PP nen nn nm er EP er (ce Aa N Ä 193 & ALEX. AGASSIZ. Librarn of tbe Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. Foumded by private subscription, in 1861. Deposited by ALEX. AGASSIZ. ea RS Tor y : SFR) SL } ‘ Ye x A Be e x > i ar ; “ & 4 Er 4 ur Wie R j ur - a Yr 3 : Ey EN h 2 N“ ’ All y N‘ [4 i 77 FH span 4 g . l we a (r ‚u 4 h y J F| h d X ve Kt L Sir WE a ar SRCHEN FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN D:. WILH. HIS uno Dr. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITAT LEIPZIG, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITAT BERLIN. JAHRGANG 1878. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1878. ARCHIV FÜR FHIYSIOLOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON D». EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1878, % “ MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND 6 TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 4m 1878, Inhalt. Huso KRONECKER und WILLIAM STIRLING, Die Genesis des Tetanus . 5 L. v. Lesser, Ueber die Vertheilung der rothen Blutscheiben im Blutstrome . E. RAEHLMANN und L. Wırkowsk1, Ueber das Verhalten der Pupillen während des Schlafes nebst Bemerkungen zur Innervation der Iris : N. Bıxt, Die Verkürzung der Systolenzeit durch den N. accelerans cordis S. TscHIRJEw, Zur Physiologie der motorischen Nervenendplatte. (Hierzu Taf. I.) JOHANNES GAD, Zur Lehre von der Fettresorption. (Hierzu Taf. II.) .. GIUSEPPE CoLASANTI, Ueber die Degeneration durchschnittener Nerven. (Hierzu Taf. III.) ; Is. RosEntHAL, Ueber die Seelische arme Mhrerischer Gewebe J. STEINER, Ueber partielle Nervendurchschneidung und die Ursachen der Lungenaffection nach doppelseitiger Vagustrennung am Halse .. FerD. Krug, Untersuchungen über die Diathermansie der Augenmedien STIENON, Die Betheiligung der einzelnen Stoffe des Serums an der Erzeugung des Herzschlages J. GAULE, Die Leistungen des entiinleten Froschheeis V. Hensen, Beobachtungen über die Thätiskeit des ne lfellenannens he Hund und Katze i Is. RosEntHAL, Ein neues Calorimkter, besonders für Hiynelostsche nnealke 5 ARNALDO AngEtuccı, Histiologische Untersuchungen über das retinale Pigment- epithel der Wirbelthiere. (Hierzu Taf. IV uV.). . DönHorF, Ueber angeborene Vorstellungen bei den Thieren . Hwuso KRONECKER und WILLIAM STIRLING, Ueber die sogenannte Anfareseking L. PAuscHInGER, Der Einfluss der Apnoe auf die durch Strychnin hervorgeru- fenen Krämpfe J. v. Krızs, Ueber die en de ilteldenckes änzeh des Dealer manometer. (Hierzu Taf. VI.) Angero Mosso, Ueber die ee Berichungen der Bauch. and Brust: athmung J. GAULE, Die Köhlersnneäh alnnne, im Blut, im 'Seihm und in ie: "Eymphe J. v. Krıss, Beitrag zur Physiologie der Gesichtsempfindungen A. WALTER, Die Spannung in den Vorhöfen des Herzens während der une des Halsmarkes . vI INHALT. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1878—1879: Seite A. HARTMmann, Ueber eine neue Methode der Hör- prüfung mit Hülfe elektrischer Ströme . . 155 J. Gap, Zur Lehre von der Fettresorption. . . 157 Ca. S. Roy und Gramm Brown, Ueber eine neue Methode, den Blutdruck in den klein- sten Arterien, Venen und in den Capillaren zu messen . . 158 O. Sımon, Ueber die. Gestalt “der Weber schen Empfindungskreise . . . . 161 CHRISTIANI, Ueber Asterismus . 162 H. Mun«, Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Grosshirnrinde Bude 162 WERNICKE, Ein Fall von rechisseitiger Hemiopie 178 LucAz, Zum Mechanismus des Gaumensegels und der Tuba Eustachi . . L79 ADAMKIEwICz, Ueber Sensibilitätsrestitution nz G. Saromon, Ueber Bildung von Xanthinkörpern aus Eiweiss. ö 320 H. KRONECKER, Ueber die 'Speisung des Frosch- herzens . . 321 HELMHOLTZ,, Leber die "Bedeutung der Conver- genzstellung der Augen für die Beurtheilung des Abstandes binocular gesehener Objecte. 322 HIRSCHBERG, Ueber graphische Darstellung der N etzhautfunetion ö 324 HIRSCHBERG, Ueber angeborene Farbenblindheit 332 BuscH, Ueber die Osteoblastentheorie auf nor- malem und pathologischem Gebiete . . . 333 A. CHRIsTIAnI und KrRoNEck&£r, Thermische Un- tersuchungen . . 334 | KRONECKER und CHRISTIANT, Beziehungen zwi- | schen Thermometrie und Plethysmometrie. 336 | Sıcas, Das gelbe Mark und die Markhaut . SELIGSOHN, Ueber Einwirkung von Wasserstoff- Hyperoxyd auf Harnsäure . . Lewın, Ueber die Umsetzung des Natriumsulf- antimoniats im Thierkörper und die Ele- mentareinwirkung von Schwefelwasserstoff auf das lebende Blut . . BAUMANN, Ueber die aromatischen Aetherschwefel- säuren . Busc#, Ueber den mikroskopischen Befund einer aus dem Centrum tendineum stammenden Knochenplatte H. Munxk, Ein Fall von einseitigem Fehlen aller Bogengänge bei der Taube. Ewa, Kleinere Mittheilungen. . Lirtten, Ueber den hämorrhagischen Infarkt und die durch arterielle Anämie erzeugten Ne- krosen . . - FeitscH, Ueber Abbe’ s Beleuchtungsapparat . H. Kronecker und M. Pu. Meyer, Ein neues einfaches Verfahren, die maximale Binnen- temperatur von Thieren zu bestimmen H. Munk, Weiteres zur Physiologie der Gross- hirnrinde 0 Gap, Die Athmungsschwankungen des intratho- rakalen Druckes. BE BrAınpr, Mikrochemische Untersuchungen. © I. Mung, Ueber die es ob u ein Nah- rungsstoff ist . . 00.0 Seite 340 341 343 344 345 347 536 338 942 346 347 559 563 565 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1875—1876 und 1876— 1877: Seite Loewe, Zur Descendenztheorie . . 567 Ewa, Ueber eine neue Methode den Stickstoff des Blutes zu bestimmen . . 568 A. FRAENKEL, Ueber die Bedingungen. des Ei- weisszerfalls im Thierkörper . . . 568 H. Muse, Zur Mechanik der Herzthätigkeit . . 569 FritscH, Vergleich. Uebersicht der augenblick- lieh im Gebrauch befindlichen Mikrotome 570 Te. Weytr, Untersuchungen über thierisehe und pflanzliche Eiweisskörper 6 572 J. STEINER, Untersuchungen über den "Einfluss wechselnder Temperaturen auf den Nerven- und Muskelstrom . . 573 Sımon, Ueber Molluscum contagiosum und Con- dyloma subeutaneum . . 573 WEBER-LIEL, Ueber eine Cireular-Membran der Steigbügelfussplatte . . 574 E. SALKOwSsKI, Unters. über d. Pankreasverdauung 575 LANDSBERG, UVeber Oedema retinae . . . . „ 577 WERNICKE, Zur Physiologie der Brücke . . 577 H. Muxk, Ueber Funetionen des N. Senn von I. Steiner . . as re J. HIRSCHBERG, Optische Notizen 15 581 Is, STEINER, Ueber die Laryngoskopie "des Ka- ninchens . 582 HIRSCHBERG, Veber” laryngoskopische Unter- suchungsmethoden . . 583 H. Munk, Ueber den experimentellen Nachweis der centralen Natur der nal ven Ganglien . . . 583 Gum», Die Wirkung der Intercostalmuskeln . . 584 DENNERT, Zur Physiologie des Gehörorgans . . 584 I. Mun#, Ueber das Vorkommen der Schwefel- cyansäure im Harn . 585 I. Muse, Ueber die Verbreitung der ungeformten Fermente im Thierkörper . . 586 Litten, Ueber die Veränderungen der Organe und des Stoffwechsels, welche aus der Ein- wirkung erhöhter Temperaturen auf den Or- ganismus resultiren . » 2 2 2 2.0.6587 Lucaz, Ueber das Phonometer . . 588 | FırK, Zur Lehre von der antagonistischen Wir. | kung giftiger Substanzen . » » : 2... 590 Sınomon, Beiträge zur Lehre von der Leukämie WeERNICKE, Beiträge zur Anatomie des Gehirns J. HırschBere, Historisch-kritische Notiz zur Lehre vom kleinsten Gesichtswinkel BERNHARDT, Ueber periphere Lähmungen. R ADAMKIEWwIcz, Zur Physiol. der Schweisssecretion Busca, Ueber die Doppelfärbung des Ossifieations- randes mit Eosin und Haematoxylin . 0 Sıromon, Ueber Untersuchungen, betreffend das Vorkommen von Glykogen in Eiter und Blut Senator, Zur Lehre von der thierischen Wärme H. Munk, Zur Physiologie der Grosshirnrinde . H. Munk, Nachtrag hierzu . . ADAMKIEWICZ, Ueber den Eiweisswerth des Peptons Ewırp, Ueber Transpiration des Blutes . . T. Muxk, Ueber die Einwirkung des Glycerin auf die Gährungsprocesse . 5 SENAToR, Zur Lehre von der thierischen Wärme (Nachtrag) . . SALKOWSKI, Veber den Einfluss der Ammoniak- salze auf den Vorgang der Harnstoffbildung im Thierkörper . . F. Busc#, Ueber die Deutung der bei der Ent- zündung der Knochen auftretenden Processe Gap, Betrachtungen und Versuche, die Abnahme des Stromes am absterbenden Nerven betr. WERNICKE, Demonstration eines Präparates von Vierhügelerkrankung . J. WoLrr, Ueber den Gudden’ schen "Markirver- such am Kaninchenschädel . Ewırp, Ueber die Veränderung kleiner Gefässe bei Nierenkrankheiten Sachs, Bericht seiner Untersuchungen über eym- notus electricus 00 . G. Sıromon, Zur Chemie des Blutes . ADAMKIEWICZ, 1. Ueber Ausscheidung von Jod durch die Haut . . . _ 2. Zur Physiologie des Peptons. Franz Bort, Erklärung eines Versehens in der Colorirung der Tafel IV. HERMANN Munk, Berichtigungen zu seinem Vor- trag „Weitere Mittheilungen zur Physiologie der Grosshirnrinde® 2 22000. Seite 590 591 592 592 594 594 595 397 599 602 602 604 605 607 613 614 615 619 620 624 624 625 625 626 627 628 Die Genesis des Tetanus.' Von Hugo Kronecker und William Stirling. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzie. Ranvier? hat die interessante Beobachtung gemacht, dass die roth- gefärbten Muskeln bei Kaninchen (und Rochen) von den weissen Muskeln in ihrem mikroskopischen und functionellen Verhalten verschieden sind. Dass die Färbung der rothen Muskeln nicht von Blut in den Gefässen herrührt, wies er durch Transfusion von „künstlichem Serum“ nach. Er lässt bei dieser Angabe die Arbeit von W. Kühne: „Ueber den Farbe- stoff der Muskeln‘ 3 unerwähnt, obgleich dieser ebenfalls die Kaninchen- muskeln mit !/,°/, Kochsalzlösung unter Beobachtung vieler Cautelen völlig blutfrei gemacht hatte, um dann nachzuweisen, dass die Färbung der rothen Muskeln von Hämoglobin herrührt. Ranvier hatte vornehmlich die Function des (rothen) M. semi- tendinosus mit derjenigen des (weissen) vastus internus oder des M. ad- ductor magnus verglichen und gefunden, dass jener durch vereinzelte Inductionsströme gereizt, nicht wie der weisse nach kurzer Latenzzeit schnelle Zuekungen ausführt, sondern nach etwa 4 Mal längerer latenter Reizung sich allmählich verkürzt, und ebenso allmählich zur Ruhelänge zurückkehrt. Mit Hülfe der Pince myographique* untersuchte er von den beiden Muskelarten die Zuckungscurven.° Wenn Inductionswechselströme, welche 1 Unter gleichem Titel haben wir jüngst in den Monatsber. d. k. Akad. der Wissensch. zu Berlin vom 6. December 1877. S. 459 ff. eine vorläufige Mittheilung von den Ergebnissen der folgenden Untersuchung veröffentlicht. 2 Archives de Physiologie normale et pathologique. Paris 1874. t. VI. p.5—15. 3 Virchow’s Archiv für pathol. Anatomie u. s. w. 1875. Bd. XXXIM. 8. 79. 4 Siehe Marey: Mouvement dans les fonctions de la vie. Paris 1868. p. 262. 5 Mouvement etc. p. 382. Archiv f. A. u, Ph. 1878, Physiol. Abth. 1 22 HuGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: in weniger als !/,, Sec. Intervall aufeinanderfolgten, die Muskeln reizten, so gab der rothe eine Tetanuscurve mit welligen Einsenkungen (Fig. 1,! bei Ranvier Fig. 3), während der weisse eine Zeichnung (Fig. 2) fertigte, welche auf völlig getrennte Einzelzuckungen schliessen lässt. (Fig. 4 bei Ranvier.) Fig. 1. Fig. 2. Wurde das Intervall bis auf !/,,, Sec. abgekürzt, so zeichnete der rothe Muskel eine continuirlich aufsteigende und allmählich abfallende Curve (Fig. 3, Fig. 1 bei Ranvier), der weisse Muskel aber noch sehr starke Zähne in geringer Höhe über der Abscisse (Fig. 4, Ranvier Fig. 2). BE 55 ISO DNGDON UND. MeTE | | Ber Diese Verschiedenheiten blieben bestehen, ob die Muskeln direct oder durch Vermittelung der Nerven gereizt waren, ob das Rückenmark oder die Nerven durchschnitten, oder durch Curare am künstlich respi- rirenden 'Thiere gelähmt waren. Diese Beobachtung: dass in der Schnelligkeit der Contraetion quergestreifter Muskeln von einem und demselben 'Thiere bedeutende Differenzen obwalten, erinnert an Marey’s? Bemerkungen über die ver- schiedene Zuckungsdauer quergestreifter Muskeln eines und desselben Frosches.. Neu ist, dass solche functionellen Unterschiede mit anato- mischen Eigenthümlichkeiten zusammenfallen. Was aber bei Betrach- tung der Figuren, zumal der Figur 4, in der Abhandlung zumeist auf- fällt, ist die enorme Schnelligkeit in den Zuckungen, deren die weissen, 1 Alle Curven sind von rechts nach links zu lesen. 2 Mouvement elc. p. 382. DıE GENESIS DES TETANTS. 3 und selbst noch un rothen Muskeln, der Zeichnung zu Folge, fähig sein mussten. Nach Helmholtz! dauert die Zuckung eines frischen Frosch- muskels bis !/, See, nach Marey’s Curven diejenige eines unermüdeten Muskels am getödteten Kaninchen etwa !/,, Sec.” Folgt einem Reize ein zweiter, bevor der contrahirte Muskel Zeit gefunden hat sich wieder auszudehnen, so superponiren einander die Zuckungen nach den von Helmholtz? gefundenen Regeln und bilden einen um so vollkomme- neren Tetanus, je grösser die Frequenz der Erregungen ist. Eine stetige Zusammenziehung ist also zu erwarten bei einem Reizintervalle, welches gleich oder kleiner ist als die Dauer der Zuckung bis zum Momente der maximalen Verkürzung (also in Marey’s Beispiel 1/,, Sec.). Die min- deste Reizfrequenz, welche nöthig ist, um einen gleichmässigen Te- tanus von Muskeln lebender-Menschen hervorzurufen, bestimmt Marey* auf viel unter 32 pro Sec. Freilich weist er auch darauf hin, dass die Muskeln verschiedener Thiere sehr verschiedene Reizfrequenz brauchen, um zu constanter Zusammenziehung veranlasst zu werden, und giebt als maximales Reizintervall dasjenige an, welches zur Tetanisirung für Schildkrötenmuskeln genügt (!/,—!/, Sec.), als minimales Intervall das- jenige, welches ein Vogelmuskel zur bleibenden Contraction bedarf ro — so Sec). In der oben wiedergegebenen Fig. 4 aber hat der als träge Bl rothe Kaninchenmuskel bei !/,, Sec. Reizintervall noch ungleichmässige Contraction verzeichnet und nach Fig. 2 der weisse sogar bei 357 Stromstössen pro Sec. noch partielle Einzelzuckungen. Mehr aber, als im Vergleiche mit allen bisher angeführten Erfah- rungen erscheint die ausserordentlich geringe Trächeit des gereizten weissen und selbst die des rothen Muskels räthselhaft, wenn wir die normalen Verhältnisse des willkürlich sich bewegenden Thieres in Betracht ziehen. Nach den Beobachtungen von Helmholtz entspricht der Ton, welchen auf Willensimpuls continuirlich zusammengezogene Muskeln von Menschen oder Kaninchen hören lassen, 183—20 Schwingungen pro Sec.° l Dies Archiv 1850. S. 281. 2 Mouvement etc. p. 263. 3 Berichte der Berl. Akad. 1854. 8. 330. 4 Mouvement etc. p. 381. 5 H. Helmholtz, Ueber das Muskelgeräusch. Monatsber. der kgl. Akad. der Wissensch. zu Berlin. 1864. S. 307, und über den Muskelton, Verhandl. d. natur- forsch.-med. Ver. zu Heidelberg. Bd. IV. Heft III. Juli 1866. S. 88. — Haughton (Principles of animal mechanies. Sec. edition. London 1873. p. 20) bleibt bei seiner früheren Angabe, derzufolge 30—351/, Schwingungen pro 1 Sec. den normalen Muskelton bilden: 1 * 4 HuGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Denselben Ton geben Muskeln während elektrischer Reizung des Rücken- markes, welche Frequenz auch immer die intermittirenden Stösse haben mögen. ! Werden hingegen die Reize den Muskeln selbst oder deren motori- schen Nerven zugeführt, so ist die Zahl der Einzelschwingungen, welche den Muskelton bilden, gleich der Zahl der Reize. Hieraus ist zu schliessen, dass die willkürliche Erregung durch etwa 20 Antriebe in der Secunde geschaffen wird. Es steht nun aber bekanntlich in der Macht des Kaninchens, seine Glieder durch Muskelkräfte in einem vollkommen stetigen Gleichgewichts- zustande zu erhalten. Sollten intensive elektrische Ströme nicht fähig sein, Efiecte zu er- zielen, welche denen der Willensimpulse gleichen ? Dieses durch die Ranvier’sche Untersuchung gestellte unerwartete Dilemma bewog uns, die neuen Thatsachen einer experimentellen Prüfung zu unterziehen. Versuchsanordnung. Unsere Versuche waren folgendermaassen eingerichtet. Auf dem Czermak’schen Halter war das Kaninchen befestigt. Nachdem die Sehne des rothen M. soleus von den damit verwachsenen Fasern und Sehnen -der übrigen Wadenmuskelgruppe getrennt war, liess sich der benachbarte, dickere, weisse M. gastrocnemius medialis (Krause) gleich- falls leicht isoliren. Die beiden getrennten Sehnen wurden hierauf mittels fester Fäden, die über passende Rollen geführt waren, mit zwei Hebeln (vom 208% Gewicht) verbunden, welche die Muskelverkürzungen in doppelter Grösse übereinander auf eine mit berusstem Glanzpapiere bespannte Kymographiontrommel zeichneten. Als Reizelektroden dienten Platinnadeln, welche entweder in die Muskeln selbst eingeschoben wurden (bei curarisirten Thieren) oder den N. ischiadicus zwischen sich fassten, nachdem dessen centrales Ende abgequetscht worden war. Die reizenden Induetionsströme gingen von der secundären Spirale eines durch zwei Grove’sche Elemente gespeisten du Bois-Reymond’schen grossen Schlittenapparates aus. Die Unterbrechung des primären Stromkreises besorgte in verschie- denen gewünschten Intervallen entweder: ! E. du Bois-Reymond, Ueber die angeblich saure Reaetion des Muskel- fleisches. Monatsber. d. Akad. d. Wissensch. zu Berlin 1859. 8. 318. — Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1875. Bd. I. S. 30. Die GENESIS DES TETANDS. 5 1) ein Ruhmkorff’scher Interruptor (2 bis 12 Schliessungen und Oefinungen pro Secunde)! oder 2) König’sche Stimmgabeln (von 60 oder 180 halben Vibrationen pro Secunde) oder: 3) der am Schlitteninductorium befindliche Wagner’'sche Hammer (40—60 Mal pro Secunde) oder: 4) ein Stück Degenklinge, das in den König’schen Stimmgabel- halter eingespannt, ganz nach Analogie des Wagner’schen Hammers in Schwingung erhalten wurde. Eine Klemme, der in Bernstein’s „akustischem Stromunterbrecher“ verwendeten ähnlich, konnte den schwingenden Theil der Klinge verkürzen und somit die Vibrations- frequenz vergrössern: ein die Klinge belastendes Laufgewicht konnte andererseits die Vibrationen seltener machen, so dass jede Reizfrequenz innerhalb der Grenzen von 12 und 114 pro Secunde zu erzielen war. Endlich bedienten wir uns (Fig. 5) eines neuen Apparates, den der Eine von uns zu diesem Zwecke construirt und „Toninductorium“ genannt hat. Es ist dieser Apparat im Principe übereinstimmend mit einer von E. Warburg beschriebenen Vorrichtung, mit deren Hülfe dieser den Einfluss longitudinaler Tonschwingungen in einem elektromagnetisirten Eisenstabe auf dessen Magnetismus nachgewiesen hat. Warburg? klemmte einen 1890 "m langen Eisenstab in der Mitte fest und erhielt, als er diesen mit einem harzigen Lederlappen rieb, den Longitudinal- srundton von 1300 Schwingungen in 1 Secunde. Er schob über eine Hälfte des Stabes eine mit dieser fast gleich lange Magnetisirungsspirale, und über die andere Hälfte, in die Nähe des Knotens, eine kurze mit einem Spiegeldynamometer verbundene Induetionsspirale Zwei Bun- sen’sche Elemente lieferten den magnetisirenden Strom. Als der Stab, kräftig gerieben, tönte, wurde, durch die inducirten Ströme, das Spiegel- dynamometer mässig abgelenkt (Ausschlag von 30—50 Scalentheilen): schwächer oder gar nicht, wenn die Inductionsspirale das Stabende (Schwingungsbauch) umgab. Als der Stab gut ausgeglüht worden war, indueirten seine Tonschwingungen in der secundären Spirale am Knoten- puncte starke Inductionsströme (500—600 Sealentheile Ablenkung). Ein Stahlstab war wirkungslos. 1 Vergl. W. Stirling: Summation elektrischer Hautreize. Arb. aus d. phys. Anstalt zu Leipzig 1874. S. 223. 2 E. Warburg: Ueber den Einfluss tönender Schwingungen auf den Magne- tismus des Eisens. Poggendorff’s Annal. Bd. CXXXIX. S. 499. — Monatsber. d. Berl. Akad. d. Wissensch. 1869. 8.857. — Vergl. Fortschritte der Physik im Jahre 1870. 8. 228. Berlin 1875. 6 Hu60 KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Als die starken Induetionsströme anstatt durch das Dynamometer durch ein Galvanometer geleitet wurden, gab dessen Nadel keinen Aus- schlag, sondern nur unregelmässige Bewegungen, welche durch die Schwankungen des Stabes während des Reibens verursacht waren. Die Induetionsströme wirkten also abwechselnd in gleicher Stärke und in entgegengesetztem Sinne auf die Nadel. Bedeutend schwächere Osecillationen des Magnetismus wurden im Knoten des ersten Obertones von 2600 Schwingungen angezeigt. Wir wiederholten diese Versuche, indem wir an Stelle des Dynamo- meters den Ischiadicus eines stromprüfenden Froschschenkels einschal- . teten, und erhielten, während der geriebene Stab tönte, sehr starke teta- nische Zuckungen. Die primäre Spirale brauchte gar nicht die von Warburg angegebene Grösse zu haben; es genügte die primäre Spirale eines kleinen Schlitteninductoriums, von einem Grove’schen Elemente gespeist, um von der andererseits auf den Stab geschobenen, secundären Spirale stark tetanisirende Ströme zu erzeugen. Aber die Töne, welche man durch Reiben des Stabes mit dem geharzten Handschuh gewann, waren nur sehr unregelmässig und kurz. Wir versuchten daher eine gleichmässig dauernde Reibung von beliebiger Stärke durch rotirende Lederwalzen zu erreichen. Wir bemerkten, dass man auch die Länge des tönenden Eisenstabes beträchtlich vermindern konnte, ohne dass der Tetanus des gereizten Froschschenkels verschwindet. — So erhielt unser „Toninductorium“ schliesslich eine ganz handliche Form und Grösse. Figur 5 bildet den Apparat in etwa !/, (linear) der natürlichen Grösse ab: Der runde 1°“ dicke Stab d, von gut ausgeglühtem gleich- mässigem Eisen geschmiedet, ist durch ein mit Messing ausgefüttertes Loch eines eisernen Statives geführt uud durch die Schraube a in dem Mittelpuncte seiner Länge, welcher durch eine Delle markirt ist, fest- geklemmt. Die primäre Spirale s® und die secundäre Spirale s” mit ihrem Ausschalteschlüssel k, welche auf passend geformten, in einem Schlitze des Grundbrettes 5 geführten Holzklötzen ruhen, sind über die beiden Enden des Eisenstabes geschoben. Das eine Ende steckt zwischen den Walzen f, g, welche mit den Zahnrädern % durch feste Axen ver- bunden sind. Diese sind in den Eisenrahmen gelagert, welcher an der Stelle, wo die Zahnräder ineinandergreifen, durch ein Charnier zusammen- gehalten ist, derart, dass der Rahmen ein Weniges zusammen- oder aus- einandergehogen werden kann. Dies geschieht mit Hülfe einer schwachen regulirbaren Spiralzugfeder . So kann man die Walzen mit variablem Drucke den Tonstab reiben lassen. Damit der Stab mitsammt Halter Die GENESIS DES TETANUDS. 7 nicht durch die gedrehten Walzen vorwärts oder rückwärts gestossen werde, stellt man den Halter mit Hülfe der Schraube bei 5 am Grund- brette fest. Die Schraubenmutter ce dient, um den Halter in solcher Höhe genau einzustellen, dass der Klangstab weder gegen die obere noch gegen die untere Reibwalze gedrückt wird. Besondere Schwierigkeit bot es, die Reibung und damit den Ton gleichmässig zu machen. Die geringsten Unebenheiten oder Adhäsionsverschiedenheiten auf den reibenden Lederflächen oder minimale Excentricitäten der sedrehten Walzen brachten Schwankungen in der Intensität der Longitudinaltöne und damit _ der verursachten Tetani hervor. Am besten .bewährten sich Walzen, aus zusammengepressten Scheiben von gutem gleichmäs- sigen Wildleder gebildet. Die Scheiben werden mit eigens construirter Stahlstanze kreis- rund ausgeschlagen und ihre Ränder mit Schmirgelpapier glatt geschabt. Das auf den reibenden Reif gestreute Colophoniummehl muss sehr fein und gleichmässig _ vertheilt sein, sonst wird so- gleich der Walzenmantel etwas hökerig und der Ton disconti- nuirlich. Auch muss man, um den Ton constant zu erhalten, gleichmässig drehen, und nicht schnell, um Erhitzung des.Stabes_ und Schmieren des schmelzenden Colophoniums zu vermeiden. Unter günstigen Bedingungen kann man viele Secunden lang den Ton ganz constant intensiv erhalten und damit auch den hierdurch er- zeugten Tetanus. 8 HuUGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Die Anzahl der Longitudinalschwingungen in 1 Secunde, welche dem Grundtone des Stabes entspricht, berechnet man durch die Formel: PETE N=3r Vs: wo N die Schwingungszahl bedeutet, L die Länge des Stabes, g die Beschleunigung durch die Erdanziehung = 9,808, &e des Elastieitätscoefficienten des tönenden Metalls, für Eisen — 20794000, s die Dichtigkeit derselben, für Eisen = 7,74. Da hiernach die Tonhöhe der Länge des Tonstabes proportional, von dem Durchmesser desselben aber unabhängig ist, so- kann man durch Längszertheilung eines Stabes von bekannter (durch Normalstimm- gabeln controlirter) Schwingungsfrequenz eine Reihe neuer Klangstäbe schaffen, deren Tonhöhe durch Längenmaass genau bestimmbar ist. Hier- durch ist dem Gehör eine Oontrole gegeben, welche bei den bis jetzt viel gebrauchten Stimmgabeln für sehr hohe Tone unmöglich war. Mittels dieses Apparates haben wir 1000—22000 Inductionswechsel- ströme pro Secunde erzeugen können.! Es stimmt diese Reizungsart im Prineipe mit den schon von Gross- mann? und von Helmholtz? geübten Tetanisirungsweisen überein. Doch ermöglichten die in oder vor Inductionsspiralen transversal schwin- genden Stäbe und Stimmgabeln, welche die genannten Forscher zum Erzeugen von Wechselströmen anwendeten, nicht Reizungen von solcher Constanz, Intensität und Frequenz, wie wir mit Hilfe der longitudinal vibrirenden Stäbe erreicht haben. Die zwei ersten Fragen, welche wir uns zur Lösung des Eingangs genannten Dilemmas stellten, waren: Wie viel Induetionsschläge brauchen die rothen und wie viele die weissen Kaninchenmuskeln, damit sie am Kymographion continuirliche Tetanus- curven zeichnen. 1 Jedes Schlitteninduetorium ist leicht für die Klangstabvorrichtung verwendbar zu machen. Herr Mechanikus Plath zu Berlin (Kanonierstr. 43) liefert solche In- ductorien. 2 E. du Bois-Reymond: Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchs- weisen zu elektrophysiologischen Zwecken. -Abhandl. d. kegl. Akad. d. Wissensch. zu Berlin 1862. Berlin 1863. 4%. Physikalische Classe S. 101 und Gesammelte Abhandl. u. s. w. Bd. I. 8. 170. | Ei; 3 H. Helmholtz: Ueber das Muskelgeräusch a. a. O. DIE GENESIS DES TETANUS. 9 Welche niedrigste Reizfrequenz ist hinreichend, Kaninchen- muskeln in gleichmässigen Tetanus zu versetzen? Unsere Versuche begannen wir damit, dass wir dem verglichenen rothen und weissen Kaninchenwadenmuskel 30 Reize in der Secunde zu- führten; denn, wie oben erwähnt, sollte, nach Marey’s Zeichnung, die Zuckungseurve des Kaninchenmuskels nach !/,, Secunde ihr Maximum erreicht haben, se mussten mehr als 25 Reize in einer Secunde stetigen Tetanus erzeugen. Die Tetanuscurven, welche wir erhielten, hatten, un- serer Erwartung gemäss, wie Fig. 6 zeigt, einen völlig gleichmässigen Verlauf. I00 900 700 800 400 7 300 E. Fig. 6. Weisser (untere. Curven) und rother (obere Curven) Kaninchenmuskel, tetanisirt durch Inductionsschläge, die in Intervallen von Y,, Sec. erfolgen. Jeder Tetanus dauert etwa 2 Sec, die Pause zwischen zwei Reiz- perioden 1 Min. Die Intensität der Inductionsströme wird von 300 bis 900 Einheiten gesteigert. Die unterste Zackenlinie markirt halbe Secunden. Die beiden Curvenformen sind dagesen in charakteristischer Weise von einander unterschieden. Die oberen, dem rothen Muskel (M. soleus) angehörigen steigen flacher auf und fallen etwas weniger steil ab als die unteren, vom weissen Muskel (M. gastrocnemius medialis) gezeichneten. Mit der Intensität der reizenden Inductionsströme (welche von 300 bis 900 Einheiten! gesteigert wurde), wächst, wie man sieht, die Höhe der Contractionen, ohne dass deren Verlauf wesentlich verändert würde. Nachdem wir so festgestellt hatten, dass unter gewöhnlichen Be- dingungen 30 Reize zum vollkommenen Tetanisiren genügen, prüften wir die Wirkung von voraussichtlich unzureichend häufigen Reizen. 1 Die Stromeinheiten am Schlittenapparate sind mittels der modifieirten Fick’schen Calibrirungsmethode. bestimmt. Vergl. H. Kronecker, „Ueber die Ermüdung und Erholung der quergestreiften Muskeln.“ Arb. aus d. physiol. An- stalt zu Leipzig. 6. Jahrg. 1871, S. 186. 10 Hw6G0o KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Das nächste Curvenpaar (Fig. 7) ist von weissem und rothem Mus- kel gezeichnet, welche beide von gleichen Strömen in ?/,, Sec. Intervall gereizt wurden. Auch hier erscheint der Tetanus des rothen (oberen) Muskels fast stetig. Die Einzelreize sind nur durch kleine Kerben angedeutet, während beim weissen (unteren) Muskel die Zähnelung der Curve sehr tief ist. Aber auch jetzt noch sind die Zuckungen zum grossen Theile verschmolzen. Reizintervalle von !/, Secunde gestatten, wie Fig. 8 zeigt, dem _ weissen Muskel fast vollkommene Wiederausdehnungen, während der rothe, zitternd, hoch contrahirt bleibt. a DE AHA AA SE B ö MN Fig. 7. Fig. 8. Untere Curve des weissen, obere des rothen Muskels. Reizstärke 150 Einheiten. | Reizintervall Y,“. Reizintervall 49”. Die Schliessungsschläge, nieht vollkommen abgeblendet, knieken die | Zuckungseurve. Selbst 1/, Secunde Intervall genügt einem etwas ermüdeten weissen Muskel nicht mehr zur vollendeten Ausführung seiner Zuckungen, indess der rothe unter gleichen Bedingungen die Einzelstösse noch weit unvoll- kommener kennzeichnet. Fig. 9. Oeffnungs- und Schliessungsinductionsströme von 300 Einheiten reizen in Intervallen von Y, See. den weissen (untere Curve) und rothen (obere Curve) Kaninchenmuskel. Die unterste Linie markirt Seeunden. ( Fig. 9 bildet das Anfangsstück soleh einer längeren Zuckungsreihe nach, die, selbst Minuten lang fortgesetzt, ihren Charakter nicht ändert. DIE GENESIS DES TETANUDS. 11 Um das Resultat unserer eben mitgetheilten Versuche zu analysiren, war es nothwendig, die Dauer der einfachen Zuckung weisser und rother Kaninchenmuskeln zu bestimmen. Die folgende Figur (10) zeigt die auf schnell rotirendem Cylinder unter einander gezeichnete, einfache Con- traction der weissen und diejenige der rothen Kaninchenmuskeln, wie sie auf einen, den gemeinsamen Nerv treffenden, Oeffnungsinductionsschlag erfolgt sind. Der Unterschied im Verlaufe dieser beiden Zuckungen erscheint noch auffälliger, als bei den von tetanisirten Muskeln gezeichneten Curven. Ab- gesehen von der Dauer der latenten Reizung, welche Ranvier beim rothen Fig. 10. Einfache Zuckungseurven des weissen (untere Curve) und rothen Kaninchenmuskels, deren gemeinsamer Ischiadieus-Nery durch einen starken Oefinungsinductionsschlag gereizt ist. Der primäre Stromkreis wird durch einen sehr guten Platinschlüssel geöffnet. Die unterste Strichelreihe markirt "|,oo Sec. Muskel mehr als 4 Mal länger fand als beim weissen, und abgesehen von dem asymptotisch der Abscisse sich nähernden Dehnungsende der Muskeleurven, währt die einfache Zusammenziehung des rothen Muskels fast 3 Mal so lange, als diejenige des weissen. Fie. 11. Ein starker Schliessungsinductionsschlag hat den Ischiadieus gereizt und den weissen (untere Curve), wie den rothen Theil des Kaninchen-Gastroknemius gesondert in Contraction versetzt. Die unterste Strichelreihe markirt Y/,,.. Secunde. Durch Sehliessungsinductionsschläge ausgelöste Zuckungen der weissen und rothen Muskeln sind, wie die auf Figur 11 facsimilirten Curven zeigen, an Länge fast ebenso von einander verschieden, wie die zwei Arten 12 Hu60 KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Oefinungszuckungen, aber der Anfangstheil der Curve des weissen Mus- kels verläuft der des rothen ähnlich: steigt auffallend weniger steil, als die Curve der Oefinungszuckung. ! Nachdem die Sehnen der weissen und rothen Muskelpartien zusam- mengebunden worden waren, so dass sie sich ähnlich wie in der Norm verhielten, zeichnete der an die Achillessehne gehängte Schreibhebel Zuckungscurven von gemischtem Charakter, wie dies auf Figur 12 er- sichtlich ist. Fig. 12. Vereinigter weisser und rother Muskel zeichnete auf Schliessungsinduetionsreiz die untere Curve, auf Oeffnungsinduetionsreiz die obere. Die unterste Strichelreihe markirt 1,9 Seceunde. Man erkennt, dass sowohl die auf Schliessungs-, wie auf Oeffnungs- inductionsreize erfolgenden Zuckungen eine so lange Dauer haben, wie sie für den rothen Muskel charakteristisch ist, dass auch die Schliessungs- zuckung flach anhebt (was wir auf Figur 11 auch beim weissen Muskel bemerkt haben), dass dagegen die der Oefinungsinductionszuckung zuge- hörige Curve steil aufsteigt und nach welligen Schwankungen sehr flach abfällt. Es hat also bei der Verkürzung der weisse Muskelantheil we- sentlichen Einfluss, während die rothe Muskelpartie die Erschlaffung verzögert. Wir haben somit alle Daten gewonnen, um vorauszubestim- men, welchen mechanischen Effect eine Folge von Reizen für den weissen, rothen und gemischten Kaninchenmuskel haben wird. Da nach unseren Bestimmungen die Zuckungsdauer des weissen, l Den Grund für dieses abweichende Verhalten kann man jetzt vielleicht darin suchen, dass die vollkommene Schliessung des Stromes durch festen Contaet nicht so plötzlich geschieht als die Oeffnung. E. Brücke weist nämlich in seiner neuen Abhandlung: „Ueber willkürliche und krampfhafte Bewegungen “ (Sitzungsb. d. kais. Akad. d. Wissensch. III. Abth. Nov.-Heft. Jhrg. 1877. S.31) darauf hin, dass, E.v. Fleischl bei Versuchen mit seinem Rheonom Fälle beobachtet hat, „in denen Muskeln, die auf andere Reize, wie gewöhnlich, zuckten, sich bei den Umdrehungen des Rheonoms mit höchst auffallender Langsamkeit zusammenzogen, viel langsamer, als män es sonst, bei Reizung vom Nerven aus, selbst bei sehr ermüdeten Muskeln gesehen hat.‘ DIE GENESIS DES TETANUS. 13 frischen Kaninchenmuskels nahezu !/, Secunde beträgt, die des rothen über ?/, Secunde, da ferner das Zuckungsmaximum vom ersten nach etwa 1/,s” ‚erreicht wird, vom rothen nach !/,, bis !/, Secunde, so erscheint das Resultat unserer oben mitgetheilten Versuche erklärt. Der rothe Kaninchenmuskel wird durch 4 Reize in der Secunde in unvollkommenen, durch 10 Reize in ziemlich stetigen Tetanus versetzt. Der weisse Kaninchenmuskel be- darf 20—530 Reize, um vollständig tetanisirt zu werden; 6 In- ductionsschläge in der Secunde verhindern ihn schon, sich während der Reizperiode vollständig auszudehnen. Diese Differenzen begründen auch die Höhenunterschiede in den - Zusammenziehungen. Aus Fig. 6 ist ersichtlich, dass bei vollkommen tetanisirender Reiz- frequenz die rothen Muskeln weniger erregbar sind als die weissen, indem sie stärkerer Reize bedürfen, um maximal erregt zu werden, und (obwohl sie ziemlich ebenso lang sind, wie die weissen) in der Mehrzahl der Fälle auch durch intensivste Ströme nicht zu solcher Verkürzung gebracht werden können, wie die weissen Muskeln. Hingegen haben wir bei minderer Reizfrequenz (Fig. 7, 8) die Te- tanuscurve des rothen Muskels beträchtlich höher ansteigen sehen, als diejenige des weissen. Dies hat seinen Grund darin, dass Ströme, welche im Intervalle von !/,, oder auch !/, Sec. den rothen Muskel reizen, den- selben derart treffen, dass die den Tetanus bildenden, einfachen Zuckungen in ihrem aufsteigenden Theile superponirt werden. Dem weissen Muskel gestattet solche Frequenz, seine Zuckungen bis in den absteigenden Curventheil zu führen. Die Maxima der resul- tirenden Curve erheben sich nicht wesentlich ul das erste Maximum der einfachen Zuckung. Ein Reiz, welcher den Muskel im Kolgurnekten Stadium der Erschlaffung trifft, addirt sich nicht der Helmholtz’schen Regel gemäss zum Reste der Zuckung, sondern erzeugt ein nächstes Maximum, welches gleich oder kleiner als das vor- hergegangene bleibt. Hieraus ergiebt sich, dass, unter Umständen, intermittirend gereizte Gliedermuskeln sich ganz ähnlich verhalten, wie mit schnell folgenden Stromstössen erregte sahen ‚ von denen wir nachgewiesen haben, dass sie in wirklichen Tetanus nicht versetzt werden können.! 1 Das charakteristische Merkmal der Herzmuskelbewegung. Beitr. zu An. u. Physiol. 1874. Carl Ludwig zum 25 jähr. Prof.-Jubiläum es S. CLXXXIV u. ff. 14 Hu60 KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Oft hat man freilich bei Froschmuskeln zu beobachten Gelegenheit, dass die ersten 3 oder 4 Zuckungen eines partiellen Tetanus diesen weit über die Höhe einfacher Zuckung, zu welcher er aber bald wieder herabsinkt, fördern, ebenso wie auch der Anfangstheil eines vollkom- menen Tetanus häufig (aber keineswegs immer) einen spitzen Gipfel in der Curve veranlasst. Die Ursache dieser Erscheinung ist uns noch unbekannt. Sie ist nicht identisch mit der Fick’schen „Wurfhöhe“. Wenn wir nunmehr unsere Ergebnisse mit denen Ranvier’s ver- gleichen, so finden wir höchst auffallende Unterschiede. Zwar gleicht die continuirliche Tetanuscurve, welche Ranvier von dem rothen - M. semitendinosus (durch 357 Schläge in der Secunde) erhielt, ziem- lich den von uns durch 30 Schläge pro Secunde gezeichneten Curven (Fig. 6) des rothen M. soleus, und seine vom weissen M. adductor magnus gewonnene Figur 2 (bei uns als Fig. 4 copirt) hat auch ziem- liche Aehnlichkeit mit der in Figur 7 vom weissen Muskel dargestellten Zackencurve. Aber jene Zacken sollen 357stel Secunden markiren, während die unserigen 10tel angeben. Zur Erklärung dieser Differenz scheinen uns zwei Möglichkeiten vorzuliegen. Die erste ist die, dass die berechnete Anzahl der Reize grösser ist, als diejenige der wirksamen. Es ist solcher Irrthum von den besten Forschern bei allen Tetanisirungsversuchen begangen worden, bevor (und oft nachdem) die durch Helmholtz eingeführte Controle mittelst der Mitschwingungen (bez. des Muskeltones) angewendet ward. Aus der Höhe des Tones der schwingenden Unterbrechungs-Federn oder Stimmgabeln berechnete man die Zahl der wirksamen Reize. Man setzte voraus, dass jede ganze Schwingung eine Schliessung und eine Oefinung des primären Stromes und hiermit zwei Inductionsströme erzeuge, dass alle diese Ströme so weit gleichmässig seien, dass jeder eine Zuckungs- erregung auslöse. Die beim üblichen Tetanisiren (selbst mit Helmholtz’scher Vor- richtung)! alternirend ungleichen Reizstärken der Schliessungs- und Oefinungsinductionsschläge könnten auch bei vollkommensten Contact- vorrichtungen unsere Berechnung der den Tetanus erzeugenden Frequenz vereiteln. Diese Fehlerquelle scheint uns der Beachtung sehr werth, weshalb wir das Verhalten von mit Wechselströmen gereizten Muskeln durch einige Beispiele illustriren wollen. I Stirling, Arbeiten aus d. physiol. Anstalt zu Leipzig. 1875. 8.231 u. 245. DIE GENESIS DES TETANDS. 15 Der Eine von uns hat gezeigt,! dass die Ermüdungscurven von Froschmuskeln, die mit abwechselnd starken und schwachen Strömen gereizt waren, einen ganz absonderlichen Verlauf haben: Es fällt die schwachen Reizen zugehörige Ermüdungscurve steiler ab, als die den maximalen eigene. Wenn die schwachen Reize nur noch Contractionen (des Triceps femoris vom Frosch) von 1—2”® hervorzurufen im Stande sind, so verläuft von nun an die der maximalen Zuckungsreihe zugehörige Ermüdungscurve noch weniger steil; in ähnlicher Weise, als wenn nun- mehr die Reizfrequenz halbirt worden sei. Analoges geschieht, wenn man die Reize so weit schwächt, dass die Schliessungsschläge nur noch schwach wirksam bleiben. Es verhält sich demgemäss ein mit ungleichmässigen Wechselströmen gereizter Muskel wie ein mit halber Frequenz gereizter, sobald die eine Art der Ströme entweder absolut oder gegenüber dem ermüdeten Muskel sehr schwach geworden ist. Die folgende Figur (13) ist geeignet, dieses Verhältniss zu illustriren: Es trafen den Muskel etwa 5—6 Inductionsschläge in der Secunde. Schliessungsschläge reizten maximal, gleich den Oeffnungsschlägen, wenn die secundäre Rolle des Schlitteninductoriums fast ganz über die primäre geschoben war (800 Einheiten). Die Schliessungsschläge blieben gänzlich unwirksam, wenn die er- regenden Ströme 8 Mal schwächer gemacht wurden (100 Einheiten). Dann hörte auch die tonisirende Wirkung der Reize auf, indem der Muskel Zeit gewann, in den Intervallen zwischen je zwei wirksamen Reizen sich nahezu vollkommen wieder auszudehnen, während er um so mehr hieran verhindert wurde, je stärkere Reize eingeschoben waren. ll m" 100 200 800 500 Einheiten Fig. 13. Den Triceps femoris vom Frosche treffen Schliessungs- und Oeffnungsinductionsschläge von verschiedener ® Intensität (100—500 Einheiten). Reizfrequenz 5—6 in 1 Sec... Langsame Rotation des Cylinders. Gleichmässige, durch Inductionsströme erzeugte Zuckungsreihen kann man also mittels Stromunterbrechers auf zweierlei Weise erhalten: 1 Kronecker a.a. 0. 8.259; auch Tiegel a. a. 0. 8. 18. 16 Hu6o KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Entweder indem man die Ströme so stark wählt, dass auch die Schliessungs- schläge maximale! Zuckungen auslösen, oder indem man die Ströme so ‘3ue]l9 ONSIPUIMYOSHN) H][OA Hulos yyaru you Sunyonz A9p auudag wı gey Topuıkg-uorydeisowusy opuaımoı [feuyos od Quecksilberoberfläche des ie berührt. “"UIPUNI9S ZATYACTL 9IULT 998104un ‚usqrapqg ONARISZIEN Aaewumm Joyun Adrfyossdunssonypg Ip pusayem *(orumuoroM 91010) [feArayuf 09 °|, ur puoyarax -UIg uozIoL osryosssunumso Ara (zZ "(eluruofeM layun) Jewıxew [feArsgup 098 *], ur sdoomg, uop uazıoı IsoJossne odumyuadod Id OPUAILATA HPUIUIIP AOD9AALAJUNIOBFUOI SIE Pusqarıyasaq (9 'S) UgO HLP yoanp “owoxgssuorronpuisdunssomyag pun -sZunupoo (I "FI Od "H 007 schwach nimmt, dass die Schlies- sungsinduetionen gänzlich un- wirksam bleiben. Die auf Figur 14 wiederge- gebenen beiden Curvenstücke von unvollkommenen Tetaniillustriren diese beiden Grenzfälle bei grös- serer Reizfrequenz, als sie im eben zuvor ausgeführten Beispiele an- gewendet war. Man darf aber auch die Strom- stärke und damit die Gesammt- erhebung so weit steigern, dass die Schliessungsschläge im frischen Muskel schon bemerkbare Reiz- wirkung ausüben, ohne dass diese sich später störend geltend machen. Es verhältsich dann der Muskel, wie ein mit halber Frequenz gereizter. Schwierig bleibt es, den Rei- zen gleichen zeitlichen Abstand zu geben, derart, dass das Inter- vall zwischen Schliessungs- und folgendem Oefinungsschlag ebenso gross ist, als dasjenige zwischen Oefinungs- und folgendem Schlies- sungsschlage. Dies ist bei An- wendung von schwingenden Strom- unterbrechern zu erreichen, wenn dafür gesorgt ist, dass der Stab ungehemmt vibrirt, und dass in der Ruhestellung. sein Strom- schliessendes Ende gerade die Dass trotz des vom Oefinungsfunken ziemlich schnell verzehrten und weggespülten Queck- Zweifel, ob Schliessungsschläge, I! Die von Funke (E. Pflüger’s Archiv Bd. VILI. S. 247) ausgesprochenen die für den frischen Muskel maximale sind, dies auch für den ermüdeten bleiben, sind bereits von Tiegel, a.a.0. 8.19, gehoben. DIE GENESIS DES TETANUDS. 17 silbers das Niveau desselben erhalten bleibt, dafür sorgt das selbstregu- lirende Hydromikrometer.! Fig: 15. Froschtriceps in Intervallen von !|,, Sec. mit starken (Oeffnungs-) und sehr schwachen (Schliessungs-) Inductionsschlägen gereizt. Der schnell rotirende Cylinder hat erst nach Beginn der Zeichnung seine volle Geschwindigkeit erlangt. Tetanisirungsversuche mittels Stromunterbrechungen in trockenen Quecksilbernäpfchen waren gar nicht vergleichbar mit den Versuchen, zu welchen der Capillarcontact diente. Einmal benutzten wir zur Reizung der Kaninchenmuskeln eine Koenig’sche elektrische Stimmgabel von 180 Vibrationen, deren Napf mit blankem Quecksilber gefüllt war, zur Unterbrechung des primären Kreises eines Schlitteninductoriums und erhielten Curven, von denen wir folgende zwei Paare in Fig. 16 abbilden wollen. 5 Ve en / I RA une ten Anand \ h = Fig. 16. Weisser und rother Kaninchenmuskel mittels Reihen von Inductionsstössen gereizt, die eine 180 Schwin- gungen in 1 Sec. ausführende, einen elektrischen Strom unterbrechende Stimmgabel erzeugte. Der weisse Muskel markirt, wie man sieht, in sehr unregelmässiger Weise, im ersten Falle etwa 13, im zweiten Beispiele stellenweise nur 1 Dies Archiv 1877. S. 577.. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 2 18 Hu6G0 KRONECKER U. WILLTAM STIRLING: 6 Reize in 1 Secunde. Der träge rothe Muskel lässt nur die gröbsten Contactfehler merken. Wer die Umdrehungsgeschwindigkeit der Trommel nicht kennt, würde im Vertrauen auf die Stimmgabel die Zeitdistanz dieser Curvenzacken. auch für 180stel Secunden halten können. Wir sind natürlich weit entfernt, Hrn. Ranvier, welchem die vorzüglichen Messwerkzeuge des Hrn. Marey zu Gebote standen, den oben fingirten Irrthum zuzumuthen, um so weniger, als eine andere Er- klärung der Abweichungen unserer Resultate von den seinigen nahe liegt. Unsere Beobachtungsmethode war von derjenigen Ranvier’s wesent- lich verschieden. Dieser Forscher hat mittels der Pince myographique die Verdickung der von ihm untersuchten Muskeln, beträchtlich ver- grössert, aufschreiben lassen, wir haben die Verkürzungen in doppelter Höhe registrirt. Marey! selbst hat darauf aufmerksam gemacht, dass durch die Luftkapseln Curven schneller Muskelzuckungen eine „deformation“ erleiden, dass hingegen Schwingungen „mouvements vibratoires“ (z. B. von Stimmgabeln) vollkommen treu (der Zahl nach) übertragen werden. Es können also schnelle Erzitterungen des tetanisirten Muskels durch die Pince myographique mit verhältnissmässig grossen Amplituden den Schreibhebel schwingen lassen und hierdurch beträchtliche Dickenände- rungen vortäuschen. Es äussern sich ja auch während des gleichmässig- sten Tetanus die denselben constituirenden Einzelerregungen jedem Beob- achtungsmittel?, welches eine der von den Muskeln gelieferten Kraftarten anzuzeigen vermag. So sind die elektrischen Schwankungen durch Dynamometer und secundär gereizten Froschschenkel zu erweisen; so sieht man Flimmern auf glänzender Oberfläche des tetanisch contrahirten Muskels, und E. Brücke hat es sogar am passend beleuchteten Arme eines Mannes durch die Haut- decken wahrgenommen, so fühlt der aufgelegte Finger das Schwirren, so hört das geübte Ohr den Muskelton, und die richtig abgestimmte Feder geräth in Mitschwingungen. Auch ein an die Sehne eines tetanisirten Muskels befestigter, straff gespannter Faden kommt (wie beim Faden- Telephon) in longitudinale Schwingungen, die einem leicht beweglichen Schreibhebel merkliche Stösse ertheilen können.* 1 Mowvement etc. p. 263. 264. 2 E. du Bois-Reymond hat in einer Anmerkung zu seiner Arbeit: „Ueber die negative Schwankung des Muskelstromes bei der Zusammenziehung“ das jener Zeit Wissenswürdigste darüber zusammengestellt. (Dies Archiv, 1875. S. 610. — Ges. Abh. Bd. II. S. 506.) 3 E. Brücke, a.a.0©. S. 23. 4 Vergl. Engelmann, Beiträge zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysio- logie. Pflüger’s Archiv u. s. w. 1871. Bd. IV. S. 16. Anm. DIE GENESIS DES TETANUS. 19 Sind die Schwingungen der tetanisirten Muskeln nothwendige Begleiter und Merkmale des discontinuirlichen molecularen Zustandes, welcher den Tetanus charakterisirt? Hört der Tetanus auf, wenn die Muskelvibrationen unmerklich werden ? Es wird allgemein angenommen, dass die Grösse der Einzelerschütterungen abnimmt, wenn die Reize sehr frequent geworden sind. Helmholtz! hat die Vibrationen des contrahirten Froschmuskels nicht mehr hörbar oder durch mitschwingende Federn sichtbar erhalten, wenn er den Te- tanus durch 600 Reize in der Secunde erzeugte. Den Ton von 120 Schwingungen hörte er spurweise an entsprechend tetanisirten Frosch- muskeln, einen solchen von 240 stark an menschlichen Armmuskeln. Bernstein? hat, als er 748 Reizungen in 1 Sec. dem Ischiadicus vom Kaninchen zuführte, an dessen Wadenmuskeln den Ton von 748 Schwingungen deutlich gehört: leise einen solchen von 933 Schwingungen; hingegen bei Reizung mit 1056 Schlägen in der tetanisch contrahirten Muskel- gruppe Töne vernehmen können, die um eine Quinte oder eine Octave tiefer waren als die erregenden. Bernstein nimmt „eine nicht unwesentliche Beziehung zwischen Muskelton, Contraction und negativer Schwankung“ an: „Da mit einer jeden Schwingung der Muskeltöne eine negative Schwankung des Muskel- stromes zusammenfällt, so liegt die Vermuthung sehr nahe, dass das Schwächerwerden der Töne von 300—400 Schwingungen ab von der Dauer der negativen Schwankung abhängt, welche etwa 1/,,, Sec. be- trägt. Denn dieser Process giebt uns die Zustandsänderungen der Mus- keln beim Tetanus an, und sobald die Schwankungen zeitlich überein- ander zu fallen beginnen, so schwankt auch der Zustand des Muskels innerhalb kleinerer Grenzen hin und her. Man beobachtet daher von diesem Puncte an mit dem Schwächerwerden der Töne auch gleichzeitig das Auftreten der Anfangszuckung“. Hiernach würden die obigen Fragen, ob der mechanische Effect des Tetanus aufhört, wenn die Vibrationen unmerklich werden, zu bejahen sein. Wir haben dagegen die Beobachtung gemacht, dass, wenn man den Kanincehen-Ischiadicus mit Hülfe einer in das Schlitteninductorium ein- geschalteten König’schen Stimmgabel (von 180 Schwingungen) oder mittels des schnell vibrirenden Wagner’schen Hammers reizt, man vom weissen Wadenmuskel den reizvermittelnden Ton mit allen Eigenthüm- 1 A.a.0. 1864 u. 1866. 2 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XI. S. 193. 9% 20 Hu6G0 KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: lichkeiten seines Timbre hört, wie wenn die Zuleitungsdrähte Schallleiter wären, während man am rothen Muskelhauche nur bei ganz geringer Frequenz einen dumpfen Ton wahrnehmen kann. Dennoch contrahiren sich beide Arten von Muskeln in der beschriebenen Weise auch bei höchster Reizfrequenz gleichermaassen, wie bei niederer. Es ist also der Muskelton ein werthvolles Merkmal und Zeitmaass der periodisch wechselnden Molecularbewegung, aber der mechanische Effect des Tetanus ist keineswegs an die Wahrnehmung der elastischen Schwingungen im Muskel geknüpft. Ebenso ist zwar der Schluss gerechtfertigt, dass, wenn ein strom- prüfendes Froschmuskelpräparat, mit seinen Nerven einem contrahirten Muskel angelegt, tetanisirt wird, die primäre Contraetion schnell folgende Stromschwankungen erzeugt, also einen discontinuirlichen Charakter trägt; aber aus dem Fehlen des secundären Tetanus braucht man nicht die elektrisch continuirliche Natur des primären Vorganges zu folgern. Nachdem du Bois-Reymond vor 30 Jahren den elektrischen Ursprung der secundären Zuckungen nachgewiesen hatte, unternahm er es, mittels dieses Reagens die unterbrochene Art „des Strychnin-Tetanus“ zu zeigen. Er sagt hierüber:! „Gelingt der Versuch gut, d. h. kommt der Tetanus zur rechten Zeit und mit hinlänglicher Kraft zu Stande, so sieht man den stromprüfenden Schenkel in einer zusammenhängenden, obwohl nicht dicht gedrängten Reihe schwacher Zuckungen begriffen. Häufig freilich bleibt er in Ruhe; allein alsdann sind jene Bedingungen nicht erfüllt, der Nerv des stromprüfenden Schenkels hat vor dem Ausbruch des Krampfes zu viel von seiner Erregbarkeit eingebüsst, der Krampf selber hat nicht den erforderlichen Gipfel der Heftigkeit.“ „Dieser Krampf ist gleich dem elektrischen und wahrscheinlich auch gleich den meisten an- deren tetanischen Zusammenziehungen wirklich unterbrochener Natur.“ Harless hält dagegen in seiner „Analyse der willkürlichen Be- wegung“? diese für continuirlich und wesentlich verschieden von der tetanischen Muskelcontraction, weil seine stromprüfenden Präparate von den willkürlich bewegten Froschmuskeln stets nur in einfache Zuckung versetzt worden waren. J. J. Friedrich? hat im physiologischen Institute zu Prag eine „Untersuchung des physiologischen Tetanus mit Hülfe des stromprüfenden Nervenmuskelpräparates“ angestellt, aus welcher sich ergab, dass „weder 1 Untersuchungen über thier. Elektr. Berlin 1849. Bd. II. S. 515. 2 Henle und Pfeuffer’s Zeitschr. f. rat. Med. Dritte Reihe. Bd. XIV. 1862. S. 97, vergl. bei E. Brücke a. a. 0. 8.1. 3 Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wissensch. Bd. LXXL. S. 413. DIE GENESIS DES TETANUDS. zul der Oeffnungs- noch der Schliessungstetanus, noch der Strychninkrampf Tetanus des secundären Präparates herbeiführt, sondern nur secundäre Zuckung“, während in dem Falle, wo der primäre Muskel von seinem Nerven aus künstlich tetanisirt wurde, auch ein schwacher primärer Tetanus fast immer secundären Tetanus ergab. Auch E. Hering selbst war es niebt gelungen, vom contrahirten Zwerchfelle der krampfhaft athmenden Katze „secundären Tetanus eines mit seinen Nerven passend angelegten Froschschenkels zu bekommen“, obwohl derselbe sofort in secundären Tetanus verfiel, wenn Hering den Nervus phrenicus schwach elektrisch tetanisirte, und obwohl er tertiär zuckte, wenn Hering den hoch oben abgeschnittenen Zwerchfellnerven auf das noch thätige Herz legte und so das Zwerchfell durch die Herz- schläge zu rhythmischen, secundären Zuckungen brachte. Aus alledem folgert der Verfasser, dass „für die oscillatorische Thätigkeit eines im Schliessungs- und Oeffnungstetanus begriffenen Mus- kels bis jetzt kein zwingender Beweis vorliegt, wenn auch nichts hindert, einen solchen der Analogie wegen anzunehmen, dass ferner auf innere Oscillationen eines von den Nervencentren her in natürlichen Tetanus versetzten Muskels nur aus dem Muskelgeräusche geschlossen werden könnte“. ! Ohne diese Arbeit zu erwähnen, haben Morat und Toussaint? im Laboratorium von Chauveau gleichfalls die elektrischen Eigenschaften des Tetanus mit Hülfe der secundären Zuckung (welche sie nach Mat- teucci inducirte nennen) zu analysiren versucht, und haben aus ihren Versuchen geschlossen: 1) Der elektrische Zustand des durch den Willen tetanisirten Mus- kels zeigt keine Schwankungen. Es bleibt der mit Beginn der Con- traction veränderte elektrische Zustand constant, wie das mechanische Phänomen der Contraction. 2) Es ist zweifelhaft, ob die Systole des Herzens als Zuckung oder Tetanus anzusehen ist. 3) Der durch elektrische Stromstösse erzeugte Tetanus ist bald dis- continuirlich, bald continuirlich; dies letztere bei grosser Frequenz der Reize und Ermüdung des gereizten Muskels. 4) Ein durch constanten Strom erzeugter Tetanus ist elektrisch gleichmässig oder bietet sehr unregelmässige Schwankungen. 1J. J. Friedrich, a.a. 0. 8. 424. 2 Morat et Toussaint, Variations de /’&tat &leetrique des muscles dans les differents modes de contraction. Etudiees & P’aide de la contraction induite. Ar- chives de Physiologie normale et pathologique. Paris 1877. p. 156. _ 22 HuGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Diese Schlüsse zogen die genannten Forscher aus dem Verhalten eines stromprüfenden Froschschenkels, dessen Nerv dem in Tetanus ver- setzten Gastroknemius angelest worden war. Der Gastroknemius war entweder durch den Willen des ihn noch beherrschenden Frosches teta- nisirt, oder durch unipolare Oefinungsinductionsschläge. Diese waren aber immer so schwach gewählt, dass die Schliessungsschläge gänzlich unwirksam blieben. Sie fanden, dass willkürliche Contractionen entweder gar keine, oder einfache secundäre Zuckungen am Anfange oder am Ende, oder bei plötzlichen Schwankungen des unregelmässigen willkürlichen Tetanus auslösen, und haben sogar den Satz aufgestellt: „la contraction induite dans la contraction volontaire n’est point la regle, elle n’est qu’un aceident.“ Die elektrisch erregten Tetani erzeugten desto kür- zeren secundären Tetanus, je frequenter die primären Reize waren und je ermüdeter der Nerv. Es sind diese Erscheinungen leicht erklärlich, ohne neue, unwahr- scheinliche Annahmen über die elektrischen Vorgänge in tetanisirten Muskeln, wenn man die ausserordentlich geringe Intensität der negativen Stromschwankungen in Folge der schwachen Reize in Anschlag bringst. Selbst stärkste ‘Willensimpulse vermögen ja bei weitem nicht einen Muskel in maximale Contraction zu versetzen.! Es fällt, wie auch schon hier S. 15 erwähnt worden, die Ermüdungs- curve untermaximaler Zuckungen steiler ab, als diejenige maxi- maler? und vermuthlich sinkt sie desto früher in die Ruhelinie herab, je schwächer die Reize sind, welche die Einzelzuekungen veranlassen. Ebenso hat die Ermüdungsceurve des in kleinen Intervallen zuckenden Muskels einen steileren Abfall, als diejenige des seltener gereizten, und es ist wahrscheinlich, dass dieses Gesetz auch für tetanisirte Muskeln eilt.? ‘Da mit kräftigen Schlägen sereizte Muskeln, wenn sie längere Zeit tetanisirt worden sind, und kurz geruht haben, oft Tetanuscurven zeichnen, welche von beträchtlieher Anfangshöhe während der Zeitdauer einer oder weniger Zuckungen zur Abseissenlinie zurücksinken, so braucht es nicht Wunder zu nehmen, wenn von einer Reihe ausserordentlich schwacher, oder mässig schwacher, aber häufiger negativer Schwankungen des Muskelstromes nur die erste den Nerven des secundären Frosch- schenkels zu erregen im Stande ist. 1 Vergl. H. Kronecker, Arbeiten aus d. physiol. Anstalt zw Leipzig. 1871. S, 261 u. 264. — M. Foster, Text Book of Physiology. London 1877. p. 65. 2 H. Kronecker, a.a.0. 8.259, und Tiegel, Arbeiten aus d. physiol. Anstalt zu Leipzig. 1875. 8. 18. 3 H. Kronecker, a.a, 0, S, 220. Die GENESIS DES TETANDS. 23 E. Brücke! warnt in einer Discussion der hier besprochenen Frage ebenfalls vor dem erwähnten Trugschlusse mit folgenden Worten: „Wenn man eine Reihe von secundären Zuckungen erhält, so hat man ein Recht zu schliessen, dass die primären Entladungen discontinuirlich sind, wenn man aber nur eine einmalige seeundäre Zuckung erhält, so hat man noch kein Recht zu schliessen, dass sie es nicht sind.“ „Als unzweifelhaft kann man aber wohl annehmen, dass bei Ent- ladungen, wie wir sie willkürlich vom Gehirn aus zu den Muskeln senden können, unter allen Umständen Additionen stattfinden.“2 Hiermit stimmt das Resultat einer Versuchsreihe, welche Hr. N. Baxt vor einem Jahre hier ausgeführt hat. Da der Eine von uns dies Resultat mit Hrn. Baxt’s Einwilligung in einer öffentlichen Rede bereits mitgetheilt hat, so kann es in allgemeinster Form (vorbehaltlich späterer ausführlicher Veröffentlichung) auch hier seine Stelle finden. N. Baxt hat gefunden, dass eine willkürliche möglichst einfache CGontraction (An- schlag mit dem Zeigefinger) ziemlich genau doppelt solange Zeit, im Mittel, dauert, als die gleiche durch einen einzelnen Inductionsschlag ausgelöste Bewegung. Nun hat freilich Wundt?® ausführlich die Meinung vertreten, dass die Reflexzuckungen, welche wir als summirte* auffassen, als einfache zu denken seien, obgleich sie fast immer länger sind, als die auf directe Reize der Muskeln oder motorischen Nerven erfolgenden Zuckungen, ja sogar häufig einen deutlich tetanischen Charakter zeigen, indem die Curven das An- heben der zweiten Zuckung durch einen deutlichen Knick kennzeichnen. Er meint aber, dass „die normale Reflexzuckung durch ihre lange Dauer gewissermaassen auf der Grenze steht zwischen Zuckung und Tetanus“. Wundt hat nämlich früher schon,° bei Untersuchung der Erregung des motorischen Nerven durch elektrische Stromstösse, gefunden, „dass die von höheren, dem Muskel entfernteren Puncten des Nerven erregte Zuckung nicht nur stärker ist, sondern auch länger dauert, als diejenige, welche durch den gleichen Reiz tiefer unten ausgelöst wird. Ebenso ist die Erregbarkeitszunahme, welche die an eine frisch entstandene Durch- 1. Brücke, a.2.0. S.1. 2 B. Brücke, a.a.0. 8,33. 34. 3 Untersuchungen zur Mechanik der Nervencentren. Zweite Abtheilung: Ueber den Reflexvorgang und das Wesen der centralen Innervation. Stuttgart 1876. 8.14 u. ff. 4 Stirling, Summalion elektrischer Hautreize, a. a.O. 5 Wundt, a.a. 0. 8.26. 6 Untersuchungen zum Mechanismus der Nerven. 1876. Erste Abth. Ueber Verlauf und Wesen der Nervenerregung. S. 178. 24 HUGO KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: schnittsfläche grenzende Nervenstrecke zeigt, immer auch mit Zunahme der Zuckungsdauer verbunden“. Wie gross diese Unterschiede der Dauer sind, ist hier nicht gesagt, aber an früherer Stelle der zuletzt genannten Arbeit,! wo Wundt von dem „asthenischen Zustande“ mancher Nerven spricht, giebt er an, dass „schon bei geringen Graden des Zustandes ermüdeter Hemmung (die Zuckung) manchmal doppelt so lang ist, als bei stark ausgebildeter Hem- mung“. „Bei höheren Graden jenes Zustandes erreicht endlich die Con- traction oft das Vierfache der Zeit einer gewöhnlichen Zuckung und mehr, sie nimmt dann einen tetanischen Charakter an, und zwar gilt dies gleichmässig. ebensowohl für die Zuckungen, welche durch Schliessung des constanten Stromes irgend einer Richtung entstehen, wie für die- jenigen, welche durch einen anderen Reiz, z. B. durch den Schliessungs- oder Oefinungsinductionsschlag ausgelöst werden“. „Die Zuckung zeigt mit einem Worte sogleich und im höchsten Grade diejenigen Eigenthüm- lichkeiten, welche den Zuckungen ermüdeter Präparate zuzukommen pflegen.“ „Ausser der Ermüdung durch oft wiederholte Reize sind es namentlich gewisse Einflüsse der Temperatur und mangelhafte Ernährung, welche den asthenischen Zustand bedingen.“ Wir haben unsere Anschauung von dem wesentlichen Unterschiede . langer einfacher und tetanischer Zuckungen an einem anderen Orte, ? bei Besprechung der Reizbarkeit des Froschherzventrikels, ausführlich darge- legt. Wir begründeten dort unsere Ansicht: „Nicht die absolute Dauer der Zusammenziehung entscheidet darüber, ob sie für einfach oder teta- nisch zu halten sei, sondern die experimentelle Zerlegung in Einzel- zuckungen oder die Analyse der nicht zerlegbaren Krämpfe mittels Galvano- meters oder Nervmuskelpräparates.“ „Eine Zusammenziehung des Gastrokne- mius von einer halben Secunde Dauer ist als tetanisch anzusehen, sobald wir nachweisen können, dass sie höher und länger ist, als eine der ein- fachen Zuckungen, deren schnelle Folge sie continuirlich gemacht hat.“ Wir würden dagegen Zuckungen von einer halben Secunde und längerer Dauer, wie sie stark abgekühlte, oder gezerrte, oder mit Veratrin ver- giftete Muskeln geben, als einfache anzusprechen haben, wenn wir nicht im Stande sind, den oscillatorischen Charakter derselben nachzuweisen.“ Der Herzpuls ist mit Hülfe des physiologischen Rheoskopes als ein- fache Zuckung erkannt worden. Diesen Beweis halten J. J. Friedrich 1A.2.0.S8.42 u. 43. 2 Beiträge z. Anat. u. Physiol., als Festgabe Carl Ludwig gewidmet. Leipzig 1874. S. CLXXXVII u. CLXXXVIM. &.J. J. Eriedrich 3, a. O. S. 425. DiE GENESIS DES TETANDS. 25 und Hering für unzureichend, Morat und Toussaint für widerlest. „Die Einfachheit der secundären Zuckungen am Herzen beweise Nichts für die einfache Natur des Herzpulses, weil alle Arten des Tetanus mit Ausnahme des durch künstliche, oscillatorische Reizung herbeigeführten ebenfalls nur secundäre Zuckung. veranlassen.“ Neuerdings hat wiederum M. Foster in seinem Lehrbuche der Physiologie! auf den Widerspruch aufmerksam gemacht, welcher zwischen dem Resultate der „Versuche über den ersten Herzton“ von Ludwig und Dogiel? und der fast allgemein adoptirten Ansicht, dass der Puls eine einfache Zuckung sei, besteht. Eine einfache Contraction könne unmöglich einen musikalischen Ton, wie der Herzton ist, erzeugen. Jedoch erwähnt er hierbei, freilich als nicht plausibel, die Zweifel, welche gegen die einfache Natur des Herzschlages geltend gemacht worden sind. Ludwig und Dogiel haben es aber selbst fraglich gelassen, ob der erste Herzton „seiner Entstehung nach mit den Geräuschen oder Tönen in Parallele gestellt werden dürfe, welche in tetanisch erregten Muskeln entstehen.“ „Auch ohne eine Reihe rasch ablaufender Erregungs- stösse kann ein System von Fasern, wie das des Herzens, das sich so plötzlich spannt und so vielfach verschlungen ist, Töne oder Geräusche veranlassen.“ Es ist nach alledem kein Grund vorhanden, den oscillatorischen Zustand als charakteristisches Unterscheidungsmerkmal zwischen Tevanus und ein- facher Zuckung (so kurz auch die erstere und so lang auch die letztere sein mag) zu läugnen, wenn es auch wünschenswerth bleibt, ein unter allen Umständen anwendbares Kriterium aufzufinden. Wo liegt die obere Grenze der Reizfrequenz, welche Tetanus zu veranlassen im Stande ist? Bei einer Nervenreizung würde nach der modificirten Entladungs- hypothese von du Bois-Reymond,° jeder negativen Schwankung der Nervensubstanz eine solche der contractilen Substanz folgen. Bernstein ist bei seiner Theorie der Erregungsvorgänge in den Nerven und Muskelfasern * 1A. 2.0.8. 107. 2 Versuche über den ersten Herzton. Arbeiten aus d. physiol. Anst. zu Leip- zig 1868. S. 85. 3 Ges. Abhandl. Bd. II. S. 929. 4 Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem- Heidelberg 1871. S. 120. 26 Hu6Go0 KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: von.der plausiblen Auffassung ausgegangen, dass die negative Einzel- schwankung des Muskelstromes die Ursache der Zuckung sei. Die Dauer der negativen Schwankung des Nervenstromes hat Bernstein auf etwa Y/,,., Sec. bestimmt, diejenige des Muskelstromes auf !/,., See, Wenn die Erregungen so häufig in den Muskel treten, dass der Muskel- strom noch nicht merklich von seinem Minimum sich erhoben hat, während das nächste Minimum folgt, so bleibt er auf seinem niedrigsten Werthe nahezu constant, und kann also keine tetanische Contraction unterhalten, sondern nur im Beginne, wo er plötzlich absinkt, einfache Zuckung auslösen; so entsteht die „Anfangszuckung“. Dieser folgt ein schwacher Tetanus, wenn die Reizintervalle noch merkliche Aenderungen der ge- minderten Muskelstromstärke zulassen; dies könnte bei um so grösserer Frequenz geschehen, je stärker die Reize und demgemäss die davon ab- hängigen Schwankungen sind. Aus welchem Grunde das Wiederauf- steigen des Muskelstromes zur Ruhestärke, am Ende der Reizperiode, nicht eine Endzuckung auslöst, darüber haben wir in dem Bern- stein’schen Buche keine Angaben gefunden. Man vermisst in dem- selben auch Zeichnungen oder Zahlenwerthe, welche ein Urtheil darüber zulassen, ob die „Anfangszuckung“ nach Höhe und Dauer wirklich als einfache anzusehen ist. Die Frequenz der Reize (250 pro Secunde) aber, bei welchen die Anfangszuckung zu erscheinen beginnen soll, ist so klein, dass man sich wundern muss, dass nicht auch viele andere For- scher diese niedrige Grenze wahrgenommen hatten. Nun ist freilich bei der üblichen Art zu tetanisiren, mittels du Bois-Reymond’s Schlitteninduetorium, die Reizfrequenz nicht wesentlich über 150 Schläge in 1 Secunde zu steigern; aber es waren ja doch früher häufig genug Stromstösse mit Hülfe von Unterbrechungsrädern aller Art erzeugt wor- den. Bei solchen Versuchen hatte Harless,! wie Bernstein selbst erwähnt, gefunden, dass „der unterbrochene (galvanische) Strom die Wirkung eines constanten gewinnt“, wenn die Unterbrechungen kleiner als !/o000 Secunde sind. Dann verschwindet der Tetanus, „welcher bei Verminderung dieser Zahl sofort wieder auftritt“. Helmholtz? hatte gefunden, dass bei Reizung mit zwei aufeinander folgenden maximalen elektrischen Schlägen die beiden Zuckungen sich nicht mehr addirten, wenn der Zeitunterschied der Reizungen weniger als !/,,, Secunde betrug. „Sind die Schläge aber so schwach, dass jeder 1 Gelehrte Anzeigen d. k. bayer. Akademie d. Wissensch. 10. Juli 1857. Bulletin Nr. 5 d. mathem.-phys. Classe. 2 Monatsber. d. Berliner Akad. 1854. S. 330. Die GENESIS DES TETANUS. 27 einzelne nicht das Maximum der Reizung hervorzubringen vermag, so verstärken sie sich auch bei der kleinsten Zwischenzeit“. Am Schlusse seiner wiederholt eitirten Arbeit „Ueber das Muskel- seräusch“ (im Jahre 1864) theilt Helmholtz mit, dass er „durch Stimm- gabeln, die zwischen den Schenkeln von Elektromagneten stehen, und welche, mit dem Bogen gestrichen, durch ihre Bewegung elektrische Ströme von der Form regelmässiger Sinuswellen in der Drahtumwicke- lung der Elektromasnete erzeugten, Froschschenkel in Tetanus gesetzt, und gefunden habe, dass selbst 600 ganze Schwingungen in der Secunde (also 1200 Reize!) noch Tetanus geben. Wer solche Versuche kennt, weiss, dass auf diesem Wege dem Froschischiadieus bei Weitem nicht maximale Reize zuzuführen sind. Dagegen hat freilich Heidenhain! im Jahre 1861 gefunden, dass durch 400—500 Unterbrechungen (mittels ineinander greifender Zahn- räder eines Uhrwerks) „der schwächsten erregenden Ströme“ die Reiz- wirkung aufhört, während stärkere Ströme, wenn sie 2800mal und (wie aus der Darstellung hervorzugehen scheint) selbst wenn sie 6000mal in 1 Secunde unterbrochen wurden, tetanisiren konnten. Heidenhain kam demnach zu dem Schluss, dass die Zahl der Unterbrechungen, bei welcher der Tetanus aufhört, Function der Stromstärke ist. Auch v. Wittich? hat angegeben, dass ein Nerv, der nahezu 7000 Stromstösse in 1 Sec. erhält, den zugehörigen Froschschenkel noch in den heftissten Tetanus versetzen kann. Zur Ausführung dieser Ver- suche diente ihm ein von Grünhagen angegebener Stromunterbrecher, der nach Art der Blitzräder construirt war.? Grünhagen hat später‘ diese Versuche „über intermittirende Ner- venreizung“* wieder aufgenommen. Er modifieirte sein Unterbrechungsrad derart, dass er die Zinken an- der Peripherie durch feinen Eisendraht ersetzte, welcher in engen Windungen den Kranz des Rades umgab. Anstatt des Quecksilber- näpfchens besorgte den Contact eine stählerne Perlnadel. So vermochte er, bei der möglichst grössten Geschwindigkeit,” 2800 Schliessungen des Stromes von !/,,.. See. Dauer zu erzeugen und erhielt auch dann bei vollem Strome (dessen Intensität diejenige eines Daniell- schen Elementes unter gleichen Widerstandsverhältnissen lange nicht erreicht) noch „Zuckung“. „Bei schwachen Strömen von minimaler Reiz- 1 Studien des physiol. Institutes zu Breslau. Heft I. Leipzig 1861. S. 64. 2 Pflüger’s Archiv u. s. w. 1869. Bd. II.:S. 348. 3 E. du Bois-Reymond, Untersuch. über thier. Elektr. Bd. I. S. 447. 4 Pflüger’s Archw u. s. w. 1872. Bd. VI. S. 157. 3A. a. ©. S. 164. 28 Hu60 KRONECKER UND WILLIAM STIRLING: kraft, gleichviel ob aufsteigender oder absteigender Richtung, erlischt ‘ der Tetanus schon bei langsamer Rotation“, welche in 1 Sec. 366 Strom- stösse von je !/,,“ Dauer entstehen lässt. Der Zusatz: „wenn es über- haupt zum Tetanus kommt“ ist uns nicht recht verständlich. Es kann doch nur eben der Fall bemerkenswerth sein, in welchem ein wirklicher Tetanus überhaupt nicht entsteht, denn jeder Tetanus vergeht doch nach längerer oder kürzerer Dauer. Grünhagen zeigt, dass diese mässig häufigen Unterbrechungen nicht darum wirkungslos sind, weil der Strom für den Nerven continuir- lich geworden ist; denn einmaliges Schliessen und Oefinen des Gesammt- kreises hat auch keinen Effect. Er findet demnach den Grund für das Aufhören des Tetanus „in einer gänzlichen Wirkungslosigkeit des elek- trischen Reizes“, weil die Stromdauer (1/,,“) zu kurz geworden sei. Die Möglichkeit, dass seine Contacte für die schwachen Stromstärken, bei mässig flüchtiger Berührung, zu unvollkommen seien, glaubt er durch folgende Beobachtung widerlegen zu können: Wenn das Unterbrechungs- rad, als Nebenschliessung zum Stromkreise (in dem sich der Nerv be- fand), eingeschaltet war, so blieb der Schenkel ruhig, wenn die Dauer jeder Unterbrechung etwa !/,“ betrug. Es zuckte aber dann der Schenkel bei Oeffnung und Schliessung des „Nervenkreises“,! in welchem also auch die galvanische Batterie stand (!. Warum sollten hierdurch nicht Schliessungs- und Oeffnungszuckungen erfolgen, auch wenn das Rad gar keinen Contact vermittelt? Grünhagen fasst diese seine Erfahrungen in folgende Sätze zu- sammen: „Schwache und mittelstarke Ströme können bei grosser Kürze und Zahl ihrer Unterbrechungen dem Nerven gegenüber denselben Effect, wie ein continuirlicher Strom ausüben. Für starke Ströme ist es bei den uns zu Gebote stehenden Mitteln unmöglich, eine solche Umwand- lung ihrer Intermittenz zu erzielen; auch Unterbrechungen von kürzester Dauer werden alsdann noch vom Froschschenkel signalisirt.“ ? Engelmann? hat eingehendere Untersuchungen darüber angestellt, in wiefern Zahl und Dauer der Unterbrechungen eines constanten Stromes den Effect der intermittirenden Nervenreizung beeinflusst. Er hat gefunden, dass um so kürzere Intervalle Tetanus noch entstehen lassen, je stärker der unterbrochene Strom ist, dass bei geringerer Intensität der Strom wie ein continuirlicher wirkt. Aus seinen Tabellen * ist zu ersehen, dass 1A. a. 0.8. 166 und Taf. V. Fig. 3. 2 A.a. 0.8. 171. 3 Pflüger’s Archiv u. s. w. 1871. Bd. IV. S. 3. A AAMOIS ALT. DIE GENESIS DES TETANDS. 29 ungefähr 2000 Unterbrechungen in 1 Secunde die höchste von ihm con- statirte wirksame Reizfrequenz darstellen. Dabei verhielt sich die Dauer der Stromstösse (2) zur Dauer der Intervalle (*) = 2:1. Er bestimmte die Reizungseflfeete an unmittelbar oder mittels ihrer Nerven gereizten Muskeln bei wechselndem Verhältniss von £: 7 und bei verschiedenen Werthen von + i (Reizzahl) und gewann aus seiner Untersuchung das nicht numerisch definirte Resultat: „dass es einer gewissen messbaren Zeit bedarf, ehe eine neue Contractionswelle von der direct gereizten Stelle des Muskels ausgehen kann,“ und „dass die neue Contractions- welle früher entstehen kann, wenn der Muskel vom Nerven aus, als wenn er direct elektrisch erregt wird“. Engelmann hat die Zuverlässigkeit der von v. Wittich (Grün- hagen) gebrauchten Contacte angezweifelt und zu seinen Versuchen zwar ebenfalls Unterbrechungsräder mit verstellbaren Schliesscontactfedern verwandt, aber anstatt leitende Erhöhungen auf dem Rande anzubringen, wie sie die früheren Beobachter verwandt hatten, lässt er die Silber- spitzen seiner Contacte auf dem glatten Rande schleifen, welcher, ähnlich wie Poggendorff’s Inversor, abwechselnd Kupfer- und Buchsbaum-, Messing- und Hartkautschukfelder enthält. Er fand, dass nur bei hohen Graden der Stromstärke (zwei Daniells ohne Rheochord), grosser Um- drehungsgeschwindiskeit und langer intrapolarer Strecke unregelmässige Zuekungen erzeugt wurden. E. du Bois-Reymond! hält es für unmöglich, „durch schlei- fende Federn stetige Berührung zu erhalten. Zum Zeichen der Unstätig- keit ihrer Berührung erzeugen solche Federn stets Tetanus in den Kreis gebrachter Nervmuskelpräparate.e Nur durch grossen Druck kurzer schwingungsunfähiger Contactstücke schien diese Schwierigkeit sich überwinden zu lassen: dann läuft man aber wieder Gefahr, dass sich metallisch leitende Spurlinien der Contacte auf den isolirenden Theilen der Walzen bilden.“ J. König”? hat darum bei seinen unter Leitung von Helmholtz angestellten Versuchen, durch die am Spiral-Rheotom erhaltenen „über- maximalen“ Zuckungen gewarnt, den unzuverlässigen Stromschluss, wie ihn rasch gleitende Federcontacte geben, vermieden. Er hat die Zeit, während welcher ein galvanischer Strom wirken muss, „um die der Erregung ent- sprechende Molecularveränderung der Nervensubstanz hervorzurufen“, auf ungefähr 0-0015 Sec. bestimmt. „Von dieser Zeit angefangen, in welcher 1 Dies Archiw, 1875. S. 646. — Ges. Abh. Bd. II. S. 514. 2 Sitzungsber. d. k. Akademie der Wissensch. zu Wien. Bd. LXII. Abtheil. II. Oct. 1870, 30 HuGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: der Strom überhaupt zu wirken beginnt, wächst nun die Grösse der Zuckung mit der Dauer des Stromes, und zwar zuerst ziemlich rasch, dann immer langsamer, bis endlich zwischen 0-017 und 0.018 Secunden das Resultat das durch dauernde Schliessung erreichbare geworden ist.“ Die Inductionsströme haben trotz ihrer sehr kurzen Dauer! eine bei weitem intensivere Reizwirkung als die Stromstösse. Jedoch hat E. Brücke ? nachgewiesen, dass Froschmuskeln, deren motorische Nerven durch Curare vergiftet worden waren, gegen Ströme von kurzer Dauer unempfindlicher als nicht vergiftete sind, während sie doch auf länger dauernde Ströme ebensogut wie diese reagiren. Glatte Muskeln sind gegen Inductionsschläge ganz besonders indolent. So wurde Fick bei seinen Versuchen über die Reizbarkeit des Schliessmuskels von Anodonta®? „das seltsame Schauspiel geboten, dass in demselben Stromkreise, der die secundäre Spirale eines gewöhnlichen (Schlitten-)Induetionsapparates schliesst, ein Froschmuskel im heftigsten Tetanus begriffen ist, während der Muschelmuskel keine Spur von Er- regung zeigt,“ indess man „umgekehrt, im selben Stromkreise einen Muschelmuskel zur energischsten Zusammenziehung bringen kann, wäh- rend ein darin aufsenommener Froschmuskel sich nicht rest“, wenn man im gleichen Kreise einen galvanischen Strom langsam stetig zunehmen lässt (durch continuirliche Verkleinerung einer Nebenschliessung). Erst ausserordentlich starke Inductionsschläge erregen den Anodonta- muskel. Ebenso war, um durch häufige Unterbrechungen eine merkliche Reizung zu erzielen, grössere Stromstärke erforderlich, als für seltene Stösse. . Merkwürdig ist die Beobachtung, dass das Abbrechen solch einer Reihe periodisch aufeinander folgender elektrischer Schläge, die. in der- selben Richtung den Muskel durchfahren, häufig eine Oeffnungs-Contrac- tion bewirkt, welche die während der Folge von Stromstössen vorhandene erheblich verstärkt. Es wirkt dann dieser intermittirende Strom wie ein constanter Strom, während dessen „langdauerndem‘“ Schluss die (oft 1 Lemström (eitirt in Wiedemann’s Galvanismus und Blektromagnetismus. Braunschweig 1873. 2. Aufl. Bd. II. Abth. 2. S. 115) giebt an, dass der Schliessungs- strom seine Maximal-Intensität schon mit 000006 Sec. erreicht und dass der Oeff- nungsinductionsstrom im Ganzen etwa in gleicher Zeit ablaufe wie der Schliessungs- strom. Wie unter verschiedenen Bedingungen der Verlauf dieser beiden Stromarten varirt, hat E. du Bois-Reymond genau bestimmt (Monatsber. d. Berl. Akad. 1862. S. 372. — Ges. Abhandl. Bd. I. S. 228 und bei Wiedemann a.a.0. 8. 104.) 2 Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wiss. Bd. LVI. Oct. 1867. 3 Beiträge zur vergleichenden Physiologie der irritablen Substanzen. Braun- schweig 1863. 8. 23. Die GENESIS DES TETANDS. 31 10 Sec. lang anhaltende) Schliessungszuckung des äusserst trägen Muskels durch die folgende Oefinung bedeutend verstärkt wird. Diesem Verhalten Analoges hat Engelmann! am Ureter gefunden: Stromstösse müssen eine erhebliche Dauer (nahe !/, Sec.) haben, um Contractionen zu erregen. Sie müssen um so länger gewählt werden, je schwächer sie sind. Bei Strömen von geringer Intensität und bei herabgekommener Erregbarkeit bedarf es (zur Auslösung der Oefinungs- zuckung) nicht selten einer (vorangegangenen) Schliessungsdauer von 30 bis 60 Secunden. Eine Reihe wirksamer (gleichgerichteter) Stromstösse lässt die einzelnen Contractionen „an der Kathode“ zu vollständigem Tetanus verschmelzen, „Die Beendigung einer Folge periodisch wieder- kehrender kurzer Reize wirkt wie Oefinung eines constanten Stromes, ebenso wie die Schliessung schnell auf einander folgender Stromstösse wie Schliessung eines constanten Stromes wirkte.“ ? Einzeln unwirksame Stromschliessungen können sümmirt Contractionen veranlassen: um so früher, je frequenter sie sind. Die Dauer des Inter- valls, bei welchem noch Contraction zu Stande kommen kann, ist um so grösser, je stärker die einzeln unwirksamen Reize waren. Während die zuvor mitgetheilten Eigenschaften des Ureters mit den am Muschelschliessmuskel gewonnenen Erfahrungen übereinstimmen und damit dieses Gebilde den glatten Muskeln zuweisen, zu denen es auch Fick® zu rechnen geneigt ist, stellen die zuletzt erwähnten Summations- erscheinungen den Ureter in eine Reihe mit Organen, welche reflec- torische Erregbarkeit besitzen. Dass Ganglien an den beobachteten Ureterstücken, wie auch am embryonalen Herzen u. s. w. nicht aufzufinden sind, widerlegt die gerechtfertigte Anschauung nicht, dass solche „auto- matisch“ thätige Organe von den quergestreiften Skeletmuskeln funda- . mental verschieden sind. Betrefis der von Fick wie von Engelmann beobachteten Unerregbarkeit der glatten Muskeln gegen Inductionsreize ist zu bemerken, dass diese Forscher nur solche Inductionsreize geprüft haben, welche durch Schliessung und Oeffnung von constanten Strömen in Inductionsspiralen erzeugt werden. | Eduard Weber‘ hat dagegen gefunden, dass durch Reizung mittels des magnetogalvanischen Rotationsapparates auch die glatte Musculatur zu der ihr eigenthümlichen langsamen Zusammenziehuig gebracht wer- 1 Pflüger’s Archiv. u. s. w. 1870. Bd. III. S. 273 fi. 2 A. a. 0. S. 283. Sera, 0.83% 4 Artikel „„Muskelbewegnng“ in Wagner’s Handwörterbuch der Physiologie. Braunschweig 1846. Bd. III. Abth. 2. S. 27. 32 HUGO KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: den kann. Freilich sagt auch Weber a.a. 0.: „Die Harnleiter endlich gehören zu den allerträgsten organisch muskulösen Theilen. Indessen habe ich auch an diesen bei einem Hunde durch galvanische Reizung deutlich und ganz nach Belieben quere Einschnürungen entstehen sehen.“ Marey'! hat sich zur Reizung seines Adductor pollieis eines indu- cirenden Rotationsapparates bedient und gefunden, dass, wenn der Kern von weichem Eisen in der Inductionsspirale blieb, die tetanisirende Wirkung abzunehmen begann, sobald bei beschleunigter Drehung un- gefähr 240 Inductionsströme pro Secunde seinen Muskel reizten. Wenn hingegen der Eisenkern aus der Spirale entfernt worden war, konnte man keine Abnahme seines Tetanus mehr bemerken, so schnell auch gedreht werden mochte. Auch Extraeurrents erwiesen sich bei grosser Frequenz geschwächt, wenn der Eisenkern in der Spirale geblieben war. Ohne Eisenkern in der Spirale waren sie ganz wirkungslos. Aus diesen Erfahrungen schliesst er, dass nicht eine physiologische, in Nerv oder Mus- kel gelegene Ursache die häufigen Reize habe unwirksam werden lassen, sondern (wie Guillemin gezeigt hatte) die physikalische Interferenz. der durch den Eisenkern verzögerten entgegengesetzten Ströme. Dennoch meint Marey, dass sich eine Grenze der Reizfrequenz finden müsse, bei der Nerv und Muskel nicht erregt werden. Er schliesst:? „En effet, la translation de ces ondes ayant une vitesse determinee, on doit admettre que pour qu’une onde nouvelle se forme dans une fibre au point ou le nerf la penetre, il faut que l’onde precedente ait d&ja quitte la place. En connaissant exactement le diametre longitudinal de l’onde museu- laire, on pourrait deduire le temps necessaire a son deplacement, mais ces questions ne me semblent pas encore pres d’&tre r&solues.“ Hier liegt ebenfalls der Keim zur Theorie der „Anfangszuckung“. Alle bisher geübten Reizungsmethoden, welche die Beweglichkeit der erregbaren Theilchen von Nerv und Muskel zu bestimmen bezweckten, sind an dem Mangel exacter Reizmethoden gescheitert. Die höchste durch du Bois-Reymond der thierisch-elektrischen Technik gestellte Aufgabe: die erregenden Ströme nicht nur nach ihrer Intensität, sondern auch nach ihrem Verlanfe abzustufen, ist durch die vielversprechende schöne Erfindung des Rheonoms durch E. v. Fleischl’ in erreichbare Nähe gerückt. Diese Aufgabe würde aber noch erheblich erleichtert sein, wenn 1 Mowvement ete. p. 387. 2 A.12..0. p. 388. 3 Unters. über d. Ges. d. Nervenerregung. III. Abhandlung, Sifzungsber. der Wiener Akad. d. Wiss. Bd. LXVVI. Jahrg. 1877, Oct.-Heft. S. 6. DrE GENESIS DES TRTANDS. 33 wir mit Bernstein! annehmen dürften, dass die im Nerven zum Muskel wellende negative Schwankung nur ihrer Höhe, nicht wesentlich ihrem Verlaufe nach, mit der Grösse des äusseren Reizes sich ändernd, als innerer Reiz für den Muskel diene. Alle die kleinen Ungleichheiten der Stromintensität, welche wir so sehr fürchten gelernt, würden dann wegen ihrer zeitlichen Kleinheit die Keizwelle im Nerven unmerklich kräuseln; es würde der noch trägere Muskel wohl gar nicht mehr davon berührt werden. Anstatt dessen haben wir (wie auch Bernstein? selbst) bemerkt, wie geringe moleculare Trägheit bewegliche Muskeln besitzen, so dass sie sich ganz gut mit mittelmässigen Telephonen messen können. Sie geben einen elektrisch übermittelten Gesammtklang mit allen Timbre- eisenthümlichkeiten wieder. Es müssen also ausser den dem Grundtone entsprechenden Haupterregungswellen auch alle obertonartigen Neben- wellen den Muskel in merkliche, den Erregungen proportionale Mit- schwingungen versetzt haben. Es ist demnach nicht glaublich, dass gleichstarke Reize schwächer wirken, wenn sie sehr häufig, als wenn sie selten sind. Liegt nunmehr der Grund dafür, dass es bisher nicht gelungen ist, durch nachweislich sehr frequente, mässig starke Stromstösse den Muskel im Tetanus zu erhalten, lediglich in der Mangelhaftigkeit der Reiz- apparate ? Da ungleiehmässige Geschwindigkeit des Schliessens und Oeffnens einer Stromleitungsbahn, „gleichviel ob mit dem festen oder Quecksilber- schlüssel“ grosse Unterschiede in der Stärke der Zuckungen bedingt, so durften wir nicht hoffen, durch die üblichen Stromunterbrecher weiter zu kommen, wenn auch der Capillareontaet uns grössere Gleichmässig- " keit der Berührungswiderstände erwarten liess, als sie bisher zu erreichen waren. Um alle die Fehler zu meiden, welche durch Anwendung von Contaeten entstehen und solche, welche auch beim Gebrauche von magneto- elektrischen Maschinen in Folge von Ungleichmässigkeiten der Rotations- geschwindigkeit auftreten, versuchten wir das schon oben erwähnte, von Grossmann und Helmholtz angewendete Verfahren, Muskeln elektrisch zu tetanisiren. Vor Induetionsrollen schwingende grosse Stimmgabeln hatten aber selbst bei mässiger Frequenz immer nur schwachen tetanisirenden Effect. Daher construirte der Eine von uns, in Erinnerung an die von War- burg gefundene kräftige Induetionswirkung eines longitudinal schwingen- 1 Unters. üb. d. Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem. 8. 26. Heidelberg 1871. 4 2 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XI. S. 193. Archiy f. A. u. Ph. 1877. Physiol. Abth. ’ 3 34 HuG0 KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: den elektromagnetisirten Eisenstabes das Eingangs dieser Arbeit S. 5 bis 7 beschriebene Toninductorium !. Das Resultat unserer ersten rohen Versuche, welche mit der nach Warburg’s Vorschrift improvisirten Vorrichtung erhalten wurde, ver- anschaulicht die dem Triceps eines Frosches nachgezeichnete Figur (17). Fig. 17. Frosch-Triceps-femoris durch 2600 Induetionswechselströme gereizt, Diese erzeugte ein axial durch primäre und secundäre Rolle geführter, in der Mitte festgeklemmter elektro-magnetisirter Eisenstab, welcher, mittels colophonbestrichenem Leder- handschuh 3 mal gerieben, 1300 Longitudinalschwingungen in 1 Sec. vollbringt. 6 Mm. Abseissenlänge entspricht 1 Sec. Die so gewonnenen Curven zeigten, dass auf diesem Wege kräftige und gleichmässige Tetani erhalten werden konnten. Sie währten so lange (hier etwa 1 Sec.), wie der Klang des Stabes, über dessen freies Ende entlang der reibende Handschuh gezogen wurde. Es konnten sogar, nachdem der elektromagnetisirende Strom (von 2 Groves) geöffnet war, noch oft (in dem betrachteten Beispiele 15 mal) durch Tönen ansehnliche tetanische Contractionen erzeugt werden. Die allmählich erlöschende tetanisirende Fähigkeit erlangte das System in alter Stärke wieder, sobald der primäre Stromkreis geschlossen wor- den war. Ein zweites Facsimile (Fig. 18) soll den Effect des Tonreizes auf einen frischen Froschmuskel und das Verhältniss einer einfachen Zuckung zu solchem Tetanus erläutern. Fig. 18. Zuckungseurve. Tetanuscurve des Frosch-Triceps-femoris. teiz: Ein starker Reiz: 2700 durch den klingenden Stab inducirte Wechselströme. Oeffnungsinductions- Rotationsgeschwindigkeit des Cylindermantels 50 Mm. in 1 Sec. schlag. ! Der grösste Theil der damit angestellten Versuche ist in der physiol. Anstalt zu Leipzig schon im Sommer 1874 beendigt und in der physiol. Gesellschaft zu Leipzig demonstrirt worden. DIE GENESIS DES TETANDS. 335) Wir finden diese Tetanuscurve von den in der vorhergehenden Figur wiedergegebenen verschieden, nicht nur durch die auf schneller bewegtem Zeichenpapier gedehnte Form, sondern auch durch die bereits von A. Fick erklärte Anfangswurfhöhe!. Man gewinnt leicht die Ueberzeugung von dem rein mechanischen Ursprung dieser kurzen Er- hebung über die nahezu constante Hubhöhencurve, wenn man die elasti- schen Nachschwingungen in derselben betrachtet, welche deutlich er- scheinen, wenn der Hebel aus beträchtlicher Höhe herabgefallen ist. Auch fehlt die Spitze, wenn der Muskel nach seiner angeborenen oder (durch Ermüdung, Vergiftung u.s. w.) gewonnenen Trägheit dem Hebel eine geringe Anfangsbeschleunigung ertheilt. Die Modification der anfänglichen Erregbarkeit bei frischen, schwach gereizten, sowie die schnelle Abnahme der Hubhöhe bei hochgradig er- müdeten tetanisirten Muskeln ? kann, wie schon oben (8. 22) erwähnt, ebenfalls den Anfang der nn mit einer verschiedenartig ge- stalteten Kuppe versehen. Die nächste Figur (19) zeigt den durch Contractionsgeschwindigkeit der zwei Kaninchenmuskelarten bedingten Unterschied in der Form der Tetanuseurven. Fig. 19. Weisser (untere Curve) und rother (obere Curve) Kaninehenmuskel mittels des Klangstabes durch 2600 Inductionswechselströme gereizt. Rotationsgeschwindigkeit des Cylindermantels: 50 Mm. in 1 Sec. Dem steilen Aufstieg der Tetanuscurve des weissen Muskels ent- sprechend zeigt sich die Wurfhöhe und auch die folgende elastische Nachschwingung deutlich ausgeprägt. Am Ende des Verlaufes bemerkt man noch eine Einsenkung, hervorgebracht durch eine nochmalige schwache Erhebung. Diese rührt daher, dass der Stab noch kurz nach- tönte, nachdem die stark reibende Hand ihn verlassen und beim Berühren IA. a. O.p. 40. 2 Vergl. H. Kronecker, De ratione qua elek defatigatio ex labore eorum pendeat. Dissertatio. Berolini 1863. p. 46. 3*+ 36 Hv6Go KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: des letzten Endes (Sehwingungsbauches) ihn vorübergehend gedämpft hatte. Die (obere) Curve des rothen Muskels lässt diese Schwankung in der Intensität der Erregung nicht merken. Doch ist das träge Ge- bilde keineswegs unempfindlich gegen die schwachen und sehr frequen- ten Reize, sondern beantwortet durch stark verlängerten Tetanus die abklingende Erregung. Der gute Erfolg dieser Versuche ermuthigte uns, die Frequenz der Reize zu steigern, was beliebig durch Erhöhung der Töne (durch Ver- kürzen der Stäbe) zu erreichen war. Die ausserordentliche Empfindlich- keit der Froschnerven gestattete uns, die Inductionsrollen so weit zu “ verkleinern, dass sie denen grosser du Bois-Reymond’scher Schlitten- inductorien gleich waren und ein kurzer Stab noch weit genug heraus- ragte, dass sein freies Ende von den Reibwalzen gefasst werden konnte, Die folgende Figur (20) reproducirt eine Tetanusceurve, welche mit Hülfe des S. 7 abgebildeten „Toninducetoriums“ gewonnen war, als es 8000 Inductionsströme in 1 Sec. erzeugte. Hierzu musste dem klingenden Stabe der S. 8 angeführten Formel gemäss eine Länge von 0,641 Meter gegeben werden. Die berechnete Tonhöhe war von der durch das Gehör bestimmten nur unwesentlich (um etwa !/, Ton) verschieden. — Diese Abweichungen beruhen unzweifelhaft auf Differenzen in dem voraus- gesetzten und dem wirklichen Elasticitätscoefficienten des zu Stäben gezogenen Eisens. Es werden in Folgendem die berechneten runden Schwingungszahlen angegeben werden, weil in den höchsten Lagen die Tonbestimmung nicht immer ganz sicher ist. Fig. 20. Trieeps femoris eines kräftigen Frosches mit 60 gr. belastet, durch 8000 Inductions- wechselströme pro 1 Secunde gereizt. Diese erzeugt das „Toninductorium“, dessen eontinuirlich geriebener Stab in langdauernde Longitudinalschwingungen versetzt werden konnte. Die Verkürzungen sind auch hier, wie bei allen unseren Curven, um das Doppelte vergrössert aufgezeichnet. Rotationsgeschwindiekeit des Cylinder- mantels 15 mm in 1 Sec. Die kleinen unregelmässigen Erhebungen, welche auf der Höhe der Tetanuscurve merklich sind, entsprechen Schwankungen in der Intensität Dis GENESIS DES TETANUS. 3% des Tones. Es ist, wie schon (S. 7) erwähnt, schwer, selbst mit Hülfe der besten Reibzeuge den Ton längere Zeit völlig gleichmässig zu er- halten. Aber man überzeugt sich bei diesen Experimenten, wo man Tonempfindung mit der Erregung des motorischen Nerven zu vergleichen Gelegenheit hat, um wie Vieles das Sinnesorgan den Bewegungsorganen überlegen ist. Unterschiede in den Schwingungsamplituden, welche dem Gehöre sehr stark erscheinen, signalisirte der mittelbar hierdurch gereizte Froschmuskel nur schwach. Man konnte glauben, dass die im Tone deutlich ausgeprägten Unterschiede schon in der secundären Spirale durch theilweises Interferiren der Induetionswechselströme verwischt würden. Das Telephon hat dem Einen von uns in neuester Zeit die Möglichkeit geboten, diese Vermuthung zu widerlegen. Wenn man ein Telephon anstatt des Nerven mit der secundären Spirale des Toninduc- . toriums verbindet und in einem entfernten Zimmer an diesem Telephone horcht, während ein Gehülfe den Stab tönen lässt, so hört man nicht nur den Ton in völlig gleicher Höhe, wie ihn der Stab. selbst hören lässt, sondern man nimmt auch jede Schwankung der Tonintensität in gleicher Weise wahr, wie das den Klang unmittelbar empfindende Ohr. Nur vernimmt man bei den hier angewandten Stromstärken den ge- sammten Schallvorgang in etwas geminderter Intensität. Mit wachsender Schwingungszahl nimmt im Allgemeinen die Schall- stärke ab. Es sind diese Unterschiede durch das Gehör nicht zu be- stimmen, weil „das Ohr verschiedene Empfindlichkeit für Töne verschie- dener Höhe hat.“ ! Fig. 21. Frosch - Triceps femoris mit 60 gr. belastet, durch 12,000 Wechselströme pro 1 Sec. am „Toninductorium“ tetanisirt. Jedenfalls üben die höheren, schwächer klingenden Longitudinaltöne auch geringere Reizwirkung auf. den Froschnerven, wie dies an der Figur (21) ersichtlich ist. In beträchtlicherem Grade, als in der zuvor abgebildeten (Fig. 20) 1 Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen. 4. Aufl, Braunschweig 1877. 8.20. Anm. 38 HuGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Curve machen sich in diesem zuletzt dargestellten Tetanusverlaufe Un- regelmässigkeiten bemerklich: Höcker, welche unregelmässig wieder- kehrende Tonverstärkungen anzeigen. Diese treten besonders auf, wenn höckerige Auflagerungen von Colophonium auf den Reibflächen der Lederwalzen zu Zeiten die Reibung vermehren. Noch ausgeprägter sind auf dem nächsten Curvenbeispiele (Fig. 22) diese Schwankungen in der Intensität des Tetanus. Sie sind um so beträchtlicher, einen je grösseren Bruchtheil der geringeren Reizstärke sie darstellen. er uf u, ee eG Fig. 22. Den Frosch - Trieeps femoris reizen 22,000 Inductionswechselströme pro 1 Sec. die durck Vermittelung eines longitudinal klingenden Stabes von der Schwingungszahl 11,000 ausgelöst waren. Rotationsgeschwindigkeit eines Punetes des Cylindermantels 15 mm in 1 Sec. Bei Betrachtung dieser Curve kann wohl der Verdacht aufsteigen, ob denn wirklich die Zahl der den Muskel treffenden Reize gleich ist der Schwingungszahl des gehörten Longitudinaltones. Wir haben (wie oben erwähnt) experimentell die Voraussetzung be- stätigt, dass die Zahl der durch Längsschwingungen indueirten Wechsel- stromstösse gleich ist der Schwingungszahl des gehörten Grundtones. Je- doch haben wir auch zuvor (S. 14) ausgeführt, dass man aus der Höhe des Tones der schwingenden Unterbrechungs-Federn oder -Stimm- gabeln nicht auf die Zahl der wirksamen Reize schliessen darf. Wir hatten gezeigt, dass, wenn starke und schwache Reize abwechseln, es leicht ge- schehen kann, dass die starken beim Tetanisiren allein maassgebend sind. Es fragt sich, ob diese Fehler, welche den Vorrichtungen anhaften, die durch Stromunterbrechung reizen, auch denjenigen eigen sind, welche durch Tonschwingungen inducirte Reize auslösen. Es fällt dieses Bedenken mehr in’s Gewicht bei hohen Longitudinaltönen, als bei tiefen, weil bei gleichen Antrieben die Amplituden, und dem entsprechend die induciren- den Schwankungen der Dichte der ersteren, kleiner sind, als diejenigen der letzteren; denn es dehnt ein bestimmtes Gewicht den langen Stab um ein grösseres Stück als den kurzen. Auch ist die Beruhigungszeit um so geringer, je kleiner die Wellenlänge. Aber der für Unter- brechungsströme gewöhnliche Fall, dass die auf einander folgenden DIE GENESIS DES TETANUS. 39 Reize verschiedene (meist abwechselnd grössere und geringere) Intensitäten haben, würde bei pendelartigen Schwingungen träger Massen nur dann statt- finden, wenn die gedämpfte Bewegung ganz oder nahezu aperiodisch wird, und dabei die Zahl der Anstösse zo zahlreich, wie die zum Tone constanter Höhe gehörige Zahl der Schwingungen selbst. Dieser Fall würde sich wohl kaum bei geriebenen, longitudinal tönenden Stäben ver- wirklichen lassen. Wenn man aber das Decrement nur sehr gross setzt, so dass die Schwingungen periodisch bleiben, mit schnell abnehmender Amplitude, so würde es nur durch Anwendung von minimalen Reiz- stärken gelingen, die Hypothese zu realisiren, dass der beobachtete Tetanus zeitweise durch eine mindere als die berechnete Reizfrequenz erzeugt werde. Dann würden allerdings nur den maximalen Amplituden entsprechende Reize zur Geltung kommen. Doch dürfte schwerlich die Tonstärke gerade auf der Grenze zu halten sein. Man bemerkt bei solchen Versuchen immer, dass entweder gar kein Tetanus zu Stande kommt, oder ein deutlicher. — Allerdings geschieht es nicht selten, dass der lange Krampf, wie der Ton selbst, discontinuirlich in eine Reihe von tetanischen Contractionen sich auflöst. Aber diese Contractionen sind eben summirte, „als welche sie durch. Höhe und Dauer der Curven un- zweifelhaft charakterisirt sind.“ Es kommt wohl auch einmal vor, dass in eine Reihe solcher kurzen Tetani eine sichtlich einfache Zuckung sich einschiebt. Dann ist eben der Fall einmal getroffen, wo, vielleicht durch die gerade stockende Reibwalze, nach einer wirksamen Elon- gation die Schwingung aperiodisch abbricht. Sobald aber eine ganze Schwingung gewirkt hat: als ein Hingang und Hergang, so sind auch zwei entgegengesetzt gerichtete Inductionsstösse ausgelöst und der ge- reizte Muskel vollführt eine tetanische Contraction. Im Prineip ist es ganz gleichgültig, ob dann der Tetanus noch länger dauert. Zwei sum- mirte Zuckungen constituiren schon einen Tetanus. Wir glauben demnach gezeigt zu haben: dass die obere Grenze der Frequenz elektrischer Reize, welche den Muskel zu teta- nisiren vermögen, nahe der Grenze liegt, wo auch mitanderen (physikalischen) Rheoskopen Stromschwankungen nicht mehr wahrgenommen werden können. Zugleich ist hierdurch erwiesen, dass der Muskel Reize beant- wortet, die im Nerven in weniger als 0-00005 Sec. ihr Maximum erreichen. Damit scheinen uns auch die Bedenken gegen du Bois-Rey- mond’s „allgemeines Gesetz der Nervenerregung durch den elektrischen Strom‘‘ gehoben zu sein. Den. Ausgangspunct dieser Arbeit bildete die nach unseren Erfah- rungen unerklärliche Beobachtung von Ranvier, dass der weisse Ka- 40 H. KRONECKER U. W. STIRLING: DIE GENESIS DES TETANDS. ninchenmuskel in einer Secunde 357 Einzelzuckungen aufzuzeichnen ver- mag. Die ‘Ursache dieser Erscheinung haben wir dargelegt. Eine ähn- liche Beobachtung aber, welche Marey! an Insecten gemacht hat, lässt sich nieht durch eigenthümliche Versuchsanordnungen erklären. Marey fand, dass die gemeine Stubenfliege willkürlich 330 Flügelschläge in einer Secunde machen kann, und dass diese durch zwei Muskelgruppen: Flügelheber und -senker bewirkt werden. Hiernach musste also jede Muskelgruppe wirklich 330 mal in einer Secunde sich contrahiren und ausdehnen. Wir haben noch nicht Gelegenheit gefunden, zu untersuchen, ob die Zuckungseurve der Insectenmuskeln so überraschend kurz ist, oder ob andere Einrichtungen diesen Eindruck hervorbringen. Auch wir ver- mögen Bewegungen auszuführen, welche kürzer sind als eine einfache Zuckung, dann müssen wir den Willenstetanus des innervirten Muskels durch schnell danach eingreifende Wirkung der Antagonisten abschneiden. Das ist doppelte Mühe. Darum kann auf dem Clavier im schnellsten Tempo nur „Staccato“ gespielt werden und zwar nur kurze Zeit. Bei möglichst zwanglosen Bewegungen aber bedienen wir uns der einfachen willkürlichen Tetani, welche die ökonomisch wirthschaftende Natur durch möglichst seltene Reize entstehen lässt, so dass die Ermüdung mini- mal bleibt. 1 La machine animale. Paris 1873. p. 192 u. p. 203-—206. Nachträgliche Bemerkung. Nachdem der Druck der vorstehenden Arbeit abgeschlossen war, ist die inter- essante Abhandlung von Ch. S. Minot im Journ. of Anat. and Physiol. Vol. XII. Part. II, Jan. 1878 pp. 297—339 veröffentlicht, zu meiner Kenntniss gelangt. Die im erblühenden Institute des Prof. Bowditch sorgsam ausgeführten Ver- suche erweitern unsere Kenntnisse von der Ermüdung und Erholung tetanisirter Muskeln. Es bleibt aber die Frage nach dem Wesen des Tetanus unerörtert: in dem Maasse, dass der grösste Theil der Versuche an Muskeln angestellt war, die nach der von uns praecisirten Definition des Tetanus nicht vollkommen tetanisirt waren, indem die (einfacher Zuckung entsprechende) Anfangshöhe nicht wesentlich über- schritten wurde. Es sei mir noch erlaubt hier zu bemerken, dass die Ermüdungscurve (auch unvollkommen) tetanisirter Muskeln mit derjenigen durch gesonderte Zuckungen er- müdeter nicht vergleichbar ist, weil die von mir allein betrachteten Wurfhöhen durch Dehnungsreste wesentlich verändert werden. Uebrigens habe ich in meiner oben (S. 35) erwähnten Dissertation die eigenthümliche Abwandlung, welche die Tetanuscurven durch die Ermüdung erfahren, ähnlicher Weise wie Minot (er- läutert und durch eine facsimilirte Curventafel) illustrirt. H.K. Ueber die Vertheilung der rothen Blutscheiben im Blutstrome. Von Dr. L. von Lesser. Aus der physiologischen Anstalt zu ‚Leipzig. Cap. I. Zur Methodik. -&1. Die in den folgenden Untersuchungen wiedergegebenen Be- stimmungen des relativen Hämoglobingehaltes in verschiedenen Blut- proben wurden zum Theil nach einer spectralanalytischen Methode, zum grössten Theil nach dem ältesten der hierfür üblichen Verfahren, durch Vergleich verschieden concentrirter Blutlösungen mit dem blossen Auge ausgeführt. $ 2. Die Kenntniss der speetralanalytischen Methode verdanke ich Hrn. Professor Hugo Kronecker, der dieselbe mit dem Hrn. Maczek näher geprüft hat und der die Güte hatte, mir die Beschreibung der Methode zu gestatten. — Es kommt hierbei die Thatsache in Frage, dass von den beiden Haemoglobinstreifen im Spectrum der eine die Koehsalz- (D-)Linie um so mehr nach dem Roth zu überdeckt, je con- centrirter die Blutlösung ist. Umgekehrt weicht der Schatten des Hä- moglobinstreifens um so mehr von der D-Linie zurück, je ärmer an Hämoglobin die Blutlösung erscheint. — Für einen bestimmten Ge- halt an Blut, bez. an Haemoglobin in einer Flüssigkeit wird auch der über die D-Linie nach dem Roth zu übergreifende Theil des Haemoglo- binstreifens eine bestimmte Helligkeit und vor Allem eine bestimmte Breite haben. a) Die Versuchsanordung besteht hiernach darin, dass man in dem Spectrum einer künstlichen Lichtquelle (Gas- oder Petroleumflamme) ‘ die D-Linie durch eine Kochsalzflamme markirt und dass man zwischen 42 L. von LEssER: der Lichtquelle und dem Spalt des Spectralapparates die paralielwandigen Glaströge mit den zu untersuchenden Blutlösungen aufstellt und sie nach einander an dem Spalt vorbeischiebt. — Ueber die Bereitung der Lösungen vgl. $ 5. — Für 1°” Distanz zwischen den parallelen Wänden der Tröge ergaben 0-4°/, bis 0-6°/, Hämoglobinlösungen, etwa einer Verdünnung von 3 Th. Blut auf 100 Th. Ag. dest. entsprechend, die für den Vergleich zweier Lösungen nach einander bequemste Helligkeit und Breite des Streifens im Bereich der D-Linie (vgl. Preyer, Die Blut- krystalle. Jena, 1871. Taf. 1.b.)0-3°/, Hämoglobinlösungen sind unbrauch- bar, weil sich hier der Streifen von der D-Linie ganz zurückgezogen hat. b) Um möglichst genaue Resultate zu erzielen, muss man bei sehr engem Spalt, unter guter Abblendung des Roth und in ganz verdunkel- tem Zimmer arbeiten. Die Blutlösungen dürfen nicht trüb sein und müssen öfters mit einem Glasstabe durchgerührt werden. — Bei einer grösseren Zahl von Blutproben dient eine als „Normallösung“, am besten die voraussichtlich wasserreichste. Die anderen Proben werden sodann auf den Concentrationsgrad der Normallösung verdünnt und zwar indem man in den vor dem Schlitz aufgestellten Trog allmählich Wasser aus einer bis auf den Strich O0 jedesmal gefüllten Bürette einfliessen lässt. — Es empfiehlt sich die Blutproben um eine Spur verdünnter zu machen als die Normallösung, weil die Grenze der beginnenden Uebercompen- sation viel enger zu bestimmen ist, als diejenige bei welcher zwei Lö- sungen gleich concentrirt erscheinen (Fechner, Zlemente der Psychophysik. I. Theil. 