern verdeckt. Dieselben kommen aber zum Vorschein überall, wo die Elemente der Kernplatte die Pole nicht erreichen. Neben einander liegende Kernspindeln können, je nach der Länge der Kerplattenelemente, in dieser Beziehung verschiedene Bilder ge- währen. Polkörperchen an den Polenden der Spindelfasern sind mir kaum bei Pflanzen in charakteristischer Entwicklung begegnet; doch finde ich hin und wieder das Ende der Spindel durch be- sondere Liehtbreehung markirt, wenn nämlich die Spindel stark zugespitzt ist, die Spindelfasern an den Polen scharf zusammen- treffen. Zu der Bezeichnung „Kernplatte“ sei hier eine Bemerkung eingeschaltet. Ich habe den Namen im Jahre 1875!) eingeführt und halte an demselben auch weiter fest. Ich thue dies nicht etwa einer von mir gewählten Bezeichnung zu liebe, vielmehr nur, in- dem ich den allgemeinen Gesetzen der Nomenclatur folge, welche aussagen, dass einem älteren Namen stets der Vorzug gebührt, es sei denn, dass derselbe schlecht gebildet sei oder Veranlassung zu Irrthümern, Zweideutigkeiten oder Verwirrung gäbe. Gegen „Platte“ ist nun in der That einzuwenden, dass sie die Vorstellung eines einfachen, planen, zusammenhängenden Dinges erweckt und somit auf das vorliegende Object nicht passe; allein ich möchte wissen, welcher andere bessere Ausdruck zu wählen sei, der die ganze Eigenart der Erscheinung in sich fassen könnte. Für alle Fälle ist die in der thierischen Histologie sich verbreitende Bezeichnung „Aequatorialplatte“ in keiner Weise besser, denn sie ist ja auch aus dem Substantiv ‚Platte‘ gebildet und verliert durch Zusatz des Attributs „äquatorial“ nur an Charakter. Denn die Zeliplatte ist in demselben Sinne eine äquatoriale Platte wie die Kernplatte und somit führt die Bezeiehnung „Aequatorialplatte‘“ nur zu Verwechse- lungen. Freilich hat die thierische Histologie mit Zellplatten 1) Zellbildung und Zelltheilung I. Aufl. p. 30. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 547 meist nichts zu schaffen, doch müssten hier die botanischen Inter- essen, bei dem vorhandenen Streben nach einer einheitlichen Be- handlung der Zellenlehre in beiden Reichen, Berücksichtigung finden. Ich musste naturgemäss an dieser Stelle die Schilderung der Pflanzen wieder unterbrechen, um die entsprechenden Vorgänge des Thierreichs einzuschalten, doch greift bei Flemming die Be- schreibung der verflossenen und der kommenden Vorgänge so in einander, dass eine richtige Würdigung seiner Angaben erst von einem späteren Standpunkte aus möglich werden wird. Daher ich mich entschliesse, in meiner Uebersicht zunächst mit Pflanzen fortzufahren. Es sind auf verschiedenen Wegen die Entwicklungsvorgänge im Zellkern bis zur Bildung der Kernspindel fortgeschritten, deren Kernplatte aus doppelt zusammengesetzten Elementen besteht. Die gegenüberliegenden Elemente fanden wir bei scheinbar körnigen Platten besonders genau aufeinander treffend und an einander fast ihrer ganzen Länge nach haftend. Ein genaues Aufeinander- treffen zeigten auch langgezogene Kernplattenelemente mit kurzer äquatorialer Umbiegung; wenig genau entsprachen sich die Ele- mente mit verlängerten äquatorialen Schenkeln. Der nächste Vor- gang, den ich bereits den Theilungsstadien der Kernspindel zu- zähle, beruht auf einer Umbiegung!) der Kernplattenelemente. Der Vorgang spielt sich im Wesentlichen in zwei Modifieationen ab, deren Eintreffen vielfach in Beziehung zu der Länge der po- laren Schenkel der Kernplattenelemente steht. Bei relativ kurzen Elementen pflegt sich jetzt nämlich das polare Ende zu krümmen, während das äquatoriale sich gleichzei- tig gerade streckt. Das U- bis J-förmige Element geht hierbei durch S- oder C-förmige Gestalt in ein umgekehrtes ( oder f über In manchen Fällen kann die polare Krümmung sehr schwach sein, das Element fast stäbchenförmig erscheinen (zweiter Theilungsschritt in den Pollenmutterzellen von Fritillaria persica). Besonders stark ist die auszuführende Bewegung, wenn die polwärts gerichteten Schenkel sehr kurz oder fast null waren, wie in den aus schein- bar einfachen Körnern gebildeten Kernplatten (erster Theilungs- schritt von Fritillaria persica, Fig. 26—30). Der zweite Umbiegungsmodus, der, wie gesagt, vorwiegend 1) Im Sinne von Andersbiegung. 548 Eduard Strasburger: die Kernplattenelemente mit sehr langen polaren Schenkeln trifft, beruht darauf, dass die geschilderte Umbiegung nicht sofort das polare Ende der Schenkel ergreift, vielmehr dicht am Aequator stattfindet und nun gleichsam wie eine Welle an dem Schenkel fort- schreitet, bis dass sie dessen polares Ende erreicht. Das Resultat ist das nämliche und gibt schliesslich auch umgekehrte fl- oder f-förmige Elemente, nur die Zwischenstadien sehen anders aus, etwa in dieser Weise: In. Da die Umbiegung ziemlich gleichmäs- sig an den sämmtlichen polwärts gerichteten Schenkeln fortschreitet, so erscheint sie, in der sich theilenden Kernspindel, als eine dem Pol sich nähernde dunkle Ebene (Vgl. die entsprechenden Zustände, Bilder für das Endosperm von Fritillaria imperialis, Fig. 87 und ff. Taf. XXVI, von Lilium eroceum Fig. 114 und 115 Taf. XXVI, für den Wandbeleg des Embryosackes von Galanthus nivalis Fig. 130—132 Taf. XXVI u. dergl. m.) Gerade die Beispiele letzterer Art, wo die Krümmungsbewe- sung an den Kernplattenelementen polwärts fortschreitet, zeigen auf das Bestimmteste, dass es sich hierbei nicht etwa um ein Umklap- pen des ganzen Elementes, wobei dies seine ursprüngliche Krümmung beibehalten hätte, handelt, vielmehr um eine mit Gestaltsverände- rung verbundene Bewegung desselben. Diese Bewegung ist sicher eine active, doch dürfte sie von den Spindelfasern geleitet wer- den, damit sie innerhalb bestimmter Bahnen erfolge. Die durch die Krümmung bestimmte Form der Elemente ist in allen Fällen vor und nach erfolgter Bewegung eine andere. Selbst wo die Elemente das polare Ende sofort krümmen, während sie das äqua- toriale gerade strecken, kann diese Gestaltsänderung sehr auffallend sein. So z. B. in den Spindeln des ersten Theilungsschrittes der Pollenmutterzellen von Fritillaria persica, wo die polaren Schenkel sehr kurz und dünn, die äquatorialen länger und sehr massig sind, beide einen scharfen Winkel miteinander bilden, nach dem Umbiegen aber die regelrechte Gestalt eines [] besitzen. Beim Umbiegen der Kernplattenelemente ist ein Augenblick gegeben, wo die sich aufrichtenden, d. h. senkrecht gegen die Aequatorialebene stellenden äquatorialen Enden der gegenüber- liegenden Elemente auf einander treffen. Es ist als wenn sie in diesem Vorgang des Umbiegens eine Stütze an einander fänden. So bilden sich die Zustände aus, die in ihrer Gestalt an eine Tonne erinnern (Fig. 26—28 Taf. XXV, 89, 116 Taf. XXVJ, u. a.). Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 549 Diese Zustände dauern nicht lange, meist so kurze Zeit, dass sie nur ausnahmsweise fixirt vorliegen. Ich rechne sie wie gesagt zu den Stadien des Auseinanderweichens und kann daher die Be- zeichnung der ruhenden Kernplatte auf sie nicht ausdehnen. Sie sind bereits getheilte Kernplatten. Auf dem Stadium der Kern- platte pflegt aber bei Pflanzen ein gewisses Ruhestadium durch- gemacht zu werden; man findet die Kernplatte daher sehr oft fixirt. Hier angelangt, können wir wieder die Vorgänge aus thieri- schen Zellen in Vergleich ziehen. Bei Salamandra findet nach Flemming!) die erste sicht- bare Unterbrechung in dem Fadenknäuel oft schon auf Stadien statt, die nach pflanzlichen Begriffen als sehr jung zu bezeichnen wären. Der Fadenknäuel ist noch in gleichmässige Windungen gelegt. Der Zustand würde somit demjenigen entsprechen, auf welchem in den primären Kernen vieler Pollenmutterzellen die Trennung in die einzelnen sich an der Kernwandung vertheilenden Fadenstücke erfolgt. Die Segmentirung bei Salamandra kann aber nach Flemming auch später, so erst in der „Kranz- und Stern- phase“ erfolgen und ist an einen ganz bestimmten Zeitpunkt der „Karyokinese“ nicht gebunden. „Die richtenden Kräfte“, meint Flemming, „welche das Fadengebilde in die Kranzform und weiter in die regelmässigere Sternform bringen, beginnen im einen Falle auf den Knäuel schon zu wirken, ehe er in gleiche Segmente zer- fallen war, im andern Falle auch erst dann, wenn dies schon ge- schehen ist“. — Wie aus obigem bereits folgt, soll bei Salamandra aus dem „feinfadigen Korbgerüste mit enggewundenen Fäden“ zu- nächst die „lockere Knäuelform“ hervorgehen, aus dieser die Kranz- und Sternform sich ausbilden. „Als die zusammensetzenden Ele- mente der Sternform zeigen sich Fadenschleifen, genau oder nahezu in der Mitte ihrer Länge geknickt oder auch sanfter gebogen. Diese Schleifen können, bevor es zur eigentlichen Radiärform kommt, oft sehr wirr durcheinander oder auseinandergerückt liegen.“ Dies zeigen die Flemming’schen Figuren 5—8 Taf. I und 35a und b Taf. III (Theil ID). Man beobachtet Anordnungen (Fig. 6 u. 7 Taf. Il. e.) ‚wo die Schleifen, in zwei ziemlich gleichen Portionen, nach den Polen zu fast von einander abrücken, so dass man denken könnte, sie wollten sich jetzt schon zu Tochterkernen sondern, ohne 1) Theil II, p. 193. Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. (3) {ep} 550 Eduard Strasburger: sich vorher zur Aequatorialplatte gruppirt zu haben“; doch weiss Flemming von lebenden Objecten her, dass eine solehe direete Trennung nie geschieht, sondern dass die Fäden sich stets vorher wieder im Aequator zusammenfinden. Die Centralattraction kann in ihrer Stärke längere Zeit schwanken und zeitweise ganz er- lahmen, endlich aber überwiegt sie doch, „auch die letzten unge- horsamen Fadenschleifen werden einrangirt und die Sternform ist fertig, nach dem einfachen Schema: Winkel der Schleifen nach dem Centrum, Enden der Schenkel nach der Peripherie“ !). Die centralen Umbiegungen der Schleifen trennen sich nicht. Die Schleifen haben nahezu gleiche Länge. Schon im lockeren Knäuel- stadium, oder in der Kranzform, oder wie gewöhnlich erst in der Sternform findet nach Flemming eine Längsspaltung der Fäden statt?) und zwar gleichzeitig in der ganzen Figur. Die Erschei- nung selbst ist Flemming räthselhaft geblieben. Er hat sie bei den Theilungen der Epithelien, Bindesubstanzzellen, Muskelzellen, rothen Blutscheiben und Knorpelzellen von Salamandra als con- stantes Phänomen beobachtet. Auch findet er die Fadenstücke der „Aequatorialplatten“, der „Kerntonnen“ und der Anfangsphasen der Tochterkerne von halber Dicke und von doppelter Zahl, wie am diekstrahligen Mutterstern, was für die „Natürlichkeit“ der Doppelfäden, dass sie nämlich nicht durch Reagentien erzeugte Kunstproducte seien, spricht. — Auch Pfitzner hat die Doppel- fäden gesehen und ihre Struetur noch näher beschrieben ®). Er fand in einigen diekstrahligen Fadenfiguren den Faden nicht mehr aus einer einfachen, sondern aus einer doppelten Körnchenreihe gebildet. Der Längsspaltung der Kernfäden gehe somit eine Thei- lung der „Chromatinkugeln“ in zwei voraus. Jedes „Molekül“ zer- fällt so in zwei. Diese Beobachtung scheint ihm von grosser Wichtigkeit zu sein und einen bessern Einblick in die Mechanik des ganzen Kerntheilungsprocesses zu versprechen, denn sie lehrt, dass sich der ganze Vorgang der Zelltheilung unter fadenförmiger Differenzirung des Kerns, in letzter Instanz in den Chromatin- kugeln abspielt. Die ‚„Aequatorialplatte‘“ geht nach Flemming ®) 1) Theil I, p. 202. 2) Ebendas. p. 213. 3) Morph. Jahrbuch Bd. VII, p. 295. 4) Theil II, p. 205. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 551 aus der Sternform, durch Umordnung der Fadenschleifen hervor. Der Stern soll in zwei Hälften auseinanderklappen. Flemming denkt sich in der Sternform einen als Krafteentrum wirkenden Punkt, der die Eigenschaft haben soll, die Winkeltheile der Fäden anzuziehen, die freien Schenkelenden abzustossen. Dieses Centrum würde sich hierauf in zwei theilen und diese nach den Polen aus- einanderrücken. Ein jedes zieht die Umbiegungswinkel, die ihm zunächst liegen, mit sich, und es entstehen so die zwei Hälften des Sterns, in denen die Fadenschleifen nach dem Typus liegen: Winkel nach dem Pol, Schenkelenden nach dem Aequator. So bilden sich flache oder glockenförmige Tochtersterne, zwei, in welchen dieselbe Anordnung herrscht wie vorher im Mutterstern: Winkel central, Schenkelenden peripher!). Die Stadien, die zwi- schen diesen beiden Endzuständen liegen, sind nun die?), dass die Schenkel der Fadenschleifen zunächst gegen die Aequatorialebene neigen, dann diese Neigung über die Parallelebene des Aequators hinüberschlägt und so die eigentliche Aequatorialplatte entsteht. Die Schleifen sind bereits umgeklappt, aber sie liegen bis jetzt noch schwach geneigt gegen die Aequatorialebene, daher die stark abgeplattete Form dieser Kernfigur. Mehr und mehr werden dann die Winkel polwärts abgerückt, die Schenkel stellen sich immer steiler gegen den Aequator, bis endlich die tonnenartigen Formen erreicht sind. In den letzteren Stadien. (oder auch schon vorher) kann es zur Berührung und Verschmelzung von Schenkelenden kommen, die sich bei der folgenden Entfernung der Tochterkern- figuren wieder trennen ?°). Es gelang Flemming, im Stadium der „Aequatorialplatte“ vielfach bei Salamandra die „achromatischen Fäden“ aufzufinden®). Am besten sah er sie vom Pol aus auf dem Stadium der Kranz- form, welche ein grösseres freies Mittelfeld zeigt. In jedem Pol, wo die achromatischen Fäden zusammentreffen, sieht man ein mattglänzendes Körperchen, welches an guten Safraninpräparaten, gleich den blassen Spindelfäden selbst, fast keine Spur von Färbung zeigt: offenbar das Aequivalent der Polarkörperchen, welche Fol an Eizellen bekannt machte. Die Umbiegungswinkel der Faden- 1) Ebendas. p. 206. 2) Ebendas. p. 208. 3) Man vergleiche 1. c. hierzu die Holzschnitte. 4) Theil III, p. 48. 552 Eduard Strasburger: schleifen, welche die kranz- oder sternförmige chromatische Figur zusammensetzen, „liegen vielfach deutlich in Berührung mit je einem der achromatischen Fäden“. „Es würde sich danach ergeben, dass der Winkel der ehromatischen Schleife von dem entsprechen- den achromatischen Faden attrahirt wird und dass die Schleifen später, bei der Trennung der Mutterfigur, sich an den blassen Fäden entlanggleitend, in zwei Gruppen auseinanderordnen.“ Flemming hat wiederholt, so auch in seinem letzten Auf- satze!), zu zeigen gesucht, dass die Differenzirungsvorgänge, welche die Kerntheilung einleiten und begleiten, überall im wesentlichen gleichartig sind und sich auf das von ihm aufgestellte Salamandra- Schema zurückführen lassen. Für die Gleichartigkeit der Vor- gänge war auch ich von jeher eingetreten, doch stellte ich in Ab- rede, dass sie auf dem Flemming’schen Schema basire. In der That mussten zahlreiche an Pflanzen gewonnene Erfahrungen mich an der Annahme dieses Schema hindern. Flemming suchte nun seine Auffassung durch Untersuchung anderer, selbst pflanz- licher Objeete zu stützen, doch gab er nicht abgeschlossene Ent- wieklungsreihen von denselben, begnügte sich vielmehr damit, Entwieklungszustände aufzusuchen, die ihm übereinstimmend mit seinem Salamandra - Schema schienen. Nach diesem Schema werden die Bilder dann auch nach Bedürfniss zurechtgedeutet. So findet Flemming in den Eizellen von Toxopneustes zwar, dass auf dem Stadium der „abgeflachten Sternform und Aequatorial- platte“, bei Polansichten, auch in der Mitte der „chromatischen Figur“ Schleifen zu sehen sind, doch „bliebe es sehr wohl möglich, dass in natura diese Mitte nur durch das achromatische Fadenbündel eingenommen war und die chromatischen Schleifen um dieses gruppirt waren“, so dass die Anordnung ganz der entspräche, welehe Figuren von Salamandra auf gleichen Entwiecklungszustän- den von der Polseite zeigen?). Trotz der Behauptungen von Flemming, dass Alles mit seinem Salamandra-Schema übereinstimme, wird man wohl gefunden haben, wie wenig dieses zu meinen in dieser Arbeit gegebenen Schilde- rungen passt. Ja der letztere Umstand veranlasste mich sogar, die Untersuchung von Salamandra selbst vorzunehmen, um die verloren gehenden Uebereinstimmungen eventuell wieder zu fassen. 1) Theil II, p. 63 u. a. m. 2) Theil III, p. 24. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 553 Auf das Stadium meiner Figur 183 Taf. XXVII, welche zahl- reichen ähnlichen von Flemming entspricht, folgt die Segmen- tirung des Kernfadens. Meine diesbezüglichen Figuren 184 und 185 weichen von den Flemming’sehen nicht ab. Die Fäden werden nach der Trennung noch etwas kürzer und dicker. Ihre wellen- förmige Schlängelung gleicht sich allmählich aus. Die Fadenstücke erscheinen S-förmig, dann schleifenförmig gekrümmt (Fig. 185 u. 186) ; sie berühren alle mit irgend einer Stelle die zarte Kern- wandung und finden an ihr sicher ihre Stütze. Hierauf werden allmählich die polaren Enden des Zellkerns frei, die Fadenschleifen ziehen sich nach der Aequatorialebene. So kommt das Stadium zu Stande, das Flemming als Kranzform bezeichnet. Meiner Figur 187 entspricht wohl am besten die Figur 6 Tafel XVII (Theil I) von Flemming. Jeder Faden beschreibt eine mehr oder weniger regelmässige doppelte Schleife, die so orientirt ist, dass zwei Umbiegungsstellen nach innen, eine nach aussen ge- kehrt erscheinen. Die beiden Schleifen eines jeden Fadens liegen nicht in gleicher, vielmehr in verschiedener Höhe, so zwar, dass die beiden Schleifen auf die beiden Kernhälften vertheilt sind. Fig. 187 soll dieses vergegenwärtigen, wobei ich auf die Schwie- rigkeiten hinweise, welche der Darstellung einer solchen Figur entgegenstehen. Die angeführte bringt auch nur die dem Be- obachter zugekehrten Fadenstücke vollständig, deren unteren An- schlüsse aber so weit nur, als sie nicht unter den halben Quer- schnitt des Zellkerns reichen. Auch soll von den geschilderten Doppelschleifen nicht eine grössere Gesetzmässigkeit erwartet wer- den, als sie eben solchen Objeeten eigen ist. Die Schenkel der Schleifen divergiren stark, oder sind auch einander genähert; sie greifen in benachbarte Schleifen hinein, oder bilden auch wohl in sich zurücklaufende Schlingen. Die Mitte der Figur bleibt in den typischen Formen, wie Flemming richtig angiebt, von den Schlingen frei; der Vergleich der ganzen Figur mit einem Kranze ist daher zutreffend. Zu dieser Figur gehören als Seitenansichten die Figuren 188 und 189, nach denen ich vergebens bei Flem- ming suche. Es ist hier zwar nicht eben leicht, den Verlauf der einzelnen Fäden zu verfolgen, doch immerhin den Zusammen- hang einzelner Doppelschleifen, sowie deren Vertheilung auf beide Kernhälften zu constatiren. Diesen Figuren würden solche bei Pflanzen entsprechen, in welehen die Windungen des 554 Eduard Strasburger: Fadenknäuels parallel zu einander und der Längsaxe des Zellkerns gestellt, die polaren Schleifen geöffnet sind, die äqua- torialen Unterbrechungen aber noch nicht erfolgten. Salamandra würde fast, in dieser Beziehung, die Mitte zwischen denjenigen Fällen bei Pflanzen halten, wo der Kernfaden frühzeitig in Stücke zerfällt, letztere aber erst mit Bildung der Spindelfasern einge- ordnet werden und denjenigen, wo die Einordnung frühzeitig er- folgt aber die Trennung in Stücke unterblieb: also etwa zwischen den Vorgängen, die sich bei dem ersten und denjenigen die sich bei dem zweiten Theilungsschritt in den Pollenmutterzellen von Fritillaria persica abspielen. Bei Salamandra ist eben ein früh- zeitiger Zerfall in Stücke und doch zugleich auch eine bestimmte Anordnung der einzelnen Fadenstücke noch vor Auftreten der Spindelfasern gegeben. Auf dem nächstfolgenden Entwicklungszustande werden die nach aussen gekehrten Umbiegungen der Schleifen geöffnet. Daher die Angabe von Flemming, dass „die Zerlegung des continuir- lichen Fadenknäuels in einzelne Fadenstücke an keinen ganz be- stimmten Zeitpunkt der Karyokinese gebunden ist“ und sich bis in die Kranz- und Sternphasen verzögern kann!). Thatsächlich bringt hier aber Flemming zwei verschiedene Vorgänge zusammen. Die Segmentirung erfolgt eben in zwei getrennten Schritten. Bei dem ersten zerfällt der Kernfaden in die einzelnen Stücke, bei dem zweiten zerfällt jedes dieser Stücke in zwei Hälften. Dieser zweite Schritt entspricht der Unterbrechung, welche bei Pflanzen die äquatorialen Schleifen erfahren. Auch bei Pflanzen können ja beide Vorgänge weit auseinanderliegen und zwar thatsächlich gerade auch dort, wo der Kernfaden frühzeitig segmentirt wird. Meine Figuren 190 und 191 führen den Augenblick vor, wo die Halbirung der Schleifen erfolgt, zum Theil berühren sich noch die Schenkelenden an den Theilungsstellen. Mit diesem Vorgang zu- gleich ist aber noch Weiteres zu constatiren. Die Grenze gegen das umgebende Cytoplasma wird jetzt nämlich aufgegeben und letzteres wandert zwischen die Fadenwindungen ein. Das muss freilich an Hämatoxylin-Präparaten studirt werden, wo das Plasma mit gefärbt erscheint; an Safranin-Nelkenöl-Präparaten ist kaum etwas von diesem Vorgang zu sehen. Das umgebende Cytoplasma 1) Theil II, p. 199. Ueber den Theilungsvorgang des Zellkerns etc. 555 dringt hier aber nicht in die Kernhöhle in gleicher Menge wie bei Pflanzen ein. Vielmehr bleibt die Kernhöhle, wenn auch ohne scharfe Abgrenzung, dauernd unterscheidbar; das Cytoplasma bildet nur ein lockeres Gerüst in derselben. Aus diesem eingedrungenen Cytoplasma entstehen die Spindelfasern. Daran ist wohl, im Hin- blick auf die Vorgänge im Pflanzenreich, nicht zu zweifeln, wenn auch hier, wegen der geringen Mengen des eindringenden Cyto- plasma, der entsprechende Nachweis nicht zu führen ist. Auf Stadien, wie diejenigen unserer Figur 190, sind die Spindelfasern schon ausgebildet. Man sieht auch das von Flemming geschilderte Polkörperchen und kann wohl auch mit Flemming constatiren, dass die Spindelfasern auf die Umbiegungsstellen der Schleifen treffen. (Vergl. hierzu auch das Bild Fig. 3, Taf. III, Theil III bei Flemming.) In niedrigen Zellen sind die Kränze sehr stark von den Polen her abgeflacht, die Windungen der Schleifen fast in derselben Ebene ausgebreitet. Ist eine solche flache Zelle einseitig in Riehtung der Aequatorialebene gestreckt, so wird der Kranz entsprechend ge- dehnt. Die Elemente desselben sind aus dem schmalen Theile gegen die Brennpunkte des elliptischen Querschnittes verdrängt. Der freie Raum im Innern des Kranzes wird enger, kann auch ganz schwinden durch das Zusammenrücken der, in Richtung des engsten Durchmessers der Zelle gelegenen Schleifen; die letzteren, oder einzelne Schenkel derselben werden aufwärts gerichtet und er- scheinen in der Verkürzung (Fig. 192). In solchen Fällen ist auch nicht selten zu beobachten, dass die Trennung, der in Richtung des kleinsten Durchmessers gelegenen, äusseren Umbiegung der Schleifen zuletzt erfolgt, so in dem von Flemming Fig. 11, Taf. XVII (Theil I) dargestellten Falle. Flemming hat solche Polaran- sichten abgeflachter und gestreckter Kränze stets für Aequatorial- ansichten gehalten. Das Bild wird dann als diastolitischer Stern der Seitenansicht gegenübergestellt und letztere als systolitischer Stern bezeichnet. In der eitirten Figur 11 (Taf. XVII I. ce.) soll bereits eine dicentrische Gruppirung schon jetzt in der Sternfigur walten und die peripherischen Strahlenenden sich nach den Theilungspolen legen). Es ist das die Verschiebung der Schleifen nach den beiden Brennpunkten der Ellipse, der ich bereits er- wähnte. 2 % 1) Theil I, p. 378. 556 Eduard Strasburger: In dem Stadium der Kranzform pflegt man vornehmlich der Zusammensetzung der Fäden aus zwei Längsreihen von Nucleo- Mikrosomen zu begegnen. Ich habe dieses Verhalten in Fig. 192 darzustellen gesucht. Die Fadenstücke erscheinen dann flach und breit. Die Mikrosomen sind allein tingirt und beide Längsreihen deutlich von einander durch farbloses Nucleo-Hyaloplasma getrennt. Instructiv sind die Scheitelansichten derjenigen Schlauchenden, die aufwärts gerichtet sind (Fig. 192 rechts). Man sieht die beiden obersten Mikrosomen als stark lichtbrechende Kügelchen. Flem- mingt) hält diese „Längsspaltung“ für ein constantes Phänomen der Kerntheilung; da er sie aber in Hodenzellen nicht finden konnte, so stellt er die zwei Möglichkeiten auf: „entweder, die Fadenspaltung kommt überhaupt nicht bei allen Zellenarten vor, oder sie ist bei Objeeten, wie den Hodenzellen, ein wenig augen- fälliger und sehr rasch vorübergehender Process, dergestalt, dass die Fadenhälften sich kaum von einander entfernen und im Sta- dium der Kerntonne meist schon wieder mit einander verschmolzen sind“. Flemming?) und Pfitzner sind der Meinung, dass eine Längsspaltung der Fäden, d. h. eine Trennung derselben in zwei entsprechend dünnere, auf diesem Wege wirklich erfolgt. Soweit nun meine Erfahrungen, welche freilich für die definitive Entschei- dung dieser Frage zahlreicher sein müssten, reichen, ist die Zusam- mensetzung der Fäden aus einer doppelten Reihe von Nucleo-Mikro- somen als eine eonstante Erscheinung nicht aufzufassen. Ich finde dieselbe nur in relativ grossen, locker gebauten Kernen, in ab- geflachten Zellen. Es könnte somit sein, dass diese Eigenschaften des Kernes und der Zelle eine Abflachung der Fäden, wie sie thatsächlich vorliegt, veranlassen und dass diese Abflachung des Fadens eine Zweitheilung der Mikrosomen in der Ebene der Ab- flachung nach sich zieht. Thatsächlich trifft man die beiden Mikrosomenreihen am deutlichsten in stark abgeflachten Kränzen aus- geprägt, die Kernfäden hier dem entsprechend bandartig. Durch- aus muss ich aber in Abrede stellen, dass diese T'heilung der Mikrosomen und Abflachung des Fadens zu einer wirklichen Zwei- theilung desselben führe. Wenn Flemming bemerkt‘), dass in 1) Theil II, p. 212. 2) Ebendas. 3). 6 /p.1195. 4) Theil II, p. 212. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 557 den „Aequatorialplatten“ der „Kerntonnen* und den Anfangsphasen der Tochterkerne die Fäden in halber Dicke und doppelter Zahl wie am „diekstrahligen Mutterstern“ gefunden werden, so hängt dies damit zusammen, dass in den auf die Kranzform folgenden Stadien die Kernfäden wieder schmäler werden, ihr Durchschnitt elliptisch bis kreisförmig wird und dass sich die Fadenstücke in der Kranzform in halber Länge theilen und daher ihre Zahl sich verdoppeln muss. Mit !/ıs Zeiss für homogene Immersion kann ich in den anschlies- senden Stadien die zwei Mikrosomenreihen in dem schmäler ge- wordenen Faden noch lange unterscheiden; schliesslich dürften die gegenüberliegenden Mikrosomen wieder mit einander vollständig verschmelzen. Wie bereits bemerkt wurde, treten die Spindelfasern schon in denKränzen auf, sobald die äusseren Schleifen derselben sich öffneten. Jetzt werden die isolirten Schleifen zur Kermplatte angeordnet. Sie haben ihre Umbiegungsstellen der Aequatorialebene zuzuwen- den. Annähernd kommt ihnen diese Lage bereits in der Kranz- form zu, so dass sie nach erfolgter Halbirung leicht in die richtige Stellung gelangen können. Immerhin haben manche Umordnungen noch zu erfolgen, die Schleifen auch wohl die richtige Biegung zu erhalten. Dabei gerathen einzelne, selbst zahlreiche Schleifen öfters aus der Aequatorialebene heraus. In dieser letzten Beziehung er- innern die Bilder an jene des ersten Theilungsschrittes in den Pollenmutterzellen von Fritillaria persica (Fig. 15—19, Taf. XXV). Hier wie dort handelt es sich um getrennte Fadenstücke (dort um Fadenstück-Paare), welche daher auch leicht aus ihrer Bahn gerathen können. Bei Salamandra ist eine Veranlassung zu solchen Abweichungen besonders in stark abgeflachten Zellen gegeben, in welchen die Elemente senkrecht zu der Richtung der Abflachung auseinandergetrieben werden. Die Schleifen können sich so weit trennen, dass sie zwei isolirte Gruppen bilden. Ein solches Bild in äquatorialer Ansicht wird bei- spielsweise durch meine Fig. 197 vorgeführt. Sie ist einem Safranin-Präparat entnommen und daher von den Spindelfasern nichts zu sehen. Dass es sich aber um eine äquatoriale Ansicht des geschilderten Zustandes handelt, zeigt der Vergleich ent- sprechender Bilder an Hämatoxylin-Präparaten (etwa Fig. 195), wo die deutlich sichtbaren Spindelfasern die Orientirung erleich- tern. Daher auch die Bilder bei Flemming, Theil I, Fig. 6, 7 558 Eduard Strasburger: und 8, Taf. VII, nicht polare, sondern äquatoriale Ansichten sind; auch nicht Zustände, welche der Kranzform vorausgehen, vielmehr solche, welche ihr folgen. Flemming giebt an, wie hier die Schleifen in zwei ziemlich gleichen Portionen „nach den Polen zu fast von einander abrücken“!), während die Pole in seiner Figur gerade in entgegengesetzter Richtung lagen, an den Enden der auf diesen Zuständen schon vorhandenen Spindelfasern. Auf die richtige Würdi- sung dieses Entwicklungszustandes hätten Flemming die von ihm gezeichneten kurzen, einfachen Schleifen schon führen sollen. Wie stark die Schleifen auf diesem Entwicklungszustand auseinander getrieben werden können, zeigt meine Fig. 196. Man würde hier fast meinen, die Spindel sei parallel, nicht senkrecht, zu der Kranzform gebildet worden, allein die Art, wie die Elemente ver- theilt sind, hindert an einer solchen Deutung. Manche Schleifen sind jedenfalls unter Druck ganz ausgestreckt worden und laufen als einfacher Faden durch das Bild, eine Erscheinung, die für die Kranzform ganz unerhört wäre. Ueberhaupt war in allen Fällen, wo die Beobachtung sichere Schlüsse zuliess, zu constatiren, dass die Spindelfasern nicht anders als senkrecht zu der Kranzform auftreten und dass die, von den Schleifen der Kranzform, freige- lassenen Enden der Kernhöhle wirklich die späteren Polenden sind. Da eine richtige Darstellung der Aequatorialansicht einer Kernspindel von Salamandra bei Flemming nicht vorliegt, solche Bilder aber für die Vergleichung mit pflanzlichen Kernspindeln. von Wichtigkeit sind, so führe ich hier eine grössere Zahl derselben auf (Fig. 193— 207). Diese Bilder sollen gleichzeitig zeigen, wie ver- breitet der betreffende Entwicklungszustand in den Präparaten ist. Die Figuren sind theils nach Safranin-Nelkenöl-Präparaten, dann ohne Spindelfasern, theils nach einem Hämatoxylin-Präparate, dann mit Spindelfasern, dargestellt. In einer Anzahl dieser Bilder sind nicht alle Schleifen in die Kernplatte eingeordnet (so in Fig. 195— 196); in einer Anzahl anderer ist die Einordnung vollzogen. Die Kern- platte ist durch Druck zweiseitig (Fig. 197, 198, 202, 204, 206), oder auch regelmässig (Fig. 199, 200, 201, 205, 207), entwickelt. In Fig. 203 habe ich endlich auch die Polaransicht einer Kern- platte gegeben. Eine typisch entwickelte Kernspindel zeigt die Schenkel der Schleifen in der Kernplatte stark nach aussen gebogen. Das Bild 1) Theil IL, p. 201. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 559 (Fig. 206) enspricht ziemlich genau demjenigen der Kernspindeln in den Pollenmutterzellen von Lilium candidum (Taf. XXV, Fig. 53). Doch sind bei Salamandra die beiden Schenkel jeder Schleife fast gleich lang und beide meistens emporgehoben. Immerhin sind auch Schleifen mit einem kürzeren Schenkel sehr verbreitet und auch solche, deren einerSchenkel stärker von der Aequatorialebene absteht. Doch selbst auch da, wo beide Schenkel gleich lang und schein- bar gleichmässig gehoben sind, glaube ich, dass zwischen einem polaren und einem äquatorialen Schenkel, so wie bei Pflanzen, unterschieden werden muss. In der Richtung der Spindelaxe langgezogene, sehr schmale Zellen haben wohl auch eine Kern- platte mit stark polwärts gerichteten polaren Schenkeln (Fig. 201), ganz so wie viele pflanzliche Zellen, aufzuweisen. Flemming hat in der Kranzform, (nach erfolgter Halbirung der Fäden, wie ich aus den Figuren entnehme), in drei Fällen je 24 Schleifen gezählt); je zwölf würden darnach einer Kernplattenhälfte angehören, was mit meinen Beobachtungen übereinstimmt. Die Constanz der Zahlen ist dieselbe wie im Pflanzenreich. Die Elemente der Kernplatte treffen wenig genau aufeinander, bilden immerhin Paare. Eine Polaransicht der Kernplatte lehrt, dass die Mitte nicht mehr frei von Elementen ist, nicht anders als bei pflanzlichen Objecten. Die Spindelfasern treten bei Hämatoxylin-Färbung deutlich her- vor. Sie stossen an den Polen scharf zusammen und aus ihren verschmolzenen Enden entsteht das Polkörperchen. Jede Spindel zeigt, an dem mir zur Verfügung stehenden Präparat, ausserdem zwei kleine, doch sehr leicht sichtbare Sonnen. Diese beruhen auf einer radialen, gegen das Polkörperchen gerichteten Stellung der ausstossenden Cytoplasmafäden. Genannte Fäden haben nicht andere Natur als wie die Spindelfasern, nur führen sie grössere Mikrosomen. Fol?) hat dieselbe Ansicht über die Natur der Radien in den Astern der Kernspindel thierischer Eier. Er bezeichnet sie als Protoplasmafäden. So auch Mayzel®) und Flemming‘). In 1) Theil III, p. 52. 2) Recherches sur la Fecondation ete. M&m. de la soc. de phys. et d’hist. nat. de Geneve. Tome XXVI. 1879; an verschiedenen Orten. 3) Gazeta lekarska 1879, Nr. 4. Schwalbe’s Jahresbericht Bd. VII, p- 26; Zool. Anzeiger 1879, p. 280. 4) Theil II, p. 31. 560 Eduard Strasburger: thierischen Eiern kommen noch die Dotterkörner hinzu, die nicht in den Plasmafäden, sondern zwischen denselben liegen. Wie sich nach Analogie mit pflanzlichen Zellkernen wohl schon erwarten liess, wird die „Umlagerung“ der Kernfäden, die das Auseinanderweichen derselben einleitet, anders als wie es Flem- ming schildert, vollzogen. Die Uebereinstimmung mit den Pflanzen ist eine vollständige. Der Vorgang entspricht denjenigen Fällen, wo das polare Ende des einen Schenkels sich umbiegt, während der andere äquatoriale Schenkel sich gerade streckt. Das zeigt für Salamandra unsere Figur 208. Die einzelnen, in der Umbie- gungsbewegung begriffenen Elemente haben die Gestalt eines S oder C, endlich einzelne schon die Form eines umgekehrten f. Es findet somit nicht Abstossung von Schenkelenden, Anziehung von Winkeltheilen, auch nicht ein Auseinanderklappen nach dem Commando: „Winkel nach dem Pol, Schenkel nach dem Aequator,“ sondern eine Eigenbewegung der Kernfäden, welche aus der U-Form durch die S- oder C-Form in die f-Form und schliesslich in die fl-Form übergehen. In Figur 209 ist dieser letzte Zustand an- nähernd erreicht. Flemming rechnet diesen Zustand als Tonne noch zu der Kranz-Sternform und Aequatorialplatte, welche Be- griffe bei ihm ohne Grenzen in einander übergehen und mit grosser Unbestimmtheit in der letzten Publication gehandhabt werden. Weil aber Flemming den Vorgang, der sich bei beginnender Theilung der Kernplatte abspielt, nicht richtig erkannte, so stimmt auch keine seiner Figuren mit der Natur überein. Erst die Abbil- dungen der Kerntonne (etwa Fig. 14, Taf. VII, Theilll), die er giebt, sind richtig. Flemming bemerkte bereits, dass auf diesem letzten Zustande die gegenüberliegenden Elemente der Kernplatte zeit- weilig mit ihren Enden aufeinanderstossen; dies haben wir in zahlreichen Fällen bei Pflanzen beobachtet und auch in Figur 209 zur Darstellung gebracht. Auch auf dem Zustande der Kernspindel erscheint (an Häma- toxylin-Präparaten) letztere deutlich in einem helleren Raume, der ursprünglichen, von lockeren Plasmafäden durchzogenen Kernhöhle gelegen (Fig. 195). In dem letzten Theile seiner Beiträge zur „Kenntniss der Zelle und ihrer Lebenserscheinungen“ hat Flemming auch die Theilung der Eizellen von Toxopneustes geschildert!). Dabei fand 1) Theil II, p. 21. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 561 er Alles wie bei Salamandra. Sicher durfte es nun auf Grund seiner Untersuchung sein, dass die Kernplatte in den Eiern von Toxo- pneustes auch doppelt zusammengesetzt ist und aus schleifen- förmigen Elementen besteht. Auch möchte man aus den Abbil- dungen schliessen, dass die der Kernspindel vorausgehenden Sta- dien so wie bei Salamandra verlaufen. Ueber den Ursprung der Spindelfasern scheint Flemming nichts ermittelt zu haben. Ich zweifle, so wie die Sachen jetzt stehen, nicht daran, dass eine An- gabe von Bobretzky, so wie eine ältere Deutung von Fol?), unge- achtet er dieselbe später selbst aufgab, richtig waren, dass nämlich auch in thierischen Eiern die Spindelfasern dem angrenzenden Cyto- plasma entstammen. — Sehr eigenthümlich, wenn auch nach dem Gesagten nieht unmöglich, klingt die Angabe von E. L. Mark?), dass im befruchteten Ei von Limax campestris eine nur aus Spindel- fasern bestehende Spindel mit Sonnen an den Polen sich bilde und hierauf erst die fadenförmig differenzirte Substanz des nebenan gelegenen, aus der Verschmelzung von Eikern und Spermakern ent- standenen Keimkerns (Furchungskerns) in dieselbe eindringe, um die Kernplatte zu bilden. Der Vorgang wird durch die Figuren S6—89 bei Mark Taf. V, illustrirt. Hier unterbrechen wir wieder unsere Schilderung der Kern- theilung bei thierischen Zellen, um zu den pflanzlichen Objecten zurückzukehren. Sobald die einzelnen Kernfäden die entsprechende Umbiegung erfahren haben, beginnen beide Kernplattenhälften sich von ein- ander zu entfernen. Sie gleiten den Spindelfasern entlang, während letztere an Ort und Stelle verbleiben. Diese Bewegung längs der Spindelfasern bringt es auch mit sich, dass die Anordnung der Elemente in jeder Plattenhälfte eine relativ sehr regelmässige ist. Die Kernfäden stehen, je nach Umständen, fast parallel zu einander, oder convergiren gleich an der Polseite. Die beiden Schenkel des N oder des f werden oft sehr nah an einander gebracht, die Um- biegungsstelle wird eine scharfe. Während des Auseinander- 1) Archiv f. mikr. Anat. Bd. XIII, 1877, p. 95. 2) Mem. de la soc. de phys. et d’hist. nat. de Geneve. Tom XXVI, 1879, p. 183. Comptes rend. de l’Acad. d. sc. 1876, p. 667 und Archives de zool. exp. T. V. 1876. Sep.-Abdr. p. 8. 3) Bull. of the Mus. of comp. Zool. at Harvard College, Cambridge Vol. VI, Part II, 1881, p. 228. 562 Eduard Strasburger: weichens treten öfters, bis dahin uns schwer erkennbare Spindel- fasern an den Polseiten der Anlage deutlicher hervor; sie mögen jetzt verstärkt worden sein. — Nicht alle Elemente brauchen völlig gleiehzeitig sieh von einander zu trennen, manche bleiben zurück. Die Verzögerung trifft stets Elementpaare (Fig. 30, Taf. XXV und viele andere); diese bleiben länger mit ihren . äquatorialen Enden vereint, als wenn es ihnen schwer fiele, an der Berührungs- stelle die Trennung zu vollziehen. Es mag hier eben während des gegenseitigen Aufrichtens eine theilweise Verschmelzung ein- getreten sein. Solche zurückbleibenden Paare erweckten früher in mir die Vorstellung, als würden öfters beim Auseinanderweichen mittlere Theile der Kernplattenelemente gestreckt und hierauf erst beiderseits in die Anlagen eingezogen. Die definitive Entfernung der beiden Anlagen ist im Allgemeinen erreicht, wenn dieselben bis an die früheren Spindelpole gelangten. Hier neigen die Ele- mente mit ihren Polenden zusammen, oft auch legen sie sich ihrer ganzen Länge nach, fast bis zur Berührung, an einander. Bei relativ langen Elementen beginnt auch wohl der kürzere Schenkel sich an der Polseite in Falten zu legen (Fig. 94, Taf. XXV]). In den häufigsten Fällen, denjenigen nämlich, wo die Elemente an der Polseite zusammenneigten, folgt bald eine Krümmung der Elemente von der Aequatorialseite (Fig. 39, 50 Taf. XXV und viele andere). Die ganze Kernanlage erscheint jetzt abgerundet, eine relativ starke Contraction der Figur ist in den meisten Fällen eingetreten. Bei mangelhafter Färbung oder Fixirung erscheint es, als wenn alle Elemente der Anlage mit einander verschmelzen möchten. Thatsächlich ist dies jedoch nicht der Fall. Vielmehr legen sich nur die Enden der Kernfäden aneinander um sich zu vereinigen (Fig. 50 Taf. XXV, 117 Taf. XXVI, 137, 157 Taf. XXVU u. A.). Hierdurch wird es begreiflich, wozu die N- oder £-Krümmung der auseinanderweichenden Elemente nützt; es wird ein leichteres Zu- sammentreffen der Enden der Fadenstücke hierdurch erreicht. Frei- lieh wäre hierzu eine Aenderung der Biegung bei beginnender Trennung nicht nöthig gewesen; die aufrechten U oder J hätten dasselbe wie die umgekehrten leisten können, wenn dann nur die Ver- schmelzung der Fadenenden von der Polseite erfolgte; doch ist es klar, um wie viel leichter Störungen und Stauungen in der Bewegung würden eintreten können, wenn die fortschreitenden Elemente ihre Schenkel, statt ihrer Umbiegungsstellen, voran Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 563 führen würden. Auch das so häufig zu beobachtende Aneinander- drücken der beiden Schenkel der Schleifen während des Ausein- anderrückens wird als eine die fortschreitende Bewegung erleich- ternde Einrichtung aufzufassen sein. Wo die Elemente der An- lagen sich gleich anfangs mehr oder weniger parallel nebeneinander lagerten, ist der Vorgang nicht anders (Fig. 145, 146 Taf. XXV]). Wo die Scehlängelung der Fadenenden an der Polseite begann, pflanzt sie sich bis zur Aequatorialseite fort (Fig. 94 Taf. XXVI u. ff.); die sich nach dem Kerninnern krümmenden äquatorialen Enden der Fäden kommen so auch mit den ihnen vom Pol her entgegen strebenden in Contact und in Verschmelzung (Fig. 96 Taf. XXV]). So werden bei pflanzlichen Objeeten alsbald die einzelnen Fadenstücke der Anlagen zu einem einzigen Kernfaden wieder vereinigt. Auf dem Stadium dieser Verschmelzung bildet sich auch die Kernwandung aus, indem das umgebende Cytoplasma sich durch eine Hautschieht gegen die Kernfäden abgrenzt. Es geschieht das auf den Stadien relativ stärkster Contraction der Kernfigur. Jetzt beginnen die Windungen des Fadens auseinanderzuweichen. Es tritt Kernsaft zwischen den Windungen auf; eine Kernhöhle wird in dieser Weise ausgebildet und rasch vergrössert. Das nahe Zusammentreten der Kernelemente hatte zum Resultat, dass alles Cytoplasma, welches sich zwischen denselben befand, auswandern musste. In der sich bildenden Kernhöhle ist nur wässerige Flüssig- keit vorhanden. Aenderungen des inneren Gefüges fangen an den Kernfäden meist schon sichtbar zu werden an, bevor eine Verschmelzung der- selben beginnt. Zuvor scheinbar homogen oder doch nur die Ab- wechselung dichterer und minder dichter Scheiben verrathend, fangen die Kernfäden an, feinkörnig zu werden. Manche derselben zeigen, während sie noch homogen erscheinen, Einschnürungen, die ihnen das Aussehen von Perlenschnüren geben (Fig. 36, 50 Taf. XXV). Mit dem Feinkörnigwerden schwindet ihr glatter Contour. Um diese Zeit, oder schon früher, pflegen sie mit ihren Enden zu ver- schmelzen und werden von dem umgebenden Cytoplasma abge- grenzt. Hierauf bekommen sie dieses drahtfederähnliche Aussehen, das wir schon von den Mutterkernen her kennen und spinnen sich nun zu grösserer Länge aus. Der Kernumfang nimmt gleichzeitig zu, doch in noch grösserem Maasse die Länge der Fadenwindungen, 564 Eduard Strasburger: welche sich vielfach schlängeln, in einander und durch einander greifen und schliesslich dem Tochterkerne ein scheinbar netz- förmiges Gefüge verleihen. — Während dem findet, von speeiellen Fällen abgesehen, eine Ernährung des Zellkernes aus der Um- gebung statt. Ueber die Natur dieser Ernährung weiss ich noch nichts Bestimmtes zu sagen. In der Verschmelzung ihrer Fäden zu einem einzigen, dem Feinkörnigwerden der Fadensubstanz, ihrem Ausspinnen in die Länge, machen die Tochterkerne in der That die rückläufige Ent- wickelung des Mutterkernes durch. Hierin habe ich meine älteren Angaben, als auf unzureichender Induetion beruhend, zu verbessern. Die rückläufige Entwicklung betrifft aber nur die Verschmelzung der Fadenenden, die Differenzirung in der Substanz des Fadens und dessen Verlängerung, nicht aber die im Flemming’schen Schema verlangte Gruppirung der Elemente, entsprechend den Gruppirungen im Mutterkern. Von den eben angeführten Differen- zirungen in der Substanz des Fadens hat Flemming nichts ge- sehen, und so lange ich dieselben nicht kannte, war ich gegen die Flemming’sche Behauptung einer rückläufigen Entwicklung, welche verlangte: „Allmähliche Wiederordnung der Schleifen in je einer Tochterfigur nach dem Typus, Winkel nach dem Centrum, freie Enden nach der Peripherie; Längsverschmelzung von je zwei Fäden (mit Fragezeichen); Sternform; die Fäden nehmen geschlän- geltere Lagen an; oft Kranzform; Unterbrechungen des Gewindes werden immer weniger und undeutlicher sichtbar (Verschmelzungen von Fadenenden, mit Fragezeichen); Knäuel, der sich allmählich verdichtet, Unterbrechungen des Fadengewindes sind nicht mehr deutlich; Wiedervermischung des Chromatins und Achromatins; Ge- rüst (Ruhe)!).“ Auf dieses Schema konnte ich selbstverständlich nicht eingehen. Flemming wollte es auf das ganze Thier- und Pflanzenreich ausdehnen. Wie wenig es aber: sowohl progressiv für den Mutterkern, als auch regressiv für den Tochterkern, passt, hat wohl meine jetzige Arbeit zur Genüge gezeigt. Fragen wir aber, ob nicht doch, abgesehen von dem Flemming’schen Schema, sich ein regressiver Fortgang in der Entwicklung der Tochterkerne hinsichtlich der Gruppirung der Elemente zu erkennen giebt und ob nicht etwa nach der Aenderung der progressiven Anordnungen 1) Theil II, p. 227. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 565 im Mutterkern sich die regressiven Anordnungen im Tochterkern verändern — so kann auch jetzt die Antwort nur negativ aus- fallen. Die regressive Differenzirung der Tochterkerne ist in dem ersten, wie in dem zweiten Zellenpaare der Mutterzellen von Fritil- laria persiea gleich (vgl. Fig. 30 und 51, Taf. XXV), ungeachtet die progressive Differenzirung im ersten Zellkern einerseits, in dessen beiden Nachkommen andrerseits, so ganz verschiedene Bilder gewährt. In manchen Fällen mag eine ausgeprägte Schlängelung des bereits verdiekten Kernfadens im Mutterkern, als mit relativem Substanzreich- thum des Kerns zusammenhängend, in den Tochterkernen gleich nach Verschmelzung der Fäden in einer entsprechenden Sehlängelung dieser ihren Ausdruck finden, doch weiter erstreckt sich die Ana- logie nieht. Als stets wiederkehrend und bleibend, wiederholt sieh nur die schon angeführte Verschmelzung der Fäden, ihr Feinkörnig- werden, Verlängerung und Verdünnung derselben, verbunden mit Schlängelung. Die zwischen den Tochterkernanlagen zurückbleibenden Spindelfasern bilden die Verbindungsfäden, die bei den höher organi- sirten Pflanzen dureh Hinzutritt neuer, aus eindringendem Cytoplasma gebildeter, vermehrt werden und in deren Aequatorialebene hierauf die Zellplatte auftritt. Die Entstehung der letzteren habe ich erst neuerdings wieder geschildert!) und verweise daher auf diese Schilde- rung. Bemerkt sei nur, dass die Zellplatte von Cyto-Mikrosomen gebildet wird, welche, in den Verbindungsfäden geführt, sich in halber Länge derselben sammeln und hier zu grösseren Zellplatten- elementen verschmelzen. Die Verbindungsfäden spielen diesen Zellplattenelementen gegenüber dieselbe Rolle, die sie den Kern- plattenelementen gegenüber zu erfüllen hatten: sie wirken riehtend auf sie ein und halten sie in einer bestimmten Lage. Daher wir solehe Verbindungsfäden, mit grösserer oder geringerer Deutlichkeit, überall auftreten sehen, wo eine Zellplatte gebildet werden soll. So aueh in dem protoplasmatischen Wandbelege des Embryosackes, wenn die definitiven Scheidewände auftreten. Hier (und an manchen anderen Orten) werden die Verbindungsfäden aber, den gegebenen Bedingungen gemäss, ohne Vermittlung der Spindelfasern, ganz frei in dem Cytoplasma erzeugt. Dass solche frei erzeugte Ver- bindungsfäden sowohl, als auch diejenigen, die nachträglich zwischen die zurückbleibenden Spindelfasern eingeschaltet werden, sich von 1) Ueber den Bau und das Wachsthum der Zellhäute 1882, p. 172. Archiv f. mikrosk, Anatomie, Bd, 21. 37 566 Eduard Strasburger: letzteren in keiner Weise unterscheiden, habe ich wiederholt schon hervorgehoben. Hierin liegt aber, wenn eine solehe nöthig wäre, noch eine weitere Stütze dafür, dass auch die Spindelfasern dem Cytoplasma angehören. Die Cellulose-Membran geht aus den Elementen der Zellplatte und den sie trennenden Cyto-Hyaloplasmatheilen hervor, wie ich denn neuerdings zu zeigen suchte, dass auch alle Bildung der Ver- diekungsschichten an pflanzlichen Zellhäuten nicht auf Ausscheidung von Cellulose, sondern auf Umwandlung entsprechender, mit Mikro- somen beladener Cytohyaloplasma-Schichten beruhe. Ich denke mir die Cellulose, ein Kohlehydrat, durch chemische Spaltung aus diesen Eiweisskörpern entstanden. Von letzterer Umschreibung abgesehen, stimmt diese meine Auffassung mit einer zuvor schon von Fr. Schmitz aufgestellten Behauptung überein: dass „die pflanzliche Zellmembran“ in allen von ihm untersuchten Fällen „zunächst nicht das Product einer Seeretion, sondern dureh einfache Substanz-Metamorphosen des Protoplasma, dureh direete Umwand- lung des letzteren, entstehe !);“ eine Ansicht, die in ähnlicher Form einst auch Pringsheim vertrat ?). Als sehr eigenthümlicher Fall ist mir bei diesen Untersuchun- gen das Verhalten in den Pollenmutterzellen von Hemerocallis fulva entgegengetreten, wo der Zellraum trotz einfacher Zweitheilung des Zellkerns oft in mehr als zwei Theile zerfällt. Es stellte sich heraus, dass hier einzelne Elemente resp. Elementpaare der Kern- platte in der Aequatorialebene der Spindel zurückbleiben, ohne in den Körper der Anlagen eingezogen zu werden und dass solche Elemente durch Zellplatten später abgegrenzt werden und den Ur- sprung einem kleinen Zellkerne in gleichzeitig gebildeter kleiner Nebenzelle geben. (Vgl. hierzu die Figuren 63—65, Taf. XXVL.) Auch dreipolige Kernspindeln in sonst ganz normaler Ent- wicklung hatte ich Gelegenheit zu beobachten und verweise für die- selben auf Figur 180, Taf. XXVIL. — W. A. Martin?) beschreibt und bildet neuerdings auch vierpolige Kernspindeln in einem Falle 1) Sitzungsber. d. niederrh. Gesellsch. für Natur- und Heilkunde zu Bonn 6. Dec. 1880. 2) Untersuchungen über den Bau und die Bildung der Pflanzenzelle 1854, p. 45, 69 u. A. 3) Archiv für path. Anat. u. Phys. u. für kl. Med. Bd. LXXXVI, 1881. Sep.-Abdr. p. 5. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 567 von Brustdrüsenkrebs ab und macht die Existenz selbst sieben- bis achtpoliger Kernspindeln dort wahrscheinlich. Ganz in derselben Weise wie bei Pflanzen, weichen auch die Kernplattenelemente der Thiere nach geschehener Umbiegung, aus einander. Das Flemming'sche Schema dieses Vorgangs ist vorhin schon zur Sprache gekommen. Die Toechterkernfiguren von Salamandra werden nach Flemming!) von Fadenschleifen gebildet, deren Schenkel an der Polseite in einander übergehen. Die Figuren haben einen radiären Bau, besonders bei der Ansicht vom Pol, daher die Repetition des Muttersterns. Bei vielen Exem- plaren, doch nieht in allen Fällen, wird die Aehnlichkeit mit letz- terem noch vollkommener, indem ein Theil der Strahlen des Tochter- kerns nach der Polseite hin umklappt. Verschiedene Erscheinungen sollen für die Längsverschmelzung von je zwei Fäden sprechen, so wie es die rückläufige Entwieklung verlangt. Flemming führt einen Fall von Doppelsternen an (vergl. seine Figur 9, Taf. XVII, Theil ID). Eine seitliche Verschmelzung der Elemente findet nicht statt. Auf die Sternform folgt eine Kranzform aber mit gewundenen und geschlungenen Fäden, an denen sich immer weniger Unter- brechungen finden ; die Figur häufig mit freier Mitte. Es scheint Flemming?) „diese Umformung nicht besser erklärbar, als dureh die Annahme, dass jetzt die peripheren Enden der Schleifen- schenkel in den Tochterkernen mit einander verschmelzen“. Es scheint, dass ganz reine Kranzformen mit freiem Mittelfeld nicht immer vorzukommen brauchen. Es verengert sich darauf die Figur zu einem Knäuel und dessen Windungen lagern sich so dicht, dass sie am lebendem Präparat als „homogener Klumpen impo- niren“. Dann folgen die Figuren mit querer Gitterung und gehen endlich in die unregelmässigeren Gerüste über, die zum Ruhezu- stand zurückleiten. Ich selbst will auf Grund meiner Untersuchungen an Sala- mandra hier nur wenige Bemerkungen hinzufügen. Zunächst an die schon geschilderte Figur 209, Taf. XXVII sei die Figur 210 an- gefügt, welche das Auseinanderweichen der Kernplattenhälften und das von Flemming erwähnte hier relativ starke Umschlagen der peripherisch gelegenen Schleifen gegen die Pole hin zeigt. Die 1) Theil II, p. 214 ft. 2) Theil II, p. 216. 568 Eduard Strasburger: Schenkel der Schleifen können von gleicher Länge sein, sind es gewöhnlich aber nicht und die Elemente nur f-förmig, d. h. mit einem polaren Haken versehen. In Fig. 211 ist das polare Um- schlagen schwächer, zwei gegenüberliegende Elemente sind zurück- geblieben. Das Bild wurde nach einem Hämatoxylin-Präparat ent- worfen; an der Polseite der Anlagen zeigte sich deutlich je eine kleine von Cytoplasmastrahlen gebildete Sonne. Aehnlich, doch schöner, hatten wir solche Sonnen auch an einem Objecte aus pflanzlichem Gewebe beobachtet und dort auch beschrieben (im Endosperm von Hyaecinthus orientalis Fig. 145). Selbst auf diesem Zustande der Salamandra zeigten die Hämatoxylin-Präparate noch deutlich die ursprüngliche, vielleicht noch vergrösserte, von lockerem Cyto- plasmanetz durchzogene Kernhöhle (Fig. 211); noch innerhalb dieser liegen die Sonnen. Von Verbindungsfäden sind auch an Hämatoxylinpräparaten nur Andeutungen vorhanden. Fig. 212 ist wie 210 nach einem Safranin-Nelkenöl-Präparat entworfen. Alles Bilder, die sehr nahe mit pflanzlichen übereinstimmen. Eine Längs- spaltung der Fäden findet nicht statt; den Fall eines „Doppel- sternes“, der Flemming vorlag, habe ich ganz ähnlich beobachten können. Die Kernfäden waren hier eben dauernd flach geblieben, vom Kranzstadium des Mutterkerns an, und dem entsprechend war die Verschmelzung der beiden Mikrosomenreihen nicht wieder er- folgt. Unter den von mir abgebildeten Kernspindeln von Sala- mandra befindet sich eine (Fig. 200), die ebenfalls sehr deutliche Doppelfäden aufzuweisen hatte. Auf dem starken Contraetions- stadium der Figur, von welchem Flemming berichtet, erhält die Kernanlage ihre hier stets sehr zarte Wandung: eine Hautschicht des umgebenden Cytoplasma. Die Fäden weichen bald wieder auseinander. Sie werden feinkörnig und zeigen nun dasselbe Aus- sehen, das wir für Pflanzenzellen geschildert: denselben unbe- stimmten Contour, denselben scheinbar drahtfederartigen Bau (Fig. 213), hierauf dieselbe Art der Verlängerung. Die Verschmel- zung der Fadenenden erfolgt bei Salamandra sehr spät, erst auf diesen Stadien. Das würde zu der regressiven Entwicklung stim- men, weil im Mutterkern der Faden sich frühzeitig in Stücke trennte. Doch in dem Mutterkern der Pollenmutterzellen von Fri- tillaria persica erfolgt die Segmentirung eben so frühzeitig und doch die Verschmelzung der Fadenenden in den Tochterkernen so- fort mit Beginn deren Entwicklung. Sie findet in denselben zu Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 569 der nämlichen Zeit statt wie in den Enkelkernen, ungeachtet die Tochterkernfiguren sich relativ sehr spät segmentiren. Die Untersuchungen von Flemming bei Toxopneustes haben im Anschluss an ältere Angaben gezeigt, dass die auseinander- weichenden Kernplattenelemente annähernd parallel liegen. In Hinblick auf das Salamandra-Schema mussten es Fadenschleifen mit polaren Umbiegungen sein; doch nur einzelne Umbiegungs- schleifen liessen sich am Polarrande der Figur erkennen. Nach erfolgter Auseinanderrückung findet man schliesslich nur grad- linige Stäbehen. Diese brachten Flemming in Verlegenheit, bis dass sich ihm „ein neuer und unerwarteter Schlüssel für das Verständniss ergab“!). Die Elemente in den Tochterkernen er- scheinen ihm auffallend kurz im Vergleich mit den Fäden in der Aequatorialplatte des Mutterkerns und glaubt er daher annehmen zu müssen, dass während des Auseinanderrückens der Tochter- kernfiguren die Schleifen derselben sich an den Knickungsstellen trennen, so dass aus jeder zwei gerade Fäden werden. — Nach den Erfahrungen, die ich an zahlreichen Objeeten zu sammeln jetzt Gelegenheit hatte, halte ich hingegen diese von Flemming angenommene Segmentirung der Schleifen für unwahrscheinlich. Die Schleifen der Kernplatte von Toxopneustes haben sich eben während des Auseinanderweichens zu geraden, mit nur kurzen Haken versehenen Stäbchen gestreckt, wie wir solche so häufig bei Pflanzen (etwa bei dem zweiten Theilungsschritt der Pollenmutter- zellen von Fritillaria persica, oder in den Staubfädenhaaren von Tradescantia) gefunden. Die wichtigsten Resultate meiner Untersuchung lassen sich in kurzen Worten zusammenfassen. Im ruhenden Zellkern ist, so möchte ich annehmen, nur ein einziger sehr langer Faden aus Nucleoplasma vorhanden. Dieser Faden bildet in welligem Verlauf einen hin und her gewundenen, mehr oder weniger dichten Knäuel. Dieser Knäuel liegt in einer mit wässerigem Kernsaft erfüllten Kernbhöhle. Die Kernhöhle wird durch die Kernwandung abgeschlossen, welche eine Hautschicht des umgebenden Cytoplasma ist. 1) Theil III, p. 27. 570 Eduard Strasburger: Der Kernfaden besteht aus Nucleo-Hyaloplasma und diesem eingebetteten Nucleo-Mikrosomen. Zu letzteren gehören auch die Nucleolen, die je nach ihrer Grösse noch im Faden liegen oder seitlich demselben anhängen. Die erste Veränderung in den sich zur Theilung vorbe- reitenden Kernen ist eine Contraction des Fadens, die mit einem drahtfederartigen oder ziekzaekförmigen Einrollen verbunden ist. Der Faden wird kürzer und dicker. Die durch die Contrac- tion aneinandergebrachten Mikrosomen verschmelzen miteinander und der Faden besteht schliesslich aus abwechselnd dichteren und weniger diehten Scheiben, die aus Mikrosomensubstanz und Hyaloplasma bestehen. Der Faden hat meist noch wellenförmigen Verlauf. Die Nucleolen vertheilen sich früher oder später in der Sub- stanz des Fadens und sind dann als solche nicht mehr zu unter- scheiden. Der Faden kann sich weiterhin verschieden verhalten. Ent- weder er segmentirt sich jetzt gleich in einzelne Stücke und zwar in eine fast constaute Zahl derselben, oder diese Segmentirung erfolgt erst auf späteren Stadien. Im ersteren Falle hängen die getrennten Fadenstücke mit irgend einer Stelle der Kernwandung an. Sie legen sich entweder jedes seiner Länge nach zusammen und bleiben ziemlich gleich- mässig an der Kernwandung vertheilt (Pollenmutterzellen von Fritillaria persica, erster Theilungsschritt) oder sie legen sich in Doppelschleifen, die zu einem Kranze in der Kernhöhle an- geordnet erscheinen (Salamandra). Bei Fritillaria wie bei Salamandra wird hierauf die Kern- wandung aufgegeben und das Cytoplasma wandert in die Kern- höhle ein. Bei Fritillaria vollständiger als bei Salamandra. Bei Fritillaria werden die Kernfäden durch das eindringende Plasma nach der Kernmitte zusammengedrängt. In beiden Fällen gehen Spindelfasern aus dem eingedrungenen Cytoplasma hervor. Die zusammengelegten Fäden werden bei Fritillaria unter dem richtenden Einfluss der Spindelfasern in die Aequatorialebene ein- geordnet, sie bilden die Kernplatte. Jede Hälfte des Fadens fällt einer Seite der Kernplatte zu; der Zusammenhang an der Um- biegungsstelle wird in jedem Fadenstück aufgegeben. Bei Sala- mandra öffnen sich die nach aussen hin gelegenen Umbiegungs- Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 571 stellen der Schleifen, wodurch jedes Fadenstück in zwei Hälften zerfällt. Letztere haben die Gestalt einfacher Schleifen, oder nehmen sie bald an und werden ebenfalls unter Vermittlung der Spindel- fasern der Kernplatte eingeordnet; je eine Fadenhälfte kommt der einen, je eine andere der anderen Kernplattenhälfte zu. In derjenigen Kategorie von Fällen, in welchen eine Seg- mentirung erst später erfolgt, geht die Anordnung der Elemente zur Bildung der Kernplatte dieser Segmentirung voraus. Verschiedene Modificationen sind hier möglich: Streekung der Windungen des Kernfadens gleich in der Richtung der späteren Kernspindel; oder erst schräg, dann in die Länge; oder erst quer, dann in die Länge; endlich kommt es auch vor, dass in der queren Anordnung die Windungen eine einseitige Segmentirung erfahren und die Schenkel jeder Schleife sich nach den beiden Polen richten. Bei longitudinaler Anordnung der Windungen, mag sie nun in der einen oder anderen Art erzielt worden sein, bleibt eine äquatoriale Falte im Faden oder sie wird ausgebildet; hierauf erfolgt eine Trennung an den Umbiegungsstellen der Schleifen, zuerst an den Polen, dann im Aequator; jedes: Paar von Kernplattenelementen ist so durch Halbirung eines Fadenstückes entstanden. Ebenso bei einseitiger Durchbrechung der quer gestellten Windungen. Auch da entsteht je ein Paar von Kernplattenelementen aus den bei- den Hälften eines Fadenstückes, nachdem die Trennung in einer bei der Streekung desselben äquatorial zurückbleibenden Falte sich vollzog. Die Spindelfasern treten auf, nachdem sich die pol- wärts gerichteten Schleifen geöffnet haben, im letzten Falle nach- dem die Schenkel die polare Richtung angenommen. Sehr oft sind die Spindelfasern nur schwer nachzuweisen. Wie mannigfaltig somit im Einzelnen die Vorgänge auch sein mögen, sie führen zuletzt zur Halbirung getrennter Fadenstücke, deren beide Hälften auf die beiden Seiten der Kernplatten ver- theilt werden. Daher stets die gleiche Anzahl von Elementen in jeder Kernplattenhältte. Die Anzahl von Elementpaaren ist auch für eine Species fast constant, verändert sich aber von Species zu Species, kann übri- gens auch bei verwandten Pflanzen annähernd constant sich halten. Die Kernplattenelemente können sehr kurz sein, flach an- einanderliegen und das Aussehen von Körnern haben, oder sie sind 572 Eduard Strasburger: J-förmig oder U-förmig gestaltet. Es muss an denselben in Hin- sicht der Lage und des späteren Verhaltens ein polarer und ein äquatorialer Schenkel unterschieden werden. Die Spindelfasern bestehen aus Cytoplasma, sie treten um so deutlicher hervor, je kürzer die Kernplattenelemente. Diejenigen’ Spindelfasern, an welche Kernplattenelemente anschliessen, sind kräftiger, oft scheinbar allein entwickelt. Die Spindelfasern treffen mehr oder weniger scharf an den Spindelpolen zusammen. Wo sie auf einander scharf treffen und mit einander verschmelzen, lässt sich bei Pflanzen ein Polkörper- chen, doch ohne scharfe Abgrenzung gegen die Spindelfasern, unter- scheiden. Bei Thieren sind die Polkörperchen deutlicher abgesetzt. Es lassen sich an thierischen Eiern, (doch hin und wieder auch in Zellen älterer Gewebe), an den Spindelpolen „Astern“ oder „Sonnen“ unterscheiden, welche von radial um den Pol angeord- neten Cytoplasmafäden herrühren. Diese Fäden unterscheiden sich von den Spindelfasern nur dadurch, dass sie grössere Mikro- somen führen. Die Trennung der beiden Kernplattenhälften wird durch eine Umbiegung (Andersbiegung) der Kernplattenelemente eingeleitet. Aus der J- oder U-förmigen Gestalt, gehen sie, durch C- oder S-förmige, in eine im Allgemeinen f- oder N-förmige über. Die Umbiegung erfolgt direct, indem sich das polare Ende krümmt, während das äquatoriale sich gerade streckt; oder es schreitet die Umbiegung bei sehr langen Kernfäden an denselben entlang nach dem Pol zu fort, so dass In -Gestalten den Uebergang vermitteln. Während der Umbiegung stellen sich die gegenüberliegenden, zu je einem Paar gehörenden Fäden, mit ihren äquatorialen Enden auf einander. Der Umbiegung folgt das Auseinanderweichen; die umge- bogene Stelle geht voran. Einzelne Paare bleiben aneinander haften; sie trennen sich später und eilen dann nach. Die Elemente folgen in ihrer Bewegung der Richtung der Spindelfasern. Sie werden durch das Hyaloplasma derselben ge- führt, ähnlich wie sonst grössere Körper durch den Hyaloplasma- strom der Zelle. Es genügt in der That, dass solche Körper ein- seitig in den Hyaloplasmastrom tauchen, um transportirt zu werden!). 1) Studien über das Protoplasma. Jen. Zeitschr, Bd. X(III). 1876, p. 424, Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 573 Gegen die Pole der Spindel angelangt, nähern sich die Elemente, zunächst mit ihren polaren Enden; dann folgt eine Ein- biegung an der äquatorialen Seite und, bei den bisher untersuchten Pflanzen, auch gleich eine Verschmelzung der getrennten Faden- stücke mit ihren Enden zu einem einzigen Faden. Eine Contraetion der ganzen Figur findet gleichzeitig statt und während dieser die Bildung einer Kernwandung vom umgebenden Cytoplasma aus. Die Windungen des Fadens beginnen hierauf auseinanderzu- weichen; es tritt Kernsaft zwischen denselben auf. Die Substanz des Fadens wird gleichzeitig feinkörnig und beginnt sich der Faden auch wieder in die Länge zu ziehen, zahl- reiche in einander greifende Windungen bildend. Die Kernkörper- chensubstanz sammelt sich an den Fadenwindungen auf und tritt aus denselben seitlich hervor, sobald sie ein zu grosses Volumen gewonnen hat. Doch hängen die Nucleolen immer einem Faden an. Bei Salamandra erfolgt die Verschmelzung der Fadenenden erst auf einem relativ späten Entwicklungszustande, nachdem die Fadenstücke sich bedeutend verkürzt und wellenförmigen Ver- lauf angenommen haben. Die Zahl der Windungen des an Länge zunehmenden und aus der Umgebung .ernährten Kernfadens wird schliesslich so gross, deren Feinheit so bedeutend, dass die scheinbar netzförmige Struec- tur des Ruhezustandes entsteht. Die Spindelfasern bleiben ‘als Verbindungsfäden zurück. Bei Thieren wird ihre Zahl nieht vermehrt, sie sind oft kaum nachzuweisen. Bei Pflanzen wird ihre Zahl durch eindringendes und sich entsprechend differenzirendes Cytoplasma vergrössert. Im Aequator dieser Fäden tritt hierauf die aus Mikrosomen gebildete Zellplatte auf, aus der die Cellulosewand hervorgeht. Zum Schluss sei hier noch einmal die Frage erörtert, in welchem Verhältniss die Kerntheilung zu der Zelltheilung stehe. Die Angaben über Kerntheilung durch Abschnürung, welche durch das Stadium der differenzirten Kerntheilung zunächst ein- geschränkt und in Frage gestellt wurden, mehren sich wieder, in Folge neuer Untersuchungen. Es kann somit keinem Zweifel 574 Eduard Strasburger: unterliegen, dass neben der Theilung mit Differenzirung, auch noch ein anderer einfacherer Theilungsmodus der Kerne besteht. Es lässt sich sehr wohl für die Kerntheiluug mit Differenzirung, die Flemming’sche Bezeichnung „indirecte Kerntheilung“ brauchen und dieser die Theilung durch Abschnürung als „directe Kern- theilung“ gegenüberstellen. Durch diese umschreibende Ergänzung werden zwar beide termini verlängert und ihr Gebrauch etwas erschwert, doch wird es ja in den seltensten Fällen nöthig sein, diese ergänzende Bezeichnung hinzuzufügen: ich meine eigentlich nur dann, wenn es gilt, beide Vorgänge einander gegenüberzustellen. Die indireete Kerntheilung wiegt bei weitem vor und verstehe ich daher, wenn ich kurz von Kerntheilung spreche, nur letztere unter diesem Namen. Werde aber stets direete Kerntheilung oder Ab- schnürung respective auch Fragmentation brauchen, wenn von direeten Kerntheilungsvorgängen die Rede ist. Sehr zahlreiche Fälle direeter Kerntheilung hatte ich wieder- um Gelegenheit gehabt bei meiner Untersuchung über Bau und Wachsthum der Zellhäute zu Gesicht zu bekommen. Sie traten mir, wie früher, nur in Zellen entgegen, welche sich nicht mehr theilten. In den meisten Fällen war der Inhalt der sich ein- schnürenden Kerne weniger reich als in den theilungsfähigen Zellen, doch kamen mir auch eingeschnürte Kerne mit reichem Inhalte vor. Dem Schwund des Kerns in der Zelle ging in manchen Fällen eine Fragmentation desselben voraus!). Ich gebe in meinem Membran-Buche auch an, dass sich die Kerne der Tapetenzellen in Antheren und Sporangien fragmentiren?), muss aber diese An- gabe jetzt verbessern. In den Tapetenzellen liegt nämlich wieder dieselbe merkwürdige Erscheinung vor, wie ich sie früher für das Endosperm von Ephedra geschildert). Die Zellkerne theilen sich indireet mit gewöhnlicher Differenzirung; die Verbindungsfäden zwischen den Tochterkernen werden sogar vermehrt und bilden einen tonnenförmigen Körper, aber zur Zelltheilung kommt es nicht, vielmehr schwinden die Verbindungsfäden, die gebildeten Tochterkerne werden einander genähert, berühren sich, flachen sich gegen einander ab, zeigen eine gemeinsame Wandung und sind 1) Ueber den Bau und das Wachsthum der Zellhäute 1882, p. 53, 81. 2) l. c. p. 89 u. a. m. 3) Bot, Zeitung 1880, Sp. 853. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 575 nun täuschend den sich durch Einschnürung theilenden Zellkernen ähnlich. In etwas älteren Antheren und Sporangien, in denen die Theilung der Pollen- resp. Sporen-Mutterzellen schon vollzogen, sieht man nur solche scheinbare Abschnürungsbilder und unge- achtet mancher Verschmelzungsbilder, die mir von früher her bekannt waren, zweifelte ich nicht an deren Echtheit, bis dass mir bei meinen jetzigen Untersuchungen jüngerer Antheren die indireeten Thei- lungsbilder zu Gesicht kamen. Alle Angaben über directe Kern- theilung bei höheren Pflanzen sind somit schr kritisch zu prüfen, dass solche aber eintreffen und in älteren Gewebszellen sehr ver- breitet sind, das haben zahlreiche Untersuchungen, so namentlich diejenigen von Schmitz, Treub, Hegelmaier und Johow er- wiesen. Ein besonders instructiver Fall bleibt der von Schmitz!) entdeckte, von Johow?) neuerdings wieder in eingehender Weise studirte, der Characeen. Auch bei diesen Pflanzen findet in den Vegetationspunkten zunächst indireete Kerntheilung statt. Diese wird von Zelltheilung begleitet. Dann aber vermehren sich die Zellkerne weiterhin durch Abschnürung. Es thun dies nur die Zellkerne der sich streckenden Internodialzellen. Sie nehmen an Länge zu, erfahren die mannigfaltigsten Gestaltsveränderungen, die ich bei Johow l. e. Fig. 34—60 Taf. VI, zu vergleichen bitte. Die Theilung spielt sieh langsam und träge ab, so dass die meisten Zellkerne im Zustande der Theilung anzutreffen sind). Die Dichte dieser Kerne ist die nämliche wie diejenige in den Vegetationspunkten. Ein bei !/ıs Zeiss beobachteter und gezeich- neter, mit Pierinsäure fixirter und mit Hämatoxylin tingirter Kern von Nitella translucens ergab mir das Bild Fig. 214 Taf. XXVII. Im Bau dieses Kerns ist mir ein continuirlicher Faden ebenfalls wahr- scheinlich, die Entscheidung über diesen Punkt ist aber unmög- lich. Es präsentirt sich bei starker Vergrösserung das Bild der Kernsubstanz als die eines sehr feinen Gerüstwerkes, dem die dunkler tingirten Nucleolen eingebettet sind. Diese erscheinen meist in derselben Richtung wie der Kern gestreckt. Eine Längs- streifung, die auf Streckung des feinen Fadengerüstes hätte be- 1) Sitzungsber. d. niederrh. Gesellsch. 4. Aug. 1879. Sep.-Abdr. p. 25. 2) Bot. Zeitung 1881, Sp. 729. Dort auch die Litteratur, sjLic- Sp. 738. 576 Eduard Strasburger: ruhen können, hat Johow in sich einschnürenden Zellkernen hier nicht feststellen können!); ebenso wenig wollte dieses auch mir gelingen. Eine Kernwandung ist um diese Zellkerne nicht zu constatiren, doch mag sie als zarte optisch nicht nachweisbare Hautschicht von Cytoplasma doch vorhanden sein. Nach Analogie wäre dies zu vermuthen; auch sind die Zellkerne thatsächlich stets scharf gegen das umgebende Cytoplasma abgegrenzt. Die Nucleo- len werden durch Theilung und Abgliederung von Stücken ver- mehrt. Die Zellkerne nehmen an Zahl bedeutend zu und müssen daher aus dem umgebenden Cytoplasma, das sie allseitig umgiebt, ernährt werden. In welcher Weise lässt sich auch hier nicht sagen. Die Durchschnürung der Zellkerne giebt mannigfaltige Bilder, neue Durchschnürungen beginnen oft, bevor alte vollendet und verleihen solchen Kernen ein unregelmässig perlschnurförmiges Aussehen. Aus Analogie liegt es wohl nahe anzunehmen, dass bei der Durehsehnürung eine Vereinigung der entstehenden freien Fadenenden in jedem Kermtheil erfolgt. Die Fadenwindungen werden ja bei der Einschnürung nahe an einander gebracht und eine seitliche Verschmelzung der entstandenen freien Enden wird somit leicht erfolgen können. Freilich wird es schwer gelingen hier und in andern ähnlichen Fällen diese Verschmelzung zu con- statiren, da die Einsehnürung vor sich geht, ohne dass eine Ver- diekung des Fadengerüstes zuvor erfolgt wäre. Im Anschluss an die Zellkerne der Characeen unterwarf Johow) auch die sich durch Einschnürung theilenden Zellkerne älterer Phanerogamen-Zellen einer erneuten Untersuchung und fand, dass diese Zellkerne durchaus normalen Bau besitzen können und dass auf die Einschnürung eine Desorganisation nicht zu folgen braucht. Er kommt daher zu dem Resultate, dass ein prin- eipieller Unterschied zwischen „karyokinetischer Theilung*“ und „Fragmentation“ nieht vorhanden ist?). In ähnlichem Sinne hatte sich bereits Schmitz*) ausgesprochen und darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Formen der Kerntheilung „durch eine Reihe von Uebergangsformen so enge unter einander verbunden sind, 1).L ’e. D; 740: 2) 1. c. Sp. 746. 3) l. c. Sp. 750. 4) Sitzungsber. d. niederrh Gesellsch. f. Natur- und Heilkunde 13. Juli 1880, Sep.-Abdr. p. 28. - Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 577 dass sie nicht als durchaus heterogene Vorgänge betrachtet werden können, sondern nur als Modifieationen eines und desselben Vor- ganges.“ Neuerdings hält es auch Flemming!) für wahrscheinlich, dass die Leukoeyten (farblose Blut-, Lymph- und Wanderzellen) ihre Kerne durch direete Kernabsehnürung vermehren. J. Henle?) ist hingegen der Meinung, dass es sich hierbei um Wirkungen der zur Fixirung benutzten Säuren handle, welche die Umwandlung des einfachen Kerns in die mehrfachen bewirke. Andererseits stellt wiederum M. Nussbaum?) die Angaben v. la Valette St. George’s und seine eigenen zusammen, die für direete Kerntheilung bei Bildung der maulbeerförmigen Kerne in den Spermatogonien sprechen. Auch sieht M. Nussbaum eingeschnürte und vielfach getheilte Kerne mit allen Uebergangsstadien in der in Humor aqueus überlebenden Cornea von Salamandra und Rana. Im Ueber- zug der Salamander-Leber sollen ebenfalls alle Stadien der direeten wie der indireeten Theilung anzutreffen sein. Während bei der Einschnürung der Zellkerne in den Inter- nodialzellen der Characeen und den Gewebezellen cormophyter Pflanzen die Zellkerne während der Einschnürung ihren Bau nicht verändern und bestimmte Anordnungen in ihrem Fadengerüst nicht verrathen, müssen solche Anordnungen in den Zellkernen der Pro- tozoen vorliegen, denn diese Zellkerne zeigen sich gestreift und machen oft characteristische Differenzirungsvorgänge durch. Ich weise hier nur auf die Streifung und Differenzirung der Infusorien- kerne hin, wie sie von Bütschli*), R. Hertwig?) und Anderen beschrieben wurden, auch auf ähnliche Streifungen bei Flagellaten ®) und monothalamen Rhizopoden). In zahlreichen andern Fällen fehlen die Angaben über Streifung bei Schilderung der Einschnü- rungsvorgänge ®). 1) Theil III, p. 60. 2) Archiv f. mikr. Anat. Bd. XX, p. 424 ff. 3) Ebendas. Bd. XXI. 1882, p. 341 ff. 4) Senckenberg. naturf. Gesellsch. Bd. X, 1876, p. 115 u. a. 5) Jenaische Zeitschrift Bd. XI, p. 156, 1877, auch Inaugural-Disserta- tion Leipzig 1875. 6) Bütschli, Zeitschr. für wissenschaftl. Zool. Bd. XXX, p. 256. 7) A.Gruber, Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXVI, p. 109. 8) Vergl. die Zusammenstellung in der III. Aufl. meines Zellenbuches p: 304 ff. a I n Eduard Strasburger: Von besonderer Wichtigkeit sind die Angaben von Fr. Sehmitz!) über das Verhalten der Zellkerne in der vielkernigen Valonia-Zelle. In dem oberen, wachsenden Ende der Zelle erfolgt die Theilung der Zellkerne mit sichtbar nachzuweisenden, wenn auch wenig prägnanten Differenzirungsvorgängen; in den älteren Abschnitten der Zelle theilen sich die Kerne durch einfache Ab- schnürung. „Während also in dem oberen Zellende“, schreibt Sehmitz, „der Vorgang der Kerntheilung in der Weise verläuft, dass die Substanz des Mutterkernes unter Auflockerung sich aus- dehnt und dann wieder an zwei getrennten Stellen unter Verdich- tung sich ansammelt, so unterbleibt in den älteren Theilen der Valonia-Zelle die Verdichtung der Kernsubstanz vollständig. Die ausgedehnten und aufgelockerten eylindrischen Zellkerne schnüren sieh einfach in der Mitte dureh und vermehren dadurch ihre Anzahl‘ ?). Die Zellkerne der ebenfalls vielkernigen Codium-Zellen nehmen nach Berthold Spindelform an, mit deutlich sichtbar sich machen- der Streifung, die Pole der Spindel schwellen allmählich an, während die Mitte sich schwach einschnürt. Es entsteht nun rasch die Bisquitform; hierauf die Hantelform mit langem Mittel- stücke. Das Mittelstück verhält sich wie ein ächter Verbindungs- faden, wird nur schwach tingirt und nicht in die Kernanlage ein- gezogen, vielmehr von derselben losgelöst?). Ganz ähnliche Erseheinungen konnte ich in den vielkernigen Zellen der Cladophoren beobachten und verweise hier auf meine Schilderung und die beigefügten Abbildungen *). Neuerdings wurden von Schaarschmidt?) Streifen und Fäden in den sich tbeilenden Chlorophylikörnern von Hartwegia comosa beschrieben. Hierüber theilt mir, auf meine Bitte, Dr. A. F. W. Schimper Nachstehendes mit, das ich mit dessen eigenen Worten folgen lasse: „Die Theilung der Chlorophylikörner von Hartwegia comosa 1) Siphonocladiaceen p. 27 u. ff. 2) 1. c. p. 31 und Sitzungsber. d. niederrh. Gesellsch. 13. Juli 1880, Sep.-Abdr. p. 23. 3) Mitth. aus d. zool. Stat. zu Neapel Bd. II, Heft I, 1880. 4) Zellb. und Zellth. III. Aufl. p. 205, Taf. XIH. Fig. 9—19. 5) A Chlorophyll &sa növenyi Sejtmag Morphologiäjahoz. Kolozsvärt. 1881. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 579 wird nach Mikosch!) durch das Auftreten einer farblosen Platte in der Aequatorialzone des Chlorophylikornes eingeleitet; die Theilung geht in derselben in gewohnter Weise, d. h. dureh Ein- schnürung, vor sich. Schaarschmidt will dagegen in der farb- losen Zone, nach Beginn der Einsehnürung, eine Längsstreifung beobachtet haben. Die Erscheinung ist im frischen Zustande nicht sichtbar, soll aber nach Behandlung mit Osmiumsäure deutlich zum Vorschein kommen; Schaarschmidt will sogar festgestellt haben, dass die Streifen oder Fäden in den gefärbten Theilen des Chloro- phylikornes in kleine Körner endigen. Ich kann die Angaben von Mikosch nur bestätigen. Den von Schaarschmidt be- schriebenen ähnliche Streifen oder Fäden habe ich nur unter Um- ständen beobachtet, welehe es höchst wahrscheinlich machten, dass dieselben erst durch die Präparation entstanden waren. Ich habe übrigens nie mehr als 4 Fäden beobachtet. Dieselben sind an den Chlorophylikörnern unversehrter Zellen stets unsichtbar, wohl aber konnte ich sie an den aufgequollenen Körnern aufgeschnittener Zellen meist mit Leichtigkeit erkennen; bei Behandlung mit Osmium- säure war die Erscheinung ebenfalls nur an bereits gequollenen Körnern sichtbar: dasselbe gilt von der Pikrinsäure, während durch Behandlung mit Alkohol oder Salpetersäure die Fäden häufiger zum Vorschein kamen. Die Erscheinung scheint mir nur auf Vacuolenbildung in der zarten, farblosen Zone zu beruhen. Vaeuo- lenbildung bei der Einwirkung von Wasser oder anderer Flüssig- keiten, sogar solcher, welche sonst die Structur des Plasma nur wenig verändern, ist bei Chlorophyligebilden und ihren Ver- wandten, namentlich den Stärkebildnern, sehr häufig; die farblose Platte der in Theilung begriffenen Chlorophylikörner ist viel weniger resistent als die gefärbten Theile desselben und scheint aus der- selben Substanz wie die Stärkebildner zu bestehen.“ In Theilung begriffene Chlorophylikörner einer Mnium-Art zeigten mir mit Y/ıs Zeiss ein schönes regelmässiges Netzwerk, nicht anders als wie ruhende Zustände. Die Streekung des Korns und Einsehnürung desselben störte in keiner Weise die Anordnung der inneren Maschen. Nach alledem wäre ich nunmehr geneigt, eine andere Auf- 1) Oesterr. bot. Zeitschrift, 1877, p. 41—45, Fig. I—V. 580 Eduard Strasburger: fassung der direeten Kerntheilung, als ich sie mir früher gebildet, hier zu vertreten. Ich möchte die direete Kerntheilung als den ursprünglichen einfachsten Vorgang der Kerntheilung auffassen. Dieser Vorgang hat sich bei den Chlorophylikörnern bisher erhalten. Er tritt uns in gewissem Sinne auch bei der Zelltheilung durch Einschnürung am protoplasmatischen Körper der Zelle entgegen. Somit wären alle aus lebenden Protoplasmen bestehenden Elemente: Zelle, Zellkerne, Chlorophylikörner einer Vermehrung dureh direete Einschnürung fähig. Zwischen direeter und indireeter Kerntheilung wären denn in der That alle Uebergänge denkbar und mögen uns durch die verschiedenen Modifiecationen der Kerntheilung bei niederen Orga- nismen vorgeführt werden. Bei der von Schmitz untersuchten Valonia sind Uebergänge von direeter zu indireeter Kerntheilung innerhalb derselben Zelle zu finden. Die schliessliche Ausbildung der indireeten Kerntheilung, wie sie bei höher organisirten Thieren und Pflanzen vorliegt, beruht vornehmlich auf dem Ineinandergreifen der Zell- und Kerntheilungs- vorgänge. Es dringt Cytoplasma in den Zellkern ein und leitet die Kernfäden in die richtigen Bahnen, führt die Tochterkernelemente an ihre Bestimmungsorte. Bei Thieren schwinden die Spindelfasern hierauf, sie haben: ihre Funetion vollendet; bei höher organisirten Pflanzen vermehren siesich noch, um auch die Elemente der Kernplatte in die richtige Lage zu bringen. Da greifen die Vorgänge der Kern- und Zelltheilung derart in einander, dass eine Zelltheilung ohne vorhergehende Kernthei- lung gar nicht mehr möglich ist. Wohl aber kann in allen Fällen Kerntheilung ohne Zellthei- lung stattfinden, wenn die eingeleiteten Processe nicht zu Ende geführt werden. In den vielkernigen Zellen mit indireeter Kern- theilung bei höher organisirten Pflanzen (den Embryosäcken u. dgl. m.) findet, eine Vermehrung der Verbindungsfäden, meist auch eine Anlage der Zellplatte statt, um alsbald wieder zu schwinden. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 58l Diese Fälle sind von denjenigen typischen Vorgängen, die von Zelltheilung gefolgt werden, abzuleiten. Ein eigenthümlicher abgeleiteter Fall war mir auch in den Sporenmutterzellen von Anthoceros und den Makrosporenmutter- zellen von Isoetes entgegengetreten, wo zwar das Cytoplasma in sewohnter Weise in die Theilung des Zellkerns eingreift, die Ver- bindungsfäden der Tochterkerne aber nicht zur Zelltheilung ver- werthet werden. Für letztere dienen vielmehr Verbindungsfäden aus Cytoplasma zwischen den Theilstücken der Chromatophoren. Neben dem Zellkern liegt hier vorerst nämlich ein protoplas- matischer, stärkeführender, farbloser oder grün gefärbter Körper, den ich daher auch als Chromatophor bezeichne und dieser theilt sich in zwei, dann in vier Stücke, bevor die Theilung des Zell- kerns beginnt. Es bleiben Verbindungsfäden zwischen den aus- einanderweichenden Theilen des Chromatophors zurück und zeigen, dass das umgebende Cytoplasma in die Theilung desselben ebenfalls eingreift, eventuell auch um die Theilungsproducte an ihre Bestim- mungsorte zu führen. Hierauf werden die zurückgebliebenen Ver- bindungsfäden vermehrt und die Zellplatte in gewohnter Weise in ihnen ausgebildet. Es liegt somit in mancher Beziehung ein Verhältniss der Zelltheilung zur Chromatophortheilung, wie sonst zur Kerntheilung vor. Dieser Fall scheint mir sehr instructiv und geeignet, das Verhältniss der Zelltheilung und Kerntheilung bei höheren Pflanzen in das rechte Licht zu stellen, nämlich als das Verhältniss zweier Vorgänge, die an sich verschieden in einander greifen und sich nun in dieser Anpassung auch gegenseitig be- dingen. Bei Anthoceros, Isoötes kann sich somit die Zelltheilung ohne alle Hülfe des Zellkerns abspielen und hängt von der Thei- lung des Chromatophors (eines Chlorophylikörpers, resp. Stärke- bildners) ab. Der Chromatophor theilt sich durch Einschnürung, der Zellkern mit der bei höher organisirten Pflanzen gewohnten Differenzirung !). Soweit meine Erfahrungen bis jetzt reichen, wird bei den höher organisirten Pflanzen eine direete Kerntheilung von Zellthei- lung nie gefolgt; denn es fehlen bei der direkten Kerntheilung die Verbindungsfäden, welche hier die Tochterkernanlagen an die 1) Die nähere Beschreibung und die Abbildungen hierzu, vergl. Zellb. und Zellth. III. Aufl. p. 161, Taf. X. Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 38 552 Eduard Strasburger: richtige Stelle führen und die Stütze für spätere Verbindungfäden und für die Zellplatte abgeben und an welche die Zelltheilung eben angepasst ist. Auch in thierischen Zellen mit indirekter Kerntheilung würden die Tochterkernanlagen ohne Verbindungs- fäden nicht in die richtige Lage gelangen, und somit nicht die Be- dingungen hergestellt werden, unter welchen die Zelle sich zu theilen pflegt. So ist denn bis jetzt an Orten, wo Zelltheilung mit indi- rekter Kerntheilung verknüpft ist, Zelltheilung mit direeter Kern- theilung noch nicht beobachtet worden. Unmöglich ist sie freilich auch dort nicht, denn wir wissen, dass Verbindungsfäden frei in Cytoplasma entstehen können!) und bei niederen Organismen die Tochterkerne, ohne Verbindungsfäden, durch das Cytoplasma in ihre Stellung geleitet werden. Bei typischer Einschnürung zeigt der Kern zunächst keine besonders markirte Anordnung seiner inneren Theile. Mit fort- schreitender Differenzirung beginnt sich eine solche Anordnung sicht- bar zu machen, sie tritt als sogenannte Streifung auf. Auch bei höchster Ausbildung der Kermtheilungsvorgänge finden wir, dass das Cytoplasma in die Kernhöhle erst nach er- folgter Segmentirung des Nucleoplasmafadens eindringt, nachdem zuvor schon die Fadenstücke eine ganz bestimmte Anordnung an- genommen. Diese Segmentirungen und Anordnungen beruhen so- mit auf eigenmächtig im Nucleoplasma sich abspielenden Bewe- gungserscheinungen. Die leitende Rolle des eindringenden Cytoplasma beruht nur auf der Führung der Kernplattenelemente an ihre Bestimmungs- orte. Die Umbiegungen, welche die einzelnen Kernfäden hierbei erfahren, ihr Verhalten bei Vereinigung zu den Tochterkernanlagen, sowie die weiteren Differenzirungen innerhalb derselben, sind selbsteigene Lebensvorgänge am Nucleoplasma. Das Cytoplasma regt aber die Vorgänge zu der indireeten Kerntheilung an. Das beweist nicht nur die gleichzeitige Thei- lung der Zellkerne in vielkernigen Zellen höherer Pflanzen ?), son- 1) In simultan sich theilenden Pollen- und Sporen-Mutterzellen, dem protoplasmatischen Wandbeleg der Embryosäcke u. s. w. Vergl. Zellb. und Zellth. II. Aufl. p. 353 u. a. m. 2) Vergl. hierzu meine „neuen Beobachtungen über Zellb. u. Zellth.“ Bot. Zeitung 25. April 1879, Sp. 267; Treub, Comptes rendus 1. Sept. 1379. Sep.-Abdr. p. 2, Flemming Theil II, 1880, p. 190. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 583 dern auch die häufig festzustellende Ansammlung von Cytoplasma um den Zellkern vor Beginn der Kerntheilung. Diese Ansammlung ist in thierischen Eiern, in den Zellen von Spirogyra beobachtet worden. Ein interessanter Fall kam in dieser Arbeit für Galanthus nivalis hinzu, wo im Wandbeleg des Embryosackes das um den noch ruhenden Zellkern sich an- sammelnde Cytoplasma sich sogar längsstreifig zeigte, entsprechend der späteren Längsaxe der zu bildenden Kernspindel. Dass auch bei niederen, einkernigen Organismen Kern- und Zelltheilung zusammenfallen, mag ebenfalls durch den Einfluss des Cytoplasma auf den Zellkern bedingt sein. Beispiele hierfür sind verschiedentlich angeführt worden: so für Acineten, wo bei Podo- phrya quadripartita die Anlage der Schwärmsprösslinge schon einen Wimperkranz und eigene contractile Vacuole besitzt, be- vor noch ein Fortsatz des mütterlichen Kerns in die Anlage hineinwächst!); so neuerdings für monothalame Rhizopoden, wo oft zweifellos auch die Theilungsvorgänge sich zunächst am „Körper“ sichtbar machen, und hierauf erst der Zellkern in dieselben ein- tritt?). Die Einwirkung des Cytoplasma auf den Zellkern bleibt hier aber eine peripherische, in dem Sinne, dass kein differenzir- tes Cytoplasma in den Zellkern dringt. Ich bleibe somit bei meiner schon früher ausgesprochenen Auffassung, dass der Zellkern die Zelltheilung nicht beherrscht. Ich meine vielmehr, dass in allen denjenigen Fällen, wo Kern- und Zelltheilung zusammenfallen, die Kerntheilung durch das Cytoplasma angeregt wird. Ja, in den Fällen höchster Differen- zirung dringt das Cytoplasma in den Zellkern ein und führt des- sen Theile an ihre Bestimmungsorte, um weiterhin die Zelltheilung zu vollziehen. Dagegen dürfte das Cytoplasma ohne allen Einfluss auf die typischen Vorgänge directer Kerntheilung sein. Auch können sich bei niederen Organismen direete Kern- theilungen mit Streifung der Substanz abspielen, ohne dass ein Eindringen von Protoplasma in den Zellkern anzunehmen wäre. Diese letztere Art der direeten Theilung dürfte aber die Aus- 1) Bütschli, Jenaische Zeitschrift Bd. XI, p. 182; für andere Bei- spiele vergl. Zellb. u. Zellth. III. Aufl. p. 360. 2 Ar Gruber 1’e.ipr 127. 584 Eduard Strasburger: gangspunkte für Ausbildung der indirecten Kerntheilung mit ein- dringendem Cytoplasma abgegeben haben. Möglicherweise ist der einfache Faden, der bei der Theilung der Codium- und Clado- phorakerne ausgestossen wird, schon auf geringe Mengen von ein- sedrungenem Cytoplasma zurückzuführen. Die grosse Uebereinstimmung der Vorgänge indirecter Kern- theilung bei höher organisirten Pflanzen und Thieren, während am Ursprung beider Reiche andere Kerntheilungsvorgänge bestehen, drängt aber immer wieder die Vorstellung auf: es könne nicht die phylogenetische Ausbildung der Kern- und Zelltheilungsvorgänge eine rein zufällige, vielmehr das erreichte Resultat durch die Eigenschaften der Substanz von Anfang an bedingt gewesen sein. Die Erkenntniss, dass die indireete Kerntheilung an die directe anschliesst und von dieser abzuleiten sei, veranlasst mich die Be- zeichnung „Fragmentation“ für die direete Kerntheilung aufzugeben und nur „direete Theilung‘ oder „Theilung durch Einschnürung“ für dieselbe zu brauchen. Die Bezeichnung Fragmentation möchte ich in Zukunft auf diejenigen Fälle beschränkt sehen, wo ein wirklicher, mit Desorganisation vorhandener Zerfall der Zellkerne vorliegt. Solehen Fällen begegnete ich in alten Suspensorien von Orobus und Pisum und auch in dem Wandbeleg der Embryosäcke derselben Pflanzen, wo eine Vielzahl von Kernen durch indirecte Theilung gebildet wird, doch kein Endosperm entsteht, vielmehr diese Kerne, sich nun fragmentirend, derDesorganisation unterliegen. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXV, XXVI u. XXVIl. Fig. 1—51. Fritillaria persica L. Figur 5 und 22 sind 1100 Mal, die andern 800 Mal vergrössert. Nach Alcohol - Safranın - Nelkenöl - Präparaten. Fig. 1-4. Pollenmutterzellen noch im Gewebeverbande, allmähliche Grössen- zunahme ihres Zellleibes und Zellkernes und die fortschreitende Differenzirung des letzteren zeigend. In Fig. 2 sind die Nucleo- len verschwunden und das Netzwerk hat sich in ein Knäuelwerk verwandelt. In Fig. 3 hat die Secretion der später auszustossen- Fig. Fig.10u. 11]. Fig. 12. Fig.15u. 14. Fig. 15—19. Fig. 201.21. Fig. Fig. Fig.24u. 25. Fig.26—28. Fig. 29—32. Fig. 33. Fig.34u.35. [br 1 9, 22. 23. . 40. . 41. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etec. 585 den Substanz begonnen. In Fig. 4 hat diese Substanz Kugelform angenommen. Ein durch Quellung vergrösserter Zellkern desselben Entwick- lungszustandes wie Fig. 4, den Verlauf der Fadenwindungen und den Bau des Fadens besonders deutlich zeigend. 7. Trennung des Fadenknäuels in Fadenstücke und Verkürzung der- selben durch korkzieherförmiges Einrollen. Fertigstellung der relativ kurzen, dicken Fadenabschnitte, an denen eine Abwechselung hellerer und dunklerer Substanzscheiben zu unterscheiden ist. Zusammenklappen der Fadenstücke. Die doppelt zusammengesetzten Fadenstücke auf nachfolgendem Entwicklungszustand; die Kernwandung beginnt sich an einzelnen Stellen zu verlieren und das Cytoplasma in die Kernhöhle ein- zuwandern. Das Secretkügelchen ist noch in ursprünglicher Grösse vorhanden. Eindringen des Cytoplasma in die Kernhöhle und Zusammen- rücken der Kernelemente. Das Secretkügelchen nimmt an Grösse ab. Auseinanderweichen der Kernelemente, das Secretkügelchen wan- dert gegen die Peripherie. Auftreten der Spindelfasern aus Cytoplasma. Einwandern der Kernelemente in die Lage der Kernplatte. Fertige Kernspindeln. Ein stärker vergrössertes, deutlich die doppelte Zusammensetzung zeigendes Elementpaar der Kernplatte. Die Kernplatte in schräger Ansicht. Kernplatten in der Polansicht. Auseinanderweichen beider Kernplattenhälften. Trennung und Umbiegung der Elemente an deren Polenden. Weitere Stadien des Auseinanderweichens. Eine der Tochterkernanlagen von der Polseite. Die Tochterkernelemente an den Polenden der Spindel angelangt, sich seitlich an einander legend. Die Kernelemente perlschnurförmige Einschnürungen zeigend. Anlage der Zellplatte. Einer der Tochterkerne von der Polseite. Die Kernelemente nehmen ein feinpunktirtes Aussehen an. Wei- tere Ausbildung der Zellplatte. Die Kernelemente verschmelzen an ihren Enden mit einander. Weitere Ausbildung der Zellplatte. Ausbildung des fertigen Zustandes. Die Kernfäden beginnen sich von Neuem zusammenzuziehen. Seitenansicht des Kerns. 586 Fig. 42. Fig. 43—45. Fig. 46 u.47. Fig. 55 u.56. Fig. 57. Fig. 58. Eduard Strasburger: Frontansicht des Kerns auf einem der vorhergehenden Figur entsprechenden Entwicklungszustande. Weitere Differenzirungszustände, welche die Spindelbildung vor- bereiten. Rechts äquatoriale, links polare Ansicht der Kernspindel. Auf diesem Stadium treten erst die Spindelfasern auf. Links Kernspindel, rechts Theilung derselben. Die Enkelkern- elemente stabförmig. Enkelkerne schräg von der Polseite; die Zahl und Anordnung der Elemente zeigend. Weitere Differenzirung der Enkelkerne; Verschmelzung der Ele- mente an ihren Enden. . Nächstfolgender Zustand; Ausbildung der Zellplatten. Fig. 52—54. Lilium candidum L. Vergr.: 540 Mal. Essigsäure - Methylgrün - Präparate. Eine Pollenmutterzelle aus dem Gewebeverband. Fadenknäuel in der Kernhöhle, zurückgezogen von der Kernwandung. Secret- körperchen. Kernspindeln des zweiten Theilungsschrittes. Kernplatte vom Pol aus gesehen. Fig. 55 u. 56. Funkia Sieboldiana Lodd. Vergr.: 540 Mal. Essigsäure - Methylgrün - Präparate. Zwei Kernplatten (primäre Spindel), vom Pol aus gesehen. Fig. 57 u. 58. Alstroemeria chilensis Lood. Vergr.: 540 Mal. Essigsäure - Methylgrün - Präparate. Primäre Kernspindel innerhalb einer Pollenmutterzelle, von der Seite. Dieselbe vom Pol aus gesehen. Fig. 59—65. Hemerocallis fulva L. Vergr.: 540 Mal. Fig. 61 nach einem Alcohol - Safranin - Nelkenöl- Präparate, die übrigen Fig 59. Fig. 60. Fig. 61. Fig. 62. Figuren nach Essigsäure- Methylgrün - Präparaten. Eine Pollenmutterzelle aus dem Gewebeverbande. Mehrere Nu- cleolen. Die Nucleolen verschwunden; das Secretkörperchen vorhanden. Der Fadenknäuel in sehr kurze, bereits zusammengelegte Stücke zerfallen. Alcohol-Präparat, daher contrahirt und das Bild relativ klein. Die fertige, primäre Kernspindel. Fig. 63. Fig. 64. Fie. 65. Fig. 66. Fig. 67. Fig. 68. Fig. 69. Fig. 70. Fig. 71. 146272, Fig. 73a. Fig. 73b. Fig.74—81. Fig. 82—84. Fig. 85. Fig. 86. Fig.87—90. Fig.91u.92. Fig. 95 u.94. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne ete. 587 Theilung des primären Kerns, ein Kernplattenelement ist im Aequator zurückgeblieben. Bildung der Zellplatte, das zurückgebliebene Kernplattenelement differenzirt sich zu einem kleinen Kern und wird durch Zell- platten abgeschlossen. Weiterer Zustand, nachdem die Zellplatten die Mutterzellwand erreichten. Fig. 66—68. Equisetum limosum. Vergr.: 540 Mal. Alcohol - Methylgrün - Präparate. Sporenmutterzelle noch im Gewebeverbande. In der Kernhöhle der Fadenknäuel aus Kernsubstanz und das anliegende Secret- kügelchen. Eine Mutterkernspindel. Theilung einer Tochterkernspindel. Fig. 69 u. 70. Psilotum triquetrum. Vergr.: 540 Mal. Alcohol - Methylerün - Präparate. Sporenmutterzelle, deren Zellkern mit feinem Fadenknäuel und kleinem Secretkörperchen. Der Zellkern mit isolirten Fadenstücken (scheinbaren Körnern), die alle der Kernwandung anliegen. Fig. 71—97. Fritillaria imperialis. Fig. 73b 1100 Mal, die übrigen 540 Mal vergrössert. Alcohol- Safranin - Nelkenöl- Präparate. Junges Endosperm. Ruhender Zellkern. Ausbildung des Fadenknäuels. Der Fadenknäuel. Ein Stück Kernfaden, sehr stark vergrössert, die Zusammen- setzung aus abwechselnd tingirten und nicht tingirten Scheiben zeigend. Zur Kernspindelbildung führende Stadien. Kernspindeln. Eine Kernplatte vom Pol aus gesehen. Eine Kernspindel mit ungewöhnlich flacher’ Kernplatte. Stadien der vom Aequator nach dem Pol zu fortschreitenden Umbiegung der Kernfäden. Tochterkernanlagen während des Auseinanderweichens vom Pol aus gesehen. Weitere Stadien der Tochterkerndifferenzirnng. Zusammenrücken der Fäden an den Polen und beginnende Schlängelung derselben. 588 Eduard Strasburger: Fig. 95. Kernanlagen aus gewundenen Fäden gebildet, schräg von einem der Pole aus. Fig. 9. Die Fadenwindungen dicht an einander gerückt. Fig. 97. Differenzirung des feinen Fadenknäuels des Ruhezustandes. Vor- geschrittenes Stadium der Zellplattenbildung. Fig. 98—105. Fritillaria imperialis. Vergr.: 540 Mal. Alcohol - Safranin - Nelkenöl- Präparate. Freie Kerntheilung im Wandbeleg des Embryosackes. Fig. 98. Ein Kern mit Fadenknäuel, die Kernkörperchen werden in die Windungen desselben aufgenommen. Fig. 99. Quere Streckung der Windungen. Fig, 100—103. Einseitige Segmentirung; Auseinanderlegen der Schleifen. Fig. 104 u. 105. Fast fertige Kernspindeln. Fig. 106—112. Lilium Martagon. Vergr.: 540 Mal. Aeltere Alcohol-Präparate nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. Freie Kerntheilung im Wandbeleg des Embryosackes. Fig. 106— 110. Vorbereitende Stadien der Kernspindelbildung. Fig. 111 u. 112. Fertige Kernspindeln. Fig. 113—118. Lilium croceum. Fig. 114 und 115 800 Mal, die andern 540 Mal vergrössert. Aeltere und neue Alcohol-Präparate nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. Freie Kerntheilung im Wandbeleg des Embryosackes. Fig. 113. Fertige Kernspindel. Fig. 114—116. Umbiegen der Kernfäden und beginnendes Auseinanderweichen derselben. Fig. 117. Tochterkernanlagen, aus gewundenen Fäden bestehend. Fig. 118. Fast reife Tochterkerne; Bildung einer transitorischen Zellplatte. Fig. 119—140. Galanthus nivalis. Fig. 139 und 140 540 Mal, die übrigen Figuren 800 Mal vergrössert. Aleohol-Safranin-Nelkenöl-Präparate. Freie Kerntheilung im Wandbeleg des Embryosackes. Fig. 119. Ruhender Zellkern. Fig. 120. Der Kernfaden stärker, das Kernkörperchen noch unverändert. Fig. 121. Ein Kern mit Fadenknäuel in einer spindelförmigen und ge- streiften Ansammlung von Cytoplasma liegend. Fig. 122—128. Ausbildung der Kernspindel. Fig. 129. Eine fertige Kernspindel. Fig. 130—132. Umbiegung der Fäden und beginnendes Auseinanderweichen der beiden Kernplattenhälften. Fig. 133—138. Anlage der Tochterkerne. Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 589 . 159—140. Ausbildung der Tochterkerne. Fig. 141—143. Hyacinthus orientalis. Vergr.: 800 Mal. Alcohol-Safranin-Nelkenöl-Präparate. . 141. Zelle mit Kernspindel aus dem Blüthenschafte. . 142. Vorgerückteres Zell- und Kerntheilungs- Stadium aus demselben Gewebe. . 143. Tochterkernanlagen mit Cytoplasma-Tonnen aus dem protoplas- matischen Wandbeleg des Embryosackes. 144—148. Differenzirung der Tochterkerne; in Figur 145 und 146 ist die Verschmelzung der Kernfäden an ihren Enden schön zu sehen. Ebenfalls aus dem Wandbeleg des Embryosackes. Pie. 149% Iris srbiriea. Vergr. 800. Altes Alcohol-Präparat nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. 149. Kernspindel aus dem Wandbeleg des Embryosackes. Fig. 150. Asparagus officinalis. Vergr. 800. Aelteres Alcohol-Präparat nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. . 150. Kernspindel aus einer Gewebe-Zelle des Stengels. Fig. 151—160. Dietamnus albus. Vergr. 800. Aeltere Alcohol-Präparate, nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. Aus dem [eo] Wandbelege des Embryosackes. . 151. Zellkern mit deutlichem Fadenknäuel. . 152 und 155. Vorbereitung zur Spindelbildung. . 154. Die fertige Kernspindel. '. 155. Auseinanderweichen der Kernplattenhälften. . 156. Gegenseitige Annäherung der Elemente in den Tochterkern- anlagen. . 157. Verschmelzung der Fadenenden; Zustand der stärksten Con- traction der Figur. . 158—160. Ausbildung der Tochterkerne. Fig. 161. Corydalis cava Whlbre. Vergr. 800. Aelteres Alcohol-Präparat nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. . 161. Kernspindel aus einer jungen Endospermzelle. Fig. 162—179. Spirogyra majuscula. Fig. 162 800 Mal, die übrigen 540 Mal vergrössert. Aeltere Alcohol-Präparate nach Safranin-Nelkenöl-Behandlung. . 162. Ruhender Zellkern von der Fläche. Fie. 163 und 164. Bildung der Kernplatte. Rum 0m 0q = Fig. Fig. Eduard Strasburger: Ueber den Theilungsvorgang der Zellkerne etc. 165 und 166. Fertige Kernspindeln. 167. Auseinanderweichen der Kernplattenhälften. 168 und 169. Weitere Zustände des Auseinanderweichens. 170—179. Ausbildung der Tochterkerne. Die Figuren 170 und 178 in Flächenansicht, die andern in Seitenansicht. Fig. 180. Leucoium aestivum. Verer. 800. Alcohol-Methylgrün-Präparat. 180. _ Kernspindel mit drei Polen, aus dem Wandbeleg des Embryosackes. Fig. 181—213 Salamandra. Verer. 800. 187, 190, 193—196, 202, 205—207 und 211 nach einem Hämatoxylin- Präparat; die übrigen nach Safranin-Nelkenöl-Präparaten. Die Präparate aus Larven und zwar dem Kiemenblatt- und Mundepithel entnommen. a 09 09 09 0 08 m ° 181. Ruhender Zellkern. 182. Zusammenziehung des Fadens. . 183. Fadenknäuel mit diekem und noch zusammenhängendem Faden. . 184. Der Faden segmentirt. .185 und 186. Beginnende Umlagerung der Fäden. . 187. Kranzform noch vor Unterbrechung der äusseren Umbiegungen der Schleifen. Polaransicht. ig. 188 und 189. Aequatorialansichten zu 187. . 190 und 191. Kranzform, nach erfolgter Halbirung der Fadenschleifen; Auftreten der, Spindelfasern. Polaransicht. 192. _ Gestreckte Kranzform nach erfolgter Halbirung der Fadenschleifen Die Fäden flach, mit doppelter Mikrosomenreihe. Polaransicht. . 193—196. Anordnung der Fadenschleifen zur Kernplatte. Hämatoxylin- Präparat. Die Spindelfasern siehtbar. Polare Sonnen. Aequa- torialansichten. . 197. Anordnung der Fadenschleifen zur Kernplatte. Safranin-Nelkenöl- Präparat, die Spindelfasern unsichtbar. Aequatorialansicht. . 198—207. Fertige Kernspindeln; so weit die Spindelfasern sichtbar, nach Hämatoxylin-Präparaten. die andern nach Safranin-Nelkenöl- Präparaten. Aequatorialansichten mit Ausnahme der Fig. 203, die eine polare Ansicht der Kernplatte giebt. Die Kernplatten zum Theil radiär, zum Theil symmetrisch gebaut. In Fig. 200 sehr flache Fäden, mit doppelter Mikrosomreihe, in der Kernplatte. 208. Umbiegung der Kernplattenelemente. . 209--212. Auseinanderweichen der beiden Tochterkernanlagen. . 213. Feinkörnigwerden und Ausspinnen des Kernfadens. Fig. 214. Nitella translucens. . 214. Ein Zellkern aus einer Internodialzelle, 1100 mal vergrössert nach Pikrinsäure-Fixirung und Hämatoxylin-Tinktion. Oscar Hagen-Torn: Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 591 (Aus dem anatomischen Institute zu Strassburg). Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. Von Oscar Hagen - Torn (St. Petersburg.) Hierzu Taf. XXVII. Unsere Vorstellungen über den Bau der Synovialis können, trotz der ziemlich reichen einschlägigen Literatur, nicht für abge- schlossen gelten. Bis auf die letzte Zeit giebt es unter den Forschern noch Meinungsdifferenzen in vielen wichtigen Punkten. Ich versuchte mir einen Begriff von dem morphologischen und physiologischen Charakter der Synovialis der Gelenke, Sehnen- scheiden und Schleimbeutel auf Grund einer möglichst vielseitigen Untersuchung (ihrer Entwicklungsgeschichte, ihres Baues, ihrer Lymphbahnen und Nerven) zu verschaffen. Die Resultate meiner Untersuchungen theile ieh in vorliegender Arbeit mit. In Betreff der Literatur dieser Frage von der Zeit Bichat’s bis auf Tillmanns verweise ich den Leser, um unnütze Wieder- holungen zu vermeiden, auf die sehr gewissenhafte Zusammen- stellung des letztgenannten Autors. Ich möchte mir nur eine Be- merkung erlauben über Tillmanns Interpretationsversuche mancher älterer Autoren. Tillmanns fügt der Bezeichnung derselben „Rpithel“ in Klammern den Ausdruck „Endothel“ hinzu. Welche Motive ihn dazu veranlasst, weiss ich nicht; jedenfalls, glaube ich, müsse es vermieden werden, Bezeichnungen, welche andere Autoren gebraucht haben, einfach durch solehe Nebenfügung anderer Aus- drücke anders zu deuten. Die zu einer bestimmten Zeit herrschenden Anschauungen geben die Färbung für die Erklärung der immer sich gleichbleiben- Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 39 592 Oscar Hagen-Torn: den Erscheinungen. Man kann solche Anschauungen nicht als Irrthümer bezeichnen, und sie bei der Wiedergabe der vor- hergehenden Literatur zu erhalten, scheint mir nöthig zu sein. Als Beispiele des Einflusses solcher Anschauungen auf die Deutung der Beobachtung kann ich aus der Geschichte unserer Tage anführen, dass Brinton Nr. 29 (S. 526), welcher seiner Zeit eine ausgezeichnete Arbeit über das uns be- schäftigende Thema gegeben hat, die Zellmembranen der Zellen, welehe in der Synovia gefunden werden, platzen und den Zellin- inhalt ausfliessen liess. Die nachfolgenden Autoren nannten jede zellige Auskleidung einer Höhle ein „Epithel“. Die Classifieirung der Häute und Höhlen von His auf Grund der Lehre Remak'’s über die Beziehungen der drei Keimblätter und ihrer Derivate zu einander gab den Anstoss zu mehreren Arbeiten, in denen an der Synovialis das von His als Endothel bezeichnete Gewebe ange- nommen wurde. Zu diesen gehört auch die Abhandlung von Till- manns, welcher die Synovialmembran den serösen Membranen an die Seite stellt und sie von einer eontinuirlichen zelligen Membran bedeckt sein lässt. Auf denselben Standpunkt stellt sich Stein- berg 1874. Colomiatti fand ebenfalls Endothelien. In Deutschland und Frankreich hält sieh bis auf die letzten Ausgaben in den Handbüchern (Cornil und Ranvier Nr. 40, S. 401) die Bezeich- nung „Epithel“ für die Zellen der Synovialis. Diesen reiht sich auch Subbotin (Nr. 52, S. 553) an, welcher die Synovialis für eine „glande close“ hält. Dieser Anschauung gegenüber fand die zuerst von Hüter 1862 aufgestellte Bezeichnung des Zellenbelags der Synovialis als „zellenreiches Bindegewebe“ ihre Vertreter in van der Sluijs 1876 (Nr. 96), welcher den Zellenbelag als mehr- schiehtige in „Kapseln“, „Höhlen‘ gelegene Bindegewebszellen mit Fortsätzen bezeichnet, Schäfer 1877 (Nr. 61, S. 161), welcher sagt, dass die Synovialis „are to be regarded as free surfaces of the ordinary areolar tissue“; und Herrmann und Tourneux (Nr. 53); diese drücken sich über den Bau der Synovialis und ihre Stellung unter anderen Geweben folgendermaassen aus: „Chez le boeuf et le cheval les cellules peripheriques affeetent une forme parfaitement eylindrique avec le noyau relegu& a la base des &le- ments. Nous eonsiderons le tissu qui resulte de cette disposition comme un tissu special sans anologue dans l’&conomie, derivant probablement du tissu cartilagineux et n’ayant de commun avec Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 593 le tissu &pithelial que l’absence de vaisseaux et la configuration exterieur des «elements qui le constituent.“ Meine Untersuchungen sind auf den Vorschlag von Professor Waldeyer unternommen worden. Ich halte es für eine ange- nehme Pflieht, Herrn Prof. Waldeyer für die freundliche Theil- nahme und die Anregung, welche er mir bei dieser Arbeit reichlich spendete, meinen Dank auszudrücken. Entwicklungsgeschichte der Synovialis. Von den älteren Autoren ist das uns beschäftigende Thema nur nebenbei berührt worden. Der erste, welcher eingehender die Sache behandelt, ist Luschka, freilich nicht an embryonalen Ge- lenken, sondern an den von ihm sogenannten Halbgelenken, die er für unentwiekelt gebliebene Stufen ansah. In den letzten Deeennien haben Hüter, Henke und Reyher, Bernays, Schuster, Schulin, Nagel, Bentzen und Schoemaker die Entwieklungsgeschichte der Gelenke speecieller studirt und um Vieles gefördert. Das letzte Wort in Bezug auf dieses Thema ist jedoch noch nicht gesprochen. Hauptsächlich schien mir die Be- theiligung der Gefässe bei der Gelenk- und Zottenbildung nicht senügend untersucht oder nicht den Erscheinungen entsprechend aufgefasst worden zu sein. Auch in vielen anderen Fragen aus der Entwieklungsgeschichte der Extremitäten, wie z. B. das Auf- treten der Knorpelanlagen, die Betheiligung des Perichondriums an der Gelenkkapselbildung und an der Entwicklung der intrakapsu- lären Ligamente und Sehnen ete., welche die Forscher vielfach be- schäftigte, herrscht bis jetzt noch nicht vollkommene Einigkeit. Letz- tere Fragen, als auch besonders die Falten- und Zottenbildung und die Ursachen ihrer Entstehung sollen im vorstehenden Kapitel be- sprochen werden. — Ich untersuchte die unteren Extremitäten einer Reihe von Kaninchenembryonen (von 4, 6, 11, 12, 14, 16, 18, 19, 20, 25, 26, 30, 36, 45, 50, 80 und 95 mm), einiger Schafs- (von 32, 40, 45, 75, 110, 150, 320 mm) und Rindsembryonen (von 20, 35, 40, 520 mm). Sie wurden in Müller’scher Flüssigkeit, darauf in Aleohol gehärtet, en masse in Pierocarmin und Alauncarmin gefärbt — weniger passend für diesen Zweck ist das Eosine häma- toxylique Renaut’s, weil es ungleiehmässig färbt — darauf mit Aleohol absol., Terpentinöl und Rieimusöl behandelt und darnach 594 Oscar Hagen-Torn: in einer Masse aus Rieinusöl, Spermacet und Wachs eingebettet. Mit dem Long’schen Mikrotom wurden aus ihnen Serien, haupt- sächlich von Sagittalschnitten, bereitet. Die Länge der Embryonen wurde in der Lage, wie sie im Amnion lagen, vom Scheitel bis zum Steissende (im grössten Durchmesser) gemessen. Bei einem 4 mm langen Kaninchenembryo, dessen Leibeshöhle noch nicht geschlossen war, bilden die Hinterextremitäten zwei abgerundete warzenförmige Prominenzen an dem sehr schmalen Schwanzende des Embryo, ihre Längsachsen bilden eine zur Wirbel- säule senkrechte gerade Linie. Dem feineren microscopischen Bau nach bestehen sie aus einer vollkommen einförmigen Masse von rundlichen, mit ganz kurzen Fortsätzen versehenen Zellen. Von der Schwanzaorta sieht man zwei Gefässe in sie eindringen. Ihre äussere Bedeckung besteht aus der zweischichtigen Lage der Zellen des Eetoderms, welche an dem freien Ende der Extremität eine Anhäufung bilden. — Es herrscht darüber keine Meinungsver- schiedenheit, dass die Extremitätenanlagen, wenn wir von der ersten Epiblastverdickung (Balfour) absehen, aus dem Mesoblast sich bilden, wie und von wo auch dessen zukünftige Bindegewebs- zellen entstehen mögen, und zwar aus der Bauchplatte Rathke’s (Nr. 2), der Hautplatte Remak’s (S. 156, Nr. 79), der äusseren Segmentschicht Götte’s (Nr. 15, S. 468). — Die hintere Extremität eines 6 mm langen Kaninchenembryo ist länger, mehr konisch, etwas zur Bauchseite des Embryo gerichtet, besteht aus denselben Zellen, ist nur gefässreicher und besitzt das von Nagel (Nr. 17, S. 12) und Götte (Nr. 15, S. 470) angeführte Längsgefäss, welches auf Dorsoventralschnitten als kreisrundes, zuweilen mit Blutkörper- chen verlegtes Loch sich zeigt. An der Basis der Extremität sieht man einestheils mit der Rücken-, anderntheils mit der Bauchmuskel- platte zusammenhängende, etwas dunkler tingirte Bezirke ganz un- merklich in das Gewebe der Extremität übergehen. Welche Bedeutung diese dunkleren Stellen haben, weiss ich nicht anzugeben, viel- leicht sind es Muskelanlagen für den Oberschenkel, vielleicht sind sie als Ausdruck energischerer Wachsthumsvorgänge an der Basis der Extremität aufzufassen. — Bei der Untersuchung eines Il mm langen Embryo sieht man in der Axe der Extremität bei schwacher Vergrösserung drei etwas dunkler als das umgebende Gewebe gefärbte ovaleFlecke, von letzterem nicht scharf abgegrenzt; sie sind von Ge- fässen umsäumt; es sind diese, da wo sie die Flecke treffen, am wei- Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 595 testen. Der am meisten distal gelegene Fleck ist der kleinste, die Mitte der Flecke ist die dunkelste Stelle. Ausser dass die Zellen der Flecke bei stärkerer Vergrösserung dichter aneinander gerückt erscheinen, lässt sich kein besonderer Unterschied zwischen ihnen und den sie umgebenden Zellen des übrigen, die Extremität bil- den embryonalen Gewebes sicher constatiren. Vielleicht sind sie um ein Weniges grösser und gleichmässiger rund. Nach diesem Bilde muss ich, entgegen der Meinung Rathke’s, welcher eine „Abgliederung“ der gemeinsamen Knorpelanlage annimmt (Nr. 2) und Nagel’s (Nr. 17, S. 30), mich der Meinung v. Bär’s (Nr. 1), Luschka’s (Nr. 9, S. 8), Bruceh’s (Nr. 7, S. 12) und den neueren Autoren anschliessen. Henke und Reyher nahmen beide Möglich- keiten an (Nr, 12, S. 220). Beim Embryo von 13 mm haben sich die Flecke zu länglichen Körpern umgewandelt, bei denen die Axialzellen durch Vermehrung der Interzellularsubstanz weiter von einander gerückt sind und diejenigen der Peripherie dichter gedrängt liegen; in Folge dessen tritt ein Lichterwerden der Mitte und eine dunklere Tinction der Peripherie (Knorpelanlage und Perichondrium) auf. Es scheinen schon die Knorpelanlagen aller Knochen zu bestehen. Ueberall um die zukünftigen Gelenke und die Knorpelanlagen trifft man mehr Gefässe an. Auf Sagittalschnitten sieht man schon dunkler gefärbte Stellen am Oberschenkel — wohl die ersten Muskelanlagen. Vor dem unteren Femurende ist das Perichondrium, welches mit der Anlage der Quadricepssehne verschmolzen zu sein scheint, dicker als an den ‚übrigen Theilen der Oberschenkelknorpelanlage. Die diaphysären Knorpelzellen des Femur und der Tibia sind in der Richtung der Längsachse der Extremität etwas abgeplattet. Ein Rindsembryo von 20 mm bietet eine zwischen beiden letztgenannten Kaninchenembryonen die Mitte haltende Entwick- lungsstufe dar; es besteht nur ein Unterschied in der relativen Grösse der Extremität. Ein Kaninchenembryo von 14 mm bietet folgende Erscheinun- gen dar: Es sind die Enden der Knorpelanlagen dicker als die Mitte, ihre Form deutet die zukünftige Form der Extremität er- wachsener Thiere an. Bis auf die diaphysären Zellen der Knorpel- anlagen, die Nerven und auf das Blut, welche ihre typischen Charaktere besitzen, besteht kein morphologischer Unterschied in den embryonalen Zellen der Extremität. Zellen, welche die Sehnen 596 Oscar Hagen-Torn: und Muskellagen bilden, weichen von den sie umgebenden nur in der Art der Anordnung, nicht aber in der Form ab. Die einzelnen Muskeln treten als gesondert angelegt auf, wie schon Nagel be- schreibt. We die Knorpelanlagen aneinander stossen, sind die Zellen klein, rundlich, dieht gedrängt und bieten keine Differenz von den Zellen des übrigen Perichondrium. Die Zahl der Gefässe um die werdenden Gelenke hat zugenommen. Die Zehen sind durch seichte vom abgeplatteten Pfotenrande aus eindringende Einkerbungen angedeutet. Auf diekeren Präparaten machen die Knorpelanlagen der Zehen den Eindruck von ununterbrochenen Strahlen; an dünnen jedoch erweisen sie sich als aus einzelnen gesonderten Theilen für die resp. Knochen angelegt. Die Anlagen der Metacarpalknochen sind im Vergleich zu denjenigen der Pha- langen sehr lang. An Stelle der Patella ist in der Sehne des Quadriceps eine Verdickung zu sehen. Eine besondere Knorpel- anlage für die Patella habe ich nicht gesehen. Es ist dies zu entscheiden für die Lösung der Fragen über die Entstehung der Sesambeine, und ob die Patella ein solches sei, von Interesse. Nur Bernays führt für den menschlichen Embryo an (Nr. 16, 8. 415): „Die Patella ist als herzförmiges Knorpelchen an der inneren Fläche der Sehne des Quadriceps angelegt, so zwar, dass sämmt- liche Fasern derselben aussen über den Knorpel derselben hinweg- laufen...“ „... sie ist von einer chondrogenen Schicht um- geben, wächst also durch Apposition.‘ In den Handbüchern der Anatomie, Hollstein (Nr. 45), Hyrtl (Nr. 54, S. 399), Sappey (Nr. 49, S. 438), wird sie ihrem Verhalten zur Quadricepssehne nach zu den Sesambeinen gezählt. Für die Sesambeine an den hinteren Flächen der condyli femoris kann ich dafür einstehen, dass sie in den betreffenden Sehnenansätzen, aber später als die Patella entstehen, ohne dass eine Knorpelanlage in nicht differen- eirtem embryonalen Gewebe entstände. Das wäre schliesslich der Unterschied der Entstehungsweise der Sesambeine von den anderen Knochen. Die nahen Beziehungen der Quadricepssehne an dem Entstehungsort der Patella zum Perichondrium des femur machen die sichere Entscheidung, ob auch dieses sich an der Patellaranlage betheiligt, schwierig. Ob mit Betheiligung des letzteren oder selb- ständig in der Sehne des Quadriceps, jedenfalls entsteht ihre Knorpel- anlage in bereits differeneirtem Gewebe und insofern ist sie auch vom embryologischen Standpunkte aus zu den wahren Sesambeinen Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 597 zu zählen und tritt dann wohl von diesen als erstes an der unteren Extremität, vielleicht überhaupt am Skelet auf. Ob sämmtliche Fasern des Quadriceps über sie hinweglaufen oder nicht, konnte ich an einem so kleinen Objeet wie die Anlage der Patella beim Kaninchen nicht sicher feststellen. Möglich ist auch, dass die Patella eine Uebergangsform vom gewöhnlichen Typus der Knochen- bildung zu demjenigen der Sesambeine darstellt. Ins zukünftige Hüftgelenk scheinen die Gefässe von innen und unten her einzudringen. Am 18 mm langen Kaninchenembryo sind folgende Verände- rungen nachzuweisen: Es hat sich in den dem Unterhautzellgewebe des Erwachsenen entsprechenden Partien mehr Intercellularsubstanz zwischen den unregelmässig gelagerten länglichen zelligen Elementen gebildet. Es ist kein genetischer Zusammenhang zwischen Sehnen und Periost, sowie Muskelanlagen und Sehnen nachweisbar. Sie sind alle für sich an Ort und Stelle angelegt. Die Quadricepssehne bietet an der Stelle der Patella eine Verdiekung, deren Zellen bei stärkerer Vergrösserung sich wenig von denen der Sehne unterscheiden, vielleicht sind sie etwas gleichmässiger rund, wäh- rend sie in der Sehne selbst eine längliche Form angenommen haben. Was die Stellen der Gelenke anbetrifft, so findet man an ihnen ein Lichterwerden der Mitte der mesochondralen Schicht vor. Ich gebrauche den von Schulin angewandten Ausdruck „mesochondrale Schicht,“ weil er nur die Lage der Schicht bezeichnet ohne Berücksichtigung ihrer functionellen Eigenschaften. Bernays giebt ihr den Namen „chondrogene Schicht“. Den von Schulin gebrauchten Ausdruck „perichondrale Schicht“ für den Theil des Zwischenknorpelgewebes, welcher die weiter abstehenden peripheren Theile (am Kniegelenk) der Knorpelanlagenenden verbindet, lasse ich fort, weil er wenig bezeichnend ist. Obgleich ich, wie weiter ausgeführt werden soll, im Gegensatz zu Schulin, ihr die Fähig- keit, in hyalinen Knorpel sich umzuwandeln, vindieiren muss, so glaube ich, dass diese Betheiligung an der Knorpelbildung nur eine ganz passive ist. Ich halte die Zellen dieser Schieht nicht für Zellen, welche die chondrogene Eigenschaft als solche besitzen. Sie gehen diese Umwandlung, scheint mir, nur Dank gewisser Bedingungen der Emährung ein. Ausserdem muss ieh jetzt schon darauf hinweisen, dass ich, der Beobachtung entsprechend, einen Unterschied machen muss zwischen dem Theil der mesochondralen 598 Oscar Hagen-Torn: Sehieht, welcher den Stellen entspricht, wo die Gelenkenden ein- ander am nächsten stehen (Contaetstellen, Stellen des nächsten Contacts) und solchen Theilen, wo die Gelenkenden weiter von einander abstehen, weil ein morphologischer Unterschied zwischen ihnen besteht — der erste ist gefässlos, die zweiten besitzen Gefässe — und weil sie sich nicht in ganz gleicher Weise bei der Höhlen- und Weichtheilbildung der Gelenke betheiligen. Ihre Existenz und ihr Unterschied wird scheinbar durch das starke appositionelle Wachsthum der Gelenkenden bedingt. Ihre gegenseitige Massen- beziehung an den verschiedenen sich enwickelnden Gelenken hängt von der sehr früh sich äussernden Configuration der Gelenkenden ab. Je grösser die Contactflächen zweier Gelenkenden, welche sich an der Bildung eines grösseren Gelenks betheiligen, in der Ruhestellung sind, desto mehr herrscht am resp. Gelenk die gefäss- lose mesochondrale Schicht vor (Fusswurzelknorpelgelenke) und umgekehrt (Kniegelenk). Eine prineipielle Differenz im feineren Baue indessen bei diesen beiden Theilen des Mesochondrium sehe ich nicht. Das Lichterwerden trifft man am Hüftgelenk eines 15 mm langen Kaninchens nur an der gefässlosen Mesochondralschicht, an der äusseren Peripherie des Capitulum femoris. An der me- dialen Seite des Köpfehens entwickelt sich die gefässreiche Meso- chondralschicht, in welcher man in diesem Stadium die erste An- lage des lig. teres vorfindet. In diesem Stadium entsteht auch die Vertiefung im Acetabulum der Darmbeinanlage. An den anderen Gelenken wird die gefässlose Mesochondral- schieht in diesem Stadium durch Carmin noch dunkel gefärbt wie im vorherbeschriebenen Stadium. Am Kniegelenk sieht man auf dem mittleren Sagittalschnitte zwischen Femur und Tibiagelenk- ende und dem lig. patellae ein gefässführendes Mesochondrium, welches dem Unterhautgewebe ganz ähnlich gebaut ist. Es ist nur etwas gefäss- und zellenreicher. Die Gefässe treten von hinten her in diese Schicht. Die Maskeln und Sehnen der Extremität sind schärfer markirt. Im folgenden Stadium (19 mm) beobachtet man eine Lockerung des gefässlosen Mesochondrium zwischen dem unteren Theil der Patella und des Femur; im oberen Theil ist die Grenzschicht in- tensiv gefärbt. Es zeigt sich eine Andeutung der Bildung der Menisken und der ligg. eruciata als dunkler gefärbter Massen von Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 599 gedrängter liegenden Bildungszellen. Die Patella tritt als Ver- diekung in der Sehne auf. Die Zellen sind noch nicht knorpelig differenzirt. Es findet sich eine Andeutung der Fascienbildung in der ganzen Extremität vor, schärfer markirt am proximalen, schwächer am distalen Ende. Entsprechend dem Lig. patellae ist die Faseie mit diesem verschmolzen, zu beiden Seiten des Lig. patellae sieht man die Fascie von der Kapsel gesondert. Die hintere Wand der Kniekapsel ist kaum angedeutet, ebensowenig die Kapsel des Hüftgelenks. Der Femurkopf ist entsprechend dem Umbo acetabuli abgeplattet. Der Zwischenraum zwischen Kopf und Umbo ist vom gefässführendem Mesochondrium ausgefüllt. Die ganze Dicke des gefässlosen Mesochondriums ist geringer als im vorhergehenden Stadium. Es macht den Eindruck, als wenn ein Theil der Zellen desselben durch Umwandlung in Knorpel ge- schwunden wäre. Die Zellen des gefässlosen Mesochondrium nehmen eine läng- liche Form an, es bildet sich zwischen ihnen eine feinkörnige Inter- eellularsubstanz. Die Zellen des Unterhautgewebes besitzen mehr Intercellularsubstanz und haben Fortsätze erhalten. Der 20 mm lange Kaninchenembryo bietet wenig Abweichen- des von dem Vorhergehenden. Es entwickeln sich an den Stellen der Gelenke mehr Gefässe. Es drängen sich die Gefässe zu bei- den Seiten der Patella und der Menisken zwischen diesen und den bezüglichen Condylen ins Gelenk hinein. Die hintere Knie- gelenkskapselwand ist schärfer angedeutet. In der früher durch Tinetionsmittel intensiv gefärbten gefässlosen mesochondralen Schicht tritt eine Veränderung auf. Die Mitte der Schicht ist heller ge- worden, die Zellen sind, bei schwacher Vergrösserung (1:4 Leitz) nicht so scharf gezeichnet wie gewöhnlich und wie sie es im vor- hergehenden Stadium waren. Es ist die Zeichnung der liehten Zone des Mesochondrium nicht so präcise, sie erscheint wie ver- wischt. Bei stärker Vergrösserung (1:7 Leitz) findet man die Er- klärung dieser Trübung. Abgesehen von der grösseren Menge körniger Intercellularsubstanz hat die früher bestandene relative Gleichmässigkeit der Conturen der Zellen einer Ungleichmässigkeit in Form, Grösse und Tinctionsfähigkeit Platz gemacht, welche in dem Grade in keinem von den übrigen Geweben der Extremität zu finden ist. Es scheint mir möglich dieses Bild als den Ausdruck eines regressiven Processes anzunehmen, besonders wenn man die wei- 600 Oscar Hagen-Torn: teren Stadien der Gelenkhöhlenbildung verfolgt. Zu beweisen ist es allerdings schwierig: der Versuch, eine Fällung etwa vorhan- denen Mueins mittelst Essigsäure an Schnitten, welche aus der ge- frorenen Extremität friseher Embryonen angefertigt waren, zu be- kommen, gab kein sicheres Resultat. Es ist das auch zum Theil bei dem Reichthum aller embryonalen Gewebe an Muein und bei der Kleinheit des Objects erklärlich. Das verschiedene Aussehen der lichten Zone des gefässlosen und des dasselbe umgebenden gefässführenden Mesochondrium erläutert Zeichnung 1: während in letzterer (gm) die Grundsubstanz deutlich netzartig und die Zellen von gleichmässigerer Form und schärfer begrenzt sind, ist die Grundsubstanz in m feinkörnig, die Zellen weniger stark tingirt, ungleich gross; es sind hier einzelne Körner anzutreffen. Auf Grund dieser Bilder nehme ich an, dass ein Theil der Zellen zu Grunde geht — es entsteht eine „Schmelzung“, eine „Verflüssigung“ (Luschka) — um die ersten Spuren der Synovia zu bilden, während der andere sich höher organisirt und zum appositionellen Wachsthum des Knorpels das Seinige beiträgt. Weder Vacuolen, noch Körnchenbildung in den Zellen habe ich jedoch bei diesem Vorgang wahrnehmen können. Was die Lage der lichten Zone des Mesochondriums anbetrifft, so ist sie in der Regel an den Stellen des nächsten Contacts am deutlichsten ausgeprägt; sie zieht sich am Hüftgelenk auch auf den Schenkelhals hin; am Kniegelenk sieht man sie zuerst zwischen den condyli fem. et tibiae und den meniseis, sowie am unteren Rande der Patella; an den kleineren Gelenken mit vollkommener Congruenz der Ge- lenkflächen auf’s ganze Gelenk ausgedehnt. Es ist diese Er- scheinung, nämlich das Lichterwerden der gefässlosen mesochon- dralen Schicht an den Contactstellen zweier aneinanderstossenden Knorpelanlagen, so constant, dass ich keinen Anstand nehme die Möglichkeit des Wachsthumsdrucks der Gelenkenden als ursäch- liches Moment dieser „Schmelzung“ hinzustellen. Dieselbe Ursache ist es wohl, welehe das Hineinwachsen von Gefässen in die ge- fässlose mesochondrale Schieat verhindert. Die Vorgänge an den unteren Extremitäten der Embryonen von 25 und 26mm unterscheiden sich verhältnissmässig nicht so wesentlich von einander, dass ihre Beschreibung nicht ohne Nach- theil in Eins verbunden werden könnte. Das Perichondrium der * Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 601 Gelenkenden erscheint etwas dünner. Zwischen den Gelenkenden des Hüftgelenks, an den Contactstellen, sieht man nur Spindelzellen, welche an der Knorpelanlage dichter gedrängt, zur lichten Zone hin loekerer liegen. Die Trübung der lichten Zone hat sich aus- geglichen, sie ist weniger in die Augen springend. An manchen der Schnitte, an welchen zufällig die Knorpelanlagen mehr von einander entfernt sind, wo eine „Dehiscenz“ am betreffenden Prä- parat auf dem Objeetträger stattgefunden hat, könnte man schon eine Spaltbildung annehmen. Die Spindelzellen ragen von den unebenen Gelenkendrändern hervor oder bilden, aneinanderge- schmiegt, Verbindungszüge zwischen den gegenüberliegenden Ge- lenkenden. Es zeigen jedoch andere Präparate derselben Serie, dass die Spaltbildung noch nicht eingetreten ist. An den anderen Gelenken besteht noch die Mannichfaltigkeit der Zellen der lichten Zone. An den kleinen Fussgelenken und um die Sehnen an den Stellen der zukünftigen Scheiden ist die lichte Zone eben in Bil- dung begriffen. In der gefässführenden Schicht besteht eine weitere Differenzirung der Zellen: während viele noch von runder Form sind, gibt es andere deutlich spindelförmige. Das lig. teres, die menisei, ligg. erueiata sowohl, als die 2 intracapsulären beim ausgewachsenen Thier am condylus externus ihren Ursprung nehmenden Sehnen sind schärfer markirt, obgleich noch umgeben von dem gefässführenden Mesochondrium. Dieses ist gefässreicher, dem embryonalen Unterhautgewehe vollkommen ähnlich. Die Zellen der Intracapsularsehnen sind länglich, in Zügen, mit ihren Längs- axen einander parallel gelagert. Beim 26 mm langen Kaninchen sind die Gefässe zwischen Patella und femur, welche in dem vorhergehenden Stadium auch auf medialen Sagittalschnitten zu sehen waren, an der Contact- stelle geschwunden, und reichen nur bis zum oberen und unteren Patellarrande. Die Zellen der Patella sind rundlich, ihre Inter- cellularsubstanz ist copiöser. Die Gefässe der Extremität sind sehr dünnwandig; Arterien und Venen sind von einander nicht zu unterscheiden. Die Nerven sind an denselben Stellen wie beim ausgewachsenen Thiere angelegt, nur verhältnissmässig sehr dick. Es besteht die erste Andeutung der retrocondyloidalen Sesambeine in den Sehnen der entsprechenden Muskeln. Die Endphalangen besitzen die sogenannten „Zwischenscheiben“. Auf ihre Beschrei- bung komme ich bei dem nächsten Stadium zurück. 602 Oscar Hagen-Torn: Einen bedeutend grösseren Unterschied als die zwei genann- ten Stadien untereinander bieten die Gelenke eines Embryo von 30 mm Länge. Es sind nicht nur alle Knochen der unteren Extre- mität angelegt, sie besitzen auch bereits die dem ausgewachsenen Thiere eigenen Formen. Das Perichondrium an den Gelenkenden ist auf dem senkrechten Schnitt schmäler; die sie eonstituirenden abgeplatteten Zellen liegen in wenig hyaline Substanz eingebettet. Zur Peripherie hin sind sie diehter gedrängt und gehen allmählich in Spindelzellen ohne hyaline Intercellularsubstanz über; ihre Längs- axen laufen der Krümmungslinie des betreffenden Gelenkendes parallel. Dem Unterhautzellgewebe vollkommen ähnliches Gewebe befindet sich im Knie und Hüftgelenk. Der Bereich der Aus- breitung dieses gefässführenden Mesochondrium ist in allen Ge- lenken, ausser dem Hüftgelenk, wo dasselbe nur auf die beim ausgewachsenen Thier vom Knorpel unbekleideten Partien des Acetabulum beschränkt ist, grösser. Das mit solchem Gewebe ge- füllte Tibiofibulargelenk ist an den Präparaten dieses Stadiums zum ersten Mal zu sehen. Es kann die Bezeichnung desselben als „indifferentes Gewebe“, welche Bernays ihm giebt, von nun an nicht mehr beibehalten werden. Es gestaltet sich seinem mikro- skopischen Verhalten nach mehr und mehr dem lockeren gefäss- reichen Bindegewebe ähnlich, obgleich an beiden noch keine deut- lichen Fasern und Bündel zu unterscheiden sind. Die regste Be- theiligung der Gefässe, auch in den frühesten Perioden, an den Processen, die sich bei der Entwickelung der Gelenke abspielen, muss nach dem Beobachteten angenommen werden. Ob ihr Auf- treten durch die schon von anderen Beobachtern angenommenen Factoren der Gelenkbildung, wie mechanische Einwirkungen (Reyher und Henke) und Erblichkeit (Bernays und Schulin) bedingt ist oder nicht, jedenfalls muss ein Wechsel in den Lebens- äusserungen der Zellen durch die Anwesenheit der Gefässe eingeleitet werden. Weleher Art dieser Wechsel ist, lässt sich natürlich nieht posi- tiv feststellen, — es ist unsere Kenntniss der physiologischen Fune- tionen des lebenden Embryo noch sehr mangelhaft — wir erklären uns viele Vorgänge nur auf Grundlage der Analogie im Bau mit den- jenigen der Erwachsenen und unter Berücksichtigung der Eigen- schaften der Umgebung. Auf diese Beobachtung der Betheiligung der Gefässe an der Gelenkhöhlenbildung, welcher bis jetzt sehr wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden ist, auf diesen dritten Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 605 speciell physiologischen Factor der Ernährung will ich hier hin- gewiesen haben. In diesem Stadium findet man im Hüftgelenk die erste Andeutung eines Gelenkspaltes; die ihn begrenzenden Knor- pelflächen haben auf sagittalen Schnitten einen relativ glatten Rand. Die früher lichte Zone, welche sich auf dem Schenkelhals ausbreitete, besitzt Gefässe; die Gelenkkapsel ist nur stellenweise ausgebildet. Amı Kniegelenk sieht man an den Stellen des ersten Auftretens der Spalte noch eine sehr schmale lichte Zone — sie scheint im Schwinden begriffen zu sein. An den anderen Gelenken der Extremitäten treten die genannten mikroskopischen Erschei- nungen in dem Mesochondrium später auf. Die hintere Kapsel- wand am Knie ist schwach ausgebildet, sie geht ms Periost über. Die Sehnen sind durch eine lichtere Schicht von dem sie um- sebenden gefässhaltigen lockeren Bindegewebe getrennt. Es ist die Bursa tendinis Achillis als lockerere Lagerung von Zellen an- gedeutet. Die Gefässe tragen überall noch den Charakter der Capillaren. Diesem Stadium eines Kaninchenembryo steht die Entwicke- lung der Hinterextremität eines 32mm langen Schafembryo etwas nach. Letzterer bietet aber sonst keine prineipiellen, sondern nur dureh die vergleichend anatomischen Verschiedenheiten bedingten Abweichungen dar. Hier scheint es mir am passendsten auf die bestehenden Meinungen über die Spaltbildung einzugehen: Brueh schreibt (Nr. 7, S. 42): „Die Gelenkhöhlen entstehen . durch Dehiscenz des zwischen den Knorpelenden übrig ge- bliebenen, nicht mehr zum Wachsthum des Knorpels verwendeten Bildungsgewebes.‘ Luschka sagt (Nr. 9, S. 8); „....dass.... an denjenigen T'heilen des Skelets, welehe in gegliederte Verbindung treten sollen, anfangs mindestens die Intercellularsubstanz des Knorpels voll- ständig eontinuirlich sei, später aber da, wo ein Gelenk auftritt, im Innern eine Verflüssigung erfahre“ (an Sterno-Costal-Gelenken). Weiter (S. 8) nach Analogie mit der Bildungsgeschichte des Graaf’schen Follikels: „Nach meinen auf diese Seite unserer Frage speziell mit möglichster Sorgfalt gerichteten Untersuchungen ent- steht nun in der That die Gelenkshöhle und ihre nach aussen stattfindende Begrenzung nach einem ganz Ähnlichen Typus. Wäh- rend die durch die Art der Gruppirung von Bildungszellen prä- formirten Skelettheile unter weiter schreitendem Wachsthume mehr 604 Oscar Hagen-Torn: und mehr die Qualitäten des Knorpels annehmen, geht auch eine Veränderung mit der Masse vor, welche zwischen die einander zugekehrten Enden der später durch Gelenke verbundenen Skelet- stücke eingeschoben ist. Von der Mitte derselben aus findet ein nach der Peripherie allmählich fortschreitender Process der Ver- flüssigung statt, welcher sowohl die Zellen als die Zwischensubstanz betrifft. Die der Schmelzung anheimfallenden Zellen erscheinen, nachdem sie kurz vorher einen granulirten Inhalt gezeigt haben, lichter, weicher und merklich grösser.“ Die weiter mitgetheilte Beobachtung entspricht nicht dem, was ich an Gelenken von Kaninehenembryonen beobachtet habe, welche aber an den Synovia- zellen eines Erwachsenen leicht gemacht werden kann. „Der ver- flüssigte Inhalt (der Zelle) tritt bisweilen schon vor dem Untergange der Zelle durch deren unverletzte Wandung hindurch und wird dann frei als eiweissartige Tropfen neben den Zellen gefunden.“ Henle (Nr. 38, S. 7), Frey (Nr. 44, S. 619), Hyrtl (Nr. 54, S. 251) haben diese Meinung adoptirt. Bernays (Nr. 16, S. 423) weist auf den Widerspruch zwi- schen der angeführten Angabe Bruch’s und der einige Zeilen weiter folgenden Worte desselben Autors bin: „Die Gelenkhöhlen sind, sobald überhaupt eine Gelenkhöhle wahrnehmbar, stets nackt, d. h. von der Knorpelsubstanz gebildet“ ..... glaubt aber, dass seine Meinung mit derjenigen Bruchs im Wesentlichen überein- stimme. Er macht nur darauf aufmerksam, dass nach seinen Unter- suchungen die Gelenkhöhle viel mehr durch eine einfache Trennung der Knorpelenden entstehe, zwischen denen kein Bildungsgewebe mehr vorhanden ist. Mir scheint sowohl zwischen den Angaben Bruchs als auch zwischen der Annahme Bernays, der Bruch’schen Be- zeichnung „Dehiscenz“ und dem von ihm beobachteten Vorgange, ein Widerspruch zu bestehen. Es kann ein Vorgang, der mit Dehis- cenz bezeichnet wird, nur in der Pathologie, niemals in der Physio- logie vorkommen, weil er die Vorstellung gewaltsamer Continuitäts- trennung in sich trägt; es ist diese Bezeichnung überhaupt zu ver- werfen. Ich schliesse mich bBernays’ Meinung an, insofern er eine Verwendung der zwischerliegenden Zellen zum appositionellen Wachsthume der Gelenkenden annimmt, muss aber mit Luschka, Schuster (Nr. 20), Hueter (Nr. 11, S. 10), Schulin!) (Nr. 19, 1) „.. . im Knöchelgelenke und im Kniegelenke fand ich eine bis zu drei Zellen breite intermediäre Schicht, welche offenbar der Verflüssigung anheim fällt.“ Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 605 S. 257) eine „Schmelzung“, „Verflüssigung“ als mögliche erste Synoviabildung, welche zugleich die Spaltbildung einleitet, daneben zulassen. Henke undReyher nehmen den Schwund eines Theiles der Zwischenzone an. Kölliker (Nr. 21, S. 495) sagt: „dass die gegeneinander wachsenden Knorpel die mittleren Theile der Gelenkanlagen nach den Seiten drängen, bis sie selbst zur Berührung kommen, womit dann die Gelenkhöhle gegeben wäre. Zu diesem Vorgange kommt dann in den peripherischen Theilen noch eine Solutio continui, welche vielleicht in gewissen Gelenken, wie denen mit Zwischen- scheiben, als einziger Factor auftritt, bei welcher Spaltbildung wohl unzweifelhaft mechanische, von den umgebenden Weichtheilen (Muskel, Sehnen, Bänder) ausgehende Wirkungen eine Hauptrolle spielen. Ob in einzelnen Fällen auch Erweichungen eine Rolle spielen, ist fraglich und möchte ich die sogenannten Halbgelenke, bei denen so etwas sich findet, hier nicht herbeiziehen.“ Ein nach „den Seiten drängen“, greift, wie aus meinen Beobachtungen zu ersehen ist, nieht Platz. Auf die Art der Solutio eontinui komme ich noch zu sprechen. Was die Stelle der ersten Spaltbildung betrifft, so sind alle Autoren, Scehulin ausgenommen, der Meinung, dass dieselbe vom Centrum der Gelenkknorpelflächen zur Peripherie erfolgt; letzterer hat das Umgekehrte beobachtet. Diese Angabe entspricht jedoch durchaus nicht den von mir gefundenen Erscheinungen. Es kann das Bild, welches Sehulin zu seiner Annahme veranlasste, nur entstehen, sobald auf dem Präparat ein inniger Contact der Gelenk- endenschnitte zufällig erhalten bleibt. Die Existenz von Ausbuch- tungen, welche Schulin für die erste Spaltbildung annimmt, kann nur zu einer Zeit eintreten, wo die Gelenkenden durch kein Gewebe mehr mit einander zerbunden sind, wo schon eine mehr oder weniger freie Bewegung des respectiven Gelenkes stattfinden kann. Die Beobachtung gestattet eine weitere Verallgemeinerung der Erscheinungen in dem Sinne, dass die Spaltbildung von der Stelle des nächsten Contacts zu denjenigen des weitesten Abstan- des der Gelenkflächen hin erfolgt. Da dieses Stadium (30 mm) des Kaninchenembryo wenigstens an den beiden grossen Gelenken in jeder Beziehung die Haupt- theile eines Gelenks ausgebildet zeigt, — nur eine fortschreitende Höhergestaltung der angelegten Theile, ihre Volumszunahme und 606 Oscar Hagen-Torn: die weitere Gelenkhöhlenbildung hat sich beim Embryo bis zur Geburt noch zu vollziehen — so kann ich hier auch sogleich auf die Discussion anderer bezüglicher Fragen, welche noch nicht ein- stimmig beantwortet werden, eingehen. So besteht z. B. noch eine Meinungsverschiedenheit in Be- treff der Entstehung der Zwischenscheiben. Luschka „schienen beim Kniegelenke die cartilagines faleatae als eine seeundäre von der Kapselmembran ausgehende Formation aufzutreten.“ Ihm schliesst sich Schuster an (im Resume seiner Arbeit) l.ec. „Der Limbus der Pfanne und die cartilagines falecatae sind secundäre, capsuläre Anlagen.“ Schulin (Nr. 19, S. 258) hält sich noch an v. Baer’s Annahme, dass das Perichondrium eine gemeinsame Scheide bilde für alle Knorpelanlagen einer Extremität, wie es auch Hueter (Nr. 11)undBruch (Nr.7, S. 42) thun und sagt: „Aussen zieht als Kapselanlage das gemeinsame Periost darüber hinweg. Der Inhalt der Rinne wird am Kniegelenk zu den Menisei, am Sehulter- und Hüftgelenk gestalten sich daraus die labra glenoidea, an anderen Gelenken Synovialfalten.“ Bruch sagt von der Zeit der Entstehung der Bandscheiben (Nr. 7, 8. 42): „.... die Gelenk- höhlen entstehen sammt den Bandscheiben später als die Kapsel- bänder . . .“ Nach dem Befunde der verschiedenen suceessiven Entwick- lungsstadien des Kaninchenembryo muss ich mich unbedingt der Anschauung Bernays Nr. 16, S. 431) anschliessen. Die Kapsel- und intraartieulären Bänder entstehen „sämmtlich in loco“. Dasselbe ist auch für die Sehnen und Muskeln der Fall. Die Verbindung des Muskels mit seiner Sehne sowohl als die Insertion der Sehnen und Bänder geschieht erst, nachdem die Sehnen als deutlich angelegte Apparate schon bestanden haben. Am spätesten bilden sich dabei, scheinbar an allen Gelenken der unteren Extremität beim Ka- ninchenembryo, diejenigen Stellen der Kapseln, welche keine speeiellen Bänder besitzen. Das ist an der inneren unteren Seite des Hüftgelenks, an der hinteren Kniekapselwand und an der Stelle des Recessus suprapatellaris, welcher den Muskeln anliegt, wie auch besonders an der velaren Seite der Phalangealgelenke ete. zu beobachten. Im recessus suprapatellaris sieht man fast keine Kapsel, es ist überhaupt kein Uebergang in’s Perichondrium nach- zuweisen. Diese Erscheinungen nehme ich als einen Beleg für die nahe Verwandschaft des intracapsulären zum Aufbau der Bau und Entwickelung der Synovialmembranen. 607 Synovialis verwandten lockeren Bindegewebes mit dem Unterhaut- zellgewebe. Es werden im Weiteren noch manche Beweise für die Verwandtschaft dieses Gewebes beigebracht werden. Die Ergebnisse der Beobachtung zeigen, dass das an den Stellen, wo ein Gelenk sich bildet, vorhandene Grundgewebe das- selbe lockere Bindegewebe ist, wie wir es in unmittelbarer Verbin- dung daneben als Anlage des Unterhautzellgewebes und des Zwischen- muskelgewebes finden. Ein specifisches Gewebe, oder auch nur eine besondere Modification des Bindegewebes für die Gelenkanlagen ist von Anfang an nicht vorhanden. Dies Grundgewebe nimmt mit fortschreitender Entwicklung ab, wäh- rend die in ihm eingelagerten Organe an Masse zunehmen. Die Ge- lenkkapseln sind in die Masse des lockeren Bindegewebes als nicht vollkommen geschlossene Scheidewände eingeschaltet; rein locale mechanische und physiologische Ursachen bedingen dann die Höhlenbildung und den bis zur Geburt vorschreitenden geringen Unterschied zwischen intra- und extracapsulärem Bindegewebe, welcher zu dieser Zeit besteht. Das embryonale subeutane Ge- webe differenzirt sich zu faserigem Bindegewebe — es entwickelt sich progressiv, während das intracapsuläre Bindegewebe, so lange die Gelenke functioniren, neben progressiven (Zottenbildung) auch die Neigung zu regressiven Processen (Synoviabildung) beibehält. Das ganze Gewebe bleibt lockerer (die Bezeichnung eines „lig. mucosum“ weist darauf hin). Die Eigenschaft des vorwiegend schleimigen Zerfalles der Synovialiszellen wird wohl in der excelu- siven Lage und physiologischen Eigenthümlichkeit der betreffenden Membranen ihre Ursache haben. An den Phalangengelenken eines 30 mm langen Kaninchen sieht man auch die von Henke und Reyher (Nr. 12, S. 227) beim menschlichen Embryo als von der Bildung anderer Gelenke ab- weichende Erscheinung, beschriebenen „Zwischenscheiben“. Diese wurden auch von den nachfolgenden Beobachtern gesehen, erhielten aber von jedem eine verschiedene Deutung. Dass jetzt schon 3 verschiedene Meinungen in Betreff der Deutung dieser Zwischen- scheiben bestehen, weist darauf hin, dass die Entscheidung keine ganz leichte ist. Bernays hält diese Zwischenscheiben für ‚„in- differentes ehondrogenes Gewebe“ (Nr. 16, S. 409). Schulin be- nutzt die bei dieser Gelegenheit auftretenden Bilder als Stütze für seine Annahme von der Gelenkspaltbildung von der Peripherie Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd, 21. 40 608 Oscar Hagen-Torn: zum Centrum hin. Weder in den Beziehungen zum Pieroearmin, noch in der von Henke und Reyher gezeichneten Form mit gleich intensiv scharfen Grenzen, noch in dem Auftreten der Zwischenscheiben bevor die nächste Phalanx angelegt ist, kann ich die Beobachtungen Henkes und Reyhers nach meinen Unter- suchungen am Kaninchenembryo bestätigen. Die Scheiben habe ich zuerst mehr oder weniger deutlich beim Kaninchen von 20 mm gesehen. Die „Krempe“ habe ich nur an den ersten und letzten Flächenschnitten einer und derselben Zehe gesehen, auch an diesen Stellen hat die Zwischenzone immer eine distale verschwommenere Grenze und eine proximale schärfere, breitere, in ihrer Mitte sich stärker tingirende Stelle. Diese proximale Linie entspricht dem Gelenk, während die distale Grenze nur durch die gedrängtere Anordnung der Knorpelzellen zwischen Knorpelkern der Phalange und ihrer Basis sich darstellt. Die Zwischenscheiben kommen nur an den Phalangealgelenken vor, nur bei diesen ist die Basis der nächsten Phalanx breiter als das Köpfchen, welchem sie aufsitzt; dies und die Abwesenheit einer überall gleich dieken Perichon- driumschicht, wie sie an anderen Knorpelanlagen vorkommt, ge- nügt vollständig zur Erklärung der Zwischenscheiben. Die Ent- wicklung der Phalangealgelenke geht sonst ganz nach demselben Typus vor sich, wie an anderen Gelenken. Beim 36 mm langen Kaninchenembryo sind die Sesambeine an den hinteren Femurcondylenflächen in den Sehnen angelegt. Die Hüftgelenkshöhle ist grösser, jedoch noch spaltähnlich, ohne seitliche Ausbuchtungen (auf dem Sagittalschnitt). Das gleiche am Kniegelenk, hier hat sich eine Spalte auch zwischen den condyli tibiae und menisei ausgebildet. Der Unterschied in der Tinetion des Knorpelsaumes und der der Knorpelsubstanz ist geringer, wenigstens an der Contaetstelle. Die hintere Kapselwand in der Mitte ihres Verlaufs (auf medialem Sagittalsehnitt) ist ausgebildet; es besteht schon das tibiofibulare Gelenk. Gefässe treten von vorn in die Knorpel der Gelenkenden. Die Haut hat sich in Cutis und Unterhautbindege- webe gesondert. Die Muskeln erscheinen längsstreifig. Es ist mit einem Wort alles an Ort und Stelle und hat sich bis zur Geburt nur höher zu differenziren. Ich werde daher bei der Be- schreibung der nächstfolgenden untersuchten Embryonen mich ausschliesslich an die Aufzählung der Veränderungen in den die Gelenkhöhlen umgebenden Geweben halten. Bau und Entwicklung der Synovialmembranen. 609 An dem Knie- und Hüftgelenk eines 47 mm langen Kaninchen- embryo sieht man die Höhle des Gelenks grösser geworden. Am Hüftgelenk ist es einfach eine Verlängerung der bestehenden Spalte in allen Richtungen zwischen den fast congruenten Knorpel- flächen; die zum Schenkelkopf gerichtete Fläche des Lig. teres hat sich vom Köpfehen auf dieselbe Art wie die menisei am Knie losgelöst; seine distale Fläche ist noch mit dem an Ausbreitung und an Masse abnehmenden gefässführenden Mesochondrium in Ver- bindung. Im Kniegelenk ist die Gelenkhöhlenbildung entsprechend der complieirteren Configuration der dasselbe bildenden Gelenk- enden complieirter. Die zuerst aufgetretene Spalte zwischen Pa- tella und femur hat sich nach oben und unten verlängert (auf Sagittalschnitten). Nach unten zu, sich mehr an die Knorpelen- den als an das weiche Bindegewebe haltend, auf einer grösseren Ausdehnung in der Richtung des vorderen Randes des lig. erue. anterius. Zu beiden Seiten der Patella bleibt eine Brücke des lockeren gefässhaltigen Gewebes, welche zu den flachen Einker- bungen an den Vorderflächen der beiden condyli femoris von den Seiten der Patella im unteren Abschnitt sich hinzieht, bestehen. Es sind die ligg. alaria. Ebenso sieht man auch, dass im Winkel zwischen lig. patellare und Tibiakopf das embryonale Bindege- webe bestehen bleibt (auch beim Embryo von 56, 80 und beim 95 mm langen Neugebornen). Auch in dem hinteren Theil des Kniegelenks ist in diesem Stadium eine unregelmässig begrenzte kleine Höhle vorzufinden. Die intracapsulären Ligamente (liga- menta ceruciata, menisci, Sehne des tibialis antieus, und die neben dieser am Knorpelbande des condylus externus femoris ihren Ursprung nehmende Sehne der Plantarflexoren) sind von ziemlich weiten, sich ihnen anschmiegenden Gefässen und lockerem Binde- gewebe umgeben, — es gilt dies auch für die Quadricepssehne und für die femorale Wand des Recessus suprapatellaris. Der Gelenk- fläche der Patella sieht man keine Gefässe aufliegen. Die Linie der Patellagelenkflächen-Krümmung mit ihren Fortsetzungen auf die Quadricepssehne und das lig. patellare läuft der entsprechenden Femurgelenkflächenlinie parallel. Von Synovialfalten oder Zotten ist noch keine Spur zu sehen. Auf dem Sagittalschnitt ist der Saum der Haupthöhle, nach Anwendung von Tinetionsmitteln, ein wenig dunkler gefärbt als das übrige lockere Bindegewebe. Er erweist sich aus einer dich- 610 Oscar Hagen-Torn: teren Schicht von meist rundlichen und länglichen, den umgeben- den ähnlichen Zellen bestehend. Ausser der Haupthöhle sieht man in der Tiefe des Gelenks kleinere Höhlen, die nicht deutlich begrenzt sind, durch diese findet man zuweilen ein Gefässchen mit ihm anliegenden Zellen verlaufen. Ich muss mich der posi- tiven Entscheidung enthalten, ob diese Zellen ein resistenterer Rest des Gewebes sind, welches der Verflüssigung anheimfällt, oder ob es sich hier um eine Zellenwucherung an der der Höhle zuge- wandten Oberfläche handelt, oder ob noch neue Bildungszellen hierher einwandern. Ich glaube, es greifen hier alle drei Ent- stehungsweisen Platz. An dem Untergange eines Theils der Zellen bis zu der weiteren Höhlenbildung-kann man wohl kaum zweifeln, man sieht sich schwach färbende und schwach contourirte Zellen frei in der Höhle liegen. Ich sehe nicht ein, woher Bernays den Zellen des gefässlosen Mesochondrium die Möglichkeit des Auftretens ähnlicher Vorgänge abspricht und dem jedenfalls noch weniger zu begründenden Eindringen von Blutplasma in den eben gebildeten Gelenkspalt allein den Platz einräumt. Die hintere Extremität eines 56 mm langen Embryo hat durchaus wenig Ab- weichendes aufzuweisen. Die Gelenkhöhlen sind noch immer so zu sagen glattwandig. | Die erste Spur der Synovialfalten und der Zottenbildung fand ich beim SO mm langen Kaninchenembryo am oberen und unteren Ende der Patella. Es ist die Kniegelenkshöhle noch grösser ge- worden, das umgrenzende lockere Gewebe ist weiter differenzirt. Von den intraeapsulären Ligamenten scheinen nur noch die liga- menta eruciata von lockerem Bindegewebe umgeben und mit ein- ander verbunden zu sein. Die Menisei und die anderen intracap- sulären Sehnen werden nur von einer Schicht abgeplatteter Spin- delzellen bedeckt. In der Gelenkflächen-Krümmungslinie sieht man an beiden Enden der Patella kleine Vertiefungen sich bilden, wo- durch die ehedem ununterbrochene Linie nach auswärts hin Knik- kungen bekommt. Bei einem neugeborenen Kaninchen von 95 mm dringt der Höhlenraum längs der Sehne des tibialis antieus auf die Vorder- fläche des Tibiakopfes; hinten reicht er zwischen die Knorpelllä- chen der Sesambeine und den entsprechenden Theilen der Condyli femoris hinein. Die Synovialfalten und Zotten am femoralen und tibialen Ende der Patella sind grösser, man sieht sie an denjenigen Bau und Entwickelung der Synovialmembranen. 61l Stellen zu beiden Seiten der Basis der Menisci, wo diese durch lockeres Gewebe mit der Kapsel verbunden sind. Es sieht aus, als wenn die keilförmigen Menisei zur Peripherie des Gelenks hin gedrängt werden, und dadurch das lockere anliegende Gewebe in Falten legen. Auch in der femoralen Kuppe der Artieulation zwi- schen Sesambein und condylus femoris besteht eine Falte. Die Plica synovialis mit ihrem Ligamentum blieb während der ganzen Entwiekelung der Höhle bestehen und bleibt es als Rest des em- bryonalen intracapsulären Bindegewebes auch fürs ganze Leben. Daher kann ich nicht mit Bernays von „Anlagen“ dieser Theile sprechen. Die Ablagerung von Fett in den Zellen der Plica syno- vialis tritt zum ersten Mal beim 47 mm langen Kaninchenembryo auf. Nun fragt es sich, was die Ursache der Entstehung der Zotten sei? Hüter hält sie für eine pathologische Erscheinung, führt ihre Bildung auf „angestrengte Bewegung in öfterer Einwirkung“ zurück. Er spricht (Nr. 11, 5.79) weiter vom Schwund der Zellendecke mancher Zotten in Folge von Reibung. Auch Tillmanns spricht (Nr. 41, S. 413) von „einem Reizeffect der Reibung bei den Gelenk- bewegungen“ als der Ursache der Zottenbildung. Bernays, welcher von den Zotten an der Patella handelt, glaubt (Nr. 16, 5.436, menschl. Embryo im 6. Monat), sie entstän- den durch Abdrängen des Bindegewebes, welches die Patellagelenk- fläche bedeckt, bei Bewegungen der Extremität. Die Angaben von Henke und Reyher (Nr. 12, 5.242) und Nagel (Nr. 17, 8.35), dass die zipfelförmigen Fortsätze (auf Sagittalschnitten), welche (nur von kleinen Gelenken ist bei ihnen die Rede) von der Peri- pherie zur Spalte sich hinziehen, erhalten bleiben und so eine Synovialfalte bilden, ist nur eine Vermuthung; die Bildung der Synovialfalten ist von genannten Autoren nicht gesehen worden. Der genannte Zipfel erhält Gefässe, schwindet aber dann und wird zu einem Theil der gefässreichen Synovialis und giebt nur das Material zur Bildung von Falten und Zotten, welche in den kleinen Fussgelenken viel später als an den grossen auftreten. Die Facta, dass die Höhlenbildung von allen Gelenken der unteren Extremität am Kniegelenk, dabei zwischen Patella und Femur, als den beweglichsten Theilen, zuerst auftritt, und dass sie an weniger beweglichen Gelenken später erscheint, dass der Höh- lenraum im Kniegelenk sich nach unten hin, dem Knorpelende näher, als dem nachgiebigeren lockeren Bindegewebe zu, bildet und vergrös- 612 Oscar Hagen-Torn: sert, weisen mit Bestimmtheit darauf hin, dass die Höhlenbildung durch den Druck und die Zerrung bei Bewegungen eingeleitet und weiter ausgeführt wird, wobei wohl die Synovia die Rolle einer Druckvertheilerin zu spielen hat, daher treffen wir keine Risse des Gewebes und die mit ihnen einhergehenden Extravasate an. Bei der Höhlenbildung atrophirt ein Theil der Zellen und der Gefässe; manche Gefässschlingen bleiben, von dem sie umgebenden Gewebe entblöst, mit dem restirenden gefässhaltigen Bindegewebe in Ver- bindung — es entstehen so die Trabekeln, welche an den Gelenken und Sehnenscheiden, besonders grösserer ausgewachsener Thiere, vorgefunden werden (Pferd, Rind, Mensch). Das restirende Gewebe wird zum Theil an die Kapselwand durch die Gelenkenden bei Bewegung angedrückt, dafür spricht der Reichthum der Synovialis auch bei Neugebornen an dichten über einander liegenden Gefäss- netzen, welche mit der Zeit schwinden, zum Theil retrahirt es sich bei seiner höheren Differenzirung aus embryonalem in lockeres Bindegewebe. Ich glaube die Vertiefungen z. B. an den beiden Enden der Patella, als solche Retractionen ansehen zu können. Mit ihr geht ein Strafferwerden der Kapsel einher. Wir haben einer- seits das bewegliche lockere gefässreiche Gewebe der Synovialis als Substrat für die Zottenbildung, andererseits die negativen und positiven Druckschwankungen in den verschiedenen Theilen des be- treffenden Gelenks bei Bewegungen der Extremität als Ursache der- selben. Schon beim Fötus, noch mehr aber im extrauterinen Leben, bei weiterer Entwicklung der Gelenkoberflächen, liegt die Patella bei stärkeren Bewegungsexeursionen nicht mit ihrer ganzen Gelenk- fläche dem vorderen Femurende an; es wird bald ein Ende bald das andere abgehoben; es müsste ein leerer Raum an diesen Stellen entstehen. Der sich hier entwickelnde negative Druck ist es, welcher das lockere gefässhaltige Material der Synovialis in Form von Falten abhebt und ein stärkeres Wachsthum (die Zottenbildung) auf der Oberfläche derselben einleitet. Für diese meine Annahme sprechen folgende Umstände: zuerst erscheinen die Falten um den Patellargelenksrand, also an einer Stelle, wo die genannten Er- scheinungen sich zuerst in voller Kraft entfalten können; wo von Haus aus die Synovialis zwischen unnachgiebigen Theilen sich be- findet, dort schwindet sie durch Bewegungsdruck nicht (die Plica synovialis, die ligamenta mucosum und alaria). Die Zotten und Falten sind an gewisse Prädilectionsstellen gebunden, der Hüter- Bau und Entwicklung der Synovialmembranen. 613 schen Ansicht entgegen. Sie treten überall dort auf, wo die ge- nannten Ursachen bestehen. Dort wo zwei wenig nachgiebige oder unnachgiebige Gelenksconstituenten sich gegenüber stehen und constantem sgegenseitigem Druck ausgesetzt sind, findet man wenigstens keine makroskopisch sichtbaren Zotten. Ausser der genannten Stelle am Rande der Patella sieht man Zotten in der Kuppe des Recessus suprapatellaris, wo die Muskelansätze ein Aneinanderlegen der beiden Wände des Recessus verhindern. An denjenigen Stellen, wo zwei Knochen mit ihren Gelenkflächen sich so berühren, dass zwischen ihren von der Synovialis über- kleideten Periostflächen und dem anliegenden straffen Band auf senkrechten Schnitten ein dreieckiger Raum besteht (sei es zeit- weilig während der Bewegung oder beständig) wird man immer Synovialzotten antreffen. Ich habe diese Anschauung nicht als Resultat der Untersuchung von Kaninchenfötus allein mitgetheilt — für diese Untersuchung genügen Kaninchenembryonen nicht — es sind auch beim ausgewachsenen Kaninchen die Zotten und Falten der Synovialis nur relativ schwach ausgeprägt, — besser sind für diesen Zweck Schafsembryonen. Für mich war es aber wichtig an einem und demselben Thiere bis zur Geburt hin eine Uebersicht über die ganze Gelenkbildung zu haben, um aus den stattfindenden Veränderungen einen Schluss auf die physiologischen Vorgänge ziehen zu können und das ermöglichten die Gelenke der Kaninchenembryonen wegen ihrer Kleinheit. Beim Schaf und beim Menschen erscheinen die Zotten und Falten relativ viel früher (beim Schaf zuerst an einem 75 mm langen Embryo, beim Menschen nach Bernays im 6. Monat des fötalen Lebens). Noch eine Stütze für meine Annahme sehe ich besonders in der Zotten- bildung der Pleura (von Luschka und nach ihm von Henle beschrieben), welche meiner Meinung nach mit den Gelenken nur das Gemeinsame hat, dass beide, physiologischer Weise, grösseren Druckschwankungen ausgesetzt sind. Dasselbe kann man an an- deren in Höhlen gelegenen Organen oder an Höhlenwandungen finden. Wir finden breitbasige Fettzotten an den sulei und auri- eula cordis und die appendices epiploicae des Diekdarms; hierher sind wohl auch die Zotten des plexus choroideus zu rechnen und die von Rollet (Nr. 80, S. 1128) angeführte Beobachtung: „Am Rande der Hornhaut finden sich warzenartige Erhebungen der hinteren Fläche der Descemetschen Membran vor. Diese fehlen 614 Oscar Hagen-Torn: noch in den ersten Lebensjahren.“ Es sind somit die Synovial- falten und Zotten alle secundär, nicht primär, wie Schulin an- nimmt (Nr. 19, S. 263), entstanden. In den Sehnenscheiden und Schleimbeuteln muss die Zottenbildung in ganz derselben Weise wie in den Gelenken angenommen werden. In Betreff der Bildung von Recessus an den Gelenken, wie auch des Grösserwerdens der Gelenkhöhlen überhaupt glaube ich der einen Ursache, dem von Hüter (Nr. 11, S. 19) und Sehulin (Nr. 19, 5. 261) angenommenen intracapsulären Knochenwachsthum, wenn die Epiphysenlinie intrakapsulär zu liegen kommt, noch den Zug der an die Synovialis sich anheftenden Muskeln und in der ersten Zeit nach der Geburt den intracapsulären Druck, welchem bei ausgiebigeren Bewegungen der Gelenke die Syno- vialis durch Vermittlung der Synovia an ihren nachgiebigeren Theilen ausgesetzt ist, hinzufügen zu können. Es bleibt mir noch die vielbestrittene Frage nach der Existenz eines continuirlichen epithelähnlichen Zellenbelages auf den knor- peligen Gelenkenden zu besprechen. Die Frage über die Abge- schlossenheit der Synovialis als einer nach Art der serösen Häute in sich selbst zurücklaufenden Membran beschäftigte die Beobachter noch im vorigen Jahrhundert. Todd führt an, dass diese Lehre zuerst von W. Hunter aufgestellt, nach ihm von vielen Beobachtern angenommen und vertheidigt wurde (Soemmering, Bichat, Meckel, B&clard). Ihnen standen eine Menge anderer Beob- achter gegenüber (Cruveilhier, Gordon, Magendie, Blan- din, Gendrin, Velpeau). Unter dem Mikroskop hat, scheint es, Reichert (Nr. 6, 5. 16) zuerst im Foetalzustande des Menschen der Knorpelsubstanz unmittelbar aufliegendes Epithel gefunden: „Bei Erwachsenen fehlte es“ an den Gelenkknorpeln und der nächsten Umgebung. Bruch (l.e.) fand die Gelenkknorpel, sobald die Gelenkspalte sich gebildet „stets nackt.“ Luschka (Nr. 9, 5.9) bestätigte Reichert, indem er im Foetalzustande Zellen auf dem Gelenkknorpel fand, welche „eine nicht zu verkennende Aehn- Ifchkeit mit den Epithelialgebilden der Synovialhäute zeigten“. Die Zellen finden sich ordnunglos in die Zwischensubstanz einge- lagert, nicht aber sind sie nach Art vollständiger Epithelien in Gestalt zusammenhängender Schichten aneinander gefügt.“ Hüter (Nr. 11) spricht von einem Rest des Periehondriums auf den Ge- lenkknorpen. Tillmanns (Nr. 41, S. 415) ist es nicht gelungen, Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 615 „eine vollständige Endothelschicht“ auf der Fläche des Knorpels beim Foetus von Menschen und von Thieren zu constatiren. Bernays (Nr. 16, 8.435) hat das Centrum der Patella nackt, die Peripherie von seiner chondrogenen Schicht bedeckt gefunden. Meinen Beobachtungen zufolge muss ich mich Bernays anschliessen. Die Contactstellen der Knorpel scheinen bei der Spaltbildung keinen Zellenüberzug zu besitzen, während die übrige Knorpeloberfläche mit einer zur Peripherie hin sich verdickenden Zellenschicht be- deckt ist. Die oberflächlichsten Zellengebilde tragen den durch Silberbehandlung nachweisbaren Charakter von Zellen, die in Saft- lücken liegen. Bei einem Rindsembryo von 52cm (vom tuber oceipitale bis zur Schwanzwurzel gerechnet) fand sich fast die ganze Fläche des Tibiakopfes von solchen zellhaltigen Saftlücken bedeckt, stellenweise waren auch Gefässe und Bilder, welche als Gefässschwund gedeutet werden konnten, zu sehen. Die Zellen in den Saftlücken bekommen zum Centrum der Gelenkfläche hin immer kürzer werdende Fortsätze und gehen im Centrum in deutliche Knorpelzellen über. Den Erwachsenen kommt keine Zellenbekleidung der Ge- lenkknorpelfläche zu, darüber herrscht in den Meinungen aller For- scher vollkommene Einigkeit. In dem der Synovialis zunächst gelegenen Theile des Radiocarpalgelenks eines ausgewachsenen Hundes traf ich an Silberpräparaten hie und da eine mit Fort- sätzen versehene Knorpelzelle. Es lassen sich aus dem Beobachteten für die Entwickelung der unteren Extremität beim Kaninchenembryo folgende Schlüsse ziehen: 1. Die Anlage der Extremität stammt aus dem Mesoblast. 2. Als erste Differenziation in der gleichförmigen Masse der Bildungszellen an der Extremität ist die Bildung von Nerven und Gefässen anzusehen. 3. Die ersten Knorpelanlagen treten sämmtlich gesondert, succesive vom proximalen zum distalen Ende der Extremität auf; um eine Jede von ihnen bildet sich eine eigene Perichondriumschicht. 4. Um die Stellen, wo die Primordialknorpel aneinanderstossen, entwickeln sich in der frühesten embryonalen Periode Gefässe, deren Anzahl mit der weiteren Entwicklung stetig zunimmt. 5. Die Anlagen der Muskeln, Sehnen, capsulären und intra- capsulären Ligamente und Sehnen treten an einer gegebenen Stelle vom Oberschenkel beginnend zur Peripherie hin, sämmtlich ge- 616 Oscar Hagen-Torn: sondert und zu gleicher Zeit in loco auf. Am spätesten entwickeln sich manche Stellen der Gelenkkapseln, welche keine Verstärkungs- bänder besitzen. 6. Die Kniescheibenanlage entsteht durch Differenzirung der Sehnenzellen der Quadricepssehne in Knorpelzellen. Sie ist dem- nach, aller Wahrscheinlichkeit nach, auch vom embryologischen Standpunkt den übrigen Sesambeinen, für welehe diese Entstehungs- weise zu constatiren ist, anzureihen. 7. Ein besonderes Gewebe für die Anlage der Gelenke existirt nicht. 8. Man kann in dem Zwischenknorpelbildungsgewebe einen gefässlosen Theil, welcher sich zwischen den nächsten Contact- stellen der Knorpelenden befindet, und einen von diesem peripher gelegenen gefässreichen Theil annehmen. 9. Die ursprünglich indifferente Bildungszellenschicht des Zwischenknorpelgewebes bietet successive folgende Veränderungen dar: zuerst bildet sich in ihr eine lichte Zone, welche nachher schwindet, wobei die Gelenkenden näher aneinander gerückt er- scheinen; nach der Spaltbildung wird das gefässlose Mesochondrium durch die gefässführende Zwischenknorpelschicht verdrängt. 10. Die Gelenkspaltbildung tritt zuerst an den nächsten Con- tactstellen der Gelenkenden auf. Sie geschieht, indem ein Theil der Bildungszellen sich zu Spindelzellen umwandelt, welche sich weiterhin zu Knorpelzellen umbilden, ein anderer Theil von ihnen schwindet auf dem Wege der schleimigen Degeneration und trägt zur Bildung der Synovia bei. Anfänglich der Wachsthumsdruck der Gelenkenden, später die Bewegungen der Extremität sind wahrscheinlich die diese Erscheinungen bedingenden Factoren. Die Gelenkspaltbildung findet an der Extremität im Allgemeinen vom Rumpf zum freien Extremitätenende hin statt, jedoch nicht streng eonsequent; zu allererst bildet sich der Spalt zwischen Femur und Patella, zwischen den Phalangen früher als zwischen den Fuss- wurzelknochen; überhaupt zuerst an denjenigen Gelenken, welche, entsprechend der Configuration der Gelenkenden, eine grössere Be- weglichkeit zulassen. 11. Alle Gelenke der Extremitäten ohne Ausnahme entwickeln sich nach einem und demselben Typus. 12. Die Entwickelung des in den Gelenken und um die Sehnen, sowie zwischen den Muskeln befindliehen Gewebes geht mit dem- Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 617 jenigen des Unterhautzellgewebes, in welchem sich die Schleim- beutel bilden, Hand in Hand; ihr mikroskopischer Bau bleibt immer derselbe. Von der Zeit der Spaltbildung an tritt nur eine Diffe- renz in der die Höhlen begrenzenden Schicht auf; diese wird zellenreicher. 13. Die Trabekeln der Synovialis sowie manche Synovial- falten (die Plica synovialis und das lig. mucosum am Knie) sind bei der Bewegung der Gelenke verschont gebliebene Ueberreste des embryonalen Gewebes. 14. Die Synovialis entsteht aus demjenigen gefässreichen Theile des intracapsulären Bindegewebes, welcher bei der Gelenk- höhlenbildung verschont geblieben ist und sich retrahirt hat. 15. Die Synovialzotten entstehen alle secundär aus dem sehr lockeren zellen- und gefässreichen Material der jungen Synovialis. Einer der Hauptfactoren für ihre Entstehung und ihr Wachsthum ist das Ansaugen der lockeren gefässreichen Synovialis bei den mit den Bewegungen der Gelenke einhergehenden negativen Druck- schwankungen. Nur an einigen bestimmten Stellen der Gelenke kann sich dieser Factor geltend machen, daher sind die Zotten auch nicht überall in gleicher Stärke ausgebildet. 16. Der grösste Theil der Knorpelenden der das Gelenk con- stituirenden Knorpelanlagen ist im embryonalen Zustande und beim Neugeborenen mit einer zur Peripherie an Dicke zunehmenden Bindegewebszellenschicht bedeckt, welche zur Zeit :der Geburt schwindet. Bau der Synovialis. Auf den Rath von Prof. Waldeyer begann ich meine Unter- suchung der Gelenksynovialis mit derjenigen des Hüftgelenks des Frosches, weil an ihr, da sich eine vollkommene Gleichheit des Baues mit derjenigen der Synovialis der Warmblüter herausstellt, als an einem kleinen, leicht in seiner ganzen Ausdehnung über- sehbaren Object, die Structurverhältnisse am anschaulichsten vor- liegen. Die Hüftgelenksmembran des Frosches ist einerseits an dem fast kreisrunden in einer Ebene gelegenen Rande der fossa ace- tabuli, andererseits am Halse des Femur angeheftet; an diesen je- doch nicht direet in seiner ganzen Peripherie, sondern nur aussen 618 Oscar Hagen-Torn: und innen, dabei ist der vordere Theil breiter und reicher an festerem Bindegewebe. Vorn geht die Kapsel an den entsprechen- den Seiten des Femurkopfes auf ein Ligament, hinten auf einen Muskelansatz über. Der das Köpfchen umfassende Theil ist fast überall durch straffere Bänder verstärkt, nur die Umsehlagstelle am Schenkelhalse ist dünn. Die das Gelenk umgebenden, vom Becken zum Femur laufenden Muskeln sind fest mit der Gelenk- kapsel verbunden. Die zu untersuchende Gelenkkapsel wurde an der Aussenseite der Länge nach gespalten, vom Rande der Pfanne abgelöst und dann vorsichtig die ganze vordere und hintere Wand vom Schenkelhalse abgeschnitten. Makroskopisch hat der grösste Theil der Synovialis ein fast knorpeliges Aussehen, ist glatt, glänzend, lässt sich nicht in eine Falte nehmen. Die mikroskopische Untersuchung wurde, wie auch an den meisten anderen später zu nennenden Objeeten in frischem Zu- stande in 3 % ClNa-Lösung oder in Glycerin vorgenommen, oder sie wurden mit Osmiumsäure, Argentum nitricum (nach Landzert 1:400—800, nach Hüter 1 °% und mit Berlinerblau in statu na- scenti behandelt. Zum Isoliren der Intima wurde doppeltchrom- saures Kali, 10 °/, ClNa-Lösung und Drittelalkohol angewandt. Als Tinctionsmittel dienten mir Pikrokarmin, Haemotoxylin, Eosin, vorherrschend aber Grenachers Karmin und Goldcehloridnatrium. Um Querschnitte zu bekommen, wurden die Präparate in Gelatine oder in ein Gemisch von Spermacet, Rieinusöl und Wachs einge- bettet. Die Schnitte wurden zum Theil aus freier Hand, zum Theil mit dem Miecrotom von Long gemacht. Bei der Untersuchung der vom eben getödteten Frosche ent- nommenen Hüftgelenksynovialis in schwacher Kochsalzlösung sieht man bei höchster Einstellung des Mikroskops über der innersten, vorherrschend aus längsverlaufenden parallelen welligen Binde- sewebsfaserbündeln bestehenden Faserschicht, stellenweise einzelne oder auch zu Gruppen angeordnete, stellenweise grössere Strecken bedeekende. nicht sehr deutlich conturirte, mattglänzende Gebilde. Sie sind nicht alle gleich gross; manche von ihnen sind rund oder oval, die meisten mit Fortsätzen versehen. Sie liegen nicht alle in einer Ebene; bei successiver Senkung des Tubus sieht man noch weniger deutliche Gruppen von ähnlichen Zellen, welche wiederum nicht eine einzige Schicht bilden. Bei Drehung der Schraube ver- Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 619 halten sich die Gebilde und ihre Contouren wie zwei verschieden lichtbreehende Medien: es wird bald das Feld dunkler, der Contour heller, bald umgekehrt. In Glycerin untersucht, nimmt sich dieses Object ähnlich aus, nur sieht man in manchen der genannten Gebilde einen schwach angedeuteten ovalen Kern. Etwa eine halbe Stunde nach Zusatz von Essigsäure zu dem in ClNalösung untersuchten Präparate sieht man an Stelle der undeutlich contourirten Figuren in jeder einen scharfbegrenzten, körnigen, etwas glänzenden, ovalen, in allen gleich grossen Kern, welcher nicht von allen Seiten gleichmässig von feinkörnigem Protoplasma umgeben ist. Die Zellen sind Bindegewebszellen vollkommen ähnlich. Wenn man irgend welche Gesetzmässigkeit in der Anordnung der Zellengruppen sucht, so findet man, dass an Stellen, wo die Gelenkkapsel von derberen Ligamenten ver- stärkt ist, die Gruppen der Zellen in Reihen, entsprechend dem Verlauf der parallelen Bindegewebsbündel, liegen; dabei ist ihre gegenseitige Lage in den Gruppen der Art, dass die fortsatzlosen, abgerundeten oder etwas abgeplatteten Seiten der Zellen an ein- ander stossen, während ihre Fortsätze gegen die Peripherie der Gruppe ausstrahlen. Die zuweilen sehr langen Fortsätze, sowie ihre Zweige halten auch die Richtung der unterliegenden Fasern ein oder kreuzen sie; die Fortsätze liegen mit den Zellen meistens nicht in einer Ebene. Es sind das die flammen- und keulen- förmigen Zellen, welche von vielen Autoren beschrieben worden sind. An den Stellen der Kapsel, wo die Unterlage der Synovialis aus unregelmässig angeordneten oder sich kreuzenden schwächeren Bindegewebsfasern besteht, sind die Zellen in grösseren Mengen vorhanden, dichter gedrängt und durch die sehr stark verzweigten Fortsätze inniger mit einander verbunden. Zwischen diesen beiden Arten der Anordnung gibt es allmähliche Uebergänge. Um vieles deutlicher und anschaulicher wird das beschriebene Bild bei Behandlung des frischen Präparates mit Argentum nitrieum. Auf die Beschreibung der durch diese Methode gewonnenen Bilder vom Froschhüftgelenk und den Synoviales von Warmblütern komme ich bei den letzteren zurück. Ich füge hier noch die Bilder, welche an senkrechten Sehnitten der Froschhüftgelenksynovialis zu beobachten sind, hinzu. Man sieht an solchen Schnitten die innere Fläche der Kapsel durch 620 Oscar Hagen-Torn: eine scharfe Linie begrenzt; nur ausnahmsweise ragt eine Zelle über den klaren Rand hervor; in einer kleinen, nicht überall gleichen Entfernung vom Rande sieht man abgeplattete Zellen, deren Längsaxe dem Rande parallel liest, an manchen Stellen diehter gelegen, an manchen weiter von einander entfernt. Das ist die Synovialis. Weiter nach aussen hin sieht man ganz ähn- liche Zellen in bedeutend geringerer Menge den Bündeln der Kapsel anliegen. Die Grundsubstanz, in welche die Synovialzellen ein- gebettet sind, ist am Rande fast homogen oder schwach körnig. Noch im Bereich der dicht liegenden Zellen gehen nach aussen hin die sehr feinen Fasern der Synovialis ganz allmählich in die groben Faserbündel der Kapsel über. Die Gefässe sind sehr spär- lich; nur an der Umschlagstelle der Gelenkkapsel auf das Femur etwas reichlicher. Versuche, die Synovialis durch 2—3 Tage lange Maceration in Kali biehromieum, 10 °/, ClNalösung, Drittelalkohol zu isoliren, sind mir nieht gelungen. Es werden nur Fetzen der Synovialis zusammen mit dem unterliegenden Gewebe der Kapsel abgerissen. Die einzige Angabe in der Litteratur über den Bau der Synovialis der Froschgelenke ist die von Albert (Nr. 37, S. 435), welcher auf derselben kein Endothel gefunden hat. Von anderen Gelenken sind das Hüft- und Kniegelenk vom Meerschweinchen (2 Tage alt und ausgewachsen), das Kniegelenk der Maus, Kniegelenk einer 6 Wochen alten Katze, das Knie-, Hüft-, Schulter- und Fussgelenk vom Kaninchen, das Sehulter-, Knie-, Fuss- und Zehengelenk vom Hunde, das radiocarpal- und metatarsophalangealgelenk vom Schaf, dass Fussgelenk einer Kuh, das radiocarpal- und earpometacarpalgelenk vom Pferde, das Knie- gelenk eines nicht ganz ausgetragenen Kindes, eines Neugebornen und Knie- und Hüftgelenk vom erwachsenen Menschen untersucht worden. Sämmtliche hier aufgezählten Gelenke vom erstgenannten an bis zu denen des Schafes inelusive wurden noch warm bis spätestens eine Stunde nach dem Tödten des Thieres zur Unter- suchung hergerichtet. Ausserdem wurden die Bursae mucosae praepatellaris, tendinis Achillis, beim Kaninchen die am Schulter- Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 621 gelenk befindlichen Bursae, die Sehnenscheiden nebst Sehnen von Kaninehenzehen und die Sehnenoberfläche des m. plantaris am caleaneus untersucht. Die Objeete wurden in ganz frischem Zustande beobachtet, mit 0,5°/, Osmiumsäure behandelt, oder dieselbe Lösung periarti- eulär injieirt, mit argentum nitriecum von 1°, bearbeitet, in Müller'scher Flüssigkeit und in Alkohol gehärtet, mit Goldehlorid nach Böhm behandelt. Die Objecete wurden entweder frisch gefroren, in Gelatine oder in einer Wachs-Spermacet-Oelmasse geschnitten. Als Tinktionsmittel wurden die vorhin genannten verwendet. Makroskopisch erscheint die Synovialis in allen genannten Gelenken an sorgfältig abgeschnittener Gelenkkapsel als eine selbliche, durchscheinende mehr oder weniger locker mit dem unterliegenden Gewebe der Kapsel verbundene, relativ verschieb- bare Membran. Der ihr zugeschriebene Glanz rührt von der ihr anheftenden Schicht zäher Synovia her; spült man diese ab und entfernt das Wasser vorsichtig mittelst Filtrirpapiers, oder lässt es etwas verdunsten, so hat man eine fast überall matte Ober- fläche vor sieh. Untersucht man eine Synovialis unter Wasser, so sieht man an einigen Stellen derselben kleine Zotten flottiren; beim Meerschweinchen und beim Kaninchen, auch beim Hunde sind ihrer ziemlich wenige. Schon beim Hund und Schaf, noch mehr bei grossen Geschöpfen (Kuh, Pferd, Mensch) ist fast die ganze Oberfläche von solchen Zotten bedeckt; sie sind nur nicht überall gleich stark: an manchen Stellen sind sie kaum mit blossem Auge sichtbar, an anderen bieten sie einen wahren Wald von verzweigten Zotten verschiedener Dicke und Form. An solchen Stellen ist die Synovialis bei grossen Thieren (Pferd) einschliess- lich der Zotten 1!/; und mehr em dick. Ich will gleich hier auf eine Art von Gebilden hinweisen, welche, meines Wissens, bis jetzt wenigstens in den Gelenk- und Sehnenscheiden-Synoviales von keinem Beobachter !) entsprechend 1) Vielleicht meint Sappey (Bd. I, S. 689) sie in der Beschreibung der Synovialis des menschlichen Hüftgelenks, indem er sagt: „les replis figurent tantöt une sorte de pont membraneux plus ou moins large, tantöt ...“ Henle (Nr. 98, Bd. I, Abth. II, 5—6) beschreibt sie als „eylindrische oder platte Fäden, die an beiden Enden angewachsen und strangförmig von einer Fläche zur anderen gespannt sind.“ 622 Ösear Hagen-Torn: gewürdigt worden sind, welche aber für die Beurtheilung des Charakters der Synovialis, wie auch für die Erklärung der Ent- stehungsweise eines Theils der Zotten von Werth ist!): Es sind so zu sagen vom unterliegenden Gewebe losgelöste, schmale Ge- websbrücken, deren Enden in’s Gewebe der Synovialis übergehen. Man trifft diese brückenförmigen Fäden sowohl isolirt als auch in Gruppen an, in denen sie sich kreuzen und mit einander ver- wachsen sind. Ich fand sie beim Menschen, Pferde, Schweine, Rinde, auch bei einem 52 em langen Rindsembryo. Ihre Länge beträgt einige mm bis 5 em. Es Sind dies die im embryologischen Theil dieser Arbeit beschriebenen, bei der Gelenkhöhlenbildung von dem umgebenden, der schleimigen Metamorphose anheimge- fallenen Bindegewebe entblössten Gefässe, welche sich mit einem Theil der sie bedeekenden Zellen erhalten haben. Vielleicht bilden sie sich auch noch während des extrauterinen Lebens. Die intraartieulären Druckschwankungen, deren Existenz die häufig wiederholten Experimente Bonnets beweisen, oder viel- mehr der negative Druck ist, wie ich schon im embryologisehen Theil dieser Arbeit angeführt habe, die Hauptursache der Ent- stehung der Zotten. Die resistenteren Theile der Gelenke, wie Sehnen und Knorpel, ebenso wie die in beständigem, innigem Contaet befindlichen Weichtheile vermögen dem Drucke Wider- stand zu leisten; sie sind desswegen zottenlos. Die oft sich wiederholende Aspiration lässt dagegen das lockere gefässreiche Gewebe in die Höhle wuchern. Die Reibung, welche bis jetzt allgemein als Ursache der Zottenbildung angenommen wurde, kann keine wesentliche Rolle dabei spielen, da die innere Oberfläche der Kapsel immer mit Synovia bedeckt ist. Was aber noch mehr gegen die Reibung als Ursache spricht, ist, dass die Zotten auch nicht an den Stellen der grössten Reibung, sondern denjenigen der geringsten entstehen. Für die Entstehung der Zotten der Sehnenscheiden und Sehleimbeutel behält diese Erklärung ihre volle Kraft. Neben den Zotten — den in die Gelenkhöhlen hineinragen- den Bildungen — giebt es an den Gelenken noch gewisse Reser- 0% principale (est) de remplir des vides, qui tendent ä& se produire dans toutes les diarthroses pendant l’exereice des mouvements.“ 1) Sappey (Bd. I, S. 909) sagt, dass „leur (der Zotten) destination Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 623 voire und Taschen, oder Communicationen mit den nächstgelegenen Sehnenscheiden oder Schleimbeuteln, vorherrschend auf der Flexions- seite. Die Entstehung dieser muss zum Theil auch durch Druck- steigerungen (bei maximaler Flexion zum Beispiel), erklärt werden. So ist es z. B. mit der bursa mucosa retrocondyloidea interna beim Menschen, welche oft mit dem Kniegelenk communieirt, und mit den grossen Synovialtaschen vor und hinter dem processus eubitalis humeri ete. Bei Thieren (Kaninchen, Hund, Rind, Pferd), deren im Sinne der Sinuositäten einfacher construirten, mit wenig nachgiebigen Bändern versehenen Gelenke (ich meine die kleineren Gelenke an den Vorder- und Hinterfüssen) den grössten Anforderungen in Bezug auf Exeursionsgrade und Belastung genügen müssen, werden, wie es scheint, manche der anliegenden Sehnenscheiden die Rolle der Compensatoren des wechselnden intraartikulären Drucks zu über- nehmen haben. Man trifft wenigstens an den kleineren Gelenken ge- nannter Thiere fast ausnahmslos eine Communication der Gelenk- höhle mit einer oder einigen Sehnenscheiden der sie überspringen- den Sehnen an. Am meisten fällt bei der mikroskopischen Untersuchung die Manmnichfaltigkeit im Bau der Synovialis auf, sowohl in Betreff ihrer Dieke, der Configuration der Fläche (bezw. des Randes auf senkrechten Schnitten), als auch in Hinsicht der Form der Zellen, ihrer Anordnung und des unterliegenden faserigen Bindegewebes. Zwischen den mikroskopischen Elementen selbst besteht an den verschiedenen Gelenken der Extremitäten kein wesentlicher Unter- schied. Ein Unterschied herrscht nur in ihrer Anordnung an be- stimmten Stellen. Diese wechseln je nach den gegenseitigen Be- ziehungen der verschiedenen Form der Gelenkenden und der sie umgebenden Theile (Kapselbänder, Muskeln) und je nach der da- mit verbundenen Verschiedenartigkeit der jedem Gelenk eigenen Bewegungsform. Daher kann ich mich an die Beschreibung der Synovialis des Kniegelenks, als desjenigen mit complieirtesten For- men halten. Frisch in Salzwasser untersucht, erscheint die Syno- vialis matt glänzend, bedeckt von kleinen Feldern von unregelmäs- siger Form und Grösse ohne scharfe Grenzen; nur hie und da ist in einem solchen Felde ein Kern sichtbar. Die Felder liegen an Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 41 624 Oscar Hagen-Torn: Stellen mit festerer Unterlage (Quadricepssehne, ligg. lateralia, in der Nähe der Ansatzstellen am condylus femoris) weiter von ein- ander entfernt und besitzen keine scharf begrenzten Fortsätze. Ueber Fettpolstern (plica synovialis) und Zotten, als auch da, wo die Sy- novialis einer nachgiebigeren Unterlage aufliegt, sind die Felder dieht gedrängt, unter ihnen sieht man ähnliche Felder durehsehim- mern. Das sind die zwei Grundtypen der Anordnungsweise der Zellen der Synovialis, wie sie auch besonders deutlich am Froseh- hüftgelenk zu sehen sind und worauf ich noch bei der Silberbehand- lung der Synovialis zurückkommen werde. Stellen mit lockerer Anordnung der Felder gehen ganz unvermerkt in die Stellen mit diehter gedrängten Zellen über. Die Grösse der Felder lässt sich wegen ihrer undeutlichen Grenzen nicht messen. Die Beobachtung der einzelnen Felder bei verschiedener Einstellung bietet die ge- nannten Liehtbrechungserscheinungen, welche auch den erwähnten Glanz des Ganzen bedingen. Die Undeutlichkeit der Contouren der Felder, sowie die Lichtbrechungseigenschaften weisen darauf hin, dass erstens die Zellen — denn als solehe können die hellen Felder nur gedeutet werden — nicht an der Oberfläche, sondern in einem anders als sie selbst liehtbreehenden Medium eingebettet sich be- finden, zweitens, dass sie nicht abgeplattet sind. In ganz frischem Zustande ist in ihnen kein Kern sichtbar. Nach längerem Liegen des frischen Präparats in Salzwasser oder in Glycerin, rascher nach Zusatz von Essigsäure, schwindet (schon nach Y/ Stunde) der Glanz und man sieht an Stelle der Felder rundlich ovale Zellkerne. Ueber die gegenseitige Lage der Zellen im Tiefendurehmesser giebt ein frisches Präparat keinen sicheren Aufschluss; diese Be- ziehungen können am besten an Präparaten der Synovialis, welche mit salpetersaurem Silberoxyd behandelt wurden, untersucht werden. Es bedarf wohl kaum mehr der Worte der Vertheidigung für die von v. Reeklinghausen vorgeschlagene Anwendung des Ar- gentum nitrieum zur Untersuchung bindegewebiger Membranen. Abgesehen von den durch Hüter (Nr. 10, S. 26 u. £.) genügend widerlegten Angriffen von Hartmann und Harpeck, lässt sich die Deutung Schweigger-Seidels der von ihm gegebenen Zeich- nung einer mit Silber behandelten Gelenksynovialis als eine irrthüm- liche feststellen. Es ist der mittlere Theil des von ihm gegebenen Präparats der Synovialis offenbar von dem Argentum nitrieum un- berührt geblieben, weil er in der Tiefe einer Falte sich befunden Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 625 hatte, darum sind die Kerne an dieser Stelle sichtbar, während auf dem übrigen Theil die Kerne der Hüter’schen Figuren in Folge starker Einwirkung des Silbers unsichtbar geworden sind. Da die Falte auch unter dem Deekgläschen sich nicht ganz ausgeglichen hatte, sondern tiefer als der übrige Theil des Präparats stand, so hielt Schweigger-Seidel die Hüter’schen Figuren für in der oberflächlichen (Synovia) Schicht entstanden, daher für Artefacta. Man muss besonderes Missgeschick in der Handhabung des Silbers haben, um solche „schönste Hüter’sche Bilder“ zu erhalten, wie van der Sluijs sie auf seiner Fig. 1 abbildet und auf Grund derer er die Hüter’sche Methode zu disereditiren versucht. Es lässt sich für seinen Irrthum dieselbe Erklärung geben, wie für denjenigen Schweigger-Seidels. Auch Tillmanns Bemühun- gen, die chemischen und physikalischen Eigenschaften der Gewebe zur Erklärung der Unächtheit der Silberbilder herbeizuziehen, scheinen mir nicht beweisend zu sein. Ich versuchte das Verfahren von Landzert (Argentum nitri- cum in Lösung von 1:400—800) und Hüter (1° Lösung des Sil- bernitrats). Es sagte mir letztere Lösung mehr zu, weil sie die kürzere Zeit erfordert und zugleich mehr Chancen giebt, die Ueberfärbung zu vermeiden. Ueberfärbung nenne ich den Zustand der mit sal- petersaurem Silber behandelten Gewebe, in welchem, in Folge der stärkeren oder längerdauernden Einwirkung des Silbers, sogleich oder nach einigen Tagen und Wochen, die Kerne der Zellen schwin- den und die Kittsubstanz Risse erhält und auch die Zellen schrum- pfen. Diese verschiedenen Erscheinungen der Ueberfärbung sind von Schweigger-Seidei (Nr. 76) in seiner Arbeit gegen die Ver- silberungsmethode gut beschrieben. Besonders leicht sind diese Erscheinungen an dem Zellenbelag des Peritoneum zu demonstriren, weniger deutlich an der Gelenksynovialis. Wenn man eine 1°, Silbernitratlösung auf das, zuerst mit destillirtem Wasser abgespülte, auf dem Objeetträger ausgebreitete Object aufgiesst, und es nach einigen Secunden durch gewöhnliches oder destillirtes Wasser wieder abspült, um sofort in Glycerin zu untersuchen (Sonnenschein ist nicht nothwendig), so kommen einem Bilder vor die Augen, welche dem ärgsten Zweifler den Glauben an die vollkommene Zuverlässigkeit der Versilberungsmethode zu geben im Stande sind. Hat man die Versilberung rasch genug ausgeführt, so kann man die Silberzeichnung in ihrer Entstehung 626 Oscar Hagen-Torn: beobachten. Man sieht auf der frischen Synovialis eine Menge mit Fortsätzen versehener Felder von unregelmässiger Form und Grösse mit Kernen versehen, deren Umrisse nicht ganz deutlich hervor- treten. Hie und da zieht sich ein mit Blutkörperchen gefülltes kleines Gefäss hin. Bald beginnt ein Netz von anfangs hellgrauen, allmählich dunkler und braun werdender Linien die Umrisse der Felder, welche grösser ausfallen, als die Figuren am frischen Ob- jeet es waren, schärfer zu bezeichnen; es treten grössere und klei- nere weisse Felder auf, meistens abgerundet, manche mit in ver- schiedene Richtungen, besonders in die Tiefe des Gewebes aus- strahlenden Ausläufern versehen. Häufig trifft man Gruppen von weissen Feldern, deren Ausläufer alle in einer Richtung hinziehen ; stellenweise werden die braunen Felder zwischen ihnen breiter, diese enthalten wieder sehr kleine, meistens längliche, manchmal verzweigte weisse Felder. Verfolgt man den Zusammenhang dieser mit den grösseren weissen Feldern, so sieht man, wie ein solches kleines Feld über oder unter dem Fortsatz oder dem Leibe eines zwischenliegenden Feldes, breiter werdend, in den Körper eines anderen übergeht. Es kommen weiter Stellen vor, an welchen der braune Grund zur Hälfte von kleinen Feldern eingenommen ist. Diese Bilder gehen ganz allmählich einerseits in solche über, wo die kleinen Felder fast ganz schwinden und die grösseren dicht gedrängt und fast ohne Ausläufer gelagert sind, andererseits in solehe, wo auf braunem Grunde einzelne grössere mit stark ver- zweigten sehr langen Ausläufern versehene Felder vorkommen; diese wieder in solche mit sehr kurzen Fortsätzen, bis schliesslich das Bild des mit Silber behandelten Knorpels vor Augen tritt. Sucht man nach dem Charakter der Stellen auf der Gelenkkapsel, auf welchen Bilder der ersten und der zweiten Art durch das Silber hervorgebracht werden, so findet man, dass die ersteren an Stellen der Gelenkkapsel, welche nicht von Kapselbändern verstärkt wer- den und wo lockeres zottenreiches Gewebe sich vorfindet, auftreten, während die zweiten an Stellen wo die Synovialis sehr dünn und mit dem unterliegenden festen Bindegewebe wie verwachsen er- scheint, gebunden sind. Besonders gut sind diese Uebergänge an Silberpräparaten der Froschhüftgelenksynovialis zu sehen. Es sind diese Typen der Zellenanordnung die Hüter’schen epithelioiden- und keratoiden-Zeichnungen. Dass es wirklich Umrisse von Saft- lüeken sind, in welchen Zellen sich befinden, kann man während Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 627 der Entstehung der Silberbilder verfolgen. Die Kerne und Zellen, die vor dem Auftauchen der braunen Linien sichtbar waren, haben nur eine Vergrösserung und Präeision der Grenzen erfahren. Wer- den Silberpräparate mit Hämatoxylin oder mit Grenachers Carmin gefärbt, so sieht man die in jedem weissen Felde mit dem ent- sprechenden Farbstoff gefärbten Kerne noch deutlicher. An den Stellen, wo mit Blut gefüllte Gefässe vor dem Auftreten des Silber- bildes zu sehen waren, treten, aber nicht überall, breitere weisse Streifen auf, welche jedoch selten von parallelen Linien eingerahmt sind; die Umrisse sind immer mehr oder weniger zackig; sie wer- den von den Zellen der Synovialis oder von ihren Fortsätzen über- ragt. Den Umstand, dass nicht an allen als weisse Streifen sicht- baren Gefässen die Kittsubstanz der Endothelzellen der beiden gegenüber liegenden Wände, sondern nur die der dem Focus des Mikroskopes zugewandten vom Silber geschwärzt wird, glaube ich durch die Anwesenheit von Blut, welches durch seinen CINa-Gehalt das Silber ausfällt, erklären zu können. Der Vortheil der so angewandten Hüter’schen 1°/, Silber- nitratlösung besteht darin, dass die Kerne der Zellen in den Saftlücken erhalten werden. Am mesenterium des eben getödteten Frosches oder der Warmblüter giebt diese Anwendung der Hüter- schen Lösung die Zeichnung der Kittsubstanz als sehr feine, gleich- mässig dicke Linien auf grössere Strecken, welche sich ebenso wie die Form der Zellen an aufbewahrten Präparaten bedeutend länger unverändert erhalten, als an überfärbten Präparaten. Auch an den Gefässen kann man sich überzeugen, dass die weissen Streifen nicht etwa zufällige Risse der Synovialis sind. Wenn nicht die Blutkörperchen, so bleibt nach Schwund ihrer Form an nicht überfärbten in Glycerin aufbewahrten Präparaten die gelbe Fär- bung des Blutfarbstoffs noch lange bestehen. Ich sah mich genöthigt etwas näher auf diese von vielen Beobachtern schon ausführlich und treffend geschilderten Bilder einzugehen, um dem Leser das bei der Untersuchung der Synovia- lis so wichtige Hilfsmittel wieder zu empfehlen. Durch die Ar- beiten besonders von Schweigger-Seidel in Miscredit gebracht, ist es von meinen Vorgängern im Studium der Synovialhäute (Tillmanns, Van der Sluijs, Subbotin), so scheint es mir, zu wenig beachtet worden. An Präparaten, welche mit 1°/, Osmiumsäure behandelt sind, 628 Oscar Hagen-Torn: verliert die Kittsubstanz ihren Glanz, die Zellen bleiben gelbbraun gefärbt, kernlos. An in Müller’scher Flüssigkeit gehärteten, oder an solehen Präparaten, welche mit Eosin gefärbt oder, frisch, mit Goldehlorid behandelt waren, existiren die an frischen, noch besser an mit Silbernitrat behandelten Präparaten sichtbaren Felder nicht; statt dessen erscheint die Synovialis, von der Fläche gesehen, von einer Menge, aus einem ovalen Kern mit wenig Protoplasma be- stehenden Zellen bedeckt. Manche der Zellen sind mehr rund mit kurzen Fortsätzen versehen, andere spindel-, noch andere sternför- mig und abgeplattet. Die Zellen sind bedeutend kleiner, als die ihnen entsprechenden Felder an Silberpräparaten; sie erscheinen in Folge dessen im Vergleich mit denjenigen der frischen oder Silberpräparate weiter von einander entfernt. An Goldpräparaten kann man sich auch davon überzeugen, dass unter den oberfläch- lich liegenden Zellen noch andere tiefer liegende sich befinden. Die Anordnung der Zellen an den genannten Stellen ist die gleiche wie die der Felder, nur sind sie an den Stellen der Synovialis mit festerer capsulärer Unterlage grösser und mit langen verzweigten protoplasmatischen Fortsätzen versehen. Zuweilen trifft man an solehen Stellen einzelne Knorpelzellen (an der inneren Fläche der Quadricepssehne) wie es Tillmanns angegeben. In der Synovialis des Hüftgelenks, entsprechend dem lig. Bertini beim Menschen und von der Kniekapselwand über dem eondylus internus sah ich den Knorpelzellen ähnliche, mit langen verzweigten Fortsätzen versehene Zellen. Um den Uebergang der Zellen des Knorpels zu denen der Zotten zu untersuchen, — dieser Uebergang ist von den Autoren, welche eine epitheliale Bekleidung der Synovialis annehmen (Köl- liker, Subbotin) nicht angegeben worden — habe ich senk- rechte Schnitte durch den Rand der Patella und die anliegende Synovialis gemacht. An solehen Schnitten vom Kniegelenk eines erwachsenen Menschen, an Präparaten aus Müller’scher Flüssig- keit und Alkohol, sieht man Folgendes: In dem Randstück der Patella sind Knorpelzellen in ihrer üblichen Anordnung sichtbar; der Rand des Schnittes ist leicht aufgefasert; von ihm sieht man einzelne Zotten von fast durchweg feinkörnigem, hie und da fase- rigem Gefüge in die Gelenkhöhle hinein ragen. In die Substanz derselben sind spärliche Knorpelzellen, mit einem schmalen hyalinen Streifen umsäumt, und Bindegewebszellen eingebettet; manche liegen auch auf der Oberfläche der Zotte. Weiter zur Synovialis ordnen Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 629 sich die kleiner werdenden Knorpelzellen zu Gruppen, welche in Reihen in der Richtung der Synovialis hinziehen. Die Zwischen- substanz dieser Zellenreihen ist feinkörnig; hie und da erweist sie sich aus undeutlichen Streifen bestehend, welche sich in der hya- linen Substanz des Patellarknorpels verlieren. Noch weiter wird die Zwischensubstanz deutlich faserig, die Zellen bindegewebig; man findet jedoch in der Zellenschicht!) der Synovialis manche Zel- len noch von einem Hofe hyaliner Substanz umgeben, manche in- dessen nur von mehr rundem Aussehen, als wenn sie rigider wären als die übrigen, ferner mit Fortsätzen versehene, rein bindegewebige Zellen. Die Zellen liegen unregelmässig zerstreut in feinkörniger, leicht feinfaseriger Substanz. Die Dicke dieser Stelle ist relativ gering; von der Zellenschicht der Synovialis ab geht sie, nicht scharf begrenzt, in das fibröse unterliegende Kapselband über. Weiter nach aussen von der Patella wird die Synovialisschicht breiter; der Rand des Schnittes (d. h. seine freie Grenzlinie) wird allmählich wellig, ziemlich scharf begrenzt; die Mehrzahl der Zellen hat sich am Rande zusammen geschaart. Sie sind rundlich, be- sitzen ausnahmslos mehr oder weniger lange Fortsätze; einige liegen dieht an der inneren Schicht der Synovialis, andere in einiger Entfernung; nur ausnahmsweise finden sich 1—2 Zellen, welche abgeplattet dem Rande selbst aufliegen. Die Zellenreihen bilden keine continuirliche Schicht, sondern sind ganz ohne irgend welche Ordnung in eine feinkörnige, ver- filzt-faserige Schicht der Synovialis eingestreut, bie und da in grösserer Menge zusammenhäuft, auf kurzen Strecken in einer oder zwei Reihen angeordnet, ohne genauer zu bestimmende Ge- setzmässigkeit. Das unterliegende Gewebe zwischen dem fibrösen Bindegewebe der Gelenkkapsel und der beschriebenen zellenreichen Schicht (der Intima der Autoren) bildet eine verschieden dicke Schicht weitmaschigen lockeren Bindegewebes, welches auch zwischen den einzelnen Schichten der Kapselbänder anzutreffen ist. Die spärlichen Bindegewebszellen zeichnen sich durch sehr lange zuweilen verzweigte Ausläufer aus. An manchen Stellen der Synovialis sieht man Uebergangsformen zwischen den Zellen der Intima und denen der Faserschicht (Adventitia), an anderen l) Die innere Schicht der Synovialis wird „Zellenschicht“ (Intima), die äussere „Faserschicht“ (Adventitia) genannt werden. 630 Oscar Hagen-Torn: scheint die Intima schärfer von der lockeren unterliegenden Faserschicht abgegrenzt zu sein. Solche Stellen mögen manche Autoren zu der Annahme einer Epithelschieht verleitet haben. Die feinen Fasern der Randschicht, welche fast bis an die freie Oberfläche der Synovialis reichen, sind die Fortsetzungen der Bündel des genannten lockeren Bindegewebes. In den tieferen Schichten desselben trifft man, auch in einiger Entfernung von der Patella (2 em), einzelne Inseln von hyalinem Knorpel mit Gruppen von Knorpelzellen. Auf Grund der soeben mitgetheilten Beobachtungen muss man sich den Bau der Synovialis folgendermassen vorstellen: Im Allgemeinen besteht sie aus Fasergewebe, Kittsubstanz (Mueoid- substanz) nach His (N. 33) und den in Saftlücken der Kittsub- stanz eingebetteten Zellen. Die Art und Anordnung dieser Sub- stanzen ist in beiden Schichten im grössten Theile der Synovialis verschieden. In der tieferen — der Faserschicht (adventitia) — prävaliren die Faserbündel mit geringem Gehalt an langge- schwänzten Zellen; in der dünnen oberflächlichen — der Zellschicht (Intima) — überwiegen die meist rundlichen Zellen. Die Fasern sind sehr dünn, die Kittsubstanz, in welche die Zellen wie einge- streut sind, scheint von festerer Beschaffenheit zu sein, wofür das körnige Aussehen, hauptsächlich aber die stark lichtbrechenden Eigenschaften sprechen. An den Stellen, wo die Synovialis eine festere Unterlage hat, wo sie dünner und weniger beweglich ist, zeigt sich gewöhnlich eine grössere Menge von Grundsubstanz zwischen den Zellen, die dann auch den freien Rand (Grenzlinie) des Schnittpräparates allein bildet. In der Faserschicht trifft man auch elastische Fasern an (Herrmann und Tourneux stellen die Exi- stenz derselben mit Unrecht in Abrede 1. e.). Auf die Saftlücken, die „Höhlen“, in welchen die Zellen der Zellenschicht liegen, hat van der Sluijs zuerst hingewiesen. Die Existenz von Fettkörnchen in Zellen und Lücken kann ich bestätigen; besonders reich an ihnen habe ich die innere Quadricepsfläche gefunden (Kaninchen, junge Katze); die Synovialis erscheint hier an frischen Präparaten, welche mit Osmiumsäure behandelt waren, bei System 4, Oc. 2 Leitz, schwarzgefleckt. Die Zellen dieser Stelle haben nicht das typische Aussehen von Knorpelzellen, in welchen Fettkörnchen ein gewöhnlicher Bestandtheil sind. Auf den Unterschied zwischen den Zellen, die durch Goldehblorid am deutlichsten gezeigt werden Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 631 können und den durch Argentum nitricum am evidentesten dar- zustellenden Saftlücken hat, glaube ich, zuerst Reyher die Auf- merksamkeit gelenkt. Von Steinberg wurden beide offenbar identifieirt. Es entsprach beim Messen die Grösse der kleinsten Zellen auf Goldpräparaten nicht den kleinsten weissen Feldern der Silberpräparate, weil diese nur einen Theil einer Saftlücke, welcher bis fast an die Oberfläche der Synovialis reicht, darstellen, der tiefer gelegene Theil der Zelle aber nicht sichtbar ist. Dem Um- stande,. dass die Zellen mit ihren Saftlücken sehr unregelmässig gelagert sind, verdanken die Silberpräparate ihre auf den ersten Blick fast unentwirrbare Buntheit. Die Zellen über den fett- haltigen Falten und Zotten der Synovialis sind in ihrem Charakter von denjenigen der anderen lockeren Synovialispartien in keiner Weise abweichend. Eine membrana propria existirt nicht. Ich füge hier noch die Messungen an verschieden bearbeiteten Präparaten hinzu!). Es erwies sich, dass, an frischen in CINa aufbewahrten Prä- paraten, an solchen aus Müller’scher Flüssigkeit und mit Gold- chloridnatrium behandelten aus verschiedenen Gelenken vom er- wachsenen Menschen und vom Kind, vom Pferd, Schaf, Hund und Kaninchen, die runden, zuweilen etwas länglichen Kerne der Zellenschicht der Synovialis von fast gleicher Grösse sind — 0,002—0,003 mm lang, 0,001—0,002 mm breit; nur beim Frosch findet man in der Hüftgelenksynovialis nicht selten auch Kerne von 0,004 mm Länge. Das Protoplasma ist meist in geringer Menge vorhanden, mit den Fortsätzen sind die Zellen im grössten Durch- messer 0,004—0,010 mm lang. Etwas grösser sind, wie bemerkt, die weissen Felder an Silberpräparaten; sie messen bei einem neu- geborenen Kinde 0,003—0,021 mm in der Länge bei 0,002—0,003 Breite; beim Kaninchen 0,003—0,006:0,002; beim Pferde Mittel 0,006 : 0,005. Die Länge der grössten Felder schwankt zwischen 0,009 und 0,020, die Breite zwischen 0,002 und 0,009. Die Zellen- kerne liegen stets näher der Oberfläche, wie besonders gut an Goldehloridnatriumpräparaten zu beobachten ist. Von besonderem Interesse ist die Frage nach dem Verhalten der Zellenschieht der Synovialmembranen zu der zelligen Aus- 1) Alle Messungen, welche in dieser Arbeit vorkommen, sind mit dem Hartnack’schen Micrometer bei Syst. 7 Hartnack ausgeführt worden. 632 Oscar Hagen-Torn: kleidung der serösen Körperhöhlen (Coelom). Vielfach sind beide Zellenlager, namentlich von denen, welche auf der Synovialis einen eontinuirlichen Zellenbelag annahmen, als einander gleich- werthige Endothelhäutehen angesehen worden. Die Auskleidung des Coeloms besteht aus einer ununterbrochenen einschichtigen Lage von unregelmässig polygonalen, ungleich grossen platten Zellen (beim Kaninchen von 0,006—0,011 Länge und 0,004 bis 0,006 mm Breite, beim Meerschweinchen von 0,007—0,014 mm Länge und 0,005—0,014 mm Breite) mit einem rundlichen Kern von 0,005 mm. Die Leiber der Zellen liegen frei an der Oberfläche der serösen Membran; sie sind mit ihren Rändern durch Kittsub- stanzstreifen von überall gleicher Breite mit einander verbunden; grosse Stücke der Zellenschicht lassen sich von dem unterliegenden Gewebe leicht ablösen. An der Uebergangsstelle des Peritoneum zum Ovarium sieht man, sowohl auf Flächen-, als auch an senk- rechten Schnitten unter dem Mikroskop eine Zone, deren Zellen einen ganz allmählichen Uebergang von den Zellen des peri- tonealen Belags zu den eylindrischen Zellen der Ovarialdeckschicht bilden. Auch die Zellen der Pleura visceralis verhalten sich zu den Zellen der Pleura parietalis nach Klein (Nr. 68, 8.133), wie die Zellen des Ovariam zu denjenigen des Peritoneum !). — Bizzo- zero und Salvioli (Nr. 71) haben unter der Zellschicht des Peri- toneums eine structurlose, stellenweise durchlöcherte, Membrana limitans nachgewiesen. Es sind das alles Eigenschaften, welche diesen Zellenbelag morphologisch den Epithelien nähern. Auf Grund der Lehre Remaks von der scharfen Sonderung der drei Keimblätter und ihrer Derivate wurde von His in geist- reicher Weise die Classification der Höhlen des menschlichen Kör- pers durchgeführt und die Synovialis wie das Peritoneum in die- 1) An Silberpräparaten von der Kaninchenpleura und vom centrum tendineum, vom mesenterium von Kaninchen, jungen Meerschweinchen, jungen Katzen, eines Rindsembryo, welche nach der früher genannten Methode der Silberbehandlung gemacht worden waren, habe ich nie Bilder erhalten, welche für den Ausdruck präformirter Stomata gehalten werden konnten. Es kommen nur am centrum tendineum des Kaninchens an den zwischen den gröberen Faserbündeln gelegenen Strecken kleinere, regelmässiger polygonale Zellen vor. Je gelungener das mit Silbernitrat behandelte Präparat ist, desto seltener trifft man die Pseudostomata, die kleinen Verdickungen der Kitt- substanzlinien an den Contactstellen zweier oder mehrerer Zellen an. Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 633 selbe Classe der paracellulären Räume zugleich mit den Gefässen gestellt. Er war es auch, der die Bezeichnung ‚‚Endothel“ für die Belegzellen dieser Höhlen einführte. Der Begriff „Endothel“ ist aber, wie auch His in seiner neueren Arbeit (Nr. 23, S. 97) des genaueren ausführt, lediglich ein auf genetischer Basis beruhender. Es mögen morphologische und physiologische Unterschiede zwischen Epithelien und Endothelien bestehen und bestehen auch thatsächlich an vielen Orten, wenn es aber darauf ankommt sicher zu unterscheiden, ob ein vorfindlicher Belag einfacher Zellen ein epithelialer oder endothelialer sei, wird man immer wieder auf die „Genese“ als die ultima ratio zurück- greifen müssen. Erklären wir demgemäss im Sinne von His die Zellenauskleidung der Arachnoidealräume, der Nervenscheiden, der vorderen Augenkammer und der Gefässe für ein „Endothel‘“, so kann ein solches weder für die aus dem Coelom entstandenen Höhlen noch für die Synoviales zugestanden werden. Denn, was das Coelom betrifft, so stimmen weder die morphologischen Eigen- schaften, noch die Genese überein, namentlich wenn wir die von His verfochtene Entstehung der Leucocyten, aus denen ja die Endo- thelien hervorgehen sollen, annehmen. Die zellige Auskleidung des Coeloms entwickelt sich beim Embryo aus der archiblastischen Keim- anlage, ist daher im Sinne von His nicht bindegewebiger Natur. His erkennt das sehr wohl an (s. Parablast p. 99 und Entwickelung des Hühnchens 1868, p. 172 und 174), sucht aber die endotheliale Natur der definitiven Coelombekleidung zu retten, indem er, wie das seinerzeit auch Waldeyer, Eierstock und Ei, p. 122, geäussert hat, annimmt, dass die frühere archiblastische Auskleidung des Coeloms durch zwischenwandernde auf die freie Oberfläche ge- langende Zellen parablastischen Ursprunges allmählich verdrängt werde. Ein Beweis für die Richtigkeit dieser Anschauung ist je- doch von Niemanden bisher geliefert worden. Vielmehr sprechen die entwicklungsgeschichtlichen Thatsachen — man vergleiche die neueren Arbeiten der Brüder Hertwig — sowie die vorhin von mir hervorgehobenen morphologischen Unterschiede eher dafür, dass wir es bei der Auskleidung des Coeloms mit einem Epithel zu thun haben. Für die Synovialmembranen vermag ich aber eine Endothel- bekleidung ebenfalls nicht anzuerkennen, und zwar hier aus rein mor- phologischen Gründen. Es liegen hier einfache freie Bindege- websflächenvor, andenen überall die bindegewebige Grundsubstanz 634 Oscar Hagen- Torn: frei zu Tage tritt, selten deren eingelagerte Zellen die Oberfläche er- reichen. Wahrscheinlich ist hier die Grundsubstanz, namentlich an den einem grösseren Drucke ausgesetzten Flächen festerer Art, als sonst im lockeren Bindegewebe und nähert sich mehr der desKnorpels, in welche sie auch continuirlich übergeht. Zum Begriffe eines Endo- thels gehört aber nothwendig, dass dasselbe eine eontinuirliche zellige Bekleidung einer freien Oberfläche darstelle, und das trifft, wie wir gesehen haben, hier nicht zu. Freilich würden wir wenn die Zellen der Synovialis auf grössere Strecken und in grösseren zusammenhängenden Lagen die freie Gelenkfläche er- reichten, von einer Endothelschicht der Synovialis sprechen müssen, und in sofern steht die Synovialis den Blut- und Lymphgefässen näher, als den serösen Häuten. Jedenfalls wird es sich aber immer empfehlen, zwischen den Spalträumen, die von einfachen nackten Bindegewebsflächen begrenzt werden und denen, die ein ächtes Endothel tragen, zu unterscheiden. Zu den ersteren ge- hören meiner Auffassung nach die Synovialräume, zu den zweiten die Blut- und Lymphgefässkanäle. Es bleibt mir noch übrig des Genaueren auf den mikro- skopischen Bau der Zotten der Gelenk- und Sehnenscheiden- synovialis und auf die Structur der intraartieulären Bänder ein- zugehen. Die Zotten sind von vielen Autoren sehr genau be- schrieben worden. Tillmanns hat sogar versucht sie unter be- stimmte Rubriken zu bringen. Ich sehe weder eine praktische noch theoretische Begründung und Vortheile in dieser Eintheilung. Ich muss hervorheben, dass im Bau der Zotten dieselben Un- regelmässigkeiten wie im Bau der zottenlosen Theile der Synovialis, derselbe Mangel an Erscheinungen, welche für eine functionelle Selbstständigkeit derselben sprechen könnten, hervortreten. Be- zeichnend für den einfach bindegewebigen Charakter der Synovialis sind die aus nackten groben Bindegewebsbündeln bestehenden frei in die Gelenkhöhle hineinragenden Zotten und die mit breiter oder schmaler Basis der Synovialis aufsitzenden, häufig verzweigten Zotten, welche meist lang ausgezogen, von einer Gefässschlinge Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 635 durchsetzt, keulenförmig frei enden, stellenweise der Grundsubstanz und der Zellen beraubt sind. Die ersteren werden entweder nur am Ende oder auch an anderen Stellen von zellenreichen oder zellenlosen feinkörnigen Grundsubstanzmassen bedeckt vorgefunden. Weiter ist der Befund von Fettzellen in den gefässreichen Zotten und von Knorpelzellen in manchen ihrer gefässlosen Zweige von Interesse. Zuweilen sieht man, sei es von einer Zotte oder von der Oberfläche der Synovialis selbst aus, eine Bindegewebszelle mit Kittsubstanz als kleine Keule manchmal scharf, anderemale verwaschen contourirt, hervorragen. Es kann sich im ersteren Falle um eine sich bildende Zotte handeln, im zweiten um eine Zelle, welche in weniger günstigen Umständen der Ernährung sich befindend, sich von der Synovialis lostrennt. Die Zellen der Zotten haben dieselbe Anordnung und Form wie diejenigen der weicheren, beweglicheren zottenlosen Theile der Synovialis, nur sind sie lockerer in die mehr körnige, hier offenbar weichere Grundsubstanz, eingebettet. Im axialen Theil der Zotten befindet sich entweder einBündel von dickeren Bindegewebsfasern oder, häufiger, besteht der Grundstock aus lockerem Bindegewebe mit spärlichen lang- geschwänzten meist der Axe der Zotten parallel gelagerten Binde- gewebszellen. Ausser den Zotten befinden sich in den Gelenk- und Sehnen- scheiden constant die erwähnten Trabekeln; sie besitzen fast aus- nahmslos ein Gefäss und sind im Uebrigen ganz ebenso gebaut wie die Zotten. Zotten kommen auch in solehen serösen Höhlen des menschlichen Körpers vor, welche bewegliche Organe enthalten (Pleura, Pericardium, Peritoneum) und in welchen die bei der Function derselben stattfindenden Druckschwankungen, wahrschein- lich in Folge der grösseren Nachgiebigkeit ihrer Wandungen, nicht durch eine entsprechende Menge seröser Flüssigkeit ausge- glichen werden. Dagegen finden wir überall da, wo festere Wan- dungen vorliegen, die sich nicht in Falten legen, wo ferner eine grössere Menge Flüssigkeit den Einfluss der Druckschwankungen compensirt, wie z. B. in den Arachnoidealräumen, der vorderen Augenkammer, zum Theil am Pericardium parietale keine Zotten- bildung oder nur eine sehr spärliche. Auch diese Zotten sind der Form und Grösse nach nicht alle gleich; sie zeichnen sich durch eine breitere Basis, eine glatte Oberfläche aus und sind meist fettgewebehaltig. Eins haben sie mit den Zotten der Synovialis 636 Oscar Hagen-Torn: gemein: sie treten in genannten Höhlen an solchen Stellen auf, wo sich negativer Druck am leichtesten bekunden kann. An den Gelenken habe ich solche Stellen schon bezeichnet; an der Pleura sind es die nach Aussen von den Tubereula der Rippen gelegenen Stellen der Pleura eostalis, die Ränder der Lungenlappen und die Reservesinus (Henle No. 38, Bd. II, S. 887), am Pericard die Unebenheiten der Herzoberfläche, am Diekdarm die Appendices epiploicae an der Taenia libera, welche nach Virchow (No. 66, Bd. I, S. 379) „ursprünglich flache subseröse Fettmassen“ darstellen. Durch diesen Factor — die Ansaugung bei negativer Druck- schwankung — wird wohl auch die Verlangsamung der Circulation in den Zotten und die damit verbundene Fettablagerung einge- leitet. — Eine Bestätigung dieser Annahme kann eine Stütze mehr sein für die Annahme der Nichtspeeifieität des Fettgewebes. — Die Versehiedenheit im Bau der Zotten der serösen Häute und der Synovialis bei gleichem ursächlichem Factor weist auch auf die Verschiedenheit der betreffenden Gewebe hin. Die Entstehung der intracapsulären Ligamente und Sehnen in der Gewebsmasse, welche theilweise zur Synovialis wird, ihre nahen Beziehungen zur Synovialis nach der Gelenkhöhlenbildung und ihr eigenthümlicher Bau veranlassen mich eingehender mit ihnen mich zu beschäftigen. — Die Sehnen besitzen eine dünne Deckschicht von Grundsubstanz, in welche verzweigte in Saft- lücken gelegene Bindegewebszellen in unregelmässiger Anordnung eingebettet sind. Ebenso verhält es sich mit der Deekschicht des Lig. teres und der Ligamenta erueiata; letztere sind noch mit ein- ander und mit den inneren Flächen der Condyli femoris durch lockeres, maschiges Bindegewebe verbunden. Die Ligamenta fal- eata entwickeln sich in gleicher Weise wie die Sehnen und die Gelenkkapsel an Ort und Stelle aus ganz gleichen Zellen. Nur ganz allmählich, gegen Ende des intrauterinen Lebens, beginnt in ihnen eine Abweichung von der Art der Entwickelung der übrigen sehnigen Apparate zu Tage zu treten. Während (auf senkrechten Sehnitten) die Basis der dreieckigen Schnittfigur aus durcheinander geflochtenen Faserbündeln mit anfangs rundlichen reichlichen Zellen, später spärlichen kleineren Zellen besteht, ist dieser Charakter an der Spitze nieht so deutlich ausgeprägt; die Grundsubstanz_ ist wenig faserig, körniger und die Zellen bleiben für längere Zeit rundlieh und in grösserer Menge vorhanden. An der Oberfläche Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 637 des Lig. faleatum sieht man nach Behandlung mit Argentum nitri- eum Saftlückenbilder entstehen, welche zum freien Rande hin eine runde Gestalt haben und mit vielen kurzen Fortsätzen versehen sind. Bei Neugeborenen mancher Thiere (Meerschweinchen, Kanin- chen) sieht man den platten inneren Rand des Lig. faleatum aus faserig hyaliner Substanz mit einzelnen eingestreuten, mit hyaliner Kapsel versehenen runden Zellen bestehen; solche sind auch an den beiden Oberflächen zu finden. Beim menschlichen Neuge- borenen sind die Zellen rundlich, aber mit deutlichen Fortsätzen behaftet; der grösste übrige Theil des Lig. faleatum besteht aus reinem Fasergewebe. Beim erwachsenen Menschen ist auf dem senkrechten Schnitt der freie Rand zerfasert, in der Spitze werden hie und da Gruppen von kleinen eckigen Zellen wahrgenommen, aber nicht in einer hyalinen Insel liegend. Stellenweise findet man auch einzelne rundliche Zellen von einem hellen Saum umgeben; dieser hat meistens nicht einen deutlichen äusseren Contour wie ihn die Knorpelkapseln zeigen. Die Grundsubstanz ist an der Spitze schwach faserig, feinkörnig. Die Faserbündel an der Basis sind bei verschiedenen Thieren verschieden diek und verschieden angeordnet: beim ausgewachsenen Hund dicker, mit wenig Zellen und sehr stark verflochten, beim ausgewachsenen Kaninchen dünner, zellenreicher. Nach solchen Bildern muss man es ganz natürlich finden, dass ein solcher sogenannter „Faserknorpel“ beim Kochen kein Chondrin geben kann. Es gehört nicht hierher auf die Classification der endlosen Reihe von Uebergangsformen vom Bindegewebe bis zu den typi- schen Formen des hyalinen und Netzknorpels einzugehen. Ein Gemeinsames haben jedoch alle diese Uebergangsformen: an allen den Stellen, wo sie bei ausgewachsenen Subjeeten gefunden wer- den, ist, bis zur Geburt (bei manchen auch längere Zeit nach der Geburt), noch keine Spur von den Uebergangsformen zu entdecken. Ich kann in dieser Hinsicht Schusters (Nr. 20, 8.207) bezügliche Angaben am Limbus cartilagineus des Hüftgelenks durch die Beob- achtung an den meisten Stellen ihres Vorkommens (Kölliker, Nr. 32, Bd. Il, S. 231—233) erweitern. Im uterinen Leben findet sich überall an den Stellen lockeres gefässreiches Bindegewebe. Uebergänge dieses Gewebes in knorpeliges beobachtet man an der synovialen Fläche der Sehne des Quadriceps bei allen untersuchten Säugethieren, ferner an der synovialen Fläche der Kniegelenk- 638 Oscar Hagen-Torn: kapsel über dem Condylus internus femoris, an der dem Ligamen- tum Bertini entsprechenden Hüftgelenksynovialis, an manchen An- satzstellen der Gelenkkapseln, in der Achillessehne vom Menschen (Herrmann und Tourneux, ]. c.), an der Fläche der Sehne des Muse. plantaris über dem Tuber calcanei beim Kaninchen und Meerschweinchen ete. Von den Gelenkkapseln und der Synovialis, kann man jetzt mit Bestimmtheit aussagen, dass sie nicht aus dem Periehondrium entstehen; es kann also nicht der genetische Zu- sammenhang dieser Gewebe die Knorpelzellenbildung bedingen. Vergleicht man die anatomische Lage genannter Stellen, so findet man, dass an ihnen die Synovialis einem Drucke ausgesetzt ist, welcher die Synovialis atrophiren lässt, die Gefässe derselben schwinden macht und auf diesem weniger reichlich mit Blut ver- sorgten Boden in den Bindegewebszellen eine besondere Umwand- lung in knorpelähnliche Zellen einleitet. Die Beobachtung des Uebergangs von Bindegewebszellen in Knorpel ist nieht neu. Schon Virchow hat diesen Uebergang constatirt. Er sagt aber, dass „z. B. bei Luxationen und Sub- luxationen durch anhaltenden Druck auf das Periost ein Reiz- zustand gesetzt wird“ (Nr. 66, Bd. II, 1. H., S.15 und 16) „und . dass ohne eine primäre Deviation auch in einer späteren Zeit des Lebens eine derartige Knorpelbildung aus dem Periost zu Stande kommen könnte.“ Darnach ist von Klebs (Nr. 72, 5.457) die Meinung ausgesprochen, dass stärkerer Gewebsdruck den Ueber- gang der Bindegewebszellen in Knorpelzellen begünstige. Ich glaube aus dem Studium der Gelenksynovialis ausser dem ge- nannten noch einige Belege zu Gunsten dieser Anschauung liefern zu können. Wodurch entsteht nun der Unterschied im Bau der verschie- denen Theile der Ligamenta faleata? Ursprünglich sehen wir sie den Sehnen und Knorpelbändern vollkommen gleich angelegt, ihre weitere Entwickelung in toto geht anfangs den anderen sehnigen Gebilden ganz gleich vor sich, trotzdem dass ihr Innenrand an der Stelle entsteht, wo die Periehondria der anstossenden Knorpelan- lagen sich befinden; von Bernays ist diese Schicht die „ehondro- gene“ genannt worden; andere Zellen derselben Schicht, welche sich an die Knorpelenden anlegen, gehen in den hyalinen Knorpel der Gelenkenden über, ebenso sieht man in Sehnenanlagen aus analo- gen Zellen hyalinen Knorpel (Sesamknorpel) entstehen. Da ein Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 639 Theil der Zellen der Ligg. faleata aus der knorpelgebenden Sehicht entsteht, so könnte man vielleicht sagen, dass diese Zellen in ihrer Umwandlung zu Knorpelzellen zurückbleiben. Erst am Ende des intrauterinen Lebens, noch mehr nach der Geburt, bekommen die Sehnenzellen und die Grundsubstanz eines Theils der Ligg. faleata ein Gefüge, welches sie dem Knorpel nähert. Sowohl der An- nahme der Entstehung aus chondrogenem Gewebe, als auch des Zurückbleibens in der Entwicklung widerspricht aber der Umstand, dass die Bilder, welche als Faserknorpel gedeutet werden könnten, nicht in der ganzen Dicke der Bandscheiben, sondern nur bei einigen Thieren im Innenrande der Ligg. falcata und als ganz dünne unterbrochene Schicht an den Oberflächen, welche dem grössten Druck ausgesetzt sind, vorkommen; der grösste Theil des Gewebes bleibt fibrös. Dieser Theil ist von der Basis aus, wenn auch spärlich, vaseularisirt, der Rand ist gefässlos. Der Uebergang von Knorpel in die sehnige Gelenkkapsel ist 2. B. am Rande der Patella beim neugeborenen Kinde auf senk- rechten Schnitten ein relativ sehr schroffer; man sieht sehr wenige Uebergangsformen von einem Gewebe zum andern; beim er- wachsenen Menschen, bei welchem eine stärkere Belastung der Fxtremitäten besteht und stärkere und complieirtere Bewegungen, z. B. auch im Kniegelenk, ausgeführt werden, ist diese Ueber- gangsstelle breit und bietet im Gegentheil eine Menge Zwischen- stufen dar. In der Pathologie sind es die Pseudoarthrosen mit Ge- lenkbildung, wo in der Narbe sich eine Gelenkhöhle bildet und das dieselbe umgebende Bindegewebe in hyalinen Knorpel sich umwandelt; die gelegentlich in Knochennarben nach Gelenkre- seetionen vorgefundenen Knorpelzellen gehören wohl auch hierher. Vergleicht man die genannten Stellen, so findet man, wie beim ersten Objeet angeführt worden ist, dass sie alle anhaltendem oder häufig sich wiederholendem mehr oder weniger starkem, aber in den Grenzen eines physiologischen Factors sich bewegendem Drucke ausgesetzt sind. Dazu tritt die schwache oder mangelnde Vascularisation dieser Stellen. Welcher Art physiologisch-ehemi- sche Processe bei der Umwandlung von Bindegewebszellen in Knorpelzellen vor sich gehen, darüber kann nur das genauere Studium der ehemischen Eigenschaften der Bindesubstanzen und die experimentelle Pathologie Auskunft geben. Die Möglichkeit auf experimentellem Wege an beliebiger Stelle des Körpers, wo Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd, 21. 49 640 Oscar Hacen-Torn: Bindegewebszellen vorhanden sind, so zu sagen, künstlich Knorpel darstellen zu können, kann nicht in Abrede gestellt werden. — Es kann das zuletzt von A. Budge (Nr. 78, 5.8) beschriebene Object, die Patella menschlicher Neugeborener auch der Reihe dieser Bei- spiele hinzugefügt werden. Sie besteht durchweg aus hyaliner Grundsubstanz mit kapsellosen meist mit zwei Fortsätzen ver- sehenen, den bindegewebigen ganz ähnlichen Zellen. Von anderen untersuchten Säugern habe ich nur bei einer jungen Katze an der Knorpelfläche der Patella auch, aber nur eine dünne Schicht soleher Knorpelsubstanz gefunden. Beim Menschen findet sich eine dünne Lage solcher Substanz auch an den Knorpelenden des Femur und der Tibia. Beim Erwachsenen findet man an diesen Stellen keine Spur von soleher Knorpelsubstanz mehr. Es kanu dieses Faetum vielleicht damit in Zusammenhang gebracht wer- den, dass, während die Jungen anderer Säuger alsbald nach der Geburt ihre Füsse belasten müssen, wir Menschenkinder unsere Beine erst relativ spät zu brauchen anfangen. Es fehlt also der entsprechende Druck, um das hyaline Bindegewebe, wenn man so sagen darf, in hyalinen Knorpel umzuwandeln. Interessant und nicht beschrieben ist an dem genannten Object, dass die ge- schwänzten Zellen in nächster Nähe der den Knorpel durchsetzen- den Gefässe mehr der Knorpelzellenform sich nähern und ge- drängter liegen. Möglich, dass dieser Unterschied auf der Ver- schiedenheit der Ernährung beruht. Es könnte auch das zuerst von Hüter, dann von Reyher experimentell nachgewiesene Kleinerwerden der freien Gelenk- oberfläche nach längerer Immobilisation der Gelenke nicht auf Sehwund des Belegs von Bindegewebszellen, oder nur zum Theil auf diesem beruhen, sondern zum grösseren Theil wohl bedingt sein durch die Umwandlung von Knorpelzellen in Bindegewebs- zellen bei Beseitigung des Drucks. Umgekehrt würde das am Embryo zu beobachtende Grösserwerden derselben in Folge von Vergrösserung der Bewegungsexcursionen mit Umwandlung von Bindegewebszellen in Knorpelzellen einhergehen. Gefässe der Synovialis. Es herrscht wohl kaum in einem anderen Theile der Beschrei- bung der Synovialis mehr Licht und Einigkeit unter den Forschern, als in Bezug auf die Gefässe derselben, insbesondere Dank den Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 641 Arbeiten von Toynbee, Sappey u.A. Auf ihre Beschreibung näher einzugehen, hiesse das schon vielemal gut Dargestellte wie- derholen. Ich werde mich mit der Besprechung des Wenigen, welches von Einigen angenommen, von Anderen verworfen wird und einiger Facta, die bislang wenig Beachtung gefunden haben, be- snügen. Die kleineren Gefässe liegen auf kurzen Strecken ihres Verlaufs dieht an der Oberfläche der Synovialis nicht „nackt“ wie Hüter behauptete, sondern von einer Schicht Grundsubstanz be- deckt. Es ist wieder die Silbermethode, welche dies am besten klar legt. Dass die regelmässig angeordneten weissen, fast gleich- breiten Maschen, welche quadratische Inseln an Silberpräparaten von der Synovialis von Embryonen und von jugendlichen Indivi- duen verschiedenster Species einschliessen, Gefässe bedeuten, be- weisen entsprechende Präparate, welche z. B. frisch mit Hämatoxy- lin gefärbt sind. Man sieht diese Gefässe in derselben Anord- nung und von gleicher Breite, Maschen von derselben Grösse bilden. Versilbert man entsprechende Objeete von älteren Thieren, so be- kommt man die Bilder nicht mehr; es sind an diesen die Gefässe nur auf kleinen Strecken sichtbar, ihrer sind nicht mehr so viele. Dies entspricht vollkommen dem mittelst anderer Methoden zu be- obachtenden Faetum, dass die Synovialis im extrauterinen Leben mit der Zeit einen Theil der vielen oberflächlich gelegenen capil- lären Ausbreitungen ihrer Gefässe einbüsst. Auch an Injections- präparaten (Berlinerblau) erwachsener Individuen, auch in den Zotten, sieht man häufig ein Gefäss bis fast an die Oberfläche der Synovialis, nur von Grundsubstanz bedeckt, herantreten. Dieser Befund hat einen grossen Werth für die Feststellung, welcher Art Gewebe wir in der Synovialis vor uns haben. In der Entstehungs- art der Gelenkhöhle finden wir auch nichts, was einem solchen Ge- fäss-Befunde widerspräche. Stellen, wo die Synovialis sehr verdünnt ist und straffen Kap- selbändern aufliegt, sind im Ganzen arm an Gefässen; aber auch hier sieht man hie und da an senkrechten Schnitten Gefässschlin- gen senkrecht zur Gelenkhöhle emporsteigen und kleine Zotten bilden. Dann kann man zuweilen sehen, dass eine in eine Zotte ein- dringende Arterie von zwei Venen begleitet ist, deren Gesammt- lumen kleiner zu sein scheint, als dasjenige der Arterie; vielleicht findet so eine Verschmälerung der Abzugsröhren in den vielen 642 Oscar Hagen-Torn: Anastomosen ihre Erklärung. An welehen Stellen der Synovialis die Beziehung der Arterien zu den Venen eine derartige ist, kann ich nieht genauer angeben, sehr selten ist sie nicht. Die Lymphbahnen der Synovialis. Bichat hat schon die Anwesenheit von Lymphbahnen in der Synovialis angenommen. Aber erst lange Zeit nach Vervollkomm- nung der mikroskopischen Technik hat man es versucht die Bah- nen, durch welche die Aufsaugung aus den Gelenkhöhlen geschieht, darzuthun. Hüter (Nr. 11, II. Ausg. S.35) war der Erste, welcher bei der mikroskopischen Untersuchung seine Aufmerksamkeit auf sie lenkte. An den mit arg. nitrie. bearbeiteten Präparaten, an welchen man kleinste von zwei Venen begleitete Arterien häufig zu Gesicht bekommt, hat er nie ein Lymphgefäss auffinden können. Nach ihm hat Böhm in v. Receklinghausens Laboratorium (Nr. 35) sie auf experimentellem Wege nachzuweisen gesucht. Nach Injection von Oelemulsion mit Zinnober in’s Gelenk der Versuchs- thiere (Kaninchen) mittelst einer Pravaz’schen Spritze, untersuchte er die Synovialis. Er fand Körnchen des Farbstoffs in den Zellen der Intima und der Adventitia der Synovialis; nach 24 Stunden hat er Zinnoberkörnchen aufs Evidenteste in den Ingui- naldrüsen nachweisen können und somit das Factum der Resorption von den Synoviales aus experimentell festgestellt; einen näheren Aufschluss über die Bahnen, auf denen die Resorption in der Sy- novialis vor sich geht, hat Böhm freilich nicht geben können. Ebensowenig ist es Ludwig und Sch weigger-Sei del gelungen, Lymphgefässe der Synovialis zu demonstriren (Nr.55, S.V). Till- manns (Nr. 56) versuchte an frischen Hunde-, Rinds- und Pferde- gelenken durch Anbohren der Gelenkhöhle von dem Knochenkanal des Femur aus, dann mit Hülfe einer besonderen Canüle direet durch die Gelenkkapsel die Gelenke mit Berlinerblau zu injieiren. Die injieirte Masse sollte dann durch andauernde Pumpbewegungen oder mittelst elastischer Compression des Gelenks in die Synovialis gepresst werden. Er erhielt aber nur eine diffuse blaue Färbung der oberflächlichen Schicht der Synovialis. Besser gelangen ihm die interstitiellen Injectionen mit Arg. nitr. und Berlinerblau, aber auch nur an Gelenken grösserer Thiere (Ochs, Pferd). Tillmanns ist zu dem Schlusse gekommen, dass in der Synovialis zwei Lymph- Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 643 gefässnetze beständen, von welchen das eine subendothelial gelegen sei, die Zotten ausgenommen, in welchen keine Lymphgefässe vor- handen sein sollen, und dass sie an den Ansatzstellen der Kapsel am leichtesten zu injieiren seien. Tillmanns giebt die Möglich- keit der offenen Communication der Synovialis mit den Lymph- bahnen nicht auf. Van der Sluijs machte parenchymatöse In- jeetionen von Richardson’s Blau mittelst einer feinausgezogenen Glasröhre. Er hat dabei die Masse in den Zellenkapseln ange- troffen, hält aber seine Injectionsversuche für misslungen (Nr. 46 Hüter (Nr. 11, S. 35) spricht in der II. Auflage seiner Gelenk- krankheiten von der Existenz oberflächlicher Lymphgefässan- fänge, welche er aber auf „eine pathologische Ausdehnung der- selben beziehen zu müssen“ glaubt. Alle genannten Beobachter sprechen von der Schwierigkeit der Injection der Lymphbahnen. Nach mehrfachen misslungenen Versuchen, von der injieirten Gelenkhöhle aus die Lymphgefässe zu füllen, injieirte ich periar- tieulär und subsynovial mit der von Fleischl vorgeschlagenen Asphalt-Chloroformmischung. Zuerst bediente ich mich der Injec- tionen mit saturirter Lösung, zog es aber nachher vor dieselbe nur bis zur Farbe des Jodtinetur zu bringen, um die Eigenschaft der leichten Beweglichkeit des Chloroforms so wenig als möglich zu beeinträchtigen. In derselben Weise wurden auch Versuche mit Injeetionen von löslichem Berlinerblau angestellt. Auf den Rath von Prof. Waldeyer versuchte ich die Injection von den Sehnen (Quadriceps) und Gelenkbändern aus auszuführen. Ich bemühte mich zuerst am Lig. laterale internum an Kaninchen und Hunde- kniegelenken die Canüle der Pravaz’schen Spritze oder eine feine Glasröhre bis an die Synovialisfläche des Bandes oder der Sehne, vorzuschieben. Es wurde ein möglichst schwacher Druck ausgeübt. Bald sah ich längst der Faserbündel des Bandes oder der Sehne mehrere dunkle Streifen auftauchen, welche sich allmählich nach Aussen in’s lockere umliegende Bindegewebe fortsetzten und dann zur Kniekehle hin verliefen; solehe Bahnen tauchten auch, Schlingen bildend, an dem Condylus tibiae und unterhalb desselben auf; sie zogen dann auch zur Kniekehle. Es hatten sich zwei grössere Lymphstämme am Oberschenkel gefüllt und von ihnen aus, also rückläufig, zwei vom Condylus femoris verlaufende Lymphgefässe injieirt. Dass die (mit Asphalt injieirten) Stränge Lymphbahnen und nicht Venen waren, konnte ich daraus entnehmen, dass an dem Prä- 644 Oscar Hagen-Torn: parate die Venen mit Berlinerblau injieirt und die Arterien mit Blut gefüllt waren. Von anderen Stellen der Gelenkkapsel sah man die abführenden Lymphgefässe sich füllen und zu den gemeinsamen grösseren Stämmen am Oberschenkel ihren Verlauf nehmen. Beim Aufschneiden der Gelenkkapsel war keine Spur von Injeetion der Synovialis zu finden. Bei subsynovialer Injection der ausgeschnittenen Gelenkweichtheile des Hundes und Kanin- chens entstand nur ein Extravasat an der Injectionsstelle, welches bei der mikroskopischen Untersuchung auch nur unregelmässig ge- formte Massen zwischen den Bindegewebsfasern ergab. Klappen konnten nieht die Ursache dieser mangelhaften Injection sein, da sich grössere Stämmchen stromauf hatte injieiren lassen. Ich musste die Feinheit der Lymphbahnen bei kleineren Thieren als Ursache der mangelhaften Injeetion annehmen und ging desshalb daran, Injectionen an den Gelenken grösserer Thiere (Rind und Pferd) zu versuchen. Zuerst wurde von aussen bei intacter Gelenkkapsel in die Kapselwand, die Ansatzstellen der Kapsel und die ligg. lateralia des Radioearpalgelenks vom Pferde injieirt. Die Injections- masse (saturirte Asphaltlösung in Chloroform) kam bald durch bis zu lmm Weite im lockeren periartieculären Bindegewebe ver- laufenden Canäle an der Schnittfläche der abgeschnittenen Extremität zu Tage.. Beim Eröffnen der Kapselwand sah man nur die Basen einiger Zotten, der Einstichstelle ungefähr entsprechend, dunkel gefärbt; vorsichtig mit der Scheere abgetragen und in Glycerin untersucht, fand sich an ihnen sowohl als auch an den dureh sub- synoviale Injeetion erhaltenen Präparaten, unter dem Mikroskop die Injeetionsmasse zwischen den Fasern des Gewebes in kugel- förmigen Massen eingedrungen. Im Allgemeinen sah ich die mei- sten Zotten prall mit grossen unregelmässig geformten Tropfen der Injectionsmasse gefüllt; sie reichten nicht gleich weit, am häu- figsten bis an die Zellenschieht der Synovialis. Bei subsynovialer Injection am aufgeschnittenen Gelenk sieht man zuerst einen dunklen Streifen durch die Synovialis durch-- schimmern, welcher in dem nächsten Ligamentum, oder der Kapsel- wand zu verschwinden scheint, um dann im extracapsulären Binde- gewebe in centripetaler Richtung zu erscheinen; dann füllen sich die Zotten mit der dunklen Masse und erscheinen erigirt. Wird der Druck verstärkt, so rieselt zuweilen ein schwarzer Tropfen aus der Zotte über die Oberfläche; andere Mal erscheint während Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 645 der Injection an der Oberfläche der Synovialis ein bräunliches Pünktchen, welches, bei fortgesetzter Injection, sich immer mehr, aber sehr langsam über die Fläche ausbreitet und die bräunliche nicht schwarze Farbe beibehält. Im ersten Falle ist es offenbar ein Riss, welcher die Injectionsmasse in grösseren Tropfen hervor- quellen lässt; im zweiten — könnte es sich, scheint mir, um ein Durehdringen der Masse durch die am lebenden Thier vom Blut- serum eingeschlagenen Bahnen handeln. Behaupten kann ich es nicht, denn die Beweglichkeit der Injectionsmasse, besonders da ihr schon ein Ausweg geschaffen ist, lässt auch bei der grössten Vorsicht solche Stellen mit Bestimmtheit unter dem Mikroskop nicht wieder auffinden. An solchen Präparaten war in der Grund- substanz stellenweise die Injectionsmasse in regelmässigerer Form als sehr feine Netze auf sehr kleinen Bezirken anzutreffen. Beim Einstich in der Nähe des Gipfels grösserer Zotten ent- stand nur ein Extravasat, es fand die Masse nicht einmal den Weg in die grösseren abführenden Lymphgefässe. Beim Einstich subsynovial zwischen die Flexorensehne und ihr Mesotendon, über dem Carpometacarpalgelenk eines Pfer- des sah man zuerst einen dunklen Streifen in der Rinne zwischen Sehne und Mesotendon centripetal zur Schnittfläche hinziehen, zu gleicher Zeit und in derselben Richtung mehrere solche in der Tiefe der Sehne. Versperrte man der hervorquellenden Masse den Weg durch Zusammendrücken des angeschnittenen Endes der Sehne, so füllte sich bei fortgesetzter Injection die Fortsetzuug des Lymphstammes centrifugal; von ihr aus füllten sich durch eine Anastomose die die Hauptarterie begleitenden Lymphstämme und mehrere sehr kurze, unter geraden Winkeln in sie einmün- dende Stämmchen von der Sehnensynovialis. Diese kurzen Zweige theilten sich in mehrere noch kürzere. An den makroskopisch kaum sichtbaren Enden dieser letzteren traten bräunliche Flecken, gleichsam wie Blätter an den Bäumen auf. Die Stämmchen er- streckten sich auf die freie Oberfläche der Sehne kaum bis zu Ye ihrer Breite. Bei der mikroskopischen Untersuchung erwiesen sich die Flecken als Gruppen von injieirten Saftlücken. Ueber ihre Form, Anordnung und Beziehung zu den Lymphgefässen werde ich noch weiteres mittheilen. Da ich die interstitielle Injection der Gelenksynovialis nicht als gelungen ansehen konnte, und theils auch, um die Lymph- 646 Oscar Hagen-Torn: bahnen auf einer grösseren Strecke zu injieiren, bemühte ich mich bei den nächsten Versuchen an den gleichen Pferdegelenken die Injeetionsmasse weniger saturirt zu nehmen (bis zur Farbe der Jodtinetur) und dieselbe bei möglichst schwachem Druck (an der Schwelle der Empfindung der Muskeleontraction) und sehr langsam auszuführen. Die zu injieirenden mit der resp. Kapselwand aus- geschnittenen Stücke der Synovialis wurden, unter möglichster Vermeidung der Anspannung, mittels Holzleisten und Nadeln auf einer Korkplatte befestigt, um den Abfluss der Injeetionsmasse durch die grössen Lymphgefässe zu versperren. Eins der so prä- parirten Stücke wurde versuchsweise für ca. 12 Stunden in Ran- vier’schen Alcohol gelegt, um die Kittsubstanz der Zellschicht der Synovialis zu lockern, da bei den vorhergegangenen Versuchen die Zotten sich meist nur bis an die Zellschicht injieiren liessen. Die Canüle wurde in die subsynoviale Schicht eingestochen. Bei ma- kroskopischer Beobachtung war im Allgemeinen kein besonderer Unterschied von den früheren Injectionsversuchen wahrzunehmen; dieselben grösseren, dicht an der inneren Fläche der Kapsel ver- laufenden, stellenweise netzebildenden Lymphgefässe bis an die Schnittränder, ein Durchsickern der Asphaltlösung auf die der Korkplatte zugewandte Fläche durch die Kapselwand, stellte sich auch hier ein; die Zotten färbten sich aber, ehe sie noch so prall gefüllt waren wie in früheren Versuchen. An Stellen mit dünnerer, fester mit dem unterliegenden Kapselbande verbundener, fast zot- tenloser Synovialis ging die Füllung in ganz der früher gemach- ten jetzt wiederholten Injection der Sehnenscheidenlymphgefässe ähnlichen Weise von Statten. Der Bezirk, welcher bei jedesmali- gem Einstich injieirt wurde, war aber auch jetzt ein relativ sehr kleiner, höchstens ein Quadratcentimeter. Einen merklichen Unter- schied in den Resultaten der Injection an dem in Aleohol mace- rirten Stück der Gelenksynovialis in Vergleich zu den anderen habe ich nieht beobachtet. Die unter Waser vorgenommene Injection schien die gleichmässigere Füllung der Zotten zu begünstigen. Der Hauptübelstand dieser sonst vorzüglichen Injeetionsmasse ist, dass die Präparate nicht gut gehärtet werden können; ich musste mich zur Orientirung über die Lage der Lymphgefässe mit makros- kopischen senkrechten Schnitten begnügen. Bei Injeetionen mit löslichem Berlinerblau wurde nur das Wasser in die Zotten filtrirt, sie wurden wie oedomatös, während Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 647 die Masse an den Basen derselben vom Flechtwerk der Binde- gewebsfasern zurückgehalten wurde. Zur mikroskopischen Untersuchung in Glycerin wurden die injieirten Zotten vorsichtig mit einer Scheere abgetragen; von zot- tenlosen Stellen wurden mittelst eines scharfen Rasirmessers Flächenschnitte gemacht. Die makroskopisch sichtbaren bräunlichen Flecken an den letzten Ausbreitungen der Lymphgefässwurzeln erwiesen sich, wie gesagt, als Gruppen von injicirten Saftlücken. An einem mit der Synovialis nach oben gekehrten Flächenschnitt der Sehnen- oder glatteren Gelenksynovialis sieht man die Grup- pen der Saftlüicken am deutlichsten bei höchster Einstellung des Mikroskoprohres; sie entsprechen ihrer Form und Grösse nach denjenigen, welche man an Silberpräparaten zu Gesicht be- kommt. An manchen Gruppen gehen die Fortsätze der Saft- lücken ohne bestimmte Anordnung nach verschiedenen Rich- tungen, an anderen sind die Längsdurchmesser der Lücken annähernd parallel und ihre Fortsätze alle in einer Richtung, meistentheils auch in die Tiefe verlaufend. Nur an wenigen Stellen trifft man mit Injectionsmasse gefüllte Anastomosen, meistentheils liegen die injieirten Saftlücken isolirt; zuweilen nimmt die Masse eine complieirtere Form an, als wenn sie eine Saftlücke, in wel- cher 2 Zellen zusammenliegen, gefüllt hätte (Fig. 5a). Nach dem Durchtreten der Masse durch die Kanälchen der Grundsubstanz, in welchen die Fortsätze der Zellen lagen, scheinen sie sich wie- der zu verengen. Die Masse scheint die in denselben befindlichen Zellen vollständig einzuschliessen, denn es ist keine Spur von Zellen in der injieirten Lücke zu sehen. Dies spricht dafür, dass die Zellen lose in den Lücken liegen. An gut injieirten Stellen sind an der Oberfläche der Synovialis keine Zellen, sondern nur injieirte Saftlücken zu sehen, während nebenan, an nichtinjieirten, die typischen Synovialiszellen vorzufinden sind (Fig. 5e); es müs- sen also auch diese identische Beziehungen zum umgebenden Ge- webe besitzen. Stellt man das Mikroskoprohr tiefer ein, so sieht man die genannten Saftlückengruppen anderen Injectionsfiguren Platz machen, es sind dies Saftlücken von verschiedener, häufig bedeu- tender Länge, an Zahl viel spärlicher, als die ersten, mit sehr fein zugespitzten Enden, fast immer geradlinig, manche feinwellig entsprechend den sie umgebenden Bindegewebsfaserbündeln. Sie 648 Oscar Hagen-Torn: verlaufen in verschiedener Richtung und Ebene, häufig sich kreu- zend; meistens ist das eine Ende in die Tiefe gerichtet; manch- mal ziehen zwei und mehr solcher Spalten dicht neben und pa- rallel miteinander. Einigemal sah ich solche Spalten, bei ?/ Leitz, in durch feinste bräunliche Stäubehen der Injectionsmasse ange- deutete Fortsätze auslaufen. Sie erscheinen ganz unter dem Bilde der Bowman’schen Corneal-tubes. In der tiefsten an die Sehne, resp. Kapsel grenzenden Schicht desselben Präparates sieht man wieder den zuerst beschriebenen Saftlücken ähnliche etwas grössere, aber anders angeordnete Saft- lücken. Sie liegen dicht aneinander, in ihrer Gesammtheit weit- maschige Netzfiguren bildend; diese Netze sind die Wurzeln der Lymphgefässe. In irgend einer Richtung von diesem Netz ziehen eine oder zwei Bahnen, dicht an der inneren Oberfläche der Ge- lenkkapsel gelegen, mit weniger parallelen Contouren, als die Blutgefässe sie besitzen, zu einem arteriellen Gefäss, welches sie begleiten. Dass es keine anderen als Lymphgefässe sind, ist erstens aus ihren Contouren und zweitens daraus zu ersehen, dass sie zwischen der Arterie und den deutlich sichtbaren Venen, um die Arterie herum anastomosirend, bis zu den Hauptlymphgefässen der Extremität (von der Sehnenscheide aus) zu verfolgen sind. An den Zotten sind die Verhältnisse dieselben bis auf die Zellenschicht, welche zu injieiren mir nicht gelungen ist; in diesem Misslingen glaube ich eine Bestätigung der auf anderen Wegen gewonnenen Ansicht zu sehen, dass die Grundsubstanz der Zellen- schicht von festerer Beschaffenheit sei, desshalb schwerer durch- gängig für die Injectionsmasse, umsomehr, als auch die Fortsätze der Zellen dieser Schicht kürzer sind und die Zotten zu schlaff, um gut injieirt zu werden. Es ist hier am Platz auf den möglichen Modus der Auf- saugung von der Synovialis aus näher einzugehen. Das Bestehen präexistirender Stomata kann, scheint mir, mit Bestimmtheit in Abrede gestellt werden. Es muss also die Aufsaugung direct durch die Grundsubstanz stattfinden, dann wird die Flüssigkeit durch die Ver- mittelung der Saftlücken weitergeleitet. Ob irgend welche Theile der Synovialis eines gegebenen Gelenks sich mehr, die anderen weniger daran betheiligen, lässt sieh schwer entscheiden; vielleicht sind es vorherrschend die dünneren, weniger beweglichen Synovialispartien, Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 649 deren Saftlücken grösser, mit weiteren Fortsätzen versehen sind, und sich leichter injieiren lassen, welchen diese Function zufällt. Die schon mitgetheilte Beobachtung, dass nach Behandlung einer frischen Synovialis (Kaninchen) mit Osmiumsäure, sich durch diese schwarz gefärbte Fetttöpfehen in und um die Zellen herum in den Saftlüeken an den genannten Stellen in besonders auffallender Menge vorfinden lassen, spricht vielleicht auch dafür. Es ist die Annahme, dass diese Fetttöpfchen, als Resultat des fettigen Zer- falls einzelner Elemente der Synovialis — ein solcher besteht neben dem schleimigen gewiss — auf dem Wege der Resorption sind, die wahrscheinlichste. Es geben dann die genannten Präpa- rate das Bild einer physiologischen Fettinjeetion. Vielleicht sind es aber auch nur veränderte Ernährungszustände, welche den ge- nannten Zellen ein knorpelzellenähnliches Aussehen geben und den Gehalt an Fetttröpfehen bedingen. Auf Grund des Mitgetheilten kann ich der Meinung Till- manns (N. 56), dass es in der Symovialis der Gelenke zwei Schichten von Lymphgefässen gebe, von denen die eine „sub- endothelial“ gelegen sei, nicht beipflichten. Ich weiss mir diesen Widerspruch zwischen Tillmann’s und meinen Befunden nicht anders zu erklären, als dass das Berlinerblau die Saftlücken nicht injieirt, in Folge dessen die Controle der Tiefenlage der injieirten Gefässe bei Injeetionen mit Berlinerblau fehlt. Ich habe niemals, weder in den Zotten, wie auch Tillmanns, noch an den glatteren Stellen der Synovialis „subendotheliale“ Lymphgefässe sehen können. Ich muss im Gegentheil die Lymphgefässe, wegen ihres Verlaufs in nächster Nähe der Kapselbänder und Sehnen (auf der freien Oberfläche der Sehnen giebt es scheinbar gar keine Lymph- gefässe), als peritendinöse und periligamentöse Lymphgefässe an- sehen. Nerven und Nervenendigungen in den Gelenksynoviales und Gelenkkapseln. Ich untersuchte die Nervenendigungen der Gelenkkapsel und Synovialis von Kaninchen (Knie, Fuss und Hüftgelenk), einer 6 Wochen alten Katze (Hüft- und Fussgelenk), von 2 ausge- wachsenen Hunden (Schulter- und Fussgelenk), von 3 Meer- 650 Oscar Hagen-Torn: sehweinehen, 1 junges und 2 ausgewachsene (Knie- und Hüft- gelenk). Die Synovialis mit der Kapsel wurde sorgfältig von dem umgebenden Bindegewebe und den Muskeln abpräparirt, dann entweder auf eine halbe Stunde in '/, °/, Osmiumsäure gelegt oder vergoldet. Beim Behandeln mit Goldehloridnatrium wurde die Böhm’sche Methode angewandt, mit der Abänderung, dass das Goldchloridnatrium nicht in 1 °%,, sondern in 0,5 °% Lösung genommen wurde. In diese wurden die Objecte auf 20—40 Minuten, nachdem sie bis zum Durchsichtigwerden in 50 °/, Ameisensäure gelegt und mit destillirtem Wasser abgespült waren, gebracht. Nachdem die Objecte darauf auf 18 Stunden in Prichard’scher Lösung im Dunkeln gestanden hatten, wur- den sie auf einige Tage in ein Gemisch von Ameisensäure und Glycerin ge- bracht, um sie leichter comprimirbar zu machen. Trotzdem erwies es sich nothwendig, manche der zu untersuchenden Präparate noch zu zerzupfen; sie sind sonst zu elastisch und das Deckgläschen wird beständig emporge- hoben, was die Untersuchung natürlich sehr erschwert. Ausser der Zerzupfung und leichter Compression der Präparate, wo es möglich war, wurden, um die topographische Lage der Endapparate zu bestimmen, successive Flächen- schnitte aus freier Hand mit dem Rasirmesser gemacht. Die Nervenstämmchen finden sich an der abpräparirten, ver- goldeten Kniegelenkskapsel bei den untersuchten Thierarten zu 2—5 an der inneren Seitenfläche, 2 an der von Nicoladoni ange- gebenen Stelle am inneren Condylus femoris (beim Kaninchen). Es sind dies Stämmchen mit entweder nur markhaltigen oder ge- mischten — markhaltigen und marklosen — Fasern, wobei die ersteren die überwiegende Mehrzahl bilden. Die grösseren Stämme begleiten eine Arterie und Vene; sie sind ausserdem von Capil- laren umflochten. In ihrem Verlaufe sieht man häufig einzelne oder zu Gruppen angeordnete Fettzellen. Die Zweigbündel, einige nur markhaltig, andere gemischt, verlaufen häufig ohne beglei- tende grössere Gefässe, nur von einem Capillarnetze umfloch- ten, anastomosiren mit benachbarten Nervenbündeln oder gehen in die Endapparate über. Die zahlreichen Anastomosen bilden stellenweise reiche Geflechte. Ausser diesen Bindeln gibt es noch solche, die nur aus marklosen Fasern bestehen und die scheinbar mit den Arterien dem Gelenk zugeführt werden, aber nicht in ihrer Adventitia als Geflecht, sondern als getrennte Bün- del sie in einiger Entfernung begleiten. Sie sind etwa dreimal so dünn als die gemischten Bündel, verlaufen fein geschlängelt, glän- zen etwas und besitzen mehr Scheidenkerne, als die anderen. Sie Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 651 anastomosiren zuweilen mit diesen, meistentheils folgen sie jedoch den Verzweigungen der Arterien; ihre feineren Verästelungen fol- sen den Gefässen auch in manche grössere verzweigte Zotten. Wie sie endigen, ob nur als Gefässnerven oder noch irgendwie anders, habe ich nicht eruiren können. Eine markhaltige Faser habe ich nie in die Zellenschicht oder in die Zotten der Synovialis ein- dringen sehen. Ebensowenig habe ich den Uebergang einer mark- haltigen Faser in eine zum Gefäss oder zur Synovialis intima verlaufende marklose zu beobachten Gelegenheit gehabt. Die grösseren Nervenbündel dringen schräg zwischen den diekeren Faserbündeln der Gelenkkapsel zur Synovialis. In der Dieke der Kapsel beginnt die Theilung in die kleinsten Bündel von 1—3 markhaltigen Fasern; hier trifft man auch schon End- apparate an. Diese Fasern steigen in schräger Richtung zur Faser- schieht der Synovialis empor. Häufig theilt sich eine markhaltige Faser wiederholt dichotomisch, um dann in verschiedene End- apparate überzugehen. Bei schwacher Vergrösserung sieht man an den von Nieoladoni angegebenen Stellen der Kniegelenksyno- vialis an der hinteren Fläche des Condylus internus beim Meer- schweinchen und Kaninchen die Nervenbündel baumförmig ver- ästelt. Man sieht die markhaltigen Nerven mit trüben, oft etwas länglichen Flecken von verschiedener Grösse endigen; manchmal sieht es aus, als wenn einer Faser in kurzem Abstande zwei sol- cher trüber Flecken aufsitzen. Die meisten der an diesem Objecte zu beobachtenden Endapparate gehören dieser Categorie an. Bei stärkerer Vergrösserung habe ich bei der genannten Bearbeitungs- methode die Endapparate nicht in der Art angetroffen, wie Nieo- ladoni sie in seinen Figg. 2 u. 3 zeichnet. Ich fand, dass das Myelin der markhaltigen Nervenfaser vor der Bildung eines End- apparates unregelmässige Verdiekungen darbietet. Die Nerven- faser endigt entweder ohne weitere terminale Theilung, geht un- mittelbar vor dem Ende in 2—4 'T'erminalfasern über, die in den Endapparat eintreten. Das Myelin läuft in eine kurze Spitze aus; um diese Spitze sieht man „ein wirres Gestrüpp markloser Aest- chen“ sich ausbreiten (Sachs. N. 60, S. 412). Die Maschen dieses Gestrüpps sind von Kernen, welehe denjenigen der Nervenfaser- scheide ganz ähnlich sind, ausgefüllt. Im eentralen Theil liegen sie dichter gedrängt. An Goldpräparaten sind sie in geringerer Menge sichtbar, als an Präparaten, welche nur mit Essigsäure behandelt 652 Oscar Hagen-Torn: waren. Diese Endapparate sind nicht von einer streifigen Hülle umgeben, wie W. Krause (N. 48, S. 524) es angibt. Die Kerne gehören auch nieht der „Intima“ der Synovialis an. Die mark- losen Aestehen kreuzen einander, scheinen auch miteinander zu anastomosiren; es scheint, dass sie jedoch nieht mit Schlingen, son- dern frei, im Bereich des Endapparates, endigen. Man sieht an ihnen stellenweise kleine Knötehen. Viele, besonders die grösse- ren von den genannten Endapparaten sind von Capillaren um- sponnen. Sie sind den von Golgi in den Sehnen der Eidechse, von Rauber in den Gelenkkapseln beschriebenen Endappa- raten ganz ähnlich, und scheinen mir überhaupt mit den End- apparaten der motorischen Nerven in eine Formen-Categorie zu gehören (Arborisations terminales, Ranvier). Die mit Osmiumsäure behandelten Präparate bieten in Betreff des Myelins dasselbe Bild, nur sind die terminalen Fasern nicht so deutlich zu sehen. Beim Hunde und bei der Katze sind die arborisations terminales ganz ähnlich gebaut wie beim Kaninchen. Sie sind im Dureh- schnitt grösser und häufiger von einem Capillarnetz umgeben. Die Grösse dieser Endapparate beträgt beim Kaninchen: 0,010 mm, 0,025 mm im grössten, 0,010—0,017 mm im kleinsten Durchmesser; beim Hund 0,015—0,040 mm im grössten, 0,015 mm im kleinsten Durchmesser. In der Synovialis der hinteren Fläche des Condylus internus bei Kaninchen und Meerschweinchen sind ausserdem kleine läng- liche Pacini’sche Körperchen in geringer Anzahl vorhanden; sie sind mit ihrer Längsachse parallel und neben einer in ein End- körperchen der anderen Art übergehenden Faser gelegen. Die relative Anzahl der Pacini’schen und der verzweigten Endigun- gen auf einer gegebenen Fläche der Synovialis ist nicht überall die gleiche. An der dem inneren Condylus femoris anliegenden Kapselgegend, wo die Anzahl der Nervenendigungen überhaupt eine sehr grosse ist, besteht die Mehrzahl der Endapparate aus den letzteren. Beim Meerschweinchen ist die Zahl der Paecini’schen Körperehen an der entsprechenden Stelle eine grössere, als beim Kaninchen. An den Seitenflächen der Kniegelenkkapsel des Kanin- chens habe ich „Arborisations“ gar nicht angetroffen, sondern nur einige wenige Pacini’sche Körperchen. Die Paeini’schen Körperchen, welche in der Synovialis in ihrer denkbar einfachsten Form vorkommen, besitzen keine ge- Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 653 schiehtete Hülle, sondern nur eine kernreiche einfache Hülle. In der Achse des protoplasmatischen Kapselinhalts endet der marklose Nerv immer nur mit einem Endknöpfehen. Die Form, besonders aber die Grösse der Paeini’schen Körperchen, ebenso wie das Ver- hältniss ihrer Länge zur Breite sind bei einem und demselben Thiere, noch mehr bei Thieren verschiedener Gattung, ziemlich ungleich. Das Kaninchen besitzt die allerkleinsten; sie sind von länglicher, fast eylindrischer Gestalt mit etwas ausgezogenen, leicht zugespitzten Enden (Länge 0,025— 0,045 mm, Breite 0,005—0,006mm). Beim neugeborenen Thier sind sie fast gleich gross, nur besitzt ihre Scheide grössere Kerne. Das neugeborene und erwachsene Meerschweinchen haben bedeutend dickere Vater’sche Körperchen, sie sind von der Gestalt länglicher Kolben (0,027—0,060 mm lang, 0,007—0,008 mm breit). Beim Hund: (Schulter- und Fussgelenk) und bei einer 6 Wochen alten Katze (Hüft- und Fussgelenk) sind sie einander sehr ähnlich, beim Hund nur dicker im Vergleich zur Länge. Beim Hunde sind sie 0,060—0,090 mm lang, 0,006 mm breit; bei einer jungen Katze 0,035—0,065 mm lang, 0,005 bis 0,006 mm breit. Bei beiden (vielleicht werden sich ähnliche Kör- perchen auch bei den anderen Carnivoren auffinden lassen) sind sie sehr lang, eylindrisch, mit abgerundeten Enden. Bei der Katze ist noch das bemerkenswerth, dass sie häufig, so zu sagen, paarige Organe bilden, manchmal trifft man sie sogar den zwei Endzweigen einer myelinhaltigen Faser aufsitzen. Alle diese Endapparate liegen in der Ebene der terminalen Ausbreitung der Nervenfasern, d. h. im äusseren Theile der Faser- schicht der Synovialis; zuweilen ist das freie Ende etwas empor- gerichtet zur Zellenschieht der Synovialis hin; häufig sind sie etwas geschlängelt oder einmal in der Mitte, selten mehrere Male spiralig, wie ein Knäuel gewunden. Diese Vater-Pacini’schen Kör- perchen sind denjenigen in der Conjunetiva bulbi des Kalbes (Krause Nr. 48, S. 517, Longworth Nr.64) und den vonRauber (Nr. 63) an menschlischen Gelenkkapseln gefundenen ganz ähnlich. Beim Hund und bei der Katze kommt die andere Gattung der Endapparate an den genannten Untersuchungsobjeeten auch vor, nur scheint ihr Auftreten nicht so sehr an bestimmte Stellen dieser Gelenke gebunden zu sein (vielleicht weil es die freiesten Arthrodien sind), vorherrschend sind hier aber doch, besonders bei der Katze, die Paeini’schen Körperehen. Auf die ungleichmässige 654 Oscar Hagen-Torn: Vertheilung beider Arten von Endapparaten haben schon Rauber (Nr. 63) und Nieoladoni (Nr. 57) hingewiesen. Man erhält an den genannten Objecten auf einem ca. !