1860. S. 71u. ff. und S. 175 u. ff.) Zwei Portionen & 25—30 einer etwa 3procentigen Lösung von Hundeblut erschienen immer noch gleich gefärbt, als zu der einen Portion 1—2°® Wasser mehr zuge- setzt worden waren. Bei einem Versuch mit Kaninchenblut wurden 3:09°/, und 3-83°/, Blutlösungen immer noch für gleich concentrirt gehal- ten. — Beim Uebercompensiren der Proben muss die Normallösung auch einmal als Vergleichslösung untersucht bez. bis zur Grenze der Ueber- compensation verdünnt werden. — Bei einer grösseren Zahl von Proben muss man für jede derselben wenigstens zwei gleichwerthige Bestimmun- gen ausführen, um über die je nach Umständen wechselnde Grösse des Beobachtungsfehlers einen Aufschluss zu gewinnen. — c) Vortheilhafter als der bisher geschilderte Vergleich zweier Blut- lösungen nach einander wäre die Beurtheilung der gleichzeitig überein- ander projieirten Blutspectren. Hierzu wird man die oben gegebene Versuchsanordnung insofern modifieiren, dass man vor dem Schlitz des Speetralapparates ein Reversionsprisma anbringt, Eine Kochsalzflamme, einen Bluttrog und einen Planspiegel stellt man direct vor den Schlitz, eine andere Kochsalzflamme, den zweiten Bluttrog und den zweiten Plan- - ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTOME. 43 spiegel in einer zu der vorigen senkrechten Ebene. Die Strahlen einer gemeinsamen Lichtquelle werden in den beiden Planspiegeln reflectirt und gehen einmal durch die Blutlösung und direct durch den Spalt; das andere Mal erleiden sie nach Durchdringung der anderen Blutlösung eine doppelte Reflexion in dem Reversionsprisma, ehe sie durch den Spalt eintreten können. Durch eine passende Aufstellung der (Petroleum-) Flamme wird man eine annähernd gleiche Helligkeit der über einander geworfenen Spectren zu erzielen suchen. d) Ein Hauptvorzug der Methode dürfte in der Möglichkeit gesucht werden, die für verschiedenen Hämoglobingehalt aufzustellende Scala auf photographischem Wege sicher fixiren zu können. Ich werde später- hin über die dahin zielenden Bemühungen zu berichten haben. $ 83. Die Bestimmung der Färbekraft zweier Blutproben mit dem unbewaffneten Auge habe ich in folgender Weise metho- disch zu gestalten mich bemüht. a) Bei Untersuchung im diffusen Tageslicht werden die schon ge- nannten parallelwandigen Tröge (1°° Distanz der beiden planparallelen Glaswände) einem Fenster gegenüber auf einer mattschwarz lackirten Tischplatte aufgestellt und an einen ebenso mattschwarzen senkrecht stehenden Schirm angelehnt. Im unteren Theil des Schirmes ist eine weisse Fläche, am besten eine Milchglasplatte eingeschoben, die als weisser Hintergrund hinter den Blutlösungen die auffallenden Licht- strahlen reflectiren soll und deren Höhe durch einen vor ihr herabzu- lassenden mattschwarzen Schieber beliebig regulirt werden kann, ent- sprechend dem Flüssigkeitsstand in den Trögen. — Der Beobachter sitzt mit dem Rücken gegen das Fenster gekehrt, so dass die in den Trögen vorhandenen Blutlösungen sich-in der Höhe seiner Augen befinden. Zur rechten Hand des Beobachters lehne ich an den Schirm den Trog mit der als „Normallösung“ vorbereiteten Blutprobe Eine auf den Trog aufgelegte Glasplatte schützt die Flüssigkeit vor Verdunstung und Ver- unreinigung. In den anderen links stehenden Trog werden nach einan- der die verschiedenen Blutproben gebracht, um darin auf den .Concen- trationsgrad der Normallösung verdünnt zu werden. Hierzu dient die mit Wasser immer wieder bis auf den Nullstrich zu füllende „Verdün- nungsbürette,“ welche der bequemeren Handhabung ihres Quetschhahns wegen rechts aufgestellt ist, während ihr Wasser durch ein horizontal verlaufendes mit der Spitze in den linken Trog eintauchendes Glasrohr nach links zu der zu verdünnenden Blutprobe geleitet wird. Während das Wasser zufliesst, rührt die linke Hand mit einem Glasstab die Flüs- sigkeit durcheinander, so dass das beobachtende Auge ununterbrochen den Verdünnungsgrad der Blutlösung controliren kann. — Um alle von 44 L. von LESssEr: der Seite kommenden Lichtreflexe, wie sie vom Fenster, von der Tisch- platte oder anderen glatten Flächen der Umgebung störend einfallen, möglichst abzublenden, stelle ich noch vor den Trögen ein ebenfalls mattschwarzes Prisma auf, mit der einen Kathetenebene parallel der Vorderseite der Tröge. — b) Auch bei diesem Verfahren empfiehlt es sich, die Verdünnung der Blutproben bis zur Uebercompensation zu treiben. Nur dürfen die untersuchten Lösungen überhaupt nicht, so stark concentrirt sein, wie bei der in $ 2 beschriebenen Methode. Lösungen von 6—8 Th. Blut auf 1000 Ag. destill. sind hier, wie wir noch sehen werden, am vor- theilhaftesten. Von den auf obigen Verdünnungsgrad annähernd ge- brachten Blutproben (s. u.) werden in der „Blutbürette‘‘ jedesmal 20°” abgemessen und in die Tröge eingelassen, um den schliesslichen Wasser- zusatz beim Vergleich mit der Normallösung zu erhalten. Aus der Zahl der zugesetzten Cubikcentimeter Wasser berechnet sich jetzt der für gleiche Färbekraft pro 1° Blut erforderliche Wasserzusatz. — Doch liefert dieser Werth keine directe Anschauung über die in einzelnen Blutproben enthaltenen Farbstoffimengen. Wir können ihn aber leicht auf den relativen procentischen Hämoglobingehalt in den einzelnen Blut- proben reduciren, auf Grund folgender einfacher Betrachtung: c) Wenn in den verschiedenen Blutproben die Gewichtseinheit Blut für gleiche Färbekraft einen verschieden grossen Wasserzusatz erfordert, so muss in den Proben mit grösserem Wasserzusatz auch ein grösserer Gehalt an Blutroth vorhanden sein. Es wird aber auch der Unterschied, den zwei Blutproben in Bezug auf ihren Farbstoffgehalt zeigen, propor- tional sein der Differenz zwischen den Wassermengen, welche zu den beiden Proben hinzugefügt worden sind. — Ist für gleiche Färbekraft zu einer Blutprobe a die Wassermenge » und zu der anderen Blutprobe b die Wassermenge w, hinzugethan worden; und setzen wir den relativen procentischen Hämoglobingehalt der Probe a=1, so wird der entprechende procentische Hämoglobingehalt der Probe ö=x grösser oder kleiner als 1 sein, je nachdem v=w, gefunden worden. — Bezeichnen wir ferner den Unterschied zwischen den procentischen Hämoglobinmengen in den beiden Blutproben mit «&, so wird nach Obigem & proportional sein w—- w, wenn w> w, und „ „ a au wenn Die entsprechenden Gleichungen heissen also: w l:2=w:w,, woraus 2=— und w l:e=w:w—w, resp. l:a=w:w, — w. ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 45 In gleicher Weise erhalten wir für: De eo md für: Ww w z=1-+erep. =1-e. d) Die Anwendung obiger Berechnung für die verschiedenen Con- trolbestimmungen ein und derselhen Blutprobe ergiebt nicht den relativen procentischen Unterschied in dem wirklichen Hämoglobingehalt, sondern die Grösse des Beobachtungsfehlers, der aus verschiedenen Ursachen unserer Methode anhängt. — Um den Durchschnittswerth des Beobachtungsfehlers und die Momente festzustellen, von denen die Grösse des Beobachtungsfehlers abhängig ist, habe ich 40, nach der hier be- schriebenen Methode zur Ausführung gelangte Versuche in chronolo- gischer Reihenfolge zusammengestellt. In Tabelle I finden sich zunächst für jeden Versuch die Maxima, die Minima und die Media verzeichnet des procentischen Gehaltes an Blut in den einzelnen auf gleiche Färbekraft gebrachten Lösungen. Daneben habe ich weiterhin die Maxima, die Minima und die Media der Beobachtungsfehler vermerkt, wie sie sich bei Vergleichung ver- schiedener gleichwerthiger Portionen ein und derselben Blutprobe mit der Normallösung ergeben haben. — Bei der Berechnung der Mittel der ersten Reihe wurden selbstverständlich alle in einem Versuch aus- geführten Vergleichsbestimmungen in Frage gezogen; bei Aufstellung der Mittel der Beobachtungsfehler durften nur die Controlbestimmungen für eine Probe Verwendung finden. Tabelle I. Narnde al = s a 2 Zahl Beobachtungsfehler Zahl der gleiche Färbekraft ge- 4“ (als Differenz der relat..proc. | der brachten Lösungen. | Einzel- | Hämoglobingeh. berechnet). | Doppel- ae, nm bestimm. ö De bestimm. Max | Min. |i.Mittel. 2 I Max. Min. i. Mittel. 14 1-60 0-80. 1-16 6 0.063 0-028 0.044 5 15 1-69|0.84| 1-25 6 0-1270-005 0.041 5 16 1-01 0-63 | 0-773 15 0-074 0.003 0-033 8 17 0-99/0-85| 0-911 12 0-045.0-008 0.023 5 18 0.62 0-.58| 0.596 15 |0-.048/0.002 0-012 8 19 1.04 0.65 | 0.744 24 0-043 0.010 0-021| 11 20 10-51/0-29| 0.378 23 0-037.0-00(0-006) 0-016| 11 21 0-76 /0-.65 | 0.697 23 0-044.0-005 0-020| 11 22 0.5210-.45 0.480) 16 0.044/0-004 0-023 Ro) 46 L. von LessEr: Na Be Er E Zahl Beobachtungsfehler Zahl er gleiche Färbekraft ge- der (als Differenz der relat proc. der brachten Lösungen. | Einzel- | Hämoglobingeh. berechnet). Doppel- Versuche. : a, bestimm. 2 Te 'bestimm. Max. | Min. i. Mittel. Max. Min. 1. Mittel. 23 [0.67 |0-47| 0.512. 20 10.041/0.005 0-014| 9 24 |0-.6010-55| 0-572| 18 0-054 0-002 0.016 9 25 [0.64|0-55| 0-595| 22 0-.085.0.00(0-009) 0.022, 11 26 |0-.60|0.44| 0.516 33 0-0330.003 0.014 17 27 [0.67 10.59| 0.624 8 0-040 0.008 10.0231 4 23 10.99|0-69| 0-856| 21 |0-03910.00(0-004) 0.020 ° 9 29 . |0-72|0-62| 0:673| 24 0-051/0-003 0-22 19 30 |0.74|0.49| 0.625 - 24 0-073 00-011 0.0221 6 31 ,0.76 10-701 0-731| 26 0-036.0-003 0-017| 13 32 [0.87|0.68| 0-761| 12 0-057.0-.00(0-013) 0-023| 5 33 /0.92|0-.75| 0.834| 29 0-.044/0.00(0-008) 0-015| 15 34 10.98|0.87| 0.912] 25 0-043 0.004 10.024| 12 35 10.77|0.69| 0.736 | 29 0-0760-005 0:025| 15 36 10.9110.78| 0.893] 26 |0.043/0.00(0-004) 0.021, 14 37 10.80 /0.54| 0.693 | 31 0-033/0-002 ı0-017| 16 38 [0.68 0-65| 0.667 | 12 0-019)0.002 ı0-010| 6 39 ,0.62|0-.57| 0-628| 22 0-0310-00(0-003) 0-010, 11 40 |0.73|0-56| 0.602| 20 0-0270-002 0-.009| 10 41 ,0.87)0.79| 0.828 6 |0.024.0-00(0-007) 0-010), 3 42 |0.78|0-69| 0.779| 18 0-052/0-003 0:020| 10 43 10.86 |0-78|0-810| 25 0-040,0-003 0-016| 13 44 [0.65 0-59| 0.618 8 0-032]0-009 0:-015| 4 49, 2.0°50 02511 0.541. 16 0-019/0-005 0.011| 8 46 |1.02/0-.99|0-988| 20 |0-.0860.00(0-.007)| 0.014| 10 47 |0.75|0-71| 0.733| 20 0-0330-003 0-.013| 11 48 |0.79|0-70| 0-.737| 24 0-030|0.00(0-002), 0-.008| 12 49 10.75|0-64|0-.676| 22 0-033 0.003 0-.013| 11 50 [0.66|0-.57|0.608| 24 0-0210-002 0-.007| 12 5l /0.85[0-69|0.757| 26 0-036.0-00(0-003) 0-017, 13 52 10-94/0-88 0.902) 24 1|0-.0410-00(0-014) 0.021| 12 53 10.76 0-61|0-.670| 26 0-032.0-00(0-003) 0.016, 18 ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 47 Nach obiger Tabelle schwankt die Grösse der Beobachtungsfehler für die Maxima zwischen 0-127 und 0.019 MOL, 3; 2 0.028 ,„ 0.000 (0.002) BO. 7 55 0.044 „ 0.007. Als Durchschnittswerthe ergeben sich aber aus allen in der Tabelle ver- zeichneten Versuchen für die Maxima = 0.044, für die Minima = 0-004 und für die Media = 0.018. | e) Unter den Einflüssen, von denen die Grösse der Beobach- tungsfehler abhängig ist, sind theils solche zu nennen, welche in äusseren Verhältnissen bei Anstellung der Versuche gegeben waren, theils solche, welche in der Prädisposition des Beobachters selbst zu suchen sind. — Zu den äusseren Einflüssen gehören diejenigen: der Uebung, der Be- leuchtung und der Concentration der untersuchten Blutlösungen, zu den inneren Einflüssen als Hauptmoment die Ermüdung. &) Der Einfluss der zunehmenden Uebung ergiebt sich deutlich bei Zusammenstellung der Versuche in chronologischer Reihenfolge, wie sie ausgeführt wurden, aber in Gruppen von je 5 resp. 10 Versuchen. Tabelle II. Durchschnittlicher Durchschnittlicher Versuche | Beobachtungsfehler. | Versuche Beobachtungsfehler. (jeö Nummern.) Max. | Min. Me a (je 10 Nummern.) De 14—18, | 0.071| 0.007. 0.030 19—23 0.042| 0.005 0.019 14— 23 0.056 | 0.006 | 0.024 24—28 0-050| 0-001 0.019 29 —33 0.052) 0.003 | 0.019 24—33 0.051), 0-002| 0.019 34— 88 0.043| 0.003 | 0.019 39—43 0.035 0.001 0.015 34—43 0-039| 0.002 | 0-017 44—48 0-030| 0.003 , 0.012 49—53 0-.033| 0.001 | 0-015 44—59 0-031| 0.002 | 0.013 Besonders deutlich zeigt sich die fortschreitende Verkleinerung der Beobachtungsfehler sowohl im Mittel, wie auch mit Rücksicht auf die Maximalwerthe bei Gruppirung zu je 10 Versuchen. — Bei der Zusam- menstellung zu je 5 Versuchen kommt, besonders für die drei letzten Gruppen, auch das Moment günstiger Beleuchtungsverhältnisse während der Sommermonate in Frage. 48 L. von L&ssEr: P) Der Einfluss der Beleuchtung wird anschaulich aus der Zu- sammenstellung der Versuche nach den Monaten, in denen sie ausgeführt wurden. Tabelle III. Monate: Nov. Dec 752 Jan3216 Febr. März Versuche: (14—15) (16—20) (21—24) (25—31) (32—33) ® ©, Maxima... 0.095 0.049 0.046 0.051 0.050 a2 Minima ... 0.016 0.005 0.004 0.008 0.000 258 | (0.008) & &| Media.... 0.042 0.021 0.018 0.020 0.019 Monate: April Mai Juni Juli August Versuche: (84) (8538) (839—45) (46—50) (51—58) » 9 Maxima... 0.043 0.043° 0.082 0.030 0.036 2252| Minima ... 0.004 0.002 0.008 0.001 0.000 Ee3 5 (0-007) & #1(Media....0-024 0.018 0.013 0.013 0.018 Am günstigsten hatten sich hiernach die Ergebnisse gestaltet in den Monaten Juni und Juli; in zweiter Linie im Mai, im Januar und im August, während, abgesehen vom- November, der December, der Februar, der März und der April offenbar schlechtere Resultate geliefert haben. y) Der Einfluss des mittleren Öoncentrationsgrades der ver- glichenen Blutlösungen ergiebt sich aus folgender Tabelle IV, in welcher die Versuche zusammengebracht sind, nach der durchschnittlichen (pro- eentischen) Verdünnung, welche alle auf gleiche Färbekraft gebrachten Blutproben in einem Versuche erfahren haben. Die Gruppirung geschah je nachdem der Concentrationsgrad der Lösungen in 100 Theilen zwi- schen 1-5°/, —0-95°/, oder 0-95°/, — 0-85°/, au Blut u. s. f. schwankte. Innerhalb der einzelnen Gruppen treten die Versuche wiederum in chro- nologischer Reihenfolge geordnet auf. 49 ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. (900°0) | | | 910°0 | 000°0°|280'0 |: "IL |STO'O |F00'0 |FE0'0 Sal 500°0 |9F0°0 | :'ML /9To'0 | £00°0 |680°0 |:'m \6T0'0 | 100'0 4500 "m on 2000 |360'0 |: Tr |E80'0 | TIO'O |S20'0 "IN wu | wI wJ uf | wı | wu | wu (800'0) | 910'0 | 0000 |7E0'0 | £8 e10'0 | 8000 |gE0'0 |.6r | (00:0) 200'0 | 200'0 |120'0 | 09 |800'0 | 000'0 |080'0 sr ST0'0 | 600'0: |280'0 | FF |ETO'0 | E0O0'0 E00 Zr | (£00'0) 600'0 | 200'0 |420'0 | OF \0T0'0 | 200°0 6100, SE ZT0'0 | 0000 |9E0'0| TE (800'0) 0T0'0 | 0000 |TE0'0 | 68 |ZT0'0 | 200'0 ‚ego'0 | ze |9T0'0 | 8000 \0F00 | Er (FTO'0) 3300 | TIO‘0 |820'0 | 08 |920'0 | S00'0 |920:0 | ce 0z0'0 | E00'0 \zso'0 | z# |Tz00| 000‘0 |TFo‘o | 23 | (200'0) (700'0) TLO'0 \200'0 ,610'0 | GH 18500 | £00'0 |050'0 | 4z |210'0 | 8000 '980'0 TE |0T0'0 | 000'0 |F30'0 | IF |Tzo'0 | 000'0 \EF0'0 | 9E (600'0) (£00'0) (00'0) #70'0 |800'0 [880'0 | 9% 220'0 | 000'0 |280'0 | <= 2200 | £00'0 TE0'0 68 STO'O 0000 E00 | ee 7200 | wo0'0 |er00 | we 7100| 0000 1980°0 | 97 5 (eT0'0) (#00'0) FL0'0 |600'0 \TF0'O | €3 |9TO'O | 2000 \F80'0 | 72 |080'0 | 000 500 | IZ E20'0 | 000'0 \z80'0 | Ze |020'0| 000'0 \6E0'0 sz |1TF0'0 | C000 122T’0 SL (900'0) 9T0'0 | 000'0 14800 | 08 |820'0 #00'0 FF00 | 25 |210'0 2000 8500 ST |T20'0 O0T0'0 E50'0 6T E00 | £00'0 20:0 | 9T €20'0 | 800'0 | suchsanordnung erwies sich als zu sehr complieirt wegen des grossen Zeitaufwandes, der für die genaue Isolirung besonders der venösen Seiten- zweige erforderlich war. 3. Einfacher gestalteten sich die Verhältnisse, als ich sowohl Carotis, wie V. jug. ext. nur durch eine kurze Wunde in der Höhe des Kehl- kopfes freilegte und hierauf zwei gewöhnliche Glascanülen, eine in die Carotis ext. dieht an ihrer Abzweigung von der Carotis int., die andere in einen grossen Nebenast der ‘V. jug. ext., dicht an seiner Mündung in den Hauptstamm, einsetzte. Durch Klemmpincetten mit gekreuzten Branchen, deren Backen vor der Kreuzung mit rechtwinkeligen Ansätzen versehen worden waren, konnte, wie beiliegendes Schema zeigt, der Blut- strom in Arterie und Vene von seiner Hauptrichtung zeitweise abge- lenkt und durch die mit Canülen versehenen Seitenzweige nach aussen in die Stöpselfläschehen geleitet werden (Fig. 4.). — In V. 17 wurden drei solche Abklemmungen nacheinander am sonst unverletzten Thiere vor- genommen und ergaben folgende Zahlen: 60 L. von L&EsseEr: Neeilyd Art. carotis Vena jugularis Abklemmung I 1.000 u? sn II | 1.035 1.007 III 0.996 1.014 woraus die Identität des Hämoglobingehaltes im Blutstrome der Carotis und demjenigen der Jugularvene ersichtlich ist. Ein gleiches Resultat ergab ein in analoger Weise an der Vorder- pfote des Hundes angestellter Ver- = — such; nur das gleichzeitig das Thier durch sechs grosse Aderlässe tödtlich verblutet wurde. Die Ent- nahme der gleichwerthigen Blutpro- ben aus Arterie und Vene geschah jedesmal 6—10 Min. nach Been- dieung des betrefienden Aderlasses. — Das unbändige Thier befand sich während des eine Stunde dauernden Versuches in Opiumnarkose. V. 20. Grosse, sehr kräftige, männliche Dogge; 19-6 Kilo Kör- pergewicht. Opiumnarkose. NUN N Se Il ANNIMMT eS Fig. 4. (hochgradige Gesammte Blutverluste in Proc. 3 (Unruhe) Anämie) (Tod) desı Korpergewe 2.2. ..0:562 31.002106 2-4 4-5 5+5 Relativer proc. ( Arteria brach. . 1:000 1-019 1-007 0930 0-956 Hämogl.-Geh. | Vena basilica . 0-986 ® ? 0-929 0-948 Section (unmittelbar nach dem Tode): starke Blutüberfüllung des rech- ten Herzens, der Hohlvenen und des Portalkreislaufes. Nach obigem Versuche vollzieht sich auch die Hämoglobinminderung, wie sie durch reichliche Aderlässe erzielt wird, in gleicher Weise so- wohl in den grossen Arterienstämmen, wie in den grossen. Venen. b) Der Vergleich des Herzblutes mit dem Carotisblut wurde eben- falls in mehreren Versuchen durchgeführt (vgl. weiter unten die Ver- suche 42, 43, 53, 68, 69) und ergab gleichfalls denselben Farbstoffgehalt in den beiden Blutarten. — Die Anführung der’ einzelnen Daten unter- lasse ich, um Wiederholungen zu vermeiden, und verweise auf die Ver- ' suchstabellen, die einem jeden der Capitel beigegeben sind. e) Auch der Hämoglobingehalt des Blutes, welches aus den Darm- venen in dem Hauptstamm der Vena portarum sich sammelt, erwies ÜBER DIE VERTHRIEUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 61 sich identisch mit demjenigen des Herzblutes und demjenigen des Caro- tisstromes — und zwar sowohl im ruhenden Thier, wie nach Blutver- lusten. Dies erhellt aus folgenden Versuchen: V. 62. Schäferhund von 18-2 Kilo Körpergewicht. Carotisbl. Herzbl. Portalbl. Carotisbl. Herzbl. Portalbl. Herzbl. — — — — —— —— u No.d.Blutpr. I II III IV V VI AVITESESV AT TTS TER® X Nach Abbinden der Milz. a 1.00 ee 0-987 A I a Herz RE ICA OS INEH. a a 10 ns en 221-002 Seeds‘. ER 02 27005952505:9908:° Me 2 5321006: 1004 . Zeit s. Beginn d. Versuches in Minuten — — 5 16) 90 100 115 125 — 140 V. 64. Neufundländer Hund von circa 22—23 Kilo Körpergewicht. (Aderlass v. 210 Cem (Aderlass v. 100 Cem (Milzexeision) aus Car. sin.) aus Car. sin.) Gesammter Blutverlust in Proc. despkürpersewasn a Del a. 3:08, rt 18°5, (Pod) Herzblut Portalblut Herzbl. Portalbl. Nummern der Blutproben . . I 11 0mt 10Y a ONE Belabazsproesjsklerzblut. 27 720, 1:00, 1:00 an... 2 20. 0.940.722 emo] GehseeBtortaderr e.20..2.02.2. 120005979... 2.2 ..0:90% Blutdruck b. Entnahme d. Blut- proben n MmHg . . .. 124 112 48 56 42 32 Wir wären hiernach zu dem Resultate gelangt, dass: der Hämoglobingehalt des Blutes im arteriellen Strome, in den grossen Venen der Extremitäten, sodann in dem Sammelrohr der Vena portarumalsauch in demrechten Herzen zu gleicher Zeit identisch ist. Mag das Thier normale Kreislaufverhältnisse zeigen, oder mögen dieselben gestört sein, mag der Hämoglobingehalt im arteriellen System steigen oder sich mindern, stets zeigt das Blut, welches aus den End- stämmen der venösen Bahn dem rechten Herzen zufliesst, dieselbe Zu- sammensetzung wie das Blut im rechten Herzen selbst und wie das- jenige, welches vom linken Herzen aus in die Verzweigungen der Aorta hineingetrieben wird. d) Wir hätten endlich den Vergleich anzustellen zwischen dem Hämoglobingehalt des Arterienstromes und demjenigen von Blut, welches verschieden lange Zeit in einem Arterienstumpf, so zu sagen, angestaut gewesen ist. — Die einschlägigen Versuche (56, 57, 58, 60 und spätere) 62 B L. von L&Esser: werden uns a. a. O. entgesentreten. Die sub No. 57 und sub No. 60 ausgeführten Versuche dienten zum Vergleich von Blutproben, die aus dem . Blutstrome mit Zwischenpausen von je 15—20 Min. entnommen wurden und solchen Proben, die als Stauungsblut entweder in gleich langen Intervallen nach jeder (fliessenden) Blutprobe, also z. B. stets 5 Min. später, oder solchen, die in verschieden langen Intervallen, (nach je 2—3, 5, 10, 15, 15, 10, 5 und 2 Min.) nach der betreffenden (fliessenden) Blutprobe gewonnen wurden. Als Beispiel folst: Versuch 60. Grosse Neufundländer Hündin. Hat zu V. 56 ge- dient (s. u.) und dabei ea. 0:9°/, des Körpergewichts an Blut verloren. Körpergewicht beträgt jetzt etwa 22 Kilo. — Vollkommene Munterkeit, grosse Fresslust; Wunde der (im früheren Versuch eröffneten) Carotis sin. übergranulirt. Blosslegung der Carotis dextr., Einbinden zweier Strom- uhreanülen. In Zwischenpausen von je 15 Min. Entnahme von sechs Proben aus dem PBlutstrom mit Hilfe der bekannten U-Röhren. — Fünf Minuten nach jeder Probe Entnahme einer zweiten Probe fünf Minuten lang im centralen Carotisstumpf gestauten Blutes. — Hund bleibt am Leben. Relat. ffliessendes Blut 1°00...1-028...0:993...0-993...1°006....0-990 .... proc. Jgestautes Blut ... 1.029... 1.002... 1.027... 11-011. ..1-00°... 17-014 Hmeh. (1-00)1 (0-975) ° (1-001) (0-984) (0-972) (0-986) Pausen zwischen zwei Proben aus d. fliess. - Blute in Minuten. 22. v2 aan, ID at Dee Pausen zwisch. je einer fliessenden u. ein. ge- Stauten Proben Mina 22 Nehme De DR Zeit seit Beginn des Versuch. b. Entnahme jeder Probe nMin.. — 5 15 20 30 835 45 50 60 6 7 80 Die Identität des Hämoglobingehaltes in Proben, die aus dem Ar- terienstrom entnommen werden, mit solchen, die man aus einem ver- schieden lange verschlossen gewesenen Arterienstumpf gewinnt, weist da- rauf hin, dass die Bedingungen der Mischung in dem durch ein elasti- sches Gefässrohr strömenden Blute dieselben sein müssen, wie in dem Blute, welches in seiner Fortbewegung vom Herzen nach den Capillaren durch eine Ligatur des Arterienrohres gehindert ist. So lange eben die Vitalität des ligirten Gefässstumpfes nicht leidet, so lange also keine ! Die einseklammerten Zahlen beziehen sich auf den für die „gestauten“ Proben als 1 gesetzten rel. proc. Hämoglobingehalt der Probe 2. ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BEUTSTROME. 63 Gerinnung des Blutes eintritt, dürfte die rhythmische Erweiterung der Gefässwände es sein, welche in beiden Fällen eine gleichmässige Durch- mischung des Gefässinhalts bewirkt, unabhängig von den Bewegunes- verhältnissen, unter welchen sich die arterielle Blutmasse befindet. $ 12. Wo wir daher Aenderungen im Hämoglobingehalt des arte- riellen Blutes antreffien werden, dürfen wir nach obigen Erfahrungen, die Ursachen dieser Aenderungen weder in dem pulsirenden Theil des arteriellen Kreislaufes, noch in den letzten Zuflusswegen zum rechten Herzen suchen. Trotzdem erschien eine experimentelle Beleuchtung der Frage nach der Abhängiskeit des Hämoglobingehaltes in dem ärteriellen Blutstrome von der Geschwindigkeit des letzteren um so erwünschter, als überhaupt Untersuchungen über die Vertheilung fester in strömenden Flüssigkeiten suspendirter Partikel nur in geringer Zahl vorliegen. Cap. II. Ueben die Aenderungen der Geschwindigkeit des arte- riellen Stromes einen Einfluss auf dessen Hämoglobingehalt? $ 13. Die hierhergehörigen Versuche (No. 43—48) wurden im All- gemeinen so angestellt, dass nach Einfügen von Glascanülen in beide . Carotiden die eine derselben der andauernden Blutdruckbestimmung wegen mit dem (Quecksilbermanometer, die andere mit dem zur Ge- . schwindigkeitsmessung bestimmten und bei Slavjansky (Ueber die Ab- hängigkeit der mittleren. Strömung des Blutes u. s. f. — Arbeiten der physiologischen Anstalt zu Leipzig) bereits beschriebenen Verblutungs- apparat in Verbindung gesetzt wurde. — Zwischen Verblutungsapparat und (rechte) Carotiscanüle wurde vor jedem Aderlass ein gerades, leicht entfernbares und zur Entnahme der unter verschiedener Geschwindigkeit geströmten Blutproben bestimmtes Glasrohr eingefügt. (Fig. 5—8.) $ 14. Die Geschwindigkeitsänderungen im ersten Versuch (V. 43) entsprachen den bei fortschreitendem Blutverlust eintretenden natürlichen Bedingungen (Fig.5). — In V. 44 wurde zwischen das Verblutungsgefäss und den Verklutungsmanometer ein S-förmiges, mit Quecksilber zum Theil gefülltes Glasrohr, mit kugelförmiger Erweiterung vor der Aus- flussspitze, eingeschaltet. Ursprünglich für Versuche über die Abhängig- keit der Harnmenge von der Harnentleerung sich entgegensetzenden Widerständen bestimmt und von M. Herrmann („Ueber den Einfluss 64 L. VON LESSER: des Blutdrucks auf die Seeretion des Harns“ ete., Wiener Sitzungsber. Bd. XLV. II. Abth. $. 342) in Anwendung gezogen, sollte es auch hier durch verschiedene Senkung seiner Längsaxe zum Horizont, ein Mittel nl | l abgeben zur Aenderung der Widerstände, unter welchen das Blut aus der Carotis hervorströmt (Fig. 6). — In mehr zuverlässiger Weise wurden die Geschwindigkeitsänderungen des Carotisstromes erreicht, als ich das Fig. 5. S-Rohr durch eine gerade Glasröhre mit einem oder zwei in demselben befindlichen Glashähnen und einem zwischen den Hähnen seitlich an- seschmolzenen Hs-Manometer ersetzte. Der eine der Hähne (Stellhahn) ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 65 lieferte durch verschiedene Stellung eine Möglichkeit, die Grösse des ‚in den Carotisstrom eingeschalteten Widerstandes und somit auch die hiervon abhängige Blutgeschwindigkeit zu ändern, während der zweite II ah IT u <ıE wien, 8 Sg I Fig. 8. Hahn (Schlusshahn) nur zum Absperren des Blutstromes diente, sobald ein Aderlass beendet werden sollte. — In V. 45, 46 und 47 war das Glasrohr mit den Hähnen peripher von dem für das Auffangen der Blut- Archiv f. A. u, Ph. 1878. Physiol. Abth. 5 66 L. von Lesser: proben bestimmten Röhrchen, in V. 48 central von letzterem, zwischen Jarotis und Röhrchen eingefügt. — Hier bei der centralen Verengerung wurde zu Ende jeder Blutung der Blutstrom entweder zuerst peripher abgesperrt — durch einen direct am peripheren Ende des Blutprobe- Röhrchens angebrachten Quetschhahn, oder zuerst central unterbrochen — durch vollständigen Schluss des „Stellhahns“. Vergleiche hierfür die beigegebenen Schemata (Fig.7u.8). Aus denselben ist ferner ersichtlich, dass von V. 46 an das Rohr, welches das Blut der Carotis in das Ver- blutungsgefäss einleitet, dicht unterhalb des verschliessenden Stöpsels, statt am Boden des Gefässes mündete. Hierdurch wurde eine Vermischung der ursprünglich im - Verblutungsgefäss vorhandenen Lösung von kohlen- saurem Natron mit dem eindringenden Blut vermieden. Es wurde so die Natronlösung klar und rein in das Verblutungsmanometer hinaus- gepresst, während das Aderlassblut nach und nach herabsinkend das Verblutungsgefäss füllte. $ 15. Die erzielten Geschwindigkeitsänderungen werden in Ver- such 45 erst bedeutender, nach Entleerung ohngefähr der halben Menge des Gesammtaderlasses. — In V. 46 und V. 47 wurden die minimalen, dem arteriellen Blutstrom zu ertheilenden Geschwindigkeiten geprüft, wobei durch Wahl recht grosser Thiere und die Kleinheit der zur Ent- nahme der einzelnen Blutproben- erforderlichen Aderlässe eine möglichst unbedeutende Verminderung der gesammten Blutmenge des Thieres er- strebt wurde. — In V. 48 endlich sollte durch plötzliche Geschwindig- keitsänderungen in positivem und in negativem Sinne, innerhalb der Aderlässe selbst, eine neue Modification eingeführt werden, zu der sich noch der oben besprochene Abschluss- des Carotisstromes nach jedem Aderlass bald peripher und bald central vom Blutproberöhrchen hinzu- gesellte. ! $ 16. Die Einzelnheiten der Geschwindigkeitsänderungen- mit den übrigen zugehörigen Daten sind auf der folgenden Tabelle VII zu- sammengestellt: 1 Zweifellos ist noch eine grosse Zahl anderer Modificationen in der Anordnung obiger Versuche denkbar. Bei den nicht unerheblichen Schwierigkeiten der Methodik, sowie bei dem beträchtlichen Zeitaufwand, den die präcise Ausführung der Versuche fordert, erschien es mir nicht statthaft, die Zahl der einschlägigen Experimente noch zu vermehren. Auch dürften die hier wiedergegebenen Versuche genügen, um auf die specielle Fragestellung unseres Capitels eine unzweideutige Antwort zu geben. ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 67 (&F LL 051 [061 "opug nz 5 I es I 2 ner h SOSSELIEPY Sp PueameMm yonıpynyg G7 Tal 03 82 N ° MONSTPUTATORON) BXayyyıy Feß°0 gF6-0 F00-1 00-1 " jeyosurgojsowegg '901d A9Arejoy FG gg zZ 20-1 0 sppprMestedıoyy sop °/, UL SSeLLOpY JIoywuresog %, Mosıodıoy pP °/,G-F = SseLapY AOWaIpQL, YyoTMoslodıoy ON 8-8 — (FF) II yousıoy "UCH-NONAPFAIET w ZJunuudsg GT [BT 2 (BAT [SET (TOT DAT oT © © © 5° © © Op na) iopyr sep ver! ven) | | 981 os | puoagpa ıı lost & lost lesı lesr Nzıı lest : : : = = > Zuepoy nz | yonapgng ee er ee en 8360 8860 7660 SIO*T 866°0 800°T 880°L T80°L '800°T 000°1 3C6°0 916°0 mn nn ug (U9Z19H '1'p sne) (u9ZIOF 'I’p sne) Re re Ve 080 re ee SSeLIOPV "TIPAL "won, UL 'MUSOSULOASINIT ° yog-Touugp ooad yeray “ "M9010dIoy sop °/, UT 'JIEPY Joguuureson) oInasıodıoy oO IL-33 — ER) I QansıoA "SOWOASINIT SOP YONSIPUTMYISOH AOUSPOTUISIHA TAN SONUIT ATELIER sop Aeyodurgopsourg DA PTIOAq®eL 9IL FOI—ETL FEI—FrI) FaI— Frl) 081 ("SUNZIOSNIOT) oeT (DEI—OLT) OL 081 (08I—007) “UNeg'p’Aussup -SnV WI "Ipuoylas ort j2El OL 9LL OL za jest joaı |s2t [e6T puma s- ==8 \osı Ioer IL a1 Frl ost ler \osr 26T log "yuyvulge- Ewa ea] So oe 290 BEL ze 6°9 28°3 88:0 Wagıdayasospug So ol! a 0500 9 Bo rote or aa aa) = = 2 2 Bo an "MU9S9H) 9IOTMIM 166°0 66°0 66°0 100° 800-2 ..266:072. 10:1 7 266.07 .286:0. 00:7 > == yesurgojs -OWEH 9014 'yepoy E60 08 82:0 9.07 09:0 19:0 680 650 80 60:0 * Mestedıoy 'p 2 °/o Ur TIOANIE "809 -Mosıodıoy "p %/,) = 9duowyng "dA “(uogerg we yqToIg) gypımosıadıoyy ofLy CC-zE — '(9F) AT yansıayA Zz = — Ben — = x e ws ae en ; zu 03 07 SUrzlen 0a ov 007081209 Lena DiL0" ung Daun (9 Ko an! 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("[[0904017 aypıs) (09-02) OFSIa (FF-09) 06 (001-031) (06-001) (OST-OFD) & & (081-091) & 09] Uyep (uojeayuos)'p "A -ISSnpsnV al “ıpu2J1oS 0, je ss [#6 zal j901 jert jort je81 [391 09L js21 - - opum nz een (oynaun) : < . = er = Ice le, or Im 6II Izıı lorı lorr ler \sor 821 lort - Zuguy nz E < 0 87 Ta Se0 790 820 0 28:0 98:0 9-71 0°F1I T-L "Jpumgoseg Lam a) ET) 0°0 era G:7 70 20 0 € FL #00 cH0 94-0 or 8.0 00 00 030 0 280 00 0C 60 el) or ie Wo rgot 0°6 870 27 92 921 0°E3 200-0 'TIEPY zur 'p 'ıygM -SuniopuoYy '"Mu9sen) 086°0 E76°0 276°0 186-0 9660 110°L 666°0 210°T FEO°L 866°0 EF0°T 00-T "yag-" [Fu 901d "Toy erde Korg ago anal alt 9-1 Fl 8%T 8S0O°T 88:0 94-0 78-0 ' " "Mosıodıoyr "P "Mostodıoy 'p °/, IE "SSELIOPV JOU9IT}POLL °/, ur oa sed) gormosıpdıoyy OT GL-8T — (EP) TA Tonsıor & 6 & & & 6 val (HI jor1 (oe jset. |ser gel \ost zer \orr ler F9L 30 RR N) Er g=or 29-7 1202 820. 88:0, a) 716°0 686°0 716°0 716°0 166°0 126°0 641.0 69°0 790 | | | | ve | ser - DD — er $| Ne) oT 1 _ - 2 | > 2. 2 2220-94311162-8 (=) |lslslsoo&l | = Ne) cs fer & | [eo SEE (e>) [e>) [10m \kaalcalco oO 5 | a > fer oa DD o {or} > | | — —| zn I—| — [o-994l136lo-35;| — |— en ka = onen oe = | | | — | — [1-00 170)0-32 | \ ee || a | — ,— 0.9 ee | | 0-9891147|1-3 : 2 ee u 1-00 28511-.020 a Wo — | — [1-017/149|1 1-011.11211-6 -f0-999|1461-4 \0-930, 55/2-76 0-996 1191-8 1-034,14311-08 | — [1-012)151l0-67] — |— NEE : 0010-394 61l3261, — | | ae me Peer "waH9 ur '[lapY "zur 'p puoayeM uopoN -ZIPULMYISISPUM ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. Tabelle VIII. (Fortsetzung.) = Relativer proc. Hämoglobingehalt, b = Blutdruck zu Anfang jedes Aderlasses, c = gesammte Aderlassmengen in 0, des Körpergewichts. Nummern der Versuche. I (43) IL (44) III (45) IV (46) V (47) a b a b|.e a b b zul VL es iR -00 "20 -30 30 50 60 20 f1-003 "50 1.018 -60] ee 1-033 1-003 1-031 0.998 1640.83 1:00 1501-0 0.33] — Tabelle IX. a = Relativer proc. Hämoglobingehalt, b = Blutdruck zu Beginn jedes Aderlasses, = Blutgeschwindigkeiten (Endgeschw.). "Mosıodıoy] Sop SOoOOoO9O909090900900°990090000090000 SOOoO "901J UI o9Sn[19A -I ayuuuuesaH) Nummern der Versuche. II zent IV VI 156 151 146 136 art D SIE Sl ash | & jur . | SS: (0) [ori fer) 0.998 ‚164112-6 "MISTOÄION. SOP VOII UL OISNLIOA -MIT opuwBsaH 12 L. von LesseEr: Tabelle IX. (Fortsetzung.) a = Relativer proc. Hämoglobingehalt, b = Blutdruck zu Beginn jedes Aderlasses, c = Blutgeschwindigkeiten (Endgeschw.). Nummern der Versuche. I OW®WwODDDRRRRR RR RAR AHA AAO SLlTe mh ee e ireR Se Mira niit Te ie iltehn jen elle Lei, enkliejlr.e- erstelle den Endgeschwindigkeiten $ 18. Aus Tabelle VIII geht hervor, dass selbst bei Geschwindig- keitsänderungen zwischen 0.2°” pro sec. und 12-6°” pro sec. der Hämoglobingehalt des Arterienblutes derselbe sein kann. Denn es war in V. 48 (Versuch VI) z. B. der rel proc. Hämo- globingehalt: 1.00 0.998 bei einem Blut- druck von: I TOLZuzEle, 164 ” In V. 44 (Versuch II) entsprach ccm 1 .2 ein rel. proc. Hämo- globingehalt: 0.943 1.004 0.934 1.000 pro Secunde: 0.9 com 1220% einer Endgeschwindigkeit bei einem Blut- druck von: Ilona 220 Lk} u ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 73 In V.45 (Versuch III) entsprach ein und derselben Endgeschwindig- keit von bei einem Blutdruck von 2.3 cm pro Sec. einmal: d. rel. proc. H.geh. 0.964 OA Tal das andere Mal: „, n 2.0934 Eyes Auch in V. 48 (Vers. VI) finden wir bei derselben Endgeschwindig- keit von bei einem Blutdruck von 0.5 em pro Sec. einmal: d. rel. proc. H.geh. 0.999 146 m Hg. das andere Mal: „, r „0.930 DDR; $ 19. Während also die Geschwindigkeiten, mit denen die Blut- proben aus der Carotis geströmt waren, keinen Einfluss hatten auf den relativen Hämoglobingehalt der Proben, tritt schon aus obigen Beispielen, noch mehr aber aus der Anordnung in Tabelle IX, die Abhängigkeit der relativen Hämoglobinprocente von den Grössen des gesammten Blut- verlustes hervor. — In gleicher Weise verhalten sich die Aenderungen des Blutdrucks, so dass eine Anordnung der Zahlen nach dem letzten Gesichtspunkte überflüssig erschien. Aber auch eine etwaige Gruppirung der Versuchsdaten nach der Gesammtdauer der einzelnen Aderlässe, erwies sich als unnöthig. Denn schon in dem der Methodik gewidmeten Cap. I hatte sich die Identität des Hämoglobingehaltes in dem verschieden lange Zeit gestauten Blute ergeben mit dem Hämoglobingehalt desjenigen Blutes, welches entweder frei nach aussen sich entleerte oder welches, so zu sagen unter normalen Verhältnissen des Kreislaufes, in den U-förmigen Röhren aufgefangen worden war. — Gewiss sind hier die Grenzen gegeben, unter denen die Bewegung des Arterienblutes überhaupt stattfindet. (Vgl. $ 11 S. 21.) $ 20. Musste nach Obigem die Reflexion der Herzimpulse in den elas- tischen Röhren des Arteriensystems, durch die hierbei innerhalb des Ge- fässinhalts sich bildenden Flüssigkeitswirbel, zur Erklärung der stetigen und gleichmässigen Mischung des Arterienblutes hinzugenommen werden, so liefern die zuletzt vorgelegten Versuche den positiven Beweis gegen die Annahme, dass Aenderungen der Geschwindigkeit des arteriellen Blutes einen directen Einfluss üben können auf die Vertheilung des rothen Farbstoffes innerhalb der Verzweigungen des Aortensystems selbst. $ 21. Wenn ferner bei Aderlässen stets zuerst ein farbstoffreicheres Blut ausflösse und ein farbstoffärmeres Blut im Gesammtorganismus dauernd zurückbliebe, so dürfte zu keiner Zeit eine spätere Blutent- leerung einen gleichen, viel weniger einen höheren Hämoglobinreichthum zeigen. Dies wiederspricht aber, wie wir weiterhin sehen werden, den wirklichen Erfahrungen. 74 L. von L&EsseEr: Cap. III. Ueber den Hämoglobingehalt im Blutstrome nach Aderlässen und während der Ruhe. $ 22. In einer früheren Reihe von Untersuchungen (vgl. Ueber die Anpassung der Gefässe an grosse Blutmengen. Arbeiten aus dem phy- siologischen Institute zu Leipzig. 1874) hatte ich Gelegenheit, mich ein- gehender mit den noch wenig aufgeklärten Ursachen der veränderten Blutmischung zu beschäftigen, sowohl bei Blutzufuhr, als auch bei Blutverlusten. $ 23. Die Verarmung des Blutes an Farbstoff nach reichlichen Aderlässen ist eine so auffällige und ohne besondere Hilfsmittel erkenn- . bare Thatsache, dass sie seit den frühesten Zeiten auch den Laien durch- aus bekannt war. — Allein die mangelhaften Kenntnisse über die Form und Function, welche dem rothen Farbstoff im Blute zukommen, er- klären vollkommen, warum man zunächst den quantitativen Aenderun- gen der Blutmasse, den Symptomen der Blutfülle und der Blutleere fast ausschliesslich die Aufmerksamkeit zuwandte. Die Erscheinungen, sei es von zufälligen Blutverlusten, oder von solchen, die man zu therapeutischen Zwecken herbeigeführt hatte, liefer- ten auch späterhin eine hinreichende theoretische Erklärung für die Ver- armung des Blutes an Farbstoff, welche Verarmung man ohne Weiteres in der Verdünnung der Blutmasse durch den beschleunigten Zufluss aus dem Lymphstrom und aus den Gewebsflüssigkeiten annehmen zu müssen glaubte. $ 24. In einer Anzahl Verblutungsversuchen bei gleichzeitiger Ab- sperrung des Lymphzuflusses durch Unterbindung der Ductus thoraciei war es (a.a. 0.) gelungen, den Nachweis zu führen, dass die Verarmung des Gesammtblutes an Farbstoff, sowie die gleichzeitige Vermehrung des Wassers in dem Blutserum nicht auf Kosten des Lymphstromes zu Stande kommen kann. $ 25. Aber auch das Bestreben, die Minderung des Farbstofigehaltes im Blute nach Aderlässen durch Eintritt von Wassermengen zu erklären, die von Seiten der Gewebe in’s- Serum, bez. in’s Blut gelangen, stösst auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten. — Einmal treten die Aenderun- gen, welche der Wassergehalt des Serums nach Blutentziehungen erfährt, sehr rasch ein und scheinen oft in einem Zeitraum von wenigen Secun- den überhaupt soweit vollendet zu sein, als es unter den gegebenen Um- ständen möglich ist. — Auch scheint die Länge der Zeit, welche zwi- ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME, 75 schen zwei aufeinander folgenden Blutentleerungen verstreicht, ohne Be- lang zu sein für die Grösse der Wasservermehrung im Blute. — Ebenso beginnen die Unterschiede zwischen den procentischen Trocknungsrück- ständen der Sera aufeinander folgender Aderlassmengen mit zunehmendem Blutverlust sich auszugleichen. War der Blutverlust über sechs Procente des Körpergewichtes hinausgegangen, so fand in dem Serum des noch von selbst ausgeflossenen Blutes, keine weitere Vermehrung des Wasser- gehaltes statt. Endlich zeigte das Serum desjenigen Blutes, welches noch nachträglich, durch Bestreichen und Drücken von Bauch, Thorax und Extremitäten aus dem verbluteten Thiere gewonnen werden konnte, sehr grosse Unregelmässigkeiten rücksichtlich seines Wassergehaltes. $ 26. Wenn aber die Verdünnung, welche die durch Aderlässe veränderte Blutmasse durch directen Wassereintritt in das Gefässsystem erfährt, bei der Verminderung des Hämoglobingehaltes nach Blutver- lusten, nicht ausser Acht gelassen werden darf, so reicht sie, wie die ausführlichen Auseinandersetzungen in der oben citirten Abhandlung aus- weisen, durchaus nicht zur vollen Erklärung der hier in Frage kommen- den Thatsachen aus. — Es erschien daher nothwendig, absehend von den Aenderungen der Blutflüssiskeit, diejenigen Verhältnisse genauer zu prüfen, welche die Vertheilung des in fester Form im Blute aufge- schwemmten Bestandtheils, welche also die Vertheilung der rothen Blut- scheiben und des an sie gefesselten Farbstoffes, sei es in den entleerten Aderlassportionen, sei es in der im Organismus restirenden Blutmenge beeinflussen. | $ 27. Die bezüglichen Versuche über den Hämoglobingehalt sowohl im arteriellen System, wie im rechten Herzen, bei ruhiger Lage des ge- fesselten Thieres und bei Aderlässen, sind in folgenden Tabellen (X, XI, XII und XIII) zusammengefasst. 76 L. von LEssErR: Tabelle X. Hämoglobingehalt des cireulirenden Blutes nach 8 Blutverluste in Procenten des Körpergewichts. 5 2 5 0.0 | 0.32 |0.33 |0.45 | 0.56 |0.67|0.83/0.88| 0.9 [0.95] 1.0 ] 1.02|1.07]1.08]1.1711.23]1.26|1.3|1.35 | 14 | 16 | 18 | 1.93 | 2.0 1-00 \ yechtes Herz (Doppelprob 19. 1.00, jrechtes Herz (Doppelproben) 2 1-00 (Art. brachialis) 1.019 1-007 i 0-986 (Vena basilica) 0-950? 1-041 [eontinuirliche Verblutung] | 41. 1-00 (aus d. Blutstrahl d. Carotis) [eontinuirliche Verblutung] 1-00 \ (rechtes Herz) 1-02 (aus d. Blutstrahl d. Carotis) 42. 1-027|vor Beginn d. Aderl. 202 u. 194mm Hg, 130 max. Blutdr. bei Ent- nahme d. Blutproben 0: er 1:00 (Carotis) 1:003 1:031 1:033 0.952) Herz | 43. max. Blutdr. z. Anf, jed. Aderl, 182 mm Hg. 172 193 189 1-00 (Carotis) en max. Blutdr. z. Anfang jeder Blutprobe 235 mm Hg. 45. 1-00 (Carotis) 1-012 1.022 0-989 0-964 0-951 max.Blutdr. 156 mm Hg. 151 150 147 162 103 1-00 (Carot.)1-04 0.998 1.034 1.017 0-999|1-011|0-996|0- 981 48. 170mmHe. 178 164 143 149 eo iz A max. Blutdr. z. Anf. jed. Blutprobe 1:00 (rechtes Herz) 0.975 (Herz) 0-928 (Herz) 0:993 0.978 0939 (Carotis sin.) m ——n Carotis sin. We Tabelle XI. Hämoglobingehalt des eirculirenden Blutes 32 Relative Proc. Hämoglobingehalt. #2 0-00 |0-075| 0-9 |0-136| 0-17 | 0-2 |0-203|0-21|0-249| 0-31 |0-325|0-329| 0-35 |0-39 |0-397] 0-46 [ Carotisblutstrom ] 46. 1:00 0.987 0.993 1:01 . Blutdr. Anfangd.Aderl. 200 mm 197 180 173 [ Carotisblutstrom ] 47. 1-00 1-02 1-027 0-994 0-971 max. Blutdr. 178 mm 174 139 136, 164 [Carotisblut] 56. 1-00 1-014 1.065 1-070| 1-058 0-994 (fliessend) (gestaut) (gestaut) (gestaut....> ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. Aderlässen zwischen 0—6°/, des Körpergewichts an Blut. 7. 3.1|2.109 | 2.26 |2.3|2.33| 2.4 |2.45 | 2.5 | 2.53 | 2.6 |2.71|2.76 | 2.8 |2.95 | 3.1| 3.16 |3.37 |3.4| 3.61] 3.74| 3.79 |3.80 |4.1| 4.2 | 4.5 4.77 | 6.5 |5.7 1.030 0-792 0-6670-856 0-961 7° mode 0-930 0:956 Tod 0:929 0.948 0-953 0-916 Tod durch Herzstich. 0-971 0-955 0:979 0°934 Tod grosse Unruhe 0-912 (rechtes Herz) 80 119 8 10 u. 10mm Ho. (grosse Schwankungen) 1.003 0.992 1-018 0-994 Tod b. 8-10), d.Kpgw. Blutverl. a (rechtes Herz) 0:983 186 ? 180 161 mm He. 154] 154) 1-004 0943. 0-934 Tod (bei 4-5%/,) 220 116 78 0-937 0-934 Tod b. 4-9 %/, d. Körpergew. an Blut 94 85 mm Ho. 0-947 0-943 0-9330 Tod b. 5-21, d. Körpergew. an Blut 102 13 55 (Unruhe) 0-905 (Herz) 0.898 (Herz) 0.832 (Herz) 09-810 Tod 0-937 (Carotis sin.) 0-827 0.839 (Herz) Carotis dextra bei Blutverlusten bis zu 1°/, des Körpergewichts an Blut. 5 u „2. 0-47|0-472|0-51|0-55|0-619]0-64| 0-65 0-69 |0-692|0-73 0-755/0-79|0-82|0-838] 0-88 | 0-9 | 1-00 0-992 1-008 1.001 0:99 0-99 0-997 186 144 172 146 136 160 mmHg. 0-991 0:974 0-974 0-989 0.974 159 176 152 150 133 mm Ho 1°050 1:00 1.00 1:043 1:02 1011 Zn ae sestaut) L. von LEssER (e.0) 15 Tabelle XII. Der Hämoglobingehalt (im rechten Herzen) bei Ruhe und bei tödtlichen Verblutungen. V. 49. <..... andauernde Fesselung .....> || Einbinden d. Verblutungscan. i.d. Car. Gesammter Aderlass in Proc. ee des"Korpergewichtse ne ee lee 0.095 0-87 1-74 2-61 3-48 4-41 5.580), unterbroch. 'Wimmern Unruhe langs. Strom Ä Relat. proc. Hämoglobingeh.. 1:00 — 1:027 1°007 0:955 1.044 1.006 1° 053° 1=20952221:.033,- 1-01 E20. PEE Zeit seit Beginn des Versuches in Minuten N 0 — 28 58 89 ET Sa a LS) Eee ae en U). ah V. 50. <..... andauernde Fesselung .....> || Einbind. d. Verbl. Canüle Gesammter Aderlasss in Proc. Pause Tod des»Korpergewichts, rn 2 ze rc 1 a en Re 0.09%, 1:15 2-05 | 3-00 4:00 45 5.15% heftige Wimmern Wimmern Wimmern Ruhe Wimmern Resp.* langs. Strom Relat. proc. Hämoglobingeh. . 1:00 0-977 0-941 0-952 0-960 0.982 1:004 1:010 1-032 1-017 0-932 0.909 SE oe IRRE Zeit seit Beginn des Versuches ine Ninntenee sr 0 — 30 60 80 1005 Sl ee Me AO re er * seringer Lufteintritt in V. jug. Vs Einbind. d. Verbl. Canüle - Pause Tod Gesammter Aderlass in Proc. > (10M.) despKiöörperzewichis 2.20. ee Sr ee ae 0-0%, 0-94 1.89 | 2:88 3-38 4-43 58%) ö Kopf losgebunden (Kopf gebundene. a werte ee) Unruhe Schnarch. Wimmern Schnarch. Relat. proc. Hämoglobingeh. . 1:00 1-01 0.952 0-929 0-908 0-891 0:963 0.947 0:967 0-907 0-906 0-913 0-843 et (1:00)* (0-983) (1:003) (0942) (0-941) (0-948) (0-875) Zeit seit Beginn des Versuches ineMinutenee ss ar 0 2 29 49 69 890.2, 109er A EA) * Auf.d. erste Br vor a. ln : 1:00 berechnet. 79 ERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. [7 ÜBER DIE V (gu24Ss95) FIO-T 00°T TIO-L 120-1 200-1 650-T (4ne4s95) (puossary) 066-0 900-T 866-0 866-0 850-1 00. L(pu9ssorg) syoary) = 09 "A (68 °A 'S) UOqor] we Yaroyd #760 106-0 170-7 900-11020-T 00-7 Punuarmuos ao IT ne SCHEN KEZIRTEEN) 806-0 #F96-0 086-0 c86:0 #660 126-0 00-T (4184895) yayq (puossomy) 76-0 616-0 886-0 016-0 #760 986-0 996-0 00- T(pu9ssorg) -sYo1e) DIEEN SD (O)RICEN) Er OLE DO) = WE) 6) (H) 'MIgSYorZ = 9 896-0 816-0 sTO-TIETO-L 020-1:.180:TL 8E0-L L00-I gI0-T 66-0 166-0 00-7 "Migqzoy = H N „686-0 116-0 draddoy ) 866-0 666-0 210-1 08 oT Zn gzterg ; SEN 2 266-0 600-L 00-.7° ° * apgzaof "9 '’A o«1lsgtlosıLsTrlorıl £ B e 9 a en aonkaunen (8T6-0 2188-0 876-0 166-0 86-0 886-0 286-0 TO-T 00-T 'w 68 ‚pungqlow doIyL ‘uasunsamaqyaaIg [eguozuıoyg asessem aurog woy aurag ‘YQoTMoSIodıoy ofLM 03 punyaozeyog dayıy (31814) (OTLSIA) 79 99 sıI 65L 6< rG 84 79 001 96 79 9L I9EL sel A 0S0THTITETOEgEOIIE OLCE 8 e9 9 7 7 08JE 75 RE 09 RE a 0) uowwoyipoa ,(sydoy snorowıogg sngong P 9SBy2OH YORU sap adtualıap oyeds epunyg “/ıL : pun 0pwNIoJd POL) . . . . . 08 cH ° . . OD . 08 8 . . . D D 02 gg . . 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Fre ei; . . . . . . . eo ® . (d) o]foA uroyl Bo . De ee Ense le ee = & &L 9 SE r 1 08 ui ERGEBEN odesse m SSN]UOSqY Aoyng angesipeplog eh ypoy out Jop SSHTYOS 0A "LE : None) opamına SEL-TL FLI-T , 290-T 8L°-1 d E0-T nz 'aoyy snyonq 0L6:0 S00-T 916-0 906-0 686-0 00-T 'V Ayos a9ıqL, (angeSıpejtog 0A (eMoA'p "uyeo yaeu (o3e] "WI)nzsnyonq 'WEg) ne snyonaq OLEJUOZLIOU) IIESSENL "SNOTIBIOUF SUIONA sOp Sunpunpy asouaA Hp mn nyestg — 'Iy9Imooı1odıoyy of C9.) uoA puny 94 L. von Lesser: wege zwischen dem Portalkreislauf und dem System der Hohlvenen in Betracht. ! 2° Entsprechend dem Absinken des arteriellen Druckes nimmt auch der Hämoglobingehalt im cireulirenden Blute bald rascher, bald lang- samer ab. Die procentische Abnahme scheint nach der Pfortaderligatur in einem schnelleren Verhältniss stattzufinden, als die Minderung des Druckes. Während die Hämoglobinabnahme um circa 12 bis 13 Procent nach der Rückenmarksdurchschneidung erst eintrat, wenn der Blutdruck auf 40”® oder noch tiefer gesunken war, finden wir hier eine ähnliche Farbstoffverarmung des Blutes bereits bei viel höheren Drucken (vgl. Versuch 33). So fiel nach dem erstmaligen Verschluss des Pfortaderstammes In den Versuchen: XXVI XXVII XXIX XXX Der:relat. proc.;Hamo- 7772 77.2 7 Tre ee Se globingehalt von 1-00 auf: 0-996 u.0-960 0-034 u. 0-920 0.985 u.0-964 0-906 u. 0-916 (4%) 8%) (3.60%) (8-40/0) Gleichzeitiges Sinken des Blutdruckes auf: 96 u. 88mm 40 u. 20mm 7S u. 66mm 94 u. 7jmm Ursprüngliche (max.) Blutdruckhöhe: 144 118 136 142 In den Versuchen: XXXI XXXII LIX Der relat. proc. Hämo- re ee ——h—— globingehalt von 1-00 auf: 0937 0-874 u. 0-861 0:932 u. 0-933 : - (6:3%/9) (13-909) (6-79/9) Gleichzeitiges Sinken des Blutdruckes auf: 52mm 76 u. 64mm 72 u. 60mm Ursprüngliche (max.) : Blutdruckhöhe: 119 158 108 1 Die Zahl der Anastomosen zwischen den Pfortaderästen und solchen des in die V. cava sich sammelnden Venensystems ist nicht unbeträchtlich. Es existiren Communicationen im Becken im Bereiche der Hämorrhoidalvenen; auch communi- ciren Pfortaderäste durch ein vor der Wirbelsäule liegendes subperitoneales Venen- netz mit der V. cava. Ferner giebt es Verbindungen zwischen Venen des Oeso- phagus und solehen des Magens, zwischen Venen des Zwerchfells und solchen, die aus der Leber hervortreten. Endlich sind für das Pferd und mehrere Säugethiere direete Uebergangswege aus der V. porta in die V. cava behauptet worden. — Alle die genannten Verbindungswege können aus der Fötalperiode in bald grösserer, bald geringerer Zahl in das extrauterine Leben hinein persistent bleiben, oder durch pathologische Kreislaufsstörungen in der Pfortader eine bedeutende Entwickelung erlangen. — Uebrigens ist es nicht schwer, durch Einspritzen von Farbstoffllösungen in die Hauptstämme, welche von der Aorta zu den Därmen treten, die Füllung jener Verbindungsäste zu erzielen, wenn man vorher den Pfortaderstamm ver- schlossen hat. ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 95 3° Die Folgen des Pfortaderverschlusses erscheinen weniger ab- hängig von seiner Dauer, als vielmehr von individuellen, noch nicht völlig aufgeklärten Verhältnissen; a) Kräftige, grosse Hunde erholten sich unter Anwendung der Hoch- lagerung und der Auspressung von Bauch und Extremitäten bald und vollständig nach Lösung der Pfortaderligatur. Sie lieferten dann auch bei Wiederholung des Verschlusses ganz der ersten Zuschnürung analoge Resultate. So sank der relative proc. Hämoglobingehalt von 1-00 beim Versuch 33. Versuch 59 I. Verschluss auf 0874 u. 0-861 auf 0°932 u. 0-933 II. Verschluss auf 0-876 u. 0°S40 u. 0-828 u. 0-868 auf 0-942 u. 0-887 u. 0918 III. Verschluss auf 0-881 u. 0:871 b) In anderen Fällen trat nach der Wiedereröffnung der Pfortader- ligatur, trotz Anwendung der oben erwähnten Manipulationen kein nennens- werthes Steigen des Blutdruckes mehr ein. Die Thiere gingen im Gegen- theil, unter raschem Absinken des Druckes, bei kleinem frequenten Puls zu Grunde. — So starben die Thiere in V. 30 und in V. 32 nach Lö- sung des zweiten Verschlusses der Pfortader, während das Windspiel von V. 27 bereits während der erstmaligen Zuschnürung der Ligatur verschied. Aehnliche Ausgänge hat auch Tappeiner mitgetheilt. c) Nach Wiedereröffnung der Pfortaderligatur zeigten andere Thiere ein bald rascheres, bald langsameres Ansteigen des Blutdrucks, was man durch Hochlagerung des Hinterkörpers und Massage befördern konnte. Auch der Hämoglobingehalt im rechten Herzen erfuhr hierbei eine Steigerung, oft in einem unverhältnissmässig hohen Grade mit Rücksicht auf die nur mässige Erhebung des Blutdruckes. — Verschloss man die Pfortader zum zweiten und zum dritten Mal, so wurde hier die Incongruenz zwischen Blutdruck und Hämoglobingehalt noch auffallender. — Es bringt dann in einzelnen Fällen die wiederholte Ligatur weder ein bemerkenswerthes Absinken des zur Norm wiedergekehrten Blutdruckes, noch eine Aende- rung in dem bedeutend über die Norm gesteigerten Hämoglobingehalt des Blutes zu Wege. Als Beispiel sei Versuch 26 (vgl. Tabelle XVI) angeführt. — In anderen Fällen tritt zwar ein Wiederabsinken des Blutdruckes um ganz gleichwerthige Theile der ursprünglichen Höhe ein; dagegen verharrt der Hämoglobingehalt auf seinen über die Norm weit hinausgehenden Werthen, selbst wenn man die Verschlussperiode recht lang hatte andauern lassen. Letzterer Befund betrifft vorzugsweise Thiere, deren Lebensfähigkeit in rascher Abnahme begriffen war. Wir finden: 96 L. von LEssErR: e Oeffnung der Ze| S Porta nach II. Ver- Pot III. Ver- 3 dem I. Ver- schluss schluss schluss jrelat. procgHAamo-. 2m m: Neem agree zen 29. globingehalt 1:064 u. 1:036 0:984 1-057 u.1-048 1.036 u.1-052 (Er ln 112 58 u. 44 110 u.106 48 u. 44 jrelat. proc. Hämo- 30 globingehalt 1°002 u. 0°972 1-032 1273 u.1°062 1-174u.1-158 aan 130 u. 118 43 58u.63 10 u. 20 [ relat. proc. Hämo- 32.) globingehalt 1.163 1-101 u. 1-095 _ — lBlntarsek 71u.89 50 u. 40 — e $ 44. Aenderungen des Lymphzuflusses zum Blute haben keinen Einfluss auf die Modificationen, welche der Hämoglobingehalt des Blut- stromes bei Verschliessung der Pfortader erfährt. — Die hierauf bezüglichen Complieationen, wie sie durch Zubinden und durch Wiedereröfinen des Ductus thoracicus vor, bez. während der Pfortaderligatur eingeführt wurden, erschienen zur Prüfung des Einwan- des geboten, ob nicht die Abnahme der Farbstoffmenge. im Blutstrome nach Pfortaderunterbindung von einem während des letzteren Eingriffs etwa gesteigerten Lymphzuilusse zum rechten Herzen, mithin von einer directen Verdünnung der Blutmasse durch vermehrten Eintritt von Lymphe zu erklären sei. — Besonders bemerkenswerth ist an dieser Stelle der Versuch 33. Er ergab: (Versuch 39) I. Verschluss II. Verschluss III. Verschluss Ductus zu: — 0876 u. 0:840 0:881. Ductus auf: 0874 u. 0-861 0:828 u. 0:68 0.871 Das negative Resultat schliesst sich an diejenigen Versuche an, durch welche in der früheren Abhandlung (Ueber die Anpassung der Gefässe an grosse Blutmengen, u. s. w.) der verdünnende Einfluss des Lymphstromes auf die Minderung des Hämoglobingehaltes im Blute nach Aderlässen zurückgewiesen werden konnte. Anm. 1. — Es sei hier noch das negative Ergebniss eines Versuches an- gefügt, durch welchen der temporäre Abschluss des Lymphstromes in seiner Wirkung auf den Hämoglobingehalt des Blutes im rechten Herzen untersucht werden sollte. V. 31. Hund von 9.64 Kilo Körpergewicht. — Fadenschlinge um den Ductus thoracicus, an seiner Mündung in die V. jugularis. — Ent- ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 97 nahme von Blutproben bei offenem und bei zugeschnürtem Ductus. — Jedes Mal beim Lockern der Ligatur wird das freie Einfliessen der gestauten, stark fetthaltigen Lymphe in die Vene genau controllirt. Du a Duetus auf IS Relative Hämoglobin- a a Procente. 1:00 1:009 0:997 0.982 0:992 1.012 1:016 1045 Dauer der einzelnen Perioden in Minuten 45 10 38 Zeit der Entnahme der Blutproben seit Schluss bez. Oeff- nung des Ductus 35 ? 6 ? 29 ? I: } Ductus - Ductus ; zu auf Relat. Hämoglobin-Proe. 1-008 1-042 11-051 1.0322 11-069. : Verbiutung Dauer der einzelnen Perio- den in Minuten 10 36 — Zeit der Entnahme der Blutproben seit Schluss bez. Oefinung des Ductus AN N 22 ? 6 Anm. 2. — Schliesslich muss — ohne auf die Erörterung der Ursachen an dieser Stelle eingehen zu können — ein Ergebniss des Versuches 26 her- vorgehoben werden. Es ist dies die Identität der Färbekraft der gesammten, bei der raschen tödlichen Verblutung gewonnenen Blutmenge (defihr. sesammtes Aderlassblut) mit dem Farbstoffgehalte der Blutproben, welche nach der letzten definitiven Eröffnung der Portaligatur aus dem rechten Herzen des noch unverbluteten Thieres entnommen worden waren. — Wir erhielten nämlich nach definitiver Eröffnung der Pfortader im rechten Herzen den Hämeglobingehalt zu 1-261 und 1-291. — Die Färbekraft von Blutproben, die aus dem gesammten (defibrinirten) bei der tödtlichen Verblutung erhaltenen Blute entnommen waren, betrug ebenfalls 1.286 und 1.255. -ı Arxchiv f. A. u. Ph. 1878. Physio]. Abthlg. 98 L. von LEsser: Cap. VI. Hat die Absperrung des arteriellen Stromes von den unteren Extremitäten einen Einfluss auf den Hämoglobingehalt des eireulirenden Blutes? $ 45. Nach Prüfung der Veränderungen, welche der Farbstoffreich- thum des Blutstromes durch Abschluss des Pfortaderblutes erleidet, würden wir zu untersuchen haben, wie sich die Verhältnisse gestalten, wenn man den zweiten Hauptzuflussort zum Herzen verlegen, d.h. wenn man das Blut, welches aus der Körperperipherie und aus den Extremi- täten durch die Vena cava in das Herz sich ergiesst, für verschieden lange Zeit von dem kleinen Kreislauf absperren würde. — Die Unmög- lichkeit eines solchen Unternehmens ergiebt sich aber aus den zahlreichen Abfiusswegen, welche das Blut der unteren Körperhälfte, bei Verschluss der Vena cava, durch die Systeme der V.azygos und der V. hemiazygos findet. NEE $ 46. Es erschien daher gerechtfertigt, zunächst den Einfluss der Absperrung grösserer Aortenzweige oder des Aortenstammes selbst auf den Hämoglobingehalt des Blutstromes zu studiren, um so mehr, als uns über die Wirkung obiger Eingriffe auf die Aortenspannung einerseits, in den Arbeiten von Tappeiner, von Slavjansky, von von Basch Anhaltepunkte vorliegen, und andererseits die Untersuchungen vor Allem Cohnheim’süber die Aenderungen der Kreislaufsverhältnisse in längere Zeit vom Blutstrom abgesperrten Gebieten, das Auffinden neuer Gesichtspunkte auch für die Vertheilung des rothen Farbstofis im gesammten Blutstrome erwarten liessen. $ 47. Die Ausführung der einschlägigen Versuche geschah nach -» den bisher in den vorhergehenden Capiteln festgehaltenen Normen. — Durch einen Schnitt am lateralen Rande des M. quadr. lumb. sin. wurde der Zugang zur Aorta subrenalis eröffnet und nach Abstreifung des Peritoneum, die Schnur des Ligaturstäbchens um das Gefässrohr ge- führt, und zwar zwischen den Aa. renales und der Theilungsstelle der Aorta in die Aa. iliacae.e Der Bauchraum blieb so uneröffnet. — Oder es wurde durch einen Schnitt am lateralen Rande des linken geraden Bauchmuskels die Aorta direct in der Bauchhöhle aufgesucht und nach Isolirung mit der Ligatur umgeben. — Die andauernde Blutdruck- messung geschah in der einen Carotis, die Entnahme der Blutproben entweder aus dem rechten Herzen oder zur Controle gleichfalls aus dem Blutstrom der zweiten noch disponiblen Carotis (vgl. V.68 — S. u.). — Die Wirkung der Zuschnürung und der Lockerung der Aortenligatur wurde jedesmal am Cruralpuls geprüft, ebenso bei der nachfolgenden ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 99 Section die Lage der Ligatur und die Beschaffenheit des Aorteninhaltes der Untersuchung unterzogen. $ 48. Eine” Zusammenstellung der Versuche ist auf Tabelle XVII gegeben. (Siehe $. 60 u. 61.) $ 49. Obige Versuchsdaten veranlassen uns zu folgenden Betrach- tungen: 1° Der Verschluss der Aorta.subrenalis bewirkt eine Erhöhung des Blutdruckes um eirca 20—30”” He., welche unter Schwankungen wäh- rend der ganzen Dauer des Verschlusses andauert. (Vergleiche auch: Ustimowitsch, Beitr. zur Theorie der Harnabsonderung. Arbeiten der physiol. Anstalt zu Leipzig u. s. w. 1871.) — Es betrug die Blutdrucks- steigerung: Normaler I. Ver- II. Ver- Ill. Ver- Blutdruck „schluss; schluss ‚schluss? Versuch 34 162 190 188 200 5 3d 158 174 ? 170 6 170 202 194 = = 37 166 184 E— — 68 172 193 n — 2° Nach Lösung der Ligatur verharrt der Blutdruck einige Zeit auf der übernormalen Höhe, um allmählich zur Norm herabzusteigen. Dies ist der Fall, wenn der arterielle Blutstrom nur für kurze Zeiten von den Extremitäten abgesperrt worden war. — Als Beispiel sei der Ver- lauf der Blutdruckeurve in V. 34 und in V. 35 angeführt. Bei längerer Dauer des Aortenverschlusses macht sich die Neigung zum dauernden Absinken des Blutdrucks bemerkbar, welches Absinken nur durch eine jedesmalige vorübergehende Blutdrucksteigerung beim Zuziehen der Aortenligatur unterbrochen wird. — Hierher Versuch 36 und zwar: | Normaler Blutdruck = 170" 202%. — bei Verschluss I. Aorta geöffnet 1) = 136" 194" — bei Verschluss I. Norta seöfnet, 2) = 10277 127mm — bei Verschluss II. Aorta geöffnet 8) = 96m Dies stimmt überein mit den Erfahrungen Mosso’s über den Ein- fluss von unrespirirtem Blut auf das Lumen der dasselbe einschliessenden Gefässröhren. Durch Hochlagerung und kräftiges Auspressen der Beine Ä 1% L. von LESSER 100 "uonum sat = soyonstaA SOp AONTPNWWRSIH "JUNWBSSULLIOA -SINT OYALLIS 'THOY I9p "[yosaoA wıoq '89q UOSUNFINAYWUOUFY "wpesorun O34J0H } 96 Or OFL Lol I90L cor 63T Fol Frl IET 085 608 &Ll 0.7 'A d FL d 8° a Wü: ( I d 07 d Celeron) 8 One oa ar FZ . . . [3 IL . . . 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Sue orugguangEL E= — 866-0 »T0-T 1996-0 zIC0-T FIO-O #00:T 826-0 #800-L FL6-0 #556-016T0-T|166-0|,00-T "V „ OA EINIO ; 5 N — 'SIfgu9Iqns ejIoy op SSnpyosIo\ AOpuıonepuy — Iy9TM9S1odıoy? ofLM CZ Bald uoA punypsep "TaIIM I9Ss01LS[aJIML "UIWWONNZIIPITIA UIUYSN) WIIK un “UHPUTMYISIAA eOY I9p UOSSOTTTOSNZIOPOL MM y9anp sSuzzuy 9Ip “uopfoM UOYU9 Oqneı], uoA usgonmy "wonoN UA Hessen pun outag] Ip uogoyyaor yoru 9819 yDIs 449 pun eJıoy Iap Sunupog yaeu 09 Fuw Iyuıs NONIpm[gT HU9S9Ns93 ZoT me J9}T9M C6 UOA BIIOY JOU9SSOJUISI9A 19 IOPEJIOFT I9p u9uya2g Yaeu I91 x uam Oyds.oqneı], - 7a 008 EYE 08708 ce er zo ro 39 Aa ae Da 991 A d 6 q d 8 € gq d er 18 ep d OLE 9 r 9 uapungazuıa ° n ee) zn u “ YSLIF ITNUBISTIEIN.SNL ee oL Ll GG ef pungqrıow AOIUL Uogporgqum gEFE-T ITO-T 681-TSCO-T FEO-LÜTOL-T SIT-T SC0O-T 331-L W2O-T 00-L FI0-T SIO-L| — 00-7 'V mm —— mn nn? Sn, na? essen, mer) —— (sSufyPseHOY "U "9) ‘Nuozuioy ogesse (WE) (MWST) (M2) nz 9uIag ‘yoy Joe e1104 nz Jue e1ıog nz e210I aurog 2MOogI e]1og nz E1IOW „JUB BIIOV nz eJIOV “ u9po BYIOY "Ayormosıodıoy OJLM 6-4 = punyfsgypen 19Stıyelista Bar ‘IONOIq 102 L. von LESSER: gelang es jedoch meist den Blutdruck wieder zum Steigen zu bringen. So konnte in Versuch 37, als nach einem Acrtenverschluss von 55 Min. bei Eröffnung der Ligatur der Blutdruck auf nur 60”” gesunken war, durch oben genannte Manipulationen noch ein Blutdruckstand von 120”” erreicht werden. Hierbei traten periodische Blutdruckschwankungen auf in Form Traube’scher Wellen. — Doch kommen wir auf V. 37 bei Besprechung der Combination von Aortenligatur mit Pfortaderligatur noch einmal zurück. 3° Der Hämoglobingehalt des eirculirenden Blutes zeigt bei den nur unbeträchtlichen Schwankungen des Blutdrucks während eines Aorten- verschlusses nur solche Aenderungen, die theils innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler fallen, theils auch bei einfach gefesselten Thieren ebenfalls beobachtet werden. Obiges Verhältniss tritt bei kurzdauerndem Verschluss der Aorta, aber auch bei längerer Dauer desselben deutlich hervor, wenn nur das Zuziehen der Ligatur keine Unruhe des Thieres zur Folge gehabt hatte. Im letzteren Falle dagegen finden wir den Farbstoffgehalt auffallend gesteigert während jeder Wiederholung des Aortenverschlusses. Und erst bei Lockerung der Ligatur fing, mit dem Sinken des Blutdruckes, auch der Hämoglobingehalt an auf den normalen Werth herabzusteigen. — So war der Hämoglobingehalt In den Versuchen: XXXIV OO I. Verschluss 0-979 u. 0-984 0-970 u. 0-991 II. Verschluss 0986 u. 0-972 1-002 u. 0:952 III. Verschluss 1:00 u. 0952 0:974 u. 0:997 In Versuch 68, während eines 120 Minuten dauernden Aortenver- schlusses zeigten die entnommenen Blutproben folgende Färbekräfte: 0.974, 1.003, 0.978, 1-00, 1.014, 1-051 und 0.966 Das Thier blieb während des ganzen Versuches sehr ruhig. Dagegen in Versuch 36; I. Verschluss 1034 u. 1:013 (Unruhe) (Ruhe) 1:081 u. 1:072 = Ligatur auf (1) II. Verschluss 1-114 u. 1-114 (Heftige Unruhe) (Ruhe) 1:105 u. 1'016 = Ligatur auf (2) III. Verschluss 1.070 (Wimmern) Ruhe) ( 1:045 u. 1'056 = Ligatur auf (3) ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IN BLUTSTROME. 103 Auch hier, wie nach Reizungen des Halsmarkes, scheint das Ab- sinken des Blutdruckes sich viel rascher zu vollziehen, als die Rückkehr des Hämoglobinguantums auf den ursprünglichen Werth. $ 50. Einen bemerkenswerthen Effect ergab die Combination der Aortenligatur mit gleichzeitigem Verschluss der Pfortader. Zunächst vollzieht sich dem Anschein nach die Erniedrigung des Blutdruckes nach Zuziehen der Pfortaderligatur viel rascher, wenn vorher der arterielle Blutstrom in den Beinen bereits unterbrochen war. — So fiel in Ver- such 37 (Tabelle XVIN), als bei dauernd geschlossener Aortenligatur, auch die Pfortader zeitweise zugesperrt wurde, der Blutdruck bei Pfortaderverschluss I von 7 Min. Dauer, von 182?” auf 62 "9 „ 11 „ 3 ” ” ” 164 Ve 62 und 44 "" „ II „ 4 ” eb] „ 136 er) bb] 25 eh} 24 „ Das Wiedereröfinen des Pfortaderlumens hatte, so lange die Aorten- igatur verschlossen blieb, jedesmal eine deutlich bemerkbare Blutdruck- steigerung zur Folge. — Als aber nach Lockerung des Pfortaderver- schlusses auch die Ligatur der Aorta gelüftet wurde, fiel der Blutdruck rasch auf 60””, also auf einen Werth, welcher der Spannungsminderung bei Pfortaderverschluss I entsprach. Gleichzeitig hatten wir, als durch Hochlagerung der Beine und Massage der Blutdruck in die Höhe ge- trieben wurde, das Auftreten der eigenthümlichen periodischen Blut- druckschwankungen zu notiren. Zusammenfassung der bisherigen Ergebnisse. l. Die Bestimmung der Färbekraft des Blutes durch Vergleich der Proben mit dem unbewafineten Auge liefert bei entsprechender Ver- vollkommnung der Methodik ebenso gute Resultate in Bezug auf die Grenzweite der Beobachtungsfehler als die anderen Bestimmungsmethoden des relativen Hämoglobingehaltes im Blute. — Sie verdient aber den Vorzug vor anderen Methoden wegen der Leichtigkeit der Ausführung und wegen der Einfachheit der hierzu erforderlichen Mittel. II. In den Zufluss- und in den Abflusswegen des Herzens, in ‚der Aorta und deren Zweigen sowohl, wie in den Venen, welche sich in’s rechte Herz entleeren (grosse Extremitätenvenen, Stamm der Vena por- tarum) ist in gleichen Zeiten und unter gleichen Bedingungen der Hämo- globingehalt stets derselbe. 104 L. von LesseEr: Il. Durch Geschwindigkeitsänderungen des arteriellen Stro- mes, mögen dieselben durch Vermehrung der peripheren Widerstände oder durch Aenderung der Schlagzahl des Herzens bedinst sein, wird der Hämoglobingehalt des Arterienblutes nicht geändert. — Er ist derselbe in dem durch ein Arterienrohr strömenden Blute, wie in demjenigen Blute, welches in einem Arterienstumpf durch eine Ligatur abgesperrt worden ist. IV. Der Hämoglobingehalt des Blutstromes ist abhängig von sol- chen Spannungsänderungen im Gefässsystem, welche auch quantitativ den Blutzufluss zum rechten Herzen zu mindern oder zu steigern vermögen. — Untersucht wurden bisher als die Spannung und den Hämoglobin- gehalt mindernde Momente: Verblutungen, andauernde Fesselung der Thiere, Durchschneidungen des Halsmarks und der temporäre Verschluss der Pfortader. Als die Spannung und den Hämoglobingehalt erhöhende Momente kamen in Frage: spontane (?) Gefässkrämpfe, Reizungen des Rückenmarks und Auspressungen von Gefässgebieten, in denen die Cir- culation, sei es durch Arterien- oder durch Venenverschluss für verschie- den lange Zeit unterbrochen war. V. Bei Verblutungen mindert sich der Hamas nicht proportional der Menge des gesammten Blutverlustes. Er unterliegt vielmehr denselben Aenderungen, wie sie für den Blutdruck bei Ader- lässen festgestellt worden sind. — Wenn die Blutentziehung eine ge- wisse Grösse nicht überschreitet, so verharrt der Hämoglobingehalt zu- nächst auf der Norm, oder steigt selbst vorübergehend über dieselbe. — Hat aber der Blutverlust die Grenze erreicht, bei welcher die entleerte Blutmenge ohngefähr die Hälfte desjenigen Quantum beträgt, welches‘ bei tödtlicher Verblutung überhaupt gewonnen werden kann, so mindert sich der Hämoglobingehalt plötzlich, wie der Blutdruck, um bei wei- terer Depletion stetig bis auf einen mit der Lebenserhaltung unverträg- lichen Stand zu sinken. — Sehr wahrscheinlich übt die Schnelligkeit der Verblutung einen Einfluss auf’ die Grenze des gesammten Blutver- lustes, bei welcher die eben erwähnte. plötzliche Minderung des Hämo- glohingehaltes eintritt. Es dürfte auch hier die Verschiedenheit der Erresungen der Gefässnerven bei rascher und bei langsamer Verblutung in Frage kommen, wie uns eine solche aus dem entsprechenden Verlauf der Blutdruckeurven bereits bekannt ist. — VI. Bei andauernder Fesselung der Thiere in horizontaler. kückenlage verharrt der Hämoglobingehalt des Blutes auf der Norm; oder er zeigt vorübergehende Steigerungen und Minderungen. In letzterem Falle kann die Abnahme des Hämoglobingehaltes vorübergehend selbst ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 105 einen Grad erreichen, wie dieselbe sonst nur nach grösseren Blutver- lusten eintritt. VII. Durchschneidungen und Reizungen des Rückenmarks ergeben eine ähnliche Beziehung zwischen den Hämoglobinmengen im Blut- strome und den Spannungsänderungen im Aortensystem, wie bei Verblu- tungen. — Nachdem einige Zeit nach der Markdurehschneidung der Blutdruck bis auf einen gewissen Werth gesunken ist, tritt auch hier eine plötz- liche Abnahme des Farbstofigehaltes im Blutstrome ein, wie nach Ver- lust von etwa der Hälfte des überhaupt zu enden Aderlassblutes. — Auch scheinen bei Rückenmarksdurchschneidungen die Grenzen, bei welchen Blutdruck und Hämoglobingehalt eine für das Leben bedroh- liche Abnahme zeigen, an derselben Stelle zu liegen, wie bei tödtlichen Verblutungen. VII. Nach Unterbindung der Pfortader vollzieht sich die Ab- nahme der Hämoglobinmenge im Aortensystem verschieden rasch, je nach der Zahl und der Grösse der Collateralbahnen, welche dem Portalblut einen Ausweg in das System der Venae cavae gestatten. — Die Minderung des Hämoglobingehaltes vollzieht sich anscheinend rascher als das Ab- sinken des Blutdruckes. — Die verschiedenen Folgezustände der tempo- rären Pfortaderligatur: Erholung, Erschöpfung, Tod — dürften, ausser von der Dauer des Verschlusses, noch von gewissen, nicht ganz klaren, indi- viduellen Verhältnissen der Versuchsthiere abhängig sein. — Grosse kräftige Hunde vertragen den Eingriff, selbst bei mehrmaliger Wieder- holung, am besten. IX. Die temporäre Outer des Kreislaufes in den un- teren Extremitäten, durch Zuschnürung der Aorta subrenalis, wirkte nur dann verändernd ein auf den Hämoglobingehalt des Aortenstromes, wenn entweder reflectorische Erregungen der Gefässnerven stattfanden, oder wenn man gleichzeitig Kreislaufstörungen in anderen Gebieten, durch Auf- und Zubinden der Pfortader, eingeführt hatte. — Die Druck mindernde Eigenschaft des Pfortaderverschlusses scheint bei unterbrochener Circu- lation in den hinteren Extremitäten rascher sich geltend zu machen, als bei ungehindertem Blutstrom in den Verzweigungen der Aorta subrenalis. Das genauere Studium der qualitativen Aenderungen im strömenden Blute fügt zu den bisherigen Ergebnissen über die Beziehung zwischen Spannung und Capacität des Gefässsystems insofern ein wichtiges Moment hinzu, als hierdurch neue Aufschlüsse über den Farbstofigehalt der ver- schiedenen Gefässgebiete, sowie über das im Organismus vorhandene 106 L. von LESSER: Gesammtquantum an Blut ermöglicht werden. — Es bedarf indessen einer weiteren Prüfung auch der anderen für Spannungsänderungen im Kreislauf zu Gebote stehenden Mittel, ehe die innigere Beziehung zwi- schen Blutdruck und Hämoglobinreichthum im Aortensystem, wie sie aus den hier niedergelegten Untersuchungen hervortritt, einen Anspruch auf Gesetzmässigkeit wird machen dürfen. Hrn. Professor Ludwig und Hrm. Professor Kronecker bin ich für Kath und Unterstützung bei Ausführung obiger Untersuchungen zu srösstem Danke verpflichtet. Anhanse. Die Aenderungen des Hämoglobingehaltes im Blutstrome bei ver- schiedenen Spannungszuständen im Aortensystem ergeben selbst bei ein- facher qualitativer Schätzung bereits so deutliche Unterschiede, dass sie auch zu demonstrativen Versuchen geeignet erscheinen. — Besonders un sich zu solchen Zwecken Verblutungen oder auch Blutentnahmen bei verschlossener Pfortader wegen der Einfachheit der hierzu nothwendigen Vorbereitungen. — Da ein Abwägen der ge- sammten Blutproben zu Boten wäre, so bedient man sich mit Vortheil folgenden volumetrischen Verfahrens bei Herstellung der auf ihre Färbekraft zu vergleichenden Blutlösungen : Eine Glaspipette mit T-Hahn, die wir „Doppelpipette“ nennen wollen (Fig. 9), besitzt eine oberhalb des Hahnes befindliche kugelförmige Erweiterung (a), die auf 20cm Wasser auscalibrirt ist und „Spülpipette“ heissen soll. Unterhalb des Hahnes befindet sich ein cylindrisches An- satzstück, die „Blutpipette“ (d), welche gerade 1 = Blut fassen kann. Das freie Ende der Blutpipette ist mit einer Metallhülse versehen, die genau in eine Stromuhr- canüle passt, welche letztere man in eine grosse Arterie (Carotis) eingebunden hat. — Die Füllung der „Spül- pipette“ « mit destillirtem Wasser geschieht bei entspre- chender Hahnstellung von dem Seitenrohre (c) aus, an welches ein Kautschukrohr befestigt. wird. — Die „Doppel- ÜBER DIE VERTHEILUNG DER ROTHEN BLUTSCHEIBEN IM BLUTSTROME. 107 pipette“ dient zur Blutentnahme aus Arterien; dann setzt man sie in die genannte im Gefässrohre fixirte Stromuhrcanüle und lässt das Blut in der „Blutpipette“ bis zum Seitenrohre (c) langsam emporsteigen. Durch Verdrehung des Hahnes bleibt dann der aufgefangenene Cubik- centimeter Blut für einen Augenblick abgesperrt, bis man das freie Ende der Blutpipette in den Hals einer vorher mit 100 bis 150° Ag. destill. gefüllten Stöpselflasche gebracht hat. Jetzt stellt man die Communication zwischen Blutpipette und Spülpipette her und befördert durch Hinein- blasen in letztere nicht nur das Ausfliessen des Blutes in die Stöpsel- flasche, sondern auch das Auswaschen der Blutpipette mit den aus der Kugel (a) nachdringenden 20° Spülwasser. Das Auswaschen gelingt bei rascher Manipulation in sehr vollkommener Weise. Wir erhalten so in den Stöpselflaschen 0-8°/, bis 0:5°/, Blutlösungen. — Will man Blutproben aus dem Herzen entnehmen, so wird das freie Ende der Blutpipette durch ein Kautschukrohr mit dem Seitenschenkel des Herz- katheters verbunden. Durch Saugen am Kautschukschlauche des Seiten- rohres (c) der Doppelpipette kann man das Aufsteigen des Blutes in der Blutpipette (6) beschleunigen. — Bei kleinen Thieren wird man meistens auf den Carotisstrom angewiesen sein. Bei grösseren Thieren, oder wo bei der Versuchsanordnung der Blutdruck sehr beträchtlich sinkt, daher das Blut aus den Arterien nur in mässiger Menge und zu lang- sam hervordringt, werden wir zu dem Reservoir des rechten Herzens unsere Zuflucht nehmen müssen. — Was den Vergleich der Blutlösungen auf deren Färbekraft anlangt, so habe ich zu demonstrativen Zwecken einen kleinen Apparat zusammen- gestellt, den sich wohl auch Jeder nach Gutdünken construiren kann. — In einem länglichen Holzkasten sind, etwa in der Mitte, drei Quer- wände aus Glas hintereinander eingeschoben: eine schwarze Glasplatte als Abblendeschirm, eine Platte aus mattem Glas zur Zerstreuung des Lichtes und eine blaue Glasplatte, deren eine Fläche dem Beobachter zugekehrt ist. Dicht vor der blauen Glasplatte werden zwei parallelwandige, schmale, mit den Blutlösungen gefüllte Tröge aufgestellt. Die Distanz der Trogwandungen beträgt 1%. — Auf der entgegengesetzten Seite des Kastens hinter der schwarzen Glasplatte, in einer entsprechenden Entfernung von derselben ist eine kleine gewöhnliche Petroleumlampe mit Flachbrenner eingesetzt. — So kann der ganze Apparat bequem von Hand zu Hand herumgereicht werden. 108 L. von L&sser. Es sei mir noch eine Schlussbemerkung gestattet. Mancher der Leser wird vielleicht, besonders wenn er auf demselben Gebiete gearbeitet hat, eine Berücksichtigung der einschlägigen und so umfangreichen Literatur vermissen. — Diese Unterlassung meinerseits ist nicht die Folge eines mangelhaften Studiums der betreffenden Arbeiten oder gar einer Unterschätzung der darin niedergelesten Ergebnisse. — Um aber meine Abhandlung, die an sich umfangreicher geworden, als ich wünschte, nicht noch mehr auszudehnen, hielt ich es für dringend geboten, mich auf die möglichst knappe Darlegung nur der experimen- tellen Befunde zu beschränken. Ueber das Verhalten der Pupillen während des Schlafes nebst Bemerkungen zur Innervation der Iris, Von E. Raehlmann und L. Witkowski in Strassburg ı. E. Ueber die Pupillenenge im Schlafe. Da die Augen während des Schlafes nicht in Ruhe verharren, son- dern Bewegungserscheinungen darbieten, welche, wie die Verfasser früher! gezeigt haben, grösstentheils den Charakter der Association nicht mehr aufweisen, so lag es nahe, auch die Binnenmuskeln des Auges nach dieser Richtung hin zu untersuchen und, da die Accommodationsmusculatur der direeten objeetiven Beobachtung entzogen ist, wenigstens auf die Iris- bewegungen und ihre Beziehungen zu den im Schlafe vorkommenden Augenbewegungen näher zu achten. Bei Massenuntersuchungen, die wir in den letzten Monaten vorge- nommen haben, konnten wir uns von der vollständigen Richtigkeit der Angabe früherer Autoren überzeugen, wonach die Pupillen während des Schlafes constant eng gefunden werden. Die Pupille ist während des Schlafes stets unter mittelweit. Diese immer zu constatirende Enge der Pupille findet sich jedoch in verschieden hohen Graden vor und scheint mit der Schlaftiefe zu varliren, wenigstens konnten wir eine Abhängigkeit insofern feststellen, als bei tiefem Schlafe, wenn die untersuchten Personen gegenüber den Manipulationen am Lide behufs Oeffnung der Lidspalte vollständig reactionslos blieben und ruhig athmend dalagen, die Pupille immer sehr eng war. Meistens fand sie sich dann bis zu Stecknadelknopfgrösse und darunter verengt, so dass uns die Behauptung gerechtfertigt erscheint, dass im tiefsten Schlafe die Pupillen den höchsten physiologisch mög- 1 Ueber atypische Augenbewegungen. In diesem Archiv, Jahrg. 1877. 5. 454. 110 E. RAEHLMANN UND L. WITKOWwSKT: lichen Grad der Verengerung zeigen. Dagegen fanden sie sich im Zu- stande des Halbschlafes regelmässig weniger eng und nahm die Ver- engerung bei festerem Einschlafen mehr und mehr zu. Dabei konnten wir übrigens bei Benutzung sehr verschiedener Abend- und Nachtzeiten zu der Untersuchung keinen ganz regelmässigen Gang der Schlaftiefe, entsprechend der von Kohlschütter! gefundenen Curve constatiren, überzeugten uns vielmehr, dass häufig tiefer und flacher Schlaf in sehr unregelmässiger Weise mit einander wechseln, ohne dass sich hierfür äussere Veranlassungen immer nachweisen liessen. Aehnliches hat übri- sens Kohlschütter selbst schon gesehen. Die Pupille reagirt auf Licht im Schlafe ebenso wie im wachen Zustande. Nur ist der Reactionsausschlag bei sehr enger Pupille im tiefen Schlafe nieht leicht zu bemerken, kann aber auch dort, wenn unter Lupenvergrösserung untersucht wird, niemals entgehen. Auch die Pupille der entgegengesetzten Seite reagirt physiologisch genau con- sensuell mit der anderen. Im Zustande des Schlummers, im Halbschlafe, ist die Reaction der mässig verengten Pupille viel deutlicher und von allen Umstehenden gut zu bemerken. Auf Einwirkung sensibler Reize wird die Pupille des Schlafenden constant weiter. Bisweilen ist ein leichtes Schwanken der Pupille bei localen Rei- zungen — Kitzeln, Kneipen u. s. w. — schon am Schlafenden deutlich zu bemerken, ohne dass diese localen Reize sonst Reflexbewegungen aus- lösen. Im tiefsten Schlafe aber scheint auch diese Erweiterung auf sen- sible Einwirkungen geringer zu sein, oder sogar ganz fehlen zu können, wenigstens so starke sensible Reize zu fordern, dass zugleich mit dem Effect der Pupillenerweiterung auch das Erwachen eintritt. Erweiterungen der stark verengten Pupille finden sich aber besonders ausgesprochen dann, wenn die sensiblen Reize so stark einwirken, dass abwehrende Reflexbewegungen (Heben der Hand und des Armes, Drehen des Kopfes, Bewegungen des Lides zum Lidschlusse u. s. w.) vorkommen, und sind am stärksten, wenn nach solchen Reizeffecten ein momentanes, öfters übrigens nur unvollständiges Erwachen stattfindet. Wenn die Untersuchten nicht, was häufig vorkommt, ihre Lage beim plötzlichen Er- wachen verändern und die Augen nicht krampfhaft schliessen, sondern erstaunt den Untersuchenden anblicken, dann sieht man die Pupille in der Regel sich fast ad maximum erweitern, um sich dann langsam und allmählich wieder bis auf das physiologische Mittelmaass zu verengern. 1 Zeitschrift für rationelle Mediein. 3. Reihe. Bd. XV]. ÜBER DAS VERHALTEN DER PUPILLEN WÄHREND DES SCHLAFES U. S. w. 111 Wenn die Kinder beim Erwachen erschrecken, scheint die Erwei- terung eine ausgiebigere zu sein und die nachfolgende Verengerung lang- samer vor sich zu gehen. Ein ganz ähnliches Verhalten wie im natürlichen Schlafe zeigt die Pupille bekanntlich auch im künstlichen. So ist Pupillenenge nach Chloralhydrat-! und Morphiumgaben? ein regelmässiges und wichtiges Symptom. Namentlich aber sind die Zustände der Pupille in der Chloroformnarkose viel untersucht worden und liegt von verschiedenen Seiten die Angabe vor, dass da, wo im Anfange ein Excitations- stadium eintritt, eine diesem entsprechende Dilatation der später regelmässig fol- senden Enge vorangeht. Von einer derartigen Erweiterung ist bei dem natür- lichen Einschlafen niemals etwas zu bemerken. Die verengte Pupille, welche wir während des Schlafes antreffen, verändert ihre Grösse keineswegs, wenn die Aüıgen sich bewegen, son- dern zeigt sich von diesen Bewegungen und den dadurch vermittelten Stellungen durchaus unabhängig, in’s Besondere bleibt die be- schriebene Enge der Pupille unverändert bestehen, wenn beiderseitige oder auch einseitige Convergenzbewegungen während des Schlafes eingeleitet werden, ändert auch den Grad der Verengerung durchaus nicht, wenn diese ÜOonver- senzstellungen in Divergenzstellungen übergehen. II. Ueber die Abhängigkeit der Pupillenweite von der Convergenz. Die physiologische Weite der Pupille im wachen Zustande hängt, innerhalb gewisser Grenzen, von der jedesmaligen Convergenzstellung der Augen ab, so zwar, dass caeteris paribus die Pupille bei Parallelstellung der Augen am weitesten ist, bei Convergenzbewegung aber entsprechend enger wird.® Die Iris erfüllt bei den accommodativen Bewegungen den Zweck einer entsprechenden Blendungsvorrichtung durchaus vollkommen, so dass, wie schon die ältesten Autoren auf dem fraglichen Gebiete richtig erkannten, im Allgemeinen bei einem bestimmten Werthe von Convergenzbewegung der Augen gleichwie ein bestimmter Werth von Accommodationsspannung, so auch eine bestimmte zweckentsprechende Verengerung der Pupille gegeben ist. l Liebreich, Das Chloralhydrat, 3. Aufl. 1871, S. 103 u. s. w. 2 Doch kommen gerade beim Morphium nicht selten Unregelmässigkeiten vor, Siehe darüber Witkowski, Ueber die Morphiumwirkung (Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. VII. 1877). 3 Die Beobachtung, dass beim Nahesehen die Pupille enger wird, findet sich zuerst bei Scheiner, Oculus, p. 31. 112 E. RAEHLMANN UND L. WITKOWSKT: Diese bei Accommodation für die Nähe eintretende Pupillenverengerung wird als eine Art Mitbewegung aufgefasst und gleich wie die Accommo- dationsveränderung selbst für eng verbunden mit der stattfindenden Con- vergenzbewegung gehalten, so dass die genannten drei Faetoren, eigent- liche Accommodation, d. h. Contraetion des Ciliarmuskels, Pupillenver- engerung und Convergenzbewegung, in Folge eines einheitlich wirkenden Mechanismus, die sogenannte Accommodationsbewegung zu Stande bringen. (Hering). Es haben nun Donders, Volkmann und Helmholtz gezeigt, dass Accommodation und Convergenz insofern unabhängig von einander sind, als eine sogenannte relative Accommodations- und Convergenzbreite existirt, innerhalb welcher dieser Zusammenhang gelockert erscheint und was speciell die als Mitbewegung aufgefasste Pupillenverengerung bei accommodativen Bewegungen angeht, so hat Donders bewiesen, dass die Verengerung der Pupille messbar später eintritt und schneller vorüber- geht, als die Accommodation und also nur in gewissem Grade von dieser abhängig ist. Andererseits ist zwar durch Adamück und Woinow! gefunden worden, dass die Pupillenverengerung bei Annäherung eines fixirten Gegenstandes an das Auge proportional zur Steigerung der .Con- vergenz und bei Myopen früher eintritt, als der Gebrauch des Accommo- dationsbereiches es fordern würde, sodass die Pupillenverengerung hier- nach mit der Convergenz enger verknüpft zu sein schiene, als mit der Accommodation. Dem gegenüber liegen jedoch Untersuchungen und Ex- perimente von le Conte? vor, aus denen hervorgeht, dass die Pupillen- verengerung beim Nahesehen in gewissem Grade auch von der Conver- senzstellung unabhängig und mit dem Accommodationszustande enger ver- bunden ist. Ferner sind die in der Literatur schon zahlreich vorhandenen Fälle von isolirter Lähmung sowohl der Accommodations- als der Irismusculatur geeignet, für eine functionelle Unabhängigkeit beider Organtheile von einander zu beweisen. Endlich sind jene Bewegungsneurosen, welche an der Irismusculatur unter dem Bilde des Hippus auftreten, wobei rhythmische Erwei- terungen und Verengerungen der Pupille unabhängig von Lichteinfall und Convergenzbewegung mit einander wechseln, von der Accommodation vollkommen unabhängig, da keine Schwankung in der optischen Ein- stellung der Augen wahrnehmbar ist, welche eine wechselnde Deut- lichkeit der fixirten Gegenstände zur Folge haben müsste. 1 Archiv für Ophthalmologie. Bd. XVII. 1. S. 158. 2 Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1863. 8. 803. ÜBER DAS VERHALTEN DER PUPILLEN WÄHREND DES SCHLAFES U. Ss. w. 113 Wenn man nun diesen Thatsachen gegenüber auf eine relative Un- abhängigkeit jener beim Nahe- und Fernsehen zusammenwirkenden Fune- tionen zurückschloss, wie das Helmholtz im Sinne der empiristischen Theorie gethan hat, indem er den Zusammenhang für erworben und ein- geübt erklärte, so sind unsere oben beschriebenen Befunde geeignet, eine solche Auffassung ganz besonders zu stützen. Dagegen würde die Annahme von Donders, welche zwischen Nativisten und Empiristen dadurch zu vermitteln sucht, dass sie der Uebung der Einzelindi- viduen im Laufe der Geschlechter einen organisch modifieirenden Einfluss zuschreibt und so die angeborene Abhängigkeit der Bewegungen als Resultat der Erfahrung der Art hinstellt, mit den Beobachtungen an Schlafenden sowohl rücksichtlich der Ausenbewegungen überhaupt als auch der relativen Abhängigkeit der Irisbewegungen schwer zu vereinen sein. Der Bewegungsmechanismus, durch die Uebung der Ge- schlechter in bestimmter Form befestigt, müsste, weil die am meisten eingeübten Bewegungen auch die leichtesten sind, im Schlafe, wo die psychische Controle fehlt, um so typischer hervortreten. Bei Untersuchungen neugeborener Kinder lassen sich übrigens Verengerungen der Pupille bei gelegentlichen Convergenzbewegungen nicht mit Sicherheit nachweisen. Im Gegentheil fanden die Verfasser, dass oft bei hochgradigen Convergenzstellungen relativ sehr weite Pupillen vorhanden waren. Wenn im Schlafe dieser Zusammenhang zwischen Convergenz- Accom- modations- und Pupillenbewegung, welcher, abgesehen von den erwähnten Beschränkungen, während des wachen Zustandes beim physiologischen Sehacte so sehr fest zu sein scheint, vollständig aufgehoben ist, so liegt der Schluss nahe, dass nur der zweckmässige Sehact, welcher im Laufe des individuellen Lebens zu seiner Vollkommenheit erzogen wurde, jenen Zusammenhang vermittelt, soweit er dem Bedürfnisse entspricht und ausserhalb des Bedürfnisses der künstlichen Uebung Spielraum gestattet. Es würde also das Zusammenwirken der Iris mit der Accommodations-, bez. mit der Convergenzmusculatur ebenso auf die Beziehungen des Wil- lens zum Sehacte zurückgeführt werden müssen, wie die’ zweckmässige Coordination der Augenbewegsungen überhaupt. Allerdings könnte man einwenden, dass jene während des Schlafes auftretenden Convergenzbewegungen eben keine accommodativen Bewe- sungen im physiologischen Sinne sind und wie wir selbst früher ange- deutet haben, möglicherweise von anderen Centren, wie die gewöhnlichen Blickbewegungen, ausgehen. Allein diese Betrachtung ist nicht im Stande, unsere Schlüsse zu tangiren, so lange man, wie allgemein geschieht, die Pupillarbewegungen bei Convergenz im Hering’schen Sinne als Mitbewegung auffasst und die Stärke der Convergenzbewegung, wenn auch nur in gewissem Grade, als maassgebend für das Accommodationsquantum ansieht. Archiv f. A. u. Ph. 1878, Physiol. Abth, fe) 114 E. RAEHLMANN unD L. WITKOWSKT: III. Zur Innervation der Iris. Bekanntlich sind die Bewegungen der Iris dem direeten Einflusse des Willens entzogen. Nur indirect sind wir im Stande auf die Weite unserer Pupillen einzuwirken, und zwar durch willkürliche Vornahme der soeben besprochenen accommodativen Bewegungen. Die dabei eintre- tende Verengerung ist von den augenblicklichen Gesichtseindrücken ganz unabhängig, denn sie kommt auch noch bei vollständiger Amaurose zu Stande.. Ebenso bleibt sie, wie zuerst Robertson! nachwies, bei der mit Spinalerkrankungen zusammenhängenden Myosis erhalten, auch wenn die Reaction auf Licht verloren geht. Die Betheiligung der Accommodation bei den meisten ausgedehnteren Oculo- motoriuslähmungen spricht sehr dafür, dass dieser Nerv auch die erregenden Fasern für die accommodativen Bewegungen führt; doch konnte dies experimentell von v. Trautvetter? nur für die Vögel, nicht aber für die Säugethiere, nachgewiesen werden. Die Endglieder der nervösen Bahnen für die Accommodation verlaufen, wie Hensen und Völckers? gezeigt haben, in den Ciliarnerven. Ausser diesen accommodativen Bewegungen der Iris zeigt dieselbe eine seit alter Zeit bekannte Abhängigkeit vom Einfall des Lichtes in die Pupille. Die Pupillenverengerung auf Lichtreiz wurde von Reinhard, Brown-Sequard? u. A. bei Fischen und Amphibien auch dann noch constatirt, wenn die Verbindung des Auges mit dem Gehirn aufgehoben war, ohne dass es sicher feststeht, ob es sich hier um einen peripheren Reflex handelt, was wahrscheinlicher ist, oder ob, wie Brown-Sequard meint, das Licht direct den Muskel erregt. Dagegen kommt bei den höheren Thieren die Reaction der Pupille auf Licht stets nur auf dem Wege des Gehirnreflexes zu Stande und ist an die normale Existenz ganz bestimmter und genau bekannter Bahnen und Centren geknüpft. Von der durch Licht getroffenen Retina überträgt der Opticus den Reiz auf die vorderen Vierhügel, von wo derselbe durch den Oculomotorius auf den Sphineter iridis fortgeleitet wir. Nur in seltenen Ausnahmefällen sind nach Adamück® die pupillenverensenden Fasern dem Abducens beigemischt. 1 Edinburgh Medical Journal 1869. 2 v. Gräfe’s Archiv u. s. w., Bd. XII, 1866. 3 Experimentalstudien über die Accommodation des Auges. Kiel. i 4 Oken’s Isis, 1843, 5 Comptes rendus etc. 1847. 6 Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1870. ÜBER DAS VERHALTEN DER PUPILLEN WÄHREND DES SCHLAFES U. Ss. w. 115 Diesen verengenden Einflüssen gegenüber ist es nun schon seit langer Zeit bekannt und gegenwärtig unbestritten, dass die Pupille auch einer activen Erweiterung fähig ist, und auch darüber sind, mit Ausnahme von Grünhagen!, Anatomen und Physiologen einig, dass diese Erwei- terung von radiär in der Iris gelagerten Muskelzellen bewirkt wird, die man in ihrer Gesammtheit als Dilatator iridis bezeichnet. Durch sehr zahlreiche Versuche, deren Anfange bis in den Besinn des vorigen Jahr- hunderts zurückreichen (Pourfour du Petit im Jahre 1712) ist ferner er- wiesen, dass der Erweiterungsnerv der Sympathieus ist, und Budge,? der seine Untersuchungen zum Theil in Verbindung mit Waller an- stellte, war der Erste, der die nervösen Bahnen der Dilatation bis in das Centralorgan hinein verfolgte, wo spätere Untersuchungen von Salkowski’ im verlängerten Mark die Hauptcentralstätte derselben nachwiesen. Von dort aus laufen sie im Halsmark hinab und gehen daselbst vielleicht noch weitere gangliöse Verbindungen ein, um mit den vorderen Wurzeln- uach Cl. Bernard‘ hauptsächlich der beiden ersten Dorsalnerven, aus- zutreten und durch die Rami communicantes zum Sympathicus zu stossen. Ueber ihren weiteren Verlauf bestehen Zweifel, namentlich über ihr Verhält- niss zum Trigeminus. Jedenfalls scheint das Ganglion Gasseri dieses Nerven nach den Versuchen von Balogh5 eine nothwendige Zwischenstation für die Erregung der erweiternden Fasern zu bilden, da nach dessen Exstirpation die Pupille sehr eng und unbeweglich wird; ob aber der Nerv schon vor seinem Eintritt in dieses Ganglion, wo sympathische Fäden vom Plexus cavernosus zu ihm stossen, 6 Bewegungsfasern für die Iris enthält, ist äusserst zweifelhaft. Die Resultate der einzelnen Experi- mentatoren zeigen in dieser Beziehnng grosse und nicht vereinbare Differenzen, was bei der Schwierigkeit der betreffenden vivisectorischen Versuche, deren zahl- reiche Fehlerquellen vielfach nicht genügend gewürdigt werden, nicht zu verwun- - dern ist. Jedenfalls finden sich bei den verschiedenen Thiergattungen, vielleicht sogar bei den einzelnen Individuen derselben Gattung, sehr erhebliche Verschieden- heiten im Faserverlauf, und es ist schon desshalb nicht erlaubt, die an Thieren ge- wonnenen Resultate ohne Weiteres auf die Verhältnisse beim Menschen zu über- tragen. Ausserdem lassen gewisse Effeete der Reizung und Durchschneidung des Trigeminus, wie sich sogleich zeigen wird, noch eine ganz andere Deutung zu. 4 1 In zahlreichen Arbeiten seit 1864. — Ueb. d. Literat. s. Gradle, Movements and innervation of the Iris. Chicago Journal of nervous and mental Diseases. 2. 1875. 2 Üeber die Bewegung der Iris. Braunschweig 1855. 3 De centro Budgü eiliospinali. Dissertation. Königsberg 1867. 4 Journal de la physiologie etc. t. V. 5 Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere. Bd. VIII. 1861. 6 Henle, Nervenlehre. 1871. S. 565. 116 E. RAEHLMANN und L. WITKOWwSKIT: IV. Ueber die Reaction der Pupille auf sensible und psychische Reize. Budge gelangte zunächst zu keiner klaren Vorstellung über die Natur der Reizquellen des von ihm entdeckten Centralorgans für die Pupillenerweiterung. Bald darauf aber wies Chauveau! nach, dass dasselbe durch Reizung der hinteren Wurzeln in Thätigkeit versetzt werde, und machte Bernard (a.a. 0.) auf die ausserordentliche Empfindlichkeit der Iris für alle sensiblen Reize aufmerksam. Die dabei regelmässig sehr rasch eintretende Dilatation ist seitdem von verschie- denen, besonders französischen, Autoren, namentlich an curarisirten und narkotisirten Thieren untersucht und bestätigt worden und setzt nach Schiff und Fo&ä? ausser den normalen Verbindungen des verlängerten Marks und des Sympathicus auch das Vorhandensein der Grosshirnlappen voraus. Allerdings ist nach dem, was wir über den hemmenden Einfluss einer derartigen Operation namentlich durch die Versuche von Goltz wissen, auf das letztere negative Resultat nicht allzuviel Werth zu legen. An der verengten Pupille des chloroformirten Menschen beobachtete und beschrieb zuerst Westphal? eine. vorübergehende Erweiterung schon in Folge der leichteren Haut- und Schleimhautreize; er konnte die Er- scheinung aber nur so lange constatiren, als die Narkose einen gewissen Grad der Tiefe nicht überschritt. Auch seine Beobachtungen haben viel- fache Bestätigung gefunden. Aehnliches constatirte dann Vibert‘ nach subcutanen Morphiuminjectionen, und unsere oben berichteten Reizver- suche im natürlichen Schlafe lehren, dass die von Westphala.a. O. seäusserte Vermuthung, dass die Verhältnisse hier ganz ähnliche sein würden, der Wahrheit vollkommen entsprach. Ebenso wies die bekannte Selbstbeobachtung von E. du Bois-Reymond?° über Pupillenweite bei einer bestimmten Form der Hemikranie auf einen engen Zusammenhang dieses Phänomens mit diesem höchst schmerzhaften Leiden hin, nachdem schon früher Notta® Mydriasis in verschiedenen Fällen von Trigeminus- neuralgie constatirt hatte. Im neuralgischen Schmerzparoxysmus scheint, wie aus der neuesten Bearbeitung von Erb’ hervorgeht, bisher auf den 1 Journal de la Physiologie etec., IV. 2 D’Impartiale. 1874. 3 Virchow’s Archw u. s. w. 1863, Bd. 27. 4 Journal de Therapeutique. 1875. 5 Dies Archiv. 1860. 6 Archives generales de Medecine. 1854. ” v. Ziemssen’s Handbuch der speciellen Pathologie und Therapie. Bd. XII, 1. ÜBER DAS VERHALTEN DER PUPILLEN WÄHREND DES SCHLAFES U. Ss. w. 117 Zustand der Pupillen wenig geachtet worden zu sein. Ueber die Wir- kung der Geburtswehen in dieser Hinsicht haben wir in der letzten Zeit einige Untersuchungen gemacht und gefunden, dass gleichzeitig mit dem Beginn der Uteruscontraction die Pupille sich regel- mässig und oft sehr stark erweitert. Dass diese Erweiterung nicht allein Folge der Muskelanstrengungen (siehe unten) ist, geht daraus her- vor, dass sie sich im weiteren Verlauf der Wehe, wo die Kreissenden stark pressen und oft schreien, meist vermindert und dann einem leb- haften Spiel der Pupillen (Hippus) Platz macht. Diese Beobachtung ist inzwischen mehrfach von Hrn. Dr. Hüter (in der hiesigen geburtshülf- lichen Klinik) bestätigt worden. Jedenfalls gehört zu denjenigen sensiblen Nerven, die in dieser Weise reflecto- risch erweiternd auf die Pupille wirken, in erster Linie der Trigeminus, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass von ihm sensible Reize nicht nur durch das verlängerte Mark, sondern auch durch peripher gelegene gangliöse Apparate, namentlich das Ganglion ciliare, auf sympathische Fasern übertragen werden. Damit würde über- einstimmen, dass nach Versuchen von Schiff! Durehschneidung der zuführenden Fasern zum Gasser’schen Ganglion die Pupille des Frosches ebenso eng machte, wie die Abtragung des Ganglions selbst, wobei allerdings der jedenfalls hemmende Einfluss einer solchen Durchschneidung nicht ausser Acht zu lassen ist. Ganz, wie nach bekannten Versuchen den Gefässapparat, beeinflussen auch die Pupillenweite noch eine Reihe anderer Momente ausser den sensiblen Eindrücken. Hier- her gehören namentlich die oft als Reizmittel angewendete Asphyxie (Balogh u.A.), schnelle Veränderung des Blutgehalts der Schädelhöhle (Kussmaul2) oder des Ge- hirndrucks (Leyden?), starke Muskelanstrengungen (Vigouroux) und dergleichen mehr. Wahrscheinlich kommen mehrere dieser Umstände zusammen, um die be- kannte Erscheinung der Pupillenweite im Anfange des epileptischen Anfalles und vielleicht auch diejenige im Anfange der Wehen zu erklären. Westphal wendete neben den eigentlich sensiblen auch Rei- zungen höherer Sinnesnerven an und constatirte die Pupillenerweiterung auch wenn er den betäubten Patienten stark in das Ohr hineinschreien liess. Schon vor mehr als einem Jahrhundert aber hatte Fontana die Bemerkung gemacht, dass beim stärksten Einfall von Licht in das Auge einer Katze die Pupille sich nicht verengere, sondern vielmehr noch weiter werde, wenn man das Thier gleichzeitig in heftigen Schrecken versetzt. Dieser erweiternde Einfluss starker und plötzlicher psychischer Eindrücke ist seitdem mehrfach festgestellt worden und nach Gra- 1 Moleschott’s Untersuchungen u. s. w. Bd. X. 2 Würzburger Verhandlungen, VI. 1856. 3 Virchow’s Archiv ü.s. w. 1866. Bd. XXXVII. 4 Comptes rendus etc. 1863. 5 Dei moti dell’ wride, Lucca 1760, 118 E. RAEHLMANN unD L. WITKOWSKI: tiolet! zählt die stark erweiterte Pupille zu den sichersten Symptomen der äussersten Furcht, wie auch die bereits erwähnte Mydriasis im Beginne der Chloroformnarkose regelmässig psychischen Aufregungszuständen zu entsprechen scheint. In sehr prägnanter Weise kann man sich von dieser Wirkung psychischer Reize überzeugen, wenn man bei ophthalmosko- pischer Beleuchtung namentlich jüngerer Personen, wobei die Pupille der (nicht atropinisirten) Untersuchten regelmässig ziemlich eng ist, die- sclben plötzlich durch ein Geräusch, z. B. Klatschen in die Hände oder dergleichen erschrecken lässt; es erfolgt dabei sofort eine schnell vorübergehende Erweiterung der Pupille, selbst wenn man die Untersuchten direct in das Licht sehen lässt. Wiederholt man den Versuch, so überzeugt man sich leicht, dass der Erfole aus- bleibt, sobald die Person sich an das Geräusch gewöhnt hat und nicht mehr über dasselbe erschrickt. Der Gemüthseindruck ist also das Wesentliche bei der Erscheinung. In neuester Zeit hat der pupillenerweiternde Einfluss psychischer Erregung? auch einen direct experimentellen Beleg durch Versuche von Bochefontaine? erhalten, der bei faradischer Reizung der verschieden- sten Punkte der Grosshirnrinde von Thieren jedesmal eine sehr ener- gische Erweiterung der Pupille beobachtete. Andererseits sah Brown- Sequard* bei Cauterisationen der Rinde Pupillenenge neben anderwei- tigen sympathischen Lähmungserscheinungen. Es ist ferner eine alte klinische Erfahrung,? dass enge Pupillen im Beginne psychischer Auf- regungszustände eine starke Beeinträchtigung der corticalen Functionen bedeuten und deshalb für Merkmale von übler prognostischer Bedeutung selten müssen. Und ebenso sind von der anderen Seite die weiten Pu- pillen sehr charakteristisch für alle Zustände von sogenannter reizharer Schwäche, die in der heutigen Nervenpathologie unter verschiedenen Namen (als Nervosismus, Neurasthenie, Spinalirritation, Hysterismus u. dgl.) eine grosse Rolle spielen. Bei allen diesen Zuständen beobachtet man nicht selten gleichzeitig eine abnorme Beweglichkeit der Pupillen (Hippus), die unter den Augen des Beschauers mehrfach ihre Grösse verändert, und 1 De la physionomie et des mouvements d’expression. Paris 1855. ? Die von Budge (a. a. ©. S. 160 ff.) u. A. angeführten Beispiele von Per- sonen, die durch willkürliche Herbeiführung gewisser Vorstellungsreihen im Stande waren die Weite ihrer Pupillen zu modifieiren, beziehen sich wohl mehr auf die Betheiligung der Iris bei willkürlichen accommodativen Impulsen. 3 Archives de Physiologie. 1876. 4 Ibid. 5 Westphal im Archiv für Psychiatrie. Bd. I. S. 51. Ferner Seifert und Nasse (Zeitschrift für Psychiatrie. Bd. 10 und 25). i ÜBER DAS VERHALTEN DER PUPILLEN WÄHREND DES SCHLAFES U. Ss. w. 119 ist die Erweiterung bei solchen Zuständen gewiss nicht, wie man ge- wöhnlich annimmt, ein einfaches Lähmungssymptom, sondern ein Beweis, dass die erweiternden Centren in abnorm hohem Maasse erregbar sind, und den verschiedenen, psychischen und sensiblen, Eindrücken nicht mehr den genügenden, dem Zustande der Gesundheit entsprechenden, Wider- stand entgegensetzen. Auch hier ist nach dem richtigen Ausdruck von Schiff die Pupille das feinste Aesthesiometer für den Gemüthszustand der Patienten. Nach alledem kann wohl kein Zweifel darüber sein, dass die Pupillen- weite nicht nur vom Lichteinfall und der Accommodations- spannung abhängt, sondern ausserdem einem dritten cen- tralen Einflusse unterliegt, dessen Regulatoren die psychi- schen und sensiblen Einwirkungen der Aussenwelt bilden. Sowohl die psychischen Centren der Grosshirnrinde als auch die verschie- denen Nervenendisungen der Sinnesoberflächen befinden sich im normalen wachen Zustande stets in einer gewissen mittleren Erregung. Von Ge- hirn und Rückenmark aus strahlen ihre Einwirkungen in die Hauptcentralstätten der Medulla oblongata, werden auf sym- pathischen Bahnen auf die Iris übertragen und streben die Pupille zu erweitern. Aus diesen drei Öomponenten geht der mittlere, mehr oder weniger labile, Gleichgewichtszustand der Pupille hervor, und aus ihren sehr mannigfachen Störungen in Form von Krampf oder Lähmung lassen sich wenigstens zum grössten Theil die verschiedenen krankhaften Modificationen der Pupillenweite erklären. V, Ueber die Ursache der Pupillenenge im Schlafe. In den Erklärungsversuchen für die Pupillenenge im Schlafe lassen sich drei Hauptrichtungen unterscheiden, die man kurz als die Theorien der Mitbewegung, der Reizung und der Lähmung bezeichnen kann. Die erste, deren Begründer und Hauptvertreter Johannes Müller! war, fasste sie als Mitbewegung der gleichzeitig vorausgesetzten Convergenz- stellung auf. Nach Allem, was in der vorigen und dieser Abhandlung über das Verhalten der Augen ‚während des Schlafes gesagt ist, bedarf diese Ansicht keiner besondern Widerlegung. Nachträglich sei nur noch hervorgehoben, dass bereits vor längerer Zeit Ruete? Zweifel über die 1 Handbuch der Physiologie u. s. w. Bd. I. S. 589. 2 Ophthalmologie. II. Aufl. 97. 