/; cem grossen Stückchen des vergoldeten Präparates beim Zerzupfen mit ziemlicher Regelmässig- keit 2—8 Endapparate; nur auf einem Präparate war das Ver- hältniss der arborisations terminales zu den Paeini’schen Körper- chen wie 4:1, meistens überwiegen an Zahl die letzteren. Weder terminale ans „Endothel‘ reichende Endausbreitungen noch die Betheiligung 2—3 myelinhaltiger Fasern an der Bildung solcher Maschen, wie sie Nieoladoni bespricht und zeichnet, habe ich jemals zu sehen Gelegenheit gehabt. Ebenso wenig habe ich einen Unterschied, ausser dem genannten, im Bau der Nervenend- apparate der jungen und ausgewachsenen Subjecte gefunden. Es bestehen an den Gelenken also zweierlei Arten von Ner- venendapparaten: die Vater'schen Körperchen und die arborisations terminales; beide Arten werden nur als Endigungen von mark- haltigen Fasern und nur gegen die innere Oberfläche der Gelenk- kapseln hin und in ihnen, niemals in den Zotten vorgefunden. Bis in die Zotten gehen zahlreiche Faserbündel von marklosen Nerven in Begleitung der Gefässe. Sie bilden in der Faserschicht der Sy- novialis Geflechte und anastomosiren auch mit den gemischten Faserbündeln. Eine Bestätigung dieses Befundes sehe ich in den von Bichat gemachten Experimenten, deren Beschreibung ich hier wörtlich folgen lasse: (Nr. 27, S. 271) „.... si on met & de- couvert dans un animal, une artieulation ginglymoidale, qu’on en- leve tous les organes voisins, excepte la synoviale et les ligaments lateraux, et qu’on torde ensuite l’artieulation, l’animal donne les signes de la plus vive douleur. Mais coupe-t-on ensuite les liga- mens, en laissant seulement la synoviale, la torsion n’est plus sen- sible, et on peut impunement distendre, dechirer l’artieulation. Done il n’y avoit point de capsule fibreuse, jointe ä& la synoviale. Cette experience facile & r&peter sur les membres anterieurs ou posterieurs, peut servir ä& y reconoitre par-tout les articulations oü existe une membrane synoviale seule, et celles oü s’y trouve jointe une capsule fibreuse. Celle-ci, &tant de m&me texture que les ligament lateraux, determine les m&mes douleurs lorsqu’on la tiraille, comme le prouvent d’ailleurs des experiences faites sur les artieulations revetues de ces capsules.“ Zieht man die über diesen Gegenstand bestehende Literatur Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 655 zu Rathe, so findet man, dass beide Gattungen von Endapparaten denjenigen der Sehnen an die Seite zu stellen sind; also ist die Synovialis auch in Bezug auf die Nervenendapparate nicht als selbständiges Organ zu betrachten. Zuerst wurden Paecini’sche (Vater’sche) Körperchen von Rauber an den Gelenken beschrieben, darauf fand Krause (Nr. 58) die andere Gattung unter dem Namen „Gelenknervenkörperchen‘‘; sie ist aber von ihm nach Präparaten beschrieben, welche nur mit Essigsäure behandelt waren; die von ihm gegebene Zeichnung entspricht nicht dem Befund nach Be- handlung mit Goldehloridnatrium. Es haben ausserdem Rollett, Sachs und Golgi beide Arten von Endapparaten an den Sehnen beschrieben. Synovia. In Betreff sowohl der chemischen Zusammensetzung der Sy- novia als auch der Physiologie der Synovialis existirt bis jetzt nur die Frerichs’sche Arbeit. Frerichs hat zuerst auf das Muein als eonstanten Bestandtheil der Synovia hingewiesen und leitet die Bildung desselben aus dem Verfall der Zellen her. In der frischen, gelblich-durchsichtigen, klebrigen, fadenziehenden Synovia finden sich regelmässig freie Zellen suspendirt. Die Zellen entsprechen ihrer Form nach vollkommen denjenigen der Zell- schicht der Synovialis. Selten trifft man sie etwas abgeplattet, meistens sind sie, wie es auch Subbotin angiebt, rundlich eckig, und häufig mit Fortsätzen versehen. Viele von den Zellen enthalten Fettkörnchen, manche hyaline mattglänzende Kugeln. Ausser diesen sieht man auch den sogenannten Schleimkörperchen vollkommen ähnliche Zellen. Zuweilen gelangen auch durch Grund- substanz verbundene Gruppen von Zellen zur Beobachtung. Diese und die von Seiten der Synovialis zu beobachtenden, schon be- schriebenen Erscheinungen an manchen Zotten, welche zum Theil auch von Grundsubstanz stellenweise entblösst sind, sind mit In- begriff der von Frerichs gegebenen Analysen der Synovia eines Kalbes, eines Ochsen in Ruhe und nach stärkerer Bewegung die einzigen Data, auf deren Grund man unvollkommene Schlüsse über die bei der Synovialbildung stattfindenden Vorgänge zu machen sich erlauben kann. Es scheinen sowohl die Zellen als auch die Grundsubstanz an der Schleimbildung, theils auch an der Bildung Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 45 656 Oscar Hagen-Torn: der anderen Bestandtheile der Synovia betheiligt zu sein. Beim Kalb, entsprechend dem Reichthum der embryonalen und jugend- lichen Zellen an Schleim, finden wir auch der Synovia eine rela- tiv grössere Menge desselben beigemengt (3,26 pro mille Schleim 34,32 pro mille feste Bestandtheile und 19,90 Eiweiss). Bei einem Ochsen nach stärkerer Bewegung erweist sich die Synovia reicher an festen Bestandtheilen, sie muss sich eingedickt haben, dabei hat sich das Verhältniss für die verschiedenen Bestandtheile nicht in gleichem Maass verändert (bei in Ruhe befindlichen Ochsen ist nach Frerichs der Gehalt an Wasser 969,0, an Schleim 2,40; an festen Bestandtheilen 30,10, an Eiweiss 15,76; bei einem Ochsen nach Bewegung 948,0 Wasser, 5,60 Schleim 51,46 feste Bestandtheile, 35,12 Eiweiss). Vorausgesetzt, dass es sich um eine Eindickung der Synovia handele, ist die Annahme zulässig, dass die Salze als der löslichste Bestandtheil mit dem Transsudat durch eine Bewegung in die Lymphbahnen eingepumpt wurden, und dass dafür relativ mehr Eiweisstoffe sich gebildet haben, dass demzufolge eine etwas andere Art des Zerfalles der Zellen eingetreten ist. Ob und wie weit hierbei eine Betheiligung von secretorischen Nervenfasern mit im Spiele ist, ob also die Synovialiszellen wenigstens funetionell wenn nicht morphologisch den Vergleich mit Epithel gestatten; darüber kann nur der experi- mentell physiologische Nachweis der Existenz solcher Fasern ent- scheiden. Darüber lässt sich aber noch streiten, ob die Angaben von Luschka und Steinberg und zum Theil Nicoladoni über die Endigung der Nerven in dem von ihnen angenommenen Endo- thel überhaupt den Thatsachen entsprechen und ob sie secretorischer Natur sein können. Die Frerichs’schen Analysen widersprechen einer mechanisch-physiologischen Erklärung der bei Synoviabildung statthabenden Vorgänge nicht. In noch einer Beziehung steht das Gewebe der Synovialis demjenigen des Unterhautzellgewebes nahe, es sind dies die Neu- bildungen, deren Auftreten beiden Geweben gemein ist. v. Reck- linghausen (Nr. 74) hat in einer neuerdings erschienenen Ar- beit über Neurofibrome unter Anderem genauer darauf hingewiesen, Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 657 als es bisher geschehen ist, dass verschiedene entzündliche Pro- cesse und Neubildungen ihre Praedilectionsstellen in den verschie- denen elementaren Bestandtheilen (Saftlücken, Lymph-, Blutgefässe) der Gewebe besitzen. Sind die einen oder die anderen dieser Be- standtheile in grösserer oder geringerer Menge oder in ähnlicher Anordnung in gewissen Geweben vertreten, so müssen diese auch ähnlichen Neubildungen als Mutterboden dienen. Umgekehrt kann dann auch bis zu einem gewissen Grade aus der Art der Neubil- dungen, die zweien beliebigen Gewebsarten eigen sind, auf die Aehnlichkeit im anatomischen Bau dieser Gewebe ein Schluss ge- zogen werden. Für die beiden genannten Gewebe wenigstens fin- det diese Annahme eine gewisse Bestätigung. In dem einen wie in dem anderen Gewebe kommen vorherrschend Lipome und Fi- brome, dann Chondrome vor. Die relative Seltenheit des Vorkom- mens von Sarkomen, welche von der Synovialis ausgehen, im Ver- gleich zu den Sarkomen des Unterhautzellgewebes und das Vor- kommen von Tuberkeln im ersteren und die vollkommene Immunität des Unterhautzellgewebes gegen die letzteren mögen durch eine reichere Vascularisation des Synovialis und durch den Unterschied in der Function beider bedingt sein. Andererseits trifft man Neubildungen, an deren Zusammensetzung epitheliale Gebilde und, wie es in der letzten Zeit bewiesen zu sein scheint, Endo- thelien sich betheiligen, an den Synoviales gar nicht an, in dem Unterhautzellgewebe wohl auch nur bei der Ausbreitung von an- deren Geweben her. Zum Schluss erlaube ich mir noch einmal die Vorstellungen über die Entstehung, den Bau und die Bedeutung der synovialen Häute, welche ich auf Grund der hier mitgetheilten Untersuchungen gewonnen habe, in Kürze zu wiederholen. Zwischen zwei aneinanderstossenden Knorpelanlagen in einem Gewebe, welches dem Grundgewebe der Extremität des Embryo vollkommen ähnlich ist, entsteht unter Mitwirkung der sich ent- wickelnden Gefässe ein Zerfall von Zellen (wahrscheinlich in Folge des Wachsthumsdruckes der Enden der Knorpelanlagen). Es ent- steht ein Spalt, welcher (durch passive und active Bewegungen) immer grösser wird; es sind während dessen die Ligamente und 658 Oscar Hagen-Torn: Kapseln der Gelenke angelegt (in loco). Das lockere Bindegewebe, welches die Gelenkhöhle ausfüllt und somit alle Theile des Ge- lenks (vielleicht die centralsten Partien der Gelenkknorpelober- flächen ausgenommen) bedeckt, erhält einen Substanzverlust, einen Gelenkspalt in seiner Mitte. Bezeichnet man die Wandungen dieses Spalts als Membran, so hat man die von Bichat vertretene Anschauung, welche sich so lange in der Wissenschaft gehalten hat, vor sich — es ist dann die Synovialis eine geschlossene Mem- bran. Bei der weiteren Entwickelung (welche hauptsächlich durch stärkere Bewegungen geschieht), noch während des intrauterinen Lebens, sehen wir das gefässreiche intracapsuläre Bindegewebe — die Membrana Synovialis — sich in mancher nicht wesentlicher Beziehung von dem ihm embryologisch gleiehwerthigen Unter- hautzellgewebe differeneiren, ersteres bleibt lockerer und zellen- reicher. Zugleich sehen wir die Synovialis an manchen Stellen der Gelenke schwinden, an manchen dünner werden, an manchen zu Zotten auswachsen. Vergleicht man die resp. Stellen an ver- schiedenen Gelenken und zieht man die physiologischen Bedin- sungen für ihr Zustandekommen in Rechnung, so kommt man zu dem Schluss, dass die Synovialis an den Stellen des stärksten positiven Drucks schwindet (Gelenkknorpeloberfläche), dass ihre verdünnten Partien denjenigen Stellen entsprechen, welche eon- stantem positivem, weniger starkem Druck ausgesetzt sind (sehnige Theile), die zottentragenden denjenigen, welehe dem häufig wiederkehrenden Einflusse des negativen Drucks, welcher durch die Bewegungen in den Gelenken stellenweise entsteht, ausgesetzt sind. Durch den Druck wird im extrauterinen Leben an den verdünnten Stellen, wie auch in den anliegenden Kapselbändern, die Ent- stehung von knorpelartigen Zellen, an den zottenreichen — durch Aspiration — eine Vermehrung der Zotten bewerkstelligt. Der feinere Bau des Gewebes der Synovialis entspricht durchweg den Vorstellungen, welehe wir durch die Untersuchungen von Recek- linghausens über das Bindegewebe besitzen. Den physiologi- schen Vorgängen und dem Baue nach müssen die atypischen bursae mucosae den Synoviales gleichgestellt werden. In der Pathologie treffen wir die Wandungen der chronischen Abscesse, welche einen ganz ähnlichen Bau haben. Ich glaube umsomehr an die Richtigkeit meiner Schlussfolgerungen, als sie zuerst nach der Untersuchung des Baues der Synovialis entstanden und durch Entwickelung und Bau der Synovialmembranen. 659 die nachfolgende embryologische Untersuchung bestätigt wurden. Eine weitere Bekräftigung derselben fand ich nach der Unter- suchung der Lymphbahnen und der Nervenendigungen der syno- vialen Häute. Wollte ich die Vorgänge bei der Bildung der Sehnenscheiden und Schleimbeutel und ihren Bau beschreiben, so müsste ich das von der Gelenksynovialis Gesagte wiederholen. Ich hoffe in dieser Arbeit mehr Belege gegeben zu haben, als bisher geliefert wurden, um die zuerst von Hüter ausge- sprochene Ansicht über den bindegewebigen Bau der Synovialis zu stützen. 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Remak: Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere. 1850—55. Rollett: Vom Baue der Hornhaut. Stricker’s Handbuch der Ge- webelehre. Erklärung der Tafel XXVIIL Fig. 1. Sagittalschnitt des Kniegelenks eines Schafembryo von 32 mm Länge bei Oc. 2. Syst. 7 Hartn. gezeichnet. Gefässführendes Mesochon- drium (gm), gefässloses Mesochondrium (m), Tibia (t), femur (f), Perichondrium (p). Der Unterschied zwischen dem gefässführenden und gefässlosen Mesochondrium ist durch das verschiedene Verhalten der Zellen und Zwischensubstanz beider bedingt (lichte Zone.) Fig. 2. Silberzeichnung der Saftlücken und Gefässe vom condylus int. tibiae eines 52 cm langen Rindsembryo. Nachträglich mit Gre- nacher’s Carmin gefärbt. Knorpelzellen und Uebergang in Saft- lücken (a), Saftlücken (b), in vielen von ihnen sind Kerne sicht- bar; (c) vom Silbernitrat unberührt gebliebenes Gewebe mit Gefässen, welche sich bis b verfolgen lassen (g). Bei Oc. 2 Syst. 7 Hartn. gez. L. Bremer: Die Nerven der Capillaren, der kleineren Arterien u. Venen. 663 Fig. 5. 2 arborisations terminales und ein Pacini’sches Körperchen vom ; Fussgelenk einer Katze. Oc. 2 Syst. 7 Hartn. Fig. 4. Interarticulärer ,‚Knorpel“ aus dem Kniegelenk eines erwachsenen Menschen. Am zerfaserten Innenrande (I) sind die Zellen rundlich, manche in Gruppen, von einem hellen Saum umgeben (h). An der Basis der Bandscheibe Sehnengewebe (B). Oc. 2 Syst. 7 Hartn. 6, 7. Die von der Fläche der Synovialis der Sehnenscheide vom Pferd an einem und demselben Präparat successive der Tiefe nach - sichtbaren Bilder. Injection mit Asphaltlösung. 5. Die oberflächlichste Lage der injieirten Saftlücken, (a) mehrere Zellen enthaltende Saft- lücke, (b) eine Saftlücke mit einer Zelle, (c) Zellen der Synovialis. Präp. 6. Den corneal tubes ähnliche Saftlücken. Präp. 7. Anfänge der Lymphgefässe. Das Präp. 5 ist bei Oc. 2 Syst. 7 Hartn., die beiden folgenden sind bei Oc. 2 Syst. 4 gezeichnet. a Fig. (Aus dem anatomischen Institute zu Strassburg.) Die Nerven der Capillaren, der kleineren Arterien und Venen. Von Dr. L. Bremer. Hierzu Tafel XXIX. Wenn ich es unternehme, in Folgendem die Nerven der kleinsten Blutgefässe zu beschreiben, so geschieht dies aus zweierlei Gründen. Einmal ist die Thatsache, dass alle Blutgefässe, selbst die feinsten Capillaren, mit Nerven versehen sind, noch nicht in das anatomische Bewusstsein gedrungen, und zweitens bin ich in Bezug auf gewisse Einzelnheiten zu andern Resultaten gelangt, als die Beobachter, die früher diese Frage studirt und das Vorhanden- sein jener Nerven constatirt haben. 664 L. Bremer: Nach der Ansicht mancher Physiologen bedarf es einer in- timen Verbindung zwischen Nerven und Capillaren gar nicht, um die Contraetionserscheinungen der letzteren auf Reize zu er- klären, da dem Protoplasma als solchem die Eigenschaft der Reiz- empfänglichkeit und der Contractilität zukomme. So behauptet Aubert!), dass man nach den bis jetzt vor- liegenden Untersuchungen nicht berechtigt sei, von einer Innervation der Capillargefässe zu sprechen, da ein Einfluss des Nerven- systems auf den Contractionszustand derselben nicht nachgewiesen sei, dass zwar anatomisch ein Herantreten von Nerven an Capil- laren beobachtet worden, eine Contraction derselben aber bei Rei- zung von Nerven nicht wahrgenommen sei. . Hiegegen wäre zu bemerken, dass psychische Erregungen (Scham, Zorn, Schreck) einen unbestrittenen Einfluss auf die Ca- pillaren ausüben und dass man sich die in Folge jener auftretende plötzliche Erweiterung, respective Verengerung der Capillaren nicht wohl ohne einen innigen Zusammenhang der letzteren mit Nerven denken kann. Die Bewegungserscheinungen der Capillaren, welche Stricker und Rouget nach Reizungen an lebenden Thieren beobachteten, lassen sich ebenfalls nicht wohl auf die blosse Reizungs- und Contractionsfähigkeit des Protoplasma zurück- führen, wie man bis jetzt anzunehmen allgemein geneigt ge- wesen ist. | In den Handbüchern wird der Capillarnerven entweder gar keine Erwähnung gethan, oder sie werden zu den „zweifelhaften Nervenendigungen“ gerechnet, auch wohl kurzer Hand in Abrede ge- stell. Als Beispiele mögen nachstehende Autoren angeführt werden: Kölliker glaubt, dass selbst kleinere Arterien ohne Ner- ven seien; Krause hält die von verschiedenen Autoren beobach- teten Nerven an kleineren Arterien und Capillaren für Bindegewebe. Bei Eberth, Striekers Handbuch, p. 193, heisst es: „Mit Aus- nalıme der Capillaren sind an allen Gefässen, selbst in der Ad- ventitia der muskellosen Venen der Pia, Nerven nachgewiesen.“ Pouchet und Tourneux (Preeis d’histologie humaine, Paris 1878), erwähnen ebenfalls keine Capillarnerven; dasselbe gilt von Toldt (Gewebelehre), Frey’s Histologie und Ranviers Traite 1) Hermann’s Handbuch der Physiologie. Bd. IV. p. 458. Die Nerven der Capillaren, der kleineren Arterien und Venen. 665 technique d’histologie, dessen letzte, 1382 erschienene Lieferung der Capillarnerven nicht gedenkt. Beale!) gebührt das Verdienst, zuerst auf die Thatsache hingewiesen zu haben, dass die Capillargefässe von Nerven be- gleitet werden. Er gibt an, dass stets zwei marklose Nerven neben ihnen einherlaufen. Kessel?) beschreibt Nervenfasern an Capillaren, welche sich mit dem in dem Rete Malpighi befindlichen Plexus verbinden, oder sich direet in feinste Fasern auflösen, welche ihrerseits nach noch- maliger dichotomischer Theilung als Primitivfibrillen in das Rete Malpighi eindringen. Nach Tomsa?), welcher die Capillaren in der Haut des Menschen untersuchte, sollen sich aus den marklosen Nervennetzen des Papillartheiles Fibrillen nach den Papillen abzweigen und sich zu den Bluteapillaren der Hautwärzehen begeben. Diese Fi- brillen sollen ein Netz herstellen, welches die Capillaren einhüllt und von welchen sich wieder Fibrillen abzweigen, welche wiederum anastomosirend sich in die Capillarwand einsenken. Ob letztere in den Kernen oder im Protoplasma enden, konnte nicht enschie- den werden. In eingehender Weise befasste sich Klein®) mit der in Rede stehenden Frage. Er stellte seine Untersuchungen an den Blutge- fässen der Froschzunge an und findet an den Capillaren, dass Ner- ven der 3. Ordnung (hiermit meint K. die feineren marklosen Nerven) einen perivasculären Plexus bilden, von welchen ein Netz- werk von Fasern der 4. Ordnung (der feinsten Nervenfasern) aus- geht, welches der Gefässwand angehört. In seinen Abbildungen stellt Klein feinste Nervenfibrillen dar, welche, von gröberen sich abzweigend, an den Capillaren endigen, während andere Nerven- fasern von dem Gefässe weg nach allen Richtungen hin aus- laufen. Gonjaew°) beschreibt ein Endnetz von Nervenfasern, das 1) Philosophical Transactions 1863. 2) J. Kessel: Nerven und Lymphgefässe des menschl. Trommelfells Centralbl. für die medicin. Wissensch. p. 358. 1868. 3) Ebendas. p. 5653. 4) E. Klein: On the peripheral distribution of non-medullated nerve- fibres. Quarterly Microscop. Journal 1872. p. 27. 5) Die Nerven des Nahrungsschlauches. Dieses Arch. Bd. XI. p. 496, 666 L. Bremer: zwischen und an den Gefässschlingen ausgespannt ist. Die Maschen des Endnetzes sind etwas grösser als die des Gefässnetzes; immer- hin werden die meisten Capillarschlingen wenigstens eine Strecke weit von einem Nervenfaden begleitet. Kolatschewsky!) studirte die Nervenendigungen an den Capillargefässen der Leber. Stücke der letzteren, in doppelt chrom- saurem Ammoniak gehärtet, wurden mit Gold behandelt und Schnitte angefertigt. Er beschreibt Netze, welche die Capillaren umspinnen. Ich habe die Gefässnerven vorzugsweise in den quergestreif- ten Muskeln untersucht beim Frosch und bei der Eidechse, aus dem Grunde, weil sich die Gewebe der Kaltblüter am besten ver- golden lassen. Alle Angaben jedoch, die hier gemacht werden, behalten auch ihre Gültigkeit für die Blutgefässe sämmtlicher Ge- webe der Wirbelthiere, der Kaltblüter sowohl wie der Warmblüter, wie ich mich gelegentlich anderer Untersuchungen wiederholt überzeugt habe. Zunächst muss ich als allgemeingültig den Satz aufstellen, dass ein jedes Capillargefäss, selbst das kleinste, von Nerven be- sleitet wird und dass ein intimer Zusammenhang zwischen beiden besteht. Bei den kleinsten Capillaren laufen gewöhnlich zwei feine marklose Nervenfasern in geringem Abstande von dem Gefässe, diesem parallel einher. Sie anastomosiren in weiten Abständen miteinander, beschreiben auch wohl langgezogene Touren um das Gefäss. Bei oberflächlicher Beobachtung oder ungenügender Gold- chlorideinwirkung ist man zunächst versucht, diese als die den Capillaren allein zukommenden Nerven anzusehen. Bei genauerer Untersuchung aber, und an gelungenen Präparaten sieht man regel- mässig eine oder zwei noch feinere Nervenfibrillen, welche den Ca- pillaren dicht aufliegen und mittelst knopfförmiger Verdickungen mit der Gefässwand in Verbindung treten. Diese Verdickungen, welche im Profil als kleine Auswüchse der Nervenfibrillen erscheinen (vgl. Fig. l aa), sind die letzten Endigungen der Capillarnerven. Besonders betonen will ich, dass die Nervenfasern mit ihren End- 1) Dieses Archiv Bd. XIII. p. 418 ff. Die Nerven der Capillaren, der kleineren Arterien und Venen. 667 knöpfehen nicht etwa innerhalb der Wandung der Gefässe ver- laufen, wie Klein von seinen Endfasern behauptet, sondern dass sie derselben aufliegen. Der Nachweis hierfür lässt sich leicht an solchen Capillaren führen, welche, durch die Säurewirkung, eollabirt, bogenartige Vorsprünge der nicht oder nur wenig con- trahirten Nervenfibrillen aufweisen. Ein jeder solcher Bogen haftet mit den erwähnten Endknöpfchen an der Capillare. In den Skeletmuskeln des Frosches habe ich öfters beobachtet, dass sich diese Nerven streckenweise verdieken, ja sogar ganglien- artige Auschwellungen bekommen, so dass es manchmal den An- schein hat, als ob ebensoviel Nervensubstanz wie Gefässsubstanz vorhanden wäre, besonders wenn die Capillare sehr zusammenge- fallen ist. Wirkliche Ganglien jedoch in Verbindung mit Ge- fässnerven findet man nur im Gebiete des Sympathieus. Ich habe sie bis jetzt an den Gefässen der Niere und des M. lingualis des Frosches und der Eidechse gesehen. Hin und wieder anastomosiren die Nerven benachbarter Capillaren; sie treten jedoch mit den Nerven der Nachbargewebe in keine Verbindung, noch geben sie Zweige ab, die dasselbe innerviren, sondern bilden ein in sich abgeschlossenes System. Eine Ausnahme von dieser Regel machen zuweilen Capillar- nerven, welche mit Endapparaten von Nerven an quergestreiften Muskelfasern in Verbindung treten !) oder gar selbst Endapparate bilden. Bis jetzt habe ich dieses Verhalten nur in der Frosch- zunge beobachtet. Mit den Kernen der Capillargefässzellen haben die Nerven- enden nichts zu thun. An den Uebergangsgefässen und den kleineren Arterien und Venen ist zwischen einem äusseren, mittleren und inneren Nerven- plexus zu unterscheiden. Der äussere Plexus der Arterien und Venen in den Skelet- muskeln des Frosches und der Eidechse besteht aus markhaltigen Nervenfasern; der mittlere und innere bestehen aus anastomosiren- den marklosen Fasern, welche aus markhaltigen hervorgegangen sind. Im M. lingualis der genannten Thiere besteht auch der äussere Plexus aus marklosen Nerven, die sich zu Bündeln ver- 1) Vgl. meine Arbeit über die Nervenendigungen im quergestreiften Muskel, dieses Archiv Bd. XXI. p. 165. 668 L. Bremer: einigen, welche untereinander anastomosiren und ein Flechtwerk um das Gefäss herstellen (vgl. Fig. 5). Ein solehes Flechtwerk des äusseren Plexus findet man nie in den Skeletmuskeln. Hier laufen markhaltige Fasern, die nie anastomosiren, einfach dem Gefässe parallel. Auch in der Zunge der Säugethiere fehlt jenes Flechtwerk. Die letzten Nervenendigungen an den kleineren Arterien, welehe ich darzustellen vermochte, werden von einem Netzwerk feinster, mit knotenartigen Verdiekungen versehenen Nervenfibrillen gebildet (vgl. Fig. 4b und Fig. 6 e), während andere Male feine Nervenfäden der eben beschriebenen Art dem Gefässe in grösserer Anzahl entlang laufen, wie dies bei den Capillaren der Fall ist. Je grösser das Gefäss, je deutlicher die glatte Muskelfaser er- scheint, desto markirter tritt die Netzform hervor; nähert es sich dagegen mehr den Capillaren, so findet man die feine, das Gefäss begleitende Fibrille, welche durch knotenförmige Ansehwellungen mit demselben in Verbindung steht (vgl. Fig. 3). Von allen Autoren, deren Arbeiten über die Capillarnerven mir zugängig gewesen sind, kommt, was den Gesammteindruck betrifft, Beale') in seinen Abbildungen meiner Ansicht nach der Wirklichkeit am nächsten, obwohl er die feinsten Capillarnerven und ihre Nervenendigungen, die sich eben mit der von ihm aus- schliesslich angewandten Carminfärbung nicht sichtbar machen lassen, nicht sah. Bei Beale?) findet sich auch die Angabe, dass er gesehen habe, wie ein Capillargefässnerv mit einem Nervenendapparate (nerve-tuft) an einer quergestreiften Muskelfaser (in der Zunge des Chamäleon) in Verbindung trete. Da aber Beale zur Zeit als er diese Behauptung aufstellte, die wirklichen Endapparate an der quergestreiften Muskelfaser noch gar nicht kannte, und da seine „nerve-tufts“ durchaus nicht identisch sind mit den von Kühne für die Amphibien, von Rouget und Krause für die Reptilien und Säugethiere festgestellten Nervenendigungen, 80 er- 1) Nerve-researches ete. Monthly Mieroscopial Journal 1872. 2) Ebendaselbst. Die Nerven der Capillaren, der kleineren Arterien und Venen. 669 hebt sieb Beale’s Angabe nicht über das Niveau einer blossen Behauptung). Klein?), welcher mit Chlorgold arbeitete, konnte an den Capillaren der Muskeln noch feinere Nerven nachweisen als Beale, welche die Gefässe nicht nur in einem gewissen Abstande be- gleiten, sondern an sie herantreten. Klein's Abbildungen weichen aber in sofern von der Wirklichkeit ab, als sie Nerven zeigen, welche von den die Gefässe begleitenden Plexus in die benach- barten Gewebe abgehen. Ferner zeichnet er gröbere Nervenfasern des äussern Plexus, welche, sich den Gefässen nähernd, kleine Zweige an dieselben abgeben und dann eine andere Richtung ein- schlagen. Ein solches Verhalten existirt aber in Wirklichkeit nicht. Ein Nerv, der einmal an ein Gefäss herangetreten ist, welches, wie Krause richtig bemerkt, unter annähernd rechtem Winkel geschieht, verlässt dasselbe nicht mehr mit Ausnahme der oben erwähnten Fälle, in denen Capillarnerven zu Endapparaten der quergestreiften Muskelfasern gehen. Präparate, welche die Klein’schen Bilder aufweisen, sind auf die Zerzupfungsmethode zurückzuführen, wodurch die Nerven aus ihrem natürlichen Zu- sammenhange gerissen werden. Ausserdem muss ich Klein be- streiten, dass die feinsten Nervenfasern der Capillaren (und selbst der Uebergangsgefässe) innerhalb der Gefässwand verlaufen. Meinen Präparaten nach liegen sie den letztern auf und treten, wie oben bemerkt, durch kleine knopfförmige Verdiekungen in direeten Zu- sammenhang mit dem Protoplasma der Capillarzellen. Prineipiell ist dieser Zusammenhang zwischen Nerv und Gefäss derselbe, wie ich ihn für gewisse Endigungen markloser Nerven an der quer- gestreiften Muskelfaser beschrieben habe, an welche die parallel laufende Nervenfaser zahlreiche kleine Wurzeln abgiebt?). Ob an grösseren Gefässen Netze wie die in Fig. 7 bei d dar- gestellten wirklich die letzten Endigungen sind, oder ob es noch feinere Abzweigungen giebt, welche in der Wand der Arterie und in diesem. Falle vermuthlich in der Kittsubstanz der glatten Mus- kelzellen verlaufen, muss ich dahin gestellt sein lassen. Bis jetzt ist es mir nicht gelungen, selbst an guten Goldpräparaten die 1) Vgl. dieses Archiv Bd. XXI. p. 193. Are 3) Siehe dieses Archiv Bd. XXI. p. 175. 670 L. Bremer: Nerven so weit und in so regelmässiger Vertheilung zu verfolgen, wie dies von Arnold!) dargestellt worden ist. Man darf wohl als sicher annehmen, dass die letzten Enden der Gefässnerven sich an den glatten Muskelfasern der Gefässwände finden werden, in- dessen ist es mir bis jetzt nicht gelungen an diesen Bilder, die den „taches motrices“ Ranviers entsprechen, wahrzunehmen. Die Bilder, welehe Klein von den Nerven der Arterien der Froschzunge giebt, entsprechen den meinigen, insofern als der äussere und mittlere Plexus in Frage kommen. Die Einwände, welche ich gegen die Klein’schen Abbil- dungen der Capillarnerven gemacht habe, gelten im Grossen und Ganzen auch für die Befunde der folgenden Autoren. Sie alle lassen die Nerven von den Capillaren ab in die umgebenden Ge- webe abtreten und zeigen nicht die wahren Endigungen. Kessel’'s?) Abbildung, welche er von den Capillarnerven im menschlichen Trommelfell giebt, halte ich nicht für zutreffend, da, wie schon bemerkt, das oben beschriebene Verhalten der Capillar- nerven der Muskeln auch für die Blutgefässe der bindegewebigen Organe ihre volle Gültigkeit behält. Die kernhaltigen Anschwellun- gen, mittelst deren die Nerven mit der Capillarwand in Verbin- dung treten sollen, sind Bindegewebszellen der Schwann’schen Scheide, wie man sie vorzugsweise an den Gabelungsstellen sonst aber auch im Verlaufe feinerer und gröberer Nervenfasern trifft. Von Tomsa habe ich keine Abbildungen gesehen, kann also kein Urtheil über seine Angaben abgeben. Seine Beschreibung halte ich im Allgemeinen für richtig. Gonjaew°), welcher die Arbeiten von Beale und Klein nicht gekannt zu haben scheint, giebt ein unvollkommenes Bild eines Nervennetzes an dem Bruchstück einer Capillare. Die von Kolatschewsky abgebildeten Fäden halte ich für Bindegewebe. Er selbst giebt zu, dass es ihm nie gelang, die feinen Fasern in Verbindung mit unzweifelhaften Nerven zu sehen. Jedenfalls entspreehen seine Abbildungen nicht den thatsächlichen Verhältnissen. 1) Stricker’s Gewebelehre Bd. I. p. 142. 2) Ebendas. Bd. II. p. 854. 3)l.c Die Nerven der Capillaren, der kleineren Arterien und Venen. 671 Die Präparate wurden nach der Löwit’schen Vergoldungs- methode angefertigt und verweise ich wegen des Nähern auf meine Abhandlung über die Endigungen der Nerven im quergestreiften Muskel!). Besonders hervorheben will ich auch hier, dass das Arbeiten mit Nadeln so viel als möglich vermieden wurde, und dass das zu untersuchende Material so beschaffen sein muss, dass sich die Muskelfasern bei leichtem Druck auf das Deckglas aus- einanderlegen. Am besten kann man die letzten Endigungen der Capillarnerven an geschrumpften Capillaren sehen wie in Fig. 1. Erklärung der Figuren auf Tafel XXIX. 0) 2) (Wo nichts besonderes bemerkt ist, sind alle Figuren nach Hartnack Oc : Syst. VII gezeichnet.) Fig. 1. Feinstes Capillargefäss aus dem Triceps femoris des Frosches. Bei aa deutliche knopfförmige Anschwellungen, mittelst deren die Nervenfibrille mit dem Gefässe in Verbindung tritt. Fig. 2. Feinste Capillaren von einem äussern und einem innern Nervenplexus begleitet. Bei a wird eine Verbindung durch eine Nervenfaser mit dem Nervenendapparate einer Muskelfaser hergestellt, welcher vom Nerv c gebildet wird. ddd Muskelfasern. Aus dem Hyoglossus des Frosches. Fig. 3. Uebergangsgefäss von Nerven begleitet. Aus dem Hyoglossus des Frosches. Fig. 4a. Kleinste Arterie mit einem in sie einmündenden Capillargefässe. Aus dem M. lingualis des Frosches. Fig. 4b. Ein kleiner Abschnitt desselben Gefässes mit den letzten Nerven- endigungen. Hartn. Oc. 3. Syst. VIII. Fig. 5. Eine grössere Arterie mit dem äussern Plexus. Fig. 6. Kleinere Vene, das Verhältniss zwischen äusserem (a), mittlerem (b), und innerem (ec) Plexus darstellend. Fig. 7. Arterie mit Ganglion aus dem M. lingualis von Lacerta muralis. aa Ganglien, b Nervenfaser des äussern, ee des mittleren, d des innern Plexus. Der Theil bei d ist mit Hartn. Oc. 3. Syst. VIII gezeichnet. 1) Dieses Archiv. Bd. XXI. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 44 672 Eric E. Sattler: (Aus dem anatomischen Institute zu Strassburg.) Die Verwendung des Lapisstiftes zur Untersuchung der Epithelien. Von Dr. Erie E. Sattler (Cincinnati.) (Mit 1 Holzschnitt.) Man hat sich bisher nach dem Vorschlage v. Reckling- hausens!) zur Versilberung der Gewebe besonders der schwachen Lösungen verschiedener Silbersalze bedient, und das mit gutem Erfolg, wie Jeder, der sich mit der Technik dieser Methode ver- traut gemacht hat, bezeugen wird. Weniger geübt wurde die Anwendung des Argentum nitricum in Substanz für die Erforschung feinerer Gewebsstructuren, ungeachtet die Kenntniss der ersten Silberbilder der Hornhaut vom Lapisstift ausging(Coceius?), His?). Strieker, Eberth und Andere haben den Stift bei Entzündungs- versuchen an der Cornea in Anwendung gebracht; dass derselbe aber speciell zur Erforschung des Epithels herangezogen wäre, davon ist mir nichts bekannt geworden®). Für manche Verhält- 1) F. v. Recklinghausen: Die Lymphgefässe und ihre Beziehungen zum Bindegewebe. Berlin 1862. p. 11 seqgq. 2) Flinzer: De argenti nitriei usu et effectu praesertim in oculorum morbis sanandis. Lipsiae 1854. 3) His, W.: Beiträge zur normalen und pathologischen Histologie der Cornea. Basel 1856. p. 67 und Virchow’s Arch. 20. p. 207. 4) Wenn Frey in seinem geschätzten Handbuche „Das Mikroskop“ (6te Aufl. pag. 102) unter Hinweis auf die Verwendung der Silbersalze in Lösungen sagt: „Indessen das Touchiren der lebenden Hornhaut mit dem Höllensteinstifte des Chirurgen ergibt weit bessere Resultate“, so wird dieses Verfahren, wie aus dem weiteren Texte ersichtlich ist, doch nicht für das Studium des Epithels empfohlen, da der unmittelbar darauf folgende Satz lautet: „Die diekeren Hornhäute grösserer Thiere können nur so erfolgreich Die Verwendung des Lapisstiftes zur Untersuchung der Epithelien. 673 nisse des Cornealepithels so wie des Hautepithels der Batrachier bietet indessen nach meinen Erfahrungen die direete Application ‘ des Höllensteins in Substanz nicht unerhebliche Vortheile und ist in diesen Beziehungen den verdünnten Silberlösungen vorzuziehen. Ich will im Nachstehenden darüber kurze Mittheilung machen in- dem ich bemerke, dass die meisten Untersuchungen am Corneal- Epithel von Fröschen angestellt wurden. Mein Verfahren ist Folgendes: Nach Entfernung der Nick- haut eines eben getödteten Frosches presst man mit einem Finger von unten das Auge ein wenig aus seiner Höhle hervor, streicht dann mit dem reinen Höllensteinstifte über die Oberfläche der Cornea, bis sie trüb-weiss geworden ist. Der Höllenstein muss reichlich, jedoch ohne Druck aufgetragen werden. Man schneidet dann den Obertheil des Kopfes mit den darin befindlichen Augen ab, und setzt ihn in leicht angesäuertem Wasser (Ameisen- oder Essigsäure) dem direeten Sonnenlichte aus. Das Einlegen in an- gesäuertes Wasser ist nicht absolut nöthig; man kann auch mit ebenso gutem und vielleicht für gewisse Zwecke noch besserem Er- folge den Frosch direct belichten lassen. Nachdem nun die Corneae dunkelbraun geworden sind, schneidet man sie sehr vorsichtig aus, macht die üblichen Einschnitte und breitet sie unter Glycerin aus. Man kann auch das Silber beim lebenden Frosche auftragen, dann den Frosch tödten und in derselben Weise wie oben ver- fahren. An sonnigen Tagen kann man in 15 bis 30 Minuten mit der ganzen Procedur fertig werden. An dunklen Tagen braueht man etwa eine Stunde. In manchen Fällen habe ich gute Präpa- rate binnen 10 Minuten bekommen. Die intercelluläre Kittsubstanz bleibt klar, während das Pro- toplasma der Zellen eine hell- bis dunkelbraune Färbung erhält, je nachdem die Einwirkung des Silbers mehr oder weniger stark gewesen ist. Der Kern bleibt hell mit scharfen Umrissen. Das Kernkörperchen wird ähnlich wie das Protoplasma bräunlich ge- färbt, jedoch heller. Manchmal bekommt das Protoplasma eine sehr schöne bläuliche Färbung, als ob es mit Hämotoxylin gefärbt bewältigt werden (Eberth)“, und später als zweckmässigstes Behandlungs- mittel schwache Lösungen von 0,5 %/,—0,2 °/, genannt werden. Für die Dar- stellung der Kittgrenzen des Epithels werden dann noch dünnere Lösungen angegeben. — In anderen technischen Handbüchern ist des Lapis in Sub- stanz kaum gedacht. 674 Eric E. Sattler: wäre. In wenigen Fällen wird das Protoplasma viel dunkler als gewöhnlich, der Kern wird auch etwas bräunlich tingirt, aber das Kernkörperchen bleibt heller. Was zunächst an den gut gelungenen Präparaten dieser Art auffällt, ist das scharfe, gute Hervortreten nur einer, und zwar der am meisten oberflächlich gelegenen Zellenschicht, deren dunkles Colorit das Durchschimmern der tieferen Lagen verhindert. Man ist also in den Stand gesetzt, die in einer einzigen Epithelzellen- schicht sich vorfindenden morphologischen Verhältnisse mit grosser Sicherheit studiren und sie von den Befunden an den tiefern Schiehten sondern zu können, was für alle Maass- und Zahlenan- gaben mit Vortheil zu verwerthen ist, wie weiter unten gezeigt werden soll. Indem die Zellen sich dunkel färben, wird diese Färbung auch auf ihre Verbindungsbrücken, die Bizzozero’schen Linien (Intercellularbrücken Pfitzner) übertragen, und man kann an einem solchen Silberpräparate in trefflichster Weise die leiter- sprossenähnliche Verbindung der Zellen untereinander demonstriren. Ferner fällt die Gestalt der Zellen und der Kerne auf. Fast niemals zeigen die ersteren geradlinige Contouren, sondern stets bucklige Hervorragungen nach einer oder nach mehreren Seiten; dasselbe gewahrt man auch an den Kernen. Diese Bilder machen unverkennbar den Eindruck, als ob die meisten Zellen und deren Kerne im Momente der Application des Silberstiftes, vielleicht ge- reizt durch letzteren, amöboide Bewegungen ausgeführt hätten und in einer oder der anderen Phase dieser Bewegung fixirt worden wären. Ich wüsste kein Verfahren anzugeben, welches die amöboide Bewegungsfähigkeit der Zellen und Kerne so sicher und klar fixirt zum Ausdruck brächte, als das direete Touchiren des Corneal- Epithels mit dem Höllensteinstifte. Sehr bestimmt treten auch die Kernkörperchen hervor, man zählt ihrer meist mehrere in jedem Kern, und zwar von verschiedener Grösse; dagegen ist von einem Kerngerüst niemals etwas zu sehen. Somit scheint die in Rede stehende Procedur für die Verhält- nisse der Karyokinese bei den Epithelien keine Bedeutung zu haben, da man nie, weder das Kerngerüst noch die karyokine- tischen Figuren zu Gesicht bekommt. Trotzdem aber lässt sich mancher interessante Aufschluss auch in dieser Beziehung gewinnen. Zunächst ist hervorzuheben, dass das Verfahren jede Kern- Die Verwendung (des Lapisstiftes zur Untersuchung der Epithelien. 675 theilung, sei sie im Beginn, in der Mitte oder am Ende ihres Ablaufes, mit grösster Bestimmtheit angiebt. Nur sieht man, wie bemerkt, weder Fadenknäuel, noch Sternfiguren, noch Kernspindeln und dergleichen. Stets erschemen die Kerne so in den verschie- denen Theilungsmomenten, wie die älteren Abbildungen von Kern- theilungen sie geben. Das heisst, man sieht Figuren von nieren- förmig oder biscuitförmig eingeschnürten Kernen, dann zwei Kern- hälften, welche nur noch durch einen dünnen Faden zusammen- hängen und endlich Zellen mit zwei Kernen; die Zellen dabei entweder unverändert — nur vergrössertt — oder ebenfalls in Einschnürung begriffen. Häufig zeigen die Hälften eines in Thei- lung begriffenen Kernes noch lappige amöboide Formen. Niemals gewahrt man, wie schon hervorgehoben wurde, innerhalb dieser verschiedenen Kernumrisse die bekannten von Flemming u. A. geschilderten Fadenfiguren, und man ist, wenn man diese scharf umschriebenen, wenn auch lappigen Kerntheilungsbilder mit den durch Flemming’s, Strasburger’s, Mayzel’s, Schleicher’s u. A. Untersuchungen bekannt gewordenen Stern-, Knäuel- und Spindelformen vergleicht, überrascht, Nichts von diesen letzteren ausgeprägt zu finden. Sucht man die Differenzen der Bilder, wie sie die Silberbehandlung und die Kernfärbungsverfahren ergeben, zu erklären, so scheint mir nur die Annahme zulässig, dass das andere Aussehen der Silberkerne auf Rechnung der achromatischen Substanz Flemming’s zu setzen sei. Diese lässt sich bei den Kerntinetionen nicht deutlich machen, verschwindet wenigstens gegenüber den auffallenden Zeichnungen, wie sie die chromatischen Bestandtheile des Kerns während der Theilung zeigen. Das Silber zeigt stets das Bild des Gesammtkerns mit seiner chromatischen und achromatischen Substanz, welche beide nicht von einander unter- schieden werden, und man ersieht nun aus den geschilderten Bildern, dass die achromatische Substanz auch amöboide Bewegungen wäh- rend der Theilung zeigt, im übrigen aber bei der Theilung sich in ein- facherer Weise, nach Art der früher gegebenen Theilungsschemata gerirt. Man muss daher aus den Ergebnissen der Tinetions- und der Silberbilder den Schluss ziehen, dass die mehr flüssige achro- matische Kernsubstanz stets um die Kernfäden erhalten bleibt, sich nicht etwa im Zellprotoplasma auflöst, sondern sich mit dem chromatischen Kerngerüste theilt; während dabei aber das Chromatin des Kerns successive die bekannten auffallenden 676 Erie E. Sattler: Gestalt- und Lageveränderungen durchmacht, theilt das Achromatin sieh in einfacher Weise, indem es immer eine Art Hülle um die Chromatinfiguren bildet. — Den sicheren Beweis für die Richtig- keit dieser Meinung müssten Präparate liefern, bei denen man innerhalb der einfachen Silbertheilungsbilder durch irgend ein Tinetions-Verfahren die chromatischen Figuren noch herstellen könnte. Ich habe mit verschiedenen Kernfärbungs-Mitteln Ver- suche in dieser Richtung angestellt, ohne jedoch bis jetzt Erfolg zu haben; indessen dürften weitere Prüfungen doch nicht über- flüssig sein. Sehr deutlich treten nach der hier beschriebenen Silberbe- handlung auch die Kernkörper hervor; sie zeigen einen mehr gelblichen Farbenton. Nicht selten sah ich, wie bemerkt, zwei, selbst mehrere in einer Zelle. Conform den Erfahrungen Flem- mings fanden sich keine Kernkörper, sobald die Kerne Theilungs- bilder aufwiesen. Oefters hingegen sah ich Bilder, die auf eine Vermehrung des Kernkörperchens durch Theilung hindeuteten, wie Kernkörper, die durch einen dünnen Fortsatz zu einer biseuit- förmigen Figur verbunden waren. Bei der neuerdings mehr und mehr hervortretenden Ansicht, dass die Kernkörperchen sich nicht als besondere Gebilde durch Theilung vermehrten, dürfte es ge- stattet sein, auf diese seit langem bekannten Bilder nochmals hin- zuweisen. Mitunter begegnete ich einer evidenten Dreitheilung des Kernes einer Zelle und konnte verschiedene Stufen dieses Vor- ganges nachweisen, welche ich in beistehendem Holzschnitte statt längerer Beschreibung zusammenstelle. Durch den Nachweis von Kerntheilungsbildern in der | J ) durch das Silber allein be- C ER &> troffenen obersten Schicht des Cornealepithels wird die Vermuthung von Alt!), dass alle Schichten dieses Epithels ver- mehrungsfähige Zellen enthielten, bestätigt. Einen besonderen Vortheil bietet das von mir angewendete Silberverfahren dadurch, dass es die Zellgrenzen mit ausserordent- 1) A. Alt: Compendium der normalen und pathologischen Histologie des Auges. Wiesbaden 1880. p. 2. Die Verwendung des Lapisstiftes zur Untersuchung der Epithelien. 677 licher Schärfe gibt und dadurch exacte Messungen gestattet. Von einer nennenswerthen Schrumpfung der Zellen kann, da alle in ihrem Zusammenhange bleiben, nicht wohl die Rede sein und darf man desshalb den gewonnenen Massen wohl Zutrauen schenken. Ich verglich namentlich die Grösse der einkernigen Zellen mit der Grösse der 2- und 3-kernigen. Es ergab sich für die ein- kernigen Zellen als Durchschnittsmaass aus 25 Messungen mit einem Ocularglasmierometer von Hartnack: Längster Durch- messer — 0,0325 mm, kürzester 0,0271 mm. Dagegen massen die zweikernigen Zellen (Mittel aus 25 Messungen) im längsten Durch- messer — 0,0487 mm, im kürzesten = 0,0398 mm. Für zwei Zellen mit je 3 Kernen erhielt ich 0,072 : 0,042 mm und 0,070 : 0,044 mm. | Es zeigt sich also eine bedeutende Volumszunahme der in Theilung begriffenen mehrkernigen Zellen. Noch bessere Ver- werthung erlaubt das in Rede stehende Verfahren, wenn es sich darum handelt, die Zahl der sich theilenden Zellen im Verhält- niss zu den ruhenden zu ermitteln. Ich glaube, dass kein anderes Verfahren hier so sichere und leicht zu constatirende Resultate geben dürfte, da immer nur eine einzige Schicht von Zellen gut sichtbar ist, man also von Zellen einer tieferen Lage nicht getäuscht wird und somit das Verhält- niss sich theilender und ruhender Zellen in einer und derselben Schicht genau bestimmen kann. Für die Cornea des Frosches er- gaben hier zahlreiche Zählungen in der obersten Schicht ein bei verschiedenen Individuen und in verschiedenen Gesichtsfeldern fast constantes Verhältniss von einer Karyokinesis auf je 35 ruhende Zellen. Nicht selten sieht man die sich theilenden Zellen zu mehreren nahe bei einander liegen; doch wird das Verhältniss der sich theilenden zu den ruhenden durch diese Anordnung nicht gestört. Handelt es sich also um derartige Bestimmungen und um die Controle von Ergebnissen, welche durch andere Verfahrungs- weisen gewonnen sind, so dürfte die von mir hier geschilderte Silberapplication immerhin von einigem Nutzen sein. 678 G. Rein: (Aus dem anatomischen Institut zu Strassburg.) Untersuchungen über die embryonale Entwicklungs- geschichte der Milchdrüse. II. Vergleichend-anatomische Ergebnisse und Schlussresultate. Von Dr. @. Rein, Privatdocent der Gynäkologie in St. Petersburg. Hierzu Tafel XXX und zwei Holzschnitte. Der embryonale Entwickelungsprocess der Milchdrüse ist in dem ersten Theile dieser Untersuchungen (s. dieses Arch. Bd. XX. p- 431) an zahlreichen und den verschiedensten Thierarten ange- hörigen Objeeten beschrieben worden. Auf Grund nun aller That- sachen ergiebt sich mit Nothwerdigkeit der Schluss, dass die Entwickelung der Milchdrüse selber, sowie ihres ausführenden Apparates bei allen in dieser Richtung untersuchten Säugethier- arten nach einem und demselben Plane, als dessen Prototyp der Milchapparat des Kaninchens gelten kann, verläuft. Dieses Ergebniss meiner Arbeit steht bekanntlich im Gegen- satz zu den neuerdings von Gegenbaur (l. e. Th. 1) vertretenen Anschauungen. Obgleich ich bereits im ersten Theile dieser Untersuchungen Gelegenheit hatte, über manche Einzelheiten der Gegenbaur’schen Theorie mich auszulassen, so halte ich es dennoch in Anbetracht der hohen Bedeutsamkeit der Gegenbaur'- schen Lehre für nothwendig, an dieser Stelle nochmals auf die- selbe in ihrer Gesammtheit zurückzukommen und zu prüfen, in wie weit sich dieselbe im Hinblick auf die neugewonnenen That- sachen haltbar erweist. „Joh. Müller,“ schreibt Gegenbaur, „hat bereits einen Unter- schied zwischen zwei grossen Gruppen der Säugethiere aufzustellen Untersuch. üb. d. embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse. II. 679 versucht, indem er der Zitze der Wiederkäuer einen einzigen Ausführungsgang, jener der übrigen Säugethiere dagegen mehrere zuschrieb.“ Indem Gegenbaur dieses interessante Factum bestätigt '), geht er noch weiter und bemerkt, dass der Unterschied zwischen den beiden genannten Gruppen nicht bloss in der Zahl der Aus- führungsgänge, sondern auch in anderen, bei weitem wesentlicheren Dingen sich äussere, und zwar ist nach seinen Worten „die Zitze der Wiederkäuer ein völlig anderes Gebilde, als die Zitze eines Beutelthieres oder die Papilla Mammae des Menschen ?)“. Die Thatsachen und Beobachtungen, auf welche hin Gegen- baur zu diesem Schlusse gelangt, sind in einer Reihe von Journal- artikeln veröffentlicht worden. Die aus jüngster Zeit stammende Aeusserung, in welcher Gegenbaur seine wichtigen Verallge- meinerungen und Ansichten betreffs dieses Gegenstandes in der kürzesten Weise zusammengefasst hat, ist im „Grundriss der ver- sleichenden Anatomie“, II. Aufl. 1878, S. 445 gegeben. Ich halte es nieht für überflüssig, wenn ich hier diese Stelle aus dem Handbuch wörtlich wiedergebe: Bei den Monotremen treten diese Organe (d. h. die Milchdrüsen) noch wenig aus der Reihe anderer Hautdrüsen. Jeder der beiden hier bestehenden Apparate wird durch eine Gruppe von Schläuchen gebildet, die einzeln die Haut durchsetzen. Das die Mündungen tragende Feld ist nur durch mangelnde Behaarung ausgezeichnet und liegt bei Ornithorhynchus in der Ebene des benachbarten Integumentes. Bei der Echidna findet es sich in je einer taschenförmigen Einsenkung (Mammartasche), die zur Aufnahme des Jungen zu dienen scheint. Bei den übrigen Säugethieren treten in der Bildung der Zitzen be- sondere, wohl durch das Säugegeschäft allmählich ausgebildete Vorrichtungen auf, welche dem Jungen eine günstigere Verbindung mit dem Milchdrüsen- apparat gestatten und zugleich jeden einzelnen Milchdrüsencomplex äusserlich unterscheidbar machen. 1) Später hat Gegenbaur einen einzigen Ausführungsgang auch bei den Murina nachgewiesen, doch giebt er diesem Befunde eine ganz andere morphologische Deutung (s. unten). 2) Morphol. Jahrb. I. S. 276. — Auch Puech (Les mamelles et leur anomalies, etudieces an point de vue de l’anatomie, de la physiologie et de l’embryog£enie. Paris 1876) ist zu derselben Ansicht noch im Winter 1870 ge- kommen, hat dieselbe aber erst nach dem Erscheinen der Arbeiten von Huss und Gegenbaur publicirt. 680 G. Rein: In der Bildung der Zitzen ergeben sich zwei sehr verschiedene Zu- stände. Für beide erscheint vor der Entstehung der Zitze ein gleichmässiges indifferentes Stadium (Holzschnitt I!) A), indem ein ziemlich flaches Drüsen- feld (b) an seinem Boden einzelne in die Lederhaut wachsende Drüsen (gl) auf- weist, und durch eine ringförmige Erhebung (aa) vom benachbarten Integu- mente sich abgrenzt. Diese Einrichtung entspricht der Mammartasche bei Echidna. Bei der Mehrzahl der Säugethiere besteht sie nur vorübergehend, vielmehr flacht sie sich frühzeitig ab und das Drüsenfeld erhebt sich in seiner die Drüsenmündungen tragenden Mitte (Fig. B) zu einer Papilla oder Zitze, auf deren Spitze stets eine Anzahl von Drüsengängen ausmündet. Erklärung zu Holzschnitt 1. Schematische Darstellung der Zitzenbildung auf senkrechten Schnitten. A indifferenter Zustand bei ebenem Drüsenfelde. B Erhebung des Drüsen- feldes zur Zitze. C Erhebung des Drüsenfeldwalles zur Zitze (Rind.) a Wallädes2Drüsenfeldes.. b Drüsenfeld. gl Drüsen. In der anderen Einrichtung persistirt die Mammartasche. Durch fortgesetzte Erhebung des Drüsenwalles (a) senkt sich das Drüsenfeld immer tiefer, der Rand der Mammartasche wächst zu einer Pseudo-Zitze aus, von deren Spitze dann ein einfacher Canal zum Drüsenfelde hinzieht (Fig. C). — Dieses Verhalten ist bei einem Theile der Ungulaten be- obachtet. _Uebergangsformen zwischen beiden Befunden der Bildung der 1) Figur 217 von Gegenbaur’s Handbuch. 2) Cutiswall. Untersuch. üb. d. embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse II. 681 Zitze lassen sich bei Beutelthieren (Halmaturus) und Nagern (Murina) wahr- nehmen. Die Brustwarze des Menschen entwickelt sich nun nach Gegenbaur in der durch Fig. B (Holzschnitt 1) dargestellten Weise, die Zitze der Rinder nach Fig. C. Es ist demnach als logische Folge einer derartigen Anschau- ung zu betrachten, wenn Gegenbaur folgende Parallele zwischen den einzelnen Theilen der fertigen Milchdrüse des Menschen und des Rindes zieht!). 1. Beim Menschen münden die Milchdrüsengänge an der Spitze der Brustwarze, beim Rinde an der Basis eines Canales, welcher in der Axe der Zitze gelegen ist?). 2. Beim Menschen ist ein derartiger Canal überhaupt nicht vorhanden, oder besser, er existirt blos zeitweilig, als Vertiefung des Drüsenfeldes (in der von mir sogenannten 6. Periode, s. dieses Archiv Bd. 20 p. 444). 3. Auch der Drüsenwall besteht beim Menschen nur zeit- weilig, während er bei Wiederkäuern die Wand des Zitzencanals resp. der Mammartasche bildet. 4. „Dagegen entbehrt die Zitze des Rindes der Areola, von der die entsprechende Fläche weder an der Oberfläche der Zitze, noch des Euters gesucht werden darf, sondern im Anfangstheil des Zitzencanals (Stricheanals). Dass unter diesen Verhältnissen die Ampulla des Stricheanals nicht mit einem Sinus laetiferus verglichen werden kann, ergiebt sich von selbst und ist ebenso begreiflich, wie der Mangel einer Homologie zwischen dem Strich- canal des Rindes und einem Ductus lactiferus der menschlichen Mamma.“ Diese Theorie stand im Einklange mit den Thatsachen, welche ihrem Autor bekannt waren. Sie scheint mir jedoch nicht mehr den von mir eruirten Befunden zu entsprechen. Fragen wir, wie eine Wiederkäuer-Zitze sich entwickeln muss, wenn die Gegen- baur’sche Deutung richtig ist, so ergiebt sich, ef. Holzschnitt 1, C, folgender Gang: Wir müssen die Primär-Anlage, welche den Boden des Drüsenfeldes bedeckt, sich vertiefen sehen dadurch, dass die sie umrandende Cutis (aa) wallartig in die Höhe wächst; weiterhin müssen l) Jenaische Zeitschrift VII. S. 205. 2) Genau dasselbe führt de Sin&ty für Meerschweinchen an. (Comptes rendus des seances de la societe de Biologie 1877.) 682 G. Rein: wir aber von dem Boden (b) der vertieften in den Zitzencanal ver- wandelten Primär-Anlage sofort eine grössere Anzahl Sprossen abgehen sehen (siehe C Holzschnitt 1), welche in die Milch- gänge übergehen. Mit der Gegenbaur’schen Lehre würde es dagegen nicht stimmen, wenn wir, wie es in Holzschnitt 2 B schematisch dargestellt ist, von der Primäranlage (a) zuerst eine einzige Knospe, die Secundäranlage b, abgehen sähen, und wenn wir nachweisen könnten, dass diese Knospe zum Zitzencanale aus- wächst. von dessen unteren Enden (siehe D in Holzschnitt 2) erst die Anlagen der zahlreichen Milchgänge k ihren Ausgang nehmen. Denn hiermit wäre eine thatsächliche Uebereinstimmung mit dem Entwicklungsgange der Kaninchen- und Menschen-Milehdrüse ge- geben, wie sie in Holzschnitt 2 A und © schematisch dargestellt ist.' Wie verläuft nun die Entwiekelung bei den Wiederkäuern? Wie wir sahen, entwickelt sich die Zitze der Wiederkäuer genau in derselben Weise, wie die Papilla des Menschen. In beiden Fällen entsteht sie durch die Erhebung des Drüsenbodens, d. h. der der Stelle der primären Epithelanlage entsprechenden Partie der Cutis (Drüsenfeldes). In dieser Beziehung ist das in Fig. 29 (d. Arch. B. 20 Taf. XXIX) abgebildete Präparat besonders in- structiv. An demselben ist vollkommen klar zu sehen, dass die Saugwarzenerhebung des Rindes ihre Entstehung nicht dem Wachsthum des Cutiswalles, sondern der Erhebung des ganzen Drüsenfeldes verdankt, d. h. dass es sich hier ganz ebenso ver- hält, wie beim Menschen und bei den anderen Thieren. Der ganze Unterschied besteht nur darin, dass bei den Wiederkäuern dieser Process der Erhebung des Drüsenbodens gewöhnlich früher beginnt, als beim Menschen und schneller und in grösserem Um- fange vor sich geht, als bei diesem, und somit hier nur ein quan- titativer und nicht ein qualitativer Unterschied vorliegt. Wir haben jedoch gesehen, dass die frühzeitige Entstehung der Saugwarzenerhebung nicht nur den Wiederkäuern eigen ist, sondern dass sie nicht selten aueh bei Thieren, die dem Baue der Saugwarze nach zu dem anderen Typus gehören, so z. B. beim Kaninchen, von der dritten Periode an und auch beim Menschen vom Anfang der 5. an, beobachtet wird. Für die letzteren beide ist dieses jedoch nur eine individuelle, verhältnissmässig seltene Erscheinung, während bei einigen anderen Gliedern dieser Gruppe — dem Schweine, der Katze u. a. — es als Regel gefunden wird. Untersuch. üb. d. embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse II. 683 Etwas schwerer ist die morphologische Bedeutung der gleich folgenden Stadien zu erklären. Da bei den Wiederkäuern sich in der fünften Periode nur eine einzige Sprosse bildet, so ist es nieht leicht, den ersten Moment der Bildung dieser Sprosse an Sehnittpräparaten wit hinreichender Klarheit zu Gesicht zu be- kommen. Damit ist die Möglichkeit gegeben, meine Fig. 30 Taf. XXIX, Bd. XX d. Arch. nicht in dem von mir angegebenen Sinne zu erklären, d. h. nicht als eine Combination der primären Epithelanlage und einer einzigen von dieser ausgegangenen Knospe, sondern nur als primäreAnlage allein (vgl. S. 475, Bd. XX d. Arch. !). Dann aber wäre die Zitze der Wiederkäuer nicht homolog der Warze des Menschen, wenn auch nicht ganz in dem Sinne Gegenbaur's. Ich bin jedoch jetzt in der Lage auch dieser Interpretation zu begegnen. Bei jüngeren Schafembryonen, ungefähr von 6-7 em Länge, ist es mir gelungen ein wichtiges und entscheidendes Zwischenstadium zwischen Fig. 29 u. Fig. 30 der Taf. XXIX, Bd. 20 zu finden. An einem der bezüglichen Präparate (Fig. 1, Taf. XXX) sieht man deutlich, dass von der unteren Fläche der primären Anlage eine Knospe sich abtheilt. An der folgenden Fig. 2, Taf. XXX ist diese Knospe schon viel länger und die ganze Drüsenanlage erinnert sehr lebhaft an die homologen Bil- dungen beim Kaninchen, Fig. 16 u. 17, Taf. XXVIII, Bd. 20, mit dem einzigen Unterschiede, dass, anstatt einer grösseren Zahl von Knospen, hier nur eine einzige existirt. Merkwürdigerweise bemerkt man auf den bezeichneten Präparaten, besonders in Fig. 1, noch eine kleine seitliche Hervorragung (ec), die sich aber nicht weiter ent- wickelt und wahrscheinlich eine zweite abortive Knospe darstellt. Die zwei angeführten Uebergangsstadien geben mir die Mög- lichkeit, die Homologie zwischen den milchausführenden Apparaten 1) Um Missverständnissen zu begegnen, bemerke ich hierzu, dass im ersten Theile meiner Arbeit, pag. 476, in meiner Beschreibung (Zeile 8 bis unten) eine Aenderung vorgenommen werden muss. Ich war zur Zeit der Abfassung aus Mangel an geeignetem Materiale noch nicht in der Lage, mit Bestimmtheit sagen zu können, ob Figur 30 Tafel XXIX wirklich als eine Primäranlage mit einer einzigen langen Sprosse zu deuten sei, was ich Jetzt mit Gewissheit behaupten darf. Demgemäss muss die ganze Beschreibung auf die sechste, anstatt auf die fünfte Periode bezogen werden, und ferner ist überall dort statt „Sprossen“, „Sprossenbildung“ ete., „secundäre Sprossen,“ „secundäre Sprossenbildung“ u. s. w. zu setzen. 684 G. Rein: der beiden Gegenbaur’schen Typen an folgenden schematischen Figuren zu demonstriren : Fig.A. | ‚N IMUL (UM, DIHMIN) Anl]y% HR 627 D iX ANNAN) | | Kan | k | Ä | | Ih et K 1 Fig. A zeigt ein frühes Stadium der Drüsenanlage beim Menschen: a ist die Primäranlage, b sind die von dieser ausgehenden Knospen, welche hier mehrfach vertreten sind. (Der Vereinfachung wegen sind nur drei gezeichnet.) Figur B stellt dasselbe Stadium beim Schafe dar; von der Primäranlage (a) geht hier der Regel nach nur eine einzige Knospe (b) aus, welche sich ganz so verhält, wie jede der Knospen des Menschen — vgl. die nach Präparaten entworfenen Zeichnungen der Fig. 1 u. 2 Taf. XXX. — w bedeutet die Warzenzone. Fig. 0 gibt ein Schema der Weiterentwicke- lung der Milchdrüse beim Menschen, Fig. D beim Schafe; bei beiden wandeln sich die Knospen (b) um in die späteren Ausführungs- gänge (e), die Sinus lactei (sn) und in die von letzteren ausgehenden Milchgänge (k). Alles verhält sich vollkommen gleich, mit Ausnahme einer quantitativ grösseren Entwickelung aller der genannten Stücke bei den Wiederkäuern. Bei den Wiederkäuern besteht noch insofern ein Unter- I | Erklärung zu Holzschnitt 2. Untersuch. üb. d. embryonale Entwieklungsgeschichte der Milchdrüse II. 685 schied, als wie aus Fig. 31 Taf. XXIX. Bd. 20 und aus der Fig. D, Holz- schnitt 2 hervorgeht, die Warzenzone einen grösseren Umfang erreicht, doch sind ihre Begrenzungen nicht so scharf. Eben des letzteren Um- standes wegen lässt sich namentlich die untere Grenze gegen die Stroma- zone hin nicht so genau angeben; ich bemerke das mit Rücksicht auf Fig. D des Holzschnittes 2, in der diese untere Grenze in schematischer Weise scharf angegeben ist. Einen guten Prüfstein auf die Richtigkeit der durch die hier gegebenen Schemata repräsentirten Vorstellung müssen nun ferner die Thiere mit zwei Ausführungsgängen bieten, deren Zitze nach Gegenbaur homolog derjenigen der Wiederkäuer sein soll. Be- kanntlich hat Gegenbaur die Pferde als solche Objecte bezeichnet. Ist Gegenbaur’s Ansicht von der morphologischen Bedeutung der Pferdezitze richtig, dann dürfen wir bei der Entwicklung der- selben nicht zwei von der Primäranlage unterschiedene Knospen finden, sondern wir müssen zwei Primäranlagen antreffen, die am Grunde (Drüsenfelde) jede mehrere Knospen aussenden. Um beide Primäranlagen müsste sich ein gemeinsamer Drüsenwall, inclusive einer Scheidewand zwischen beiden, erheben; dann würde der Gegenbaur’sche Typus der Wiederkäuer-Zitze auch beim Pferde anzunehmen sein, vgl. Holzschnitt 1, C. Ist dagegen die Auffassung zu Recht bestehend, dass alle Milchdrüsen sich nach einem und demselben Typus entwickeln, und dass nur in der Zahl der Knospen und in der quantitativen Entwickelung der Warze Unterschiede vorhanden sind, so müssen wir beim Pferde- embryo nur eine Primäranlage finden, wie beiallen andern Thieren und es müssen von dieser nur zwei Knospen ausgehen, welche sich zu den übrigen Theilen der Drüse umformen. Ich habe nun neuerdings einige Pferdeembryonen untersucht und ist meine Ansicht durch die Resultate dieser Untersuchung, wie ich glaube, in unzweifelhafter Weise bestätigt worden. Bei einem weiblichen Pferdeembryo von 13 em war die Milch- drüsenanlage gerade im Anfange der Sprossenbildung begriffen. Makroskopisch waren die Zitzen sehr deutlich erkennbar und an derselben Stelle, wo sie sich auch beim Erwachsenen befinden, gelegen. Die Zitzenbasis war oval und die nach vorn fortgesetzten Längsachsen der beiden Ovale der Zitzen kreuzten sich unter einem spitzen Winkel ungefähr in der Gegend des Nabels. An dem ab- gerundeten Gipfel der Zitze sah man einen dunklen Punkt — der einzigen Primäranlage entsprechend. — An den verticalen, 686 G. Rein: in der Richtung der Längsachse der Zitze gemachten Schnitten, sieht man (Fig. 3), dass die flache Primäranlage (a) zwei deut- liche kolbenförmige Sprossen (b) nach unten — eine etwas länger als die andere, vorschiebt. Die Sprossen (seeundäre An- lagen) haben dasselbe Aussehen und dieselbe Structur wie bei den Wiederkäuern (vgl. Fig. 2, Taf. XXX, auch Fig. 28 und 29, Taf. XXIX d. Arch. Bd. XX). Nur eine Eigenthümlichkeit zeigt sich, dass nämlich jede der Sprossen an ihrer Basis die Anlage einer Talgdrüse (T) trägt; bekanntlich ist diese Talgdrüse auch bei erwachsenen Pferden an dieser Stelle eine beständige Erscheinung!). Schon in dieser Periode unterscheiden sich die Anlagen der Talgdrüsen bedeutend von denen der Milchdrüse. Sie haben eine charakteristische, länglich-rundliche Form und tragen hohe eylin- drische, wandständige Epithelzellen, welche sich scharf von den übrigen Zellen abheben. Im weiteren Stadium (Fig. 4) entwickelt sich jede der beiden Secundäranlagen gerade so wie die einzige Sprosse der Wieder- käuer. Auch hier bilden sich allmählich die Hauptbestandtheile der künftigen Drüse: Ausführungsgang (e), Sinus lacteus (s n) mit vielen seitlichen Ausbuchtungen, und Milchkanäle (k) mit auf- sitzenden Drüsenacinis. Auch grosse Talgdrüsen (T) sieht man jetzt wie früher an der Seite der Ausführungsgänge. Wenden wir uns jetzt zu den erwachsenen Individuen beider Gegenbaur’schen Typen: Einen einzigen Ausführungsgang, den man bisher als charak- teristisch nur für die Wiederkäuer ansah, hat Gegenbaur selbst, in seiner zweiten Arbeit, für die Murina nachgewiesen; dasselbe war schon früher vom Meerschweinchen bekannt. Gegenbaur jedoch will den Ausführungsgang der Wiederkäuer nicht als ein dem Ausführungsgange der Maus homologes Gebilde gelten lassen und zwar aus folgenden Gründen: „Bei den Murinen, sagt er, ist der Ausführungsgang ein wahrer Drüsenausführungsgang, als welchen ihn auch sein Epithel erkennen lässt, während in dem Strichkanal der Wiederkäuerzitze bis dahin, wo die Zusammenmündung der einzelnen Drüsenaus- 1) Kruszinsky: Deutsche Zeitschrift für Thiermediein. Band VI. Ss. 292—300. Untersuch. üb. d. embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse II. 687 führgänge stattfindet, eine Fortsetzung der Epidermis sich einsenkt (vgl. Huss, 1. e. p. 196).“ Diese Angaben sind nun für die Wie- derkäuer, meinen Präparaten zufolge, nicht zutreffend (ef. p. 479 des ersten Theiles dieser Untersuchungen Bd. 20). Wie die ein- gehenden Untersuchungen Fürstenberg’s (l. e. S. 268) beim Rinde, sowie meine eigenen oben angeführten Untersuchungen an erwachsenen Exemplaren von Kühen, Schafen und Ziegen zeigen, bietet das Epithel des Ausführungsganges der Wiederkäuer genau dieselben Verhältnisse dar, wie sie Gegenbaur bei der Maus beschreibt, und wie sie bei Menschen, Kaninchen, Känguruh u. s. w. beobachtet werden, so dass der Stricheanal der Wiederkäuer, ausge- nommen den sogenannten „Verschlusstheil“, in seiner ganzen Länge mit Cylinderepithel bedeckt ist, und nichts anderes als den Sinus lacteus darstellt. Möglich ist es, dass bei einzelnen Individuen das geschichtete epidermoidale Plattenepithel etwas weiter hinab- reicht und einen grösseren Theil des Sinus lacteus auskleidet; jedenfalls reicht es aber niemals bis zum Boden der Ampulle hinab. Bei einigen aus dem Ende des Embryonallebens stammen- den Pferdeembryonen habe ich ähnliche Verhältnisse beobachtet. Auf Fig. 5 sieht man einen Horizontalschnitt durch den obersten Theil der Zitze, in der Höhe der Mündungsstücke (Verschlusstheile). Das Epithel der Kanäle ist flach, mehrschichtig und in seinen oberen Lagen verhornt. Auch sieht man die beiden grossen schon voll- kommen ausgebildeten Talgdrüsen (T). Ganz anders verhält es sich auf dem Horizontalschnitte, der ungefähr durch die Mitte der Zitze geführt ist (Fig. 6). Hier sieht man ein klar ausgebildetes Cylinderepithel, welches auch viele seitliche Ausbuchtungen des künftigen Sinus auskleidet !). Die Guitarrenform des Zitzendurchschnittes (Fig. 6) stimmt -mit der Gegenbaur'schen Ansicht, dass die Zitze des Pferdes als zwei zusammengewachsenen Wiederkäuerzitzen entsprechend anzusehen sei. Wir haben gesehen, dass die Entwieklungsge- schichte in sofern diese Anschauung rechtfertigt, als man auch die Menschenwarze als aus mehreren einzelnen Warzen zusammengestellt ansehen darf. 1) Nach Franck (Handbuch der Anatomie der Haussäugethiere 1871) ist der Strichkanal bei der erwachsenen Stute mit Plattenepithel ausgekleidet. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 45 688 G. Rein: In dem eben erwähnten Entwiekelungsstadium der Pferdemilch- drüse bemerkt man, dass das Drüsenparenchym viel weiter entwickelt ist, als bei allen von mir untersuchten Thieren, während ihres Embryo- nallebens. Sie bildet jederseits eine gut bemerkbare, flache, rund- liche Erhebung von 2!/; em Länge und 1 cm Breite in der In- guinalgegend und vertieft sich über 2 em bis zur Fascie. Sie besteht aus stark verzweigten Milchgängen und ist begrenzt, beson- ders von vorne, mit reichlichem Fettgewebe. Die 5 mm hohe Zitze ist an ihrer Basis 71/s mm lang und 3 mm breit. Auf dem Gipfel sind zwei rundliche Oeffnungen mit blossem Auge gut unter- scheidbar. Aus der Vergleichung der betreffenden Theile bei verschie- denen erwachsenen, besonders milchabsondernden Weibehen ist es unschwer zu bestimmen, was in jedem Falle unter dem Namen Sinus lacteus verstanden werden muss. Ich habe oben schon diese Frage erörtert und muss hier nur noch erwähnen, dass Gegen- baur, indem er auf den Unterschied zwischen Zitze der Maus und Zitze der Wiederkäuer Gewicht legt, bei der Maus nicht den Zitzencanal, sondern die „offenbar“ erweiterten, einer Gruppe von Drüsenaeinis angehörigen primären Ausführungsgänge als Milch- sinus beschreibt. Einen genügenden Grund dafür giebt er jedoch nicht an. „Ob diese Milchsinus sich direkt zum Ausführgang der Zitze begeben, oder zuvor in einen engeren Abschnitt sich. fort- setzen, habe ich nicht festgestellt,“ sagt er weiter und lässt damit das Bestehen einer morphologischen Zugehörigkeit zum Milch- sinus des Menschen unbewiesen. Auch ich habe bei säugenden Kaninchen dieselbe starke Erweiterung der Hauptausführungsgänge einer Gruppe der Acini beobachtet!) glaube jedoch, dass diese Thatsache allein noch nicht genügend ist, um gerade diese Ab- schnitte mit dem Namen „Sinus lactei“ zu bezeichnen. Man ver- steht gewöhnlich unter diesem Terminus die auf den mit Platten-- epithel ausgekleideten Anfangstheil des Canals unmittelbar folgen- den, mit Cylinderepithel versehenen erweiterten Abschnitte, welche sich an ihrem unteren Ende theilen und damit den Anfang für die Milchgänge abgeben (Fig. 21 u. 25, Taf. XXIX, Bd. 20 dieses 1) ef. p. 451. I. Th. Aehnliche Verhältnisse für den Menschen sind sehr schön auf Taf. V Fig. 1 des citirten elassischen Werkes von A. Cooper abgebildet. Untersuch. üb. d. embryonale Fntwieklungsgeschichte der Milchdrüse II. 689 Archivs s.n.). Wenn Gegenbaur weiter anführt, dass die von ihm bei der Maus als Sinus angesehenen Milchgänge mit ein- schichtigem, niedrigem Epithel bekleidet sind, so spricht er damit eher gegen die Auffassung als Sinus, da letztere, wo sie als solche sicher festzustellen sind, stets mit gewöhnlichem Cylinderepithel versehen sind. Was die Areola mammae betrifft, so kann ich Gegenbaur nicht beistimmen, wenn er die menschliche Areola mit der inneren Oberfläche des Strichkanales der Wiederkäuer vergleicht. Bei Beschreibung der Zitze der Maus sagt er: „An säugen- den Thieren ist zwar um die Zitze herum eine kahl erscheinende Stelle bemerkbar, die eine Areola Mammae vortäuscht, aber durch die genauere Untersuchung sich nicht als eine solche herausstellt.“ - Worin Gegenbaur die genauen Unterscheidungsmerkmale der Areola des Menschen von der beschriebenen Bildung der Maus sieht, ist nicht genauer angegeben. Huss motivirt eine ähnliche An- schauung vom Rinde eingehender: „Haarlosigkeit erstreckt sich auch noch auf einen kleinen Theil der Umgebung der Basis der letzteren (Zitze) und bildet so eine Art Areola, ähnlich, wie sie beim Menschen bekannt ist, allein es fehlt Pigmentirung, wie der regel- mässige Kranz von Talgdrüsen, wodurch sie beim Menschen aus- gezeichnet wird.“ Die Areola des Menschen stellt wohl kaum eine so charak- teristische Bildung dar, dass sie sich von den ähnlichen oben er- wähnten Bildungen anderer Thiere scharf unterscheiden liesse. Die Pigmentirung ebenso, wie die Montgomery’schen Körper (wahr- scheinlich meint Huss diese, wenn er von einem „regelmässigen Kranz von Talgdrüsen‘“ spricht, da ächte Talgdrüsen auch bei der Kuh stets, sowohl auf der Zitze selbst, als auch an der Basis derselben gefunden werden) bieten Erscheinungen dar, welche auch beim Menschen in hohem Grade individuellen Schwankungen unter- worfen sind, und können sogar vollkommen fehlen. Selbst Haarlosigkeit der Areola ist keine beständige Erscheinung, weder beim Manne noch beim Weibe (vergl. Hildebrandt, Handb. d. Anat. d. Menschen 1832, B. IV, S. 436) und die Grösse der Areola ist nicht nur bei verschiedenen Menschenracen ungleich (z. B. überragt sie bei der sogenannten Hottentotischen Venus eine Hälfte der ganzen vor- deren Oberfläche der Mamma), sondern bekanntlich sind auch nicht selten Fälle beobachtet, wo bei einem und demselben Weibe sich die 690 G. Rein: Areola während der Schwangerschaft fast auf das Doppelte ver- grösserte '). Die Pigmentirung der Areola kann vollkommen fehlen. Wäre Gegenbaur’s Anschauung richtig, so könnten in den Wandungen des Ausführungsganges der Rinderzitze Pigmentirung, Talg- und Montgomery ’sche Drüsen, Haare u. s. w. mit dem- selben Recht erwartet werden, wie Huss Pigmentirung und einen regelmässigen Kranz von Talgdrüsen aussen an der Zitze (Areola) verlangt. — Wäre in der That beim Rinde eine wirkliche Areola nicht vorhanden, so wäre die Nothwendigkeit, sie in dem Aus- führungsgange zu suchen, natürlich ebenso gross, wie beim Ka- ninchen, wo eine Areola (aussen) ebenfalls nieht siehtbar ist. Die von Gegenbaur hervorgehobene Frage betreffs der Mammartasche erfordert hier eine besondere Berücksichtigung. Die Angabe Gegenbaur's, dass die Zitze der Wiederkäuer nur eine stark entwickelte Mammartasche sei, ist vorhin als nicht halt- bar nachgewiesen worden. Der Mangel einer genauen mikrosko- pischen Untersuchung der Milchdrüse von Echidna schliesst jede Möglichkeit, genaue Disceussionen darüber zu führen, ob der Cutis- wall des Menschen (der, wie wir gesehen haben, manchmal auch ganz fehlen kann) den Rändern der Tasche von Echidna entspricht, oder nicht, zur Zeit aus. Wenn aber diese letztere, wie Gegenbaur meint, der Mammartasche des Känguruh, der Maus u. a. homolog ist, so kann in diesem Falle selbstverständlich von einer Homo- logie mit dem Cutiswall des Menschen nicht die Rede sein. Aus der von mir (d. Arch. XX) gegebenen Beschreibung folgt ganz klar, dass die wahre Mammartasche des Känguruh, der Maus u. a. eine accessorische Bildung darstellt, welche dem Milchapparat beigefügt ist und sich aus den benachbarten Theilen der Haut in Form be- sonderer, von der Malpighi’schen Schicht ausgehender Sprossen entwickelt, die weder mit der primären Epithelanlage, noch mit dem Cutiswalle der Drüse etwas zu thun hat. Nur in den Fällen, wo beim Menschen eine Anomalie in der Entwiekelung vorliegt, wo wir mit einer sogenannten eingezoge- nen Saugwarze zu thun haben, ist eine, wenn auch sehr geringe Möglichkeit gegeben, an etwas mit der Mammartasche Homologes 1) Huschke: Eingeweidelehre 1844. S. 522 und 527. Untersuch. üb. d. embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse II. 691 zu denken; dieser Zustand ist bis jetzt jedoch noch nicht Gegen- stand genauer embryologischer Untersuchung gewesen. Es wäre interessant zu untersuchen, ob in solchen Fällen nicht auch die obengenannten, von der Malpighi’schen Schicht ausgehenden ringförmigen Einwucherungen beobachtet werden. Im Anschlusse an das Vorstehende sollen hier noch zwei wei- tere Punkte kurze Erwähnung finden: 1) Welche Keimbiätternehmenan der Entwickelung der Milchdrüse Theil? Diese Frage ist leicht zu lösen und kann sie auf Grund meiner diesbezüglichen Beobachtungen mit vollster Präcision dahin beantwortet werden, dass hier, wie viel- leicht überall im Organismus, alles Epithel von dem oberen Keim- blatte abzuleiten ist, während das bindegewebige Gerüst des Or- ganes, wenigstens im Verlauf der Entwickelung der Milchdrüse beim Embryo, vom Mesoderm geliefert wird. Der Ansicht Creighton’s!) und Talma’s (Archiv, Band XX, p. 46), welche die Drüsenacini ebenso wie das Drüsenstroma aus dem mittleren Keimblatte entstehen lassen, vermag ich nicht beizupflichten. 2) Die zweite wichtige Frage befasst sich damit, welche Stel- lung der Milchdrüse unter den übrigen Organen zu- kommt. Bekanntlich betrachtet man vielfach die Milchdrüse als eine modificirte Talgdrüse. Gegen diesen Vergleich, wenigstens was anatomische Structur und Art der Function der reifen Drüse an- betrifft, ist in neuester Zeit Heidenhain?) aufgetreten. Ihrer Struktur nach, sagt er, ist die Milchdrüse eher zu den tubulösen, als, zu den eigentlichen acinösen Drüsen, zu denen die Talgdrüsen gehören, zu rechnen. In Bezug auf Verschiedenheit der Function äussert er sich l. e. S. 384 wie folgt: „Die Bildung der Milchbestandtheile unter- scheidet sich also ganz wesentlich von der Bildung des Hauttalges, mit welcher sie oft verglichen worden ist“ und weiter: „Die Fett- bildung in den Milchzellen hat mit der Verfettung der Talgzellen nicht die mindeste Aehnlichkeit.“ 1) Contributions to the physiology and pathology of the breast. Lon- don 1878. „The mammary gland would be a further specialisation of fat- tissue and a product of mesoblast“*. s. 89. 2) Hermann’s Physiologie Bd. V. 692 G. Rein: Auch in entwicklungsgeschichtlicher Hinsicht hat die Milch- drüse weder zur Zeit ihres ersten Auftretens, noch während des weiteren eigenartigen Verlaufs ihrer Bildung, etwas mit den Talg- drüsen gemein. Es ist wahr, dass sie beide, als Derivate des Horn- blattes, ein und derselben Quelle ihren Ursprung verdanken; allein damit ist auch fast jede weitere Aehnlichkeit erschöpft. So wenig man das Recht hat, die Leber, welche dieselbe Abstammung mit den Lieberkühn 'schen Drüsen des Darmes hat, als eine Modifieation der letzteren zu betrachten, ebenso wenig darf man die Milchdrüse als eine modificirte Talgdrüse ansehen. Das von mir bewiesene, sehr frühzeitige Auftreten der ersten Anfänge dieses Organes bei Embryonen, welches gleichzeitig mit den übrigen, bekanntlich ebenfalls in früher Periode sich ent- wickelnden, dem Gattungsleben dienenden Organen stattfindet, bietet auch eine der Stützen für die Folgerung, dass wir es bei der Milchdrüse mit einem Organe sui generis zu thun haben. ’ Durchschnittliche aus mehreren Messungen berechnete Maasse der Milchdrüsenanlage in mm bis zum Ende des Intrauterinlebens. (Die Warzen-, Zitzen- sowie die Stromazone sind mitberechnet.) Thiere | | Höhe [Breite Höhe Breite Erste | Zweite Dritte || Vierte Fünfte Sechste Periode | Periode | Periode | Periode Periode Periode Breite Kaninchen I,osrilo.os9el 0,0775.0,1267110,1032 0,1093,0 224202 2258 0, 3515 0,3166 0,8819 Höhe Breite Höhe | wi Höhe Breite, Höhe I Tale | | | Schwein ‚0,051 |0,116 ‚0,085 10,190 0,172 0,139 0,205 0,161 |0,342 0,380 1,397 Mensch | ’ | ı I — | — | _— | — | | __ 10,199 0,218 0,305, 10.2450 ee Zum Schlusse will ich die wichtigsten Ergebnisse meiner Un- tersuchungen noch einmal kurz zusammenfassen. 1. Die erste Spur der Milchdrüse tritt in einer sehr frühen Periode des Embryonallebens auf. Ihre Bildung fällt meisten- 0,2707 1,181 1,520 ° Untersuch. üb. d. embryonale Entwicklungsgeschichte der Milchdrüse I. 693 theils mit der Schliessung der Kiemenspalten zusammen. Beim Menschen kann sie schon im zweiten Monate constatirt werden. 2. Zuerst erscheint nur die Anlage des Epithels der künf- tigen Drüse als primäre Epithelanlage. Diese stammt von den local vermehrten Cylinderzellen der embryonalen Epidermis. 3. Anfangs wächst die primäre Epithelanlage nach oben — hügelförmige Anlage — dann vertieft sie sich in die embryonale Cutis und dabei nimmt sie successiv verschiedene Formen an: linsenförmige, zapfenförmige und kolbenförmige Anlage. 4. Als zweiter Hauptbestandtheil der Drüse entwickelt sich das Gewebe der künftigen Warze oder Zitze (Warzenzone), und zwar aus den Zellen des embryonalen Bindegewebes der künftigen Cutis; zwischen diesen Elementen trifft man sehr früh auch die glatten Muskelzellen. Die Warze oder die Zitze entsteht aus dem gewucherten und erhobenen Drüsenboden und tritt entweder sehr früh auf (Wiederkäuer, Schwein, Pferd u. a.), oder sie kann sich erst am Ende des Embryonallebens ausbilden (Mensch). 5. Zu einer gewissen Tiefe gelangt, treibt die primäre Epithel- anlage eine oder mehrere Sprossen —secundäre Epithelanlagen — nach der Zahl der Drüsenausführungsgänge beim Erwachsenen. 6. In dieser Periode der Entwickelung bildet sich der dritte Hauptbestandtheil der Drüse, ihr Stroma. Es entwickelt sich aus dem Bindegewebe der Cutis und stellt anfangs eine der Warzen- zone concentrische „Stromazone dar. 7. Jetzt geht der grösste Theil der primären Epithelanlage auf dem Wege der Hornmetamorphose zu Grunde. Bei Erwachse- nen bleibt nur ein kaum bemerkbarer Rest derselben: Münd ungs- stück der Ausführungsgänge. 8. Die secundären Epithelanlagen wachsen dagegen weiter, canalisiren und verzweigen sich. Am Ende des Embryonallebens sind an ihnen drei Theile zu unterscheiden: Ausführungsgänge, Milehsinus und Milchgänge mit den aus den letzteren sich bildenden Acinis. Diese drei Abtheilungen, sowie das aus der Primäranlage hervorgehende kurze Mündungsstück sind auch bei erwachsenen Menschen und Thieren zu unterscheiden. 9. Im Anfange des Extrauterinlebens haben die Menschen- embryonen beider Geschlechter alle Hauptbestandtheile der Milch- drüse fertig ausgebildet und kann letztere schon wirkliche Milch secerniren. 694 G. Rein: Untersuchungen über die embryonale Entwicklungsgesch. etc. 10. Nach dem angegebenen Plane entwickelt sich die Milch- drüse bei allen untersuchten Thieren, welche zu den folgenden Ord- nungen gehören: Primates, Insectivora, Carnivora, Ungulata, Glires und Didelphyda. ll. Gegenbaur’s Lehre von zwei Grundtypen im Entwick- lungsgange des Milchdrüsenapparates ist nicht zu bestätigen. 12. Die sogen. Montgomery’schen Drüsen sind ihrer Ent- wickelung nach als rudimentäre Milchdrüsen zu betrachten. 13. Die Milehdrüse muss auch nach ihrer Entwickelungsge- schichte als ein Organ sui generis betrachtet werden. Ich halte es für eine angenehme Pflicht, an dieser Stelle Herrn Professor Dr. Waldeyer für seine freundliche Unterstützung bei meinen Arbeiten im Strassburger Anatomischen Institute mei- nen Dank auszusprechen. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXX. Fig. 1. Schafembryo, 7 cm, weibl. a primäre Anlage, b Sprosse (secun- däre Anlage) im Anfange der Bildung begriffen, c eine abortive Sprosse, w Warzenzone, d Blutgefässe. (Hartn. Oc. 3, Syst..IV.) Schafembryo, 8 cm, weibl. a primäre Anlage, b die einzige Sprosse in weiterer Entwickelung, w Warzenzone, d Blutgefässe. (Hartn. Oc. 3, Syst. IV.) Fig. 3. Pferdeembryo, 13 cm, weibl. a primäre Anlage, b secundäre An- lagen, T Anlagen der Talgdrüsen, d Blutgefässe. (Hartn. Oe. 3, Syst. IV.) Fig. 4& Pferdeembryo, 31 cm, weibl. e Ausführungsgang (Mündungs- stück), sn Sinus lacteus, k Milchgang, T Talgdrüse. (Hartn. Oc. 3, Syst. I.) Fig. 5. Pferdeembryo, weibl., am Ende des Intrauterinlebens. Querschnitt durch den Gipfel der Zitze; e Ausführungsgang, T Talgdrüse, t An- ke 03 DD lagen der Hautdrüsen und Haare, ep flach durchgeschnittene Epi- dermis. (Hartn. Oc. 3, Syst. I.) Fig. 6. Dasselbe Object. Querschnitt etwa in der Mitte der Zitzenhöhe. sn Sinus lacteus, t Anlagen der Hautdrüsen und Haare. (Hartn. Oc. 1, Syst. 1.) Berichtigung. Auf Seite 482 des ersten Theiles, Zeile 5 von unten wolle man anstatt 2] cm — 21 mm lesen; auf Seite 451, Zeile 10 von oben anstatt „las Mündungsstück* — „Ductus excretorius“; auf Seite 454, Zeile 7 von oben anstatt Stromazone — „Warzenzone“. G. Broesike: Ueb. die feinere Structur des normal. Knochengewebes. 695 Ueber die feinere Structur des normalen Knochen- gewebes. Von Dr. &. Broesike, Custos und Assistent am Kgl. anatomischen Institut und Museum zu Berlin. Hierzu Tafel XXXI. Die Erkenntniss von der cellularen Bedeutung der sogenannten Knochenkörperchen und ihrer Ausläufer ist alt. Nachdem relativ lange die alte Lehre Johannes Müller’s dominirt hatte, dass die Knochenhöhlen- und Kanälchen „chalicophori,“ mit Kalk aus- gefüllt wären, brach sich wohl zuerst durch Bruns!) im Jahre 1841, weiterhin durch die Injectionsmethode von Gerlach?) 1848 exacter bewiesen, die Ansicht Bahn, dass kein Kalk, sondern ein flüssiges, „plasmatisches‘ Ermährungsmaterial für den Knochen in diesen mikroskopischen Hohlräumen enthalten sei. Während indess noch diese beiden, bald die Kalk- und bald die plasmatische Theorie nebeneinander um den Vorrang stritten, wollten schon, wie Köl- liker?) angiebt, einzelne Beobachter wie Schwann, Krause, Kohlrausch, Fleischmann, hier und da in den Knochen- körperchen (d. h. in den Knochenlacunen) Kerne gesehen haben. G.H.Mayer) behauptete ebenfalls schon sehr früh im Jahre 1841 auf ganz bestimmte Weise, dass er im Knochen und im Caement des Pferdezahnes Zellen gesehen habe, „in denen das Knochen- körperchen als Kern lag‘, und da er diese Knochenkörperchen mit den schon von Schwann in ihrer Bedeutung erkannten Knorpel- 1) Bruns: Lehrbuch der allgemeinen Anatomie des Menschen. Braun- schweig 1841. 2) Gerlach: Handbuch der Gewebelehre. 1848. 3) Kölliker: Mikroskopische Anatomie Bd. HI. 1850. 4) G. H. Mayer: Ueber die Bedeutung der Knochenkörperchen. Mül- ler’s Archiv 1841. p. 210, 696 G. Broesike: körperchen verglich, so ist man wohl berechtigt, ihn und nicht Donders als den ersten Pionier cellularer Doctrin für das Knochengewebe anzusehen. Donders!) nämlich fand im Jahre 1348, dass beim Knochenknorpel, also am entkalkten Knochen nach Sstündiger Einwirkung von Kalilauge (eine Coneentration ist nicht angegeben) sich „die Grundlage des Knochenknorpels zum Theil auflöst. Durch Zusatz von HsO sieht man die Knochen- körperehen aufquellen und in denselben eine Reihe von Kernen, von welchen einzelne von Zellen umgeben sind. Nach 10 Stunden ist sie gänzlich zerstört.“ Diese Dinge sieht man jedoch „inner- halb der klaren Grundlage.“ Ebenso findet er (p. 66), dass „die Grundsubstanz durch Schwefeisäure“ — über die Concentration verlautet nichts — „gallertig wird“. Erst nach Zusatz von Wasser kommen die Knochenkörperchen zum Vorschein. Im Uebrigen hält er die Knochenkörperchen für „kleine Höhlen von runder oder ovaler biconvexer Linsenform“ und die sogenannten Knochen- strahlen, also deren Ausläufer für „Kanälchen“. Dagegen gelang es zu allererst Virchow durch die Behandlung von Knochen mit Salzsäure die Knochenkörperchen als isolirte Gebilde darzustellen. Denn wenn sich auch schon vor ihm im Jahre 1844 bei Arnold?) die räthselhafte kurze Notiz vorfindet, dass nach der Behandlung von Knochen mit HCI die Knochenkörperchen hier und da als „isolirte Kapseln“ sichtbar wurden, so macht Arnold den wissen- schaftlichen Werth dieser immerhin doch sehr dunkeln Bemerkung gleich darauf durch die Auseinandersetzung wieder illusorisch, dass diese Thatsache durchaus kein Beweis für eigene Wände oder Zellen im Knochen wäre: im Gegentheil nimmt er trotz dieses Faetums an, dass die Knochenkörperchen und ihre Ausläufer mit Kalk gefüllt seien (!). Virchow?) also fand zuerst im Jahre 1850 an einem pathologischen, einfach trocknen Präparat, dann aber auch 1851?) an frischen normalen Knochen, dass sich aus solchen Objeeten durch Behandlung mit concentrirter Salzsäure der Inhalt der Knochenhöhlen und Kanälchen als sternförmig verästelte Zell- 1) Donders: Holländ. Beiträge zu den anatom. und phys. etc. 1848. 2) Arnold: Handbuch der Anatomie des Menschen 1844. p. 243. 3) Virchow: Würzburger Verhandlungen 1850. p. 193. 4) Virchow: Würzburger Verhandlungen 1851. p. 150. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 697 körper mit anastomosirenden Fortsätzen und eigenen begrenzten Wandungen isoliren lasse. Dagegen konnte Virchow aus „trockenen, macerirten‘‘ Knochen keinerlei ähnliche Gebilde iso- liren, die Substanz wurde hier nur blass und streifig und zerfiel bei weiterer Einwirkung in Detritusmassen. Diese Ansichten hat der genannte Forscher auch später !) und anscheinend bis in die neueste Zeit hinein (in seiner Cellularpathologie) gegenüber den mannichfachsten Einwänden aufrecht erhalten, wenngleich er (in Virchow’s Archiv V. 1. e.) zum Schluss seinen Gegnern die etwas reservirte Concession macht, dass auch aus „trocknen Knochen, deren Körperchen leere und für Gas permeable Höhlen und Ka- nälchen besitzen, die Isolirung geschehen könne.“ Die interessante Entdeckung von Virchow war damals des- wegen von so fundamentaler Wichtigkeit, weil sie die letzten Gegner der zu jener Zeit noch jungen, in der Sturm- und Drang- periode befindlichen Zellenlehre zum Schweigen brachte: gerade in dem festen, in sich abgeschlossenen, anscheinend todten Knochen- gewebe hatte wohl Niemand so schön isolirt darstellbare und so wohlcharaecterisirte biologische Elemente mit allen Attributen einer vollentwickelten Zelle vermuthet. Wie es angesichts dieses wich- tigen Fundes natürlich war, traten nicht allein zahlreiche Be- stätigungen sondern auch nicht minder häufige Zweifel oder sogar Entgegnungen an die von Virchow gefundenen Thatsachen und ihre Deutung heran. Unter den Bestätigungen fielen zunächst in’s Gewicht die Versuche von Hoppe?), dem es nach vorheriger Entkalkung mit HCl durch Kochen im Sandbade und Papin’schen Topfe gelang, aus den frischen Knochen vom Hammel und Stör die Knochen- körperchen in der von Virchow beschriebenen Weise zu isoliren. Er schloss hieraus, dass dieselben von einer nicht leimgebenden Membran umkleidet sein müssten. Die Virchow’sche Auffassung fand weitere Vertheidiger an Gerlach°), Brandt*) undKölliker?), 1) Virchow: Das normale Knochenwachsthum etc. Virchow’s Arch. V. pag. 446 und 460. 2) Hoppe: Virchow’s Arch. V. p. 178 und Dissertatio de cartilaginum structura. Berlin 1852. 3) Gerlach: Handbuch der Gewebelehre. II. Auflage p. 160. 4) Brandt: Disquisitiones de ossific. processu. Dissert. Dorpat 1852. 5) Kölliker l. c. und Handbuch der Gewebelehre etc. II. Aufl. 698 G. Broesike: von denen der letztere beim Kochen in Wasser oder Natron- lauge anfangs nur freie Kerne gefunden hatte, dann aber rückhaltslos für sternförmig verästelte Zellen im Sinne Virchow’s plaidirte. Foerster!) empfahl für die Isolation eine Mischung von Salpetersäure und Glycerin und Frey?) erreichte denselben Effect theils durch Salzsäure, theils durch Kochen von entkalktem Knochen in Wasser oder Natronlauge: beide Autoren halten streng zu Virchow. H. Müller’) endlich sah zwar Fortsätze der Knochenkörperchen in die Kanälchen hineinragen: trotzdem machen seine sonstigen, nicht klaren Auseinandersetzungen über diesen Punkt eher den Eindruck, als ob er zu den weiter unten zu eXpO- nirenden Ansichten der Gegner Virchow’s hinneigte. Einzelne andere Forscher bestätigten die Virchow’sche Ent- deckung mit der Modification, dass es ihnen durch die erwähnten Isolationsmethoden nie gelungen war, sternförmig verästelte, mit einander anastomosirende, sondern stets nur rundliche oder läng- lich eckige Zellen mit kurzen Ausläufern darzustellen. Aeby®) fand dieses Ergebniss an der Ossificationsgrenze von Knorpel und Knochen. Nach Beale?) besteht das Knochenkörperchen nur aus Protoplasma und Kern ohne Membran und ohne Ausläufer. Indess sowohl diese beiden wie auch andere Untersucher z. B. Beneke legten einen mehr weniger entschiedenen Protest ein gegen die Theorie der sogenannten „Knochenkapseln“, durch welche eine weitere Reihe von Untersuchern die Darstellung von sternförmig verästelten Isolationsproducten aus dem Knochen zu deuten ver- suchten. Schon Bruch‘) konnte 1852 an Schnitten nur rundlich-ovale oder eckige Zellkörper innerhalb des Knochens wahrnehmen. Die Isolirbarkeit von sternförmig verästelten Elementen bezog er nicht auf das Vorhandensein also gestalteter Zellen, sondern auf eine grössere Dichtigkeit der Knochensubstanz in der unmittelbaren Umgebung der Knochenkörperchen und ihrer Ausläufer. Doch 1) Foerster: Handbuch der pathol. Anatomie 1855. I. p. 155. 2) Frey: Histologie und Histochemie. 3) H. Müller: Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie IX. p. 166. 4) Aeby: Zeitschr. f. ration. Medicin, 3te Reihe. Bd. IV. p. 51 u. 65. 5) Beale: Die Structur der einfachen Gewebe, übers. von Carus 1862, 6) Bruch: Denkschr. der Schweizer naturforschenden Gesellschaft 1852. Bd. X. Ueber die feinere Struetur des normalen Knochengewebes. 699 beruht die Darlegung dieser Ansicht bei ihm offenbar nur auf dem Bestreben. gegen Virchow ä& tout prix eine, wenn auch nur theoretische Opposition zu machen, da aus keinem seiner Worte oder Bilder hervorgeht, dass er selber den Versuch gemacht hat, die fraglichen Gebilde zu isoliren. Fürstenberg!) behandelte Knochen mit verdünnter Schwefelsäure. Er bildet dieke, rund- liche oder ovale Körper ab, von denen je ein sternförmiges oder auch nur eckiges Knochenkörperchen kapselartig umschlossen wird, an welchem man wieder deutlich eine dieke Membran mit Zellinhalt und Kern unterscheiden kann. Ein Blick auf diese Abbildungen lehrt jedoch, dass die von Fürstenberg abgebilde- ten Kapseln durchaus nieht mit den Knochenkapseln anderer Autoren identisch sind, welehe die Knochenlacunen und Kanäl- chen in sternförmig verästelter Form gewissermassen reprodu- eiren und somit von den Virchow’schen sternförmigen Knochen- zellkörpern nicht zu unterscheiden sind; höchstens könnte die von ihm so bezeichnete Membran der Knochenzelle als eine stark gequollene Knochenkapsel im Sinne der Autoren gelten. Was er als Kapsel abbildet, ist jedenfalls nur ein zufälliges Zer- falls- oder Zerklüftungsproduct der Intercellularsubstanz, so dass man ihn wohl mit Unrecht als den Begründer der Knochenkapsel- theorie hier und da genannt findet. Auch Henle scheint im Jahresberieht 1857 wohl nur die Ansichten von Bruch und Für- stenberg zu referiren, wenn er das Vorhandensein von kurzen, zackigen Zellen im Knochen zugiebt, die jedoch „von einer diffe- renten Schieht der Grundsubstanz kapselartig umschlossen würden.“ Dagegen spricht auf Grund eigener Untersuchungen zuerst Rouget?) in richtiger und klarer Weise die letztere Ansicht aus. Dieser Forscher behandelte den durch Salzsäure entkalkten Knochen mit Salpetersäure und isolirte auf diese Weise sowohl beim Foetus wie beim Erwachsenen als die eigentlichen Zellkörper nur kurz- zackige Gebilde ohne nennenswerthe Ausläufer. Beim Erwachsenen sind jedoch diese Gebilde und ebenso die Knochenkanälchen von einer besonderen Schicht der Intercellularsubstanz wandartig um- geben. Das isolirte „sternförmig verzweigte Knochenkörperchen“ der Autoren ist von dieser kapselartigen Schicht gebildet, während der eigentliche (se. protoplasmatische) Knochenzellkörper eben in 1) Fürstenberg: Müller’s Archiv 1857. p. 1. 2) Rouget: Journal de physiol. de Brown-Söquard 1858. I. p. 768. 700 G. Broesike: zackiger oder eckiger Form innerhalb der sternförmig verästelten, ursprünglich kalkhaltigen Kapsel gelegen ist. Durch weiteren Zusatz von Kali- oder Natronlauge gelang es ihm alsdann diese Kapseln zu zerstören, so dass nur die eigentlichen Knochenkör- perchen übrig blieben. Mit diesen Anschauungen kommt Rouget von allen Forschern vor und nach ihm dem thatsächlichen Verhalten der Dinge so nahe, als dies bei der Unvollkommenheit der von ihm angewandten Untersuchungsmethode überhaupt mög- lich war. Wesentlich dieselbe Ansicht wird dann späterhin auf Grund eingehender Untersuchungen von E. Neumann!) vertreten, welcher somit ebenso wenig wie Fürstenberg mit Recht als der wissenschaftliche Autor dieser Kapseltheorie in den meisten neueren Handbüchern angeführt wird, obschon er selbst in seiner hierauf bezüglichen Arbeit die Untersuchungen von Rouget er- wähnt. Die Ergebnisse seiner Forschungen stellt Neumann in folgenden drei Sätzen zusammen: 1) Die Knochenhöhlen und Kanälchen besitzen eigene isolirbare, mit der Knochengrundsub- stanz gemeinsam verkalkte Wandungen. 2) In den Knochenhöhlen sind die weichen Knochenzellen enthalten; ob sich für gewöhnlich Fortsätze in die Knochenkanälchen hinein erstrecken, ist zweifel- haft. 3) Die isolirbaren verkalkten Wandungen der Knochenhöhlen und Knochenkanälchen sind nicht die mit der Grundsubstanz ver- schmolzenen und verkalkten Membranen der Knochenzellen, son- dern verdichtete Theile der Grundsubstanz selbst, zu den Knochen- zellen gehörige Kapselbildungen.“ Neumann differirt von Rouget vor allen Dingen in dem Punkte, dass er auch bei Embryonen und beim Neugeborenen die Knochenkapseln vorfindet. Ferner stellt er die von vielen älteren Autoren nicht beachtete, von Virchow anscheinend direet geleugnete Möglichkeit fest, auch aus lange macerirten Knochen, aus Sequestern, Dreehslerwaaren ete. die be- kannten sternförmigen Gebilde zu isoliren — nach seiner Ansicht ein stringenter Beweis für die Kapsel- und gegen die Zellennatur (d. h. protoplasmatische Beschaffenheit) der Isolationsobjecte. Endlich gelang es ihm, „wenn auch nicht constant“ ähnliche kapselartige Scheiden um die Haversischen Kanäle zu sehen und zu isoliren, wie sie Kölliker schon vor ihm aus dem Caement 1) E. Neumann: Ein Beitrag zur Kenntniss des normalen Zahnbein- und Knochengewebes. Leipzig 1863. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 701 des Pferdezahns dargestellt hatte. Neumann arbeitete bei diesen Untersuchungen hauptsächlich ‚mit starker, ja sogar kochender Salz- und Salpetersäure: neue Isolationsmethoden wurden auch von ihm zum Beweis seiner Behauptungen nicht herangezogen. Seit Neumann nun hat die Frage der Knochenkapseln die Untersucher wenig beschäftigt. Mit Bezug auf die Knochenzellen, besser gesagt die Knochen-Höhlen oder Lacunen stellte Klebs') 1868 die überraschende Behauptung auf, dass dieselben nicht mit protoplasmatischen Elementen, sondern mit Gas, wahrscheinlich mit CO, gefüllt seien. Nur an der Ossificationsgrenze und bei foe- talen Knochen sollten sich deutliche Zellen finden. Das Schwin- den dieser eiweisshaltigen Zellen und ihr nachheriger Ersatz durch CO; Füllung beginnen erst nach völliger Consolidirung der Grund- substanz. Diese Ansicht wird von Klebs auch in einer späteren Mittheilung?) gegenüber verschiedenen Einwänden aufrecht erhalten, wenngleich er hier zugibt, dass innerhalb der Knochenlacunen Kohlensäure und protoplasmatische Elemente nebeneinander exi- stiren können. Heitzmann?) fand in den Knochen von Thieren, von denen er übrigens fast nur junge Exemplare untersucht zu haben scheint, überall sternförmige durch Ausläufer miteinander verbundene Zellkörper, in welchen er durch Enzündungsreize Kern- theilungsvorgänge hervorgerufen zu haben glaubte. Ausserdem sol- len nach ihm die Zellen in entzündeten Knochen sogar Blutkör- perchen und Blutgefässe produeiren können. Im Gegensatz zu Klebs schreibt er also den Knochenkörperchen, wie es scheint während der ganzen Lebensdauer, eine erhebliche Vitalität und Activität zu. Heitzmann untersuchte nur an Schnitten. A. Morig- gia und A. Bompianit) geben sich späterhin die unnöthige Mühe, genauere Vorschriften über die Isolation der von ihnen merk- würdigerweise sogenannten „elastischen“ sternförmigen Hüllen der Knochenkörperchen mittelst Salz- und Salpetersäure zu geben, be- 1) Klebs: Centralblatt für die med. Wissenschaften. Ueber den Bau der festen Knochensubstanz 1868. Nr. 6. p. 81. 2) E. Klebs: Beobachtungen und Versuche über Cretinismus. Archiv für experim. Path. und Pharm. II. p. 70—88 und p. 425—457. 3) Heitzmann: Studien am Knorpel und Knochen. Wiener med. Jahrbücher 1872. 4) A. Moriggia et A. Bompiani: Isolazioni degli Ostcoplasti. Alteneo Nr. 7, 1874. 5 Stn. 702 G. Broesike: sonders in Bezug auf die Concentration der genannten Säuren und die Zeit ihrer Einwirkung: diese Mühe ist deswegen überflüssig zu nennen, weil nach meinen Erfahrungen schon verschiedenaltrige Knochen gegen dieselbe Säureconcentration sehr verschieden lange Zeit widerstehen. Ausser der Empfehlung eines Gemisches von Salpeter-Salzsäure und Wasser scheint ihre Arbeit, die mir nur im Referat zugänglich war, nichts Neues zu enthalten. Julius Wolff!) hält in einer vorläufigen Mittheilung dafür, dass „die (von Fürstenberg) durch Säuren darstellbaren Contouren Analoga der Knorpelkapseln sind.“ Ich habe schon früher auseinanderge- setzt, dass Kapseln im Sinne von Fürstenberg im Knochen nicht existiren. In einer ausführlicheren Arbeit?) bezeichnet Wolff als- dann die von Fürstenberg dargestellten Bilder ähnlich wie ich als „den optischen Ausdruck einer Zerklüftung der Grundsubstanz“ und scheint sie auch von den durch Neumann isolirten Gebilden zu unterscheiden. Nichtsdestoweniger glaubt er, dass zwei so diffe- rente Dinge, wie die von Fürstenberg und die von Neumann beschriebenen kapselartigen Verdiekungen um die Knochenzellen ganz dasselbe bedeuten, d. h. dass sie beide Analoga der Knor- pelkapseln repräsentiren. H. Joseph?) konnte vermittelst Chlor- sold und Essigsäure im Knochen von Tritonen und Meerschwein- chen überall protoplasmatische Zellen mit deutlichen Fortsätzen finden, welche sich in die Knochenkanälchen erstreckten: er leug- net demzufolge die von Klebs behauptete Thatsache, dass die Knochenzellen mit Kohlensäure gefüllt wären. Nach seiner An- sicht sollen fernerhin die Nerven des Knochens direet zu den Knochenkörperchen hinantreten. Im Uebrigen scheint er jedoch auch die Rouget-Neumann'schen Kapseln um die sternförmigen Zellen anzunehmen. In neuester Zeit hat endlich de Burgh-Birch die Resultate der Trypsinverdauung an Knochen veröffentlicht. Auch durch diese Methode gelang es ihm nach Zerstörung der Intercellularsubstanz „die Lacunen mit ihren Kanälchen ausseror- 1) Julius Wolff: Centralbl. f. med. Wissensch. 1875. Nr. 20. p. 309. 2) J. Wolff: Untersuchungen über die Entwickelung des Knochen- gewebes. Leipzig 1875. 3) H. Joseph: Ueber Zellen und Nerven der compaeten Knochen- substanz. Arch. für mikrosk. Anat. Bd. VI. p. 132. 4) de Burgh-Birch: Centralbl. für die med. Wissensch. 1879. Nr. 52. pag. 945. o Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 703 dentlich sekön zu isoliren. Auch sind solche Gruppen mit einer Membran eontinuirlich, welche die innere Fläche des ausgewach- senen Haversischen Kanales bildet.“ B. zieht hieraus den Schluss, dass diese Membran, von deren früherer Erkenntniss durch andere Autoren der Verfasser nichts zu wissen scheint, „anderer Art ist, als die Kittsubstanz, welche die Fibrillenbündel der Matrix zu- sammenhält“ — ob diese ‚andere Art‘ begründet ist in chemischen Unterschieden oder in physikalischen, d. h. einfach in einer grös- seren Dichtigkeit, geht aus der Mittheilung nicht hervor und das Journal of Physiologie, Chambridge, Januar 1880, in welchem Verf. weitere Einzelheiten veröffentlichen wollte, war mir nicht zugänglich; auch ist über eine zweite derartige Mittheilung von de Burgh-Birch in den Virchow-Hirsch’schen Jahresberichten nichts mehr referirt worden. Und noch in der Gegenwart herrscht über die besprochenen Fragen weder Einigkeit noch Klarheit. Während Virchow, Köl- liker u. A. noch heutigen Tages an ihren alten Ansichten festzu- halten scheinen, haben die Verfasser der meisten neueren Hand- bücher wie z. B. Ranvier!), Rollett?), Orth?) die Theorie der Knochenkapseln, allerdings immer unter Berufung auf E. Neu- mann adoptirt. Wie wenig überzeugend indess die Resultate der bis jetzt bekannten Isolationsmethoden trotz ihrer häufigen An- wendung und die Neumann’schen Auseinandersetzungen trotz ihrer sorgfältigen Ausführlichkeit gewirkt haben, das ‘geht wohl am besten daraus hervor, dass noch vor kurzem die heutige grösste Autorität auf dem Gebiete der feineren Histologie des Knochens, V. v. Ebner) in seiner klassischen Arbeit sagen kann: „Ob die Isolirbarkeit der sogenannten Knochenkapseln zu der An- nahme berechtigt, dass die Kittsubstanz, welche die Knochenhöhlen begrenzt, von der übrigen wesentlich verschieden sei, ist eine an- dere Frage, deren Beantwortung mir schwierig erscheint. Ich habe diesem Punkte kein specielles Studium gewidmet, ich glaube jedoch, dass die Anwesenheit einer continuirlichen Masse Kitt- 1) Ranvier: Technisches Lehrbuch der Histologie, übersetzt von Nicati und v. Wyss. Leipzig 1877. p. 292. 2) Rollett in Stricker’s Handbuch der Gewebelehre. 3) Orth: Cursus der normalen Histologie. Berlin 1878. 4) V. v. Ebner: Ueber den feimeren Bau der Knochensubstanz. Sitzungsber. der k. Akad. der Wissensch. III. Abth. Juli 1875. p. 33. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 46 704 G. Broesike: substanz unmittelbar um die Knochenhöhlen möglicherweise der einzige Grund für die Darstellbarkeit der Knochenkapseln ist“ und weiterhin nach der Behandlung von lange ausgekochten Schliffen mit verdünnter Salzsäure, ‚es geht vielmehr der glänzende Saum, der die Knochenkörperchen umfasst, unmerklich in die übrige Kittsubstanz über“. Aber nicht allein die Frage der Knochenkapseln, sondern auch die viel fundamentalere Controverse über die Gestalt und das Aussehen der protoplasmatischen Zellkörper des Knochens ist zur Zeit in keiner Weise entschieden. Während z. B. Ranvier (l. e.) kurzweg erklärt, dass „die wirkliche Knochenzelle ohne Membran lediglich aus Protoplasma und Kern bestehe und anfangs rundlich, später dünn, platt und von der Neumann’schen knöchernen Cutieula umgeben sei“, kommt ein anderer Franzose Chevassu!) noch ganz neuerdings an gefärbten Schnitten zu dem allgemeinen Resultat, dass die Knochenkörperchen normaler Weise durch Aus- läufer zusammenhängen und nur bei der Ostitis durch den Verlust dieser Ausläufer das Aussehen von Osteoblasten annehmen. Orth (l. e.) hält die Knochenzellkörper bei jungen Individuen für ein- fach eckig, mit kurzen Zacken versehen: im Uebrigen schliesst er sich anscheinend mit einer gewissen Reserve den Klebs’schen Ansichten an. Ich unterlasse es, weitere Kundgebungen von Forschern ?) über diesen Gegenstand aus neuester Zeit zu eitiren, insofern sie nicht auf besonderen Untersuchungen über diesen Gegenstand beruhen. Die vorstehenden Auseinandersetzungen werden zur Genüge dargethan haben, dass an dieser Stelle auf dem Gebiete der normalen Histologie noch immer eine dunkle Lücke existirt, deren Aufhellung und Ausfüllung mir um so ver- dienstvoller erschien, als diese Lücke an einem so wichtigen Punkte einschneidet. In diesem Sinne sollen meine Untersuchungen zu- gleich eine Ergänzung bilden zu der erwähnten trefflichen Abhand- lung von V. v. Ebner, der sich nur mit der Intercellularsubstanz 1) Chevassu: Archiv de Physiologie 1881. Nr. 2. p. 197. 2) Hierzu gehört z. B. die Ansicht von M. Kassowitz (Die normale Össification ete. Wien 1881 bei Braumüller), welcher auf Grund „genetischer Studien“ annimmt, dass die Knochenlacunen und -Kanälchen jedenfalls „lebendes Gewebe“ einschliessen, ohne dass er sich über die weitere Be- schaffenheit dieses lebenden Gewebes äussert. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 705 des Knochens, allerdings in so eingehender Weise beschäftigt hat, dass der feinere Bau derselben wohl für längere Zeit ein ziemlich abgeschlossen erforschtes, histologisches Terrain bleiben dürfte. Die Nachprüfung der v. Ebner’schen Resultate bildete den Ausgangspunkt meiner Arbeit: da ich fast nur zu Bestätigungen derselben gelangte, sah ich mich nach lange vergeblich aufge- wandter Zeit gezwungen, von der Intercellularsubstanz zu den Kapseln und Zellen des Knochens überzugehen — zwei Punkte, deren Klarstellung v. Ebner noch offen gelassen hatte. Um Missverständnissen betreffs der Terminologie vorzubeugen, bemerke ich, dass ich unter „Knochenkanälen“ stets die Haver- sischen Gefässkanäle, unter „Knochenlacunen“ oder „Knochen- höhlen“ die Räume, in welchen die protoplasmatischen Elemente des Knochens. die sog. Knochenkörperchen gelegen sind, endlich unter „Knochenkanälchen“ die bekannten feinen, hohlen, strahligen Ausläufer der Knochenlacunen verstehe, durch welche die letzteren unter sich und mit den Haversischen Kanälen in Verbindung stehen. Unter dem Ausdruck das „Kanalsystem des Knochens“ fasse ich die Haversischen Kanäle, die Knochenlacunen und die Knochenkanälchen zusammen. Den Ausdruck „Knochenzellen“ werde ich möglichst zu meiden suchen, da man bei demselben zweifelhaft sein kann, ob damit die Knochenlaeunen oder die in denselben gelegenen protoplasmatischen Gebilde gemeint sind. Für die letzteren gebrauche ich die Bezeichnung der „Zellkörper des Knochens“ oder „Knochenkörperchen.“ Schliesslich werde ich schon jetzt anstatt des Ausdrucks „die Knochenkapseln“ mich eines anderen, nämlich „die Grenzscheiden des Knochenkanalsystems“ bedienen. Der terminus „die Knochenkapseln“ präjudieirt, dass dieselben Analoga der Knorpelkapseln, d. h. eine verdichtete Schicht von Intercellularsubstanz vorstellen, während zu den Auf- gaben dieser Arbeit im Gegentheil der Nachweis gehört, dass die sogenannten „Knochenkapseln‘ mit den Knorpelkapseln nicht ver- gleiehbar sind. 706 G. Broesike: Ueber den Nachweis der „Knochenkapseln“ (Rouget, E. Neumann) oder der „Grenzscheiden des Knochenkanalsystems“. Es ist eine auf dem Gebiete mikroskopischer Forschung recht häufige Erscheinung, dass der Streit um irgend eine histologische Frage mit um so grösserem Aufwand von Zeit und Worten geführt wird, je mangelhafter die thatsächlichen Beweise, je unzulänglicher die angewandten Untersuchungsmethoden dem unparteiischen Kri- tiker für die Entscheidung dieser oder jener Ansicht in Wirklich- keit erscheinen mögen. Auch die alte Streitfrage „Knochenkapseln“ oder „Knochenkörperchen“ hat eine Reihe ausgezeichneter Forscher gegen einander ins Feld geführt, welche bei Anwendung ziemlich gleicher Untersuchungsmethoden zu den differentesten Schluss- folgerungen kamen. Das ist, wie ich glaube, in sich Beweis ge- nug, dass eben diese Methoden nicht ausgereicht haben, um jene Frage zu entscheiden und in der That ist meiner Ansicht nach von keinem Forscher, auch nicht von E. Neumann die Existenz der Knochenkapseln in exacter und unwiderleglicher Weise be- wiesen. Was zunächst die von letzterem betonte Behauptung an- betrifft, dass die Behandlung mit so starken Reagentien wie kalte coneentrirte oder sogar kochende HCl oder HNO; alle protoplas- matischen zelligen Elemente nicht isoliren, sondern zerstören müsste, so steht dem die erst später gefundene Thatsache ent- gegen — die ich völlig bestätigen kann — dass durch concentrirte Salz- und Salpetersäure die Knorpelzellen in ihrer Form wohl er- halten und mit deutlichem Kerne isolirt werden können. Weshalb sollten durch dieselben Methoden die Knochenkörperchen nicht auch isolirbar sein? Auch dass sich aus lange macerirten Knochen Drechslerwaaren, ja sogar Sequestern, die bekannten sternförmigen Gebilde von der Form der Knochenlaeunen und ihrer Ausläufer isoliren lassen, ist durchaus kein Beweis gegen die Ansicht, dass diese isolirten Gebilde zellige, protoplasmatische Körper seien. Denn zunächst lassen sich diese sternförmigen Elemente dureh- aus nicht immer aus macerirten Knochen darstellen, ja manchen Autoren ist dies an solchen Objeeten überhaupt nicht gelungen; andererseits muss ich eonstatiren, dass es nicht selten möglich ist, an Schnitten oder auch Isolationspräparaten von macerirten oder sogar lange unter der Erde gelegenen Knochen noch deutliche Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 707 Reste von Blutgefässen, von Blutfarbstoff, ja von eingetrockneten, noch in der Form erhaltenen rothen Blutkörperchen vorzufinden. Wenn aber der Process der Maceration nicht bis zu den letzteren gsedrungen war, weshalb sollten denn nun unter allen Umständen die Zellkörper des Knochens davon zerstört werden, zu denen die Macerationsflüssigkeit durch die engen Knochenkanälchen jedenfalls nur viel langsamer dringen kann? Auch in dem an macerirten Knochen ansitzenden Knorpel findet man die Knorpel- zellen zwar geschrumpft, aber doch deutlich erkennbar vorhanden. Ganz offenbar hängen die Resultate der Maceration nicht allein von der Qualität der Macerationsflüssigkeit, sondern auch von dem Eindringen derselben in alle inneren Kanäle und Kanälchen des Knochens ab. Selbst die künstlichen Trypsinverdauungsversuche von de Burgh-Bireh kann ich nicht als Beweis für das Vor- handensein von Knochenkapseln in dem Sinne der Autoren an- sprechen, seitdem Joh. Burg’) darauf aufmerksam gemacht hat, dass sich durch die Pepsinverdauung die Knorpelzellen wohler- halten isoliren lassen, ja dass ganz allgemein die Intercellular- substanzen dem Verdauungsprocess eher als die Zellen unterliegen — eine Thatsache, die ich wiederum bestätigen kann. Weitere Zweifel an der Beweiskraft der erwähnten Isolationsmethoden muss die Thatsache erwecken, dass einerseits die Widerstands- fähigkeit der Intercellularsubstanz des Knochens gegen die Salz- und Salpetersäure individuell sehr verschieden ist, andererseits nach der Zerstörung derselben die isolirten zellenähnlichen oder zelligen Elemente durch eine weitere Einwirkung der Säuren eben- falls angegriffen, in ihrem Aussehen alterirt und zuletzt selbst destruirt werden. Viele Forscher haben diese Thatsachen bei ihren Untersuchungen völlig ignorirt. Durch ganz dieselbe Con- centration der beiden Säuren ist die Isolation von zellenähnlichen Gebilden, z. B. bei embryonalen Knochen, schon nach wenigen Stunden, bei älteren Knochen bald nach 12, bald nach 24 Stunden, bald nach Tagen vollbracht. Mustert man ferner Stücke desselben Präparates von Zeit zu Zeit in Zwischenräumen, so trifft man an demselben vielleicht anfangs sternförmig verästelte anastomosirende, einige Zeit später nur kurze, zackige oder eckige, etwas bröcklige 1) Joh. Burg: Inauguraldissert. Greifswald 1876. Veränderungen einiger Gewebe und Secrete durch den Magensaft. 708 G. Broesike: und zum Zerfall geneigte Formen, schliesslich nur Producte des Zer- falls, granuläre Detritusmassen. Aber auch die isolirten sternförmig verästelten Elemente selbst zeigen durchaus nieht immer dasselbe Aussehen; manchmal sind sie äusserst zart, blass und völlig durch- sichtig, bald kernlos, ziemlich stark glänzend, bald blass, aber mit einzelnen kernartigen glänzenden Körperchen versehen, bald von weniger glänzendem und mehr granulirtem Aussehen. Indess selbst wenn man a priori die ungerechtfertigte Ansicht für richtig hielte, dass durch die genannten Methoden protoplasmatische Ge- bilde nicht isolirbar wären, so wäre immerhin in letzter Linie noch nicht entschieden, ob die sog. „Knochenkapseln“ nun auch wirklich eine differente Schicht der Intercellularsubstanz oder ob sie vielleicht eine sehr resistente, zurückgebliebene Membran der Knochenzellkörper darstellten. Wie waren nun angesichts der geschilderten Bedenken und Schwierigkeiten die aufgeworfenen Fragen zu lösen? Wenn es mir gelang, einen macerirten Knochen zu finden, dessen Kanäle nachweislich völlig leer waren, wenn es weiterhin möglich war, dieses Kanalsystem mit einer farbigen Masse zu füllen, die durch den nachfolgenden Isolationsprocess nicht zerstört wurde und wenn es dann schliesslich glückte, die farbige Füllungsmasse innerhalb einer farblosen Begrenzungsschicht zu isoliren, welche die Form des Knochenkanalsystems reprodueirte — dann schien mir der wirklich exacte Beweis erbracht zu sein, dass die isolirten Gebilde nicht weiche oder solide Zellkörper, sondern ein hohles Röhren- system repräsentirten, welches durch eine differente Schicht der Intercellularsubstanz gebildet war und das Knochenkanalsystem unmittelbar begrenzte. Der Zufall liess mich in einer alten, menschlichen Tibia, die wohl gegen 200 Jahre in der Erde ge- legen hatte, eines jener seltenen Objeete finden, in welchen das Knochenkanalsystem vollständig leer, aber trotzdem die Grenz- scheiden desselben an den meisten Stellen gut erhalten waren. Dass alle Kanäle, Lacunen und Kanälchen dieses Knochens keiner- lei Reste von organischer Substanz enthielten, davon überzeugte ich mich an Knochenschliffen durch die bekannte Krukenberg'- sche!) Methode des Einschlusses in heissem Canadabalsam, durch die verschiedenartigsten Färbungsmittel an Schliffen, endlich auch 1) Krukenberg: Müller’s Archiv 1849. p. 420. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 709 direct durch eine neue, sogleich zu erörternde Isolationsmethode. Zur Füllung des Kanalsystems fand ich nach mannigfachen Ver- suchen die bekannte Altmann’sche Methode der Oelinjection!) am allergeeignetsten. Feine Schliffe oder Stückchen der erwähn- ten Tibia blieben in dem Oelgemisch (Olivenöl 2 Thle, Aether und Alkohol absol. a& 1 Thl.) ungefähr S Tage liegen, wurden dann erst in Salz- oder Salpetersäure entkalkt und später in Aqua destillata ausgewaschen und ausgewässert. Für die Färbung der Füllungsmasse und des entkalkten Knochens benutzte ich eine Methode, die ich im Allgemeinen schon früher kurz beschrieben habe?). Wenn man nämlich kleinere, etwa Ys bis 1 Cubikcenti- meter starke Stücke entkalkten Knochens zuerst auf 24 Stunden in 1°/ Ueberosmiumsäure, darauf ebenfalls auf 24 Stunden in concentrirte, gesättigte Oxalsäurelösung (1: 15) hineinlegt, so zeigen sich nach der Herausnahme die v. Ebner’schen Knochenfibrillen leicht glänzend und ungefärbt, die zwischen ihnen gelegene Kitt- substanz hellcarmoisinroth, allerlei eiweissartige Körper mehr weniger dunkelcarmoisin oder burgunderroth, wenn sie nicht wie z. B. der Inhalt der Haversischen Kanäle in zu dicker Lage da sind, in welchem Falle sie natürlich ebenso wie das ganze hin- eingelegte Knochenstückchen schwarz erscheinen können. Besteht aber der Inhalt des Knochenkanalsystems aus natürlichem oder künstlich injieirtem Fett, so sieht man ihn überall aus tiefbläu- lichen oder dunkelschwarzen, festgewordenen Massen gebildet; durch die Ueberosmiumsäure werden bekanntlich auch flüssige Fette nicht allein schwarz gefärbt, sondern in feste Körper umge- wandelt. Dagegen sind die Grenzscheiden des gesammten Kanal- systems immer ungefärbt oder zeigen höchstens einen leichten Stich in's Gelbbraune, der indess wohl auch durch anhaftende feinste Partikelchen bedingt sein kann. Allerdings bekommt man diese Scheiden, die „Knochenkapseln“ der Autoren nicht an Schnitten oder Schliffen, sondern nur an Isolationspräparaten zu Gesicht. Wenn man nämlich Stücke von solchen mit Osmium be- handelten Knochen in einem Gemisch von Eisessig, Glycerin und Wasser zu gleichen Theilen auf dem Sandbade kocht, so quillt die Intercellularsubstanz und auch etwaiges Bindegewebe schon 1) Altmann: Arch. für mikrosk. Anatomie Bd. XVI. 1879. 2) Centralbl. für die med. Wissenschaft 1878. Nr. 46. 710 G. Broesike: nach kurzer Zeit, ungefähr einer Viertel- oder halben Stunde und beginnt sich schliesslich allmählich aufzulösen. Es ist nun für das Gelingen der Isolation sehr wichtig, dass man den richtigen Moment abpasst, nämlich den Zeitpunkt, wo sich von den Rändern des hineingelegten Stückchens kleine Fetzen loslösen und das Essigsäuregemisch anfängt, durch die sich lösenden Bestandtheile eine braune Färbung anzunehmen. Nimmt man nun das theil- weis zerkochte Knochenstückchen mit der Pincette heraus und schüttelt es auf einem Objectträger in einen Tropfen Wasser aus, so findet man in letzterem die Grenzscheiden mit eventuellem In- halt oder beim Fehlen der Scheiden lediglich die m dem Kanal- system gelegenen Gebilde in reichlicher Zahl umherschwimmen. Der Einfachheit wegen will ich diese von mir am weitaus besten befundene und im Laufe dieser Untersuchungen so häufig benutzte Art der Isolation kurz als „Osmiummethode*“ bezeichnen. — Die Produkte des Isolationsprocesses stellten sich nun in folgender Weise dar. Die leeren Grenzscheiden der Knochenhöhlen und Knochenkanäl- chen waren manchmal äusserst zarte, manchmal jedoch auch dickwan- digere blasse Gebilde, weiche die sternförmig verästelte anastomosi- rende Form der an lufthaltigen Knochenschliffen siehtbaren Lacunen und Kanälchen genau wiedergaben, jedoch mitunter ebenso schwer wahrzunehmen waren, wie in Wasser entfärbte rothe Blutkörperchen oder wie die feinen protoplasmatischen, fadenartigen Fortsätze ge- wisser niederer Organismen (s. Fig. 1d). Immer aber waren die Contouren derselben von der carmoisinrothen, hier und da noch anhängenden Intercellularsubstanz wie durch Bleifederstift-Zeich- nung scharf abgegrenzt, nirgends sah man sie wie etwa jüngere Knorpelkapseln continuirlich in die umgebende Grundsubstanz über- gehen. Die Grenzscheiden waren ferner von nur wenig biegsamer, fast ganz starrer Beschaffenheit; immer war die Form der durch sie begrenzten Röhren gut wiedergegeben und änderte sich auch nicht erheblich, wenn ein beobachtetes Objeet unter dem Deckglase durch künstliche Strömungen fortgerissen oder gequetscht wurde. Diekwandiger erschienen die Grenzscheiden der Haversischen Kanäle, die zuerst von Kölliker beschrieben worden sind; E. Neumann (l. ce.) hat völlig Recht, wenn er dieselben als „glas- hartartig‘“ und homogen bezeichnet. Nur etwaige, übrigens seltene Faltungen erschienen glänzend. Die Haversischen Kanalscheiden sahen immer getüpfelt aus und diese Tüpfelung rührte von den Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. zıl Eintrittsstellen der Knochenkanälchen her. Interessant ist, dass diese Tüpfelehen im deutlich lamellösen Knochen meistens in pa- rallelen Reihen angeordnet waren, welche sich ebenso wie die v. Ebner’schen Knochenfibrillen spitzwinklig kreuzten, so dass man bei schwachen Vergrösserungen den Eindruck bekam, als wären die Scheiden an ihrer Oberfläche von Knochenfibrillen be- deckt oder beständen aus denselben. Weniger deutlich waren dieselben Tüpfelchen an den Knochenlacunen, wo sie leicht zu der Annahme führen konnten, dass man es mit zerfallenen Kernen oder Kernkörperchen zu thun habe. Dass dem nicht so war, da- von überzeugte ich mich leicht, wenn ich künstlich mit Oel an- gefüllte Grenzscheiden (ohne vorherige Osmiumfärbung) durch Salpetersäure isolirte. Bei einem Druck auf das Deckgläschen sah ich dann aus den Tüpfeln die öligen Tropfen hervorquellen und nach dem gänzlichen oder theilweisen Austritt des Oeles blieben endlich als Rest die blassen Grenzscheiden von dem be- schriebenen Aussehen übrig. Hatte ich dagegen Stücke desselben Knochens nach vorheriger Oelinjeetion mittelst der Osmiummethode behandelt, so fand ich die blassen Grenzscheiden ganz oder theil- weise erfüllt von den schwarzen Inhaltsmassen des durch die Ueberosmiumsäure festgewordenen und gefärbten Oeles. In den Ausläufern waren diese Massen nur in Form von kleinen Punkten, in den Lacunen und Haversischen Kanälen dagegen meistens als nahezu füllender Ausguss vorhanden, welcher in kleinem, aber deutlichem Abstand von den Grenzscheiden umgeben wurde, also durch die Osmiumfärbung und Härtung ein wenig geschrumpft zu sein schien. Diese schwarzen Inhaltsmassen liessen sich durch Druck auf das Deckgläschen aus den Grenzscheiden nicht hervor- pressen, sondern zerbrachen schliesslich bei derartigen Versuchen. Wenn ich ferner Stücke desselben mit Oel injieirten Knochens längere Zeit durch absoluten Alkohol und Aether extrahirte und hierauf mittelst der Osmiummethode behandelte, so konnte ich aus demselben wieder nur leere Scheiden erhalten; war die Alkohol- Aetherextraetion nur eine kurzdauernde gewesen, so war die Fül- lung derselben keine vollständige; wenn ich schliesslich Stückehen von dem entölten Knochen wieder mit Oel füllte, so erhielt ich von Neuem die oben beschriebenen Bilder, wie sie auf den beigegebenen Figuren dargestellt sind. In Figur la ist eine vollständige, mit schwarzgefärbtem, festgewordenem Oel gefüllte 112 G. Broesike: Grenzscheide einer Knochenlaeune abgebildet. Fig. 1b, e und d stellen halbgefüllte Scheiden dar, wie sie sich nach unvollständiger Extraction des Oeles durch Alkohol und Aether sehr häufig finden. Beib wird durch ein kleines rundes Oeltröpfehen ein Kern vorge- täuscht, bei e befindet sich neben einer ziemlich erheblichen Masse von Oel eine kleine helle Vacuole. Durch Fig. d wird das Aussehen einer gänzlich leeren Scheide veranschaulicht. Die Figur 2 stellt schliesslich bei a eine vollständig, bei b dagegen eine fast gar nicht mit Oel gefüllte Scheide eines Haversischen Kanales dar, welcher mit den Scheiden von verschiedenen Knochenlaeunen zu- sammenhängt. Da sich nun diese Bilder aus einem Knochen mit ursprünglich völlig leerem Kanalsystem nicht etwa vereinzelt, son- dern in reichlicher Zahl darstellen liessen, so ist damit meiner Meinung nach der unwiderlegliche Beweis geliefert, dass in der That im Knochen, wie dies Rouget und E. Neumann richtig behaupteten, eine resistentere, wohlcharacteri- sirte Schicht der Grundsubstanz vorhanden ist oder wenigstens vorhanden sein kann, welche die Kanäle, Laceunen und Kanälchen kapselartig oder scheiden- förmig umhüllt und von der übrigen Intercellarsubstanz abgrenzt. Indess ist es nicht leicht, macerirte Knochen zu finden, an welchen, wie an der benutzten alten menschlichen Tibia einerseits das Kanalsystem so völlig leermacerirt, andererseits die Grenzscheiden so gut erhalten sind. Im Verlaufe weiterer Untersuchungen traf ich noch auf ein anderes, sogar frisches und unmacerirtes Object, wel- ches nicht minder gut geeignet war, die Frage der Knochenkap- seln oder Grenzscheiden in bejahendem Sinne zu entscheiden. In sämmtlichen Skelettknochen eines sehr alten Katers fanden sich einmal die Grenzscheiden sehr schön nnd stark entwickelt, ande- rerseits die Knochenkörperchen sämmtlich so vollständig verfettet dass sie eine Art von Fettausguss der Lacunen darstellten. Auch in den Haversischen Kanälen befand sich zum Theil, wahrschein- lich aus der Markhöhle hineingetretenes Fett. Wenn ieh nun Stücke des frischen, unmacerirten Knochens in absoluten Alkohol und Aether legte, so gelang es mir auch hier, das Fett ganz oder zum Theil zu extrahiren und dann ganze Strecken der leeren oder halbgefüllten Scheiden in völligem Zusammenhange zu isoliren. Die Bilder, die ich auf diese Weise erhielt, unterschieden sich in Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 713 Nichts von den eben besprochenen und ich konnte bei diesem auf natürliche Weise mit Fett gefüllten Kaualsystem zu ganz den- selben Resultaten wie mittelst der künstlichen Oelinjeetion ge- langen. Die Ergebnisse der Osmiummethode wurden von mir natürlich mittelst der schon bekannten Isolationsmethoden controlirt, ohne dass ich constatirte, dass die letzteren weder in Bezug auf die Sicherheit des Erfolgs noch auf die Schönheit nnd Deutlichkeit der Bilder der ersteren den Vorrang streitig machen konnten. Die Complieirtheit der Osmiummethode hat wohlgeprüfte Gründe. Als srundlegendes Färbmittel dient zunächst die Ueberosmiumsäure. Die 24stündige folgende Behandlung mit Oxalsäure hat den weiteren Zweck, die gelben und braunen Tinten in ein helleres oder dunke- | leres Roth überzuführen, während das Schwarz der Fette durch dieselbe nicht geändert wird; hierdurch kommen deutlichere und hübschere Farbendifferenzen zu Stande. Zur Isolation der Schei- den und ihres Inhalts benutzte ich die Essigsäure, weil dies die einzige Säure ist, welche beim Kochen die durch Osmium ge- färbte Intercellularsubstanz und die bindegewebigen Theile des Knochens zerstört, ohne an der Färbung der einzelnen übrigen Elemente irgend etwas zu ändern. Späterhin fand ich, dass der Isolationsprocess auch bei dieser Säure durch einen gewissen Zusatz von Glycerin in ganz ähnlicher Weise befördert wird, wie dies seit dem Vorgange von Foerster für die Salpetersäure be- kannt ist. Bei den eben angeführten wie bei den nachfolgenden Untersuchungen hatte ich nicht nöthig, zu Immersionssystemen zu greifen, da ich mit Hartnack Ocular Nr. 3 und Linse Nr. 7 bei ausgezogenem Tubus völlig ausreichte. Dinge, die man durch ge- wisse Methoden bei dieser Vergrösserung mit Deutlichkeit dar- stellen kann, wird wohl Niemand zu den Zweifelhaften rechnen. Ueber die chemische Beschaffenheit der 6Grenzscheiden. Nachdem ich mich somit zur Evidenz von dem Vorhanden- sein der Grenzscheiden bei den genannten Objecten überzeugt hatte, schien es mir weiterhin doch nothwendig, genauere Unter- suchungen über ihre chemische Natur anzustellen. Schon ihre scharfe Abgrenzung von der übrigen Intercellular- substanz und ihre Farblosigkeit nach Anwendung der Osmiummetho- 714 G. Broesike: den hatten in mir gewisse Zweifel erweckt, ob die landläufige Ansicht richtig sei, dass die sogenannten Knochenkapseln oder Grenzscheiden durch eine verdichtete Schicht der Intercellular- substanz gebildet seien. Zur Entscheidung dieser Zweifel prüfte ich eine Reihe der verschiedenartigsten chemischen Substanzen in ihrer Wirksamkeit auf die Grenzscheiden und die übrige Grund- substanz des Knochens. Als Untersuchungsobjeet dienten mir hauptsächlich die Knochen von dem Skelette des ebenerwähnten alten Katers, an welchem es durch die Alkohol-Aetherextraetion der Fette so leicht gelang, die Grenzscheiden rem darzustel- len. Theils kalkhaltige, theils entkalkte Stücke von diesem und von menschlichen Knochen wurden entweder direct verschiedenen Reagentien bis zur Zerstörung der Grundsubstanz ausgesetzt oder nach einer Einwirkung dieser Reagentien wieder ausgewässert und die Wirkung der letzteren auf die Grenzscheiden mittelst der Osmiummethode studirt. Die von mir geprüften chemischen Sub- stanzen lassen sich nun je nach ihrer Wirkungsweise auf die Substanz des Knochens in vier verschiedene Kategorien eintheilen. Die erste Kategorie dieser Reagentien zerstört die Grundsub- stanz des Knochens nach kürzerer oder längerer Einwirkung, je- doch der Art, dass die Grenzscheiden bedeutend später davon an- gegriffen werden als die übrige Intercellularsubstanz, d. h. es ge- lingt durch dieselben die Grenzscheiden zu isoliren. Zu diesen Stoffen gehören vor Allem eine Menge von Säuren, unter ihnen die vielgebrauchte Salz- und Salpetersäure. Was die letzteren beiden Säuren anbetrifft, so habe ich dem oben Gesagten und anderweitig Bekannten nur wenige Dinge hin- zuzufügen, die bis jetzt wenig Beachtung gefunden haben. Dass es ür die Isolirung ziemlich gleich ist, ob man starke oder schwache Lösungen der Säuren anwendet, ist ja bekannt: bei den starken kann man die Isolirung schon nach Stunden, bei den schwächeren und schwächsten erst nach Tagen und Wochen erzielen. Ebenso bekannt ist, dass ein Zusatz von Glycerin den Process der Zer- störung der Intercellularsubstanz des Knochens befördert, weniger bekannt, dass dies deswegen geschieht, weil das Glycerin ganz besonders die Eigenschaft besitzt, die chemischen Producte der Einwirkung der Säuren auf die Intercellularsubstanz grösstentheils aufzulösen. Am besten sieht man dies, wenn man die Intercellular- substanz durch eoncentrirte Salzsäure bis zur breiigen Consistenz Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 715 erweicht hat und dann Glycerin hinzusetzt. Die Grundsubstanz, allein in der Säure untersucht, stellt eine gelbliche dickölige, schwere Flüssigkeit dar, in der einzelne Körnchen suspendirt sind, und man zunächst von Knochenkörperchen oder Grenzscheiden wenig wahrnimmt. Erst bei einem leichten Druck auf das Deck- gläschen sieht man Gebilde von der Form des Knochenkanal- systems, welche manchmal stark glänzende kern- oder kernkör- perchenähnliche Dinge enthalten, aus der öligen Masse herausfah- ren; auf weiteren Druck quellen aus diesen Gebilden hin und wie- der diekflüssige Tropfen heraus, worauf sie plattgedrückt und blass erscheinen. Setzt man nun unter dem Deckgläschen Glycerin hinzu, so kann man deutlich verfolgen, dass die ölige Flüssigkeit, in welche die Grundsubstanz umgewandelt ist, sich mehr und mehr löst, bis nur die erwähnten isolirten Gebilde, d. h. die Grenz- scheiden mit ihrem eventuellen Inhalt übrig bleiben. Die letzteren werden aber unter dem Einfluss des Glycerins schliesslich so blass, dass sie kaum noch wahrzunehmen sind. Setzt man jedoch jetzt noch Wasser hinzu, so fangen sie an, von Neuem wieder sichtbar zu werden. Will man also die Grenzscheiden deutlich wahrnehmen, so thut man bei dieser Isolationsmethode gut, Partikelchen von dem herausgenommenen erweichten Knochen gleich in Wasser und nicht in der glycerinhaltigen oder reinen Säurelösung zu untersuchen, weil man sonst die Scheiden trotz ihrer Existenz möglicherweise gar nicht sieht. Längere Einwirkung der Säuren zerstört zuletzt auch die Grenzscheiden, indem sie blasser werden und körnig zerfallen, und hier wirkt die Salzsäure erheblich viel intensiver als die Sal- petersäure. Aus Knochen, welche 8 Tage in concentrirter HNO; gelegen, konnte ich noch ohne Schwierigkeit die Scheiden isoliren, ebenso dureh Kochen in verdünnter HNO;, während mir die Darstel- lung derselben durch Kochen mittelst verdünnter HCL überhaupt nicht gelang und mittelst concentrirter kalter HCL hineingelegte Knochenstücke schon nach 24 Stunden bis auf einige breiige Reste von granulären Detritusmassen völlig zerstört waren. Ganz ähnlich wie diese beiden Säuren wirkt die Essig- säure, nur dass sie in der Kälte die Intercellularsubstanz selbst bei stärkster Concentration und längerer Einwirkung nicht in so weit alterirt, dass die Grenzscheiden isolirt darzustellen wären. Kocht man dagegen ein Stück entkalkten Knochen etwa 20—30 Minuten in concentrirter Essigsäure (Acid. acet. glaciale), so ge- 716 G. Broesike: lingt die Darstellung bis zu einem gewissen Grade. Nach dem Herausnehmen erscheint das Stück zunächst glasig, durehsichtig blass und zeigt sehr wenig von dem Scheidensystem der Kanäle, weil die Wirkung der Essigsäure das Erkennen derselben optisch zu erschweren scheint. Wenn man nämlich darauf die Säure durch Wasser auslaugt, so wird das ganze betreffende Knochenstückchen zunächst gelb, ausserdem sieht man jedoch um die stärker gelb gefärbte Füllungsmasse umher die Grenzscheiden ziemlich deutlich, ja auch hin und wieder isolirt. Viele der letzteren erscheinen stark gequollen und besonders an den Blutgefässen wie rosenkranz- förmig eingesehnürt. Weniger deutlich ist die Quellung natürlich an den feinen Ausläufern zu sehen. Kocht man mit dem Eisessig noch längere Zeit weiter, so kann sich das hineingelegte Objeet zuletzt in grössere oder kleinere Flocken auflösen, in denen sich nur noch Spuren von Grenzscheiden entdecken lassen, welche zudem sehr blass, manchmal wie rissig oder geplatzt und jeden- falls alterirt erscheinen. Zu hüten hat man sich bei dem Kochen in Eisessig vor einem allzu plötzlichen und starken Erhitzen; die Gasentwieklung erfolgt in diesem Falle so rapide, dass der grösste Theil der Flüssigkeit herausspritzen und das Knochenstückehen in lauter, übrigens äusserst durchsichtige und desshalb kaum sichtbare Fetzen zerrissen werden kann. Viel schöner, deutlicher und schneller vollzieht sich die Darstellung der Scheiden auch ohne vorherige An- wendung der Ueberosmiumsäure, wenn man anstatt der concentrir- ten die verdünnte Essigsäure unter Zusatz von etwas Glycerin an- wendet (am besten Eisessig, Wasser und Glycerin zu gleichen Theilen); wenn man jedoch nicht vorher mit Osmium gefärbt hat, so muss man auch hier wie bei der concentrirten Essigsäure das Präparat nach dem Kochen in Wasser auslaugen, weil sonst die Scheiden zu blass und hell sind, um erkannt werden zu können. Der günstigste Moment ist immer der, in welchem sich von dem grösseren Stücke kleine Fetzen loszulösen beginnen: fischt man die letzteren heraus und zerzupft oder zerschüttelt sie auf dem Ob- jeetträger in einem Wassertropfen, so sieht man noch viel besser, wie bei der Anwendung von HCL oder HNO; die gesuchten Grenz- scheiden. Recht gut gelingt es auch, wie bekannt, durch concen- trirte Natronlauge die Scheiden darzustellen, dagegen nicht durch verdünnte Lösungen desselben Stoffes, worauf ich weiter unten specieller zurückkomme. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 717 Von anderen Substanzen, welche ähnliche aber viel unvoll- kommenere Isolationsresultate geben, nenne ich die Oxalsäure in stärkerer Concentration, die verdünnte Schwefelsäure, welche schon in der Kälte nicht allein die Fürstenberg’schen Zerfalls- produkte, sondern auch die wirklichen Scheiden darstellt, ferner das Kochen in Wasser, welches jedoch beim menschlichen Knochen viel Zeit und Geduld erfordert, während es beim Froseh- knochen schon nach wenigen Stunden den gewünschten Effekt der Zerstörung der Grundsubstanz hervorbringt. Endlich gelingt es recht gut, die Grenzscheiden des Knochenkanalsystems noch durch die künstliche Verdauung zu isoliren. Für die Ver- dauung mittelst Trypsin ist dies wie oben erwähnt, schon von de Burgh-Bireh (l. e.) angegeben und kann ich dessen Angaben bestätigen. Durch die Pepsinverdauung nach Kühne dagegen ist es bis jetzt anscheinend überhaupt nicht gelungen, weder den ent- kalkten Knochen zu zerstören, noch die Grenzscheiden zu isoliren. Die einzigen Angaben über derartige Verdauungsversuche am Knochen finde ich in der unter Budge’s Leitung geschriebenen, obenerwähnten Dissertation von Joh. Burg, welcher „ausser einem Streifigwerden der Präparate nach 100stündigem Liegen in der Verdauungsflüssigkeit keine Veränderung an der Knochensubstanz‘“ fand. Besitzt man indess die Geduld, die Versuche bei Brütofen- wärme unter täglicher Erneuerung der Pepsin-Oxalsäuremischnng längere Zeit auszudehnen, so gelingt es frühestens nach 8 Tagen !) deutliche Veränderungen in der Intercellularsubstanz zu finden, 1) Der hartnäckige Widerstand, den der entkalkte Knochen der künst- lichen Verdauung entgegensetzt, wirft einen gewissen Schatten auf den mikrochemischen Werth dieser Methode. Seit den Versuchen von Kühne hat man sich daran gewöhnt, Alles für Keratin oder Nuclein zu halten, was nach einer „intensiveren“ künstlichen Verdauung als Rest bleibt. Dass diese Ansicht eine irrige ist, zeigt das Verhalten des entkalkten Knochens, das von den oben genannten und vielen anderen Forschern bei ihren Schlüssen gar nicht in Betracht gezogen ist. Nimmt man hinzu, dass nach Moro- schowetz auch Keratin nicht einmal unverdaulich, sondern durch längere und intensivere Verdauung zerstörbar ist und dass nach Hoppe-Seyler das sogenannte Keratin wahrscheinlich aus mehreren chemisch verschiedenen Stoffen besteht, so hat man, wie ich glaube, Grund genug, dieser Unter- suchungsmethode eine grössere Reserve entgegen zu bringen, als dies bisher geschehen ist. 718 G. Broesike: indem die Grenzscheiden (mit ihrer Füllungsmasse) hervorzutre- treten beginnen. Nach mehrwöchentlicher Verdauung (bis zu 6 Wochen) ist die Isolation in sehr prägnanter und hübscher Weise vollendet. Weiterhin fand ich, dass eine zweite Reihe von Stoffen beides, Intercellularsubstanz und Grenzscheiden ziemlich gleich schnell zerstört, so dass es wohl gelingt, mittelst derselben ein hineinge- legtes (natürlich entkalktes) Knochenstück zum Zerfall, aber nieht die Grenzscheiden zur Isolation zu bringen. Hier nenne ich vor allem die concentrirte Schwefelsäure, welche somit ein anderes Verhalten wie in verdünnter Lösung zeigt. Bei direeter Beobachtung unter dem Mikroskop zeigt sich die Wir- kung derselben auf einen Knochenschnitt zunächst in einer starken Aufhellung und leicht gelblichen Färbung. Die Aufhel- lung erstreckt sich indess über alle Elemente des Präparates in ganz gleichmässiger Weise, so dass sich die Zellen mit ihren Scheiden immer weniger von der übrigen Substanz abheben. Nach 24 Stunden sieht man nur noch grössere oder kleinere glänzende Tropfen als Ueberbleibsel der Säurewirkung umherschwimmen. Auch wenn ich ein entkalktes Knochenstückehen in verdünnter Schwefelsäure kochte, war der Effect ziemlich derselbe und die Grenzscheiden zugleich mit dem Zerfall der Grundsubstanz so destruirt, dass sie nur noch um die Haversischen Kanäle undeut- lich sichtbar waren, während sie sich doch in kalter verdünnter H>SO, recht gut hatten isoliren lassen. Dagegen leistete bei diesen schwächeren Lösungen die Füllungsmasse des Kanalsystems ziem- lich gute Widerstand und war vielfach recht deutlich darzu- stellen. Aehnlich wie die H>zSO, scheint in Bezug auf die schliess- liche Zerstörung des Knochens das Eau de Javelle zu wirken, von dem bekannt ist, dass es neuerdings zu corrosiven Zwecken empfohlen worden ist. Bei gewöhnlicher Temperatur zeigt sich eine nennenswerthe Wirkung dieser Substanz nur bei dem über- haupt sehr wenig widerstandsfähigen Froschknochen. Wenn ich jedoch ein Stück des entkalkten Katzenknochens bei Brütofen- wärme etwa 10—14 Tage in derselben liegen liess, so erschien dasselbe nach dem Auswässern in Aqua destillata geschrumpft, sehr biegsam und so wenig consistent, dass es durch einen Finger- druck leiebt zerquetscht werden konnte. Wurde es hierauf mittelst Ueber die feinere Struetur des normalen Knochengewebes u 8) der Osmiummethode behandelt, so liessen sich wohl überall die eventuell vorhandenen (in diesem Falle fettartigen) Inhaltsmassen des Knochenkanalsystems schwarz gefärbt und gut erhalten isoliren, während dagegen die Grenzscheiden nur mit Mühe wahrnehmbar und dann von körnigem und bröckligem Aussehen waren. Es scheint also, als ob durch Eau de Javelle Knochenknorpel und Grenz- scheiden in ziemlich gleicher Zeit zur Zerstörung gebracht würden. In dieselbe Kategorie von Stoffen gehört schliesslich noch das Niekeloxydulammoniak, in welchem entkalkter Knochen auch bei gewöhnlicher Temperatur nach 48 Stunden gelblich und bröcklig wird: die einzelnen Bröckel bestehen :unter dem Mikroskop aus einer grobkörnigen Zerfallsmasse, ohne jede Spur von Grenzscheiden. Eine dritte Art von ehemischen Reagentien üben weder auf die übrige Grundsubstanz noch auf die Scheiden irgend einen er- wähnenswerthen Einfluss aus. Selbst nach viertägiger Einwirkung von coneentrirtem Ammoniak zeigt sich die organische Substanz des Knochens d. h. entkalkter Knochen etwas geschrumpft, eher noch fester und härter. Ebenso indifferent verhält sich die Knochensubstanz gegen Aether und starken oder absoluten Alkohol selbst bei längerem Kochen; auch hier wird sie nur fester und weisslicher, ohne im Uebrigen ihr Aussehen erheblich zu ändern. Legt man ein so behandeltes Präparat aus dem Ammoniak, Alko- hol oder Aether in Wasser hinein, so nimmt es übrigens voll- ständig diejenige Beschaffenheit an, welche es unmittelbar nach dem Entkalken hatte und damit ist der Beweis geliefert, dass die geringen Veränderungen des Objeetes im wesentlichen wohl auf eine wasserentziehende Wirkung der genannten drei Substanzen zurückzuführen sind. Es ist somit völlig überflüssig, wie dies J. Wolff!) gethan hat, ein Gemisch von Salzsäure und Alkohol zu Isolationszwecken zu verwenden: von diesen beiden Reagentien wirkt der Alkohol an und für sich gar nicht und ein Gemisch von Alkohol und irgend einem anderen Stoffe, sei er nun Salzsäure, sei er Wasser, nur dann, wenn der letztere in der Mischung dem ersteren gegenüber erheblich hervortritt. Ganz ähnlich indifferent verhalten sich natürlich noch viele andere Substanzen, deren Er- wähnung überflüssig ist. 1) J. Wolff: Untersuchungen über die Entwickelung des Knochen- gewebes. Leipzig 1875. Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 47 720 G. Broesike: Die vierte und für den Endpunkt dieser Untersuchungen wichtigste Kategorie von chemischen Stoffen zerstört endlich die Grenzscheiden eher als die übrige Intereellular- substanz, indem die letztere in ihrer Beschaffenheit entweder fast ganz unverändert bleibt oder jedenfalls später als die Scheiden angegriffen wird. Hier ist in erster Linie die Kalilauge zu nennen, von der ich finde, dass sie in allen Concentrationen die Grenzscheiden früher als die übrige Grundsubstanz zerstört. Ein Stück mittelst Salpetersäure entkalkten und dann ausgewässerten Knochens wird in gesättigter Kalilösung (50 °/,) schon nach etwa einer Stunde unter leichter Bräunung in eine leimartige Masse umgewandelt; bei schwächeren Lösungen besteht die Wirkung der Kalilauge zuerst mehr in einer Quellung und Aufhellung, welche indess schliesslich nach längerer Zeit auch mit der Zerstörung des Objeetes endet. In keinem Falle gelingt es, von den Grenz- scheiden etwas anderes, als undeutliche Spuren vorzufinden. Hier muss man jedoch beachten, dass das Kali wenn auch nicht die Scheiden, so doch ihre eiweiss- oder fettartiger Füllungsmasse in demselben Maasse deutlich hervortreten lässt, als die Zerstörung der übrigen Grundsubstanz fortschreitet — wie dies ja auch schon Donders (l. e.) bei direeter Beobachtung von Schnitten unter dem Mikroskop ganz richtig fand. Die Zeichnung der Kanälchen wird dagegen in Folge der Quellung der Scheiden und der übrigen Intercellularsubstanz immer undeutlicher. Ist die Zerstörung der letzteren bis zu einem gewissen Punkte vorgeschritten und haben sich vorher in dem Knochenkanalsystem irgend welche zelligen oder sonstigen Elemente befunden, so gelingt es sogar, die letz- teren in mehr oder weniger verändertem Zustande zu isoliren; man darf diese Dinge nicht mit den Scheiden verwechseln und kann sie in der That aus Knochen mit leerem Scheidensystem nie darstellen. In einzelnen Fällen isolirte ich aus solchen Kali- präparaten sehr schöne büschelförmige (Margarin)-Krystalle. Zu ganz denselben Resultaten kam ich, wenn ich solche mindestens 24 Stunden in schwächeren Kalilösungen gelegene, entkalkte oder kalkhaltige Knochenstücke, bei denen die Grundsubstanz noch ein derbes und resistentes Verhalten zeigte, nach erfolgter Auswässe- rung, mittelst HCl, HNO; oder der Osmiummethode behandelte — auch auf diese Weise gelang es mitunter recht gut, den eventuellen Inhalt des Knochenkanalsystems, aber niemals die Grenzscheiden - Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 21 zu isoliren. Ebenso: kann ich die Behauptung von Rouget (s. 0.) bestätigen, dass es gelingt, die isolirten Scheiden nachträglich durch Ka zu zerstören. Dagegen befinde ich mich mit dem Gesagten in einem schein- baren Widerspruch mit E. Neumann, welcher ]. ce. als besonderen Beweis gegen die Zellennatur der von ihm isolirten sternförmigen Gebilde anführt, dass dieselben selbst starken Alkalien und Säuren Widerstand geleistet hätten. Sieht man jedoch seine Arbeit ge- nauer durch, so findet man ebenso wenig bei ihm wie bei irgend einem anderen Forscher die Angabe, dass sich die „Knochenkap- seln“ durch alleinige Behandlung mit Kali darstellen liessen. Neu- mann kocht wohl macerirte Knochen „kurze Zeit“ mit Kalilauge: will er indessen aus solchen gekochten Knochen die Knochen- kapseln darstellen, so muss er wieder zur Behandlung mit Salz- oder Salpetersäure greifen. Nun muss ich aber durchaus leugnen, dass bei einem kurzen Kochen in Kalilauge die letztere Flüssig- keit über die peripherischen Theile hinaus in das Innere des Knochenstückes und hier speciell in alle die feinen Kanälchen die nöthige Zeit hat einzudringen. Dass Flüssigkeiten in dieselben mitunter überhaupt nicht leicht eindringen, dafür spricht ja die von mir schon erwähnte Thatsache, dass ich in einem sehr alten, lange unter der Erde gelegenen Knochen sogar noch deutliche rothe Blutkörperchen fand. Ganz ähnlich wie das Kali wirkt auf die Intercellularsubstanz des Kuochens die Natronlauge, nur dass sich die Wirkung der letzteren, die Quellung und schliessliche Zerstörung der organischen Substanz des Knochens langsamer als bei der Kalilauge voll- zieht. Dagegen zeigt die Natronlauge den Scheiden gegenüber ein sehr verschiedenes Verhalten, je nachdem man stärkere oder schwächere Lösungen dieses Reagens auf ein Präparat einwirken lässt. Diejenigen Forscher, welche, wie z. B. Frey, Natron zu Isolationszwecken benutzt haben, geben die Concentrationen der gebrauchten Solutionen nicht an; wenn sie jedoch mittelst Lösun- gen, welche weniger als 20 bis 30 °%0 Natron enthielten, irgend etwas isolirt haben, so waren dies jedenfalls keine Scheiden, son- dern verfettete Zellkörper oder zellige Reste irgend welcher Art. Je stärker die Natronlauge, desto leichter ist die Isolirung der Grenzscheiden: ein bestimmter Procentsatz lässt sich für ihre Dar- stellung deswegen nicht angeben, weil die Scheiden auch gegen 722 G. Broesike: das Natron eine individuell verschiedene Widerstandsfähigkeit zeigen. Frey bildet jedoch in seinem Handbuch „Das Mikroskop ete.“ deutliche Scheiden mit zum Theil zerfallenem Inhalt ab. Die Isolation gelingt nach meinen Erfahrungen im Laufe von 24 Stunden am besten mit kalter, gesättigter oder stark eoncentrirter Natron- lauge, in welcher sich die isolirten Elemente hinterher noch Tage lang halten, bis auch sie schliesslich dem Untergang anheimfallen. Wesentlich anders wirken aber auf ein Stückehen desselben ent- kalkten oder kalkhaltigen Knochens verdünnte Natronlösungen; dieselben sind in ihrem Verhalten gegen die Grenzscheiden den Kalilösungen vollständig gleich d. h. sie wirken quellend und zer- störend. Wenn es Rouget gelang, die mit Säuren isolirten Scheiden oder, wie er sie nennt, Kapseln durch nachherigen Zu- satz nicht allein von Kali, sondern auch von Natron zu zerstören, so hat er offenbar eine verdünnte Solution unter dem Deckgläschen gehabt und ich kann seinen Befund in diesem Sinne ebensowohl für Na wie vorhin für Ka bestätigen. Diese Thatsache von dem verschiedenen Verhalten der Scheiden gegen schwächere und stärkere Lösungen von Natronlauge könnte sehr befremden, wenn nicht ein Analogon hiervon in den bekannten Veränderungen der rothen Blutkörperchen durch Alkalien existirte: auch hier zer- stören schwache und conserviren die starken Lösungen dieser chemischen Substanzen — allerdings ebensowohl das Kali wie das Natron. Weiterhin fand ich, dass es gelingt, durch längere, mindestens mehrwöchentliche Maceration von kalkhaltigen Knochen bei Brüt- ofenwärme mittelst Sodalösung, schwieriger in Kali earboni- cum, die Grenzscheiden anzugreifen oder sogar zu zerstören. Höhere Wärme befördert den Zerstörungsprocess und die Scheiden sind am sichersten zu Grunde gegangen in denjenigen Fällen, in welchen nach achttägiger Sodamaceration im Brütofen das Knochen- ınark sich in eine weisse, seifenähnliche Masse umgewandelt zeigt, welche die Eigenthümlichkeit hat, sich durch Ueberosmiumsäure nicht im mindesten zu färben. Wenn ich solchergestalt behandelten Knochen entkalkte, auswässerte und darauf die Osmiummethode anwandte, so konnte ich sogar an den Haversischen Kanal- scheiden die verschiedenen Uebergangsstadien zwischen dem Nor- malen, der Quellung und der schliesslichen stückweisen Auflösung zur Ansicht bringen. Auch beim Kochen von entkalktem Knochen Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 723 in Sodalösung war es mir nieht möglich, die Scheiden isolirt dar- zustellen, obschon die Umwandlung der Knochengrundsubstanz in Leim auf diese Weise schon nach einigen Stunden, also ganz er- heblich viel schneller als beim Kochen in Wasser vor sich geht. Andererseits leisteten in einzelnen älteren menschlichen Knochen, welche von den Weichtheilen befreit und dann in Soda gelegt waren, die Scheiden viel hartnäckigeren Widerstand. Am schnell- sten waren sie, obschon vorher darstellbar, aus den Metacarpal- knochen eines etwa dreissigjährigen Individuums verschwunden, welche allerdings mit den Weichtheilen in der Lösung von Natron earbonicum gelegen hatten und deren Mark die erwähnte seifen- artige Beschaffenheit zeigte. Ebensowenig gelang es mir, Grenz- scheiden aus einem Stück des alten Katzenknochens zu isoliren, nachdem dasselbe ungefähr ein Jahr lang in 20 °%, Chlornatrium gelegen hatte — obschon in dem vorigen wie in diesem Falle die Grundsubstanz des Knochens nicht im mindesten gelitten hatte. War dies nun in diesen beiden Fällen alleinige Wirkung der Salze oder eine Folge des gleichzeitig spielenden Processes der Macera- tion durch Fäulniss? Ich muss diese Frage unentschieden lassen, denn auch den letzteren Process muss ich nach meinen Erfahrun- gen als ein Mittel zur Vernichtung der Grenzscheiden bezeichnen. Hiervon konnte ich mich nicht allein experimentell überzeugen, indem ich denselben menschlichen Knochen zuerst frisch und dann nach längerer Maceration in einer faulenden Flüssigkeit unter- suchte — nein, auch die Ergebnisse der Untersuchungen früherer Forscher stehen hiermit bei genauerer Prüfung wohl überall in gutem Einklang, wenngleich einzelne Untersucher, wie z. B. E. Neumann dieser Thatsache zu widersprechen scheinen. Bei einer kritischen Beleuchtung dieser Ergebnisse muss man nur die Faecta berücksichtigen, dass erstens die Grenzscheiden, wie ich späterhin detaillirt auseinandersetze, auch an frischen Knochen durchaus nicht immer und überall vorhanden sind, dass zweitens die bisher geübten Isolationsmethoden eine genaue optische Unterscheidung zwischen den Scheiden und ihrem eventuellen Inhalt, den Knochen- zellkörperchen oder Blutgefässen, nicht möglich machten, dass endlich drittens durch die Fäulnissmaceration Scheiden und Inhalt wohl zerstört werden können, aber nicht nothwendig zerstört werden müssen, je nachdem die macerirende Flüssigkeit beschaffen war, je nachdem die Temperatur und andere Einflüsse eine 724 G. Broesike: schwächere oder stärkere Einwirkung derselben bedingten, je nachdem endlich der Flüssigkeit keine physicalischen Schwierig- keiten zum Eindringen in das Knochenkanalsystem entgegen- standen. Es kann gar kein Zweifel darüber sein, dass der vulgo als „Maceration‘ bezeichnete Fäulnissprocess ein sehr complieirter Vorgang ist, bei dem sich unter der Einwirkung von den ver- schiedenartigsten Pilzen und Bakterien auch die verschiedensten chemischen Stoffe mit sehr variabler Wirkung auf die einzelnen histologischen Elemente des Knochens bilden können. Wieder anders als im Macerationskübel muss dieser Process im fliessenden Wasser oder unter der Erde ausfallen. Jedenfalls möchte ich hier die Thatsache feststellen, dass die gewöhnliche Methode der Maceration bei längerer Einwirkung die Grenzscheiden wohl in den meisten Fällen zerstört, wenngleich sie sich, ebenso wie die Zellkörper des Knochens, auch vielfach noch erhalten vorfinden. Nur auf diese Weise ist der Widerspruch zwischen zwei so ge- wissenhaften Forschern erklärbar, von denen der eine, Virchow, aus macerirten Knochen keinerlei sternförmige Gebilde isoliren konnte, während dies dem anderen, E. Neumann, gelang. Indess gibt auch der letztere Autor zu, mit macerirten Knochen nicht immer zum Ziele gekommen zu sein und er sucht dieses Faetum damit zu erklären, dass dann die organische Substanz überhaupt „destruirt‘‘ gewesen sei — obschon diese Destruction sich äusser- lieh durch Nichts manifestirt zu haben scheint. Aber findet nicht nach der Einwirkung von Natron, Salz- oder Salpetersäure eine zweifellose, höchst energische Destruction der organischen Substanz statt und bleiben nicht trotzdem die „Knochenkapseln‘ bestens erhalten? Schliesslich concedirt Neumann noch weiterhin, dass — anscheinend wieder an macerirten Knochen — in seltenen Fällen die kapselartige Wandung der Knochenzellen wirklich zu fehlen „scheine“. Immerhin muss ich constatiren, dass EE Neumann besonderes Glück gehabt hat, wenn er die Knochenkapseln an macerirten Knochen so häufig fand, dass er ihr Vorkommen ebenso wie an frischen Knochen für die Regel hielt; nach meinen Er- fahrungen sind die Kapseln auch an denjenigen macerirten Knochen, aus welchen sie sich überhaupt darstellen lassen, in geringerer Zabl und meistens stückweise, viel feiner und blasser vorhanden, als an frisch untersuchten Objeeten. Ausserordentlich selten sind dagegen Knochen, an welchen die Grenzscheiden bei vollständiger Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 725 Zerstörung ihres Inhalts sich so schön erhalten zeigten, wie an der von mir oben genannten alten menscklichen Tibia, welche aus der Erde an einer Stelle hervorgegraben wurde, an der sich nach meinen Recherchen höchst wahrscheinlich vor über 200 Jahren ein Kirchhof befunden hatte. Zu welchen Schlüssen berechtigt nun das Verhalten der Schei- den allen den geprüften chemischen Substanzen gegenüber? Sind die Grenzscheiden nach alledem nun nichts weiter als eine dichtere Schicht der Grundsubstanz, ein Analogon der Knorpelkapseln, oder stellen sie nicht blos chemisch, sondern auch physikalisch von der übrigen Intercellularsubstanz verschiedene Wandungen des Knochen- kanalsystems dar? Und wenn die letztere Annahme richtig wäre, in welche Kategorie von chemischen Substanzen müssten dieselben nach dem geschilderten Reactionen eingereiht werden? Das sind die bis jetzt theils streitigen, theils falsch beantworteten, theils un- erledigten Fragen, von denen ich glaube, dass sie durch die eben exponirten, mühsamen und zeitraubenden Untersuchungen endlich eine positive Beantwortung gefunden haben werden. Vor allen Dingen muss angesichts des geschilderten Verhal- tens der Grenzscheiden die alte, zuerst von Rouget aufgestellte, spä- ter von E. Neumann ausführlich vertheidigte Ansicht fallen, dass dieselben nur eine verdichtete Schicht der Intercellularsubstanz, also eine Analogon der Knorpelkapseln bilden. Die blosse That- sache von der Möglichkeit der Isolation der Scheiden gibt zu letz- terem Schlusse ebenso wenig ein Recht, wie andererseits de Burgh- Birch aus ihrer Isolirbarkeit durch die künstliche Trypsinver- dauung in keiner Weise das logische Recht zu der Conclusion her- nehmen konnte, dass dieselben aus einer chemisch differenten Schicht der Grundsubstanz beständen. Durch die alleinige Mög- lichkeit ihrer Isolation wird keine einzige der eben aufgeworfenen Fragen entschieden oder beantwortet: die isolirten Gebilde können ebensowohl deswegen isolirt sein, weil sie sich von der übrigen Knochensubstanz chemisch verschieden verhalten, sowie deswegen, weil sie eine andere physicalische Beschaffenheit haben, d.h. weil sie dichter sind. Nachdem ich jedoch die bisher ganz vernach- lässigte Thatsache festgestellt habe, dass es möglich ist, durch ge- wisse Reagentien die Grenzscheiden weit eher als die übrige Grundsubstanz zu zerstören, ja dass diese Grundsubstanz sich we- nigstens anscheinend völlig normal verhalten kann, wenn die Schei- 726 G. Broesike: den längst verschwunden sind — seitdem kann die Theorie von einer grösseren Dichtigkeit der letzteren nicht mehr haltbar er- scheinen und man ist in der That gezwungen anzunehmen, dass sie von der umgebenden Intercellularsubstanz chemisch verschie- den sein müssen. Denn es erscheint wohl begreiflich, dass eine diehtere Schieht irgend eines Gewebes durch gewisse Mittel schwieriger angegriffen wird, als die übrige Substanz, d. h. dass sie isolirt wird, aber es bliebe völlig unbegreiflich, warum diese diehtere Schicht von gewissen anderen Mitteln schon zu einer - Zeit zerstört werden sollte, zu welcher die übrige weniger diehte Substanz sich noch ganz gut erhalten oder wenigstens in erheblich geringerem Maasse destruirt zeigt. Hier bleibt also nur die Annahme übrig, dass die Grenzscheiden von anderer chemi- scher Beschaffenheit wie die übrige Grundsubstanz sind*und dass sie in Folge dessen auch keine Analoga der Knorpelkapseln dar- stellen; und es wird jetzt gerechtfertigt erscheinen, dass ich die Bezeichnung ‚„Knochenkapseln“ gleich im Eingang dieser Arbeit ganz fallen liess und durch die der „Grenzscheiden“ ersetzte, da der erstere Terminus immer eine Analogie mit den Knorpelkapseln präjudieiren würde. Indess die angeführten Reaetionen berechtigen nicht nur zu diesen allgemeinen, sondern auch zu specielleren Schlüssen über die chemische Natur der Scheiden. Unter den bisher erforschten und einigermassen rein dargestellten Stoffen der physiologisch-chemi- schen Analyse gibt es eine Art, von der sich sagen lässt, dass sie in ganz frappanter Weise mit dem Verhalten der Grenzscheiden übereinstimmen — das sind die Hornstoffe. Unter den letzteren subsumirt Hoppe-Seyler!) das Elastin und das Keratin, besser gesagt die Keratinstoffe, da das Keratin nach seiner Ansicht auch in chemisch reiner Form sehr wahrscheinlich noch „aus einem Gemenge mehrerer Stoffe besteht, deren Trennung noch nicht ge- lungen ist“. Das Elastin zeigt nun jedoch verschiedene Eigen- schaften, welche mit denen der Grenzscheiden so differiren, dass die letzteren aus diesem Stoffe nicht bestehen können. Zunächst sind die Grenzscheideu durch längeres Kochen in concentrirter Essig- säure zerstörbar, das Elastin dagegen in derselben absolut unlös- lich; das Elastin wird ferner durch die Trypsinverdauung leicht 1) Hoppe-Seyler: Handb. der phys.- und path.-chemischen Analyse. 1875. p. 269. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 727 angegriffen, die Scheiden dagegen anscheinend gar nicht; letztere sind schliesslich sehr wenig widerstandsfähig gegen verdünnte Kali- und Natronlauge, während es bei dem Elastin schon starker Concen- tration dieser Reagentien bedarf, um es anzugreifen. Hierzu kommt noch, das ich trotz der vielen hundert angestellten Isolationsversuche niemals an irgend einem isolirten derartigen Gebilde elastische Eigen- schaften entdecken konnte. Die dargestellten Gefäss- oder Zellen- scheiden zeigten sich niemals zusammengeschnurrt, d. h. in ihrem Durchmesser nachweisbar kleiner wie die Hohlräume der Haversi- schen Kanäle oder die Knochenlaeunen an Schnitten oder Schlif- fen desselben Knochens — insoweit es natürlich möglich war, bei der wechselnden Grösse dieser Dinge hierüber durch Vergleichung ein Urtheil zu gewinnen. Wenn ich durch Druck auf das Deck- gläschen in der darunter befindlichen Flüssigkeit Strömung erregte, so zeigte sich wohl, dass von zwei anastomosirenden Scheiden der Knochenlaeunen, von denen die eine festlag, die andere hin und her geschleudert wurde, die verbindenden Ausläufer sich hin und her bogen, aber sich dabei nicht dehnten und dann wieder zurück- schnellten; im Gegentheil rissen sie bei jeder stärkeren Dehnung aus- einander. Ueberhaupt repräsentirten .die Scheiden die Form des Knochenkanalsystems so schön wie irgend ein Hohlausguss: Runze- lungen und Faltungen fanden sich deutlich nur an den Gefäss- scheiden, wenn die letzteren um die Längsaxe gedreht oder ge- kniekt waren. Jedenfalls zeigten sie sich nie in einer Form, dass man ein Recht gehabt hätte, daraus auf elastische Eigenschaften zu schliessen. Dagegen finde ich eine frappante Uebereinstim- mung aller Reactionen zwischen den Grenzscheiden und dem Keratin (dem Horn oder den Hornstoffen im engeren Sinne). Die chemischen Eigenschaften der letzteren charakterisirt Hoppe- Seyler kurz mit folgenden Worten: „Aus Haaren, Nägeln, Horn ete. erhält man“ — d. h. sie werden durch die folgenden Stoffe nieht angegriffen — ‚durch Auskochen mit Aether, Alkohol, Wasser und verdünnten Säuren gereinigt, Körper als Rückstände, welche die Form dieser Gewebe bedingen und die man, obwohl ihre Analysen nicht völlige Uebereinstimmung in der Zusammen- setzung ergeben haben, unter dem Namen Keratin zusammen- fasst... In Essigsäure quellen diese Stoffe mehr auf als, in Wasser, ohne dabei ihre Structur wesentlich zu ändern, in con- centrirter Essigsäure lösen sie sich meist beim Kochen, mit ver- 1728 G. Broesike: dünnter H3SO, gekocht geben sie Leuein ete.“ Weiterhin: „In Aetzkalilauge oder schwieriger in Lösungen kohlensaurer Alkalien quellen sie und lösen sich besonders beim Erhitzen schwerer oder leichter . . .“ Nimmt man zu den eben eitirten Worten, mit welchen ich fast ein Resum& meiner Untersuchungen über die Grenzscheiden geben könnte, die Thatsache hinzu, dass ebensowohl das Keratin wie die Grenzscheiden für Trypsin und Pepsin-Oxalsäure ganz oder nahezu unverdaulich sind, so scheint mir bis zur Evidenz erwiesen, dass die Grenzscheiden aus Keratin bestehen. Aus die- sem Grunde hat man, wie ich glaube, ein Recht, sie auch als „Keratinscheiden des Knochenkanalsystems“ zu bezeichnen. Zum Ueberfluss machte ich noch eine Reihe von Controlver- suchen am menschlichen Nagel in der Art, dass ich Stückchen entkalkten Knochens und vom Nagel auf gleich lange Zeit in alle diejenigen erwähnten Reagentien hineinlegte, welche, wie z. B. Nickel- oxydulammoniak u. a.,, in ihrer Wirkungsweise auf die Keratin- substanzen mir unbekannt waren. Ueberall kam ich immer wieder zu dem Resultat, dass alle diejenigen chemischen Substanzen, welche sich den Grenzscheiden gefährlich erweisen, auch den Nagel entweder mehr weniger angreifen oder ganz zerstören. Umgekehrt waren die indifferenten Reagentien für beide Dinge die gleichen. Ganz besonders frappant zeigte sich diese chemische Uebereinstimmung zwischen Scheiden- und Nagelsubstanz gegen- über der Kali- und Natronlauge. Ich habe vorhin angeführt, dass die Intercellularsubstanz des Knochens von diesen beiden Rea- gentien, je nach der Concentration früher oder später, jedoch im Uebrigen in ziemlich gleichmässiger Weise zerstört wird. Dagegen greift die Kalilauge in allen Concentrationen und die Natronlauge gerade im verdünnten Zustande die Grenzscheiden sehr schnell an; concentrirter Natronlauge widerstehen sie dagegen merkwürdig lange. Und auch beim Nagel fand ich die interessante Thatsache, dass sich derselbe nach 24stündiger Einwirkung von gesättigter, 40 %/,, 30%, 15 °/o oder 5 °%/, enthaltender Kalilauge so vollständig gequollen und erweicht zeigt, dass seine Consistenz höchstens noch der des Glaskörpers gleicht. Ganz denselben Effeet erzielt man schon im Laufe von 24 Stunden mit verdünnter Natronlauge bis etwa zu 15 bis 25°, hinauf, während dagegen durch stärkere Natronlösungen der Nagel immer weniger angegriffen wird und sich beispielsweise in einer gesättigten Solution dieser Substanz Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 729 nach 24 Stunden überhaupt nicht nachweisbar verändert zeigt !). Erst durch tagelange Einwirkung von starken Natronlösungen ent- stehen ähnliche Wirkungen, wie sie verdünnte Lauge schon in 12 bis 24 Stunden zu Stande bringt. In gesättigter Natronlösung fand ich beispielsweise noch nach 8 Tagen ein hineingelegtes Nagel- stückehen der Form und Consistenz nach völlig erhalten vor. — Das Faetum „Keratin im Knochen‘ mag für den ersten Eindruck paradox erscheinen. Indess pflegen neue naturwissenschaftliche Thatsachen nur so lange paradox zu klingen, als man an denselben keinen Causalnexus mit schon bekannten Dingen auffinden oder ihnen einen physiologischen Zweck unterlegen kann und ich ge- denke in Nachfolgendem zu zeigen, dass die Grenzscheiden eine hohe physiologische Bedeutung beanspruchen dürfen. Schliesslich ist ihr Vorhandensein an und für sich in Nichts wunderbarer als jene andere schon von früheren Untersuchern gefundene Thatsache, dass sich in dem starren Knochengewebe elastische Fasernetze vorfinden — ein Factum, das ich im Laufe meiner Untersuchungen mannigfach zu bestätigen Gelegenheit hatte ?). Ueber das Vorkommen und die physiologische Bedeutung der Keratinscheiden und die Beschaffenheit der Zellkörper des Knochens. Die bis jetzt geschilderten Untersuchungen haben sich mit der Nachweisbarkeit und der chemischen Natur der Grenzscheiden des Knochenkanalsystems an einzelnen besonders günstigen Unter- suchungsobjecten beschäftigt; es lage nahe, weitere Forschungen “über die Frage anzustellen, ob sich diese eigenthümlichen Scheiden nun auch — wie E. Neumann will — in jedem menschlichen 1) Dieses eigenthümliche Verhalten der Horngebilde, besser gesagt der Keratinsubstanzen, scheint mir bis jetzt bei histologischen diesbezüglichen Untersuchungen nicht gewürdigt zu sein. Nach dem Gesagten würde es zu den wichtigen Keratinreactionen gehören, wenn ein mikrochemisch zweifel- haftes Element sich nach mehrstündiger Einwirkung von Kalilauge völlig zerstört, dagegen gegen gesättigte Natronlösung in derselben Zeit völlig resistent gezeigt hat. 2) Das Wesentlichste der bis jetzt gewonnenen Untersuchungsresultate habe ich schon im Jahre 1880 auf der Naturforscherversammlung in Danzig mitgetheilt. 