120 E. RAEHLMANN UND L. WITKOWSKI: Constanz der Convergenzstellung der Augen im Schlaf aussprach, ohne aber bei den späteren Physiologen Beachtung zu finden. Eine zweite Anschauungsweise, zu deren Anhängern Ernst Hein- rich Weber! und theilweise auch Budge (a.a. 0. S. 171) zählt, sieht in der engen Pupille des Schlafenden eine Reizerscheinung, die sich dem Sphinkterenverschlusse gleichstellen lässt. Doch fehlt, wie schon Budge selbst bemerkt hat, bei der Iris vollständig der veranlassende Reiz,, der den Verschluss der Blase und des Mastdarms regulirt. Ferner finden zwar, wie gerade unsere Beobachtungen über die Augenbewegungen im Schlafe gelehrt haben, motorische Reizvorgänge häufig im Gehirne des Schlafenden statt, aber einen dauernden Reizzustand anzunehmen, ist doch gar kein Grund vorhanden. Auch die Erweiterung auf jeden sen- siblen Reiz und besonders die sehr starke Erweiterung, die sofort beim Erwachen eintritt, verträgt sich ganz und gar nicht mit der Reizhypothese. Die dritte Ansicht ist die ursprüngliche gewesen. Sie wurde schon von Fontana, dem ersten Beobachter der Pupillenenge im Schlafe, ver- treten und erklärte das Phänomen aus einem lähmungsartigen Zustande der Iris während des Schlafes. Die eigentliche Ursache der Erscheinung blieb aber dabei unerklärt, und zwar selbst dann, als Ruete speciell einen lähmungsartigen Zustand des Trigeminus verantwortlich machte. Nach dem, was im vorigen Abschnitt gesagt ist, ergiebt sich aber diese veranlassende Ursache mit grosser Deutlichkeit. Die mannigfachen psychischen und sensiblen Reize, die die Pupille des Wachenden zu erweitern streben, sind im Schlafe auf ein Minimum zurückgeführt, und die Empfänglichkeit der Centren für dieselben ist erheblich gesunken. In der tiefsten Cloroformnarkose kann sie sogar vollständig aufgehoben sein, und ebenso scheinen bei sehr tiefem Schlafe wenigstens die gewöhnlichen Reize ihre Wirksamkeit einzubüssen; erst allmählich, wenn die untersuchte Person mehr ermuntert wird, erfolgt die Reaction. Die Pupille ist also im Schlafe eng, weil ihr der Reiz zur Erweiterung fehlt, und es entspricht diese Verengerung durchaus den oben erwähnten ähnlichen Zuständen bei gewissen spinalen und cerebralen Erkrankungen, wo entweder die Bahnen gestört sind, auf denen die erweiternden Reize auf die Pupille übertragen werden, oder die Centren, welche die Wirkung dieser Reize zunächst aufnehmen. Mög- licherweise reicht schon allein die stärkere Entwickelung des Sphincter iridis zur Erklärung für das Ueberwiegen seiner Wirkung in diesem Zu- stande relativer Ruhe aus; ebenso denkbar aber ist es, und nach ander- weitigen Analogien, namentlich am Gefässapparat, sogar wahrscheinlich, 1 De motu iridis. Lipsiae 1852. ÜBER DAS VERHALTEN DER PUPILLEN WÄHREND DES SCHLAFES v.s.w. 121 dass peripher gelegene gangliöse Vorrichtungen dabei mit- wirken. In diesem Sinne also müssen wir uns der ursprünglichen Ansicht Fontana’s anschliessen, wonach die enge Pupille im Schlafe einen Zustand relativer Ruhe und Passivität bedeutet, und es stimmt gewiss gut mit dieser Betrachtungsweise überein, dass sämmtliche nar- kotische Mittel, deren eigenthümliche Wirkung darin besteht, die höchsten Nervencentren frühzeitig zu lähmen, gleichzeitig die Neigung haben, Pu- pillenenge herbeizuführen. Von dieser Form der Myosis sind aber, wie nebenbei bemerkt sei, die krampf- haften Formen derselben ganz zu trennen, wie sie z. B. durch Nervenreize, wie Muscarin, oder Muskelreize, wie Physostigmin! bedingt werden. Für die Erklärung der in unserer vorigen Abhandlung beschriebenen Augen- bewegungen im Schlafe erwächst eine neue Schwierigkeit durch das Ausbleiben von Pupillenschwankungen bei diesen Bewegungen. Wenn dieselben, wie wir a. a. ©. für möglich gehalten haben, motorischen Reizvorgängen in der Grosshirnrinde ihren Ursprung verdanken, so ist nicht abzusehen, warum nicht, den Versuchen Boche- fontaine’s entsprechend, Pupillenerweiterungen gleichzeitig eintreten. Es scheint uns vor der Hand nicht möglich, diesen Widerspruch zu lösen, und es war daher die Vorsicht, mit der wir uns über die mögliche Entstehungsart der betreffenden Bewegungen geäussert haben, vollständig gerechtfertigt. Bekanntlich hat kürzlich Pflüger” bei Begründung seiner geist- vollen Theorie des Schlafes auf den Fortfall der äusseren Reize, die im wachen Zustande fortwährend das Gehirn treffen, grossen Werth gelegt, und die Versuche von Heubel?, sowie die interessante Beobachtung von Strümpell* bestätigen die Berechtigung dieser Annahme. Pflüger’s Lehre hat den grossen Vorzug, dass sie sich von der Einseitigkeit der sonstigen Schlaftheorien fern hält und sich eng an bekannte Thatsachen anschliest. Nach der vorstehend entwickelten Auffassung bildet die Pupillenenge im Schlafe eine wichtige Stütze für die Richtigkeit des Pflüger’schen Standpunktes. An einem besonders empfindlichen Organ lässt sich die Bedeutung der von der Aussenwelt den nervösen Centren zuströmenden Frregungen demonstriren. Und wie bei dem alten Ver- suche Fontana’s an der Katze und der von uns angegebenen Modifi- kation desselben beim Ophthalmoskopiren des Menschen der heftige psy- chische Reiz trotz der Lichteinwirkung zur Pupillenerweiterung führt, so bedingt andererseits das Fehlen äusserer Erresungen die Pupillenenge im Schlafe, trotzdem weder accommodative Vorgänge noch Lichtreize mit-. wirken. ! Harnack und Witkowski, Ueber Physostigmin und Calabarin. Archiv für experimentelle Pathologie und Pharmakologie. Bd. V. S. 442. 2 Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. X. 3A. a. O.:Bd. XIV. 4 A.a.0. Bd.XV. Die Verkürzung der Systolenzeit durch den N. accelerans cordis. Von N. Baxt. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Fasst man die Systole der Herzkammer als eine Zuckung auf, deren Dauer wie die jeder anderen nur von den Eigenschaften des Muskels — seiner Temperatur, seinem Ermüdungsgrade u. s. w. — abhängt, so kommt man zu der Folgerung, dass bei der Beschleunigung des Herzschlages durch den maximal gereizten N. accelerans der Zeitraum, während welcher die Ventrikelwand erschlafft bleibt, sehr klein wird; für den Blutstrom ist aber die Dauer der Diastole nicht gleichgiltig, denn weil nur in ihr das Blut aus den Venen in die Herzhöhle strömen kann, so würde, wäre sie auf eine sehr kurze Zeit eingeengt, auch zur Kammer nur ein weit geringeres Blutvolum übertreten, als es bei langsamer Schlagfolge möglich ist. Hierzu liegt aber während und nach der maxi- malen Reizung des N. accelerans in Wahrheit kein Grund vor; insofern aus den Druckmessungen zu entnehmen, dass die Füllung der Aorta bei gereiztem jedenfalls nicht geringer, als bei ruhendem Accelerans ist; tritt aber die befürchtete Störung des Blutzuflusses nicht ein, so gelangt man zu der weiteren Folgerung, dass sich bei dem durch den N. acce- lerans beschleunigten Herzschlage die Dauer der Pausen auf Kosten der Systole verlängern müsse. Dafür, dass sich die Dauer der Systole mit der wachsenden Zahl der Herzschläge verringern könne, spreehen die bekannten Beobachtungen von Donders,! aus denen in der That hervorzugehen scheint, dass die Zeit, während welcher die Kammer in 1) Nederlandsch Archief voor Geneeskunde. Bd. Il. 1865. S. 139. N. BAxT: VERKÜRZ. DER SYSTOLENZEIT DURCH D. N. ACCGELERANS CORDIS. 123 der Erschlaffung verharrt, bei einer sehr veränderlichen Häufigkeit des Herzschlages nur mässigen Schwankungen unterworfen ist. Ein Beispiel aus seinen Beobachtungen möge dieses erläutern. In einem der von ihm beobachteten Individuen wechselte je nach Umständen die Schlagzahl zwischen 68 und 124 in der Minute; sonach betrug bei der ersten dieser Häufigkeiten die Dauer einer Herzrevolution = 0'882 Secunde; die Dauer der Systole wurde nach der von Donders angewendeten Methode zu 0°361 Secunde bestimmt, für die Dauer der Pause bleiben also 0.521 Secunde übrig. Als das Herz die grössere Zahl (124 in einer Minute) ausführte, betrug die Dauer einer Herzrevolution O-484 Secunden, und es wurde diejenige der Systole zu 0-199 Secunde gefunden, somit blieben für die Pause 0-285 übrig. Berechnet man aus den gegebenen Werthen, wie lange während der Dauer einer Minute die Kammer in der Diastole verweilte, als das Herz 68 und 124 Mal schlug, so kommt man bei der langsameren Folge auf 35-43 und bei der rascheren auf 35:34 Secunden. Trotz der sehr ungleichen Schlagzahl wäre also die Summe der Pausendauer während des Verlaufes einer Minute immer gleich gross geblieben. In dieser Ausgleichung drückt sich, wie mir scheint, eine beachtens- werthe Eigenschaft des Herzens aus, von der es jedoch fraglich bleibt, ob sie besteht unter allen Umständen, welche die Schlagfolge des Herzens beeinflussen, oder ob dieses nur der Fall, wenn die Bedingungen, durch welche Donders die Häufigkeit des Schlages änderte, zur Geltung kommen. Nach dieser Betrachtung musste es mir erwünscht erscheinen, Be- obachtungen über die Dauer der Systole bei ruhendem und gereiztem N. accelerans anzustellen. Bei den Hunden, deren ich mich zu meinen Zwecken bediente, konnte an die Stelle des von Donders benutzten Verfahrens ein anderes, einfacheres und directeres gesetzt werden, da hier das Herz selbst blossgelest werden kann. Zu diesem Ende wird die Brusthöhle durch einen medianen Längenschnitt am curarisirten Thiere eröffnet, wobei die Blutung möglichst vermieden und jede entstandene auf das Sorgfältigste gestillt wird. Nachdem dieses vollführt ist, wird der Herzbeutel gespalten, und es werden seine Schnittränder rechts und links an die klaffende Brustwunde mit je 3 oder 4 Heften angenäht. Hierdurch ist derselbe in eine Mulde umgeformt, zu der man, das Thier in horizontaler Lage gedacht, von oben her einen freien Zugang hat, während ihr elastischer und glatter Boden dem Herzen eine Stütze und einen Schutz vor den Bewegungen der künstlich ventilirten Lunge ge- währen. Bei dem Annähen des Herzbeutels hat man darauf zu achten, dass das Herz auf dem geschaffenen Untergrund ähnlich wie in der 124 N. Bıxt. unversehrten Brust gelagert wird, namentlich aber darauf, dass die An- fänge der grossen Arterien nicht geknickt und nicht gedreht werden. Bei der Wahl der Nähte dienen als gute Kennzeichen die Stellung des Herzens zum Sehnenspiegel des in seine natürliche Lage emporgedrückten Zwerchfelles und die Entfernung der freien Fläche des Ventrikels von der Brustwand.. War den grossen Arterien ihre natürliche Stellung gewahrt, so bettet sich auch .das Herz von selbst in seine richtige Lage und es verharıt gerade so wie im geschlossenen Brustkasten die Spitze der Kammern während der Pause und der Contraetion ruhig an dem einmal eingenommenen Orte. Stellt man nach dieser Vorbereitung ein Stäbchen auf einen Punkt der freien Kammerfläche, so geräth dieses bei dem Eintritt und beim Verschwinden der Systole in eine Bewegung, deren ausgiebigste Componente aus einem senkrechten Auf- und Nieder- gang besteht. Mit dieser lässt sich der zeitliche Verlauf der Umformung auf- schreiben, welche die Kammern bei ihrem Uebergang aus der Erschlaf- fung in die Contraetion erfahren, wenn man das freie Ende des Stäb- chens mit der berussten Fläche eines rotirenden Cylinders in Berührung bringt. Als Vorbedingung für die Möglichkeit diesen Plan zu vollführen mussten dem Stäbchen unter vollkommener Erhaltung der senkrechten die anderen Richtungen seiner Bewegung genommen werden, was sich auch sehr einfach erreichen lässt, sobald man dasselbe mit einer glatten Fläche auf das Herz stellt und es einem grossen Theile seiner Länge nach durch eine vertikal gehaltene Glasröhre steckt, in der es auf- und abspielen kann. Ruht das Stäbchen nur durch seine Last auf dem Herzen, so gestattet es diesem, sich nach allen Richtungen unter ihm wegzu- schieben, denen es nicht folgen kann; in der durch die Glashülse vor- gezeichneten dagegen erhebt es sich unter dem Antriebe des schwellenden Muskels. Dass die Lichtung der zur Führung verwendeten Glasröhre den Durchmesser des Stabes nur um ein Geringes übertreffe und dass man sie in einen Halter mit verschiebbarem, aber in der gegebenen Lage un- beweglichem Arm feststelle, versteht sich von selbst. Anders verhält es sich mit der Last, welche man dem Stabe geben soll. Denn da es nur diese ist, durch welche seine Berührung mit der Herzfläche erhalten wird, so kommt man leicht auf den Gedanken, sein Gewicht durch Auf- legen von Bleiplättchen oder auch dadurch zu vermehren, dass man das Stäbchen aus einem Stoff von grösserer specifischer Schwere herstellt. Aus einer Reihe von Proben ergab es sich jedoch alsbald, dass man nicht über das Gewicht hinausgehen dürfe, welches genügt, um die kleinen Hindernisse zu überwinden, welche sich dem Herabfallen des empor gehobenen Stabes an der berussten Fläche und innerhalb der VERKÜRZUNG DER SYSTOLENZEIT DURCH DEN N. ACCELERANS CORDIS. 125 führenden Hülse entgegenstellen. Je geringer man diese zu machen versteht, um so leichter kann auch der Stab sein. Wir haben ihn aus Tannenholz seschnitzt und an seinem oberen Ende mit einem feinen Glasfaden, der als Schreibfeder wirkte, versehen. Bei dieser Einrichtung wurde der Stab im Beginn der Systole nur um ein Weniges und nur sehr kurze Zeit hindurch über die Herzfläche hinaus geschleudert, aber er sank dann rasch auf den Ventrikel zurück, blieb während des grösseren Restes der Systole mit dem Herzen in Berührung und drückte sich auch wäh- rend der Diastole nicht in die Herzmasse ein. Belastete man den Stab mit kleinen Gewichten, so zeigten sich auf der von ihm geschriebenen Curve Wellenlinien zweiter Ordnung, deren Perioden und Exeursionen mit der Grösse des Gewichtes gesetzmässig wechselten. Hierdurch verriethen sie deutlich ihren Charakter als Kunstproducte. — Weil man gerade am Herzen für die Uebertragung der Bewegungen auf das Papier des roti- renden Cylinders den Gebrauch der Luft empfohlen hat, so habe ich auch das Stethoskop von König geprüft, welches durch einen Kautschuck- schlauch mit der Buisson’schen Kapsel in Verbindung stand. In keinem der vielfach abgeänderten Verfahrungsarten ist es mir jedoch gelungen, die Eisenschwankungen zu vermeiden oder sie auch nur auf ein beschei- denes Maass einzuschränken. Bei der Wahl der Herzstelle, auf welcher man das Stäbchen setzen soll, wird man, um die Ausmessung der erhaltenen Curve zu erleichtern, diejenige vorziehen, welche in der senkrechten Richtung die grösste Excursion ausführt. Diesen Ort wird man in jedem einzelnen Falle ermitteln müssen; ich bezweifle jedoch nicht, dass man ihn da finden wird, wo er auch in jedem meiner Versuche lag: an der unteren Grenze des oberen Drittels der vorderen Herzfurche. Die Geschwindigkeit der rotirenden Papierfläche war derart, dass sich in einer Secunde 58-5"% an der Feder vorüber bewegten. Obwohl das Uhrwerk, welches den Cylinder treibt, << @ mit untadelhafter Regelmässigkeit arbeitete, so wurde doch niemals versäumt, unter die von dem Herzen gezeichnete Curve die 7 Schwingungen einer elektrischen Stimm- Ba I ‚gabel (28 ganze Schwingungen in 1 Secunde) aufschreiben zu lassen. Fie. 1. Wenn das Stäbchen seinen Auf- und Niedergang in den Ueberzug des rotirenden Oylinders eingeschrieben hat, so ist hierdurch eine Curve von der oben stehenden Gestalt ent- standen. Erblickt man in dieser Linie den Ausdruck des zeitlichen Ablaufes 126 N. Baxt: der Kammerzuckung, so würde man, abgesehen von der beträchtlich kürzeren Zeit, dieser etwa einen Gang zuerkennen müssen, wie er nach A. Fick! dem Muschelmuskel zusteht. Klein ist die Zeit, in welcher die Verkürzung vollendet wird, beträchtlich länger diejenige, während welcher der Muskel im contrahirten Zustande verharrt; der Uebergang aus der Verkürzung in die volle Erschlaffung vollführt sich etwa eben so rasch, wie er in umgekehrter Richtung eingetreten, und darauf ver- harrt der erschlaffte Zustand während eines längeren Zeitraumes, in dem sich die Füllung der Herzhöhle mit Blut durch ein sehr allmähliches Emporsteigen des Stäbchens ausdrückt; an dieses schliesst sich ein etwas rascheres Ansteigen, welches der durch die Vorhofscontraction vermehrten Füllung der Kammerhöhle entsprechen dürfte Nach einer Reihe von Messungen an Hundeherzen, deren N. accelerantes ruhten, vollendete der Kammermuskel seine Umformung in 0036 Secunden, und er verharrte im contrahirten Zustande 0-214 Secunden. Gegen diese Deutung der Curve könnte man einwenden, dass die Gestalt der Kammer nicht allein durch die Zusammenziehung ihrer Muskeln, dass sie daneben auch noch durch das Maass an Flüssigkeit bestimmt wird, welche ihre Höhle fasst. Unter dieser Voraussetzung würde es verständlich werden, dass von einer gewissen Grenze der Systolenzeit an sich die Gestalt der Kammer unverändert erhalte, trotz- dem dass sich ihre Muskeln bei noch fortschreitender Verkürzung ver- dickten; es würde dieses von dem Augenblicke an eintreten, wo der Durchmesser der Herzhöhle durch den Austritt von Flüssigkeit in dem Maasse vermindert würde, in welchem sich die Verdickung der Wand durch das Zusammenballen der Muskeln vermehrte. Wollte man auch über die Unwahrscheinlichkeit hinwegsehen, dass immer und immer bei jedem Herzen und bei allen Schlägen die mindernde Wirkung des Ab- flusses genau durch die vermehrende der Muskelcontraction aufgewogen sei, so würden doch dem vorgebrachten Erklärungsversuch noch andere Thatsachen widerstreben. Marey? und Chauveau haben schon vor Jahren in die Kammerhöhlen des Pferdes kleine lufthaltige Kautschuk- blasen eingeführt, diese durch eine Röhre mit der Buisson’schen Kapsel in Verbindung gesetzt und hierdurch aus dem rechten und linken Ven- trikel Curven erhalten, die in dem nachstehenden Holzschnitte wieder- gegeben sind. Des Vergleiches wegen habe ich eine von meinen Öurven über die Marey’schen gebaust. I A. Fick, Zur vergleichenden Physiologie der ürritablen Substanzen. 1863. 8. 46. 2 Marey, Physiologie medicale de la circulation du sang. Paris 1863. p. 68. 88 139. VERKÜRZUNG DER SYSTOLENZEIT DURCH DEN N. ACCELERANS CORDIS. 127 Ueberraschend ist nun zwar die Aehnlichkeit der drei an so ver- schiedenen Orten gewonnenen Öurven, aber darum sind wir noch nicht berechtigt zu schliessen, dass die von den Höhlen aus erhaltenen An- gaben in gleicher Weise die Unveränderlichkeit ihrer Durchmesser be- zeugen, wie dieses für den der ganzen Kammer nach der von ihrer > LIE N L N “4 er en a. fe ) | | | F | Baxt, Ober- fläche des | Herzens. | \ | u j VS N Marey rechter v en- en; u en ao ) os Marey, lin- | ker Ventrikel. Fig. 2. äusseren Fläche aus gelieferten Zeichnungen unzweifelhaft geschehen dürfte Marey wenigstens giebt seinen Erfahrungen eine ganz andere Deutung. Indem er von der Voraussetzung ausgeht, dass seine Linien ihren Ursprung dem veränderlichen Drucke des Kammerblutes verdanken, glaubt er annehmen zu dürfen, dass in dem grössten Theile der Zeit, während welcher der aufsteigende Schenkel seiner Curve entstand, die Zipfelklappen noch geöffnet, die halbmondförmigen aber noch geschlossen gewesen seien. Kurze Zeit darauf, nachdem die ersteren zugeschlagen worden, hätten sich die zweiten vor dem jetzt erst zur vollen Spannung gelangten Blute geöffnet, sogleich habe sich nun der Druck zwischen dem Inhalte der Kammern und dem der grossen Arterien ausgeglichen, und sich 0-25 Secunden hindurch unter stetem Zuflusse des Blutes aus dem ersteren in die letzteren gleich hoch und unverändert erhalten. Als endlich unter dem Nachlasse der Contraction in den Wänden der Kammer der Druck des Blutes in ihren Höhlen gesunken sei, wären die halb- mondförmigen Klappen entfaltet worden. Unter den Gründen, welche Marey zu dieser Auslegung bestimmten, spielt die Ueberzeugung eine wesentliche Rolle, dass seine eigenen als ® "gs SL N. Bıxt: tadelsfrei anerkannten Pulscurven, die er an der A. radialis gewonnen, den zeitlichen Ablauf der Druckschwankungen in der Aorta allzusehr entstellt wiedergäben. Das Misstrauen, welches er hegt, lässt sich jedoch leicht dadurch beseitigen, dass man möglichst nahe an ihren Ursprung in die Arteria carotis ein Federmanometer von A. Fick einsetzt. Mittelst dieses Instrumentes gewinnt man eine der Wahrheit sehr nahe kommende Auskunft über die Druckänderungen, welche in dem Orte eines Röhren- stromes, in den es mündet, vorfallen, und wenn man dasselbe, wie es hier geschehen soll, sehr nahe dem Herzen, fast unmittelbar in die Aorta einsetzt, so gewinnt man unzweifelhaft auch einen sicheren Nachweis von den zeitlichen Aenderungen des Druckes in dem Beginn dieser grössten Arterie. Ausgehend von dieser Betrachtung liess ich gleich- zeitig die Curven auf derselben Trommel aufschrei- ben, welche das Federmanometer aus dem Anfangs der A. carotis und das Stäbchen vom Hube des Herzens lieferten. Aus den Ergebnissen der durch- weg übereinstimmenden Versuche liest im neben- stehenden Holzschnitt ein Beispiel vor. Die untere der beiden Curven c ist von der A. ca- rotis, die obere A ist von dem Stäbchen geliefert; die lange Pause zwischen der mit 5 und 6 bezeich- neten Systolen war durch eine absichtlich herbei- geführte Vagusreizung bewirkt. An dieser Figur erkennt man, dass nahezu gleich- zeitig mit dem Aufsteigen des Herzstäbchens auch das- jenige des Blutdruckes beginnt, und dass dieser letztere seine maximale Höhe erreichte ziemlich in demselben Momente, wenn das Stäbchen seine grösste Excursion vollendete. Jenseits dieses Abschnittes sinkt der arteri- elle Druck rasch und bedeutend herab, während der Stab noch einige Bruchtheile einer Secunde auf der früheren Höhe verharrt. Es müssen also schon mit dem Beginne der Systole die halbmondförmigen Klappen geöffnet werden, und es muss sich der grösste Theil des Kammerinhaltes in die Arterien während der Zeit entleert haben, in welcher das Stäbchen aus seiner VERKÜRZUNG DER SYSTOLENZEIT DURCH DEN N. ACCELERANS CORDIS. 127 Ueberraschend ist nun zwar die Aehnlichkeit der drei an so ver- schiedenen Orten gewonnenen Curven, aber darum sind wir noch nicht berechtigt zu schliessen, dass die von den Höhlen aus erhaltenen An- gaben in gleicher Weise die Unveränderlichkeit ihrer Durchmesser be- zeugen, wie dieses für den der ganzen Kammer nach der von ihrer | | Near) .. Te Bazt, Ober- m z e Herzens. Br, rechter Ven- \ ne Be I \ ——n Ä trikel, | | Marey, lin- ker Ventrikel. Fig. 2. ES u er En äusseren Fläche aus gelieferten Zeichnungen unzweifelhaft geschehen dürfte Marey wenigstens giebt seinen Erfahrungen eine ganz andere Deutung. Indem er von der Voraussetzung ausgeht, dass seine Linien ihren Ursprung dem veränderlichen Drucke des Kammerblutes verdanken, glaubt er annehmen zu dürfen, dass in dem grössten Theile der Zeit, während welcher der aufsteigende Schenkel seiner Curve entstand, die Zipfelklappen noch geöffnet, die halbmondförmigen aber noch geschlossen gewesen seien. Kurze Zeit darauf, nachdem die ersteren zugeschlagen worden, hätten sich die zweiten vor dem jetzt erst zur vollen Spannung gelangten Blute geöffnet, sogleich habe sich nun der Druck zwischen dem Inhalte der Kammern und dem der grossen Arterien ausgeglichen, und sich 0-25 Secunden hindurch unter stetem Zuflusse des Blutes aus dem ersteren in die letzteren gleich hoch und unverändert erhalten. Als endlich unter dem Nachlasse der Contraction in den Wänden der Kammer der Druck des Blutes in ihren Höhlen gesunken sei, wären die halb- mondförmigen Klappen entfaltet worden. Unter den Gründen, welche Marey zu dieser Auslegung bestimmten, spielt die Ueberzeugung eine wesentliche Rolle, dass seine eigenen als 128 ‘Ss ST N. Bıxt: tadelsfrei anerkannten Pulscurven, die er an der A. radialis gewonnen, den zeitlichen Ablauf der Druckschwankungen in der Aorta allzusehr entstellt wiedergäben. Das Misstrauen, welches er hegt, lässt sich jedoch leicht dadurch beseitigen, dass man möglichst nahe an ihren Ursprung in die Arteria carotis ein Federmanometer von A. Fick einsetzt. Mittelst dieses Instrumentes gewinnt man eine der Wahrheit sehr nahe kommende Auskunft über die Druckänderungen, welche in dem Orte eines Röhren- stromes, in den es mündet, vorfallen, und wenn man dasselbe, wie es hier geschehen soll, sehr nahe dem Herzen, fast unmittelbar in die Aorta einsetzt, so gewinnt man unzweifelhaft auch einen sicheren Nachweis von den zeitlichen Aenderungen des Druckes in dem Beginn dieser grössten Arterie. Ausgehend von dieser Betrachtung liess ich gleich- zeitig die Curven auf derselben Trommel aufschrei- ben, welche das Federmanometer aus dem Anfang der A. carotis und das Stäbchen vom Hube des Herzens lieferten. Aus den Ergebnissen der durch- weg übereinstimmenden Versuche liest im neben- stehenden Holzschnitt ein Beispiel vor. Die untere der beiden Curven c ist von der A. ca- rotis, die obere A ist von dem Stäbchen geliefert; die lange Pause zwischen der mit 5 und 6 bezeich- neten Systolen war durch eine absichtlich herbei- geführte Vagusreizung bewirkt. An dieser Figur erkennt man, dass nahezu u zeitig mit dem Aufsteigen des Herzstäbchens auch das- jenige des Blutdruckes beginnt, und dassdieser letztere seine maximale Höhe erreichte ziemlich in demselben Momente, wenn das Stäbchen seine grösste Excursion vollendete. Jenseits dieses Abschnittes sinkt der arteri- elle Druck rasch und bedeutend herab, während der Stab noch einige Bruchtheile einer Secunde aufder früheren Höhe verharrt. Es müssen also schon mit dem Beginne der Systole die halbmondförmigen Klappen geöffnet werden, und es muss sich der grösste Theil des Kammerinhaltes in die Arterien während der Zeit entleert haben, in welcher das Stäbchen aus seiner VERKÜRZUNG DER SYSTOLENZEIT DURCH DEN N. ACCELERANS CoRDIS. 129 niedrigsten in die höchste Lage übergeführt wurde, weil sich nur hieraus das starke und plötzliche Ansteigen der arteriellen Füllung erklärt. Wollte man nun mit Marey annehmen, dass in der ganzen übrigen Zeit, in welcher der contrahirte Zustand anhält, das Blut unter eon- stantem Drucke aus der Kammerhöhle hervorströmte, so müsste man auch zugeben, dass das Abtliessen mit steigender Geschwindigkeit geschehe, weil ja gleichzeitig die arterielle Spannung fortwährend ab- und sonach der Druckunterschied zwischen dem Blute des Herzens und der Arterien fortwährend zunimmt. Woher sollte die hierzu nothwendige Blutmenge kommen und warum sänke dann der Druck in den Arterien fortwährend tiefer ? An die Stelle der Erklärung, welehe Marey seiner Curve giebt, lässt sich ungezwungen die einfachere setzen, dass mit dem Beginne der Systole sich aus der in der Kammer gelegenen Blase der Luftstrom in die Kapsel ergiesst und dass, nachdem die Formveränderung der Ven- trikelhöhle vollendet ist, die ausgetretene Luft nicht alsbald wieder auf dem umgekehrten Wege zurückweichen könne, weil die Muskeln und damit die Höhle in ihrer zusammengezogenen Form mit einer Kraft verharren, die zu gross ist, um von der Spannung bewältigt zu werden, welchen die weiche Kautschukplatte der Kapsel durch den Eintritt der zugeführten Luftmengen angenommen hatte. An meine Anschauung von dem Verlaufe der Herzzuckung knüpfen sich einige wichtige Folgerungen, derentwegen ihre volle Bestätigung erwünscht wäre. So würde der erste Herzton, welcher gerade so lange wie die ganze Systole andauert, sicherlich nicht von den Klappen allein, die unter dem Blutstrome erzittern, abzuleiten sein; denn die Strömung erstreckte sich nur über den kurzen Zeitraum, in dem sich das Herz umformt, nicht aber über den längeren, in welchem es in seiner neuen Gestalt verharrt. — Aus der Fortdauer des Tones während dieser letzteren Zeit würde aber auch zu schliessen sein, dass der Vorgang, welchen ich als das Beharren in der Zusammenziehung auffasse, keines- wegs in einer Muskelruhe bestände, denn diese würde selbstverständlich keinen Ton hervorrufen können. — Mit meiner Anschauung erledigen sich auch die Schwierigkeiten, welche sich bisher der Erklärung für den Schluss der halbmondförmigen Klappen unter der Bedingung entgegen- stellten, dass dieser Act ohne einen Rückfluss von Blut aus den Arterien in die Kammerhöhle vor sich ginge, denn es würde das Herz von dem Augenblicke an, in welchem seine Formveränderung vollendet ist, dem Blute keinen neuen Antrieb mehr ertheilen; wegen der Härte aber, welche ihre Wand zu jener Zeit bewahrt, würde auch die Höhle der Kammer von dem Drucke, der von Seiten des Arterienblutes ausgeht, Archiv. f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 9 50 N. Baxt: keine Erweiterung erfahren. Damit wäre der kKückstrom des Blutes ver- hindert und den Klappen eine hinreichende Zeit zu ihrer vollen Entfal- tung gegönnt. Ob sich nun aber die neue oder die ältere Annahme für den Ver- lauf der Systole bewährt, dieses ist jedenfalls für die Lösung meiner gegenwärtigen Aufgabe gleichgiltig, da in beiden Fällen die Dauer der Systole bis zu dem Zeitpunkte reicht, in welchem das auf der äusseren Fläche des Herzens stehende Stäbchen wieder in die Lage zurückgekehrt ist, von der es im Beginne der Formumwandlung ausgegangen war. Diese Zeit ist es also, welche bei der Vergleichung der Schläge in Be- tracht kommt, die das Herz bei ruhendem und errestem N. accelerans ausgiebt. Zahlreiche Messungen dieser Zeiten habe ich vorgenommen; da die Resultate im Wesentlichen mit einander stimmen, so werde ich mich auf die Mittheilung nur einiger derselben beschränken dürfen; sie sind an drei verschiedenen Thieren gewonnen. Um vergleichbare‘ Pulse zu erhalten, wurde das Aufschreiben der- selben, zuerst bei ruhendem und kurz darauf bei maximal gereiztem N. accelerans eingeleitet. Solcher Reihen wurden stets von demselben Thiere in grösserer Zahl ausgeführt. Ehe nach einer vorausgegangenen Reizung des N. accelerans zum abermaligen Aufschreiben geschritten wurde, liess man zum Abklingen der Nachwirkung 5 bis 10 Minuten verstreichen. Zuweilen wurde auch der N. vagus, und zwar für sich allein, in den Inductionskreis gelegt. Eine Anschauung von dem wesentlichen Inhalte meiner Beobach- tungen und von den Grenzen der Genauigkeit, die ihrem Ausdrucke in Zahlen zukommt, gewähren am besten die abgebausten Nachbilder der originalen Curven. | Je zwei Linien, welche von einem Rähmchen umzogen sind, wurden möglichst rasch nach einander von demselben Herzen geschrieben; jedes Paar lieferte ein anderes Thier. — Die Reihe, an deren Eingang r a. steht, wurde bei ruhendem, die mit e a. bezeichneten bei erregtem N. accelerans gewonnen. Schon dem blossen Augenmaasse ist es ersichtlich, dass bei ruhendem N. accelerans die Systolen länger dauern, als bei erregtem, und nicht minder, dass sie bei den höheren Graden seiner Er- regung (siehe III) in kürzerer Zeit vollendet sind, als bei den geringeren (siehe II). ? Vergleicht man dann noch die Systolen auf den beiden Linien inner- halb desselben Rähmchens genauer, so wird man bald gewahr, dass der Längenunterschied der beiderseitigen Systolen weniger durch den- jenigen der auf- und absteigenden Schenkel, vorzugsweise dagegen durch Ä ‘7 oıq | Far mn ae An aan nn BUZZ id wen A ine a aan sr = ı. nn me 152 N. EBaxtT: den zwischen diesen beiden gelegenen Abschnitt hedingt wird. — Zu wiederholten Malen (Curv. I u. III in Fig. 4) ist es auch ohne Messung ersichtlich, dass die systolische Erhebung bei erregtem N. accelerans niedriger ausfällt als bei ruhendem. . Warum das Stäbchen von den rascher aufeinander folgenden Impulsen weniger hoch gehoben wird, lässt sich verschiedenartig deuten, endgiltig jedoch erst dann entscheiden,- wenn uns die Durchmesser der Kammern nach kürzeren und längeren Diastolen genauer als gegenwärtig bekannt sind. Sucht man nun für das, was die Anschauung über das Verhältniss der Systolendauern gelehrt hat, einen genaueren Ausdruck durch Mes- sungen zu gewinnen, so stösst man sogleich auf die Schwierigkeit, dass sich die einzelnen Abschnitte einer Systole nicht scharf von einander abgrenzen lassen; in der Regel gelingt es nur, den Anfang und das Ende des systolischen Berges, nicht aber das Ende des aufsteigenden und den Anfang des absteigenden Schenkels genau zu bezeichnen. Will man also nicht auf die Vortheile der Messung überhaupt verzichten, ohne dabei in Willkürlichkeiten zu verfallen, so wird man genöthigt sein, sich auf die Zusammenfassung des Zeitraumes zu beschränken, während dessen das Stäbchen oberhalb des Standes bleibt, den es vor Beginn der Systole eingenommen. Unzweifelhaft wird jedoch durch dieses Verfahren Manches verdeckt, was zu einer genaueren Bestimmung der Abhängiskeit beiträgt, in welcher sich die Dauer der Systolen von der Häufigkeit ihrer Wieder- kehr befinden. Dieser Missstand wird sich nur schwer am Herzen des Säugethieres, möglicherweise aber leichter an dem des Frosches beseitigen lassen. Denn auch dieses letztere besitzt, wie ich nach einer Durchsicht der Curven Schmiedeberg’s! annehmen muss, die zuerst am Hunde aufgedeckte Eigenthümlichkeit, seine Systolendauer unter dem Einfluss des erregten N. accelerans zu verkürzen. | Nach den vorausgeschickten Bemerkungen und unter Beachtung der beigegebenen Ueberschriften wird das Verständniss der folgenden Zahlen- reihen keine Schwierigkeiten haben. Da die Zeiten aus Längenmaassen abgeleitet sind, so darf ich nicht unterlassen, noch einmal darauf hin- zuweisen, dass der Grenzwerth der Längenmessung, nämlich 0-1”®%, an- nähernd einem solchen von 0,002? Seeunden entspricht. 1 Arbeiten des physiologischen Instituts zu Leipzig. Jahr 1870. 2 In 1 Secunde eilten im Mittel 58-5mm Papier vor der Feder vorüber. VERKÜRZUNG DER SYSTOLENZEIT DURCH DEN N. ACCELERANS CORDIS. 133 Errester N. accelerans. Ruhender N. accelerans. I PN m occmaen a Rn escanden | in aischiuiden 1m Beta ne I. 6.8 0-041 0-262 5-2 0.114 0.278 6-4 0-050 0-262 4-9 0-128 0-281 6-0 0-077 0-269 5-2 02120 0.279 6-0 0-080 0.2062 | 5.2 0-114 0-276 IR 8-4 0-044 0-210 39 0.299 0-253 8-2 0-051 0°203 308) 0-292 0-255 8.0 0-068 0-188 4-1 0-265 0-247 7-4 0:074 0-188 38 0-338 0259 7.2 0.087 0.186 38 0-332 0-253 7-0 0-091 0.185 3-1 0:374 0:252 USD, 0091 0-179 3:3 0.340 0-264 III. 8.0 0046 0:205 52 0.127 0-274 81 0-051 0-195 Del 0-133 0-271 Fasst man zuerst die letzte Zahlenreihe in das Auge, durch welche die Dauer der Systole bei ruhendem N. accelerans gemessen wird, so sieht man, dass dieselben Werthe stets wiederkehren oder mindestens nur in sehr engen Grenzen schwanken, wenn auch die Dauer der vorauf- gegangenen Djastole, wovon uns die vorhergehende Reihe von Ziffern Nachricht giebt, sehr auffallenden Schwankungen unterworfen ist. Ich will sogleich hinzufügen, dass auch die Systole, welche nach einer durch die Reizung des N. vagus auf eine Secunde und mehr verlängerten Pause folgt, keine grössere Dauer beansprucht, als die, welche dem Vagusreize vorausgingen. Etwas anders scheinen sich, wenn ich der freilich nur einmal angestellten Beobachtung trauen darf, die Systolen in der Zeit zu verhalten, welche unmittelbar dem Erstickungstode vorausgehen; ähn- lich den Zuckungen anderer von einer Ermüdung ergriffener Muskeln, sind auch die Herzzuckungen beim erstickenden Thiere merklich länger, als die beim normal athmenden. Wesentlich anders sehen die Zahlen aus, welche unter die Ueber- schrift „Dauer der Systole des erregten N. accelerans“ eingereiht sind. Sie zeigen mannigfache Schwankungen, doch in der Aussage stimmen Alle überein, dass das Herz seine Zuckung nach der Reizung des N. acce- lerans rascher vollendet, als bei der Ruhe desselben. Der Werth dieser Angaben wird noch darum erhöht, weil die Zahlen von freiliegenden 134 N. Bıxr: Herzen geliefert wurden, die, da sie ahgekühlt waren, in keinem Falle auf die höchste Schlagschnelle gebracht werden konnten, welche mittels einer Reizung des N. accelerans zu erreichen ist. Es steht sonach fest, dass die Kammern, wenn sie vom N. accelerans aus erregt sind, im systolischen Zustande weniger lange verharren, als es unter sonst gleichen Umständen bei der Ruhe jenes Nerven geschehen wäre. Ist nun der erregte N. accelerans im Stande, die Dauer der Systole abzukürzen, so könnte man erwarten, dass ihm dieses Vermögen mit stärkerer Erregung auch in erhöhtem Grade eigen sei. Darüber lassen uns aber die mitgetheilten Zahlen im Unklaren; allerdings dauert der Voraussetzung gemäss die Systolenzeit bei weniger als 7 Schlägen in 2 Secunden länger, als bei einer Häufigkeit, die über jene Zahl hinaus- geht, aber unerwartet ist es, dass sich bei einer Schlagfolge, die jenseit der oben bezeichneten Grenze liegt, die Systolendauer regellos ändert, namentlich aber, dass bei den raschesten Schlagfolgen jene Zeit hald grösser und bald kleiner wird. Man würde geneigt sein, den Grund dieser unerwarteten Abweichung auf Fehler in der Messung und sonstige nicht beherrschbare Zufällig- keiten zu schieben, wenn sich nicht Herzen fänden, in welchen bei un- veränderter Dauer einer ganzen Herzrevolution die Systolenzeit periodisch ab- und zunähme. Ein recht deutliches Reispiel hierfür liefert die fol- sende Beobachtung. In ihr dauerte ein ganzer Herzschlag — Systole und Diastole — jedesmal 0-271 Secunden; die Vertheilung dieser Zeit auf Pause und Contraction erlitt jedoch eine fast regelmässig perio- dische Aenderung, indem sich die Systolen zuerst auf Kosten der Pause und darauf diese auf Kosten der ersteren verlängerte. Es genügt also eine Angabe über die Variation der Systolendauer, weil sich daraus die diastolische von selbst ergiebt. Die Herzschläge folgten einander wie die nachstehenden Zahlen. 0-172—0:164—0 : 172— 0: 172—0:190—0 198 —0 207 — 0: 190--0: 190 0-176—0:172—0:172—0 : 190—0 193 —0 207 —0:190 0-176—0-164—0:169—0 : 172—0: 172— 0 190—0- 193— 0: 190 0.172 Die Abbildung eines solchen Falles giebt Holzschnitt 4, Curve III, ea. Bis wir durch neue Versuche eines Besseren belehrt sind, wird man demnach dabei bleiben müssen, dass die beiden Leistungen unseres Nerven, „die Systolendauer zu verkürzen und die Schlasfolge zu beschleunigen“, insoweit von einander unabhängig sind, als die eine früher wie die andere auf einem Maximum anlangt, so dass, wäre die Schlagzahl auf eine gewisse Häufigkeit gestiegen, die Systolenzeit eine Dauer erreicht hätte, VERKÜRZUNG DER SYSTOLENZEIT DURCH DEN N. ACCELERANS CORDIS. 155 unter die sie nicht weiter herabzugehen vermag, wenn auch die Schlag- schnelle noch weiter zunähme. Sucht man nach einer Rechenschaft darüber, wie die durch meine Versuche aufgedeckte Wirkung des N. accelerans auf den Herzmuskel zu Stande kommt, so wirft sich zunächst die Frage auf, ob der Nerv durch einen unmittelbaren Eingriff in die Mechanik des Muskels, oder ob er nur dadurch den Erfolg erziele, dass die beschleunigte Schlagfolge in den Bedingungen, welche an der Leistungsfähigkeit des Muskels bethei- ligt sind, eine Aenderung hervorbringt. In dem letzteren Sinne könnte man denken an eine unvollkommene Erholung in der kurzen Pause, oder umgekehrt an eine vollständigere, durch den rascheren Blutstrom in den Kranz-Arterien, oder auch endlich daran, dass während der raschen Schlagfolge der Herzmuskel niemals vollkommen erschlaffe, indem er von einem tetanusartigen Zustande er- griffen sei. Wenn man die Erfahrungen zu Rathe zieht, welche man anderwärts an ermüdeten Muskeln gemacht hat, so hätte man zu erwarten, dass sich die Zuckungsdauer vergrössere, sowie dem Herzen durch die rascher vorübergehenden Diastolen die Erholung verkümmert wurde. Als eine Folge der Ermüdung darf man daher die Verkürzung der Systole nicht ansehen, will man nicht mit einer nahe liegenden Analogie in einen ernsten Widerspruch gerathen; hierzu ist aber um so weniger Veran- lassung geboten, als der Befund, den andere Muskeln liefern, dem Herzen nicht zu fehlen scheint; denn es dürfte doch wohl berechtigt sein, die in den letzten Stadien der Erstickung vorkommende Verlängerung der Herzzuckung auf die durch unvollkommene Ernährung bedingte Ermü- dung zu schieben. — Umgekehrt könnte man den rascheren Ablauf der Zuckung als ein Zeichen erhöhter Leistungsfähigkeit ansehen, welche dem Muskel durch einen beschleunigteren oder gleichmässiger fliessenden Blutstrom ertheilt sei. Zu dem Ende könnte man sich vorstellen, dass sich bei den rascher aufeinander folgenden Entleerungen des Herzens der arterielle Druck in der Diastolenzeit nur wenig erniedrigen könne, so dass darum der Strom durch die Kranz-Arterien sehr gleichmässig fliesse, und vielleicht sogar stärker als gewöhnlich, wenn man voraus- setzt, dass mit dem N. accelerans zu den Herzgefässen Nerven verlaufen, welche die Wand derselben zu erschlaffen vermögen. Abgesehen davon, dass es keinem der bisher unternommenen Versuche gelungen ist, einen sogenannten Erweiterungsnerven in der Bahn des N. accelerans nach- zuweisen, und abgesehen davon, dass es doch noch zweifelhaft ist, ob in der That der Blutstrom durch das vom N. accelerans erregte Herz für die Leistungsfähigkeit seiner Muskeln wirkungsvoller werde, so würde 136 N. BAxT: VERKÜRZ. DER SYSTOLENZEIT DURCH D. N. ACCELERANS CORDIS. dies Alles doch nur für das Säugethierherz gelten. Dann aber würde es noch immer unverständlich bleiben, warum sich auch die Systolenzeit des Froschventrikels bei der Reizung seines N. accelerans verkürzt, da doch in seiner Wand keine Gefässe verbreitet sind. Gegen die Vorstellung endlich, dass während der Reizuug der Be- schleunigungsnerven die Diastole nicht zur vollen Ausbildung komme; weshalb die Verkürzung der Systolenzeit nur scheinbar sei, da bei jedem neuen Anstoss, den das Herz empfange, die Verkürzung schon bei einem, wenn auch geringen Öontractionsgrade beginne, lässt sich die Gestalt der Curve vorführen, welche durch das Stäbchen aufgeschrieben worden. Wäre das Herz in der Zeit, die ich der Diastole zugeschrieben, noch contrahirt gewesen, so würde sich in derselben ein, wenn auch allmäh- licher Abfall des Stäbchens eingestellt haben, entsprechend einem lang- samen Nachlass der Contraction. Hiervon zeigt sich aber nirgends eine Spur. Und ausserdem nähme die Systole des vom N. accelerans erregten Herzens von einem noch vorhandenen Contractionsgrade aus ihren An- fang, so müsste man erwarten, dass der aufsteigende Schenkel der Curve jetzt kürzer als bei ruhendem N. accelerans dauerte; aber auch dieses widerspricht dem thatsächlichen Verhalten. Sind andere Erklärungsversuche nicht glücklicher als die vorge- brachten, so werden wir auf dem Wege der Ausschliessung zu der An- nahme geführt, dass der N. aceelerans in unmittelbarer Weise die Mechanik der Muskeln beeinflusse. In meiner ersten Abhandlung über den N. accelerans hatte ich darauf hingewiesen, dass dieser Nerv in Bezug auf die Beschleunigung des Pulsschlages ähnlich wie die Erwärmung des Herzens wirke; aus den in dieser Mittheilung erhaltenen Resultaten erkennt man eine weitere Ueber- einstimmung zwischen den Wirkungen der wachsenden Temperatur und der Erregung, in diedas Herz durch den N. accelerans zu bringen ist. Soll man daraus schliessen, dass der N. accelerans und die Steigerung der Tem- peratur das Herz in den nämlichen Zustand versetzen? Endlich wäre noch der Unterschied zu betonen, der sich zwischen den beiden Herznerven auch in dieser Untersuchung, und zwar insofern herausstellte, als dem N. vagus, wie wir sahen, keine Macht über die Systolendauer zustand. Zur Physiologie der motorischen Nervenendplatte. Von Dr. S. Tschirjew aus Petersburg. (Hierzu Tafel I.) In seiner Abhandlung ‚Experimentalkritik der Entladungshypothese uber die Wirkung von Nerv auf Muskel“! begründet E. du Bois-Rey- mond zwei Entladungshypothesen, als zur Zeit einzig mögliche zur Er- klärung der Muskelerregung vom Nerven aus auf elektrischem Wege, das sind nämlich: die ursprüngliche, von W. Krause herrührende, und die von du Bois-Reymond aufgestellte sogenannte modificirte Ent- ladungshypothese. Ich sage, diese Hypothesen seien von du Bois-Rey- mond begründet worden, weil wir wirklich erst seit seiner Abhandlung von der Erklärung der Reizung des Muskels vom Nerven aus durch elektrische Entladung der motorischen Endplatte als von einer Hypothese sprechen können, die uns sichere Ausgangspunkte für experimentelle Prüfung ihrer Richtigkeit darbietet, und nicht als von einer auf Grund oberflächlicher Analogien entstandenen blossen Vermuthung, was sie bis dahin war. Ich will hier möglichst kurz die Hauptmomente, sowohl der Ent- stehung, als auch der weiteren Entwicklung der Entladungshypothese mittheilen. Nach der Entdeckung motorischer Endplatten der quergestreiften Muskeln hat W. Krause? auf Grund ihrer äusseren Aehnlichkeit mit den elektrischen Platten im Organe von Malopterurus die Vermuthung 1 Monatsberichte der Akademie. 1874. 8. 519. — Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. WM. S. 698. 2 Die motorischen Endplatten u. s. w. Hannover 1869. 138, >. TSCHIRJEW: ausgesprochen, dass die Reizung der Muskelsubstanz vom Nerven aus durch einen von der Nervenendplatte ausgehenden elektrischen Schlag geschehe. Etwas später hat, unabhängig von Krause, W. Kühne die- selbe Vermuthung geäussert. ! | E. du Bois-Reymond hat sich entschlossen, in seiner oben an- geführten Abhandlung, der allgemeinen Wichtigkeit der hier berührten Frage halber, die Krause’sche Vermuthung mit den bekannten histo- logischen und physiologischen Angaben zu vergleichen, und auf diese Weise entweder dieser Vermuthung einen Grund zu verschaffen und sie einer experimentellen Prüfung zugänglich zu machen, mit anderen Worten, sie zu einer wissenschaftlichen Hypothese zu erheben, oder im entgegengesetzten Falle sie zu beseitigen. Bei dieser Prüfung ergab sich zunächst, dass die einzige bisherige Grundlage dieser Vermuthung, näm- lich die Aehnlichkeit der Nervenendplatte mit der elektrischen Platte, sogar abgesehen von den Ergebnissen neuer entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen von Hrn. Babuchin, mehr als unsicher ist, weil, nach Angaben von Hrn. Krause selbst, die feinkörnige Protoplasmamasse (Sohle nach Kühne) lediglich als die letzte feine Axencylinder-Ver- zweigung zu betrachten ist, so dass für die Endplatte, als ein vom Nervenstamme wesentlich verschiedenes Organ, nichts übrig bleibt. Zweitens spricht die Nervenendigung in den quergestreiften Muskeln beim Frosche auf das Entschiedenste gegen die Auffassung .dieser En- digung als eines vom Nerven verschiedenen Organes. Sogar noch in seiner letzten Abhandlung ? betrachtet Krause die Endigung als „haupt- sächlich weidenblattförmige Endplatten“ und bezieht sich dabei auf eine Abbildung, an welcher man aber keine Spur von diesen angeblich weiden- blattförmigen Endplatten sieht. i Ausserdem haben die neuen entwicklungsgeschichtlichen Unter- suchungen von Hrn. Babuchin’ uns gezeigt, dass das metasarko- blastische Glied elektrischer Platten, welches unzweifelhaft als der den elektrischen Schlag erzeugende Theil der letzteren anzusehen ist, der contractilen Muskelsubstanz entspricht, so dass die Nervenendplatte nur mit dem nervösen Gliede einer elektrischen Platte verglichen werden . könnte. Insofern die histologischen Forschungen in Bezug auf die Deutung der feinkörnigen Protoplasmamasse einer Endplatte noch nicht abge- 1 Virchow’s Archiv u. s. w. Bd. XXIX. S. 446. 2 W. Krause. Die Entladungshypothese und die motorischen Endplatten. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1876. Bd. XIll. 3 Centralblatt für die medieinischen Wissenschaften. 1875. S. 129. 145. 161. — Dies Archiv, 1876. S. 501. /uR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 139 schlossen sind, und somit die Frage, ob die Sohle der Endplatte nur ein Ausdruck feinster Axencylinder-Verzweigung ist, noch nicht sicher er- ledigt wurde, lässt du Bois-Reymond diese Vermuthung unter dem Namen „Entladungshypothese“ fortbestehen und prüft sie weiter in Bezug auf physiologische Angaben. Hier entsteht zunächst eine Schwierigkeit für die Entladungshypo- these in dem von Dr. Sachs ausgeführten Versuche, welcher ergab, dass bei schwachen Reizungen durch Inductionsströme die Zuekung nur auf diejenige Muskelfaser sich beschränkte, deren Endplatten mit den ge- reizten Nervenfasern in Verbindung waren. Die Unmöglichkeit, durch irgend eine Spannungsvertheilung an der Platte diese Thatsache zu erklären, zwingt du Bois-Reymond die obenerwähnte „modificirte Entladungshypothese “ aufzustellen. Diese nimmt an, dass im Augenblick der Entladung an der Sohlenfläche kleine, in Bezug zur Umgebung positiv oder negativ sich verhaltende Punkte, etwa in Folge der negativen Schwankung an den natürlichen Quer- schnitten terminaler Nervenendigungen, auftauchen. Was die Immunität der elektrischen Organe gegen Curare und die daraus für die ursprüngliche Entladungshypothese entstehende Schwierig- keit betrifit, so kann man diese Schwierigkeit gegenwärtig wohl als beseitigt betrachten, da nach den neuen Untersuchungen von Boll und Anderen auch die Muskeln der Fische bis zu einem gewissen Grade sich immun verhalten. Aus der weiteren Vergleichung der ursprünglichen Entladungshypo- these mit den Thatsachen ergeben sich aber folgende neue Schwierig- keiten. Nach der Berechnung von du Bois-Reymond bliebe für den Ablauf des ganzen für die Erregung des Muskels nöthigen Entladungs- processes nur höchstens 0°00307” übrig. Nun ist aber von.ihm selber schon längst erkannt, dass die Dauer eines Schlages der Zitterfische eine Grösse von derselben Ordnung, wie die einer Muskelzusammenziehung ist. Nach den Angaben von Marey' betrüge jene Dauer etwa 0:07”. Dazu kommt noch das von Marey behauptete Stadium der latenten Reizung für das elektrische Organ von etwa 0°016”. Was die Dauer des Schlages anbelangt, so konnte du Bois-Reymond auf Grund der von ihm gefundenen secundär-elektromotorischen Erscheinungen am elek- trischen Organ eines Zitterwelses wahrscheinlich machen, dass diese Dauer hauptsächlich von der positiven Polarisation des Organes abhängt und also auch von der Zahl der elektrischen Platten des letzteren, so I Comptes rendus ete. 1871. t. LXXIII. p. 958. 140 S. TscHIRJEW: dass „die Schlagdauer einer einzigen elektrischen Platte möglicherweise kleiner ist, als die des ganzen Organes“. Anders ist es mit dem Latenz- stadium. Obschon ein gewisser Theil der von Marey gefundenen Dauer des Latenzstadiums sich wohl auf die Ermüdung des Organes zurück- führen lässt, so bleibt nach du Bois-Reymond diese Schwieriskeit doch so lange fortbestehen, bis die Marey’sche Beobachtung nicht widerlegt ist. In der oben angeführten Abhandlung macht Hr. Krause! noch auf einen Umstand aufmerksam, nämlich auf die concave Form der Nerven- endplatte, die seiner Ueberzeugung nach im Stande ist, uns das Ergeb- niss des oben erwähnten Versuches von Dr. Sachs zu erklären. Darauf antwortet du Bois-Reymond?, dass „erstens die Endplatten keine solche concave Schilde sind, wie sie Hr. Krause braucht. Die Muskel- faser ist in situ prismatisch u. s. w.“, so dass wir hier nicht gleichsam mit einem Hohlspiegel es zu thun haben, sondern vielmehr mit unter stumpfen Winkeln geknickten Planspiegeln.. „Unter diesen Um- ständen,“ sagt du Bois-Reymond weiter, „dürfte der Unterschied zwischen der inneren und der äusseren Wirkung der Endplatte zu klein und unsicher ausfallen, um eine folgenschwere Theorie darauf zu grün- den.“ Zweitens ist der Versuch von Dr. Sachs gerade am Froschmuskel angestellt worden, wo von einer concaven Endplatte, ja. vielleicht über- haupt von einer Endplatte, als von einem besonderen Organ, keine Rede sein kann. Um dem ersten Theile dieses Einwandes — der zweite gehört dem Gebiete der Histologie — eine feste Grundlage zu geben, und da sich aus rein theoretischen Betrachtungen vorläufig darüber nichts entscheiden liess, hat Hr. Prof. du Bois-Reymond mir vor- geschlagen, diese Kusel experimentell zu prüfen. Da es sich dabei uur um Anstellung gewisser schematischer Ver- suche handeln konnte, deren Ergebnisse später auf die wirklichen Ner- venendplatten übertragen werden müssten, so schien es mir ungenügend, mich einfach auf Constatirung oder Widerlegung eines Unterschiedes zwischen den Wirkungen zu beiden Seiten eines die Endplatte nach- ahmenden Erregerpaares zu beschränken, vielmehr erkannte ich die Nothwendigkeit, wenn möglich, mir einen ganz exacten Aufschluss über den dabei stattfindenden Vorgang zu verschaffen, und die ihn be- einflussenden Bedingungen näher zu studiren. Nur auf Grund solcher Einsicht liesse sich später erörtern, in wie weit die Uebertragung der so gewonnenen Ergebnisse auf die Endplatten gerechtfertigt sei. Zu 1 Die Entladungshypothese und die motorischen Endplatten. A. a. O. 8. 170, 2 Gesammelte Abhandlungen u. s. w, Bd. II. 8. 711. Anm, 7/UR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 141 diesem Zwecke habe ich das Studium der Stromvertheilung im Elektro- lyte bei verschiedenen Formen der Elektrodenpaare unternommen. Als Elektrolyt habe ich gesättigte Zinkvitriollösung benutzt und als Elektrodenpaar eine verschieden gebogene Kautschukplatte mit darauf augeklebten verquickten dünnen Zinkplatten. Dies Studium hat mich zu folgendem allgemeinen Satze geführt: Wenn das System der Stromcurven in einem, im Vergleich zum eingetauchten Elektrodenpaar für unendlich gross zu rechnenden Hlektrolyte zum System der Curven gleichen elektrischen Potentials gemacht wird, bekommt das ur- sprüngliche System isoölektrischer Curven die Bedeutung des Systemes der Strömungslinien und umgekehrt. Bei die- sem Umtausch beider genannten Systeme bleibt das System der Curven gleicher Stromdichte unverändert. Wir wollen dies an folgendem Beispiele klar machen. Denken wir uns einen unendlich grossen Elektrolyt in der Form einer unendlich dünnen Schicht, so dass wir seine dritte Dimension nicht zu berücksichtigen brauchen. Wenn ich in einen solchen Elektro- lyt ein Elektrodenpaar in der Form von zwei Punkten eintauche, so muss sich nach der Analogie mit dem bekannten Kirchhoff’schen Falle um diese Punkte ein System von Strömungseurven bilden, welches alle mögliche durch die Elektrodenpunkte gelegte Kreise darstellt. Ein zweites System, das der isoälektrischen Curven, entsteht dabei aus zwei Systemen von Kreisen, welche jeden der Stromkreise senkrecht schnei- den. Endlich als drittes System kann man dasjenige der Curven gleicher Stromdichte betrachten, welches sich hier durch ein Lemniscatensystem darstellen lässt. Wenn ich jetzt zwei beliebige Stromeurven zu Curven gleichen elektrischen Potentials mache, so bleiben alle drei ursprüng- lichen Curvensysteme so zu sagen räumlich unverändert, und nur die beiden ersten vertauschen ihre Bedeutung, iusofern als das ursprüngliche System der Stromeurven jetzt das System der iso@lektrischen Curven darstellt und umgekehrt. Das System gleicher Stromdichte dagegen bleibt ganz unverändert. Dieser Satz war vorläufig insofern gewagt und unbewiesen, als er gewisse Abstractionen von dem Einflusse der Begränzung des Elektro- Iytes in sich begriff, die durch das Experiment unmittelbar nicht zu beweisen waren. Allein er hat seine volle Bestätigung in der Theorie gefunden. Es lassen sich nämlich alle diese Consequenzen aus den all- gemeinen, durch Kirchhoff für die stationäre elektrische Strömung in einem Elektrolyte aufgestellten Formeln ableiten. Da alles dies mehr vom physikalischen, als physiologischen Interesse ist, so beschreibe ich 142 S. TSCHIRJEW : diese Versuche und die Methoden, deren ich mich dabei bediente, aus- führlicher in einer für die Annalen der Physik und Chemie bestimmten Mittheilung.! Die Anwendung des oben angeführten Satzes für unsere nächsten Zwecke liegt auf der Hand. Wenn ich eine kreisförmig gebogene rechteckige Kautschukplatte an ihren concaven und convexen Seiten mit Zinkplatten belege, die ich mit den Polen einer constanten Kette oder den Enden der secundären Rolle eines Inductoriums verbinde, und solches Elektrodenpaar in einen Elektrolyt eintauche, dessen Dimensionen als sehr gross gegen diejenigen der Elektroden zu betrachten sind, so bilden die uns am meisten inter- - essirenden Curven gleicher Stromdichte ein Lemniscatensystem, dessen beide Hauptpunkte mit den Enden der Elektrodenplatte zusammenfallen. (Fig. 1)? Aus dem Verhältniss dieses Systems zur Platte sieht man schon, dass die Stromdichte und also auch die Wirkung auf der con- caven Seite im Alloemeinen stärker sein muss als auf der convexen. Dagegen in einer grösseren Umgebung um die Enden der Platte herum muss die Wirkung auf beiden Seiten die gleiche sein. Ausserdem ist uns auch damit sofort die Vertheilung der Stromdichte und also auch die erregende Wirkung in den verschiedenen Theilen des Elektrolytes auf das Genaueste gegeben. So muss z. B. letztere in der Richtung des mittleren Radius bis zu einer gewissen Grenze mit der Entfernung von der Platte wachsen, nämlich bis zum Punkte, wo dieser Radius mit der Sehne zu dem von der Platte gebildeten Kreisbogen sich schneidet, über diesen Punkt hinaus wieder abnehmen. In der Nähe von den Enden der Elektrodenplatte muss die letztere am stärksten wirken, da die nächsten um die Enden herumgehenden Lemniscaten die Curven der grössten gleichen Stromdichte sind; allein nach aussen von der Platte muss diese Wirkung mit der Entfernung ziemlich rasch abnehmen nach einer steil abfallenden Exponentialcurve. Ebenso kann man auf Grund des obigen Satzes im Voraus sagen, wie sich die Stromdichte in einem Elektrolyte (unter den genannten 1 Experimentelles zur Theorie der stationären elektrischen Strömung nach zwei Dimensionen. Annalen der Physik und Chemie, redigirt von Wiedemann. — Diese Arbeit ist schon der Redaction der Annalen eingereicht und wird dem- nächst erscheinen. (Sie ist seitdem erschienen. A. a. OÖ. 1878. Bd. III. Hft. 2. S. 196. — Red.) 2 Diese Figur stellt wirklich die von mir ermittelte Vertheilung der Strom- dichte dar. Die in der Figur bemerkbare Biegung der Lemniscaten zur Platte hängt, wie ich in der speciellen Mittheilung nachweise, von der nicht correeten Form der Platte ab, insofern ihre Flächen nicht ganz den zu ersetzenden Strö- mungsflächen entsprechen. ZUR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 143 Bedingungen in Bezug auf die Dimensionen) vertheilen wird für jede denkbare Form des Elektrodenpaares, wenn diese als dadurch entstanden angesehen werden kann, dass bei Zuleitung des” Stromes durch zwei punktförmige Elektroden (Kirchhoff’s Fall) zwei beliebige Stromcurven durch Flächen constanten elektrischen Potentials ersetzt worden sind. Für den Fall der kreisförmig gebogenen Elektrodenplatte (Fig. 1) konnte ich wirklich das Vorhandensein eines solchen Lemniscatensystems, als des Systemes der Curven gleicher Stromdichte, experimentell bestätigen. Etwas anders gestaltet sich dies System für die geknickte Hlek- trodenplatte. Die Elektrodenplatte, d. h. eine an beiden Seiten mit den verquickten Zinkplatten belegte Kautschukplatte bildete nämlich ein Drittel eines regelmässigen Sechsecks, welches eine ganze und zwei halbe benachbarte Seiten enthielt. In diesem Falle war das System der Cur- ven gleicher Stromdichte insofern von dem vorigen verschieden, als die X-Axe! des Systems in die Winkel der Platte bis zu einem gewissen Grade, so zu sagen, eingezogen erschien (Fig. 2). Die Bestimmungen an anderen unter verschiedenen Winkeln geknickten Platten haben ge- zeigt, dass je stumpfer die Winkel sind, desto unbedeutender die Bie- sungen der X-Axe des Systems nach den Winkeln hin ausfallen und umgekehrt. Die Folge davon ist nur die, dass das Maximum der Wir- kung der geknickten Elektrodenplatte gegenüber den Winkeln auf der concaven Seite der Platte etwas näher rückt. Der oben angeführte Satz gilt nur für einen Elektrolyt von zwei Dimensionen oder für einen cylindrischen Elektrolyt, wenn auch das Elektrodenpaar cylindrisch ist, dieselbe Höhe hat und senkrecht zur Grundfläche des Elektrolytes aufgestellt wird, wie es bei meinen Unter- suchungen der Fall war. So viel ich weiss, lässt sich die Giltiskeit unseres Satzes für Elek- trolyte von drei Dimensionen noch nicht theoretisch beweisen, nichts- destoweniger kann man auf Grund folgender Betrachtung auch für diesen Fall mit grosser Wahrscheinlichkeit, wenigstens für eine gewisse Art von Elektrodenformen, die Vertheilung der Stromdichte ermitteln. Das ist nämlich der Fall für die Formen der Elektrodenpaare, welche man aus Kugelschalen zusammengesetzt denken kann. Stellen wir uns näm- lich zwei Kugelschalen von wenig verschiedenen Radien, aber von gleichem Rand-Umfange so in einander gelest vor, dass sie eine Kugelschale ein- schliessen. Wenn nun diese Schalen in einem verhältnissmässig sehr srossen Blektrolyte zu Flächen constanten elektrischen Potentials ge- 1 Mit „X-Axe“ bezeichne ich die gerade Linie, welehe durch die beiden Haupt- punkte geht. 144 S. TscHiRsJEw: macht werden, wird das System der Curven gleicher Stromdichte durch . ein System von lemniscoidförmigen Flächen dargestellt, welches sich durch die Rotation eines lemniscatenförmigen Systems um die zur X-Axe senkrechte Axe entstanden denken lässt. Ich habe diese Flächen gleicher Stromdichte lemniscoidförmige Flächen genannt, weil jetzt jedem Radial- schnitte des Elektrodenpaares eine mit der Entfernung von dem letzteren an Dicke zunehmende Schicht des Elektrolyten entspricht. In Folge dessen wird die Stromdichte von dem Rande des Elektrodenpaares (dem Orte aller Hauptpunkte der Lemniscatensysteme) aus nach aussen rascher und nach Innen langsamer abnehmen, als dies in dem Fall der Lemnis- coiden selber geschähe. Dies Ergebniss lässt sich etwa durch folgende Aenderung im Lemniscaten-System ausdrücken: denken wir uns die Lemniscaten in den nach aussen von den Hauptpunkten liegenden Theilen des Systems einander genähert und in den inneren Theilen von einander entfernt, so bekommen wir ein lemniscatenförmiges System, welches nur noch eine äussere Aehnlichkeit mit dem Lemniscatensystem beibehalten wird. Diese Art von Curven dachte ich mir, als ich oben von dem lemniscatenförmigen System sprach. Durch ähnliche Betrachtungen können wir Schritt für Schritt durch die Formen des Elektrodenpaares, wo die Flächen constanten elektrischen Potentials zuerst in ellipsoidischen Schalen und dann durch Abnahme der Krümmung der letzteren in der Richtung ihrer langen Axe in elliptische nur in der Richtung der kurzen Axen gekrümmte Flächen übergehen, zu Formen gelangen, welche denjenigen der Nervenendplatte sehr ähnlich sind. Um diese Schlüsse zu prüfen, habe ich folgende Versuche angestellt. Es wurden Elektrodenplatten vorbereitet, die, wie Fig. 3 zeigt, die Nervenendplatten möglichst getreu nachahmten. Diese Elektrodenpaare wurden in ein eylindrisches mit dreiviertelprocentiger Kochsalzlösung gefülltes Glassgefäss getaucht und mit den Enden einer constanten Kette, oder der secundären Rolle eines Inductoriums ver- bunden. Ein curarisirter Froschgracilis, an dessen einem Ende durch einen seidenen Faden ein Gewicht von etwa 20®°° in Form einer mit Quecksilber gefüllten Glaskugel befestigt war, wurde mittels eines seidenen Fadens in verschiedenen Theilen des Gefässes aufgehängt, um die Wirkung der Elektrodenplatte zu untersuchen. Diese Untersuchung bestätigte die nach Vorigem zu hegenden Erwartungen vollständig. Bei demselben Abstande von der Elektrodenplatte nahe der Mitte zuckte der Muskel auf der concaven Seite zuweilen etwa bei sechs Mal schwäche- ren Inductionsschlägen, als an der entsprechenden Stelle der convexen Seite. In der Richtung gegen die seitlichen Ränder der Platte nahm dieser Unterschied ab, so dass um die Ränder herum, und bei einer ZUR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 145 gewissen Annäherung an letztere, dieser Unterschied sehr unbedeutend war. Dei denjenigen Stärken der Induetionsschläge, welche an den übrigen Stellen der convexen Fläche schon keine Zuckungen in dem prüfenden Muskel erzeugten, konnte man in der Nähe der Ränder noch ziemlich starke Zuckungen beobachten, besonders partielle Zuckungen der den Rändern zugewandten Muskelbündel. Um den wirklichen Verhält- nissen im Muskel etwas näher zu treten, wurden endlich noch folgende Versuche gemacht. Ein kleines und dünnes Elektrodenplättchen aus einer dünnen mit Stanniol belegten Kautschuckplatte gefertigt, von einer der in Fig. 3 gezeichneten Formen und an Breite einem Drittel des Umfanges eines Froschgastroknemius entsprechend, wurde zwischen zwei frei heraus präparirte Muskeln (Gastroknemien oder Graciles) eines cura- risirten Frosches geschoben. Sobald man dieses Muskelpaar von der Elektrodenplatte aus mit minimalen Inductionsschlägen reizte, konnte man in Bezug auf die bevorzugte Wirkung der einen oder anderen Fläche des Elektrodenplättchens meistentheils zu keinem sicheren Er- gebniss gelangen. Jetzt entsteht die Frage, ob wir wirklich berechtigt sind, diese Er- gebnisse so ohne Weiteres auf die Wirküng der motorischen Nerven- endplatte zu übertragen. Zunächst ist es klar, dass der bedeutendste Theil aller am meisten wirksamen Stromcomponenten bei dieser Anord- nung senkrecht zur langen Axe des Primitivmuskelbündels verlaufen muss. Wäre die Muskelsubstanz in der Querrichtung unerregbar, so wäre dadurch die Entladungshypothese, als eine Zweckwidrigkeit in sich schliessend, vom teleologischen Standpunkt aus so gut wie widerlegt. Darauf hat schon du Bois-Reymond aufmerksam gemacht. Nachdem ich! aber bewiesen habe, dass die contractile Substanz auch in der Quer- richtung durch elektrische Ströme erregbar ist, ja sogar nach meinen Ver- suchen die quere specifische Muskelerregbarkeit nicht kleiner sein kann, als die longitudinale, ist diese Hypothese in Bezug hierauf vorwurfsfrei. Die Bedingung, dass die Dimensionen der Elektrodenplatte in Bezug auf diejenigen des Elektrolytes als verschwindend kleine betrachtet werden können, ist für die Nervenendplatte im Muskel auch erfüllt. Dass der Muskel kein gleichartiger Elektrolyt ist (wegen der Ein- schaltung des Sarkolemms, Bindegewebes u. s. w.), kann von keinem wesentlichen Einflusse auf die Stromdichtevertheilung in dem zur Platte gehörigen Primitivmuskelbündel sein, weil das System der Stromeurven im letzteren davon nicht beeinflusst werden kann, und nur vielleicht die 1 Dies Archiv, 1877. S. 489. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 10 146 S. TscHIRJEWw: Stärke der longitudinalen Stromcomponenten begünstist wird, wegen des kleineren Widerstandes in dieser Richtung. Daraus folgt, dass die Ergebnisse unserer schematischen Versuche wirklich auf die Nervenendplatten angewendet werden können. Diese Versuche haben uns gezeigt, dass von einer bevorzugten Wir- kung der concaven Seite einer Elektrodenplatte nur dann die Rede sein kann, wenn der prüfende Körper in einer gewissen Entfernung von der Platte sich befindet; liest er unmittelbar an der Elektrodenplatte an, so wird dieser Unterschied in der Wirkung beider Seiten sehr vermindert, ja sogar verschwindend, da der Körper jetzt in den Bereich der grössten 'Stromdichte geräth, die um die Ränder herum ziemlich gleichmässig in allen Richtungen vertheilt sind. Nun wissen wir, dass die Endplatten sowohl den ihnen zugehörigen, als auch den benachbarten Muskelfasern sehr nahe anliegen. In Folge dessen spricht die Beschränkung ihrer Wirkung auf die ersteren entschieden gegen die Analogie der Endplatte mit der elektrischen Platte, d. h. gegen die Annahme, dass die beiden Flächen der Endplatte im Momente der Entladung zu Flächen- econstanten, aber verschiedenen elektrischen Potentials werden. Die Art der Nervenendigung beim Frosch, an dessen Muskeln die Sachs’sche Beobachtung gemacht wurde, schliesst schon an und für sich die Möglichkeit aus, in der gekrümmten Form der Endplatten bei einigen Thieren eine Erklärung dafür zu suchen. Dagegen lässt sich, wie später gezeigt werden soll, diese bevorzugte Wirkung der Nervenendplatten auf die zugehörigen Muskelfasern vom Standpunkte der modifieirten Ent- ladungshypothese sehr gut erklären, indem man die dabei nothwendis zu Stande kommende Superposition einzelner Wirkungen in Betracht zieht. Wir wollen jetzt diese vergleichende Prüfung beider Hypothesen weiter durchführen. Zwischen der ursprünglichen und modifieirten Entladungshypothese, obsehon sie auf,den ersten Blick einander vielleicht sehr ähnlich er- scheinen, liest doch ein tiefer Unterschied. Die Frage von der Annahme einer oder der anderen dieser Hypothesen lässt sich nämlich zurückführen auf folgende Frage: ob zwischen dem Nerven und Muskel ein kraft- erzeugendes Organ eingeschaltet ist, oder nicht? Schon a priori scheint die Einschaltung eines solchen Organes zwi- schen dem Nerven und Muskel höchst unwahrscheinlich, weil dieselbe nur dann einen Sinn haben würde, wenn die negative Schwankung des Nervenstromes, sogar mit Berücksichtigung der Verstärkung ihrer Wir- kung in Folge der Superposition (s. unten) als eine Grösse ganz anderer ZUR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 147 Ordnung zu betrachten wäre, als die des minimalen elektrischen Reizes für die contractile Substanz. Etwas Bestimmtes über das Verhältniss dieser Grössen anzugeben, sind wir noch nicht im Stande, weil, obschon . wir jetzt sowohl die elektromotorische Kraft der Nerven,! als auch den zeitlichen Verlauf und die relative Grösse der negativen Schwankung ziemlich genau kennen, uns noch die genaue Kenntniss der absoluten Grösse des minimalen elektrischen Reizes für die contractile Substanz fehlt. Jedenfalls ist es aber auf Grund unserer jetzigen Reizversuche (hauptsächlich mit Berücksichtigung des Umstandes, dass auch die Muskelreizung durch den elektrischen Strom eine Function der Strom- dichte ist) erlaubt, mit du Bois-Reymond zu sagen, „dass die Mög- lichkeit der Erregung der contractilen Substanz durch die negative Schwankung des Nervenstromes nicht zu leugnen ist.“ ? Was das Misslingen des Versuches anbetrifft, secundäre Zuckung vom Nerven aus zu bekommen, so kann dies aus Gründen, welche du Bois-Reymond in seiner Kwperimentalkritik u. s. w. anführt, nichts gegen jene Möglichkeit beweisen. Glücklicherweise lässt sich die oben aufgestellte Frage: ob zwischen dem Muskel und Nerven ein krafterzeugendes Organ eingeschaltet ist, experimentell prüfen; nämlich durch den Vergleich der Tetanuscurven eines Muskels bei der unmittelbaren Reizung vom Nerven aus. Es unter- liest keinem Zweifel, dass die dauernde Leistung eines krafterzeugenden Örganes im thierischen Organismus niemals constant sein kann, sondern allmählich abnehmen muss, d. h. von einer gewissen Ermüdung begleitet wird, weil erstens die Processe, welche den dabei stattfindenden Verlust an Spannkräften ersetzen, nicht momentaner Natur sind, sondern für ihren Ablauf eine gewisse Zeit fordern, und zweitens die dabei entstehenden Zersetzungsproducte sich anhäufen, welche bekanntlich (wenigstens für den Muskel) die Eigenschaft haben, die Erregbarkeit oder Leistungsfähig- keit des betreffenden Organs zu vermindern. Wenn ich also einen be- lasteten Muskel dauernd reize und ihn seine Zusammenziehung auf einer rotirenden Trommel aufzeichnen lasse, so muss ich wegen seiner Ermü- dung statt einer geraden Linie eine gewisse der Abscissenaxe sich nähernde Curve bekommen. Es ist klar, dass die Art dieser Näherung ‚von dem Grade der Ermüdung abhängen wird. In der neuesten Zeit ist 1 E. du Bois-Reymond, Ueber die elektromotorische Kraft der Nerven und Muskeln. Dies Archiv, 1867. 8. 417. — Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II, D232% 2 Experimentalkritik u. s. w. Monatsberichte u. s. w. A. a. O. S. 558. — Ge- sammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 733. - 10 * 148 S. TscHIRIJEw : die Ermüdung und Erholung der Nerven durch Hrn. J. Bernstein! speciell studirt worden. Allein der grösste Theil der dabei gefundenen Ermüdung muss entweder auf die elektrotonische Wirkung der Inductions- schläge, oder auf die anderer schwer zu vermeidender Misshandlungen der gereizten Stelle — Zerrung, chemische und thermische Einwirkungen — zurückgeführt werden, da Hr. Bernstein sich zur Ausgleichung des Verlaufes beider Inductionsströme einfach der Helmholtz’schen Anord- nung bediente. Die Meinung, dass die elektrotonische Wirkung dabei vermieden war, ist bei diesem erfahrenen Forscher ganz unbegreiflich. Aus verschiedenen Gründen betrachtet man schon lange die Ner- ven hauptsächlich als leitende Organe, bei denen also nur ein ge- ringer Grad von Ermüdung in Folge ihrer physiologischen Thätigkeit anzunehmen ist.” Deshalb kann man sichtlich, indem man einmal den belasteten Muskel selbst (unmittelbar), das andere Mal ihn vom Nerven aus tetanisirt, aus dem Verlauf beider Ermüdungscurven einen Schluss darauf ziehen, ob zwischen beiden noch ein krafterzeugendes und also auch merklich ermüdendes Organ, etwa eine elektrische Platte einge- schaltet ist, oder nicht. Es versteht sich von selbst, dass dabei Alles vermieden sein muss, was die Erregbarkeit des Nerven und des Muskels an den gereizten Stellen variiren kann, also elektrotonische Wirkung der reizenden Ströme, und beim Nerven ausserdem der Einfluss der örtlichen Erregbarkeit. Ich habe derartige Versuche angestellt. Die Versuchsanordnung war folgende: Es wurde ein Frosch, dem das Grosshirn durch einen Schnitt mit dem Glühmesser vom verlängerten Marke getrennt war, an einem Brette befestigt und auf einer Seite der Ischiadieus ohne Verletzung der Blut- sefässe herauspräparirt. Auf derselben Seite wurde die Achillessehne unter der Haut von der Plantarfläche des Fusses abgetrennt und durch ihr Ende ein Haken gestossen. Das Brett wurde gewöhnlich in der ver- ticalen Ebene befestigt, die Achillessehne vermittelst des Hakens mit dem Schreibhebel eines Pfüger’schen Myographions verbunden und der Ischiadicus in einen feuchten Reiztrog gelegt. Der Schreibhebel zeich- nete auf einer langsam rotirenden (etwa eine Umdrehung in einer Mi- nute vollziehenden) Trommel. Für die unmittelbare Reizung des Muskels wurden durch den letzteren (oben und unten) zwei feine Nadeln gestochen, 1 Ueber die Ermüdung und Erholung der Nerven, Pflüger’s Archiv u. s. w. 1811. Bay. Elft. 60. 7. 2 Vergl. E. du Bois-Reymond in diesem Archiv, 1867. 8.440. — Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. II. S. 251. ZUR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 149 an deren Enden Drähte angelöthet waren. Gereizt wurde durch wech- selnde Inductionsströme, deren Verlauf nach dem bekannten Bernstein’- schen Verfahren ziemlich congruent gemacht war. Die angewandten Reizstärken wurden immer auf der Höhe maximaler Reize gehalten. Die gereizte Stelle des Nerven war stets ungefähr 30" vom künstlichen Querschnitt entfernt. Es ist klar, das eine gewisse Erregbarkeitsabnahme an den gereizten Stellen selbst sowohl des Nerven als des Muskels in Folge der nicht absoluten Congruenz der Inductionsströme und der sonst noch möglichen unbekannten Wirkungen des elektrischen Stromes auf das Gewebe stattfinden und von Einfluss auf die Ergebnisse sein konnte. Allein, da es sich bei diesen Versuchen mehr um Vergleich und nicht um absolute Werthe handelte, konnte dieser Umstand vernachlässigt werden. Die Versuche wurden hauptsächlich nach folgenden zwei Plänen aus- geführt: 1) Der Muskel wurde abwechselnd vom Nerven aus und un- mittelbar tetanisirt während gleicher Zeiten (5’”—15”) und nach gleich- langen Pausen (1—5 Minuten); 2) der Muskel wurde entweder durch den Nerven, oder unmittelbar tetanisirt in solchen Pausen, dass man seine maximalen Contractionen abnehmen sah. Aus diesen Versuchsreihen ergab sich (Fig. 4—8) dass im Verlaufe der Ermüdungscurven bei der Muskelreizung vom Nerven aus im Vergleiche mit denjenigen der unmittelbaren Reizung kein derartiger Unterschied sich nachweisen lässt, wie man ihn bei Annahme eines zwischen der Muskelfaser und dem Nerven eingeschalteten, krafterzeugenden Organes erwarten sollte; wenn man nicht die wenig wahrscheinliche Annahme hinzu- fügen will, dass die Ermüdung der contractilen Substanz und die des hypothetischen Zwischenorganes genau denselben Gang in der Zeit be- folgen. In der Literatur über die elektrischen Fische konnte ich keine ge- nauen Angaben in Bezug auf die Ermüdung des elektrischen Organes finden, doch ist im Allgemeinen kaum zu bezweifeln, dass das elektrische Organ ein relativ sehr schnell ermüdendes Organ ist; und dasselbe wäre also auch von der Nervenendplatte zu erwarten gewesen, wenn sie mit der Elementarplatte der elektrischen Organe einerlei wäre. Nur ganz am Ende des Versuches, nachdem der Nerv schon sehr oft gereizt war, zeigt sich zuweilen ein Unterschied zu Gunsten der un- mittelbaren Muskelreizung (Fig. 8). Man kann sogar, durch eine Reihe von Nervenreizungen mit Verminderung der Ruhepausen zu einem Zu- stand gelangen, wobei die allerstärkste Nervenreizung (selbstverständlich wurde dabei zur Reizung immer eine neue Nervenstrecke genommen) 150 S. TSCHIRJEWw: ohne Erfolg bleibt, obschon man durch unmittelbare Muskelreizung noch eine Zusammenziehung hervorrufen kann. Das weist erstens darauf hin, dass die maximalen Reize vom Nerven aus überhaupt noch nicht maximale Muskelreize sind. Zweitens folst daraus sowohl als aus den Curven (Fig. 8), dass bei der Reizung vom Nerven aus sich doch eine etwas schnellere Ermüdung geltend macht. Zu gering für die Annahme der Einschaltung eines Organes, wie einer elektrischen Platte, lässt dieser Unterschied sich dadurch erklären, dass auch in der Endverzweigung des Nerven bei der Uebertragung der Rei- zung auf den Muskel ein gewisser Kraftverlust stattfindet. Vorausgesetzt, dass der unbekannte Molecularvorgang, welchen die Reizung des Nerven in ihm erzeugt, nur auf Kosten der kinetischen Energie des Reizes geschieht, liesse sich der Grund der functionellen Ermüdung des Nerven in dem Verlust an Spannkräften finden, der durch die Ausgleichungen der elektrischen Spannungsunterschiede entsteht, welche durch den Ablauf des Molecularvorganges an dem Nervenende hervorgebracht werden. Endlich möchte ich noch erwähnen, dass man im Anfange einer solchen Versuchsreihe fast immer findet, dass die Höhe der Maximalzuckungen bei der Reizung vom Nerven aus grösser ist, als bei der unmittelbaren Muskelreizung. Dies erklärt sich dadurch, dass die Zusammenziehung des Muskels bei der unmittelbaren Muskel- reizung nicht so vollständig sein kann, wie bei der Nervenreizung, weil dort eine gewisse Anzahl der Muskelfasern eines Muskels, wie des Gastroknemius, nicht daran theilnehmen wird oder wenigstens nicht im genügenden Grade, wegen der geringeren Stromdichte oder im Fall sehr starker Reizströme wegen der elektrotonischen Wirkung. Auch die Ergebnisse dieser Versuche sprechen also gegen die ursprüngliche Ent- ladungshypothese, sind aber sehr wohl vereinbar mit der modificirten. Indem wir alle obenangeführten Ergebnisse der bisherigen Forschungen schliesslich zusammenfassen, ergiebt es sich, dass gegen die Analogie zwischen einer Nervenendplatte und einer elektrischen Platte, und also gegen die ursprüngliche Entladungshypothese, sowohl entwicklungsge- schichtliche und anatomische als auch physiologische Gründe sprechen, dass dagegen die modificirte Entladungshypothese mit der ersten Klasse von Thatsachen im Einklang und bis auf einen Punkt auch mit den physiologischen Untersuchungen nicht im Widerspruche steht. Dieser schwache Punkt ist nämlich die obenerwähnte Zeit von 0:00307”, welche zwischen dem Momente, wo die Reizwelle vom Nerven aus im Gastro- knemins anlangt, und dem Beginn der negativen Schwankung des letz- ZUR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 151 teren nach Sigmund Mayer verfliesst. Für die ursprüngliche Ent- ladungshypothese war diese Zeit zu kurz, für die modifieirte ist sie zu lang. Allein erstens lässt sich diese Zeit um den dritten Theil, nämlich um das Tausendtel einer Secunde verringern, welches nach den Berech- nungen von Dr. Gad! bei den Bernstein’schen Versuchen zwischen dem Anfang der unmittelbaren Muskelreizung und dem Beginn der negativen Schwankung verging. Zweitens sind diese Messungen am Gastroknemius angestellt, von dem wir jetzt wissen, dass seine negative Stromschwankung eine Resultante zweier entgegengerichteten Strom- schwankungen ist,” und es ist wohl denkbar, dass die beobachtete Verspätung, wenn nicht ausschliesslich, wenigstens zum Theil davon herrührt. In Folge dessen liesse sich diese Zeit vielleicht zuletzt auf die Grösse redueiren, welche im Bereiche der Beobachtungsfehler liegt. Ab- gesehen davon, stösst du Bois-Reymond’s modifieirte Entladungs- hypothese auf keine thatsächlichen Widersprüche. Was die von Hrn. Dr. Sachs bei einer gewissen Stärke der Reiz- ströme beobachtete Begränzung der Wirkung einer Nervenendplatte auf die zugehörige Muskelfaser betrifft, so lässt sie sich vom Standpunkt der modifieirten Hypothese erklären durch die Superposition der Einzel- wirkungen der im Momente des Ankommens der Reizwelle an den Nerven- endigungen auftauchenden elektromotorischen Flächen. Denken wir uns zwei ebene Scheiben, deren eine zu einer elek- tromotorischen Fläche gemacht ist, und in deren andere, welche aus irgend einer die Hlektrieität leitenden Substanz bestehen mag, sehr viel kleine elektromotorischen Flächen getrennt von einander einge- bettet sind. Wenn wir nun diese Scheiben in einen Elektrolyt eintauchen, so werden wir in deren Nähe ganz verschiedene Vertheilung der Strom- dichten bekommen. Im Falle der zusammenhängenden elektromotorischen Scheibe wird das System der Curven gleicher Dichte gemäss unserem Satze (s. S. 142) lemniscatenförmig sein, so dass bei demselben Abstande von der Oberfläche der Scheibe die Wirkung vom Centrum zur Peripherie wachsen wird. Dagegen im Falle der zusammengesetzten Scheibe in Folge des Gesetzes der Superposition elektrischer Wirkungen wird gerade das Entgegengesetzte der Fall sein, d. h. die Wirkung wird gegenüber dem Centrum der Scheibe am stärksten sein und mit der Entfernung 1 Fortschritte der Physik u. s. w. Bd. XXVII. S. 1123. 2 E. du Bois-Reymond, Ueber die negative Schwankung u. s. w. Erste Abtheilung. Dies Archiv, 1873. 8.517. — Gesammelte Abhandlungen u. s.w. Bd. II, 8. 402. 152 S.. TScHIRJEWw: vom Centrum abnehmen. Obschon in Folge der Krümmung der Scheibe in einem oder mehreren ihrer Durchmesser im ersten Falle die Strom- dichte im Centrum wüchse und die Curven der grössten gleichen Strom- dichte sich immer näher und näher dem Rande der Scheibe anschlössen, blieben die letzteren immer am Rande, obschon sie nur in dessen aller- nächster Umgebung wahrgenommen werden und also einen Reiz ausüben können. Im Falle einer aus einzelnen kleinen elektromotorischen Flächen zusammengesetzten Scheibe wird der Unterschied zwischen den peripheri- schen und centralen Wirkungen noch grösser und also auch die Concen- trirung des Reizes. Nun ist die Sohlenfläche einer Endplatte, nach der der modificirten Entladungshypothese zu Grunde liegenden Betrachtung, im Momente des Ankommens der Reizwelle einer solchen zusammengesetzten Scheibe zu vergleichen und darin vielleicht der ganze Sinn der terminalen Nerven- verzweigungin der Endplatte zu suchen. Der Sinn dieser Nervenverzweigung bestände nämlich darin, dass dadurch die an sich nicht genügende Wir- kung einzelner Elemente (einzelner terminaler Nervenquerschnitte) in einer Stelle (Centrum) der Endplatte auf Kosten der übrigen verstärkt und ausreichend gemacht, und dass ausserdem die isolirte Reizung nur der zugehörigen Muskelfaser ermöglicht wird. Was den Frosch anbelangt, so wäre die bei ihm sich findende Ver- bindungsart des Nerven mit dem Muskel dahin zu deuten, dass das, was dabei an der Verstärkung der Wirkung in Folge der Superposition einer grösseren Anzahl einzelner Wirkungen verloren geht, durch den grösse- ren Umfang der gereizten Muskelstrecke compensirt wird. Hier möchte ich auch auf die verschiedene Form und Structur des nervösen Gliedes elektrischer Platten bei den verschiedenen Zitterfischen aufmerksam machen, nämlich auf die Aehnlichkeit zwischen diesen Ab- weichungen und denjenigen der terminalen Nervenendigungen in den Muskeln. So z. B. erinnert das nervöse Glied bei Torpedo an die termi- nale Nervenverzweigung in den meisten Endplatten; dagegen hat die Nervenendisung beim Frosch eine gewisse Aehnlichkeit mit dem ner- vösen Glied der elektrischen Platten von Gymnotus. Dieser Umstand spricht auch für die Analogie zwischen dem nervösen Glied der elektri- schen Platte und der Nervenendplatte, wogegen er auf’s Neue die Auf- fassung der letzteren als einer elektrischen Platte im Ganzen als irr- thümlich erscheinen lässt. Andererseits spricht die Constanz im Baue des metasarkoblastischen Gliedes elektrischer Platten dafür, dass dies der wesentlichste Bestandtheil dieser Organe ist. Endlich ist zu bemerken, dass die Auffassung der negativen Schwan- kung des Nerven- tınd Muskelstromes nur als eines äusseren Merkmales ZUR PHYSIOLOGIE DER MOTORISCHEN NERVENENDPLATTE. 153 des zu Grunde liegenden Moleeularvorganges bei der Reizung, ohne das sie irgend eine wesentliche Rolle dabei spielte, der Grösse der elektro- motorischen Kraft der Nerven und Muskeln (0-025, 0-05 Daniell und zuweilen mehr) gegenüber etwas höchst Unwahrscheinliches hat.! Alles das führt uns zu folgendem Schlusse: wenn es gelingen würde nachzuweisen, dass zwischen dem Momente des Anlangens der Nerven- reizwelle an dem Muskel und dem Beginne der Reizwelle im letzteren keine grössere Zwischenzeit verfliesst, als die des elektrischen Latenz- stadiums des Muskels (wenn das letztere überhaupt existirt), so wäre die modificirte Entladungshypothese von E. du Bois-Reymond mit Berücksichtigung der aus dem Gesetze der Superposition elektromotorischer Wirkungen für sie folgenden Consequen- zen bei dem heutigen Zustande unserer Kenntnisse die ein- zig mögliche Hypothese, welche sich mit allen uns bis jetzt bekannten Thatsachen in einer gewissen Uebereinstimmung befände. Der ganze Vorgang der Muskelreizung vom Nerven aus wäre so- nach etwa folgender. In Folge der Störung des Moleculargleichsewichtes an irgend einer Stelle des Nerven durch irgend einen Reiz entsteht ein unbekannter Molecularvorgang im Nerven, welcher dem letzteren entlang sich fortpflanzt, überall einen elektrischen Spannungsunterschied hervor- rufend, und an den natürlichen Querschnitten der terminalen Nerven- zweige angelangt, deren elektrische Spannung verändert; in Folge dessen entsteht eine Ausgleichung durch die contractile Substanz, welche durch die Superposition im Centrum der Endplatte besonders verstärkt wird. 1 Vergl. E. du Bois-Reymond in diesem Archiv, 1867. 8. 430. 431. 440. 441. — Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. IL. $. 243. 250. 251. Erklärung der Tafel. Fig. 1 u. 2. Die punktirten Linien bezeichnen den experimentell gefundenen Verlauf der Curven gleicher Stromdichte bei den kreisförmig gebogenen und ge- knickten Elektrodenplatten. Fig. 3 stellt zwei die Form der Nervenendplatte nachahmenden Elektroden- paare vor. Fig. 4. Tetanuscurven bei maximaler Reizung des Muskels vom Nerven aus. Die Pausen zwischen den Reizungen betragen jedesmal drei Minuten. Fig. 5. Tetanuscurven bei unmittelbarer maximaler Muskelreizung. Die punk- tirte Curve ist eine Tetanuscurve vom Nerven aus, und zwar die. zu allererst gezogene. Fig. 6. Tetanuscurven bei unmittelbarer maximaler Reizung des Muskels mit Pausen von zwei Minuten. Fig. 7 u. S. In diesen Figuren sind die punktirten Curven Tetanuscurven bei Reizung vom Nerven aus; die ausgezogenen solche Curven bei unmittelbarer Reizung. Diese Curven rühren von schon ziemlich ermüdeten Präparaten her. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1878 — 79. VII. Sitzung am 11. Januar 1878. Hr. ARTHUR HARTMANN demonstrirt: „Eine neue Methode der Hör- prüfung mit Hülfe elektrischer Ströme.“ Die Methoden, nach welchen bisher Hörmessungen vorgenommen wurden, sind auf zwei Prineipien basirt: 1) Die Entfernung der Schallquelle vom Ohre wird verändert, und hier- durch, nach bekannter Relation, die zum Ohre gelangende Schallstärke be- stimmt ; 2) die Intensität des vom Apparate ausgegebenen Schalles wird messbar abgestuft. Zur Hörprüfung, bei welcher die Schallquelle in verschiedene Entfernung zum Hörorgane gebracht wird, benützt man Stimmgabeln, die Taschenuhr, neuer- dings den Politzer’schen Hörmesser, auf dessen Vorzüge ich a. a. ©. kürzlich aufmerksam machte," und die Sprache, mit der besonders vermittelst des werth- vollen Phonometers von Hrn. Lucae Prüfungen vorgenommen werden. Durch Nebengeräusche und dadurch, dass wir die Untersuchungen gewöhn- lich in geschlossenen Räumlichkeiten vornehmen müssen, entstehen bei dieser Art der Untersuchung so viele Störungen, dass eine genaue Messung erhebliche Schwierigkeiten bietet. Zu den Untersuchungen nach der zweiten Methode mit veränderlicher Schallquelle wurde das Itard’sche Acumeter benutzt, bei welchem Schallstärken in der Art variirt werden können, dass ein Pendel mit messbar verschiedener Amplitude gegen einen Metallring schlägt. Schafhäutl verwandte zu sehr exacten Hörprüfungen eine Kugel, welche er aus verschiedener Höhe auf eine Glasplatte herabfallen liess. ! Ueber Hörprüfung und über Politzer’s einheitlichen Hörmesser. Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde. Bd. VI. 156 VERHANDLUNGEN Diese Instrumente hatten den Nachtheil, dass weder dieselben Schallstärken stets in gleicher Weise hervorgebracht, noch dass kleine Abstufungen der Inten- sität erzielt werden konnten. Bei diesen Nachtheilen der bisherigen Hörmesser musste es wünschens- werth erscheinen, zur Ermöglichung genauer Hörmessungen eine Schallquelle zu haben, die sich genau bestimmbar verändern lässt. In der Hoffnung, dass das Telephon sich zu messbaren Aenderungen von Schallstärken verwenden lassen könnte, habe ich auf Vorschlag und unter Mitwirkung von Hrn. Prof. Hugo Kronecker im physiologischen Institut von Hrn. Geh. Rath du Bois-Reymond eine Versuchsreihe angestellt, die, obwohl noch nicht abgeschlossen, doch schon einige so merkwürdige Resultate ergeben hat, dass uns die Methode werth er- schien, in dieser Gesellschaft mitgetheilt zu werden. Die Untersuchungsweise beruht auf der bekannten Eigenschaft des Tele- phons, Schwankungen der Intensität des elektrischen Stromes in der den Mas- net umgebenden Spirale durch Vibrationen der Platte getreu wiederzugeben, und zwar derart, dass eine Grenze der Beweglichkeit und Empfindlichkeit der Platte noch nicht gefunden ist. Ebenso wie bei dem gewöhnlichen verbundenen Telephonpaare die feinen und häufigen Elektrieitätsänderungen in der Ausgeberspirale mittelst sinoider Schwingungen in der Platte (nach den Ausführungen des Hrn. du Bois-Rey- mond in dieser Gesellschaft) adäquate cosinoide Schwingungen in der Empfänger- platte hervorbringen, so mussten auch auf irgend welchem anderen Wege ver- mittelte Aenderungen des magnetisirenden Stromes von einem mit der Strom- quelle verbundenen Telephon genau wiedergegeben werden. So hat Hr. Kronecker von der Inductionsrolle semer Klangstäbe bis 15,000 Doppelschwingungen eimem Telephon für den Empfänger hörbar über- mitteln können. Es braucht also nur eine hörbar frequente Reihe von elektrischen Strom- stössen der Intensität nach genau variirt zu werden, um im Empfängertelephon eine bisher unerreichbare Abstufung der Tonstärken zu ermöglichen. Alle die feinen Methoden, welche Hr. du Bois-Reymond in die Elek- trieitätslehre eingeführt hat, um galvanische und Induetionsströme genau abzu- stufen, können nunmehr dienen, um der Phonometrie die gleiche Vollkammenheit zu geben. Das Rheochord, in Form des runden Compensators," und das Schlitteninductorium dienen uns zur Abstufung der beiden genannten Strom- arten, eine elektrische Stimmgabel (in unserem Falle von 100 Doppelschwingungen) als gleichmässiger Unterbrecher. Die zwei speciellen Versuchsanordnungen, um galvanische und Inductions- ströme hörbar zu machen, sind den Sachverständigen durch wenige Worte zu erläutern: Die stromunterbrechende Stimmgabel von 100 Vibrationen in einer Seeunde wird durch zwei Daniell’sche Elemente schwingend erhalten. Für die erste Versuchsart wird in diesen Stromkreis der runde Compensator von Hm. du Bois-Reymond und als Nebenschliessung hierzu ein Telephon sammt (20 Meter) Leitungsdrähten eingeschaltet. Mindert man den Widerstand im Nebenschliessdraht des Compensators, so verkleinert man entsprechend den ı E. du Bois-Reymond, Beschreibung einiger Vorrichtungen und Versuchs- weisen zu elektro-physiologischen Zwecken. Gesammelte Abhandlungen. Bd. ]. S. 145. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 157 Stromantheil, der rhythmisch unterbrochen durch das Telephon fliesst. Ueber- raschend kurze Drahtstrecken (demgemäss schwache Stromzweige) genügen, um die Telephonplatte hörbar merklich anzuziehen. Es war uns nicht möglich, an dem gebrauchten Compensator die Widerstände so weit zu verringern, dass die Stromstösse im Telephon unmerklich wurden. Wenige Millimeter des 1"” dieken Rheochorddrahtes liessen den Ton erheblich verstärken, wenige Centimeter ge- nüsten, um sein Maximum zu erreichen. Man wird also zur bequemen Ab- stufung die Rheochordbahn wohl aus starkem Silberdraht spannen müssen. Für die Anwendung der Inductionsströme als Telephonerreger ist die strom- unterbrechende Stimmgabel in den primären Kreis des du Bois-Reymond’schen Schlitteninductoriums eingeschaltet, die secundäre Spirale ist durch die je 20” langen Drähte mit dem empfangenden Telephon verbunden. Der angewendete (mittelgrosse) Induetionsapparat, dessen secundäre Spirale 5116 Drahtwindungen enthält, lässt den Ton, dessen Höhe natürlich dem Stimmgabeltone entspricht, unangenehm laut im 'Telephon hören. Beim Entfernen der secundären Spirale von der primären nimmt der Ton ab, analog der Intensität der Ströme (ver- muthlich ebenfalls in geometrischer Progression).. Gänzlich unmerklich wurde der Ton einem in abgelegenem stillem Zimmer sitzenden Telephonhorcher erst, als die secundäre Rolle weiter als 60°” von der primären Rolle (ohne Eisen- kerne) entfernt war. Man ersieht daraus, welche bewundernswerthe, mit dem erregbarsten Frosch- nerven und dem empfindlichsten Galvanometer rivalisirende Feinheit der Wahr- nehmung unser mit dem Telephon bewaffnetes Gehörorgan besitzt. ‘VIII. Sitzung am 1. Februar 1878. Hr. J. Gap macht „Zur Lehre von der Fettresorption“ folgende vorläufige Mittheilung, und erläutert dieselbe durch einen Versuch: Die fast allgemein verbreitete Meinung, dass es zum Zustandekommen einer Emulsion erforderlich sei, dass äussere mechanische Kräfte das gegen- seitige Durchdringen des das „Emulgens“ enthaltenden „Menstruum‘“ mit dem „Emulgendum‘ herbeiführe, trifft für die Emulgirung ranziger Fette in alkalischen Flüssigkeiten nicht allgemein zu. Es lassen sich mannigfaltige Bedingungen herstellen, unter denen die blosse Berührung eines durch freie Fettsäuren verunreinigten Fettes mit einer alkalischen Flüssigkeit Veranlassung für ausgiebige Bildung einer sehr feinen und gleichmässigen Emulsion ist. Demonstrirt wird diese Art der Emulsionsbildung an einem Tropfen Leberthran, der unter möglichster Vermeidung von Erschütterungen auf eine viertelprocentige Sodalösung gebracht wird. Die Sodalösung befindet sich in einem auf schwarzem Grunde stehenden Uhrschälchen. Sofort nach der Berührung des Fettes mit der Sodalösung zeigt sich die Grenzfläche intensiv weiss getrübt und von dem Tropfen strahlt eine weisse Milch in die umgebende Flüssigkeit aus, während 158 VERHANDLUNGEN der Tropfen selbst Bewegungen zeigt, die mit denen der Amoeben auffallende Aehnlichkeit haben. Die kolbig angeschwollenen Enden der vorgetriebenen Fort- sätze kommen meist zur Abschnürung, der Rest der Fortsätze wird wieder ein- sezogen und schliesslich schwimmen der Haupttropfen und die von demselben abgespaltenen kleineren noch mit blossem Auge sichtbaren Tropfen in einer intensiv weissen Milch, welche sich unter dem Mikroskop bei starker Vergrös- serung als eine sehr gleichmässige und sehr feine Emulsion darstellt. Betrachtet man den Vorgang der Emulsionsbildung bei schwacher Vergrösserung, so sieht man, wie in der Umgebung des Fetttropfens die lebhafteste Bewegung herrscht und wie die die weisse Trübung bedingenden kleinsten Fetttröpfchen in heftigen Wirbelbewegungen von dem Fetttropfen hinweg und zum Theil zu ihm zurück- geführt werden. Diese Art der Emulsionsbildung hat Hr. W. v. Wittich gelegentlich einer Arbeit über die Haptogenmembran Ascherson’s gesehen und in einigen ihrer Züge beschrieben, ! ohne sich eingehender damit zu beschäftigen. Die Mittheilung der eigenen Versuche und Betrachtungen, aus denen eine Theorie dieser Erscheinung selbst und ihre Bedeutung für die Lehre von der Fett- resorption folgt, behält sich der Vortragende für die nächste Sitzung vor. IX. Sitzung am 15. Februar 1878. Hr. KRONEcKER theilt die von Hrn. Ch. S. koy, M. B. und Hrn. Graham Brown, M. B., selbständig ausgearbeitete „neue. Methode, den Blut- druck in den kleinsten Arterien, Venen und in den Capillaren zu messen“ mit: Hr. Nathanael von Kries hat vor zwei Jahren nach Angabe von Hrn. Ludwig im physiologischen Institute zu Leipzig den Blutdruck in den kleineren Gefässen und Capillaren mittels einer neuen Methode bestimmt. Mit Hilfe belasteter Glasplättchen von bekannten Dimensionen drückte er auf eine Fingerstelle und ermittelte das Gewicht (und somit unter Berücksichtigung des Flächeninhaltes das hydrostatische Aequivalent), welches erforderlich war, um die comprimirte Hautpartie blass zu machen. „Die Fehlergrenzen zeigten sich (nach des Autors eigenen Worten) ziemlich weit.“ „Der Grund hierfür liegt darin, dass es sich dabei um die Abschätzung sehr feiner Farbenunter- schiede handelt“ während die Vernachlässigung des Epidermiswiderstandes nicht wesentlich sein soll. 0,25 Gramm war das kleinste Gewicht, welches zugelegt noch merkliche Unterschiede gab. Dies entspricht bei den grössten der benutzten Platten 55%” Wasser, bei der kleinsten 99"", Hr. von Kries fand, je nach der Stellung der Hand unter der Scheitelhöhe, den Druck schwan- kend von durchschnittlich 328 bis 738" Wasser. ı W.v. Wittich, De Hymenogonia Albuminis. Habilitationsschrift. Königs- berg. Jahreszahl ? 8. 6—8. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 159 Um von den Bestimmungen der belastenden Fläche für die Umrechnung des Gewichtsdruckes in hydrostatischen unabhängig zu werden, und um mittels mikroskopischer Betrachtung den Füllungsgrad der Blutgefässe überwachen zu können, haben wir folgende Versuchsanordnung eingerichtet: Ein gläsernes Wassermanometer brachten wir durch einen mit Luft gefüllten starkwandigen Kautschukschlauch in Verbindung mit einer auf dem Objeettisch eines Mikroskopes befestigten eylindrischen Kapsel, deren untere Grundfläche aus einer planparallelen Glasplatte, deren Wand aus Messingblech, deren obere Grundfläche durch eine transparente, schlafffaltig aufgebundene, äusserst feine und biegssame thierische® Membran, (auch die Harnblase des Frosches kann dazu dienen) wie sie englische Parfumeure als Stöpseldecke benutzen, gebildet war. Wenn man die Wassersäule im Manometer erhöht, so comprimirt man die Luft in der Kapsel, entfaltet die Deckmembran. Um dies bequem zu bewerk- stelligen, ist an einer Stelle des Kautschukschlauches ein T-Rohr eingefügt, dessen asymmetrischer Schenkel mit einem Kautschukbeutel verbunden war. Dieser war zwischen zwei durch ein Scharnier verbundene Messingplatten ge- klemmt, welche mittels einer Schraube in fein abstufbarer Weise gegen ein- ander gepresst werden konnten. Hierdurch wurde die Luft aus dem Kaut- schukbeutel in die Kapsel sowie in das Manometer gedrückt; und die gehobene Wassersäule zeigte die Grösse des ausgeübten Druckes -an. Auf die Membran lagern wir einen transparenten, Blutgefässe enthaltenden Körpertheil (Schwimmhaut, Lunge oder Mesenterium eines Frosches; Schwanz- flossenmembran eines Fisches u. dergl.) und fixiren denselben durch ein darauf gehaltenes (an einem kleinen Stativ verstellbares) Glasplättchen. Jetzt schmiegt sich die schlaffe, widerstandslos bewegliche Membran dicht an den Körpertheil, der nunmehr dem ungeminderten, durch das Manometer angezeigten Drucke des köhren-Kapselsystems ausgesetzt ist. Wenn wir die ohne Spannung ausgebreitete Schwimmhaut eines Frosches lose zwischen Membran und Deckplättchen geschoben hatten, so konnten wir durch das Mikroskop den ungehinderten Blutlauf in den kleinen Arterien und Venen, sowie in den Capillaren beobachten. Derselbe wird gestört, wenn der Luftdruck mit Hülfe des Compressorium auf 100 — 150 %m Wasser vermehrt wird. Die Circulation stockt zuerst in den Capillaren und Venen, bei höherem Drucke (200 — 350" je nach der Individualität und den veränderten Lebens- bedingungen des Thieres) auch in den Arterien. Besondere Controlversuche (vergl. unten 4) lehrten uns, dass der Wider- stand der die Blutgefässe umgebenden Gewebe, bei Beachtung der gehörigen Vorsichtsmassregeln, die Druckbestimmung nicht beeinflusste. Mit Hülfe unserer Methode, welche gewisse Analogien hat mit der von Hrn. Holmgren ! „zur Beobachtung des Kreislaufes in der Froschlunge“ angewendeten, konnten wir manometrische Versuche am unversehrten Frosche anstellen, welche kymographischen, die an so kleinen Thieren unausführbar sind, gleichen und den Vorzug besitzen, dass die Weite der Gefässe und das Verhältniss derselben zu bestimmen ist. Die nähere Beschreibung sowie die numerischen Resultate unserer Beobachtungen werden wir an einem anderen Orte (in.diesem Archiv) veröffentlichen. Hier wollen wir nur einige Punkte hervorheben: 1 Beiträge zur. Anatomie und Physiologie, ©. Ludwig zum 25jähr. Jubiläum gewidmet. 8. 33. 160 VERHANDLUNGEN 1) Mit der Erweiterung der Gefässe wächst die zum Unterdrücken der Circulation nothwendige Wassersäule (Blutdruckhöhe). 2) Der Druck erleidet in drei- bis vierminutigen Perioden ziemlich regel- mässige Schwankungen von 20—30"M, 3) Häufig beobachtet man eine vicarirende Action zweier benachbarter Arterien, derart, dass die eine sich verengt, wenn die andere sich erweitert. 4) Der Goltz’sche Klopfversuch lässt den Druck auf Null sinken. Häufig erfolgt einige Zeit nachher eine venöse hkückstauung, welche 70 — 100 mm Wasser überwindet. 5) Temporäre Anämie lässt die Gefässe sich erweitern, in welche das wieder zugelassene Blut unter erhöhtem Drucke einströmt. 6) Rückenmarksreizung erhöht den Druck, Durehschneidung der Nerven erniedrigt denselben. X. Sitzung am 1. März 1878. Hr. C. S. Roy, M.-B., demonstrirt sein neues Schrauben-Mikrotom, welches billiger und einfacher ist als viele der bisher üblichen und eine Spülvorrichtung enthält, mit Hülfe deren man das auf einem Glasbügel geführte schneidende Rasirmesser mit Alkohol bespritzen kann. Abbildung und nähere Beschreibung wird im Mieroscopical Journal zu london veröffentlicht werden. Hr. C. S. Roy demonstrirt hierauf seinen Tonographen, bestimmt zur Mes- sung der Spannung des Froschherzens. Dieser Apparat besteht aus einem vertical sestellten kleinen Glascylinder, in dessen obere Mündung die „Perfusionscanüle“ (Y-förmiges Doppelwegrohr) mit aufgebundenem Froschherzventrikel mittels eines Stöpsels luftdicht eingepasst ist, auf dessen untere Mündung eine sehr feine biegsame Membran (wie sie in der obigen Mittheilung der HH. Roy und Brown beschrieben ist) ganz schlafffaltig gebunden worden. Durch die Mitte dieser Membran ist vom Cylinder aus (mit dem Oehr voran) eine Nähnadel gestochen, deren Spitze auf ein leichtes rundes Messingplättchen gelöthet ist. Das Plätt- chen wird mit Retouchirlack auf die Membran geklebt und an das Oehr ein leichter Schreibhebel von Schilf mit Aluminiumspitze (wie ihn Fick und Marey benutzt haben) gehängt. In den Cylinder münden noch zwei Röhrchen, von denen das eine durch den oberen Stöpsel geführt, das andere seitlich unten eingelassen ist. Das untere Röhrchen ist durch einen längeren Gummi- schlauch mit dem Flüssigkeitsrohr einer Mariotte’schen Flasche verbunden; von dieser aus wird der Glascylinder rings um das eingesenkte Froschherz mit Olivenöl gefüllt, bis alle Luft aus dem Behälter durch das obere Röhrchen verdrängt ist. Auf den geraden Schenkel der „Perfusionscanüle“ ist ein kurzes (etwa 4°" langes) Trichterrohr gesetzt, gefüllt mit verdünntem Blute, wie es für die Speisung des Froschherzens geeignet ist. Dies Blut fliesst in das Herz und durch den Seitenschenkel der Canüle aus. Schliesst man diesen Ausgang ab, so wird das Herz vom Blute geschwellt, und eine entsprechende Menge Oel aus dem Herzbade in die Mariotte’sche Flasche verdrängt. Senkt man diese nun- mehr, so sinkt der Druck in dem Bade unter denjenigen der Atmosphäre. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 161 Hierdurch wird Blut in das Herz gesaugt, zugleich aber die untere Schluss- membran mit angehängtem Hebel von der nachdrückenden Luft gehoben. Weil diese Membran aber ganz schlaff und ausserordentlich biessam ist, so setzt sie der Luft keinen Widerstand entgegen. Es wird also der Druck im Herzbehälter, der etwas unter dem atmosphärischen ist, derselbe bleiben, so lange man die Spannung des Häutchens vermeidet. Bei passender Stellung des mit der Membran gehobenen Schreibhebels schliesst man die Mariotte’sche Flasche ab. Wenn sich jetzt das Herz contrahirt, so hebt es die aufgesetzte Blutsäule, zugleich aber die Membran, indem es den Gesammtinhalt des Behälters mindert (genau so wie das Herz im lebenden Thiere durch seine Systole „meiokardische“ Inspiration bewirkt). Derart pulsirt das Herz gegen sehr geringe Widerstände: 1) denjenigen der etwa 5° hohen, aufgesetzten Blutsäule, welche, durch den Puls in den weiten Triehter gedrängt, nicht wesentlich erhöht wird; 2) denjenigen des angehängten Hebels, um dessen in hydrostatisches Maass übersetzbares Gewicht der auf der unteren Grundfläche wirkende atmosphärische Druck gemindert wird. Diese beiden der Systole widerstehenden, die Diastole begünstigenden Kräfte bleiben also während der Herzarbeit constant. Sie können beliebig gross gemacht werden und auch so klein, dass die Vorhofspulsationen registrirt werden können. Hierdurch ist dieser Apparat dem üblichen Quecksilbermanometer über- lesen; denn dieser setzt dem sich contrahirenden Herzen einen mit der Queck- silbersäule wachsenden Widerstand entgegen. Freilich begünstigt nach Hrn. Kronecker’s Erfahrungen gerade dieser zunehmende Druck die Durchdringung des Herzens mit den zugeführten Nahrungs- stoffen. Der Tonograph kann aber die Grösse der Ausdehnung des Herzens be- stimmen, was der Quecksilbermanometer nicht vermag. Es wird demgemäss der Tonograph eine Ergänzung zum bisher üblichen Froschherzmanometer bilden, mit welchem er leicht in Verbindung gesetzt werden kann. Die Abbildung des beschriebenen Apparates sowie die mit demselben ge- wonnenen Resultate werden in diesem Archiv veröffentlicht werden. Hierauf hält Hr. Oscar Sımon den angekündigten Vortrag: „Ueber die Gestalt der Weber’schen Empfindungskreise.“ Schon E. H. Weber war es aufgefallen, dass nicht am ganzen Körper die Empfindungskreise eine vollkommen runde Gestalt haben, sondern an den Armen und Beinen z. B. eine längliche Gestalt, so dass der Längendurchmesser nach der Längenrichtung dieser Glieder liest. Weber hat keine Begründung dieser Erscheinung gegeben. Verfasser konnte feststellen, dass fast am ganzen Körper die Empfindungs- kreise in Wirklichkeit Ellipsen darstellen, deren grösster Durthmesser in der Richtung der grössten an der betreffenden Stelle vorhandenen Hautspannung entspricht. Die Differenz der Durchmesser der Ellipse entspricht der Differenz der Spannungsgrössen an jeder Stelle. Wo keine oder nahezu keine Differenz der Spannung stattfindet, da stellt der Empfindungskreis einen wirklichen Kreis dar. So ist auch die von Weber constatirte oblonge Form der Empfindungs- kreise an den Extremitäten zu deuten. Die Gesetzmässigkeit dieser Erscheinung ist auf die von Dupuytren (1836) und Malgaigne (1859) zuerst beschriebene Spaltbarkeit der Haut zurückzu- führen, welche durch Langer (1861) ihre klassische Bearbeitung gefunden hat. Die von dem Redner in seiner „Lokalisation der Hautkrankheiten“ beschriebene Archiy f, A,u, Ph, 1878, Physiol, Abth, al 162 VERHANDLUNGEN Anordnung des Papillarkörpers der Haut, welche nach seinen Untersuchungen derselben Gesetzmässigskeit unterliegt, dürfte zur Aufhellung der hier erörterten Erscheinung wesentlich beitragen. ‘(Der Vortrag erscheint ausführlich.) -Hierauf spricht Hr. Carıstıanı: „Ueber Asterismus“, d. h. über das Erscheinen kleiner Lichtbilder in strahliger, sternartiger Form, unter Vor- zeigung des durch hochgradigen Refractionsasterismus ausgezeichneten Phlogopites (Sternglimmer, mica blond du Canada; Quenstedt, Mineralogie, 3. Aufl. S. 293), sowie über eine künstliche Nachahmung dieser Erscheinung durch Uebereinander- lagerung unvollkommener Diffractionsspectren. Es wird auf drei der vier Flächen zweier ebenen, sich kreuzenden Glasplatten mit leicht angefettetem Finger je ein gradliniger Fettstreifen gezogen und das Ganze so orientirt, dass sich die Fettstreifen unter 60° schneiden. Ein durch dieses System betrachteter leuchtender Punkt zeigt den schönen sechsstrahligen Phlogopitstern in sehr vollkommener Weise. XI. Sitzung am 15. März 1878. Hr. HermAnn Munk hält den angekündigten Vortrag: „Weitere Mit- theilungen zur Physiologie der Grosshirnrinde.“ Meine Herren, Was ich Ihnen heute Neues zu bieten habe zur Kenntniss der Functionen der Grosshirnrinde, schliesst sich so unmittelbar an meine Mittheilungen vom März und Juli v. J.! an, dass Sie mir gestatten wollen, von Erfahrungen aus- zugehen, über welche ich Ihnen bereits berichtet habe. Hat man einem Hunde beiderseits die Grosshirnrinde. der Stelle A, Fig. 17 exstirpirt, so bieten, wenn am 3.—5. Tage nach der Verletzung die entzünd- liche Reaction vorüber, Gehör, Geruch, Geschmack, Bewegung, Empfindung u. s. w. des Thieres keinerlei Abnormität dar, nur im Gebiete des Gesichtssinnes fällt eine eigenthümliche Störung auf. Ganz frei und ungenirt bewegt sich der Hund im Zimmer wie im Garten, ohne je an einen Gegenstand anzustossen; und häuft man die Hindernisse auf seinem Wege, so umgeht er sie doch regelmässig, oder lassen sie sich nicht umgehen, so überwindet er sie geschickt, indem er z. B. unter dem Schemel durchkriecht, über den Fuss des Menschen oder den Körper des Thieres, die den Weg versperren, vorsichtig hinwegsteigt u. dgl. m. Allein kalt lässt ihn jetzt der Anblick der Menschen, die er sonst immer freudig be- grüsst, kalt die Gesellschaft der Hunde, mit welchen er früher jedesmal gespielt hat. So hungrig und durstig er auch ist — das rest ihn -zu seinen vielen und raschen Bewegungen an —, er sucht jetzt nicht mehr in der früheren Weise an den Stellen des Zimmers nach, an welchen er sein Futter fand; und setzt man ihm selbst Futternapf und Wassereimer mitten in den Weg hinein, 1 Verhandlungen der Physiologischen Gesellschaft zu Berlin, 1816—77T, No. 16; 17; 24. (Deutsche Med. Wochenschr., 1877, No. 13; 15.) — Berl. klin. Wochenschr., 1877, No. 35. 2 Die Holzschnitte sind nach den bei dem Vortrage benutzten Wandtafeln angefertigt. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 163 er geht oft und immer wieder um sie herum, ohne ihrer zu achten. Nahrungs- mittel vor die Augen gehalten lassen ihn unbewegt, so lange er sie nicht riecht. Finger und Feuer dem Auge genähert machen ihn nicht mehr blinzeln. Der Anblick der Peitsche, der ihn sonst regelmässig in die Ecke trieb, schreckt ihn nicht mehr im mindesten. Er war abgerichtet, wenn man die Hand an seinem Auge vorbeibewegte, die gleichseitige Pfote zu geben; jetzt kann man die Hand bewegen so viel man will, die Pfote bleibt in Ruhe, bis man „Pfote“ ruft. Und der Art sind der Beobachtungen mehr. Ueber ihre Deutung kann kein Zweifel sein. Durch die Exstirpation ist der Hund seelenblind geworden, d. h. er hat die Gesichtsvorstellungen, welche er besass, seine Erinnerungsbilder der früheren Gesichtswahrnehmungen, verloren, so dass er Nichts kennt oder erkennt, was er sieht; aber der Hund sieht, die Gesichtsempfindungen kommen ihm zum Bewusstsein, kommen zur Wahrnehmung, und sie lassen Vorstellungen über die Existenz, die Form, die Lage der äusseren Objecte entstehen, so dass von Neuem Gesichtsvorstellungen, von Neuem Erinnerungsbilder der Gesichts- wahrnehmungen gewonnen werden. Man kann sagen, dass der Hund durch unseren Eingriff hinsichts seines Gesichtssinnes in den Zustand der frühesten Jugend zurückversetzt worden ist, in den Zustand, in welchem sich das Hündchen befindet, dessen Augen sich jüngst geöffnet haben. Wie dieses sehen, d. h. das Gesehene kennen lernt, so muss unser Hund von Neuem sehen lernen, nur dass seine ausgebildete Be- wegungsfähigkeit, seine vorgerückte Entwickelung der übrigen Sinne u. s. w. die Lehrzeit abkürzen können. Und so zeigt es sich in der That. Mit Glotzaugen in vorgestrecktem und in steter Hin- und Herbewegung begriffenem Kopfe sieht man unseren Hund, sobald nur das Fieber vorüber, Alles um sich herum an- stieren. und prüfend von allen Seiten betrachten, im Liegen wie im Gehen, welches letztere er bevorzugt. Ueber die für seine Existenz wichtigsten Dinge ist er zu allererst und sehr bald orientirt. Man braucht nur 1— 2mal seinen Kopf in den Eimer hineingedrückt zu haben, bis das Wasser die Schnauze be- rührte, und er sucht fortan stets den Eimer selber auf, wenn er durstig ist. il 164 VERHANDLUNGEN Ebenso geht es mit dem Futternapfe. Dann lernt er allmählich die Menschen kennen und die Gegenstände seiner Umgebung, die grösseren eher, die kleineren später. Je mehr er wieder sehen gelernt hat, desto geringer ist seine Unruhe, desto gemässigter seine Neugier. Worüber er nicht von Neuem Erfahrungen sammelt, das bleibt ihm unbekannt: er stutzt vor der Treppe nach Wochen ebenso wie nach Tagen, sobald er zum ersten Male einer solchen ansichtig wird; er scheut vor der Peitsche nach Tagen schon oder erst nach Wochen, je nachdem er sie früher oder später auf seinem Rücken gefühlt hat. Blieb Nichts, ° was der Prüfung unterliegt, seiner Kenntnissnahme vorenthalten, so ist unser Hund 3 bis längstens 5 Wochen nach der Operation im Gebiete des Gesichts- sinnes restituirt und von unversehrten Hunden nicht mehr zu unterscheiden. Hat man die Stelle 4, nur an eine Hemisphäre exstirpirt, so gilt Alles, was ich eben für das Sehen im Allgemeinen schilderte, bloss für das Sehen mit dem Auge der der Verletzung entgegengesetzten Seite. Nach der rechts- seitigen Exstirpation z. B. erkennt der Hund Alles in der alten Weise weiter mit dem rechten Auge, wenn man ihm das linke verbunden hat, während er bei verbundenem rechten Auge wohl sieht, aber zunächst Nichts erkennt und erst mit der Zeit Alles wieder kennen lernt. Die Gesichtsvorstellungen haben danach gleichmässig in jeder Hemisphäre für sich ihren Sitz, und die Functionen unserer Rindenpartie sind an beiden Hemisphären so gesondert, dass es der einen Hemisphäre nicht im mindesten zu Statten kommt, dass die ihr fehlenden Erinnerungsbilder der Gesichtswahrnehmungen in der anderen Hemisphäre noch unversehrt vorhanden sind. Nur die Restitution_habe ich bei einseitiger Ex- stirpation rascher sich vollziehen sehen als bei beiderseitiger Exstirpation, was durch die Hülfe, welche das wohlerhaltene Sehen mit dem einen Auge für die Kenntnissnahme von den Objecten gewähren muss, leicht verständlich ist. Für denjenigen, der mit mir die Localisation der Functionen in der Gross- hirnrinde von vorne herein als ein physiologisches Postulat und weiter als das erste und oberste Ergebniss der Grosshirnrinden - Versuche erkannte, musste aus diesen Erfahrungen die Vorstellung fliessen, die ich vor eiuem Jahre Ihnen entwickelte: dass eine „Sehsphäre‘“ von grösserer Ausdehnung als die Stelle A, an der Grosshirnrinde existire, dass in dieser Sehsphäre die Erinnerungsbilder der Gesichtswahrnehmungen in der Reihenfolge etwa, wie die Wahrnehmungen dem Bewusstsein zuströmen, gewissermaassen von einem centralen Punkte aus in immer grösserem Umkreise deponirt werden, und dass nach Exstirpation der zur Zeit alle oder die meisten Erinnerungsbilder beherbergenden Stelle A, der Rest der Sehsphäre in der Umgebung von 4, mit neuen Erinnerungsbildern besetzt werde. Indess vermochte ich damals noch nicht dieser Vorstellung eine weitere Stütze zu verleihen. Um so mehr freue ich mich heute in der Lage zu sein, mit experimentellen Belegen für die Richtigkeit der Vorstellung eintreten zu können. Es handelt sich in erster Linie um die Folgen der in der Umgebung von A, ausgeführten Exstirpationen. Nach solchen Exstirpationen hatte ich bis zum März v. J., wie ich Ihnen damals sagte, keinerlei Veränderung an den operirten Thieren wahrgenommen; aber schon im Juli v. J. theilte ich Ihnen mit, dass manchmal eine leichte Sehstörung sich hatte erkennen lassen. Seitdem habe ich gefunden, dass diese Exstirpationen ganz regelmässig Sehstörungen ge- ringeren Grades nach sich ziehen, so lange sie die Rinde an der Strecke A Fig. 1 vor oder unterhalb A, oder auch die Rinde an der inneren, der Falx DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 165 zugekehrten Seite des Hinterhauptslappens, die, wie Sie bereits wissen, sehr wohl der Untersuchung zugänglich ist, betreffen. Ein Hund, an dessen einer Hemisphäre eine derartige Exstirpation aus- geführt ist, bietet, wenn man ihm das Auge der der Verletzung entgegenge- setzten Seite verbunden hat, gar keine Abweichung von der Norm dar. Wird ihm dann das gleichseitige Auge verbunden, so scheint zunächst gleichfalls nicht die mindeste Störung, auch nicht im Gebiete des Gesichtssinnes, zu be- stehen; denn nicht nur sieht der Hund jetzt offenbar, sondern er erkennt auch Alles vortrefflich, so dass selbst die eingehende Prüfung keinen Verlust von Gesichtsvorstellungen herausstellt. Aber wenn man nun den hungrigen Hund an Fleischstücke heranlässt, die man in grösserer Zahl nahe bei einander auf den Boden geworfen hat, so zeigt sich, dass der Hund einzelne bequem und gerade vor seinem Auge befindliche Fleischstücke liegen lässt, während er andere entferntere und schwerer zugängliche Fleischstücke aufnimmt. Bis man von der Regelmässigkeit der Erscheinung und von ihrem Auftreten nur unter den angeführten Umständen sich überzeugt hat, glaubt man natürlich bloss mit einer Folge der Unaufmerksamkeit es zu thun zu haben; und so bin auch ich auf die Beachtung der Erscheinung erst geführt worden, nachdem ich längst die folgenden auffälligeren Beobachtungen gemacht hatte, Lässt man nämlich weiter dem Hunde beide Augen frei und führt, gerade vor ihm stehend, ein Fleischstück mässig rasch vor dem gleichseitigen Auge vorbei, so folgt der Hund mit diesem Auge ausnahmslos gut dem Fleischstücke; wogegen er, wenn man ebenso vor dem gegenseitigen Auge verfährt, ganz regelmässig, und zwar bald etwas früher, bald etwas später, plötzlich das Fleischstück aus dem Auge ver- liert und sich verwundert umschaut, sichtlich überrascht, dass das Fleischstück in unerklärlicher Weise verschwunden. Demgemäss jagt auch der Hund dem geworfenen Fleischstücke jetzt nur dann nach, wenn der Wurf an dem gleich- seitigen Auge vorbei erfolgt. Aber dabei tritt noch die dritte Absonderheit auf, dass unser Hund nicht mehr, wie vor der Operation, gerade unmittelbar am Fleischstücke anlangt, sondern zu Ende des Laufes etwas zu weit nach rechts oder nach links, nach vorn oder nach hinten vom Fleischstücke sich be- findet und das Fleischstück erst noch einen Moment zu suchen hat, ehe er es aufnimmt. i Recht deutlich am 3.—5. Tage nach der Operation, verlieren sich diese Abnormitäten, mit Ausnahme der ersten, weiterhin rasch, am raschesten die letzte Abnormität, welche schon in der zweiten Woche nach der Operation nur selten noch zu bemerken ist. Offenbare Sehstörungen und bloss auftretend, wenn die bezeichnete Partie der Grosshirnrinde angegriffen ist, thun sie ohne Weiteres die Ausdehnung dar, welche der der Gesichtswahrnehmung dienenden Grosshirnrinde, der Sehsphäre, zukommt. Doch führt ihre Zergliederung noch zu einem anderen bemerkenswerthen Aufschlusse. Sie sind nämlich nur verständlich, wenn durch die FExstirpation gewissermaassen ein zweiter blinder Fleck an der Retina des Hundes gesetzt ist, ein Fleck, dieses Mal natürlich blind nieht durch den Mangel der lichtempfindlichen Netzhautelemente, sondern durch den Verlust der zugehörigen wahrnehmenden Hirnelemente. Ein Fleisch- stück, dessen Bild auf den neuen blinden Fleck fällt, kann der Hund nicht sehen, und ist das Bild in Bewegung dorthin gerathen, so wird das Fleischstück dem Hunde räthselhaft verschwunden scheinen; auch wird, wo die Innervations- sefühle der Augenmuskeln für die Bestimmung der Lage des Fleischstückes zu 166 VERHANDLUNGEN Hülfe zu kommen haben, die neue Lücke im Gesichtsfelde anfangs zu Täuschun- sen Veranlassung geben, bis mit der Zeit durch Erfahrung und Uebung diese Lücke wird ebenso überwunden sein, wie die normale Lücke des blinden Flecks. Fällt aber danach mit der Exstirpation einer zusammenhängenden Rindenpartie immer die Wahrnehmung für eine zusammenhängende Partie der lichtempfind- lichen Netzhautelemente aus, so kann es nicht anders sein, als dass die cen- tralen Elemente der Sehsphäre, in welchen die Opticus-Fasern enden und die Gesichtswahrnehmung statthat, regelmässig und continuirlich angeordnet sind wie die lichtempfindlichen Netzhautelemente, von welchen die Opticus-Fasern entspringen, derart dass benachbarten Netzhautelementen immer benachbarte wahrnehmende Rindenelemente entsprechen. Für die Localzeichen der Gesichtsempfindungen ist hiermit, wie Sie so- gleich übersehen, der Nachweis des anatomischen Substrates geliefert, und ich bin nur leider zu spät zu der eben vorgetragenen Einsicht in die Dinge gelangt, als dass ich bereits auf Grund der bisherigen Versuche die relative Lage der lichtempfindlichen Netzhautschicht einerseits, der wahrnehmenden Rindenschicht andererseits genauer anzugeben vermöchte. Doeh über Eines, das hierhergehört, glaube ich Sie noch unterrichten zu können. Unter den vielen Räthseln, deren Lösung es zu unternehmen gab, hat mich mit am längsten das beschäftigt, dass trotz der grossen Ausdehnung der Sehsphäre die Erinnerungsbilder der Gesichtswahrnehmungen, so viele ich ihrer auch prüfte, stets so gesammelt in der Stelle A, sich fanden; denn, wie Sie schon von früher her wissen, habe ieh nur in zwei Versuchen nach Exstirpation der Stelle A, ein einzelnes Er- innerungsbild erhalten gesehen, das eine Mal das Bild des Eimers, aus welchem der Hund zu trinken gewohnt war, das andere Mal das Bild der Handbewegung, auf welche die Pfote zu reichen der Hund vor der Operation eingeübt worden war. Nun, meine ich, findet das käthsel einfach dadurch seine Lösung, dass die Stelle A, der Sehsphäre coordinirt ist der Stelle des deutlichsten Sehens der Retina, welche beim Hunde an der äusseren Hälfte der Retina gelegen ist. Immer diese selbe Stelle der Retina wird für deutliches Sehen in Anspruch genommen; darum wird die deutliche Wahrnehmung der Objeete immer der zugehörigen Stelle A, der Sehsphäre zufallen, und darum werden hier — wie ich ohne alle Ahnung des Zusammenhanges bereits vor einem Jahre es’ Ihnen aussprach — „die Erinnerungsbilder der Gesichtswahrnehmungen in der Reihen- folge etwa, wie die Wahrnehmungen dem Bewusstsein zuströmen, gewisser- maassen von einem centralen Punkte aus in immer grösserem Umkreise deponirt werden“. Wie meine Bemühungen, für die nach Exstirpation der Stelle A, neuge- wonnenen Gesichtsvorstellungen den Sitz in der Umgebung von A, dadurch nachzuweisen, dass ich an seelenblind gemachten und restituirten Hunden se- cundäre Exstirpationen der Stellen vor und unterhalb A, vornahm, sämmtlich unglücklich verlaufen sind, davon habe ich Sie schon im Juli v. J. unterhalten. Derartige Versuche habe ich in der Folge nicht mehr unternommen, weil sie gar zu wenig Aussicht auf Erfolg boten. Ich habe Ihnen aber damals auch von Versuchen berichtet, bei welchen ich von vorne herein Exstirpationen aus- geführt hatte, welche die Umgebung der Stelle A, mit umfassten; nach kreis- runden Exstirpationen von etwa 20"m Durchmesser hatte sich die Seelenblind- heit immer wieder vollständig verloren, grössere Exstirpationen hatten die Hunde nur kurze Zeit überlebt. Hier habe ich durch den Misserfolg mich nicht DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 167 abschrecken lassen, die Versuche fortzusetzen, und ich bin jetzt wirklich zwei- mal bei sehr ausgedehnter Exstirpation der Sehsphäre zu guten Resultaten ge- langt. Beiden Hunden war an der linken Hemisphäre die Rinde in der ganzen Ausdehnung von AA,A Fig. 1 exstirpirt, nur am inneren und am hinteren Rande waren schmale Streifen stehen geblieben. Nachdem die entzündliche Reaction vorüber, boten die Hunde bei verbundenem rechten Auge keine Ab- weichung von der Norm dar; bei verbundenem linken Auge aber erwiesen sie sich blind und zwar nicht bloss seelenblind, sondern vollkommen blind, indem sie nur äusserst schwer zum Gehen zu bewegen waren und dann die Hinder- nisse auf dem Wege nicht umgingef;, sondern überall anstiessen. Durch Wochen änderte sich das Verhalten der Hunde nur so weit, dass sie mit der Zeit immer besser und schliesslich sogar beim langsamen Gehen recht gut die Hindernisse vermieden. Aber noch in der vierten Woche liess sich bei verbundenem linken Auge das Vorhandensein von Erinnerungsbildern nicht constatiren; höchstens die geschwungene Peitsche schien der eine der Hunde zu erkennen. Als da- nach die gleiche Exstirpation auch an der rechten Hemisphäre ausgeführt worden war, gingen beide Hunde bald zu Grunde. Erinnern wir uns dazu noch der Versuche, welche, wie ich Ihnen früher schilderte, hin und wieder die Encephalomeningitis für uns anstellt, indem sie an seelenblind gemachten und restituirten Hunden von der verletzten Stelle aus über die ganze Rinde des Hinterhauptslappens sich verbreitet, so liegt eine in sich geschlossene Reihe von Erfahrungen vor uns, welche die Richtigkeit des gewonnenen Verständnisses der Sehsphäre erhärtet. Die Exstirpation der Stelle A, bringt Seelenblindheit des Thieres, d. h. den Verlust seiner Gesichts- vorstellungen mit sich und hebt zugleich für die Stelle des deutlichsten Sehens der Retina die Gesichtswahrnehmung auf, setzt für diese Stelle der Retina, wie ich es bezeichnen möchte, Rindenblindheit; aber die Gesichtswahrnehmung von der übrigen Retina her ist erhalten, und die Gesichtsvorstellungen können im Reste der Sehsphäre sich von Neuem bilden. Lassen wir die exstirpirte Stelle von A, aus wachsen, so bleibt zunächst bis zu einer gewissen Grenze Alles im Wesentlichen ebenso; denn es wächst zwar die Strecke der Retina, für welche Rindenblindheit besteht, aber die übrige Retina und der Rest der Seh- sphäre sind immer noch gross genug, um, wenn auch erschwert, volle Resti- tution zu ermöglichen. Von einer gewissen Grenze an jedoch, die vor der Hand durch die vorhin angeführten beiden Versuche gegeben sein mag, tritt eine Aenderung ein: was an der inneren und an der hinteren Seite des Hinter- hauptslappens und etwa noch in der Tiefe der Furchen an Rinde ührig ist, lässt anfangs bloss höchst undeutliche, später, wenn das Thier den brauchbaren Rest seines Auges bestens zu verwenden gelernt hat, wohl deutlichere Gesichts- wahrnehmungen zu; allein die Gesichtsvorstellungen vermögen, wenn überhaupt, nur sehr unvollkommen sich wiederzubilden. Endlich wenn durch die Ence- phalomeningitis die ganze Rinde des Hinterhauptslappens vernichtet ist, so gründlich wie wir mit dem Messer es nicht zu leisten im Stande sind, ohne dass die Nebenverletzungen zum Tode führen, haben alle Gesichtswahrnehmungen und alle Gesichtsvorstellungen für immer aufgehört, ist volle Rindenblindheit für immer eingetreten. Was ich so für den Hinterhauptslappen des Hundes entwickelt habe, das gilt nun im Grossen und Ganzen ebenso für den Hinterhauptslappen des Affen. Das Affenhirn zu untersuchen, war mir nicht bloss durch die Frage nahe 168 VERHANDLUNGEN gelegt, wie weit die gewonnene Einsicht für das Hirn des Menschen Geltung haben dürfte; ich hatte dazu noch einen besonderen Anlass. In meiner ersten Mittheilung zur Physiologie der Grosshirnrinde, welche ich Ihnen im März v.J. machte, hatte ich von Hrn. Ferrier’s einschlägigen Untersuchungen am Affen seschwiegen, weil ich nichts Gutes über dieselben zu sagen hatte. Aber in der folgenden Sitzung interpellirt, hatte ich mich zu der Erklärung genöthigt gesehen, dass Hrn. Ferrier’s Angaben, im Gyrus angularis des Affen (ag Fig. 2) sei das Seheentrum, dicht darunter im Gyrus temporo-sphenoidalis superior (£p) das Hörcentrum, in der tieferen Partie des Schläfenlappens (27) das Centrum des Geruchs und das des Geschmacks, im Gyrus uncinatus und Hippocampus major (nach innen von «) das Tastcentrum, endlich in den Hin- terhauptslappen (A) das Hungercentrum (!) gelegen, dass alle diese Angaben und was weiter sich daran knüpfte hinsichts des Charakters und der Restitution der durch die Operationen gesetzten Störungen, werthlose willkürliche Con- structionen wären, da die operirten Thiere von Hrn. Ferrier in ganz unzu- reichender Weise und kaum anders als zur Zeit der allgemeinen Depression der Hirnfunctionen geprüft worden wären. War ich mit dieser Erklärung, welche Fig. 2. auf der Durchsicht von Hrn. Ferrier’s Versuchen fusste, zu weit gegangen, so hatte ich das Unrecht je eher je lieber wieder gutzumachen. Indess habe ich, wie jetzt die Versuche ergeben haben, Ihnen damals eher zu wenig als zu viel gesagt; denn Hr. Ferrier ist selbst nicht so glücklich gewesen, beim Rathen einmal das Richtige zu treffen, und alle seine Angaben haben sich als falsch herausgestellt. . Die Sehsphäre des Affen ist die Rinde seines Hinterhauptslappens (A Fig. 2). Bloss Verletzungen dieser Rinde bringen Störungen im Gebiete des Gesichtssinnes mit sich, und bloss derartige Störungen treten durch Verletzung dieser Rinde ein. Nach beiderseits gleicher kreisrunder Exstirpation von 10—15%% Durch- messer sind die Störungen regelmässig, wenn auch nicht leicht, zu constatiren. Die entzündliche Reaction nach der Hirnverletzung ist beim Affen viel unbe- deutender als beim Hunde, so dass der Affe gewöhnlich schon nach 24—36 Stunden fieberfrei erscheint und wohlauf wie zuvor. Die so schnell wieder- kehrende grosse Beweglichkeit und die nicht minder grosse Neugier, die den DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 169 Affen Alles betasten lässt, erschweren dann aber ungemein die Sehprüfungen und um so mehr, als das ausserordentlich kluge Thier sofort Alles kennt, worüber es sich nur in irgend einer Weise einmal instruirt hat. Trotzdem überzeugt man sich von der Störung der Gesichtswahrnehmung, sobald man dem Affen z. B. von seinem Leibgerichte, Mohrrüben, eine Anzahl kleiner Stücke vorlegt. Der Affe lässt alsdann einzelne von den Stücken zunächst liegen und nimmt sie erst auf, wenn eine wesentlich veränderte Kopfstellung aus anderen Gründen herbeigeführt ist, oder er verfehlt gewisse Stücke beim Greifen, was nie vorkommt, wenn der Affe unversehrt ist. Auch habe ich in dreien der fünf gut gelungenen Versuche einzelne Gesichtsvorstellungen fehlen sehen, wäh- rend andere (darunter immer das Erinnerungsbild der Mohrrübe) noch vorhan- den waren. Doch nur am 2. und 3. Tage nach der Operation lassen sich diese Beobachtungen machen; später ist auch im Gebiete des Gesichtssinnes keine Abweichung von der Norm mehr zu ermitteln. Höchst charakteristisch ist es dabei, dass in jenen ersten Tagen regelmässig die Erscheinung auftritt, dass der Affe sehr oft und besonders dann, wenn es ihm auf scharfes Sehen kleiner Gegenstände ankommt, mit der Hand über die Augen fährt oder die Augen reibt, gerade wie ein Mensch, der, weil er nicht deutlich sieht, etwas was das Sehen stört, am Auge, vermuthet und es fortzuschaffen sucht. Hat man dem Affen die ganze Rinde an der convexen Fläche eines Hinter- hauptslappens exstirpirt, so ist der Affe hemiopisch: er ist blind und zwar rindenblind für die der Verletzung gleichseitigen Hälften beider Retinae. Ist 2. B. die linke Hemisphäre angegriffen, so erkennt nicht nur nicht, sondern sieht auch nicht der Affe irgend ein Object, dessen Bild auf den linken Hälf- ten seiner Retinae entworfen wird; während er Alles in normaler Weise sieht und erkennt, was auf den rechten Hälften seiner Retinae sich abbildet. Wie das Vernähen des einen und dann des anderen Auges unzweifelhaft lehrt, ist die Störung für beide Augen die gleiche, und unverändert bleibt diese Hemiopie durch Wochen und durch Monate bestehen; nur lernt es der Affe sehr bald, durch die Bewegung des Kopfes und der Augen die hemiopische Beschränkung des Gesichtsfeldes für seine Kenntnissnahme von der Aussenwelt zu corrigiren. Ist endlich die gleiche Exstirpation an beiden Hinterhauptslappen ausge- führt, so ist der Affe ganz rindenblind: er sieht Nichts. Von Natur ein so munteres und bewegliches Thier, sitzt fortan der Affe ganz apathisch und wie träumend in seinem Käfige, stundenlang ohne sich zu bewegen, bis ihn ein Geräusch aufschreckt. Hat man ihn aus dem Käfige herausgenommen, so rührt er sich nicht von der Stelle; und bringst man ihn durch Prügel zum Gehen, so stösst er an alle Hindernisse auf seinem Wege an, fällt vom Tische u. s. w. Mit der Zeit und ganz allmählich bessert sich sein Sehen etwas, doch nur so weit, dass er beim langsamen Gehen nicht mehr anstösst. Eine noch weiter gehende Restitution kommt bloss dann vor, wenn, wie die Section lehrt, ausser der unzugänglichen Rinde an der unteren Fläche des Hinterhauptslappens auch noch ansehnliche Rindenpartien an den Rändern der oberen Fläche eines Lap- pens zurückgeblieben sind. In solchem Falle habe ich den Affen innerhalb zweier Monate dahin kommen sehen, dass er kleine ihm vorgeworfene Objecte leidlich gut sah und nach vieler Uebung auch richtig griff; war die Uebung mehrere Tage unterblieben, so verfehlte er die Objecte wieder. Sehr interessant war es, dass auch hier noch eine Hemiopie sich erkennen liess; denn der Affe benutzte zum Sehen stets die Hälften seiner Retinae, welche dem Hinterhaupts- 170 VERHANDLUNGEN lappen zugehörten, der, wie sich später herausstellte, der besser erhaltene war. Das Wiedervorhandensein deutlicher Gesichtsvorstellungen hat sich aber auch in diesem Falle nicht ergeben. Darin also weicht der Affe vom Hunde ab, dass, während beim letzteren jeder Sehsphäre die ganze Retina der entgegengesetzten Seite zugeordnet ist — ich habe wenigstens trotz aller Mühe von einer der Verletzung gleichseitigen Sehstörung nie beim Hunde mich überzeugen können —, beim ersteren jeder Sehsphäre die gleichseitigen Hälften beider Retinae zugehören. Ob ausserdem noch beiin Affen die Gesichtsvorstellungen nicht so gesammelt ihren Sitz haben wie beim Hunde, muss dahingestellt bleiben; denn ich habe von den 11 Affen, welche bisher mir zu Gebote standen, bloss 5 für die erstbeschriebenen Exstir- pationsversuche verwenden können, und es ist sehr wohl möglich, dass ich nicht die richtigen Stellen getroffen habe. Im Uebrigen aber verhält es sich, wie Sie sehen, mit der Sehsphäre des Affen gerade so wie mit der Sehsphäre des Hundes. Ueber einen zweiten Abschnitt der Grosshirnrinde des Hundes, die Ihnen bereits bekannte Hörsphäre, habe ich nur wenig meinen früheren Mittheilungen hinzuzufügen. Es ist die Stelle 5, Fig. 1, deren beiderseitige Exstirpation Seelen- taubheit mit sich bringt. Wenn die entzündliche Reaction vorüber, findet man Störungen ausschliesslich im Gebiete des Gehörssinnes bestehen: der Hund hört noch — jedes ungewöhnliche Geräusch zieht ein gleichmässiges Spitzen _ der Ohren nach sich —, allein er versteht nicht mehr, was er hört; die Be- deutung des „pst“, „komm“, „hoch“, „schön“, ,„Pfote“ und worauf sonst noch er früher eingeübt worden war, ist ihm vollkommen verloren gegangen, so dass nunmehr die Bewegungen ausbleiben, welche er vorher fast maschinenmässig danach vollführte. Ganz allmählich lernt aber der Hund wieder hören. Zu- nächst werden die Ohrmuscheln und dann auch der Kopf immer besser und richtiger der Schallquelle zugewandt, so dass die Richtung des Schalles auige- fasst wird; später wird die Verschiedenheit der Geräusche immer vollkommener erkannt; und endlich wird, wenn man den Hund in der gewohnten Weise er- zieht, auch die Verbindung der verschiedenen Geräusche mit den Bewegungen wiederhergestellt. So dass der Hund 4—5 Wochen nach der Operation gerade so wieder wie vor der Operation sich darstellt. Wie die Stelle A, Fig. 1 die Gesichtsvorstellungen, so enthält also die Stelle 5, die Gehörsvorstellungen des Hundes. Und wie die Stelle 4, inner- halb der grösseren der Gesichtswahrnehmung dienenden Sehsphäre gelegen ist, so muss die Stelle 3, in einer grösseren der Gehörswahrnehmung dienenden Hörsphäre sich befinden, deren völlige Zerstörung, entsprechend der Rinden- blindheit dort, Rindentaubheit zur Folge haben muss. Die Ausdehnung dieser Hörsphäre habe ich in BB Fig. 1 danach angegeben, wie weit ich bei den besprochenen Versuchen die eine oder die andere Exstirpationsstelle über 5, hinaus in dieser oder jener Richtung weiter ausgedehnt gefunden habe, ohne dass das Versuchsergebniss beeinträchtigt oder irgend welche andere Störung noch gesetzt gewesen wäre. Auf diese Weise stellt sich die Rinde des Schläfenlappens als die Hörsphäre heraus. Und damit stimmt sehr gut die Beobachtung, welche jedesmal, dass man die Stelle 3, beiderseits exstirpirt hat, in den ersten Tagen nach der Operation zu machen ist. Das ist die Zeit, zu welcher nach Allem, was man bei den sonstigen Exstirpationsversuchen DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. kcal sieht, die Umgebung der Exstirpationsstellen in einiger Ausdehnung in Folge des mechanischen Angriffes und der Entzündung functionsunfähig ist; und da findet man unseren Hund, auch dann wenn die Störungen durchaus auf das Gebiet des Gehörssinnes beschränkt sind, nicht bloss seelentaub, sondern ganz rindentaub, indem er auf kein Geräusch, es sei noch so nahe und noch so laut, selbst nur durch das leiseste Spitzen der Ohren reagirt. Einige Male habe ich auch, nachdem ich die ganze Rinde an der oberen Fläche der beiden Schläfenlappen exstirpirt hatte, andauernde Rindentaubheit beobachtet; aber da die Hunde höchstens acht Tage und noch dazu in übeler Verfassung die Ope- ration überlebten, wird auf diese Erfahrungen nicht viel zu geben sein. Er- innern Sie sich meiner früheren Schilderungen, wie eingreifend hier schon die einfacheren Exstirpationsversuche sind, so wird es Sie gewiss nicht verwundern, dass ich die Versuche der letzten Art nicht öfter wiederholt habe. Ich babe nun noch heute Ihre Aufmerksamkeit mir zu erbitten für einen dritten Abschnitt der Grosshirnrinde des Hundes, den Abschnitt ODE Fig. 1. Sie erkennen sofort, dass es die Partie der Rinde ist, über welche in den letz- ten 8 Jahren, seit den ersten Untersuchungen der HH. Fritsch und Hitzig, so viel verhandelt worden ist. Wenn es trotzdem hinsichts der Functionen dieses Rindenabschnittes nicht zur Klarheit gekommen war, so war der Grund vornehmlich darin gelegen, dass noch die leitenden Gesichtspunkte für die rich- tige Beurtheilung der Versuchsergebnisse fehlten. Je mehr ich in der Kenntniss der Hörsphäre und besonders der Sehsphäre fortschritt, desto mehr ordneten sich auch hier die Versuchsergebnisse, die anfangs unvereinbar erschienen, zu- sammen; und wenn ich im vorigen Jahre mich darauf hatte beschränken müssen, Ihnen unseren Rindenabschnitt als die motorische Sphäre den hinteren senso- riellen Sphären gegenüberzustellen, so glaube ich Sie heute zu einem tieferen Verständnisse auch dieses Rindenabschnittes führen zu können. Um es sogleich mit einem Worte zu sagen: unser Rindenabschnitt ODE ist die Fühlsphäre des Hundes. Wie die Rinde im Hinterhauptslappen zum Gesichtssinne und im Schläfenlappen zum Gehörssinne, so steht sie im Scheitel- lappen in Beziehung zum Gefühlssinne; und wie dort, so ist sie auch hier der Ort, wo die Wahrnehmung statthat und die Vorstellungen, die Erinnerungs- bilder der Wahrnehmungen ihren Sitz haben. Nur ist es, wohlbemerkt, nicht der Gefühlssinn der Haut allein, um welchen es sich hier handelt, sondern der Gefühlssinn im weiteren Sinne, der Gefühlssinn des Körpers. Sehen wir zu, welche Wahrnehmungen diesem Gefühlssinne zukommen und welche Vorstellungen hier aus den Wahrnehmungen fliessen. Indem die Hautempfindungen zum Bewusstsein kommen, führen sie zu zweierlei Wahrnehmungen oder, wie wir in diesem Gebiete die Wahrnehmungen sut bezeichnen, Gefühlen: dem Berührungs- oder Druckgefühle und dem Tempe- raturgefühlee Von dem letzteren, das sich bei den Thieren nicht untersuchen lässt, dürfen wir hier absehen. Aus dem ersteren, das mit Localzeichen ausge- stattet ist, gehen die Berührungs- oder Druckvorstellungen hervor, die Vor- stellungen über die Existenz und die Lage der die Haut berührenden Objecte, wie über die Ausdehnung, in welcher, und die Kraft, mit welcher die Objecte auf die Haut wirken. Dazu kommen durch die Muskelempfindungen die Muskel- gefühle, die mit weniger entwickelten Localzeichen versehenen Wahrnehmungen vom Zustande der Muskeln, ihrer Contraction, ihrer Dehnung, ihrer Spannung u. s. w. Aus den Muskelgefühlen allein resultiren Vorstellungen nicht; aber 2 VERHANDLUNGEN die Muskelgefühle können mit den Berührungs- oder Druckgefühlen für die Be- rührungs- oder Druckvorstellungen zusammentreten, und ausserdem liefern beider- lei Gefühle vereint die recht scharfen Vorstellungen über die jeweilige Lage der Körpertheile, wie über die Lageveränderung der Körpertheile bei passiver Bewegung derselben. Endlich bilden eine letzte Gruppe von Gefühlen die In- nervationsgefühle, die Wahrnehmungen der Bewegungsanregung bei der activen Bewegung der Körpertheile: Gefühle, welche nie isolirt, sondern immer in Ver- bindung mit Druck- und Muskelgefühlen vorkommen. Für jede geordnete und dem Zwecke angepasste Bewegung stehen die dreierlei Gefühle in einer bestimm- ten festen Beziehung; und sie lassen vereint entstehen einmal die Bewegungs- vorstellungen, die Vorstellungen von den activen Bewegungen der Körpertheile, und zweitens die Tastvorstellungen, die Vorstellungen von der Form, der Aus- dehnung u. s. w. der Objecte, welche die in Bewegung begriffenen Körpertheile berühren. Weitere Gefühle hat das normale Thier nicht. Wollte man noch ganz undeutliche Gelenkgefühle annehmen, vermittelt durch die sensibeln Nerven der an den Gelenken befindlichen Theile, so würden diese doch eine besondere Beachtung nicht erfordern, weil sie immer nur bei der Bildung der Vorstellungen über die Lage und die Bewegungen der Körpertheile mit den anderen Gefühlen zusammenwirken würden. Nichts Anderes aber ist es nun, was nach Exstirpationen im Bereiche unseres Rindenabschnittes ODE zur Beobachtung kommt, als der Verlust und die allmähliche Restitution derjenigen Vorstellungen, in den schwereren Fällen auch der Verlust derjenigen Wahrnehmungen, von welchen eben die Rede war. Hat man einem Hunde eine Stelle der Rinde im Bereiche von ODE an einer Hemisphäre exstirpirt, so bestehen, wenn die entzündliche Reaction vorüber, ausschliesslich, aber auch regelmässig Störungen der Motilität und der Sensi- bilität an der gegenseitigen Körperhälfte, und zwar je nach der Lage der Ex- stirpationsstelle an dem einen oder dem anderen Körpertheile. Mit der Zeit bilden sich dann die Störungen allmählich zurück, bald nur unvollkommen, bald vollkommener, so dass im günstigsten Falle unser Hund schliesslich das Ver- halten des normalen Hundes wiedergewinnt. Sieht man von allen feineren Unterscheidungen vorerst ab, so kann man im Bereiche von ODE von einer Kopfregion Z, einer Vorderbeinregion D und einer Hinterbeinregion © sprechen, indem immer Verletzungen innerhalb der Strecke Z Störungen am Kopfe, Verletzungen innerhalb der Strecke D Störungen am Vorderbein und Vorderrumpf, endlich Verletzungen innerhalb der Strecke C' Störungen am Hinterbein und Hinterrumpf mit sich bringen. Je ausgedehnter die Exstirpationsstelle innerhalb einer und derselben Region ist, desto hoch- gradiger sind von vorne herein die entsprechenden Störungen, und desto lang- samer und desto unvollkommener bilden sie sich zurück. Dagegen ist es ohne Einfluss sowohl auf die anfängliche Grösse dieser Störungen, wie auch der Re- stitution, ob und wie weit die Exstirpation noch eine andere Region betroffen hat. Es sind nur natürlich die Störungen überhaupt desto weiter über die Körperhälfte ausgebreitet, je mehr Regionen zugleich verletzt sind. Dass die Störungen die Motilität betreffen, darüber ist seit den Versuchen der HH. Fritsch und Hitzig, die hier die Bahn eröffneten, Alles einig. Allein die Störungen der Sensibilität, welche Hr. Schiff zuerst erkannte, hat Hr. Hitzig noch neuerdings bloss für ausgedehntere oder tiefere Läsionen zu- geben mögen. Nun stehen mir allerdings für den Fall „ganz geringfügiger“ DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 173 Läsionen der Rinde keine Erfahrungen zu Gebote; und es will mir nur, wenn ich unsere groben Methoden der Sensibilitätsprüfung der Thiere erwäge, Nichts natürlicher scheinen, als dass unter diesen Umständen an der so gegliederten und beweglichen Extremität eine sehr beschränkte Sensibilitätsstörung unserer Beobachtung sich noch entzieht, wo doch schon bei einer der mannigfachen Bewegungsformen eine leichte Motilitätsstörung sich uns offenbart. Ganz gewiss aber ist Hr. Hitzig nicht im Rechte, wenn, um was allein es sich hier handelt, nicht gerade ganz geringfügige, aber auch nicht tief eindringende Läsionen ge- setzt sind. Denn nach Exstirpationen von wenigen Millimetern Ausdehnung in Länge und Breite und von der gewöhnlichen Tiefe von etwa 2mm habe ich regelmässig Sensibilitätsstörungen constatirt; ja, ich habe sogar mehrfach, wenn die Läsionen in der Kopfregion EX gesetzt waren, diese Störungen viel leichter nachweisbar gefunden als die Motilitätsstörungen. Doch sind die Störungen als Motilitäts- und Sensibilitätsstörungen überhaupt nur schlecht charakterisirt, und gerade auf eine bessere Auffassung und Wür- digung derselben kommt es an. Dafür wollen wir, um nicht gar zu weit in Einzelheiten uns zu verlieren, an die Exstirpationen innerhalb einer einzigen Region uns heften, und wir wählen die Vorderbeinregion D, weil das Vorder- bein mit seiner Beweglichkeit und Empfindlichkeit gewissermaassen die Mitte hält zwischen dem Kopfe, an welchem die Beweglichkeit, und dem Hinterbeine, an welchem die Empfindlichkeit mehr zurücktritt:. Es sind aber nach Ver- letzungen der Regionen Z und C wesentlich .dieselben Störungen, nur theilweise umständlicher, am Kopfe und am Hinterbeine wahrzunehmen. Lassen Sie uns einen Hund betrachten, welchem eine grössere Partie der Rinde innerhalb der Strecke D an der einen, sagen wir der linken Hemisphäre “ exstirpirt ist. Die Absonderheiten, welche sich darbieten, sind Ihnen im bunten Durcheinander wohl schon alle bekannt geworden durch die vielen Schilderungen, welche die letzten Jahre gebracht haben: ich führe sie Ihnen sogleich gruppirt vor, wie sie zusammengehören. Wenn das Fieber vorüber, am 3.—5. Tage nach der Operation constatiren wir Folgendes: 1) den Verlust der Berührungs- oder Druckvorstellungen für, das rechte Vorderbein. — Berühren wir eines der drei anderen Beine mit dem Finger oder ganz leicht mit der Nadelspitze, so sieht‘der Hund sofort hin oder beisst sogar, wenn er bösartig ist, sofort zu; und sobald wir nur ein wenig drücken oder. stechen, hebt der Hund auch das Bein und sucht es uns zu entziehen. Verfahren wir ebenso am rechten Vorderbeine, so bleibt der Hund, selbst wenn “ wir viel stärker drücken und stechen, ganz theilnahmlos; und erst nach sehr starkem Drucke oder nach tiefem Einstiche tritt ein Heben des Beines ein, doch ohne dass der Hund hinsieht oder zubeisst. Beim Angriffe dieses Beines sehen wir also Nichts weiter als den einfachen Reflexvorgang, wie er sich auch nach Exstirpation oder encephalitischer Zerstörung des ganzen Gross- hirns zeigt. 2) den Verlust der Lagevorstellungen für das rechte Vorderbein. — Wir können dieses Bein adduciren und abdueiren, nach vorn und nach hinten schieben, in den Gelenken beugen und strecken, mit dem Fussrücken auf den Boden setzen und so weiter mit ihm machen was wir wollen, der Hund widerstrebt nicht im mindesten der Lageveränderung und lässt das Bein in jeder beliebigen Lage verharren, bis er Gehbewegungen macht. Jeder Lageveränderung eines anderen Beines hingegen setzt der Hund von vorne herein und ohne Unterlass 174 VERHANDLUNGEN durch Contraction der Muskeln dieses Beines Widerstand entgegen, und‘ er führt das Bein, vom Zwange befreit, sofort in die ihm bequeme Lage zurück. 3) den Verlust der Bewegungsvorstellungen für das rechte Vorderbein. — Dass dieses Bein reflectorisch bewegt wird, haben wir schon vorhin gesehen. Auch bleiben seine Bewegungen da nicht aus, wo sie zugleich oder in regel- mässigem Wechsel mit den Bewegungen der anderen Beine zu erfolgen haben, beim Gehen, Laufen, Springen. Aber anderweitig ist dies Bein durchaus bewegungslos, kommt eine active Bewegung dieses Beines allein nie zu Stande. Der Hund war darauf eingeübt, wenn man die Hand an seinem Auge vorbei- bewegte, die gleichseitige Pfote, ebenso auf den Ruf „Pfote“ die eine Pfote, auf den Ruf „andere Pfote“ die zweite Pfote zu geben; jetzt giebt er die linke Pfote gerade wie zuvor, aber eben diese Pfote auch dann, wenn er die rechte seben sollte Nach Fleisch, Knochen u. a. Nahrungsmitteln, die er heranholen oder, wenn man sie fortzieht, in seinem Bereiche zurückhalten will, greift der Hund immer mit dem linken, nie mit dem rechten Vorderbeine Juckt es ihn an der Wunde, er führt immer nur das linke, nie das rechte Vorderbein an sie heran, und er kratzt auch sonst immer nur mit dem linken Vorderbeine. Hebt man ihn an dem linken Vorderbeine in die Höhe, oder bringt man ihn irgendwie anders in eine Lage, in welcher er einer weiteren Unterstützung durch das rechte Vorderbein bedarf, und in welcher der normale Hund dieses Vorderbein auch jedesmal sofort zur Stütze heranzieht, so bleibt doch hier dieses Bein unbewegt. Stellt man den Hund auf den Tisch und zieht das rechte Vorderbein über den Tischrand hinaus, so dass es frei herunterhängt, so führt der Hund es nicht zurück; und doch ist kein Zweifel, dass er die gefährliche Lage des Beines sehr wohl sieht, da er später, zum Gehen angeregt, nicht herunterfällt, sondern zunächst so lange mit dem Rumpfe und den ungeschä- digten Beinen arbeitet, bis das rechte Vorderbein wieder auf den Tisch zu stehen gekommen ist. 4) den Verlust der Tastvorstellungen für das rechte Vorderbein. — Ich erwähnte schon, dass dieses Bein beim Gehen und Laufen des Hundes sich noch mitbewegt. Es steht also die Region D in keiner Beziehung zu dem Centrum für die Gehbewegungen, das unterhalb des Grosshirns gelegen ist, durch dessen reflectorische Erregung auch nach encephalitischer Zerstörung .des ganzen Grosshirns auf starke Reizung des Schwanzes oder des Beines die Gehbewegungen auftreten. Doch ist es nur, so zu sagen, die grobe Mechanik des Gehens, welche wir in diesem Falle beobachten, die gesetz- mässige Folge der Thätigkeit der Beine mit der wechselnden Beugung und Streckung eines jeden Beines; und diese grobe Mechanik reicht für das wirkliche Gehen des Lebens nicht aus. Dafür müssen die Gehbewegungen noch besonders den jedesmaligen äusseren Bedingungen des Gehens angepasst sein, vornehmlich der Beschaffenheit des Bodens, seiner Härte, seiner Unebenheit, seiner Glätte u. s. f.; dafür muss noch eine Regulation der groben Mechanik erfolgen, eine Regulation, welche die durch die Bewegungen der Beine ent- standenen Tastvorstellungen vermitteln, indem sie die erforderliche Abänderung der Muskelthätigkeit herbeiführen. Es wird demnach, sobald die Tastvorstellungen von Seiten eines Beines fortgefallen sind, für dieses Bein die grobe Mechanik des Gehens nicht mehr regulirt, und das Bein muss sich, vollends wenn zu- gleich die Bewegungsvorstellungen des Beines fehlen, durch die Ungeschicktheit und die Unzweckmässigkeit seiner Bewegungen vor den anderen Beinen aus- DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 175 zeichnen. Das ist es aber gerade, was für das rechte Vorderbein unseres Hundes sich ergiebt. Unser Hund geht zwar mit diesem Beine, aber er geht mit ihm nicht gut: er hebt es bald zu hoch, bald zu wenig hoch, bringt es bald zu weit, bald zu wenig weit nach vorn, setzt es bald mit der Sohle, bald mit dem Fussrücken auf, gleitet mit dem Beine aus u. s. f. Auf freiem, ebenem, festem Boden inmitten des Gehens oder Laufens tritt die Ungeschicktheit des Beines am wenigsten hervor; sie macht sich am auffälligsten bemerklich, wo es besondere Terrainschwierigkeiten zu überwinden gilt, z. B. beim Passiren der Treppe, deren Stufen das Bein häufig verfehlt, beim Gehen auf dom Tische, dessen Rand das Bein leicht überschreitet, Derart also ist der Befund bei unserem Hunde am 3.—5. cas nach der Operation. Wir beobachten ihn weiter. Von Tag zu Tag mindert sich die Druckgrösse, die erforderlich ist, die Hebung des rechten Vorderbeines zu ver- anlassen; aber der Hund sieht zunächst noch immer nicht hin. Erst im Laufe der zweiten Woche tritt dieses Hinsehen ein. Ist der Hund bösartig, so sind seine Beissversuche anfangs noch ungefährlich, da sein Kopf nur ohn- gefähr in der Richtung nach der Druckstelle hin sich bewegt; doch schon nach einigen Tagen trifft der Hund die Druckstelle genau. Auch das Gehen mit dem rechten Vorderbeine hat sich inzwischen etwas gebessert, so dass die Ungeschicktheit der Bewegungen nicht mehr so auffällig wie zu Anfang ist: das Bein gleitet seltener aus, kommt seltener mit dem Fussrücken auf den Boden zu stehen, schlägt seltener gegen die Treppenstufen, verfehlt dieselben - seltener u. s. w. Aber im Uebrigen sind die Abnormitäten noch vorhanden. Etwas später erscheint bei den passiven Bewegungen des rechten Vorderbeines ein Zucken im Beine, das Zucken nimmt von Tag zu Tag zu, immer fühlbarer wird von Seiten des Hundes Widerstand geleistet, endlich macht sich auch ein Bestreben bemerkbar, das verstellte Bein zurückzuführen. Den Zweck wirklich erreichen zu lassen, dafür sind die Muskelbewegungen vorerst allerdings noch viel zu schwach, aber sie werden immer stärker und stärker, bis, wenn etwa 4 Wochen nach der Operation verflossen sind, die Reposition wirklich gut zu Stande kommt. Wiederum hat mittlerweile die Ungeschicktheit des rechten Vorderbeines beim Gehen abgenommen. Aber wenn auch noch seltener als vorher, hin und wieder gleitet doch immer noch das Bein aus, tritt über den Tischrand hinaus, schlägt gegen die Treppenstufen, bleibt zum Schlusse des Gehens auf dem Fussrücken stehen, u. s. f.; und immer noch fehlt jede Spur einer anderweitigen activen Bewegung des Beines. Für die Beseitigung dieser letzten Abnormitäten bedarf es noch mehrerer Wochen, und erst 8—10 Wochen nach der Operation ist unser Hund vom unversehrten Thiere nicht mehr zu unterscheiden. Ich habe Ihnen diesen Hund gewissermaassen als Paradigma vorgeführt, weil hier sowohl der Verlust aller Gefühlsvorstellungen durch die Exstirpation, als auch die Neubildung aller Gefühlsvorstellungen nach der Exstirpation zur Beobachtung kommt. Dass die Neubildung gerade so vorschreitet, wie ich Ihnen vorhin die Entstehung aller Gefühlsvorstellungen zergliedert habe, dass nämlich erst die einfacheren, dann die verwickelteren Vorstellungen sich wieder einfinden, das ist Ihrer Aufmerksamkeit sicher nicht entgangen. Nunmehr reichen wenige Worte hin, um Sie die Folgen der Läsionen der Region D auch ganz im Allgemeinen übersehen zu lassen. Nach den kleinsten Exstirpationon von nur wenigen Mm. Ausdehnung in 176 VERHANDLUNGEN Länge und Breite habe ich manchmal den völligen Verlust der Tast- und Be- wegungsvorstellungen beobachtet, manchmal jedoch bloss den theilweisen Verlust derselben. In den letzteren Fällen sah man den Hund, so schlecht er auch mit dem in Frage kommenden Beine ging, dieses Bein doch gut an seine Kopfwunde führen oder gut mit ihm die Pfote geben u. dgl. m. Die Druck- und Lagevorstellungen waren immer erhalten und nur etwas unvollkommener als normal: es bedurfte eines stärkeren Druckes, dass der Hund aufmerksam wurde und das Bein hob, auch wurde der Lageveränderung des Beines ein kleinerer Widerstand entgegengesetzt. Die Restitution war hier immer eine vollständige und öfters schon in 2, längstens aber in 4 Wochen beendet. Nach grösseren Exstirpationen waren entweder alle Gefühlsvorstellungen fortgefallen, oder es war höchstens noch ein Rest der Druckvorstellungen übrig geblieben, indem zwar erst auf sehr starken Druck, aber doch noch unter Hinsehen .des Hundes das Bein sich hob. Dieser Gruppe von Fällen gehört unser Paradigma an. Auch hier trat regelmässig innerhalb 6—10 Wochen eine völlige Restitution ein. Nach wieder grösseren Exstirpationen war die Restitution immer eine unvollkommene: wohl die, Druckvorstellungen und allmählich auch die Lage- vorstellungen kehrten wieder, nicht aber die Tast- und Bewegungsvorstellungen; das Aeusserste, das erreicht wurde, war, dass das passiv bewegte Bein an- nähernd in seine ursprüngliche Lage zurückgeführt wurde, und darüber hinaus war durch viele Wochen hindurch nicht der mindeste Fortschritt bemerkbar. Endlich nach den grössten Exstirpationen, die ich ausgeführt habe, war die Restitution noch unbedeutender, indem nur die‘ Druckvorstellungen sich in einigen Wochen wiederherstellten und in eben dieser Zeit das Gehen mit dem Beine sich etwas besserte, dabei es dann aber auch durch Monate verblieb. In diesen letzten Fällen war fast die ganze Strecke D Fig. 1 exstirpirt; bloss ein Streifen an der Falx und ein schmaler Streifen an der Grenze des Gyrus supersylvius waren erhalten. Nach alledem ist die Sachlage so klar, wie es für's Erste nur gewünscht werden kann. Die Rinde des Scheitellappens des Hundes ist die Fühlsphäre der gegenseitigen Körperhälfte, und sie zerfällt in eine Anzahl Regionen, deren jede zu einem besonderen Theile dieser Körperhälfte in Beziehung gesetzt ist. In den wahrnehmenden centralen Elementen einer Region enden bei einander die Fasern, welche die Haut-, die Muskel- und die Innervationsgefühle des zu- gehörigen Körpertheiles vermitteln, und innerhalb der Region haben auch die Gefühlsvorstellungen eben dieses Körpertheiles ihren Sitz, so dass die Region die selbständige Fühlsphäre des zugehörigen Körpertheiles, z. B. des Vorderbeines oder des Hinterbeines, vorstellt. Im Bereiche jeder solchen Fühlsphäre eines Körpertheiles bringen kleine Exstirpationen den theil- weisen Verlust der Gefühlsvorstellungen des Körpertheiles, grössere Exstirpationen den völligen Verlust der Gefühlsvorstellungen des Körpertheiles — Seelen- lähmung (Seelenbewegungs- und Seelengefühllosigkeit) des Kör- pertheiles — mit sich; doch können in dem Reste dieser Fühlsphäre die Gefühlsvorstellungen sich von Neuem bilden. Durch noch grössere Exstirpationen erscheinen auch die Gefühle selbst geschädigt, und nur ein Theil der Gefühls- vorstellungen vermag sich wiederherzustellen; jene Schädigung und diese Un- vollkommenheit der Restitution sind dabei desto grösser, je weniger von der Fühlsphäre noch erhalten blieb. Die völlige Zerstörung der Fühlsphäre eines Körpertheiles muss den bleibenden Verlust aller Gefühle und Gefühlsvorstellungen DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 177 des Körpertheiles — Rindenlähmung (Rindenbewegungs- und Rinden- sefühllosigkeit) des Körpertheiles — zur Folge haben. Es kommen also in jeder Grosshirnhemisphäre der Fühlsphäre dieselben Functionen für den Gefühlssinn der gegenseitigen Körperhälfte zu, wie der Sehsphäre für deren Gesichtssinn, nur sind die Theile der Fühlsphäre weniger sleichwerthig als die der Sehsphäre. Wohl können dieselben Gesichtsvor- stellungen in den verschiedensten Partien der Sehsphäre entstehen, aber in den verschiedenen Regionen der Fühlsphäre können dieselben Gefühlsvorstellungen nur insoweit sich bilden, als sie so objeetiv sind wie die Gesichtsvorstellungen, also Berührungs- oder Tastvorstellungen sind, bei welchen von dem berührenden oder tastenden Körpertheile abstrahirt ist. Alle anderen Gefühlsvorstellungen sind, eben wegen ihrer Subjectivität, örtlich geknüpft an eine bestimmte Region der Fühlsphäre, an die Region, welche dem Gefühlssinne des betreffenden Körper- theiles zugehört, in welcher die Endigungen anzunehmen sind der die Gefühle vermittelnden Fasern der Haut des betreffenden Körpertheiles, seiner Muskeln und auch der Ganglien oder Centren, welche die Bewegungen des Körpertheiles anregen. Mit den letzten Worten habe ich eine Lücke ausgefüllt, welche ich vorher übrig liess. Die Wahrnehmungen und die Vorstellungen im Gebiete des Ge- fühlssinnes sind von den verschiedenen Gelehrten so verschieden bezeichnet und so verschieden definirt worden, dass ohne eine besondere feste Grundlage unser Studium der Fühlsphäre geradezu unfruchtbar gewesen wäre. Deshalb habe ich Ihnen vorhin, als wir in die Betrachtung der Fühlsphäre eintraten, eine Ueber- sicht der Gefühlswahrnehmungen gegeben, indem ich die Organe des Körpers durchging, deren Nerven Gefühlswahrnehmungen vermitteln, und aus den Ge- fühlswahrnehmungen die Gefühlsvorstellungen entwickelte. Doch bei den Inner- vationsgefühlen habe ich mich dort darauf beschränkt, sie als die Wahr- nehmungen der Bewegungsanregung bei der activen Bewegung der Körpertheile zu definiren, und so blieb mir nachzuholen, welche Organe des Körpers es sind, deren Veränderungen. als Innervationsgefühle zum Bewusstsein kommen. Diese Organe sind, wie ich es schon eben zu erkennen gab, die unterhalb der Gross- hirnrinde im Hirn und Rückenmark befindlichen Ganglien oder Centren, welche die Bewegungen der Körpertheile anregen. Da in der frühesten Jugend des Thieres aus den ersten, blos reflectorischen Bewegungen die Bewegungsvor- stellungen in der Fühlsphäre sich entwickeln; da bei dem erwachsenen Thiere die Bewegungsvorstellungen eines Körpertheiles in dessen Fühlsphäre auch dann entstehen, wenn, wie bei den Gehbewegungen, diese Fühlsphäre an der Herbei- führung der Bewegungen unbetheiligt ist; da endlich bei demselben Thiere, nach der Exstirpation der Rinde in einer Region der Fühlsphäre, die verlorenen Bewegungsvorstellungen des Körpertheiles aus den reflectorischen und Geh- Bewegungen des Körpertheiles sich von Neuem bilden: so kann es nicht anders sein, als dass, wie von der Haut und von den Muskeln, so auch von den Be- wegungscentren oder Ganglien unterhalb der Grosshirnrinde Fasern zu dieser hinaufsteigen, welche die Wahrnehmung von der 'Thätigkeit der Centren ver- mitteln. Unsere Innervationsgefühle sind aber vorläufig wohl zu unterscheiden von dem, was man sonst vielfach auch ‚„Innervationsgefühl“ genannt hat, von der „Wahrnehmung der Intensität der Willensanstrengung bei der willkürlichen Bewegung.“ „Wille“ und „willkürliche Bewegung“ mit Sitz und Ursprung in Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 12 178 VERHANDLUNGEN * der Grosshirnrinde sind zwar recht bequeme und mögen darum auch gute Be- zeichnungen sein, aber eine thatsächliche physiologische Unterlage haben sie nicht. Was wir von der Grosshirnrinde wissen, ist, dass sie der Ort der Wahrnehmungen und der Sitz der Vorstellungen ist. Danach ist bloss die Annahme zulässig, welche mit etwas anderem Inhalte schon Hr. Meynert und unter uns Hr. Wernicke ausgesprochen haben, dass die Bewegungsvor- stellungen die Ursachen der sogenannten willkürlichen Bewegungen sind, dass mit dem Entstehen einer Bewegungsvorstellung in einer gewissen Grösse — und zwar mit ihrem Entstehen auf dem Wege der Association, nicht der sie constituirenden Gefühle — eo ipso die betreffende Bewegung gesetzt ist, wenn nicht anderswoher eine Hemmung erfolgt, und dass die Bewegung desto grösser ist, je grösser die ihr zu Grunde liegende Bewegungsvorstellung ist. Mithin könnte jene „Wahrnehmung der Intensität der Willensanstrengung bei der willkürlichen Bewegung“ das Attribut einer Bewegungsvorstellung sein; eine wirkliche Wahrnehmung könnte immer nur mittelbar, vom „Willen“ ganz los- gelöst, statthaben, und sie würde alsdann nichts Anderes sein als unser In- nervationsgefühl. Ich komme auf die eben berührte Frage vielleicht das nächste Mal zurück, wenn ich von der Fühlsphäre des Affen handele, welche die nämliche Lage hat wie die des Hundes und unmittelbar vor der Sehsphäre sich befindet. Für heute will ich schliessen, indem ich betone, dass die verschiedenen Sphären der Grosshirnrinde, welche ich besprach, ein zusammenhängendes Ganzes bilden. Wenn ich in Fig. 1 zwischen A und B einerseits, ODE andererseits eine Lücke liess, so wollte ich damit nur sogleich beim Anblick der Figur die Aufmerk- samkeit darauf lenken, dass die Grenzen der verschiedenen Sphären, ebenso auch die Grenzen der verschiedenen Regionen in der Fühlsphäre, noch nicht genau sich haben bestimmen lassen, und dass gerade die verschiedenen Grenz- sebiete noch eine besondere Untersuchung verdienen. XI. Sitzung am 5. April 1878. Hr. WERNICKE bespricht im Anschluss an den Vortrag des Hrn. Munk (s. oben) einen Fall von rechtsseitiger Hemiopie, welcher nach 2Ö0monatlichem Be- stehen zur Section gelangte. Es fand sich an der Convexität der linken Hemisphäre ein Erweichungsherd, welcher einen grossen Theil des dem Hinterhauptslappen (Operculum) des Affen entsprechenden Rindenbezirkes ein- nahm und nach vorn im unteren Scheitelläppchen bis an die hintere Central- windung gelangte. Somit war der Gehirntheil, dessen Exstirpation die Hemiopie des Affen bedingt, mit inbegriffen, wenn auch nicht allein erkrankt. Ausserdem bestand eine Erweichung des linken Streifenhügels. Der Sehhügel, die Corpora seniculata und die Vierhügelganglien, d. h. sämmtliche directe Ursprungsorte des linken Tractus opticus und dieser selbst, sowie die ganze rechte Gehirn- hälfte erwiesen sich als gesund. Ein Frontalschnitt durch die linke Hemisphäre, etwa entsprechend der vorderen Grenzlinie des Hinterhauptslappens, zeigte, dass der Rindenherd an der Aussenwand des Hinterhorns des Ventrikels das Epen- dym erreichte, dass also das sagittale Märklager, durch welches die Hinter- hauptsrinde mit den Ursprungsmassen des Tractus verknüpft ist, hier in be- DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 179 deutender Ausdehnung durchbrochen war. Dieser Umstand erklärt wahrschein- lich die verhältnissmässige Vollständigkeit der Hemiopie. Hierauf hält Hr. LucaAw den angekündigten Vortrag: „Zum Mechanis- mus des Gaumensegels und der Tuba Eustachii“. Vortragender verweist zunächst auf seine letzte den vorliegenden Gegen- stand betreffende Publication, in welcher er die Ansicht aussprach, dass beim Heben des Gaumensegels (Schlingact, Phonation, Saugbewegung, verstärkte Re- spiration) die Schlundöffnung der Tuba zusammengedrückt und hierbei Luft in’s Mittelohr gepresst wird. Diese Ansicht stützte sich namentlich auf einen Fall von Zerstörung der Nase, in welchem die fraglichen Theile für die directe Be- obachtung frei lagen und in der Ruhe und Bewegung genau studirt werden konnten. In neuerer Zeit hat der Vortragende abermals Gelegenheit gehabt, zwei derartige Fälle zu untersuchen, und zwar bei jüngeren, vollständig normal- hörenden Individuen, bei welchen ebenfalls während des Hebens des Gaumen- segels ein Verschluss der Schlundöffnung der Tuba beobachtet wurde; mit Hülfe eines kleinen, in den Nasenrachenraum von der Nase aus eingeführten Rachen- spiegels konnte dies sicher festgestellt werden. Für den Verschluss der Tuba beim Heben des Gaumensegels spricht ferner’ die Nasendouche von Th. Weber. Fände im Gegentheil bei demselben eine Eröffnung der Tuba statt, so müsste weit häufiger, als dies in der That der Fall ist, das eingespritzte Wasser beim Heben des Gaumensegels in die 'Trom- melhöhle dringen. Um festzustellen, in welchem Momente der Schlingbewegung die Hebung des Gaumensegels stattfindet, wurde vom Vortragenden ein durch die Nase ein- seführter und an das Gaumensegel angelegter Fühlhebel benutzt, wie solcher von Czermak zum Studium der Bewegungen des Gaumensegels bei der Pho- nation zuerst angewendet wurde Es wurde dabei constatirt, dass in Ueber- stimmung mit der Angabe von Gentzen die Phonation des « die niedrigste, die des # die höchste Erhebung des Gaumensegels hervorbringt. Ebenso hoch wie bei der Phonation von « erhebt sich das Gaumensegel beim Beginne einer Schlingbewegung; mit seinem Herabsinken — also in dem Momente, in welchem die Schlundöffnung wieder frei wird — erfolgt unter Wirkung der Schlundschnürer das eigentliche Hinabschlingen. Diese Beobachtung ist u. A. zur Beurtheilung der Wirkungsweise der Politzer’schen Luftdouche von Be- deutung. Ausser den obengenannten Bewegungen lässt sich auch beim Ructus mit Hülfe des Fühlhebels eine Hebung des Gaumensegels nachweisen, ferner auch bei Anwendung der Nasendouche. Schliesslich macht Hr. Anamkıewıcz eine kurze Mittheilung über „Sen- sibilitätsrestitution.“ Hr. Boureg hat die merkwürdige Entdeckung gemacht und Hr. Charcot sie vielfach bestätigt, dass hochgradige Anästhesien namentlich hysterischer Personen durch Auflegen von Metallplatten auf die Haut geheilt werden. Wiederholungen dieser Versuche, die auf der Abtheilung für Nervenkranke des Charite-Krankenhauses angestellt worden sind, haben den erwarteten negativen 1 Virchow’s Archiv. Bd. LXIV. 180 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. Erfolg gehabt, obgleich verschiedene Personen und verschiedene Metalle zu den Versuchen herangezogen worden waren. Später ist dem Vortragenden die Er- scheinung des „Transfert de la sensibilite‘ bekannt geworden, worunter die Ver- theidiger der „Metallotherapie“ die Beobachtung verstehen, dass jede artificielle Herstellung der Sensibilität bei halbseitig anästhetischen Personen mit einer Herabsetzung des Empfindungsvermögens einer symmetrisch gelagerten Stelle der gesunden Körperhälfte verbunden ist. Da er kurz vorher gefunden hat, dass gewisse Nervenprocesse (Schweissseeretion) beim Menschen in der That immer bilateral-symmetrisch fungiren, so hat ihn das veranlasst, auf die aben- teuerlichen Angaben der französischen Aerzte noch einmal einzugehen. — Hr. Regnard hat nun gelegentlich seiner Versuche an sensibel Gelähmten die Bemerkung gemacht, dass ihre Haut an denjenigen Stellen, wo sie unter dem Einfluss der Metalle wieder empfindend werde, sich röthe und auf Stiche blute. (Vergl. Berl. klin. Wochenschrift 1878. S. 130). — Das hat den Vortragenden dazu geführt zu untersuchen, ob eine — durch die Fluxion an- sedeutete — Reizung der Haut nicht vielleicht Ursache einer Sensibilitäts- restitution in denjenigen Fällen sein könne, wo die Sensibilität tief herabgesetzt, der Zusammenhang der sensiblen Nerven mit dem Gehirn aber nicht aufgehoben sei. Er hat zu dem Zweck bei einer Person mit so erheblicher Herabsetzung “ihres Empfindungsvermögens auf der einen Körperhälfte, dass sie die tiefsten Nadelstiche, Perforationen starker Hautfalten und des Nasenflügels, Eintreiben einer Nadel in das Periost u. s. w. absolut nicht empfand, Senfteige an ver- schiedene Körperstellen der gelähmten Seite gelegt und die Sensibilität dieser Stellen geprüft, nachdem unter dem Einfluss des Reizes eine deutliche Röthung derselben sich eingestellt hatte. Der Versuch fiel positiv aus. — Nadelstiche, die vorher nicht empfunden wurden und nicht bluteten, wurden an den ge- rötheten Stellen, indem sie bluteten, auch empfindlich. Die Restitution be- schränkte sich nur auf die Bezirke der Röthung, überdauerte letztere zum Theil um mehrere Tage, ging aber gewöhnlich mit der köthung wieder verloren. — Ueber die angeführte Erscheinung des ‚„Transfert de la sensibilite‘ hat der Vortragende bisher keine Erfahrungen sammeln können. Zur Lehre von der Fettresorption. Von Dr. Johannes Gad. (Hierzu Tafel II.) I. Ueber unabhängig von äusseren Erschütterungen erfolgende Emulsionsbildung. . $ 1. Einleitung. E. v. Brücke! hat gezeist, dass Oel durch verdünntes Hühner- Eiweiss, durch frische schleimhaltige Ochsengalle, am Auffallendsten aber durch eine verdünnte Lösung von Borax oder von kohlensaurem Natron leichter und vollkommener emuleirt wird, wenn es mit fetten Säuren verunreinist, als wenn es von diesen Verunreinigungen befreit ist. „Das neutrale Oel bildete beim Schütteln mit diesen Flüssigkeiten verhältniss- mässig grosse Tropfen, die sich stets wieder rasch vereinigten; das mit fetten Säuren verunreinigte aber zerstob beim ersten Schüttelstoss zu einer weissen Milch.“ Dieser einfache Versuch enthält die Grundlage für eine vollständige Beantwortung der von Hrn. E. du Bois-Reymond wiederholt ange- resten und von Hrn. Steiner zuletzt bearbeiteten Frage,? „durch welches mechanische Mittel wohl die Emulgirung der Fette im Dünndarm ge- schehe.“ Dieser Fragestellung lag die ihrer Zeit berechtigte Annahme zu Grunde: „man könne ein Fett und eine emulgirende Flüssigkeit noch so lange miteinander in Berührung lassen, nie würde letztere sich in 1 Ueber die physiologische Bedeutung der theilweisen Zerlegung der Fette im Dünndarme. Wiener Sitzungsberichte. 1870. Bd. LXI. II. Abth. S. 362. 2 Ueber Emulsionen, ihre Entstehung und ihr Werth für die Resorption der neutralen Fette im Dünndarm. Dies Archiv, 1874. S. 286. ° 182 JOHANNES GAD: das Fett eindrängen und es zu immer feineren Tropfen vertheilen. Dazu gehöre noch, in unseren Öfficinen, das Pistill, welches das Fett auf dem Boden der Reibschale in verschiedene Portionen, kleine und kleinere und endlich kleinste Tropfen zerreisse.* Von diesem Standpunkte aus musste es allerdings „schwer sein, sich zu denken, dass die schwachen peristal- tischen Bewegungen des Dünndarmes im Stande sein sollten, das Gleiche zu leisten“, wie die Bewegungen des Pistills in der Reibschale. Nach den von Hrn. Brücke mitgetheilten Erfahrungen über die leichte Emulsgirbarkeit ranzigen Fettes beim Schütteln mit verdünnter Sodalösung musste sich die Fragestellung allerdings etwas ändern, denn wenn „ein Schüttelstoss“ genügte, um ranziges Oel mit Sodalösung in eine weisse Milch zu verwandeln, so konnte man von der peristaltischen Bewegung wohl ein Gleiches voraussetzen, zumal durch Claude Bernard! die Fähigkeit des pankreatischen Saftes, fette Säuren aus den neutralen Fetten abzuspalten, bekannt war und an kohlensauren Alkalien im Dünn- darm kein Mangel ist. Jetzt musste sich vielmehr die Frage aufdrängen, worauf denn die leichte Emulgirbarkeit ranzigen Fettes mit Sodalösung beruhe, und ob hier nicht in der That ein Fall vorläge, in dem eine emulgirende Flüssigkeit schon bei blosser Berührung mit einem Fett in letzteres eindringe und dasselbe zu immer feineren Tropfen vertheile. Hr. Brücke hat letztere Frage nicht weiter verfolet, vielmehr trägt er für das von ihm beobachtete Phänomen eine Erklärung vor, welche ganz auf dem Boden der Annahme steht, dass zum Zustandekommen einer Emulsion die Bewegung der Flüssigkeiten durch irgend eine äussere Kraft erforderlich sei. Er sagt darüber:? „Die wesentliche Bedeutung der von Bernard entdeckten fettzersetzenden Eigenschaft des Pankreas- saftes scheint mir hiernach darin zu liegen, dass er die Entstehung der für die Emulgirung und deshalb auch für die Resorption der neutralen Fette so nützlichen Seifen ohne Intervention von kaustischen Alkalien und bei verhältnissmässig niederer Temperatur ermöglicht“; und an einer anderen Stelle:? „Das kohlensaure Natron ist an und für sich nicht im Stande, das neutrale Fett zu zersetzen; wenn aber freie Fettsäure vor- handen ist, so reisst diese einen Theil der Basis an sich, da dieselbe nur durch schwache Verwandtschaft gebunden ist, bildet auf diese Weise eine Seife und nun vermittelt die Seife die Emulgirung des Oels. Davon kann man sich leicht auf anderem Wege überzeugen. Wenn man zu 1 Memoire sur le panereas et sur le röle du sue pancreatigue. Paris 1856. — Legons de physiologie ewperimentale. Paris 1856. t. II. p. 170. 2 Wiener Sitzungsberichte, a. a. O. 3 Vorlesungen über Physiologie, von Ernst Brücke. Wien 1874. Bd. 1. S. 327. ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 183 reinem Oel eine kleine Quantität einer Seifenlösung hinzusetzt, so erfolgt die Emulsion mit derselben Geschwindigkeit.“ Dies kann man nicht anders verstehen, als dass Hr. Brücke die Ansicht vertritt, dass die bei Vorhandensein freier Fettsäure gebildete Seife, nachdem sie in Lösung übergegangen, dieser Lösung eine Eigenschaft ertheilt, in Folge deren ein Schüttelstoss genügt, um eine milchartige Emulsion zu bewirken. Es lässt sich aber zeigen, dass hierbei in der That ein anderer, bisher nicht hervorgehobener Umstand sehr wesentlich in Betracht kommt. $ 2. Phänomen der Emulgirung ranzigen Fettes bei blosser Berührung mit verdünnter Sodalösung.! Bringt man in ein Uhrschälchen eine Sodalösung von geeigneter Concentration und lässt auf die Flüssigkeit unter möglichster Vermei- dung von Erschütterungen einen Tropfen eines Oeles von gewissem Grade der Ranzigkeit fallen, so kommt der Tropfen vollkommen zur Ruhe, ohne dass eine Trübung an ihm oder in der umgebenden Flüssigkeit zu be- merken ist. Sehr bald aber zeist der Oeltropfen einen weissen Belag und gleichzeitig verbreitet sich in der Sodalösung eine weissliche Trübung, welche dichter und dichter wird, bis der an Volumen mehr und mehr abnehmende Oeltropfen in einer milchweissen Flüssigkeit schwimmt. Betrachtet man den Vorgang bei schwacher Vergrösserung unter dem Mikroskop, so sieht man, wie in der Umgebung des Fetttropfens "die lebhafteste Bewegung herrscht und wie die die Trübung bedingenden Partikelchen in heftigen Wirbelbewegungen von dem Fetttropfen hinweg und zum Theil zu ihm zurückgeführt werden. Die Partikelchen selbst erweisen sich bei starken Vergrösserungen als Fetttröpfehen von sehr gleichmässiger und minimaler Grösse. Die milchweisse Flüssigkeit ist die feinste und gleichmässigste Emulsion, welche sich überhaupt er- zielen lässt. In der beschriebenen Form gewährt das Experiment die später noch auf anderem Wege (s. unten S. 191) zu befestigende Ueberzeugung, dass in der That unabhängig von jeder äusseren Erschütterung die blosse gegenseitige Berührung gewisser Flüssigkeiten genügt, um eine Emulsion zu bewirken, welche an Feinheit und Gleichmässigkeit jede Milch über- trifft. Um aber zu erreichen, dass der Fetttropfen sich nicht eher trübt 1 Auch Hr. W. v. Wittich’ hat gelegentlich einer Untersuchung über die Haptogenmembran Ascherson’s Emulsionsbildung bei Berührung von Fetten. mit alkalischen Flüssigkeiten beobachtet und beschrieben. (W. v. Wittich, De Hy- menogonia Albuminis. Habilitationsschrift. Königsberg. S. 6-8.) Mit der Lehre von der Fettresorption in Beziehung gebracht war das Phänomen bisher nicht. 184 JOHANNES GAD: und nicht eher Emulsion hervorschleudert, ehe nicht die von dem Auf- fallenlassen des Tropfens herrührende Bewegung aufgehört hat, muss man Verhältnisse wählen, die für das schliessliche Resultat in Bezug auf Menge der gebildeten Emulsion nicht gerade günstig sind. Der mit der grösstmöglichen Behutsamkeit auf die Flüssigkeitsoberfläche gebrachte Fetttropfen dehnt sich nämlich je nach den speciellen Bedingungen zu- nächst mehr oder weniger auf der Oberfläche aus, um sich dann über die schliessliche Gleichgewichtslage hinaus zu contrahiren. Meist erst nach mehreren Oscillationen um die Gleichgewichtslage kommt der Tropfen, zur Ruhe. Hat man sich aber durch das beschriebene, oder durch das andere, später zu beschreibende Experiment einmal davon überzeugt, dass bei dem die Emulgirung bedingenden Vorgang äussere Erschütterungen nicht un- erlässlich sind,! und stellt man nicht mehr die Aufgabe, dass die Emul- girung erst beginnen solle, nachdem der Tropfen zur Ruhe gekommen ist, so kann man in Bezug auf das schliessliche Resultat weit günstigere Bedingungen wählen und wahrhaft überraschende Erfolge erzielen, so- wohl was die Menge und Güte der auf diese Weise in kürzester Zeit zu erhaltenden Emulsion, als auch, was die Schönheit der während der Emulgirung sich darbietenden Bilder betrifft, welche um so fesselnder sind, als die auftretenden Bewegungserscheinungen mancherlei Analogien mit den an den niedersten Organismen zu beobachtenden enthalten. Sind die für das schliessliche Resultat günstigsten Bedingungen ge- wählt, so erscheint die Grenzfläche zwischen dem Fetttropfen und der Flüssigkeit sofort nach der Berührung intensiv weiss und schon während der Tropfen die Anfangsoscillationen durchmacht, strahlt von demselben nach allen Richtungen weisse Milch aus. Meist bleibt der Tropfen bis zum Ablauf der Oscillationen kreisförmig begrenzt, bald aber fängt er an Formveränderungen zu zeigen, die mit denen der Amöben auffallende Aehnlichkeit haben. Nach allen Seiten, zuerst ziemlich gleichförmig, treibt der Tropfen Fortsätze aus, die länger und länger werden, wobei mehr und mehr die eine oder die andere Richtung als besonders begün- stigt erscheint, sowohl was Länge, als auch was Stärke der Fortsätze anbetrifft. Kleinere Fortsätze werden wieder eingezogen, die begünstigten wachsen mehr und mehr, wobei sie sich an den Enden, meist dicho- tomisch, verzweigen. Die Enden der Fortsätze sind selten spitz, meist 1 Es braucht wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, dass der Nachweis der Entbehrlichkeit äusserer Erschütterungen für die Bildung von Emulsionen nur insofern einen Sinn hat, aber hier auch zunächst nur insofern interessirt, als es sich um den Ausschluss solcher Erschütterungen handelt, welche srobwahrnehm- bare Formveränderungen des Tropfens zur Folge haben. ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 185 leicht kolbig angeschwollen. Solche kolbige Anschwellungen kommen hier und da zur Abschnürung und die entstandenen neuen, meist kreis- förmis begrenzten, manchmal aber auch selbst amöboiden Tropfen be- wegen sich in radialer Richtung vom Muttertropfen hinweg. Während dieser Formveränderungen des Tropfens fährt derselbe fort, eine intensiv weisse Milch auszustrahlen und zwar von dem Grunde der Buchten aus, während die Enden der Fortsätze meist von einem Hof klarer Flüssig- keit umgeben sind. Die Oberfläche des Tropfens selbst bleibt manchmal gleichmässig getrübt, manchmal hellen sich aber die Ränder auf und es bleibt in der Mitte eine sternförmige weisse Figur übrig, deren Strahlen am Grunde der Buchten endigen, da von wo die Milch ausstrahlt. Die Ränder des Tropfens zeigen da, wo sie sich aufgehellt haben, intensiven Fettglanz. Die abgespaltenen Tropfen sind von einem Hof klarer Flüs- sigkeit umgeben, der durch einen intensiven weissen Ring gegen die Milch, in der sie schwimmen, abgegrenzt ist, zum Beweis, dass auch sie weiterer Emulgirung unterworfen sind. (Taf. II, 1.) Nachdem diese Vorgänge zuerst mit zunehmender, dann abnehmen- der Intensität eine Zeit lang angedauert haben, beginnt der Tropfen die nach Absplitterung kleinerer Tropfen übrig gebliebenen Fortsätze ein- zuziehen, bis er wieder kreisförmig begrenzt ist. Der Haupttropfen, welcher auch öfters in zwei oder drei gleich grosse gespalten ist, sowie die abgespaltenen Tropfen, sind jetzt alle wieder klar geworden und schwimmen in einer intensiv weissen Milch, von der sie durch Höfe klarer Flüssigkeit nicht länger abgegrenzt sind. Die Milch zeigt die schon beschriebenen Eigenschaften, es ist nur noch zu bemerken, dass die Differenz in der Grösse der die Milch darstellenden mikroskopischen Tropfen verschwindend klein ist gegen den Sprung von den grössten dieser Tropfen zu den kleinsten mit blossem Auge sichtbaren. Ein wie grosser Theil des ursprünglichen Tropfens in Milch ver- wandelt ist, lässt sich schwer abschätzen, doch bekommt man den Ein- druck, dass es ein beträchtlicher Theil sein muss. Bringt man den Haupttropfen möglichst getrennt von der gebildeten Emulsion in ein Uhrschälchen mit derselben Flüssigkeit, welche sich eben noch so wirk- sam erwiesen, so tritt keine neue Veränderung an ihm auf; wenn man ihn jetzt zusammen mit der Flüssigkeit auf eine Glasplatte überträgt und mit einem Glasstabe zu verreiben sucht, so gelingt es auch nicht, eine wirkliche Emulsion zu erzielen. Die abgespaltenen Tropfen sind alle dem blossen Auge als solche erkennbar und sie schwimmen in einer kaum getrübten Flüssigkeit. Man sieht somit, dass der Fett- tropfen bei der blossen Berührung mit der entsprechenden Flüssigkeit soviel wirkliche Emulsion geliefert hat, als er 186 JOHANNES GAD: bei den gewählten Bedingungen überhaupt und selbst unter Anwendung äusserer mechanischer Kräfte zu liefern im Stande war. N 3. Die von Hrn. Brücke angedeutete Theorie zur Erklärung der leichten Emulgirbarkeit ranzigen Fettes beim Schütteln mit ver- dünnter Sodalösung reicht zur Erklärung des beschriebenen Phänomens nicht aus. Eigene Theorie. Es ist bemerkenswerth, dass sich zum zweiten Male eine mit der zuerst erreichten zu vergleichende Emulsion auch dann nicht erzielen lässt, wenn man den aus seiner Emulsion entfernten Tropfen mit einer Seifenlösung irgend welcher Concentration in Berührung bringt oder auf einer Glasplatte damit zu verreiben sucht. Es geht hieraus hervor, dass die Vorstellung, welche wir aus den Aeusserungen des Hrn. Brücke folgern zu müssen geglaubt haben, zur Erklärung des Phänomens nicht ausreicht. Denn wäre es die in Lösung übergegangene Seife, welche der Lösung eine Eigenschaft ertheilte, vermöge deren der Fetttropfen bei Berührung oder beim Verreiben mit derselben emulgirt würde, so müsste es gleichgiltig sein, ob die in der Lösung befindliche Seife aus freien Fettsäuren des Tropfens selbst stammt oder anderswoher. In der That tritt eine Emulsion von der zuerst beschriebenen Güte aber nur auf, wenn das angewandte Fett ranzig und die Flüssigkeit alkalisch ist. Bei neutralem Fett bleibt der Erfolg aus, mag nun das Fett auf irgend eine andere Weise seiner fetten Säuren beraubt oder mag es durch den be- schriebenen Emulgirungsprocess erschöpft sein. Ebenso bleibt der Erfolg aus, wenn das angewandte Fett ranzig, die Seifenlösung aber neutral ist. Wir müssen uns also nach einer Vorstellung umsehen, welche geeig- neter erscheint, um die unabhängig von äusserlich mitgetheilten Be- wegungen erfolgende Emulgirung zu erklären. Allerdings wird, da das Phänomen nur bei ranzigem Fett in alkalischer Flüssigkeit eintritt, die Bildung von Seifen Grundlage für die Vorstellung bleiben, es wird aber nicht nur zu berücksichtigen sein, dass überhaupt Seifen gebildet werden, sondern vor Allem, wo sie gebildet werden, mit welcher Geschwindig- keit diese Bildung vor sich geht und was aus den gebildeten Seifen wird, ob sie vollständig gelöst werden oder zu Membranbildungen Ver- anlassung geben. Es ist beachtenswerth, dass der Tropfen des ranzigen Fettes die die Ranzigkeit bedingenden fetten Säuren gelöst enthält. Ueberall wo an der Oberfläche des Tropfens Molekule der fetten Säure mit der umgebenden alkalischen Flüssigkeit in Berührung kommen, wird Seife gebildet werden. Ist die gebildete Seife unter den vorhandenen ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 187 Bedingungen in der umgebenden Flüssigkeit löslich, so wird sie durch Diffusion von der Bildungsstelle centrifugal hinweggeführt werden, ebenso wird innerhalb des Tropfens das Lösungsgleichgewicht sich erhalten durch Diffusion von Fettsäure nach der Peripherie hin. Es ist nun ein solches Verhältniss in der Geschwindigkeit aller dieser Vorgänge denk- bar, dass ein continuirlicher Strom fetter Säure gegen die Peripherie des Tropfens hin und gelöster Seife von dem Tropfen hinweg zu Stande kommt, durch welchen (Diffusions-) Strom die sichtbare Form des Tropfens nicht anders beeinflusst wird, als dass sein Volumen nach Maassgabe der Menge der in Gestalt von Seife ausgetretenen Fettsäure sich verringert. Es wird aber auch vorkommen können, dass die Seife schneller gebildet und fortgeführt wird, als Fettsäure zur Ausfüllung der entstandenen Lücke zur Peripherie hin diffundirt. Dann werden Fett und umgebende Flüssig- keit im Verhältniss der leichteren Verschiebbarkeit ihrer Molekule in die Raumerfüllung sich theilen, die Oberfläche, namentlich der Rand des Tropfens, werden mannigfache Formveränderungen erleiden, ja es wird zur Absplitterung kleinerer Fetttropfen kommen können, welche jedoch durch eine Membran gegen die umgebende Flüssigkeit ch, abgegrenzt sein werden. Ein anderes Verhalten ist zu erwarten, wenn die ken: der Seifebildung eine gewisse Grösse überschreitet und ein solcher Con- centrationsgrad an Ort und Stelle geschafft wird, dass die gebildete Seife ihrer eigenen und der Natur der umgebenden Flüssigkeit nach nicht in Lösung gehalten werden kann. In diesem Falle wird es zur Bildung von Seifenmembranen kommen. Ist die Seifen-Bildung und -Ausfällung mit relativ unbedeutenden positiven oder negativen Volumänderungen verbunden, so wird der Tropfen im Ganzen von einer Seifenmembran eingehüllt werden. Trifft diese Voraussetzung aber nicht zu, so wird es _ ausserdem zur Absplitterung von Fetttröpfehen kommen, deren jedes von einer Seifenmembran eingehüllt ist. Findet der Vorgang der Membran- bildung an den verschiedenen Punkten der Oberfläche des Tropfens aus irgend welchem Grunde nicht gleichmässig statt, so wird Veranlassung für amöboide Bewegungen gegeben sein, und zwar werden Fortsätze dort vorgetrieben werden, wo die Membran langsamer an Dicke zunimmt. Für die Beurtheilung dieser theoretischen Vorstellung von den den thatsächlich wahrzunehmenden Erscheinungen zu Grunde liegenden Vor- gängen ist es sehr bemerkenswerth, dass diese Erscheinungen sich will- kürlich hervorbringen lassen, wenn man die Bedingungen vom Stand- punkte der Theorie aus variüirt. 188 JOHANNES GAD: $ 4. Experimentelle Darstellung der aus der Theorie vorher- zusagenden Erscheinungen. Es ist jetzt am Platze, Einiges über die Art der Ausführung der hier zu erwähnenden Experimente und über die bei denselben verwandten Materialien zu sagen. Die von mir in den Kreis der Untersuchung gezogenen Fette waren 1) Rieinusöl, 2) von freien Fettsäuren in verschiedenem Grade befreites Mandelöl, 3) käufliches Olivenöl (Ol. Oliv. Prov. Pharm.), 4) käufliches Mandelöl, 5) Klauenfett, 6) Leberthran, 7) Olivenöl, durch Zusatz von Oelsäure stark sauer gemacht. Zur Abschätzung des Grades der Ranzig- keit der angewandten Fette bediente ich mich der eleganten, von Hrn. F. Hofmann geschaffenen Methode, mittels alkoholischer Hämatoxylin- lösung.! Mit Hülfe dieser Methode konnten die angewandten Fette jederzeit schnell und sicher nach ihrem Säuregrade geordnet werden. Die bei der Aufzählung innegehaltene Reihenfolge entspricht dieser Ord- nung. Nach dem Grade der Zähflüssigkeit, soweit sich dieser ohne Weiteres abschätzen lässt, würde die Reihenfolge sein: Ricinusöl, Klauen- fett, Leberthran, Olivenöl, Mandelöl. Die grosse Mehrzahl der Experimente wurde in folgender Weise angestellt. Von der Flüssigkeit, deren Einwirkung auf die verschiedenen Fette studirt werden sollte, wurden je 2° in sieben auf schwarzer Unterlage stehende Uhrschälchen von eirca 5°“ Durchmesser gegeben. ? Mit Hülfe desselben 6"m dicken, nach jedesmaligem Gebrauch gerei- nigten Glasstabes wurden möglichst gleich grosse Tropfen der ver- schiedenen Fette, je einer auf die Mitte der Flüssigkeit in jedem Uhr- schälchen aus minimaler Höhe fallen gelassen. Die Einwirkung derselben Flüssigkeit auf die verschiedenen Fette wurde vergleichend beobachtet und notirt. Nach Ablauf der Einwirkung wurden die Uhrschälchen gereinigt und der Versuch mit derselben oder einer anderen Flüssigkeit widerholt. 1 Ueber die Reaction der Fette und die quantitative Bestimmung von Fett- säuren in Fetten. Beiträge zur Anatomie und Physiologie, als Festgabe Carl Ludwig zum 15. Oct. 1874 gewidmet u.s. w. Leipzig 1874. 40. S. 134. 2 Es ist von Wichtigkeit, dass der Durchmesser der Uhrschälchen nicht wesentlich srösser sei, weil sich sonst die complieirten, zuerst von Fusinieri (Brugnatelli, Giorn. 1821) studirten Phänomene der Ausbreitung der Flüssigkeiten auf einander störend in die hier zu untersuchenden Vorgänge einmischen, was bei den ange- gebenen Dimensionen und Combinationen nur in geringem Maasse der Fall war. Auf den Antheil, welchen an den von mir beschriebenen Phänomenen die der Aus- /uR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 189 Von der systematischen Durchführung der Versuche bei Körper- temperatur wurde vorläufig abgesehen. Die den bei Körpertemperatur anzustellenden Versuchen anhaftenden Fehlerquellen erfordern Versuchs- anordnungen, welche einem schnellen und mannigfaltisen Variiren der sonstigen Bedingungen, worauf es bei orientirenden Versuchen wesentlich ankommt, nicht günstig sind. Auf Grund der mit Hülfe dieser Experimente erlangten Uebersicht, gelang es, folgende Erscheinungen darzustellen: 1. Der Tropfen ranzigen Fettes gibt seine freien Fettsäuren an die umgebende Flüssigkeitab ohne Bewegungen zu zeigen. Es bildet sich weder Membran noch Emulsion. Der Beweis, dass der Tropfen, der dies Verhalten gezeigt hat, an freien Fettsäuren erschöpft ist, wird auf folgende Weise geführt. Der- selbe ursprünglich fettsäurehaltige Fetttropfen, welcher in der passend gewählten Flüssigkeit keine oder nur sehr schwache Bewegungserschei- nungen gezeigt hat, wird in eine andere Flüssigkeit übertragen, welche das Fett in seinem ursprünglichen Zustand stark zu emulgiren vermag. Der übertragene Tropfen bleibt dann auch in dieser Flüssigkeit be- wegungslos und liefert keine Milch, während ein Tropfen des ursprüng- lichen Fettes, in dieselbe Flüssigkeit gebracht, unter lebhaften Bewegungs- erscheinungen eine grosse Menge Milch ausstrahlt. Mir diente zum Erschöpfen des Fetttropfens eine wässerige Sodalösung von 0°3°%, und zur Prüfung auf das Resultat eine wässerige Lösung, die 0:25°/, Soda und 0:8°/, Chlornatrium enthielt. Als Fett diente ein Mandelöl von sehr geringem Gehalt an freier Fettsäure, welcher aber noch bedeutend genug war, um mit der zweiten Flüssigkeit schöne Emulsion zu geben. breitung von Flüssigkeiten auf einander zu Grunde liegenden Vorgänge haben könnten, näher einzugehen, schien hier nicht am Platze zu sein, da die umfang- reiche physikalische Literatur über diesen Gegenstand noch zu keinem Abschluss gekommen zu sein scheint. (Vergl. ausser Fusinieri: Frankenheim, Cohö- sionslehre. 3. Th. — Tomlinson, Philos. Mag. voll. 22. 23. 26.27.28. — Lüdtge, Poggendorff’s Annalen. Bd. 137. S. 362. — Mensbrugghe, Mondes. XXI. — Quincke, Pogg. Annalen. Bd. 139. S.60.— Wiedem. Annalen. II. — P. du Bois- Reymond, Pogg. Annalen. Bd. 104. 139.; Untersuch. über die Flüssigkeiten u. s. w. Berlin 1854. — Marangoni, Nuov. Cim. ser. II. vol. 3. — Cintalesi, Rendie. Lomb. ser. II. vol.IX.X.; Arch. d. sc. ph. et nat. t. LX. — A. Naumann, Hand- buch der allgemeinen und physikalischen Chemie. 1877. 8.606.) Es verdient übrigens bemerkt zu werden, dass die Emulsionsbildung bei Berührung auch an der Grenze der in eylindrischen Gefässen über einander geschichteten Flüssigkeiten in aus- siebisem Maasse eintritt. 190 JOHANNES GAD: 2. Der Tropfen des ranzigen Fettes gibt Fettsäure an die umgebende Flüssigkeit ab unter charakteristischen, nicht amöboiden Bewegungen. Es wird weder Membran noch Emul- sion gebildet. Kochsalz befördert, Galle beschränkt Membranbildung. Auf mancherlei Weise lassen sich Bedingungen herbeiführen, unter denen Fetttropfen in alkalischen Flüssigkeiten lebhafte Bewegungs- erscheinungen zeigen, ohne dass es zu Membranbildung und milchartiger Emulsion kommt. Diese Fälle zeigen das Gemeinsame, dass bei ihnen mehr oder weniger gleichmässige Ausbreitung des Fetttropfens auf der Flüssigkeitsoberfläche eintritt unter Bildung von kreisförmigen Lücken im Bereich der Ausbreitung und namentlich in der Nähe des Randes. Diese Lücken dehnen sich aus, vereinigen sich, führen zu Zerreissungen des Randes und zur Absplitterung klarer Tropfen verschiedener Grösse, welche jedoch stets noch mit blossem Auge unterscheidbar sind. All- mählich kommt der Haupttropfen zur Ruhe unter Annahme kreisförmiger Begrenzung. Nachdem dies eingetreten ist, zeigt sich der Fetttropfen nahezu an freier Fettsäure erschöpft. wovon man sich auf dieselbe Weise wie sub 1 überzeugen kann. Fette verschiedenen Säuregrades und ver- schiedener Natur zeigen dieses Phänomen unter Bedingungen, von denen man voraussetzen kann, dass sie dem sofortigen Uebersang der gebildeten Seife in Lösung förderlich sind, und dass die Seifenbildung mit einiger Lebhaftigkeit erfolgt. Wählt man das Mandelöl nur wenig saurer, die Sodalösung nur wenig concentrirter wie sub 1, so bleibt der Tropfen beim Auslangen nicht mehr bewegungslos, sondern zeigt die hier be- schriebenen Erscheinungen. Doch darf man sich von den angegebenen Verhältnissen nicht zu weit entfernen, weil sonst Membranbildung resp. Emulsion auftritt. Leberthran zeigt schon in einer Sodalösung von 0:25 °/, reichliche Emulsionsbildung, beiläufig reichlicher als in Flüssig- keiten anderer Zusammensetzung und am reichlichsten unter allen von mir untersuchten Fetten. In Sodalösung von nur 0°06°/, dagegen lie- ferte mein Leberthran ein schönes Beispiel für den hier betrach- teten Fall. (Taf. II, 2.) Der Einfiuss des Concentrationsgrades der Sodalösung lässt sich mit den verschiedensten Fetten, am besten mit käuflichem Mandelöl auf fol- sende Weise zeigen. Man gibt einen Tropfen des Fettes auf destillirtes Wasser und lässt aus einem benachbarten Gefäss, am leichtesten mit Hülfe von Fliesspapierstreifen, Sodalösung mit passend kleiner Geschwin- digkeit hinzufliessen. Man kann nun die Geschwindigkeit, mit der der Gehalt der den Tropfen umgebenden Flüssigkeit an kohlensaurem Natron /uR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 191 sich ändert, leicht abstufen durch Aenderung der Concentration der zu- fliessenden Lösung und der Höhendifferenz beider Flüssigkeits-Niveaus. Ist die Geschwindigkeit genügend klein, so kann die umgebende Flüssig- keit allmählich jeden beliebig hohen Concentrationsgrad erreichen, ohne dass der Fetttropfen Bewegungserscheinungen zeigt oder Emulsion liefert. Ist die Geschwindigkeit eine grössere, so kommen die zuletzt beschrie- benen Bewegungserscheinungen ohne Membran- oder Emulsionsbildung zu Stande Macht man die Geschwindigkeit noch grösser und ist das angewandte Fett genügend sauer, so folgt diesen Erscheinungen auch noch Membran- und Emulsionsbildung oder letztere treten allein auf.! Diese Experimente zeigen, dass das Auslaugen des Fetttropfens je nach dem Concentrationsgrad der Sodalösung und dem jeweiligen Gehalt des Tropfens an freier Fettsäure unter ganz verschiedenen Erscheinungen vor sich geht. Noch belehrender wird der Versuch, wenn man, nach- dem die Sodalösung mit geringer Geschwindigkeit einen gewissen Con- centrationsgrad erreicht hat, einen zweiten Tropfen desselben Fettes hineinthut. Der erste Tropfen hatte keine Bewegungen oder nur solche ohne Emulsionsbildung -gezeigt und schwimmt jetzt bewegungslos in derselben Flüssigkeit, in welcher der zweite die beste Emulsion liefert. Ausser von dem Grade der Alkalescenz der umgebenden Flüssigkeit und von dem Gehalt des Fettes an freier Fettsäure sind die bei der Berührung beider Flüssigkeiten auftretenden Erscheinungen zunächst noch abhängig von der specifischen Löslichkeit der gebildeten Seifen je nach der sonstigen Zusammensetzung der umgebenden Flüssigkeit. Hat man Fette vor sich, welche schon in verdünnten Salzlösungen (das mit Oel- säure versetzte Olivenöl 7) oder nach Zusatz von mehr oder weniger Kochsalz dicke Membranen bilden, so lässt sich durch Zusatz von Galle oder gallensaurem Salz zur Sodalösung jederzeit ein solches Löslichkeits- verhältniss der sich bildenden Seifen in der den Tropfen umgebenden Flüssigkeit herstellen, dass die hier behandelten Bewegungserscheinungen des Tropfens ohne Membran- und Emulsionsbildung zu Stande kommen. 1 Der letztgenannte Fall ist derjenige, auf den oben verwiesen ist, wo es sich um den Beweis handelte, dass äussere Erschütterungen zum Zustandekommen der Emulsion nicht erforderlich sind (s. oben S. 183). Man kann in der That die Coneentration der zufliessenden Sodalösung so stark nehmen, dass die Concentration der den Tropfen umgebenden Flüssigkeit durch Diffusion allein, ohne wahrnehm- bare Strömungen, schnell genug wächst, um ausgiebige Emulgirung eintreten zu lassen. 192 JOHANNES GAD: 3. Der Tropfen ranzigen Fettes umgibt sich mit einer direct wahrnehmbaren Membran. Keine Bewegungserscheinungen. Keine Emulsion. Unter den Fällen, in denen sich Membranbildung sicher constatiren lässt, sind die einfachsten diejenigen, in denen der Tropfen, ohne Be- wegungserscheinungen zu zeigen, sich durch eine undurchsiehtige weisse Schicht, an allen Berührungspunkten scheinbar gleichmässig, gegen die umgebende Flüssigkeit abgrenzt. Dass es sich wirklich um eine Membran handelt, kann man an nicht selten daran auftretenden Faltenbildungen oder unter allen Umständen dadurch nachweisen, dass man den Tropfen auf irgend eine Weise zertrümmert, wo dann die Membran in Fetzen umherschwimmt. Erschüttert man den Tropfen aber nur vorsichtig, etwa durch Anhauchen, so reisst die Membran nur an wenigen Stellen und aus den Oeffnungen quillt Fett hervor, welches sich sofort mit einer gleichen Membran überzieht. Je nach der Festigkeit der gebildeten Membran bleibt die deformirte Gestalt erhalten oder der Tropfen nimmt wieder kreisförmige Begrenzung an. Diese Erscheinungen treten am reinsten auf bei Leberthran in Lösungen von 2°/, Soda und 2°/, Koch- salz. Aus der weissen Farbe und Undurchsichtigkeit der Membran darf man wohl schliessen, dass dieselbe feinste Oeltröpfehen eingeschlossen enthält. 4. Der Tropfen ranzigen Fettes umgibt sich mit einer nicht direct wahrnehmbaren Membran. Keine Bewegung. Keine Emulsion. In manchen Fällen ist die Membran so durchsichtig und hat einen von dem des Fettes so wenig verschiedenen Brechungsindex, dass man sie ohne Weiteres durchaus nicht wahrnehmen kann. Da der Tropfen ausserdem bewegungslos ist, so könnte man denken, dass man es mit der sub 1 geschilderten Erscheinung zu thun habe. Dies wäre um so auffallender, als es sich hier um Bedingungen handelt, welche ungün- stige Löslichkeitsverhältnisse erwarten lassen (Olivenöl + Oelsäure (7) in Soda 2°/,, Kochsalz 2°/,, oder annähernd neutrales Mandelöl in Soda 3°/,, Kochsalz 2°/,). Das Vorhandensein der Membran lässt sich aber in diesen Fällen sofort durch ein schönes Phänomen nachweisen. Der- artige Tropfen befinden sich nämlich im Zustand sehr leicht störbaren Gleichgewichts. Ein geringes Anhauchen genügt, um zu veranlassen, dass der Tropfen, meist unter Beibehaltung kreisförmiger Begrenzung, sich ausbreitet oder zusammenzieht. In letzterem Falle sieht man dann /ZuR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 193 sofort ein System der zartesten hellglänzenden Fältchen die Grenzfläche überziehen, welches wieder vollkommen verschwindet, während der Tropfen zu seiner früheren Gestalt zurückkehrt. An demselben Tropfen kann man mehrmals hinter einander das Entstehen und Verschwinden dieser zarten Falten beobachten. Ist die ursprüngliche Gestaltveränderung des Tropfens eine Ausbreitung, so treten die Falten bei der darauf folgenden Rück- kehr zur alten Begrenzung auf und bleiben nun bestehen. 5. Der Tropfen ranzigen Fettes umgibt sich mit direct wahrnehmbarer Membran. Amöboide Bewegungen. Keine Emulsion. Ein sehr interessanter Fall ist derjenige, bei dem der Tropfen sich mit einer mehr oder weniger leicht erkennbaren Membran umgibt und Formveränderungen zeigt, die denen lebender Amöben auffallend gleichen. Ein wahrnehmbares Zerreissen der Membran und Emulsionsbildung kanı völlig ausbleiben (Olivenöl + Oelsäure (7) in Soda 0°5°/,).. Hierbei ist die Seifenbildung offenbar eine langsame und die gebildete Membran eine wenig zerreissliche. 6. Der Tropfen ranzigen Fettes umgibt sich mit direct wahrnehmbarer Membran. Amöboide Bewegungen. Schlechte Emulsion. Correction durch Galle. Sehr mannisfaltig sind diejenigen Bedingungen, unter denen deut- liche Membranen sich bilden, welche bei den amöboiden Bewegungen des Tropfens Trennungen der Continuität erleiden. Je nach den beson- deren Bedingungen umgibt sich das aus der Rissstelle hervorquellende Fett im Ganzen mit einer Membran, wodurch die Continuität wieder hergestellt wird, oder das Fett wird in Gestalt mehr oder weniger feiner Emulsion hervorgeschleudert. Hierbei pflegen grössere oder kleinere Fetzen der ursprünglich gebildeten Membran selbst losgerissen und in die umgebende Flüssigkeit geschleudert zu werden. Ist der Fetttropfen zur Ruhe gekommen, so zeigt er sich von einer dicken Membran um- geben. Die manchmal recht intensiv weisse Flüssigkeit, in welcher er schwimmt, unterscheidet sich schon beim Betrachten mit blossem Auge dadurch von einer guten Milch, dass Membranfetzen als weisse Flocken darin schwimmen. Unter dem Mikroskop sieht man, dass die Tropfen grösserer Dimension vorherrschen (als grösser bezeichne ich diejenigen, welche einen namhaften Bruchtheil der freien Oberfläche einer mensch- lichen‘ Zottenepithelzelle bedecken), und dass ausser sphärischen Fett- Archiv f. A, u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg, 13 194 JOHANNES GAD: tröpfchen unregelmässig begrenzte Seifenpartikelchen verschiedener Grösse vorhanden sind. Diese schlechte Emulsion bildet sich unter den ge- schilderten Erscheinungen aus den Fetten nicht zu niedrigen Säuregrades (5, 6, 7) bei stärkerem Gehalt der Flüssigkeit an Soda (2—5°/,) oder auch bei schwächerer Alkalescenz, wenn die Flüssigkeit ausser Soda noch Kochsalz (über 0°5°/,) oder Seife in Lösung enthält. Durch Zu- satz von Galle oder gallensaurem Salz zur Lösung gelingt es auch hier, die Löslichkeitsverhältnisse für die gebildeten Seifen zu corrigiren, so dass die Eingangs charakterisirte gute Emulsion unter den dort beschrie- benen Erscheinungen sich bildet, oder auch die Lösungsfähiskeit für die Seifen so gross zu machen, dass es weder zu Membran- noch Emulsions- bildung kommt und nur die unter (2) beschriebenen Erscheinungen ein- treten. 7. Der Tropfen ranzigen Fettes zeigt amöboide Bewegungen und liefert gute Emulsion. Membranbildung ist nicht nachweisbar, aber sehr wahrscheinlich. Charakteristisch für die Fälle, in denen sich die als gut bezeichnete Emulsion bildet, ist, dass, wie aus der gegebenen Beschreibung der typischen Erscheinungsweise hervorgeht, Membranbildung in direct wahr- nehmbarer Art nicht eintritt. Nichtsdestoweniger glaube ich behaupten zu dürfen, dass auch in diesen Fällen die gebildete Seife nicht völlig gelöst wird, sondern Mem- branen liefert sowohl für den Haupttropfen, als auch für die von demselben abgespaltenen feinen und feinsten Tröpfchen. Für diese Ansicht scheint mir Folgendes zu sprechen. Erstens sind die Bewegungserscheinungen, welche der Haupttropfen unter diesen Umständen zeigt, wesentlich den- jenigen der Tropfen mit sichtbarer Membran gleich und wesentlich von denen verschieden, welche sich an den Tropfen unter solchen Bedingungen abspielen, welche der Lösung der gebildeten Seifen am günstigsten sind. _ Zweitens ist nicht einzusehen, woran man überhaupt eine durchsichtige Membran von annähernd gleichem Brechungsindex mit dem des Fettes sollte erkennen können, so lange sie gespannt ist. Drittens ist in der That auch an den unter deutlicher Membranbildung am Haupttropfen abgespaltenen Tropfen eine Membran oft nicht nachzuweisen, obgleich es sehr unwahrscheinlich ist, dass nur der Haupttropfen sich mit einer Membran umgeben sollte, nicht auch sie, die annähernd gleichen Be- dingungen ausgesetzt sind. ‚Wie dem auch sei,- jedenfalls nehmen die hier betrachteten Fälle eine für das Verständniss der Beobachtungen sehr wichtige Zwischenstellung ein zwischen denjenigen mit deutlicher Mem- branbildung und Abspaltung der als schlecht bezeichneten Emulsion und /UR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 195 denjenigen, bei denen sich überhaupt keine Emulsion bildet und die Bil- dung von Membranen auszuschliessen ist, sowohl wesen der Natur der gewählten Bedingungen, als auch wegen des wesentlichen Unterschiedes der Bewegungserscheinungen gegen diejenigen, welche bei deutlicher Membranbildung auftreten. Die als gut bezeichnete Emulsion bildet sich aus den ranzigeren Fetten (4, 5, 6, 7) in Sodalösungen geringerer Concentration, aus den weniger ranzigen Fetten (2, 3) in Lösungen stärkerer Alkalescenz oder besser bei geringem Gehalt an Soda unter gleichzeitiger Anwesenheit von Kochsalz (Soda 0-5°/,, Kochsalz 1-0°/,). Auch hier galt das schon mehr- mals über die Correction mit Hilfe von Galle oder gallensaurem Salz Gesagte. Nochmals hervorgehoben zu werden verdient, dass die besten Resultate zu erreichen sind mit Leberthran in sehr verdünnter Soda- lösung (0-2 bis 0-5 °/,)- 8. Die Emulgirbarkeit des Leberthrans ist grösser und liegt innerhalb breiterer Grenzen als die der anderen untersuchten Fette. Die besonders ausgiebige und innerhalb grosser Breite der Bedin- sungen liegende Emulgirbarkeit des Leberthrans ist nicht nur deshalb bemerkenswerth, weil wir Grund haben, diesem Fett besonders leichte Verdaulichkeit zuzuschreiben, sondern auch wegen des meist hohen Ge- haltes des Leberthrans an freien Fettsäuren (F. Hofmann?). Auch der von mir untersuchte Leberthran stand in der Reihe der im käuflichen Zustande untersuchten Fette dem Säuregrade nach obenan, aber nahezu gleich mit dem Klauenfett. Da nun dieses nur unter viel enger be- srenzten Bedingungen gute Emulsion gab, anscheinend wegen seiner grösseren Neigung, dicke Seifenmembranen zu bilden, so leuchtet schon aus diesem Umstande ein, dass es bei der ferneren Untersuchung der Fette auf ihre Fähigkeit, unter den im Darme vorhandenen Bedingungen sute Emulsion zu geben, nicht allein auf die Bestimmung des Säure- srades derselben ankommen wird. Jedenfalls wird auch der Grad der Löslichkeit der aus den Säuren des zu untersuchenden Fettes gebildeten Seifen in Flüssigkeiten von der Zusammensetzung des Darminhaltes und bei Körpertemperatur zu berück- sichtigen sein. Eine Beobachtung, welche ebenfalls hierauf hinzuweisen I R. Buchheim, Ueber die Wirkung des Leberthrans. Archiv für experi- mentelle Pathologie. Bd. III. 1875. S. 118. 