730 G. Broesike: Knochen vorfinden oder ob ihr Vorkommen geknüpft ist an be- sondere Bedingungen der Lokalität, des Alters oder anderer Um- stände. Die Untersuchungen über diese Frage gaben mir zugleich vollen Aufschluss betreffs einer anderen, viel wichtigeren Contro- verse, von der ich in der Einleitung gezeigt habe, dass sie trotz ihrer fundamentalen Bedeutung noch immer zu den dunklen Punkten der Histologie gehört — nämlich über die Frage nach der Gestalt und Natur der Knochenkörperchen, d. h. also der protoplasmatischen Zellkörper des Knochens und ihrer respectiven Umwandlungs- produkte. Die von mir untersuchten Objeete waren eine Reihe menschlicher Knochen von Individuen in den verschiedensten Lebensaltern, Embryonen, Kindern in den ersten Lebensmonaten, in dem Alter von 5 bis 10 Jahren, endlich in allen möglichen übrigen Altersstufen bis hinauf zu einigen hundertjährigen Per- sonen, deren Skelette sich als Raritäten in der Sammlung des kgl. anatomischen Museums zu Berlin befinden. Die Stellen, welehe ich für die Reihe aller Objeete zunächst völlig gleich auswählte, warens erstens die Mitte der Tibia, ferner ein Stück des Scheitel- beins, endlich die Knorpelknochengrenze des Intermediärknorpels des Femurkopfes und zwar untersuchte ich bei der Tibia und dem Schädel stets die äusseren, mittleren und inneren Schichten des Knochens gesondert. Weiterhin untersuchte ich dann auch andere Stellen an anderen Knochen, bei denen ich jedoch nicht zu Resultaten kam, welche mit den bis dahin gewonnenen Anschauun- gen im Widerspruch gestanden oder eine Erweiterung derselben ergeben hätten. Die betreffenden Knochenstücke wurden den Cadavern stets möglichst frisch entnommen, dann nach gehöriger Reinigung von den anhängenden Weichtheilen in schwache Ya bis lprocentige Chromsäure gelegt und nach vielleicht achttägigem Aufenthalt in derselben meistens in schwacher Salpetersäure von denjenigen Concentrationen entkalkt, welche man auch zur Con- servirung von embryonalen Geweben neuerdings empfohlen hat. Dieses Verfahren sollte zunächst eine Garantie dafür geben, dass die Form und sonstige Beschaffenheit der Knochenkörperchen eine möglichst unveränderte bliebe: indess war diese Vorsicht unnöthig, da ich späterhin fand, dass die Knochenzellkörper auch durch er- heblich viel stärkere Concentrationen von Salpeter- oder Salzsäure weder in der äusseren Form erheblich leiden, noch in Bezug auf ihre Consistenz leicht angegriffen werden und es war gleichgültig, ob x ee ee re ee ee ee Me nn Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 731 ich eine drei- oder zehnprocentige Säure zum Entkalken anwandte. Die entkalkten Knochen wurden hierauf von mir mittelst der oben beschriebenen Osmiummethode behandelt und die Resultate dieser Behandlung nur hin und wieder durch andere Isolationsmethoden eontrolirt. Ich recapitulire hier kurz, dass durch das erstere Verfahren, also die Osmiummethode, nicht allein die Grenzscheiden, sondern auch — allgemein gesagt — ihre fett- oder eiweissartige Füllungs- masse, sei es, dass sie aus wirklichen Zellen oder amorphen Fetten, sei es, dass sie aus Blut oder Serum besteht, in ausgezeichneter Weise zu isoliren ist. Die Grenzscheiden waren an solchergestalt behandelten Präparaten wie immer als blasse Contouren von der Form der von ihnen umschlossenen Kanäle sichtbar, während die Füllungsmasse eine tintenschwarze Färbung in verschiedenen Niiancen zeigte, wenn sie aus fettartigen — dagegen ein heller oder dunkler rothbraunes oder burgunderrothes Colorit, wenn sie aus eiweissartigen Bestandtheilen gebildet war. Die bindegewebigen Theile der Haversischen Kanäle zeigten sich ebensowohl wie die ossein- und fibrillenhaltige Intercellularsubstanz durch das Ver- fahren stets mehr weniger zerstört, entweder weich, gequollen, durchsichtig oder zerfallen und aufgelöst, Die Erkennung der Keratinscheiden, besser gesagt ihre Unterscheidung von ihrer Fiüllungsmasse hatte nur dann Schwierigkeiten, wenn die letztere die ersteren prall anfüllte; dies war jedoch bei den Knochenzellen nur dann der Fall, wenn die Füllungsmasse aus Fett bestand, wie aus ihrer schwarzen, tintenartigen Färbung hervorging. Um etwaige Zweifel über die Deutung vieler Präparate völlig zu ver- scheuchen, musste ich im Anfang, wo ich weniger geübt in der Unterscheidung der einzelnen histologischen Elemente war, bei manchen Knochen zu dem Mittel greifen, dieselben vor der Osmium- behandlung erst mehrere Wochen in absolutem Alkohol und dann ebenso lange in Aether liegen zu lassen, um die Fette zu extrahiren. Nach der Extraction des Fettes erschienen an solehen Objeeten die Grenzscheiden immer sehr deutlich — völlig leer, wenn sie vorher ganz durch Fett, nur zum Theil gefüllt dagegen, wenn sie ausser dem Fett noch durch andere, gewöhnlich geschrumpfte Be- standtheile eingenommen worden waren. Waren diese Bestand- theile rein protoplasmatischer oder wenigstens eiweissartiger Natur, so zeigten sie sich jedenfalls durch die Behandlung mit den ent- 732 G. Broesike: kalkenden und färbenden Reagentien immer von der festen Hohl- form der Grenzscheiden in dem Grade retrahirt, dass die letzteren durch eine deutliche Lücke von ihrem Inhalt getrennt waren und denselben in einem gewissen Abstande als blasse Contouren um- gaben. Natürlich waren die Scheiden dann um so leichter zu er- kennen und jede Verwechslung zwischen ihnen und einem Rand- blendungsphänomen war absolut auszuschliessen. Dagegen erregten die Keratinscheiden der Haversischen Kanäle in dieser Beziehung Zweifel, wenn sie, wie es meistens vorkam, mit dem durch Osmium braunschwarz gefärbten Blute gefüllt waren. Die Füllung war hier in der Regel eine so pralle, dass man ungewiss darüber bleiben musste, ob der feine glänzende Saum, welcher einen solchen braun- schwarz gefärbten Gefässbaum zu beiden Seiten begrenzte, einer Grenzscheide oder einer Randblendung entsprach. Will man die Scheiden der Blutgefässe auch an frischen Knochen unter allen Umständen deutlich erkennen, so empfiehlt es sich deswegen stets, das Objeet vor der Osmiumbehandlung mit 1°), Chlornatriumlösung auszulaugen oder noch besser auszuspritzen. Allerdings findet man nicht selten auch ohne diese Cautelen Stellen, wo die Gefässfüllung eine schwächere ist und die sehr charakteristischen glashellen und structurlosen, nur mit den feinen Tüpfeln der Eintrittsstellen der Knochenkanälcken versehenen Grenzscheiden der Blutkanäle sicht- bar sind. Die Resultate der auf diese Weise geführten Untersuchungen will ich nicht für jedes einzelne Präparat in detaillirter Weise, sondern in mehr allgemeiner Form wiedergeben. Was zunächst das Verhalten des embryonalen Knochens anbetrifft, über welches ich mich an Embryonen vom 6. Monat an informirte, so muss ich hier zunächst gegenüber E. Neumann vollständig in Abrede stellen, dass die Keratinscheiden, sei es an Blutgefässen, sei es an Knochenlacunen oder Kanälchen, nachweisbar sind. Bekanntlich hat schon Rouget die Abwesenheit der „Knochenkapseln“ an embryonalen Knochen behauptet: er schloss dies allerdings aus der irrigen Thatsache, dass er aus den letzteren keine sternförmig verästelten, sondern nur kurzzackige Gebilde isoliren konnte. Wenn ich nun solehen Embryonalknochen für's Erste an Schnitten untersuchte, welche durch Osmium- und Oxalsäure gefärbt waren und an denen ich die störenden Markinseln herausgepinselt hatte, so konnte ich in den Knochenlacunen überall die dunkel braun- Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 733 rothen Zellkörper eonstatiren. Dass die letzteren in die Knochen- kanälchen Ausläufer hineinerstreekten, war nicht überall und immer nur schwierig zu constatiren — ich erkläre mir dies dadurch, dass für’s erste die Ausläufer doch immerhin nur in beschränkter Zahl abgehen, so dass man unter sehr vielen möglichen Schnitten immer nur relativ wenige haben wird, an denen die Ausläufer gut ge- troffen sind; für’s zweite sind sie in einer Grundsubstanz von ziemlich gleichem Liehtbreehungsvermögen wegen ihrer Feinheit selbst gefärbt nicht leicht wahrzunehmen. Immer aber konnte ich gut unterscheiden, dass wenigstens bei der angegebenen Behand- lungsmethode die in den Knochenlacunen oder wenn man will Knochenzellen gelegenen protoplasmatischen Körper von der Wand so weit retrahirt waren, dass man eine deutliche helle Lücke zwischen der Intercellularsubstanz und den Zellkörpern erkannte. Wären nun an den Wänden der Knochenlacunen Grenzscheiden vorhanden gewesen, so würden dieselben auch an diesen embryo- nalen Knochen ebenso wie an anderen Präparaten nach der Isola- tion in einem deutlichen Abstande das Knochenkörperchen umgeben haben. Dies war indessen nicht der Fall. Wenn ich die ge- musterten Schnitte oder die Knochenstückchen, von denen sie her- rührten, mittelst der Osmiummethode behandelte, so gelang es mir stets in grosser Zahl meist rundliche, selten längliche, einfach sternförmig verästelte oder sogar anastomosirende, rothbraun ge- färbte Zellkörper darzustellen, wie sie in den Figuren 3a, b, c, d abgebildet sind. An diesen zelligen Elementen war vielfach ein Kern deutlich constatirbar, wie z. B. in Figur 3d, vielfach jedoch nicht zu entdecken: diese mangelnde oder schlechte Sichtbarkeit eines Kernes bei den Knochenkörperchen ist, wie ich glaube, weniger durch die angewandte dunkle Färbung, als durch einen frühzeitigen Kernschwund zu erklären. Denn bei anderen zelligen Elementen, wie z. B. den kernhaltigen rothen Blutkörperchen, ist bei derselben Behandlung ein Kern noch ganz gut wahrzunehmen. Da sich weder die Knochenkörperchen nach ihrem Einschluss in die Grundsubstanz durch Theilung vermehren, noch ihre Er- haltung irgendwie nothwendig ist — wie ich weiterhin erörtere —, so geht anscheinend der Kern früh zu Grunde. Anstatt seiner sieht man manchmal in der Zelle einzelne dunklere Punkte — ohne dass ich übrigens behaupten möchte, dass die letzteren aus dem Zerfall des ersteren hervorgegangen wären. Von den Grenz- 734 G. Broesike: scheiden oder „Knochenkapseln“ im Sinne von Rouget und Neu- mann war dagegen nirgends etwas zu sehen, auch dann nicht, wenn die Alkohol-Aetherbehandlung auf die Zellkörper noch stärker schrumpfend eingewirkt hatte. Auch eine Zellmembran konnte ich nicht mit Sicherheit nachweisen. Der helle Saum, welcher das gefärbte Knochenkörperchen begrenzte, war zwar vielfach zu wenig glänzend und zu breit, als dass er nicht den Eindruck einer Membran gemacht hätte. Andere Bilder zeigten dagegen die Zell- körper in den Scheiden eigenthümlich verzogen und so unregel- mässige Figuren bildend, dass man die Vorstellung gewann, dass hier ein einfaches membranloses Protoplasmaklümpehen eben in Folge des Mangels einer festen Hülle durch Schrumpfung diese eigenthümlichen Formen angenommen hatte. In einzelnen Fällen schienen sich in dem Zellenleib kleine Vacuolen zu befinden, die vielleicht dadurch zu erklären sind, dass gewisse Bestandtheile innerhalb des Protoplasmas durch die entkalkenden Säuren gelöst worden waren oder vielleicht dadurch, dass das membranlose Protoplasma sich wandständig angelagert und auf diese Weise mehr in der Mitte einen anderweitig gefüllten Raum gebildet hatte. Nachdem ich mich auf diese Weise davon überzeugt hatte, dass ich im embryönalen Knochen das sternförmige Knochen- körperchen von Virchow, Hoppe und Kölliker in reinster Form vor mir hatte, suchte ich die bis jetzt bekannten Methoden der Isolation durch Salz- und Salpetersäure, sowie einzelne andere Reagentien in ihrer Wirkung auf diese Körper in derselben Weise zu prüfen, wie ich dies für die Keratinscheiden vorher gethan hatte. Ich fand, dass die Knochenkörperchen in ihrem Verhalten gegen verschiedene sehr eingreifende Reagentien grosse Aehnlich- keit mit den Knorpelzellen zeigen: sie sind selbst durch starke Salz- und Salpetersäure, ferner sehr schön durch Kochen in starker Essigsäure, endlich durch die künstliche Pepsinverdauung!) mit ihren Ausläufern isolirt darzustellen. Bei der Einwirkung der beiden erstgenannten Säuren wird zuerst die Intercellularsubstanz, dann die Ausläufer und schliesslich der Leib der Knochenkörperchen bröcklig. Je nachdem man nun in diesem oder jenem Stadium der Einwirkung untersucht, erhält man bald sternförmige, bald 1) Die Isolirbarkeit der Knorpelzellen durch die künstliche Pepsin- verdauung hat Joh. Burg (l. ce.) richtig betont. SI >» © [Sı 1 Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. nur kurz gezackte, bald gar keine isolirten Zellgebilde und so mag es sich erklären, dass Rouget bei Embryonen, Aeby (l. e.) an der Ossificationsgrenze junger Knochen mittelst dieser Methoden nur gezackte oder eckige Gebilde mit kurzen Ausläufern isoliren konnte. Uebrigens überwiegen schon bei älteren Embryonen und in geringer Entfernung von den eigentlichen Ossificationsstellen die letzteren Formen über die ersteren mitunter ganz bedeutend, wie ich weiterhin auseinandersetzen werde, so dass diesen :beiden Forschern vielleicht in der That zufälligerweise nur die von ihnen beschriebenen Elemente vorgelegen haben. Dagegen zeigen sich die Knochenkörperchen gegen Kali und Natron in allen Concentra- tionen sehr wenig widerstandsfähig und wenn es bei älteren In- dividuen gelingt, durch diese Substanzen einen gewissen festen Inhalt der Knochenzelle mit oder ohne Keratinscheiden zu isoliren, so ist dieser Inhalt wohl meistens fettartiger Natur, wie ich im Nachfolgenden noch genauer ausführen werde. Was nun die solcher- gestalt isolirten, wirklichen (protoplasmatischen) Zellkörper des Knochens anbetrifft, so sind dieselben vor allen Dingen durch ihren Glanz ausgezeichnet, der auch in geringerem Grade ihren Ausläufern zukommt und sind hierdurch von den leeren, so ausser- ordentlich blassen @renzscheiden der Knochenlaeunen ohne weiteres zu unterscheiden. Die mit Fett angefüllten, ungefärbten Keratin- scheiden können dagegen eher mit den eigentlichen protoplasma- tischen Zellkörpern verwechselt werden, wenngleich die letzteren wegen ihrer Schrumpfung immer erheblich kleiner erscheinen wie die ‚ersteren — wie dies auch in Figur 3a und b und in Figur 4 ce und d ganz richtig von dem Zeichner wiedergegeben ist. Aus den eben exponirten Gründen findet auch E. Neumann (l. e.) an macerirten Knochen die isolirten „Knochenkapseln“ weniger glänzend als an frischen, was er fälschlich auf eine ge- wisse Veränderung der Intercellularsubstanz der ersteren bezieht, während wahrscheinlich an den macerirten die Zellkörper zerstört, an den frischen natürlich erhalten gewesen sind. Es gelang mir nämlich zwar auch, aus macerirten fötalen Knochen noch Knochen- körperchen zu isoliren, jedoch muss ich als den regulären Zustand bezeichnen, dass sie ebenso wie die Keratinscheiden durch die Fäulniss bei einiger Intensität vernichtet werden, ja dass sie sogar im Ganzen noch weniger widerstandsfähig gegen dieselbe er- scheinen. Endlich sah ich dieselben sternförmigen Körper auch Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd, 21. 48 736 G. Broesike: beim erwachsenen Frosch ohne umgebende Keratinscheiden überall durch Ausläufer zusammenhängen. Für die Tritonen hat Joseph (l. e.) Aehnliches behauptet und somit scheint es mir, dass bei gewissen niederen Wirbelthieren das Vorhandensein von dergleichen sternförmigen, mit einander anastomosirenden Elementen als die Regel angesehen werden kann. Jedoch habe ich weitere Unter- suchungen hierüber nicht angestellt. Sehon bei älteren Embryonen, in noch grösserer Menge bei Kindern in den ersten Lebensmonaten fanden sich dagegen nach der Osmiumbehandlung neben den sternförmig verästelten Zell- körpern ähnliche vor, welche indess ihre Ausläufer insoweit ver- loren hatten, dass sie die schon erwähnte bald mehr eckige, bald kurzgezackte rundliche oder Spindelform repräsentirten (s. Figur 3 e, f und g). Ja selbst die kurzen Zacken konnten hier fehlen (s. Figur 3i und h). Die letzteren Formen überwogen an vielen Stellen z. B. am Schädel des Neugeborenen sehr erheblich über die erstere, welche jedoch auch hier nirgend fehlte. Im Uebrigen fanden sich die zahlreichen Uebergänge zwischen der Stern- und der Spindelform in Gestalt von den mannigfachsten unregelmässigen polygonalen und rundlichen Figuren. Hierbei ist zu bemerken, dass die Zellen in dem Maasse, als sie sich durch Verlust ihrer Ausläufer der rundlichen und Spindelgestalt näherten, um so mehr an Volumen abnahmen, dass also die Sternform die grössten Exemplare lieferte (s. Fig. 3). Endlich fanden sich bei Kindern in den ersten Lebensmonaten in den älteren Knochenschichten des Schädels und der Tibia schon die ersten Spuren einer Bildung von Keratinscheiden an den Knochenlaeunen vor: dieselben waren jedoch so ausserordentlich selten, fein und zart, dass es zu ihrer Erkennung jener Uebung bedurfte, die ich mir im Laufe dieser Untersuchungen im Sehen dieser Dinge angeeignet hatte. Die Zellkörper, welche von diesen Anfängen der Scheiden in einem deutlichen Abstand umgeben waren, waren immer nur kurzzackig oder spindelförmig und mitunter so klein, dass sie, wenn auch nicht der Form, so doch dem Volumen nach fast wie grosse Kerne innerhalb der Scheiden zu stecken schienen. Niemals jedoch sendeten sie Ausläufer in die Scheidenfortsätze der Knochen- kanälchen hinein (s. Fig. 3m, 1,k). Wie die Knochenkörperchen, so konnte ich hier auch den Inhalt der mit Blut gefüllten Knochen- gefässe, an welchem vielfach deutliche Blutkörperchen zu erkennen | Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 73 waren, in Form von anastomosirenden oder einfach baumförmigen Verzweigungen isoliren, ohne dass es mir jedoch je gelang, um dieselben herum Grenzscheiden wahrzunehmen. Endlich will ich noch erwähnen, dass ich bei einem älteren Embryo in der Spongiosa des Femurkopfes eine eircumseripte Stelle traf, wo die Knochenlacunen mit schwarz gefärbten, also fettigen Massen völlig vollgestopft waren. Das Bild war auch in Bezug auf die mangelnde Deutlichkeit der Ausläufer ein Ähnliches, wie es Fig. 4 1 und m darstellt. Hier schienen die Knochen- körperchen aus unbekannten Gründen ausnahmsweise eine präma- ture Verfettung eingegangen zu sein. Keratinscheiden konnte ich um diese verfetteten Knochenzellkörper nicht wahrnehmen. An Kindern in dem Alter bis etwa zu 10 Jahren fand sich in den äusseren Schichten der Tibia und des Schädels fast ganz dasselbe Bild, wie ich es bei Kindern in den ersten Lebensmonaten ziemlich durchweg gefunden und beschrieben habe, nämlich stern- förmige Knochenkörperehen mit Ausläufern und undeutlichem Kern, seltener sich mehr der rundlichen oder Spindelform nähernde, meist zackige Elemente, um welche hin und wieder sehr schwache und zarte, offenbar in der Bildung begriffene Keratinscheiden sichtbar waren. Dagegen dominirten in den inneren, also älteren Knochen- schiehten die spindel- und kurzgezackten Formen ganz bedeutend über die sternförmig verästelten,; die Grenzscheiden waren nie- mals um die letzteren, dagegen sehr deutlich um die ersteren Elemente, hin und wieder auch um die kleineren Blutgefässe in schwacher Weise entwickelt zu constatiren. Weniger an der Tibia, dagegen häufiger .an den inneren Schichten des Schädels fand ich neben diesen Dingen auch verfettete, durch Osmium tiefschwarz gefärbte Massen in den Grenzscheiden der Knochenzellen stecken und auch die kleinsten Blutgefässe mit deutlicheren Scheiden ver- sehen. In der Spongiosa der Knorpelknochengrenze, in der man ja zu dieser Zeit eine lebhafte An- und Umbildung von Knochen- substanz annehmen muss, fanden sich dagegen die Scheiden nur in Spuren vor, im übrigen alle Uebergänge von der Sternform mit langen Ausläufern bis zu den spitzen, glatten Spindeln. Ganz dieselben Elemente konnte ich auch aus der Knorpel- knochengrenze von Personen im Alter von ungefähr 20 Jahren darstellen. In der Tibia und dem Schädel fanden sieh hier auch ganz Ähnliche Verhältnisse wie vorhin — in den jüngeren Schichten 738 G. Broesike: überwiegend die geschilderten scheidenlosen Zellformen, daneben Jedoch auch die degenerativen verfetteten Elemente mit Keratin- scheiden in geringer Zahl. Hierbei muss ich jedoch bemerken, dass ich zu den Isolationen doch immerhin Knochenstückchen nehmen musste, welche mehrere Millimeter Dieke hatten, dass also die innerste Schicht derselben jedenfalls schon vor längerer Zeit apponirt worden war. In den älteren, also den centralen Schiehten der beiden Knochen überwogen dagegen die degenerativen Elemente bedeutend; ebenso war die Keratinscheidenbildung überall, auch in den Haversischen Kanälen in guter Entwickelung. Hier fiel mir zuerst auf, dass die Knochenkörperchen in der unmittelbaren Nähe der Blutgefässe vielfach selbst dann die scheidenlose Stern- bis Spindelform repräsentirten, wenn ihre etwas entlegeneren Nach- barn schon durch Scheiden ausgezeichnet oder sogar verfettet waren. Schon hier, besser noch bei älteren Individuen konnte ich ferner an ganzen Stücken nur theilweise zerkochter Intercellular- substanz wahrnehmen, dass sich gewisse Formen der beschriebenen Zellkörper und gewisse Stadien der Scheidenentwickelung häufig auf bestimmte Abschnitte des Gesichtsfeldes beschränkten. In den Knochen von älteren Personen im Alter von 30—40 Jahren konnte ich wirklich protoplasmatische Knochenkörperchen nur spärlich und meist in der Nähe der Haversischen Kanäle vor- finden, während dagegen die degenerativen Metamorphosen in gut entwickelten Keratinscheiden fast den ganzen Befund bildeten. Indess war die Degeneration hier schon wieder in ein weiteres Stadium vorgeschritten. Neben solehen mit schwarzen Fettmassen vollgestopften Grenzscheiden sah ich solche, die nur ein krümliches Material enthielten, welches merkwürdigerweise durch die Ueber- osmiumsäure nur schwach oder gar nicht gefärbt wurde, also gar nicht eigentlich fettiger Natur zu sein schien (s. Fig. 4e und ff). Diese Krümel lagen in den mannigfaltigsten Formen innerhalb der Scheiden, die ich wohl überall sehr deutlich kenntlich fand. Da- neben fanden sich endlich in beschränkter Zahl Zellenscheiden mit nur wenigen punktförmigen Partikelehen oder in vollständig leerem Zustande vor. Solche Bilder stellt die Fig. 4 g und h dar. In anderen Keratinscheiden schienen sich der rothbraunen Färbung nach (s. Fig. 4i und k) noch Reste von eiweissartigen Körpern, vielleicht Serum in geringer oder auch mehr füllender Menge zu befinden. Die Blutgefässscheiden waren fast überall in relativ Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 739 beträchtlicher Dieke, nicht allein um die Capillaren, sondern auch schon um die kleinsten Arterien oder Venen vorhanden; sie zeigten durchweg die schon beschriebene homogene, glashautähnliche Be- schaffenheit und eine leicht bräunliche Färbung, von der ich frei- lich nicht sagen mag, ob sie den Scheiden eigenthümlich oder auf anhängende feine Partikelchen zu beziehen war. Auch waren sie hier wie überall durch viele kleine Tüpfelchen ausgezeichnet, welche den Eintrittsstellen der Knochenkanälchen entsprachen und welche vielfach in parallelen, sich spitzwinklig kreuzenden Reihen angeordnet standen. Dagegen konnte ich Keratinscheiden an den grösseren Gefässen ebensowenig hier wie früher constatiren. Die sternförmigen, kurzzackigen oder glatt spindelförmigen Elemente fanden sich neben diesen degenerativen Formen in beschränkter Zahl nur in den äussersten Schichten des Schädels und der Tibia vor. In der Spongiosa nahe dem Intermediärknorpel des Femur- kopfes fand ich von protoplasmatischen Körpern nur die eckigen Zel- len mit oder ohne Grenzscheiden neben den fetthaltigen oder leeren vor. Bei noch älteren Individuen konnte ich scheidenlose, eckige, runde oder spindelförmige Knochenkörperchen nur noch in der Spongiosa z. B. der Rippen in geringer Zahl wahrnehmen. In der compakten Knochensubstanz waren die Keratinscheiden mit Aus- nahme der grösseren Blutgefässe überall gut entwickelt; in den Knochenlacunen steckte bald fettiges bald unbestimmt krümliches Material, bald waren dieselben von völlig leeren oder mit wenig Albuminaten gefüllten Scheiden umgrenzt. Dass indess selbst in den mit starken Fettmassen wie vollgepfropften Keratinscheiden nicht reine Fette, sondern auch eiweissartige Substanzen enthalten waren, ging daraus hervor, dass selbst nach sorgfältiger Extraction des Fettes immer noch braunroth gefärbte Reste, ganz ähnlich wie in Fig. 4 i und k in denselben zurück blieben. Die degenerativen Formen waren nun in sehr verschiedener Weise auf den Knochen vertheilt. Manchmal zeigten ganze grössere Abschnitte nur fett- haltige starkgefüllte, manchmal nur krümlige Massen enthaltende Grenzscheiden. Auch an den macerirten Knochen von zwei hundert- jährigen Individuen fand ich wesentlich denselben Befund, nämlich gut entwickelte Keratinscheiden, in denselben entweder Fett in fester mitunter auch tropfbarer Form oder geringe Mengen von krümlichen Massen oder gar Nichts. An anderen Stellen waren die Scheiden dagegen anscheinend durch die Maceration zerstört. 740 G. Broesike: Aus diesen Befunden, welche für die weitaus grösste Mehr- zahl der von mir untersuchten Individuen desselben Alters die gleichen blieben und welche ich deshalb geneigt bin, für die Norm anzusehen, lassen sich zwanglos folgende Schlüsse ableiten. Das junge Knochenkörperchen stellt einen sternförmig verästelten Zell- körper dar, welcher mit anderen seiner Art durch die zahlreichen Ausläufer zu einem continuirlichen protoplasmatischen Netzwerk verbunden ist (s. Fig. 3 a, b, ec). Eine Membran ist an ihnen zwar wahrscheinlich, jedoch nicht mit Sicherheit nachzuweisen; ein Kern findet sich anfänglich vor, geht indessen bald zu Grunde, da es bei den Knochenkörperchen im Gegensatz zu den Knorpel- zellen im weiteren Verlaufe ihrer Entwickelung weder auf die Erhaltung noch auf die Vermehrung ankommt. Während jedoch diese sternförmigen Elemente bei Embryonen jüngeren Alters, ferner in den jüngst apponirten Knochenschichten älterer Indivi- duen, endlich anscheinend bei gewissen niederen Thieren, wie z. B. beim Frosch und Salamander den ausschliesslichen Befund bilden, gehen sie mit zunehmendem Alter bald schneller bald langsamer in ein anderes Stadium ihrer Entwickelung über, welches dadurch characterisirt ist, dass die Zellen ihre Ausläufer mehr und mehr verlieren und ein zackiges oder eckiges Aussehen bekommen (Fig. 3 d, e, f, g). Zu gleicher Zeit werden sie an Volumen erheblich geringer, so dass sich zwischen ihnen und der Wand der Knochen- lacunen, also der Intercellularsubstanz immer ein sehr deutlicher Zwischenraum befindet, der nicht nachweisbar von Flüssigkeit ge- füllt ist (s. Fig. 3 ], m, k). Dieses zweite Entwickelungsstadium endigt dann damit, dass die Knochenzellkörper ein glattes, rund- liches oder spindelförmiges Aussehen annehmen (s. Fig. 3 h, i, g) je nachdem das ursprüngliche sternförmige Element vorher eine mehr regelmässige oder langgezogene Form hatte. Weiterhin tritt der Lebenslauf des Knochenkörperchens in ‘ein drittes Stadium, welches mit einer allmählichen, fettigen Umwandlung seines Proto- plasma beginnt (s. Fig. 4 a und b). Hiermit geht Hand in Hand eine zunehmende Vergrösserung des vorhin so redueirten Zellkör- pers, welche schliesslich soweit gehen kann, dass die ganze Knochenlacune mit fettigem Material wie ausgestopft erscheint (Fig. 4 e und d). Diesen fettigen Massen sind jedoch bis zuletzt anscheinend noch eiweisartige Substanzen beigemischt. Ist das Knochenkörperchen nun auf solehe Weise zu Grunde gegangen, Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 741 fettig degenerirt, so kann ebensowohl im Knochen wie in anderen Organen ein Zerfall des verfetteten Materials eintreten. Die Pro- ducte dieses Zerfalls, welehe weiterhin ihre chemische Natur än- dern und weder fettiger noch albuminoider Natur zu sein scheinen, können alsdann unter günstigen Verhältnissen wieder resorbirt und weggeschafft werden. Während dieses Processes finden wir nun die Knochenlaeunen mit allerlei krümlichen, durch Osmium schwer zu färbenden Massen gefüllt (Fig. 4 e und f). Das End- resultat dieses vierten und letzten Stadiums, welches mit dem Zerfall der verfetteten Zelle beginnt, sind alsdann völlig leere oder mit ganz unbedeutenden Körnchen oder Eiweisströpfehen ge- füllte Knochenlacunen (Fig. 4 g, h, i,k). Was nun die Dauer der einzelnen Entwickelungsstadien anbetrifft, so finde ich es nach meinen Untersuchungen unmöglich, genaue Bestimmungen derselben zu geben. Individuellen Verhältnissen ist hier der weiteste Spielraum gegeben. Im Allgemeinen kann ich sagen, dass das erste Stadium, das der verästelten Sternform, das kürzeste ist und gewöhnlich sehr schnell in das zweite übergeht. Die sternförmigen Elemente, welche man aus den Knochen älterer Leute isolirt, sind unter normalen Verhältnissen wohl nie proto- plasmatische Körper, sondern immer Grenzscheiden mit irgend einer Füllungsmasse. Besonders schnell vollzieht sich nach meinen Erfahrungen das Uebergangsstadium des Verlustes der Ausläufer an der Knorpelknochengrenze von wachsenden Individuen, wo es mir ebenso wohl in der Dia- wie Epiphyse relativ selten gelang, die Sternform aufzufinden. Dagegen können die Zellkörper des zweiten Stadiums Jahre lang in einer Knochenschicht persistiren ohne sich im Aussehen wesentlich zu ändern. Am durabelsten er- scheinen endlich die verfetteten Knochenkörperchen — sie finden sich sogar noch bei hundertjährigen Individuen vor. Wenn gleich nun die rein protoplasmatischen rundlichen oder Spindelzellen selbst bei älteren Personen, besonders in der Nähe der Blutge- fässe, noch so lange erhalten bleiben können, so kann man ihnen daselbst doch kaum mehr den Werth von biologischen Elementen zu- schreiben, welehe für die Ernährung des Knochens von Bedeutung sind. Man kann sie höchstens für einflusslose Gebilde halten, welche eine kümmerliche Existenz im Kampfe um's Dasein fristen, und muss sich die Ernährung der Grundsubstanz des Knochens durch direete Imbibition von den Gefässen aus bewirkt denken. 742 G. Broesike: Die Bestimmung der Zellkörper des Knochens besteht offenbar nur in der Bildung der Knochensubstanz — nachdem sie dieselbe erfüllt haben, sind ihre vitalen Funetionen kürzere oder längere Zeit nur auf ihre eigene Erhaltung gerichtet, bis sie in diesem Zustande der Inactivität allmählich der Degeneration und schliess- lich dem völligen Untergange anheimfallen. In Folge der besseren Ernährungsverhältnisse haben die Knochenkörperchen, welche un- mittelbar um die Haversischen Kanäle gelegen sind, eine längere Lebensdauer: sie sind noch zu einer Zeit protoplasmatisch, wenn ihre von den Gefässen etwas entfernteren Nachbarn schon die de- generirte Beschaffenheit zeigen. Mit dem Lebenslauf der Knochenkörperchen ist nun die Bil- dung der Grenz- oder Keratinscheiden complieirt d. h. einer aus Keratinsubstanz bestehenden Schicht, welche sich jedoch nicht allein an der Innenwand der Knochenlaeunen und Knochenkanäl- chen, sondern auch der Haversischen Kanäle anbildet. Das häufige Vorkommen der Scheiden lässt keinen Zweifel darüber, dass man es bei ihnen mit einer normalen Bildung zu thun hat. Diese Grenzschicht der Intercellularsubstanz ist jedoch nicht als Ausscheidungsproduct oder vielleicht als veränderte Membran der Knochenkörperchen aufzufassen, welche mit der Intercellularsub- stanz verwachsen und in Keratin umgewandelt ist. Hiergegen spricht erstens, dass sich nicht blos um die Knochenlacunen und Kanälchen, sondern auch um die Haversischen Kanäle, an denen von einem Einfluss der Knochenkörperehen nicht die Rede sein kann, diese Schicht vorfindet; für’s zweite hat die Bildung der Keratinscheiden vielfach noch gar nicht begonnen, wenn das Knochenkörperchen schon kleiner geworden ist und sich von der Wand seiner Lacune retrahirt hat. Ich habe schon erwähnt, dass ich niemals um die grössere, jüngste, sternförmig verästelte Art der Knochenkörperchen die Keratinscheiden angebildet vorfand, sondern dass sich ihre ersten Spuren immer in dem von mir so- genannten zweiten Entwickelungsstadium der Knochenkörperchen nachweisen lassen (Fig. 3 k, 1, m), in welchem die letzteren ihre Ausläufer verloren und die kleine rundliche oder Spindelform an- genommen haben. Somit scheint eine Vorbedingung für die Ent- stehung der Scheiden ein gewisses Alter der betreffenden Knochen- schicht zu sein. In der That finden wir sie bei Embryonen gar nicht, bei Kindern in den ersten Lebensmonaten nur sehr selten Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 743 in den ältesten Schichten des Knochens und umgekehrt in den Jüngsten Knochenschichten der Erwachsenen erst dann, wenn seit der Bildung derselben eine geraume Zeit verflossen ist. Weiterhin haben wir gesehen, dass die Keratinscheiden sich zuerst an den Knochenlaecunen und Knochenkanälchen, insbesondere mit Vorliebe an denjenigen einstellen, welche von den Blutgefässen entfernter gelegen sind: erst viel später und seltener treten sie an den Ha- versischen Kanälen auf. Auch hier erscheinen sie an den grösseren Gefässkanälen im Allgemeinen seltener und später als an den Capillaren; und an den grössten Blutgefässen des Knochens, wie z. B. den vasa nutrientia bemühte ich mich vergebens, sie nach- zuweisen. Es scheint mir demzufolge die Annahme berechtigt, dass neben dem Alter — nicht des Individuum, sondern der be- treffenden Knochenschieht — eine langsamere Circulation der Ernährungssäfte die Entstehung der Grenzscheiden begünstigt. Zum Verständniss der Beziehungen zwischen der Circulation der Lymphe und der Anbildung der Grenzscheiden im Knochen muss man sich folgendes vergegenwärtigen. Nach den Unter- suchungen von Schwalbe und Budge sind die Blutgefässe des Knochens von perivaseulären Lymphräumen umgeben, welche mit dem System der Knochenlacunen und Knochenkanälchen in direeter Verbindung stehen. Die Cireulation nicht allein des Blutes, son- dern naturgemäss auch der perivasculären Lymphe wird im Ver- gleich mit anderen Lokalitäten des Körpers eine ausserordentlich langsame sein, weil sich der Blutdruck durch die starke Rei- bung innerhalb der starren Knochenwände sehr verringern muss. Noch viel langsamer muss jedoch die Circulation der Iymphatischen Säfte innerhalb der Knochenlacunen und ihrer Ausläufer sein, in welchen vielleicht gar keine Bewegung der Flüssigkeit durch irgend einen Druck, sondern lediglich durch Capillarität oder Diffusion ein Austausch von Stoffen bewirkt wird, da es bekannt- lich auch unter starkem Druck nur schwer gelingt, selbst leicht- flüssige Injeetionsflüssigkeiten in dieselben hineinzupressen. Noch ein anderes Moment muss hier in Rechnung gezogen werden. Nach den Untersuchungen V. v. Ebner’s ist erwiesen, dass jeder Knochen eines erwachsenen Menschen sich aus einer Unzahl kleiner Gewebsstücke aufbaut, welche durch die von ihm sogenannten Kittlinien miteinander verbunden und entweder allein von Anlage- rungs- oder Resorptionsflächen oder von beiden Arten von Flächen 744 G. Broesike: zugleich begrenzt sind (l. e. p. 49). Diese Kittlinien grenzen am lamellösen Knochen die einzelnen Lamellensysteme von einander ab, durch welche also hier die ebengenannten Gewebsstücke dargestellt werden. Nun findet v. Ebner die Knochenlacunen und ihre Ausläufer in der Nähe der Kittlinien entweder einfach abge- schnitten (an den Resorptionsstellen) oder (an den Appositions- stellen) schlingenförmige Arkaden bildend, indem die Knochen- kanälchen wieder in sich selbst zurückkehren. An den sehr zahl- reichen Kittlinien stehen also die benachbarten Knochenzellen nieht durch Ausläufer mit einander in Verbindung und wir haben im Knochen auch genau so viel in sich abgeschlossene Systeme von Lacunen und Kanälchen, als sich in demselben dureh Kitt- linien begrenzte Gewebsstücke vorfinden. Nun finde ich aber weiterhin, dass beim völlig fertigen Knochen fast jedes Haver- sische Kanälchen sein Lamellensystem besitzt, welches durch eine Kittlinie gegen die Nachbarschaft abgegrenzt ist. Alle diejenigen Knochenzellen und Ausläufer, welche zwischen den Kittlinien der Haversischen Ringsysteme liegen, stehen also mit den Blutge- fässen in keiner direeten Verbindung und können ihr Ernährungs- material nur aus denjenigen lymphatischen Flüssigkeiten ziehen, welche die Intercellularsubstanz des Knochens durchtränken. Wesentlich anders verhalten sich natürlich die Knochen von Em- bryonen, in welchen die Kittlinien ganz zu fehlen scheinen. Bei den jungen sternförmig anastomosirenden Knochenkörperchen könnte der Stoffwechsel ebensowohl pericellulär wie intracellulär durch Fortleitung von einer Zelle zur anderen sich vollziehen. Diese mangelhaften Circulationsverhältnisse im älteren Knochen erklären nun das frühe Zugrundegehen der meisten Knochenkörperchen ohne Schwierigkeit; hiermit hängt endlich wenigstens zum Theil noch ein anderes von Klebs betontes Moment zusammen, welches seitdem mehrfach bestritten ist — nämlich die Anhäufung von Kohlensäure innerhalb der Knochenlacunen und ihrer Ausläufer. — Ich habe im Laufe der oben geschilderten Untersuchungen nach- gewiesen, dass sich neben den anderen degenerirten Formen der Knochenkörperchen zuerst bei älteren Personen auch aus völlig frischen Knochen eine gewisse Anzahl von leeren Keratinscheiden isoliren lässt, welche man als das Endprodukt des Degenerations- processes auffassen muss, da die gänzlich leeren Scheiden von allen Formen von Isolationsobjeeten am allerspätesten, zuerst etwa Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 745 bei Individuen in den dreissiger oder vierziger Jahren auftreten und ständig in mehr weniger beschränkter Zahl nur in den Knochen von Personen vorzukommen scheinen, welche dieses Alter überschritten haben. Dass in diesen leeren Lacunen vor der Ent- kalkung irgend eine flüssige oder feste Substanz enthalten gewesen sein könnte, welche durch die nachfolgende Behandlungsmethode zerstört worden wäre, muss ich in Abrede stellen, da es aus solchen Knoeben nicht allein nach den verschiedenartigsten Entkalkungs- methoden, wie z. B. auch mittelst Chrom- und Pikrinsäure, son- dern auch ausser der Osmiummethode noch durch alle anderen früher beschriebenen Isolationsmethoden gelang, die leeren Keratin- scheiden in stets gleicher Weise darzustellen. Auch an gefärbten und ungefärbten Schnitten von Knochen älterer, mindestens vierzig- jähriger Personen konnte ich mich davon überzeugen, dass die Knochenlacunen vielfach leer waren. Ferner hat Klebs (l. ce.) völlig Recht, wenn er behauptet, dass sogar dem Körper frisch entnommene Knochenplättchen oder Knochenbälkchen dasselbe dunkle Aussehen der Knochenhöhlen zeigen, wie man es an trockenen macerirten Knochen bei der Untersuchung in Flüssig- keiten so lange constatiren kann, als die in den letzteren enthaltene Luft nicht dureh die eindringende Flüssigkeit verdrängt ist. Natür- lich muss man auch hier am besten die Knochen von älteren Individuen nehmen. Auch die anderen Experimente dieses For- schers, die ich allerdings nicht wiederholt habe, lassen keinen Zweifel darüber, dass auch in ganz frisch dem Körper entnom- menen Knochen nicht unerhebliche Mengen von Gas enthalten sein können. Wenn nun sowohl durch die Untersuchungen von Klebs wie durch meine eigenen mir die letztere Thatsache erwiesen zu sein scheint, so würde die weitere Frage entstehen, welche Art von gasförmigem Körper in den Knochenlacunen enthalten sein kann. Hier sprechen nun eine Reihe von theoretischen Gründen dafür, dass es nur die Kohlensäure sein kann, von welcher Klebs auch ganz richtig annimmt, dass sie das Kanalsystem der Knochen- zellen ausfülle. Nach den Untersuchungen von Setschenow ist im Serum, also wahrscheinlich auch in den Iymphatischen Flüssig- keiten des Knochenkanalsystems von freien Gasen fast nur Kohlen- säure in absorbirtem Zustande enthalten. Weiterhin hat man sich vorzustellen, dass die relativ geringen Mengen von Sauerstoff, welehe den Zellkörpern durch die Blutgefässe zugeführt werden, 746 G. Broesike: von den Knochenkörperchen, so lange sie noch nicht fettig ent- artet sind, verbraucht und wenigstens zum Theil in Form von freier Kohlensäure wieder ausgeschieden werden müssen. Bei den oben geschilderten mangelhaften‘; Cireulationsverhältnissen im Knochen wird nun eine Anhäufung von Kohlensäure in den Knochenlaeunen und Kanälchen die nothwendige Folge sein, um- somehr da, wie Klebs findet, Knochen, welche man durch Kochen in Wasser von seinen Gasen befreit, jedoch darauf in anderes frisches Wasser gebracht hat, bald wieder durch -„Aspiration“ Gase anzieht. Es scheint mir somit unzweifelhaft, dass von den drei freien Gasen, die man in den Körperflüssigkeiten nachgewiesen hat, nicht der Sauerstoff und der Stickstoff, sondern die Kohlen- säure dazu berufen ist, einen Theil der Lacunen und Kanälchen des Knochens auszufüllen. Nur darin hat Klebs weit über das Ziel hinausgeschossen, wenn er annimmt, dass wirkliche Zellkörper im Knochen sich nur bei Embryonen und an der ÖOssifications- grenze vorfinden, dagegen an anderen Stellen und bei älteren Individuen durch Kohlensäure ersetzt sind. Die nach der Iso- lation anscheinend völlig leeren, d. h. mit CO» gefüllten Knochen- lacunen gehören im Ganzen zu den seltenen Vorkommnissen, in dem von mir sogenannten dritten Stadium der Entwickelung der Knochenkörperchen, dem der fettigen Degeneration ist jedoch die Knochenhöhle von der verfetteten Zelle so vollständig eingenom- men, dass hier für eine Anhäufung von Gasen gar kein Platz vor- handen wäre. Und gerade das letztere Entwickelungsstadium findet man bei älteren Individuen ausserordentlich häufig, da die Bedingungen für die Fortschaffung des degenirten Materials nicht immer günstige zu sein scheinen. Wohl ist es aber möglich, dass die Knochenkörperchen schon in ihrem zweiten Entwiekelungs- stadium, in welchem sie nach Verlust ihrer Ausläufer kleiner ge- worden sind und sich von der Wand retrahirt haben, von einer Kohlensäureathmosphäre umgeben sind, in welcher sie schliesslich gewissermaassen ersticken !). l) Leider ist mir keine Methode bekannt, um die in den Lacunen ent- haltene CO, durch Bildung irgend eines characteristischen Niederschlages mit irgend einem Reagens direct nachzuweisen, da alle mir bekannten, mit CO, entstehenden Niederschläge durch die nothwendige nachfolgende Entkalkung des Knochens oder die Isolationsmethoden wieder zerstört werden würden. Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 747 Die Annahme von dem Vorhandensein freier Kohlensäure in den Knochenhöhlen gibt aber auch den deutlichsten Fingerzeig zur Erklärung der physiologischen Bedeutung der Keratinscheiden, welche ohne die Kenntniss dieser Thatsache ziemlich dunkel er- scheinen müsste. Würde die innerste Schicht des Knochenkanal- systems nicht durch Keratin, sondern durch kalkhaltige Knochen- substanz gebildet — ganz gleich, ob dieselbe kapselartig verdichtet wäre oder nicht —, so wäre die unzweifelhafte Folge der An- wesenheit von CO, die, dass diese Schicht durch die Säure all- mählich entkalkt werden würde. Durch die Versuche von Till- manns, Flesch, Maly und Donath, Kassowitz u. A. ist zur Genüge erwiesen, dass Kohlensäure nicht allein in freiem Zustande, sondern auch in Wasser, Serum und anderen Flüssigkeiten zuerst die Kalksalze des Knochens auflöst und später auch die organische Substanz des Knochens angreift. Zum Ueberfluss habe ich einen Theil dieser Versuche wiederholt und kann jedenfalls bestätigen, dass CO, auf den Knochen ganz ebenso wie Salz- oder Salpeter- säure einwirkt, wenngleich ihre Wirkung eine sehr viel langsamere und schwächere ist. Dieser drohenden Gefahr der Entkalkung und Atrophie des Knochens durch den Einfluss der Kohlensäure stellt sich nun die Bildung der Keratinscheiden entgegen: ich habe vorhin gezeigt, dass sich dieselben gerade gegen Säuren aller Art sehr widerstandsfähig zeigen, und somit auch am besten geeignet sind, der Zerstörung der Knochensubstanz durch diese schwächste aller entkalkenden Säuren entgegenzuwirken. Wenngleich mich somit meine Untersuchungen über das Vor- kommen und die Bedeutung der Keratinscheiden zu einem gewissen Abschluss geführt haben, so muss ich andererseits die Frage nach ihrer Genese, nach den Ursachen ihrer Entstehung und Bildung unentschieden lassen. Ich habe oben verschiedene Gründe dafür angeführt, dass die Scheiden kein Ausscheidungsproduct der Knochenkörperchen sein können, dass .sie sich überhaupt unab- hängig von denselben entwickeln. Nach Ausschluss dieser An- nahme lässt sich ihre Entstehung nur auf folgende Weise denken: die Keratinscheiden werden entweder als eine Art von Niederschlag aus der in den Knochenhöhlen und Knochenkanälchen befindlichen lymphatischen Flüssigkeit an die Innenfläche der Wand der letzteren angelagert oder sie entstehen durch Umwandlung der innersten Schicht von Intercellularsubstanz, welche das Kanalsystem des 748 G. Broesike: Knochens unmittelbar begrenzt. Von diesen beiden Möglichkeiten erfordert die zweite einige Erläuterungen. Die Umbildung von kalkhaltiger Grundsubstanz in Keratin könnte man sich natürlich nur so denken, dass zunächst der Kalk in der dem Knochenkanal- system angrenzenden Schicht aufgelöst werden müsste. Die Ent- kalkung dieser Schicht könnte durch die Kohlensäure bewirkt werden, von der ich schon angeführt habe, dass sie möglicher- weise schon in dem zweiten Entwickelungsstadium der Knochen- körperchen, in welchen ich das erste Auftreten der Keratinscheiden constatirte, in dem System der Höhlen und Kanälchen in beträcht- liehen Mengen angehäuft sein kann. In der entkalkten Schicht könnte sich dann das Keratin in ähnlicher Weise bilden, sie könnte ähnlich verhornen, wie wir sehen, dass sich in den Epithelzellen der Haut dieser Process durch allmähliche Umbildung oder Ein- lagerung des Keratins in das Protoplasma vollzieht. Nun ist zwar die Verhornung einer Bindesubstanz im menschlichen Körper zur Zeit noch nicht beobachtet. Indess dass die Keratinbildung nicht allein ein Privileg der Epithelzellen ist, geht aus den Unter- suchungen von Ewald und Kühne hervor, welche auch in der peripherischen Nervenfaser Keratin gefunden haben. Immerhin wage iclı mich nicht darüber zu entscheiden, welche von den bei- den angeführten Möglichkeiten der Entstehung der Grenzscheiden die grössere Wahrscheinlichkeit für sich hat. Mit Rücksicht auf die eben geschilderten Untersuchungen bliebe noch zu bemerken übrig, dass ich der Deutung meiner Be- obachtungen die von vereinzelten Autoren noch immer bestrittene Juxtappositionstheorie überall zu Grunde gelegt habe und zu Grunde legen musste, weil ich ohne diese Theorie für die von mir gefun- denen Thatsachen vergeblich nach einer Erklärung gesucht hätte. Im besten Einklange mit der schon mehrfach erwähnten Arbeit V. v. Ebner’s über die Intercellularsubstanz finde auch ich an den Zellen des Knochens; dass nirgend ein Anzeichen für ein interstitielles Knochenwachsthum, nirgend Theilungsbilder der Knochenkörperchen oder andere Dinge wahrnehmbar sind, welehe im Sinne der letzteren Theorie aufzufassen wären. Ja die Thatsache, dass sich bei jungen, im Wachsthum begriffenen In- dividuen in den äusseren, also jüngeren Knochenschichten nur die jungen gutentwiekelten Formen der Knochenkörperchen, in den älteren, nach dem Mark gelegenen dagegen die degenerirten Zell- Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 749 körper vorfinden, bliebe bei der Annahme eines interstitiellen oder expansiven Wachsthums ebenso unerklärlich, wie noch viele andere in dieser Arbeit erwähnte Punkte, die ich hier im Detail nicht weiter zu erörtern für nöthig halte. Ebenso muss ich nach meinen Erfahrungen leugnen, dass sich die von Ranvier in Knochen- schliffen mit Anilinfüllung constatirten sogenannten „confluirenden Lacunen“ wirklich vorfinden, von welchen dieser Forscher glaubt, dass sie durch ein Zusammenwachsen der Wände einer Knochen- lacune mit allmählichem theilweisem Schwund ihres Hohlraums ge- bildet sind. Bei einer Autorität wie Ranvier wage ich nicht an- zunehmen, dass er kleine, durch den Schleifprocess hervorgerufene und dann mit Anilin gefüllte Spalten für confluirende Lacunen gehalten hat, obschon die letzteren auf seinen Abbildungen nicht anders aussehen. Allerdings bezeichnet v. Ebner (l. e. Fig. 11 und 13) ein ganz ähnliches Bild einfach als „Spalte durch das Schleifen entstanden.“ Wenn andererseits durch die Fläche des Sehliffes Knochenlaeunen nicht in der Mitte, sondern nahe dem Rande getroffen werden, so können auch Bilder entstehen, wie sie Ranvier in diesem Falle abgebildet hat. Wie dem nun auch sei, ich kann nur betonen, dass ich weder an Schliffen und Schnitten, noch bei Isolationsversuchen Objeete antraf, die ich für confluirende Lacunen hätte halten können. Uebrigens will ich nicht unerwähnt lassen, dass es ausserordentlich platte Knochenzellen giebt, welche sich natürlich bei Querschnitten oder in der Seitenansicht so schmal präsentiren können, wie Ranvier seine confluirenden Lacunen dargestellt hat. In der That würde sich auch die An- nahme einer solchen Ausfüllung der Knochenhöhlen mittelst Inter- cellularsubstanz wohl mit der interstitiellen Wachsthumstheorie, aber nicht mit den von mir gewonnenen Befunden vertragen. Das im Vorstehenden geschilderte Verhalten der Knochen- körperehen und der Keratinscheiden bei den verschiedensten Alters- stufen muss ich als die Norm bezeichnen, da es sich in der weit- aus grössten Mehrzahl der Fälle vorfindet. Indessen darf ich nicht verschweigen, dass sich gar nicht selten Abweichungen von dieser Norm zeigten, welche zum Theil noch in den Grenzen des Physio- logischen befindlich, zum grössten Theil jedoch sicher als patho- logische Erscheinungen aufgefasst werden mussten. Was zunächst die Knochenkörperehen anbetrifft, so scheinen dieselben unter be- sonderen Verhältnissen länger protoplasmatisch bleiben zu können, 750 G. Broesike: als ich dies vorhin im Allgemeinen angegeben habe — in den inneren, also ältesten Schichten des Schädels oder der Tibia auch von bejahrten Personen fand ich mitunter die jüngeren Formen von Zellkörpern noch vor. Ob dieselben sich nun bei zufälligen, günstigen Ernährungsverhältnissen so lange jugendlich erhalten oder ob hier eine neue, nicht sicher erkennbare Apposition von Knochen in Form einer geringfügigen Hyperostosis interna statt- gefunden hatte, liess sich im concreten Falle manchmal nicht ent- scheiden. Uebrigens ist zu beachten, dass normaler Weise sogar völlig ausgewachsene Knochen bei Leuten zwischen 30—50 Jahren nicht allein an Dicke, also durch periostale Auflagerung zunehmen, sondern dass nach Tomes und de Morgan u. A. wahrscheinlich noch in höherem Lebensalter rege Appositionsvorgänge auch an der Innenwand Haversischer Kanäle sich vorfinden können. Diese Thatsachen würden mit dem gar nicht seltenen Vorhandensein der jüngsten Zellformen auch bei den Knochen älterer Individuen gut stimmen. Natürlich fanden sich die jungen protoplasmatischen spindel- oder sternförmigen Zellkörper auch an der Oberfläche von älteren Knochen überall da vor, wo eine neue, wenn auch pathologische Ossification stattgehabt hatte. Weiterhin hat man zu berücksichtigen, dass nach dem Prineip der modellirenden Ap- position und Resorption nicht alle Stellen an der Aussenfläche eines wachsenden Knochens Appositionsstellen sind, sondern hier auch vielfach Resorptionsstellen sich vorfinden, an welchen ältere Knochenschichten zu Tage liegen und demzufolge die jüngsten Zellenformen fehlen können. Hierauf hat man in jedem einzelnen Falle zu achten. Endlich können auch die verschiedenen Stadien der degenerirten Knochenkörperchen an Stellen vorkommen, an denen normaler Weise sich noch protoplasmatische Elemente be- finden. müssten. Ich habe schon erwähnt, dass ich vollständig ver- fettete Knochenkörperchen an einer eircumseripten Stelle bei einem Embryo vorfand, welcher im Uebrigen nur normale, sternförmig anastomosirende zellige Elemente aufwies. Die Erklärung dafür kann nur durch die Annahme einer lokalen Ernährungsstörung aus unbekannten, vielleicht pathologischen Gründen gegeben wer- den. Aber auch in den Knochen von grösseren Kindern fand ich die degenerirten Zellen schon da vor, wo ich sie nach dem Alter der betreffenden Knochenschieht nicht vermuthet hätte. Hier konnten nun nicht allein lokale, sondern auch allgemeine Er- Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 751 nährungsstörungen eine Rolle gespielt haben. Wenn beispielsweise ein Kind in dem Alter von 10 Jahren einen schweren, erschöpfen- den Typhus von langer Dauer durchmacht, bei welchem sein ganzer Ernährungszustand ausserordentlich leidet, so ist es klar, dass sich diese nutritive Affeetion bei den oben berührten, mangelhaften, allgemeinen Cireulationsverhältnissen innerhalb des Knochenkanal- systems wohl zuerst hier in einem zahlreichen Untergang von Knochenkörperchen geltend machen muss, welche nicht mehr er- setzt werden können. Die Folge einer solchen Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes können dann aber auch eireumseripte De- generationen von Zellen sein, je nachdem eben die letzteren an dieser oder jener Stelle noch jünger und widerstandsfähiger oder dem normalen Degenerationsprocess näher waren. Auch in diesen Fällen wird es meistens unmöglich sein, darüber Klarheit zu er- langen, ob in dem Leben des betreffenden Individuums derartige krankhafte Störungen eine Rolle gespielt haben oder nicht. Weitere Unregelmässigkeiten können sich auch in Bezug auf das Vorkommen der Keratinscheiden vorfinden, indem die letzteren an einzelnen Stellen der Knochen völlig fehlen können. Dass die- selben selbst bei bejahrten Personen an keinem einzigen Knochen des Skeletts vorhanden sind, habe ich nieht beobachtet, obschon ich die Möglichkeit eines solehen Zustandes nicht absolut in Ab- rede stelle. Wohl waren die Scheiden bei einzelnen Individuen so zart und fein, dass sie mittelst der bisher üblichen Isola- tionsmethoden überhaupt nicht darstellbar erschienen und erst nach Anwendung der Osmiummethode deutlich sichtbar wurden, aber niemals fehlten sie an frischen, unmacerirten Knochen in vorge- rückterem Alter gänzlich. Dagegen fand ich nicht selten, dass sie an bestimmten Parthien eines Knochens deutlich entwickelt waren, während sie mitunter ganz in der Nähe dieser Stellen sich ent- weder gar nicht oder vielleicht nur unvollständig isoliren liessen. Musterte ich das Verhalten der Knochenkörperchen an diesen scheidenlosen Bezirken, so eonstatirte ich stets, dass dieselben sich seltener in dem Stadium einer einfachen Verfettung, meistens da- gegen im Zerfall oder in der Form von spärlichen körnigen Resten vorfanden. Diese Dinge konnte ich natürlich nur an Stücken von gequollener Intercellularsubstanz, nicht an Isolationsobjecten con- statiren. Die Figur 4 1, m, n stellt einen solchen Fetzen von Intercellularsubstanz dar, an welchem die Keratinscheiden durch Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 49 752 G. Broesike: verdünnte Natron- oder Kalilauge zerstört sind und welcher im Uebrigen ein Bild gewährt, das dem Aussehen solcher Stückehen von Grundsubstanz beim natürlichen Mangel der Grenzscheiden völlig ähnlich sieht. Anstatt der verfetteten Zellkörper a und b sieht man nun mitunter innerhalb der rothen, völlig durchsichtigen Intercellularsubstanz auf grosse Strecken hin weder zellige Gebilde, noch die Contouren der Grenzscheiden. sondern nur in gewissen regelmässigen Abständen kleine körnige, meist ungefärbte An- häufungen, von welchen man wohl annehmen muss, dass sie die Reste der ehemaligen Knochenkörperchen ohne die umgebenden Keratinscheiden bilden, welche sonst, wie z. B. in Figur 4 e, f, g, i und k, die Beurtheilung dieser krümligen Körperchen so leicht machen. Wo ich dagegen umgekehrt Zellkörper vorfand, die wie bei dem einen Embryo so durchaus vor der Zeit verfettet waren, da konnte ich an denselben keine Scheiden entdecken. Ich bin also geneigt anzunehmen, dass die Grenzscheidenbildung überall da ausbleibt, wo aus irgend welchen Gründen die Knochenkörper- chen einer rapiden prämaturen Degeneration anheimfallen: dieser Process der schnellen Nekrobiose einer Anzahl von Zellen braucht natürlich hier ebenso wenig wie in anderen Geweben zur Nekrose, d. h. zur Sequesterbildung des betreffenden Knochenstücks zu führen. Dass übrigens bei einer sehr rapiden prämaturen De- generation das zweite Stadium der Entwickelung der Knochen- körperchen, dasjenige des Verlustes der Ausläufer und der Volum- abnahme der Zellen, ganz übersprungen werden und die sternförmig verästelten Zellkörper sich direet in Fett umwandeln können, scheint mir nicht zweifelhaft — wenigstens sah ich nicht selten nebeneinanderliegende Knochenkörperchen entweder sternförmig oder verfettet, ohne dass ich die kleine eckige oder Spindelform an dem betreffenden Präparate überhaupt wahrnahm. Die Blut- gefässe, die sich in der Nähe eines derartigen Bezirks von prä- matur degenerirten, scheidenlosen Knochenkörperchen befinden, können sich jedoch später bei höherem Alter des betreffenden Knochens noch mit Keratinscheiden umgeben — ein neuer Beweis dafür, dass die Scheidenbildung unabhängig von den Zellkörpern des Knochens erfolgt. Leider war ich nicht im Stande, irgend eine Methode aufzufinden, mittelst deren ich den Nachweis liefern konnte, dass die Wände der scheidenlosen, mehr oder weniger leeren d. h. mit CO, gefüllten Knochenlacunen durch den Einfluss Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 753 dieses Gases angegriffen oder vollständig zerstört worden wären, da die Knochenlaeunen an Schliffen und Schnitten zwar eine sehr verschiedenartige Grösse, aber niemals eine Andeutung der Kera- tinscheiden wahrnehmen lassen. Selbstverständlicherweise liegt dies daran, dass ebensowohl die Scheiden, wie die Fibrillen des Knochens und ihre Kittsubstanz bei den gewöhnlichen Methoden der Behandlung ein nahezu gleiches Liehtbrechungsvermögen be- sitzen. Ich schliesse diese Bemerkungen in der Hoffnung, dass sie dazu dienen mögen, zu neuen Untersuchungen auch der pathologi- schen Vorgänge im Knochen anzuregen, bei denen noch mancher Punkt in Dunkel gehüllt ist. Endlich möchte ich noch erwähnen, dass die Endresultate dieser Arbeit natürlich vorläufig die Frage noch unentschieden lassen, ob sich an den Dentinkanälchen der Zähne — wie E. Neumann ebenfalls behauptet — eine verdichtete, kapselartige Schicht der Grundsubstanz, also ein Analogon der Knorpelkapseln vorfindet oder ob wir auch hier eine chemisch differente Substanz, vielleicht Keratinscheiden vor uns haben. Wenngleich ich mich nun a priori mehr zu der letzteren Ansicht bekennen möchte, so muss ich doch zugestehen, dass das Dentin sich vielleicht anders verhalten kann als die Knochensubstanz und dass hierüber eine Entscheidung erst durch weitere Forschungen erbracht werden kann, welche ich zur Zeit nicht in der Lage bin anzustellen. Einige Bemerkungen über die Intercellularsubstanz des Knochens. Schon Eingangs dieser Arbeit habe ich kurz erwähnt, dass der Ausgangspunkt derselben dureh eine Nachprüfung der v. Ebner’- schen Untersuchungen „Ueber den feineren Bau der Knochensub- stanz“ gegeben war. Nachdem ich mich bei dieser Nachprüfung davon überzeugt hatte, dass die Richtigkeit der v. Ebner’schen Ansichten im Grossen und Ganzen zweifellos dastände, wandte ich mich zu der Erforschung des Wesens der Knochenzellen, da ich es zu undankbar fand, unter relativ grossen Schwierigkeiten der Untersuchung alle jene kleinen Lücken auszufüllen, die dieser treffliche Forscher seinem eigenen Geständniss nach auf dem Ge- biete der Intercellularsubstanz des Knochens hier und dort offen 754 G. Broesike: lassen musste. Indess bin ich doch in der Lage, die v. Ebner’- schen Resultate in einzelnen Punkten zu ergänzen, während ich in anderen, immerhin mehr untergeordneten Dingen nicht ganz derselben Meinung mit ihm bin. Zunächst kann ich, wie auch schon einzelne neuere Unter- sucher, nur bestätigen, dass die Knochengrundsubstanz aus leim- sebenden, nicht verkalkten Fibrillen zusammengesetzt ist, welche durch eine Kittsubstanz zusammengehalten werden, die die Knochen- erde enthält. Was die Methode der Darstellung der Knochen- fibrillen anbetrifft, so benutzte ich zu diesem Zwecke ebenfalls die Färbung der Knochensubstanz mittelst Osmium- und Oxalsäure, die ich auch bei der Untersuchung der Knochenzellen in Anwen- dung gebracht habe. Wenn ich ein möglichst kleines, am besten mittelst HCl entkalktes, darauf von der Säure durch Auswässern befreites Knochenstück erst 24 Stunden in 1°/, Ueberosmiumsäure, dann die gleiche Zeit in kaltgesättigte Oxalsäurelösung hinein- legte und hierauf mittelst Schnitten und nach der v. Ebner’schen Schabemethode untersuchte, so zeigte sich die Kittsubstanz der Fibrillen je nach der Dicke des unterliegenden Objectes hellcar- moisin- bis dunkel burgunderroth, dagegen die Knochenfibrillen immer ungefärbt, je nach der Correetion des Mikroskops bald bläulich, bald grünlich schillernd, im Uebrigen von deutlichem Glanze. Diese Methode leistet entschieden bessere Dienste als die von v. Ebner angegebene, weil hier der Unterschied zwischen den bläulich oder grünlich glänzenden Fibrillen und der earmoisinrothen Kittsubstanz immer ein sehr deutlicher ist, während die v. Ebner’sche Behandlung des Knochens mittelst kochsalzhaltiger Salzsäure besonders bei etwas dickeren Präpa- raten häufig genug Zweifel darüber lässt, ob diese oder jene glänzenden Striche der Kittsubstanz oder den Fibrillen angehören und die Fibrillen überhaupt weniger glänzend zur Darstellung bringt. Weiterhin finde ich, dass man die Knochenfibrillen auch an Schlif- fen, sogar für gewöhnliche Demonstrationen sehr leicht sichtbar machen kann, wenn man dieselben bis zu einem gewissen Punkte auf dem Platinbleche glüht. Bekanntlich hat v. Ebner Schliffe vollständig verascht, d. h. er glühte sie, bis sie nach Zerstörung der organischen Substanz das bekannte milchglasähnliche, undurch- sichtige Aussehen annahmen. Diese Zerstörung der Grundsubstanz ist allerdings noch nicht, wie v. Ebner meint, dann völlig vor TE Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 755 sich gegangen, wenn der Schliff zwar das weisse undurchsichtige Aussehen angenommen, aber an seiner Form noch niehts einge- büsst hat — nach dem Entkalken eines solchen Schliffes fand ich immer noch Reste von organischer Substanz übrig geblieben. Der Knochenknorpel ist-erst dann völlig vernichtet, wenn der Schliff in Pulver auseinanderfällt, was nach weiter fortgesetztem Glühen in der That eintritt. Indem nun v. Ebner dergleichen veraschte Schliffe nach der Krukenberg’schen Methode in Canadabalsam einschloss, gelang es ihm, die Unregelmässigkeiten der Schlifftlächen auszuschalten, während an Stelle der zerstörten Fibrillen lufterfüllte Röhrchen blieben, welche sich je nach der Richtung des Schliffes bald als dunkle Punkte, bald als dunkle Streifen präsentirten. Nun sind diese Dinge aber immer nur an den günstigsten Stellen sicht- bar, die Methode des Einschlusses ist nicht ohne Umstände, ausser- dem zeigen sieh die lufterfüllten Röhrchen erheblich grösser als die Knochenfibrillen, was v. Ebner selber auch findet, abbildet und durch eine Zersetzung von Kalksalzen beim Glühen erklärt. Um die Knochenfibrillen auch an Schliffen schnell und deutlich sichtbar zu machen, verfährt man am besten folgendermaassen. Wenn man möglichst dünne Schliffe auf dem Platinbleche glüht, so nehmen dieselben successive zuerst eine gelbliche, hierauf eine heller, dann dunkler braune, weiterhin schwarze, endlich jedoch wieder eine hellere, nämlich kaffeebraune Färbung an, die sich wieder mehr und mehr aufhellt, um schliesslich in das milch- weisse, undurchsichtige Aussehen der veraschten Schliffe überzu- gehen. Nimmt man nun das Präparat in demjenigen Stadium der Verbrennung hinweg, in welchem es sich kaffeebraun darstellt und untersucht es in Glycerin oder einer anderen Flüssigkeit, so findet man die Fibrillen als braune Punkte oder Streifen in einer schwach gelblichen interfibrillären Substanz überall so deutlich sichtbar, dass man sie ohne Schwierigkeit bei Hartnack IX, Ocular III mit ausgezogenem Tubus demonstriren kann. Bevor das Object die kaffeebraune Färbung annimmt ist es mehr gleich- mässig gefärbt und dazu sowohl in dem schwarzen wie in dem milchweissen Färbungsstadium fast ganz undurchsichtig. Woher es übrigens kommt, dass die Fibrillen gerade bei dem kaffee- braunen Aussehen des Schliffes sich am deutlichsten zeigen, ver- mag ich nicht zu erklären; jedenfalls sind sie in unvollständig verbranntem Zustande innerhalb der kalkhaltigen Kittsubstanz 756 G. Broesike: noch vorhanden. Für die genauere Untersuchung der Knochen- fibrillen sind natürlich nur entkalkte Knochenstücke zu empfehlen. Hierbei hieltich mich besonders an die schon erwähnte, von v. Ebner empfohlene Methode, mit einem Scalpell — das man übrigens am besten stumpf wählt — von der Oberfläche feinste Lamellen abzu- schaben. Ich kam nun mittelst der Osmiummethode durchweg zu dem Resultat, dass die Knochenfibrillen durchaus nicht so fein sind, wie sie v. Ebner auf seinen Zeichnungen und in seinen Schilderungen dargestellt hat. Als Untersuchungsobjeet dienten mir immer die dünnsten der abgeschabten Lamellen, an welchen ich entweder nur ein einziges System oder höchstens zwei sich kreuzende Systeme von parallelen Streifen übereinander liegend vorfand, da bei allen diekeren Stücken einzelne Fibrillen nicht mehr mit ge- nügender Deutlichkeit in Bezug auf ihre Dieke zu taxiren sind. Nun gebe ich zwar zu, dass dieselben sehr viel feiner sind als gewöhnliche Bindegewebsfibrillen und dass sie sich bei Hartnack VI, Oecular III (ausgezogener Tubus) nicht viel deutlicher wie feine Linien darstellen. Dagegen sehe ich dieselben mit der Im- mersionslinse Nr. X von Hartnack (Ocular III ausgezogener Tubus) sehr deutlich als doppelt contourirte, bläulich glänzende Streifen innerhalb der carmoisinrothen Kittsubstanz verlaufen. Immerhin sind sie nicht so stark, dass es möglich wäre, ihre Dicke durch Messungen direkt zu bestimmen. Die einzige Stelle, wo die Fi- brillen mitunter sehr fein erscheinen, sind die äussersten Spitzen der Rissenden, an welchen sie nicht immer stumpf abgebrochen, sondern gewöhnlich spitz ausgezogen erscheinen: verfolgt man sie jedoch von den Rissenden aus weiter, so erkennt man an dünneren Blättehen von Knochensubstanz ohne Schwierigkeit ihre wahre Grösse. Wenn aber v. Ebner findet, dass die Knochenfibrillen selbst bei der Immersionslinse XI von Hartnack sich immer nur noch wie feine Striche zeigen, so kann ich mir diese Differenz unserer Anschauungen nur durch die Annahme erklären, dass v. Ebner entweder zufällig Präparate mit viel feineren Knochen- fibrillen wie ich zur Untersuchung hatte, oder dass bei der von ihm angegebenen Behandlungsmethode des Knochens mittelst NaCl-haltiger Salzsäure diese Dinge nicht mit der nöthigen Schärfe zu erkennen sind. In der That sehe ich ganz besonders bei An- wendung von Immersionslinsen nach dieser Behandlung die Fi- brillen viel weniger deutlich als nach der Färbung des Knochens Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 757 mittelst Osmium- und Oxalsäure. Von einer Verwechslung meiner- seits zwischen Fibrillen .und Fibrillenbündeln konnte nicht die Rede sein, da die Grösse der letzteren ja von v. Ebner zwischen 2—3 u angegeben wird und ich ausserdem die Entfernungen zwischen den glänzenden Streifen an Schabepräparaten und zwischen den helleren oder dunkleren Punkten an Querschnitten desselben Knochens, welche beide innerhalb der carmoisinrothen Kittsubstanz liegen, überall, wenigstens am lamellösen Knochen, annähernd gleich fand. Ich war nun anfangs der Meinung, dass die Fibrillen mir vielleicht nur deshalb grösser erschienen waren, weil dieselben durch meine Behandlungsmethode gequollen wären. Indessen war es für das Aussehen der Fibrillen ganz gleich, ob ich Knochen einfach durch HCl oder mit der v. Ebner’schen Mischung entkalkte und hinterher nur die Osmium- oder die com- binirte, natürlich viel schönere und deutlichere Osmium-Oxalsäure- färbung anwandte. Ueberhaupt kann ich nicht finden, dass durch die Anwendung der Säuren in der Kälte die Fibrillen wirklich in nennenswerther Weise quellen, wie dies v. Ebner meint. Wenn ich auch noch so grosse Knochenstücke mittelst Salz- oder Salpe- tersäure entkalkte, so fand ich auch bei der minutiösesten Messung doch stets, dass dieselben genau die gleiche Grösse nach dem Entkalken wie im kalkhaltigen Zustande hatten. Nun meint zwar v. Ebner, dass bei den Röhrenknochen des Menschen deswegen keine Volumveränderung durch die Quellung eintritt, weil die Fi- brillen hier in sehr verschiedenen Richtungen verlaufen und bei dem der Quellung eigenthümlichen Zusammenschnellen derselben in der Längsachse ganz entgegengesetzte Zugwirkungen auftreten, die sich theilweise aufheben. Ich kann dies Argument nicht als stich- haltig anerkennen. Der wesentliche Endeffect einer Quellung ist immer eine Volumzunahme, ganz gleich in welchen Durchmessern sie eintritt. Wenn nun aber eine jede einzelne Fibrille an Volum zunimmt, so muss sich dies auch an einem Complex von Fibrillen durch eine Volumzunahme des ganzen Stückes manifestiren. Wenn sich dagegen Fibrillen gegenseitig in der Quellung behindern, so können sie eben nicht quellen d. h. sie behalten entweder ihr früheres Volumen oder ändern es nicht erheblich. Dasselbe Re- sultat ergaben übrigens nicht allein Menschenknochen, sondern auch der Oberschenkel des Frosches, an dem ja, wie v. Ebner richtig angiebt, die Fibrillen im wesentlichen parallel der Längs- 758 G. Broesike: achse verlaufen und an welchem man auch in der That beim Kochen in Wasser ohne Schwierigkeit Volumveränderungen be- obachten kann, die hier auf einer Verkürzung und Verdiekung der Fibrillen durch Quellung beruhen. Ein deutliches Quellen der Fibrillen findet ausserdem noch beim Kochen von entkalktem Knochen in Essigsäure und bei etwas längerer Einwirkung kalter verdünnter Alkalien statt. Dass die Fibrillen in Säuren nicht quellen, kann natürlich nur darin seinen Grund haben, dass die umgebende interfibrilläre Kittsubstanz sich gerade gegen die Säure- wirkung zu fest und widerstandsfähig erweist, als dass die ersteren an Volumen zunehmen könnten. An den isolirten Knochen- fibrillen will ich eine solche Quellungsfähigkeit übrigens durchaus nicht in Abrede stellen, wenngleich es wohl nicht ganz leicht sein mag, durch die Schabemethode wirklich reine Knochenfibrillen ohne anhängende Kittsubstanz darzustellen. Dass Knochenstücke, die in einfacher HCl entkalkt sind, durchsichtig, die mit NaCl- haltiger Säure behandelten dagegen weiss und undurchsichtig er- scheinen, braucht seinen Grund nicht in Quellungs- oder Schrum- pfungsverhältnissen, sondern kann ihn auch darin haben, dass das Lichtbrechungsvermögen der Fibrillen und ihrer Kittsubstanz durch einfache Salzsäure, wie durch Zusatz von Glycerin, mehr ausgeglichen, dagegen durch Kochsalz ein verschiedenes wird. Uebrigens nimmt auch ein Knochen, welcher mittelst reiner Salpeter- säure entkalkt ist, ein ganz ähnliches weissliches Aussehen wie bei der Kochsalzbehandlung an. Indess selbst wenn man mit v. Ebner voraussetzt, dass die Knochenfibrillen durch die entkalkenden Säuren in einen Quellungs- zustand versetzt würden, so folgt daraus noch durchaus nicht, dass sie durch die nachherige Behandlung mittelst Kochsalz wieder in ihren normalen Zustand übergeführt würden — wenn anders man ein Recht hat, die von diesem Autor betonten Analogien zwischen Sehnen- und Knochenfibrillen aufrecht zu erhalten. Wenn ich ein > em langes Bündelchen von Sehnenfasern aus dem Schwanz der hatte in verdünnte Essigsäure brachte, so erfolgte sofort das be- kannte Zusammenschnellen des Sehnenstückchens bis auf die Länge von 4 cm unter gleichzeitiger Aufhellung und Verdiekung. Wenn ich darauf dasselbe Stückchen in ziemlich starke Kochsalzlösung legte, so wurde es weisslich, undurchsichtig und schrumpfte auch ein wenig in Bezug auf seine Dieke ein. Indessen war es auch Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 759 jetzt immerhin noch erheblich dieker als es ursprünglich gewesen und seine Länge blieb auf dem Maasse von 4 cm stehen. Die durch Säure gequollene und verkürzte Sehnenfaser nimmt also durch die Kochsalzbehandlung (selbst beim sorgfältigen Neutrali- siren der etwa noch vorhandenen Säure) nicht mehr das Aussehen wieder an, welches sie vor der Einwirkung der Säure hatte. Ich habe diese an und für sich unwichtigen Betrachtungen nur deswegen genauer ausgeführt, weil mir daran lag zu zeigen, dass die von mir empfohlene Osmiummethode die Fibrillen nicht allein deutlicher, sondern auch trotzdem in möglichst natürlicher Beschaffenheit zeigt. An den von Ebner festgestellten Schluss- folgerungen wird natürlich durch die Thatsache nichts geändert, dass die Fibrillen im Ganzen wohl etwas stärker sind, als dieser Autor annahm. Was weiterhin die Auffassungen v. Ebner’s über die Natur der Lamellen anbetrifft, so kann ich mich im Grossen und Ganzen damit einverstanden erklären. Dass die Lamellen nichts weiter sind als der optische Ausdruck einer verschiedenen Verlaufsriehtung der Fibrillen, dass die Knochenkörperchen mit der Fläche in der Richtung der Lamellen gelegen sind, davon kann man sich so leicht überzeugen, dass hierüber wobl keine ferneren Zweifel mehr ausgesprochen werden dürften. Etwas schwieriger ist es, sich darüber Klarheit zu verschaffen, dass „die Knochenfibrillen zunächst Bündel von eireca 3 .« Durchmesser bil- den, welche in einfacher Lage oder nur wenige übereinander durch zahlreiche, spitzwinkelige Anastomosen eine dichtgewebte Platte mit kleinen rhombischen Maschen, primäre Lamellen darstellen. Die einzelnen Lamellen hängen durch schief abtretende Bündel untereinander zusammen. Folgen mehrere primäre Lamellen mit gleicher Faserrichtung aufeinander, so kommt es zur Bildung von verschieden dicken seeundären Lamellen und die lamellöse Struetur tritt an Schnitten und Schliffen um so deutlicher hervor, je mehr in aufeinander folgenden Schichten die Faserrichtung wechselt.“ Man sieht nun unzweifelhaft an Schabepräparaten Bil- der, welche schwer eine andere Deutung zulassen, als die eben gegebene, wo man wirklich den Eindruck hat, als habe man ein- ander vielfach durchsetzende, also ähnlich wie das Rohrgeflecht eines Stuhles zu einer Platte, der primären Lamelle verflochtene Knochenfibrillen vor sich. Indessen sind gerade in Folge der Durehflechtung diese Bilder immer diejenigen, an welchen die 760 G. Broesike: Knochenfibrillen in ihrem Verlauf weniger deutlich zu verfolgen sind. Wohl aber sah ich in einer ganzen Reihe von Fällen beim lamellösen Knochen sehr deutlich einen anderen Verlaufsmodus der Fibrillen, den v. Ebner anscheinend an seinen Präparaten so selten fand, dass er ihn keiner besonderen Erwähnung für werth hielt. Doch betont er p. 30 ganz richtig, wie schwierig es mit- unter sei, zu entscheiden, ob die recht- oder schiefwinklige Kreuzung feiner Streifen von übereinanderliegenden Faserzügen herrührt oder ob dieselben einer Ebene angehören, d. h. mit einander verflochten sind. Ich fand nun ganz besonders schön an den Röhrenknochen der Katze, an der ich hauptsächlich meine Fibrillenstudien machte, dass die Knochenfibrillen sich an allen dünneren und leichter durchsichtigen Objecten keineswegs durchsetzen oder durchflechten, sondern in einfacher Lage übereinander geschichtete parallele Faser- züge bilden können, welche sich unter sehr verschiedenen Winkeln kreuzen. In diesem Falle würde also eine primäre Lamelle nicht dargestellt sein durch ein, wenn auch noch so einfaches Flecht- werk, sondern durch eine einfache Lage von nebeneinander liegen- den, jedoch durch Kittsubstanz in regelmässigen Zwischenräumen getrennten, parallelen Fibrillen, weiche sich in annähernd einer Ebene befinden. Diese Art von Lamelle möchte ich als „einfache Lamelle“ bezeichnen und somit einen Unterschied zwischen den „einfachen primären Lamellen“ von mir und den „durchflochtenen primären Lamellen“ von Ebner constatiren. Auch die „einfachen primären Lamellen“ können zu „secundären Lamellen“ zusammentreten, in dem Falle nämlich, wenn eine Anzahl von den ersteren bei einer Kreuzung unter geringen Winkeln im Wesentlichen in der Längs- achse des Knochens verläuft, eine andere Anzahl derselben dagegen die vorigen unter nahezu rechten Winkeln kreuzt. Wenn ich diese Dinge mit irgend etwas vergleichen möchte, so sehe ich die Fibrillen der von mir sogenannten „einfachen primären Lamellen“ ungefähr so wie eine Reihe von parallelen Fäden, welche in einem Rahmen ausgespannt sind. Würden mehrere solche Rahmen der Art über- einander gelegt, dass die Fäden derselben sich unter spitzen Winkeln kreuzen, so würde die Gesammtheit derselben eine „ein- fache secundäre Lamelle‘“ darstellen, die jedoch nur dann als solche zur Erscheinung käme, wenn wieder eine Anzahl solcher Rahmen so über die ersteren gelegt würde, dass die Fäden der letzteren die der ersteren nicht unter sehr kleinen spitzen, sondern unter Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 761 annähernd rechten Winkeln kreuzen würden. Bei den Lamellen in dem Sinne von Ebner müsste man sich dagegen die Fäden einer bestimmten Anzahl soleher Rahmen bereits zu einem Zeug- ‚stoff oder Gewebe verflochten denken und ein Stück eines solchen Gewebes würde alsdann die primäre Lamelle Ebner’s vorstellen. Da jedoch die primären Lamellen des letzteren Autors schliesslich immer ein, wenn auch noch so einfaches Geflecht darstellen, so ist es eigentlich von ihm nieht völlig correct, einen Unterschied zwischen „geflechtartigem“ und „lamellösem‘“ Knochengewebe zu machen: richtiger wäre es, von regelmässig und unregel- mässig angeordnetem Knochenfibrillengewebe zu sprechen. Unter das regelmässig angeordnete Gewebe würde dann sowohl das einfach wie das verflochten lamellöse Gewebe sich subsumiren lassen. Hier würde auch das „einfach parallelfasrige‘“, nicht lamel- löse Gewebe v. Ebner’s hingehören. Selbstverständlicherweise hat v. Ebner völlig Recht zu betonen, dass alle diese verschie- denen Formen des Fibrillenverlaufs in einander übergehen, wie ich auch hier und da an den „einfachen primären Lamellen“ zwi- schen den parallelen Fäserchen häufig feine Pünktchen sah, die sich nicht anders wie als abgerissene, querhindurchtretende Knochen- fibrillen deuten liessen. Im besten Einklang befinde ich mich ferner mit der v. Ebner’- schen Auffassung der von ihm sogenannten Kittlinien, über welche ich schon früher (p. 743) mit Rücksicht auf gewisse Erscheinungen an den Knochenkörperehen in diesem Sinne gesprochen habe. Eine Thatsache, die v. Ebner nicht erwähnt, die mir aber trotz- dem beachtenswerth erscheint, ist, dass man mitunter innerhalb eines Havers’schen Ringsystems von Lamellen noch eine zweite, ja sogar noch eine dritte Kittlinie vorfindet, welche dann auch glatt sein und der characteristischen Buckel entbehren kann, wie sie sich an verkitteten Appositions- und Resorptionsflächen sonst vorfinden. Man müsste hier also entweder von einer glatten, nicht lacunären Resorption oder einem temporären Wachsthumsstillstande im Sinne von Strelzoff sprechen. Ebenso stimme ich weiterhin mit den Ansichten v. Ebner’s betrefis der Sharpey’schen und elastischen Fasern überein. Davon, dass die Sharpey’schen Fasern nichts weiter sind als grobverflochtene Bündel leimgeben- der Knochenfibrillen, welche, in eigenthümlicher Weise zu dem sogenannten „Wurzelstock“ (Gegenbaur) verflochten, den Knochen 762 G. Broesike: aus der Fötal- und frühsten Kindeszeit mit constituiren helfen und dass sie durchaus nicht elastische Fasern oder mit den wirk- lichen elastischen Fasern des Knochens zu verwechseln sind, davon kann man sich ohne Schwierigkeit durch die von Ebner ange-. gebenen Behandlungsmethoden und durch die bekannten chemischen Reactionen auf Elastin überzeugen. Uebrigens illustrirt gerade das Verhalten der Sharpey schen Fasern gegen gewisse Reagentien aufs beste meine vorhin aufgestellte Behauptung, dass die Knochen- fibrillen in Säuren und für eine gewisse Zeit auch in Alkalien nicht quellen, weil ihre Kittsubstanz vermöge ihrer Resistenz eine solche Quellung verhindert. Dieselbe Erklärung, die v. Ebner für einzelne Erscheinungen an den Knochenfibrillen nicht anzu- nehmen scheint, nämlich das Vorhandensein einer „stärker ent- wickelten Kittsubstanzschichte an ihrer Oberfläche“, gibt er hier schliesslich (l. e. p. 53) selber, um die Thatsache zu erklären, dass isolirte Sharpey’'sche Fasern in Folge länger dauernder Säurewirkung nicht ganz verschwinden. Wirklich elastische Fasern finde ich ebenso wie v. Ebner nur an den Röhrenknochen in den Schichten unmittelbar unter dem Perioste und in den innersten Lamellen, welche das Lumen Haversischer Kanäle umgeben. Ihre isolirte Darstellung durch Kochen in H,O (v. Ebner), besser und kürzer durch ein Gemisch von verdünnter Essigsäure und Glycerin macht auch bei ganz alten, völlig macerirten Knochen keine Schwierigkeit. Zu ihrer Darstellung in situ an Schnitten hat v. Ebner das Fuchsin em- pfohlen, nach dessen Anwendung sich die Fasern ganz besonders intensiv roth färben sollen. Ich habe zu meinem Bedauern mit diesem Mittel nur schlechte Erfahrungen gemacht, die ich nur da- rauf beziehen kann, dass mein von Schering bezogenes Fuchsin nicht dieselbe Qualität hatte, wie das von Ebner angewandte; es gelang mir mittelst desselben stets nur eine gleichmässige Fär- bung sowohl der elastischen Fasern wie der übrigen Knochensub- stanz zu erzielen. Weitere Untersuchungen über die elastischen Fasern habe ich nicht angestellt, obschon ich finde, dass ihr Vor- handensein im Knochen noch manche dunkle Seite darbietet. Viel- leicht bewährt sich als Untersuchungsmethode für dieselben auch die combinirte Färbung mittelst Osmium- und Oxalsäure. Während nämlich, wie erwähnt, die Fibrillen des Knochens hierbei nicht gefärbt und ihre Kittsubstanz carmoisinroth wird, bleiben die Ueber die feinere Structur des normalen Knochengewebes. 763 elastischen Fasern gelb — eine Färbung, die sie auch nach der Isolation mittelst des Essigsäure-Glyceringemisches beibehalten. Ueber den Bau der Knochen und Sehnen der Vögel und die Structur des Zahnbeins habe ich keine besondere Untersuchungen angestellt; doch ist es wenigstens beim Zahnbein leicht, sich da- von zu überzeugen, dass auch das letztere Gewebe sich aus sehr feinen Fibrillen zusammensetzt. Natürlich sind diese Fibrillen nicht zu verwechseln mit den von einzelnen Autoren sogenannten Zahnfasern oder Zahnfibrillen, welche in den Dentinkanälchen ge- legen sind. Wie bei der Untersuchung der Knochenkörperchen kann ich auch hier bei der Intercellularsubstanz nur betonen, dass man bei dem Studium derselben Schritt für Schritt auf Thatsachen stösst, die sich nur an der Hand der Juxtappositionstheorie des Knochen- wachsthums erklären lassen. Umgekehrt findet man nirgend einen unklaren Punkt, bei dem man gezwungen wäre, ein interstitielles Wachsthum in dem Sinne von J. Wolff zur Erklärung irgend welcher vorliegender Erscheinungen heranzuziehen. Ich schliesse mit den Worten V. v. Ebner’s: „Die einzelnen Theile des Knochengewebes sind durch die verschiedene Art, wie sich die leimgebenden Fibrillen zu Elementartheilen höherer Ordnung ver- binden und die damit in Correlation stehende Form und Anord- nung der die Knochenzellen enthaltenden Hohlräume bedingt. Wie viele solche unterscheidbare Formen von Knochengewebe thatsäch- lich vorkommen, ist erst noch durch weitere Untersuchungen fest- zustellen.“ Bevor diese freilich mühsamen und zeitraubenden Untersuchungen, die sich vor allem auf vergleichend anatomischer Basis über die verschiedenen Klassen der Wirbelthiere erstrecken müssten, in umfassender Weise noch nicht gemacht sind, wird man eine Ölassification der verschiedenen Arten des Knochenge- webes immer nur mit derjenigen Reserve geben können, welche auch der eben genannte Forscher in diesem Punkte beobachtet hat. 764 G. Broesike: Ueb. die feinere Structur des normal. Knochenge webes. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXL Sämmtliche Bilder sind bei Hartnack Ocular III, Objectiv IV (ausgezogener Fig. 2. Fig. 3. Tubus) gezeichnet. Ursprünglich völlig leere Keratinscheiden der Knochenlacunen und ihrer Ausläufer, welche zum Theil durch die Altmann’sche Oel- injection gefüllt und dann durch die Osmiummethode isolirt sind. Aus einer alten, völlig trocknen und macerirten menschlichen Tibia, die an einer Stelle ausgegraben wurde, an welcher sich vor über 200 Jahren ein Kirchhof befunden haben soll. An den Scheiden hängt theilweise die gequollene, durch das Kochen erweichte, car- moisinrotbe Intercellularsubstanz, das in ihnen befindliche Oel ist schwarz gefärbt. Bei a völlige Oelfüllung, bei b ein Oeltropfen in der Mitte, der einen Kern vortäuscht, bei e wandständiges Oel, d völlig leere Scheide, e vollständige Oelfüllung bis auf eine wand- ständige Vacuole. Aus demselben in gleicher Weise behandelten Knochen. Isolirte Grenz-(Keratin)-Scheiden der Haversischen Kanäle bei a mit schwarzgefärbtem Oel gefüllt, bei b leer; e völlig und d zum Theil mit Oel gefüllte Keratinscheiden der Knochenlacunen, welche mit den Blutgefässscheiden im Zusammenhang stehen. Auch hier sieht man den isolirten Objecten hier und da Fetzen der carmoisinrothen Intercellularsubstanz anhängen. Protoplasmatische Knochenkörperchen au® frischen menschlichen Knochen, welche unmittelbar nach der Herausnahme mittelst der Osmiummethode behandelt und isolirt sind, zum Theil mit anhän- genden Resten von Intercellularsubstanz. a, b, c, d sternförmig verästelte, jüngste Formen (erstes Stadium der Entwickelung), a und b anastomosirende Zellkörper, bei d ein undeutlicher Zell- kern sichtbar; e, f und g Verlust der Ausläufer und Volumsabnahme (zweites Stadium der Entwickelung), h und i die in diesem Stadium schr häufige Spindelform, k, l, m die Zellkörper sind von Keratin- scheiden umgeben, welche in diesem Entwicklungsstadium zuerst aufzutreten beginnen. Degenerirte Formen der Knochenkörperchen (drittes Entwicklungs- stadium) und Zerfallsproducte des Degenerationsprocesses (viertes Stadium) aus den älteren Schichten von frischen menschlichen Knochen. Durch dieselbe Methode isolirt. a, b, ec, d Stadium der Verfettung der Knochenkörperchen, a, b Vergrösserung der Knochen- körperchen und Ausfüllung ihrer Keratinscheiden durch beginnende Fettaufnahme, ce und d völlig verfettete Knochenkörperchen, ihre W. Podwyssotzki: Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues etc. 765 Scheiden überall ausfüllend. Bei e, f, &, h, i, k Keratinscheiden aus den Knochen älterer Personen mit zerfallenem Fettinhalt und theilweiser oder völliger Resorption der Zerfallsproducte. Bei e und f ungefärbte Umwandlungsproducte des 'Fettinhaltes, g fast gänz- lich und h völlig leere d. h. am frischen Knochen wahrscheinlich mit CO, gefüllte Keratinscheiden. Bei i und k Reste eines eiweiss- artigen Inhalts. Bei I, m, n ein Stückchen mittelst der Osmium- methode behandelter Knochensubstanz, das vorher mehrere Tage in 5 °/, Natronlösung gelegen hatte und an dem in Folge dessen die Scheiden fast überall destruirt waren. Bei Il und m völlige Zerstörung der Keratinscheiden, daher völliger Mangel der Ausläufer innerhalb der carmoisinrothen Intercellularsubstanz. Bei n durch die Natronlösung gequollene Ausläufer der Keratinscheiden. (Aus dem histologischen Laboratorium von Prof. Peremeschko in Kieff.) Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues der Bauchspeicheldrüse. Von W. Podwyssotzki (Sohn). Seit R. Heidenhain’s!) epochemachenden Untersuchungen über die Bauchspeicheldrüse hat dieses Organ eine ausserordent- lich grosse Bedeutung für die Mikrophysiologie aller secretorischen Drüsen bekommen. An den secretorischen Zellen des Pankreas können wir jetzt, besser als an den Zellen aller anderen Drüsen, die feinsten Strukturveränderungen des Organs im Zusammen- hange mit seiner Funktion verfolgen und auf solche Weise in den eomplieirten Process, welcher in der Drüse während ihrer Thätig- keit vorgeht, Einsicht gewinnen. 1) R. Heidenhain: Beiträge zur Kenntniss des Pankreas. Arch. für Physiologie. Bd. X. 1875. 766 W. Podwyssotzki: Obgleich P. Langerhans!) schon im Jahre 1869: die wich- tigen Unterschiede zwischen der Structur des Pankreas und der Speicheldrüsen gezeigt hatte, standen doch fast alle späteren Forscher unter dem Einflusse der alten Ansicht von der Identität der Structur des Pankreas und der der Speicheldrüsen. Noch bis heute herrscht bezüglich des Anfanges der Ausführungsgänge und des Ver- haltens des Bindegewebes zu den Alveolen grosse Verschiedenheit der Auffassungen. Auch die nach Behandlung mit Chromsäure, Alkohol und andern Reagentien zwischen den Zellen erscheinen- den glänzenden Streifen wurden verschieden gedeutet. Einige Forscher hielten sie für intercellulares, resp. intraalveolares Binde- sewebe (Boll, Ebner, Renaut); andere für die während des Lebens flüssige und die intercellularen Spalten erfüllende Intercel- lularsubstanz, welche unter dem Einflusse der obengenannten Re- agentien 'geronnen sei (Schwalbe, Lavdowsky). Der Gegensatz zwischen der Unvollständigkeit unserer mikros- kopisch-anatomischen Kenntnisse über die Bauchspeicheldrüse und den bedeutenden Fortschritten der Mikrophysiologie derselben be- wog mich zu einer erneuten anatomischen Untersuchung der Drüse ; ich benützte vorzugsweise das Pankreas des Hundes, dann das des Menschen, des Kaninchens, der Ratte, der Maus, der Taube, des Frosches und Tritons. Die Resultate, zu welchen ich gelangte, betreffen jedoch hauptsächlich die Bauchspeicheldrüse des Hundes. Was die von mir gebrauchten Untersuchungsmethoden be- trifft, so erhärtete und macerirte ich kleine Stückchen der injieir- ten und nicht injieirten Drüse in verschieden conecentrirten Lö- sungen von Chromsäure, Ammon. monochrom., Choralhydrat, Gold- chlorid, Osmiumsäure ete., eombinirte die Extraction der Drüse mit Glycerin mit nachfolgender Maceration in Chromsäure und Färbung mit verschiedenen Tinktionsmitteln. Die ausführliche Arbeit mit den Abbildungen ist in den Verhandlungen der Universität Kieff (Bd. XI, XII — 1881 und Bd. I — 1882) gedruckt. Hier will ich nur die Resultate meiner Untersuchungen kurz wiedergeben. I. Die sekretorischen Zellen des Pankreas bestehen aus zwei Zonen, einer peripherischen, welche alle Eigenschaften der Eiweiss- körper besitzt, und einer centralen granulirten. Die Beobachtung 1) P. Langerhans: Beiträge zur mikroskopischen Anatomie der Bauchspeicheldrüse. Inaug.-Dissertat. Berlin 1869. Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues der Bauchspeicheldrüse. 767 Heidenhain’s über den Zusammenhang zwischen der Dicke dieser Zone und den verschiedenen Stadien der Verdauung fand ich vollkommen bestätigt. II. Im Lumen der Alveolen, in den Ausführungsgängen und dem Safte der Drüse fehlen die Körnchen. III. Die Körnchen der centralen Zone der Zelle sind keine reine Eiweisskörper; sie stellen ein Ding sui generis vor und haben mit den gewöhnlichen Protoplasmakörnchen nichts gemein. Ihr Vorkommen in den Zellen ist der Ausdruck der fermentbilden- den Thätigkeit der letzteren. Diese Körnchen können als mate- rielles Substrat des Trypsinogens oder Pankreatin -Zymogens gelten. IV. Das intraalveolare resp. intercellulare Netz (Ebner, Boll) existirt während des Lebens nicht. Zwischen den secreto- rischen Zellen findet sich während des Lebens eine flüssige Zwischensubstanz. Bei der Behandlung mit Chromsäure (1%, 1/3 Yo, 5 0, Y/s %/0) quillt es auf, wird hart und kann selbst unter der Form dünner, homogener Plättchen und Bälkchen isolirt wer- den. Das Glycerin extrahirt diesen Stoff, so dass man nach vor- hergehender Behandlung mit Glycerin und nachfolgender Maceri- rung kleiner Stückchen der Drüse in Chromsäure die intercellu- laren Bälkchen nicht mehr antrifft. V. Die intercellularen Spalten nehmen an den Seecretions- vorgängen Theil. Es ist höchst wahrscheinlich, dass sie zur Fil- tration einer Flüssigkeit, welche Eiweisskörper und Salze gelöst enthält, aus den Blutcapillaren bestimmt sind. VI. Auf der Oberfläche der Alveole, unter der Membrana propria, befinden sich Bindegewebszellen (Membran-Zellen der Autoren), welche in der Bauchspeicheldrüse sehr eigenthümlich sind; sie anastomosiren untereinander und senden überall in die Intercellularspalten keilförmige, plattenartige Fortsätze hin. Nicht selten anastomosiren diese Fortsätze in den Intercellularspalten mit den Fortsätzen der centroacinären Zellen. Diese Bindegewebs- zellen habe ich „Keilzellen“ genannt. VI. Die Fortsätze der centroaeinären Zellen sind nicht faden-, sondern plattenförmig. Diese feinen Plattenfortsätze schieben sich aus dem Lumen der Alveole in die Intercellularspalten ein. Die mit vielen Fortsätzen versehenen centroaeinären Zellen ebenso wie die „Keilzellen“ sind metamorphosirte dipolare Spindelzellen Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 2]. 50 768 W. Podwyssotzki: Beiträge zur Kenntniss des feineren Baues ete. der feinsten Ausführungsgänge. Alle diese Zellen sind bindege- webiger, nicht epithelialer Natur. VII. Die centralen Abtheilungen der Intereellularspalten, soweit die Fortsätze der centroacinären Zellen reichen, stellen die anatomisch definirbaren Anfänge der Ausführungsgänge dar. Somit nehmen die Ausführungsgänge ihren Anfang nicht als besonders formirte seeretorische Kanälchen oder Capillaren (Giannuzzi, Saviotti), sondern als einfache intercellulare Spalten, welche auf injieirten Präparaten die feinen Kanälchen der Autoren simuliren. IX. Die Membrana propria ist keine homogene structurlose Haut, sondern besteht aus einem äusserst dichten und feinen Netze, dessen sich kreuzende Fibrillen mit den gröberen interalveolaren Bindegewebsfasern in direktem Zusammenhang stehen. X. Die Membrana propria enthält keine Zellen oder sicht- baren Kerne und schickt keine Fortsätze in das Innere der Alveole. XI Die im Parenchym der Drüse zerstreuten Gruppen eigen- thimlicher Zellen („Häuflein“ von Langerhans, „points follieu- laires* von Renaut) sehen den Iymphatischen Follikeln sehr ähn- lich aus; doch haben diese Zellen mit den Iymphoiden Elementen nichts gemein. Darum wird man jene Häuflein vor der Hand wohl am besten als „Pseudofollikel“ bezeichnen. Ueber ihre Bedeutung für die Drüse ist nichts bekannt. XII. Die Alveole ist ein höchst complieirter mechanischer Apparat mit einem ganzen System von Theilen, welche zur Ver- kleinerung und Vergrösserung ihres Volums (anastomosirende „Keilzellen“, netzartige Membrana propria, intercellulare Spalten) und ihres Flüssigkeitsgehalts dienen. u Eduard Meyer: Zur Anatomie und Histologie ete. 769 Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. Von Eduard Meyer. Hierzu Taf. XXXI und XXXIH. Die erste Kenntniss dieser interessanten Wurmart verdanken wir einer wenngleich nur wenig detaillirten Mittheilung von M. F. Dujardin!); es ist seine, von ihm unter die Oligochaeten ge- stellte Nais pieta, deren Identität mit der Gattung Polyophthalmus von den späteren Forschern in Folge der oberflächlichen Beschrei- bung und ungenauen Abbildung nur mit Mühe constatirt werden konnte. Weitere Erwähnung der uns beschäftigenden Anneliden- form finden wir bei A. E. Grube?), der sie nach Dujardin’s Angaben der Gruppe von Dero s. Proto zuzählte (mit Berück- sichtigung der von Dujardin als „tentaculus respiratoires“ be- zeichneten Analeirren). Erst Quatrefages°?) gab uns eine ein- gehendere Abhandlung über die von ihm zum Range einer Familie erhobene Gruppe, welche er Polyophthalmea nannte und der Unterordnung der polychaeten Borstenwürmer einverleibte; bei ihm finden wir eine Zusammenstellung und Charakteristik sämmt- licher zu seiner Zeit bekannt gewordenen Arten der einzigen Gat- tung dieser Familie, Polyophthalmus, sowie eine recht ausführliche anatomische Beschreibung der von ihm untersuchten Art P. Ehren- bergi. Eine andere Art, P. pietus, ist ferner von Ed. Clapa- 1) Observations sur quelques Ann&lides marines par M. F. Dujardin. — Ann. sc. nat., 2. serie, tome XI. 1839. 2) Die Familien der Anneliden mit Angabe ihrer Gattungen und Arten. Ein systematischer Versuch von A. E. Grube. Berlin 1851. 3) Etudes sur les types inferieurs de l’embranchement de Anneles par M. A. de Quatrefrages. Memoire sur la famille des Polyophthalmiens. — Ann. sc. nat., 3. serie, tome XIII. 1850. 770 Eduard Meyer: redet), jedoch hauptsächlich in Bezug auf ihre äussere Form und Merkmale beschrieben worden, wozu er auf Taf. I seines Werkes vorzügliche Abbildungen gegeben hat; über die inneren, anato- mischen Eigenthümlichkeiten dieser Species berichtet er eben nur so viel, als man am lebenden, unverletzten Thiere in Folge seiner Durchsichtigkeit ermitteln kann. An einer anderen Stelle?) beschreibt derselbe Forscher schliesslich noch eine in Neapel vor- kommende Art, P. pallidus, die sich von der vorhergehenden nur wenig unterscheidet, woselbst er auch die Polyophthalmeen mit den Opheliadeen in eine Familie vereinigt. Das ist Alles, was wir bis jetztin der Litteratur über den vorliegenden Gegenstand besitzen. Die vorletzte Species nun, Polyophthalmus pietus?), habe auch ich Gelegenheit gehabt zu untersuchen. Ein reichliches, in absolutem Alcohol gut conservirtes, in Neapel gesammeltes Material stellte mir hierzu mein hochverehrter Lehrer, Herr Dr. Ussow in St. Petersburg freundlichst zur Verfügung; ein weiteres, gut er- haltenes Material erhielt ich aus der zoologischen Station zu Neapel — hierunter waren Exemplare, die mit Osmiumsäure, Chromsäure, 1) Glanures zootomiques parmi les Annölides de Port-Vendres par Ed. Clapar&de. Geneve 1864. 2) Les Annölides chetopodes du Golf de Naples par Ed. Claparede. Geneve et Bale 1868. p. 294. 3) Hier sei bemerkt, dass ich bei meiner vorläufigen Mittheilung „über das Nervensystem und die Sinnesorgane von Polyophthalmus“ in der St. Petersburger Naturforschergesellschaft (Dezember 1881) mich in der Speeies der von mir untersuchten Polyophthalmeen geirrt habe, indem ich dieselben, infolge der ungenauen, bei Quatrefages befindlichen Charakteristik der Polyophthalmusarten für Repräsentanten der Art P. agilis gehalten habe. Benannter Autor giebt für P. pietus zwei Kopfaugen an, während es, wie auch Claparede anführt, in Wirklichkeit drei sind; ferner zählt er 26 Körpersegmente — ein Irrthum, der sich vielleicht dadurch erklären lässt, dass die Anzahl der Segmente an unausgewachsenen Exemplaren beobachtet worden ist, bei welchen in der That, wie mir aus eigener Anschauung bekannt, die Segmentzahl eine geringere als bei ausgewachsenen Thieren ist. Dieses wären die hauptsächlichsten Ursachen, durch welche ich mich zu obigem Irrthume habe verleiten lassen. Im Laufe meiner weiteren Untersuchungen habe ich mich von der Identität der von Claparede beschriebenen Form mit der mir zu Gebote stehenden Art überzeugt und glaube somit auch für dieselbe den ihr von Clapar&de angewiesenen Artnamen P. pietus beibe- halten zu dürfen. I 1 =] Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. Pikrinschwefelsäure, Essigsäure, schwachem Alcohol und Sublimat behandelt und in starkem Alcohol conservirt waren. Gestalt und Färbung. Der in der Bucht von Neapel lebende Polyophthalmus pietus ist ein kleiner, durchsichtiger Wurm mit regelmässiger, brauner Zeich- nung, der im ausgewachsenen Zustande 15 bis 18 mm (nach Clapa- rede bis 20 mm) misst; er hat einen eylindrischen, ventral etwas ab- seplatteten und mit einer medianen Bauchlängsfurche versehenen Körper, der am hinteren Ende plötzlich zugespitzt ist. Aufdas kleine, nach vorne kuppelförmig abgerundete Kopfsegment folgen 28 borsten- tragende Rumpf- und 8 borstenlose, äusserst kurze Analsegmente, die sich gegen das Ende hin verjüngen (Fig. 18 u. 19, 1—8). Claparede giebt zwar an, dass sich der ganze Körper von P. nur aus ungefähr 30 Segmenten zusammensetzt, doch lässt sich dieses dahin erklären, dass er den achttheiligen Endabschnitt als ein einziges Segment betrachtet hat, welches aber — wie er selbst hinzufügt — viel- leicht mehreren entspräche. Die einzelnen Körpersegmente sind äusserlich nicht, wie dieses sonst bei Anneliden gewöhnlich der Fall ist, durch ringförmige Furchen gegen einander abgegrenzt, sondern die Oberfläche unseres Wurmes erscheint vollständig glatt; von aussen lassen sich die Grenzen der Metameeren nur durch die Lage der Borstenbündel und durch die Pigmentirung unterscheiden. Am Ende eines jeden der 28 Rumpfsegmente liegen nämlich je zwei paar, mit einfachen Borsten ausgestattete Borstentaschen, ‚wobei die dorsalen und ventralen in der Seitenlinie so dicht aneinander gerückt sind, dass Claparede die Anordnung derselben für einreihig hielt, während sie in Wirklichkeit jederseits zwei übereinander gelegene Zeilen bilden; übrigens bemerkt er, dass in den 4 oder 5 letzten, borstentragenden Segmenten die Borsten- bündel vertikal in zwei getheilt sind !) — hier rücken sie aber mit ihren peripherischen Theilen etwas weiter auseinander, woher 1) Vergl. Claparede’s Fig. 1« und 12 auf Pl. I. — Veberhaupt möchte ich in Betreff der äusseren Form von Polyophthalmus pietus auf die vorzüglichen Abbildungen hinweisen, welche uns genannter Forscher in seiner Abhandlung auf Pl. I gegeben hat. Da selbige zum Verständniss der äusseren Formverhältnisse unseres Wurmes vollständig ausreichend sind, so glaube ich mir eine diesbezügliche bildliche Darstellung ersparen zu dürfen. 772 Eduard Meyer: ihre Duplieität an dieser Stelle auch leichter erkannt werden kann. Bei P. pallidus hat derselbe Forscher eine zweizeilige Anordnung der Borstentaschen richtig beschrieben — wahrscheimlich sind die letzteren auch hier weiter auseinandergerückt. Hiergegen zeichnet sie Quatrefages!) wohl als paarige, jedoch nicht über, sondern horizontal neben einander gelegene Gebilde. Die sich in allen Körpersegmenten regelmässig wiederholende Zeichnung ist nun folgende: auf dem Rücken befindet sich im zweiten Viertel eines jeden Segmentes ein ziemlich grosser, brauner Pigmentfleck in Gestalt eines Rombus, dessen kleinere Diagonale in der Mediane des Körpers liegt; auf dem Niveau dieses rautenförmigen Rückenfleckes liegt dann jederseits ein quer über die Seitenlinie nach unten ziehender, schmaler Streifen und im dritten Viertel zwei ähnliche, den letzterwähnten paralelle Bänder, zwischen der dorsalen Mittellinie und den Seitenlinien. In den vordersten Segmenten ist die beschriebene Zeichnung am stärksten ausgeprägt, woher dieser Körpertheil auch am buntesten erscheint. Eine Abweichung von dem gegebenen Schema der Pigmen- tirung finden wir im Mundsegmente, welche durch die hier ge- legenen und der Familie der Polyophthalmeen eigenthümlichen Flimmerorgane (Fig. 17, flo) bedingt wird?); es sind dieses sym- metrisch zu beiden Seiten des Körpers gelegene, taschenartige Vertiefungen von hufeisenförmiger Gestalt, mit schräg nach hinten und unten gerichteten Schenkeln, deren äussere Ränder pigmentirt sind — sie nehmen fast die ganzen Seitenflächen des Mundseg- mentes ein. Hier befindet sich nun auch die ventrale, dreieckige Mundöffnung, welche mit einer halbmondförmigen, am freien Rande zackigen Unterlippe und zwei Oberlippen versehen ist (Fig. 17, Ul und Ol, Ol); aus dem Munde kann die wimpernde Pharynx in Form eines verhältnissmässig grossen, jedoch unbewaffneten Rüssels (Fig. 16, Ph*) hervorgestülpt werden ’). Da die Wandungen des Kopflappens des Pigmentes fast ganz entbehren, so scheinen die drei braunen, im Gehirn vollständig eingebetteten Augen — ein oberes, medianes und zwei untere, laterale (Fig. 17, au) — durch und können somit auch als äussere Merkmale dienen. INT ori 2 Wo. 4. 2) Vergl. Claparede Pl. I. Fig. l1« b, Fig. 1% c und Fig. 12. 3) Vergl. Claparede Pl. I. Fig. 1 g, und Fig. 1{g. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 773 Gegen das Ende des Körpers verliert die Pigmentirung an Regelmässigkeit, indem einerseits die dorsalen Flecke an Grösse zunehmen, die lateralen Streifen ihre exacten Contouren verlieren und ihr Pigment mehr weniger über die Seitenflächen zerstreut ist, und indem andrerseits auf der Bauchseite neue, den rauten- förmigen Rückenflecken entsprechende Zeichnungen auftreten. Der S-theilige Endabschnitt des Körpers ist ganz pigmentfrei und durch- sichtig; er ist seitlich zusammengedrückt, die Bauchfläche hat keine mediane Rinne, sondern ist convex abgerundet und verläuft schräg nach oben zum Ende, wo sich die halb terminal, halb dorsal ge- legene Analöffnung befindet, die von 9 (manchmal, jedoch selten, auch mehr) fingerförmigen Fortsätzen, Analeirren, umgeben ist. Im mittleren Theil des Körpers liegen nun schliesslich vom Vliten Segmente ab genau auf der Seitenlinie, im dritten Viertel eines jeden Segmentes ein paar braune, bei oberflächlicher Be- trachtung halbmondförmige Flecke, im Ganzen bei P. pietus 12 Paar. Es sind dieses die schon von Quatrefages als solche erkannten und beschriebenen Seitenaugen (Fig. 17 s.au), denen unsere Wurm- gattung ihren Namen verdankt. Claparede, welcher, wie mir scheint, dieselben nicht eingehender untersucht hat, versuchte sie in seiner Abhandlung zum Range einfacher Pigmentflecke herab- zusetzen; bei genauerer Untersuchung aber erweisen sich dieselben, wie wir weiter unten sehen werden, als wirkliche Sehorgane, die in ihrem Bau den Typus der Annelidenaugen deutlich erkennen lassen. Dieses eigenthümliche Auftreten von Augen in der Mehr- zahl und namentlich in symmetrisch-metamerer Anordnung ist vom vergleichend-anatomischen Gesichtspuncte aus von nicht un- erheblicher Bedeutung, da — wie Gegenbaur sich hierüber aus- spricht !) — „in diesem Verhalten nicht blos ein für die Würdigung der Metameren wichtiger Umstand liegt, sondern dadurch auch für die Ausbildung von Sehwerkzeugen an sonst nur Sinnesorgane niederer Art tragenden Stellen Zeugniss abgelegt wird.“ Integument, Stammesmuskulatur und Gliedmassen. Die Körperwand von P. besteht, wie bei allen Borstenwürmern, aus einer homogenen, fast überall gleichmässigen Cutieula und 1) C. Gegenbaur: Grundriss der vergl. Anatomie 1878. p. 166. 774 Eduard Meyer: einem zelligen Hypoderm, welches je nach der Körpergegend recht ansehnliche Modificationen aufzuweisen hat. Bei stärkerer Vergrösserung erscheinen auf der Obertläche der Cutieula zwei sich kreuzende Systeme von Strichen (Fig. 22), welche im Grunde nichts anderes sind als mikroskopische Furchen. Ferner sieht man in den Schneidepuneten dieser Liniensysteme hier und dort kleine, leuchtende Kreuzchen — es sind die Mün- dungen der weiter unten zu beschreibenden, einzelligen Hypoderm- drüsen; sie entstehen dadurch, dass sich die Furchen gegen die Drüsenmündungen hin etwas erweitern und vertiefen. Wir haben hier dasselbe Bild, wie es auch schon von Ed. Claparede für den Regenwurm dargestellt worden ist!). Aus der Betrachtung von Querschnitten der verschiedenen Körperregionen ergiebt sich, dass die Cuticula überall die gleiche Dieke hat; nur in der unter dem Bauchmarke verlaufenden, ventralen Längsrinne ist dieselbe von stärkerem Durchmesser — eine Einrichtung, die jedenfalls zum Schutze des der Körperwand dicht anliegenden Bauchmarkes dient. Verdünnungen der Cuticula sind an den äusseren Sinnes- organen vorhanden, so an den weiter unten zu beschreibenden Becher-, Flimmer- und Seitenorganen, sowie an der Stirnpapille und den fingerförmigen Analeirren. Einstülpungen der Qutieula finden wir, abgesehen von den taschenartigen Flimmerorganen, in den Borstentaschen, in der Mundhöhle und im Enddarm; in den beiden letzten Fällen findet sie ihre direete Fortsetzung in dem euticularen Saume einerseits des Pharyngeal- andrerseits des Mittel- darmepithels. (Vorgreifend sei hier bemerkt, dass sowohl Mund- höhle als Enddarm integumentale Wandungen besitzen.) Eine Bewimperung der Körperoberfläche von P. pietus, wie sie von Clapare&de beschrieben und auch bildlich dargestellt worden ist?), habe ich nicht nachweisen können, da mir leider kein lebensfrisches Material zu Gebote stand, die zarten Cilien aber, wenn solche im lebenden Zustande vorhanden sein sollten, durch die conservirenden Reagentien und den Transport zu Grunde gegangen sein können. Nach der Zeichnung von Olaparede zu wurm. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie. Bd. 19. 1869. — Vgl. Taf. XLV. Figur 1. ZI" VEL-T Cr FIR. I PT, Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus CJap. 775 Sinneshäärchen, als von einfachen Wimpern zu tragen, indem die- selben die Oberfläche des Körpers nicht gleichmässig, sondern in kleine Büschel gruppirt bedecken. Für den Umstand, dass es zartere, den bekannten Tasthäärchen der Anneliden ähnliche Ge- bilde sein müssen, spricht aueh das Nichtvorhandensein derselben am conservirten Material, während die einfachen Flimmerhaare am Darmepithel und in den Flimmerorganen gut erhalten bleiben. Eine in ihren verschiedenen Theilen weit weniger gleich- mässige Schicht als die Cuticula ist das Hypoderm. Während es an indifferenten Körperstellen, an Rücken-, Seiten- und Bauch- fläche ungefähr dieselbe Dieke wie die erstere zeigt (vergl. die verschiedenen Querschnitte), erscheint der Durchmesser desselben an gewissen Stellen einerseits um ein Vielfaches grösser, so an den Seitenflächen des Kopfsegmentes (Fig. 1 u. 2, hp), an der Unterlippe (Fig. 4), am Endabschnitte des Körpers (Fig. 26) und namentlich an den von den hufeisenförmigen Oefinungen der bei- den Flimmerorgane begränzten Hautabschnitten (Fig. 3, hp*), an- dererseits wieder, wie z. B. unter dem Bauchmarke (Fig. 28, hp*), so gering, dass das Hypoderm kaum als besondere Schicht zu unterscheiden ist. Der histiologische Bau des Hypoderms ist im Allgemeinen derselbe, wie er von H. Eisig für die Capitelliden beschrieben worden ist!). Es besteht aus eigenthümlichen, faserigen Hypodermzellen und zwischen diesen eingelagerten, membranlosen Drüsenzellen, deren gegenseitiges, quantitatives Verhalten sehr varlirt; als dritter Bestandtheil kommt an den gefärbten Körper- stellen noch das Pigment hinzu. Das Verhalten der genannten Hypodermelemente zu einander lässt sich am deutlichsten an den- jenigen Stellen wahrnehmen, wo die Haut einen möglichst starken Durchmesser erreicht — in dieser Beziehung ist die Flimmerorgan- region am passendsten (Fig. 3, hp*); am Querschnitt aus dieser Gegend (Fig. 25) erhalten wir bei stärkerer Vergrösserung folgen- des Bild. Wir sehen hier senkrecht auf die Cuticula gestellte, schmale Zellen mit lang gezogenen, stäbehenförmigen Kernen und faserigem Inhalt, die sowohl nach aussen, gegen die Cutieula, als nach innen erweitert sind; die Fasern ihrer basalen Theile scheinen unter einander verflochten zu sein, und ihre peripheris£hen Enden sind mit Pigmentkörnchen erfüllt. Zwischen diesen eigenartigen l) Dr. Hugo Eisig: Die Seitenorgane der Capitelliden. Mitth. aus der zool. Station Neapel. B. I. 1879. — 1.3. 776 Eduard Meyer: Faden- oder Faserzellen befinden sich nun verhältnissmässig grosse ovale Zellen, welche nach Behandlung mit Osmiumsäure und nach- träglicher Tinction mit Alaunkarmin ein blasiges Aussehen erhalten; ihr Inhalt erscheint fast homogen und leicht geröthet. Sie ent- halten einen dunklen, meist ovalen Kern, welcher seitlich am Grunde der Zelle gelegen ist (Fig. 25, hp, dr). Mit Alcohol be- handelt und mit Hämatoxylin gefärbt erscheinen diese Zellen ho- mogen, schwarzblau und nehmen einen so dunklen Farbenton an, dass die Kerne vom Inhalte nicht mehr zu unterscheiden sind. Diese kernhaltigen, blasenartigen Gebilde sind ihrem funetionellen Werthe nach einzellige Hautdrüsen, welche in der Classe der An- neliden eine so grosse Verbreitung haben; durch feine Poren- canälchen der Cuticula münden sie nach aussen, und zwar an jenen oben beschriebenen Stellen der Cutieula, welche durch kleine, glänzende Kreuzchen gekennzeichnet sind. An tingirten Präparaten zeigen die Drüsenzellen je nach ihrer Functionsphase eine bald hellere, bald dunklere Färbung. Betrachtet man solch eine an Drüsenzellen reiche Integu- mentstrecke von der Oberfläche, so ergiebt sich das weitere Ver- halten der Drüsen- und Fadenzellen zu einander wie folgt (Fig. 24): die Fadenzellen bilden zusammengenommen ein kernhaltiges, von Pigmentkörnchen durchsetztes Netzwerk, in dessen Maschen die blasigen, mit seitlich grundständigen Kernen versehenen Drüsen- zellen eingelagert sind. Dieses wäre der typische Character des Hypoderms, der an allen denjenigen Stellen deutlich hervortritt, wo die Haut eine ansehnlichere Dicke erreicht. Am dichtesten gedrängt erscheinen die einzelliigen Hypodermdrüsen (hp, dr) im Bereiche der Flimmerorgane (Fig. 3 u. 25), um die Stirnpapille herum (Fig. 24) und am Endabschnitt des Körpers (Fig. 26); in verhältnissmässig geringerer Zahl treten dieselben in der Unter- lippe (Fig. 4, Ul) und an den Seitenflächen des Kopfsegmentes (Fig. 31) auf. H. Eisig vergleicht die so gestaltete Haut füglicher Weise mit einer Drüse, deren Stroma von den faserigen Hypoderm- zellen gebildet wird und deren Pulpa die nackten, von den ersteren umfloehtenen Drüsenzellen repräsentiren, wobei die Cutieula mit ihren Porenkanälchen diesem Drüsenindividuum resp. dem drüsigen Hypoderm gegenüber die Bedeutung eines polystomeren Aus- führungsganges zukommt. Viel schwerer lässt sich die feinere Structur des Hypoderms 7 -7 u | Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. an den Seiten, am Bauche und am Rücken des Thieres erkennen, wo es ungefähr dieselbe Dieke wie die Cuticula hat; doch ergiebt sich bei Behandlung mit Sublimat und passender Färbung mit Hämatoxylin oder Alaunkarmin auch für diese Hautstrecken im Grunde genommen dasselbe histologische Verhalten wie oben, wenngleich bis zu einem gewissen Grade modifieirt. Es sind wie- der dieselben kernhaltigen Fadenzellen, die dem Durchmesser des Hypoderms entsprechend hier sehr kurz sind; sie bilden auch wieder, mit ihren faserigen Enden unter einander verflochten, ein feines Netzwerk, welches in seinen Maschen die einzelligen Drüsen aufnimmt (hp, dr, Fig. 23). Die letzteren, welche hier weit weniger dieht gedrängt und diffus in der Haut zerstreut sind, haben bei der geringen Stärke des Hypoderms für eine senkrechte Stellung nicht den genügenden Raum mehr und nehmen in Folge dessen eine der Cutieula paralelle Lage an; sie sind überhaupt schmäler und gestreckter und liessen sich ihrer Form nach mit schlanken, sewundenen Kölbchen oder Fläschehen vergleichen. Am stärksten ausgeprägt und in verhältnissmässig grosser Anzahl ist diese Form von Drüsenzellen am Rücken unseres Wurmes vorhanden. Es liesse sich eine ganze Reihe von modifieirten Hypoderm- stellen beschreiben, wo die Haut als integrirender Bestandtheil gewisser Organe, namentlich von Sinnesorganen, auftritt, doch wird dieses bei der Beschreibung der betreffenden Organe selbst besser am Platze sein. Wenden wir uns nun zur Betrachtung des Muskelsystems von Polyophthalmus. — Obschon Claparede in seiner Abhand- lung von einer Ringmuskulatur als von einer besonderen Schicht spricht, so ist es mir trotz vielfacher Bemühungen, solch eine nachzuweisen, nicht gelungen, und glaube ich mit ziemlicher Sicherheit behaupten zu können, dass eine eontinuirliche Ring- muskellage gar nicht vorhanden ist. Dieses Verhalten ist im Grunde genommen durchaus kein exceptionelles, da sich dasselbe bei niederen Annelidenformen hier und da wiederholt; so fehlt z. B. bei den Gattungen Protodrilus und Polygordius die Ring- muskelschicht vollständig, und bei der interessanten Art Saccoeirrus papillocereus, welche mit den beiden vorhergehenden Gattungen viele Aehnlichkeit hat, ist diese Muskellage nur als spärliche An- lage vorhanden und mit dem Hypoderm eng verwachsen. Auch bei Polyophthalmus finden sich stellenweise Andeutungen von der 778 Eduard Meyer: in Rede stehenden Muskelschicht; so sehen wir im Mundsegmente zu beiden Seiten der zur Mundöffnung führenden Längsrinne (Fig. 3, rm), ferner an den Seitenflächen der letzten borstentragen- den Segmente (Fig. 14, rm) und im Endabsehnitte des Körpers an der Bauchfläche (Fig. 26, rm) eine, wenn auch nur auf kurze Strecken beschränkte Lage von Muskelfasern, die in ihrem Ver- laufe dieselbe Richtung beurkunden, welche die Fasern einer typischen Ringmuskulatur an diesen Stellen einnehmen sollten. Im Gegensatz zu der fast ganz fehlenden oder doch nur in Gestalt geringfügiger Andeutungen vorhandenen Ringmuskelschicht ist bei Polyophthalmus die Längsmuskulatur schön entwickelt. Indem nun diese Muskellage an den Seitenlinien der ganzen Länge des Körpers nach unterbrochen ist, so lässt sich an derselben eine dorsale und eine ventrale Partie unterscheiden, und da eine fernere Unterbrechung dieser beiden Partien sowohl in der dorsalen als in der ventralen Medianlinie des Körpers stattfindet, so erscheint die Längsmuskelschicht vom grob-anatomischen Gesichtspunkte aus in vier der Körperwand dicht anliegende Muskelbänder, zwei dor- sale und zwei ventrale, zerspalten, wie dieses an allen quer durch den Körper gelegten Schnitten deutlich zu erkennen ist (Fig. 1—13, Im, d und Im, v). Die dorsalen Muskelbänder beginnen im Kopf- segment ungefähr über der hinteren Hälfte des Gehirns und er- strecken sich, gegen die Mitte des Körpers hin an Stärke und flächenhafter Ausbreitung zunehmend, bis zu den letzten borsten- tragenden Segmenten, ohne jedoch das Ende der Mitteldarmregion zu erreichen; ebenso die ventralen Muskelbänder, welche sich je- doch einer grösseren Ausdehnung erfreuen, indem sie im Kopf- segmente schon vor dem Gehirn in der Nähe der Stirnpapille ihren Ursprung nehmen und sich durch den ganzen Körper bis zu dem sich verjüngenden Endabschnitte desselben hinziehen. In histologischer Hinsicht besteht die Längsmuskelschicht aus langen, bandförmigen Fasern, welche mit ihren Kanten senkrecht auf die Innenfläche des Integumentes gestellt sind. Von der Oberfläche betrachtet, zeigt diese Muskellage an gefärbten Präparaten eine leichte, dunkle Querstreifung, welch’ letztere jedoch nur in Form einer wellenartigen Schattirung mit verschwommenen Contouren erscheint, wie ich dieses in Figur 15 (Im, v) anzudeuten versucht habe. Bei Isolirung solcher bandförmigen Muskelfasern sieht man auch nichts weiter, als dass sie in ziemlich gleichmässigen Ab- Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 779 ständen eine etwas dunklere Färbung angenommen haben; von einer echten Querstreifung kann somit nicht die Rede sein, immer- hin aber ist es interessant, dass sich hier doch, wenn auch nur eine geringe, auf jenes höhere Verhalten hinzielende Differenzirung in der Substanz der Muskelbänder bemerkbar macht. Zur Stammesmuskulatur gehört ferner ein System symmetri- scher, schräg-transversaler Muskelbänder oder -platten (qm), wie sie auch schon von Quatrefages und noch genauer von Claparede beschrieben worden sind. Dieses System erstreckt sich angefangen vom hinteren Ende des Kopfsegmentes mit fast durch- weg gleicher Regelmässigkeit bis zum Ende der Mitteldarmregion. Es besteht aus plattenartigen, glatten Muskelbändern, auf deren Oberflächen kleine Kerne sichtbar sind, die möglicherweise einem zarten, perimuseulären, durch die Conservirung unkenntlich ge- wordenen Bindegewebe angehören; in den mittleren Körperseg- menten sind sie zu je vier Paar vorhanden, von denen, wie Ola- parede!) riehtig bemerkt hat, das 4. Paar am breitesten ist (Fig. 17, 18 u. 19, qm 1—4), nehmen ihren Ursprung zu beiden Seiten des Bauchmarks sowohl an den seitlichen Theilen der Hülle des- selben als am diehtangrenzenden Hypodermabschnitt (s. Fig. 28) und verlaufen in schräg-transversaler Richtung zur Seitenwand des Körpers, wo sie sich dieht über der Seitenlinie an der Haut anheften und für die dorsale Längsmuskulatur, die sich ihren pe- ripherischen Enden zum Theil auflegt, die untere Grenze bildet (Fig. 5—13, qm.). Bei P. pallidus sollen diese Muskelbänder weniger regelmässig, alle gleich breit und jederseits zu je 5 vorhanden sein, von denen sich eines oder zwei wieder spalten, so dass es im Ganzen 6 oder 7 zu sein scheinen; in den 5 ersten Segmenten besitzt die letztgenannte Species dagegen nur je drei paar schräg- transversale Muskelbänder. Im I. Rumpfsegmente, wo sich die Schlundeommissuren noch nicht zum Bauchmarke vereinigt haben und im Mundsegmente erleidet das System der Quermuskelbänder in soweit einige Ver- änderung, als ein Theil derselben zu beiden Seiten der Unterlippe seine Insertionsstellen findet (Fig. 4, qm), ein anderer als Retractoren der beiden Oberlippen (Fig. 17 bei Ol) und der beiden Flimmer- organe (Fig. 3, retr.) fungirt und im letzten Falle, so wie weiter nach vorne (Fig. 2, qm), seitlich von der zur Mundöffnung führen- einer verel Pl. T Fig Ic 780 Eduard Meyer: den Bauchrinne angeheftet ist; auch ist ihre Zahl im Mundseg- mente auf drei Paar redueirt. Eine eigenartige Umwandlung der schrägen Muskelbänder finden wir noch in den beiden letzten (also im XXVII und XXVIIL) borstentragenden Segmenten, wo dieselben nicht mehr plattenartig sind, sondern am Quersehnitte ein mehr fächerförmiges Ansehen erhalten, indem ihre seitliche Insertion nicht mehr wie sonst jederseits auf einen schmalen Streifen über der linea lateralis beschränkt ist, sondern eine grös- sere Strecke an der Innenfläche der Seitenwand des Körpers ein- nimmt (Fig. 14, qm); von der Fläche betrachtet zeigen sie hier auch keine so scharfe Abgrenzung in 4 Paar Bänder, woher es schwer fällt, eine bestimmte Zahl derselben für jedes einzelne der besagten Segmente anzugeben. In dem aus 8 unentwickelten borstenlosen Segmenten beste- henden Endabschnitt des Körpers sind die -schräg-transversalen Muskeln nicht vorhanden, dafür treten hier besondere horizon- tale, dorsale Muskelbänder auf; dieselben finden wir jedoch auch schon in den beiden letzten borstentragenden Segmenten m h d, Fig. 14 und 19). Sie inseriren an den beiden Seiten- wänden des Körpers in deren oberen Hälften und liegen den hier befindlichen Dissepimenten, welche die einzelnen Abtheilungen resp. Segmente des Endabschnittes gegen einander abgrenzen, dicht an; ihrer Lage nach entsprechen die Insertionsstellen derselben den hel- len ovalen Flecken!) des Hintertheiles von P. pietus, welche Clapa- rede für die oberen Anheftungspunkte der seiner Beschreibung nach hier bis fast zum Rücken hinaufreichenden Quermuskelbänder hielt. Im Anschluss an das System der schräg-transversalen Mus- kelplatten wären hier noch die speciellen Borstenmuskeln zu beschreiben, welche mit den ersteren ungefähr dieselbe Richtung und Lage haben, sie liegen paarweise am Ende eines jeden Rumpf- segmentes, zwischen dem 4. Paare der Quermuskelbänder des be- treffenden und dem 1. Paare des nächstfolgenden Segmentes (Bm Fig. 17 u. 19). Es sind dünne Muskeln, welche mit einer breiteren Basis an der Bauchrinne zu beiden Seiten des Bauchmarkes ent- springen und sich zur Peripherie hin allmälig zuspitzen, wo sie dicht neben und unterhalb der Mündungen der unteren, ventralen Bor- stentaschen an der Haut inseriren (Fig. 5 u. 14, Bm). Wie die schräg-transversalen Muskelplatten, denen sie durchaus parallel 1) Vgl. Claparede Il. c. Pl. 1. Fig. 18, d—d“. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 781 sind, haben auch die Borstenmuskeln auf ihrer Oberfläche Kerne. Zum leichteren Verständniss des weiteren Muskelapparates, welcher die Borstentaschen in Bewegung bringt, wollen wir die letzteren selbst zuerst betrachten. Wie schon oben bemerkt ist ein jedes Rumpfsegment an seinem Ende mit zwei Paar in der linea lateralis übereinander gelegenen Borstentaschen ausgerüstet. Während die superfi- eiellen Mündungen dieser in einer vertikalen Ebene übereinander liegen (Fig. 34) und durch ein zwischen denselben befindliches Sinnesorgan''), von dem unten die Rede sein soll, geschieden sind, eonvergiren ihre eentralen Enden, die durch ein kurzes Muskel- bändehen verbunden sind, und liegen horizontal neben einander (Fig. 17). Die Mündungen des oberen Borstentaschenpaares (Fig. 34, Bt, d,) liegen dieht unter den peripherischen Insertionsstellen der schräg-transversalen Muskelbänder (qm), die der unteren (Bt, v) über der oberen Gränze der ventralen Längsmuskulatur (Im, v). Wir haben somit in jedem Rumpfsegmente je ein Paar dorsaler und ein Paar ventraler Borstentaschen, die, wenngleich in den Seitenlinien sehr nahe zusammengerückt, den dorsalen und ven- tralen Parapodienpaaren der höher stehenden Chaetopoden zu ent- sprechen scheinen. Wie bei allen Anneliden so erscheinen auch hier die Borstentaschen als Hautdivertikel, indem sowohl Cuticula als Hypoderm an der Bildung ihrer Wandungen theilnehmen. Die Cuticula stülpt sieh schlauchförmig in die Borstentaschen hinein, die innere Auskleidung derselben bildend, und wird von einer Fortsetzung des integumentalen Hypoderms umgeben, welches hier nicht wie sonst aus faserigen Zellen besteht, sondern in Gestalt einer einfachen, plasmatischen kernhaltigen Matrix ohne sichtbare Zellgrenzen erscheint; das blindsackartige Ende der Taschen ist der eigentliche borstenerzeugende Boden. Von aussen d. h. gegen das Coelom sind die Borstentaschen von einer dünnen, mit flachen Kernen versehenen Membran überzogen und enthalten bis zu drei einfache, dünne Borsten, von denen zur Zeit gewöhnlich nur eine 1) Für P. pallidus beschreibt Claparede dasselbe als „tuberceule ar- rondi, surmont& d’une petite papille“ und betrachtet es als Fussstummel- rudiment mit ebenfalls rudimentärem dorsalen Cirrus; eine zweite kleine Papille, die sich unterhalb des ventralen Borstenbündels befindet, fasst er als ventrales Cirrenrudiment auf (vel. loc. eit. Taf. 31, Fig, 7). — Beide als Cirrenrudimente gedeutete Papillen fehlen bei P. pietus. 782 Eduard Meyer: ganz ausgebildet, die übrigen aber als in der Entwiekelung be- sriffene Ersatzborsten zu betrachten sind. Um wieder auf den Muskelapparat der in Rede stehenden Organe zurückzukommen, so entspringen an den untereinander verbundenen, centralen Enden der Borstentaschen dünne Mus- kelfäden, welche in horizontaler Ebene sowohl nach vorne als nach hinten der Seitenlinie zustreben und sich hier in einiger Entfernung von den äusseren Oeffnungen der Borsten- taschen anhaften (Bm*, Fig. 15, 17 u. 19); dieselben dienen jeden- falls dazu. die Enden der Borstentaschen vor- und rückwärts zu bewegen und die freien Enden der Borsten selbst dadurch in um- gekehrter Richtung schwingen zu lassen. Ein anderer dünner Muskel (Fig. 24, Bm**) entspringt gleich jenen an der Verbin- dungsstelle der inneren Enden der beiden Borstentaschen der einen Seite, geht in vertikaler Ebene aufwärts und schliesst sich in seinem weiteren Verlaufe jederseits dem vor und über ihm befind- lichen, d. i. dem 4. Quermuskelplattenpaare des betreffenden Seg- mentes an; seine Function muss in einer Hebung der Borsten- taschenenden resp. einer Senkung der freien Borstenenden bestehen. Was nun die erstbeschriebenen „schräg-transversalen“ Borstenmus- keln (Bm) betrifft, so scheinen sie als Retractoren des betreffenden von den Borsten eingenommen Bezirks der Seitenlinie zu fungiren. Das Nervensystem. Das Centralnervensystem von Polyophthalmus besteht aus einem, aus mehreren Ganglienpaaren zusammengesetzten Gehirn, welches äusserlich nicht in zwei seitliche, symmetrische Lappen getheilt, sondern eompact und glatt erscheint, aus zwei langen Schlundeommissuren und einem einheitlichen Bauchstrange, der nur in seinem vorderen Theile unbedeutende Anschwellungen zeigt. Das Gehirn, welches eine fast eubische Gestalt hat, nimmt seinem Volumen nach ungefähr ?/; des Kopfsegmentes ein, in dessen Hohlraume es vermittelst feiner Ligamente in der Schwebe er- halten wird, so dass es allseitig von der perienterischen Flüssigkeit umspült werden kann. Diese Ligamente, welche einerseits an der Hirnhülle, andrerseits an der Haut befestigt sind, bestehen aus zarten Muskelfasern, zwischen denen sich wiederum jene flachen eventuell einem perimuseulären Bindegewebe angehörigen Kerne bemerkbar machen. So ist das Gehirn vermittelst eines kleinen Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 788 Bändehens (Fig. 27, mf) an der Innenseite der dorsalen Körper- wand aufgehängt; ferner heften sich am hinteren Theile desselben ähnliche Bänder, jedoch von mehr flächenhafter Ausdehnung an und gehen die unteren schräg nach vorne und unten, die oberen nach hinten und oben, die seitlichen in vertikaler Ebene zur Körperwand, in ihrer Gesammtheit gewissermassen ein unvoll- kommenes, musculöses Dissepiment bildend, welches das Kopfseg- ment gegen das 1. Rumpf- oder Mundsegment hin begrenzt (Fig. 15 und 27, mf*). Ausserdem wird das Gehirn von seinen zahl- reichen, zur Haut gehenden, peripherischen Nerven in seiner Lage fixirt (Fig. 1 u. 15, n). Die äussere Umhüllung des Gehirns be- steht in einer dünnen, aber ziemlich festen Membran, die mit flachen Kernen versehen ist und sich auch auf die peripherischen Nerven fortsetzt, um dieselben bis zu ihrem Eintritt in den Haut- mukelschlauch zu begleiten (Fig. 1, 2u.27, mb). Was den inneren Bau des Gehirns betrifft, so enthält es drei paar symmetrisch an- geordnete Ganglien, denen ebenso viele, stärkere Nervenstämme entsprechen. Das erste Ganglienpaar (gn, Fig. 1, 2 u. 27) befindet sich im vorderen, oberen Theile des Gehirns; die Axen des ersteren liegen quer und fast horizontal und werden von je einem Faser- strange gebildet, der von verhältnissmässig kleinen Nervenzellen umgeben ist und die Fortsätze der letzteren in sich aufnimmt. Die axialen: Faserstänge des ersten Ganglienpaares setzen sich peripherisch in ein kurzes, aber starkes Nervenpaar fort, welches jederseits an ein besonderes, weiter unten zu besprechendes Sinnes- organ herantritt. Das zweite Ganglienpaar (gn?, Fig. 2) liegt im hinteren, unteren Theile des Gehirns. und gehört den Schlund- commissuren an, denen es auch den grössten Theil der Fortsätze seiner Zellen abgiebt; diese letzteren sind bedeutend grösser, zu- gleich aber auch weniger dicht gedrängt als im vorhergehenden Ganglienpaar. Das dritte Ganglienpaar (gn?, Fig. 27) schliesslich ist am grössten und enthält auch die grössten Nervenzellen, die im Gehirn von P. pietus überhaupt vorkommen; es nimmt die hintere, obere Partie des Gehirns ein und giebt einem Paar starker Nervenstämme (n*) den Ursprung. Die letzteren wenden sich senkreeht nach unten, um sich zu den Flimmerorganen zu begeben, wo sie sich deren beiden Schenkeln entsprechend jederseits in zwei Aeste theilen (Fig. 3, n! und n?). Während die einzelnen Ganglien der beiden ersten Paare zwischen ihren centralen Enden Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 5l 784 Eduard Meyer: einen von anderen Nervenelementen ausgefüllten Raum übrig lassen, erreichen die beiden Ganglien des letztbesprochenen Paares soleh eine Ausdehnung, dass sie in der Mitte an der Rückseite des Gehirns aneinanderstossen. Mitten im Gehirn befindet sich weiter ein System gegen die übrige Masse des ersteren scharf abgegrenzter Faserzüge, welche verschiedene peripherische Theile desselben mit einander in Verbindung setzen. So verlaufen von der vorderen zur hinteren Fläche zwei starke, cylindrische Faserzüge der Länge nach durch das Gehirn (Fig. 1 und 2, If), und unter diesen mehr im hinteren Theile des letzteren gelegen, von einer Seite zur an- deren ähnliche Querfaserzüge (Fig. 1 und 2, qf), welche sowohl die Schlundeommissuren, als die diesen entsprechenden Ganglien (gn?, Fig. 2) mit einander verbinden. Als eine Eigenthümlichkeit dieser Faserzüge des Gehirns wäre der Umstand zu notiren, dass dieselben, besonders die Längsfaserzüge (If), von einer körnigen Pigmentablagerung umgeben sind, sowie ferner, dass sie am Quer- schnitt äusserst scharfe Umrisse zeigen, was mit Wahrscheinlichkeit auf das Vorhandensein einer zarten, membranösen Umhüllung schliessen lässt, und zwar um so mehr, als solch eine Hülle an den Längsfasersträngen des Bauchmarkes, wie wir weiter unten sehen werden, recht deutlich zu unterscheiden ist. Die übrige Masse des Gehirns wird zum Theil von in den verschiedensten Richtungen verlaufenden Nervenfasern, zum Theil von nieht unbe- deutenden Zellgruppen ausgefüllt, welche ich wegen ihres Ver- haltens zu den übrigen Theilen des Gehirns mit „Commissurzell- gruppen“ bezeichnen möchte; dieselben stellen nämlich vermittelst der Ausläufer ihrer Zellen die nervöse Verbindung zwischen den verschiedenen Ganglien sowohl untereinander als mit den Haupt- faserzügen innerhalb des Gehirns her. Ihren Elementen nach unterscheiden sie sich von den drei paar Ganglien dadurch, dass ihre Zellen, welche ihrer Grösse nach zwischen denjenigen des ersten und denjenigen des zweiten Ganglienpaares stehen, grössten- theils bipolar sind (s. z. B. Fig. 29, ez und Fig. 30 ez‘), während die Zellen der Hauptganglien meist nur einen Fortsatz besitzen (z. B. Fig. 29, gn!); ferner dass diese Zellen nicht so regelmässig wie in den Ganglien angeordnet sind, sondern ihre Fortsätze nach allen Seiten hin aussenden, und schliesslich, dass diese Zellgruppen in allen Riehtungen von Nervenfasern durehkreuzt werden, zwischen denen in der feinkörnigen Grundmasse hier und da kleinere, ee ee Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 785 dunkle, runde Kerne liegen (k, Fig. 29 und 30). Eine weitere Eigenthümliehkeit der in Rede stehenden Zellgruppen besteht auch noch darin, dass sie stellenweise von körnigen Pigmentanhäufungen begleitet sind. Soleh eine pigmentirte Commissurzellgruppe (ez!, Fig. 27) nimmt fast die ganze Vorderfläche des Gehirns ein und steht in Verbindung sowohl mit dem über derselben befindlichen ersten Ganglienpaare (gn!), mit den beiden Längsfaserzügen (If) und durch diese mit dem dritten Ganglienpaare (gn®), sowie mit vier ähnliehen Commissurzellgruppen (cz?, ez? und ez', ez*, Fig. 1, 2 und 27). Von den letzteren liegt eine Gruppe (ez?, Fig. 1 und 2) in der Mitte des Gehirns, zwischen den beiden Längsfaserzügen (If), dem oberen, vorderen (gn!) und dem oberen, hinteren Ganglien- paare (gn®), über den Querfaserzügen (qf). Eine dritte Gruppe von Commissurzellen (ez?, Fig. 1, 2 und 27) befindet sich an der unteren Seite des Gehirns, unterhalb der Querfaserzüge, zwischen den Schlundeommissuren und dem hinteren, unteren Ganglienpaare (gn?). Die beiden letzten Commissurzellgruppen (ez?, ez*, Fig. 1, 2 und 27) sind symmetrisch zu beiden Seiten der Längsfaserzüge angeordnet und stehen jederseits sowohl mit diesen als mit den die Sehlundeommissuren verbindenden Querfaserzügen und den drei Ganglienpaaren des Gehirns in Verbindung. Bei ihrem commis- suralen Character erweisen sich die beschriebenen fünf Zellgruppen bis zu einem gewissen Grade auch als selbstständige Nervencentra, indem in ihrem Bereiche einerseits die zahlreichen kleineren, peripherischen Nerven (n) ihren Ursprung nehmen, andrerseits auch die dem Gehirn eingelagerten, höheren Sinnesorgane — die drei Kopfaugen (au) und drei Gehörbläschen (ot) — ihren Sitz haben. Die beiden Schlundeommissuren (em), welehe, wie wir gesehen haben, innerhalb des Gehirns durch die beschriebenen Querfaserzüge (qf, Figur 1 und 2) mit einander in Verbindung stehen und dort auch ihre eigenen, gangliösen Centra besitzen (gn?, Fig. 2), wenden sich nach ihrem Austritt aus dem Gehirn schräg nach unten, um sich der Bauchwand anzulehnen (em, Fig. 3), verlaufen dann weiter zu beiden Seiten der Mundöffnung und der Unterlippe (em, Fig. 4), und vereinigen sich schliesslich auf der Grenze zwischen dem Ilten und Illten Rumpfsegment zum Bauch- mark (Fig. 5), wo sie in den beiden Längsfasersträngen des letz- teren ihre Fortsetzung finden. Die Commissuren gleichen ihrem Bau nach starken Nervenstämmen; sie bestehen wie diese nur aus 786 Eduard Meyer: feinen Nervenfibrillen und sind von einer eigenen, mit flachen Kernen versehenen Membran umgeben, welche sich einerseits in die Hirnhülle, andrerseits in die Hülle des Bauchmarks fortsetzt. Quatrefages glaubt ein Paar von den Schlundeommissuren ab- gsehender Nerven bemerkt zu haben, die sich seiner Ansicht nach zu den Retraetoren der Flimmerorgane hinbegeben sollen!); mir sind dieselben nicht zu Gesichte gekommen, auch wissen wir, dass besagte Organe im Gehirn ihre besonderen, nervösen Centra be- sitzen (gn?, Fig. 27) und von diesen aus innervirt werden. Sollte sich jedoch die Vermuthung von Quatrefages bestätigen, so würden die von diesem Forscher angedeuteten Nerven als moto- rische, während unsere, direet aus dem Gehirn kommenden Stämme (n*, Fig. 27) als rein sensible und nur dem specifischen Sinnes- apparate der Flimmerorgane gewidmete Nerven zu betrachten sein. Jedenfalls erfordert diese Frage noch weitere Untersuchungen. Dass bei Polyophthalmus wenigstens ein Paar peripherischer Nerven von den Scehlundeommissuren abgeht, scheint mir sehr wahrscheinlich, weil im entgegengesetzten Falle das ganze Ite (abgesehen von den speciellen Flimmerorgannerven) und Ilte Rumpfsegment keine eigenen Nerven besitzen würde, oder sie müssten denn aus dem dritten Segmente, wo erst das Bauchmark beginnt, herüberkommen. Auch glaube ich an einzelnen, durch den hinteren Abschnitt des zweiten Segmentes gelegten Quer- schnitten den Austritt eines peripherischen Nervenpaares aus den Commissuren bemerkt zu haben, doch kann ich Gesagtes nicht mit Bestimmtheit behaupten, und müssen auch hierüber neue, an frischem Material gemachte Beobachtungen Aufklärung geben. Während nun nach Angabe und Zeichnung von Quatrefages die von ihm untersuchte Art P. Ehrenbergi eine mit metameren Knoten versehene Bauchganglienkette haben soll, wovon einem jeden Körpersegmente je eine grössere und eine kleinere An- schwellung entsprächen, besitzt unsere Species P. pietus einen fast durchweg gleichmässigen Bauchstrang, welcher nur in seinem vorderen Theile unbedeutende metamere Verdickungen zeigt, gegen das hintere Ende hin schmäler und flacher wird und schliesslich am Ende des letzten borstentragenden Segmentes sich in zwei terminale, symmetrische Nervenstämme spaltet, die sich an der Bauchseite des 8-theiligen Endabschnittes in der Riehtung 1) S. Quatrefagesl. c. Pl. 2. Fig. 7. ww Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 787 zur Analöffnung hinziehen. Das Bauchmark liegt mit seiner unteren Fläche der Körperwand dicht an, in Folge dessen das Integument hier eine recht bedeutende Modification erleidet. Während nämlich das Hypoderm zu beiden Seiten des Bauchmarks bei verhältniss- mässig starkem Durchmesser seine gewöhnliche Zusammensetzung aus Faden- und Drüsenzellen zeigt (Fig. 28, hp), so ist es unter demselben so dünn, dass es kaum als besondere Schicht unter- schieden werden kann (hp*, Fig. 25); es hat hier das Ansehen einer dünnen, mit Kernen versehenen, plasmatischen Matrix, wohin- gegen die Cuticula im Bereiche der ganzen Bauchrinne verdickt ist, um so die darüberliegenden, zarten nervösen Elemente gegen schädliche, äussere Einwirkungen zu schützen. Wie das Gehirn, so ist auch das Bauchmark von einer festen, kernhaltigen Mem- bran (mb) umgeben, welche nur an der unteren Fläche unterbrochen zu sein und hier von dem matrixartigen Hypodermabschnitte (hp“) ersetzt zu werden scheint; an diese Markhülle heften sich, wie oben beschrieben, die centralen Enden der schräg-transversalen Muskelbänder (qm) an. Ueber dem vorderen Abschnitte des Bauch- marks befindet sich ferner eine Reihe quer-horizontaler Muskel- bänder (hm, Fig. 16 und 5—7), die nach vorne zu am stärksten sind und nach hinten immer dünner werden, bis sie sich ungefähr am Ende des VIlten Rumpfsegmentes ganz verlieren. Seinem inneren Baue nach enthält das Bauchmark drei lange, zellige Centra, welche ohne Unterbreehung vom vorderen bis zum hinteren Ende desselben sich hinziehen; davon liegen zwei seit- liche Zellreihen (gn1, Fig. 28) symmetrisch im oberen und eine mediane (gn m) im unteren Theile, in welch’ letzterem sich gegen die dünne Hypodermschicht (hp*) hin eine leichte Pigmentablage- rung (pgm) bemerkbar macht. Sämmtliche Ganglienzellen des Bauchmarks scheinen unipolar zu sein. Die ganze innere Masse besteht aus der Länge nach verlaufenden Nervenfasern (If), die, wie schon erwähnt, von einer besonderen membranösen Hülle um- geben sind; von dieser letzteren nun gehen nach innen zahlreiche Fortsätze aus, die unter vielfältigen Verzweigungen so zu sagen ein Gerüst zur Aufnahme der Nervenfasern bilden. An Quer- schnitten (Fig. 23) sieht man ferner stärkere solcher Fortsätze, welche von der unteren, der medianen Zellreihe (gn m) angrenzen- den Partie dieser Hülle kommend die Fasermasse durchsetzen und durch den horizontalen, oberen Theil der besagten Hülle durch- 188 Eduard Meyer: tretend, sich an der äusseren, kernhaltigen Membran (mb) an- heften. Dieses Verhalten ist besonders deutlich zu schen an Querschnitten von stark gehärteten Exemplaren, wo (wie an Fig. 28) die Faserstränge durch die Einwirkung des Alcohols zusammenge- schrumpft sind, und wo dadurch zwischen denselben und der äusseren Membran ein freier Raum entstanden ist. Aus Gesagtem er- giebt sich auch, dass die Ausläufer der Nervenzellen, um zu den Faser- zügen zu gelangen, die Hülle der letzteren zuerst passiren müssen. Die vom Bauchmarke abgehenden peripherischen Nerven (n) nehmen ihren Ursprung in den Längsfaserzügen, zu beiden Seiten der unteren, medianen Zellreihe und entstehen dadurch, dass ein Bündel von jenen Nervenfasern im rechten Winkel umbiegend, seitlich aus dem Bauchmarke heraustritt. Die zarte Hülle der Faserstränge setzt sich auch auf diese Bündel fort; ob dieselben aber auch noch eine zweite, von der äusseren Membran (mb) her- rührende Bekleidung besitzen, konnte ich nicht ermitteln. Nach ihrem Austritt aus dem Bauchmark lehnen sich die peripherischen Nerven der Körperwand dicht an und verlaufen zwischen dem Hypoderm (hp) und der ventralen Längsmuskulatur (lm v); ihren weiteren Verlauf bis zu ihren peripherischen Enden konnte ich jedoch trotz vielfacher Bemühungen nicht verfolgen. Ebensowenig ist es mir gelungen, mir eine genügende Aufklärung über jene bei anderen Anneliden vielfach erwähnten, riesigen „Röhrenfasern“ zu verschaffen, welche sich im oberen Theile des Bauchmarks befinden. An geeigneten Querschnitten sind mir zwar häufig Bilder zu Ge- sicht gekommen, welche auf das Vorhandensein solcher Röhren- fasern bei Polyophthalmus hindeuten möchten — kleine runde Löcher mit scharfen Umrissen, 4—6 an der Zahl im mittleren, oberen Theile des Bauchmarks symmetrisch angeordnet (rf, Fig. 28) — (doch waren diese Gebilde zu sehr verändert, als dass man et- was Genaueres über die Natur derselben aussagen könnte. Von den oben erwähnten gangliösen Anschwellungen im vorderen Theile des Bauchstranges ist die vorderste am stärksten und befindet sich am Anfang des Illten Rumpfsegmentes an der Ver- einigung der Schlundeommissuren, ein Unterschlundganglion reprä- sentirend (Fig. 5, bm). Es wird durch eine bedeutende Ansammlung von Nervenzellen in der mittleren, unteren Zellreihe gebildet, an welche sich die beiden Fasersträge der Commissuren (em) seitlich anschliessen. Die obere mittlere Partie wird hier von einem Geflecht Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 789 zarter, kernhaltiger Biudegewebsfasern (bdgw) ausgefüllt, welches dann weiterhin von den zusammentretenden Längsfasersträngen, der Fortsetzung der Commissuren, verdrängt wird; ebenso fehlen hier noch die beiden seitlichen Zellgruppen. Die weiteren metameren Anschwellungen des Bauchmarks, die, wie schon erwähnt, sehr unbedeutend sind, werden durch local verstärkte Anhäufungen von Nervenzellen in den beiden oberen, seitlichen Zellreihen bedingt. Was nun die Zahl der vom Bauchmark ausgehenden peri- pherischen Nerven betrifft, so hat Polyophthalmus deren je zwei Paar in jedem Körpersegmente, von denen das eine Paar am Bauechmark zwischen dem 3ten und 4ten Paare der schräg-trans- versalen Muskelplatten auf dem Niveau der Seitenaugen entspringt und jedenfalls wenigstens einen Theil seiner Fasern zur Innervirung dieser Organe hergiebt. Man findet den Austritt dieses Nerven- paares aus dem Bauchmarke immer auf ein- und demselben Quer- schnitte mit den Seitenaugen; den ganzen Verlauf desselben bis zu den besagten Sinnesorganen, so wie ihn Quatrefages für P. Ehrenbergi zeichnet '), konnte ich nicht verfolgen, was sich am frischen Materiale wahrscheinlich leichter bewerkstelligen lassen würde. Jedenfalls aber glaube ich auf Grund des Gesehenen Claparede gegenüber, welcher das in Rede stehende Nervenpaar übersehen hat, die Angabe von Quatrefages wenigstens so weit bestätigen zu können, dass von dem Bauchmarke auf der Höhe der Seitenaugen ein diesen entsprechendes Paar peripherischer Nerven abgeht. Ueber die Lage des zweiten am Bauchmarke ent- springenden Nervenpaares in dem betreffenden Segmente habe ich mich nicht orientiren können, indem mir die Abgangsstellen der Nerven überhaupt nur an Querschnitten zu Gesichte gekommen sind. Dem von Clapar&de beschriebenen Nervenpaare, welches auf der Grenze zwischen je zwei Segmenten liegen soll, entspricht es jedenfalls nicht, weil es in diesem Falle mit den Borstentaschen an ein- und demselben Querschnitte zu sehen sein müsste, was ich jedoch nicht behaupten kann; auch scheint mir dieses Clapa- rede’sche Nervenpaar seiner angeblichen Lage nach nichts anderes zu sein, als jene schräg-transversalen Borstenmuskeln (Bm, Fig. 17) — eine Verwechslung, die um so leichter hier vorliegen kann, als genannter Forscher den Polyophthalmus nur in toto betrachtet und keine weiteren Sectionen an demselben vorgenommen hat, 1) Vgl. dessen Fig. 7 und 11, auch PI. 2. 790 Eduard Meyer: wobei die besagten Muskeln wirklich Nervenstämmen nicht ganz unähnlich erscheinen, da 'sie mit breiterer Basis dicht unten am Bauchmarke zu beiden Seiten desselben sich anheften und gegen die Seitenlinien hin dünner werden. Die Sinnesorgane. Dem Tastsinne stehen bei Polyophthalmus die verhältniss- mässig am wenigsten ausgeprägten, specifischen Sinnesapparate zu Gebote; hierher gehören die Stirnpapille und die fingerförmigen Fortsätze, welche die Analöffnung umgeben. Die Stirnpapille (St, Fig. 15—17) ist eine kleine kuppel- förmige Erhebung des Integumentes, welches hier aus einer zarten Cutieula und einer sehr dünnen Hypodermschicht besteht. Nach der Beschreibung von Quatrefages soll dieses Organ im lebenden Zustande mit Cilien besetzt und in steter Bewegung begriffen sein, welche bei P. Ehrenbergi durch 4 Muskeln hervorgerufen wird; bei unserer Species P. pietus heften sich an der Innenseite der Papille drei kleine Muskelbänder an, von denen zwei seitlich symmetrisch an der ventralen (Stm‘) und das dritte (Stm‘) an der dorsalen Wand des Kopflappens iuseriren. Clapar&de bezeichnet das in Rede stehende Organ mit „depression cupuliforme*, wonach man leicht die Vorstellung erhalten könnte, als wäre es eine Vertiefung in der Körperwand; obschon es leicht möglich ist, dass die Stirn- papille vermittelst der beschriebenen Muskeln unter Umständen auch eingezogen werden kann, so sei doch bemerkt, dass dieselbe wenigstens an conservirten Exemplaren, sowohl an Längsschnitten als von oben betrachtet, immer als hügelförmige Erhöhung erscheint. Einen speciellen Papillennerv habe ich nicht gesehen, dafür treten aber mehrere aus dem Gehirn kommende Nervenstämmchen in der Nähe der Stirnpapille an die Körperwand heran, von denen sich immerhin der eine oder der andere bis zu dem betreffenden Organ hin fortsetzen und es innerviren kann. Man könnte die Stirmn- papille von Polyophthalmus füglicher Weise als einen auf niederer Stufe der Entwickelung stehen gebliebenen Stirnfühler betrachten, wenn man dieselbe mit ähnlichen Organen anderer Anneliden ver- gleicht (so beispielsweise bei den T'yphloscoleeiden, bei Nais proboseida und schliesslich in ihrer höchsten Ausbildung in Ge- stalt einer gegliederten Stirnantenne bei den Syllideen). In Bezug auf die Umgebung der Stirnpapille ist der Umstand zu vermerken, Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 791 dass das Hypoderm hier eine nicht unbedeutende Dicke erreicht und eine grosse Anzahl dicht gedrängter Drüsenzellen enthält (Fig. 24). Was nun die ‚„fingerförmigen Fortsätze“ am Körper- ende betrifft, so scheinen sie in den Analeirren anderer Borsten- würmer ihre Analoga zu finden. Dieselben umgeben, wie gesagt, gewöhnlich neun an der Zahl, von denen derjuntere, unpaare am längsten ist, den After (Fig. 18 und 19 ca) und bestehen nur aus Cuticula und Hypoderm (Fig. 26, ea). Wie bei der Stirnpapille, so ist auch hier die Cutieula ziemlich dünn und zart, das Hypo- derm dagegen recht stark und besteht nur 'aus| Faserzellen, die mit ihren gegen die Basis der Organe gerichteten, centralen Enden in den Axen derselben zusammenstossen; in diesen faserigen Axen nun mögen sich auch die dieselben innervirenden Nervenfasern befinden, welche in diesem Falle als allendliche Verzweigungen der beiden terminalen Nervenstämme, in die sich das Bauchmark am Ende des letzten, borstentragenden Segmentes spaltet, zu betrachten wären. Als Tastorgan ist schliesslich noch die ganze Körperober- fläche zu betrachten, an welcher, wie bei Beschreibung der Cutieula schon erörtert, die Clapare&de’schen Cilien als specielle Tast- häärchen eventuell fungiren würden. In allen borstentragenden Segmenten, mit streng metamerer Anordnung besitzt Polyophthalmus ferner eine Reihe von Organen, die ihrer Funetion nach den Tastorganen wohl am nächsten stehen; es sind dieses Sinnesorgane, welche sowohl ihrem Baue als ihrer Lage nach den von H. Eisig!) für die Capitelliden be- schriebenen Seitenorganen entsprechen. Wie genannter Forscher, welcher die Homologie dieser eigenthümlichen Organe mit den Seitenorganen der Fische und Amphibien nachgewiesen hat?), annimmt, gehören dieselben dem schon von Max Schultze auf- gestellten, nur Wasserthieren eigenen, sechsten Sinne an und dienen wahrscheinlich zur „Empfindung durch Massenbewegungen des Wassers entstehender Reize“). Wie bei den Capitelliden liegen auch bei Polyopthalmus die besagten Seitenorgane je ein Paar in jedem Segmente im Bereiche der Seitenlinien und im ge- schützten Winkel zwischen den dorsalen und ventralen Borsten- De lung, 2. 2). ec. 127 und 8. a) 12V. 11: 792 Eduard Meyer: taschen, die hier nieht wie die entsprechenden Parapodien der ersteren weit auseinanderstehen, sondern so dicht zusammengerückt sind, dass sie mit ihren äusseren Oeflnungen, aus welchen die Borsten hervorragen, an die betreffenden Organe dicht angrenzen (So, Fig. 5, 14 und 34). Auch hier haben die Seitenorgane die Gestalt kleiner, sich halbkugelförmig über die Körperoberfläche erhebender Hügel (Fig. 34, So), deren zarte Cutieularbekleidung von zahlreichen Poren durchsetzt ist, die nach Behandlung des in Alcohol gehärteten Präparates mit Kalilauge sehr deutlich hervor- treten; durch diese Poren treten im lebenden Zustande jedenfalls Sinneshäärchen hervor, die aber in Folge ihrer äusserst vergäng- lichen Natur durch die Conservirung zu Grunde gegangen sind. Unter der Cuticula befindet sich eine Schicht spindelförmiger Zellen, die mit ihren peripherischen Enden an die für den Durch- gang der Sinneshäärchen bestimmten Poren herantreten, mit ihren centralen Enden aber sich mit einem kleinen, peripherischen Gang- lion (pgn) in Verbindung setzen; das letztere besteht aus einer ziemlich bedeutenden Anzahl dicht nebeneinander liegender, kleiner, runder Kerne, die in einer gemeinsamen, plasmatischen Grund- masse eingebettet sind. Zum Unterschiede von den Seitenorganen der Capitelliden besitzen diese Organe bei Polyophthalmus zwischen der Spindelzellen- und der Ganglienschicht eine dünne, eutieuläre Grenzlamelle (cu*), durch deren Poren die inneren Fortsätze der Spindelzellen, um zu dem peripherischen Ganglion zu gelangen, durchtreten. Mehrere einzelne, kleinere, mit Kernen bedeckte Muskelfasern, welehe von den Borstentaschen kommen, und ein grösserer Bündel, der sich von dem schräg-transversalen Borsten- muskel (Bm) abtrennt, inseriren an der Basis des Organes, wie mir schien, an der euticularen Grenzlamelle (cu*), und fungiren jedenfalls als Retractoren, wofür der Umstand spricht, dass an manchen Präparaten die Seitenorgane nicht wie gewöhnlich con- vex, sondern mit concav eingezogener Oberfläche erscheinen. Ein- zelne Muskelfasern des grösseren Bündels mögen wohl auch durch die Grenzlamelle durchgehen und sich, wie Eisig behauptet, auch hier an der äusseren Cuticula anheften, wodurch ein vollkommeneres Einziehen des Sinneshügels ermöglicht würde, doch habe ich dieses an dem mir zu Gebote stehenden, conservirten Materiale nicht deutlich wahrnehmen können; ebensowenig konnte ich die mit den peripherischen Enden der Spindelzellen verbundenen Prismen, Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 793 die inneren Basalstücke der Sinneshäärchen unterscheiden — dieselben können möglicher Weise bei ihrer Kleinheit und Zart- heit durch die Einwirkung der erhärtenden Reagentien bis zur Unkenntliehkeit zusammengeschrumpft sein. Wie bei den Capitel- liden, so besitzen auch die Seitenorgane von Polyophth. keinen srösseren, speciellen Nerv, wonach man annehmen muss, dass sie wahrscheinlich von kleineren, unter der Stammesmuskulatur ver- borgenen Hautnervenverzweigungen innervirt werden; das Heran- treten dieser Nervenfasern ist auch sehr schwer zu beobachten, da dieselben jedenfalls von dem Gewirr der Muskelfasern der lietraetoren markirt werden. Wenngleich sich nun, wie wir ge- sehen haben, die Seitenorgane unseres Wurmes im Allgemeinen aus denselben histiologischen Bestandtheilen, wie die gleichen Or- gane der Capitelliden zusammensetzen, so tragen dieselben im Vergleich zu den letzteren doch einen primitiveren Character. Während nämlich die betreffenden Sinnesorgane bei den Capitel- liden dermaassen eingezogen werden können, dass sie ganz unter der Körperoberfläche verschwinden, und nur die Spitzen der Sinneshäärchen wie aus einer Spalte des Integumentes hervorragen, ist eine so vollkommene Retraction derselben bei Polyophthalmus nicht möglich; vielmehr erscheinen die Seitenorgane des letzteren im eingezogenen Zustande, wie schon angegeben, nur als halb- kugelförmige Vertiefungen der Haut. Ferner zeigen die spindel- förmigen Elemente dieser Organe, welche als Derivate der Faden- zellen des Hypoderms zu betrachten sind, nach sorgfältiger Tinetion mit Hämatoxylin längliche Kerne in ihrer Mitte, welche in den Spindeln bei den Capitelliden nicht zu sehen sein sollen — ein Hinweis darauf, dass die letzteren in ihrer Differenzirung von den einfachen Hypoderm-Fadenzellen sich weiter entfernt haben, als dieselben Elemente bei Polyophthalmus; hierfür spricht auch noch bei unserem Wurme das Nichtvorhandensein einer deutlichen Stäbehen- oder Prismenschicht unter der äusseren Cuticula, an welche sich die Sinneshäärchen ansetzen. Der ganzen Anordnung der einzelnen Elemente nach schliessen sich die Seitenorgane von Polyophthalmus denjenigen des Abdomen ') der Capitelliden mehr an als denjenigen des Thorax; der einzige wesentliche Unterschied besteht in der den Seitenorganen von P. eigenthümlichen Grenz- lamelle zwischen Spindel- und Ganglienschieht (Fig. 34, eu*). PB Bisıgak.c. LT vel! Tai VRR & 794 Eduard Meyer: Aehnliech den Capitelliden besitzt auch Polyophthalmus eine Art beeherförmige Organe, welche H. Eisig mit ähnlichen, in der Oberhaut der Knochenfische, in der Mundhöhle und an den Lippen derselben vorkommenden Organen und schliesslich mit den auf der Zunge der Säugethiere befindlichen Geschmacksknospen homologisiren zu können glaubt und, darauf basirend, ihnen die Bedeutung von Geschmacksorganen zuschreibt '). Während nun diese Organe bei den Capitelliden in grosser Anzahl vorhanden und über den Kopflappen, Rüssel und Thorax diffus zerstreut sind, hat P. deren nur ein Paar aufzuweisen. Sie bilden zu beiden Seiten des Kopfsegmentes, dicht über und vor dem Eingange in die Flimmergruben kleine Vertiefungen, welche in Folge der Function der Flimmergrubenhaare von sich fortwährend erneuern- den Wasserströmen bespült werden (Figur 2, bo). Im lebenden Zustande müssen dieselben, wie die Seitenorgane und becher- förmigen Organe der Capitelliden, mit Sinneshäärchen besetzt sein, worauf die in ihrem Bereiche von zahlreichen Poren durchsetzte, stark verdünnte Cutieula schliessen lässt (Fig. 31, bo); darauf weist noch der Umstand hin, dass man an einzelnen Präparaten ausserhalb der Cutieula eine zusammengebackene, granulöse Masse findet, in welche nach der Beschreibung von Eisig die sehr ver- gänglichen Sinneshaare bei Anwendung von Reagentien zerfallen. Unter der Cuticula befindet sich eine Schicht dicht gedrängter, mit langen, stäbehenförmigen Kernen versehener Fadenzellen, die sich im Allgemeinen von den Hypodermzellen wenig unterscheiden; ihre peripherischen Enden sind etwas erweitert und stehen jeden- falls mit den Sinneshäärchen in Verbindung, während ihre basalen Enden spitz zulaufen und in ein besonderes peripherisches Gang- lion (pgn) hineinragen, das wie bei den Seitenorganen aus einer Menge in eine gemeinsame Grundmasse eingebetteter, kleiner, runder Kerne besteht. An die beiden becherförmigen Organe treten, wie oben angedeutet, kurze aber starke Nervenstämme heran, welche in den oberen, vorderen Gehirnganglien (Fig. 2 und Fig. 31, gn!) ihre eigenen Centra besitzen und die peripherische Fortsetzung der axialen Faserstränge dieser Ganglien bilden. Die Fasern der speeiellen Nervenstämme der becherförmigen Organe treten durch die kleinen, peripherischen Ganglien derselben hin- 1) Ebendaselbst II. 4, 5, 6, III. 9. und IV. 12. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus picetus Clap. 795 dureh und setzen sich mit den basalen, zugespitzten Enden der Fadenzellen in Verbindung. Besondere Muskelfasern, die eventuell als Retraetoren fungiren könnten, habe ich nicht gefunden, so dass die beiden becherförmigen Organe von P. im Gegensatz zu den- jenigen der Capitelliden von unveränderter Gestalt zu sein scheinen. Wenden wir uns nun zu den Flimmerorganen, die sich dieht hinter dem Kopflappen auf beiden Seiten des Mundsegmentes befinden. Wie schon oben erwähnt, haben sie die Gestalt hufeisen- förmiger Vertiefungen, deren Schenkel, von denen man je einen oberen und einen unteren unterscheiden kann (Fig. 3, flo! und flo?), nach hinten gerichtet sind !); der zwischen den beiden Schenkeln eines jeden Organes befindliche Integumentabschnitt (Fig. 3, hp*), welcher sich durch eine äusserst dieke Hypodermschicht auszeichnet, ist mit einem starken Retractor (Fig. 3, retr) versehen und bildet bei Contraetion des letzteren einen deckelartigen Verschluss der Flim- mergruben, indem er hierbei mit seinen freien Rändern über die in die Höhle des Organs führende hufeisenförmige Spalte zu liegen kommt ?). Am inneren, blinden Ende der flimmernden Ver- tiefungen selbst heften sich eine Menge dünner, mit Kernen be- legter Muskelfasern an (Fig. 3, m?), die als Retractoren dieser Theile der Flimmerorgane fungiren und mit den grossen, platten- artigen Deckelretractoren (retr) zusammen in der Mittellinie an der Innenseite der Bauchwand befestigt sind. Das Oeffnen der Wimpergruben, resp. das Hervorstülpen oder Heben des Deckels derselben wird, wie auch Quatrefages und Claparede an- nehmen, jedenfalls von innen aus durch den Druck der periente- rischen Flüssigkeit bewerkstelligt, welehen noch dünne dorso-ven- trale Muskelbänderpaare (mdv, Fig. 3) zu verstärken scheinen, indem sie, sich zusammenziehend, eine Compression des Mundseg- mentes in vertikaler Richtung verursachen. Die Seitenwände der Flimmergruben werden von einer einfachen Outicula und Hypoderm gebildet, welches in den tieferen Theilen der Organe stärker wird und vereinzelte, grosse ovale Drüsenzellen enthält (Fig. 3, hp dı*), und nur der Boden ist mit langen Flimmerhaaren (flh, Fig. 32) ausgekleidet; dieselben sitzen auf äusserst langen, zarten Zellen (flz), die mit stäbehenförmigen Kernen und an ihrer Peripherie 1) Vgl. Claparede l. c. Pl. 1. Fig. 1£c. 2) Ibidem Fig. 1 d. 796 Eduard Meyer: mit einem dünnen eutieularen Saume (cu) versehen sind; die basalen Enden dieser eigenthümlich gestalteten Flimmerzellen sind in eine flächenhaft ausgebreitete Ganglienschieht (pgn) eingebettet, welche dieselbe Struetur zeigt, wie die kleinen peripherischen Ganglien der Seiten- und becherförmigen Organe — kleine, runde Kerne in gemeinsamer, feinkörniger Grundmasse. In dieser Ganglienschicht breiten sich die Fasern der letzten Verzweigungen (n), der grossen Flimmergrubennerven (Fig. 3, n! und n?, und Fig. 27, n*) aus, die wie oben beschrieben, in dem grossen oberen, hinteren Ganglienpaare des Gehirns (Fig. 27, gn?) ihren Ursprung nehmen. Die «Ansicht von Quatrefages, dass die Flimmerorgane von Polyophth. nach Art der Räderorgane der Rotiferen blos dazu dienen sollten, vermittelst der Wasserströme, die sie erzeugen, dem Thiere die hauptsächlich aus Algen und kleineren Seethieren bestehende Nahrung zuzuführen, kann ich aus folgenden Gründen nieht theilen: erstens liegen die betreffenden Organe, wie auch schon Clapar&de richtig bemerkt, zu sehr dorsal, um zur Mund- öffnung führende Ströme erzeugen zu können, andererseits besitzt P. zu diesem Zwecke schon einen sehr entwickelten, vorstülpbaren mit Wimpern besetzten Rüssel; meiner Meinung nach giebt der eigenthümliche, histiologische Bau des Bodens bei Beurtheilung der Function der Flimmerorgane den Ausschlag und glaube ich auf Grund des Vorhandenseins einer besonderen, peripherischen Ganglienschicht, der starken Nervenstämme, die nach mehrfachen Verzweigungen in die letztere eintreten und im Gehirn selbst ihre eigenen Centra besitzen, und schliesslich der eigenartigen, langen, schmalen Wimperzellen den Flimmergruben die Bedeutung von Sinnesorganen zusprechen zu dürfen, die etwa nach Analogie von Rieehorganen höherer Thiere fungiren könnten. Aehnliche wim- pernde Organe finden wir auch bei anderen Anneliden, so bei den Opheliadeen und Capiteliden, bei Polygordien, bei Saccoeirrus und Protodrilus, die sich jedoch bei den letzteren ihrem weit einfacheren Baue nach mehr an die wimpernden Kopfgruben der Nemertinen anschliessen; auch finden wir bei Hatschek!) die Angabe, dass die Flimmergruben von Protodrilus Leuckartii gangliöse Wandungen besitzen sollen. 1) Dr. B. Hatscheck: Protodrilis Leuckartii. Arbeiten aus dem zool. Institut der Universität Wien und der zool. Station zu Triest von Dr. C. Claus. Tom. III. Heft 1. Wien 1880. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 7197 Wenn wir die Seitenorgane, die becherförmigen Organe und den Boden der Flimmergruben in Bezug auf ihre histologischen Bestandtheile mit einander vergleichen, so finden wir, dass ihre beiden äusseren Schichten in allen drei Fällen aus Gebilden be- stehen, die sich ziemlich direet aus den Elementen des Integumentes ableiten lassen. Ganz abgesehen von der Cuticula, welche als eine direete, nur mehr weniger verdünnte Fortsetzung der ent- sprechenden Schicht der Körperwand zu betrachten ist, erscheinen auch die langgestreckten Wimperzellen der Flimmerorgane, die Spindeln der Seitenorgane und die Zellen der becherförmigen Organe als modifiecirte Faden- oder Faserzellen des Hypoderms. Eine weitere allen drei Arten von Sinnesorganen gemeinsame Eigenschaft äussert sich in dem Besitze eines eigenen periphe- rischen Ganglion oder soleh einer Schicht, wie letzteres bei den Flimmerorganen der Fall ist, die als solche zuerst von Eisig er- kannt worden sind. H. Eisig hat der „Körnerschicht‘“ der Seiten - und becherförmigen Organe diese Bedeutung zuge- sprochen auf Grund der kleinen runden, in gemeinsamer Grund- masse eingebetteten Kerne, welche bei den Capitelliden auch im Bauehmarke vorkommen sollen; P. nun besitzt solche Kerne, wie wir gesehen haben, auch in der Grundmasse des Gehirns. Der sangliöse Character dieser Schicht tritt bei P. noch deutlicher . zum Vorschein, indem wir hier, so bei den becherförmigen Organen (Fig. 31, pgn) und am Boden der Flimmergruben (Fig. 32, pgn) das Herantreten specieller Nervenstämme und deren Ausbreitung innerhalb dieser „Körnerschicht“ direet wahrnehmen können. Von besonderem Interesse sind unter den Sinnesorganen von Polyophthalmus sowohl in Hinsicht auf ihren Bau als auf ihre Lage die Augen und vor allem dureh ihre metamere Anordnung — die Seitenaugen; unsere Art, P. pietus, besitzt deren 12 Paar, von denen 4 Paar beinahe halb so gross sind, als die übrigen, der Structur nach sind sie jedoch alle gleich und folgendermassen am Körper vertheilt. Das erste resp. vorderste Paar der Seiten- augen, welches zu der kleineren Art gehört, befindet sich im VIlten Rumpfsegmente; die nächstfolgenden acht Segmente (vom VIllten bis XVten incl.) sind mit einer entsprechenden Anzahl grösserer Augenpaare versehen, worauf dann wieder drei Segmente (das XVIte bis XVIIlte) mit kleineren Augen folgen. Die Seiten- augen (sau, Fig. 12) bilden jederseits eine Reihe und liegen in 798 Eduard Meyer: der Seitenlinie unter den schräg-transversalen Muskelbändern (qm), und zwar in jedem Segmente zwischen dem dritten und vierten Paare derselben (s. Fig. 17, sau, zwischen 3 und 4), dicht über der ventralen Längsmuseulatur (Im v) und dem weiter unten zu beschreibenden Vas laterale (V l), welches sich in Gestalt einer kleinen Schlinge der unteren Seite des Organs ansehmiegt. Die Seitenaugen liegen dem Integumente so dicht an, dass sowohl Cutieula (eu) als Hypoderm (hp), welches hier sehr verdünnt ist, als integrirende Bestandtheile derselben zu betrachten sind; da das Integument hier pigmentfrei und im lebenden Zustande voll- kommen durchsichtig ist, so muss es mit zum dioptrischen Theile des Organs gerechnet werden, wozu noch Linse und Glaskörper hinzukommen. Die Linse (l, Fig. 33) liegt dem Hypoderm dieht an und ist ein ovaler, an der Aussenseite etwas abgeplatteter Körper von homogener, vielleicht gelatinöser Beschaffenheit, welcher sich mit Hämatoxylin stark, mit Karmin verhältnissmässig schwächer färbt; ob die Linse hier von einer besonderen Kapsel umgeben ist oder nicht, möchte ieh unentschieden lassen. Der Hohlraum des Auges wird von einem zelligen Glaskörper (gl) ausgefüllt, der aus prismatischen, wie mir scheint, mit Kernen versehenen Zellen zusammengesetzt ist; diese Glaskörperprismen haben eine radiäre Anordnung und stehen senkrecht auf der Linse. Alle bisher beschriebenen Theile werden von einer diekwandigen, braunen Pigmentkapsel umgeben, die sich mit ihren Rändern auf die Innenfläche des Integumentes stützt. Entfernt man an einem passenden Längsschnitt durch das Seitenauge das Pigment, indem man es vermittelst Kalilauge auflöst, so zeigt die vorher pigmentirte Kapsel einen zart faserigen Bau (n®), nach innen gegen den Glaskörper eine dünne Grenzlamelle (la) und nach aussen eine dünne, kernhaltige Membran (mb), wie wir diese an Gehirn, Bauchmark und peripherischen Nerven gesehen haben. An der unteren Seite des Auges tritt an dasselbe ein Nerven- stämmcehen (n) heran, das jedenfalls von dem auf der Höhe der Seitenaugen am Bauchmark entspringenden Nervenpaare seinen Ursprung nimmt. Bei genauerer Beobachtung ergiebt sich, dass die Fasern des in Rede stehenden Nerven in direetem Zusammen- hange mit den Fasern der Kapsel (n*) stehen, wonach dieselbe als peripherische Ausbreitung des Nervus optieus zu betrachten ist. Vergleichen wir nun die Seitenaugen von Polyophthalmus mit Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 799 den Augen anderer Anneliden, so werden wir finden, dass sie in ihrem Baue denselben Typus einhalten, wie er sich aus den aus- gedehnten diesbezüglichen Untersuchungen von Graber!) ergiebt. Wie dort, so wird auch hier der dioptrische Theil aus den näm- lichen Bestandtheilen — Cutieula-Cornea, Hypoderm, Linse und Glaskörper — gebildet und ist von dem perceptiven Theile durch ein dünnes Häutchen, „eine parietale Grenzlamelle“, getrennt; in Bezug auf den letzteren Theil nun beurkunden die Seitenaugen von P. im Verhältniss zu den von Graber untersuchten Anneliden eine bedeutend niederere Stufe der Entwicklung. Während dort die Retina eine aus in ihren einzelnen Abschnitten stark differenzirten, prismatischen Zellen bestehende Schicht enthält, erscheint dieselbe in unserem Falle als eine einfache Opticusfaserschicht, die in ihrer ganzen Dicke mit Pigment gleichsam durchtränkt ist; die äussere Hülle der Seitenaugen wird schliesslich von einer Fortsetzung des Optieusneurilemm’s gebildet. Nicht weniger interessant durch ihre eigenthümliche Lage innerhalb des Gehirns sind die Kopfaugen von Polyophthalmus. Wie schon oben angegeben, besitzt unsere Art P. pietus deren drei, ein oberes, medianes (Fig. 2, au), welches schräg nach oben und hinten sieht, und zwei untere, seitliche, die nach unten und vorne sehen (Fig. 1, au); alle drei Augen haben denselben Bau, sind in der Masse des Gehirns eingebettet und liegen im Bereiche der entsprechenden Commissurzellgruppen (cz?, Fig. 2 und cz, Fig. 1). Eine ähnliche Lage der Augen innerhalb des Gehirns finden wir unter den Anneliden, so viel mir bekannt ist, nur noch bei den Tomopteriden wieder ?). In ihrer Organisation unter- scheiden sich die Kopfaugen von P. von dessen Seitenaugen sowohl als von den Augen sämmtlicher von Graber untersuchten Anne- liden durch den Besitz einer besonderen Augenhaut (ah, Fig. 29); es ist dieses eine ziemlich derbe, mit flachen Kernen versehene Membran, die vorne über die Linsen gespannt ist und als Fort- setzung der den ganzen Augapfel einschliessenden Hülle erscheint; die Anwesenheit derselben wird wahrscheinlich dadurch bedingt, l) V. Graber: Morphol. Untersuchungen über die Augen der frei- lebenden marinen Borstenwürmer. Arch. f. mikrosk. Anat. Bd. XVII. 1880. 2) Vgl. R. Greeff’s: Beobachtungen über die Tomopteriden in dessen Abhandlung „Ueber pelag. Anneliden von der Küste der canarischen Inseln.“ Zeitschr. f. wissenschaftl. Zoologie Bd. XXXII. 1879. Taf. XV. Fig. 49. Archiv f. mikrosk, Anatomie. Bd. 21. 52 800 Eduard Meyer: dass das Auge nicht wie in den übrigen Fällen dem Integumente an- liegt, welches dann selbst die Rolle einer „Augenhaut“ übernimmt, sondern von der Grundmasse des Gehirns umgeben ist und gegen diese hin auch vorne einer scharfen Abgrenzung bedarf. Unter der Augenhaut befinden sich in jedem der drei Kopfaugen bei P. pietus drei ovale Linsen, im Gegensatz zu P. Ehrenbergi, bei welchem nach Angabe von Quatrefages nur das mediane, obere Auge deren auch drei, die beiden seitlichen Augen aber nur je zwei besitzen. Nach Claparede sollen die Augen von P. pietus jedes nur eine Linse haben — meiner Ansicht nach ist dieses wiederum ein Irrthum, der daraus hervorgegangen zu sein scheint, dass genannter Forscher unseren Wurm nur in toto beobachtet hat, wobei ihm nur immer eine Linse zu Gesicht gekommen sein mag, während die beiden übrigen unter dem Pigmente versteckt blieben; ich habe wenigstens an allen geeigneten Schnitten in allen drei Kopf- augen immer drei Linsen deutlich wahrnehmen können (s. Fig. 1,2 und 15, au). Die Linsen der Kopfaugen unterscheiden sich von denjenigen der Seitenaugen durch eine festere Consistenz, in Folge dessen sie sich mit Hämatoxylin sowohl als mit Karmin viel dunkler färben, und ferner durch eine derbe, eutieulare Kapsel (s. Fig. 29, I). Im übrigen zeigen die Kopfaugen denselben Bau wie die Seitenaugen; an geeigneten Schnitten sieht man hier wie dort einen aus radiär angeordneten, prismatischen Zellen gebildeten Glaskörper, welcher, dem Raume angemessen, in unserem Falle einen weit geringeren Durchmesser hat (auf unserer Zeichnung Fig. 29 dem lichteren Streifen gl entspricht) und von einer mit braunem Pigmente durchtränkten Nervenfaserschicht (n*) umgeben ist; die in den Augapfel an der pigmentirten Seite eintretenden Opticusfaserbündel nehmen in den einem jeden der drei Augen entsprechenden Commissurzellgruppen ihren Ursprung. Es sei noch bemerkt, dass die Kopfaugen bedeutend kleiner sind als die Seitenaugen. — Dass das Sehvermögen, resp. die Perception des Lichtreizes, bei Polyophthalmus trotz der grossen Anzahl diesem Sinne dienender Organe ein sehr unvollkommenes sein muss, lässt sich schon daraus schliessen, dass die Augen desselben keine eigentliche, zellig differenzirte Retina besitzen; ferner muss von den auf den Kopf fallenden Lichtstrahlen ein nicht unbedeutender Theil durch Absorption und Reflexion verloren gehen, da dieselben auf ihrem Wege das Integument, die periviscerale Flüssigkeit und Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 801 die vor den Kopfaugen gelegene Schicht der Gehirnmasse passiren, bevor sie zu den letzteren gelangen. Neben den drei Kopfaugen, im Bereiche derselben Commissur- zellgruppen liegen im Gehirn von P. pietus ebenso viel kleine, bläschenartige Gebilde, denen ich die Bedeutung von Gehör- bläschen zuschreiben möchte; zwei von ihnen liegen horizontal unter und hinter den lateralen Kopfaugen (Fig. 1, ot), das dritte vertikal neben dem medianen, oberen Auge (Fig. 2, ot). Es sind kleine, birnförmige Cysten (Fig. 30, ot), die eine eigene, kern- haltige Membran besitzen; ihr Inneres erscheint wie von einer homogenen, durch Gerinnung einer Flüssigkeit entstandenen Masse ausgefüllt, und die in das stielartige Ende dieser Organe eintre- tenden Nervenfasern stehen, wie es scheint, mit einer an der Basis des Bläschens befindlichen helleren, mit dunklem Kerne versehenen Zelle in Verbindung, von welcher radiär angeordnete, in die innere seronnene Masse hineinragende Striche ausgehen, die man als zarte Gehörhäärchen deuten könnte. Otoliten habe ich nicht ge- funden. Das unpaare, obere Gehörbläschen wird allem Anscheine nach von der entsprechenden Commissurzellgruppe (Fig. 2, ez?) aus innervirt, während die beiden unteren, lateralen Otocysten ‚ihre Nervenfasern von den die Schlundeommissuren innerhalb des Ge- hirns verbindenden Querfaserzügen (Fig. 1 und Fig. 30, pf) be- ziehen. Dieser letztere Umstand erinnert an ein ähnliches Ver- halten der Gehörbläschen zum Nervensystem bei Arenicola, wo, wie Cosmovici!) gezeigt hat, dieselben, wenngleich nieht im Gehirn selbst, so doch in dessen Nähe auf kleinen Stielen auch an den Schlundeommissuren sitzen sollen. Die Verdauungsorgane. Am Darmeanal von Polyophthalmus lassen sich fünf, durch bestimmte Merkmale characterisirte Abschnitte unterscheiden; der- selbe zerfällt in Mundhöhle, Pharynx, Oesophagus, Mitteldarm und Enddarm und ist mit einem eigenen stark entwickelten System von Muskelbändern versehen, welche dazu dienen, einestheils den- 1) Cosmovici: Les Glandes gönitales et les org. segmentaires des Annelides polynötes. Arch. de Zool. experim. T. 8, Paris 1880. 802 Eduard Meyer: selben in seiner Lage zu erhalten, andrerseits und zwar in seinen beiden vordersten Abschnitten, wie wir sehen werden, ihn in Be- wegung zu setzen. Die Mundöffnung befindet sich auf der Bauchseite am Ende des ersten Rumpf- oder des Mundsegmentes (Fig. 17, I), hat eine dreieckige Gestalt und wird von zwei Oberlippen (Ol, Ol) und einer Unterlippe (Ul) begränzt. Die beiden Oberlippen haben glatte Ränder und können vermittelst den sich hier an ihrer Innen- seite anheftenden schräg-transversalen Muskelplatten behufs Er- weiterung der Mundöffnung zurückgezogen werden. Complieirter ist der Bau der Unterlippe. Gegen die Mundöffnung hin ist die- selbe mit zackenartigen Ausläufern versehen (Fig. 17, Ul), hat ein stark verdicktes, grosse Drüsenzellen enthaltendes Hypoderm (Fig. 4, Ul, hp dr) und setzt sich in Gestalt eines etwas eonvexen, ovalen Feldes bis zum Ende des IIten Segmentes, resp. bis zur Vereinigung der Schlundeommissuren zum Bauchmark fort. In der Unterlippe be- finden sich von einer Seite derselben zur anderen aufgespannte, senkrecht auf die Körperwand gestellte Quermuskelbänder (Fig. 4, Ul m), die im Querschnitt jene eigenartige, gefiederte Gestalt zeigen (Fig. 16, Ulm), wie die von Claparede beschriebenen „Platten- _ bündel“ der Längsmuskelschieht beim Regenwurm !). Im vorderen Abschnitte der Unterlippe wird der Raum zwischen diesen Muskel- bändern und der unteren Wand der Mundhöhle von einem aus zarten, mit Kernen versehenen Fasern bestehenden Bindegewebe (bdgw, Fig. 4) ausgefüllt. Die Mundhöhle (Fig. 4 und Fig. 15, Mh) wird von einer nach innen eingestülpten Fortsetzung des Integumentes gebildet und besteht aus einer einfachen Cuticula und einer ziemlich dünnen Hypodermschicht. Die Wandung der Mundhöhle hat die Gestalt eines ziemlich langen, eylindrischen Rohres, welches in seinem vorderen Theile vermittelst einer Menge in den verschiedensten Richtungen von demselben zur Körperwand gehender Muskelbänder in seiner Lage erhalten wird (Fig. 4, Mm!, Mm?; Fig. 15, Mm!; Fig. 16, Mm?, Mm‘), in seinem hinteren Theile aber in sich selbst eingestülpt ist (s. Fig. 15); dieser letztere Abschnitt bildet bei hervorgestrecktem Rüssel dessen äussere Wandung (vgl. Fig. 16), 1) Ed. Clapar&de: Histologische Untersuchungen über den Regen- wurm. Zeitschr. f. wissenschaftl. Zool. Bd. XIX. 1869. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 803 setzt sich auf dessen unterer Seite direct in das Flimmerepithel der Pharynx fort (Fig. 15 und 5) und ist mit einer Reihe bei der Retraction des Rüssels fungirender sowohl ventraler als seitlicher Muskelbündel versehen, von denen sich die ersteren (Fig. 5, retr, v) zu beiden Seiten des Bauchmarkes, die letzteren (Fig. 5 und 15, retr. 1) dicht über der Seitenlinie zwischen den schräg-transversalen Muskelplatten an der Körperwand anheften. Der pharyngeale Abschnitt des Darmrohres erstreckt sich unter vielfachen Windungen und Faltungen bis zum Ende des Vten Rumpfsegmentes (Fig. 15, Ph); er ist innen von einem ziemlich hohen Flimmerepithel ausgekleidet und in seiner vorderen Hälfte mit einer grossen Anzahl von kleinen, vielzelligen Drüsen besetzt (Fig. 5, 15 und 16, Ph,dr). Dieser Theil der Pharynx, welcher vorne in die Wandung der Mundhöhle übergeht, kann durch die Mundöffnung hervorgestülpt werden und bildet dann die untere Wand des Rüssels und den zur Aufnahme der Nahrungsstoffe dienenden, flimmernden, trichterförmigen Eingang in die Darm- höhle (Fig. 16, Ph*). Die Pharynx ist mit einem ausgebildeten System von Retraetoren ausgerüstet, welche dazu dienen, den durch den Druck der perivisceralen Flüssigkeit in Gestalt des Rüssels hervorgestülpten Theil derselben wieder einzuziehen; es sind dieses starke Muskelbündel, die von der Pharynx nach hinten zu in schräger Richtung zur Körperwand hinziehen und sich an der letzteren anheften. Unter ihnen lassen sich dorsale, ventrale und seitliche Retractoren unterscheiden. Die dorsalen Pharyngeal- muskeln (Figur 16, retr, d) gruppiren sich in drei Paar Bündel, die sich den drei Dissepimenten des IV, V und Vlten Segmentes (sept 1—3, Fig. 16) anschliessen und zu beiden Seiten des Rückengefässes am Integument inseriren (Fig. 7, retr, d) — ähnlich die ventralen Muskeln (Fig. 16, 7 und 8, retr, v), die sich an beiden Seiten auf der Oberfläche des Bauch- markes an dessen Hüllmembran anheften, mit dem Unterschiede jedoch, dass sie sich nicht wie jene in so regelmässige Bündel gruppiren und sich weiter nach hinten etwa bis ins Vllte Segment erstrecken; die seitlichen Retraetoren (retr.1, Fig. 15, 6 und 7) bilden kleinere Muskelbündel, deren Insertionspunete sich an den Seitenwänden des Körpers zwischen den peripherischen Enden der schräg-transversalen Muskelplatten befinden. Was den histologischen Bau der Pharynx betrifft, so besteht dessen Epithel (Fig. 36, ep) 804 Eduard Meyer: aus hellen, langen, schmalen Zellen, die nach innen eine zusammen- hängende Cuticula (cu) ausgeschieden haben, welcher die zarten Flimmerhaare aufsitzen; die Kerne der Epithelzellen sind lang gestreckt und nehmen, ähnlich den Kernen des Hypoderms, bei der Tinetion mit Hämatoxylin ein sehr dunkles Colorit an. Die Pharynx ist im Gegensatze zu den übrigen Theilen des Darmcanals von einer ziemlich starken Muskellage (m, Fig. 36 u. 37) umgeben, an welcher sich jedoch nicht, wie bei anderen Würmern, eine scharfe Sonderung in eine Ring- und Längsfaserschicht bemerkbar macht, sondern die Ring- und Längsfasern derselben sind bunt durcheinander verflochten und stehen in direeter Verbindung mit den oben beschriebenen Retractoren. Eine besondere äussere Hüllmembran besitzt der pharyngeale Abschnitt des Darmes nicht. Einen eigenartigen Bau haben die Pharyngealdrüsen (Fig. 36, Ph, dr), welche merkwürdiger Weise sowohl von Quatre- fages als von Clapar&de überschen worden sind. Wie schon erwähnt, befinden sie sich nur an der vorderen Hälfte der Pharynx und bilden birnen- oder kolbenförmige Anhänge derselben; sie sind von einer eigenen kernhaltigen Hülle (mb) umgeben und ent- halten dunkle, mit ebenfalls dunklen ovalen Kernen versehene Drüsenzellen. Die letzteren haben eine unregelmässig-pyramidale Gestalt und sind an ihren nach innen gekehrten, spitzen Enden in lange, fadenförmige Fortsätze ausgezogen, die sich in der Mitte der Drüse zu vereinigen und so dem Darme zuzustreben scheinen; es haben die Pharyngealdrüsen demnach den Anschein, als bestän- den dieselben aus einer grösseren Anzahl einzelliger Drüsen, welche vermittelst ihrer langen Ausführungsgänge traubenförmig untereinander verbunden und von einer gemeinsamen Hülle um- geben sind. Gegen eine solche Auffassung dieses eigenthümlichen Bildes, welches uns die Pharyngealdrüsen im Längsschnitt ge- währen, sprechen jedoch zwei Umstände: erstens, dass die Drüsen- zellen in den Schläuchen symmetrisch angeordnet sind, so dass ein Drüsenhohlraum in der Mitte entsteht, und zweitens, dass die engeren, eylindrischen, dem Darme zugekehrten Enden (Ag) der Drüsen mit kleineren, hellen Zellen ausgekleidet sind, welche diehter aneinander liegen und so besondere, von den eigentlich drüsigen, secernirenden Theilen durch ihre Elemente unterschiedene Ausführungsgänge repräsentiren. Was die fadenförmigen Fortsätze der Drüsenzellen betrifft, so können dieselben möglicherweise Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 805 durch Coagulation des Secretes der ersteren entstanden sein; jedenfalls aber traue ich mir über die Natur derselben kein end- gültiges Urtheil zu, da mir leider kein frisches oder geeignetes macerirtes Material zu Gebote stand, um die Drüsenzellen isolirt beobachten zu können. Einen sich direct bis an die innere Ober- fläche der Pharynx fortsetzenden Ausführungsgang besitzen die in Rede stehenden Drüsenschläuche nicht; sie scheinen vielmehr ihr Sekret in zwischen Muscularis und Epithel befindliche Hohlräume zu ergiessen, von wo aus dasselbe durch die Contraction der Ring- muskelfasern durch die zwischen den Epithelzellen befindlichen Spalten und die Poren der Darmeutieula in den Hohlraum der Pharynx oder bei vorgestrecktem Rüssel in’s Freie befördert wird; hierauf weist der Umstand hin, dass wir im Epithel vielfach Spalten finden (Fig. 36, ag), die mit einer sich mehr weniger dunkel färbenden, coagulirten Masse ausgefüllt sind. In der hinteren Hälfte der Pharynx nimmt das Epithel (Fig. 37, ep) an Höhe ab, behält aber im Uebrigen den oben beschriebenen Character bei; an Stelle der hier fehlenden Drüsen- schläuche treten einfache, kleine, dunkle Drüsenzellen, welche einzeln (drz) oder in Gruppen vereinigt (drz*) zwischen Epithel und Museularis diffus zerstreut sind. — An der Stelle, wo das Epithel der Pharynx in die Wandung der Mundhöhle übergeht (s. Fig. 5), haben wir ein epithelartiges Gewebe, welches gewisser- massen eine Mittelstufe zwischen dem Hypoderm und dem Pharyn- gealepithel bildet (Fig. 35). Aehnlich dem letzteren besteht es aus schmalen, mit gestreckten, dunklen Kernen versehenen Zellen, die jedoch nicht so lang sind wie jene und nicht so dicht an- einanderliegen, sondern wie die Fadenzellen des Hypoderms durch Spalten getrennt sind; wie diese enthalten sie in ihren breiteren peripherischen Enden einen wenngleich nur leichten Anflug von körnigem Pigment und tragen eine zusammenhängende, zum wei- teren Unterschiede von den characteristischen Epithelzellen der Pharynx nicht wimpernde Cuticula. Der nächstfolgende Abschnitt des Darmecanals, der Oeso- phagus, ist viel kürzer als der vorhergehende und erstreckt sich vom Anfang des Vlten bis zum Ende des VIIten Rumpfsegmentes. Der Oesophagus beginnt dicht hinter dem dritten Dissepiment (sept?, Fig. 15—17 und Fig. 7), welches das Vte von dem VlIten Segmente scheidet, hat hier im Querschnitt ein seitlich compri- 806 Eduard Meyer: mirtes, ovales Lumen (Fig. 7, Oes) und wird im VIten Segmente von dünnen dorsoventralen Muskelbändern (Fig. 7, m. d. v) be- gleitet, die sich demselben jederseits dicht anlegen. Im zweiten Viertel des VIlten Segmentes wird er von drei Muskelbündeln in seiner Lage fixirt — von einem dorsalen (Fig. 16 u. Fig. 8,m. oes. d), zwischen dessen Bändern das Rückengefäss durchgeht (Fig. 8 V, d), und zwei seitlichen, horizontalen (Fig. 17 und 8, m. oes. 1) — so dass er hier im Querschnitt eine dreieckige Gestalt erhält (Fig. 8, Oes); die seitlichen Muskelbündel werden aus platten, sich wagerecht kreuzenden Muskelbändern gebildet (s. Fig. 17, m. oes. ]). In seinem weiteren Verlaufe senkt sich der Oesophagus etwas nach unten, wodurch über demselben in der zweiten Hälfte des VlIlten Segmentes ein grösserer Raum entsteht, welcher das der Speise- röhre aufliegende Herz (Fig. 16, H) enthält, und ist an seinem Ende, welches durch den grossen, mit dem Herzen in Verbindung stehenden Darmsinus (s. i. a, Fig. 16 und 9) bezeichnet ist,. ver- mittelst ein paar dünner Muskelbänder (m. i. d*, Fig. 16 und 9) an der Innenseite der Rückenwand suspendirt. — Während wir zwischen Mundhöhlenwand und Pharynx einen allmählichen Ueber- gang in Bezug auf den histologischen Bau bemerkten, so fehlt ein solcher zwischen Pharynx und Oesophagus; beim dritten Dissepimente (sept?, Fig. 15) hört das helle Epithel der ersteren plötzlich auf und es folgt ohne Zwischenform direet das dunk- lere Epithel des letzteren. Das Flimmerepithel des Oesophagus (Fig. 38, ep) besteht aus eylindrischen Zellen, welche weniger dicht gedrängt und nicht so hoch wie im pharyngealen Abschnitt des Darmcanales sind; sie haben ein dunkleres Protoplasma, längere Flimmerhaare und ovale, körnige Kerne, und ihr euticularer Saum (eu), welchem die Cilien aufsitzen, bildet.keine zusammenhängende Darmeutieula. Die äussere Hülle des Oesophagus wird von einer dünnen kernhaltigen Membran (mb) gebildet, welcher sich ver- einzelte Längs- und Ringmuskelfasern (mf) dicht anlegen; nach vorne setzt sich diese Membran in das Gewebe der Dissepimente fort (s. Fig. 15), nach hinten — in die gleichartige membranöse Hülle des Mitteldarms. Der Mitteldarm bildet den längsten Abschnitt des Darm- canales und erstreckt sich vom VIIlten Segmente an (Md, Fig. 16 und 17) in Gestalt eines gleichmässigen, starken Rohres mit ovalem Lumen bis zum Ende des XXVIsten Rumpfsegmentes (Md, Fig. 18 Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 807 und 19), wo es plötzlich enger wird und in den kurzen Enddarm übergeht. Der Mitteldarm ist charaeterisirt durch ein feines Netz von Capillargefässen (e. i), welche denselben seiner ganzen Aus- dehnung nach umgeben und sowohl vorn als hinten sich zu grossen Sinussen vereinigen (s. i. a. Fig. 16 und s. i. p‘, s. i. p“, Fig. 18 und 19); längs der Bauchseite des Mitteldarmes verläuft ferner ein starker Gefässstamm (V. subint. p, Fig. 16), der mit den Darm- capillaren communieirt und gleich diesen in die Darmwand einge- bettet ist (s. Fig. 12, e. i und V. subint). An der ganzen Rück- seite ist der Mitteldarm vermittelst kurzer, dünner Muskelbänder (m. i. d, Fig. 16, 18; 12, 11 und 13) an der Rückenwand des Thieres aufgehängt; an der Bauchseite ist derselbe ferner auf der Grenze zwischen je zwei Segmenten mit kleinen, paarigen Muskel- bündeln versehen (m. i. v, Fig. 16 und 13), die andrerseits zu beiden Seiten des Bauchmarkes an dessen membranöser Hülle befestigt sind. In Folge einer derartigen, ventralen Befestigungs- weise entstehen an der Bauchseite des Mitteldarmes Einbuchtungen, welche den einzelnen Segmenten entsprechen (s. Fig. 16 und 18). An seinem Anfange ist der Mitteldarm mit einem Paare unter demselben gelegener, grosser Drüsen versehen. Diese Mittel- darmdrüsen (Md. dr, Fig. 16, 17 und Fig. 10, 11) bilden dick- wandige Schläuche, welche in der Mitte des IXten Segmentes in den Darm münden, und deren blindsackartige Enden sich vorne am Anfange des VlIIlten Segmentes befinden; sie haben demnach eine Länge von 1!/s Segmenten und sind wie der Mitteldarm eine jede durch zwei ventrale, intersegmentale Muskelbündel auf der entsprechenden Seite an der Bauchmarkhülle befestigt (vergl. Fig. 16 und 11, m. i. v). Die Mitteldarmdrüsen sind von einer dünnen, mit flachen Kernen versehenen Membran um- geben (mb, Figur 39) und ihre drüsige Wandung wird von hohen, schmalen Epithelzellen gebildet. Die grösste Anzahl dieser Zellen hat ein grobkörniges Protoplasma, welches bei der Tinetion einen sehr dunklen Farbeton annimmt und einen näher zum äusseren Ende der Zelle gelegenen hellen, ovalen Kern enthält, der mit einem einfachen Kernkörperchen ver- sehen ist (Fig. 39, drz); nur an ihren inneren Enden ist das Plasma dieser Zellen lichter. Zwischen den eben beschriebenen befindet sich eine andere Art von Zellen (drz*), welche durchweg heller sind und näher zum Lumen der Drüse gelegene, unregelmässig 808 Eduard Meyer: gestaltete dunkle Kerne besitzen, mit ihren peripherischen Enden aber nicht bis an die Hüllmembran reichen. Dieser Umstand scheint darauf hinzuweisen, dass die letzte Zellart einen unthätigen, nach vollendeter Function eingetretenen Zustand repräsentiren und möglicherweise als nunmehr unbrauchbare Elemente ausgestossen werden, während die ersten dunklen Zellen mit den grossen, ovalen Kernen als noch in voller Thätigkeit begriffene zu betrachten sind. Die ausgestossenen Zellen scheinen durch einen Nachwuchs von jungen ersetzt zu werden, der in einem an der Peripherie befindlichen „Keimbette‘‘ vor sich geht, zu welcher Annahme das Vorkommen von kleineren, der Membran anliegenden Zellen mit dunklem Plasma und hellen Kernen (Fig. 39, drz**) eine gewisse Berechtigung giebt. Von besonderem Interesse ist der histiologische Bau des Mitteldarmes (Fig. 40). Wie der Oesophagus, so ist auch dieser Abschnitt des Darmkanales von einer mit flachen Kernen und spärlichen Ring- und Längsmuskelfasern (mf) versehenen Membran (mb) umgeben; innerhalb dieser äusseren Hülle, derselben dicht anliegend, befinden sich die namentlich im vorderen Theile des Mitteldarmes ein sehr regelmässiges Netz bildenden Capillargefässe (e. 1), welehe eigene membranöse Wandungen besitzen und auf der dem Darmlumen zugekehrten Oberfläche das Darmepithel (ep) tragen. Im vorderen Theile sind die Epithelzellen des Mitteldarmes ungefähr eben so hoch wie diejenigen des Oesophagus, wofür je- doch breiter und haben ein dunkleres Protoplasma, welches einen ovalen, hellen, mit einem einfachen Kernkörperchen versehenen Kern enthält; in Bezug auf den euticularen Saum und die Flimmer- haare zeigen sie dasselbe Verhalten wie jene. Zwischen dem eigentlichen Epithel und den Capillargefässwandungen finden wir ferner hier und da flache Zellen (ep*), deren Plasma sowohl als deren Kerne denselben Character tragen wie die entsprechenden Theile der Epithelzellen selbst; es scheinen diese Zellen in ihrer Gesammtheit — ähnlich wie wir dies bei den Mitteldarmdrüsen sahen — ein Keimblatt vorzustellen, dessen hätigkeit darin be- steht, neue Epithelzellen zum Ersatz von ausgestossenen oder auf andere Weise zu Grunde gegangenen zu produeiren. Eine solche allem Anscheine nach in der Bildung begriffene junge Epithelzelle scheint mir die mit ep** bezeichnete zu sein. In den Maschen des Capillarnetzes nun befinden sich ganz eigenthümliche Gebilde, Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmns pictus Clap. 809 über deren Natur ich lange im Zweifel war und welche ich mit der freundlichen Beihülfe von Herrn Prof. Dr. Nussbaum folgen- dermassen deuten zu können glaube. An Querschnitten durch den Mitteldarm erscheinen die Intervallen zwischen den Capillaren (ce. i) von einem ziemlich dunklen, plasmatischen, quergestreiften Saume (drz) ausgekleidet, welcher hier und da einen kleinen, ovalen, seitlich gelegenen und mit einem Kernkörperchen versehenen Kern enthält und bis zum Epithel reicht, wo er sich plötzlich zuspitzt und sich den entspreehenden Epithelzellen anlegt; den mit diesem eigenthümlichen Saume versehenen, zwischen den Capillaren be- findlichen Intervallen entsprechend ist das Darmepithel unter- brochen, wodurch eine Communication zwischen den ersteren und der Darmhöhle hergestellt ist. Bei verschiedener Einstellung er- giebt sich aus der Flächenansicht der Darmwand folgendes Bild: in den rundlichen Maschen des Capillarnetzes sehen wir etwa halb- kugelartige Gebilde eingelagert, deren Wandungen mit einer radiären Strichelung versehen sind und je einen seitlich gelegenen Kern be- sitzen; im Inneren enthalten sie einen Hohlraum, der sich bis zur Darmhöhle fortsetzt und in dieselbe mit einer kreisrunden Oeffnung mündet, welehe von den polygonalen, eine zierliche, regelmässige Mosaik bildenden Epithelzellen des Darmes umgeben ist. Nach der Combination von Schnitt- und Flächenansichten erscheinen die Intercapillargebilde als einzellige Gebilde, für welche sich schwer- lich eine andere Deutung ausfindig machen liesse, als die, dass es mit einem Hohlraum versehene, der Darmwand eingelagerte Drüsen- zellen seien, von flaschen- oder kolbenförmiger Gestalt, mit radiär gestricheltem Protoplasma und hellem, ovalem, wandständigem Kerne. Die regelmässigen, exacten Contouren und die kreisrunden Mündungen derselben ferner lassen auf eine zarte, membranartige Hülle schliessen, die sich zwischen dem Epithel in Form eines flaschenhalsartigen Ausführungsganges bis zum Darmlumen fort- setzt (Fig. 41). Die grösste Anzahl dieser einzelligen Drüsen be- findet sich in der vorderen Hälfte des Mitteldarmes; nach hinten zu wird ihre Zahl immer geringer und ihre Anordnung, gleich derjenigen der Capillaren, unregelmässiger, bis sie in der hinteren Hälfte des Mitteldarmes ganz verschwinden. — Was nun das Epithel betrifft, so werden die Zellen nach hinten zu immer grösser und sind ungefähr in der Mitte des Mitteldarmes am grössten (Fig, 42); sie sind hier fast doppelt so gross wie am Anfange und 810 Eduard Meyer: ihr Protoplasma, welches grosse, ovale, bläschenartige Kerne mit leuchtenden Kernkörperchen enthält, erscheint der Länge nach gestreift. Gegen den Enddarm nimmt das Epithel an Höhe wieder bedeutend ab, die Capillaren werden immer unregelmässiger, in- dem sie sich hier und da sinusartig erweitern (Fig. 42 u. 13, e. i) und vereinigen sich schliesslich am Ende des Mitteldarmes zu zwei dicht hintereinander gelegenen, ringförmigen Sinussen (Fig. 14, s. i. p“ und Fig. 18 und 19, s. i. p‘, s. i. p“. — Das Epithel, welches sich auf der Grenze zwischen Mittel- und Enddarm be- findet (Fig. 14, Md und Fig. 43), kann als Uebergangsform zwi- schen dem eigentlichen Darmepithel und dem Integument betrachtet werden, indem es von den Eigenschaften des ersteren noch die Flimmerhaare beibehalten hat, in seinen übrigen Theilen, dem zusammenhängenden Cuticularsaum (eu) und den niedrigen, engen, den Faserzellen des Hypoderms ähnlichen Epithelzellen (ep), sich dem letzteren Gewebe im Baue sehr genähert hat. Der Enddarm selbst wird gewissermassen von einer Ein- stülpung des Integumentes gebildet, wonach dessen Wandungen aus Cutieula und Hypoderm bestehen, welch letzteres sich vom Hypoderm der Körperwand nur dadurch unterscheidet, dass es keine Drüsenzellen enthält, sondern nur aus Fadenzellen besteht (Fig. 26, Endd). Der Enddarm (Fig. 18 und 19, Endd), dessen Durchmesser bedeutend kleiner ist als derjenige des Mitteldarmes, beginnt im XXVlIten Segmente, wird von einem System Längs- und Quersepten (l, sept und sept, Fig. 14, 18, 19 und 26), die von demselben zur Körperwand gehen, in seiner Lage fixirt und endet schliesslich mit der halb terminal, halb dorsal gelegenen Analöffnung, welche mit den neun dieselbe umgebenden, oben beschriebenen Analeirren (ce. a, Fig. 19 und 26) versehen ist. Das Gefässsystem. Das Gefässsystem von Polyophthalmus besteht aus einem ziemlich complieirten Centralorgane, grossen Längsstämmen, einem System von Gefässen, welehe in den einzelnen Metameren die Ver- bindung der ersteren unter einander herstellen, und einem den Mitteldarm umgebenden Capillarnetze. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 811 Die Hauptbestandtheile des Gefässsystems vertheilen sich in den verschiedensten Regionen des Körpers folgendermaassen. Wie gesagt, wird der ganze Mitteldarm von regelmässige Maschen bil- denden Capillargefässen umstrickt (e. i, Fig. 16, 18, 19, am Quer- schnitt Fig. 10—13), die sich sowohl hinten als vorne zu sinus- artigen, den Darm ringförmig umgebenden Bluträumen vereinigen (Fig. 16 und 9, s. i. a, Fig. 18,19 und 14, s. i. p‘, s. i. p‘‘). Dem vorderen, dorsal stärker ausgebildeten Darmsinus, der sich auf der Grenze zwischen Oesophagus und Mitteldarm befindet, schliesst sich vorne im VIIten Rumpfsegmente das Herz an (Fig. 16, H), von welchem drei Gefässe entspringen, zwei seitliche, die den Darm ringförmig umfassen (Fig. 16, 17 und 9, v. ann) und sich unter demselben, zwischen den beiden Mitteldarmdrüsen zu einem rückwärts bis zum Endabschnitt des Körpers verlaufenden Bauch- gefäss (Fig. 16—19 und 11—13, V. v) vereinigen, und ein über dem Vorderdarm, median nach vorn gerichteter Stamm, das Rücken- gefäss (Fig. 16 und 4—8, V. d). Auf der Grenze zwischen dem Mund- und Kopfsegmente biegt sich dieses letztere zur Bauchseite hin und giebt durch gabelförmige Theilung zweien Gefässen (Fig. 16, 17 und 4—11, V. subint. a) den Ursprung, welche die Mund- höhle umgeben und unter dem Vorderdarme zu beiden Seiten der Mittellinie desselben rückwärts dicht neben einander ihren weiteren Verlauf nehmen; zwischen den beiden Mitteldarmdrüsen..vereinigen sich diese zwei vorderen, ventralen Darmgefässe zu einem un- paaren, hinteren ventralen Darmgefäss (Fig. 16, 18 und 12, 13, V, subint. p), welches sich unter dem Mitteldarme bis zum Ende desselben hinzieht und die reichlichen Darmceapillaren mit Blut versieht. Der Körperwand anliegend ziehen ferner noch zwei Gefässe (Fig. 16—19 und 6, 8, 11—13, V. 1) fast der ganzen Länge des Rumpfes nach genau an den lineae laterales hin, welche Seitenzweigen des Rückengefässes ihren Ursprung verdanken. Be- trachten wir nun diese Hauptgefässe im Einzelnen, sowie die durch Nebenäste hergestellte Verbindung derselben mit einander. Das Rückengefäss, welches mit einem verhältnissmässig be- deutenden Lumen vom Herzen ungefähr in der Mitte des VlIten Rumpfsegmentes entspringt, ist bis zum Anfang des VlIten Seg- mentes pulsirend, verläuft von hier an weiter als Gefäss mit ein- fachen Wandungen bis zum Anfange des Mundsegmentes und ist auf dieser ganzen Strecke vermittelst einer dünnen, in der Median- 812 Eduard Meyer: ebene gelegenen Membran an der dorsalen Innenfläche der Körper- wand suspendirt; dicht hinter dem Gehirn macht es eine Biegung senkrecht nach unten und theilt sich auf der halben Höhe des Mundsegmentes in zwei wagerechte Aeste, welche hier jederseits Schleifen bildend sich den inneren Flimmerorganwandungen an- schmiegen, dann zwischen den horizontalen Mundmuskeln durchtreten und, sich ab- und einwärts unter den Vorderdarm wendend, als unteres, vorderes Darmgefässpaar ihre Fortsetzung finden. Das Vas dorsale sendet 5 Paar Seitenzweige ab; das erste Paar derselben entspringt am Ende des Illten Rumpfsegmentes und schmiegt sich unter vielfachen Windungen den Pharyngeal- falten an. Diese beiden Gefässe, die als Rüsselgefässe (Fig. 16 und 17, V. ph) bezeichnet werden können, erstrecken sich weiter nach vorne und werden bei Ausstülpung des Rüssels mit in diesen hineingezogen, wobei sich die Windungen ausstreeken; jederseits der Pharynx eine Schlinge bildend, kehren sie dann unter der- selben zurück und münden im dritten Segment in die hier noch seitlich gelegenen Vorderabschnitte der entsprechenden ventralen Darmgefässe. So wäre durch die beiden Rüsselgefässe im dritten Rumpfsegmente eine locale Verbindung zwischen dem Rückengefäss und den beiden Unterdarmgefässen hergestellt. Eine ähnliche Communication zwischen dem dorsalen und den beiden ventralen Stämmen finden wir auch in den nächstfolgenden Segmenten, wo sie jedoch keine direete ist, sondern durch die beiden Lateralge- fässe vermittelt wird. Das zweite Paar der Seitenzweige des Vas dorsale nämlich (V. d—I‘, Fig. 16 und 17) nimmt auf dem Niveau des ersten Dissepimentes, welches das IVte Körpersegment von dem Vten scheidet, seinen Ursprung und läuft längs diesem an der Innenseite der dorsalen Längsmuseulatur, zwischen den schrägen Muskelbändern durehtretend, bis zur Seitenlinie des Körpers hinab, wo es wagereeht umbiegt und unter viel- fachen Windungen und Sehlingenbildungen an der Körperwand als symmetrisches Seitengefässpaar (V. 1) zurückläuft. Von diesen Seitengefässen geht nun im selben Segmente jederseits ein Gefäss (Fig. 16 und 17, V. 1—subint.!) ein- und abwärts, tritt aus der Seitenkammer wieder zurück in den Perivisceralraum, indem es abermals aber nun in umgekehrter Richtung einen Zwischenraum zwischen zwei schrägen Muskelbändern passirt, und mündet in das Vas subintestinale ant. der betreffenden Seite. Dasselbe Ver- Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 813 halten kehrt bei den übrigen 3 Paar Seitenästen des Rückengefässes wieder, von welchen das dritte und vierte Paar (Fig. 16 und 17, V. d—l?, V. d—]?,) dem Niveau des zweiten und dritten Dissepi- mentes, das fünfte (V. d—lt) zwischen den Muskeln entspringt, die den Oesophagus im siebenten Segment an die dorsale Körperwandung anheften; dabei entspricht einem jeden dieser dorso lateralen Ge- fässpaare je ein Paar von den Seitengefässen zum entsprechenden Vas subintest. ant. gehender Gefässe. Während nun auch für die weiteren Körpersegmente diese Verbindung zwischen den Lateral- gefässen und dem dureh mediane Vereinigung der beiden vorderen, vom VIIlten Segment an demnach unpaaren hinteren, ventralen Darmgefäss (Fig. 16, V. subint. p) bestehen bleibt, hört eine solche in dorso-lateraler Richtung auf. Vom VlIIten Körpersegmente an tritt bis auf die zwischen den Seiten- und dem ventralen Darmgefässe be- stehenden Verbindungsäste eine durchgreifende Veränderung im Ge- fässsystem ein, indem hier das Rückengefäss durch die Darmeapil- laren ersetzt wird, und indem zweitens hier zwischen Darm- und Bauchmark ein neuer Hauptstamm, das Bauchgefäss, welches durch Seitenäste wiederum mit den Lateralgefässen in Verbindung steht, seinen Ursprung nimmt. Dieses Vas ventrale entsteht, wie oben bemerkt, aus der Vereinigung der beiden seitlich aus dem Herzen entspringenden Gefässe. Diese letzteren haben einen ansehnlichen Durchmesser, pulsiren und bilden zusammen einen den Darm um- gebenden Ring, der von vorn und oben schräg nach unten und hinten gerichtet ist; sie beginnen dorsal im dritten Viertel des VIlten und vereinigen sieh ventral im ersten Viertel des VIIlIten Segmentes, zwischen den Enden der beiden Mitteldarmdrüsen. Das so entstandene Bauchgefäss sendet auf der ganzen Strecke bis zu seinem Ende genau auf der Grenze zwischen je zwei Segmenten, also auf dem Niveau der Borstentaschen je ein Paar Seitenzweige (V. v—l, Fig. 16 und 17) aus, welche in der Richtung gegen das Körperende des Thieres hin schräg durch das folgende Segment zur Seitenlinie hinziehen, auf ihrem Wege durch das System der schräg-transversalen Muskelbänder hindurchtreten und in der Nähe der Augenflecke, also unter dem dritten Muskelplattenpaare, in die Seitengefässe münden. Was die Verbindung zwischen Seiten- und Darmgefäss betrifft, so wäre hier in Bezug auf den Weg der- selben folgendes zu bemerken, dass die Verbindungsgefässe (V. l—subint., Fig. 16 und 17) am Ende des betreffenden Segmentes 814 Eduard Meyer: dicht vor den Borstentaschen von den Lateralgefässen abgehen und im selben Segment schräg nach vorn verlaufen, in der Mitte des- selben in das mediane Vas subintestinale eintreten. Diese Anord- nung der Gefässe wiederholt sich mit constanter Regelmässigkeit in allen folgenden Metameren bis auf die letzten Segmente der Mitteldarmregion des Körpers, wo sich eine unbedeutende Modifi- cation bemerkbar macht (Fig. 19). Die letzten Paare der Seitenäste des Bauchgefässes gehen nämlich nicht mehr schräg durch das nächstfolgende Segment, sondern direet zur Körperwand, um sich schon am Anfange des folgenden Segmentes dicht hinter den Borstentaschen mit den Seitengefässen zu vereinigen, und von diesen letzteren gehen die anderen Verbindungszweige in der Mitte des Segmentes ab und treten gegen Ende des betreffenden Segmentes an den Darm, wo sie, ohne das ventrale Darmgefäss zu errreichen, einfach mit den Capillaren in Verbindung treten. Dieses Abweichen vom ersten Schema tritt nieht plötzlich auf, sondern der Art, dass die Ab- gangs- und Mündungspuncte der Verbindungsgefässe nach und nach in den successiven Metameren in angegebener Richtung vor- schreitend ihre Lage ändern. Für das letzte Segment der Mittel- darmregion, der Zahl nach das 26. Körpersegment, ist folgendes Verhalten der Gefässe zu verzeichnen (Fig. 18 und 19). Das Bauchgefäss theilt sich hier gabelförmig in zwei Aeste, welche sowohl in Bezug auf ihre Grösse als auf ihre Lage den einfachen Verbindungsgefässen gleichwerthig sind; dieselben vereinigen sich neben den Borstentaschen mit den Lateralgefässen, die ihrerseits ebensowie das Bauchgefäss hier ihr Ende erreicht haben, indem jedes von ihnen sich in zwei gegen den Darm gerichtete Zweige spaltet. Diese letzten zwei Paar Verbindungszweige münden in die beiden ringförmigen Darmsinusse, welche mit den Darmcapillaren in direetem Zusammenhange stehen. Hier findet das Gefässsystem seinen terminalen Abschluss; das XXVIlIte und XXVIllte borsten- tragende Körpersegment, sowie die 8 borstenlosen Analsegmente haben gar keine Blutgefässe aufzuweisen. Wenden wir uns nun zur Betrachtung des anatomischen Baues des Herzens, welches seiner complieirten Structur nach nur noch mit dem Herzen von Arenicola vergleichbar ist. Nach der Beschreibung von Quatrefages besteht dasselbe bei P. Ehren- bergi aus drei contractilen Kammern, von denen die hintere, un- Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pietus Clap. 815 paare einen kurzen aber starken, nach vorne gerichteten Canal bildet, der hinten mit dem Darmsinus, vorne mit dem Rückengefäss in Verbindung steht, und mit dem die beiden seitlichen, vorderen Kammern von mehr sphärischer Gestalt eommunieiren und das in ihnen enthaltene Blut in das den Oesophagus umgebende Ring- gefässpaar treiben!); nach Claparede’s Darstellung dagegen wird das Herz bei P. pietus blos durch erweiterte und eontractile Seiten- schlingen des ebenfalls contractilen Rückengefässes, etwa wie z. B. bei Tubifex und Limnodrilus repräsentirt. Bei genauerer Unter- suchung ergiebt sich jedoch, dass die Construction des Herzens bei P. pietus durchaus nicht so einfach ist, wie sich letztgenannter Forscher dieses vorgestellt hat. Der grosse Darmsinus (Fig. 16 und 20, s. i. a), welcher das ganze, aus den Capillaren zusammen- strömende Blut aufnimmt, steht vorne mit einem ziemlich geräu- migen, mit contractilen Wandungen versehenen Hohlraum (H), der eigentlichen Herzkammer, in Verbindung und kann gewissermassen als Vorkammer betrachtet werden, aus welcher das Blut durch Contraction der muskulösen Wandungen in den Hohlraum des Herzens befördert wird. Ein eigenthümliches Organ (X, Fig. 16 und 20) in Gestalt eines dieken, kurzen Rohres, welches mit starken, zelligen Wandungen und einem in seiner Axe verlaufenden Canale versehen ist, befindet sich im Hohlraume des Herzens, ragt mit seiner hin- teren Hälfte, an deren Ende die breite, mit lappigen Ausläufern ausgestattete Eingangsöffnung in den axialen Canal sich befindet, in den Darmsinus hinein und ist hier vermittelst besonderer, kleiner, von den lappigen Fortsätzen ausgehender Muskelbündel am Darm- epithel befestigt (mf”, Fig. 20); die vordere Hälfte dieses röhren- förmigen ÖOrganes befindet sich in dem Hohlraum der Herz- kammer selbst und wird durch einen dünnen, von seinem zuge- spitzten, mit der vorderen Mündung des Axencanals versehenen Ende ausgehenden Muskelbündel (mf**, Fig. 20), der sich an der vorderen Herzwand anheftet, wagerecht in schwebender Lage er- halten. Was für eine Function diesem sonderbaren Organe wohl zukommen könnte, ist mir vollkommen unklar geblieben; viel- leicht würde eine Beobachtung desselben am lebenden Thiere einige Aufklärung darüber geben. — Von der Herzkammer 1) Vgl. Quatrefages’ Abbildung Fig. 5. Pl. 2. [5% Archiv f. mikrosk. Anatomie. Bd. 21. 53 816 Eduard Meyer: gehen nun, wie schon oben beschrieben, drei starke, pulsirende Gefässe aus: nach vorne das Rückengefäss und seitlich, nach unten und hinten gerichtet, die beiden Seitenstämme (V. ann, Fig. 16 und Fig. 20). Die letzteren sind es nun, welehe einer enormen Ausdehnung fähig sind und daher von Quatrefages als Seitenkammern des Herzens gedeutet worden sind. Nach der Angabe von Quatrefages soll die mittlere, hintere Herzkammer, resp. der Darmsinus, drei bis vier mal pulsiren, bevor die Seitenkammern oder Seitenstämme mit Blut gefüllt sind und sich zu contrahiren beginnen. Was nun den histologischen Bau der Herzwandung betrifft, so besteht dieselbe aus einer direceten Fortsetzung der äusseren, membranösen, mit flachen Kernen versehenen Darmhülle, welcher sich eine reichliche Menge in den verschiedensten Richtungen sich kreuzender Muskelfasern anschliesst, ausserdem liegen dieser Mem- bran nach innen spindelförmige, in Fasern auslaufende Zellen (fz, Fig. 20) an. Dieselbe Structur besitzen auch die beiden vom Herzen ausgehenden, contractilen Seitenstämme (V. ann) und das Rückengefäss, soweit es pulsirend ist. Unter den übrigen Gefässen des Körpers, welche alle blos einfache, membranartige, mit flachen Kernen versehene Wandungen besitzen (s. z. B. Fig. 36, V. ph und Fig. 33, V. ]), zeichnet sich durch einen besonderen Bau das Bauchgefäss aus. Es ist nämlich seiner ganzen Länge nach von beiden Seiten mit einem eigenthümlichen zelligen Belag versehen (Fig. 12, V. v), welcher sich zum Theil auch auf die von demselben entspringenden Seitenzweige fortsetzt (s. Fig. 16, V. v und V. v—]). Dieser Be- lag besteht aus kleinen, drüsigen Zellen (Fig. 21, drz), welche dicht aneinander gedrängt der membranösen Gefässhülle aufsitzen und von der Fläche gesehen eine mosaikartige Zeichnung zeigen; das Plasma derselben ist grobkörnig, dunkel und enthält je einen hellen, runden, mit leuchtendem Kernkörperchen versehenen Kern, der von bräunlich-gelben Pigmenttröpfehen umgeben ist. Ueber die Bedeutung dieser drüsigen, epithelialen Gefässbekleidung habe ich mir keine rechte Vorstellung bilden können; vielleicht ist dieselbe in Bezug auf ihre Funetion mit den in letzter Zeit von Cosmoviei für Anneliden beschriebenen Bojanus’schen Organen vergleichbar. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus picetus Clap. 817 In Betreff des in den Gefässen enthaltenen Blutes wäre hier noch zu bemerken, dass es im frischen Zustande eine röthliche Farbe hat, bei der Conservirung aber zu einer feinkörnigen Masse erstarrt; es enthält kleine, runde, ziemlich helle Zellen, Blutkörper- chen, die mit einem meist excentrisch gelegenen, runden, dunklen Kerne ohne Kernkörperchen versehen sind (bk, Fig. 20, 21, 40, 42). Coelom, Segmental- und Reproduetionsorgane. Die Leibeshöhle von Polyophthalmus wird durch das System der schräg-transversalen Muskelbänder der Länge nach in drei Kammern getheilt: eine obere, grössere, periviscerale, welche den Tractus intestinalis enthält und zwei seitliche untere, kleinere, laterale, die in den Intervallen zwischen den einzelnen Muskelbändern mit der perivisceralen Kammer communieiren. Eine den einzelnen Metameren entsprechende Eintheilung des Coelom’s durch inter- segmentale Dissepimente finden wir bei unserer Wurmform nicht; nur im vorderen Körperabschnitt befinden sich drei membranöse, mit spärlichen Muskelfasern versehene Dissepimente (sept 1—3, Fig. 15—17), welche mit ihren peripherischen Rändern am Ende des IVten, Vten und VIten Segmentes an der Körperwand befestigt, mit ihrer mittleren Partie aber nach Art vom Winde aufge- blasener Segel nach vorne ausgebuchtet sind und weit in die ent- sprechenden Segmente hineinragen. Auch legen sich die jeder- seitigen Hälften der in Rede stehenden Septen dem Darmrohre der- massen an, dass über und unter demselben eine Communication der durch die Septen abgegrenzten Theile der Leibeshöhle untereinander bestehen bleibt (Fig. 7). Von diesen drei Dissepimenten hatte Claparede nur das hinterste beschrieben, die beiden vorderen sind von ihm wahrscheinlich in Folge ihrer versteckten Lage zwischen den Retractorenbündeln der Pharynx übersehen worden. Nach Claparede’s Darstellung sollen die beiden unteren, lateralen Kammern durch Intersegmentalsepten!) in metamere Abschnitte getheilt sein — ein Verhalten, welches ich auf Grund meiner Beobachtungen nicht bestätigen kann; wie Claparede zu dieser Behauptung gekommen ist, ist mir vollkommen unverständlich. 1) Vgl. dessen Abbildung. 1. c. Pl. 1. Fig. 1y, c, ce‘. 818 Eduard Meyer: Anders verhält sich die Sache im Bereiche des Enddarms; hier sind sowohl die letzten drei borstentragenden Rumpfsegmente (XXVI—-XXVII, Fig. 18, 19), als auch die acht Abtheilungen resp. unvollkommenen Segmente des sich verjüngenden Endab- schnittes des Körpers (1—8, Fig. 18, 19) durch vollständige Quer- septa von einander geschieden (sept, Fig. 18, 19 u. Fig. 14 u. 26). Ausserdem befinden sich hier noch sagittale und horizontale Längs- septen (l, sept, Fig. 14 und 26), die zwischen Darm- und Körper- wand aufgespannt sind und die durch obige Quersepta begrenzten Abschnitte der Leibeshöhle in eine Reihe symmetrischer, über- einander gelegener Kammern eintheilen. — Eine vollständige, un- unterbrochene peritoneale Auskleidung der Leibeshöhle finden wir bei Polyophthalmus nicht; das Peritoneum scheint vielmehr nur fragmentarisch vorhanden zu sein und durch die die verschiedenen Organe umgebende, mit flachen Kernen versehene, membranöse Hülle (mb), sowie durch die Grundmembran der Septen repräsentirt zu werden. — In der perivisceralen Flüssigkeit, mit welcher die Leibeshöhle angefüllt ist, schwimmen kleine, helle, mit einem dunklen Kerne versehene Zellen (p. v. z, Fig. 5, 12, 14), welche im conservirten Zustande von sehr verschiedener Form sind, wo- raus ich schliessen zu dürfen glaube, dass dieselben im lebenden Zustande einer amöboiden Bewegung befähigt seien. Von den Segmentalorganen von Polyophthalmus, welche sowohl von Quatrefages als Claparede vollständig übersehen worden sind, kann ich leider auch keine vollständige Beschreibung geben, da mir dieselben nie in ihrer ganzen Länge zu Gesicht ge- kommen sind. Sie bilden in den mittleren Rumpfsegmenten je ein Paar dünner Schläuche mit drüsigen Wandungen und befinden sich in den unteren, lateralen Kammern der Leibeshöhle (Fig. 12, segm, 0); ihre äusseren Mündungen liegen in den Seitenlinien unter und zwischen dem dritten und vierten Paare der schräg-transver- salen Muskelbänder des betreffenden Segmentes, dicht über den Seitenaugen — ihre inneren Enden habe ich nicht gefunden. In den vordersten Rumpfsegmenten, welche mit den drei oben be- schriebenen intersegmentalen Dissepimenten versehen sind (sept!—?, Fig. 15) haben die Segmentalorgane ein bedeutend grösseres Lumen und sind an ihren peripherischen Enden triehterförmig erweitert (segm. 0, Fig. 15); sie scheinen hier zu Ausführungs- wegen der Geschlechtsproducte umgewandelt zu sein. Zu r Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 819 Was die Gesehleehtsproduete von Polyophthalmus betrifft, so sind dieselben schon von Quatrefages und Claparede ge- nau beschrieben worden. Wie die meisten marinen Anneliden, so ist auch P. getrennt geschlechtlich; während der Brunstzeit sind alle drei Kammern der Leibeshöhle mit Eiern oder Spermatozoen angefüllt (Fig. 12). Die Eier (ov) scheinen von einer zarten Mem- bran umgeben zu sein, haben einen körnigen, dunklen Dotter und ein grosses, rundes, helles Keimbläschen, welches mit einem glän- zenden Kernkörperchen resp. Keimfleck versehen ist. Die Sperma- tozoen (sp) sind mit birnförmigen Köpfchen versehen und haften mit den letzteren derart aneinander, dass sie runde oder ovale, zweischichtige Scheiben (Spermatogemmen) bilden. Zum Schlusse sei es mir vergönnt, meinen hochverehrten Lehrern Herrn Prof. Dr. Freiherrn von la Valette St. George und Herrn Prof. Dr. Nussbaum, welche mir während meiner Studien in Bonn mit Rath und That jederzeit auf das freund- schaftliehste zur Seite standen, hier meinen wärmsten Dank auszu- sprechen. Zu gleichem Danke bin ich meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Dr. Ussow in St. Petersburg für das schöne Mate- rial, welches er mir zur Verfügung gestellt, sowie für seine werth- vollen Rathschläge, deren er mich in reichlichem Masse hat zu Theil werden lassen, verpflichtet. Erklärung der Abbildungen auf Tafel XXXII und XXXIIL. Die Umrisse zu sämmtlichen Abbildungen (mit Ausnahme von Fig. 41) sind mit Hülfe des Zeichenprisma’s entworfen. Bedeutung der Buchstaben. au Augen des Kopfes. bo becherförmiges Organ. ah Augenhaut. Bt Borstentaschen. bdgw Bindegewehe. ca Analeirren. bk Blutkörperchen. ci Darmceapillare. bm Bauchmark. cm Schlundeommissuren. Bm Borstenmuskel. cu Üutieula. 820 cz Commissurzellgruppen des Gehirns. drz Drüsenzellen. ep Epithel. Endd Enddarm. fih Flimmerhaare. flo Flimmerorgane. flz Flimmerzellen. fz spindelförmige Fascrzellen. G Gehirn. gn', gn?, gn? Gehirnganglien. gnm und gnl mittlere und seitliche Ganglienzellengruppen des Bauch- markes. gl Glaskörper. H Herz. hm horizontale Muskelbänder über dem Bauchmarke. hp Hypoderm. hpdr einzellige Hypodermdrüsen. k Kerne der Grundmasse des Gehirns. l Linse. lf Längsfaserzüge im Gehirn und Bauchmark. N Imd dorsale Längsmuskulatur. Imv ventrale Längsmuskulatur. lsept Längssepta. m Muskularis der Pharynx. mb Membran. Md Mitteldarm. Mddr Mitteldarmdrüsen. m dv dorso-ventrale Muskelbänder. mf Muskelfaser. Mh Mundhöhle. mhd dorsale bänder. mid und miv dorsale und ventrale Muskelbänder des Mitteldarmes. Mm Mundmuskeln. moesd und moes1 dorsale und la- terale Muskelbündel des Oesophagus. n peripherische Nerven. Oes Oesophagus. Öl Oberlippen. ot Gehörbläschen. Horizontalmuskel- Eduard Meyer: ov Eier. pgm Pigment. pgn peripherische Ganglien. Ph Pharynx. Phdr Pharyngealdrüsen. pvz die inder perivisceralen Flüssig- keit schwimmenden Zellen. qf Querfaserzüge im Gehirn. qm schräg-transversale Muskelplatten. rn Ringmuskelfasern. retr Retractoren. retr l, retr d und retr v_ seitliche, und ventrale Retractoren des Rüssels. dorsale sau Seitenaugen. segmo Segmentalorgan. sept Dissepimente. sia vorderer Darmsinus. sip‘, sip“ Ringsinusse des Darmes. die beiden terminalen So Seitenorgan. Sp Spermatozoen. St Stirnpapille. Stm Stirnpapillenmuskel. Ul Unterlippe. Ulm Unterlippenmuskeln. V ann pulsirendeRinggefässe (paarig). Vd Rückengefäss (unpaarig). Val Rücken- und Seitengefässen (paarig). Vl Seitengefässe (paarig). V lsubint Verbindungszweige schen Seiten- und ventralen Darm- gefässen (paarig). Verbindungszweige zwischen zwi- V ph Pharyngealgefässe (paarig). V subint a vorderes ventrales Darm- gefäss (paarig). V subint p hinteres ventrales Darm- gefäss (unpaarig). Vv DBauchgefäss (unpaarig). Vvl Bauch- und Seitengefässen (paarig). Verbindungszweige zwischen X röhrenfösmiges Organ im Hohl- raume des Herzens. Die römischen Zahlen bezeichnen die Segmente des Körpers. — KS Kopfsegment. Fig. 1. Fig. 2. Fig. 3. Fig. 4. Fig. 5. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 8. Fig. 9. Fig. 10. Fig. 11. Fig. 12 Fig. 15 Fig. 14 Fig. 15. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Ulap. 821 Tafel XXXI1. Querschnitt durch das Kopfsegment und das Gehirn auf dem Niveau der seitlichen Augen. Vergrösserung ca. 140::1. Querschnitt durch das Kopfsegment und Gehirn von dem Niveau des oberen, medianen Auges. Vergr. ca. 140: 1. Querschnitt durch das Mundsegment und die Flimmerorgane. flo! obere und fl o? untere Schenkel der hufeisenförmigen Flimmer- gruben, n! und n? die oberen und unteren Zweige der Flimmer- organnerven, m" Flimmerorganmuskeln, retr Retractoren der Flim- mergrubendeckel hp*. Vergr. 140:1. Querschnitt durch das Mundsegment auf dem Niveau der Mund- öffnung. Mm? horizontale, Mm! schräge Mundmuskeln. Vergrös- serung ca. 140: 1. Querschnitt durch die Pharyngealregion auf der Grenze zwischen dem Ilten und IIlten Rumpfsegmente. Vergr. ca. 116: 1. Querschnitt durch die Pharyngealregion auf dem Niveau des IVten Rumpfsegmentes. Vergr. ca. 45:1. Querschnitt durch den Anfang der Oesophagialregion auf der Höhe des dritten Dissepimentes (sept ?), welches sich zwischen dem VlIten und VlIten Segmente befindet. Vergr. ca. 45:1. Querschnitt durch die Oesophagialregion ungefähr in der Mitte des Vllten Kopfsegmentes. Vergr. ca. 45:1. Obere Hälfte eines Querschnittes durch das Ende des Vllten Seg- mnentes auf dem Niveau des vorderen Darmsinus. Vergr. ca. 45:1. Querschnitt durch Mitteldarm und Mitteldarmdrüsen. Mitte des Vlllten Segmentes. Vergr. ca. 45:1. Querschnitt durch die Mitteldarmregion auf dem Niveau der Mittel- darmdrüsenmündungen. Anfang des IXten Segmentes. Vergr. ca. 45:1. . Querschnitt durch die Mitteldarmregion ungefähr aus der Mitte des Körpers auf dem Niveau der Seitenaugen. Zur Veranschaulichung der Ansammlung der Geschlechtsproducte in der Leibeshöhle ist die rechte Hälfte des Schnittes männlich, die linke weiblich dar- gestellt. Vergr. ca. 100: 1. . Querschnitt durch die hintere Hälfte der Mitteldarmregion. Ver- grösserung ca. 45:1. . Querschnitt durch das Ende der Mitteldarmregion am Ende des XVIten Segmentes auf dem Niveau des zweiten terminalen Ring- sinus des Darmes. Vergr. ca. 100: 1. Frontalschnitt durch die vordere Partie des Körpers (bis zum Vlten Rumpfsegmente.) Die Schnittfläche ist nicht ganz horizontal, son- dern etwas schräg, so dass sie auf der rechten Seite die Insertions- stellen der schrägtransversalen Muskelbänder (qm) tangirt, auf der linken Seite aber durch die Seitenlinie geht. Vergr. ca. 70:1. 822 Eduard Meyer: Fig. 16. Sagittalschnitt durch die vordere Partie des Körpers (bis zum XIten Fig. Fig. 17 =118. 419 ig. 20. 21. . 22. . 23. . 24. Rumpfsegmente.) Gefässsystem halbschematisch; von den symme- trisch-paarigen Gefässen sind nur die der hinter der Schnittfläche gelegenen Seite angehörigen auf der Abbildung aufgetragen. Von dem Darmkanal ist nur die rechts von der Schnittebene gelegene Hälfte und zwar körperlich dargestellt, so dass die uns zugewandte Fläche der Darmwand die innere ist. Das Seitengefäss (V ]) ist als an der Innenseite der rechten Körperwand gelegen zu denken. — Ph* die als Rüssel fungirende, vorgestülpte, vordere Hälfte der Pharynx. — Die Pfeile zeigen die Richtung des Blutlaufes in den Gefässen an. Vergr. 50:1. Die vordere Partie des Körpers (bis zum XIIten Segment) von der Bauchseite gesehen. Gefässsystem halbschematisch. Auf der linken Seite sind die schräg-transversalen Muskelbänder an der Zeichnung fortgelassen, während dieselben auf der rechten Seite mit arabischen Zahlen bezeichnet sind (in jedem Segmente 1—4). Vergr. ca. 35:1. Tafel XXXIIl Das hintere Ende des Körpers von der Seite gesehen. Gefässsystem halbschematisch. Vergr. ca. 50:1. Das hintere Ende des Körpers von der Bauchseite gesehen. Gefäss- system halbschematisch. Die arabischen Zahlen bezeichnen die acht Abtheilungen (1—8) des borstenlosen Endabschnittes. Vergrösserung ea. 50:1. Das Herz mit den abgehenden Gefässen von oben gesehen. Vergr. ca. 100: 1. Die Hälfte eines Querschnittes durch das Bauchgefäss mit dem zellig-drüsigen Belag (drz). Vergr. ca. 500 :1. Ein Stück Cuticula mit dem Streifensystem und den T-förmigen Mündungen der Hypodermdrüsen. Vergr. ca. 300 : 1. Ein Stück der dorsalen Körperwand von der Fläche gesehen. hpdr die kolbenförmigen, geschlängelten, einzelligen Hypoderm- drüsen. Vergr. ca. 150 ::1. Ein Stück der Körperwand aus der Umgebung der Stirnpapille. Flächenansicht. Vergr. ca. 300:1. . Querschnitt durch das verdickte Integument des „Flimmergruben- deckels“. Vergr. ca. 300: 1. . Querschnitt durch das hintere Körperende auf der Höhe der Anal- öffnung. Vergr. ca. 250:1. . Sagittalschnitt durch das Gehirn auf dem Niveau der inneren von demselben abgehenden Schlundeommissuren (cm) und des ent- sprechenden Flimimerorgannerven (n*). Vergr. ca. 75:1. . Querschnitt durch das Bauchmark und seine Umgebung auf dem Niveau der Seitenaugen. Vergr. ca. 250:1. 19.181. Zur Anatomie und Histologie von Polyophthalmus pictus Clap. 823 m29: 30: . 34. . 35. "4ER . 42. ig. 43. Das mediane, obere Kopfauge mit Umgebung am Querschnitt durch das Gehirn (vergl. Fig. 2.) Vergr. ca. 700:1. Stück eines Querschnittes durch das Gehirn mit dem Gehörbläschen (ot), (vergl. Fig. 1.) Vergr. ca. 300: 1. Das becherförmige Organ (bo) am Querschnitt durch das Kopfseg- ment und Gehirn auf dem Niveau des medianen, oberen Kopfauges (vgl. Fig. 2.) Vergr. ca. 300:1. 2. Querschnitt durch den Boden des Flimmerorgans. Vergr. ca. 300: 1. . Schnitt durch die Axe eines Seitenauges. Das Pigment ist vermittelst Kalilauge entfernt. Vergr. ca. 700: 1, Borstentaschen und Seitenorgan (So) am Querschnitt aus der mitt- leren Partie des Körpers. Btd dorsale, Bt v ventrale Borstentasche. Vergr. ca. 250 :1. Epithel der Mundhöhlenwandung am Uebergange in die Wandung der Pharynx. Vergr. ca. 300: 1. . Epithel und Drüsen der vorderen, protractilen Hälfte der Pharynx. Ag Ausführungsgänge der Pharyngealdrüsen (Phdr), ag mit dem Secret der Pharyngealdrüsen erfüllte Spalten im Epithel. Vergr. ca. 300: 1. . Epithel aus der hinteren Hälfte des Pharynx mit den zwischen Epithelzellen und Muscularis eingelagerten einzelligen Drüsen (drz, drz*). Vergr. ca. 300:1. . Epithel des Oesophagus. Vergr. ca. 300 :1. . Epithel der Mitteldarmdrüsen. Vergr. ca. 300: 1. . 40. Querschnitt durch die Wand der vorderen Hälfte des Mitteldarmes. ep Epithel, ci Capillargefässe, drz flaschenförmige Drüsenzellen. Vergr. ca. 300:1. Eine flaschenförmige Drüsenzelle der Mitteldarmwand. Nach der Combination von Schnitt- und Flächenansicht dargestellt. Vergr. ca. 600: 1. Epithel des Mitteldarmes aus dessen hinterer Hälfte. Vergrösserung ca. 300: 1. Epithel des Darmes auf der Grenze zwischen Mittel- und Enddarm, welches eine Uebergangsform zwischen dem flimmernden Darm- epithel und der einfachen integumentalen Wandung des Enddarmes repräsentirt. Qn 150) He H. Griesbach: Bemerkungen zur Injektionstechnik bei Wirbellosen. Von Dr. H. Griesbach in Mülhausen i. E. Bei meinen Studien über das Gefässsystem und die Wasser- aufnahme bei Acephalen !) handelte es sich darum, auf einem Gebiete der zoologisch-zootomischen Teehnik einige Sicherheit zu erlangen. Ich meine die Injektion. Es sei mir gestattet in Bezug auf diese einige Erfahrungen, welche ieh während längerer Zeit ge- sammelt, hier mitzutheilen, in der Hoffnung, dass sie anderen Bearbeitern eines so heikelen Objektes, wie der Muschelorganismus es ist, nützlich sein möchten. In seinen Etudes sur la moule commune?) hat Sabatier werthvolle Bemerkungen über diesen Gegenstand gemacht, und jene Zeilen haben meine Methoden in der Bearbeitung der Ace- phalen wesentlich gefördert. — Als Injektionsmassen verwandte ich zum Theil die von Sabatier angegebenen (pag. 467) Präpa- rate, zam Theil eigene Compositionen. Bekanntlich kann man zwei Wege bei der Injektion ein- schlagen, indem man entweder mit in der Wärme flüssigen oder mit kaltflüssigen Massen die Füllung vornimmt. Letztere Methode halte ich für einfacher und leichter in der Ausführung, doch ist die erste unentbehrlich, namentlich, wenn es sich um Injektion gröberer Gefässbahnen und ausgedehnterer Gebiete handelt. Für das Aufsuchen von Gefässen mit blossem Auge oder mit Hülfe der Loupe habe ich mich bei der Injektion oftmals einfach des Glycerins bedient, welchem ich einen möglichst leuchtenden Farbstoff zusetzte. Eine andere in der Kälte flüssige Masse be- reitete ich folgendermassen: Gleiche Theile von weissem und gel- l) Griesbach: Ueber das Gefässsystem und die Wasseraufnahme bei den Najaden und Mytiliden. 'Ztschr. f. wissenschaftl. Zool. Bd. XXXVII.H. 1. 2) Sabatier: In Mömoires de l’academie de Montpellier. Sect. des sciences. Tom. VII. p. 467—77. Bemerkungeu zur Injektionstechnik bei Wirbellosen. 825 bem Wachs wurden in Terpentinöl unter Erwärmen gelöst und nach dem Erkalten — die Lösung erleidet in der Kälte zunächst keine Veränderung — unter Umrühren mit Oliven- oder Rüböl, in welchem Bleisulfat verrieben war, versetzt. Das Resultat ist eine weisslich-gelbe Flüssigkeit von Syrupeonsistenz, für manche Injektionen recht brauchbar. Statt des schwefelsauren Bleis habe ich mehrfach auch Bariumsulfat oder Jodblei — im letzteren Falle ist die Lösung gelb — mit dem Oel verrieben. Durch Zusatz von Wallrath beim Lösen in Terpentinöl kann man die Masse dünn- flüssiger machen. Die beiden Sulfate oder das Jodblei sind nicht im gelösten, sondern in sehr fein vertheiltem Zustande in der Masse enthalten. Soll ein Injektionspräparat hernach geschnitten werden, so empfehle ich für die Füllung in der Kälte flüssigen Leim, ein- fachen Gummileim oder Gummi arabicum — mit oder ohne Gly- cerinzusatz —; den Leim kann man durch die verschiedensten Farbstoffe tingiren. Bei der Verwendung darf die Canüle nicht zu eng sein. Mit soleher Füllung habe ich schöne Trockenprä- parate erhalten, die ich folgendermassen herstellte: Der ganz oder stellenweise injieirte Fuss von Anodonta oder Unio wurde nach kurzem Einlegen in Alkohol, in Terpentinöl und später in ein Ge- misch von Terpentinöl und Paraffin gebracht, und längere Zeit der Luft ausgesetzt. Das betreffende Organ trocknet mit Erhaltung der Form und ohne Sehrumpfung vollständig. Schnitte sind zunächst mit Chloro- form auszuziehen und dann in der entsprechenden Weise weiter zu behandeln. Für in der Wärme flüssige Gelatinmassen habe ich ausser den bekannten Farbstoffen noch das Uranchlorid als Zusatz benutzt, welches sich im Wasser löst und wodurch der Leim eine schim- mernde gelbliche Farbe erhält. Die herrlichsten Färbungen aber giebt man der Leimmasse mit Hülfe gewisser Anilinfarbstoffe: Azoverbindungen !). Man wählt am besten recht schimmernde Farben, wie Biebericher Scharlach, Crocein, Tropaeolin 00, Tropaeolin 000 Nr. 2 ete., weil diese die injieirten Wege am kenntlichsten machen. Auch anderer Farbstoffe kann man sich bedienen, wie zum Beispiel Erythrosin, Safranin, Methylen- und Aethylenblau ete. etc. 1) Näheres über diese Farbstoffe siehe meinen demnächstigen Aufsatz üb. d. Verwendung von Azofarbstoffen in der mikrosk. Technik, d. Arch. XXII. 826 H. Griesbach: Was nun die Ausführung der Injektion anbelangt, so muss ich gegen Sabatier a. a. OÖ. p. 470 behaupten, dass dieselbe, allgemein gesprochen, am abgestorbenen Muschelorganismus, ohne zu den grössten Täuschungen Veranlassung zu geben, sich sehr schwer ausführen lässt. Allerdings spricht Sabatier nur von Mytilus edulis, und ich gestehe, dass ich bei diesem Thiere, was die Lakunen des Fusses anbetrifft, auch im abgestorbenen Zustande durch den Porus aquiferus des Spinnfingers leidliche Injektionen erhalten habe. Der Spinnfinger ist ein fast ausschliesslich muskulöses Organ, die ge- fässartig in die Länge gezogenen Lakunen werden überall von Muskeln, deren Druck sie ja ihre Form verdanken, umschlossen. Ein ganz vergebliches Bemühen aber würde es sein, wollte man bei Anodonta und Unio im abgestorbenen Zustande durch Einstich oder durch die Pori aquiferi die Lakunen des Fusses zu füllen versuchen; Zerreissungen oder doch mindestens Zerrun- gen bleiben niemals aus. Flemming!) bemerkt schon, dass das Injieiren im lebenden Zustande ebenfalls mit vielen Schwierigkeiten verbunden sei, dass namentlich die Muskulatur dem Vordringen der Injektionsmasse überall Hindernisse entgegenstellt. Meine eigenen Erfahrungen lehren mich dasselbe, doch kommt es darauf an, streckenweise ohne Zerrung und Zerreissung zum Beispiel die Lakunen des Fusses zu füllen, so ist eine gute Methode die, im frischen Zu- stande des Thieres die Injektionsmasse, welche dünnflüssig zu wählen ist, durch Einschieben des stumpfen Tubus zwischen die leicht geöffneten Schalen, an der Stelle wo die Pori aquiferi liegen, gegen die Fussschneide zu blasen. Ich habe am lebenden Thiere diesen Weg besser und sicherer gefunden, als den der Einbindung der Canüle in eine grössere Blutbahn. Ausgezeichnete Dienste aber zur Füllung des lacunären Netzes im Fusse, theilweise mit Einschluss venöser und arterieller Gebiete, hat mir die von Flemming angegebene Gefrierungs- methode geleistet, wenn ich den stumpfen Tubus, nachdem das Thier aufgethaut und mit klaffender Schale im todten, kontraktions- 1) Flemming: Bemerkungen zur Injektionstechnik bei Wirbellosen. Arch. für mikrosk. Anat. Bd. XV. p. 252—55. _ Bemerkungen zur Injektionstechnik bei Wirbellosen. 827 losen Zustande sich befand, in den mittleren Porus aquiferus ein- führte. In diesem Zustande sind die Gewebe noch intakt, und die geübte und vorsichtige Hand vermag eine Einführung des Tubus ohne Zerreissungen zu bewerkstelligen. Bei Injektionen mit warmen Massen an Thieren, welche nach Abtragung der einen Schale in warmes Wasser gelegt wurden, hat mir das von Flemming angegebene Vergypsen gute Dienste ge- leistet; doch gewährt auch das Ueberziehen mit Collodium, um das Austreten der Injeetionsmasse aus dem zerrissenen Gewebe zu verhindern, manchmal Vortheil. Zu den schönsten Injektionen, allerdings in den bei weiten meisten Fällen nur mit gefärbtem Wasser oder Metallsalzlösungen, rechne ich die „Selbstinjektion“, welche das Thier bei der Wasseraufnahme ausführt. Nachtrag. Schon vor einiger Zeit veröffentlichte ich im Biolog. Cen- tralblatt Bd. II. Nr. 10 unter dem Titel: Ueber das Gefässsystem und die Wasseraufnahme bei Najaden und Mytiliden, eine vor- läufige Mittheilung, welche meine oben erwähnte grössere Arbeit betrifft. Ich behauptete darin gegen Carriere (Strassburg-Els.), dass bei den genannten Acephalenfamilien eine Wasseraufnahme durch den Fuss stattfinde. Dass die dort besprochenen Pori aquiferi wirk- lich existiren und mit den Blutbahnen der Thiere communieiren, haben mich lange fortgesetzte Beobachtungen am lebenden Thiere und mikroskopische Untersuchungen gelehrt. Ich halte mit an- deren Forschern an diesem Umstande fest. Die Arbeiten von Carriere, auch dessen neuester Aufsatz: die Fussdrüsen der Pro- sobranchier ete. dieses Arch. XXI. H. 3, beweisen mir nicht das Gegentheil. Hätte Carriere neben seinen Schnittserien auch die „sogenannte positive Beobachtung“ zu Rathe gezogen, so würde er von der Richtigkeit der Wasseraufnahme sich bald selbst über- zeugt haben. 828 W. Waldeyer: Francis Maitland Balfour. Ein Nachruf von W, Waldeyer. Noch steht in frischer Erinnerung der herbe Verlust, den wir durch den frühen jähen Tod von Karl Sachs erlitten, und schon haben wir aufs Neue den in gleicher Weise am 19. Juli d. J.!) er- folgten Hingang eines jungen Forschers zu beklagen, dessen Name in aller Welt, wo immer entwickelungsgeschichtliche und ver- gleichend anatomische Studien gepflegt werden, besten Klang hat: Franeis Maitland Balfour's. Wenn auch der Tod Balfour’s mit besonderem Schmerze in seinem Vaterlande, und vor allem im Kreise der Universität Cambridge, der er mit seltener Hingebung und Liebe anhing und zu deren besten Kräften er zählte, empfunden wird, so fühlen wir doch auch in Deutschland, welches Balfour oft besuchte, schätzte und ehrte, in welchem seine Werke allgemeine Anerkennung und Verbreitung gefunden haben, in tiefster Theilnahme mit, welchen Verlust die Wissenschaft, die Berufsgenossen und Freunde des Verstorbenen durch diesen Tod erlitten haben. In vielfachem persönlichen und literarischen Verkehr mit Balfour habe ich. den geistreichen und unermüdlichen Forscher ehren und achten, den Menschen schätzen und lieben gelernt, und ist es mir heilige Freundespflicht, hier in kurzen Zügen ein Bild des Verstorbenen, seines Lebensganges, seines Wirkens und Schaffens zu geben, ihm die reich verdiente Anerkennung zu zollen. Ich ver- danke der Freundlichkeit M. Foster’s in Cambridge, der dem Heimgegangenen wohl am nächsten verbunden war, die bezüglichen Daten): 1) Ob der 19. oder 18. Juli als Todestag angenommen werden muss, bleibt ungewiss. 2) Francis Maitland Balfour: „Nature“ August 3, 1882, sowie briefliche Mittheilungen. Francis Maitland Balfour. 829 Franeis Maitland Balfour war am 10. November 1851 zu Whittinghame bei Preston-Kirk (Schottland) geboren, also noch nicht 31 Jahre alt, als der Tod ihn ereilte. Im Oe- tober 1870 begann er seine Studien im Trinity College zu Cambridge, welchem er später als „Fellow“ angehörte Er erfreute sich des besonderen Unterrichtes Marlborough Pryor’s und namentlich Michael Foster’s, welcher Letztere ihn auf die Embryologie hinlenkte und durch die Aufforderung zur Betheiligung an der Herausgabe eines Lehrbuches der Ent- wiekelungsgeschichte: The elements of Embryology. P. I. By M. Foster and Franeis M. Balfour. London 1874. 8. — übersetzt von N. Kleinenberg: Grundzüge der Entwickelungsgeschichte der Thiere. Leipzig, 1876, Engelmann — von entscheidendem Einflusse auf den weiteren Lebensgang seines Schülers wurde. Mit sicherem Blicke war das Feld gefunden worden, auf welchem der junge Ackerer seine Kräfte voll entfalten konnte und, wenn man Balfour’s Forschereifer, seine Hingebung an die von ihm bebaute Diseiplin, seine unermüdliche Thätigkeit gekannt, mit ihm über seine Probleme verhandelt hat, so muss man sagen, dass selten ein geeigneter Mann zu guter Stunde so auf den richtigen Arbeitsplatz kam, wie Balfour. Rasch folgte denn auch Frucht auf Frucht. Schon im Jahre 1875 finden wir drei vielversprechende Abhandlungen im Quarterly Journal of Mieroscopical Seience Vol. XIII: „On the Development and growth of the Layers of the Blastoderm,“ „On the Disappea- rence of the Primitive groove in the Embryo chick* und „On the Development of the Blood vessels of the chick.“ Zu Ende des Jahres 1873 reiste Balfour nach Neapel, um mit G.Dew-Smith die beiden Arbeitstische zu benutzen, welche die Universität Cambridge auf der zoologischen Station erworben hatte. Der Erfolg dieses und mehrerer anderer Aufenthalte in Neapel war kein geringerer als die Herausgabe der Monographie über die Ent- wickelung der Selachier: A monograph on the Development of Elasmobranch fishes. London, Macmillan & Comp. 1878. 8, welche unbedingt zu den klassischen Werken der Embryologie zu zählen ist und welche ich für Balfour’s vollendetste Leistung halten muss, ungeachtet dieselbe an Umfang und Mannichfaltigkeit des Inhaltes von dem kurz vor dem Tode des Autors noch abge- schlossenen grossen Werke über vergleichende Entwickelungsge- 830 W. Waldeyer: schichte: Treatise on comparative Embryology Vol. I u. Il, London 1880 und 1881. 8., übersetzt ins Deutsche durch Vetter: Hand- buch der vergleichenden Embryologie. 2 Bände. Jena, Fischer 1880—81, weit überragt wird. — Die ersten Mittheilungen über die Selachierentwickelung erschienen bereits 1874: „A preliminary account of the development of the elasmobranch fishes. Quart. Journ. of mier. Se. 1874. Auch liess der Verfasser die einzelnen Abschnitte der Monographie suecessive im Journal of anatomy und physiology zum Abdrucke bringen. Dass alle die Angaben, welche in diesen beiden grossen Werken niedergelegt sind, nicht bloss Frucht gediegener literarischer Studien, sondern sorgfältigster eigener Prüfung waren, ersieht man in der Monographie über die Selachier aus jeder Zeile und aus den zahlreichen Einzelpublicationen, welche Balfour während der Bearbeitung seiner vergleichenden Embryologie erscheinen liess. Ich nenne hier nur: A comparison of the early stages in the deve- lopment of vertebrates. Quart. Journ. of mier. Se. Vol. XV. 1875. — On the origin and history of the urogenital organs of verte- brates. The Journal of anatomy and physiology. X. P. 1. 1875. — On the spinal Nerves of Amphioxus. Ibid. p. 689. 1876. — On the phenomena accompanying the maturation and impregnation of the ovum. Quart. Journ. of mier. Se. Vol. XVII. 1878. — On the structure and development of the vertebrate ovary. Ibid. — On certain points in the anatomy of Peripatus capensis, Quart. Journ. mier. Se. Vol. XIX. 1879. — On the existence of a head-kidney in the embryo-chick. Ibid. (zusammen mit A. Sedg- wick). — On the early development of Lacertilia together with some observations of the nature and relations of the primi- tive streak. Ibid. — On the development of the Araneina. Ibid. Vol. XX. 1880. Noch mit der Herausgabe der vergleichenden Embryologie beschäftigt, sehen wir den unermüdlich thätigen Forscher schon wieder an neuen Problemen, die er theils selbst, theils im Verein mit seinen Schülern, Sedgwick, Deighton u. A. zu lösen suchte. Zeugniss davon geben unter anderem die Abhandlungen: Larval forms, their nature, origin and affinities. Quart. Journ. mier. Se. Vol. XX. 1880. — Origin of the nervous System. Journ. royal mier. Soc. Vol. 3. Nro. 6. p. 910. 1881. — On the evolution of the Placenta and on the possibility of employing the characters Francis Maitland Balfour. 831 of the Placenta in the Classification of the mammalia. Proc. zool. Soe. London 1881. — On the development of the skeleton of the paired fins of Elasmobranchs considered in relation to its bearings on the nature of the limbs of the vertebrata. Zool. Soc. London 7 June 1881. — Die Kopfniere der ausgewachsenen Teleostier und Ganoiden. Biologisches Centralblatt. Bd. I. pag. 459. — On the strueture and development of Lepidosteus (mit W. N. Parker.) Proc. royal Soc. 1881. Nro. 217. — A renewed study of the ger- minal layers of the chick (mit F. Deighton.) Quart. Journ. of mier. Soc. Vol. XXI. 1832. April, p. 176. Andere Verpflichtungen waren inzwischen an Balfour heran- getreten. Man hatte in Cambridge und auch an anderen Universi- täten seines Vaterlandes seinen Werth gewürdigt und wiederholt waren Aufforderungen zur Uebernahme von Lehrstühlen an ihn ergangen; aber er blieb Cambridge treu und hatte die hohe Be- friedigung und Freude, dass für ihn ein specieller Lehrstuhl für vergleichende Anatomie geschaffen wurde, den er wenige Monate vor seinem Tode noch übernahm. Aber schon seit 1875 hatte er Vorlesungen und practische Curse über Entwickelungsgeschichte gehalten, deren Schülerzahl stetig zunahm und die sich des grössten Beifalles erfreuten. Foster schreibt in dieser Beziehung: „From that time (1875) up to last Christmas his labours were enormous, and his energy untiring. His class grew rapidly in numbers; he had to separate the students into an elementary and advanced division, each with separate lectures and courses of practical instruction; and though he soon gained the able assis- tance of Mr. Adam Sedgwick and others as demonstrators, all his pupils enjoyed the priceless advantages of close personal con- tact with himself.“ Mitten aus diesem regen und schön gestalteten Leben riss ihn ein jäher Tod. Voll froher Hoffnungen und Pläne für weitere Arbeit begab er sich zu seiner Erholung in die Alpen. Von Courmayeur aus bestieg er die oberhalb des Fresney-Gletscher’s aufragenden Felsen — es sollte sein Todesweg sein: sein letztes Bette fand er mit dem Führer auf dem Fresney-Gletscher! Versuchen wir nun des Heimgegangenen Wegen in der Wissenschaft zu folgen und uns in’s Gedächtniss zurückzurufen, wie viel Balfour in der kurzen Spanne eines Decenniums, zwi- schen seinem 20sten und 30sten Lebensjahre, geleistet hat. Schon Archiv f, mikrosk, Anatomie, Bd. 21. 54 832 W. Waldeyer: die hier gegebene Aufzählung seiner Schriften, welche durchaus auf Vollständigkeit keinen Anspruch macht, zeigt, dass er eine seltene Arbeitskraft war, denn sowohl der Umfang derselben als auch die Mannichfaltigkeit und Gediegenheit des Inhaltes gehen weit über das gewöhnliche Maass hinaus. Ich kann die vortreff- liche Darstellungsweise Balfour’s am besten wohl mit den Worten schildern, welche ich bei Gelegenheit eines Referates über sein Selachier-Werk niederschrieb'!): „Klarheit und prägnante Kürze der Darstellung, strenge Kritik in niemals verletzender Form, offenes Eingeständniss früherer Irrthümer und vor Allem eine gut durchgeführte Vergleichung mit den Ergebnissen der Entwickelungs- geschichte anderer Formen zeichnen das werthvolle Werk sehr vortheilhaft aus.“ Das eben ist ein Hauptvorzug fast aller Bal- four’schen Arbeiten, dass sie, selbst bei den anscheinend engsten Detailuntersuchungen, stets den auf das Ganze gerichteten Blick erkennen lassen; man sieht, dass der junge unermüdliche Arbeiter nicht umsonst in dem Vaterlande eines Thomas H. Huxley auf- gewachsen war. Die Angaben Balfour’s in seinen ersten Mittheilungen über die Keimblätter, den Primitivstreifen und die Blutgefässentwicke- lung sind vielfach bestritten worden. Wenn der Verfasser die Hypoblastzellen, von denen er übrigens, so viel ich weiss, hier die erste gute Schilderung liefert, von den Kugeln des weissen Dotters ableitet, wenn er die rothen Blutkörperchen aus den Kernen der Blutbildungszellen entstehen lässt, so ist er damit im Umrecht ge- blieben. Sehr beachtenswerth ist aber die Hypothese über die Bedeutung des Primitivstreifens, welche bereits in diesen Mitthei- lungen im Keime enthalten ist, dass derselbe nämlich ein „Ahnen- organ“ darstelle. Später hat Balfour diese seine Meinung dahin präcisirt, dass der Primitivstreif der höheren Vertebraten die Rän- der des Prostoma der Batrachier ete. repräsentire, indem dieselben sich von den Seiten her aneinanderlegen und so einen länglichen Strang mit einer Furche bilden, an dessen vorderem Ende der Embryo mit seinem Schwanztheile beginne und die dorsale Oeff- nung des Canalis neurentericus zu suchen sei. Vieles spricht für die Richtigkeit dieser Auffassung, wenn ihr auf der anderen Seite auch wieder manche Verhältnisse, wie z. B. die von Strahl 1) Jahresbericht von Virchow-Hirsch, 1878, p. 88. Francis Maitland Balfour. 8383 neuerdings bei Lacerta agilis beschriebenen Thatsachen, dass der Canalis neurenterieus hier in der Mitte des Primitivstreifens ge- funden werde, dass letzterer sich in eine Reihe von bleibenden Körpertheilen umwandle, entgegenstehen. Von neuen wichtigen Nachweisen verdanken wir Balfour die zugleich mit Semper gemachte Entdeckung der segmen- talen Entwiekelung der Urniere bei den Selachiern, die Con- statirung des Auftretens der Kernfiguren bei der Furchung des Selachier-Eies, so wie der Existenz eines fein verzweigten Protoplasmanetzes im Dotter dieser Eier, welches mit dem Protoplasma des Keimes selbst zusammenhängt. Ferner, die Ent- deekung der Entwiekelung der Spinalganglien als directer Auswichse des Medullarrohres und den Befund, dass der Ner- vus lateralis sich als Ast des Vagus entwickle und nicht unab- hängig von ihm sich anlege. Balfour gelangt auf Grund seiner Untersuchungen über die Entwickelung des Nervensystems ferner zur Ueberzeugung, dass sämmtliche spinale Hirnnerven zu- nächst in Form dorsaler Wurzeln auftreten, und dass auch der Nervus olfactorius in derselben Weise sich entwickle Da nun die Spinalganglien und dorsalen Wurzeln sich zuerst entwickeln — früher als die ventralen —, da ausserdem Balfour bei Am- phioxus nur dorsale Wurzeln zu finden vermochte, so gelangt er zu dem Schlusse, dass das gesammte periphere Nervensystem in seiner ersten Anlage phylogenetisch unter der Form dorsaler Wur- zeln gemischter Function aufgetreten sei; die Zerfällung in dorsale und ventrale Wurzeln sei das Ergebniss einer späteren Differen- zirung (that primitively the eraniospinal nerves of Vertebrates were Nerves of mixed function with one root only, and that root a dorsal one, and that the present anterior or ventral root is a se- condary acquisition. — Elasmobranch fishes, p. 195). Ob diese Verallgemeinerung den Ergebnissen einer weiteren Forschung Stand halten werde, bleibt abzuwarten; vor der Hand stehen ihr noch manche Bedenken gegenüber; vgl. die unter E. Rosenberg’s Leitung entstandene Arbeit vonSagemehl: „Untersuchungen über die Entwiekelung der Spinalnerven“, Dorpat 1882. Von weittragender Bedeutung ist die Entdeckung einer Fort- setzung des Coeloms in die Kopfplatten hinein bei den Selachiern, sowie des ersten Auftretens der Extremitäten bei diesen Thieren in Form einer continuirlichen lateralen Leiste, 834 W. Waldeyer: von der später nur die vorderste und hinterste Partie übrig blei- ben; ferner einer Kopfnieren-Anlage (Pronephros) beim Hühn- chen (im Verein mit Sedgwick), wodurch diese Bildung zum ersten Male auch im Kreise der Sauropsiden nachgewiesen wurde. Auch der erste Nachweis eines Canalis neurentericus bei einem Reptil (bei Lacerta muralis) gebührt Balfour, nachdem Kupffer und Benecke bereits die Existenz eines Blastoporus fest- gestellt hatten. Von allgemeiner Wichtigkeit sind ferner die weiteren Untersuchungen über die Entwickelung der paarigen Sela- chierflossen (Zool. Soc. London 1881), über dieEntwickelung von Lepidosteus und über die Deutung der in der Thierwelt vorkommenden Larvenformen. Balfour theilt die Larven der Thierformen von den Würmern aufwärts in sechs Gruppen: Pilidiumform, Eehinodermenlarven, Trochosphaera, Tornaria, Acti- notrocha und die Larve der Brachiopoda artieulata. Alle diese Gruppen lassen sich nun aufeine radiäre Grundform zurückführen, ähnlich einer Meduse, deren Mund (oraler Pol) in der Mitte der abgeplatteten Ventralfläche lag, während der aborale Pol eine Kuppelform hatte. Der Darmkanal endete blind mit zwei oder mehreren Divertikeln; ausserdem muss ein Wimperkranz am Rande auf der oralen Fläche, so wie ein Nervenring ebeudaselbst ange- nommen werden. — Diese Zurückführbarkeit der Larven auf eine solehe Grundform erscheint als ein weiteres Argument dafür, dass allen höheren Thiergruppen eine gemeinsame Stammform zu Grunde liegt. Es braucht nieht erst hervorgehoben zu werden, dass ausser den genannten Dingen noch eine Fülle von Detailbeobachtungen, die zum grossen Theile bleibende Anerkennung gefunden haben und behalten werden, in Balfour’s Schriften niedergelegt sind: den Dank der Embryologen für alle Zeiten hat sich der so früh Hingeschiedene schon allein durch seine beiden grösseren Werke, die Entwickelungsgeschichte der Selachier und das Handbuch der vergleichenden Embryologie, gesichert. Der Werth des letzteren ist um so höher anzuschlagen, als es wohl das erste Unternehmen dieser Art ist; bewundern muss man wahrlich die Arbeitskraft und das umfassende Wissen des jungen Autors, der es möglich gemacht hat ein Werk dieser Art in so vortrefflicher Weise in so kurzer Zeit zu Ende zu bringen: ein wissenschaftliches Vermächtniss, wie es ehrenvoller und schöner nicht gedacht werden kann. Franeis Maitland Balfour. 835 Wehmüthig ergreift es uns, seine Freunde und Fachgenossen, wenn wir, die lange Liste seiner Schriften durchlaufend, gewahren, dass Balfour mit demselben Gegenstande, der ihn in die Reihe der selbstständigen Forscher einführte, auch seine literarische Thätigkeit abschliessen‘ musste. Das Alpha und Omega der Ent- wickelungsgeschichte, die Keimblätter des Hühnchens — bis auf den heutigen Tag eines der schwierigsten und dunkelsten Capitel der Embryologie — waren der Gegenstand der ersten und der letzten Veröffentlichung Balfour's. Er sah nach 10 jähriger hoch erfolgreicher Arbeit, dass er sein erstes Problem wieder aufnehmen müsse, und veröffentlichte mit Deighton „A renewed study of the germinal layers of the chiek“ in derselben Zeitschrift, die auch seinen ersten Versuch gebracht hatte. Wer hätte sich gesagt, dass dies sein Letztes auf dieser Welt sein sollte! Universitäts-Buchdruckerei von Carl Georgi in Bonn, ö E ‚ aan ı jur w ia vn ve 27 De ir Sa u ug. hal: N N TR ra nz ee FE N r0 BE RU ET OSETTETRTIERN ET EL) BEE Ai ae Pe Harohn 1 oda er Is ARak Nee ach" ua Im Serra Arböilng ii Inatalyahenike Bar noise here 1a ker rohe hantaisgad* Koh ee PA: Me dan de ea hie | ualorfüe ruhe ar. rear RN to hie, et ee tr E Hasirksihn ttirilnefish nocibarch wi. "hirlo' acht toren Bir “rar: ehe Wh tıhödog toner Wink Wi: . 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