2 X.a. 0. S. 148, 196 JOHANNES GAD: scheint, ist die, dass mein käufliches Mandelöl zwar ranziger war, als das käufliche Olivenöl, dass aber nichtsdestoweniger letzteres bei meinen Versuchsbedingungen stärkere Neigung zur. Bildung dicker Membranen zeigte. Aber auch die Berücksichtigung dieses Gesichtspunktes wird bei künftigen Untersuchungen über die verschiedene Emulgirbarkeit und Resorbirbarkeit der verschiedenen Fette noch nicht ausreichen. Dies be- weist das auffallende und ganz exceptionelle Verhalten des Rieinusöls in meinen Versuchen, auf welches näher einzugehen hier die beste Gelegen- heit ist. 9. Ricinusöl lieferte bei unseren Versuchsbedingungen überhaupt keine Emulsion. Das Ricinusöl unserer Offieinen ist meist sehr schwach sauer, doch verhält es sich ganz anders wie andere Fette, z. B. wie Mandelöl an- nähernd gleichen Säuregrades.. Während für letzteres sich immer Ver- hältnisse herstellen lassen, eventuell unter Zuhülfenahme von Kochsalz, unter denen sich reichlich gute Emulsion bildet, ist mir dies beim Ri- cinusöl, trotz Anwendung mannigfacher Combinationen, nie gelungen. Dass der Grund hierfür nicht allein in zu geringem Säuregrad liegt, kann man auf folgende Weise zeigen. Man nimmt ein so annähernd neutrales Mandelöl, dass es in verdünnter Sodalösung (0-5°/,) sich ganz ebenso indifferent verhält, wie das Rieinusöl. Beiden Fetten setzt man eine gleiche, aber geringe Menge Oelsäure hinzu, welche sich in beiden gut löst. Das mit Oelsäure verunreinigte Mandelöl liefert nun in der- selben Sodalösung reichlich Milch, das Verhalten des Rieinusöls dagegen ist durch den gleichen Zusatz nicht geändert. | Während das käufliche Rieinusöl unter den Bedingungen, denen ich es ausgesetzt habe, sich entweder ganz indifferent verhielt, oder nur die unter (2) beschriebenen Bewegungserscheinungen zeigte, von denen wir Grund haben anzunehmen, dass sie den Fällen eigenthümlich sind, in denen die gebildeten Seifen in Lösung bleiben, gelang es mir durch stärkeren Zusatz von Oelsäure wohl zu erreichen, dass sich der Tropfen mit einer dicken trüben Membran umgab, die dazwischen liegenden Fälle der Emulgirung und der amöboiden Bewegung bekam ich jedoch nicht zu Gesicht. h Zum Verständniss des Verhaltens des käuflichen Ricinusöls scheint nun die Berücksichtigung der Thatsache seines geringen Säuregrades zu genügen, unter Zuhülfenahme der naheliegenden Voraussetzung, dass die eigenen freien Fettsäuren des Ricinusöls sehr leicht lösliche Seifen bilden, das Verhalten des mit Oelsäure stark verunreinigten Rieinusöls dagegen 7uR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 197 nöthigt, noch andere Momente in Betracht zu ziehen. Am nächsten liest die Berücksichtigung der bekannten, im Verhältniss zu den übrigen unter- suchten Fetten grossen Zähflüssigkeit des Ricinusöls. Diese Eigenschaft macht sich auch bei den einzigen Bewegungserscheinungen, welche, wie schon gesagt, mir dieses Oel gezeigt hat, recht deutlich geltend. Nicht nur erreichen diese Bewegungen nie den Grad von Lebhaftigkeit wie bei anderen Fetten unter ähnlichen Bedingungen, sondern auch, wenn diese Bewegungen verhältnissmässig lebhaft sind, so kommt es fast nie zur Absplitterung von Tropfen. Mögen die bei ihrer Ausbreitung zur Zer- reissung des Tropfenrandes führenden Lücken noch so nah aneinander liegen und mögen sie eine noch so schmale Brücke von Fett zwischen sich lassen, . höchst selten wird diese reissen, fast immer wird sie den Rücktritt des der Absplitterung nahen Fortsatzes in den Haupttropfen vermitteln. Die als Zähflüssiekeit des Fettes bezeichnete Eigenschaft wird sich in zweifacher Weise an der Beeinflussung der hier in Betracht kommenden Erscheinungen betheiligen, insofern als ein gewisser Wider- stand erstens gegen Verschiebungen und zweitens gegen Continuitäts- trennungen damit verbunden ist. Im Allgemeinen wird sich sowohl die Löslichkeit der gebildeten Seifen, als auch der in der Zähflüssigkeit zum Ausdruck kommende Widerstand in dem angedeuteten zweifachen Sinne mit der Temparatur ändern. Bei dem Ricinusöl hatte es ein besonderes Interesse, zu sehen, ob dasselbe bei Körpertemperatur ein wesentlich an- deres Verhalten zeigen würde, als bei Stubentemperatur. Bei den nach dieser Richtung angestellten Versuchen war die mit dem Uebergang von Stuben- zu Körpertemperatur einhergehende Verringerung der Zähflüssig- keit zwar augenfällig, doch blieb letztere immer noch grösser als die der übrigen untersuchten Fette bei Stubentemperatur und als die der Butter nur wenige Grade über ihrem Schmelzpunkt. Dies ist nicht besonders auffallend, denn die Temperatur des Schmelzpunktes wird im Allgemeinen nicht einfach proportional sein der Geschwindiskeit, mit der die Zäh- flüssigkeit bei wachsender Temperatur abnimmt. Dem bei Körpertem- peratur bestehenbleibenden verhältnissmässig hohen Grade von Zähflüssig- keit entsprach es, dass es auch unter Einführung dieser Bedingung nicht selungen ist, Rieinusöl bei blosser Berührung mit alkalischen Flüssig- keiten eine Emulsion liefern zu sehen. Sollte es gelegentlich gelingen, Bedingungen hierfür aufzufinden, so lässt sich doch soviel schon jetzt mit Bestimmtheit behaupten, dass diese Bedingungen sehr eng begrenzt sein müssten im Vergleiche zu anderen Fetten, namentlich aber im Ver- gleiche zum Leberthran. Für diejenigen, welche die beschriebenen Versuche nachmachen wollen, muss ich bemerken, dass die von mir gemachten Angaben über Concen- 198 JOHANNES GAD: trationen u. s. w. der Natur der Sache nach nur einen ungefähren An- halt geben können. Wer sich die kleine Mühe nicht verdriessen lässt, ganze Versuchsreihen mit systematischer Abstufung der Concentratio- nen u.s. w. anzustellen, wird alle von mir beschriebenen und noch einige dazwischenliesende Erscheinungen in dem angegebenen Zusammenhange zu sehen bekommen. Als sicherer und schöner Vorlesungsversuch eignet sich besonders die ausgiebige Selbst-Emulgirung eines Tropfens Leber- thran im Uhrschälchen auf schwarzem Grunde, gefüllt mit einer ver- dünnten Sodalösung (0-2—0-.5°/,). $ 5. Zusammenfassung der Ergebnisse. Die mitgetheilten Experimente berechtigen zu der Aufstellung fol- sender Sätze: 1. Ein Tropfen ranzigen Fettes liefert bei der blossen Berührung mit einer alkalischen Flüssigkeit soviel Emul- sion von der für die Resorption erforderlichen Feinheit, als er bei den gewählten Bedingungen überhaupt, selbst unter Anwendung äusserer mechanischer Kräfte zu liefern im Stande ist. 2. Die beschriebene Methode der Beobachtung des Ver- laufes und des Resultates der Emulgirung der zu untersuchen- den Fette unter möglichster Vermeidung aller Erschütte- rungen ist geeigneter um Aufschlüsse über die Emulgirbar- keit und Resorbirbarkeit derselben zu geben, als die bisher angewandte Methode des Schüttelns. Für die Beurtheilung der Resorbirbarkeit eines Fettes wird es wesent- lich darauf ankommen, abzuschätzen, ein wie grosser Theil desselben bei seiner Emulgirung in Tröpfchen vertheilt wird, welche nur einen, bis jetzt nicht näher anzugebenden, jedenfalls aber kleinen Theil des Durch- messers einer Zottenepithelzelle betragen. Hat man geschüttelt, so tragen aber nicht nur diese Tröpfehen, sondern selbst die dem blossen Auge als solche wahrnehmbaren, ferner Seifenmembranfetzen und sogar Luft- blasen zur weissen Trübung der Flüssigkeit bei. Unter dem Mikroskop ist dann "wegen dieser gröberen, zum Theil ganz nebensächlichen Bei- mengungen nicht zu entscheiden, ob ein grösserer oder kleinerer Theil der Emulsion aus Tröpfchen der angegebenen Grösse besteht. Da oben gezeigt ist, dass bei der hier behandelten Methode soviel Emulsion von der für die Resorbirbarkeit in Betracht kommenden Güte gebildet wird, wie den gewählten inneren Bedingungen entspricht und dass äussere Er- ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 199 schütterungen zur Vermehrung dieses Theils der Emulsion nichts bei- tragen können, da ferner bei der beschriebenen Methode die Bildung dicker Membranen und die Verunreinigung der Emulsion mit Membran- fetzen direct auffällt, so giebt das dem blossen Auge Wahrnehmbare einen besseren Anhalt für die Abschätzung der relativen Menge und Güte der gebildeten Emulsion und die mikroskopische Untersuchung ist sehr erleichtert. 3. Die Emulgirbarkeit verschiedener Fette bei Berüh- runng mit derselben Flüssigkeit ist abhängig a) vom Säure- srade des Fettes, 5) von der Löslichkeit der aus den Säuren des Fettes gebildeten Seifen in der betreffenden Flüssigkeit, ce) von der Zähflüssigkeit des Fettes. 4. Die Emulgirbarkeit desselben Fettes bei Berührung mit verschiedenen Flüssigkeiten ist abhängig: a) von dem Grade der Alkalescenz der Flüssigkeit, 5) von ihrer sonstigen Zusammensetzung, namentlich insofern diese die Löslichkeit der gebildeten Seifen beeinflusst. 5. Das Maximum der Menge und Güte der entstehenden Emulsion tritt unter denjenigen Verhältnissen ein, bei denen Membranbildungen eben nicht mehr nachweisbar sind. Unter Bedingungen, welche der Löslichkeit der gebildeten Seifen günstiger sind, tritt gar keine Emulgirung ein, unter sol- chen, welche der Membranbildung günstiger sind, ist die entstehende Emulsion weniger fein und durch Seifepartikel- chen verunreinigt. 6. Kochsalz und Galle sind geeignet, Verhältnisse, welche dem Entstehen einer guten Emulsion ungünstig sind, in ent- gegengesetztem Sinne zu corrigiren. 7. Leberthran besitzt einen auffallend hohen Grad der Emulgirbarkeit innerhalb sehr breiter Grenzen. 8. Wenn es Bedingungen der Emulgirbarkeit des Ricinus- öls bei Berührung mit alkalischen Flüssigkeiten giebt, so liegen dieselben innerhalb enger Grenzen. 9. Fetttropfen zeigen unter beherrschbaren Bedingungen amöboide Bewegungen. 200 ! JOHANNES GAD: II. Anwendung der gewonnenen Einsichten auf die Lehre von der Fettresorption. Welcher Ansicht über den Bau der Darmzotten und ihres Epithels man sich auch zuwenden mag, soviel scheint festzustehen, dass das Fett auf seinem Wege von der Zottenoberfläche bis zum inneren Zottenraum die Lücken eines relativ festen schwammigen Gerüstes zu passiren hat. Diese Lücken können als Capillarräume aufgefasst werden, über deren Weite wir zunächst nichts Genaues wissen. Nur über die obere Grenze dieser Weite können wir etwas Bestimmtes aussagen. Die allgemein anerkannte Thatsache, dass das Fett die Epithelzellen passirt, während der Zellleib und der Zellkern an Ort und Stelle bleiben, zwingt zu der Annahme, dass das Fett auf seinem Wege Bahnen zu passiren hat, deren Weite nur einen Bruchtheil des Durchmessers einer Zottenepithelzelle betragen kann. Das Fett wird auf diesem Theile seiner Bahn keinen grösseren Widerstand gegen seine Fortbewegung finden, als die Flüssig- keit, in der es suspendirt ist, wenn seine Partikelchen so klein sind, dass sie das Lumen der röhrenartigen Lücken nicht erfüllen, sondern innerhalb letzterer allseitig von den betreffenden Flüssigkeiten umgeben sind. Diesen Sinn hat es, wenn man von der feinsten Emulsion voraus- setzt, dass sie besonders leicht resorbirbar sein wird und aus diesem Grunde ist eine Emulsion von einem Grade der Feinheit, welcher den angenommenen Bedingungen entsprechen könnte, im ersten Theile dieser Arbeit als „gut“ bezeichnet worden. Unter Berücksichtigung der im ersten Theile mitgetheilten That- sachen muss man zugeben, dass für das Zustandekommen einer, in diesem Sinne, guten Emulsion bei gewissen Fetten, wie z. B. beim Leberthran, schon die alkalische Beschaffenheit der Darmflüssigkeit genügt, wenn man bedenkt, dass für eine hinreichende Vergrösserung der Berührungsfläche zwischen Fett und wässeriger Flüssigkeit im Darm jedenfalls gesorgt ist. Wir haben aber gesehen, dass das Fett nur so lange gute Emulsion liefert, als es noch freie Fettsäuren enthält und dass es an diesen durch den Emulgirungsprocess selbst erschöpft wird. Damit auch das, in meinen Versuchen recht beträchtliche Residuum emulgirt werden könne, .muss eine weitere Zerlegung des Fettes unter Bildung freier Fettsäuren er- folgen und hier tritt für das Verständniss der Vorgänge die von Hrn. Brücke in ihrer Bedeutung für die Fettresorption zuerst gewürdigte fettspaltende Fähigkeit des pankreatischen Saftes in ihr volles Recht. Da in dem physiologischen Laboratorium der Universität die dazu nöthigen Zur LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 201 Einrichtungen noch nicht fertig waren, hatte Hr. Professor Munk die Güte, mir die Gelegenheit dazu zu bieten, dass ich mich im physiologischen Laboratorium der Kgl. Thierarzneischule selbst davon überzeugen konnte, wie neutrales Fett, welches der Einwirkung frisch- gewonnenen pankreatischen Saftes ausgesetzt wurde, die Eigenschaft er- langt, bei blosser Berührung mit alkalischen Flüssigkeiten gute Emul- sion in ausgiebiger Menge zu liefern. Das Secret war durch temporäre Pankreasfisteln geliefert, welche ich an grossen Hunden 6—8 Stunden nach einer reichlichen Fleischfütterung angelegt hatte. In jedem ein- zelnen Fall hatte sich das bald nach der Anlegung der Fistel gewonnene Secret bei der Prüfung auf diastatische Fermentation sehr wirksam er- wiesen. Es dränst sich hier die Frage auf, welchen Antheil das bei der Zerlegung des Fettes neben den Fettsäuren abgespaltene Glycerin an der Emuleirung nimmt. Es ist von vornherein nicht wahrscheinlich, dass das Glycerin als solches eine wesentliche Rolle hierbei spielen werde, da es selbst sehr schnell weiterer Zersetzung unterliegt. Bei direct nach dieser Richtung angestellten Versuchen habe ich auch nicht gesehen, dass neutrale oder ranzige Fette, welche mit Glycerin verrieben waren, sich dadurch in ihrem Verhalten zur Emulgirbarkeit in merkbarer Weise geändert hätten. Es bleibt die Möglichkeit einer Wirkung Seitens der Zersetzungsproducte des Glycerins übrig, welche aber zum Theil selbst fette Säuren sind, also keine wesentliche Aenderung der Erscheinungen bedingen werden. Während ich die Rolle, welche dem pankreatischen Safte bezüglich der Vorbereitung der Fette für die Resorption bisher zugeschrieben wurde, vollkommen bestätigen kann, findet ein Gleiches, was die Galle betrifft, nicht in derselben Allgemeinheit statt. Der Galle ist die Fähigkeit zugeschrieben worden, Fette zu emulgiren. Was neutrale Fette betrifft, so hat schon Hr. Brücke gezeigt, dass dies nicht richtig ist. Bei ranzigen Fetten erweist sich aber die Galle nur unter ganz be- stimmten, in engen Grenzen liegenden Bedingungen dem Zustande- kommen einer guten Emulsion günstig, insofern als sie eine vorhandene Neigung zur Bildung dicker Seifenmembranen corrigirt. Unter anderen Umständen verhindert sie aber geradezu das Zustandekommen einer Emulsion von der‘ Feinheit, in der das Fett die Darmwand passiren könnte, ohne das Lumen der hypothetischen Capillaren zu erfüllen. Hier verdienen aber die von Hrn. A. v. Wistinghausen! entdeckten und 1 Experimenta quaedam endosmotica de bilis in absorptione adipum neutralium partibus. Dissert. inaug. Dorpati Livonorum 1851. — Vgl. auch C. A. v. Wisting- 202 JOHANNES GAD: richtig gewürdigten Thatsachen volle Berücksichtigung, dass Fette in gläsernen Capillarröhren höher aufsteigen, wenn die dieselben benetzenden Flüssigkeiten verschiedener Zusammensetzung gallensaure Salze in Lösung enthalten, als wenn sie frei von dieser Beimengung sind, und dass Galle ebenso das Durchpressen von Fett durch feuchte thierische Membranen begünstigt. Dies verdient hier mit um so grösserem Nachdruck hervor- sehoben zu werden, als die auf die erstere Thatsache bezüglichen Ver- suche und die ihnen von dem genannten Autor beigemessene Bedeutung in neuester Zeit einen ungerechtfertigten Angriff erfahren haben. In einer, unter Leitung des Hrn. Th. W. Engelmann in Utrecht ver- fassten Abhandlung ! wird die Frage, ob die Galle den Durchgang der Fette durch capillare Röhren befördere, so behandelt, als ob sie Hr. A. v. Wistinshausen durch seine Versuche mit gläsernen Capillar- röhren bejahend beantwortet zu haben vorgäbe. Dies ist nicht der Fall. Der genannte, sehr besonnene und völlig sachverständige Autor sagt selbst über diese Versuche: „Derartige Versuche können uns ein Bild geben über den physikalischen Vorgang bei der Ausbreitung von Flüssigkeiten innerhalb der Haarröhrchen der thierischen Membranen in verringertem Maassstabe.“? Für die Rechtfertigung der Ansicht, dass Galle den Durchtritt durch mit wässerigen Lösungen getränkte Mem- branen befördere, liegen Versuche vor, die Hr. A. v. Wistinghausen über diesen, unter Druck erfolgenden Durchtritt angestellt hat und welche zu Gunsten dieser Ansicht ausgefallen sind.? hausen’s endosmotische Versuche über die Betheilisung der Galle bei der Absorption der neutralen Fette. Dargestellt von I. Steiner. Dies Archiv, 1873. Saallane 1 Mag men aan gal de eigenschap toekennen, den doorgang van vetten door capillaire buizen te bevorderen? door D. Roosenburg, med. cand. 2 Vol. Hrn. Steiner’s Darstellung a.a. 0. S. 155. — Im Original (p. 35) heisst die bezügliche Stelle: „Itaque primum, quod liquor in alterius eylindro ascendere cogitari potest, deinde quod hoc alterum fluidum adscensionem prioris aut impedit aut permittit, ea quae in tubulis capillaribus vitreis observamus, de processu phy- sicali in fluidorum propagatione, qualis intra membranarum animalium tubulos capillares dimensione minuta accidat, nobis imaginem quandam afferre poterunt.“ 3 Wie sich die Beobachtungen des Hrn. v. Wistinghausen über den auch ohne Druck erfolgenden Durchtritt von Fett durch Membranen hindurch zu einer gallehaltigen Flüssigkeit hin, etwa erklären lassen, ist eine andere Frage. Bisher ist die Richtigkeit auch dieser Beobachtungen nicht widerlegt, und sie müssen also zunächst als die eines guten Autors respeetirt werden. In Bezug auf diese Beob- achtungen ist übrigens auf das Original (p. 23) zu verweisen, da Hrn. Steiner’s Darstellung (S. 149) in diesem Punkte nicht genau ist. /UR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 203 Der von Hrn. A. v. Wistinghausen experimentell nachgewiesene Einfluss der Galle” auf die Steighöhe der Fette in gläsernen Capillar- röhren wird von Hrn. Roosenburg in der citirten Arbeit als in’ dem von dem älteren Autor angegebenen Sinne nicht vorhanden und ausser- dem als mit der Lehre von der Fettresorption nicht in Zusammenhang zu bringen bezeichnet. Hr. Roosenburg hat nun die Steighöhe von Fett in gläsernen Capillarröhren nach vorhergehender Benetzung mit demselben Fett und diejenige nach vorhergehender Benetzung mit galle- haltigen Flüssigkeiten vergleichend untersucht, in dem Glauben, die Ver- suche des Hrn. v. Wistinghausen zu wiederholen. Diesen Versuchen kann man in der That jede Bedeutung für die Lehre von der Fett- resorption absprechen. Der angegriffene Autor hat aber die Höhen mit einander verglichen, zu denen Fett in gläsernen Capillarröhren aufstieg, nachdem diese mit wässerigen Flüssigkeiten, die entweder gallensaure Salze enthielten oder nicht, benetzt waren. Dass Hr. Roosenburg zu abweichenden Resultaten gekommen ist, kann nicht Wunder nehmen, da er wesentlich abweichende Bedingungen in seine Versuche eingeführt hat. Welche Bedeutung den Versuchen mit gläsernen Capillarröhren in der ihnen von dem älteren Autor gegebenen Form für das Verständniss des Durchtrittes des Fettes durch die Darmwand beizumessen sei, da- rüber glaube ich mich hier nicht weiter auslassen zu sollen, um mich nicht mehr als dringend nöthig auf Hypothesen einzulassen. Ich be- merke aber ausdrücklich, dass sehr naheliegende Hypothesen hierfür zur Hand sind, die sich voraussichtlich experimentell werden prüfen lassen. Um meinen vorliegenden Gedankengang fortführen zu können, dafür genügt der von Hrn. v. Wistinghausen geführte und nicht ange- grifiene Beweis, dass Galle den unter Druck erfolgenden Durchtritt von Fett durch feuchte Membranen begünstigt und dass Hr. Brücke gezeigt hat, dass hierzu geeignete Druckkräfte durch die Zottenbewegungen ge- liefert werden können. Der Nutzen der Galle für die Resorption der Fette würde hiernach und nach den im ersten Theil dieser Arbeit mitgetheilten Versuchen darin bestehen, dass sie erstens die Bildung fester Seifen verhindert, ‚welche für die Resorption ganz ungeeignet wären, zweitens, dass sie bei gewissen Zusammensetzungen des Darminhaltes das Zustandekommen einer Emulsion von solcher Feinheit bewirkt, dass das Fett die Darm- wand passiren kann, ohne das Lumen der hypothetischen Capillaren auszufüllen, ohne also grösseren Widerstand wie die die Fetttropfen umgebende Flüssigkeit zu finden, drittens, dass sie in den Fällen, wo sich wegen ihres Ueberwiegens im Darminhalt eine Emulsion von dieser 204 JOHANNES GAD: Feinheit nicht bilden kann, den Durchtritt des das Lumen der pn röhren erfüllenden Fettes durch diese begünstigt. ” Die peristaltische Bewegung werden wir nicht mehr dafür in An- spruch zu nehmen haben, dass sie die zur Herstellung einer Emulsion von der nöthigen Feinheit erforderliche mechanische Kraft liefere. Ob eine solche Emulsion entsteht oder nicht, ist lediglich von der Natur und dem Zustande des Fettes, sowie von der Zusammensetzung der mit demselben im Darm in Berührung kommenden Flüssigkeit abhängig. Die peristaltische Bewegung bewirkt Vergrösserung der Berührungsfläche zwischen Fett und wässeriger Flüssigkeit und bringt das bei der Emul- girung in Bezug auf seinen Säuregrad sich ändernde Fett mit Flüssig- keiten anderer Zusammensetzung in Berührung. In jedem Fall der Fettverdauung wird die von der Zusammensetzung der Ingesta und von der Lebhaftigkeit der Drüsensecretionen abhängige Zusammensetzung des wässerigen Darminhaltes an den einzelnen Stellen des Darmes verschieden sein. Im Allgemeinen werden die Bedingungen für das Zustandekommen aller bei Berührung von Fetten mit alkalischen Flüssigkeiten kennen gelernten Erscheinungen verwirklicht sein. Inner- halb je breiterer Grenzen dieser Bedingungen ein Fett- gute Emulsion zu liefern im .Stande ist, an um so mehr Stellen wird es bei seiner durch die Peristaltik bewirkten Fortbewegung, in diesem Sinne, günstige Be- dingungen vorfinden, um so leichter wird es resorbirt werden. Hierfür spricht das Verhalten des Leberthrans einerseits und des Ricinusöls andererseits. Von dem gewonnenen Standpunkte aus lässt sich der Antwort, welche Hr. Brücke auf die von ihm selbst aufgeworfene Frage giebt, weshalb wir nicht die Fette in ranzigem Zustande genössen, da doch die Ranzig- keit ‘eine Vorbedingung für die leichte Emulgirbarkeit der Fette sei, Folgendes hinzufügen. Erstens: Der Leberthran, welcher allerdings nicht mit Vorliebe genossen, aber doch mit Vorliebe und Erfolg gereicht wird, besitzt in der That einen hohen Säuregrad. Zweitens: Fette, deren Säuren. schwer lösliche Seifen bilden, geben vorwiegend bei schwachem Säure- grad gute Emulsion. Drittens: Wir geniessen die Fette, durch einen natürlichen Trieb gezwungen, meist mit Kochsalz, von dem wir gesehen _ haben, dass es in genügender Verdünnung die Emulgirbarkeit schwach saurer Fette in verdünnter Sodalösung erhöht. Viertens: Nach den ge- wonnenen Einsichten springt die Schönheit der Vorstellung von der Bedeutung der fettspaltenden Eigenschaft des pankreatischen Saftes, welche wir Hrn. Brücke verdanken, womöglich noch mehr hervor. Würde das Fett von vornherein so viel freie Säuren enthalten, als zur ZUR LEHRE VON DER FETTRESORPTION. 205 Bildung aller bis zur völligen Emulgirung erforderlichen Seife. gebraucht wird, so würden sich vorwiegend feste Seifen und nur wenig oder gar keine gute Emulsion bilden. Gerade darauf, dass Fettsäuren erst im Darm in dem Maasse abgespalten werden, in dem sie bei der Emul- sirung eine nützliche Rolle spielen können, beruht die Möglichkeit einer vollkommenen Emulgirung desselben im Darm. Berlin, Physiologisches Institut der Universität, Februar 1878. Ueber die Degeneration durchschnittener Nerven. "Von Dr. Giuseppe Colasanti. Aus dem Laboratorium für vergleichende Anatomie und Physiologie in Rom. Zehnte Mittheilung. 1 (Hierzu Tafel III.) Die histologischen Vorgänge bei der Degeneration durchschnittener Nerven sind in den letzten Decennien so oft und so ausführlich behan- delt worden,? dass Derjenige, welcher von Neuem auf diese, wie es scheint, abgeschlossene Frage zurückkommt, dazu jedenfalls einer ganz besonderen Veranlassung und vor den Fachgenossen einer Art von Entschuldigung bedarf. In unserem Falle war die Veranlassung eine doppelte. 1 Verhandlungen der R. Accademia dei Lincei. Dritte Serie. Zweiter Theil. 1877. 1878; Bei der Akademie eingereicht am 4. Februar 1877. — Die Arbeit von Stefano Capranica, Physiologisch-chemische Untersuchungen über die farbigen Substanzen der Retina, wurde der Akademie erst am 6. Mai 1877 vorgelegt und ist daher nicht (wie in diesem Archiv, 1877. S. 283 irrthümlich geschehen ist) als zehnte, sondern als elfte Mittheilung des Laboratoriums aufzuführen. 2 Die Literatur über die Degeneration und Regeneration durchschnittener Nerven findet sich bis zum Jahre 1872 vollständig zusammengestellt bei Benecke (Ueber die histologischen Vorgänge in durchschnittenen Nerven. Virchow’s Archiv, Bd. LV. S. 496), welcher vom Jahre 1838 an nicht weniger als 47 Autoren aufführt, die über diesen Gegenstand im Ganzen 84 verschiedene Mittheilungen veröffentlicht haben. Nach der eben citirten Arbeit von Benecke sind noch fol- gende Mittheilungen über denselben Gegenstand zu unserer Kenntniss gekommen: 1) Ranvier, De la degenerescence des nerfs apres leur section. Comptes rendus ete. t.LXXV. p. 1831. 1872. 2) Ranvier, De la reg@neration des nerfs sectionn&s. Comptes vendus ete. t. LXX VI. p.491. 1873. 3) Eichhorst, Ueber Nervendegene- ÜBER DIE DEGENERATION DURCHSCHNITTENER NERVEN. 207 Wie sich bereits an einer anderen Stelle auseinandergesetzt findet, ! gab uns den ersten unmittelbaren Anstoss zu dieser Untersuchung die Entdeckung der Marksegmente und die an diese sich anschliessenden neuen Aufschlüsse über die Structur der markhaltigen Nervenfaser. Mit Rücksicht auf diese Entdeckung musste uns eine wiederholte Unter- suchung der Degeneration durchschnittener Nerven schon vom rein histologischen Gesichtspunkte aus als nützlich, ja als nothwendig er- scheinen, da alle die bisherigen Arbeiten über denselben Gegenstand ohne Kenntniss des neuen Structurverhältnisses angestellt worden und daher einer Revision mit Rücksicht auf diese Entdeckung gewiss sehr bedürftig waren. Aber nicht bloss nach dieser histologischen Richtung hin schien uns die Untersuchung der Degeneration durchschnittener Nerven noch einer weiteren Vertiefung fähig. Die auf diese Frage. bezügliche Literatur schien uns ausserdem auch noch eine andere und zwar eine physio- logische Lücke zu enthalten. Nirgends, soweit uns die einzelnen Ab- _ handlungen im Original zugänglich waren, haben wir darin die Frage behandelt gefunden, ob die nach Durchschneidung eines gemischten Nerven auftretende Degeneration des peripheren Stückes gleichzeitig und gleichmässig auf sämmtliche von dem Centralorgan abgetrennten Fasern — sensible wie motorische — sich erstreckt, oder ob in dieser Beziehung die functionellen Verschiedenheiten der einzelnen Fasern auch Verschie- denheiten im Verlauf oder in der Dauer des pathologischen Processes bedingen. Die Vernachlässigung dieses Gesichtspunktes muss dem phy- siologisch gebildeten Leser mit Recht auffällig erscheinen: sie beweist jedenfalls, dass die überwiegende Mehrzahl der Autoren, die bisher mit dieser Frage sich beschäftigten, unter einseitiger Hervorhebung der descriptiv anatomischen Thatsachen den an die Nervendurchschneidung sich knüpfenden physiologischen Interessen nur eine sehr vorübergehende Berücksichtigung hat zu Theil werden lassen. Auch noch in einer zweiten Beziehung macht sich diese Unterord- nung der physiologischen unter die descriptiven Interessen schmerzlich ration und Regeneration. Virchow’s Archiv u.s.w. Bd. LIX. S. 1. 1874. 4) Cossy et Dejerine, Recherches sur la deg@nerescence des nerfs separes de leurs centres trophiques. Archives de Physiologie normale et pathologique. 1875. p.567. 5) Engel- mann, Ueber Degeneration von Nervenfasern. Pflüger’s Archiv u. s. w. 1876. Bd. XIII. S. 474. 6) Bakowiecki, Zur Frage vom Verwachsen der peripherischen Nerven. Archiv für mikroskopische Anatomie. 1876. Bd. XIII. S. 420, ı F. Boll, Ueber Zersetzungsbilder der markhaltigen Nervenfaser. Aus dem Laboratorium für vergleichende Anatomie und Physiologie in Rom. Sechste Mit- theilung. Dies Archiv, 1877. Anat. Abth. S. 291. 208 (GIUSEPPE ÜOLASANTI: fühlbar. Man kann die ganze Literatur der Nervendurchschneidung durchlesen, ohne aus ihr einen bestimmten Aufschluss über die wichtige Frage zu erhalten, ob der in dem abgetrennten Nervenstück eintretende Degenerationsvorgang ein simultaner oder ein progressiver ist, d. h. ob die Degeneration alle Punkte des abgetrennten Nerven gleichzeitig an- greift oder ob sie sich nach Art eines progressiven pathologischen Vor- ganges von Nervenstrecke zu Nervenstrecke fortpflanzt. Die meisten Autoren berühren diese Frage überhaupt nicht, und die wenigen, welche sie erörtern, widersprechen sich. Während nach Erb die Degeneration von der Schnittstelle in centrifugaler Richtung fortschreiten soll, will W. Krause ganz das Gegentheil, eine in den feinsten Verzweigungen beginnende und gegen das Centrum fortschreitende Degeneration der Nervenfasern beobachtet haben. Endlich giebt es noch andere Autoren (Schiff, Lent, Hertz, Engelmann), welche der dritten Ansicht sich zuneigen, wonach die Degeneration in der ganzen Länge des abgetrennten Nerven gleichzeitig anhebt. Um an die Stelle dieser Widersprüche wirklich bestimmte That- sachen zu setzen, schien uns eine methodische Untersuchung unerlässlich. Wir präparirten bei Meerschweinchen den N. ischiadicus bei seinem Austritt aus der Beckenhöhle und excidirten aus ihm ein Stück von 3—5um Länge Zu diesen Versuchen dienten uns sowohl ältere wie jüngere Thiere (im Ganzen haben wir die Operation 48mal angestellt). In gemessenen Zwischenräumen wurden die operirten Thiere getödtet und es wurde jedesmal mikroskopisch untersucht: «) der peripherische Stumpf, d. h. die unmittelbare Umgebung der Schnittstelle; 5) ein der Schnittstelle nahe gelegenes, d. h. nicht mehr als 1°” von ihr entferntes Stück des peripheren Abschnittes des N. ischiadicus; c) ein entfernteres Stück des peripheren Abschnittes, etwa 4°” von der Schnittstelle; d) ein aus dem N. ischiadicus entstammender Muskelast des: Unterschenkels, möglichst entfernt von der Schnittstelle; e) ein aus dem N. ischiadieus entstammender Hautast des Unterschenkels, möglichst entfernt von der Schnittstelle. Den histologischen Veränderungen im centralen Stumpfe unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden, lag nicht in unserer Absicht, und haben wir daher niemals Präparate davon angefertigt. Von den in dem peripheren Abschnitt auftretenden mikroskopischen Veränderungen verdienen zunächst die, welche in unmittelbarer Um- gebung der Schnittstelle auftreten, eine besondere Berücksichtigung. In Bezug auf sie haben wir den neuerdings von Engelmann veröffentlichten Angaben, die wir hiermit in ihrem vollen Umfange bestätigen, nichts Neues hinzuzufügen. Schon 24 Stunden nach der Operation lässt sich in sämmtlichen vom Schnitte getroffenen Nervenfasern eine charakteri- ÜBER DIE DEGENERATION DURCHSCHNITTENER NERVEN. 209 stische Veränderung nachweisen, die sich bis an den nächsten Ranvier’- schen Ring, aber niemals über diesen hinaus erstreckt. Die jenseit dieses Ringes beginnende neue Nervenstrecke zeigt stets eine völlig nor- male Structur. Noch deutlicher als an den von Engelmann abgebildeten Osmiumpräparaten tritt dieses Verhalten im frischen Zustande und bei der Untersuchung in physiologischer Kochsalzlösung hervor. (Vergl.'die Abbildungen Figg. 1. und 2.) Worin übrigens diese Veränderung der verletzten Nervenstrecke besteht, ist schwer zu sagen: man unterscheidet in ihr weder Markscheide noch Axencylinder, sondern der Binnenraum der Schwann’schen Scheide :wird von einer ganz homogenen Masse von ziemlich starkem Lichtbrechungsvermögen, doch ohne bestimmte Structur eingenommen. Mit dem, was man bisher allgemein Degeneration der Nervenfasern genannt hat, hat dieser Zustand mikroskopisch nicht die geringste Aehnlichkeit und wäre es daher, um Zweideutiskeiten oder Verwechselungen zu vermeiden, gewiss nützlich, wenn für ihn eine mehr specielle Bezeichnung, etwa die der „Traumatischen Veränderung der Nervenstrecken“ eingeführt würde. So viel von der Schnittstelle und dem sie betreffenden Vorgange. Die eigentliche Degeneration hat mit diesem, wie gesagt, gar nichts zu thun. Sie, unterscheidet sich von ihm ausser durch das mikroskopische Bild noch dadurch, dass sie niemals schon innerhalb der ersten 24 Stunden sich herausbildet, sondern dass mindestens das dreifache dieser Zeit ver- fliessen muss, ehe sich die ersten Spuren von ihr wahrnehmen lassen. Von diesem Zeitpunkte an aber bevorzugt sie weder, noch vernachlässigt sie bestimmte Partien des Nerven, sondern sie ergreift gleichzeitig und gleichmässig sämmtliche vom Centralorgan abgetrennte Nervenstrecken, ohne Unterschied auf ihre grössere oder geringere Entfernung von dem _ Centrum oder auf ihre besondere physiologische (motorische oder sensible) Function. Der Process der Degeneration durchschnittener Nerven steht mithin mit dem Trauma selber in gar keinem Zusammenhang: er beginnt vielmehr in jeder einzelnen Ranvier’schen Nervenstrecke selbständig aus unbekannten Ursachen, welche ihrerseits dadurch herbeigeführt werden, dass jene (functionelle und nutritive) Continuität mit dem Centralorgan unterbrochen wurde, welche für das Normalbefinden jeder einzelnen Nervenstrecke unerlässliche Bedingung zu sein scheint. Ehe wir dazu übergehen, den histologischen Vorgang der Nerven- degeneration im Detail zu schildern, wird es nöthig sein über die nor- male Structur der Primitivfasern im N. ischiadicus des Meerschweinchens einige Worte zu sagen. Ihr Bau stimmt in allen wesentlichen Punkten mit dem der Nervenfasern aus dem Ischiadicus des Frosches überein, von denen sie sich ausser durch ihre geringeren Dimensionen nur noch Archiv. f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 14 210 (GIUSEPPE (OLASANTT: durch gewisse Eigenthümlichkeiten in der Structur der einzelnen Mark- segmente unterscheiden, welche beim Meerschweinchen meist erheblich viel weiter über- und untereinander greifen, als dies beim Frosche die Regel ist. (Vergl. die Abbildung Fig. 1.) Ausserdem findet sich in sehr vielen Nervenfasern, wie schon Boll! hervorgehoben hat, jene merk- würdige „Ausfaserung‘“ der freien Enden der Marksegmente, die beim Frosche nur als Ausnahme und dann ‚meist nur in schwacher Andeutung vorkommt, beim Meerschweinchen aber so scharf und deutlich ausgeprägt und (bereits in ganz frischem Zustande) so häufig auftritt, dass sie für die Nervenfasern dieses Thieres als ein sehr charakteristisches und nahezu constantes Structurverhältniss angesehen werden muss. (Vgl. die Ab- bildung Fie. 2.) Wie schon oben erwähnt, lassen sich vor dem dritten Tage in den vom Centralorgan getrennten Nervenstrecken keinerlei mikroskopische Veränderungen wahrnehmen. Erst nach 72 Stunden? zeigen sich die Anfänge einer objectiven Veränderung. Verglichen mit dem mikrosko- pischen Bilde einer normalen Nervenprimitivfaser erscheint die Mark- scheide’ in den vom Centralorgan abgetrennten Nervenstrecken deutlich verändert; die Substanz der einzelnen Marksegmente erscheint verdickt und gleichzeitig weniger stark lichtbrechend. In den nächsten 24 Stunden bildet sich diese Veränderung noch immer weiter aus und nach Ablauf des vierten Tages haben die doppelten Contouren, welche die Nerven- faser begrenzen, (d. h. die optischen Querschnitte der Substanz der ein- zelnen Marksegmente) fast um das Zweifache zugenommen; gleichzeitig erscheinen sie erheblich matter: man erhält etwa den Eindruck, als be- ständen die Marksegmente aus Paraffin oder doch aus einer mit ähn- lichen optischen Eigenthümlichkeiten ausgestatteten Substanz. (Vgl. die Abbildung Fig. 3.) Die nächsten Veränderungen, welche im Laufe der nun folgenden 24 Stunden eintreten, beziehen sich auf die Berührungs- stellen, in denen die benachbarten Marksegmente an einander stossen. In dem Maasse, als die Substanz der Marksesmente sich verdickt, ver- lieren die freien Ränder, mit denen sie aufhören, ihre Zuschärfung und entziehen sich, indem sie sich abstumpfen, der nahen Berührung mit den freien Rändern der benachbarten Segmente, so dass die Markscheide alsbald nur sehr locker aus den einzelnen Marksesmenten zusammen- DEN! a2 0.8.0295, 2 Diese, sowie die nachfolgenden Zeitbestimmungen beziehen sich ausschliess- lich auf das Meerschweinchen und beanspruchen durchaus keine allgemeine Gültig- keit. Im Ischiadicus des Frosches, an dem wir einige Controlversuche angestellt haben, treten die im Uebrigen mit denen beim Meerschweinchen durchaus iden- tischen mikroskopischen Veränderungen erst nach Ablauf mehrerer Wochen ein. ÜBER DIE DEGENERATION DURÖCHSCHNITTENER NERVEN. al gesetzt erscheint. Diese Lockerung macht beständig weitere Fortschritte, und bald ist die Nervenfaser in einem Stadium angelangt, wo von der Existenz einer eigentlichen Markscheide nicht mehr die Rede sein kann: indem die einzelnen Marksesmente ihre freien Ränder von einander abziehen und indem sie gleichzeitig an ihren beiden freien Enden ihren Randsaum in sich selbst zur Vereinigung bringen, schliessen sie sich zu selbständigen tropfenartisen Bildungen zusammen, — ein Vorgang, welchen die beiden Abbildungen Figg. 4 und 5 zu versinnlichen bestimmt sind. Ist dieser Vorgang vollständig abgelaufen und die Schliessung aller einzelnen Marksegmente vollendet (was am Ende des sechsten Tages nach der Durchschneidung geschehen zu sein pflegt), so: erscheint nun- mehr die Nervenfaser zusammengesetzt aus einer Reihenfolge selbstän- diger länglich-eylindrischer Stücke, von denen ein jedes je einem ursprüng- lichen Marksegmente entspricht. Jedes einzelne dieser Stücke zeigt eine unregelmässige Tropfenform und einen matten Fettglanz, als wäre es aus Parafüin gebildet. (Vgl. die Abbildung Fig. 6.)! Mit dieser Umwandlung aller einzelnen im normalen Zustande offe- nen Marksesmente in geschlossene Tropfen ist der erste und »histolo- eisch eigentlich allein charakteristische Act der Degeneration der mark- haltisen Primitivfasern als abgeschlossen zu betrachten: ja man kann sagen, die Degeneration der markhaltigen Primitivfasern besteht, wesent- lich in dieser Veränderung der Marksegmente, in ihrer Umwandlung in „Marktropfen“, wie wir die einzelnen aus der Umformung je eines ein- zelnen Marksegmentes hervorgegangenen Gebilde bezeichnen wollen. Was nun noch folst, sind so zu sagen mehr moleculäre Veränderungen, welche eines ausgeprägten histologischen Charakters wenigstens vollständig ent- behren. Wir wollen diese weiteren Veränderungen, welche mit der Nervenfaser nach der Umwandlung der Marksesmente in Marktropfen (etwa vom sechsten Tage nach der Durchschnejdung an) noch vor sich gehen, unter der Collectivbezeichnung „secundärer Veränderungen“ zu- 1 Eine einfache Ueberlegung ergiebt, dass der soeben beschriebene Vorgang der Schliessung der einzelnen Marksegmente verhältnissmässig schneller zum Ab- schluss gelangen muss in den Nervenfasern feineren als in denen stärkeren Calıbers; daher die Thatsache, dass in den Hautnerven, welche fast durchweg aus sehr feinen Fasern bestehen, die Degeneration sich schneller herausbildet, als in den Muskel- nerven. Mit dem functionellen Unterschiede hat diese Differenz (welche wahr- scheinlich W. Krause zu seiner oben eitirten Angabe von der in den feinsten Verästelungen beginnenden und gegen das Centrum fortschreitenden Degeneration veranlasst hat) jedoch sicher nichts zu thun, da auch im Ischiadicusstamme und in den Muskelnerven die dünneren Nervenfasern in der Degeneration vor den stär- keren stets den Vorsprung haben. (Vergl. hierzu die Erklärung von Hertz. Virchow’s Archiv u. s. w. Bd. XLVI. S. 260.) 14* 212 (GIUSEPPE ÜOLASANTT: sammenfassen. Diese secundären Veränderungen bestehen zunächst darin, dass die einzelnen Marktropfen nicht mehr wie ursprünglich glatt und eben bleiben, sondern auf ihrer Oberfläche zahlreiche Unebenheiten, Falten, Hervorragungen und Vertiefungen zeigen. Diese Faltenbildungen sind zu- nächst meist der Längsaxe der Nervenfaser und des Marktropfens parallel gerichtet (vgl. die Abbildungen Figg. 7 und 8); bald aber stellen sich auch unregelmässigere, schräge und zuletzt quere Falten ein. Indem die letzteren sich vertiefen, führen sie schliesslich zum Zerfall der einzelnen Marktropfen in zwei getrennte kleinere Stücke, und bald (etwa am zehnten Tage nach der Durchschneidung) hat sich durch diesen nach und nach auf sämmtliche-Marktropfen sich ausdehnenden Theilungsprocess die ur- sprüngliche Anzahl der in einer Nervenstrecke vorhandenen Marktropfen (und Marksesmente) nahezu verdoppelt: an die Stelle der ursprünglichen länglichen Cylinder sind fast durchweg rundliche Tropfen getreten. (Vgl. die Abbildung Fig. 9.) In diesen rundlichen Tropfen, deren Anzahl sich durch weitere Theilungen noch beständig vermehrt, treten bald grössere und kleinere stark liehtbrechende Kugeln auf, deren Anblick an feine Fetttröpfehen erinnert. (Vgl. die Abbildung Fig. 10.) Noch später end- lich verwischen sich die Grenzen zwischen den einzelnen Tropfen: der Inhalt der Nervenfaser verwandelt sich in eine homogene detritusartige Masse, bestehend aus einer feinkörnigen Grundsubstanz, in welcher grössere bis feinste Tropfen von fettartigem Glanze, ausserdem freie Kerne und Wanderzellen suspendirt sind. Ueber die Herkunft dieser letzteren Gebilde, ebenso wie über die intimen Vorgänge bei der Entstehung der fettartigen Tropfen wissen wir Bestimmtes nicht auszusagen und müssen wir die Lösung dieser gewiss interessanten Fragen, namentlich die Entscheidung, ob die fettartigen Tropfen wirklich aus einer fettigen Substanz bestehen oder nicht, unseren chemisch besser geschulten Nachfolgern überlassen. Auch die gleichfalls hierher gehörigen neuesten wichtigen Angaben von Ranvier über das Verhalten der Schwann’schen Kerne bei der Nervendegeneration haben wir besonders zu prüfen verabsäumt, da uns bei der vorliegenden Arbeit nur die eine Absicht leitete: die Betheiligung der den früheren Autoren unbekannt gebliebenen Marksegmente bei der Nervendegeneration fest- zustellen und naturgetreu zu beschreiben. Von diesem Gesichtspunkte ausgehend haben wir gefunden, dass der eigentlich charakteristische histo- logische Vorgang bei der Degeneration der vom Centrum abgetrennten Nerven allen unseren Vorgängern völlig unbekannt geblieben ist: er besteht in der (wahrscheinlich activen) Veränderung der Marksegmente und in ihrer Umwandlung in Marktropfen. Erst nachdem diese Mark- tropfen gebildet sind, vollziehen sich an ihnen diejenigen Vorgänge, ÜBER DIE DEGENERATION DURCHSCHNITTENER NERVEN, 2uls welche bisher ganz ausschliesslich die Aufmerksamkeit der Untersucher auf sich gezogen haben und die bis jetzt als charakteristisch für den histologischen Process der Nervendegeneration angesehen wurden, denen wir aber zum grössten Theil wenigstens nur die Bedeutung secundärer Vorgänge und rein moleculärer, aber nicht mehr histologischer Verän- derungen beimessen können. Zum Schlusse sei es uns gestattet, noch eine Frage zu berühren, die bisher in der Literatur der Nervendurchschneidung eine grosse, ja vielleicht die grösste Rolle gespielt hat, die Frage nämlich, ob in den vom Centrum getrennten Nervenfasern der Axencylinder sich erhält oder zu Grunde geht. Die Vertreter der ersteren Anschauung müssen selbst- verständlich in Bezug auf die normale Structur des Axencylinders die Ansicht der älteren Histologen adoptiren, wonach der Axeneylinder in frischem Zustande ein solides Gebilde darstellt. Wer dagegen bezüglich der Structur des Axencylinders die Resultate der neueren histologischen Forschung acceptirt und ihm eine flüssige oder doch nahezu flüssige Consistenz zuschreibt, wird sich schon a priori von einem Fortbestehen des Axencylinders in den vom Centrum abgetrennten Nerven schwer überzeugen können. Diese Ueberzeugung muss vollends unmöglich, und die Thatsache, dass der Axencylinder in der abgeschnittenen Nerven- faser wirklich zu Grunde geht, muss zur Gewissheit werden für jeden, der das Verhalten der Markscheide bei der Nervendegeneration verfolgt und sich den objectiven Thatbestand vergegenwärtigt: dass der oben . geschilderte Process der Schliessung der einzelnen Marksegmente gar nicht stattfinden kann ohne gleichzeitige Zertheilung des Axencylinders in ebenso viele einzelne Stücke wie Marksegmente vorhanden sind und sich zu Marktropfen zusammenschliessen. Jeder einzelne Marktropfen muss ein seiner Länge entsprechendes Stück von der Substanz des Axen- cylinders in sein Inneres miteinbeziehen, und dieser Process, der sich in der ganzen Länge der Nervenfaser beständig wiederholt, muss ganz unmittelbar die Zerstückelung und Auflösung des Axencylinders als eines einheitlichen Gebildes zur nothwendisen Folge haben. - Rom, 1. Februar 1877. Erklärung der Tafel. Alle gezeichneten Präparate entstammen dem Ischiadieus des Meerschweinchens, sie sind alle in physiologischer Kochsalzlösung untersucht und genau 540 mal ver- grössert. Fig. 1. Nervenfaser von der Schnittstelle, 24 Stunden nach der Durchschnei- dung. Die traumatische Veränderung der vom Schnitte getroffenen Nervenstrecke reicht nur bis an den Ranvier’schen Ring; die jenseit des Ringes beginnende Nervenstrecke zeigt eine völlig normale Structur. Fig. 2. Wie Fig. 1. Die Marksegmente der noch normalen Nervenstrecke zeigen an ihren freien Enden alle eine sehr ausgeprägte „Ausfaserung“. Fig. 3. Nervenfaser aus dem Stamme des N. ischiadieus, mehrere Centimeter von der Schnittstelle entfernt, drei Tage nach der Durchschneidung. Beginnende Veränderung der Marksegmente, deren Substanz fast schon um das Doppelte ver- dickt ist. Fig. 4. Nervenfaser vom fünften Tage nach der Durchschneidung. Die Mark- segmente beginnen sich an ihren Berührungsstellen .von einander abzulösen. Fig. 5 u. 6. Nervenfasern vom sechsten Tage nach der Durchschneidung. Es vollzieht sich die Umwandlung der Marksesmente in Marktropfen. Fig. 7 u. 8. Nervenfasern vom achten Tage nach der Durchschneidung. Ver- änderung der Marktropfen durch Falten und Unebenheiten, die zunächst vorzugs- weise in der Längsaxe der Nervenfaser auftreten. Fig. 9. Nervenfaser vom zehnten Tage nach der Durchschneidung. Ausser den Längsfalten bilden sich jetzt auch quere Einschnitte, welche die Marktropfen halbiren und so ihre Anzahl nicht unerheblich vermehren. Fig. 10. Nervenfaser vom zwölften Tage nach der Durchschneidung. Die Anzahl der Marktropfen ist ganz ausserordentlich vermehrt und in ihrem Inneren treten zahlreiche fettglänzende Kugeln auf. Ueber die specifische Wärme thierischer Gewebe. Von Is. Rosenthal.! Bei meinen Untersuchungen über thierische Wärme suchte ich ver- gebens nach Bestimmungen über die specifische Wärme der den Thier- körper zusammensetzenden Gewebe. Die Forscher, welche sich mit diesem Zweige der Physiologie abgegeben haben, gehen entweder auf die Frage gar nicht ein, oder sie begnügen sich mit der Annahme, dass die spe- cifische Wärme der Gewebe nicht wesentlich von der des Wassers ab- weichen könne. Hr. Senator benutzt in seinen „Untersuchungen über die Wärmebildung und den Stoffwechsel“? den Werth 0-83 zur Berech- nung des Wärmeverlustes bei Inconstanz der Körpertemperatur, doch ist mir ‚nicht bekannt geworden, aus welcher Quelle er jenen Werth ent- nommen hat. Da mir eine Bestimmung der specifischen Wärme der Gewebe nicht nur an und für sich wünschenswerth, sondern auch als Vorarbeit für calorimetrische Untersuchungen über Wärmeproduction nothwendig er- schien, beschloss ich, die vorhandene Lücke auszufüllen. Ich benutzte dazu das Bunsen’sche Eiscalorimeter,? welches allein die genügende Empfindlichkeit besitzt, um trotz der übrigen unvermeidlichen Fehler- quellen eine einigermaassen genügende Genauigkeit der Bestimmung zu gestatten. Die Hauptfehlerquelle liest in der Unmöglichkeit einer hinlänglich genauen Bestimmung der Ausgangstemperatur. Da eine Erhitzung orga- I Aus den Monatsberichten der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, 29. April 1878. S. 306. 2 Dies Archiv, 1872. S. 45. 3 Poggendorff’s Annalen u. s.w, 1870. Bd. CXLI. S. 1. 216 Is. ROSENTHAL: nischer Gewebe auf die Wärme kochenden Wassers nicht möglich ist, ohne erhebliche chemische und physikalische Veränderungen derselben herbeizuführen, so musste von einer Erwärmung über 40° Abstand ge- nommen werden. Die Ausgangstemperatur konnte daher nur durch längeres Verweilen in einem möglichst gleichmässig temperirten Raume und Messung dieser Temperatur mit einem feinen Thermometer bestimmt werden. Ein Irrthum von 0-1° in dieser Bestimmung hat aber schon einen bedeutenden Einfluss auf den zu bestimmenden Werth. Die von mir gefundenen Werthe machen deshalb keinen Anspruch auf absolute Genauigkeit, sondern sollen nur als eine erste Annäherung an die wahren Werthe gelten. Immerhin stimmen die Einzelbestim- ‚mungen unter einander hinlänglich, um die unten mitgetheilten Mittel als in der ersten Decimale sicher gelten zu lassen. Spätere Berich- tigungen durch verbesserte Methoden vorbehalten, gebe ich zunächst die von mir gefundenen Werthe für einige Gewebe: Compacte Knochensubstanz 0.300 Spongiöse Knochensubstanz 0.710 Fettgewebe 0.712 Muskel, quergestreift 0.825 Blut, defibrinirt 0.927 In diesen Zahlen drückt sich deutlich der Einfluss des Wasser- gehaltes auf die specifische Wärme aus. In der That kann man wohl die organischen Gewebe als ein Gemenge der eigentlichen Substanz und einer gewissen Menge reinen Wassers ansehen. Dass dieses letztere imbibirte Wasser eine andere specifische Wärme als reines Wasser habe, kann man wohl als unwahrscheinlich ansehen. Und daraus folgt dann, dass der Werth für die specifische Wärme sich um so mehr der. Einheit nähern müsse, je wasserreicher das Gewebe ist. Um diesen Einfluss des Wassergehaltes an einem Gewebe nachzu- weisen, stellte ich eine besondere Versuchsreihe am Muskel an. Zuvor habe ich festgestellt, dass lebende und todte Muskelsubstanz keinen merklichen Unterschied zeigen. Gleichgiltig, ob die Starre durch längeres Verweilen bei Temperaturen von 10—20° oder durch kurze Einwirkung einer Temperatur von 45° herbeigeführt war, fand ich stets dieselben Werthe, ebenso bei Rindfleisch einige Stunden nach dem Tode des Thieres, als die Starre schon wieder gelöst war. Auch Muskeln, welche in einem geschlossenen Raume auf 100° erhitzt waren, in denen also neben dem Myosin auch andere Eiweisskörper geronnen und auch wohl sonst noch physikalische und chemische Veränderungen vorgegangen waren, zeigten denselben Werth. Als ich aber Muskeln auf dem Wasserbade trocknete, ergab die zurückgebliebene, über Schwefelsäure erkaltete Masse, welche ÜBER DIE SPECIFISCHE WÄRME’ THIERISCHER GEWEBE. DIRT etwa ®/, ihres ursprünglichen Gewichtes verloren hatte, eine specifische Wärme = 0.330. Da diese Masse noch nicht absolut wasserfrei war, so kann man annehmen, dass die specifische Wärme der eigentlichen orga- nischen Substanz noch etwas unter diesem Werthe liest. Setzen wir sie beispielsweise — 0-3, so würde für einen Muskel, welcher aus drei Theilen Wasser und einem Theil solcher organischen Substanz bestände, sich als mittlere specifische Wärme 0'825 ergeben, was mit dem aus meinen, Versuchen berechneten Mittel genau zusammentrifit. Ich habe das Eiscalorimeter auch benutzt, um die bei der Muskel- contraction entstehende Wärme zu bestimmen. Die betreffenden Versuche sind jedoch noch nicht abgeschlossen und ich wünsche sie auch noch nach anderen Richtungen hin zu vervollständigen. Ich habe auch Vor- bereitungen zur Construction eines Calorimeters getroffen, welches die von Muskeln oder ganzen Thieren produeirten Wärmemengen mit grösserer Schärfe zu messen gestattet, als dies bisher möglich war. Ueber diese Versuche werde ich demnächst zu berichten mir erlauben. Erlangen, 5. April 1878. Ueber partielle Nervendurchschneidung und die Ursachen der Lungenaffeetion nach doppel- seitiger Vagustrennung am Halse. Von Dr. J. Steiner in Erlangen. I. Die partielle Nervendurchschneidung. Aus der Thatsache, dass die Nervenfasern keine Anastomosen mit einander bilden, hatte sich schon früh die Ansicht entwickelt, dass in jedem Nervenstamme die einzelnen Nervenfasern in einfacher Anord- nung neben einander liegen, ohne mit einander in organischer Verbin- dung zu stehen. Ihre Vereinigung zu einen Bündel, zum Stamme, ge- schieht allein durch das sie umhüllende Bindegewebe. Einen solchen Nervenstamm könnte man heute wohl am geeignetsten in seinen physi- kalisch-physiologischen Beziehungen mit einem subterranen oder sub- marinen Telegraphenkabel vergleichen. Der Vergleich ist aher nur zu- treffend, wenn man oleichzeitig nachweisen kann, dass die Erregung in der Nervenfaser in derselben Weise „isolirt“ sich fortpflanzt, wie es in den einzelnen Drahtleitungen des Kabels der Fall ist, wo durch mancherlei Hülfsmittel für die Isolirung gesorgt wird. War ja doch von vornherein die Möglichkeit nicht von der Hand zu weisen, dass die Erregung sich durch das Neurilemm in querer Richtung von Nervenfaser auf Nerven- faser fortpflanze. Von den verschiedenen Wesen, auf denen die Beant- wortung jener Frage angestrebt wurde, interessirt uns hier allein der- jenige, welchen Joh. Müller! betreten hatte. Derselbe legte nämlich 1 Joh. Müller, Handbuch der Physiologie des Menschen. Bd,I. Vierte Auflage. Coblenz 1844. 8. 584. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG UT. S. W. 219 bei einem Kaninchen den N. ischiadieus frei, trennte denselben, bevor er Sich in den N. peronaeus und N. tibialis theilt, in mehrere Bündel und sah, wenn er diese Bündel isolirt reizte, bald die einen, bald die anderen Muskeln zucken. Diese Art, einen Nervenstamm mit dem Messer zu zerlegen, die wir „partielle Nervendurchschneidung“ nennen wollen, hatte seiner Zeit geleistet, was man von ihr verlangt hatte; sie ferner zu üben, lag keine Veranlassung vor, denn wollte man aus einer functionell zusammen- gehörigen Muskelgruppe etwa einen einzelnen Muskel durch Abtrennung der zugehörigen Nerven eliminiren, so dürfte es nicht schwer sein, jenes Nervenästehen da aufzusuchen, wo es in den betreffenden Muskel ein- tritt, um es dort sicher und isolirt zu durchschneiden bez. zu reizen. Anders aber wird das Verhältniss, wenn es sich um einen Nerven handelt, der Nervenfasern enthält, die zu functionell sehr verschiedenen Apparaten laufen, deren Lage innerhalb von Körperhöhlen eine so ge- schützte ist, dass man die in sie eintretenden Nerven nicht erreichen kann, ohne die tieisreifendsten Störungen im Organismus hervorzurufen. Unter diesen Umständen bleibt es schlechterdings unmöglich, jene ver- schiedenen Apparate, wie es für gewisse Zwecke nöthig werden könnte, von ihrem Nerven aus isolirt zu beherrschen. Ein solcher Nerv ist 7. B. der N. vagus, der im Wesentlichen mit seinem motorischen Antheil die inneren Muskeln des Kehlkopfes, den Oesophagus in seiner ganzen Ausdehnung, sowie theilweise die Därme und das Herz (Hemmungsnerv) innervirt, durch seinen sensiblen Theil namentlich jenen bekannten Ein- fluss auf die Athembewegungen ausübt. Man ist nicht im Stande, jene beiden Partien isolirt zu erregen: die Durchschneidung der einen Partie ist jedesmal auch mit der Durchschneidung der anderen verbunden, ebenso wie die Reizung der einen auch die der zweiten bedingt. Ist nun, analog zu jenem Versuche von Joh. Müller am N. ischiadieus des Kaninchens, eine solche Theilung des ungleich dünneren N. vagus desselben Thieres, zum wenigsten in zwei functionell differente Bündel, ausführbar oder nicht? Auf diese Frage wurde ich durch eine hierauf bezügliche Bemerkung geführt, die Hr. H. Munk am Ende eines kleinen Aufsatzes über „par- tielle Nervenerregung‘“ ! macht und die ich seiner Zeit mit ihm zu be- sprechen die Ehre hatte, wobei er mich, dessen ich mit vielem Danke erwähne, sehr eindringlich auf jene Frage hinwies. Aus Gründen, die sich weiter unten ergeben werden, wählte ich den N. vagus des Kaninchens, obgleich derselbe höchstens die Dicke eines ! H. Munk, Ueber partielle Nervenerregung. Dies Archiv, 1875. 220 ’ J. STEINER: gewöhnlichen Baumwollenfadens besitzt. Man befestigt das Thier in der bekannten Weise mit Hülfe des Czermak’schen Halters in Rückenlage und legt bei sorgfältiger Präparation, womöglich ohne einen Blutstropfen zu vergiessen, namentlich nicht in der Nähe des Vagus, den genannten Nerven am Halse frei. Hat man ihn, ohne aber seine Lage verändert zu haben, von dem Bindegewebe nach und nach befreit, so präsentirt sich derselbe als rundlicher Strang, an dem man in deutlichen Querlinien die Fontana’schen Streifen zu unterscheiden vermag. Verfolgst man den Nerven weiter hinauf gegen den Kopf, so wird er, etwa unterhalb seines Ganglion’s, bandartig platt und hier liegt zunächst der Angriffs- punkt für unsere Arbeit. Ist bisher unblutig operirt worden, so bemerkt man an der eben genannten Stelle des Nerven bei recht scharfem Zusehen eine dunkle Linie, die auf der Mitte des Nerven, seiner Länge nach ab- wärts läuft. Diese dunkle Linie macht den Eindruck, dass es sich um eine Andeutung zu einer natürlichen Längentheilung des Vagus handle; indess kann man sich leicht mit einer schwachen Loupe überzeugen, dass die dunkle Linie einem kleinen Blutgefässchen entspricht, das für unsere Zwecke insofern von Werth ist, als es genau die Mitte des Ner- ven anzeigt. Man legt nun einen Faden um den Nerven, möglichst nahe unterhalb des Ganglions, knotet denselben und durchschneidet den Ner- ven oberhalb der Unterbindungsstelle: der Nerv bleibt unterdess immer‘ noch in situ. War es bisher schon passend, vor dem Kopfe des Thieres und nicht neben demselben zu sitzen, so wird die Wahl des genannten Platzes für das folgende Operationsverfahren durchaus Bedingung. Man legt nämlich das durchschnittene (periphere) Ende des Vagus, ohne hier- bei die Richtung seiner Lage zu verrücken, auf die Spitze der Volarseite des linken Zeigefingers (man wählt am besten den linken Vagus), erhebt den Finger und damit den Nerven ein wenig, um ihn frei schwebend in der Luft zu haben, zieht ihn, indem man den Daumen auf den An- schlingefaden und den Zeigefinger drückt, ein wenig fest an und sticht mit einem schmalen, feinen Messerchen auf die Mitte des Nerven ein, um nun mit leichtem Zuge den Nerven nach abwärts seiner ganzen Länge nach bis zum Brusttheile hin zu spalten. Ebenso wie es vortheil- haft ist, die linke Hand zu unterstützen, um so nothwendiger wird es, namentlich beim Einsetzen des Messers, auch die rechte Hand unter- stützt zu haben, die bequem von dem ausgestreckten kleinen Finger getragen werden kann. Ist die Spaltung vollendet, so erhält man zwei Nervenbündel, die beide angeschlungen werden und von denen wir das eine,. entsprechend der Lage des Thieres, das innere, das andere das äussere Bündel nennen wollen. Dass die Ausführung dieser Operation keine leichte ist, und fd ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. 8. W. 221 dass mancher Versuch misslingt, liegt auf der Hand, aber man erreicht nach einiger Zeit eine hinreichende Fertigkeit, um mit solcher Sicher- heit zu operiren, dass man selbst auf jene ausgewählte plattere Nerven- stelle verzichten und die Spaltung an jeder beliebigen Stelle des Hals- theiles des Vagus auszuführen vermag. Hinzuzufügen ist noch, dass man mit Vorliebe ausgewachsene, sogenannte deutsche Kaninchen für diesen Zweck auswählt, bei denen der Vagus immer noch am stärksten ist. Als durchaus irrthümlich erwies sich dagegen die Voraussetzung, bei den grossen französischen Kaninchen einen viel stärkeren Vagus zu finden : derselbe ist hier sogar absolut schwächer, als bei den deutschen Kaninchen. Doch lässt sich- die Spaltung bei hinreichender Uebung auch bei jenen ausführen. Gehen wir nun zur Untersuchung unserer beiden Vagusbündel über, stechen zunächst die bekannte Herznadel in das Herz und reizen das innere Bündel mit mässigen elektrischen Strömen, so beobachtet man eine unzweifelhafte Einwirkung auf das Herz; die Reizung des äusseren Bündels bleibt dagegen resultatlos. Macht man eine kurze Pause und reizt in umgekehrter Reihenfolge erst das äussere und darauf das innere Bündel, so findet man stets nur das letztere wirksam. Um die inneren Kehlkopfmuskeln zu prüfen, kann man in einfachster Weise die Luft- röhre unterhalb des Kehlkopfes quer durchschneiden und die Stimm- bänder beobachten. Die Wirkung auf den Halstheil des Oesophagus lässt sich nach Freilegung derselben direct beobachten, während man zur Beobachtung seines Brusttheiles die Brusthöhle eröffnen muss. Dass man bei diesen letzteren Prüfungen einen Assistenten nöthig hat, bedarf wohl kaum der Erwähnung. Wenn man nun diese Prüfung in der an- gegebenen Weise ausführt, so findet man, dass in dem inneren Bündel, worin wir den Herzhemmungsnerven gefunden hatten, auch die übrigen motorischen Zweige für Kehlkopf und Oesophagus anzutreffen sind. Die Reizung des äusseren Bündels bleibt auf jene genannten Apparate ohne Wirkung. Soll die postulirte Spaltung des Vagus in zwei functionell difierente Bündel als gelungen betrachtet werden können, so bleibt noch zu be- weisen übrig, dass in dem äusseren Bündel, das keine motorischen Fasern führt, die sensiblen vorhanden sind, während sie wieder in dem inneren Bündel fehlen müssten. Man kann bald den Vagus der anderen Seite benutzen, der aber am untern Theile des Halses durchschnitten wird und den man nun unter denselben Vorsichtsmassregeln, wie es auf der anderen Seite geschehen war, von unten nach oben spaltet. Nach geschehener Spaltung werden beide Bündel angeschlungen und isolirt gereizt. Zur Prüfung des Ein- 233 J. STEINER: flusses dieser Nervenbündel auf die Athmung befestigt man eine Ma- rey’sche Trommel in der Bauchhöhle unterhalb des Zwerchfelles und setzt diese durch einen entsprechenden Gummischlauch mit dem Ma- rey’schen Polygraphen in Verbindung, der seine Hebelbewegungen auf eine berusste rotirende Trommel aufschreibt. In dieser Weise ausgeführte Untersuchungen ergaben nun ausnahmslos eine solche Einwirkung des äusseren Vagusbündels auf die Athembewegungen, wie wir gewohnt sind, sie bei Reizung des ganzen Vagusstammes zu sehen, während von dem inneren Bündel aus vergeblich nach einem Einfluss auf die Athem- bewegungen gefahndet wurde. /ur Technik der Längenspaltung des Vagus ist noch hinzuzufügen, dass es nicht durchaus nöthig ist, mit dem Messer die Spaltung in ganzer Länge vorzunehmen, sondern dass es genügt, eine kleine Strecke zu spalten, die beiden Enden anzuschlingen und nun durch leichten Zug an denselben die Zerlegung in zwei Bündel zu vollenden. Die beiden Versuchsreihen sind so häufig mit demselben Erfolge wiederholt worden, dass deren Resultate dem Zufall durchaus entrückt sind. Um indess auch den sirengsten Anforderungen zu genügen, kann man den bisher an zwei Nerven ausgeführten Versuch an einem Ner- ven .fertigstellen. Statt nämlich den Vagus zu unterbinden und zu durchschneiden, erhebt man ihn mit Hülfe eines kleinen stumpfen Ha- kens, spannt ihn ein wenig, setzt das Messer in die Mitte des Nerven ein und spaltet ihn, soweit es eben genügt; kehrt dann innerhalb des so geschaffenen Spaltes nach der Stelle des ersten Einstichs zurück, um das Messer mit der Schneide nach innen zu wenden und das innere Bündel vom Stamme abzutrennen. Reizt man dieses Bündel, nachdem es angeschlungen ist, so erhält man die Wirkung auf’s Herz; reizt man den zugehörigen Theil des Nerven, der in der Öontinuität des Stammes geblieben ist, so sieht man nur die Wirkung auf die Athembewegungen, nach der Peripherie hin dagegen bleibt jede Reizung ohne Erfolg. Die oben angeregte Frage ist nun dahin beantwortet, dass es wohl angeht, den Kaninchenvagus am Halse so in zwei Bündel zu spalten, dass in dem einen die motorische, in dem andern die sensible Partie des Nerven enthalten ist. Diese Möglichkeit giebt uns offenbar eine neue Methode in die Hand, mit welcher die eine oder die andere physiologische Auf- gabe sich lösen lassen wird. Was den Werth dieser Methode anbetrifft, so darf man sich über denselben keiner Täuschung hingeben. Abgesehen davon, dass die Spal- tung nicht jedesmal gelingt, wogegen man sich freilich durch viele Uebung schützen kann, wird ihr Werth dadurch herabgedrückt, dass nach vollendeter Spaltung niemals von vornherein die Ausführung als ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG UT. 8. W. 223 gelungen betrachtet werden kann, sondern dass es erst einer eingehenden Controle bedarf, um seiner Sache sicher zu sein. Wir können dieser Methode deshalb nicht mehr als den Werth einer Hülfsmethode zuge- stehen, die nur so lange geübt werden wird, als keine bessere Methode vorhanden ist — ein Fall, in dem wir uns vorläufig allerdings dem Vagus gegenüber befinden. Bedeutungslos hingegen bleibt es, wenn bei der Spaltung einige Fasern durchschnitten und functionsunfähig gemacht werden, denn die beiden Bündel stehen durchaus ihren Verrichtungen vor; ebenso gleichgültig erscheint es, wenn einige motorische Fäden etwa in dem sensiblen Bündel geblieben sein sollten oder umgekehrt einige sensible in dem motorischen Bündel. Für letztere Behauptung lässt sich auch der directe Beweis führen. Es war einmal gelungen, das sensible Bündel nochmals in zwei Bündel zu spalten, von denen zu er- warten stand, dass jedes für sich, wenn gereizt, seinen Einfluss auf die Athembewegungen geltend machen würde. Diese Erwartung blieb aber unerfüllt: jedes dieser Bündel, isolirt gereizt, antwortete selbst auf die stärkste Reizung gar nicht, dagegen trat eine Wirkung sofort ein, wenn beide Bündel zusammen über dieselben Elektroden gebrückt werden. Es scheint demnach, dass zur Hervorrufung jener Reflexbewegungen nicht allein eine bestimmte heizstärke an der Peripherie nothwendig ist, son- dern dass auch ein bestimmtes Minimum von Ganglienzellen in Erregung versetzt werden muss. ! If. Die Ursachen der Lungenaffection nach doppelseitiger Vagustrennung am Halse. Von den physiologischen Aufeaben, die an der Hand unserer neu sewonnenen Methode einer wiederholten Prüfung und Erweiterung zu unterziehen wären, würde die nächste Aufgabe die sein, nach den Grün- den zu forschen, die sich vereinigen, um bei Säugethieren nach doppel- seitiger Vagussection am Halse eine acute Lungenentzündung und in kurzer Zeit den Tod herbeizuführen. Die interessante Geschichte jener seit langer Zeit viel discutirten Frage hier zu entwickeln, ist um so mehr überllüssie, als dieselbe erst jüngst von anderer Seite in sehr eingehender Weise zusammengestellt 1 Diese Mittheilungen sind z. 7. als „vorläufige“ auf der Naturforscherversamm- lung zu Graz (s. Tageblatt d. Naturf. Vers. in Graz 1875. S. 264) vorgetragen und irrthümlicher Weise dort angegeben worden, dass das motorische Bündel aussen, das sensible innen läge. 224 J. STEINER: worden ist, worauf hier hingewiesen sein möge!. Zur Orientirung des Lesers soll nur kurz der augenblickliche Sachverhalt dargestellt werden. L. Traube? hatte in seiner vortrefflichen Untersuchung dieser Frage gezeigt, dass die Veranlassung zu jener Pneumonie wesentlich gegeben sei durch die mit der Vagussection eintretende Lähmung des Digestionscanales vom Rachen bis zum Magen; in diesem Canal sammeln sich jetzt Mundflüssigkeit und Speisetheile, da sie nicht weiter befördert werden können, an, um schliesslich in das gegen den Rachen hin offene. Nachbarrohr, den Kehlkopf und die Luftröhre überzufliessen, von wo sie sich in die Lungen senken und dort jene pathologischen Veränderungen hervorrufen, die wieder erst von Traube als bronchopneumonische Ent- zündung erkannt und mit dem Namen der „Fremdkörperpneumonie“ be- zeichnet worden sind. Die Gründe, auf denen Traube’s Ansicht fusste, waren folgende: 1) Werden die fremden Körper von den Lungen dadurch abgehalten, dass man die Luftröhre nach oben hin abschliesst, indem man das Thier durch eine Trachealcanüle athmen lässt, so tritt die Pneumonie nicht mehr ein (obgleich das Thier dabei zu Grunde geht). 2) Verhindert man den Eintritt der Fremdkörper in die Lungen, indem man den Oesophagus durchschneidet und ihnen freien Abfluss nach aussen verschafft, so bleibt die Entzündung ebenfalls aus. 3) Lässt sich die Ent- zündung auch ohne Vagusdurchsehneidung hervorrufen, wenn man nach voraufgegangener Trennung der Nn. recurrentes den Oesophagus am Halse unterbindet und so den Fremdkörpern den Weg nach den Lungen anweist und 4) kann man die Pneumonie hervorrufen, wenn man die aus der Oesophagusfistel eines Kaninchens ausfliessenden Massen in die Lungen eines zweiten gesunden Kaninchens injieirt. So einfach und klar diese Versuche sind, und so viele Beistimmung sie auch erfahren haben, wurden doch immer von Neuem Stimmen laut, welche die Gründe für uicht erschöpfend hielten. Diese Opposition fusste nicht sowohl auf bestimmten Versuchen, sondern scheint vielmehr wissenschaftlichen Strömungen ihren Ursprung zu verdanken, wie solche im Gefolge grösserer Entdeckungen mit überfluthender Macht hereinzubrechen pflegen. Etwa um dieselbe Zeit nämlich hatten sich die vasomotorischen Nerven eingeführt und festen Fuss gefasst”. Man vermuthete bald, dass im Vagusstamme vasomotorische Nerven für die Lunge vorhanden wären, I Otto Frey, Die pathologischen Lungenveränderungen nach Lähmung der Nn. vagi. Von der Züricher med. Facultät gekrönte Preisschrift. Leipzig 1877. ” L. Traube, Gesammelte Abhandlungen zur Pathologie und Physiologie. Bd. I. 1871. > Cl. Bernard, Lecons sur la physiologie et la patholoyie du systeme nerveuz. AB ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG DT, 8. W. 225 die bei der Entstehung jener Lungenentzündung betheilist sein müssten. Eine zweite unseren Gegenstand beeinflussende Erscheinung war die etwa zehn Jahre später mit vielem Eifer aufgenommene Frage nach den Ursachen der Panophthalmie, die jedesmal nach der Durchschneidung des ersten Trigeminusastes auftritt.! Die sich anschliessende Discussion brachte eine neue Art von Nerven, die sogenannten trophischen Nerven, zum Vorschein, die freilich niemals festen Fuss fassen konnten, welche aber immerhin der Vermuthung Raum schaffen, dass bei der Entstehung der Pneumonie ein Einfluss solcher Nerven in Frage kommen könnte. Allerdings haben sich spätere Forscher der Traube’schen Ansicht wieder angeschlossen, aber die Beweise, die sie für ihre Auffassung beibrachten, pflegten nicht wesentlich über die von Traube hinauszugehen, da auch die Methoden der Untersuchung keine eigentlich neuen waren. Was jene oben erwähnten vasomotorischen Factoren betrifft, so können solche, um es hier bald zu erledigen, für die Entstehung jener Lungenentzündung gar nicht mehr in Frage kommen, seitdem von L. . Liehtheim ?- nachgewiesen worden ist, dass im Vagus vasomotorische Nerven für die Lunge überhaupt nicht vorhanden sind, so dass von den bisherigen Anschauungen nur der mechanische, oder trophische Einfluss, der vom Vagus auf jenen Vorgang bestimmend wirken könnte, zu be- rücksichtigen wäre. Indem wir zur Mittheilung unserer eigenen Versuche übergehen, mag im Voraus bemerkt werden, dass sich unter denselben eine Anzahl von Versuchen befinden, die nur Wiederholungen schon von Traube u. A. angestellter Versuche sind; dieselben hier mitzutheilen erscheint aber durchaus nothwendig, weil sie in die nach einem bestimmten Plane entworfene Versuchsreihe gehören und zum Vergleich mit den anderen Versuchen herangezogen werden mussten. Sie sollen indess entsprechend kurz mitgetheilt werden. Die gesammten Versuche, die alle an ausge- wachsenen, womöglich alten deutschen Kaninchen im Hochsommer aus- geführt worden sind, zerfallen im Wesentlichen in drei Reihen, nämlich 1) Versuche mit Durchschneidung von motorischen, 2) Versuche mit Durchschneidung von sensiblen Partien des Vagus und 3) Versuche, wo ‘die motorischen und sensiblen Partien in zwei aufeinanderfolgenden Sitzungen, die etwa 24 Stunden von einander abstanden, ausgeführt werden. Die weitere Disposition ergiebt sich aus der Darstellung der Versuche selbst. 1 Vgl. Schiff. Zehrbuch d. Physiologie. Lahr 1858—59. 2 L. Lichtheim. Die Störungen des Lungenkreislaufes und ihr Einfluss auf den Blutdruck. Breslau 1876. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 15 226 J. STEINER: A. Durchschneidung motorischer Fasern des Vagus. Es sind drei Reihen von Versuchen, die hier folgen: sie betrefien 1) die Durchschneidung der beiden Nn. recurrentes, 2) die Durchschnei- dung der motorischen Vagusbündel und 3) die Durchschneidung der Nn. recurrentes mit Unterbindung des Oesophagus am Halse. 1. Durchschneidung beider Nn. recurrentes. Bei fünf Thieren wurden in bekannter Weise die Nn. reeurrentes durchschnitten; durch leichten Zug am centralen Ende, am besten mit dem Zeigefinger und Daumen lässt sich ein grosses Stück des Nerven, nicht selten bis zu seinem Ursprunge herausziehen. Um möglichst einfache Verhältnisse zu haben und da durch Traube bekannt ist, dass der Eintritt allein schon der Mundflüssigkeit in die Lungen genügt, um nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung die Pneumonie entstehen zu machen, wurde den Thieren jede Nahrung bis auf das Wasser entzogen. Von diesen fünf Thieren starben zwei am sechsten und drei am neunten Tage. Da ihr Verhalten bis zum Tode nicht eigentlich von der Norm abgewichen war, so hat man ein Recht anzunehmen, dass diese Thiere den Hungertod .gestorben sind, und zwar nach durchschnittlich acht- tägigem Hungern. Die Section ergiebt in allen Fällen pathologische Veränderungen, die schon häufig von Anderen, namentlich jüngst von C. Friedländer! beschrieben, als katarrhalische Entzündung gedeutet werden, welche, namentlich im Beginn, mit der Pneumonie nach doppelseitiger Vagus- durehschneidung identisch ist. Diese Entzündung erstreckt sich zunächst auf den linken oberen Lappen, der vollkommen hepatisirt ist, oder der Process ist weiter vorgeschritten und hat auch schon den rechten oberen Lappen ergriffen. Im Uebrigen ist der Process scharf begrenzt und lässt die anderen Theile der Lunge vollständig unverändert. Führt man die doppelseitise Recurrensdurchschneidung bei einer weiteren Anzahl von Thieren aus und tödtet unter diesen einzelne vom ersten Tage nach der Operation und so fort an den folgenden Tagen, so kann man die Entwickelung des entzündlichen Processes näher ver- folgen und findet am ersten bis dritten Tage nach der Operation die Lungen häufig normal oder den linken, selbst auch schon den rechten oberen Lappen dunkler roth, als die übrige Lunge, aber noch aufblasbar, 16. Friedländer, Experimentaluntersuchungen über chronische Pneumonie und Lungenschwindsucht. Virchow’s Archiv u. s. w. Bd. 68. 1876. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG T. S. W. DDR etwa im Stadium der Anschoppung. An späteren Tagen sieht man die- selben Stellen schon hepatisirt, um so mehr, je länger das Thier nach der Operation gelebt hat. Wurden die Thiere nach der Nervendurchschneidung gefüttert, so pflesten sie 13—15 Tage nach der Operation unter den Erscheinungen starker Dyspno& zu sterben: die Entzündung in den Lungen hat an Aus- dehnung noch zugenommen. Es kommen aber auch Fälle vor, wo trotz vollständig gleicher Bedingungen Thiere, die man eine ganze Anzahl von Tagen nach der Nervendurchschneidung getödtet hat, vollkommen normale Lungen besitzen. Dieser Befund bildet zwar die Ausnahme, aber es soll hier darauf hingewiesen werden, dass die Mannigfaltigkeit der Resultate ausserordentlich gross ist und dass nur ein reiches Versuchsmaterial zu sicheren Schlüssen führen kann. Die Ursache der Entzündung wird allgemein und ohne Widerspruch in der Mundilüssigkeit oder den Speiseresten gesucht, die in Folge der Lähmung der Stimmbänder des Kehlkopfes und des Oesophagushalstheiles in die Lungen gerathen. 2. Durchschneidung der motorischen Bündel des Vagus auf beiden Seiten. Die isolirte Durchschneidung der motorischen Vagusbündel wurde in der oben S. 220 beschriebenen Weise ausgeführt. Die Prüfung auf die gelungene Operation geschah folgendermaassen: Am Schlitteninduc- torium wurde derjenige Rollenabstand aufgesucht, bei dem man auf Reizung des unversehrten Vagus Herzstillstand oder nahezu Herzstillstand (durch Stethoskop controlirt) und Zusammenziehung des Oesophagushals- theiles beobachtete. Nach geschehener Operation wurde die Reizung wiederholt, wobei der Sicherheit halber die Rollenentfernung häufig noch verringert wurde. Zur Beobachtung der Stimmbänder war es nicht mehr gestattet, die Luftröhre zu eröffnen, da diese Verletzung Kaninchen in der Regel innerhalb 24 Stunden tödtet, sondern es wurden die Stimm- bänder mit Hülfe des Kehlkopfspiegels untersucht, worüber das Nähere in einer demnächst erscheinenden Abhandlung ausführlich mitgetheilt werden soll. Hier genüge zu bemerken, dass man mit dem Kehlkopf- spiegel die Stimmritze auch des Kaninchens auf das Genaueste zu beob- achten vermag. Ohne Controle musste dagegen der Brusttheil des Oeso- phagus bleiben, da derselbe dem Beobachter am unversehrten Thiere vollkommen unerreichbar ist. Aber wenn man aus Erfahrung weiss, dass bei der partiellen Vagusdurchschneidung jedesmal dann, wenn die Fasern zum Herzen, dem Kehlkopf und Oesophagushalstheil durchschnitten sind 15% 228 J. STEINER: auch die zu dem Brusttheil gehörigen Fäden getroffen werden, so kann man wohl des gelungenen Versuches sicher sein. Von den so angestellten Versuchen sollen einige als Beispiele hier angeführt werden. 1 Versuch .15: 5.2.16: Rothes Kaninchen. In 15 Secunden etwa 30 Respirationen. 10!/,® Durchschneidung beider motorischer Vagusbündel, wonach etwa 26 Resp. gezählt werden. Bei der Prüfung ergiebt sich, dass beide Herzvagi, der Oesophagus und die Stimm- bänder ausser Function gesetzt sind. Th Abd. 24 Resp. in 15 Sec. 16. 5. 8'/,® Mrg. 15 Resp. in 15 Sec. angestrengt. 121/,® Mitt. 10 Resp. 1 Todt. Section: Trachea voll blutigen Schaumes; Tagen vielfach dunkel- roth, dazwischen rosa gefärbte Inseln. Linker oberer und der obere Theil des mittleren Lappens derselben Seite vollkommen hepatisirt, ebenso der rechte obere Lappen, aber in viel geringerer Ausdehnung. Im Uebrigen ist die Lunge vollkommen lufthaltig und überall aufhlasbar. IE Versuch, 11.77.26: Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 42 Resp. in 15 Sec. 12% Durchschneidung beider motorischer Vagusbündel; die Durch- schneidung ist vollkommen gelungen. Danach auf dem Tische sitzend 24 Resp. in 15 Sec. 12.04 ,82787Resp. in21arsee: 13.2120 218o.d\6: Section: Linker und theilweise rechter oberer Lappen vollkommen hepatisirt; die übrige Lunge frei. MEsVlersuiche 7704 7.246: Graues Kaninchen. In 15 Sec. etwa 34 Resp. 5" Durehschneidung beider motorischer Vagusbündel mit ml ständigem Krfolge. 8b 22 Resp. 8t 20 Resp. Das Thier befindet sich in den nächsten Tagen ebenso, bis zum 15. 7. 9% 14 Resp. mit grosser Anstrengung. NE ze Todt. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. S. W. 229 Section: Die oberen Hälften beider Lungen sind vollständig hepatisirt. DVesversulch> 7. 67.216. Graues Kaninchen. In 15 Sec. etwa 40 Resp. 5°/," Durchschneidung beider motorischer Vagusbündel mit voll- ständigem Erfolge. 821. 827726 Resp. al Ss 20EResp: 1.7: 3% Wird das Thier getödtet. Bei der sofort angestellten Section findet man die Lungen normal. Diese Versuchsbeispiele, einer grösseren Reihe entnommen, lehren, dass nach der Durchschneidung der motorischen Vagusbündel auf beiden Seiten eine ausgedehnte Lungenentzündung schon nach einem Tage auf- tritt; dass sie aber auch erst nach zwei und selbst mehreren Tagen zur Beobachtung kommen kann. Gegen die erste Versuchsreihe ist hier insofern ein Fortschritt zu verzeichnen, als in jenen Versuchen der Tod immer erst nach vielen Tagen (etwa 8) eingetreten war und die Affection in den Lungen selbst um diese Zeit immerhin keine sehr grosse Aus- dehnung hatte, namentlich sehr bestimmt immer nur auf die Lungen- spitzen beschränkt warf. Wie schon oben bemerkt, so sind auch hier die Versuchsresultate ausserordentlich mannisfach. Der Grund für die Veränderungen in den Lungen ist hier offenbar derselbe wie oben: es handelt sich um die Mundflüssigkeit, welche in Folge der Lähmung des Kehlkopfes und des Oesophagus in die Lunge eintritt. Weil aber die Lähmung des Oesophagus eine vollständigere ist — reicht dieselbe ja bis zum Magen hinunter — so muss auch die Störung in der Fortbewegung der Mundflüssiskeit resp. der Fremdkörper eine grössere und hiermit auch der Eintritt derselben in die Lungen begünstigt sein, so dass davon eine grössere Menge in der gleichen _ Zeit in die Lungen gelangt, als in der ersten Versuchsreihe. 3. Durchschneidung beider Nn. recurrentes und Unter- bindung des Halsoesophagus. Diese Versuche geben bei ihrer Einfachheit jedesmal ein sehr promptes Resultat. 12 Mensulchg 89.04.46: Weisses Kaninchen. 5% Ausführung der angegebenen Operation, wonach sich das Thier vollkommen wohl befindet. 230 J. STEINER: 9.7. 84 Vm. 19 Resp. sehr angestrengt. 6: Nm. Todt. Section: Die Lungen zeigen dasselbe Bild, wie nach totaler doppel- seitiger Vagusdurchschneidung. IV. Versuch“ 192%7.276: Weisses Kaninchen. 12'/,* Ausführung derselben Operation mit darauf folgendem Wohlbefinden des Thieres. 13.7. 12 Todt mit demselben Bilde in den Lungen. INT) Versuch. 12, 7.76. Weisses Kaninchen. 31/,® Dieselbe Operation. 14. 7. 7 M. Todt mit Entzündung der Lungen. Es ist charakteristisch für diese Art des Eingriffes, dass jedesmal nach demselben der Tod innerhalb der nächsten 36 Stunden eintritt und dass man in den Lungen einen ausgedehnten pathologischen Process findet, welcher dem Process nach doppelseitiger totaler Vagusdurchschneidung durchaus gleich ist. Die Erklärung für die Lungenveränderungen liest hier auf der Hand: die Unterbindung des Oesophagus bildet ein absolutes Hinderniss für die Weiterbeförderung der Mundflüssigkeit, die in dieser Strecke des Oeso- phagus sich nach und nach ansammelt, um dann in den Kehlkopf und die Lungen überzufliessen. Den drei Versuchsreihen ist onen. dass man 1) in den Lungen der operirten Thiere prineipiell gleichartige pathologische Veränderungen findet und dass dieselben 2) durch die in die Lungen eintretende Mund- flüssigkeit resp. Fremdkörper hervorgerufen werden; dagegen differiren sie darin, dass 1) die pathologischen Veränderungen in den Lungen in gleicher Zeit nach der Operation sich auf verschiedener Höhe befinden, derart, dass sie am wenigsten in der ersten, mehr in der zweiten und am meisten in der dritten Versuchsreihe vorgeschritten sind, und dass 2) die Bedingungen für den Eintritt von Mundilüssigkeit in der letzten Versuchsreihe am günstigsten, in der mittleren weniger günstig und in der ersten am ungünstigsten erscheinen. Aus diesen Beobachtungen ist man genöthigt zu schliessen, dass die Höhe der pathologischen Verän- derungen, die man nach den oben ausgeführten Operationen in den Lungen auffindet, in directem Verhältniss zu der Menge von Mund- flüssigkeit steht, welche in der gleichen Zeit in die Lungen einzutreten vermocht hat. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG T. S. W. Zoll. Da nun weiter die Erscheinungen nach totaler doppelseitiger Vagus- durchschneidung, wo regelmässig der Tod und ausgedehnte Lungenent- zündung innerhalb 36 Stunden nach der Operation eintritt, vollkommen identisch sind mit denen nach doppelseitiger Recurrensdurchschneidung und Oesophagusunterbindung, so hat man geschlossen, dass auch die Ursachen in beiden Fällen identische sein müssen. Dieser Schluss, welcher seiner Zeit zuerst von Traube gemacht und vön den späteren Autoren wiederholt worden ist, erscheint aber nur zum Theil richtig, anderen- theils aber unrichtig, und zwar deshalb, weil die Versuchsbedingungen in beiden Reihen durchaus nicht die gleichen sind. Nach der Oesophagus- unterbindung nämlich, die etwa in der Mitte des Halses ausgeführt wird, sammelt sich die Mundflüssigkeit in dem Oesophagus oberhalb der Unter- bindungsstelle so lange an, bis ihr Niveau die Höhe des Kehlkopfein- ganges erreicht, in den sie weiterhin überfliesst und in die Lungen gelanst. Bei der doppelseitigen Vagusdurchschneidung aber befindet sich, wie Cl. Bernard! gezeigt hat, das Hinderniss für den Abfluss aus dem Oesophagus wesentlich an der gelähmten Cardia, so dass sich die Mundflüssigkeit im ganzen Oesophagus, beiläufig in einem etwa vier Mal so langen Sacke als nach der Unterbindung des Oesophagus, an- sammelt, um dann ebenfalls in den Kehlkopf einzudringen. Dass dem in der That so ist, geht daraus hervor, dass man fast regelmässig bei der Section eines nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung gestorbenen Kaninchens den ganzen Oesophagus bis zur Cardia hin wurstförmig mit der Mundflüssickeit vollgestopft findet. Die Bedingungen für das Ueber- strömen von Mundflüssigkeit aus der gelähmten Speiseröhre sind also nach der Unterbindung des Oesophagus ungleich viel günstiger, als nach der doppelseitisen Vagusdurchschneidung. Wenn trotzdem. die Resultate dieser beiden Eingriffe die gleichen sind, so muss mit der doppelseitigen Vagusdurchschneidung offenbar ein Factor in den Versuch eingeführt worden sein, durch dessen Einfluss der Boden, auf den die Mundflüssig- keit entzündungserregend wirkt, verwundbarer geworden ist und durch einen geringeren Reiz ebenso stark gereizt wird, wie durch einen grösseren Ansriff, oder jener Factor wirkt derart, dass trotz des gewissermaassen geringeren Hindernisses für den Abfluss der Mundflüssigkeit ihr Eintritt in den Kehlkopf beschleunigt werden muss, oder aber es erscheint eine neue hier noch nicht zu übersehende Thatsache. Diesen neuen Factor in dem sensiblen Theile des Vagus aufzusuchen, haben wir um so mehr Veranlassung, als wir bei den bisherigen Be- trachtungen jenen Theil des Vagus vollkommen vernachlässigt haben. 1 Cl. Bernard, Zegons sur la physiol. et pathol. du syst. nerv. T. 1. 232 J. STEINER: B. Durchschneidung der sensiblen Fasern des Vagus. Es wird bei sechs Kaninchen in der oben angegebenen Weise der sensible Theil des Vagus beiderseitig durchschnitten. Aus diesen mögen folgende Beispiele hier einen Platz finden. Versuch 11. 5. 16. Grosses graues Saninelnaid Auf dem Tische sitzend 54 Resp. in 15 Sec. 11% Durchschneidung beider sensibler Vagi. Herz- und Kehl- kopfnerven sind unversehrt. | Nach der Operation hat das frei auf dem Tische sitzende Thier 14 Resp. in 15 Sec. Der ganze Athemtypus gleicht vollkommen dem nach totaler beiderseitiger Vagusdurch- schneidung. 6% 24 Resp. in 15 Sec. 125.208: so2 0.0 ld, 13:.,5.81,2,.92.. .00,.410,,, 16.9.0102 SON larn, Das Thier wird weiterhin nicht mehr beobachtet, da sein Verhalten durchaus normal erscheint. IR Versuch? 223.25.720. Schwarzes Kaninchen. Auf dem Tische frei sitzend 36 Resp. in 15 Sec. 9% Düurchschneidung beider sensibler Vagi. Herz- und Kehl- kopfnerven unversehrt. Nach der Operation frei auf alkın Tische sitzend 16 Be in 15 Sec. 6!/,® 20 Resp. in 15 Sec. 24.5. 8: 20—22 Resp. in 15 Sec. 25.5. 82 26 Resp. in 15 Sec. 26.497 82. 80000 2219, IT Mersuch.. 32.7000: Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 38 Resp. in 15 Sec. 31/," Durchschneidung beider sensibler Vagusbündel. Die rechts- seitigen motorischen Vagusäste sind in Function. Danach auf dem Tische 25 Resp. in 15 Sec. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. 8. W. 233 Au. 11 24 Resp. in.15 See. DS N 30 2,0, aloe Sal 26 lo, Befindet sich weiter wohl und wird deshalb die Controle aufgegeben. Da wir vollkommen ähnliche Versuche noch einmal zu verzeichnen haben, so mögen diese drei Beispiele hier genügen. Man ersieht aus denselben, dass nach alleiniger Durchschneidung der sensiblen Partie der Vagi auf beiden Seiten 1) Gefahren für Lunge und Leben nicht auf- treten, und dass 2) die gestörte Athemmechanik nach kurzer Zeit wieder zur Norm zurückzukehren vermag. Was diesen letzteren Punkt anbe- trifft, so ist die Zestitutio ad integrum keine so vollständige, wie es nach den mitgetheilten Protocollen den Anschein hat. Denn wenn auch die Athemzahl wieder dieselbe oder nahezu dieselbe geworden ist wie vor der Operation, so bleibt der Mechanismus der Athmung insofern verändert, als eine Unregelmässigkeit zurückbleibt, die darin besteht, dass periodische kurze Unterbrechungen in der Athmung eintreten. Die Athmung geschieht gewissermaassen stossweise, und die oben angegebenen Zahlen bezüglich der Athemzahl in 15 Secunden beziehen sich auf einen solchen Stoss, wonach dieselben zu corrigiren wären. Es ist hier nicht der Ort, nach den Ursachen dieser Erscheinung zu forschen und sollte zur Orientirung nur die Thatsache erwähnt werden. Weiter liegt auf der Hand, dass eine Regeneration der verletzten Nerven nach 24 Stun- den noch nicht erfolgt sein kann; sollte dieselbe aber nach wenigen Tagen eingetreten sein, was unter diesen höchst günstigen Verhältnissen freilich möglich sein könnte, so vermag diese für den besten Fall supponirte Thatsache den Werth unseres Versuchsresultates insofern nicht herab- zusetzen, als es hierbei wesentlich auf die Erscheinungen ankommt, welche in den allerersten Tagen nach der Operation aufgetreten sind. In den eben mitgetheilten Versuchen war die Erfolglosigkeit des experimentellen Eingriffes aus der Thatsache demonstrirt worden, dass die betreffenden Versuchsthiere am Leben geblieben waren. Da aber der Tod nach totaler doppelseitiger Vagusdurchschneidung immer erst die secundäre Erscheinung ist, welcher die Affection in den Lungen vorauf- geht, und diese letztere eigentlich das Punetum saliens des Versuches darstellt, so war es immerhin möglich, dass in jenen Versuchen mit isolirter Durchschneidung der sensiblen Vaguspartien die Lungenaffection wohl aufgetreten war, -ohne aber zum Tode zu führen, theils weil sie nicht umfangreich genug war, theils weil die jedenfalls einige Tage nach der Operation folgende Regeneration der Nerven weiteren Störungen ein Ziel setzte, theils endlich aus anderen uns unbekannten Gründen. 234 J. STEINER: Um hierüber Aufschluss zu erhalten, musste eine neue, der vorigen gleiche Versuchsreihe eingerichtet werden, in welcher aber die Thiere an einzelnen aufeinander folgenden Tagen nach der Operation getödtet und namentlich in Bezug auf ihre Lungen untersucht werden sollten. T. 8. IE DEE I. Versuch, 6° 2.16. Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 38 Resp. in 15 See. 3'/;® Durchschneidung beider sensibler Vagi. Herz- und Kehl- kopffasern erhalten. Nach der Operation auf dem Tische sitzend 14 Resp. in 15 Sec. | 7. 8b V. 20 Resp. in 15 Sec. 12 8reV 207 27 2,71592,,2° Vollständie> wohl! 10% V. Wird das Thier getödtet. Section: Oesophagus leer, Lungen vollkommen normal. II. Versuch. 4.7. 76. Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 36 Resp. in 15 Sec. 5% Durchschneidung beider sensiblen Vagi. Die Herzfasern sind beiderseits unversehrt, Oesophagus- und Kehlkopffasern der rechten Seite lädirt (stört bekanntlich den Versuch nicht). Nach der Operation auf dem Tische 21 Resp. in 15 Sec. 1. 8: 24 Resp. in 15 Sec. es Dr re 1.2: Son 1. Vollkommen wohl. 10% Wird getödtet. Section: ÖOesophagus und Trachea leer, Lungen normal. II. Versuch. 3. 17. 20. Weisses Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 32 Resp. in 15 Sec. 4!/,® Durchschneidung beider sensiblen Vagustheile. Linkerseits sind die Herz-, Kehlkopf- und Oesophagusfasern mitgetroffen, rechts nicht. Danach auf dem Tische sitzend 12 Resp. in 15 Sec. 1. 112 20 Resp. in 15 Sec. BE 2 law m KEN 1a U OR elle 7. Morgens. Befindet sich vollkommen wohl. Wird 9%/," getödtet. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. $. W. 235 Section: Oesophagus vollkommen leer, Trachea frei von Flüssig- keit. Die Lungen sind im Ganzen normal, bis auf einzelne etwa erbsen- grosse dunkelrothe Flecken, von denen sich die grössten im linken und rechten oberen Lappen befinden, doch sind alle diese Stellen vollkommen lufthaltig. Endlich mag hier noch ein Versuch Platz finden, der für die vor- liegende Versuchsreihe nicht gerade als sehr gelungen betrachtet werden kann, der aber dadurch sehr lehrreich ist, dass man aus demselben er- fährt, in wie weit die Integrität der Herzvagi in diesen Versuchen eine Rolle spielt. IV. Versuch. 3.7. 76. Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 32 Resp. in 15 Sec. 51/,® Durchschneidung beider sensiblen Vagi. Beide Herzvagi sind mit durchschnitten, ebenso die Fasern für Kehlkopf und Oesophagus auf der rechten Seite, die linke Seite ist unversehrt. Danach auf dem Tische 17 Resp. in 15 Sec. AL EREIVD 29°Resp. in. 15: Sec. LED. el, GE TEROEAV 20:0: 2:18, 8.7. 9: V. Befindet sich vollkommen wohl. Wird 91/,% getödtet. Section: Derselbe Befund wie in Versuch II. Aus der eben mitgetheilten Versuchsreihe geht offenbar hervor, dass die Durchschneidung der sensiblen Vagustheile allein jenen zweiten Factor nicht liefert, den wir oben vorausgesetzt und in diesen Versuchen zu finden gehofft haben. Dies beweist indess durchaus noch nicht, dass die Läsion der sensiblen Vagustheile bei der totalen doppelseitigen Vagus- durchschneidung für die Entstehung jener Lungenaffeetion vollkommen irrelevant wäre, denn wir wissen jetzt nur, dass sie bedeutungslos sind, wenn die übrigen Apparate normal functioniren; wir wissen aber noch nicht, welchen Einfluss sie ausüben, wenn vor ihrer Zerstörung oder gleichzeitig mit ihnen die motorischen Vagusfasern gelähmt werden. Um diese Möglichkeit zu prüfen, wird es daher nothwendig sein, jene Störungen in zwei von einander zeitlich getrennten Sitzungen an dem- selben Thiere anzubringen. . Aus dem Versuch IV ist endlich noch zu schliessen, dass die Läh- mung der Herzyagi auf beiden Seiten gar keinen Einfluss auf die frag- lichen Verhältnisse ausübt. 236 J. STEINER: C. Durchschneidung von sensiblen und motorischen Vagustheilen in zwei Sitzungen. Die folgenden Versuche wurden so angestellt, dass zu einer bestimmten Zeit die beiderseitigen sensiblen Vagustheile durchschnitten wurden; auf diese Operation folgte nach 24 Stunden eine zweite, die darin bestand, dass die Nn. recurrentes auf beiden Seiten durchschnitten und möglichst bis zu ihrem Ursprunge herausgerissen wurden. Tovziersuch. 5.227276: Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 34 Resp. in 15 Sec. 6% Durchschneidung beider sensiblen Vagi. Die motorischens Herz-, Kehlkopf- und Oesophagus-Fasern sind beiderseit unversehrt. Danach auf dem Tische 16 Resp. in 15 Sec. 6.7. 102 20 Resp. in715 Sec. 5% Nachm. Durchschneidung beider Nn. recurrentes. 7.7. 8% Vorm. 11 Resp. in 15 Sec. mit grosser Anstrengung. 7 1Vordit: Section: Oesophagus mit Flüssigkeit gefüllt, Trachea enthält reich- lich schaumige Flüssigkeit. In den Lungen findet man vollständig das- selbe Bild, wie nach totaler doppelseitiger Vagusdurchschneidung. IE Versuch, 6.7.06. Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 36 Resp. in 15 Sec. 11!/,® Durehschneidung beider sensiblen Vagi. Die motorischen Fasern auf der linken Seite sind mit durchschnitten, rechts sind sie unversehrt. Danach auf dem Tische 16 Resp. in 15 Sec. 7.7. 10& 24 Resp. in 15 Sec. 10°/,® Durchsehneidung beider Nn. recurrentes. 3°2/,® 12 Resp. in 15 Sec. Saal Sn Te li een J ” ” 15 „ 920. Morgens Lodt. Section: Leiche noch nicht todtenstarr. Im Oesophagus etwas Flüssigkeit, die Trachea voller Schaum. Die Lungen befinden sich in demselben Zustande, wie nach totaler doppelseitiger Vagusdurch- schneidung. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. $. W. Dan. I, Yoreman, 0 erde, Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 32 Resp. in 15 Sec. Nach Durchschneidung beider sensiblen Vagi 10°/,® auf dem Tische sitzend 14 Resp. in 15 Sec. Linker Herzvagus wirksam (der rechte war schon vor der Operation unwirksam), linkes Stimmband intact, rechtes gelähmt, gleiches Verhalten im Oesophagus. 12,7%. 92° 18 Reg) 5 DE® 12% Durchschneidung beider Nn. recurrentes. ae resp. In 152 Sec. 14.7. 7% Todt. Vollkommen todtenstarr. Section: Der gleiche Befund wie in den vorigen Versuchen. Ist dagegen die Athemfrequenz nach der Durchschneidung der sen- siblen Vagi nicht tief genug gesunken, so dass sich dieselbe bald wieder zu bedeutender Frequenz erhebt, so bleibt der Versuch ohne Erfolg, wie das in dem folgenden Beispiel zu sehen ist. IVerN\Zersuche 0008.06: Graues Kaninchen. Auf dem Tische sitzend 54 Resp. in 15 See. 11% Durchschneidung beider sensiblen Vagi. Die motorischen Fasern sind alle erhalten. Danach auf dem Tische 23 Resp. in 15 Sec. 032 Resp. in. 15, Sec. 11% Durchschneidung beider Nn. recurrentes. 3°/," 34 Resp. in 15 Sec. SeasE 20 0.1, , AN ee a a Hier bricht das Protocoll ab, denn die weitere Beobachtung war ohne Interesse, da der Tod zwei Tage nach der zweiten Operation nicht eingetreten war. Die drei vorderen Versuche der letzten Reihe zeigen deutlich, dass die Läsion der sensiblen Vagi zwar allein ohne Bedeutung ist, dagegen im Verein mit der gleichzeitigen Lähmung von motorischen Fasern des -Vagus Erscheinungen hervorruft, wie wir sie in gleicher Weise bei der totalen doppelseitigen Vagusdurchschneidung gesehen haben. Wenn den sensiblen Vagustheilen eine solche Bedeutung wirklich zukommt, so muss der Versuch offenbar auch in umgekehrter Reihen- folge gelingen, indem man erst die Nn. recurrentes lähmt und nach 238 J. STEINER: 24 Stunden in einer zweiten Sitzung die Durchschneidung der sensiblen Vaguspartien folgen lässt. Die nächsten Versuche wurden so angestellt, dass bei Thieren, denen zu gewisser Zeit die beiderseitigen Nn. recurrentes durchschnitten worden waren, einige Tage nachher auch die sensiblen Vaguspartien beider Seiten selähmt wurden. I. Versuch. 28. 6. 76. Graues Kaninchen. . 51/,® Durchsehneidung beider Nn. recurrentes. Das Thier be- findet sich vollkommen wohl und futtert sehr reichlich. 108 Auf dem Tische sitzend 34 Resp. in 15 Sec. 10% Durchschneidung beider sensiblen Vaei. Danach auf dem Tische 18 Resp. in 15 Sec. 11. 7. 10% V. 11 Resp. in 15 Sec. sehr angestrengt. 38 M. Todt. Section: Trachea und Oesophagus mit Flüssigkeit erfüllt. Lungen ganz dunkelroth, obere Lappen vollkommen hepatisirt. Man unterscheidet ganz deutlich die ältere Affeetion der Lungen, welche als Folge der Lähmung der Nn. recurrentes nach und nach sich entwickelt hatte und die ein weisslich-graues Aussehen besitzt, von der folgenden acuten Entzündung, die sich auf die erste gepflanzt hat. IM Versuch. 1,0216: Graues Kaninchen. 5 8h M. Durchschneidung beider Nn. recurrentes. 105 7: Auf dem Tische sitzend 46 Resp. in 15 Sec. 12!/,® Durchschneidung beider sensiblen Vagi. | Danach auf dem Tische 12 Resp. in 15 Sec. 11. 7. 10V. 18 Resp. in 15 See. 122 0 aM Tkordit: Section: Der gleiche Befund wie in Versuch I, auch hier ist sehr deutlich zu unterscheiden, wie die neue Entzündung sich auf die alte gepfropft hat. Jetzt ist endlich eingetreten, was wir oben vermuthet haben: die sensiblen Fasern im Vagus spielen beim Zustandekommen jener Lungenaffection nach totaler doppelseitiger Vagusdurchschneidung eine sanz bestimmte Rolle; allerdings nur dann, wenn gewisse Voraussetzungen zutreffen, nämlich wenn Bewegungsstörungen im Oesophagus vorhanden sind, die ja bei jener totalen Durchschneidung der Vagi niemals fehlen. Ohne Einfluss auf einen etwaigen pathologischen Process in den ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. S. W. 239 Lungen sind die sensiblen Vagustheile dagegen, wenn sie allein gelähmt werden. Nachdem dies festgestellt ist, kommen wir zu der schwierigen Frage, worin dieser Einfluss jener Vagusfasern wohl bestehen könne. Von den zwei möglichen Einflüssen, die wir schon oben in’s Auge gefasst haben, scheint uns nur der eine zulässig, dass auf Grund der Lähmung der sensiblen Vagusfasern bei gleichzeitiger Störung in der Bewegung des Oesophagus die Verhältnisse sich so gestalten, dass jetzt mehr Mund- flüssigkeit u. dergl. in der Zeiteinheit in die Lungen gelangen kann, als wenn die sensiblen Fasern nicht gelähmt sind, und zwar durch die starke Aspiration, welche bei den tiefen Athemzügen von Seiten der Lungen auf den Inhalt des Rachens ausgeübt wird, dessen Fortbewegung in Folge der gleichzeitigen Lähmung der motorischen Vagusfasern nur unregelmässig vor sich sehen kann. Sind dagegen die motorischen Fasern im Vagus nicht gelähmt und besitzt der Oesophagus seine normale Bewegungsfähiskeit, so wird die in die Mundhöhle abgesonderte Flüssigkeit regelmässig und immer so schnell nach den unteren Abtheilungen des Digestionsrohres abgeführt, dass jene aspirirende Kraft gewissermaassen nichts zur Aspiration vor- findet. e Die weitere Frage, welcher Bestandtheil der Mundflüssigkeit eigent- lich der Endzündungserreger ist, haben wir hier nicht zu beantworten ver- sucht, obgleich sie durch die neulich von ©. Frey gemachte Beobachtung, dass grüner, zerkleinerter Kohl, in die Lungen gebracht, keine Entzün- dung hervorruft, erst recht an Interesse gewonnen hat. ! Um Missverständnissen vorzubeugen, möge bemerkt werden, dass alle hier aufgeführten Versuche und Betrachtungen, soweit sie direct auf die zu untersuchende Aufgabe Bezug haben, nur für die ersten Tage nach der Operation gelten, da unter den höchst günstigen Regenerations- bedingungen, wie sie thatsächlich bei partieller Nervendurchschneidung vorhanden sein müssen, später der Nerv jedesmal wieder regenerirt ist; so z. B. können wir nach einer isolirten Durchschneidung der sensiblen Vagusfasern, die ja keine neuen Erscheinungen hervorrufen, nichts darüber aussagen, wie sich das Thier S oder 14 Tage nach der Operation ver- hält, da nach 3—5 Tagen die Regeneration sicher schon erfolgt ist. Man musste jetzt daran denken, den Einfluss jener Aspiration nach der doppelseitisen Durchschneidung beider Vagi direct nachzuweisen,‘ indem man durch abwechselnde Reizung bald des einen, bald des anderen 1S0SREey; 3.2.02 8.159: 240 J. STEINER: centralen Vagusendes die tief gesunkene Athemzahl für circa 24 Stunden wieder auf ihre normale oder annähernd normale Höhe erhebt. Wir haben nicht wenig Mühe auf eine solche Versuchsreihe verwendet, aber man scheitert an technischen Schwierigkeiten, deren Zahl sich noch ver- grösserte, als wir eine neue sehr interessante Beobachtung gemacht hatten, die im nächsten Abschnitt ausführlich dargelegt werden soll. Unter solchen Umständen mussten wir auf einen directen Nachweis verzichten und mit jenem indirecten Beweise, wie er sich aus den zahl- reichen Versuchen dargeboten hatte, uns zufrieden geben. Die Erklärung für die nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung entstehende Lungenaifection würde sich nun folgendermaassen gestalten: Indem die motorischen Fasern des Vagus,. namentlich die für den Oeso- phagus und für die inneren Muskeln des Kehlkopfes durchschnitten werden, sind durch die Lähmung dieser Organe Bedingungen gegeben, welche die Fortbewegung des Inhaltes des Digestionsrohres erschweren oder selbst unmöglich machen und den Eintritt jener Massen aus dem Digestionsapparat in den Kehlkopf bez. den Respirationsapparat veran- lassen (L. Traube). Wenn ferner gleichzeitig auch die sensiblen Fasern des Vagus, d. h. diejenigen Fasern durchschnitten werden, in deren Bahn die Anregungen zu den Athembewegungen von der Peripherie (Lungen) zu dem Centrum (Athemcentrum) geleitet werden, wonach die Athemzahl bedeutend sinkt und der negative Druck während jeder Inspiration eine ungewöhnliche Grösse erreicht hat, so übt der Respirationsapparat eine starke Aspiration auf den oberen, mit ihm fest verbundenen Theil des Digestionsapparates aus und saugt die in dem letzteren vorhandene Flüssigkeit ein, so dass jetzt die in den Respirationsapparat eintretende Flüssigkeitsmenge eine bedeutendere sein muss, als vorher. Diese. reiche Menge von Flüssigkeit, welche aus dem Digestionsapparat in die Lungen eintritt, erzeugt eine Lungenaflection, die fast ausnahmslos in etwa 30 Stunden den Tod des Thieres (Kaninchen) herbeiführt. ! Man könnte aber auch daran denken, in jenen sensiblen Vagusfasern einen trophischen Einfluss zu suchen und sich hierbei auf die Thatsache stützen, dass die so acut zum Tode führende Pneumonie doch immer nur aufträte, wenn eben auch gleichzeitig jene sensiblen Vagusfasern durchschnitten sind. An und für sich lässt sich gegen die Möglichkeit 1 Diese Ansicht ist kurz auf der Naturforscherversammlung zu Hamburg (Tageblatt der Naturforscherversammlung zu Hamburg 1876. 8. 125) vorgetragen worden. In der bald danach veröffentlichten, oben eitirten Arbeit von C. Fried- länder ist die Aspiration der Lungen ebenfalls als ein wesentlicher Factor für die Entstehung jener Pneumonie angesprochen worden. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. S. W. 241 von dem Vorhandensein trophischer Nerven nichts einwenden; hier aber kann man mit aller Sicherheit ein Eingreifen solcher Nerven ausschliessen. Denn 1) ruft die alleinige Durchschneidung dieser hypothetischen Nerven- fasern (isolirte Durchschneidung der sensiblen Vagusfasern) keine Hr- nährungsstörung oder sonstige pathologische Erscheinung in den Lungen. hervor; und 2) kann man jene bekannte Affection der Lungen erzeugen, ohne diese Fasern auch nur berührt.zu haben, wenn man, wie Traube es zuerst gelehrt hat, die Durchschneidung der Nn. recurrentes mit der Unterbindung des Halsoesophagus combinirt. Es bliebe demnach nur übrig den trophischen Fasern neue, uns vorläufig noch unbekannte Qualitäten zuzuschreiben und auf diese würde sich dann die Hypothese von den trophischen Fasern aufbauen müssen. Wie werthlos solche Hypothese wäre, liest auf der Hand. Wir haben bisher an mehreren Stellen den Tod nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung, als durch die Lungenaffeetion veranlasst, ange- nommen und darauf sogar Schlüsse basirt; diese Annahme aber bedarf noch des Beweises, den wir auch im letzten Abschnitte dieses Aufsatzes liefern werden. Inzwischen möchten wir den Leser bitten, jene Voraus- setzung mit allen Consequenzen hinnehmen zu wollen. Endlich sei hier noch erwähnt, dass im Laufe der Discussion die ursprüngliche Fragestellung sich um ein Stück verschoben hat. Nach den klaren und vortrefflichen Untersuchungen von L. Traube schien es uns ein überflüssiges Unternehmen, jenen Beweis nochmals führen zu wollen, dass der Eintritt von Mundflüssigkeit das wesentliche Postulat für das Zustandekommen der Lungenaffection nach doppelseitiger Vagusdurch- schneidung bildet. Unsere Aufgabe konnte es nur noch sein, die näheren dabei obwaltenden Umstände zu eruiren, insbesondere zu untersuchen, ob und inwiefern die sensiblen Vagusfasern bei jenem Vorgange bethei- list sein können. Wie weit uns das geglückt ist, mag der Leser selbst entscheiden. Ill. Eine neue Methode den Eintritt der Lungenaffeetion nach doppelseitiger Vagusdurchsehneidung zu verhüten. In voller Consequenz seiner Versuche hatte L. Traube den Eintritt . der Lungenaffection nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung im Wesent- lichen dadurch zu verhindern gewusst, dass er 1) in die Luftröhre des operirten Thieres eine einfache Luftröhrencanüle einlegte, die einerseits den Luftzutritt zu den Lungen vermittelte, andererseits aber verhinderte, dass der Inhalt des Digestionscanales in die Lungen gelangen konnte; und dass er 2) die Speiseröhre am Halse durchschnitt, wodurch dem Archiv f. A.u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 16 242 J. STEINER: Inhalte derselben ungehinderter Abfluss nach aussen geschaffen worden war. In beiden Fällen blieb, wie bestimmt zu erwarten stand, die Affee- tion in den Lungen aus; aber unerwarteter Weise pflesten die Thiere in einer Zeit zu sterben, die nicht länger war, als wenn der Eintritt der Pneumonie nicht verhindert worden wäre. Aus weiterhin zu erörternden Gründen erschien es uns wünschens- werth, eine neue Methode auszudenken, durch die es möglich wäre, den Eintritt der Lungenaffection hintanzuhalten. Eine solche konnte immer nur darauf basiren, die Mundflüssiskeit von den Lungen auszu- schliessen. Ein neuer Weg dafür war der, die Mundflüssiskeit durch Nase und Mund nach aussen abfliessen zu lassen. Dies geschieht am einfachsten dadurch, dass man das operirte Thier auf den Kopf stellt. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass man zur Erreichung unseres Zweckes gar nicht dieser äussersten, rein verticalen Stellung bedarf, sondern dass es schon genügen müsse, eine irgend wie gegen die Hori- zontale geneigte Stellung zu benützen. Dies ist in der That der Fall. Aber weiteres Experimentiren ergab bald, dass selbst bei einer horizon- talen Lagerung des Thieres auf dem Rücken, die Pneumonie nach der doppelseitigen Section der Vagi nicht eintritt. Von den vielen Versuchen mögen die folgenden zwei hier aufgenommen werden. I Versuch. 20.8 76: Ein grosses Kaninchen wird in der bekannten Weise mit Hülfe des Czermak’schen Halters auf dem Kaninchenbrett befestigt. 10°/,® werden beide Vagi am Halse total durchschnitten. Die nur geringfügige Wunde wird vernäht und das Thier bis auf den Kopf in Watte eingepackt, um es vor starker Abkühlung zu schützen. Im Uebrigen bleibt es in dieser Rückenlage liegen. 10" 52 M. 18 Resp. in 15 Sec. Temp. 39° C. ea BE ll, 12%, l0000 00 50. lose 21208: 482.305, 1020,00, 00 ae DIESHNSE 0 E ESLON N DRS SH 2302LE: ZB ER se: 9b — ,„, Todt. NbB. Hat also die Operation fast um drei Tage überlebt. Section: Trachea leer, Lungen vollkommen normal, bis auf eine erbsengrosse Stelle im rechten oberen Lappen, die röther als die übrige Lunge, aber vollkommen lufthaltig ist. ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. S. w. 243 II. Versuch. 18. 8. 76, Dieselbe Anordnung wie in dem vorigen Versuch. 38 Durchsehneidung beider Vagi. Thier bleibt in Rückenlage gefesselt. 21. 8. 9 — M. 7 Resp. in 15 Sec. Temp. 37-50 C. DOMSI 8 urch5 ID: 36.5 3b — „ lebt noch. 5b — ,„ Todt. NB. Hat also die Operation um vier Tage und zwei Stunden überlebt. Section: Trachea leer, Lungen normal bis auf einen kleinen Theil des rechten oberen Lappens und der Spitze der unteren Lappen, deren Farbe etwas dunkler roth ist. Wir haben damit thatsächlich eine neue Methode gewonnen, um den Eintritt der Pneumonie zu hindern, die der Traube’schen Methode dadurch überlegen ist, dass zu der ersten Operation kein neuer Eingriff mehr hinzukommt, der den Versuch irgendwie complicirt. Dass die Mundflüssiskeit in der That nach aussen und zwar nament- lich durch die Nasenlöcher abfliesst, kann man direct daran sehen, dass sich auf der Unterlage, auf der das Kaninchenbrett steht, nach etwa 24 Stunden zu beiden Seiten des Kopfes gerade unterhalb der äusseren Mündung der Nasenlöcher zwei kleine Lachen von Flüssigkeit gesammelt haben, deren Ursprung aus den Nasenlöchern häufig durch einen viskösen Faden unschwer nachzuweisen ist. In dieser Methode liest auch die eben erwähnte Schwierigkeit, durch Reizung der centralen Vagusstümpfe und die damit verbundene Erhöhung der gesunkenen Athemfrequenz den direeten Beweis zu führen, dass die Aspirationskraft des Thorax jene Rolle bei dem Zustandekommen der Lungenaffeetion zu spielen vermag. Denn da die Rückenlage an sich schon die Pneumonie verhütet, so muss die Reizung in der natürlichen Stellung des Thieres vorgenommen werden, wodurch eben zu den schon vorhandenen Schwierigkeiten noch neue hinzukommen. Aber die Dinge liegen noch ungünstiger, denn sollte wirklich von vielen vergeblichen Versuchen doch einer gelungen sein, so beweist er trotz alledem noch nichts. So viel uns nämlich bekannt, hatte man den Eintritt der Lungen- entzündung 24 Stunden nach der Operation für einen unfehlbaren Ver- such gehalten. Unter den vielen Thieren aber, die wir operirt haben, ist es in höchst unangenehmer Weise vorgekommen, dass zwei Mal bei Thieren, die frei umherliefen und nach 24 Stunden getödtet wurden, die Lungen durchaus gesund und normal waren. 16* 244 J. STEINER: Die Ursachen für diese Ausnahmen sind wir anzugeben um so. weniger im Stande, als wir nach denselben nicht geforscht haben, um uns nicht zu weit von unserer Hauptfrage zu entfernen. IV. Die Ursache des Todes nach doppelseitiger totaler Vagus- durchschneidung am Halse. Wie bekannt, pflegen die Thiere (Kaninchen), denen man beide Vagi am Halse durchschnitten hat, nach 24—40 Stunden, häufig auch noch früher, kaum je später, unter den Erscheinungen schwerer Athem- störungen zu sterben. Bei der Section findet man die vielbesprochene Affection in den Lungen, anderweitige Störungen sind nicht entdeckt worden. War es die Beschäftigung mit der Eruirung der Ursachen jener Lungenaffeetion oder irgend ein anderer Grund, über die Ursache des Todes naclr der doppelseitigen Vagussection wurde kaum jemals discutirt. In der Sitzung der Berliner physiologischen Gesellschaft vom 14. Juli 1876, in der die ersten Mittheilungen über die hier niedergelesten Ver- suche gemacht wurden, war auch die Frage nach der Todesursache herangezogen und von mir dahin beanwortet worden, dass es allein die acut eintretende Lungenaffection sei, die den jähen Tod herbeiführe. Im Verlaufe der Discussion musste ich mich mit dieser Ansicht aber zurück- ziehen, gegenüber der bekannten Erfahrung, dass. die Thiere auch dann sterben, wenn man den Eintritt der Lungenaffeetion durch Einlegen einer Trachealcanüle verhütet. Meine Replik, dass das Einlegen einer solchen Canüle eine neue Complieation schaffe, deren Einfluss zwar nicht ganz zu übersehen, aber nach den allgemeinen Erfahrungen keinesfalls unbedeutend sein kann, wurde als nicht ausreichend zurückgewiesen. Mittlerweile haben sich die Dinge aber geändert: Heut stehen wir auf festerem Boden und können wiederholen, dass der rasche Tod nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung durch die auf jene Operation fol- gende Lungenaffection herbeigeführt wird. Denn da die Thiere nach dieser Operation in etwa 30 Stunden sterben, aber vier Tage lang leben . können, wenn man durch Festhalten der Rückenlage die Lungenaffec- tion verhütet, so kann es nur jener ausgeschaltete Factor, die Lungen- alfeetion, sein, welche den raschen Tod bedingt. Die Beantwortung der Frage, weshalb das Thier trotz Canüle und ohne Lungenaflection bei alledem stirbt, muss ich ablehnen, denn von den beiden Versuchen ist der unsrige der weniger complieirte. Für die Betrachtung des Traube’- schen Versuches kommen folgende Factoren in Rechnung: 1) Durch- schneidung beider Vagi, 2) Trachealeanüle und 3) Lungenaflection; für £ ÜBER PARTIELLE NERVENDURCHSCHNEIDUNG U. S. W. 245 unseren Versuch nur 1) Durchschneidung beider Vagi und 2) Lungen- affection. Nach allen Regeln experimenteller Methodik entscheidet aus- schliesslich der weniger complieirte Versuch. Es wäre eine neue Auf- - gabe, zu untersuchen, welchen Einfluss die Anlage einer Trachealfistel im Allgemeinen und speciell in dem vorliegenden Falle ausübt. Dass in unserem Versuche die Rückenlage Postulat ist, erscheint deshalb als ‘keine neue Complication, weil man auch den Traube’schen Versuch mit Rückenlage ausführen kann, ohne dass das Resultat geändert wird. Endlich könnte man gegen unsere Erklärung des Todes noch geltend machen, dass wohl die Lungenaffection die Ursache ist, aber nur dann, wenn sie in den Lungen eines Thieres entsteht, dem vorher beide Vagi durchschnitten waren. Die Berechtigung dieses Einwandes muss durchaus zugegeben werden, aber wir sind angenehmer Weise in der Lage, denselben bald entkräften zu können. Und zwar wieder mit Hülfe jenes von Traube angegebenen Versuches, in welchem nach Unter- bindung des Oesophagus dieselbe Lungenafieetion eintritt, wie nach der doppelseitigen Vagusdurchschneidung und das Thier ebenfalls innerhalb etwa 30—40 Stunden stirbt. Wenn die Lungenaffection in dem letzteren Falle allein ausreicht, um jedesmal in kürzester Zeit zum Tode zu führen, so ist es offenbar auch in jenem anderen Falle, wo der Tod in derselben Zeit unter denselben Erscheinungen auftritt und die Lungenaffection sanz denselben Charakter hat, allein diese Lungenaflfection, welche den Tod verursacht. Wir gestehen, dass die Antwort, die wir auf unsere Frage erhalten haben, wenig interessant ist; interessanter wäre sie gewesen, wenn wir aus ihr hätten erfahren können, ob ein Thier (Kaninchen) ohne beide Vagi fortleben kann oder nicht. Aus der Thatsache, dass unsere Thiere nur etwa vier Tage ohne beide Vagi haben leben können, folgt noch nicht die Unmöglichkeit, dass sie länger hätten leben können. Denn die kückenlage und die Ruhestellung sämmtlicher Muskeln ist an sich schon eine Todesursache,! die wir in unserem Versuche durch Wattenpackung zu umgehen versucht haben. Doch bleibt es zweifelhaft, ob dies trotz Watte auf die Dauer möglich ist, denn auch in unseren Versuchen ist Sinken der Körpertemperatur eingetreten. . Die Beantwortung dieser sehr interessanten Frage reicht zur Zeit ‘über unsere Mittel. l A. Adamkiewiez, Studien über thierische Wärme. Dies Archiv, 1875— 76. Untersuchungen über die Diathermansie der Augenmedien. Von Dr. Ferd. Klug, a. ö. Professor in Budapest. Aus dem physiologischen Institut zu Budapest. $s1. Bezüglich der Frage, warum wir die dunklen Wärmestrahlen und die ultravioletten Strahlen des Sonnenlichtes nicht sehen, ist, wie bekannt, nur der Grund möglich, dass diese Strahlen entweder die brechenden Augenmedien nicht durchdringen, oder dass, wenn sie die Netzhaut er- reichen, sie dieselbe nicht erregen können. Die ultravioletten Strahlen betreffend, zeigten Stokes und Helm- holtz,! dass diese sichtbar sind, Versuche von Donders? bewiesen auch, „dass, wenn nicht alle, so doch die meisten Strahlen von höherer Brechbarkeit, als das Violett, die Stäbchenlage der Retina erreichen.“ Allein bezüglich der dunklen Wärmestrahlen, schliesst Brücke? aus seinen Versuchen, dass man sich jeder Hypothese, welche den Grund der Unsichtbarkeit dunkler Wärmestrahlen in der Nervenhaut. sucht, füglich entschlagen kann, da Strahlen von grösserer Wellenlänge, als die des äusseren Roth, zur Netzhaut nicht gelangen. Brücke machte seine Versuche mit dem Thermomultiplieator. Als leuchtende Wärmequelle diente eine Oellampe, welche, mit einem Eisen- blecheylinder umgeben, auch als dunkle Wärmequelle gebraucht werden 1 Poggendorff’s Annalen u..s. w. Bd. 94. S.1. u. 205. 2 Müller’s Archiv u. s. w. 1853. 8. 459. 3 Müller’s Archiv u. s. w. 1845. S. 262. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. 247 konnte. Die Strahlen wurden von der Wärmequelle durch einen Metall- schirm abgehalten, bis der bezüglich seiner Diathermansie zu unter- suchende Körper zwischen die Thermokette und Wärmequelle eingeschaltet war. Wurde also die Hornhaut oder die Augenlinse eingestellt, so konnte, nach dem Entfernen des Metallschirmes, beobachtet werden, ob die Nadel aus ihrer Ruhelage abgelenkt wird oder nicht. Es gingen nun bei Brücke’s Untersuchungen durch die Hornhaut des Ochsen keine Strahlen von der dunklen Wärmequelle; von der leuch- tenden so viel, dass die Multiplicatornadel S—9° abgelenkt wurde. War die Hornhaut nicht dazwischen gestellt, dann wich die Nadel um 45—50° ab. Die Strahlen der dunklen Wärmequelle zeigten auch durch die Augenlinse keine Wirkung auf die Multiplicatornadel, während hin- durch gesendete Strahlen der leuchtenden Oellampe dieselbe noch um 15° ablenkten. Durch Linse und Hornhaut zugleich dringen auch die Strahlen der leuchtenden Wärmequelle nicht. Brücke stellte auch den Vergleich an, wie sich die Absorption der Hornhaut und der Linse zu der des Wassers verhält. Er ersetzte die Linse durch eine Wasserschicht von 18""” Dicke, eingeschlossen zwischen Glimmerplatten, die Hornhaut durch einen Kalkspathkrystall von 3-7" Dicke, wobei er, bei gleicher Intensität der Wärme wie bei den obigen Versuchen, noch immer eine Ablenkung von 2° erhielt. Demnach sind Hornhaut und Linse bessere Absorbenten, als Wasser und Kalk- spath. Dieser Unterschied erscheint noch auffallender, wenn wir erwägen, dass der Kalkspathkrystall und die Wasserschicht bedeutend dicker waren, als Hornhaut und Linse. Wie bekannt, nimmt nämlich die Menge der durch irgend einen Körper gegangenen Wärmestrahlen mit dessen Dicke ab. So hält z.B. das Wasser nach Tyndall bei einer Dicke von 0-02 Zoll von 100 Strahlen 80.7, bei einer Dicke von 0:27 Zoll aber schon 91-0 zurück. Wäre die Methode, nach welcher Brücke den Gang der dunklen Wärmestrahlen durch die Augenmedien untersuchte, gut gewählt, dann würden seine Versuche in der That beweisen, dass die dunklen Wärme- strahlen die Netzhaut nicht erreichen. Die leuchtende Oellampe und das erwärmte Eisenblech senden aber wesentlich verschiedene dunkle Strahlen aus; wenn demnach die Strahlen der dunklen Wärmequelle die brechenden Augenmedien auch nicht durchdringen, so beweist dies noch nicht, dass diese für alle dunklen Wärmestrahlen undurchdringlich sind. Die Richtigkeit dieser Bemerkung ersehen wir aus Folgendem: Masson und Jamin! theilten den dunklen Theil des Specetrums ! A. Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik. Ausg. 3. Bd. 3. 8. 161. 248 FERD. Krug: in 7 gleiche Theile. Den am wenigsten brechbaren Theil bezeichneten sie mit O,, während der dem Roth angrenzende Theil des dunklen Spectrums der Marke O, entspricht. Aus den betreifenden Untersuchungen folst, dass ein auf 100° ©. erwärmter Leslie’scher Würfel bloss solche Strahlen aussendet, deren Brechbarkeit von O, bis 0, reicht, eine er- wärmte Blechplatte solche, die sich bis 0, erstrecken; 0, und 0, ent- sprechende Strahlen fehlen demnach auch hier. Nur leuchtende Wärme- quellen geben neben weniger brechbaren Wärmestrahlen auch brech- barere, welche dem Roth des Spectrums um so näher sind, die weniger brechbaren Wärmestrahlen des Spectrums an Intensität um so mehr übertreffen, eine je höhere Temperatur die Wärmequelle selbst besitzt. Glas, Wasser und, wie wir sehen werden, auch die Augenmedien, lassen einen beträchtlichen Theil der dem Roth nahe gelegenen dunklen Wärmestrahlen durch, während sie die weniger brechbaren Strahlen von 0, bis 0, vollkommen zurückhalten. Wie reich überhaupt unsere leuchtenden Wärmequellen an dunklen Wärmestrahlen sind, davon können wir uns auf eine einfache Weise überzeugen: Tyndall! fand nämlich in dem Schwefelkohlenstoff einen Körper, welcher sowohl die dunklen als auch die leuchtenden Strahlen sehr gut durchlässt. Wird nun dieser Schwefelkohlenstoff mit Jod ge- färbt, dann ist er vollkommen undurchsichtig, bleibt aber noch dia- therman. Wenn wir daher die Strahlen einer leuchtenden Wärmequelle einmal durch reinen Schwefelkohlenstoff, ein zweitesmal durch mit Jod gefärbten durchleiten, dann wird die Differenz der in beiden Fällen durchgegangenen Wärmemengen die Wärmewirkung der leuchtenden Strahlen geben. Nach Versuchen, welche Tyndall mit dem elektrischen Licht ge- macht hat, ist !/,, der von dieser starken Lichtquelle ausgesandten Strahlen leuchtend, die übrigen °/,, aber sind dunkel. In dem Sonnen- lichte fand ich '/, der Strahlen dunkel, ?/, leuchtend. Schliesslich fand ich auch, dass die leuchtenden Strahlen der Oellampe eine kaum mess- bare Wärmewirkung haben, da diese beinahe ganz von den die leuch- tenden Strahlen begleitenden dunklen Wärmestrahlen herrührt. Wenn daher Brücke durch die.brechenden Augenmedien, welche der leuchtenden Wärmequelle ausgesetzt waren, eine Wärmewirkung beobachtete, so war auch diese gewiss grösstentheils eine Folge der durchgelassenen dunklen Wärmestrahlen. 1 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 124. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AÄUGENMEDIEN 249 $2. Brücke und Knoblauch! machten noch einen Versuch mit Sonnen- licht. Die Sklerotica wurde im Aequator durchschnitten und die vordere Hälfte derselben mit der Cornea an einem Metallring befestigt, so dass Metallring, Sklerotica und Cornea zusammen eine Höhlung bildeten, in welche der vorsichtig ausgelöste Glaskörper und die Augenlinse eingelegt werden konnten. Die Rückseite des Metallringes war mit einer Dlen- dung von 7” Durchmesser geschlossen. Die Blendung war noch in ein inwendig geschwärztes Messingrohr gelöthet. Ein Heliostat reilec- tirte die Sonnenstrahlen in das Zimmer. Hinter das Auge wurde die Thermosäule, vor dasselbe ein Metallschirm gestellt. Entfernte man den ‘Metallschirm, dann fielen die Sonnenstrahlen auf das Auge und die Multiplicatornadel wich von ihrer Gleichgewichtslage. um 26—30° ab. Um zu entscheiden, ob diese Ablenkung nur von durch das Auge ge- sangenen Lichtstrahlen herrührt, oder ob auch dunkle Wärmestrahlen die Thermokette getroffen haben, wurde das Auge auf beiden Seiten über einer Terpentinflamme berusst und die Sonnenstrahlen auf diese, jetzt undurehsichtigen Theile von Neuem gelassen. Die Multiplicatornadel zeigte in diesem Falle keine Ablenkung, es ging also durch die Augen- medien kein Wärmestrahl. Wurden die brechenden Medien des Auges von dem Russ gereinigt, dann wich die Nadel dem früheren Werth ent- sprechend ab, zum Beweise, dass die Augenmedien durch die Berussung keine weiteren Veränderungen erfahren hatten. Könnte, wie Brücke annimmt, ein beträchtlicher Bruchtheil der dunklen Wärmestrahlen die Russschicht durchdringen, während alle leuchtenden Strahlen abgehalten werden, dann würde es dieser Versuch in der That „in hohem Grade wahrscheinlich machen, dass die optischen Medien des Auges für die dunklen Strahlen jenseits des Roth undurch- gängige sind.“ Dies ist jener Versuch, der selbst in den neuesten Lehrbüchern der Physiologie und Physik? zum Beweise dessen angeführt wird, dass „von ! Müller’s Archiv u. s. w. 1846. S. 379. 2 Als Beispiele mögen hier nur folgende Werke angeführt sein: H. Helmholtz, Handbuch der physiologischen Optik. S. 232. W. Wundt, Lehrbuch der Physiologie des Menschen. Ausg. III. S. 607. H. Kaiser, Compendium der physiologischen Optik. 8. 140, J. Ranke, Grundzüge der Physiologie des Menschen. Aufl. III. S. 770. E. Brücke, Vorlesungen über Physiologie. 1875. Bd. I. S. 38. H. Wüllner, Lehrbuch der Experimentalphysik. Aufl. III. Bd. III. S. 203. 250 FERD. Kıuc: den unsichtbaren überrothen Strahlen wenig oder nichts mehr zur Netz- haut gelangen kann“ (Helmholtz). Wenn aber der Russ nicht nur die leuchtenden, sondern auch die dunklen Sonnenstrahlen absorbirt, dann wird wohl auch dieser Versuch die Undurchdringlichkeit der optischen Augenmedien für dunkle Wärme- strahlen nicht beweisen. Bereits seit den Versuchen von Melloni wissen wir, dass der Russ das stärkste Absorptionsvermögen hat. Melloni machte seine Versuche mit der Locatelli’schen Lampe, dem glühenden Platin und der auf 400 und 100° C. erwärmten Kupferplatte. Die von diesen Wärmequellen ausstrahlende Wärme durchdrang zum Theil die untersuchte Russschicht, woraus jedenfalls der Schluss folgt, dass der Russ einen Theil jener ultrarothen Strahlen, welche von Wärmequellen verhältnissmässig geringer Temperatur ausgesendet sind, durchlässt; allein es folgt aus diesen Ver- suchen noch immer nicht, dass auch ein beträchtlicher Theil der dunklen Sonnenstrahlen die Russschicht durchdringen müsse. Diese letztere Annahme könnte vielleicht noch berechtigt erscheinen, wenn man die von Knoblauch! erlangten Resultate berücksichtigt. Knoblauch fand nämlich, dass, wenn die Multiplicatornadel durch die directe Einwirkung der Strahlen einer Wärmequelle von 100° C. auf 20° abgelenkt wird, dieselbe nach dem Einschalten des berussten Steinsalzes auf 13° zurückkehrt; bei einer Alkoholflamme kehrte sie von 20° auf - 11-75° zurück und bei einer Argand’schen Lampe von 20° auf 10°. Bei seinen späteren Untersuchungen berücksichtigte Knoblauch? so- wohl die zufälligen Temperaturunterschiede auf beiden Seiten der Thermo- säule, als auch den Einfluss der eigenen Wärme des zwischengestellten Körpers und fand nun die Durchstrahlung durch ein auf einer Seite ziemlich dick berusstes Stück Steinsalz, wenn die zur Vorderfläche dieses Steinsalzes gelangende Wärmemenge gleich 100 gesetzt wird, bei der Sonne 1-4, bei der Argand’schen Lampe 12;? die Wärmemengen, welche vor und nach dem Einschalten des berussten Steinsalzes zur Thermosäule gelangten, verhalten sich also bei der Sonne wie 100:1-4 und bei der Argand’schen Lampe wie 100:12. Während der langen Reihen von Versuchen, welche ich in dieser Richtung angestellt, haben sich bei Bestimmung der Nadelablenkung 1 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 70. S. 226. 2 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 85. S. 170. Bd. 93. S. 165—166. 3 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 120. S. 254. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. 251 Schwierigkeiten ergeben, welche nur im Interesse künftiger Beobachter erwähnenswerth erscheinen. Sobald Wärmestrahlen die Thermosäule treffen, weicht nämlich die Multiplicatornadel über den der Wärme ent- sprechenden Grad hinaus und schwingt dann stark zurück. Darauf aber pendelt sie mit abnehmenden Elongationen nicht um eine feste Gleich- gewichtslage, sondern diese verschiebt sich gegen den Punkt der grossen Anfangsablenkung hin, den sie nach etwa 1:5— 2 Minuten erreicht hat. Aber auch hier bleibt die nicht mehr oscillirende Nadel nicht stehen, sondern wird in demselben Maasse langsam weiter abgelenkt, als sich das der Wärmestrahlung ausgesetzte Ende der Thermosäule durch Ab- sorption immer mehr erwärmt. Ich wartete daher auch nicht, bis die Nadel ihre scheinbare Gleichgewichtslage erlangt hatte, da diese dem wahren Werthe der auffallenden Wärmestrahlen nicht entspricht, sondern beobachtete den Grad, bis zu welchem die Nadel das erstemal abgelenkt wurde und denjenigen, zu welchem sie dann zurückkehrte; das Mittel dieser beiden Ablenkungen nahm ich als der einwirkenden Wärme ent- sprechend. Die relativen Werthe sind übrigens auch dann genau, wenn man die erste Ablenkung allein beobachtet, da der durch die Nadel zuerst durchlaufene Bogen für eine gleiche Wärmeintensität immer der- selbe ist. Ferner wäre es eine schlechte Versuchsanordnung, wenn man die berusste Steinsalzplatte erst vor die Thermosäule stellen wollte, nachdem die Multiplicatornadel bereits, durch directe Einwirkung der Wärme- strahlen, eine neue Gleichgewichtslage erlangt hat; denn die nun beobach- tete Ablenkung würde der Wärmewirkung der durchgegangenen Strahlen durchaus nicht entsprechen, sondern eine bedeutend grössere Wärme anzeigen, da hier weder die Wärmemenge berücksichtigt ist, welche das Steinsalz, abgesehen von dem Russ, zurückhält, und die bei 20° Ablenkung 2° entspricht, noch jene, um welche das betreffende Ende der Thermosäule während der vorangegangenen directen Einwirkung der Strahlen erwärmt wurde. Während der 1:-5—-2 Minuten, welche nöthig sind, damit die Nadel die neue Gleichgewichtslage einnehme, wird das Thermosäulenende bereits so weit erwärmt, dass die Nadel nach dem Entfernen der Wärmequelle bei etwa 4—5° stehen bleibt, um sich dann sehr langsam — nach Verlauf von 15—20 Minuten — ihrer Ruhelage zu nähern. Selbst wenn wir nur die erste Ablenkung beob- achten, so ist schon die hierzu nöthige kurze Zeit genügend, um das betreffende Ende der Thermosäule zu erwärmen. Ich führte daher meine Versuche so aus, dass ich vor die Thermo- säule eine reine geglättete Steinsalzplatte von 1-5°® Dicke und die Wärmequelle so nahe vor die Steinsalzplatte stellte, dass die von der 252 FERD. Kıve: letzteren durchgelassene Wärmemenge die Multiplicatornadel von 0 auf 20 Grad ablenkte. Darauf unterbrach ich sogleich den Einfluss der Wärmestrahlen auf die Thermosäule und berusste beide Seiten der Stein- salzplatte bis zur vollkommenen Undurchsichtigkeit. Die während des Berussens etwas erwärmte Steinsalzplatte liess ich abkühlen, bis die Multiplieatornadel ihre Gleichgewichtslage selbst dann nicht verliess, wenn die berusste Steinsalzplatte vor die Thermosäule gehalten wurde. Liess ich nun die Strahlen von Neuem auf die — nun berusste — Stein- salzplatte auffallen, so entsprach die Ablenkung der Multiplicatornadel genau der Wärmewirkung der durch die Russschicht gegangenen Strahlen. Auf diese Weise störte die durch das Steinsalz abgehaltene Wärmemenge die Genauigkeit der Versuche nicht, und auch der durch das Erwärmen des einen Endes der Thermosäule mögliche Fehler blieb vermieden. Die Versuche machte ich entweder mit den Strahlen einer auf 100 Grad erwärmten dunklen Wärmequelle, oder mit der leuchtenden Gasflamme, oder endlich mit dem Sonnenlichte. Als Wärmequelle von 100 Graden diente mir ein Leslie’scher Würfel. Wenn nun die von diesem Würfel durch die reine Steinsalz- platte durchgegangene Wärme die Multiplicatornadel auf 20° ablenkte, dann ging durch die berusste Steinsalzplatte bloss soviel Wärme, als zur Ablenkung der Nadel um 4-5° nöthig ist. Nachdem die Mul- tiplicatornadel ihre frühere Ruhelage wieder gewonnen hatte, wiederholte ich noch einmal den Versuch mit der reinen Steinsalzplatte. Zeigte sich irgend welche Abweichung in der Ablenkung der Multiplicatornadel bei den beiden Versuchen mit der reinen Steinsalzplatte, dann nahm ich den Mittelwerth (hier 20°) dieser beiden Ablenkungen. Auf gleiche Weise untersuchte ich auch die Strahlen der leuchtendeu Gasflamme.. Hier fand ich, dass die Multiplicatornadel, welche bei dem Einschalten der nicht berussten Steinsalzplatte auf 20° abgelenkt wurde, nach dem Berussen derselben von ihrer Gleichgewichtslage um 2° abwich. Schliesslich fand ich bezüglich der Sonnenstrahlen, dass, wenn die durch die reine Steinsalzplatte dringenden Sonnenstrahlen die Multipli- catornadel um 40-—50° ablenken — was, wie wir sehen werden, einer 50—90 Mal grösseren Wärmemenge entspricht, als nöthig ist, um die Nadel von 0° bis zu 1° abzulenken — dieselben durch eine berusste Steinsalzplatte gar keine Wirkung auf die Thermosäule zeigen. Die Multiplicatornadel behält so lange ihre Gleichgewichtslage, bis der durch die Absorption langsam erwärmte Russ selbst gegen die Thermosäule Wärme zu strahlen beginnt. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. 253 Aus Brücke’s Beobachtung folgt demnach durchaus nicht, dass die Augenmedien bloss jene Strahlen zur Netzhaut gelangen lassen, welche wir sehen, denn, wie die obigen Versuche lehren, werden die dunklen Sonnenstrahlen von der das Auge deckenden Russschicht und nicht von den optischen Medien des Auges absorbirt. Nach Untersuchungen, welche Cima! mit der Locatelli’schen . Lampe gemacht, lässt die Augenlinse in der That 13°, der einfallenden Strahlen durch ; der Glaskörper, sowie auch das ganze Auge 9°/,. Nach Untersuchungen, die Janssen? mit einer Moderaturlampe angestellt hat, dringen etwa S°/, der einfallenden Strahlen bis zur Netz- haut. Die Absorptionskraft der Augenmedien entspricht nach diesem Forscher der Absorptionskraft einer gleich dicken Wasserschichte zwischen Glasplättchen. Da aber aus Melloni’s? Versuchen bekannt ist, dass die dunklen Wärmestrahlen Wasser durchdringen, so schliesst Janssen, dass dieselben auch bis zur ‘Netzhaut des Auges gelangen können. Mir sind die Originalmittheilungen von Cima und Janssen nicht bekannt, allein die Untersuchungen dieser Forscher beziehen sich nicht auf die Durchgängigkeit für dunkle Wärmestrahlen. Während ferner die Hornhaut und Linse, nach Brücke, bedeutend grössere Absorptions- kraft haben, als das Wasser, fand Janssen bei denselben eine ganz gleiche Wirkung. Wenn man nun auch geneigt wäre, in diesem Widerstreit der An- sichten Brücke, dem wegen seiner gründlichen Untersuchungsweise hochgeschätzten Forscher, beizustimmen, so muss doch eine Klärung dieser Differenz unserer Erkenntniss förderlich sein. Ausserdem macht auch der oben erwähnte Umstand, dass eine der Beweisführung von Brücke zu Grunde liegende Voraussetzung nicht ohne Einschränkung annehmbar ist, eine neue Behandlung unseres Themas wünschenswerth. Ehe ich zur Mittheilung meiner Versuche übergehe, will ich nur noch kurz der Arbeiten von R. Franz und J. Tyndall gedenken. SA. Franz“ suchte das Verhältniss zu erforschen, in welchem Strahlen verschiedener Brechbarkeit die einzelnen Augenmedien durchdringen. Bei Beginn seiner Versuche nahm Franz zur Zerlegung der Sonnen- I H. Helmholtz, Physiologische Optik. 8. 232. 2 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 115. S. 268. 3 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 24. S. 645. 4 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 115. S. 266. 254 FeERrD. Kive: strahlen ein Steinsalzprisma, später ein solches von Flintglas. Auf das Prisma folgte in 6°” Entfernung ein cubisches Gefäss, nach diesem ein Schirm mit einem 3”” breiten Spalt in solcher Entfernung, dass der sichtbare Theil des Spectrums hier eine Ausdehnung von 18%” hatte. Ausserhalb der Versuchszeit wurden die Strahlen von dem Gefässe durch einen Doppelschirm, der zwischen Prisma und Gefäss eingestellt werden konnte, abgehalten. Die Hornhaut wurde auf dem einen Ende eines Cylinderrohres aus- gespannt, dessen anderes Ende mittels einer durchsichtigen Platte ver- schlossen war. In dieses Cylinderrohr führte seitwärts ein Röhrchen, das mit einer Luft enthaltenden Blase in Verbindung stand, damit die Hornhaut, durch einen entsprechenden Druck auf die Blase, genügend gespannt erhalten werden konnte. Humor aqueus und Glaskörper untersuchte Franz in dem cubischen Gefässe, dessen vordere und hintere Wand aus Steinsalzplatten bestand. Die Krystalllinse endlich war zwischen zwei Glasplatten gepresst, so dass die Linsensubstanz bloss eine Schicht von 2”” Dicke bildete. Nach den auf diese Weise mittels des Spiegelgalvanometers angestellten Beobachtungen ist die Absorptionskraft der Augenmedien derjenigen des Wassers ähnlich; nur die Hornhaut und Linse scheinen von dem rothen Lichte mehr zu absorbiren als das Wasser. Bei Brücke! lesen wir, dass der ältere Seebeck die dunklen Wärmestrahlen im Jahre 1820 sah, Brewster sah im Dunkeln durch ein innen geschwärztes Fernrohr ein braunrothes Licht an jener Stelle des Spectrums, die ausserhalb der Grenze der rothen Strahlen liegt. Der Versuch von Tyndall? wäre gewiss am besten geeignet, zu entscheiden, ob die dunklen Wärmestrahlen sichtbar sind oder nicht. Tyndall liess nämlich die Strahlen der elektrischen Lampe auf einen Trog fallen, der mit durch Jod gefärbtem Schwefelkohlenstoff gefüllt war. Der Focus der convergirenden Strahlen ist mit Hülfe eines Platinstückes leicht zu finden, indem dasselbe, in den Focus gehalten, glühend wird. Tyndall näherte nun sein Auge diesem Brennpunkt, er fand die Hitze unerträg- lich, diese schien aber mehr die Augenlider als die Netzhaut anzugreifen. Obgleich der ganze concentrirte Strahlenkegel das Auge traf, war keine Spur von Licht wahrzunehmen. Wir werden wohl am besten thun, Tyndall’s gut gemeintem Rathe folgend, die Wiederholung dieser Ver- suche zu unterlassen. I! E. Brücke, Vorlesungen über Physiologie. Bd. 1. 8. 39. 2 J. Tyndall, Die Wärme betrachtet als eine Art der Bewegung. 8. 544—546. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. 255 Tyndall! machte auch mit der Glasflüssigkeit eines Ochsenauges Versuche, nach welchen „ein Fünftel der dunklen Strahlen, die ein intensives elektrisches Licht ausströmt, die Retina erreicht; und da von je 10 Theilen dieser Ausstrahlung 9 dunkel sind, so folgt daraus, dass fast zwei Drittel der ganzen Strahlenmenge, sei sie sichtbar oder un- sichtbar, die das elektrische Licht zur Retina sendet, nicht im Stande sind, den Gesichtssinn zu reizen.“ Daher ist die Netzhaut nach Tyndall einer musikalischen Saite gleich, welche nur durch entsprechende Schwingungsperioden in Mitschwingungen versetzt werden kann. $s5. Die Thermosäule, welche ich bei meinen Versuchen benutzte, besteht aus 36 Paaren von Antimon-Wismuthstäben und wurde von Prof. Karl aus München bezogen. Zu dieser Thermosäule liess ich ein Cylinder- gefäss von 2°® Höhe und 2°“ Durchmesser der Basis machen, dessen beide Enden mit dünnen Glimmerplättchen? verschlossen werden können. Die beiden Glimmerplättchen schliesst nämlich je eine Mutterschraube an die entsprechende Oefinung an, auf gleiche Weise, wie dies bei den Rohren der Saccharimeter zu sehen ist. Die eine Mutterschraube steht zugleich um O0-5°“ vor und kann auf den Kautschukring der 'Thermo- säule aufgeschoben werden. So trifit nun die Thermosäule keine andere Wärme, als die, welche durch die Glimmerplatte und den Inhalt des Gefässes gegangen ist. Der gebrauchte Multiplicator ist so empfindlich, dass die Nadel in Schwingungen kommt, wenn ich die Hand in einer Entfernung von einem Meter der Thermosäule gegenüber halte Die Ablenkung der Multiplicatornadel ist bis auf 25° zugleich das Maass der die Ab- lenkung verursachenden Wärme, indem so ziemlich dieselbe Wärme- menge, welche erforderlich ist, um die Multiplicatornadel von 0 auf 1°C. abzulenken, auch genügend ist, um eine Ablenkung von 24° auf 25° zu bringen. Von hier an steigt aber die Ablenkung der Nadel nicht pro- portional der Wärmezunahme. TON aR02 37568: 2 Die beiden Glimmerplatten des Gefässes schwächen die Einwirkung der Sonnenstrahlen auf die Thermosäule um 4°; von der Wärme, welche die Gasflamme ausstrahlt, lassen dieselben nur !/, durch. Versehe ich die Gaslampe mit einem Eisenblecheylinder und lasse die von diesem ausstrahlende Wärme durch das mit Glimmerplättehen verschlossene Gefäss, so gelangt nur der zwanzigste Theil der aufgefallenen Wärme zur T'hermosäule. 256 FERD. Krıvue: Die den Multiplicatorgraden entsprechenden Stromstärken bestimmte ich mit Hülfe des du Bois-Reymond’schen Öompensators,! den nöthigen elektrischen Strom gab ein Daniell’sches Element; auch mit der Thermo- kette machte ich ähnliche Bestimmungen nach einer Methode, welche von Melloni angegeben worden ist.” Da die mit Hülfe beider Methoden erhaltenen Werthe übereinstimmend sind, mögen hier nur die mit dem Compensator erlangten Werthe angeführt sein: Grade 290 320° 350 38% 40%. 420° 449 45. ig Kräfte, 3027352207402 A522 5027 5502.6027652 TO FEBL Weil die Multiplicatornadel bei meinen Versuchen selten über 30° abgelenkt wurde, sind in den beiden folsenden Tabellen die Grade der Ablenkungen und nicht die denselben entsprechenden Kräfte an- gegeben. Die Versuche führte ich auf dieselbe Weise aus, wie jene, die ich bezüglich der Diathermansie des Russes gemacht hatte. Diese Unter- suchungsmethode ist wohl etwas langwierig, führt aber zu genauen Resultaten. ; Kalbsaugen in möglichst frischem Zustande dienten als Unter- suchungsobject, Augen mit trüber Hornhaut oder Linse wurden nicht verwendet. Nachdem das Auge von allen anhängenden Theilen gereinist war, halbirte ich es durch einen äquatorialen Schnitt. Der Glaskörper und die Augenlinse konnten leicht rein, frei von allem Farbstoff, heraus- gelöst werden. Als leuchtende Wärmegquellen benutzte ich die Sonnenstrahlen und die Gasflamme, als dunkle Wärmequelle diente dieselbe Gasflamme um- geben von einem Eisenblecheylinder. Die von dieser dunklen Wärmequelle ausgesandten Strahlen wurden bereits durch die Glimmerplatten des zur Aufnahme des Untersuchungs- objectes dienenden Gefässes grösstentheils absorbirt. Wenn dieses Gefäss mit Glaskörper oder Wasser angefüllt zwischen Wärmequelle und T'hermo- säule gesetzt wird, so verlässt die Multiplicatornadel ihre Gleichgewichts- lage gar nicht. Selbst wenn wir den zu untersuchenden Körper in ein Gefäss von Steinsalz geben, so dringt keine merkliche Wärmemenge zur Thermosäule durch. Ich habe bereits an anderer Stelle hervorgehoben, dass die Strahlen der dunklen Wärmequelle die geringste Brechbarkeit haben, wie nun 1 E. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1875. Bd. I. S. 186. 2 J. Tyndall, a.a. ©. S. 414. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. 257 der Versuch zeigt, werden solche Strahlen von den optischen Medien des Auges ganz absorbirt. so Die Wärmestrahlen der leuchtenden Gasflamme können auch alle als dunkle Strahlen betrachtet werden, denn die Ablenkung der Mul- tiplicatornadel ist eine gleiche, möge das vor die Thermosäule gestellte Gefäss mit reinem oder mit mit Jod gesättigtem Schwefelkohlenstoff ange- füllt sein. Aber diese dunklen Wärmestrahlen unterscheiden sich wesent- lich von jenen der dunklen Wärmequelle, insofern das Maximum ihrer Wärmewirkung dem Roth des Spectrums näher liegt; obgleich noch bei Weitem nicht so nahe, als das Maximum der dunklen Sonnenstrahlen. Ich bestimmte bei den Versuchen zuerst den Grad der Ablenkung, während die Strahlen durch das leere Glimmergefäss die Thermosäule trafen; dann füllte ich das Gefäss mit dem zu untersuchenden Körper — Glaskörper, Wasser — liess, nachdem die Nadel ihren Nullpunkt erreicht hatte, die Wärmestrahlen wieder auffallen und las die Ablenkung von Neuem ab; schliesslich wiederholte ich noch einmal den ersten Versuch mit dem leeren Glimmergefäss. Bei der Untersuchung der Absorptionskraft der Linse entfernte ich die hier überflüssigen Glimmerplatten, befestigte aber an das der Licht- quelle zugekehrte Ende des Cylindergefässes ein Paar dünne Metall- platten. Eine jede dieser Platten hatte in ihrer Mitte eine runde Oeff- nung von 1°% Durchmesser. In diese Löcher waren zwei trichterförmige Hülsen eingelassen mit einander zugekehrter Basis. In diesen Doppel- kegelraum wurde die Linse eingepasst, derart, dass die Wärmestrahlen durch die Linse parallel der kleinen Axe auf die Thermosäule fielen. Den Versuch machte ich natürlich auch hier sowohl mit den Metall- platten ohne Linse, als auch mit derselben. ‘- Die Hornhaut untersuchte ich auf oleiche Weise wie die Linse, indem ich dieselbe über die Metallplatten des Cylindergefässes aus- spannte. | Ir Bei der Untersuchung des ganzen Auges war das der T'hermosäule zugekehrte Ende des Cylindergefässes mit der einen Glimmerplatte ver: schlossen, an das andere Ende befestigte ich die beiden Metallplatten. Nachdem ich die Wärme bestimmt hatte, welche durch den auf diese Weise zusammengestellten Apparat gedrungen war, füllte ich das ganze Cylindergefäss mit Glaskörper, passte die Linse zwischen die oben be- ' schriebenen beiden Metallplatten und befestigte schliesslich über diese die Hornhaut. Archiv f. A, u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 17 258 FERD. Kıug: Die letzteren, auf das ganze Auge bezüglichen Versuche wiederholte ich auch mit einer anderen Thermokette. Ich liess nämlich durch den Mechanikus der hiesigen physiologischen Anstalt eine zweite Thermo- säule aus 25 Wismuth- und Eisenstäbchen verfertigen; ein jedes dieser Stäbchen ist 17%” Jang und 1:5"”® dick. Mit Ausnahme der Löthstellen sind dieselben sorgfältig von einander isolirt. Die Elemente bilden fünf Reihen und sind in einem Hartkautschukring eingekittet. Die eine Seite dieses Ringes überragt das Ende der Elemente um 2°” und endet oval; auf diese Weise ist die Thermosäule mit einem Gefäss von 2°% Tiefe, 2°® Breite und 1°5°® Höhe versehen. Die Oberflächen der beiden Seiten der Thermosäule sind mit einer entsprechenden Canadabalsam- schicht überzogen, damit keine Feuchtigkeit zwischen die Metallstäbe gelangen könne, und mit Russ bedeckt. In dieses Gefäss der Thermo- säule wurden nun Glaskörper und Linse gebracht und die Oeffnung, in der die Linse lag, durch Hornhaut geschlossen. So war ein Auge her- gestellt, in welchem die Stelle der Netzhaut Thermoälemente einnahmen. Die Versuche konnten mit der gewünschten Genauigkeit durchgeführt werden, da ich diese Thermokette vor ihrem Gebrauche mit der anderen sraduirt hatte. Die Resultate meiner mit beiden Thermoketten gemachten Versuche zeist folgende Tabelle: a. b. B- “ Verhältniss Ablenkung der Magnetnadel von e:b Eingeschaltete Substanz. beilleeremm bei angefilltem Ä in Gefäss. | Gefäss. Procenten. 15 ° 1,0 6-6 Ganzes Auge. [ ou 0 1.50 1-6 i Ins 1 e0 6-6 Augenlinse. 0 1.70 1.7 20 300 20 Hornhaut. \ 9, 0 4.50 19-6 Glaskörper, 13-.5° 1,.65,0 7.4 2 em dieke Schicht. 20 N 1-6° 8 Wasser, f 14.2 1.22 8-5 2 em dicke Schicht. \ 20° 2,0 10 Wasser, ! 0 0 2 mm dieke Schicht. = . > 1 Zu diesem Versuch war ein neues Glimmergefäss von 2wm Lichtendurch- messer vorbereitet. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN 259 Wir sehen aus dieser. Tabelle, dass die Augenlinse der grösste Ab- sorbent der Augenmedien ist. Sie lässt nur so viel Wärme durch (6-6 bis 7:7 °/,), wie das ganze Auge. Die bei der Untersuchung der Hornhaut gefundenen grösseren Werthe sind wohl nur der geringeren Dicke dieser untersuchten Substanz zuzu- schreiben, was auch die mit dem Wasser gemachten Versuche bezeugen. Während nämlich durch. eine 2°® dicke Wasserschicht etwa 9°/, der auffallenden Wärme durchgeht, lässt eine 2" starke Wasserschicht nur 25°/, durch. Vergleichen wir die bezüglich der Diathermansie der Hornhaut er- haltenen Werthe mit den in der letzten Reihe der Tabelle angegebenen, welche Werthe sich auf eine mit der Hornhaut gleich dicke Wasser- schicht beziehen, so finden wir, dass die Hornhaut weniger diatherman als das Wasser ist; die Hornhaut lässt 20, das Wasser 25°/, der auf- fallenden Wärme durch. Die von dem Glaskörper durchgelassene Wärme ist nur um Weniges geringer (”—8°/, der auffallenden Strahlen), als diejenige, welche durch eine gleiche Wasserschicht zur Thermosäule gelangt. Sowohl die Linsensubstanz als auch die Hornhaut haben demnach eine stärkere Absorptionskraft als das Wasser, ja selbst der Glaskörper absorbirt mehr Wärme als letzteres. | $%. Bei Untersuchungen mit dem Sonnenlichte erfordert die Veränderung, welche die dunklen Wärmestrahlen in ihrer Wärmewirkung während der Dauer des Versuches erleiden, besondere Berücksichtigung, da die Wärme- strahlen schon durch eine dünne Wolke, die kaum zu beobachten ist, an Intensität bedeutend abnehmen. Ich arbeitete daher im Monat Juni, wo wir hier beinahe beständig schönes Wetter bei wolkenlosem Himmel hatten, auch versäumte ich nicht, vor und nach einem jeden Versuch die Ablenkung der Multiplicatornadel bei directer Einwirkung der Sonnen- strahlen zu beobachten. Die folgende Tabelle stellte ich so zusammen, dass von den eine Substanz betreffenden zahlreichen Versuchen, die ich machte, nur das Resultat jener in die Tabelle aufgenommen wurde, bei welchen die Intensität des direct auffallenden Sonnenlichtes am Anfang und Ende des Versuches eine gleiche war; demnach beziehen sich alle Angaben einer Horizontalreihe der Tabelle auf dieselbe Wärmemenge, welche unter Rubrik I aufgeführt ist. Die Untersuchung der Diathermansie einer jeden Substanz benöthigte Te 260 FERD. Ku: mehrere Versuche. Zuerst bestimmte ich in bekannter Weise jene Wärme- menge, welche durch das leere Gefäss, das zur Aufnahme der zu unter- suchenden Substanz diente, durchgeht; es ist dies das uns bereits be- kannte, in der folgenden Tabelle mit g bezeichnete, cylinderförmige Gefäss; die hiermit gefundenen Werthe sind unter II angeführt. Die dunklen Wärmestrahlen gewann ich aus dem Sonnenlicht da- durch, dass ich vor das mit g, bezeichnete Gefäss noch ein zweites Glimmergefäss (g,) stellte, das mit Schwefelkohlenstoff angefüllt werden konnte, welcher, durch Jod gefärbt, für Licht undurchdringlich war. Ich bestimmte daher (sub III) die durch beide leere Gefässe gegangene Wärme, ferner jene Wärme, welche durch die beiden Gefässe geht, wenn das 9, bezeichnete Gefäss mit Schwefelkohlenstoff angefüllt ist (unter Rubrik IV). Nach diesen einleitenden Bestimmungen konnte nun das erste Gefäss (g,), mit der zu untersuchenden Substanz angefüllt, den Sonnenstrahlen aus- gesetzt und die durchgegangene Wärmemenge bestimmt werden (Tabelle unter V). Dann setzte ich, bei einem ferneren Versuche, vor das erste Gefäss das mit gefärbtem Schwefelkohlenstoff angefüllte zweite, um die durchgegangenen dunklen Wärmestrahlen zu bestimmen (Tabelle unter VI). Die letzten zwei Abtheilungen enthalten das Verhältniss der absor- birten Wärme zur nicht absorbirten in Procenten. r Dean V. ve | vo: ya. ß o E r 2 © 6 2 mo Eingeschaltete NIE = 2 | 8 | 2 Se Be Er E 2. Sr > a m . Be - os Substanz. Esel „ | | sa: 858 3522 522 € oa 8. Os leosaı een Eine 2835| 3 Dee ae 0 rn een rS a Sn Seal Ganzes Auge. | 48° |18: 2113-5% 5-5°%) 5° 071.09) 27-7 48-1 Augenlinse. 47.0 Sr TA = 6706-5 Te else Hornhaüt. 4.6001 75.01 14 2056070282273 20251265 Glaskörper,! y| 49° |20 015.50 6 °/11.5°0| 2 © |57.5 33.8 2em dicke Schicht.\| 470 |35 [80 © 9.501922 0|3 0,55.5 32.3 Wasser, ! y, 49° |19-5°115-5°| 6 _°|11-5° | 1.60 | 58.9 26-6 2em dieke Schicht.\| 47° 35.5031 0/11-5°|24 0| 3.50 | 67.6 34-4 Wasser, 4700505 060 5 0 nor; 83-3 2 mm dicke Schicht. ! Bei diesen Versuchen war die Glimmerplatte an der den Sonnenstrahlen zugekehrten Seite des Cylindergefässes zwischen beide Metallplatten gefasst, so dass UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. 261 Die Absorptionskraft der Linse ist verhältnissmässig bedeutend, da sie beinahe so viel Wärme zurückhält, als das ganze Auge; nahe !/, der dunklen Sonnenstrahlen gelangen zur Netzhaut, */, werden absorbirt. Die Hornhaut lässt die Hälfte der dunklen Wärmestrahlen durch, ist aber deswegen auch ein solcher Absorbent, wie etwa die Linse; denn ein Blick auf das Resultat der mit einer 2"m dicken Wasserschicht gemachten Versuche lehrt, dass diese nicht die Hälfte, sondern 833 °/, der dunklen Wärmestrahlen durchlässt. | Der Glaskörper zeigt die grösste Aehnlichkeit mit dem Wasser. Etwas mehr als die Hälfte der auffallenden Sonnenwärme gelanst zur Thermosäule, von den dunklen Wärmestrahlen allein 32—33 /,. Versleichtt man die durch den Glaskörper gegangenen dunklen Wärmestrahlen der Sonne, der elektrischen Lampe und der Gasflamme, so findet man, dass der Glaskörper !/, der dunklen Sonnenstrahlen, !/, der dunklen Strahlen des elektrischen Lichtes (Tyndall) und !/, der Strahlen der Gasflamme durchlässt. Der Glaskörper lässt also von den dunklen Wärmestrah- len um so mehr durch, je intensiver die Wärmequelle ist, von der diese stammen, je näher sich diese Strahlen dem spectralen Roth befinden. ° Ergänzen wir die in der ersten Reihe der Tabelle verzeichneten . Versuche noch mit einem, bei dem vor das mit den Augenmedien an- gefüllte erste Gefäss noch das zweite in leerem Zustande gestellt wird, dann zeigt die Magnetnadel, die, als die Sonnenstrahlen das angefüllte erste Gefäss allein trafen, eine Ablenkung von 5° hatte, nur eine solche von 3°2°. Demnach dringt durch das Auge von der 135° entsprechen- den Wärme, die durch beide Gefässe geht wenn diese leer sind, nur eine 3-2 ° entsprechende Wärmemenge durch. Die Ablenkung von 135° veranlassen aber zum Theil auch dunkle Wärmestrahlen, von denen eine 1° entsprechende Wärmemenge durch die Augenmedien dringt. Von den 32° um welche die Magnetnadel abgelenkt wurde, ist also 1° dem Einflusse durchgegangener dunkler Sonnenstrahlen zuzuschreiben. Dem- nach ist etwa !/, der zur Netzhaut gelangten Sonnenstrahlen nicht fähig, Lichtempfindung zu erregen. Dies ist entschieden keine so ge- ringe Menge, um hieraus deren Unsichtbarkeit erklären zu können. Dass wir aber die dunklen Wärmestrahlen der Sonne in der That nicht sehen, davon können wir uns überzeugen, indem wir unser Auge der Einwir- die Sonnenstrahlen auch hier auf das Untersuchungsobjeet nur durch eine Oeflnung von 1°m Durchmesser auffielen, während die Versuche der folgenden Reihe nach dem Entfernen der Metallplatte gewonnen wurden, also bei einer 2m weiten Oeft- nung des Gefässes. 262 F. Krug: UNTERSUCH. ÜB. D. DIATHERMANSIE DER AUGENMEDIEN. kung der durch gefärbten Schwefelkohlenstoff gegangenen Strahlen aus- setzen. Aus allem diesem, und weil Licht und strahlende Wärme gleiche physikalische Bewegungsarten sind, müssen wir auch zugeben, dass die Netzhaut durch dunkle Wärmestrahlen nicht erregbar ist. Melloni,! von der Annahme ausgehend, dass die dunklen Wärme- strahlen die Netzhaut nicht erregen, erklärt das Sehen aus äusserst raschen Schwingungen der Nervenmolecüle der Netzhaut. In diese Schwingungen würden die Nervenelemente durch eine gewisse Reihe der Aetherundulationen gebracht werden können, so dass zwischen den Aetherundulationen und den Nervenelementen der Netzhaut ein ähn- liches Verhältniss wäre, wie zwischen den Tönen und den entsprechenden Resonatoren ; die ausserhalb des sichtbaren Theiles des Spectrums ge- legenen. Aetherschwingungen können also die Nervenelemente der Netz- haut ebenso wenig in Mitschwingungen versetzen, wie irgend ein ein- facher Ton die nicht dazu passenden Resonatoren. Es würde daher der Netzhaut nur eine bestimmte Zahl von Aetherundulationen entsprechen ; raschere und langsamere Aetherschwingungen könnten um so weniger Lichtempfindung erregen, je weiter deren Schwingungszahl von derjenigen der entsprechenden Undulationen abweicht. Nach Meiloni hätten der Netzhaut am besten entsprechende Zahl von Schwingungen die gelben Lichtstrahlen, da das Auge — wie bereits von Fraunhofer nachgewiesen wurde — für diesen Theil des Spec- trums die grösste Empfindlichkeit besitzt. Beweisend hiefür schien ihm auch die Farbe des gelben Fleckes und der in frischem Zustande unter- suchten Netzhaut zu sein. Allein die Untersuchungen der neueren Zeit machen diese Theorie sehr fraglich, da nach Boll’s Entdeckung die frische Netzhaut eine rothe Farbe hat. Die bezüglich der Retina-bleichenden Wirkung des einfachen Lich- tes besonders von W. Kühne? gemachten Beobachtungen kann ich nach mit der Retina des Kalbsauges gemachten Versuchen im Ganzen be- stätigen, muss aber hier noch besonders hervorheben, dass die rothe Farbe der Netzhaut unter der Einwirkung ultravioletter Strahlen sehr deutlich erblasste, während sie durch die dunklen Wärmestrahlen gar keine Veränderung erlitt. 1 Poggendorff’s Annalen u. s. w. Bd. 56. 8. 574. 2 Centralblatt für die med. Wissenschaften. 1877. Nr. 11. — Untersuchungen aus dem physiologischen Institute der Universität Heidelberg. Bd. 1. S. 57. — A. Ewald u. W. Kühne, Untersuchungen über den Sehpurpur. Abh. I. S. 49. Die Betheiligung der einzelnen Stoffe des Serums an der Erzeugung des Herzschlages. Von Dr. Stienon. ‘Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Aus den Untersuchungen von Bowditch,! Kronecker? und Merunowicz? ist bekannt, dass sich das ausgeschnittene Froschherz nicht bloss dann lebendig erhält, wenn man seine Höhle mit einer Flüssigkeit beschickt, welche alle Bestandtheile des Blutserums enthält, sondern dass dieses auch mittels einer Lösung gelinge, die nur einen Theil jener Stoffe enthält. Aber aus den Mittheilungen der eben ge- _ nannten Beobachter hatte sich auch ergeben, dass sich mit der Zusammen- setzung der Flüssigkeiten, welche das Herz erfüllen, zugleich die Aeusserungen seines Lebens ändern, insbesondere der Umfang und die zeitliche Folge seiner Schläge und die Dauer seines lebendigen Bestandes. Wurden nämlich mit Ausnahme des Chlornatriums alle anderen Stoffe des Serums entfernt, so versank das mit dieser Salzlösung dauernd aus- gewaschene Herz in einen Scheintod, in dem es weder auf innere noch auf äussere Antriebe hin zu schlagen vermochte, aus dem es aber durch Zuführung des unveränderten Serums wieder zur vollen Selbstthätigkeit zu wecken war. — Beschickte man das Herz mit einer Lösung, welche neben dem Kochsalz auch noch Na, CO, enthielt, so schlug es nun zwar 1 Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Jahrg. 1871. 2 Ibid. Jahrg. 1875. 3 Beiträge zur Anatomie und Physiologie, als Festgabe C. Ludwig gewidmet. Leipzig 1874. 264 - STIhnoN: rasch, aber seine Zuckungen .waren wenig umfangreich, und der in das Herz eingeführte muss bald gegen einen neuen Flüssigkeitsantheil aus- getauscht werden, weil sonst der Schlag allmählich erlischt. — Aehnlich wie das Na, CO, verhielt sich auch eine Asche, die man aus dem Serum bereitet und der Na Ul-Lösung zugesetzt hatte. Mehr als die genannten mineralischen Lösungen leisteten unter Umständen andere, die noch einen Theil der organischen Stoffe des Serums enthielten, z. B. diejenigen, welche durch verdünnten Alkohol aus dem Serum ausgezogen werden können. Obwohl nun die verschiedenen Herzen, welche diesen Beobach- tungen unterworfen wurden, in ihrem Verhalten mannigfache Abweichungen darboten, so waren diese doch nicht der Art, dass sie von einer weiteren Verfolgung des Gegenstandes hätten abschrecken können, im Gegentheil, sie erweckten die sichere Hofinung, dass es einer methodischen Weiter- führung der begonnenen Versuche gelingen müsse, diejenigen Bestand- theile des Serums zu ermitteln, welche dem Herzen zur Ausübung seiner vollen Thätigkeit nothwendig sind. Deshalb habe ich, dem Wunsche des Hrn. Prof. ©. Ludwig entsprechend, den Gegenstand wieder auf- genommen. Da das Verfahren eine Vergleichung der Eigenschaften beabsichtigt, welche das Herz darbietet während seiner Füllung mit allen oder nur mit einem Theile der Stoffe des Blutserums, so wird jedem Versuche die Zubereitung der entsprechenden Flüssigkeiten vorangehen müssen. — Das Serum stammte aus Schaf- oder Kaninchenblut; auf der Centrifuge wurde es sorgfältig von allen aufgeschwemmten Körperchen befreit und darauf in zwei abgemessene Portionen getheilt. Mit einer derselben wurden die beabsichtigten Veränderungen vorgenommen, z. B. sie wurde bis zur Abstumpfung der alkalischen Reaction mit Säure versetzt, oder bis zum Sieden erhitzt und das Coagulum durch Filtration und Auspressung entfernt u.s.w. Weil es, wie bekannt, für die Lebenskraft des Frosch- herzens vortheilhaft ist, das Serum des Säugethierblutes mit einer 0-6procentigen Lösung von Na Cl zu verdünnen, so wurde durch die entsprechende Menge der zugesetzten Flüssigkeit die Möglichkeit gewährt, die Bestandtheile, welche dem veränderten und dem unveränderten Serum gemeinsam waren, auf gleiche Dichtigkeit zu bringen. Wie in jedem einzelnen Falle verfahren wurde, soll bei. den betreffenden Versuchen erwähnt werden. — Rücksichtlich alles dessen, was sich auf die Be- handlung des Herzens, die Prüfung seiner Reizbarkeit, die Aufzeichnung der Schläge bezieht, kann ich auf die Angaben der oben citirten Ab- handlungen verweisen, denen ich im Wesentlichen folgte. Jeder Versuch verlief nach folgendem Schema: zuerst arbeitete der Ventrikel bei der Füllung mit einem Gemenge aus Na Cl-Lösung und unverändertem Serum. DIE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U. $S. w. 265 War” dieses zur Genüge geschehen, so wurde die Kammerhöhle mit chemisch reiner Na Ul-Lösung von 0-6°/, bis zum Eintritt des Schein- todes, d. h. so lange ausgewaschen, bis auch nach frischer Füllung die Berührung der Herzoberfläche keine Zuckung mehr hervorrief. Nun - wurde die Na Öl-Lösung abgelassen und das Herz mit dem auf bekannte Weise veränderten Serum mehrmals hintereinander beschickt. War auch die Wirkung des modifieirten Serums geprüft, so wurde das Herz abermals bis zum Eintritt des Scheintodes mit 0-6°/, Na Cl-Lösung ge- waschen und dann zum unveränderten Serum zurückgegriffen. Aus den Thatsachen, welche man bei sorgfältiger Ausführung des geschilderten Verfahrens erhält, lässt sich sogleich erkennen, dass der Umfang der Zuckungen und die Häufigkeit ihrer Wiederkehr keineswegs in einer einfachen Beziehung zu einander stehen. Darum lässt sich in der Regel die Wirkung eines Serumstoffes auf den Herzschlag nicht mit einem Worte, sondern nur dadurch schildern, dass man seinen Einfluss | auf den Muskel und denjenigen auf die Schlagfolge gesondert angibt. Bei der Entscheidung der Frage, ob ein Stoff die Leistungsfähigkeit des Muskels beeinträchtige oder begünstige, hat man am Herzen zu berücksichtigen, dass der Umfang der Zuckungen beeinflusst wird eben- sowohl durch die Mischung der speisenden Flüssigkeit, wie durch die Zahl ünd die Intervalle der auf den Herzmuskel treffenden Reize. — Sollte sich also das Herz bei seiner Füllung mit verschiedenen Flüssig- keiten in ungleichem Grade zusammenziehen, so wird man über den Antheil, welchen die speisende Flüssigkeit an der veränderten Leistung des Muskels nimmt, nur dann in’s Klare kommen, wenn sich die Wir- kungen der Schlagfolge eliminiren lassen. Ist also bei einer der beiden Füllungen der Schlag, welcher nach gleich langen Pausen erscheint, stärker, erreicht bei annähernd gleich rascher Folge einer grösseren Zahl von Zuckungen der Hub einen höheren Werth und nimmt dieser letz- tere bei annähernd gleicher Schlagfolge allmählicher ab, so dürfen wir, aber auch nur unter dieser Bedingung, auf die grössere Wirkungsfähig- keit der Flüssigkeit schliessen. Mit dem einfachen Ausdrucke, der bei den Muskeln genügte, reichen wir nicht mehr aus, wenn es sich um die Wirkungen der Flüssigkeiten auf das Werkzeug handelt, von dem die Reize ausgehen. Selbst für den Fall, dass sich die regelmässige Schlagfolge nur ihrem Tacte nach geändert habe, bleibt es zweifelhaft, ob dieses geschah, weil sich innerhalb des reizenden Werkzeuges die Summe der Erregung vermehrt oder vermindert hat. Denn da der Rhythmus bestimmt wird durch das Verhältniss zwischen beschleunigenden und hemmenden Kräften, indem 266 STIENON: z. B. der Eintritt des Schlages durch Lähmung der Nn. vagi und Reizung der Nn. accelerantes beschleunigt, umgekehrt aber durch die Reizung der Nn. vagi und die Lähmung der Nn. accelerantes verzögert werden kann, so reicht die Kenntniss von der eingetretenen Aenderung der Schlagfolge nicht aus, um den Grund derselben einzusehen. Nun könnte es allerdings scheinen, als ob an dem ausgeschnittenen Froschherzen, welchem die hemmenden und beschleunigenden Nervenstämme fehlen, ein Theil der Schwierigkeiten beseitigt sei; aber mit dem Wegfall der Stämme sind dem Herzen keineswegs die Einrichtungen abhanden ge- kommen, durch deren Vermittelung jene Nerven auf die Muskeln wirken, es ist damit nur einer der Wege ausgeschaltet, die zu ihrer Erregung führen können. — Befinden wir uns der Frage gegenüber, wie die Aen- derung der regelmässigen Schlagfolge zu deuten sei, schon in Schwierig- keiten, so sind wir vollends rathlos, wenn man nach dem Grunde frast, warum das Herz seine bis dahin regelmässigen Schläge plötzlich in ‘ Gruppen vertheilt, die durch lange Pausen von einander getrennt sind, oder warum es gar in völliger Unregelmässigkeit pulsirt. Man kann nicht einmal zu einer Vorstellung über die Entstehung der gruppirten und der unregelmässigen Schlagfolge kommen, so lange man an dem Bilde festhält, durch welches I. Rosenthal das rhythmische Erscheinen des Herzschlages versinnlicht. Begnügt man sich mit der Annahme, dass ein stetig fortschreitender chemischer Process hinter einem elasti- schen Widerstande Reize aufspeichert, bis diese zu einer Spannung ge- langt sind, vermöge welcher sie die Scheidewand durchbrechen und den Muskel treffen können, so bleibt es völlig unbegreiflich, warum die Häufigkeit des Herzschlages in einem Zeitraum auf- und absteigt, wäh- rend dessen die chemischen Bedingungen, unter denen sich das Herz befindet, keine Schwankungen erfahren. Jenes, die Erscheinungen nur ungenügend deckende Bild könnte man allerdings leicht mit einem anderen vertauschen. Legt man nämlich in den Sitz des Reizes zwei Schwingungen, gestattet, dass sich die Perioden beider unabhängig von einander ändern können, nimmt man endlich noch an, dass die aus der Interferenz hervorgegangene Bewegung nur dann eine Zuckung veran- lassen kann, wenn das Maass ihrer lebendigen Kraft eine gewisse Grenze überschritten habe, so gewinnt man ein Bild, dass durch seine Analogie mit zwei nebeneinander ablaufenden Tonwellen sehr anschaulich und durch seine ungemeine Biegsamkeit vollkommen befähigt ist, alle Vor- kommnisse der Schlagfolge zu umspannen. Aber auch vorausgesetzt, dass ‚dieser Vorstellungsreihe ein grösserer Werth als der eines Gleichnisses innewohnte, so würde sie zur Aufhellung der thatsächlichen Befunde doch erst dann dienen, wenn sie uns in der Gestalt einer ausgebildeten Die BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U. S. w. 267 auf das Herz anwendbaren Theorie vorläge. Wie sehr man also auch das Bedürfniss fühlen mag, die Wirkungsweise der verschiedenen Flüssig- keiten zu erklären, so wird man sich dieses doch gegenwärtig versagen müssen. Darum, weil sie vorerst unerklärlich sind, wird jedoch die Be- deutung der aufgefundenen Thatsachen nicht geschmälert, denn sie decken uns neue Eigenschaften des Werkzeuges auf, das die inneren Herzreize entwickelt und sie geben uns eine Anleitung, wie wir seine zu Tage tretenden Aeusserungen nach Belieben zu ändern vermögen. Wer mit neuen Versuchen .an dem verstümmelten, von Säugethier- blut und Salzlösungen gespeisten Froschherzen hervortritt, wird die Ein- würfe nicht mit Stillschweigen übergehen dürfen, welche man gegen sie vorgebracht. Die Schläge, welche unter den genannten Umständen aul- treten, glaubte man für grundsätzlich verschieden von denen ansehen zu dürfen, welche das unversehrte, mit Froschblut gefüllte Froschherz aus- führt; darum nannte man die ersteren auch Reizbewegungen, um sie von den letzteren grundsätzlich zu unterscheiden. — Fragen wir nach der Berechtigung für die Aufstellung dieses Unterschiedes, so ist sogleich zu erkennen, dass sie nicht aus der verschiedenen Erscheinungsweise der Zuckungen des Ventrikels gewonnen werden kann; denn das, was die Schläge desselben auszeichnet so lange er sich in seiner natürlichen Lage befindet, die Gleichzeitigkeit der Zusammenziehung aller seiner Fasern und die periodische Wiederkehr der Zuckungen, zeigt auch die ange- schnittene, mit jenen künstlichen Mischungen erfüllte Kammer. Stimmen aber die Bewegungen des unter den verschiedenen Bedingungen schlagen- den Herzens in ihrer Erscheinung überein, so könnte sie nur noch rück- sichtlich der veranlassenden Ursache verschieden sein. Nun ist uns der Reiz, der die normalen Herzbewegungen veranlasst, seiner Entstehung und seinem Verlaufe nach vollkommen unbekannt. Ginge er aber, wie man behauptet, von den Ganglien aus und gelänge es nach dem Weg- falle derselben, dieselben Bewegungen dadurch hervorzurufen, dass man die Höhle des Ventrikels mit einer reizenden Lösung füllte, so würde hierdurch ein eigenthümliches Licht auf die von den Ganglien ausgehen- den Anstösse geworfen. Denn wenn trotz der Anwesenheit einer stetig. reizenden Flüssigkeit keine tetanische, vielmehr eine nach regelmässigen Zeitabschnitten wiederkehrende Zuckung hervorgerufen würde, so müsste man schliessen, dass in dem Muskel selbst der Grund für die rhythmische Wiederkehr des Schlages liege. Damit würde auch die Annahme hin- fällig, dass von den Ganglien aus ein rhythmischer Anstoss erfolge, und es wäre für die Herzbewegung als solche vollkommen gleichgiltig, ob man den Reiz von den Ganglien oder aber von der in die Kammerhöhle gefüllten Flüssigkeit ausgehen liesse. 268 STIRNON: In Folge dieser Erwägung erschien es mir unbedenklich, mit den angegebenen Mitteln auf das mir gesteckte Ziel hinzuarbeiten. Wie weit ich gekommen, wird man aus den mitzutheilenden Versuchen ersehen. 1. Die Wirkung des Serums nach der Ausschslne seines kohlensauren Natrons. Um den Antheil zu ermitteln, welchen das Serum durch seine alka- lische Reaction an der Entstehung des Herzschlages nimmt, bietet sich als nächstliesendes Mittel seine Neutralisation durch eine fixe Säure. Da man aber, wegen der schädlichen Wirkung der Säure, sich auch vor der geringsten Uebersättigung zu hüten hat, so empfiehlt es sich, statt der ohnedies schwer zu erreichenden vollkommenen Neutralität eine nur an- genäherte herbeizuführen. Hieraus entspringt allerdings der Uebelstand, dass man bei der Wiederholung des Versuchs mit verschiedenen Seren niemals mit Sicherheit behaupten kann, die Sättigung auf genau gleichen Grad gebracht zu haben, weshalb man von vornherein auf kleine Ab- weichungen im Erfolge verschiedener Versuche zu rechnen hat. Vergleicht man unter Anwendung der gegebenen Vorschrift die Wirkungen des neutralisirten mit denjenigen des ursprünglichen Serums, so hat man weiterhin zu beachten, dass sich die beiden Flüssigkeiten nicht bloss durch ihre Alkalescenz, dass sie sich auch durch den Gehalt an einer neuen Salzmenge unterscheiden, welchen die neutralisirte vor dem ur- sprünglichen Serum voraus hat. Um über die Nebenwirkungen derselben wenigstens einen Fingerzeig zu erhalten, wird es sich empfehlen, ver- schiedene Säuren, z.B. Schwefel-, Salz-, Essigsäure, zur Abstumpfung der alkalischen Reaction zu benutzen. Durch den Versuch mit dem nentralisirten Serum kann nur der An- theil der alkalischen Reaction als solcher dargethan werden, ungewiss aber bleibt es, ob die hervorgebrachte Aenderung in der Thätigkeit des Herzens dem Ausfall des kohlensauren Natrons zuzuschreiben seien. Zur Beseitigung dieser Unsicherheit wurde stets eine Portion des neutralisirten Serums wiederum mit so viel kohlensaurem Natron versetzt, dass dasselbe möglichst nahe auf seinen Normalgehalt an diesem Salze kam. . Das Ergebniss, zu welchem die Versuche mit dem neutralisirten Salze führen, lässt sich folgendermaassen aussprechen: Wird das Herz, welches durch die vorausgegangenen Auswaschungen O.6procentiger NaCl-Lösung in den Scheintod versetzt war, mit neu- tralisirtem Serum gefüllt, so erhebt sich die Leistungsfähigkeit seiner Muskeln auf eine weit geringere Stufe, als sie unter gleichen Umständen durch unverändertes Serum erreicht wird. Dieses zeigt sich DIE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS UV. Ss. w. 269 in dem Umfange einer einzelnen Zuckung, die auf eine nach Minuten zählende Pause folgt, dann auch in dem Maximum, auf welches die Hub- höhe in einer Reihe von Schlägen steigt, die in einer nach Secunden zählenden Zwischenzeit geweckt werden, und endlich in der Steilheit des Abfalls, den der Zuckungsumfang aufweist, wenn sich die Schläge noch jenseit des erreichten Maximums fortsetzen. Immer fällt die Zuckung weit niedriger aus und es tritt die Ermüdung rascher ein, wenn die Herzhöhle statt des normalen ein neutralisirtes Serum enthält. Auf die Schlagfolge wirkt das neutralisirte Serum stets beruhigend, jedoch nicht immer in demselben Grade. Es kommt vor, dass das sich selbst überlassene Herz vollkommen still steht und dass es auf eine Be- rührung seiner Oberfläche jedesmal nur einen Schlag ausführt. Diesen Zustand könnte man auf eine intensive Reizung der hemmenden oder auch auf eine Erschöpfung der erregenden Vorrichtungen beziehen, letz- teres unter der Voraussetzung, dass man die von Ad. Fick und W. Engel- mann vertretene Ansicht gelten lässt, wonach die einer beschränkten Stelle des Herzmuskels eingepflanzte Erregung sich ohne Vermittelung der Nerven bez. eines nervösen Centrums allseitig verbreitet. — In anderen Fällen führt zwar das sich selbst überlassene Herz keinen Schlag aus, aber durch die Berührung seiner Oberfläche wird nicht nur eine, sondern eine Reihe von Zuckungen hervorgerufen, die in Intervallen von zwei bis drei Secunden aufeinander folgen. Auch diese neue Erscheinung ist mehrdeutig; beruht das Auftreten der mehrfachen Schläge in einer dem gereizten N. accelerans analogen Wirkung? oder bedingt die künst- lich hervorgerufene Zuckung eine chemische Aenderung, aus der die Möglichkeit zu einer grösseren Zahl von Schlägen fliesst? — In noch anderen Fällen endlich treten auch ohne das Hinzutreten von äusseren Reizen, also selbständige, Schläge auf, aber dieses geschieht nur nach längeren Pausen, so dass auch jetzt das mit neutralisirtem Serum ge- füllte Herz weit seltener als das mit alkalischem Serum gefüllte zuckt. In meinen Beobachtungen wurde der vollkommene Ausfall des selb- ständigen Schlages nur nach der Sättigung durch Schwefelsäure bemerkt und es trat die, wenn auch seltene, aber doch selbständige Wiederkehr der Zuckung jedesmal nach der Neutralisation mit Essigsäure auf. Darf man hieraus schliessen, dass der beobachtete Erfolg in einem Zusammen- hange mit der Art der neutralisirenden Säure steht? Die Veränderungen, welche die Leistungen des Herzens erfuhren. wenn es mit neutralisirtem statt mit normalem Serum gespeist war, lassen sich wieder vollkommen rückgängig machen, wenn das neutralisirte Serum nach einem entsprechenden Zusatz von Na, CO, in die Kammerhöhle gefüllt wird. Hierin liegt der Beweis, dass die Umstimmung, welche . 270 STIRNON: die Neutralisation des Serums hervorbrachte, in der Ausschaltung des kohlensauren Natrons begründet war. Zum Belege des vorhergehenden mögen einige Versuchsangaben dienen, die im Anhange mit I, II, III, IV bezeichnet vorgelegt sind. 2. Ausschaltung der Eiweissstoffe. Bei den gegenwärtig verfügbaren analytischen Mitteln ist es unaus- führbar, die verschiedenen Eiweissstoffe einzeln oder insgesammt aus dem Serum zu entfernen, ohne damit die Eigenschaften des restirenden Lösungsgemenges wesentlich zu beeinträchtigen. Wenn es sich demnach nicht feststellen lässt, wie kräftig und häufig ein Herz während seiner Füllung mit einem Serum schlagen werde, welches sich von dem normalen nur durch den Gehalt an einzelnen oder allen Eiweissarten unterscheidet, so erschien es mir doch nicht werthlos zu sein, das Serum einer Reihe von Operationen zu unterwerfen, durch welche, freilich neben anderen, die Eiweissstoffe entfernt wurden und die gewonnenen Präparate auf ihre Wirkung für die Herzthätigkeit zu prüfen. Durch solche Versuche lassen sich jedenfalls Fingerzeige für den Weg finden, auf dem man hoffen darf, durch Synthese das zu erreichen, was der Analyse versagt geblieben. — Zunächst werde ich die Herstellung der verschiedenen Flüssigkeiten be- schreiben. a. Gekochtes Serum. Nachdem frisches Serum mehrere Minuten hindurch im Wasserbade auf der Gerinnungstemperatur des Eiweisses erhalten war, wurde die Flüssigkeit durch Filtration und Auspressen von dem Coagulum gesondert. — d. Frisches Serum wurde mit Schwefel- oder Essigsäure neutralisirt und dann auf 75°C. erhitzt. Die von dem Coagulum befreite Flüssigkeit wurde entweder als solche oder nach einem Zusatz von Na,CO, verwendet. — c. Nach vorgängiger Neutralisation wurde das Serum mit dem vierfachen Volum destillirten Wassers versetzt. Der niedergefallene Eiweisskörper, der Fibrinoplast von Al. Schmidt, wurde filtrirt, ausgewaschen und in 0-6°/, NaCl-Lösung verflüssigt. Dies Volum der angewendeten NaCl-Lösung wurde so gewählt, dass die Con- centration des Fibrinoplasten derjenigen, welche er im Serum besitzt, gleichkam. Diese fibrinoplastische Lösung wurde entweder unverändert . oder nach vorausgegangenem Zusatz an Na, CO, verwendet. — d. Als ein Nebenproduct wurde bei diesem Verfahren ein Serum gewonnen, das von seinem fibrinoplastischen Stoffe befreit war. Um auch dieses dem Ver- suche unterwerfen zu können, wurde demselben soviel NaCl zugesetzt, dass sich das dem Serum zugefügte Wasser in eine NaCl-Lösung von 0-6 °/, verwandelte; auch dieses vom Fibrinoplasten befreite Serum kam Die BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U.S.w. 271 entweder neutral oder mit Na, CO, versetzt in das Herz. — e. Frisches Serum wurde mit dem vierfachen Volum 85°/, Alkohols gefällt. Der Niederschlag entweder einfach ausgepresst oder mit Wasser und Alkohol ausgewaschen, die Flüssigkeiten auf dem Wasserbade eingedampft, der Rückstand mit einem Wasservolum ausgezogen, welches dem des ursprüng- lichen Serums gleich kam. In dieser Lösung fand sich in der Regel noch Eiweiss. — f. Wurde aber der Rückstand des eben beschriebenen Alkohol- auszuges noch einmal mit starkem Alkohol erschöpft, dann dieser zweite Auszug eingedampft und der Rückstand in Wasser gelöst, so konnte durch ‘ Blutlaugensalz und Essigsäure kein Niederschlag mehr hervorgerufen werden. Jedes der aufsezählten Präparate ist mehrmals aus verschiedenen Sorten von Serum dargestellt und bezüglich seiner Wirkungen auf das Herz mit denen des frischen Serums oder Blutes verglichen worden. Hierbei wurde womöglich das Serum, aus welchem das Präparat stammte, zur Vergleichung herbeigezogen und immer darauf Bedacht genommen, dass die Verdünnung, in welcher die Stoffe des modificirten Serums zur Verwendung kamen, möglichst nahe der des unveränderten Serums oder Blutes stand. a) Gekochtes Serum. Besteht ein Unterschied zwischen den Wirkungen des frischen und des gekochten Serums auf das Herz, so ist derselbe nur begründet in der Geschwindigkeit, mit welcher der Muskel die verlorene Leistungsfähigkeit wieder gewinnt und sie während der Arbeit einbüsst, nicht aber in dem Umfange, welchen die Zuckung sünstiesten Falls erreichen kann. Das Verhältniss, in welchem die er- frischenden Eigenschaften beider Flüssigkeiten zu einander stehen, ist am vollständigsten bei einem Herzen sichtbar, dass seine Schläge nach Gruppen ordnet, die durch lange diastolische Ruhen von einander getrennt sind. Geschieht dieses, so ist der erste Schlag einer Gruppe niedrig, dann wächst mit der fortschreitenden Zahl der Schläge die Hubhöhe, bis diese ein Maximum erreicht hat, von dem sie bei weiterer Fortsetzung des Schlages allmählich herabsinkt. Wenn ein Herz von dieser Schlagart durch wiederholtes Auswaschen mit 0-6°/, NaCl-Lösung in den Schein- tod versetzt war und das einemal mit frischem und ein zweitesmal mit gekochtem Serum erfüllt wird, so ist in beiden Fällen das Maximum, auf welche das Quecksilber durch das Herz gehoben werden kann, vollkommen gleich. Insofern stellt also das gekochte Serum den Muskel ebenso voll- ständig her, wie das frische. Anders aber verhalten sich die Zuckungen vom Beginn und am Ende der Gruppe. Bei der Anwesenheit des ge- kochten Serums ist der erste Schlag niedriger als bei der des frischen, selbst wenn die vorausgegangene diastolische Ruhe im ersteren Fall 2 A STIRNON: kürzer als im letzteren gewesen. Sonach lässt das gekochte Serum die Leistungsfähigkeit des Muskels während der Herzruhe tiefer herabsinken als das frische. — In gleicher Weise zeigt sich jenseit des erreichten Maximums der Hubhöhen die erhaltende Kraft des gekochten Serums als die geringere, denn es nehmen die Schläge in ihrem Umfange bei der Speisung mit diesem rascher als während der Anwesenheit des frischen Serums ab. Sonach ist dieses letztere im Stande, den Muskel besser vor der anwachsenden Ermüdung zu beschützen. — Schärfer als es eben ge- schehen, lässt sich die Wirkungsfähigkeit der beiden Serumarten nicht angeben, namentlich nicht wie sich die Arbeitsgrösse des Herzens für gleiche Volumina der beiden Flüssigkeiten stellt; dieses würde erst mög- lich werden, wenn wir die Schlagfolge zu beherrschen und den Zustand des Muskels beim Beginn der beiderseitigen Füllungen gleich zu machen verständen. In Bezug auf die Schlagfolge finden sich bei: der Füllung mit unverändertem und mit gekochtem Serum keine merklichen Unter- schiede vor. Zur Bestätigung der mitgetheilten Sätze dienen die Versuche, welche unter V und VI im Anhang mitgetheilt sind. b) Serum neutralisirt und dann gekocht. Das auf diese Weise hergestellte Präparat wirkt sehr ähnlich wie das neutralisirte un- gekochte Serum. Ein mit ihm gefülltes Herz erleidet an der Leistungs- fähigkeit seiner Muskeln eine wesentliche Einbusse. Vermindert zeigt sich auch die Häufigkeit seines Schlages, oft vergehen lange Zeiten, ehe das Herz aus eigenem Antriebe pulsirt, und wenn es während einer solchen Ruhe auf seiner Oberfläche berührt wird, so erfolgt öfter nur ein, manchmal jedoch auch eine grössere Reihe von Schlägen. Wird dagegen die neutrale Flüssigkeit durch einen Zusatz von Na,CO, auf den früheren Grad alkalischer Reaction zurückgebracht, so gleicht die Flüssigkeit in ihren Wirkungen denen.des nur gekochten Serums. Aus dem Scheintod, in den es durch eine 0-6°/, NaC]l-Lösung versetzt war, wird es durch diese eiweissarme alkalisch reagirende Flüssigkeit wieder zu Schlägen, die mit grosser Energie rascher aufeinander folgen, befähigt. Zur Erläuterung des Gesagten diene das Beispiel VII im Anhang. c) Die Lösung des fibrinoplastischen Stoffes in einem Wasser, das entweder noch 0-6°/, NaCl oder neben letzterem auch noch 0-1°/, Na,CO, enthält. Diese Gemenge, welche den fibrinoplastischen Stoff in annähernd derselben Dichtigkeit wie im Serum enthielten, ver- anlassten dieselben Erscheinungen, welche die reine oder die mit kohlen- saurem Natron versetzte Kochsalzlösung von entsprechender Concentration hervorzubringen vermögen. — Das negative Ergebniss dieser Versuche Dis BETHEILIGUNG DER- EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U.S.w. 275 empfängt eine Bestätigung durch die Gegenprobe mit dem Serum, aus welchem der fibrinoplastische Stoff ausgefällt war. Ward dem durch vier Volumina Wasser verdünnten Serum soviel NaCl zugesetzt, dass es wie ein mit der gleichen Menge 0-6procentiger Na0l- Lösung vermischtes anzusehen war, und wurde ferner durch einen Zusatz von Na,CO, die abstumpfende Wirkung der Säure aufgehoben, so verhielt sich, soweit ich sehen konnte, dieses von seinem fibrinoplastischen Stofie befreite Serum genau so wie das unveränderte. d) Alkoholischer Auszug des Serums. Von diesem Extracte hatte Merunowiez wiederholt Wirkungen gesehen, die sich von denen des unveränderten Serums nur wenig unterschieden; hätte sich ein Alkohol- auszug von diesen Eigenschaften mit Sicherheit darstellen lassen, so würde durch ihn, wegen der geringeren Verwicklungen seiner Zusammensetzung die Auslese der für das Herz wirksamen Stoffe sehr erleichtert worden sein. Aus diesem Grunde habe ich seiner Gewinnung, unter mannig- facher Abänderung des Verfahrens, viel Aufmerksamkeit geschenkt; dabei ist mir aber das, was ich zu erreichen wünschte, die sichere Herstellung eines wirksamen Präparates, nicht geglückt. Alle Auszüge, gleichgültig nach welcher der früher beschriebenen Methoden sie auch angefertigt waren, gaben allerdings dem Herzen die Befähigurg zum selbständigen Schlage wieder, welche ihm durch die vorausgegangenen Durchwaschungen mit NaCl-Lösung genommen war, aber dieses geschah in einem sehr ungleichen Grade und auch besten Falls nur in einem solchen, der weit hinter der Wirkungsfähigkeit des unveränderten Serums zurückblieb. Von allen Extracten erwiesen sich diejenigen am wenigstens er- frischend, welche ich als die eiweissfreien bezeichnet habe. Die Zuckungen, welche das Herz ausführte, waren in allen Fällen nur wenig umfangreich und die Zahl der ‘selbständigen Schläge gering. Und auch diese Zeichen des wieder erweckten Lebens verloren. sich allmählich, wenn das Herz wiederholt mit der Lösung des Extractes ausgewaschen wurde; es verfiel gerade so in den Scheintod, wie wenn es mit einer O-6procentigen NaCl-Lösung gefüllt worden wäre. Grössere Abweichungen von einander boten die aus verschiedenen Darstellungen herrührenden eiweisshaltigen Extraete. Einigemale hoben die Schläge des wieder belebten Herzens die Hg-Säule nur auf eine sehr geringe Höhe, anderemale aber kam der Umfang der Zuckungen denjenigen ziemlich nahe, die unter der Beihülfe des verdünnten Blutes entstanden. Die Zahl und die Häufigkeit der aus innerem Antriebe erfolgenden Schläge war meist gering. Blieb das Herz unter wiederholter Erneuerung der Füllung mit der Lösung des eiweisshaltigen Extractes längere Zeit in Archiv f, A, u, Ph, 1878, Physiol. Abth. 18 274 STIENON: Berührung, so verlor sich die Befähigung zum selbständigen Schlage vollkommen. Der Zustand, in den es verfiel, unterschied sich jedoch von dem durch O-6procentige NaCl-Lösung erzeugbaren dadurch, dass es jede Berührung seiner Oberfläche mindestens mit einem, häufig aber auch mit ganzen Reihen von Schlägen beantwortete. Der unverkennbare Unterschied, welcher zwischen der erfrischenden Kraft des Extractes besteht, je nachdem es Eiweiss enthält oder davon entblösst ist, darf, wie kaum hervorzuheben nöthig, nicht ohne Weiteres auf Rechnung des genannten Stoffes ‚gesetzt werden. Dem bei ihrer Dar- stellung verwendeten Verfahren gemäss sind die beiden Präparate nicht bloss durch ihren Gehalt an Eiweiss von einander verschieden. So lange . es aber an einem Nachweis darüber fehlt, in wie weit andere noch neben dem Eiweiss vorkommende Stoffe von Bedeutung sind, wird man mit einem abschliessenden Urtheil vorsichtig sein müssen, und dieses um so mehr, weil auch die eiweisshaltigen Extracte verschiedener Darstellung unter einander bedeutende Abweichungen zeigten. Von den fünf Beispielen, welche ich im Anhang zur Erläuterung mittheile, betreffen die unter VIII, IX und X aufgeführten eiweissfreies, die mit XI und XII bezeichneten eiweisshaltiges Alkoholextract. 3. Aschen der Serumextracte. Um zu ermitteln, in wie weit die Wirkungen der eiweissarmen oder eiweissfreien Flüssigkeiten, welche aus dem Serum stammten, von ihren mineralischen Bestandtheilen abzuleiten seien, wurden mehrmals aus den- selben Aschen bereitet. : a) Asche des wässerigen Extractes; sie wurde hergestellt aus. der Flüssigkeit, welche von dem Coagulum abgepresst war, das beim Kochen des neutralisirten Schaafserums entstand. Die neutrale Asche ward in einem Volum destillirten Wassers gelöst, das demjenigen des Serums gleichkam, aus welchem sie stammte. Da das neutrale Serum sich un- tauglich zur Erfrischung des Herzens erwiesen hatte, so wurde der Aschen- lösung soviel Na, CO, zugesetzt, bis sie 0-1°/, desselben enthielt. Wurde diese Flüssigkeit in das durch O-6procentige NaCl-Lösung beruhigte Herz gefüllt, so begann dasselbe alsbald wieder zu schlagen, aber der Umfang der Zuckungen, welche es ausführte, blieb sehr bedeutend hinter denen zurück, die das frische Serum oder der mit Na, (0, versetzte wässerige Auszug desselben hervorzurufen vermochte; dieser letztere be- wirkte beispielsweise eine Hubhöhe von 20”” Hg, während die alkalische Aschenlösung nur einen solchen von 6” Hg ermöglichte. Als der Hub nach 62 Schlägen auf 0.5”" Hg herabgesunken war, so konnte er durch DIE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U.S.w. 27 eine abermalige Füllung zwar auf 6”” Ho gehoben werden, aber er ver- minderte sich schon nach 55 Schlägen bis zum unsichtbaren. Eine zweite Erneuerung des Inhaltes brachte nur eine Hubhöhe von 2”” Hs zurück, und von da ab war die Wiederholung der Füllung überhaupt unwirk- sam. — So lange das Herz sich sichtbar eontrahirte, foleten. die Schläge einander in ähnlichen Zwischenzeiten, wie bei Anwendung des alkalischen Serumextractes. b) Asche des alkoholischen, eiweissfreien Serumextractes. — Auch diese Lösung befähigt das Herz von Neuem zu Zuckungen, wenn das- selbe durch die wiederholte Einwirkung von O-6procentiger NaCl-Lösung zur Ruhe gekommen war. Sie verhält sich also insofern ähnlich wie das Extract selbst. Beide unterscheiden sich jedoch dadurch, dass der Umfang, den die Zuckungen annehmen, unter der Anwendung der Asche zuweilen orösser ausfällt, wie bei derjenigen des Extractes selbst. So bewirkte beispielsweise die Lösung des eiweissfreien Extractes einen Hub von nur 2”"® Ho, während die daraus dargestellte Asche denselben auf 10”= Hg emporbrachte. — Auf dieser Leistung vermochte die Aschen- lösung das Herz nur vorübergehend zu erhalten und sie büsste ihre Wirkung vollkommen ein, wenn ihre alkalische Reaction durch eine fixe Säure abgestumpft war. Gleich allen anderen das Herz erfrischenden Flüssiekeiten kann auch ein gegebenes Volum der Aschenlösung nur eine beschränkte Zahl von Zuckungen hervorbringen. Ist diese erreicht, so verhält sich das Herz während noch länger dauernder Anwesenheit jener Lösungsportion ruhig. Wird sie aber, nachdem sie unwirksam geworden, aus dem Herzen herausgenommen, an der Luft geschüttelt-und nun von Neuem eingefüllt, so hat sie, wenn auch in beschränktem Maasse, ihre erholende Kraft wieder gewonnen. — Erwähnenswerth scheint mir auch das Verhalten des mit Aschenlösung behandelten Herzens gegen Koch- salz. Hatten sich nach einer wiederholten Füllung mit Aschenlösung die Wirkungen derselben allmählich erschöpft, und wurden nun die im Herzen verbliebenen Reste mit 0.6 procentiger NaÜl-Lösung ausge- waschen, so begannen unter ihrem Einfluss die Schläge von Neuem und es war jetzt zur vollen Beruhigung des Herzens eine länger dauernde Einwirkung des Kochsalzes nöthig, als es vor der Anwesenheit der Aschen- lösung der Fall gewesen. In Bezug auf die Schlagfolge wurde während der Anwesenheit der Aschenlösung und des Extractes selbst kein Unterschied bemerkt. Zur Erläuterung finden sich im Anhang die Versuche XIII und XIV. 1 276 STIENON: 4. Lösung einer Salzmischung aus NaCl und Na, (0.. Mit voller Beweiskraft treten die bis dahin mitgetheilten Versuche für die Bedeutung ein, welche das Na, CO, im Gemenge mit anderen organischen Bestandtheilen des Serums für die Erhaltung des Herz- schlages besitzt. Erst durch sein Hinzutreten gewinnen die übrigen zu einer positiven Wirkung befähigten Stoffe ihre Bedeutung. In dieser hervorragenden Stellung kann es durch kein anderes Mineralsalz des Blutes vertreten werden, namentlich nicht durch KCl, K,SO, und Na,H PO,, wovon ich mich durch vielfache Versuche überzeugt habe. Aehnliche, wenn auch weit geringer umfangreiche Erfahrungen, haben schon Merunowicz bestimmt, mit Lösungen von 0-6°/, NaCl, die mit kohlensaurem Natron versetzt waren, einige Beobachtungen anzu- stellen. Die Ergebnisse, zu denen er gelangte, habe ich zu bestätigen und zu erweitern getrachtet. Wird das Herz, nachdem es wie gewöhnlich in den Scheintod ver- setzt ist, mit einer NaCl-Lösung gespeist, welche in 100 Theilen eben- soviel oder auch beträchtlich weniger an Na,CO, wie das Serum — seinem Gehalt an CO, entsprechend — zu enthalten pflegt, so nimmt dasselbe den bisher unterbliebenen Schlag wieder auf; ausnahmslos ist in einem ersten Zeitraum, der nach der Füllung folgt, die Schlagfolge beschleunigter als in einem späteren und endlich, wenn dieselbe Flüssig- keitsmenge anhaltend in dem Herzen verweilt, hört der Schlag gänzlich auf oder er erscheint nur nach sehr langen Pausen. Wird nun der un- wirksam gewordene Inhalt aus dem Herzen entleert und gegen eine neue Portion von Flüssigkeit ausgetauscht, welche gerade so wie die früher eingefüllten zusammengesetzt ist, so gewahrt man die vorher beobachtete Erscheinung von Neuem, jedoch mit dem Unterschied, dass sie sich nun weit deutlicher ausprägt. Unmittelbar nach Vollendung des neuen Zu- satzes treten eine Reihe von Schlägen auf, welche in regelmässigen Inter- vallen von nur wenigen — zwei bis drei — Secunden auf einander folgen, allmählich aber verlängern sich die Pausen, bis sie endlich eine Dauer von 10, 20 und mehr Secunden betragen; beginnen dann die Schläge von Neuem, so erscheinen sie in Gruppen geordnet, deren Inter- valle um so grösser werden, je länger dieselbe Portion der Flüssigkeit im Herzen verbleibt; zugleich mindert sich die Zahl der in einer Gruppe vertretenen Schläge, bis endlich durch lange Pausen von einander ge- trennt nur noch einzelne Zuckungen zu Stande kommen. — Wird jetzt die bisher anwesende Flüssigkeitsmasse gegen eine neue ausgetauscht, so Die BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U. Ss. w. 277 kehrt mit geringen Modificationen die frühere Reihe der Erscheinungen - wieder, und sie wiederholt sich stundenlang mit demselben Erfolge nach jeder neuen Füllung, so dass von dem Herzen, das in dieser ganzen Zeit nur mit einer Lösung von Mineralsalzen gespeist war, 1000 und mehr Schläge ausgeführt werden. Sammelt man die Flüssigkeitsmengen, welche durch längeres Ver- weilen in dem Herzen unwirksam geworden sind und füllt sie von Neuem in die Kammerhöhle, so regen dieselben, und zwar um so sicherer, je anhaltender man sie mit Luft geschüttelt hat, den Schlag von Neuem an, gerade so, wie eine frische, noch nicht durch das Herz hindurchgegangene Portion. Nach einigen wenigen mir vorliegenden Beobachtungen scheint es, als ob die Geschwindigkeit der Schlagfolge zu dem Gehalt der Na Cl- Lösung an kohlensaurem Natron in einer Beziehung steht; doch will ich mich hierüber vorerst einer abschliessenden Bemerkung enthalten. Das kohlensaure Natron vermag, wie wir eben sahen, dem Herzmuskel seine Zuckungsfähigkeit zurückzugeben, die er durch die Einwirkung der Na Cl-Lösung eingebüsst hatte, doch es bleibt der Umfang, welchen die einzelne Zusammenziehung zu erlangen vermag, weit hinter derjenigen zurück, die das unveränderte Serum hervorbringt. Aber wenn auch die Arbeit, welche der einzelne Schlag vollführt, nur gering ist, so verhält es sich wesentlich anders mit der Summe der Leistungen, die das Herz in den 1000 und mehr Schlägen erzeugt, welche unter der Mitwirkung der sodahaltigen Kochsalzlösung auftreten. Als Beispiel für die Wirkung unserer Lösung diene die im Anhang unter XV mitgetheilte Beobachtung.. Erheben wir jetzt am Schlusse dieser Mittheilungen die Frage, welche Stoffe den aus dem Serum dargestellten Flüssigkeiten eigen sein müssen, wenn sie dem Herzen die Befähigung zum kräftigen und regelmässig wiederkehrenden Schlage ertheilen sollen, so erhalten wir zur Antwort, dass hierzu in einer O-6procentigen NaCl-Lösung die Anwesenheit von 0.5 bis 0.1°/, Na,CO, und die einer nur in Wasser oder verdünntem Alkohol löslichen organischen Verbindung, also wahrscheinlich eines Eiweisskörpers ausreichen, während die übrigen Bestandtheile des Serums — vielleicht nur mit Ausnahme des Sauerstoffs — für den genannten Zweck gleichgiltig sind. 278 STIENON: Die beiden Stoffe, welche sich neben dem NaCl in der wässerigen Lösung befinden müssen, sind jedoch ihrer Wirkung nach keineswegs gleichwerthig zu achten, so dass die Entfernung des einen dieselben Folgen wie die des anderen nach sich zöge; es erscheint vielmehr die Aufoabe, welche dem Na, CO, zufällt, weit bedeutungsvoller als die des organischen Stoffes. Denn nach der Ausschaltung des erstgenannten Körpers büsst das Herz seine Fähigkeit, aus eigenem Antrieb zu schlagen, vollständig ein und die Zuckungen, welche es auf Veranlassung äusserer Reize ausführt, sind nur sehr wenig umfangreich. Erwägt man, dass die sogenannten neutralen Flüssigkeiten, welche in meinen Versuchen be- nutzt wurden, noch immer, wenn auch schwach, alkalisch reagirten und dass die Ruhe des Herzens um so vollkommener und der Umfang des Schlages um so geringer war, je näher die Flüssigkeit der neutralen Reaction stand, so kann man es nicht für unwahrscheinlich halten, dass das mit einer wirklich neutralen Lösung gefüllte Herz seinen selb- ständigen Schlag und die Zuckungsfähickeit seiner Muskeln vollständig verloren haben würde. Ist dagegen das Na,CO, ohne jeglichen Zusatz eines verbrennungs- fähigen Körpers vorhanden, und hat dasselbe durch einen längeren Auf- enthalt in der Kammerhöhle noch keine Veränderung in seiner Zusam- mensetzung erfahren, so regt es das Herz zu einer grossen Reihe von Schlägen an, die in regelmässigen und kurzen Intervallen auf einander folgen. Die Energie, welche jedem einzelnen dieser Schläge zukommt, ist jedoch gering; es steigt dieselbe erst zu einem höheren Grade an, wenn der organische Stoff, den wir mit einiger Wahrscheinlichkeit für einen Eiweisskörper angesprochen haben, neben dem Na,CO, in die Lösung tritt. Diesem organischen Zusatz wird man sonach nur die Leistung zuschreiben dürfen, die Zuckungen, welche das Na, CO, anregt, umfang- reicher zu machen. Aber wenn auch das Na, CO, für die Entstehung der Herzreize und der Zuckungen unumgänglich nöthig ist, so wird man doch seine Betheilisung an ihnen nur so auffassen können, dass dasselbe die Umsetzung einer schon vorher im Herzen vorhandenen organischen Verbindung fördert, entweder unmittelbar oder dadurch, dass es einen Widerstand wegräumt, der dem weiteren Verlauf des chemischen Pro- cesses hinderlich ist. Zu der zweiten der eben ausgesprochenen Möglich- keiten stimmt es, dass eine beschränkte Quantität des Salzes bei einer längeren Anwesenheit in der Kammerhöhle. allmählich seine erfrischende Wirkung einbüsst. Dieses lässt sich am einfachsten dahin deuten, dass - jene beschränkte Menge der Salzlösung sich mit irgend einem der schäd- lichen Zersetzungsproducten beladen hätte, welche dem chemischen Vor- gange ihren Ursprung verdanken, der die Herzcontraction einleitet. Und Die BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS uU. Ss. w. 279 da ferner die während ihrer Anwesenheit im Herzen unwirksam gewordene Lösung die erholenden Eigenschaften wiedergewinnt, nachdem sie an die atmosphärische Luft zurückgebracht und mit dieser geschüttelt ist, so liegt der Schluss nahe, dass jenes hemmende Product aus CO, bestanden habe. Eine weitere Bestätigung der eben ausgesprochenen Vermuthung werden uns zukünftige Erfahrungen bringen müssen. Anhang. Zu den folgenden Versuchen diene die Bemerkung, dass die Zahlen, welche die Hubhöhe des Quecksilbers ausdrücken, nur den Werth angeben, um den der schreibende Stift über die Abscisse emporging. Sie bedeuten also um ein Weniges mehr als die Hälfte des Druckes, den das Herz am Ende seiner Systole trug. Da es sich bei unseren Beobachtungen nur um Relationen, keineswegs aber um abso- lute Werthe handelt, so genügte die Mittheilung der auf den Cylinder aufgeschrie- benen Werthe. I. Serum mit Schwefelsäure neutralisirt. Unverändertes Serum in gruppirten Schlägen. 1. Gruppe 36 Schläge, mittlere Schlagdauer 1-6 Sec., Hubhöhe des ersten Schlages 18", des letzten 18%@M, 70 Sec. nach der ersten die 2. Gruppe 35 Schläge, mittlere Schlagdauer 1-6 Sec., Hubhöhe des ersten Schlages 19%, des letzten 16-5%%, 82 Sec. nach der zweiten die 3. Gruppe 37 Schläge, mittlere Schlagdauer 1-6 Sec., Hubhöhe des ersten Schlages 20%, des letzten 16Wm, Achtmal mit Na Cl-Lösung von 0-6, durchspült. Neutralisirtes Serum, schwach alkalisch reagirend. In 160 Sec. kein Schlag. Neutrales Serum mit 0-10/, kohlensaurem Natron versetzt. 1. Füllung. In 500 Sec. keine selbständige Zuckung; es erfolgt jedoch nach jeder Berührung der Herzfläche ein Schlag, der erste mit der “ Hubhöhe von 13%M, die späteren mit Hubhöhe = 14-5 um, 2. Füllung. 5 Sec. nach derselben 4 selbständige Schläge. Mittlere Schlag- dauer 5 See., Hubhöhe des ersten = 16-5"%, des letzten = 17-5 "Mm, Nach 240 Sec.: Gruppe von 4 Schlägen. Mittlere Schlagdauer 20 Sec. EEubhöher 1.5 mn, 3. Füllung. Unmittelbar nach derselben eine Gruppe von 4 Schlägen, Hub- höhe = 19-5", 45 Sec. nach dieser Gruppe 5 Schläge; mit einem mittleren Intervalle von 15 Sec. und einer Hubhöhe = 17"® 15 See. nach der letzteren eine Gruppe von 14 Schlägen ; kleinste Schlagdauer 280 STIENON: = 2 Sec., grösste = 6 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages 19 Um, des letzten 18mm, 55 Sec. nach dieser Gruppe eine neue aus 5 Schlägen. ‘ Hübhöhe = 17mm u. =. £. II. Mit SO, neutralisirt. Unverändertes Serum. Unregelmässige Schlagfolge. In 365 Sec. 55 Schläge, Hubhöhe zwischen 10-5 und 9-5 mm Hg. Mit Na Cl-Lösung von 0°6°/, bis zum Stillstand ausgewaschen. Neutralisirtes Serum. Füllungen dreimal wiederholt. In 750 See. kein selbständiger Schlag. Nach jeder Berührung der äusseren Herzfläche ein Schlag, Hubhöhe derselben 4 bis 1mm Hg. Neutralisirtes Serum mit 0-150°/, kohlensaurem Natron versetzt. Alsbald kehrt der selbständige Schlag zurück. Gruppirt. III. Serum mit Chlorwasserstoff neutralisirt. Unverändertes Serum. ? Die Schläge erfolgen theils unregelmässig, theils in Gruppen. In 732 See. 59 Pulse. In regelmässiger Folge wechseln Gruppen von 9 bis 10 Schlägen mit je 4 isolirt stehenden Schlägen. Mittleres Intervall 12-2 Sec. Hubhöhe wechselnd zwischen 18-5 und 15mm He. Durch Na Cl-Lösung bis zum Stillstand ausgewaschen. Neutralisirtes Serum noch schwach alkalisch. In 370 Sec. keine selbständige Zusammenziehung. Wird die äussere Fläche des Ventrikels berührt, so entsteht eine Zucekung, welcher in Inter- vallen von 2 bis 2-5 Sec. noch einige andere, in der Regel zwei, folgen. Die Hubhöhe des ersten durch Berührung erzeugten Schlages beträgt 2mm Hg, nach mehrmaliger Wiederholung des Anstosses steigt die Hubhöhe auf 4mm Hg. — Während der Anwesenheit des neutra- lisirten Serums sinkt der diastolische Druck allmählich um 2mm Hg. Neutralisirtes Serum mit 0-1250/, kohlensaurem Natron versetzt. 1. Füllung. Alsbald schlägt das Herz 8 Mal. Schlagdauer 3-1 Sec. Hub- höhe mm Hg. In den darauf folgenden 48 Sec. kein Schlag. Als nun das Herz einmal berührt wird, erscheinen 8 Schläge, die in 37 Sec, ablaufen. Hubhöhe des ersten Schlages 9mm Hg, des achten Schlages 10mm He. 2. Füllung. 40 Sec. nach derselben eine Gruppe von 20 Schlägen. Mitt- lere Schlagdauer 3-1 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages 14-5 mm Hg, des letzten 12mm Hs. Nach 140 Sec. erscheint eine zweite Gruppe von 20 Schlägen, und abermals nach 140 Sec. eine dritte von 21 Schlägen. — Die Dauer und die Hubhöhe des a wie in der ersten Gruppe. 3. Füllung. Das Herz schlägt gruppenweise und es steigt die Hubhöhe bis auf 15-6mm He. DIE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS v.S. w. 281 4. Füllung. Das Herz geht in die regelmässige Schlagfolge über, Dauer der Schläge 8 Sec. Hubhöhe 15mm Hg. Auswaschen mit Na Cl-Lösung von 0-6/, bis zum Scheintod, so dass nament- kch die Berührung der Herzoberfläche keine sichtbare Zuckung hervorruft. Neutralisirtes Serum. Trotz 4 Mal wiederholter Füllung bringst das Herz in 1110 Sec. keinen selbständigen Schlag mehr hervor. Jede Berührung erzeugt jedoch eine Zuckung. Um zu prüfen, wie weit die Hubhöhe durch eine Reihe aufeinander folgender Zuckungen zu treiben sei, wurde mehrfach eine Reihe von Anstössen in regelmässigen Zwischenzeiten vorgenommen. Von diesen im Wesentlichen übereinstimmenden schildere ich eine genauer. — Nachdem eine neue Füllung mit neutralisirtem Serum vorgenommen war, gönnte man dem Herzen eine Ruhe von 200 Sec. — Darauf wurden im Verlaufe von 75 Sec. 24 Berührungen des Her- zens mit einer stumpfen Nadel vorgenommen, von denen jede durch eine Zuckung beantwortet wurde. Die erste derselben hob das Queck- silber auf 3-5 mm, in aufsteigender Linie gelangte die vierte Zuckung auf 6.5mm und es sank dann von der siebenten Zuckung aus die Hubhöhe allmählich bis auf 4-5mm herab, so dass 6-.5mm als das Maximum anzusehen war. IV. Serum durch Essigsäure neutralisirt. Unverändertes Serum. Nach der ersten Füllung gruppirte, nach der zweiten annähernd regel- mässige Schlagfolge von 10-6 Sec. mittlerem Intervall; die ersten Schläge nach neuer Füllung hoben das Hg um 18mm, nach 78maliger Wiederkehr derselben noch auf 10 mm, Bis zum Eintritt des Scheintodes mit 06°, Na Cl-Lösung ausgewaschen. Neutralisirtes Serum, noch deutlich von alkalischer Reaction, 1. Füllung. Im Verlaufe von 475 Sec. 33 Schläge. Der Hub anfänglich 12-5mm Ho, am Ende 6 mm, 2. Füllung. In 275 Sec. 18 Schläge, die Hubhöhe der ersten 7mm, des letzten 2mm Hg. 3: Füllung. In 300 Sec. keine selbständige Zuekung. — Auf nur zwei in 20 Sec. aufeinander folgende Anstösse 27 Zuckungen, deren Hubhöhe in aufsteigender Linie von 5 auf 11-5 mm He steigt. — In den fol- genden 800 Sec. erschienen 22 selbständige Pulsationen. Hubhöhe '2 bis 6mm He. 4. Füllung. In 475 Sec. erscheint eine pe von 10 Schlägen, im Ver- laufe von 70 See.; der Hub beginnt beim ersten Schlage mit 2 mm, hat sich steigend beim sechsten Schlage auf 6mm „ehoben, worauf er bis zum zehnten Schlage verharrt. — An diese schliesst sich später noch eine unvollständig aufgeschriebene Gruppe an. Neutralisirtes Serum mit 0-400 0/9 kohlensaurem Natron versetzt. 1. Füllung. Wenige Secunden nach derselben beginnt das Herz zu schlagen, wobei sich nahezu regelmässig in je 2-2 Sec. die Schläge, 112 an Zahl, folgen. Die Hubhöhe der ersten beträgt 11-5, der letzten 10 mm Hg. 282 STIENON: 2. Füllung. Die regelmässige Schlagfolge erhält sich, das Intervall zwischen zwei Schlägen geht auf 1-9 Sec. herab, die Hubhöhe steigt auf 16mm Hs und beträgt nach 86 Schlägen. noch 13mm He. V. Gekochtes Serum. Unverändertes Serum. Der Herzschlag erfolgt gruppirt. 1. Gruppe von 23 Schlägen. Hubhöhe des ersten Schlages = 27-5 um, des sechsten Schlages = 29-0 mm, des 23sten Schlages = 26mm Ho, — Pause von 210 Sec., dann ein Schlag von 26-5mm Hg Hubhöhe. — Pause von 70 Sec. 2. Gruppe von 14 Schlägen in 52 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 26.5mm, des dritten Schlages = 28-0 mm, des 14ten Schlages = 26-.0mm Hg. — Pause von 160 Sec., dann ein Schlag von 25 mm Hubhöhe. — Pause von 55 Sec. 3. Gruppe von 14 Schlägen und 57 Sec. Dauer. Hubhöhe des ersten Schlages 25mm, des dritten Schlages 27mm, des 14ten Schlages 25.0mm, — Pause von 165 See., dann ein Schlag von 22 mm Hubhöhe. — Pause von 55 Sec. 4. Gruppe von 11 Schlägen und 55 Sec. Dauer. Hubhöhe des ersten Schlages = 20mm Hs, des fünften Schlages 24-5 mm, des zehnten Schlages 22 mm He. Gekochtes Serum. Der Herzschlag erfolgt gruppirt. 1. Gruppe von 53 Schlägen in 170 See. Hubhöhe des ersten Schlages 16mm, des elften Schlages 26mm, des 53sten Schlages 20 um Hg. — Pause von 190 Sec. 2. Gruppe von 29 Schlägen in 140 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages 8mm, des sechsten Schlages 22 mm, des 29sten Schlages 17mm Hg. — Pause von 325 Sec. 3. Gruppe von 14 Schlägen in 85 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages Imm, des fünften Schlages 7 mm, des 14ten Schlages 6-5mm He. Unverändertes Serum. Der Herzschlag erfolgt gruppirt. 1. Gruppe von 94 Schlägen in 135 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 18mm, des zweiten Schlages = 22mm, des 94sten Schlages —= 13mm Hg. — Pause von 105 Sec., dann ein Schlag von 15 mm Hg Hubhöhe. — Pause von 350 Sec. 2. Gruppe von 37 Schlägen in 205 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 13-5mm, des elften Schlages = 17:5mm und des 36sten Schlages = 16mm Hg. Mit Na Cl-Lösung von 0:60), bis zum Scheintod ausgewaschen. Unverändertes Serum. Der Herzschlag erfolgt in Gruppen. 1. Gruppe von 26 Schlägen. Hubhöhe des ersten Schlages = 18-5 wm, des zehnten Schlages = 26-5 mm, des 26sten Schlages = 23mm Hg. — Pause von 127 Sec., dann ein Schlag von 22-5wm Hg. — Pause von 45 Sec. DiE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS UV.S.w. 283 2. Gruppe von 47 Schlägen in 290 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 22-5 Sec., von da an abnehmend — bis zum 47sten Schlage = 21-5mm Ho. — Pause von 150 Sec., dann ein Schlag von 17mm He. — Pause von 60 Sec., dann ein Schlag von 16-5mm Ho. — Pause von 45 Sec. 3. Gruppe von 23 Schlägen in 145 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 16:7mm Hg, des vierten Schlages = 21mm, des 23sten Schlages — 19-0 mm Hg. | Mit Na ClI-Lösung von 0:6), bis zum Scheintod ausgewaschen. Gekochtes Serum. Der Herzschlag ordnet sieh zu Gruppen. 1. Gruppe von 23 Schlägen in 100 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = ]J5mm Ho, des vierten Schlages = 21-5 mm, des 23sten Schlages = 20mm Hg. — Pause von 30 Sec. 2. Gruppe von 40 Schlägen in 260 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 17mm, des vierten Schlages = 19 mm, des 40 sten Schlages = 9 mm, — Pause von 360 Sec. 3. Gruppe von 7 Schlägen in 45 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages 1 mm, des siebenten Schlages 3mm He. Mit Na Cl-Lösung von 0-6), bis zum Scheintod ausgewaschen. Unverändertes Serum. Der Herzschlag ordnet sich in Gruppen. 1. Gruppe von 40 Schlägen. Hubhöhe des höchsten Schlages = 22mm, des 40sten Schlages = 21mm Hg. — Pause von 175 Sec. . Gruppe von 12 Schlägen in 90 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages — 2jmm, des °vierten Schlages = 23mm, des zwölften Schlages —= 22mm Ho. — Pause von 55 Sec. 3. Gruppe von 15 Schlägen in 110 Sec.- Hubhöhe des ersten Schlages = 2jmm, des letzten Schlages = 21mm Hg. — Pause von 110 Sec. 4. Gruppe von 18 Schlägen in 140 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 19mm, des vierten Schlages = 21mm, des 1Sten Schlages = 19 mm, — Pause von 155 See. 5. Gruppe von 20 Schlägen in 145 Sec. Hubhöhe des ersten Schlages = 10mm Hs, des. siebenten Schlages = 18mm, des 20sten Schlages = 15-5 mm Hg. Zum Beschluss dieses Versuches wurden nach jedesmal vorausgegangenem Aus- waschen mit 0-6, Na Cl-Lösung noch zwei Füllungen, eine mit gekochtem und die andere mit unverändertem Serum vorgenommen, um das Maximum der Hubhöhen zu bestimmen. Dieses stellte sich unter der Anwesenheit von gekochtem auf 20mm Ho, von unverändertem Serum auf 20-5 mm He. DD VI. Gekochtes Serum. Unverändertes Serum. Das Herz schlägt in Gruppen mit wachsender Pulszahl; in fünf aufeinander folgenden sind der Reihe nach enthalten 4, 8, 13, 16, 26, also im Ganzen 67 Schläge, während 740 Secunden. Demnach ist die mittlere Schlagdauer 11 See. Die Hubhöhe der ersten Pulse 15-5 mm Hg, des letzten 14-O0mm Ho. 284 STIENON: Gekochtes Serum. Die Schlagfolge annähernd regelmässig, 66 Pulse in 450 See. Demnach beträgt die mittlere Schlagdauer 6-4 Sec. Die Hubhöhe beginnt mit 15mm und schliesst mit 13-5mm Hg. — Nachdem die Aufzeichnung der Pulse 170 Sec. hindurch unterlassen gewesen, beginut sie von Neuem. In 265 Secunden erfolgen 35 Schläge ; mittlere Dauer eines solchen = 7-8 Sec. Die Hubhöhe fällt von 13-5mm auf 10-5mm He. Unverändertes Serum. = Die Schlagfolge, anfangs gruppirt, wird bald regelmässig. In 870 See. erscheinen 104 Schläge, also mittlere Schlagdauer 8-4 Sec. Die Hub- höhe beginnt mit 15-5 mm und endet mit 14mm Ho. Mit Na Cl-Lösung von 0°6°/, bis zum Eintritt des Scheintodes ausgewaschen. Gekochtes Serum. Nach der Einfüllung schlägt das Herz kräftig und fast regelmässig; in 700 Sec. erfolgen 96 Schläge, demnach mittlere Schlagdauer 8-5 Sec. Die Hubhöhe, anfangs 15-5 mm, endet mit 12-Smm Hp. Mit Na Cl-Lösung von 0-60/, ausgewaschen. Unverändertes Serum. Annähernd regelmässige Schlagfolge, in 750 Sec. fallen 86 Schläge, also mittlere Dauer eines derselben 8-5 Sec. Die Hubhöhe beginnt mit 14mm und endet mit 13mm Hg. VII. Frisches Serum, annähernd neutralisirt und erhitzt, dann mit 0:10, Nas CO; versetzt. Unverändertes Serum. Regelmässiger Schlag. In 365 Sec. 34 Schläge, die Hubhöhe derselben bis zu Ende 12mm Hg. Mit Na Cl-Lösung von 0:6 %, bis zum Scheintod ausgewaschen. Neutralisirtes (schwach alkalisches) und gekochtes Serum. 1. Füllung. Nach 30 Sec. ein Schlag. Hubhöhe = 2mm Hg. — Pause von 80 Sec. — In Folge zweier aufeinander folgender Berührungen zwei Schläge mit je einer Hubhöhe von 4mm Hg. — An diese schliesst sich 1. Gruppe von 10 Schlägen in 32 See. mit regelmässiger Folge und einer . Hubhöhe von 5mm Hs. — Pause von 140 See. 2. Gruppe von 7 Schlägen in 30 Sec., die Hubhöhe des ersten Schlages — 3mm, des siebenten Schlages = 3-5wm Hg. — Pause von 42 Sec. 3. Gruppe von 7 Schlägen in 55 Sec., die Hubhöhe = 3mm Hg. — Pause von 25 Sec. 4. Gruppe von 9 Schlägen. Hubhöhe = 3mm Hg. — Pause von 40 Sec. 5. Gruppe von 7 Schlägen. Hubhöhe = 3mm Hg. — Pause von 70 Sec. 6. Gruppe von 8 Schlägen in 57 Sec. Hubhöhe = 2mm Hg. — Pause von 90 Sec. 7. Gruppe von 8 Schlägen in 60 Sec. Hubhöhe 2mm Hg. DiE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U.S.w. 285 2. Füllung. In 375 Sec. erfolgt kein selbständiger Schlag; 13 Berührungen rufen dagegen 8 Schläge hervor, deren Hubhöhe zwischen 0-5 und 4 mm Hg schwankte. — An eine hierauf geschehene Berührung knüpft sich 1. Gruppe von 10 Schlägen in 70 Sec. Hubhöhe 4mm Hg. — Pause von 105 Sec. 2. Gruppe von 6 Schlägen. Hubhöhe 2mm Hg. — Pause von 235 See. Neutralisirtes und gekochtes Serum mit Zusatz von 0-10, Na, CO;. 1. Füllung. Kurze Zeit nachdem sie geschehen drei Schläge von 6 und smm Hg. Dann eine Pause von 185 Secunden. In dieser Zeit rufen 6 Berührungen 6 Schläge hervor mit einer Hubhöhe von 10 und 11mm Hg. Nun beginnt: Eine regelmässige Reihe von 79 Schlägen in 480 Secunden, also mittleres Intervall = 6:1 Sec. Die Hubhöhe beginnt mit 11mm und endet mit 10mm Hs. — Während sich die Schläge noch fortsetzten, wurde vorgenommen: 2. Füllung. Regelmässige Schlagfolgee Das Herz schlägt 124 Mal in 700 Sec. Mittlere Schlagdauer 5-7 Sec. Die Hubhöhe beginnt mit 13 mm Hg und endet mit 8-5 mm Hs. — Während fortdauernden Schlagens die > 3. Füllung. Regelmässige Schlagfolge. Es erfolgen 106 Schläge in 635 Sec. Mittlere Schlagdauer 5-9 Sec. Die Hubhöhe beginnt mit 13mm und endet mit 6mm Ho. Mit Na Cl-Lösung von 0-60), bis zum Scheintod ausgewaschen. Unverändertes Serum. 1. Füllung. In 150 Sec. nur nach Berührung ein Schlag mit einer Hub- höhe von 9mm He. 2. Füllung. Regelmässige Schlagfolge. Es geschehen 8 Schläge in 140 Sec., also mittleres Intervall 17-5 Sec. Hubhöhe von 10 bis 11mm He wechselnd. — Während fortdauernden Schlagens geschieht die 3. Füllung. Regelmässige Schlagfolge. Das Herz schlägt 15 Mal in 200 Sec. Mittlere Schlagdauer = 14-4mm Hg. Die Hubhöhe beginnt mit 11mm und endet mit 9-5 mm He. VIII. Wässerige Lösung des eiweissfreien Alkoholextractes. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. 0-60), Na Cl-Lösune verdünnt. Schlagfolge bald unregelmässig, bald in Gruppen. Hubhöhe 18mm und 19 mm Hg. Mit Na Cl-Lösung bis zum Scheintod ausgewaschen. 2. Extractlösung. 1. Füllung. Zuerst zu-, dann abnehmende Häutigkeit der Schlagfolge. Es fallen 45 Pulse in 237 Sec. Der erste Schlag von eben sichtbarer Höhe, der 39ste Schlag von Imm Höhe und von da an bis zum Ver- schwinden absinkend. — Pause von 76 Sec. 286 STIENON: 2. Füllung. Es fallen auf 895 Sec. 15 Schläge unregelmässig vertheilt. Hubhöhe nicht über 0-5 mm Hg. — Pause von 1135 See. 3. 4. 5. Füllung. Während 640 Sec. kein selbständiger Sehlag. Zwei Be- rührungen nur eine kleine Erhebung. Mit Na Cl-Lösung gefüllt. Ruhe; die Berührung ohne Wirkung. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. 0-6), Na Cl-Lösung. Schon mit der ersten Füllung beginnt das Schlagen: 21 Pulse in 235 See. Hubhöhe = 6 bis Tum He. Mit der zweiten und dritten Füllung hebt sich die Häufigkeit und die Hubhöhe bis zu 16 mm He. IX. Wässerige Lösung des eiweissfreien Alkoholextractes. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. Na Cl-Lösung von 0-6 9. Der Puls ist in Gruppen von je 21 Schlägen geordnet. In 525 Sec. drei solcher Gruppen. Hubhöhe = 18mm Hp. Mit Na Cl-Lösung von 0-6), bis zum Scheintod gewaschen. 1 Vol. Extractlösung mit 3 Vol. Na Cl-Lösung von 0-69). Während 210 Sec. kein Schlag. 1 Vol. Extractlösung mit 1 Vol. Na Cl-Lösung. Nach einer Pause von 175 Sec. schlägt das Herz im Verlaufe von 470 Sec. 12 Mal. Hubhöhe von 0-5 auf 2mm Hs. — Pause von 370 Sec., durch Berührung Zuckungen von 0-5 6is mm He. 3 Vol. Extractlösung mit 2 Vol. Na Cl-Lösung. 1. Füllung. Es fallen 12 Schläge in 770 Secunden. Hubhöhe von 0-5 bis 1.5mm Hg. — Pause von 325 Sec. Durch Berührung je eine Zuckung von 0-5mm He. 2. Füllung. Es geschehen 5 Pulse in 185 Sec. Hubhöhe von.0-5 bis jmm Ho. In den folgenden 420 Sec. drei Berührungen; die erste erzeugt einen Schlag, die zweite 14 Schläge, die dritte 9 Schläge. 5 Vol. Extractlösung mit 2 Vol. Na Cl-Lösung. Im Verlaufe von 410 Sec. fallen 19 Schläge von 0-5mm Hubhöhe. — In den darauf folgenden 575 Sec. Von zwei Berührungen erzeugt die letztere 10 Schläge. 8 Vol. Extractlösung zu 2 Vol. NaCl-Lösung von 0-6 9%. Ohne Berührung in 980 Sec. kein Schlag; doch die erste Berührung erzeugt 25 Schläge, die zweite 12 Schläge mit einem Hub, der vom eben sichtbaren auf imm Hg wächst. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. Na Cl-Lösung. In 340 Sec. fallen 30 Schläge mit einer von 6 wm auf 15 mm Hg wachsenden Hubhöhe. DIE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS V.S.w. 287 X. Wässerige Lösung des eiweissfreien Alkoholextractes. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. Na Cl-Lösung von 0-6 9%. 1. Füllung. Unregelmässige Schlagfolge. Es fallen 60 Schläge in 530 Sec. Hubhöhe 21 mm his 22mm He. 2. Füllung. Schlagfolge regelmässiger als vorher. Es fallen 68 Schläge in 375 Sec. Hubhöhe 21 mm bis 22mm Ho. Mit Na Cl-Lösung von 0-6°/, bis zum Scheintod ausgewaschen. 1 Vol. Extract mit 3 Vol. NaCl von 0-6 9%). 1. Füllung. Sogleich regelmässige Schlagfolge. Es fallen 40 Schläge in 220 Sec., also mittlere Schlagdauer = 5-5 See. Hubhöhe des ersten Schlages = 0-5mm, des 20sten Schlages = 2-0mm, des 40 sten Schlages = 1-5mm Hg. — Pause von 550 Sec. 2. Füllung. Sogleich regelmässige Schlasfolge. Es fallen 5 Schläge in 50 Sec. Hubhöhe = 2mm Hg. — Pause von 725 Sec., innerhalb der- selben auf drei Berührungen drei Schläge. Hubhöhe von 0-5 bis 0.7mm He. 1 Vol. Extraet mit 2 Vol. NaCl] von 0-6 9,. ' 1. und 2. Füllung. In 610 Sec. kein Schlag. Berührung des Herzens unwirksam. 1 Vol. Extract mit 1 Vol. Na Cl-Lösung von 0-6 99. In 465 Sec. kein Schlag. Mit NaCl-Lösung ausgewaschen. Vollkommene Ruhe. 1 Vol. Extraet mit 1 Vol. Na Cl-Lösung von 0-69). In 630 Sec. kein Schlag. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. NaCl. Der Schlag ist unregelmässig. Der Hub beginnt mit 5mm Hg, nach 28 Pulsen ist er auf 22mm Hg gestiegen. XI. Wässerige Lösung des eiweisshaltigen Alkoholextractes. 1 Vol. Blut, 3 Vol. Na Cl-Lösung von 0-6 %/. Es fallen 36 Schläge während 500 Sec. in annähernd regelmässiger Folge. Hubhöhe = 16mm He. Mit Na Cl-Lösung bis zum Scheintod ausgewaschen. Extractlösung. 1. Füllung. 18 Pulse mit gruppenweiser Anordnung in 100 Sec. Die Hub- höhe wächst von 8 auf 10mm Ho. — Pause von 410 Sec. 2. Füllung. 10 Pulse in 20 Sec. Die Hubhöhe wächst von 7 auf 11mm Hg. In den darauf folgenden 800 Sec. fühst das unberührte Herz keinen Schlag aus. Nach vier aufeinander folgenden Anstössen schlägt das Herz: 1) 3 Schläge in 8 Sec. Hubhöhe von 8 auf 9mm Hs wachsend. 2) 5 Schläge in 15 See. Hubhöhe von 8 auf 9-5mm Hg wachsend. 3) 9 Schläge in 21 See. Hubhöhe von 6 auf Smm Hg wachsend. 4) 13 Schläge in 38 Sec. Hubhöhe von 2 auf 6 mm Ho wachsend. 288 STIENON: 3. 4. 5. Füllung. In 970 Sec. erfolgt ohne vorausgegangene Berührung kein Schlag. In Folge von sechs aufeinander folgenden Anstössen erscheinen der Reihe nach 15 Pulse in 46 Sec. — 5 Pulse in 14 Sec. — 1 Puls — 1 Puls — 7 Pulse in 22 Sec. — 1 Puls. — Die Hub- höhe schwankt zwischen 4 und 6 mm. Hg, Mit Na Cl-Lösung von 0-6/, ausgewaschen. 1 Vol. Blut mit 3. Vol. Na Cl-Lösung von 0-6 90. 1. Füllung. Nach einer Pause von 100 Sec. erscheinen in annähernd regel- mässiger Folge 52 Schläge. Mittlere Schlagdauer 3-6 See. Hubhöhe von 14 auf 13mm Hs abnehmend. XII. Wässerige Lösung des eiweisshaltigen Alkoholextractes. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. Na Cl-Lösung. Die Schläge ordnen sich in Gruppen. Die maximale Hubhöhe beträgt 10mm He. In 1150 Sec. erscheinen 190 Pulse. Mit Na Cl-Lösung von 0-6), bis zum Scheintod ausgewaschen. Extraetlösung. 1. Füllung. Es erscheinen 61 Schläge in 685 Sec. Die Hubhöhe steigt von 0-5 auf 1-5mm Hs und sinkt bis auf 0-5mm Hg herab. 2. Füllung. Pause von 135 Sec. Darauf 61 Pulse in 580 Sec. Die Hub- höhe vom eben Sichtbaren bis auf ijmm Hg steigend und dann bis zum Verschwinden abnehmend. — Pause von 100 Sec. 3. Füllung. Pause von 120 Sec. Dann 44 Schläge während 725 Sec. Hubhöhe vom eben Sichtbaren bis zu 0-5mm Hg veränderlich. — Pause von 545 Sec. 4. Füllung. Pause von 2400 See. Trotz mehrmals wiederholter Füllung . verharrt das Herz in Ruhe. 1 Vol. Blut und 3 Vol. Na Cl-Lösung von 0-69. 1. und 2. Füllung. Das unberührte Herz verharrt in Ruhe. 23 Anstösse erzeugen 23 Schläge. Die Hubhöhe wächst von 12 auf 15 mm’ Hg. 3. und 4. Füllung. Es erscheinen 147 selbständige Schläge in 1410 Sec. zu unregelmässigen Gruppen angeordnet. Die Hubhöhe steigt von 10 auf 18mm und sinkt dann auf 12mm Hg herab. XIII. Asche des eiweissfreien Alkoholextractes. 1 Vol. Blut mit 3 Vol. NaC]-Lösung von 0-6 %). 1. Füllung. 3 Schläge in 170 Sec. Hubhöhe 9mm Hg. Hierauf folgen 132 Schläge in 400 Sec. Die Hubhöhe wächst von 9mm Hg auf 12-5mm Hg. Mit NaCl-Lösung bis zum Scheintod ausgewaschen. Aschenlösung mit 3 Vol. NaCl verdünnt. 1. Füllung. In 25 Sec. ein Schlag. Hubhöhe 9mm Hs. — In den fol- senden 360 Sec. kein selbständiger Schlag. Nach zweimaliger Be- rührung 3 und 2 Schläge. Hubhöhe 10mm Hg.’ In den folgenden 80 Sec. zwei selbständige Schläge. Hubhöhe 9mm He. DIE BETHEILIGUNG DER EINZELNEN STOFFE DES SERUMS U. S. w. 289 2. Füllung. In 785 Seeunden kein selbständiger Schlag. 34 Berührungen rufen 35 Schläge hervor. Die Hubhöhe derselben beträgt im Anfange 75mm, am Ende 3-Omm Hg. In den folgenden 495 Secunden fallen 17 Schläge. Die Hubhöhe sinkt von 2-5 auf 2mm Hg. XIV. Asche des eiweissfreien Alkoholextractes. 1 Vol. Blut und 3 Vol. NaCl von 0-6 9%. 128 Pulse in 710 Sec. Mittlere Schlagdauer 5-5 See. Hubhöhe von 14-5mm auf 15-5mm He steigend. Mit Na Cl-Lösung bis zum Scheintod ausgewaschen. Aschenlösung. 1. Füllung. 18 Schläge in 225 Sec. bis zu 14mm Ho Hubhöhe. In den folgenden 35 Sec. 9 Schläge. Die Hubhöhe sinkt von 14 auf Smm Hg. — Darauf in 80 Sec. 4 Schläge von 14mm Hs Hubhöhe. — In den folgenden 1000 Sec. treten 168 Schläge auf in verschiedenen Inter- vallen. Anfangs beträgt dasselbe 15 See. Die Hubhöhe hält sich auf 14mm Hg. Darauf sinkt das Intervall auf 3 Sec., die Hubhöhe nimmt ab bis auf 6-5mm He, später steigt das Intervall auf 7 Sec. und die Hubhöhe wächst auf 9mm Hg. Als endlich Intervalle von 20 See. vorkommen, fällt der Hub auf 3-5mm Ho. — Pause von 100 Sec. 2. Füllung. In 540 Sec. 15 Schläge in sehr unregelmässiger Folge. An- fänglich bei kürzeren Intervallen beträgt die Hubhöhe 9 mm Hg, später bei längeren 1-5mm Hg. Im den folgenden 910 Sec. 3 Schläge von 3mm Hs Hubhöhe. Mit Na Cl-Lösung ausgewaschen. Während durch die Kochsalzlösung, welche auf die Füllungen mit Blut Blut folgte, das Herz rasch scheintodt wurde, bedurfte es nach der Aschenlösung einer Zeit von 3000 Sec., während welcher die Na Cl- Lösung 5 Mal erneuert wurde, um das Herz zu beruhigen. Aschenlösung. Zu dieser Füllung wurde dieselbe Lösung benutzt, welche schon zu Sa beiden früheren Speisungen des Herzens gedient hatte. 1. Füllung. Es folgen sogleich 49 Pulsationen mit der mittleren Schlag. dauer von 2-5 Sec. Die Hubhöhe sinkt von 11 auf 0-1mm Hg. — In den darauf folgenden 310 Sec. schlägt das Herz nur auf Berührung. Die erste derselben ruft 39, die zweite 12 und die dritte nur 1 Schlag hervor. Ihre Hubhöhe schwankt um 2um He. 2. Füllung. Sogleich nach dieser schlägt in einem mittleren Intervall von 2 Sec. das Herz 25 Mal. Die Hubhöhe fällt von 7 auf 2mm Hg. In den folgenden 815 Sec. treten noch 27 Schläge auf. Hubhöhe der- selben 2mm Hs. Von nun an schlägt das Herz nur bei Berührung. Mit NaCl-Lösung bis zum Scheintod ausgewaschen. . 1 Vol. Blut mit 3 Vol. Na Cl-Lösung. In 290 Sec. 49 Schläge. Der Hub wächst von 8 auf 11mm He. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 19 3290 STIknon: DIE BETHEILIGUNG D. EINZELNEN STOFFE D. SERUMS U. S.w. XV. Wässerige Lösung von 0°60%, NaCl und 0-05%, Na, CO;. Das Herz wird mit NaCl-Lösung bis zum Eintritt des Scheintodes ausgewaschen. Sodahaltige Na Cl-Lösung. 1lo je 0) Füllung. In 300 Sec. fallen 35 Schläge, anfangs in gleichen, später in wachsenden Intervallen. — In den folgenden 337 Sec. fallen 2 Schläge. Hubhöhe zwischen 0-5 und 1-5 mm He. . Füllung. In 155 Sec. fallen 23 Schläge. Mittlere Schlagdauer 6-75 Sec. Hubhöhe 1-5 bis 1mm Hg. — Pause von 35 Sec. Darauf in 1295 See. 110 Schläge. Mittlere Schlagdauer 11-75 Sec. Hubhöhe 1-0 bis omm Hg. . Füllung. In 435 See. fallen 122 Schläge. Mittlere Schlagdauer 3-4 See. Hubhöhe von 0-5 bis 1-Omm Hg.-— Dann während der folgenden 915 Sec. fallen 79 Schläge. Mittlere Schlagdauer 11-6 Sec. Hubhöhe von 0:5 bis Omm Hg. . Füllung. In 480 Sec. fallen 121 Schläge. Mittlere Schlagdauer 3-9 Sec. Hubhöhe von 1-5 bis 0-5 mm Hg. — Während der folgenden 600 See. fallen 34 Schläge. Mittlere Schlagdauer 17-6 Sec. Hubhöhe 0-5 bis O0 mm He. Die Flüssigkeitsmassen, mit Gelchen in den vorausgegangenen Beobachtungen das Herz gespeist gewesen, wurden gesammelt und benutzt zur . Füllung. In 150 Sec. fallen 41 Schläge. Mittlere Schlagdauer 3-7 Sec. Hubhöhe von 1 bis Omm Hs. — Während der folgenden 725 Sec. fallen 112 Schläge. Mittlere Schlagdauer 6-5 Sec. Hubhöhe 1 bis omm He. . Füllung. In 275 Sec: fallen 67 Schläge. Mittlere Schlaedauer 4-1 Sec. Hubhöhe 1 mm Hg. — Während der folgenden 475 See. fallen 87 Schläge. Mittlere Schlagdauer 5-4 Sec. Hubhöhe von 1 bis Omm He. Die Flüssigkeit, mit welcher in der 5. und 6. Füllung gespeist gewesen, wurde zu den folgenden Versuchen benutzt; dieselbe durch- setzte also nun zum dritten Male das Herz. Eine Portion wurde ohne die andere nach vorgängigem Schütteln mit Luft benutzt. . Füllung. In 395 Sec. fallen 109 Schläge. Mittlere Schlagdauer 3.5 Sec. Hubhöhe 1-0 bis 0-5 mm Hg. — Während der folgenden 750 Sec. fallen 141 Schläge. Mittlere Schlagdauer 5-3 Sec. Hubhöhe 0-5 bis o0mm He. . Füllung. Zu ihr diente die vorhin erwähnte mit Luft geschüttelte Portion. In 280 Seceunden fallen 103 Schläge. Mittlere Schlagdauer 2-7 Sec. Hubhöhe 1-5 bis 1-Omm Hg. — Währeud der folgenden 80 Sec. fallen 23 Schläge. Hubhöhe 0-5 mm He. . Füllung. Zu ihr wurde ein Antheil der frischen Lösung mit einer Spur übermangansauren Kalis versetzt, angewendet. — In 170 Sec. fallen 59 Schläge. Mittlere Schlagdauer 2-4 Sec. Hubhöhe von 1-7 bis j1-2mm Ho. — Während der folgenden 280 Sec. fallen 83 Schläge. Hubhöhe 1-0 bis 0-5mm He. Darnach führte das mit sodahaltiger Kochsalzlösung erfüllte Herz in 2 Stunden 12 Minuten 1388 Schläge aus, ohne dass — neue Füllungen vorausgesetzt — eine Abnahme in der Leistungsfähigkeit eingetreten wäre. Die Leistungen des entbluteten Froschherzens. Von Dr. J. Gaule. Aus dem physiologischen Institute zu Strassburg. Merunowiez! hatte gefunden, dass Lösungen, welche man von der Asche des Kaninchenserums hergestellt hat, die Fähigkeit besitzen, das Froschherz, welches sie durchspülen, zu zahlreichen und kräftigen Con- traetionen zu veranlassen. Froschherzen sogar, deren Pulsationen unter dem Einflusse einer wiederholten Kochsalzdurchspülung erloschen waren, wurden zu neuer Thätickeit erweckt, als er sie mit der Aschenlösung des Serums füllte. Unter’ den Salzen, aus denen die Asche des Serums besteht, nimmt neben dem Kochsalz das kohlensaure Natron die hervorragendste Stelle’ ein, und Merunowicz untersuchte daher, ob es der Gehalt an kohlen- saurem Natron sei, welcher die Aschenlösung befähige, eine so viel gün- stigere Wirkung auf das Froschherz auszuüben, als eine reine Kochsalz- lösung. Die Combination von Kochsalz und kohlensaurem Natron, mit welcher Merunowicz nun das Froschherz durchspülte, erfüllte die Hoffnung, welche man auf sie setzte, insofern, als sie im Stande war, das durch reine Kochsalzlösung beruhigte Herz wieder zu beleben, jedoch reichte ihre Wirksamkeit nicht an die der Gesammtasche des Serums heran. Diese Versuche Merunowicz’s sind von mir wiederholt .worden mit genau denselben Resultaten. Auch ich sah kräftige Contractionen eintreten, sobald dem Herzen mit der Kochsalzlösung kohlensaures Natron zugeführt wurde. Die Erholung jedoch, welche so geschaffen wird, hat etwas Unbefriedigendes. Man muss nämlich, wie schon Merunowicz bemerkte, ziemlich viel kohlensaures Natron der Durchspülungsflüssigkeit zusetzen. Dann erzielt man zwar kräftige Schläge, aber das Herz er- I Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. X. Jahrg. 1876. i92 292 J. GAULE: müdet sehr rasch und duldet eine- zweite Durchspülung, welche man anstellt, um es auf's Neue zu beleben, nicht mehr. Es verharrt in contrahirtem Zustande und seine Leistungsfähigkeit ist für immer er- loschen. Eine Beobachtung, welche ich in diesem Stadium meiner Ver- suche zufällig machte, bestärkte mich in einer Vermuthung, die ich auf Grund der Vorstellung, dass bei der Muskelcontraction Säure gebildet werde, gefasst hatte. Ich bemerkte nämlich, dass ausgekochte Lösungen besser wirken, als nicht ausgekochte Lösungen von gleichem Gehalt an kohlensaurem Natron. Ausgekochte Lösungen unterscheiden sich in solchen Fällen nur dadurch, dass sie kohlensäureärmer, also relativ alkalireicher sind. Daher vermuthete ich, dass nicht die Kohlensäure, sondern das Alkali derjenige Bestandtheil des kohlensauren Natrons sei, welcher auf die Schlagfähigkeit des Herzens einwirke. Ich stellte also Versuche mit Kochsalzlösungen an, denen statt des kohlensauren Natrons eine gewisse Menge Natronhydrat zugesetzt war. Im Anfang gingen mir dabei viele Herzen zu Grunde, da schon sehr geringe Mengen freien Natrons das Herz tödten. Als ich aber die rich- tige Concentration herausgefunden hatte, übertraf der Erfolg alle meine Erwartungen. Dies geschah, als ich zu 500° ® einer 0-6 procentigen Kochsalzlösung einen Tropfen Natronhydrat zugesetzt hatte und gleich das erste Herz, welches ich mit dieser Flüssigkeit durchspülte, zeichnete mit ihr in ununterbrochener Folge tausend oder mehr Pulse, so dass die Wirksamkeit dieser Lösung nur mit dem verglichen werden konnte, was Merunowicz von der Mischung von Kochsalz und Blut ge- sehen hat.! | Die Constanz, mit der diese Lösung an jedem Herzen ihre Wirk- samkeit entfaltete, liess mich dann hoffen, in ihr ein Mittel zu finden, um die chemischen Vorgänge, welche der Contraetion des Herzmuskels zu Grunde liegen, näher zu studiren. Wenn man den Muskel mit einer Flüssigkeit durchspült, die so viel zersetzliches und zersetzendes Material enthält, wie das Blut und das Serum, dann verwirren die Processe, welche in diesen Flüssigkeiten sich abspielen, die Schlüsse, welche man aus den Veränderungen in ihrer Zusammensetzung auf die chemischen Vorgänge bei der Muskeleontrac- 1 Die Analogie, welehe dieser Einfluss des Alkali’s auf das Froschherz mit der von Virchow entdeckten (Virchow’s Archiv u. s. w. 1854. Bd. IV) und von Engelmann (#limmerbewegung. 1868. 8. 45) näher studirten Einwirkung der Alkalien auf die Flimmerbewegung darbietet, muss jedem Kundigen auffallen. [Ebenso ‚auffallend ist wohl die Analogie mit der von H. Roeber beobachteten Erholung ermüdeter Skeletmuskeln des Frosches in Folge von Na, CO;-Einspritzung. 8. dies “ Archiv, 1870. S. 636 ff. — E.d. B.-R.] DIE LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 293 tion ziehen könnte. Diese Complication fällt weg, wenn dem Herzen nur eine genau bekannte Menge Alkali und Kochsalz zugeführt wird, und die recht beträchtliche Arbeit, welche ein Herz unter dem Regime dieser anorganischen Diät leistet, kann nur durch Umsetzung seiner eigenen Substanz erzielt werden. Die chemischen Umwandlungen, welche stattfinden, sind also Um- wandlungen des Herzens, und wenn man die Umwandlungen des thätigen Herzens von denen des nichtthätigen Herzens unterscheiden kann, so müssen die chemischen Vorgänge, welche der Herzmuskelcontraction zu Grunde liegen, sich erkennen lassen. Ich bin freilich weit entfernt, das Ziel, welches ich so der Methode steckte, erreicht zu haben; ich will indessen das, was ich mit Hülfe der- selben bis jetzt feststellte, hier mittheilen, da vielleicht Andere sich dadurch veranlasst fühlen, an der Lösung der Aufgabe mitzuarbeiten. Die sämmtlichen hier geschilderten Versuche sind an grossen Fröschen angestellt, die im Herbste 1877 von dem Strassburger physiologischen Institute aus Ungarn bezogen und im Laufe des Winters zu diesen Unter- suchungen verbraucht wurden. Unter diesen Fröschen von einerlei Sorte und sogar unter Individuen von gleicher Grösse und anscheinend gleicher Kraft gab es sehr erhebliche Unterschiede in Bezug auf die Höhe und Zahl der Contractionen, welche die Herzen leisteten. Es ist mir, wie aus dem später Mitgetheilten hervorgeht, gelungen, im Wesentlichen diese individuellen Unterschiede aufzuklären und ich hege daher die Hoffnung, dass, wenn Frösche aus anderen Gegenden oder anderen Jahres- zeiten ein von dem hier beschriebenen abweichendes Verhalten zeigen sollten, diese Verschiedenheiten sich auf leicht verständliche Gesichts- punkte werden zurückführen lassen. Nachdem ich anfänglich eine Anzahl Versuche mit dem Meruno- wicz’schen Präparate der Herzspitze angestellt hatte, wählte ich später, um meine Versuche nicht durch das lange Warten, welches bei diesem Präparate nothwendig ist, allzusehr in die Länge zu dehnen, das ganze Froschherz. Es wurde durch einen kleinen Schnitt in den Sinus venosus die Kronecker’sche Perfusionscanüle ! eingeführt, bis in den Ventrikel vorgeschoben und das Herz möglichst dicht bei dem Schnitt auf die Canüle festgebunden. Alle folgenden Angaben beziehen sich auf dieses Präparat. Zur Durchspülung und zur Registrirung der Herzcontractionen diente mir der Herzdurchspülunssapparat, in der Form, wie er jetzt bei l Kronecker u. Stirling, Das charakteristische Merkmal der Herzmuskel- bewegung. Beiträge zur Anatomie und Physiologie, als Festgabe ©. Ludwig zum 25jähr. Jubiläum gewidmet. 294 J. GAULE: Stöhrer in Leipzig gefertigt wird, und ein Baltzer’sches Kymographion mit berusster Trommel. Die Versuchsanordnung ist mit Ausnahme der Versuchsreihen, welche die Bildung der Kohlensäure und die Abnahme der Alkalescenz zum Gegenstand hatten, dieselbe, wie sie in den oben bereits eitirten Arbeiten aus dem Leipziger Institute angegeben ist, so dass ich hier auf eine Beschreibung verzichte. Dagegen werde ich die zur Ermittelung der Kohlensäurebildung und der Abnahme der Alkalescenz dienenden Ver- suche in den diesen Gegenständen gewidmeten Kapiteln beschreiben. Bei den meisten dieser Versuche hatte ich mich der eifrigen Mit- wirkung meines damaligen Collegen, des Hrn. Dr. von den Steinen zu erfreuen, dem ich für seine Assistenz hiermit besten Dank sage. 1. Einfluss der Concentration des Alkali. Die Menge von Natronhydrat, deren Zusatz zu einer Kochsalzlösung die oben geschilderte, auffallend günstige Wirkung hat, ist eine sehr geringe. Die höchsten und kräftigsten Pulse erzielt man mit einer Lösung, welche 5 Millisramm NaHO in 100°” enthält, in welcher das Natron also in einer Verdünnung von 1: 20000 vorkommt. Führt man ‘ dem Herzen das Natron in concentrirterer Form zu, so tritt sehr bald der Punkt ein, wo das Herz sich zwar noch kräftig zusammenzieht, die Contraction sich aber nur schlecht und langsam löst. Dann geht das Herz an einer zweiten Duchspülung mit derselben Lösung zu Grunde. Wählt man eine geringere Concentration, als die angegebene, so schadet man dem Herzen zwar nicht, aber man erzielt nicht so hohe Pulse. Es beginnt bei einer Zufügung von !/,”8" auf 100 °® Kochsalz- lösung, also bei einer Verdünnung von 1:200000 die Wirkung des Alkali’s auf das Herz erkennbar zu werden, d. h. solche Lösungen sind im Stande, das’ durch reine Kochsalzlösung beruhigte Herz überhaupt wieder zum Schlagen zu bringen. Innerhalb dieser Grenzen ist für ein frisches, nicht ermüdetes, aber durch Kochsalzlösung vollständig entblutetes und beruhigtes Herz die Höhe der Contractionen proportional der Menge des zugelührten Alkali’s. Um zu zeigen, welche Regelmässigkeit die Erscheinungen auszeichnet, die unter dem Einflusse der alkalischen Kochsalzlösung auftreten, will ich ein Beispiel näher beschreiben. Ein nicht sehr kräftiges Froschherz wurde mit 0-6 °/, Na Cl-Lösung so lange durchspült, bis die durchgegangene Flüssigkeit weder Trübung, noch Färbung, noch alkalische Reaction zeigte. Das Herz hatte unter Die LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 295 dem Einflusse der Durchspülung, so lange noch etwas Blut in ihm vor- handen war, lebhaft pulsirt. Als die vollkommen neutral und ungetrübt ablaufende Flüssigkeit die Entfernung der Blutbestandtheile anzeigte, war es still geworden und verharrte in Diastole.e Nun wurde es mit 5m einer Lösung durchspült, welche !/,”&®" NaHO in 100% einer 0.6procentigen Na Cl-Lösung enthielt, und zwar so, dass es mit der letzten Portion dieser Lösung gefüllt blieb. Unmittelbar darauf zeich- nete es 28 Contractionen auf, von denen die niedrigste das Quecksilber des Manometers um 3”®, die höchste um 4” hob.! Die niedrigste war zugleich die erste, die höchste die letzte dieser -Contractionen. Als mit der 28sten Contraction eine Umdrehung der Trommel des Kymographions vollendet war, wurde die Zeichnung unterbrochen und das Herz mit 5m einer Lösung durchspült, welche 1”®" NaHO auf 100°” enthielt. Nun zeichnete das Herz während einer Umdrehung des Kymographions 28 Contractionen von 6—7.5”" Höhe, die erste die niedrigste, die 28ste die höchste. Abermals wurde das Herz unterbrochen, um 5°“ einer Lösung zu empfangen, der 2.5”8" NaHO auf 100°” beigemengt waren, und mit dieser Concentration zeichnete es während einer Um- drehung 27 Contractionen von 9—11”” Höhe, die 27ste die niedrigste, die zweite die höchste. Sodann empfing das Herz 5°" einer Lösung, welcher 5”® NaHO auf 100°® beigemengt waren, und mit dieser „ zeichnete es nun auf eine Umdrehung der Trommel 27 Contractionen auf, von denen die niedrigste 16”, die höchste 17.5 ”" mass, die erste war die niedrigste, die 2dste die höchste. Man sieht, die Frequenz der Contractionen hängt nicht von der Concentration des Alkali’s ab, sie ist unter dem Einfluss der verschiedenen Durchspülungen dieselbe, denn der Unterschied 27 : 28 bedeutet, da die Umdrehungsgeschwindigkeit der Trommel doch nicht völlig constant ist, nichts. Dagegen ist der Einfluss des Alkali’s auf die Höhe der Pulse ein ganz bestimmender. Ich will daraufhin die oben mitgetheilten Resul- tate noch einmal zusammenstellen: Menge des Alkalis Mittel der Hubhöhe Abweichung vom Mittel in 100 ccm, in mm, in mm, 0-5 3-5 0-5 1-0 6-75 0-75 2.0 10 1-00 5.00 16:75 0.75 Fig. 1 gibt das Facsimile eines Abschnittes dieser Curve. 1 Die Höhen, welche hier angegeben sind, bedeuten Erhebungen über die Abscisse. Die Quecksilbersäule wird also in Wirklichkeit um das Doppelte der hier angegebenen Beträge gehoben. 296 I. GAUGE: Die Abweichungen einzelner Pulse von dem Mittel der Höhe sind ausserordentlich gering und sie beruhen wahrscheinlich auf Unvoll- kommenheiten des registrirenden Apparates. Die Arbeit des Herzens selbst ist von bewundernswerther Regelmässigkeit, und mit völliger Sicherheit kann man darauf rechnen, entweder durch neutrale Kochsalz- lösung die Pulse. verschwinden zu machen oder durch Kochsalzlösung von bestimmtem Alkaligehalt Reihen von Pulsen von ganz bestimmter Grösse hervorzubringen. Es braucht wohl kaum bemerkt zu werden, dass nur die relative Grösse der Pulse durch den Alkaligehalt bestimmt ist. Auf die absolute Grösse haben die Geräumigkeit und Kraft des Herzens, der Druck, unter dem es gefüllt wurde und andere Dinge Einfluss, von denen hier vorausgesetzt wird, dass sie constant erhalten werden. ‘Nach Durchspülung mit einer 0-5mgr Alkali in 100cem enthaltenden Lösung. » DT 210008 2 ” ” EL} 100 „ 5 [47 b ” c » d „ 100 Er) Bist. Wenn ich sage, die Kraft des Herzens, so meine ich damit die ursprüngliche, die Kraft, mit der das Herz ausgestattet ist, wenn es dem Frosch entnommen. wird. Diese Kraft nimmt während des Versuches ab, denn sie unterliegt der Ermüdung. Daher kann der Versuch nicht mit aller Strenge die Abhängiskeit der Höhe der Pulse von der Alkali- zufuhr ergeben, weil das Herz während des Versuches selbst ermüdet; das Gesetz kommt aber annäherungsweise zum Ausdruck, da die Er- müdung eine sehr langsame ist. 2, Von dem Einflusse der Ermüdung. So viele Contractionen man auch immer von einem kräftigen Frosch- herzen erhalten mag mit Hülfe der alkalischen Kochsalzlösung, so gelangt man damit doch an eine Grenze. Die Contraetionen werden allmählich Die LEISTUNGEN DES _ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 297 kleiner, schliesslich auch seltener und erlöschen zuletzt ganz. Dann selingt es, durch eine neue Durchspülung die Schlagfähiskeit wieder herzustellen und kräftige Pulse zu erhalten, welche man in derselben Weise abnehmen und erlöschen sieht. Wie oft man die Durchspülungen mit diesem Erfolg wiederholen kann, hängt von der Structur des Her- zens, dem Alkaligehalt und der Menge der durchgespülten Flüssigkeit ab. Hat man günstige Verhältnisse getroffen, so hat es den Anschein, als würde das Herz eher die Geduld des Experimentators erschöpfen, als definitiv seine Arbeit einstellen. Schliesslich aber gelangt man doch zu dem Punkte, wo keine weitere Durchspülung mehr etwas leistet. Ver- gleicht man dann die Reihen, welche nach jeder Durchspülung gezeiehnet sind, untereinander, so findet man, vorausgesetzt, dass man zu jeder Durchspülung gleiche Mengen derselben alkalischen Kochsalzlösung ver- wendet hat, dass die Wirkung jeder späteren Durchspülung geringer war, als die der vorhergehenden. Man sieht einen doppelten Ermüdungs- abfall vor sich, einen innerhalb der Reihe, die von einer Durchspülung herrührt, und den anderen, wenn man die Wirkungen der einzelnen Durehspülungen vergleicht. Die Ermüdung der ersten Art konnte durch Zufuhr neuen Alkali’s aufgehoben werden, jedoch nicht vollständig. Es bleibt ein Rest von Ermüdung zurück, welcher sich mit jeder neuen -Durchspülung steigert, bis zuletzt durch Alkali keine Erholung mehr möglich ist. Während wir also die eine Art der Ermüdung uns dadurch erklären können, dass das Alkali verbraucht oder neutralisirt wird, weil wir eben durch Zufuhr von Alkali das Herz in dieser Beziehung in integrum zu vestituiren im Stande sind, — so müssen wir für die andere Art der Ermüdung annehmen, dass noch andere Stoffe, welche zum Zustandekommen der Contraction nothwendig sind, allmählich unwirksam werden. Daraus ging hervor, dass das Herz, was ja auch das Natürliche war, zu seiner Contraction nicht bloss Alkali brauche, sondern auch auf Kosten eines Vorraths von Spannkräften schlage, den es ‘in seiner eigenen Substanz ursprünglich besitzt und den es allmählich verzehrt. Es lag nahe, diesen Ermüdungsabfall daraufhin zu untersuchen, ob er gradlinig sei, d.h. ob es sich hier in der That um die gleichmässige Aufzehrung eines von vornherein vorhandenen Vorraths von Spannkräften handelt. Ich bemerkte jedoch bald, dass sich hier noch ein weiterer Einfluss geltend macht, an den ich zuerst nicht gedacht hatte. Die Herzen ermüdeten nämlich um so rascher, je grösser die Mengen von Flüssigkeit waren, welche ich jedesmal zur Durchspülung verwendete. Dadurch wurde ich auf den Gedanken gebracht, dass die Stoffe, welche die bei der Herzcontraction verwendeten Spannkräfte hergeben, in der 298 J. GAULE: alkalischen Kochsalzflüssigkeit löslich seien, und dass die Ermüdung nicht bloss in dem Maasse eintrete, als diese Stoffe verbraucht, sondern auch in dem Maasse, als sie mit der Durchspülungsflüssigkeit aus dem Herzen weggespült würden. Ich versuchte also, ob bei einem ermüdeten Herzen, welches für die Zufuhr frischen Alkali’s nicht mehr empfänglich war, die gebrauchte Durchspülungsflüssigkeit eine Erholung bewirken könne, und siehe da, dies gelang. Diese Flüssigkeit konnte keine an- deren Stoffe ausser Alkali und Kochsalz enthalten, als solche, die sie dem Herzen entzogen hatte, und wenn sie günstiger wirkte, als Alkali und Kochsalz allein, so konnte es nur deshalb geschehen, weil sie diese Stoffe dem Herzen wieder zuführte. Nichts konnte übrigens schlagender, als dieser Versuch, die Annahme widerlegen, dass die Durchspülung mit alkalischer Kochsalzlösung nur deshalb günstig wirke, weil sie die er- müdenden Stoffe aus dem Herzen entferne, denn hier wirkte die Flüssig- keit, welche die ermüdenden Stoffe enthielt (wenn es überhaupt etwas derartiges gibt) günstiger, als die frische Lösung. In der Wiedereinfüllung der schon einmal gebrauchten Lösung lernte ich so abermals ein Mittel kennen, um die Summe der von einem Her- zen zu gewinnenden Arbeit zu erhöhen. Das durch mehrere Durch- spülungen erschöpfte Herz erholte sich unter ihrem Einfluss nicht bloss vorübergehend, sondern erwachte zu neuer, Stunden lang dauernder Thätigkeit. Auch zum zweiten, dritten und noch öfteren Male .duldete es die Wiederdurchspülung, bis endlich der Zeitpunkt eintrat, wo die gebrauchte Lösung ebensowenig einen Erfolg erzielte, als die frische, wie ich später schildern werde. Dann war es oft noch möglich, mit Hülfe fremder Stoffe dem Herzen Pulsationen abzugewinnen, aber das, was das Herz aus eigenen Mitteln zu leisten im Stande gewesen war, hatte es geleistet. Es hatte seinen Vorrath an Spannkraft in Arbeit umgesetzt, und um weiter zu arbeiten, bedurfte es der Zufuhr fremden Vorraths. Man ist natürlich bei Weitem in den meisten Fällen nicht so glücklich, bis zu dieser völligen Ermüdung, die der totalen Ausnutzung des Vorraths an Spannkräften entspricht, zu gelangen; aber wenn ich die Fälle untereinander verglich, in denen dies Ziel erreicht wurde, so bemerkte ich sehr erhebliche Unterschiede in den Arbeitsleistungen der einzelnen Herzen. Diese Unterschiede kann ich nur dem Umstande zu- schreiben, dass verschiedene Froschherzen mit verschiedenen Vorräthen an Spannkräften ursprünglich ausgestattet sind. DıE LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 299 3, Einfluss der individuellen Verschiedenheiten. Die Unterschiede, welche die einzelnen Froschherzen darbieten, be- ziehen sich nicht bloss auf die Gesammtarbeitsleistung, sondern auch auf die Kraft und Frequenz der Contraetionen. Ich war erstaunt, bei Her- zen von Thieren gleicher Grösse und anscheinend gleicher Kraft und Gesundheit gewaltige Unterschiede zu finden, für welche ich anfangs keine andere Formel wusste, als die einer verschiedenen Individualität. Zu meiner Enttäuschung, muss ich gestehen, denn ich hatte gehofft, an einem so einfachen Präparate den räthselhaften Einfluss der Individualität auf ein Minimum beschränkt zu sehen. Es zeigte sich jedoch bald ein Umstand, welcher diese Unterschiede zum grössten Theil erklärte. Die Frösche nämlich, welche direct aus ihrer im Kalten stehenden grossen Wanne geholt wurden, hatten, träg und. stumpf wie sie sich überhaupt verhielten, auch Herzen, die mit kleinen und langsamen Pulsen auf die Durchspülung reagirten. Diese, ich will der Kürze halber einmal sagen „kalten“ Froschherzen, waren mit ein, zwei Durchspülungen oft schon erschöpft. Hatten dagegen die Frösche, bevor sie zum Versuch gebraucht wurden, einige Tage im warmen Zimmer gestanden, so verhielten sie sich so, wie ich weiter oben schilderte. ! Es wurde also durch die höhere Temperatur, der die Thiere während einigen Tagen ausgesetzt waren, ein wesentlich verschiedenes Verhalten ihres Herzmuskels bedingt. Die Veränderungen, welche hierbei im Herzmuskel vor sich gehen, bedürfen einiger Zeit, um sich auszubilden, denn ein kurzes Verweilen in der Wärme hat noch keinen bemerkbaren Einfluss. Da ich nach dem Vorausgegangenen wusste, dass die Herzmuskel- contractionen erfolgen auf Kosten eines Vorraths von Spannkräften, den . das Herz in seiner Substanz besitzt und den es allmählich aufzehrt, so lag es nahe, zu vermuthen, dass die Verschiedenheit der „warmen“ und der „kalten“ Froschherzen darauf beruht, dass die „warmen“ Frosch- herzen einen grösseren Vorrath an Spannkräften besitzen, denn die andere Bedingung für das Zustandekommen der Contraction, die Alkalizufuhr, wurde in beiden Fällen gleich gewählt. Unter dem Einflusse der Wärme werden also von dem Frosche in grösserer Menge Stoffe gebildet, deren Spannkräfte für die Herzmuskel- contraction verwendbar sind, und dies steht wohl im Einklang mit den grösseren Leistungen und dem erhöhten Stoffwechsel, den das ganze Thier in der höheren Temperatur zeigt. Die Stoffe nun, in denen der Spann- 18. 294 u. f. 300 I. GATLE: kraftvorrath des Herzens aufgespeichert ist, lassen sich dem Herzen durch eine alkalische Kochsalzlösung extrahiren, wie die oben beschriebenen Erfahrungen lehren. Daher ist es nicht zu verwundern, dass der Ver- such gelingt, ein „kaltes“ Froschherz in ein- „warmes“ zu verwandeln, indem man ihm den Extraet eines „warmen“ Froschherzens zuführt. Füllt man das Herz eines, kurz nachdem er aus der Kälte geholt war, seschlachteten Frosches, welches am Manometer seine mässigen Con- tractionen registrirt, mit dem filtrirten alkalischen Extracte eines gut ausgewaschenen und in kleine Stücke zerschnittenen „warmen“ Frosch- herzens, so steigern sich die Contractionen rasch auf das Doppelte und Dreifache der ursprünglichen Höhe. Neue Durchspülungen haben dann nicht mehr die Macht, dieses Herz rasch zu erschöpfen, sondern es ver- hält sich nun, wenn es mit diesem Extract durchspült wird, in Bezug auf die Kraft, Frequenz und Ausdauer seiner Contractionen, wie das Herz eines Frosches, der in der Wärme gestanden hat. Daraus geht hervor, dass bei gegebener Alkalizufuhr die Leistungen des Her- zens nur von der Menge von Spannkräften abhängen, über die es verfügt. Und diese Spannkräfte sind nicht in einer räthselhaften Weise an die Substanz des Herzens gebunden, sondern man kann mit den Stoffen, welche sie repräsentiren, das Herz speisen, wie man eine Maschine mit Kohlen speist, und man kann, wie bei dieser, erwarten, dass die Leistung der Speisung.entspreche. Dieser Befund erregte in mir die Hoffnung, dass es möglich sei, die Stoffe, in welchen diese Spannkräfte aufgespeichert sind, aus dem alka- lischen Herzextract zu isoliren und ein Herzpräparat herzustellen, welches nur mit ihnen und mit Alkali arbeite. 4. Von den Stoffen, welche der alkalische Herzextract enthält. Die Körper, welche man erwarten kann in dem mit einer alkalischen Kochsalzlösung von der oben angegebenen Concentration aus einem aus- sewaschenen Froschherzen bereiteten Auszuge anzutreffen, kann man in drei Gruppen theilen: Salze, Kohlenhydrate und Eiweisskörper. Die Körper der ersten beiden Gruppen sind weit löslicher in neutraler Koch- salzlösung, als die der dritten, und da ich die Herzen vorher mit neu- traler Kochsalzlösung gut auswusch, so hat es mich nicht verwundert, dass ich nur Eiweisskörper in dem alkalischen Extracte nachweisen konnte. Es sind Eiweisskörper sehr verschiedener Art. Man bemerkt eine Coagulation bei 60°, eine weitere in dem Filtrate bei der Siede- hitze und eine dritte, welche erst nach dem Ansäuern eintritt. Nach DiE LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 301 dem Sieden und Ansäuern befinden sich im Filtrate immer noch Körper, welche die Eiweissreactionen geben. Die Mengen, die ich so erhielt, sind jedoch geringer, als dass es sich lohnte, Bestimmungen anzustellen. Ich begnügte mich zunächst damit, dass in dem alkalischen Herzextract sich Eiweisskörper qualitativ nachweisen liessen, Körper aus den beiden ersten Gruppen aber nicht. Daraus den Schluss zu ziehen, dass die Wirksam- keit des alkalischen Herzextractes den Eiweisskörpern zuzuschreiben sei, wagte ich nicht. Um Millisramme von Kohlenhydraten in einer solchen Flüssigkeit nachzuweisen, fehlt ein allgemeines, sicheres Verfahren, mehr bedarf es aber nicht, um dem Herzen die Spannkräfte zu seiner Arbeit zu liefern. Ich habe daher versucht, ob durch Zusatz der hauptsächlichsten Repräsentanten aus diesen Gruppen zu einer alkalischen Kochsalzlösung sich eine ähnliche Wirksamkeit erzielen lasse, wie sie der alkalische Herzextract besitzt. Von den Salzen wählte ich diejenigen der Serum- asche. Dass unter diesen Chlorkalium keine Wirkung auf das Herz aus- übt, hatte schon Merunowicz bemerkt; ich konnte auch von den übrigen keinen Erfolg beobachten. Unter den Kohlenhydraten habe ich Dextrin, Traubenzucker und Glykogen in der alkalischen Kochsalzlösung gelöst dem Herzen zugeführt. In möglichster Verdünnung hatten sie - keine nachtheilige Wirkung auf das Herz, doch vermochten sie weder ein erschöpftes Herz zu erholen, noch die schwächlichen Contractionen eines kalten oder mit geringem Alkaligehalt arbeitenden Herzens zu erhöhen. Bei stärkerer Concentration vernichten Dextrin und Trauben- zucker die Schlagfähigkeit des Herzens, während Glykogen besser ertragen wird. Einem Gehalt an diesen Stoffen kann der alkalische Herzextract seine Wirksamkeit nicht wohl verdanken. Ich versuchte es darauf mit den Eiweisskörpern. Mit den Albuminen und Albuminaten hatte ich anfänglich Schwierigkeiten, denn es ist nicht leicht, sich vollkommen salzfreie und neutrale Präparate von diesen Körpern zu verschaffen. Eine geringe Beimengung von Salz, Säure oder Alkali kann aber die Wirkung der Durchspülungsflüssigkeit völlig ändern. Dagegen standen mir neutrale und salzfreie Peptone zu Gebote, und da mir gleich bei dem ersten Versuch mit diesen die ausserordentliche Wirksamkeit derselben in die Augen fiel, so concentrirte sich mein Interesse auf dieses Präparat. Das was man beobachtet, wenn man einem erschöpften oder schwächlichen Herzen eine Spur von Pepton in alkalischer Kochsalzlösung zuführt, lässt sich nur mit der Wirkung des alkalischen Herzextractes oder der blu- tigen Kochsalzlösung vergleichen und ist nicht geringer als diese. Will man an einem frischen Herzen die Wirkung des Peptons erproben, so darf man dem Herzen nicht die wirksamste Menge von Alkali zuführen, 302 J. GAULE: denn mit dieser würde das Herz allein schon Contractionen ausführen, welche einer weiteren Steigerung nicht fähig sind. Fig. 2 zeigt einen Versuch, welcher in der Art ausgeführt ist, dass einem frischen Herzen in einer Lösung, welche 2.5”®" Alkali in 100 °” 0-6 procentiger Kochsalzlösung enthielt, nacheinander Glykogen, Pepton, Diastase und Dextrin zugeführt wurden. Es wurden jedesmal 5°” der Lösung, welchen eine Spur von diesen Stoffen zugesetzt war, zur Durch- spülung verwendet, und das Herz blieb mit der letzten Portion dieser 5°® ohne Druck gefüllt und zeiehnete mit ihr seine Contractionen wäh- rend einer Umdrehung der Trommel. Darauf wurde die Zeichnung unterbrochen, mit 5—10°°® neutraler Kochsalzlösung ausgespült und während einer Umdrehung der Trommel das Verhalten des Herzens mit dieser Kochsalzlösung aufgezeichnet. Darauf begann die Durchspülung Neutrale Kochsalzlösung. f Pepton in derselben Lösung wie bei >. {48 b 2-5 mer NaHO auf 100cem 0-6'proc. NaCl-Lösung. g Nentrale Kochsalzlösung. ce Neutrale Kochsalzlösung. _ h Diastase in derselben Lösung wie bei b. d Glykogen in derselben Lösung wie bei b. i Neutrale Kochsalzlösung. } e Neutrale Kochsalzlösung. k Dextrin in derselben Lösung wie bei b. Fig. 2. mit dem nächsten Stoffe. Die Figur zeigt einen Ausschnitt aus der so entstandenen Curve. Ein anderer Versuch, in genau derselben Weise, nur mit einer Umkehrung der Reihenfolge angestellt, ergab genau das- selbe Resultat. Bei einem erschöpften Herzen, welches nur noch Pulse von 2” Höhe zeichnete, löste eine Spur von Pepton, die ihm mit der- selben alkalischen Kochsalzlösung, die es vorher gespeist hatte, zugeführt wurde, 294 Pulse von durchschnittlich 20”” Höhe aus. So sieht man das Pepton Wirkungen hervorbringen, wie ich sie vorher nur von dem Blute, dem Serum und dem alkalischen Herzextracte kannte. Es scheint, dass es das Herz ebenso mit Spannkräften zu speisen im Stande ist, wie diese. Nichts aber kann mehr in der Hoffnung bestärken, den chemi- schen Vorgängen bei der Herzmuskelcontraetion näher zu treten, als die DIE LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 303 Möglichkeit, dem Herzen, dessen Vorrath an Spannkräften ungenügend ist, durch Zufuhr von Pepton hiefür Ersatz zu geben. Wenn in der That Pepton und Alkali allein genügten, die Arbeit dieser Maschine zu unterhalten, so dürfte man hoffen, die Technik derselben bald zu ver- stehen; doch lässt sich dieser Schluss aus den Resultaten meiner Ver- suche noch nicht ziehen. Um über die Rolle, welche andere Körper bei der Muskelcontraction spielen, in’s Klare zu kommen, bedarf es noch ganzer Reihen von Ver- suchen, die von mir noch nicht angestellt sind. Ich habe mich zunächst der Aufgabe zugewendet, die Umwandlungs- producte kennen zu lernen, die bei jener Umsetzung von Spannkräften in Arbeit, welche wir Muskelcontraction nennen, entstehen. 5. Von der Abnahme der Alkalescenz, Die Alkalescenz der Lösungen, welche ich zur Durchspülung ver- wendete, wurde von mir durch Titrirung mit Schwefelsäure, unter An- wendung von Rosolsäure als Indicator, bestimmt. Die Bürette, deren ich mich bediente, war in '/,°® getheilt und 1/0 konnten noch bequem geschätzt werden. Es wurden jedesmal mehrere Titrirungen der gleichen Flüssigkeit vorgenommen und das Mittel als massgebend be- trachtet. Hatte ich die Durchspülungsflüssigkeit mit ausgekochter Kochsalz- lösung und frisch bereitetem Natronhydrat hergestellt, so nahm die Alkalescenz beim Kochen nicht zu, sie enthielt also kein kohlensaures Natron. Um die Lösung zu verhindern aus der Luft die Kohlensäure -» aufzunehmen, wurde sie dann unter Abschluss der Luft aufbewahrt. War sie auch nur kurze Zeit der Luft ausgesetzt worden, so musste die Alka- lescenz neu bestimmt werden, da sie hierdurch abgenommen hatte. Die Anwesenheit einer geringen Menge kohlensauren Natrons in der Flüssig- keit schadete dem Herzen übrigens nicht, nur musste man sich hüten, die Alkalescenz, welche durch Aufnahme von Kohlensäure aus der Luft bedingt war, zu verwechseln mit der Abnahme der Alkalescenz, welche bei der Durchspülung durch das Herz eintrat. War dieselbe Lösung mehrmals durch das Herz gegangen und hatte das Herz eine beträchtliche Arbeit mit ihr geleistet, so zeigte die Titrirung oft nur die Hälfte oder den dritten Theil des ursprünglich vorhandenen Alkali’s an. Wenn man jedoch, nachdem man so das freie Alkali bestimmt hatte, kochte und dabei allmählich Säure zusetzte, wie man es bei der Titrirung der kohlensauren Alkalien macht, so brauchte man zur Neutralisirung schliesslich ungefähr ebensoviel Säure, als man 304 J. GAULE: vor der Durchspülung verbraucht hatte. Die-Flüssigkeit hatte also bei der Durchspülung eine Säure aufgenommen, welche beim Kochen weggeht. Um sicher zu sein, dass diese Säure alle aus dem Herzen stamme und nicht etwa Kohlensäure aus der Luft aufgenommen werde, und um andererseits die Abgabe von Kohlensäure an die Luft zu verhindern, stellte ich die Versuche nunmehr unter Abschluss der Luft an. Hierzu bediente ich mich eines kleinen Apparates von dem ich in Fie. 3 eine Skizze gebe. Zwei Glaskugeln, beide oben und unten in einen Hals ausgezogen, stehen in doppelter Verbindung mit einander. Die untere Verbindung ist eine directe durch einen Gummischlauch, in die obere - ist das Herz eingeschaltet. Der eine Arm der Kroneeker’schen Per- fusionscanüle ist mit dem oberen Halse der einen Kugel durch einen Gummischlauch in Verbindung, der andere Arm geht in ein Gabelrohr über. Diese Gabel verbindet ihn mit Hülfe von Gummischläuchen einer- seits mit dem Manometer, andererseits mit dem oberen Halse der zweiten Kugel. Mit Hülfe von Klemmen können alle diese Wege ganz oder theilweise unterbrochen werden. Das ganze System ist theils mit der alkalischen Kochsalzlösung, theils mit Quecksilber angefüllt. Wird die eine Kugel gehoben, so strömt das Quecksilber durch die untere Ver- bindung in die andere Kugel, und dementsprechend muss die gleiche DIE LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHEERZENS. 305 Menge alkalischer Kochsalzlösung durch die obere Verbindung zurück- passiren. Ein Stück dieser Verbindung bilden aber die beiden Wege der Perfusionscanüle, und somit muss die Flüssigkeit das Herz passiren. Nichts steht im Wege, nun die andere Kugel zu heben und so die Flüssigkeit auf demselben Wege zurückzuleiten. Das Herz selbst befand sich, ebenso wie bei den übrigen Versuchen, in einem Bade von nentraler, ausgekochter Kochsalzlösing. Um diese Kochsalzlösung von der Communication mit der Luft abzuschliessen, durcehbohrte die Perfusionscanüle einen Kork, welcher das Gefäss, in dem sie sich befand, schloss. Wäre der Raum, in dem sich die Flüssigkeit und in ihr das Herz befand, völlig abgeschlossen gewesen, so würde das . Herz, da die Flüssigkeit incompressibel ist, keinen Spielraum für die Erweiterungen und Verengerungen seiner Höhle gehabt haben. Das Bad- gefäss communicirte daher mit einer engen Röhre, in die die Bad- flüssigkeit beim Arbeiten des Herzens ausweichen konnte. Der kleine Flüssigkeitsspiegel in dieser Röhre stand also in Communication mit der Atmospäre, und wenn das Herz von seiner Aussenwand Kohlensäure an die Kochsalzlösung abgibt, so ist es möglich, dass diese, durch die Koch- salzlösung hindurehwandernd, bei jener Berührnngsstelle an die Atmo- sphäre abgegeben wird. Doch ist einleuchtend, dass die Verhältnisse für diese Abgabe von Kohlensäure so ausserordentlich ungünstig sind, dass man diese Fehlerquelle vernachlässigen kann. Ich habe die Flüssigkeit so oft durch das Herz hin und wieder getrieben, als das Herz mit ihr noch Contractionen gab. Dann fand ich bei der darauffolgenden Titrirung, dass die Flüssigkeit nur noch 1-2 ”® freies Alkali in 100 «= enthielt, während ihr ursprünglicher Gehalt davon 5"2 betragen hatte. Als die Flüssigkeit nun kochend titrirt wurde, ergab sich, dass noch 3-22 Alkali auf 100°= Lösung berechnet, an eine Säure gebunden _ waren, welche beim Kochen wegging, während 0-.6”® Alkali auf 100 = Lösung berechnet, mit einer nicht flüchtigen Säure sich verbunden hatten. Man hätte daran denken können, dass ein Theil dieser Säuren schon im Herzen präformirt vorhanden und nur ausgewaschen sei: um diese Quelle des Irrthums jedoch zu verschliessen, hatte ich die Herzen vorher mit Kochsalzlösung so lange ausgespült, bis die durchgegangene Flüssigkeit neutrale Reaction zeigte. Die Annahme, dass etwa ein Theil des Alkali’s im Herzen zurückgeblieben sei, war ausgeschlossen, da ich nicht die Gesammtmenge, sondern den procentischen Gehalt an freiem Alkali vor und nach dem Durchgang durch das Herz untersuchte, und dieser konnte sich nicht dadurch ändern, dass eine gewisse Flüssigkeitsmenge im Her- Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 20 306 J. GAULE: zen zurückblieb, weil die zurückgebliebene Flüssigkeit eben dieselbe Zusammensetzung zeigen musste, wie die entnommene. ‘ Welche absolute Menge von Alkali ein Herz bei der Durchleitung sättigt, hängt natürlich auch davon ab, welche Mengen man ihm dar- bietet, also von den Mengen der durchgeleiteten Flüssigkeit. Sind diese Mengen sehr gross, so wird sein Vorrath an Spannkräften nicht hin- reichen, um sö viel Säure zu bilden, als nöthig ist, um das Alkali in dem oben angegebenen Procentsatz zu sättigen. In dem Falle, welchen ich als Beispiel anführte, und in anderen, welche ich hier nicht wieder- holen will, kann man aber annehmen, dass das Herz bis zu dem Minimum von freiem Alkali einerseits und dem Maximum von gebundenem Alkali andererseits, mit dem es noch zu schlagen im Stande war, gelangt sei, und ‘zwar deshalb, weil, als der Versuch nun unterbrochen und dem Herzen frisches Alkali zugeführt wurde, es wieder zu schlagen begann. Es lag nahe, zu vermutken, dass die in der Hitze flüchtige Säure, welche das Herz bildet, Kohlensäure sei. Um diese Vermuthung jedoch zur Gewissheit zu erheben, wollte ich die Kohlensäure volumometrisch bestimmen. 6. Von der Säurebildung des Froschherzens. Um die Bildung der Kohlensäure nachzuweisen, bediente ich mich derselben Durchspülungsvorrichtung, welche ich im vorigen Abschnitt beschrieben habe, so dass das Herz sowohl als die Durehspülungsflüssig- keit von der Luft abgeschlossen waren. Anfänglich suchte ich, nachdem die Durchleitung unter den geeigneten Vorsichtsmaassregeln abgeschlossen war, die von der Durchspülungsflüssigkeit aufgenommene Kohlensäure in der Weise zu entbinden, dass ich dieselbe in ein weites, 1” langes Absorptionsrohr unter Quecksilber aufsteigen liess und darauf gleichfalls unter Quecksilber Säure zufügte. Die Ablesung der Spannung und des in der Röhre vorhandenen Gasvolumens vor und nach Zusatz der Säure, ergab nur die Menge der durch den Säurezusatz entbundenen Kohlen- säure. Zur Controle fügte ich dann Natronlauge hinzu und beobachtete Spannung und Volumen nach geschehener Absorption. Diese Versuche senügten, um zu zeigen, dass das Froschherz in der That bei der be- schriebenen Durchleitung messbare Quantitäten von Kohlensäure liefert, jedoch konnten sie nicht als quantitativ genaue betrachtet werden, da man weder den Absorptionscoefficienten der in der Röhre befindlichen Flüssigkeit, noch deren Dampfspannung kennt. Um genau die Menge der gebildeten Kohlensäure zu bestimmen, wurde, als das Herz mit der Durchspülungsflüssigkeit wegen der Ab- Die LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 307 nahme der Alkalescenz nicht mehr schlug, die sämmtliche Flüssigkeit in die eine der beiden Kugeln geleitet, mit Klemmen abgeschlossen, die Verbindung mit dem Herzen unterbrochen und die Verbindungsstücke mit Quecksilber gefüllt. In den Recipienten der Gaspumpe des Institutes (eines Pflüger’schen) war unterdessen eine Quantität Schwefelsäure verbracht und ausgepumpt worden. Mit dem unteren Hahn des Reci- pienten wurde ein kurzer Gummischlauch verbunden, welcher zum oberen Halse der die Flüssigkeit enthaltenden Kugel führte und mit Quecksilber gefüllt war. Auf die zweite Kugel des Durchspülungsapparates liess ich nun den Atmosphärendruck wirken und öffnete den Hahn des Reecipienten, so dass die erste Kugel mit diesem communicirte. Auf diese Weise musste sich die Flüssigkeit aus der ersten Kugel in den Recipienten der Gaspumpe begeben, während dafür aus der zweiten Kugel Quecksilber nachrückte. Die durch Auspumpen nunmehr erhaltenen Gase wurden in einem Absorptionsrohr gesammelt und darauf in gleicher Weise die Kochsalz- lösung, die sich. in dem Badegefäss des Herzens befand, ausgepumpt, und die aus ihr erhaltenen Gase den ersten hinzugefügt. -(Leider konnte ich mich zur Absorption der Kohlensäure nicht der Bunsen’schen Kalikugeln bedienen, da mir die Apparate zu deren Her- stellung im Laboratorium fehlten. Ich liess die Kohlensäure also durch Natronlauge absorbiren, nachdem ich vorher mich experimentell über- zeugt hatte, welche Dampfspannung diese Natronlauge bei den Tempe- raturen meiner Ablesungen ausübte.) Ich gebe in Folsendem einige Versuchsdaten: Volum redueirt Volum. Druck. Temperatur. auf 0% und 1% Druck. It, Vor der Absorption 31-5 DENE 17-5 10.4 Nach der Absorption 20-5 361-2 17.0 6-9 Absorbirt 3-5 Absorbirt in Cem. 0-40 105 Vor der Absorption 56-5 401.7 17.0 21.4 Nach der Absorption 48.0 404.8 17.0 18-3 Absorbirt | 3-1 Absorbirt in Cem. 0-38 20* 308 J. GAULE: Volum reducirt Volum. Druck. Temperatur. auf 0° und 1” Druck. II. Vor der Absorption 392-5 173-0 20-5 63-2 Nach der Absorption 378-5 160-1 16-0 Dt Absorbirt 6-1 Absorbirt in Cem. 0.80 Um die Fehlerquelle abzuschneiden, welche dadurch entstehen konnte, dass die Flüssigkeiten, welche ich zur Durchleitung verwendete, bevor sie gebraucht wurden, Kohlensäure aufgenommen hatten, wurden gleiche Portionen direct aus den Aufbewahrungsgefässen entnommen und aus- gepumpt. Diese Auspumpung ergab überall nur verschwindende Spuren von Kohlensäure. Es ist klar, dass die Flüssigkeiten auch nur dann hätten Kohlensäure enthalten können, wenn die Aufbewahrung mangel- haft gewesen wäre. Es ergab sich somit, dass von den Herzen in dem ersten Falle 0-40, im zweiten Falle 0-33 und im dritten Falle 0-80" Kohlensäure ge- bildet worden waren. Dabei blieb aber zunächst noch die Frage offen, ob diese Kohlensäure den chemischen Processen, welche der Muskelcon- traction zu Grunde liegen, ihre Bildung zu danken habe, oder ob jedes Herz, auch ohne zu schlagen, wenn es allmählich abstirbt, ähnliche Mengen Kohlensäure bilde. | Ich brachte zwei ausgespülte Herzen unter Abschluss der Luft in neutrale Kochsalzlösung, in der sie mehrere Stunden verweilten. Die Herzen starben, ohne noch viel zu schlagen, allmählich ab und waren, als der Versuch beendigt war, nicht mehr fähig zu schlagen. Die. Koch- salzlösung wurde in der oben bereits beschriebenen Weise in den Reci- pienten der Luftpumpe gebracht und mit Schwefelsäure ausgepumpt. Die Gase wurden analysirt und folgendes sind die Daten: Volum redueirt Volum. Druck. Temperatur. auf 0° und N Druck Vor der Absorption 289.2 68-6 16.17 18.90 Nach der Absorption 281.5 75-5 20-0 18.50 Absorbirt 0.40 ° Absorbirt in Cem. 0.057 Zwei Herzen hatten also in derselben Zeit nur den 16ten Theil der Kohlensäure gebildet, welche ein einziges Herz in Fall III jedoch unter andauerndem Schlagen gebildet hatte. Damit schien mir bewiesen, dass die Kohlensäure, welche ein schlagendes Herz bildet, zum über- Dre LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 309 wiegenden Theil den chemischen Processen, welche der Muskelcontraction zu Grunde liegen, ihre Entstehung verdankt. Wie aus der Untersuchung über die Abnahme der Alkalescenz her- vorgeht, ist Kohlensäure nicht die einzige Säure, welche das schlagende Herz bildet. In der durchgespülten Flüssigkeit befindet sich auch eine fixe Säure, jedoch wie aus den Titrirungen hervorgeht, in weit geringerer Menge. Es ist mir bis jetzt nicht selungen nachzuweisen, um welche Säure oder welche Säuren es sich hier handelt. Ein leichtes Rechen- exempel lehrt, dass 20—40 Froschherzen ihre Arbeit vereinigen müssten, um nur ein Öentigramm dieser Säure zu bilden, den günstigsten Fall vorausgesetzt, dass es sich hier um eine Säure handelt. Daraus erklären sich die. Schwierigkeiten der Untersuchung. 7. Von dem Arbeitsäquivalent der gebildeten Kohlensäure. Die Erkenntniss, dass die chemischen Processe, welche der Muskel- contraction zu Grunde liegen, zu einer Kohlensäurebildung führen, und zwar im Muskel selbst, ohne Intervention anderer chemischer Agentien, sowie der Umstand, dass diese Kohlensäure sich quantitativ bestimmen lässt, ermuthiste zu einem Versuch auch für die Maschine, welche der Herzmuskel darstellte, den mechanischen Nutzeffect zu berechnen. Die Arbeit, welche das Herz leistet, lässt sich mit ziemlicher Genauigkeit bestimmen, da das Herz seine Bewegungen registrirt, Dagegen muss man einige ziemlich willkürliche Voraussetzungen machen, wenn man die Menge der chemischen Affinitäten feststellen will, die gesättigt werden. Ich sehe ab von den Säuren, die sich neben der Kohlensäure gebildet haben. Deren Menge beträgt höchstens 20%), der gebildeten Kohlensäure, und da die Affinitäten, welche in ihnen stecken, jedenfalls weniger ge- sättigt sind als in der Kohlensäure, so ist der Fehler, wenn man diese Affinitäten vernachlässigt, noch geringer. Derselbe wird ganz oder theil- weise compensirt durch einen anderen Fehler, den ich gleich machen werde. Bekanntlich werden bei der Verbrennung von 18" Eiweiss ca. 5000 Wärmeeinheiten frei. Dabei werden ausser der Affinität des Kohlenstoffs zum Sauerstoff auch noch andere Affinitäten gesättigt. Diese will ich aber vernachlässigen und annehmen, dass die 5000 Wärmeeinheiten einzig und allein der Sättigung der Affinität der in 18°” Eiweiss befindlichen Menge Kohlenstoff zum Sauerstoff ihre Entstehung verdanken. Nimmt man den Kohlenstoffgehalt des Eiweisses näherungsweise zu 50°/, an, so werden bei der Verbrennung von 1°” Eiweiss 1.833” Kohlensäure ge- bildet. Jedes Gramm Kohlensäure, welches bei der Verbrennung von Eiweiss entsteht, entspricht also ca. 2750 Wärmeeinheiten. Da nun die 310 J. GAULE: Sättigung von chemischen Affinitäten stets gleich viel Wärmeeinheiten liefert, durch welche Zwischenstufen hindurch sie erfolgt, so ist es gar nicht nothwendig, dass die Kohlensäure durch Verbrennung entsteht, und man kann sagen, für jedes Gramm Kohlensäure, welches aus Eiweiss ent- steht, müssen 2750 Wärmeeinheiten frei werden. So ist diese Annahme an keinerlei Hypothese geknüpft, welche man über die chemischen Processe bei der Muskeleontraction etwa machen würde. Nur das wird voraus- gesetzt, wozu die vorausgegangenen Untersuchungen ja einigen Anhalt liefern, dass die Spannkräfte, welche dabei verwendet werden, in den chemischen Affinitäten des Eiweisses liegen. In einem Falle, den ich als Beispiel wählen will, bildete das Frosch- herz unter Umständen, die aus der obengelieferten Beschreibung genügend bekannt sind, 0-.68”®" Kohlensäure. Bei der Bildung dieser Menge h BR 2750x 0-68 € Kohlensäure aus Eiweiss, hatte das Herz = 1000 5 9 1-87 Wärme- einheiten gewinnen müssen. Aufgezeichnet hatte dieses Herz 920 Contractionen, welche im Durchschnitt 13”®. hoch waren. Um aus den Aufzeichnungen des Mano- meters auf die gesammte von dem Herzen geleistete Arbeit schliessen zu können, muss man die Voraussetzung machen, dass die auf die übrigen Theile des Apparates geleistete Arbeit verschwinde. Annähernd kann diese Voraussetzung nur zutreffen, wenn dem Inhalt des Herzens kein anderer Weg offen steht, als der in das Manometer, also nur in den Momenten, in denen nicht gespült wird. Da ja aber von Zeit zu Zeit durchspült werden muss, und zwar je länger das Herz schlägt, desto öfter, so gehen 10—20°/, der Contractionen verloren. Ausserdem geht ein Theil der Arbeit des Herzens durch die Spannung der Gummiver- bindungsstücke und ein anderer Theil durch Reibung verloren. Die auf- . gezeichnete Leistung bleibt also beträchtlich hinter der wirklichen zurück. Ich will sie trotzdem als Basis der Berechnung wählen, da sie jedenfalls eine sichere Zahl bietet. - Weniger hat das Herz keinesfalls geleistet. Nach einer Kalibrirung meines Manometers entsprach eine Hebung der Abseisse um 13" der Hebung eines Gewichts von 5®” um den gleichen Betrag. Die Gesammtarbeitsleistung betrug also 5x 13 x 920 = 59800 Grammmillimeter oder rund 60 Grammmeter. Nun sind 60 Grammmeter = 0-18 Wärmeeinheiten nach den be- kannten Gesetzen der Aequivalenz von Wärme und Arbeit. Da das Herz im Ganzen während der gleichen Zeit durch die Umsetzung seiner Spann- kräfte einen Betrag von 1-87 Wärmeeinheiten an Energie gewonnen hat, Die LEISTUNGEN DES ENTBLUTETEN FROSCHHERZENS. 3ll so würde der mechanische Nutzeflect etwa 8°/, der gesammten verfüg- baren Energie betragen, während 92°, in Form von Wärme erschienen. Aber diese Berechnung hat eben nur den Zweck, den directen Nachweis zu liefern, dass die Ausnutzung nicht unter diesem Werthe sein kann. Es liegt deshalb kein Widerspruch in ihr zu den Resultaten, zu welchen A. Fick! kürzlich auf anderem Wege gekommen ist, dass nämlich höchstens 25 °/, von der gesammten von dem Muskel durch Um- setzung seiner Spannkräfte gewonnenen Energie in Form von mechanischer Arbeit verwerthet würden. Vielmehr müssen fortgesetzte Untersuchungen erst lehren den genaueren Werthen näher zu treten. 1 A. Fick, Ueber die Wärmeentwicklung bei der Muskelzuckung. Pflüger’s Archiv u. s. w. 1876. Bd. XVI. Beobachtungen über die Thätigkeit des Trommelfell- spanners bei Hund und Katze. Von V. Hensen in Kiel. Es war bisher missglückt, Beobachtungen über die physiologische Thätiskeit des Musculus tensor tympani zu gewinnen. Man hatte sich zwar Theorien über die Function dieses Muskels gebildet, aber dieselben, die nebeneinander hergingen, scheinen wesentlich nur den am Auge ge- machten Erfahrungen entlehnt zu sein. Die eine, welche sich schon bei Munke! erwähnt findet, nimmt an, dass die Binnenmuskeln des Ohrs die Theile unbeweglicher machen und gegen die Wirkung eines übertriebenen Schalls in ähnlicher Weise das Labyrinth schützen, wie dies die Iris gegenüber der Retina thut. Jedoch die durch ihre Stärke das Ohr am empfindlichsten treffenden Erschütte- rungen sind Explosionen und auf diese können die Muskeln in der Regel nicht vorbereitet sein, daher ist diese Ansicht, wenigstens in so einfacher ‚Gestalt, kaum scharf vertreten worden und nicht haltbar. Eine andere Ansicht scheint unserer Kenntniss der Accommodations- processe im Auge entnommen zu sein und in den Versuchen Savarts? über den Einfluss der Spannungen auf das Mitschwingen der Membranen und durch Erfahrungen von Wollaston,? Joh. Müller“ u. A. ihre erste Stütze gefunden zu haben. Es wird vermuthet, dass der Leitungs- apparat für Töne verschiedener Höhe, wie sie gerade das Ohr trefien, 1 Gehler, Physikalisches Wörterbuch. Bd. IV. S. 1210. 2 Savart, Recherches sur les usages de la membrane du tympan. Magendie, Journal de Physiologie 1834. 3 Wollaston, The Edinburgh Philosophical Journal. IV. 1821. * Müller, Physiologie. Bd. 11. BEOBACHT. ÜB. D. THÄTIGKEIT DES TROMMELFELLSPANNERS U. S.w. 313 gespannt und gestimmt werde. Diese Vermuthung wird später am schärfsten von Mach! formulirt und verfolgt. Dieser Forscher unter- suchte? mit Hülfe eines stroboskopischen Verfahrens den Einfluss des Tensor im todten Ohr auf die Schwingungen des Trommelfells, indem er letzteres beobachtete und ersteren in verschiedenem Grade spannte. Es gelang ihm der directe Nachweis, dass von mehreren gleichzeitig an- gegebenen Tönen, die durch die höheren erzeugten Partialschwingungen des Trommelfells bei Spannung. des Muskels in geringerem Grade aus- selöscht wurden, als die dem tieferen Ton angehörenden Schwingungen. Aber in einer Reihe meines Erachtens vortrefflich ausgeführter Versuche am lebenden menschlichen Ohr misslang der Nachweis einer Thätig- keit des Muskels so vollständig, dass Mach in Folge dessen seine Ansicht scheint aufgegeben zu haben. Eine dritte Ansicht rührt von Helmholtz? her. Nach derselben würde durch die Elastieität des am Hammer befestigten Muskels der Band- und Knochenapparat die für genaue Schallübertragung nothwen- dige feste Fügung erhalten. Diese Ansicht beschäftigt sich also nicht eigentlich mit der Thätigkeit des Muskels. Letztere kennen wir jedoch aus einigen abnormen Fällen, unter denen freilich manche wohl nur auf falscher Deutung gewisser Geräusche, welche vor Eröffnung der Eustachischen Röhre entstehen, beruhen dürften. Einige, so namentlich der unter Helmholtz’s Leitung untersuchte Fall von Schapringer‘, können jedoch keinem Zweifel unterliegen. Wir kommen sogleich auf denselben zurück. Durch eine Reihe von Betrachtungen, welche sich an vorstehende Darlegung knüpften, wurde ich zu Experimenten veranlasst, welche ein glückliches, aber vielleicht Vielen unerwartetes Resultat hatten. Mein Gedankengang wird ohne Zweifel manche Fehlschlüsse enthalten, denn es ist mir nicht gegeben, rein theoretisch das Geschehen im Organismus zu erkennen. Da jedoch ohne die gemachten Voraussetzungen das Ex- periment weder ausgeführt worden, noch auch vielleicht geglückt wäre, da namentlich die Gefahr, welche die vorgefasste Meinung für die Unter- suchung mit sich bringt, am besten beseitist wird, wenn man diese Meinung darlest, so sollen die Betrachtungen hier vorgetragen werden. Sehapringer, welcher durch willkürliche Innervation des Tensor (wie sicher zu stehen scheint) sein Trommelfell stark einziehen konnte, 1 Mach, Zur Theorie des Gehörorgans. Wiener Sitzungsberichte. 1865. 2 Mach und Kessel, Ebenda. 1872. 3 Helmholtz, Die Mechanik d. Gehörknöchelchen, Pflüger ’s Archiv u. s. w. 1868. 4 Schapringer, Ueber die Contraction des Trommelfellspanners. Wiener Sitzungsberichte. 1810. 314 V. Hensen: bemerkte, dass während er dies that, die Obertöne eines Klanges relativ stark hervortraten, aber ob die höheren Töne für ihn wirklich stärker wahrnehmbar gemacht werden konnten, vermochte er nicht zu entschei- den, weil er überhaupt „durch das sehr heftige Muskelgeräusch im Beurtheilen der Intensität der Töne sehr beirrt“ war. Da wir nun, denke ich, beim gewöhnlichen Gebrauch des Ohrs den Muskelton nicht wahrnehmen, so kann sich der Tensor nur durch Zuckungen am Höract betheilisen, wenn er dies überhaupt thut. Geschieht dies, so würde, trotzdem Mach bei seiner Untersuchungsweise (mit Orgelpfeifen) eine Contraction nicht fand und trotzdem in den Ge- hörgang eingesetzte Manometer Druckschwankungen nicht anzeigen, diese Thätickeit, weil ganz flüchtig, der Beobachtung haben entgehen können, namentlich wenn die Zuckung auf den Anfang des Tonanschlags fällt. Dass dieser Zeitpunkt gewählt werde, war mir durch Unter- suchungen wahrscheinlich geworden, welche ich mit einem von mir construirten Logographen anstellte. Es scheint sich nemlich zu ergeben, dass bei einer Membran, die, wie dies meines Erachtens beim Trommelfell (und Telephon) der Fall ist, nur durch Steifigkeit, nicht durch Spannung steht und dabei stark ge- dämpft ist, die Fähigkeit, durch Consonanten und Geräusche in Bewegung geben zu werden gut ist, während die Vocalcurven weniger exact wiederge- gesetzt werden. Wenn aber der Membran eine gewisse äussere Spannung ertheilt wird und dadurch zugleich ihre Dämpfung relativ vermindert wird, so kehrt sich das Verhältniss um. (Wenn nämlich ein angestossenes Theilchen abschwingt nach der Gleichung ° wo x die Entfernung von der Ruhelage, ce und A von der Anfangslage des Theilchens und der Grösse des Stosses abhängige Constanten, m die Masse des schwingenden Theilchens, 5 die Dämpfung, ? die Zeit, e die Basis des natürl. Logarithmensystems, endlich — a?x die elastische Kraft ist, so wird durch die Spannung a? vermehrt, also d relativ zu a kleiner.) Wenn dies richtig ist, so würde für mindestens viele Worte eine Re- flexzuckung des quergestreiften Muskels, hervorgerufen durch den ersten Anschlag eines Tonstosses, von Vortheil für die Wahrnehmung des nach- folgenden Vocals in Bezug auf dessen Obertöne sein. In dem Worte „Pracht“ 7. B., welches mir zufällig in photographirter Curve vorliegt, braucht „P“ circa 5/,,, Secunden und „r“ 0.11 Sec., beide also 0-13 Sec,, so dass der Muskel völlig die Zeit gewinnen kann sich zu contrahiren. Das „a“ BEOBACHT. ÜB. D. THÄTIGKEIT. DES TROMMELFELLSPANNERS DV. S.w. 315 dauert 0-22 Sec., es könnte also, selbst wenn ihm nur ein „P“ voranginge, der Muskel, die Reflexzeit zu 0.1 Sec. angenommen, sich noch im Ver- lauf des Vocals contrahiren, und möglicherweise wieder erschlafft sein, wenn das „cht“ eintritt. Diese Betrachtung ist für eine grosse Reihe von Fällen stichhaltig, für viele andere, wie z. B. für das sehr kurze „i“ im „in“, nicht; aber dies „i“ klinst ganz anders wie das „i“ in „ini“ oder in „iin“ Beim „an“, „en“ u.s. w. scheint der Vokal länger gehalten zu werden, doch immer fällt auf das „n“ der eigentliche Ton. In anderen Fällen. hört, wenn die Worte sehr rasch gesprochen werden, unser Ohr gewiss die Vocale nicht recht deutlich, sondern wir errathen in Folge unserer grossen Uebung wahrscheinlich einen Theil der Buchstaben in undeut- lich gesprochenen Sylben. — Der Gegenstand wird selbstverständlich, wenn er sich einer weiteren Verfoleung werth erweisen sollte, eines ganz anderen Studiums bedürfen, als ich ihm zu widmen vermag. Hier darf genügen, dass ich, unserem sicheren Wissen vorgreifend, in angegebener Weise die Möglichkeit wog. Bestärkt wurde die Vermuthung, dass der Muskel im Anfang jeder Sylbe zucke, durch eine Erfahrung, welche sich mir bezüglich der Vocale aufgedrängt hat. Mir scheint nämlich, dass der Charakter der Vocale eigentlich nur recht deutlich in der Zeitihres Entstehens gehört wird, lange angehalten verlieren sie etwas an ihrem charakteristischen Klang. Am deutlichsten beobachtet sich dies bei den Versuchen, die Vocale künstlich zu erzeugen. Der Beginn einer Vocaleurve weist nun aller- dings eine allmähliche Hervorbildung der Obertöne auf, aber darin liegt nicht der alleinige Grund der Wahrnehmung. Wenn ein Vocal andauernd angegeben wird und ich die Ohren abwechselnd schliesse und öffne, so scheint mir im letzteren Falle der Vocalklang ebenso deutlich hervor- zutreten als wenn er frisch eingesetzt würde. Diese Erscheinung, so weit ‚sie nicht etwa auf psychischen Vorgängen beruht, würde gleichfalls durch die Vermuthung, dass der Muskel eine Zuckung beim Anschlag des Tons an das Ohr mache, erklärt werden können. So ausgerüstet ging ich an das Experiment, wobei mich die HH. Professoren Völckers und Falck zu unterstützen die Güte hatten. Die Hunde werden so schwach curarisirt (4—5 "8" Curare), dass sie nach Beendigung der Operation einigermaassen zuckungs- und athmungs- fähig sind. Die Theile werden hart unter dem Zungenbein bis zum Pharynx quer durchschnitten und die Bulla ossea einer Seite freigelegt, doch die einfache Freilesung der Bulla ist auch schon ausreichend. ! 1 Heidenhain hat, Pflüger’s Archiv 1878, wie ich soeben sehe, diese Opera ration schon beschrieben, er vermeidet dabei die Verletzung der Gefässe ganz; für 316 V. HEnsen: Sie wird dann mit dem Trepan eröffnet und mit der Knochenzange er- weitert. Das Cavum tympani blutet kaum und liegt frei und übersicht- lich vor. Der Tensor setzt sich an einen besonderen Fortsatz des Ham- mers an und liegt mit einem erheblichen Theil seines Bauches frei in der Trommelhöhle. Seine Wirkung besteht weniger in einer Einziehung des Trommelfells als in einer Drehung des Hammers, wodurch wohl die ungleich grossen Hälften des Tympanum gleichmässiger gespannt werden. Es wurde in den Bauch, bez. Sehnenspiegel des Muskels eine Nadel eingestochen, welche frei herausragte. Das zweite Experiment slückte so vollständig, dass wir für eine weitere Verfolgung der Dinge unvorbereitet, der Versuche schliesslich überdrüssig wurden. Jeder Ton, jedes Geräusch, jede Sylbe brachte die Nadel in Bewegung, aber wenn der Ton angehalten wurde kam sie zur Ruhe und zwar, so weit sich an der natürlich nur locker sitzenden Nadel beobachten liess, war der Muskel erschlafft. Jedes neue Geräusch brachte dann wieder Zuckungen. Es wurde versucht Melodien zu pfeifen, zu flüstern, zu klopfen, mit den Fingern zu knipsen, dicht vor dem Ohr oder in weiter Ferne das Geräusch zu erregen, die Antwort des Muskels blieb dieselbe Doch schien sie auf lautes Geräusch etwas energischer zu sein und bei sehr leisem Geräusch konnte sie ausbleiben. Bedenkt man jedoch, dass der Ton von zwei Seiten aus das Trommelfell traf, also die Bedingung für die Schwingung recht ungünstig war, ferner, dass die Curarisirung, wie unser erstes Experiment gelehrt hatte, den Tensor nicht intact läst, so scheint es, dass kaum mehr erwartet werden konnte. Der Versuch schien meinen Voraussagen völlig zu entsprechen. An einem anderen Hunde wurde bei der Operation der untere Theil des Trommelfells etwas verletzt. Dennoch reagirte der Muskel gut, so lange nicht durch die Nadel, welche ich sehr fein nahm, eine Höhlung - in dem zuckenden Muskel gebildet war; dies scheint eintreten zu können. Die Frage, ob auch von dem gesunden Ohr aus der Muskel in Erregung zu setzen sei, glauben wir bejahen zu müssen, aber. zu einer definitiven Entscheidung würde der N. acusticus zerstört werden müssen, was nicht ausgeführt wurde. Bei rascher Folge der Töne (elektrische Glocke 5 mal die Secunde) kommt der Muskel, oder wenigstens die Nadel nicht ganz zur Ruhe. Sonderbarer Weise bringt Berührung der Membrana Tympani secundaria, ja selbst Einstechen einer Nadel in die Schnecke und den Nerven keine Zuckung des Muskels zur Wahrnehmung. Bei einem anderen Hunde ergab sich, dass Berührung der Wandungen des Gehörgangs meinen Versuch empfiehlt sich eine ausgiebige Unterbindung der benachbarten Ge- fässe. Nachträgl. Anmerk. BEOBACHT. ÜB. D. THÄTIGKEIT DES TROMMELFELLSPANNERS UD.S.w. 317 gleichfalls keine Zuckung des Muskels hervorrief, so dass noch kein An- haltspunkt dafür gefunden wurde, die Frage wegen des Weges der Re- flexaetionen zu erledigen. Während der Muskel dieses Thieres sehr leb- haft und taktmässig auf die Schläge eines Metronoms bis zu 108 Schlägen die Minute reagirte, zeigte er sich sehr wenig erregbar durch den Ton hölzerner Orgelpfeifen. Eine hohe Pfeife von 6000 Schwingungen erregte zwar den Muskel stark und noch von einem anderen Zimmer aus, aber tiefere Pfeifen erregten ihn weit weniger, die Contractionen schienen kleiner zu werden und für Pfeifen unter 200 Schwingungen blieb es zweifelhaft, ob überhaupt eine Bewegung eintrat. Hier scheint also ein Angrifispunkt für weitere Prüfungen zu liegen. Man könnte denken, dass Vocale und Geräusche zu viel Obertöne enthalten um die Wirkung der Tonhöhe zu prüfen, aber auch ein Ueberblasen der Orgelpfeifen wirkte nicht recht auf den Muskel, trotzdem dabei viele Obertöne auf- treten! Die Hunde wurden benutzt, um einige erste Näherungswerthe für die Zeiten des Eintritts der Zuckung zu erhalten. Es wurde dazu das Hipp ’sche Chronoskop verwendet, und zwar mit Armirung beider Elektromagnete. Der Apparat ist noch sehr der Verbesserung bedürftig, jedoch wenn man seine Eisgenthümlichkeiten studirt hat, und wenn man den Anker durch die beiden Federn genau zwischen beide Räder stellt, giebt er für unsere Zwecke eine mehr als ausreichende Genauig- keit. Die Feder des hiesigen Apparates giebt etwa 999 Schwingungen und schwankt nur um wenige Zehntel pro Secunde. In Zeiten von 0-2 bis 0-4 Sec. kommen höchstens Fehler von + 0-005 Sec. vor, während der Apparat seiner Construction nach nur auf + 0001 Sec. richtig zeigen kann. Versuchsweise gemachte Bestimmungen von g gaben 9.8098 bis 9-819 Meter pro Sec., während g für das hiesige Institut berechnet 9.8134 sein sollte. Für die beabsichtigten Versuche war also der Ap- parat zuverlässig genug. Durch eine etwas complieirte Drahtanordnung wurde die Verbindung so hergestellt, dass ein Doppelschlüssel durch Federkraft laut umgelest wurde und dabei den Zeiger in das laufende Uhrwerk einschaltete. Ein zweiter Doppelschlüssel, von dem Beobachter gehandhabt, schaltete dann den Zeiger wieder aus. Der erste Schlag gab also das Signal für den Muskel und der Beobachter schaltete den Zeiger aus, sobald dessen Bewegung eintrat. Falck, welcher nach unserer Er- fahrung besonders wenig durch Nebenumstände bei solchen Versuchen sich stören lässt, übernahm die Beobachtung... Seine persönliche Reactionszeit von Auge zu Hand wurde etwa eine Stunde vor Beginn der zweiten Beobachtungsreihe festgestellt und findet sich hier mit angegeben. Beobachtet wurde dabei der Anfang der 318 “VW. Hensex: Bewegung des Zeigers, welcher jedoch wohl um einige Tausendstel Se- cunden später hin und hergeht wie das Umlegen des Schlüssels erfolgt. Die Nummern in der nachstehenden Tabelle beziehen sich auf die Reihen- folge der Beobachtungen in der Serie. Die fehlerhaften Resultate sind eingeklammert und nicht mit berechnet. | Hund 3. | Hund 4, | | Reactionszeit des Beob- | Reactionszeit des Beob- | HReactionszeit des Beob- achters von Auge zur Hand. | achters und Zeit bis zum achters und Zeit bis zum Eintritt der Zuckung des Eintritt der Zuckung des Tensors. | Tensors. Versuch Zeit Versuch Zeit Versuch Zeit Nr. in Secunden. Nr. in Secunden. Nr. in Secunden. 12 0-213 ) 0.346 9 (0.431) 7 0-204 3 0.325 | 5 0-303 9 0.195 10 0.314 | 4 0.295 10 0.191 11 0-311 | 6 0-293 22 0.188 2 0-302 (a 0-260 6 0-183 1% 0-231 6) 0-252 4 0-182 7 0.224 15 0252 3 0-176 1 0.206 16 0.240 2 0-174 3 0-199 7 0.238 14 0.174 6 0.197 ul 0-238 19 0-171 ) 0-191 7 0-225 241 0.171 4 (0.155) 3 0.224 13 0-167 14 00 092 8 0.158 Summa | 2.846 18 0.211 5 0-156 ‚ Mittel 0:259 Sec. 13 0-210 17 0-154 1 0-206 16 0.148 14 0-203 15 0.147 | | 10 0.199 11 0:135 2 (0-170) 7 0-134 5 > 18 0-133 Summa | 4-070 20 0-121 Mittel 0-24 Sec. Summa 383-675 | Mittel 0-167 Sec. Es wird vielleicht sehr mühevoll sein, ein exactes Verfahren bei diesen Bestimmungen anzuwenden, daher werden diese Zahlen vorläufig BEOBACHT. ÜB. D. THÄTIGKEIT DES TROMMELFELLSPANNERS T.S. w. 319 ausreichen dürfen. Derjenige, welcher sich mit derartigen Versuchen beschäftigt hat, wird aus den obigen Reihen entnehmen, dass die regi- strirte Erscheinung sehr präeise und deutlich sein muss, sonst würde es nicht möglich gewesen sein, solche Werthe zu erlängen. Man wolle in dieser Beziehung die Tabellen der schönen Versuche von Exner (Pflüger’s Archiv 1873) vergleichen. Die Zahlen geben uns die Bestätigung der Beobachtung, dass der Muskel zu Beginn der Tonerregung reagirt; so weit betrachte ich sie als beweisend. | Die Reactionszeit scheint sich zu stellen auf 0-.259—0.167 — 0.092 Sec. und 0-24—0-.167 = 0.073 Sec. Diese Zeit würde immerhin lang erscheinen verglichen mit der Reaction vom Augenlied aus, die Exner zu nur 0-058 Sec. im Mittel bei starker Reizung fand. Nach der Art des Versuches wird man jedoch 1) die Bewegung der Nadel erst sehen, wenn der Muskel schon in voller Bewegung begriffen ist und 2) ist zu bedenken, dass die Curarewirkung und die Kälte der Luft auf den Theilen lastete.e Diese Umstände machen es wahrscheinlich, dass unter normalen Verhältnissen die Reactionszeit kürzer ist. An einer noch nicht halbwüchsigen Katze konnten die am Hunde gemachten Erfahrungen bestätigt werden. Man musste deutlich articulirt sprechen, wenn der Muskel bei jeder Sylbe zucken sollte, sprach man weniger’ deutlich, so fiel die eine und andere Zuckung aus. Jedoch bei Wiederholung desselben Satzes waren es nicht wieder dieselben Worte, für welche die Zuckung ausfiel. Auch bei diesem Thier zeigte sich grosse Empfindlichkeit für Orgel- pfeifen über 2000 Schwingungen, Unempfindlichkeit für solche unter 100 Schwingungen. Auf solche unter 200 Schwingungen reagirte der Muskel nur, wenn man die Pfeife dicht an’s Ohr hielt, dagegen bewegte er sich auf in tiefem Bass gesprochene Worte recht gut. Der Leser wird erkennen, wie diese Darlegung nur den Charakter einer vorläufigen Mittheilung trägt; dass sie nicht als solche bezeichnet wird, beruht darauf, dass ich vielleicht nicht und jedenfalls nicht rasch auf den Gegenstand zurückkommen kann. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 18738—79. XIII. Sitzung am 3. Mai 1878. Hr. G. Saromon hält den angekündigten Vortrag: „Ueber Bildung von Xanthinkörpern aus Eiweiss.“ Wenn man reingewaschenes Blutfibrin der Verdauung mit hypoxanthin- freiem Pankreasferment unterwirft, so findet man nach 24stündiger Digestion in der Lösung nicht unbedeutende Mengen von Hypoxanthin und Xanthin, welche durch die Einwirkung des Fermentes aus dem Eiweiss gebildet sind. Setzt man die Digestion bis zum Eintritt starker, mit Indolgeruch verbundener. Fäulniss- fort, so verschwinden mit dem Leucin auch allmählich die Xanthinkörper ; sie sind also, wie das Leucin, Producte der eigentlichen primären Fermentwirkung, nicht der consecutiven Fäulniss.. Die Analogie bekundet sich ferner auch in dem Umstande, dass Xanthinkörper ebenso wie Leucin (und Tyrosin) bei ge- wissen geringen Graden einfacher Fäulniss entstehen. Man erhält sie durch 48stündige Behandlung von Fibrin mit viel Wasser in der Brutwärme; die Production dauert bei Erneuerung der Aufgüsse etwa bis zum sechsten Tage, jedenfalls nicht über den zehnten Tag hinaus. Die Ausbeute ist geringer wie bei der Pankreasverdauung. Ein anderer sehr zuverlässiger Weg zur Darstellung von Xanthinkörpern aus Eiweiss besteht in der Behandlung mit Magensalzsäure (Concentration 8:1000) bei 40° C. Nach 1—4 Tagen constatirt man in den durch Neu- tralisiren enteiweissten Lösungen die Gegenwart verhältnissmässig erheblicher Hypoxanthinmengen, etwa O°18'®% auf 4—5 Pfund nasses Fibrin. Auch bei der Pepsinverdauung beobachtet man bereits nach 24 Stunden eine reichliche Hypoxanthinbildung, die indessen wohl ausschliesslich auf Rech- nung der verdünnten Salzsäure zu setzen ist. Dass das Ferment dabei wenig in Betracht kommt, geht aus dem Umstande hervor, dass man die Digestion ohne Gefährdung des Erfolges eine Reihe von Tagen fortsetzen kann. Vorläufige Versuche über die Wirkung starker Mineralsäuren haben noch zu keinem bestimmten Ergebniss geführt; Alkalien verschiedener Concentration haben sich in Bezug auf die Hypoxanthinbildung stets als unwirksam er- wiesen. VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 321 Der Nachweis der Xanthinkörper geschah durch Fällung mit ammoniaka- lischer Silberlösung, die Trennung von Xanthin und Hypoxanthin durch das Neubauer’sche Verfahren (Lösung des Silberniederschlages in heisser Sal- petersäure; beim Erkalten fällt salpetersaures Silber-Hypoxanthin aus, Xanthin bleibt in Lösung). Den Theil der oben erwähnten Beobachtungen, welcher die Pankreasver- dauung und die Fäulniss betrifft, habe ich bereits in den Berichten der chem. Gesellschaft zu Berlin, Jahrg. XI, Hit. 6, publieirt; man findet daselbst die nöthigen ‘Angaben über Controlversuche, Literatur u. s. w. Die genaueren zeit- lichen Bedingungen der Hypoxanthinbildung durch Fäulniss, sowie die hypo- xanthinbildende Wirkung der Salzsäure habe ich erst in den letzten Monaten semeinschaftlich mit Hrn. Cand. med. Krause studirt; derselbe wird in seiner Dissertation ausführlicher über den Gegenstand berichten. Hr. Huv6o KRroNnkEcKer berichtet die Resultate einer Untersuchung, welche Hr. Me’Guire unter seiner Leitung bereits vor zwei Jahren in der physiolo- sischen Anstalt zu Leipzig „Ueber die Speisung des Froschherzens“ ausgeführt hat. Der Vortragende hatte früher ! gezeigt, dass das Frosch- (und Schildkröten-) Herz, mit unschädlicher Kochsalzlösung wiederholt perfundirt, seine Leistungs- fähigkeit bald einbüsst, dieselbe aber durch verdünntes Kaninchenblut in früherem Maasse bald wiedererreicht. Er beabsichtigte, näher zu ermitteln, welche Fül- lungsflüssigkeit das Herz am meisten kräftige Es wurden zuvörderst ver- schiedene Concentrationsgrade von mit Kochsalzlösung verdünntem Kaninchen- blute geprüft. Blut mit Kochsalzlösung, (von 0-6 °/,) im Verhältniss von 1:10 gemischt, war minder wirksam, als durch 6 Theile Kochsalzlösung verdünntes Blut, aber auch solches genügte nicht mehr zur maximalen Erholung, wenn es wiederholt perfundirt wurde. Es vermochte dann concentrirtere Blutlösung (1:2) mehr. Blut mit Kochsalzlösung zu gleichen Theilen gemischt, erwies sich in manchen Fällen auf die Däuer wieder weniger günstig und noch minder ganz unverdünntes Kaninchenblut. Wenn hierdurch die Pulse sehr klein ge- worden waren, so konnten sie durch nachgespülte, verdünnte Blutlösung oder selbst reine Kochsalzlösung vorübergehend erhöht werden. Es ist also hohe Concentration des Ernährungsmaterials ebenfalls ungünstig. Kaninchenserum behält unverdünnt die beste Ernährungsfähigkeit, und zwar besser, wenn es rein, als wenn es mit Blut gemischt ist. Schafserum, welches schon von Luciani als unschädliches Füllungsmaterial des Froschherzens an- sewendet worden war, scheint dem Kaninchenserum nicht viel nachzugeben, wirkt aber mit Kaninchenblut vermischt sehr schädlich. Die Pulse werden sehr klein, und: häufig verfällt das Herz, wie ein mit starken Alkaloiden vergiftetes, in tonische Contraction. In ähnlicher Weise wirkt (lackfarbenes) Blut, dessen rothe Zellen durch Gefrieren zerstört worden sind. Der Sauerstofigehalt der Speiseflüssigkeiten scheint für das Herz gleich- siltig zu sein; entgastes Serum, wie auch entgastes Blut unterhielten kräftige Pulsation; auch Kohlenoxyd beeinträchtigte merkwürdiger Weise die erholende Eigenschaft des Blutes nicht. Dagegen erwies sich asphyktisches Blut un- 1 Das charakteristische Merkmal der Herzmuskelbewegung. Beiträge zur Ana- tomie und Physiologie, C. Ludwig zum 25jähr. Jubiläum gewidmet. S. 195. Archiv f. A. u, Ph. 1878. Physiol. Abthle, ° 21 322 VERHANDLUNGEN geeignet, das Herz schlasfähig zu erhalten. Schon kleine Mengen Kohlensäure schwächen den Herzschlag merklich. Hierin liegt vermuthlich der tiefere Grund für die Erscheinung der „Treppe“.! Die Momente, welche die Kohlensäure- bildung begünstigen, fördern auch das Entstehen der Treppe. Langes Verweilen von Blut im Herzen, zumal wenn dasselbe ermüdet ist, und höhere Temperatur lassen sie besonders deutlich erscheinen. Uebrigens ist bei diesen Versuchen (im Februar 1876) bemerkt worden, dass zu manchen Zeiten in Uebereinstim- mung mit den älteren Angaben von Cyon? die Pulse des abgekühlten Herzens höher sind, als diejenigen des erwärmten, während Luciani? und der Vor- tragende * das umgekehrte Verhalten beobachtet hatten. Ausser den genannten Ernährungsbedingungen beeinflussen die Widerstände im Manometer die Contraction des Herzens. Dasselbe entleert sich vollkommener, wenn die Quecksilbersäule im Manometer weniger schnell und hoch steigt. So konnte es geschehen, dass die Quecksilbersäule in einem Manometer von 4" Lumen ebenso hoch stieg, als die im vergleichsweise eingeschalteten Manometer von 2” Lumen. Es wird also die Herzkraft durch schnell wachsenden Wider- stand in ihrer Entwicklung gehindert. Es wird aber das Herz durch vorüber- gehend oder continuirlich mässig erhöhten Druck nicht dauernd geschädigt. Man kann das Manometer für einige Zeit selbst vollkommen absperren, derart, dass das pulsirende Herz seinen Inhalt mit voller Kraft gegen seine Wandungen presst, ohne dass man an den wieder freigelassenen Pulsen nachtheilise Folgen bemerkt. Ein gewisser Grad der Ausdehnung ist für den Stoffwechsel im Herzen ‘sogar günstig und erforderlich. Auch das beste Ernährungsmaterial hilft dem "Herzen wenig, wenn nicht die Räume zwischen den Trabekeln durch Dehnung seöffnet worden sind. Am Förderlichsten ist, wie schon früher ° erwähnt, ab- wechselndes Oeffnen und Schliessen, wie es durch die Arbeit des Herzens be- wirkt wird. Hr. HeuLmHoutz spricht: „Ueber die Bedeutung der Convergenz-. stellung der Augen für die Beurtheilung des Abstandes binocular sesehener Objecte.“ Im Allgemeinen liegt die Möglichkeit vor, dass wir, wenn unsere beiden Augen- axen auf einen bestimmten Punkt im Raume hingerichtet sind, die Entfernung des binocular fixirten Objectes aus der Convergenzstellung der Augen zu be- urtheilen vermögen. Auch ist die. Convergenzstellung der Augen immer in Betracht gezogen worden als emes,der Mittel zur Beurtheilung der Entfernung eines einfach gesehenen Objectes. Nun zeigen aber die Versuche mit dem Stereoskop, wo man durch die Linsengläser nach den in dem Rahmen befind- lichen beiden stereoskopischen Zeichnungen hinschaut, dass man die scheinbare Lage des Sehobjectes (d. h. der durch die Linsen von den Zeichnungen ent- 1 Bowditch, Ueber die Eigenthümlichkeiten der Reizbarkeit, welche die Muskelfasern des Herzens zeigen. Arbeiten aus d. physiol. Anstalt zu Leipzig. 1872. S. 156. 2 Arbeiten aus d. physiol. Anstalt zu Leipzig. 1867. 8. 77. 3 Arbeiten aus d. physiol. Anstalt zu Leipzig. 1873. 8. 166, 4 A.2.0. 8.180, 5 Das charakteristische Merkmal der Herzmuskelbewegung. A.a.0. S. 19. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 323 worfenen Bilder) nur schwierig und unsicher zu beurtheilen vermag. Wenn man Landschaftsbilder im Stereoskop betrachtet, so stellt man sich dieselben ziemlich nahe vor; es gehört schon eine gewisse Abstraction dazu, um die Entfernung der Bilder annähernd beurtheilen zu lernen. Es giebt aber ein ein- faches Mittel, diese scheinbare Entfernung des Bildes objeetiv zu constatiren: man muss den Stereoskop-Kasten fortlassen, nur einfache Linsen zum Durch- sehen benutzen, oberhalb deren wirkliche Gegenstände erscheinen: dann erhält man wirklich eine deutliche sinnliche Vorstellung von der Differenz der Ent- fernung zwischen jenen objectiven Gegenständen und dem stereoskopischen Bilde. Es wird dann klar, dass man sich vorher erheblich getäuscht hat: da man den Stereoskop-Kasten in der Hand hatte und in ihm das Bild zu liegen schien, so bestand die natürliche Neigung, das stereoskopische Bild sich viel zu nahe vorzustellen. Bei der Beurtheilung unserer sinnlichen Wahrnehmungen pflegen die ganz sicher und deutlich wahrgenommenen Momente in der sinnlichen Empfindung zu dominiren; daneben giebt es noch eine Reihe von anderen Momenten, welche weniger sicher wahrgenommen werden und die unter Umständen noch zur Deutung der Erscheinungen benutzt werden können, die aber in dem Maasse weniger wirken, als sie unsicherer wahrgenommen werden. Ich habe schon in meiner Physiologischen Optik‘ ausgeführt, dass die Con- vergenzstellung als eines der Mittel zur Beurtheilung der Entfernung binocular sesehener Objecte zu betrachten sei, aber als eines der unsicheren. In der That giebt es einige Momente, welche die Beurtheilung der Con- vergenz relativ unsicher erscheinen lassen, wenigstens dann, wenn sie nur auf dem Gefühl der Innervation beruht, die wir anwenden, um den jedesmaligen Convergenzgrad hervorzubringen. Es sprechen viele Gründe dafür, dass bei der Schätzung unserer eigenen Augenstellungen nur die Intensität der Stärke der dazu erforderlichen Innervationen in Betracht kommt. Nach rechts und nach links, nach oben und nach unten führen wir entgegengesetzte Bewegungen aus: es ist wahrscheinlich, dass die Ermüdung der verschiedenen Augenmuskeln hierbei ungefähr gleich bleibt. Aber die Convergenz-Muskeln werden einseitig gebraucht, ohne dass die Divergenz-Muskeln in demselben Maasse in Anspruch genommen werden. Es kann eine Ermüdung der ersteren eintreten, so dass -dann derselbe Innervationsgrad nicht mehr dieselbe Convergenz hervorbringt wie vorher. Dies glaubte ich als den Grund. betrachten zu dürfen für die verhältnissmässige Unsicherheit in der Beurtheilung der Entfernung des ge- sehenen Gegenstandes aus dem Convergenzgrade. Nun ist mir ein Phänomen aufgefallen, welches denn doch zeigt, dass in anderer Beziehung die Convergenz ziemlich sicher ihre Rolle spielt zur Beurtheilung der Entfernung. Es betrifft dies die soge- nannten Tapetenbilder. Wenn wir ein Tapeten-Muster vor Augen haben, und unsere Augenaxen nicht auf dasselbe Stück, sondern. auf benachbarte identische Stücke des Musters gerichtet sind, so entsteht bekanntlich eine stereoskopische Täuschung: nämlich die stereoskopische Erscheinung eines Ta- peten-Musters, das in anderer Entfernung liest. Ich habe gewöhnlich die Augen auf einen Punkt convergiren lassen, der weiter von mir entfernt war als die Ebene der Tapete. Es muss dazu eine Tapete benutzt werden, deren identische 18. 649—659. Pils 324 VERHANDLUNGEN Partien nicht weiter von einander abstehen, als die Drehpunkte der beiden Augen von einander entfernt sind; dann kann man convergirende (oder allen- falls schwach divergirende) Augenaxen anwenden. Dasselbe Phänomen kann man aber auch hervorbringen durch Convergenz der beiden Augenaxen nach einer Ebene, die uns näher steht als die des 'Tapeten-Musters. Die Vorstellung von der Entfernung des so gesehenen Tapeten-Musters hat etwas Unbestimmtes; sie ist nicht sehr deutlich und wird geändert, so wie noch andere Gegenstände auf der Tapete vorhanden — Bilder, Nägel u.s. w. — welche die regelmässige - Periodicität des Musters stören. Wenn man sich nun ein solches Tapetenbild entwirft und dann den Kopf etwas von rechts nach links, oder von oben nach unten oder von vorn nach hinten verschiebt, so tritt eine scheinbare Bewegung des Tapetenbildes ein. Hingegen macht das reelle Object, welches man mit richtig gestellten Augen- axen binocular anschaut, keine derartige Bewegung; bei diesem sind wir darauf eingerichtet, wir erwarten die Winkelverschiebung, welche dasselbe erleidet, wenn wir unseren Kopf willkürlich verschieben. So lange hierbei die schein- baren Bewegungen des reellen Objectes die uns gewohnten Grenzen und Ver- bindungen einhalten, beurtheilen wir das Object als ruhend. Bei den Tapeten- bildern wird die Combination gelöst. Also selbst eine ruhende Convergenz, welche eingerichtet ist auf eine bestimmte Entfernung, wird hierbei deutlich und fein unterschieden von dem anderen Grade der Convergenz, der der wirk- lichen Lage des Objectes entsprechen würde. Ich habe hierbei gefunden, dass in diesem Falle in der 'That die vorhandene Convergenz mit recht grosser Ge- nauigkeit den Erfolg bestimmt, und dass mit recht grosser Sicherheit die nicht objective Natur des Tapetenbildes sich verräth, indem jede Bewegung des Kopfes eine scheinbare Winkelbewegung des Bildes hervorruft. Die leicht zu machende Beobachtung scheint mir von einiger Wichtigkeit zu sein, um die Schätzung derjenigen Momente zu geben, von denen die Beurtheilung der Entfernung ge- sehener Objecte abhängt. Ich entsinne mich nicht, dass der Versuch schon irgendwo angeführt ist. Nachträglicher Zusatz. Bei Convergenz auf einen entfernteren Punkt bewegen sich die Tapetenbilder stets nach entgegengesetzter Richtung als der Kopf: bei Convergenz auf einen näheren Punkt in derselben Richtung. Ich sehe auch im letzteren Fall die Bewegung vollkommen deutlich. i XIV. Sitzung am 17. Mai 1878. Hr. Hırschgere hält den angekündigten Vortrag: „Ueber graphische Darstellung der Netzhautfunction.“ _ Das Gesichtsfeld eines gesunden, stetig fixirenden Auges lässt sich be- kanntermaassen einem Gemälde vergleichen, in welchem nur ein sehr kleiner centraler Bezirk von kaum 1 Winkelgrad Oeffnung sorgsam ausgeführt, das übrige aber, je weiter nach der Peripherie zu, um so gröber und gröber skizzirt ist; in welchem ferner nur ein gewisser pericentrischer Bezirk von etwa 15—20 Winkelgrad Oeffnung gesättigte Farbenpracht zeigt, während weiter ab vom DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 325 Fixirpunkt allmählich eine Farbe nach der anderen in gesetzmässiger Reihen- folge ausfällt, bis endlich die äusserste Peripherie ganz farblos, wie grau in grau gemalt erscheint. Die Ausdehnung des monocularen Gesichtsfeldes entspricht der durch den Knotenpunkt des Auges nach aussen projieirten Ausdehnung der lichtempfind- lichen Netzhautfläche; sie reicht in der Norm bekanntermaassen nach oben vom Fixirpunkt und nach innen etwa bis 50° nach unten bis 60°, nach aussen bis 90° Um das an der graduirten Tafel oder am Perimeter! ermittelte Re- sultat der Gesichtsfeldmessung in richtiger Weise graphisch darzustellen, kann man Gesichtsfeldschemata anwenden, welche entweder mittels der centralen Projection gewonnen sind und ein Abbild der graduirten Gesichtsfeldtafel (bis zu 50° vom Fixirpunkt) darstellen oder mittels der orthographischen Projec- tion erhalten werden und dann bis zu 90° vom Fixirpunkt reichen.” (Vgl. Knapp’s Arch. f. A. u. O. 1874.) Der Fixirpunkt ist der natürliche Mittelpunkt einer solchen Gesichtsfeld- zeichnung, deren Umkreis dem der lichtempfindlichen Netzhautfläche geometrisch ähnlich ist. Der Raumsinn ist im Centrum des Gesichtsfeldes besonders ent- wickelt; er wird gemessen durch das Minimum des Distinetions-Winkels, d. h. desjenigen Winkels, unter welchem zwei leuchtende Punkte oder Linien, deren Bild in der Fovea centralis der Netzhaut entworfen ist, als gesondert erkannt werden. Dieser Winkel beträgt bekanntermaassen etwa 1 Bogenminute. In prawt, d. h. bei der ärztlichen Untersuchung, benutzt man jetzt Schriftproben, besonders die von Snellen. Die centrale Sehschärfe wird als annähernd normal betrachtet und gleich 1 gesetzt, wenn Buchstaben einer bestimmten Grösse in einer solchen Normal-Entfernung erkannt werden, dass die lineare Ausdehnung des Netzhautbildes eines jeden Buchstaben 5 Bogenminuten um- spannt. Wir wollen die Flächenausdehnung des Netzhautbildes eines solchen quadratischen Buchstaben gleich a? setzen. Wird der Buchstabe nur in der halben Normalentfernung erkannt, so setzen Snellen und Donders die cen- trale Sehschärfe Sc gleich 4 Dies ist von den Ophthalmologen allgemein an- genommen worden. Aber in dem erwähnten Falle wird die Grösse des noch differenzirten Netzhautbildes, welche der Sehschärfe umgekehrt proportional ist, gleich 4@?; also ist der wirkliche Formensinn der Netzhaut o, — eine Function der Anzahl der über die Flächeneinheit der Netzhaut vertheilten lichtaufnehmenden Endorgane —, vielmehr — 4 zu setzen. ® Man kann an dem eingeführten Gebrauch festhalten, so lange die centrale Sehschärfe verschiedener Augen zu vergleichen ist, zumal jederzeit o aus 8 sich berechnen lässt. (co = 8°). Etwas anders liegt die Sache, wenn man den Formensinn der excentrischen Partien der Netzhaut mit dem des Centrums richtig vergleichen will. Solche Untersuchungen sind mit Linien- und Punkt- Systemen seit Purkinje und Volkmann vielfach angestellt worden; sie würden aber, selbst wenn sie ganz vollständig vorlägen, für die Praxis nur 1 Der erste Perimeter ist von Prof. v. Hasner 1852 angegeben, Horoptero- meter genannt und zur Gesichts- wie Blickfeldmessung benutzt worden; der zweite ist der von Aubert, der dritte von Förster. | 2 Die letzteren sind in handlichem Format bei P. Dörffel, Berlin, 46 Unter den Linden, das Hundert für 1 Mark zu haben. 3 8. Vierordt, Archiv f. Ophth. Bd. IX. Hft.1. S.161—163, gegen Donders, ebendas. Hft. 2. S. 221. 326 VERHANDLUNGEN einen relativ geringen Werth besitzen, da der Arzt die Angabe des Patienten, dass er zwei Linien doppelt sieht, nicht controliren kann. So gut wie man die centrale Sehschärfe der Patienten mittels graduirter Schriftproben am bequem- sten und sichersten bestimmt, eben so gut wird man für die Abschätzung ihrer. excentrischen Sehschärfe sich derselben Schriftproben bedienen; und wenn man ermittelt, .dass in einer bestimmten Excentricität Sn.X auf 1 Fuss erkannt wird, den Formensinn der betreffenden excentrischen Netzhautpartie nicht gleich 4}, sondern (nahezu) gleich „4, Setzen. Dass bei dieser ungewohnten Aufgabe des excentrischen Erkennens von Schriftproben die Intelligenz und namentlich die Uebung erheblich mitwirkt, kann man dem neuesten Autor über diesen Gegenstand, Hrn. Carpentier, wohl zugeben. Aber auch bei der excentrischen Differenzirung von Linien- und Punktsystemen sind jene Factoren nicht. ohne Bedeutung. Wenn man den individuellen Verschiedenheiten gebührend Rechnung trägt und weniger die ab- soluten Werthe der excentrischen Sehschärfen als die relativen, nach den ver- schiedenen Richtungen eines individuellen Gesichtsfeldes, berücksichtigt; so wird man doch zu recht werthvollen Aufschlüssen über die veränderte Netzhaut- function gelangen. Prof. Dor, welcher zuerst systematisch! die excentrische Sehschärfe mit- telst Snellen’s Schriftproben gemessen und die an gesunden Augen gefundenen Resultate für pathologische Fälle zu verwerthen gesucht hat (Arch. f. Ophth. 1873. XIX, 3, 321.) fand an seinen und seines Assistenten die folgenden Mittelzahlen: Es wird erkannt auf 1 Fuss Abstand Sn.I im Centrum; Sn. IV in 5° vom Centrum; Sn.L in 2 25° vom Centrum; STK Van: 10) on Sn. EXX- m 30.08 Be, INERRX in 190° „282 8n.@ in an ie: Sm XI n2 9005, seslon.ce, Ban A0% 3 Aus der gründlichen Arbeit von oo und ine (Pilüger’ S Archiv, 1873 und Annales d’Oculistigue, 1874), welche besonders den Einfluss der Vebung auf die excentrische Sehschärfe klarstellt, will ich nur die folgen- den Zahlen hervorheben: Dr, Gaine erkannte nach Atägiger Uebung mit seinem rechten Auge auf 1 Fuss Abstand DDIERE 215 Sn APREX Sn. L Sn. C Aussen 1 2330 Sollen 350 Innen 9 | 20 25 29 Unten 9 18 22 28 Oben 60 120 2309 250 Ich selber habe zunächst für das linke Auge meines Assistenten Dr. Pufahl die Isopteren, d. h. die Curven gleicher excentrischer' Sehschärfe an Förster’s Perimeter festgestellt: während das untersuchte Auge den Null- punkt der Theilung sorgfältig fixirte, wurden von der Peripherie des Grad- 1 Gelegentlich ist dies schon in der v. Gräfe’schen Klinik men, N Leber, v. Gräfe’ s Archiv, 1869. XV. 3. 76. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 327 bogens her die Schriftproben ! centralwärts bewest und immer die Gradzahl notirt, wo jede Schriftprobe zuerst excentrisch erkannt wurde, Um Ermüdung zü vermeiden, wurde die Messung nur bruchstückweise vorgenommen. Die Resultate der 2. Untersuchungsreihe sind in der folgenden Tabelle enthalten. Nummer | Exec. Sehschärfe = E a E 5 = | ua Ba 88 a nach nach 2 E 5 E 2 5 2 = | 5 5 | = E Snellen Inonders'Vierordt| = Hy > < | <> | ker a 11, 2], ER 10 0 27,0| 10 1,0, | 10 17,0 | 3,0 a 15 un 1 1 ne al 2 al 3 a 1 3 1a Do Duo a 3 2 3 4 1, Une 5 4 Du 4 3 4 8 1, Yen 8 6 6 8 7 7 BT 10 U alelo 9 7.1110 7 9 7 8 20 020 a ı ns, K2ore omas lese 12 50 a ee 300 Koss 2030: 150972 008 4 Aus 109 cc 640 a0, 0500 a0 as 35 Kool 250 ee 900 | 600 | 500 | 700 | 690 | 850 |.600 | 520 Recht schwierig ist es, das Maximum der Sehschärfe, welches dem in der Mitte der Netzhaut befindlichen Grübchen zukommt, räumlich im Gesichtsfeld abzugrenzen. Hierzu war unsere Methode nicht genau genug. Aber auch die- -jenigen‘ Forscher, welche, um jede Verschiebung der Fixationslinie auszu- schliessen, mittels momentaner Beleuchtung durch einen überspringenden elek- trischen Funken arbeiteten, haben diese Frage nicht erledist. Ricco giebt nach anderen Versuchen, die er im Centralbl. f. Augenheilk. 1877 8. 125 mit- getheilt, der Fovea centralis, d. h. dem geometrischen Ort des Sehschärfen- maximum, eine Ausdehnung von 40—50 Bogenminuten. Hiermit stimmt die sewöhnliche Erfahrung gut überein sowie auch die mikrometrische Messung der Fovea.” Jedenfalls ist schon in der Excentrieität von 1° die Sehschärfe er- heblich gesunken: nach meinen Beobachtungen ist sie daselbst kleiner als ?/,, wenn wir nach Donders die linearen, kleiner als !/,, wenn wir nach Vier- ordt die Flächen-Ausdehnungen der noch erkennbaren Netzhautbilder als Maass der Sehschärfe zu Grunde legen. Die in meiner Tabelle verzeichneten Zahlen sind eben nur obere Grenzen der betreffenden excentrischen Sehschärfen. Denn wenn im Centrum der Retina Sn.I auf 1 Fuss Entfernung mit der grössten Leichtigkeit und Ausdauer ge- lesen wird (Sc = 1); dagegen um 1!/,° excentrisch nach aussen vom Centrum 1 Snellen’s deutsche. 2 Kölliker fand ihren Durchmesser 0-18 bis 0-225mm, Ihr Abstand vom Knotenpunkt des Auges ist etwa 15mm, also 75 Mal so gross wie ihr Durchmesser, folglich erscheint sie im Gesichtsfeld als ein Kreis, dessen Durchmesser 40—50 Mi- nuten beträgt. (Helmholtz.) 328 VERHANDLUNGEN Sn. II auf 1 Fuss soeben, d. h. mit Mühe und jedenfalls nicht auf die Dauer entziffert wird: so ist für den entsprechenden excentrischen Netzhautpunkt natürlich Se < 4 nach Donders, <4# nach Vierordt/ Zeichnen wir diese Grenzwerthe der excentrischen Sehschärfen für die beiden horizontalen Meridiane des Gesichtsfeldes, den nach innen und den nach aussen gehenden, so bekommen wir Curven, die von 1 bis 5° beiderseits schnell abfallen und weiterhin etwas langsamer aber stetig sinken. Snellen’s Schrift- proben bieten zufällig noch den besonderen Vortheil, dass die Resultate sehr leicht zu behalten sind: Sn. IV wird bis 4 oder 5°, Sn.X bis 10°, Sn. XX bis 20° excentrisch nach aussen von einem sehkräftigen geübten Auge entziffert. Jenseits dieses Rayons, dessen Umfang die ungefähre Grenze eines leidlichen Erkennungs- und guten Farbenperceptions-Vermögens darstellt, findet wieder eine schnelle Abnahme statt: in 30° Excentricität wird nicht Sn. XXX, sondern nur L bis LXX, in 40° nicht Sn.XL, sondern nur C bis CC erkannt. Hinsichtlich der excentrischen Sehschärfe in den verschiedenen Meridianen des Gesichtsfeldes kann’ ich lediglich bestätigen, dass der laterale am meisten: begünstigt ist, dann folgt der untere, hierauf der innere und zuletzt: der obere. Die Gradzahl des oberen Meridians, bei welcher eine bestimmte Schriftprobe noch excentrisch erkannt wird, verhält sich zu der entsprechenden Zahl des äusseren Meridians etwa wie 2:3. Mangelnde Uebung ist offenbar die Ursache dieses Verhaltens. Auch für die diagonalen Meridiane fallen die Zahlen meist etwas kleiner aus als für die orthogonalen. Es hängt dies mit von der Prüfungsmethode ab. Schräg gehaltene Buchstaben sind schwerer zu erkennen; und wenn wir die Buchstaben in den schrägen Meridianen horizontal zu halten versuchen, so liegen doch ihre peripheren Grenzen relativ weiter vom Centrum des Gesichts- feldes ab. Verbinden wir die für die einzelnen Schriftproben ermittelten Ex- centrieitäten aller acht Hauptmeridiane durch gerade Linien, so erscheinen deshalb die Isopteren als polyedrische Figuren mit theilweise einspringenden. Winkeln an den Enden der Diagonalen.! Abstrahiren wir von den mit einer natürlichen Unsicherheit behafteten diagonalen Werthen und verbinden lediglich die Excentrieitäten gleicher Seh- kraft nach oben, unten, innen und aussen durch Curven; so gestalten sich unsere Isopteren zu mehr oder minder ovalären Linien, deren Radius vector nach aussen und unten nahezu gleich, kleiner nach innen, am kleinsten nach oben ausfällt. Der Einfluss der Uebung auf die Expansion der einzelnen Isopteren, d. h. auf Verbesserung der excentrischen Sehschärfe, ist bekannt und beträchtlich. Sehr anschaulich werden diese Verhältnisse, wenn wir mit dem Gesichtsfeld des geübten Auges von Dr. Pufahl das eines ungeübten Arztes und das eines ungeübten Arbeiters vergleichen. Für die Praxis ist es zweckmässig und nothwendig, sich auf wenige, etwa drei Schriftproben (z. B. Sn. IV, XX und C) zu beschränken. Es wird auf 1’ Entfernung excentrisch erkannt je nach dem Grade der Uebung: 1 Derartige Einkerbungen der Isopteren — wenigstens nach einzelnen dia- gonalen Richtungen — haben auch Aubert (Physiol. Optik. 8.587) und Förster bei ihren Untersuchungen der excentrischen Sehschärfe mittels getrennter Punkte gefunden. Die Prävalenz des lateralen Meridians tritt in drei von den vier geprüften Augen hervor. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, 329 Aussen Innen Oben Unten Sn. IV % bis 50 2 bis 40 | 11), bis 21/,0| 11/, bis 40 SIEOROX! 8 bis 20 TabySsmnlht 6 bis 13 S bis 20 Sn. €C 25 bis 4009 30 bis 409 20 bis 300 20 bis 750 Hiernach ist selbstverständlich, dass bei der ersten Prüfung eines un- geübten Auges relative Unterschiede in den einzelnen Hauptmeridianen von grösserer Wichtigkeit sind, als die absoluten Grössen der Isopteren-Radien. Ungemein zahlreich sind die Untersuchungen über die Farbenperception und namentlich über ihre räumliche Vertheilung im Gesichtsfeld. (Troxler 1802, Purkinje 1825, Hück 1840, Aubert 1857, Schelske 1863, Woinow 1870, Landolt-Donders 1871 und 1874, Rählmann 1872, Brisewitz 1872, Schirmer 1873, Reich 1874, Schön 1874, Chodin 1877, Carpentier 1877 u. A. Vergl. Aubert, Physiol. Optik. S. 539.) Wohl die genauesten Untersuchungen über die Grenzen der peripheren Farbenperception hat Aubert angestellt. Da aber immerhin individuelle Differenzen vorzukommen scheinen, sowohl hinsichtlich der Ausdehnung der Grenzlinien für die einzelnen Farben, als auch hinsichtlich der Reihenfolge ihres Verschwindens nach der Peripherie zu, und da namentlich Vieles von der Untersuchungsmethode abhängt, indem zwei ver- schiedene farbige Liehtquanta nicht in Beziehung auf ihre Intensität in abso- lutem Maasse verglichen werden können, so musste ich für die Untersuchung meiner Kranken eine eigene physiologische Basis zu gewinnen suchen. Die folgende Tabelle enthält die bei dem geübten (linken) Auge von Dr. Pufahl gewonnenen Resultate. Bei gutem Tageslicht wurden an Förster’s Perimeter, also auf 1° Abstand, dem den Nullpunkt der Theilung fixirenden Auge die aus Heidelberger Blumenpapier geschnittenen, auf schwarzen Grund geklebten far- bigen Papierquadrate von der Peripherie her vorgeschoben und die Grad- zahl notirt, wo der Beobachter die specifische Farbe richtig angab. Farbige Quadrate von 5, 10 und 20% Seitenlänge kamen zur Verwendung und endlich maximale Rechtecke von 70" Breite. Der Einfluss der Ermüdung wurde durch bruchstückweise Prüfung ausgeschlossen. Violett. 5mm 10mm 20 mm Maximum Aussen 220 250 350 650 Innen 15 20 22 50 Unten 22 30 | 30 | 55 Oben 90 140 209 350 330 VERHANDLUNGEN Grün. 5 mm 10mm 20mm | Maximum Aussen 320 409 509 750 Innen 20 25 30 | 45 Unten 15 18 20.1 080 Oben 10 15 20 35 Roth. 5mm 10mm 20 mm Maximum Aussen 450: 500 680 85—900 Innen 44 50 52 55 Unten 28 40 55 65 Oben 18 24 28 45 -Orange. 5 mm 10mm 20 mm Maximum Aussen 300 5009 609 85— 9009 Innen 36 45 50 55 Unten 25 30 HD | 65 Oben 20 20 30 45 Gelb. 5 mm 10mm 20 mm Maximum Aussen 350 500 650 85—9009 Innen 40 42 48 55 Oben 15 21 25 45 Unten 25 35 60 65 DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 33l Blau. 5 mm 10mm 20 mm Maximum Aussen 600 700 800 85—900 Innen 42 50 ° 52 60 Oben 44 45 47 45—50 Unten 45 BORD 70 Für die Untersuchung pathologischer Fälle habe ich mich immer auf die drei Grundfarben Grün, Roth und Blau beschränkt, und —- in VUeberein- stimmung mit mehreren Autoren — fast ausnahmslos bei einer grossen Reihe von Fällen diese Reihe des Verschwindens der Farben nach der Peripherie zu gefunden. Für Roth, Orange, Gelb waren die Unterschiede der Farbengrenzen auch dem geübten Auge nicht hinreichend charakteristisch. Das Violett, dessen Stellung bei den verschiedenen Beobachtern am meisten differirt, scheint mir darum weniger geeignet, weil es in der Peripherie des Gesichtsfeldes als ein durchaus reines Blau empfunden wird und erst näher dem Centrum in das Veilchenfarbene umschlägt; diesen Umschlag genau anzugeben, erfordert schon eine sehr gute Beobachtungsgabe. Beiläufig will ich nur erwähnen, dass mit Spectralfarben die Verhältnisse qualitativ sich ähnlich gestalten, wie mit Pigmentfarben. Donders und Landolt haben nachgewiesen, dass die Farbenempfindung der peripherischen Zonen der Netzhaut eine dem Centrum gleiche bleibt, wenn die Intensität der Beleuchtung gesteigert wird; hatten die Spectralfarben nicht das Maximum der Intensität, so wurden sie zunächst nur als Licht und erst dem Centrum näher als Farbe erkannt, und zwar in der Reihenfolge Blau, Roth, Grün, Violett. Von physiologischem Interesse ist es, die Abnahme des Formensinnes vom Centrum nach der Peripherie mit der des Farbensinnes zu vergleichen. Mir scheint, dass Landolt, welcher den peripheren Netzhautzonen einen ganz er- heblich besseren Formen- als Farbensinn zuschreibt, in der numerischen Ver- werthung seiner Versuche nicht völlig das Richtige getroffen hat und dass die Abnahme beider Funetionen wenigstens einigermaassen parallel läuft. Die Frage, ob man die Function der excentrischen Netzhautpartien kranker Augen nur mittels der farbigen Quadrate oder nur mittels der Snellen’schen Büchstaben prüfen soll; scheint mir gegenstandslos, da beides nothwendig ist. Häufig wird man beim Bestehen partieller Abstumpfungen der Netzhautfunetion in einem Theil des Gesichtsfeldes die Umgrenzung nach beiden Methoden in übereinstimmender Weise machen können. Mitunter aber fehlt die Ueberein- stimmung. Ein aprioristischer Schluss vom Farben- auf den Formensinn ist nicht statthaft: mindestens einige Procente aller mit gutem Raumsinn begabten Augen besitzen von Geburt an einen nur mangelhaften Farbensinn ; bei scoto- matösen Amblyopien kann der Formensinn schon erheblich gebessert sein, wenn der Farbensinn noch sehr defect erscheint. 332 VERHANDLUNGEN XV. Sitzung am 31. Mai 1878. Hr. HırscHBERG demonstrirt einen 25jährigen Maler mit angeborener sogenannter Farbenblindheit. Allerdings giebt es Fälle, wo das rothe Ende des Spectrums fehlt (Roth- blindheit) und sehr seltene Fälle, we das violette Ende des Spectrums fehlt. Aber die gewöhnliche Form des sogenannten Daltonismus, zu der auch der vorliegende Fall gehört, ist die Grünblindheit, die man besser Grün- Amblyopie nennen sollte. In Augen, welche mit diesem Fehler behaftet sind, rufen diejenigen Lichtwellen, welche in den normalen Augen die Grünempfindung wecken, lediglich eine Helligkeits- aber nicht eine Farbenempfindung hervor. In unserem Falle ist bei normalem Ausengrund Sehschärfe, Grenze des Gesichtsfeldes, sowie die Grenze der Farbenfelder für Blau und für Roth durch- aus normal. Das Farbenfeld für Grün fehlt in der Gesichtsfeldzeichnung, da srüne Papierquadrate auf schwarzem Grunde dem rechten wie dem linken Auge grau erscheinen. Das Spectrum des Tageslichtes (in Vierordt’s Apparat) ist dem Patienten folgendermaassen zusammengesetzt: A. 1) Roth, 2) Gelb, 3) Matt resp. unbestimmt, 4) Blau; oder auch B. 1) Gelb, 2) Blau mit unbestimmtem Uebergang. Mittels des Schiebers wird die obere wie die untere Grenze der unbe- stimmten Partie festgestellt: es ist das reine spectrale Grün. Die absoluten Grenzen des Spectrums sind nicht eingeengt, eher eine Spur weiter als die des normalen Auges. Die hellste Stelle des Speetrums liegt im Gelb, nicht in dem neutralen Streifen, wie mit Rücksicht auf die neue Theorie von Delboeuf und Spring hervorgehoben werden soll. Der neutrale Streifen erscheint auch nicht beson- ders dunkel. Von gefärbten Wollproben werden als ähnlich zusammengelegt: Grün mit Grau oder Gelbgrau, Grün mit Dunkelroth, Blasspurpur mit Roth. Mittels des Donders’schen Apparates bei durchfallendem Gaslicht im dunklen Zimmer geprüft, erkennt der Patient wie der Arzt die Kreisfläche von 1%% Durchmesser für Roth auf 3 Meter als Roth, für Blau auf 2 Meter als Blau. Orange unterscheidet er nicht von Roth oder Weiss, Grün erscheint ihm als farbloser Lichtpunkt. Zarte Contrastfarben (nach Ragona Scina und H. Meyer) kann er nicht erkennen. Nach Meyer’s Methode mit dem Heidelberger Farbenbüchlein geprüft, erklärt er den Contrast mit Carmin, nämlich Grünlich, für unbestimmt, den mit Grün, nämlich Rosa, für unbestimmt, den mit Rosa, nämlich Grün, für unbestimmt, den mit Gelb, nämlich Violett, für Blaugrün, den mit Orange, nämlich Grünblau, für unbestimmt, den mit Blau, nämlich Gelb, für Gelb. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 333 Wenn wir von allen Theorien absehen und uns an die speetroskopischen Thatsachen halten, so ist der vorliegende Fall als Grün-Amblyopie zu bezeichnen. Dieselbe entsteht dadurch, dass die Grenze des Feldes der Grünempfindung, welche in der Norm schon bei einer gewissen mittleren Beleuchtungsintensität nur etwa bis 15 oder 20 Grad vom Fixirpunkt reicht, verschwindend eng wird, ohne dass die Grenzen für Roth und Blau geändert werden. Die Vertheilung der Farbengrenzen im normalen Gesichtsfeld erklärt uns, warum Grün-Amblyopie am häufigsten, Roth-Amblyopie schon seltener, Blau-Amblyopie am seltensten gefunden wird. Hr. Buscr hält den angekündigten Vortrag: „Ueber die Osteoblasten- theorie auf normalem und pathologischem Gebiete.“ In Betreff der Knochenbildung stehen zwei Theorien einander gegenüber: 1) die metaplastische Theorie, welche von dem Grundsatze ausgeht, dass sämmt- liche zur Bindesubstanzgruppe gehörigen Gewebe sich ineinander umzuwandeln vermögen, und welche dementsprechend die Knochenbildung aus einer solchen allmählichen Umwandlung von Bindegewebe und Knorpel in Knochengewebe erklärt, und 2) die neoplastische Theorie, welche eine solche allmähliche Um- wandlung verwirft und die Bildung des Knochengewebes auf Zellen zurückführt, welche innerhalb der Fötalperiode mit der besonderen Fähigkeit der Knochen- bildung ausgestattet sind und diese Fähigkeit während des ganzen Lebens des Individuums, dem sie angehören, durch Vererbung bewahren. Diese Zellen, die sog. Osteoblasten, lagern auf den verkalkten Ueberresten der vorausgehenden Gewebe das Knochengewebe als ein neues Gewebe auf. Diese letztere Theorie ist auf der unter Mitwirkung von Sharpey, Bruch und A. Baur durch H. Müller geschaffenen Basis durch Loven, Gegen- bauer und Waldeyer aufgebaut und durch Kölliker, Stieda, Strelzoff und Steudener weiter ausgebildet. Vortragender schliesst sich dieser letzteren Theorie an und führt an den . Verhältnissen der normalen“ und pathologischen Knochenbildung aus, dass nur diese Theorie im Stande ist, uns eine genügende Erklärung der hierbei zur Beobachtung kommenden Erscheinungen zu liefern. Nur ein kleiner Theil der pathologischen Knochenbildungen, nämlich die isolirt in Weichtheilen entstehen- den Knochenkerne, bereiten der Erklärung durch diese Theorie Schwierigkeiten. Auch von diesen seltenen Vorkommnissen geht jedoch ein Theil wieder ab, welcher wie die Knochenbildungen in den Dermoideysten des Ovariums, der Falx cerebri, bei dem Gehirn, dem Sept. corp. cavernos. penis durch die Annahme verirrter fötaler Keime seine genügende Erklärung findet. Nur der noch übrig bleibende Rest mitten in Weichtheilen entstandener Knochenkerne, welche entweder auf chronischer Entzündung beruhen oder als Theilerscheinung der senilen Involution auftreten, entziehen sich der Erklärung durch die Osteoblastentheorie und müssen demnach auf metaplastische Entstehung zurückgeführt werden. Diese Knochenbildungen unterscheiden sich aber von normalem Knochengewebe sehr wesentlich durch die Abwesenheit der typisch geordneten Lamellensysteme und der zwischen denselben regelmässig vertheilten Knochenkörperchen. Die weitere Ausführung siehe in dem demnächst erscheinenden ersten Heft des zehnten Bandes der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie. 334 VERHANDLUNGEN Hr. Arthur CHRısTIAanı gab eine Einleitung zu dem Vortrage über die von ihm gemeinschaftlich mit Hrn. KRONEcKER ausgeführten thermischen Untersuchungen. Er besprach die neuere galvanometrische Methodik, indem er namentlich auf solche Messungen näher einging, die mit Hülfe des eben aperiodischen Magnetes ausgeführt werden können. Hierbei demonstrirte er das Phänomen der Aperiodieität an einem um zwei zu einander senkrechten horizontalen Axen beweglichen Pendel. Die Reibung der einen Axe war eine minimale, die der anderen wurde durch Schraubenregulirung so erhöht, dass das um diese Axe aus seiner Ruhelage abgelenkte Pendel schwingungslos zu derselben zurück- kehrte. Der bemerkenswerthe Umstand, dass trotz der ausgedehnten und frucht- baren Anwendung der Thermometrie in den medicinischen Wissenschaften die elektrische Thermoskopie zer &£oyn», nämlich die auf Beobachtung der Wärme- strahlung ausgehende, bisher so gut wie gar nicht für medieinische Zwecke ausgeübt worden ist, höchstens einmal da, wo es sich um Bestimmung der Diathermansie. der Augenmedien handelte, dieser Umstand hatte in dem Vor- tragenden den Plan entstehen lassen, diese Art der Thermoskopie auch auf physiologische Beobachtungen auszudehnen. Die Vortheile dieser Methode liegen auf der Hand. Das Fehlen von Reibung an der Säule bei etwaigen Formveränderungen der Wärmequelle und der Umstand, dass relative Lageveränderungen unter Anwendung bekannter Vorkehrungen auf den Werth der Strahlung keinen Einfluss ausüben, verdienen als zuerst in die Augen fallende Vorzüge genannt zu werden. Vor Allem aber ist der Unterschied zwischen der Methode der Untersuchung der strahlenden und der der geleiteten Wärme hervorzuheben, dass bei ersterer nicht so loca- lisirte Beobachtungen gemacht werden, wie bei Anlegung eines Thermometers oder eines elektrischen Thermoskopes, sondern dass die zur Beobachtung ge- langenden zeitlichen Aenderungen der Strahlung sich auf die Wärmevorgänge eines grösseren Gebietes des Untersuchungsobjeetes, eventuell auch auf die des ganzen Untersuchungsobjectes, beziehen können. Nach der Ausdehnung des Conus der Thermosäule richtet sich die Grösse des überschauten Gebietes. Die kleine Beruhigungszeit des aperiodischen Magnetes (5°5 bis 7°5 Sec. bei guter Aufstellung) bei grosser und dabei constanter Empfindlichkeit der Bussole gestatten bei den Messungen strahlender Wärme weit detaillirtere Beobachtungen, als die alten Thermomultiplicatoren, die bei höchstens gleicher Empfindlichkeit eines astatischen Nadelpaares von 60 Sec. Schwingungsdauer bedurften. Als illustrirendes Beispiel für das Letztgesagte gab der Vortragende fol- sende von ihm ausgeführte Untersuchung über die zeitlichen Verhältnisse der Erwärmung und Abkühlung einer Thermosäule durch Strahlung. Einem berussten Leslie’schen Würfel, dessen Temperatur mittels Durch- leitung siedender Wasserdämpfe constant erhalten wurde, befand sich eine be- russte Thermosäule im Abstande von 600m gegenüber. Ein zwischengestellter Metallschirm konnte vom Platze des Beobachters am Fermrohre aus mit grosser DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 335 Geschwindigkeit entfernt und ebenso schnell wieder vorgeschoben werden. Mittels eines Chronoskopes wurden während der Erwärmung und Abkühlung der Säule die Ablenkungen des Magnetes für einen beliebigen Werth der Zeit # ohne Schwierigkeit fixirt, denn die Erwärmungszeit (1 —t,) der Säule, d. h. die Zeit, nach welcher die Temperaturdifferenz der Säulenenden in Folge der Strah- lung ihr Maximum erreichte, fand sich gleich 61 Sec., der aperiodische Magnet aber brauchte noch nicht den zehnten Theil dieser Zeit, um unter Einwirkung eines constanten Stromes von entsprechender Stärke die betreffende dauernde Ab- lenkung zu erreichen. (1/,, Scalentheil ist hierbei als 00 klein angenommen.) ! Die Abkühlungszeit fand sich gleich der Erwärmungszeit. Bedeutet ferner Fig. 1. y = f (t) das Ansteigen der Temperaturdifferenz an den Enden der Säule und Y =y(f) das Abfallen derselben, so fand sich, dass für entsprechend gleiche Werthe des gemeinschaftlichen Argumentes FGO +yp() = const. war, oder dass dat da = de 1% und A e W dt + \' DE = (9) (4 - %) L, L, Ä wenn 9, und 34 die Temperatur der dem Würfel zugewandten Seite der Säule zur Zeit & beim Auf- bezüglich beim Absteigen der Erwärmung, 9. die End- temperatur (zur Zeit £,) und 3, die Anfangstemperatur (Temperatur der Um- gebung zur Zeit Z,) dieser Seite bedeutet. Graphisch dargestellt sind folgende Flächen gleich (s. Figg. 1 u. 2): Abs Ay Ta 1 Vergl. hierzu E. du Bois-Reymond, Ueber aperiodische Bewegung ge- dämpfter Magnete. Monatsber. d. Akademie d. Wiss. zu Berlin. 1869. 8. 835. — Gesammelte Abhandlungen u. s. w. Bd. I. Leipzig 1876. S. 308. 336 VERHANDLUNGEN Parallelversuche an einem ?/, Meter langen in t/,,° C. getheilten Thermo- meter, dessen berusste Kugel der Strahlung des Würfels in entsprechender Entfernung ausgesetzt wurde, ergaben (bei Fernrohrablesung): t 1 = 6608er, also über zehn Mal grössere Erwärmungszeit als für die Säule. Auch hier fand sich: : - 9a + 9a = de + Fo: Hr. Hu6o KRoNECKER berichtet über eine Untersuchung, welche er in Gemeinschaft mit Hrn. Cmrıstranı im hiesigen physiologischen Institute unter- nommen hat, um die Beziehungen zwischen Thermometrie und Plethysmo- metrie zu finden. In der vorangestellten. Mittheilung des Hrn. Christiani ist die vervoll- kommnete Methode angegeben, strahlende Wärme durch thermo- elektrische Apparate schnell, und genau zu messen. Hierdurch war ein Mittel verfügbar, die Temperatur der Haut zu bestimmen, ohne dabei die Abkühlungsverhältnisse derselben zu ändern, wie es angelegte oder umfasste Gefässthermometer zu Gunsten der Erwärmung, Thermosäulen zu Gunsten der Abkühlung thun. Es soll diese Untersuchung im Wesentlichen -die Frage entscheiden helfen, ob die Veränderung der Temperatur an peripheren ar) mit deren Blutfülle parallel geht. & Seitdem die ergebnissreichen Arbeiten von ee ! „Ueber bisher unbeachtete Einwirkungen des Nervensystems auf die Körpertemperatur und den Kreislauf“ die Frage wieder in den Vordergrund gedrängt hatten, auf welche Weise erregte Nerven die Wärme des Körpers oder einzelner Theile beeinflussen, ist von vielen Physiologen und Pathologen das Verhältniss der Temperatur des Blutes zu derjenigen peripherer Körpertheile, sowie das Verhältniss der vom Gesammtleibe und von dessen Gliedern in der Norm abgegebenen Wärmequan- titäten zu den im Fieber der Umgebung mitgetheilten untersucht worden. Es ist (wohl zuerst von Winternitz ?) gezeigt worden, wie die, durch Esmarch’- sche Binde oder Abkühlung einer Hautstelle, daselbst verminderte Circulation die Wärmeabgabe herabsetzt, dagegen Hyperämie, durch Frottiren, Senföleinreibung u. dergl. bewirkt, die abgegebene Wärme (allerdings nicht ausnahmslos) steigert. Es ist dagegen von anderen Autoren (namentlich von Tscheschichin), ein directer regulatorischer Einfluss des Nervensystems auf die Wärmebildung an- senommen worden. Daher ist es noch immer wünschenswerth geblieben, die Temperatur- und Circulationsverhältnisse sorgfältig zu vergleichen. Unsere Beobachtungen sind selbstverständlich nur auf peripherische Körpertheile anwendbar. Wir haben zunächst die Hand als Beobachtungsobject gewählt, weil das von geringen Muskelmassen eingehüllte, reiche Blutgefässsystem an der Vola manus diese befähigt, mit wechselnder Zufuhr des heizenden Blutes schnell seine Wärme zu ändern. 1 Pflüger’s Archiw für die ges. Physiologie. Bd. III. 1870. S. 504. u. Bd. IV. oa Sa BdaVIERS20: 2 Wiener med. Jahrb. 1875. 8.1. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 337 Die Hohlhand wurde, am Gelenk und den Fingern gestützt, einige Centi- meter entfernt über die Basis eines kupfernen Hohlkegels gelagert, dessen ab- seschnittene Spitze durch die berusste Fläche einer empfindlichen Thermosäule ersetzt war. Von dem Momente an, in welchem die aufgelegte Hand die ihr zugewendeten Löthstellen durch Strahlung über die Temperatur der von ihr - abgewandten, mit einer Metallkapsel bedeckten Löthfläche zu erwärmen begann, bis zu der Zeit, wo diese Erwärmung beendigt war, vergingen 61”, das ist senau die gleiche Zeit, welche, gemäss Hrn. Christiani’s oben mitgetheilten Bestimmungen, die Thermosäule braucht, um durch den Leslie’schen Würfel in thermischen Gleichgewichtszustand versetzt zu werden. Bei der festbestimmten Aufstellung von Bussole und Scala am Fernglase betrug die abgelesene Ablenkung des Magnetes durch die Wärme der Hand unter normalen Verhältnissen bei einigen Personen 140 bis 150 Scalentheile, bei manchen aber bis 225 Scalentheile.. Diese Ablenkungen entsprechen etwa 30—37° C. Die Temperatur derselben liess bei constanter Zimmerwärme und gleichmässigen Körperbedingungen nur geringe, zuweilen sehr regelmässige Schwankungen erkennen. Ablenkungen von mehr als zwei Scalentheilen wäh- rend einer Minute lassen auf Aenderungen in der Circulation oder auf Schweiss- secretion schliessen; im letzteren Falle zeigt der Magnetspiegel eine beträcht- liche Abkühlung an. _ So rückte z. B. das Scalenbild binnen 1” 30” von 180 nach 170 Scalentheilen (etwa 1°C. entsprechend), in einem anderen Falle wäh- rend 30” von 148 auf 135. Wenn man die Circulation durch elastische Armbinde von der Hand gänz- lich absperrt, so sinkt die Handtemperatur schnell. Folgendes Beispiel möge einen solchen Fall erläutern: Während comprimirt wurde ; 125 31° 30” war der Scalentheil 145 im Fadenkreuz, 32 143°0, 320.302 1415, 34 140° 0, 205.304 136°5 (Hand sehr .blass), 36 134-5 (Ligatur gelöst), 18 133-0 (Hand sehr roth), 30” 135-0, 45. 135-5, 37 136-0, 30” 138-0, 45” 137-0, 38 140-0, 30” 141°0 (Hand blass). Wenn man die Arteria brachialis etwa in der Mitte des inneren Biceps- randes comprimirt, so mindert sich die Temperatur der Hand nicht so beträcht- lich, wie nach «der eben erwähnten Gesammtligatur, vermuthlich weil aus der A. profunda brachii noch Blut zur Hand gelangt. So minderte sich z. B. der Ausschlag nach der Compression von 148 während 30” bis 146, Archiv f. A.u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 22 338 VERHANDLUNGEN während weiterer 5” „ 145, ae, 5 OA = 5 aa. lelnas- Als nunmehr die Compression aufgehoben wurde, stieg die Ablenkung wieder innerhalb 2030 auf SAT, während fernerer 2’ „ 148. In gleichem Sinne wie die Gesammtligatur wirkt auf die Handtemperatur Compression der Armvenen. Nur erfolgte danach die Abkühlung etwas lang- samer. So ging z. B. das Spiegelbild binnen A’ von 150 Sc. auf 144 zurück. Aehnlich wie die Blutabsperrung durch äussere mechanische Mittel macht sich die durch refleetorische Contraction der Blutgefässe ‘verursachte geltend. Als mittels der Pinselelektrode schmerzhafte Inductionsströme der Nackenhaut eines Mannes zugeführt wurden, kühlte sich dessen Hand beträchtlich ab. Fol- sende Ablenkungszahlen wurden in einem solchen Falle abgelesen: 18 4° 45” 144. Nunmehr wurde elektrisirt. 5 143-5, 10:7.,143 3020 110, 692300 197, 45” 1355. Jetzt wird aufgehört zu reizen. 7 130. Solcher Reiz blieb von geringer oder keiner Wirkung, wenn zuvor durch andere Einflüsse (wie z. B. Kälte) die Gefässe schon verengt waren. Endlich kann auch durch psychische Erregung, welche die Gefässnerven- centren reizt, die Temperatur der Hand merklich verändert werden. Eine unversehens abschwirrende Weckeruhr liess bei einer Versuchsperson starke nachhaltige Handabkühlung erkennen: 11h 39° 224. Die Hand ist sehr warm und roth. 30” 2245. 33 225: 310% 225. Die Uhr weckt. 34 220. Das Angesicht ist roth geworden. oh. 30Rr 8910. 35 204.25: 30” 209. 36 207. 37 209. 38 2% 39' PATE 307. 229220: 40" DA NOEDE 30” 214-5. 41' 21655: 30nE 2118} DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 339 hun 22% 220. 30” 222. 43' 221. 3002222. . 44° 223. Die Versuchsperson erscheint schläfrig, gähnt. Ein unerwartet abgefeuerter Pistolenschuss hatte ähnliche, doch minder nachhaltige Wirkung: 1en99% 180. 30” 180. Der Schuss fällt, die Person erschrickt. 3 176. 4 170. Di 170. 6 168. Die Hand wird feucht von Schweiss, wird abgetrocknet und wieder gelagert. 10° 170. hal 166. 14 170. 15 174. 16 1745. 307 180. A035: 50” 185. 17 190. ou 1962 18 196. Die Erwartung eines neuen Schreckes lässt die Temperatur der Hand häufig beträchtlich schwanken ; die Ueberzeugung ferneren Friedens sie zur Ruhe kommen. So konnte die Furcht vor einem Schusse, dessen Vorbereitung die Versuchsperson entdeckte, auch schon Ablenkungen von 6 Scalentheilen veran- lassen, während der Schuss selbst dann kaum mehr wirkte. Eine andere ruhige Versuchsperson reagirte auf einen Schuss gar nicht. Bei mehreren Versuchspersonen war der später eingestandene Schreck gar nicht im Gesichte und doch deutlich an der Temperaturschwankung zu erkennen. Da nun auch das Gesicht auf nicht unerhebliche Entfernung von der freien Thermosäulenmündung seine veränderliche Wärme galvanometrisch ablesen lässt, so wäre vielleicht an eine forensische Verwendung solchen „Aesthesoskopes“ zu denken. Es wird jedem Sachverständigen längst die Analogie dieser Versuchs- methode mit der Plethysmographie aufgefallen sein, welche Mosso! mit so vielem Erfolge in ganz ähnlicher Weise angewendet hat. Es zeigt Mosso’s Plethysmograph ? viel genauer und schneller als der hier beschriebene thermo-elektrische Apparat Aenderungen in der Blutfülle des Vorder- 1 Sopra un nuovo metodo per serivere i movimenti dei vasi sanguigni nell’ uomo. Torino 1875. 2 E. Cyon, Methodik der physiol. Experimente und Vivisectionen. Giessen 1876. Anhang. 22* 340 VERHANDLUNGEN armes an, so dass der Einfluss der Athmung und selbst des Pulses! damit registrirt werden kann. Hingegen vermag dieses „Thermaktinoskop“ zwischen activer und passiver Hyperämie zu entscheiden und ebenso den Eintritt der Schweisssecretion anzuzeigen. XVI. Sitzung am 14. Juni 1878. Im Anschluss an den Vortrag des Hrn. Busct# (s. oben S. 333) macht Hr. SacHs folgende Mittheilung: 1) Dass das gelbe Mark, die Ausfüllungsmasse der grossen Röhrenknochen, in den verschiedenen Knochen eines und desselben Thieres typische Verschie- denheiten seiner Consistenz darbieten kann, ist bisher von den Anatomen noch nicht beachtet worden. Ein sehr auffallendes Verhalten dieser Art bieten, wie ich mich kürzlich überzeugte, die Knochen des Rindes dar. Das Femur des Rindes enthält ein gelbes Mark, welches im getödteten Thier eine völlig steife und starre Beschaffenheit zeigt; die darin aufgespeicherten Fette beginnen, wie man sich leicht überzeugt, erst bei einer zwischen 38 und 40° C. liegenden Temperatur zu schmelzen, und die grössere Masse derselben wird sogar erst bei etwa 45° flüssig. Die abwärts vom Kniegelenk gelegenen Knochen da- gegen enthalten ein gleichfalls gelbes Mark, welches bei gewöhnlicher Tempe- ratur (20° C.) bereits eine weiche, gelatinöse Consistenz besitzt, und dessen Fette, wie jeder Einstich in die Masse lehrt, auch am erkalteten Thier flüssig sind. Ein ähnlicher Unterschied findet sich, nach der Versicherung der Schlächter, auch an den Knochen der vorderen Extremität, und es ist dieses Verhalten beim Rinde völlig regelmässig, Von anderen Thieren sind mir ähnliche Ver- hältnisse bisher nicht bekannt geworden. (Hr. du Bois-Reymond erinnert daran, dass aus dem Marke der Fussknochen des Rindes [im gewöhnlichen, nicht streng anatomischen Sinne ] das flüssige, als Maschinenöl dienende „Ochsen- pfotenfett“ oder „Klauenfett‘‘ gewonnen wird. 2) Von älteren Autoren (Flourens u. A.) wurde bekanntlich eine Mark- haut angenommen (Membrana medullaris, Periosteum internum, Endosteum), welche die Oberfläche der Markhöhle in den grossen Röhrenknochen auskleide und in ähnlicher Weise functionire, als das Periost. Die späteren Autoren haben die Existenz eines solchen Gebildes geleugnet und höchstens zugegeben, dass in den oberflächlichen, dicht an den Knochen grenzenden Schichten des Markes das zarte Bindegewebe, von welchem das Mark durchzogen sei, in etwas grösserer Menge angetroffen werde. In dieser Weise wird das Verhältniss wohl von allen neueren Autoren und Lehrbüchern beschrieben. Ich habe mich bei mehreren Thieren davon überzeugt, dass sich zwischen Knochen und Marksub- stanz eine continuirliche Bindegewebsschicht befindet, welche durch zahlreiche Gefässverbindungen mit dem Knochen und der Oberfläche des Markes verlöthet 1 A. Mosso, Sulle variazioni locali del polso nell’ antibraccio dell’ uomo. Torino 1878. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 341 ist, aber bei schonender Präparation sich leicht als ein selbständiges Häutchen darstellen lässt. Namentlich am Humerus des Schweines gelingt es, nachdem die Marksubstanz mit dem Scalpellstiel nach und nach abgetragen ist, sehr leicht, derbe und mehrere Quadratcentimeter grosse Stücke dieser Membran von der Knochenoberfläche abzuziehen. Es dürfte sich daher empfehlen, den älteren Namen „Markhaut“ (Membr. medullaris) für dieses Gebilde wiederum in die Nomenclatur einzuführen; es kann freilich nicht im Entferntesten daran gedacht werden, dieses Gebilde an Bedeutung in eine Reihe mit dem Periost zu stellen, wie es die älteren Autoren irrthümlicherweise thaten. XVI. Sitzung am 28. Juni 1878. ® Hr. SELIGSOHN spricht: „Ueber Einwirkung von Wasserstoff-Hyper- oxyd auf Harnsäure.“ Vortragender bezieht sich zunächst auf die jüngst im Centralblatt für die med. Wissenschaften 1878 No. 22 hierüber veröffentlichten Mittheilungen. Die Versuche knüpften an frühere an, in denen das Verhalten des Ozons gegen Harnsäure näher geprüft und die Resultate der Gorup-Besanez’schen Ver- suche — Bildung von Allantoin und Harnstoff in neutralen Mischungen — be- stätigt werden konnten. Nur bei längerer Einwirkung von Ozon auf Harnsäure fand Vortragender damals ausser Allantoin und Harnstoff das durch charakteristische Reactionsverhältnisse — Murexidfärbung in den Abdampfungsschalen — erkenn- bare Alloxan. Die fortgesetzten Versuche, in denen grössere Quantitäten von Wasserstoff- superoxyd durch längere Zeit hindurch auf Harnsäure einwirkten, haben ergehen, dass hierbei sich Allantoin und Oxalsäure bilden. Nur in Betreff des Harn- stoffs sind sichere Resultate bisher nicht erzielt worden, weil die Reindarstellung desselben durch Beimenguns von Chloriden (Chlornatrium — durch Abstumpfung . des Salzsäuregehaltes des Wasserstoffsuperoxydes mit Natronlösung herrührend) erschwert ist. Vortragender hat ausserdem vermittelst der Nicholson’schen Brucinreaction gefunden, dass die angewandte Wasserstoffisuperoxydlösung sehr seringe Beimengungen von Salpetersäure enthält. Da sich in den letzten Versuchen herausgestellt hat, dass bei einem be- stimmten Concentrationsgrade der Mischung die Einwirkung viel energischer erfolgt, die Gasentwicklung stärker ist und eine dicke Schaumschicht permanent auf der Oberfläche sich bemerkbar macht, so hofft Vortragender auf diesem Wege eine grössere Ausbeute zu gewinnen und auch in Betreff des Harnstoffs zu ent- scheidenden Resultaten zu gelangen. Mit Rücksicht darauf, dass bei Ozonbehandlung der Harnsäure, sowie bei der Behandlung mit Wasserstoffsuperoxyd in schwach alkalisch gemachter Mischung die Bildung von Oxalsäure constatirt werden kann, knüpft Vor- tragender hieran Bemerkungen über die Entstehung der Oxalsäure im Thier- körper und oxalsaure Concrementbildungen. Er hatte in einer früheren Arbeit (Centralblatt für die med. Wissen- schaften. 1873. Nr. 22—33 und Virchow’s Archiv. Bd. 64) auf Grund der 342 VERHANDLUNGEN Williamson’schen Reaction — Bildung von Harnstoff aus Oxamid bei Be- handlung mit Quecksilberoxyd — die Vermuthung hingestellt, dass das Oxamid möglicherweise auch im Thierkörper eine Vorstufe des Harnstoffes bilde und dass dasselbe bei eintretenden Oxydationshemmungen (wie alle Amidbildungen) durch Wasseraufnahme sich in Oxalsäure und Ammoniak umwandle. Zudem. hatte er damals gefunden, dass Ozon von alkalisch gemachten Oxamidmischungen lebhaft absorbirt wird und dass bei längerem Durchleiten von Ozon durch alkalisch gemachte Oxamidmischungen sich Harnstoff bildet. Es ist dieserhalb von Interesse, dass Engel (Oomptes rendus. 1874. t. 79. p. 808) ein Jahr nach Publication dieser Arbeit auf experimentellem Wege zu einer der Ansicht des Vortragenden nahestehenden Anschauung gelangt ist. Nachdem es Engel selungen war, durch Behandlung des Glycocolls mit übermangansaurem Kali Oxaminsäure darzustellen, neigt er zu der Ansicht, dass auch im Blute das Glycocoll zu Oxaminsäure oxydirt werde und letztere, wie alle Amidverbindungen, durch Wasseraufnahme in Oxalsäure sich umwandle. Das Resultat der Engel- schen Versuche ist später durch Drechsel bestätigt worden. Vortragender knüpfte hieran die Beobachtung Emmerling’s, welche er- giebt, dass Cyangas mit concentrirter Jodwasserstoffsäure in der Siedehitze Glycocoll bildet — eine Beobachtung, welche darum von besonderer Wichtigkeit ist, weil Emmerling aus ihr folgert, dass die Harnsäure Cyanmolecüle ent- halte. Da die classische Arbeit von Liebig und Wöhler über die Natur der Harnsäure (Annalen der Pharmacie. 1839. Bd. 26) in einfachster und an- schaulichster Weise die mannigfachen Metamorphosen, welche durch Oxydation aus derselben hervorgehen, erklärt und aus der theoretischen Zusammensetzung derselben das Vorhandensein von Cyanmolecüle, sowie die Bildung der Oxalsäure bei Behandlung mit Oxydationsmitteln gefolgert werden kann, so gewinnen wir durch diese von Liebig und Wöhler geschaffene und auf experimentellem Wege befestigte Grundlage ein deutliches Bild von der Abspaltung der Oxalsäure, zumal wenn wir von der von Menschutkin (Annalen der O'hemie und Phar- macie. Bd. 172. 8. 88) aufgestellten - Formel der Parabansäure: (,0,HN CNHO = Parabansäure ÖOximid Cyansäure ausgehen. Aus dieser Formel erklärt sich am besten die Bildung des Oxalur- amids (Schunck’sche Verbindung), sowie die Abspaltung der Oxalsäure bei etwa eintretenden Oxydationshemmungen. Wenn diese Betrachtungen es wahrscheinlich machen, dass die Oxalsäure im 'Thierkörper aus amidartigen Verbindungen sich abspaltet, so unterliegt die Beantwortung der Frage, unter welchen pathologischen Verhältnissen die Oxal- säure sich bildet, den grössten Schwierigkeiten. Vortragender erwähnt den nach dieser Richtung interessanten Fall von Paul Fürbringer (Deutsches Archiv für klin. Med. Bd.16. S.500—526), in welchem es sich um eine Complication von Oxalurie, Oxaloptyse und Dia- betes "mellitus handelte. Mit dem Auftreten eines Icterus traten die Erschei- nungen des Diabetes zurück, der Zuckergehalt nahm beträchtlich ab, während die Oxalatausscheidung im Harn sich erheblich steigerte. Fürbringer schliesst aus seiner Beobachtung, dass die hochgradige Steigerung der Oxalurie mit Stoffwechselretardation zusammenfalle, und hier dürften nach Fürbringer zwei Momente in’s Gewicht fallen: die zweifellos DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 343 bestehende verminderte Herzthätigkeit, wobei der Puls auf 60 herabsank, und dann die dabei eingetretene Apyrexie. Vortragender ist durch theoretische Betrachtungen, welche sich an einen in der Praxis beobachteten Fall von Nierenconcrementen (Oxalatsteinen) knüpften, früher zu einer der Fürbringer’schen Auffassung analogen Schlussfolgerung gelangt. Hierauf spricht Hr. Lew: „Ueber die Umsetzung des Natrium- sulfantimoniats im Thierkörper und die Elementareinwirkung von Schwefelwasserstoff auf das lebende Blut.“ Das Natriumsulfantimoniat (Schlippe’sches Salz) geht unter gewissen Verhältnissen, und zwar durch Zusatz von Säuren, eine Veränderung ein, die in ihren Einzelheiten wohlbekannt ist. Gesetzt, man fügt zu einer Lösung der- selben Schwefelsäure, so verläuft der Umsetzungsprocess in folgender Weise: 2 Na,8b8, + 3H,S0, = 56,8, + 3Na,80, + 3H,8. Es lag die Frage nahe, wie sich diese Substanz in den T'hierkörper ein- geführt verhalten würde, da in demselben Bedingungen für einen analogen Zer- fall gegeben sind. Denn Rammelsberg fand schon, dass nicht nur stärkere Säuren, sondern sogar schon die Kohlensäure einen ähnlichen Umsetzungsprocess zu Wege zu bringen vermag. Es würde sich dies so darstellen lassen : SNa , Sb 8Na CO Nena —/3Na,00, 7850,85, 73H, >. SNa S sb 8Na c0 . NS Na Ueberall im Thierkörper, im Blute und in den Geweben stossen wir auf Kohlensäure und demzufolge würde das Schlippe’sche Salz unter der Einwir- kung derselben die gleichen Zersetzungsproducte liefern müssen. In der That geschieht dies. Führt man direct in die Blutbahn oder sub- cutan 0.1—0-4®8” des Schlippe’schen Salzes ein, so bemerkt man sehr bald eine Ausscheidung von Schwefelwasserstoff durch die Lungen, der an seiner Reaction auf eine Blei- resp. ammoniakalische Silberchloridlösung erkannt wer- den kann. Ausserdem treten jedoch noch gewisse spectroskopische Veränderungen im Blute ein. Versetzt man normales Blut mit Schwefelwasserstoff, so erscheint bereits nach kurzer Zeit ein Absorptionsstreifen zwischen den Fraunhofer’- schen Linien CO und D, näher an D gelegen, der ungemein constant ist und der, wie Hoppe-Seyler annimmt, wahrscheinlich eine Verbindung des Schwefel- wasserstoffes mit dem Hämatin oder Hämoglobin anzeigt. Wirkt der Schwefel- wasserstoff weiter ein, so erscheint statt der Sauerstoffhämoglobinstreifen das breite Band des reducirten Hämoglobin. Es sind diese Erscheinungen der Schwefelwasserstoffeinwirkung bisher vergeblich nach Einführung des Gases in den Thierkörper gesucht worden. Man kann jedoch das allein pathognostische Zeichen desselben, den Streifen im Roth nach Vergiftung mit Schlippe’schem Salze, ungemein leicht nach- 344 VERHANDLUNGEN weisen, schneller bei Einführung in die Gefässe, etwas langsamer bei subeutaner Beibringung, niemals aber durch Injection in den Magen, obgleich im letzteren Falle gleichfalls eine Ausscheidung von Schwefelwasserstoff sich bemerkbar macht. Es gelingt jedoch nie, in dem Blute der zu Grunde gegangenen Thiere den Streifen des reducirten Hämoglobins zu zeigen. Die betreffenden Thiere gehen trotzdem unzweifelhaft an Erstickung zu Grunde, die bei toxischen Dosen durch künstliche Respiration nicht vermieden werden kann. Die Erstickung offenbart sich nur nicht durch den Streifen des redueirten Hämoglobins, sondern durch den Streifen im Roth, das Anzeichen einer Substitution des Schwefelwasserstoffes für einen Theil des Blutsauerstoffes. Die Thiere gehen demnach in dem Augenblicke zu Grunde, wo die rothen Blutkörperchen so wenig Sauerstoff besitzen, dass der zur Erhaltung des Lebens nothwendige Gaswechsel nicht mehr stattfinden kann. Es ist dieser Einfluss des Schwefelwasserstoffes auf den Blutfarbstoff insofern bemerkenswerth, als er zeigt, dass innerhalb des Organismus die Körper im nascirenden Zustande auf das Blut anders einzuwirken vermögen, als wenn sie fertig gebildet in dasselbe eingeführt werden. XVII. Sitzung am 12. Juli 1878. Hr. Baumann spricht: „Ueber die aromatischen Aetherschwefel- säuren.“ Der Vortragende bezieht sich auf seine früheren Untersuchungen über die Bildung und das Vorkommen aromatischer Aetherschwefelsäuren im Thierkörper, ferner auf eine in Gemeinschaft mit E. Herter ausgeführte Arbeit, in welcher etwa 30 aromatische Substanzen hinsichtlich ihres Verhaltens im Organismus geprüft und quantitativ verfolgt worden waren; aus letzterer hatte sich ergeben, dass eine grosse Zahl von Substanzen ein dem Phenol ähnliches oder analoges Verhalten im Thierkörper zeigen. Durch eine einfache Reaction gelingt es, diese zuerst im Thierkörper erzeugten aromatischen Aetherschwefelsäuren, bis dahin den Chemikern unbekannte Substanzen, ausserhalb des Organismus künstlich zu erzeugen. Dieselben werden gebildet bei der Einwirkung der Kaliumverbindungen von Phenolen auf fein gepulvertes pyroschwefelsaures Kalium: C,H,0K +K, 8, 0, = (,H,0-80,—0K +K,S0,. Diese Reaction ist ausführbar bei allen darauf untersuchten aromatischen Substanzen, welche Phenolhydroxyl enthalten. Der Vortragende hat die Kaliumsalze der Aetherschwefelsäuren von Phenol, Parakresol, Orthokresol dargestellt, welche in glänzenden farblosen Blättehen krystallisiren und identisch sind mit den aus Pferdeharn resp. Menschenharn gewonnenen parakresol- und phenolschwefelsauren Salzen. Es wurden ferner dargestellt und untersucht die monätherschwefelsauren Salze von Brenzcatechin, Resorein und Hydrochinon; die diätherschwefelsauren Salze von Resorein und Brenzcatechin. en ee DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 345 Dieselben besitzen die Zusammensetzung: OH “| 0—S0,—0K el eo, or. OH Das monätherschwefelsaure Kalium des Pyrogallols C,H, OH krystalli- 080, —-0&K sirt in farblosen, in Wasser und Alkohol leicht löslichen Nadeln; dasselbe ist ausgezeichnet durch sein Verhalten gegen Eisenchlorid: in wässriger Lösung giebt es damit eine intensiv grasgrüne Färbung, die durch sehr schwaches Alkali, z. B. Brunnenwasser in Tiefblau und durch Zusatz von kohlensaurem Natron oder Ammoniak in Rothviolett übergeht; ein Verhalten, welches durchaus identisch ist mit dem des Brenzcatechin und es wahrscheinlich erscheinen lässt, dass die beiden Hydroxylgruppen in der Pyrogallolschwefelsäure in derselben Beziehung ztı einander stehen wie im Brenzcatechin, d. h. in der Orthostellung. Die ätherschwefelsauren Salze der einfachen Phenole gehen beim Erhitzen auf über 150° in Salze von Sulfosäuren über, welche mit den ersteren isomer sind. — Die ätherschwefelsauren Salze der drei isomeren Oxybenzoesäuren sind nach derselben Reaction rein dargestellt worden; sie haben die Zusammensetzung 0280, -0K GH, COOR Die Salieylsäureverbindung krystallisirt in langen farblosen Spiessen, die luftbeständig sind. Dieselbe ist ausgezeichnet durch ihre ausserordentlich leichte Spaltbarkeit durch Säuren in Salicylsäure und s. schwefelsaures Kali; nicht nur verdünnte Essigsäure, schon normaler sauer reagirender Harn bewirkt bei Bluttemperatur diese Zersetzung. Das Retoxybenzoesäureätherschwefelsaure Kalium krystallisirt in farblosen Nadeln, die an der Luft in Folge- von Wasseranziehung zerfliessen. Die Paroxybenzoesäureverbindung stellt glänzende Krystallblättchen dar, die an der Luft beständig sind. Die beiden letztgenannten Verbindungen sind wie alle aromatischen Aether- schwefelsäuren leicht spaltbar beim Erhitzen mit Salzsäure, sind aber beständiger gegen Einwirkung sehr verdünnter Säuren oder organischer Säuren als die Salicylsäureverbindung. Vielleicht ist hierin auch der Grund zu suchen, weshalb im Thierkörper die Salicylsäure keine Aetherbildung mit Schwefelsäure eingeht, während Oxy- und Paroxybenzoesäure dieses Verhalten zeigen. Der Vortragende demonstrirt die von ihm dargestellten Präparate und ver- weist bezüglich der Details seiner Untersuchung auf das baldige Erscheinen seiner Arbeit in einer chemischen Zeitschrift. Hr. Busctm berichtet im Anschluss an seinen oben $. 333 im Auszuge mit- setheilten Vortrag über die Osteoblastentheorie: „Ueber den mikroskopi- schen Befund einer aus dem Centrum tendineum stammenden Knochenplatte.“ Meine Herren! Ich wollte mir erlauben, Ihnen einen kurzen Bericht zu geben über den mikroskopischen Befund der Knochenplatte aus dem Centrum tendineum des 346 VERHANDLUNGEN Zwerchfells, welche Hr. Senator so freundlich war mir bei Gelegenheit meines Vortrags über die Osteoblastentheorie zu übergeben. Ich habe die Platte nebst dem anhaftenden Bindegewebe in 5 °/,ige Salpetersäure gelegt und nach vollen- deter Entkalkung in starken Alkohol. Dann habe ich sie in zwei Theile getrennt, von denen ich den einen mittels des Gudden’schen Mikrotom’s in Flächen- schnitte, den anderen in Querschnitte zerlegte. Makroskopisch zeigten die Schnitte an den Stellen, welche der Platte ent- sprechen, ein homogenes Gefüge, an denjenigen Stellen, die der bindegewebigen Umhüllung entsprachen, das bekannte fibrilläre Gefüge. Das Mikroskop zeigte in den homogenen Stellen ein feinfasriges Gewebe, welches abgesehen von dem Fehlen der grossen sternförmigen Körperchen dem Gewebe der Hormhaut ausser- ordentlich glich, während die opakeren Stellen aus einem der Sklera gleichenden Gewebe bestanden. Von Knochengrundsubstanz, Lamellen oder Knochenkörper- chen war auch nicht die leiseste Andeutung vorhanden, kurz die Untersuchung ergab, dass hier keine Knochensubstanz vorlag, sondern nichts als fibrilläres Bindegewebe, welches durch Aufnahme von Kalksalzen Knochenhärte erlangt hatte. Ein derartiges Gewebe können wir aber nach unseren jetzigen histologischen Anschauungen nicht als Knochen bezeichnen, wir können also hier nicht einmal _ von metaplastisch entstandener Knochensubstanz sprechen, sondern es liest hier das vor, was Lessing von den Vogelsehnen behauptet hatte, „eine einfache Petrification, ein chemischer Process in einem morphologisch ganz gleich ge- bliebenen Gewebe, welches nach Entternung des Kalkes durch eine Säure gänzlich unverändert wieder zu dem wird, was es vor dem Act der Kalkablagerung war.“ Ich bin weit davon entfernt diesen Befund generalisiren zu wollen und zu behaupten, dass alle isolirt in Sehnen und Muskeln vorkommenden anscheinenden Knochenplatten dasselbe Gefüge haben. Andererseits kann ich aber auch nicht annehmen in diesem einzigen Fall, den ich bisher untersuchen konnte, eine seltene Ausnahme gefunden zu haben. — Da es bekanntlich noch nie geglückt ist, solche isolirte Knochenherde experimental herzustellen und da mir kein Sectionsmaterial zu Gebote steht, so richte ich die Bitte an diejenigen Herren, welche in dieser Beziehung glücklicher situirt sind, mir weitere solche isolirte Knochenkerne zukommen zu lassen, damit ich mich durch die Untersuchung ver- gewissern kann, ob in diesen Fällen in der That nur einfache Petrificationen vorliegen. Was die Fähigkeit der Metaplasie von fibrillärem Bindegewebe und Knorpe betrifft, so scheint es mir, als ob man dieselbe nach beiden Richtungen hin nicht wird bestreiten können. Auf alle Fälle ist sie aber seltener, als man gewöhnlich glaubt. Bekannt sind die knorpelähnlichen Platten, welche sich unter dem Einfluss chronischer Entzündung bisweilen in den serösen Umhüllungen innerer Organe bilden, besonders an den Lungenspitzen und der Milzkapsel. Gewöhnlich wird angenommen, dass dieselben in der That aus Knorpelgewebe bestehen. Ich hatte nun Gelegenheit in einem Falle die mikroskopische Unter- suchung zu machen, in welchem ein grosser Echinococcus der Leber sowohl in der bindegewebigen Kapsel der Leber wie der angrenzenden Milzspitze zur Entstehung derartiger !/, Centim. dicker, milchig weisser Platten von knorp- licher Resistenz Veranlassung gegeben hatte. Die mikroskopische. Untersuchung zeigte jedoch nicht die leiseste Spur von Knorpelgewebe, sondern ein fibrilläres Bindegewebe, dessen Faserzüge sich in ähnlicher Weise verflochten, wie an der Sklera des Auges. Zum Theil fanden sich mitten in diesen Platten knochen- DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 347 harte Einlagerungen, die aber keine Spur von Knochengewebe darboten und nichts anderes waren als Verkalkungen der fibrillären Bindegewebszüge. Zum Schluss theilt Hr. Herm. Munk einen Fall von einseitigem Fehlen aller Bogengänge bei der Taube mit. Im December v. J. überliess mir ein Taubenzüchter eine junge „drehende“ Taube, über deren Vorgeschichte Nichts zu ermitteln war. Die Taube zeigte eine fehlerhäfte Haltung des Kopfes, der gegen die Norm um die sagittale Axe um 90° nach rechts herum und um die verticale Axe um etwa 45° nach links herum gedreht erschien: das rechte Auge sah gerade nach unten, das linke Auge gerade nach oben; der Schnabel stand nach links und vorn, das Hinterhaupt nach rechts und hinten. Diese Haltung des Kopfes bestand stetig ohne jedes Schwanken und wurde, wenn sie unter äusserer Ge- walt oder zum Zwecke der Nahrungsaufnahme oder des Federputzens verändert worden war, unmittelbar danach in ganz derselben Weise wieder eingenommen. Die Taube konnte gut stehen, ohne sich auf den Schwanz zu stützen, und ging auch gut, wenn gleich langsam; nur ging sie nie geradeaus, sondern immer in grossen Bögen links herum, machte Reitbahnbewegungen nach links. Fliegen konnte die Taube nicht. Liess man sie in der Luft frei, so breiteten sich die Flügel nur unvollkommen aus, und die Taube kam etwas nach links von der freilassenden Hand, manchmal gut auf ihren Füssen, manchmal unter Ueber- schlagen nach vorn, zu Boden. Ihre Nahrung — Erbsen und Wasser — nahm die Taube von selber zu sich, indem sie mit dem Schnabel immer nach vorn, links und unten schlug. Ihr Federkleid habe ich sie nur auf der linken Körper- hälfte putzen sehen. Versuchte man die abnorme Kopfhaltung gewaltsam mit der Hand in die normale überzuführen, so traten sogleich kräftige Muskel- bewegungen am ganzen Körper ein. Scheuchte man die Taube auf und zwang sie rasch zu gehen, so ging sie ungeschickt und stolperte. In den sechs Monaten, während welcher die Taube in meinem Laboratorium lebte, blieben die geschilderten Abnormitäten ganz unverändert bestehen. Auch sinsen dem Tode, der während einer der letzten Juni-Nächte eintrat, keinerlei Vorboten voraus. : Bei der Section zeigte sich am Schädel nach Fortnahme der Nackenmuskeln, an welchen nichts Absonderliches auffiel, hinten rechts, gerade an der Stelle wo normal in der Dicke der Knochenwand die Bogengänge gelegen sind, eine ohngefähr kreisrunde tiefe Depression von 7—8WM Durchmesser, in welche die Fingerspitze sich gut einlegen liess, und innerhalb welche die Crista oceipi- talis durch eine sehr niedrige Querleiste angedeutet war. An dieser Stelle fand sich die Knochenwand viel dünner als normal und nicht wie sonst von einer - grob porösen, sondern von einer mehr derben, sehr fein porösen Substanz ge- bildet. Von den Bogengängen war nicht die mindeste Spur vor- handen. Dagegen war an der entsprechenden Schädelresion linkerseits Alles normal, die Bogengänge waren hier in der gewöhnlichen Ausbildung sichtbar. Paukenhöhle .und Schnecke boten beiderseits nichts Abnormes dar. Auch war am Kleinhirn (und den Processus mesootici) keine Abweichung von der Norm zu erkennen. Die Acustici sollen noch besonders genau untersucht werden. Meines Wissens ist ein solches einseitiges Fehlen aller Bogengänge noch nicht beobachtet worden; und wenn auch der vorliegende Fall für sich allein in die Frage nach der Function der Bogengänge keineswegs entscheidend ein- 348 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. zugreifen vermag, so verdient er doch in mehrfacher Hinsicht Beachtung. Allen- falls die Durchschneidung, schwerlich aber die Exstirpation aller drei ‚Bogen- gänge dürfte sich ohne wesentliche Nebenverletzung, insbesondere ohne Schädi- sung des dem hinteren verticalen (sagittalen) Bogengange so dicht anliegenden Kleinhirns bewerkstelligen lassen; und es bietet mithin der pathologische Fall den erwünschten Ersatz für einen unausführbaren Versuch, einen Ersatz, wie ihn, nach den abweichenden Ergebnissen zu schliessen, die Exstirpation des ganzen häutigen Vestibularapparates nicht zu liefern vermocht hat. Gegenüber der so häufigen Erfahrung, dass die einseitige Verletzung der Bogengänge nur vorübergehende Folgeerscheinungen am Thiere mit sich bringt, sehen wir dann hier mit dem einseitigen Fehlen der Bogengänge bleibende Störungen verknüpft. Als primäre Folge dieses Fehlens der Bogengänge stellt sich aber endlich bloss die fehlerhafte Kopfhaltung heraus; denn alle anderen Abnormitäten, welche wir an unserer Taube beobachteten, sind sichtlich nur secundäre, welche aus der falschen Kopistellung sich ableiten lassen. Ein neues Calorimeter besonders für physiologische Zwecke. Von Is. Rosenthal. Während fast in allen Zweigen der Physik die Messungsmethoden einen sehr hohen Grad der Genauigkeit erlangt haben, befindet sich die Calorimetrie oder Messung von Wärmemengen noch auf einer niedrigen Stufe der Entwickelung. Einzig das Bunsen’sche Eiscalorimeter ver- dient den Namen eines genauen Messapparates, während alle anderen Methoden, nach Bunsen’s trefiender Bezeichnung, der Messung von Flüssigkeitsmengen durch ein Sieb zu vergleichen sind. Aber das Eis- calorimeter in der verbesserten Form, welche ihm Bunsen gegeben hat, gestattet nur eine sehr beschränkte Anwendung und sein Gebrauch ist mit mannigfachen Schwierigkeiten verbunden. Schon bei meinen Bestimmungen der specifischen Wärme thierischer Gewebe hatte ich mit diesen zu kämpfen. Ich war genöthigt, dem Apparate grössere Dimen- sionen geben zu lassen, als sie Bunsen angewandt hatte. Das gelang dem Glaskünstler nur schwierig und die Apparate waren so gebrechlich, dass mehrere während der Arbeit, besonders beim Herstellen des Eis- ceylinders, sprangen. Als ich aber die Wärmeproduction bei der Muskel- thätigkeit bestimmen wollte, ergab sich eine neue Schwierigkeit in dem Umstand, dass der Vorgang nur bei der niederen Temperatur des Eis- punktes untersucht werden konnte und dass der zu untersuchende Körper in Wasser versetzt werden musste. Letzterer Uebelstand lässt sich um- gehen, ersterer wird bei allen physiologischen Versuchen eine unbequeme Schranke sein, aber auch bei manchen physikalischen, z. B. bei der Be- 350 Is. ROSENTHAL: stimmung der specifischen Wärme von Substanzen, welche bei Tempera- turen zwischen 0° und 100° ihren Aggregatzustand ändern. Ich habe deshalb ein neues Calorimeter construirt, zunächst mit besonderer Rücksicht auf die Lösung gewisser physiologischer Probleme, welches aber auch zu anderen Zwecken brauchbar ist. Das Princip des Apparates ist genau genommen dasselbe, welches dem Eiscalorimeter zu Grunde liest. Die zu messende Wärme, welche dem Apparate zugeführt wird, kann die Temperatur desselben nicht verändern; sie wird.dazu ver- wandt, einen Körper aus einem Aggregatzustand in einen anderen über- zuführen. An Stelle von Eis benutze ich jedoch eine auf ihren Siede- punkt gebrachte und darauf erhaltene Flüssigkeit, und die Wärmemenge wird bestimmt durch die Menge des entstandenen Dampfes. Bei der Wahl der zu benutzenden Flüssigkeit war zu beachten, dass der Siedepunkt derselben über dem Nullpunkt und unter den für lebende organische Substanzen kritischen Temperaturen von 40° bis 45° liegen musste. Es boten sich da namentlich zwei Flüssigkeiten dar: 1) Acetyl- aldehyd (CH,-COOH) mit dem Siedepunkt 21°, und 2) Aethylaether (C, H,-0-C,H,) mit dem Siedepunkt 34-9° Beide Temperaturen sind für physiologische Versuche brauchbar. Die höhere von beiden liegt sehr nahe der Grenze, bei welcher nach meinen früheren Untersuchungen ! die Wärmeregulirung der Warmblüter noch normal vor sich geht; die niedere entspricht einer Wärme, in welcher sich alle Thiere vollkommen wohl befinden. Da man nun den von mir construirten Apparat auch mit Eis füllen kann, wo er dann nichts weiter als ein in seiner Form “ modifieirtes Bunsen’sches Calorimeter vorstellt, so hat man die Mög- lichkeit, einen und denselben Vorgang bei den Temperaturen: 0°, 21° und 34-9° zu untersuchen, und festzustellen, welchen Einfluss die Um- gebungstemperatur auf den Vorgang hat. Ohne auf Einzelheiten in der Construction des Apparates einzugehen, will ich hier nur kurz andeuten, in welcher Weise eine genaue Messung ermöglicht ist. Die zu verdampfende Flüssigkeit ist in einem eylindri- schen Gefässe enthalten, welches von einem weiteren, gleichfalls eylin- drischen Gefässe umgeben ist. Ich will das innere das Messgefäss, das äussere den Mantel nennen. Der Mantel enthält dieselbe Flüssigkeit wie . das Messgefäss. Von jedem dieser Gefässe geht eine Röhre zu je einem flachen, dosenförmigen Behälter, welcher zum Theil mit Quecksilber ge- füllt ist und in eine calibrirte horizontale Röhre übergeht. 1 Zur Kenntniss der Wärmeresulirung bei den warmblütigen Thieren. Pro- gramm u. s.w. Erlangen 1872. EIN NEUES ÜCALORIMETER. 351 Das Messgefäss mit seinem Mantel liegt in einem mit Wasser ge- füllten Kessel, welcher erwärmt wird, bis das Wasser den Siedepunkt der Flüssigkeit erreicht hat. Ein sehr‘ empfindlicher Wärmeregulator sorgt dafür, das Wasser auf dieser Temperatur zu erhalten. Jede etwa noch übrigbleibende Temperaturschwankung wird durch den Mantel gleichsam abgefangen und kann auf die im Messgefäss enthaltene Flüssig- keit nicht wirken. Letztere kann also von aussen weder Wärme em- pfangen, noch Wärme nach aussen abgeben. In der Axe des Mess- gefässes befindet sich ein Rohr, welches durch den Mantel und Kessel hindurchgeht und frei nach aussen mündet, während sein inneres, inner- halb des Messgefässes liegendes Ende halbkugelig abgeschlossen ist. Das Rohr besteht, soweit es innerhalb des Messgefässes verläuft, aus dünnem Kupferblech ; sein äusserer Theil kann durch einen Stopfen verschlossen werden, welcher aus vielen aufeinander gelegten Filzscheiben besteht, die durch Glasröhren zwischen Hartkautschukplatten festgehalten werden und die Lichtung des Rohres ganz ausfüllen. Sie lassen nur eine von der Aussenwelt durch die schlecht leitende Masse der Filzscheiben ab- geschlossene Höhle übrig, welche ganz innerhalb des Messgefässes liegt. In diese Höhle münden zwei Röhren. Durch die eine wird Luft einge- sogen, welche vorher in Schlangenwindungen durch die im Mantel ent- haltene Flüssigkeit geleitet wird, also in die Höhle mit der Siedetempe- ratur eintritt. Durch die zweite Röhre wird die Luft abgesogen, welche in Schlangenwindungen durch die Flüssigkeit des Messgefässes geführt wird. Ein Körper, welcher in der Höhle sich befindet, muss daher jeden Ueberschuss von Wärme theils durch die dünne, gut leitende Wand der - Höhle hindurch, theils durch Vermittelung jenes Luftstromes vollkommen an die im Messgefäss enthaltene Flüssigkeit abgeben, und da sich diese schon auf ihrem Siedepunkt befindet, so muss eine der zugeführten Wärmemenge proportionale Flüssigkeitsmenge in Dampf verwandelt werden. Der dadurch entstehende Volumszuwachs wird durch das Volumen des verdrängten Quecksilbers in dem calibrirten Rohr ge- messen. Jener oben erwähnte Luftstrom dient zugleich dazu, lebenden Thieren, welche man in die Höhle gebracht hat, die nothwendige Luft- menge zuzuführen und gestattet, wo dies erforderlich ist, die Producte der Respiration zu bestimmen. Der von mir eonstruirte Apparat erlaubt, kleine Thiere, z. B. weisse Mäuse, in den Apparat zu bringen. Es würde prineipiell nichts ent- gegenstehen, dem Apparat auch grössere Dimensionen zu geben, doch würde derselbe dann weniger handlich sein und zu seiner Füllung sehr srosse Mengen Aldehyd bezw. Aether erfordern. Ich habe es daher vor- gezogen, ihn vorerst nur in dieser kleineren Form ausführen zu lassen. 352 Is. ROSENTHAL: EIN NEUES ÜALORIMETER. In dieser eignet er sich auch vortrefilich, um die bei der Muskelthätig- keit entstehende Wärme zu messen. Ich habe solche Versuche ausge- führt, welche die schönen Untersuchungen der HH. Helmholtz, Heidenhain und Fick wesentlich ergänzen. Ueber diese und andere mit dem neuen Apparate gewonnenen Ergebnisse werde ich mir erlauben in einer folgenden Mittheilung Bericht zu erstatten. Erlangen, 20. Juni 1878. Histiologische Untersuchungen über das retinale Pigmentepithel der Wirbelthiere. Von Dr. Arnaldo Angelucci. (Aus dem Laboratorium für vergleichende Anatomie und Physiologie in Rom. Zwölfte Mittheilung.) ! (Hierzu Taf. IV u. V.) Seit der im Jahre 1871 erschienenen Abhandlung von Morano? sind uns — abgesehen von einer späteren Mittheilung desselben Morano, die sich jedoch nur auf eine ganz eng begrenzte Frage bezieht? — nur noch zwei Arbeiten bekannt geworden, die sich ausführlicher mit der Histiologie des Pigmentepithels der Retina beschäftigen: In seiner „mikroskopischen Anatomie der Netzhaut“ hat Schwalbe auch der Pismentschicht eine eingehende Darstellung gewidmet, in welcher ein- zelne neue Resultate eigener Untersuchungen ihre Stelle gefunden haben; nach diesem ist dann über die mikroskopische Anatomie des retinalen Pigmentepithels nur noch eine „vorläufige Mittheilung“ von Kuhnt? erschienen ®. 1 Verhandlungen der R. Accademia dei Lincei, dritte Serie. Zweiter Theil 1877, 1878. 2 Die Pigmentschicht der Retina (Aus dem physiologischen Laboratorium in Berlin). — Archiv f. mikr. Anatomie, VII. S. 81. 3 Stomata in der Pismentschicht der Retina. — Centralbl. für die mediecin. Wissensch. 1875. 8. 67. ; 4 Gräfe und Sämisch, Handbuch der gesammten Augenheilkunde. 1. 8. 424. 1874. 5 Zur Kenntniss des Pigmentepithels. — Oentralbl. für die mediein. Wissensch. 1817..8,. 3371. | 6 In den beiden neuerdings erschienenen grösseren Monographien über die mikroskopische Anatomie der Retina: W. Müller, Ueber die Stammesentwickelung des Sehorgans der Wiürbelthiere, Leipzig 1875, und: Hannover, La retine de P’homme et des vertebres, Kopenhagen 1876, sind gerade über das retinale Pig- mentepithel neue Untersuchungen nicht enthalten. Archiv f, A, u. Ph, 1878, Physiol, Abthlg. =>s 354 ÄARNALDO ANGELUCCI: Inzwischen haben neueste physiologische Entdeckungen gerade dem Pigmentepithel eine Wichtigkeit beigelegt, von der früher nur wenig Forscher eine Ahnung hatten. Mit der Entdeckung des Wanderns ihrer Pigmentkörner ist eine ganz bestimmte Beziehung dieser Zellen zur Beleuchtung der Retina festgestellt und damit sehr wahrscheinlich ge- macht worden, dass diese Epithelien zur physiologischen Vermittelung der Lichteindrücke dienen. Und nicht genug hiermit: gleichzeitig spre- chen zahlreiche Gründe auch noch für eine zweite Vermuthung, dass nämlich ein ganz bestimmter Bestandtheil dieser Zellen, die sog. Oel- tropfen und das in diesen abgelagerte Lutein das Material darstelle, aus welchem während des Lebens die physiologische Regeneration des durch das Licht verzehrten Sehrothes beständig vollzogen wird. Gegenüber diesen Fortschritten der physiologischen Erkenntniss ist die histiologische Forschung mit ihren Resultaten bisher sehr im Rück- stande geblieben: denn weder die Monographie Morano’s (die sich allein auf den Frosch bezieht und nur ganz gelegentlich einige Details über die Pigmentschicht anderer Wirbelthiere hinzufügt) noch auch die Beschreibung Schwalbe’s oder gar die „vorläufige Mittheilung“ Kuhnt’s können darauf Anspruch machen als vollständige Darstellungen der mikroskopischen Anatomie des retinalen Pigmentepithels zu gelten. Auch die vorliegenden Untersuchungen vermögen diesem Anspruche nur theil- weise zu genügen. Aeussere Gründe, unter denen der Umbau und die dadurch nothwendig gewordene zeitweise Schliessung unseres Labora- toriums in erster Linie steht, haben uns verhindert diesen Untersuchungen diejenige extensive und intensive Vollendung zu geben, die wir ursprüng- lich für sie beabsichtigt hatten; einmal ist die Zahl der 'Thierspecies, deren retinales Epithel wir wirklich genau untersuchen konnten, eine sehr viel beschränktere geblieben als ursprünglich in unserem Programm vorgesehen war; und zweitens sind wir bei einzelnen Punkten unserer Arbeit genöthigt gewesen die Untersuchung schon in einem Stadium abzubrechen, wo sie gewiss noch einer weiteren Vertiefung fähig ge- wesen wäre. Bei der histiologischen Untersuchung des Pigmentepithels der Retina muss zunächst auf die Beschaffung des Materials die allergrösste Sorgfalt verwandt werden. Nur solche Augen, die dem ganz frisch getödteten Thiere entnommen werden und für welche man die Bedingungen der Beleuchtung innerhalb der letzten Lebensstunden genau gekannt hat, sind für die Untersuchung brauchbar. Alles andere Material ist als unzuverlässig zu verwerfen. Als Untersuchungsmethoden haben wir an- sewandt: Die Präparation in frischem Zustande (in Humor aqueus und in der physiologischen Kochsalzlösung) und die Maceration in verdünn- HISTIOLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL UV. Ss. w. 355 ter Osmiumsäure von 1:500 bis 1:1000, sowie die beiden schon von Morano geübten und empfohlenen Methoden der Erhärtung in Osmium- säure von 1°/, und der Maceration in verdünnter Chromsäure-Lösung (von "a5 °/o)- Schon den ersten Untersuchern des retinalen Pismentepithels oder, wie es damals hiess, der Piementmembran der Chorioides, ist als eine sanz besondere und es von den anderen einschichtigen Cylinderepithelien auszeichnende Eigenthümlichkeit seine grosse Regelmässigkeit aufgefallen. In der Flächenansicht erscheinen seine einzelnen Zellen von nahezu gleicher Grösse und Form als gleichseitige sechseckige Felder, und die von ihnen gebildete Mosaik erinnert durch ihre grosse Gleichmässigkeit oft frappant an die bekannte Zeichnung der Bienenwaben. An einzelnen Präparaten sieht man diese Structur oft in der Ausdehnung eines ganzen Gesichtsfeldes mit vollkommener Regelmässigkeit gewahrt. Daneben kommen jedoch auch nicht selten Ausnahmen vor, Fälle, in denen so- wohl in der Anordnung der Mosaik wie in der Grösse und Form der einzelnen Zellen Abweichungen von der Norm stattfinden. An einzelnen Stellen verlieren die sechseckigen Felder ihre regelmässige Form und ihre gleichseitige Begrenzung, ja nicht selten substituiren sich den Sechs- ecken andere Polygone von grösserer oder geringerer Seitenzahl!. Im Ganzen und Grossen betrachtet aber trägt der Bau der Pigmentschicht innerhalb des gesammten Wirbelthiertypus ganz überwiegend den Cha- rakter einer hohen Regelmässigkeit an sich, wie sie den gewöhnlichen epithelialen Gebilden sonst nicht zu eigen zu sein pflegt. Von ganz besonderem physiologischen Interesse sind die Verschie- denheiten, welche der Bau der Pigmentschicht in den einzelnen Regionen des Ausapfels darbietet. Ueber diese lässt sich im Allgemeinen Folgen- des aussagen: Im Augensrunde (d. h. in denjenigen Partien der Netz- haut, welche vorzugsweise zum direeten Sehen benutzt werden) sind die Pismentzellen sehr schmal und sehr hoch: die von ihnen gebildete Mosaik ist sehr regelmässig und besteht aus sehr kleinen gleichseitigen ‚Sechseeken. Im Aequator Bulbi dagegen sind die sechseckigen Cylinder- epithelien sehr viel grösser als im Augengrunde, dafür aber meist er- heblich niedriger; von der Fläche gesehen erscheinen sie nicht mehr als gleichseitige, sondern als in die Länge gezogene Sechsecke. Das eine Paar gegenüberliegender Seiten der Zelle ist stets nicht unerheblich länger als die beiden anderen Paare; da aber diese Abweichung von 1 Diesen, wenn auch nicht sehr seltenen, so doch immer ausnahmsweisen Be- funden wird in der Mittheilung von Kuhnt eine ganz übertriebene Wichtigkeit beigelegt: er zieht aus ihnen ohne Weiteres den Schluss, „dass in jedem lebenden sehenden Auge ein steter Wechsel des Pigmentepithels stattfindet“. 23% 356 ÄRNALDO ANGELUCCT: dem Gleichmaasse in allen Zellen der ganzen Mosaik stets in derselben Richtung stattfindet, wird die regelmässige Anordnung der Mosaik durch sie weiter nicht beeinträchtigt. Nach. der Ora serrata zu werden die Pigmentepithelien endlich “wieder kleiner und gleichzeitig niedriger; in der Flächenansicht verlieren die einzelnen Zellen ihre sechseckige Be- grenzung und die ganze Mosaik büsst ihren regelmässigen Uharakter mehr oder minder vollständig ein. Die jüngst von Morano beschriebenen „Stomata in der Pigment- schicht der Retina“ existiren in Wirklichkeit nicht und sind ihrem Ent- decker wahrscheinlich durch aus ungleichmässig erhärteten Präparaten herausgefallene Zellen vorgetäuscht worden. An frischen oder an. tadel- los erhärteten Präparaten haben wir niemals dergleichen beobachtet. Uebrigens wäre ihre Existenz sowohl morphologisch wie physiologisch gleich schwer zu begreifen: da bisher in echten Epithelien Stomata nicht beobachtet wurden, und da, bei dem innisen Zusammenhange der Pig- mentzellen mit den Stäbchen und Zapfen, Lücken in der Pigmentschicht wahrscheinlich auch in dem Reste der musivischen Schicht Continuitäts- störungen zur Folge haben würden. Nach dem oben Gesasten entspricht jede einzelne Zelle der reti- nalen Pigmentschicht einer Cylinderepithelialzelle von der Form eines mehr oder minder regelmässig sechseckigen Pfeilers. An jeder Zelle unterscheiden wir zweckmässig einen oberen (der Chorioides zugekehrten) und einer unteren (gegen die Retina gerichteten) Abschnitt, eine Ein- theilung, die auch dadurch gerechtfertigt wird, dass bei der Maceration und auch bei der Erhärtung der Pigmentschicht die Zellen bei vielen Thierspecies mit ganz besonderer Leichtigkeit in diese beiden Hälften auseinanderfallen. Den oberen Abschnitt wollen wir als die „Protoplas- makuppe“ bezeichnen: in ihm liegt der Kern der Pigmentzelle, der durch seine Grösse und Klarheit sowie durch das fast stets nur einfach vorhandene Kernkörperchen dem Kerne einer Ganglienzelle sehr ähnlich sieht. Niemals finden sich in diesem oberen Abschnitte Pigmentkörner, dagegen sind in ihm andere interessante morphologische Objeete abge- lagert: die sogenannten Oeltropfen und ausser diesen noch andere Ge- bilde, von denen weiter unten noch besonders die Rede sein wird. Im Gegensatze hierzu ist der untere Abschnitt der Zelle, den wir als die „Pigmentbasis“ bezeichnen wollen (sofern die betreffende Zelle nicht einem albinotischen Individuum oder einer mit einem Tapetum ausge- statteten Species angehörte), der ausschliessliche Sitz der für das Retinal- epithel so charakteristischen braunschwarzen Pigsmentkörner, ja man kann sagen, dass er ganz und gar aus einer Anhäufung dieser Pigment- körner bestehe. Von ihm gehen die feinen Fortsätze aus, welche zwi- HIsSTI0OLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL vV. Ss. w. 357 schen die Elemente der musivischen Schicht eindringen und welche sich auf der Oberfläche der Stäbchen und Zapfen bis an die Membrana limi- tans externa verfolgen lassen. Am deutlichsten und schönsten sind alle diese geschilderten Ver- hältnisse zu übersehen heim Frosche, wo sie bereits in der Monographie Morano’s eine ausführliche und im Ganzen zutreffende Darstellung ge- funden haben, die wir in ihren Grundzügen hier. wiederholen, nicht ohne sie durch neue anatomisch und physiologisch wichtige Thatsachen zu ergänzen und in einzelnen untergeordneten Details auch zu berichtigen. Wohl die anatomisch bedeutsamste der von uns neu aufgefundenen Thatsachen bezieht sich auf den Bau der Protoplasmakuppen und auf die ganz besondere Art und Weise, in welcher diese zur Herstellung der sechseckigen Flächenmosaik zusammentreten. Wir haben hier, und zwar als constantes Vorkommniss bei allen Wirbelthieren, eine ganz eigenthümliche morphologische Bildung aufgefunden, deren Existenz Morano noch völlig entgangen war, während in der Darstellung von .Schwalbe sich bereits einige auf sie bezügliche Andeutungen vorfinden. Schwalbe erwähnt nämlich in seiner Beschreibung des retinalen Epithels, dass (bei den Säugethieren) auch bei stärkster Pigmentfüllung überall ein schmaler Streifen zwischen den sich berührenden Zellen farblos bleibt. „Derselbe entspricht vollkommen einer Kittsubstanz, wie sie sich sonst zwischen Epithelien vorfindet. In der Müller’schen Lösung erhärten die Streifen. Es gelingt dann Bruchstücke der Pigment- schicht zu erhalten, in welchen die erhärteten Kittsubstanzbalken voll- ständig isolirt ein zierliches Netz mit sechseckigen Maschen bilden, aus denen zum Theil die Zellen selbst herausgefallen sind (Fig. 46a). Wahr- scheinlich sind diese Balken im Leben von weicher, wenn nicht flüssiger Beschaffenheit. An Präparaten aus Jodserum habe ich nichts von ihnen wahrnehmen können.“ Wir haben diese von Schwalbe beschriebenen farblosen Streifen bei allen Wirbelthieren, die wir darauf untersuchten, regelmässig auf- sefunden und in ihnen Theile eines durchaus eigenthümlichen Systems von Cutieularbildungen erkannt, welches die freien Oberflächen und seit- lichen Ränder der einzelnen Protoplasmakuppen bedeckt. Am leich- ‚testen übersieht man die anatomischen Verhältnisse dieses Systems beim Frosche, bei welchem wir auch zuerst seine wahre Anordnung er- mittelten. Später haben wir wenn auch weniger ausgesprochen so doch im Wesentlichen ganz dieselbe Structur auch bei den Reptilien, Vögeln, Säugethieren und Fischen wiedergefunden. Untersucht man die Pigmentschicht des Frosches nach mehrtägiger 358 ARNALDO ANGELUCCT: Maceration in der bekannten verdünnten Chromsäurelösung, so bietet die Flächenansicht gelungener Präparate bei starker Vergrösserung das schöne Bild, das wir in Fig. 1 wiederzugeben versucht haben. Im Inneren der einzelnen Zellen unterscheidet man die prächtig goldgelben Oeltropfen umgeben von der dichten Anhäufung der tief braunschwarzen Pigment- körner, die am Umfange der Zelle oft spitz und stachelig hervorspringen: offenbar sind es derartige Bilder gewesen, welche Morano zu seiner Angabe veranlasst haben, „dass nicht selten die von der Fläche gesehenen Epithelien, wie echte Stachel- und Riffzellen mit zahnartigen Fort- setzungen in einander greifen“. Ein solches zahnartiges Ineinandergreifen der einzelnen Zellen findet in Wirklichkeit niemals statt: vielmehr bleiben die einzelnen Zellkörper stets durch helle Zwischenräume von überall gleicher Breite von einander getrennt. Wie an den Rändern des Prä- parates deutlich zu sehen ist, entsprechen diese Zellenzwischenräume feinen Balken, welche um die einzelnen Zellen höchst zierliche sechs- eckige Rahmen herstellen. Ueber die wahre Gestalt und Anordnung dieser Rahmen geben am Besten in Osmiumsäure von 1:500 macerirte Präparate Auskunft, von denen in den Abbildungen Figg. 2—4 eine grössere Auswahl wiedergegeben wurde. Aus dem Studium dieser Bil- der ergiebt sich die höchst merkwürdige Thatsache, dass jede einzelne Epithelzelle mit der Oberfläche und der oberen Hälfte ihrer Protoplas- makuppe in einem sie vollkommen umschliessenden hutartigen Deckel oder, wenn man will, in einer „Kappe“ steckt. An ihren (sechs) freien Rändern sind diese einzelnen Kappen mit ihren Nachbarn untrennbar verlöthet, so dass über die ganze freie Oberfläche des retinalen Epithels eine einheitliche aus den einzelnen sechseckigen Zellendeckeln zusammen- geschweisste Membran hinwegzieht. Oberhalb der eigentlichen Zellen- oberfläche ist diese Membran nur sehr zart und dünn, so dass sie sich in der Profilansicht nur als ein sehr feiner geradliniser Contour markirt. ! Längs der Ränder der einzelnen Zelloberflächen erscheint sie etwas ver- diekt: wenigstens findet sich in der Profilansicht der Zellen an dieser Stelle meist eine kleine dreieckige Anschwellung, die nicht gut anders denn als der optische Ausdruck einer hier bestehenden Verdickung gedeutet werden kann; mitunter sieht man seitwärts von dieser dreieckigen An- 1 Die Anwesenheit oder Abwesenheit dieses seiner fast absoluten Geradlinig- keit wegen sehr charakteristischen Contours bietet ein sicheres Merkmal um zu entscheiden, ob eine Pigmentzelle im normalen Zustande vorliegt oder ob sie bei der histiologischen Präparation ihre Membran eingebüsst hat. Morano hat nach seinen Abbildungen zu schliessen wahrscheinlich niemals ganz normale Zellen vor Augen gehabt; auch unter den von Hannover neuerdings mitgetheilten zahl- reichen Abbildungen von Pigmentepithelien besitzen nur zwei (die Taf. II Fig. Se abgebildeten) noch ihre natürliche Membran. HisTIOLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S.w. 359 schwellung kurze Fortsätze frei nach aussen ragen. Sehr viel häufiger finden sich ganz ähnliche Fortsätze an dem unteren freien Rande der die einzelnen Zellen überziehenden Kappen. Hier findet sich in der Profilansicht der isolirten Zellen gleichfalls eine dreieckige Anschwellung, von welcher freie starre Fortsätze oft von recht erheblicher Länge seitwärts nach aussen hervorstehen; mitunter ist das Ende dieser Fortsätze gabel- artig in zwei Ausläufer getheilt. Genau entsprechend der horizontalen Richtung dieser Fortsätze zieht auch über den Leib der Zelle von der einen dreieckigen Anschwellung zur anderen ein feiner, scharfer Contour herüber, den übrigens schon Morano gesehen und in einzelnen seiner Abbildungen wiedergegeben, aber nicht zu deuten gewusst hat. Die Bedeutung dieser Linie ist nun ganz klar: sie entspricht dem rings um die Zelle herumlaufenden verdickten Rande, mit welchem die sie be- deckende Kappe aufhört und ist also morphologisch mit den dreieckigen Anschwellungen, welche sie verbindet, und den freien Fortsätzen, die von diesen ausgehen, durchaus identisch. Alle diese Bildungen, welche mit den von Schwalbe beschriebenen Bälkchen vollkommen überein- stimmen, sind nichts anderes als die verdiekten Löthstellen, welche die unteren freien Ränder der die einzelnen Zellen überziehenden Kappen miteinander vereinigen: isolirt können sie begreiflicher Weise nur unter der zuerst von Schwalbe beschriebenen Form feiner Bälkchen und aus diesen gebildeter sechseckiger Rahmen erscheinen. Jedermann sieht sofort ein, dass es sich bei einer derartig compli- eirten und morphologisch so wohl charakterisirten Bildung wie die eben beschriebene nicht um eine zwischen die Epithelien ergossene „Kittsubstanz“ (Schwalbe) handeln kann. Es liest hier vielmehr offenbar eine ganz unzweideutige Cuticularbildung vor, für welche Boll (in seinen im letzten Winter gehaltenen Vorlesungen über die Anatomie der Retina) den Namen der „Lamina reticularis retinae“ eingeführt hat, da ihre Homologie mit der ganz ähnlich gebauten „Lamina reticularis cochleae“ des Gehörorgans wohl kaum bezweifelt werden dürfte. Die hohe morphologische Bedeutung dieser Homologie wird Jedem einleuch- tend sein: ergiebt sich doch aus ihr als unabweisbare Consequenz die Homologie der retinalen Epithelien mit den von der Lamina reticularis cochleae eingeschlossenen Nervenendzellen des Corti’schen Organs! Der von den oben beschriebenen „Cuticularkappen“ bedeckte farblose Abschnitt der Pigmentepithelien, den wir oben als die Protoplasmakuppe . bezeichnet haben, besteht aus einer sehr zarten äusserst fein granulirten ‚Grundsubstanz. In dieser finden sich eingebettet: als constantes Vor- kommniss, der Kern; und neben diesem fast constant oder doch ganz ausserordentlich häufig zwei verschiedene Arten specifischer Einlagerun- 360 AÄRNALDO ANGELUCCH: sen: die einen sind die zuerst von Hannover (1844) erwähnten und seitdem mehrfach untersuchten Oeltropfen; die anderen haben wir bis- her noch niemals beschrieben gefunden. Wir wollen sie vorläufig als „aleuronoide Körner“ bezeichnen. Der Kern besteht aus einer homogenen Substanz und besitzt, wie schon Morano hervorgehoben hat, stets nur ein einziges ziemlich grosses Kernkörperchen, was ihm eine sehr hohe Aehnlichkeit mit dem Kern einer Ganglienzelle giebt. Innerhalb der einzelnen Zellen ist die Anzahl und Grösse der. Oel- tropfen eine ganz ausserordentlich wechselnde. Zellen, die keinen ein- zigen Oeltropfen enthalten, sind ganz ausserordentlich selten; in den meisten Zellen finden sich einer, zwei oder drei. Noch mehr sind keineswegs ein seltener Befund: wir haben in einzelnen Zellen sogar bis zehn und darüber gezählt. Ebenso schwankend wie ihre Anzahl ist auch ihre Grösse. Die grössten, welche vorkommen, sind nur wenig grösser als der Kern und diese finden sich im Ganzen recht selten. Die klein- sten sind fast unmessbar; auch diese sind ziemlich selten. Am zahl- reichsten finden sich diejenigen von der halben Grösse des Kernes. Der Farbstoff, der diesen Tropfen ihre prachtvolle goldgelbe Farbe ertheilt, ist nach den Untersuchungen von Capranica! bekanntlich mit dem Lutein identisch. Diese Farbe zeigt nur bei Dunkelfröschen in allen Oeltropfen den gleichen hohen Sättigungsgrad. Dagegen finden sich nach der Entdeckung von Boll? bei solchen Fröschen, bei denen kurz vor der Untersuchung ein starker Verbrauch und eine frische physiologische Regeneration des Erythropsins stattgefunden hatte, neben den intensiv soldgelben auch blassere citronengelb gefärbte Oeltropfen. Zur Erläu- terung dieses merkwürdigen Unterschiedes, den wir bei wiederholten Untersuchungen durchweg bestätigt gefunden haben, verweisen wir auf die beiden Abbildungen Figg. 5 und 6, von denen die erste den Inhalt der Pigmentzellen bei einem Dunkelfrosche, die zweite diesen Inhalt nach einer soeben frisch stattgefundenen Regeneration des Sehrothes dar- stellt. Für die Berechtigung der von Boll ausgesprochenen Vermuthung spricht übrigens in ganz hervorragendem Grade der morphologische An- schein; wenigstens wird ein in der pflanzlichen und thierischen Zellen- lehre einigermaassen bewanderter Mikroskopiker beim Anblicke dieser 1 Physiologisch-chemische Untersuchungen über die farbigen Substanzen der Retina. Erste Abhandlung. (Aus dem Laboratorium für vergleichende Anatomie . und Physiologie in Rom. Elfte Mittheilung.) — Dies Archiv 1877. 8. 283. 2 Zur Anatomie und Physiologie der Retina. (Aus dem Laboratorium für vergleichende Anatomie und Physiologie in Rom. Achte Mittheilung.) — Dies Archiw 1877. S. 29. HisTIoLoOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U.sS.w. 361 Epithelien, die oft mit Oeltropfen förmlich vollgepfropft sind, kaum an etwas anderes denken können als an ein zum Ersatze physiologischen Stoffverbrauches vorbereitetes und aufgespeichertes Material. Dieser selbe „morphologische Anschein“, vorderhand noch völlig ununterstützt durch anderweitige Beweise und Wahrscheinlichkeitsgründe, veranlasst uns ganz allein den gleichen Charakter eines zum Ersatze physiologischen Stoffverbrauches vorbereiteten und aufgespeicherten Materiales ausser für die Oeltropfen auch noch für die oben schon kurz erwähnten „aleuronoiden Körner“ in Anspruch zu nehmen. Obwohl diese Gebilde sich in den Pigmentepithelien des Frosches mit nahezu gleicher hegelmässigkeit vorfinden wie die Oeltropfen, denen sie an Grösse nichts nachgeben, scheinen sie doch von allen früheren Untersuchern voll- ständig übersehen worden zu sein. Nur Boll! hat sie gesehen, — aber bei seiner ersten flüchtigen Untersuchung mit den Oeltropfen identifieirt; denn er erwähnt ihrer als „vollkommen farbloser Tropfen, aus denen der ‚gelbe Farbstoff vollständig herausgezogen war“. Eine genauere Unter- suchung dieser Gebilde hat später ergeben, dass es sich hier auf keinen Fall um eine besondere farblose Abart oder eine besondere farblose physiologische Phase der Oelkugeln handelt, sondern dass diese „voll- kommen farblosen Tropfen“ Gebilde sui generis darstellen, die von den Oeltropfen durch eine Menge zum Theil sehr charakteristischer Merkmale unschwer zu unterscheiden sind. Das augenfälligste Kennzeichen ist eben von der Farbe herzunehmen: die aleuronoiden Körner sind stets vollkommen farblos, während entgegen der oben eitirten Vermuthung von Boll in den Pigmentepithelien des Frosches niemals ganz farblose echte Oeltropfen vorkommen; selbst” die blassesten unter ihnen sind immer noch ganz deutlich eitronengelb gefärbt. Ein zweites Kennzeichen ist der mattere Glanz der aleuronoiden Körner; ihre Substanz besitzt ein geringeres Lichtbrechungsvermögen als die Oeltropfen und erscheint dafür compacter und solider. Endlich ist die Form der Körner, wenn auch bei den grösseren Exemplaren meist rundlich, so doch niemals so regelmässig sphärisch wie die der Oeltropfen; unter den kleineren Exem- plaren sind sogar eckige und anderweitig unregelmässige Formen durch- aus nicht selten. Kurz, ihrem mikroskopischen Aussehen nach gleichen diese Gebilde ganz ausserordentlich den von den Botanikern sogenannten Aleuronkörnern, die sich in den fettreichen Samen vorfinden. Merk- würdiger Weise gesellt sich dieser Aehnlichkeit der äusseren Erschei- nung auch noch eine chemische Analogie hinzu: auch unsere Körner sind in verdünnter kaustischer Kalilauge ohne Rückstand löslich. »ie 1A. a. 0. S. 29. 362 ARNALDO ANGELUCCT: zeigen also die von den Botanikern als charakteristisch betrachtete Re- action der. Aleuronkörner, und würden wir sie daher ganz unbedenk- lich mit diesen identificirt haben, wenn nicht eine andere Reaction uns wieder zweifelhaft gemacht hätte: in absolutem Aether, welcher die echten Aleuronkörner vollkommen intact lässt, werden diese Körner zwar nicht aufgelöst jedoch immerhin sehr stark verändert. Der naheliesende Gedanke, dass dabei aus ihnen eine fettartige Substanz ausgezogen werde erhält noch durch eine zweite Reaction seine weitere Bestätigung; in der Osmiumsäure färben sich unsere Körner dunkel, ja kaum weniger tief schwarz als die Aussenglieder der Stäbehen, welche die Osmium- säure bekanntlich ganz ausserordentlich begierig aufnehmen. Diese beiden Reactionen, von denen wir hoffen, dass sie von competenteren Chemikern recht bald wiederholt werden mögen, lassen uns in diesen Körnern neben den unzweifelhaft darin vorhandenen Eiweissstoffen auch noch die Gegen- wart fettartiger Substanzen annehmen, welche in den echten Aleuron- - körnern der vegetabilischen Zellen niemals vorhanden sind. In den Pigmentepithelien des Frosches kommen die aleuronoiden Körner ungefähr in gleicher Menge vor wie die Oelkugeln, mit denen sie auch die wechselnden Dimensionen gemein haben. Körner, welche grösser sind als der Kern der Zelle, sind sehr selten: von dort ab finden sich dann alle möglichen Abstufungen der Grösse bis zu den bei stärkster Vergrösserung in ihrer specifischen Eigenthümlichkeit eben noch erkenn- baren feinsten aleuronoiden Körnchen. Innerhalb der Epithelien nehmen diese Gebilde mit besonderer Vorliebe den obersten von der Cutieular- kappe der Lamina reticularis retinae bedeckten Abschnitt der Proto- plasmakuppe ein, wo sie oft eine regelmässig angeordnete Lage bilden (vgl. Taf. IV Fig. 3). Manche Zellen sind mit ihnen förmlich wie vollgestöpft. Derartige oft im höchsten Grade charakteristische Bilder sind es, auf die wir unsere Vermuthung stützen, dass es sich bei den aleuronoiden Körnern ebenso wie bei den Oeltropfen um aufgespeichertes Material handelt, welches zum physiologischen Ersatze der in der Retina durch das Licht verzehrten Substanzen bestimmt ist. Anderweitige Beobachtungen zur Stütze dieser Vermuthung beizubringen ist uns bis- her nicht gelungen, vielmehr blieben unsere Versuche, ein bestimmtes Abhängiskeitsverhältniss zwischen der Action des Lichtes und der Menge, Grösse u. s. w. der aleuronoiden Körner nachzuweisen, durchaus vergeb- lich. Es muss daher zur Zeit noch vollkommen müssig erscheinen an- dere weitergehende Eventualitäten zu discutiren, z. B. ‘die sonst sehr naheliegende Frage, ob in unseren Körnern etwa ein Material zur Rege- neration der Zapfen vorliegt oder ob die in ihnen enthaltene Substanz für die Ernährung und den physiologischen Ersatz des Stromas der HIsSTIOLOG. ÜNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. Ss. w. 363 plättchenstructurirten Stäbehenaussenglieder bestimmt ‘ist, mit welchem letzteren den oben erwähnten Reactionen nach zu schliessen, chemische Analogien nicht zu fehlen scheinen. So weit der von uns „Protoplasmakuppe‘“ genannte obere Abschnitt der Cylinderzelle und die in ihm enthaltenen charakteristischen Einschlüsse. Der untere Abschnitt der Zelle, die von uns sogenannte „Pigmentbasis“ enthält an solchen einzig und allein die bekannten Pigmentkörner, von denen die beiden folgenden für den gesammten Wirbelthiertypus allge- mein gültigen Thatsachen hervorzuheben sind: erstens dass ihre Farbe niemals ein echtes Schwarz ist, sondern ein Schwarzbraun, das in ein- zelnen Fällen allerdings dem Schwarz sich sehr annähern kann, in vielen anderen aber wieder sich nicht unerheblich von diesem entfernt, ja mit- unter sogar ein ganz helles Lichtbraun darstellt. Zweitens, dass diese braunschwarzen Körner niemals oder doch fast niemals sphärisch sind, wie die in den sternförmigen Pigmentzellen des Bindegewebes enthal- tenen Pigmentkörnchen, sondern unregelmässige, eckige, sehr häufig prismatische und anderweitig krystallinische Figuren darstellen. ! An der „Piementbasis“ hat man den oberen unmittelbar an die Protoplasmakuppe grenzenden „Körper“ von den „Fortsätzen“ zu unter- scheiden, welche von diesen ausgehen und nach der Membrana limitans externa hin gerichtet sind. An dem Körper sind besondere Structur- eigenthümlichkeiten nicht wahrzunehmen; er scheint fast ganz aus- schliesslich aus den oben beschriebenen Pigmentkörnern zusammengesetzt, zwischen denen man mitunter einen vereinzelten Oeltropfen oder ein versprengtes Aleuronoidkorn wahrnimmt. Bemerkenswerth ist der Um- stand, dass beim Frosche und bei allen Wirbelthieren, welche ebenso wie er vorwiegend Pismentkörner von länglich-prismatischer Form be- sitzen, diese im Inneren der Pigmentbasis mit ihrer Längsaxe stets der Längsaxe der Cylinderzelle parallel orientirt sind. Ueber die Beschaffenheit und Form der von der Pigmentbasis aus- gehenden Fortsätze finden sich in der Literatur zwei entgegengesetzte Ansichten vertreten. Während die überwiegende Mehrzahl der Autoren diese Fortsätze als einen Wald isolirt verlaufender Wimpern beschreibt, 1 Man vergleiche hierzu die in der werthvollen Abhandlung von Frisch: Gestalten des Chorioidalpigmentes (Wiener akad. Sitzungsber. mathem.-naturwiss. Classe. Zweite Abtheilung. Bd. 58. 1869) mitgetheilten zahlreichen und sehr getreuen (bei einer Vergrösserung von Hartnack XV ä l’immersion gezeichneten) Abbildungen. Nur der Mangel eines ebenso starken Objeetivs hat uns von der Anfertigung ähnlicher Zeichnungen, die mit denen von Frisch doch nicht hätten coneurriren können, abgehalten. 364 ÄRNALDO ANGELUCCT: hält ihr erster Entdecker Hannover! auch noch in seiner neuesten Monographie unverändert an seiner ursprünglichen Ansicht fest, wonach diese Fortsätze keine Fasern sondern membranöse Gebilde darstellen sollen. Zwischen diesen beiden entgegengesetzten Ansichten nimmt Morano eine vermittelnde Stellung ein: er meint, dass hier nebenein- ander zwei verschiedene Verhältnisse vorkommen, dass es Pigment- epithelien giebt, welche in einen dichten Büschel isolirter feiner Fasern auslaufen, dass aber neben diesen auch solche sich finden, welche ent- sprechend der Vorstellung von Hannover nicht in isolirte Fasern son- dern in hautartige Ausbreitungen übergehen. Wir sind auf Grund sehr sorgfältiger Untersuchungen nunmehr zu der Ueberzeugung gelangt, dass die letztere Vorstellung in keiner Weise haltbar ist und dass Hannover und theilweise auch Morano bei ihren hierauf bezüglichen Angaben durch nicht ganz gelungene Macerationspräparate irre geführt wurden: bei diesen bleiben mitunter bis zur Unkenntlichkeit entstellte Reste der Stäbchenaussenglieder zwischen den einzelnen Fortsätzen haften und verkleben diese miteinander derart, dass von isolirten Fasern nichts mehr zu sehen bleibt und an ihrer Statt eine continuirliche Membran vorzuliegen scheint. Ist die Maceration dagegen wirklich gut gelungen, so wird man niemals derartige Bilder erhalten, sondern in allen Präpa- raten ganz gleichmässig das freie Ende der Pigmentbasis in einen Büschel isolirt verlaufender Fasern übergehen sehen. Diese Fasern, welche von einzelnen Autoren auch „Wimpern“ genannt werden, sind stets unverästelt und alle von gleichmässiger Feinheit und Länge; sie entspringen fast alle in gleichem Niveau von dem Körper der Pigment- basis und verlaufen stets fast parallel oder doch nur leicht divergirend nebeneinander. Die Art und Weise ihres Ursprunges und ihres‘ Ver- laufes giebt ihrem Ensemble eine sehr grosse Aehnlichkeit mit den Haaren eines Pinsels. Die Anzahl der von einer Zelle entspringenden Fasern wächst im Allgemeinen mit dem Durchmesser der Zelle. Die grössten Zellen besitzen deren 80—40 und vielleicht gar noch mehr; an den kleinsten Zellen finden sich 10—20. Weniger als 10 Ausläufer haben wir an keiner einzigen Zelle beobachtet. In. situ verlaufen diese Fasern bekanntlich in den Zwischenräumen, welche zwischen den Aussengliedern der Stäbchenschicht frei bleiben und in den feinen Längsfurchen, welche auf der Oberlläche der letzteren eingegraben sind. Sie stellen hier die „Pigmentschnüre“ der Autoren dar, welche in der mikroskopischen Anatomie der Stäbchenschicht eine 1 Recherches microscopiques sur le systeme nerveux 1844. S. 37. — La retine de Uhomme et des vertebres 18376. S. 174. Hi1sSTIOLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S. w. 365 so grosse Rolle gespielt und zu so sehr verschiedenartigen und auch widerstreitenden Angaben Anlass gegeben haben. Vermuthlich haben diese vielfachen Differenzen jedoch alle keinen morphologischen Werth, sondern sie sind wohl sammt und sonders auf die von Boll entdeckte physiologische Veränderlichkeit der Pigmentschnüre zurückzuführen. In Bezug auf diese haben wir folgende Thatsachen ermittelt. Bei Fröschen, welche kurz vor ihrer Tödtung längere Zeit sehr intensivem weissen Sonnenlichte ausgesetzt waren, erscheint an Osmium- präparaten die ganze Stäbchen- und Zapfenschicht bis zur Membrana limitans externa von Pigmentkörnern durchsetzt. Es lässt sich dies ebensowohl an solchen Präparaten wahrnehmen, wo die Pigmentzellen mit dem von ihnen bedeckten Abschnitte der Stäbchen- und Zapfen- schicht in situ erhalten geblieben sind (vgl. Taf. IV Fig. 8), wie auch in denjenigen Fällen, in denen die Elemente der Stäbchen- und Zapfen- schicht allein übrig geblieben und die Pismentepithelien von ihnen ab- gefallen sind (vgl. Taf. IV Fig. 10). Die Pigmentirung ist am stärksten und fast vollkommen gleichmässig intensiv in dem äusseren den Pig- mentepithelien zugekehrten Abschnitte der Stäbchenschicht, etwa bis zur unteren Grenze des oberen Drittel. Von dieser Grenze nach ab- wärts wird die Pigmentirung merklich lichter und nimmt die Anzahl der zwischen und auf den Aussengliedern der Stäbchen befindlichen Pigmentkörner erheblich ab. Diese Abnahme macht an der Grenze der Stäbchen-Aussenglieder noch grössere Fortschritte und in dem innersten nur noch die Innenglieder der Stäbchen und der Zapfen enthaltenden Abschnitte der Stäbchen- und Zapfenschicht sind die Pigmentkörner verhältnissmässig am seltensten; doch überziehen sie auch hier noch die Innenglieder der Stäbchen und auch die der Zapfen in deutlich nachweisbaren Längsreihen bis zur äusseren Grenze der Membrana limi- tans externa: über diese hinaus haben wir niemals auch nur ein einziges Pigmentkorn nachzuweisen vermocht. Entsprechend diesen Durchschnitts- bildern besitzen die aus derselben Retina isolirten Pigmentepithelien niemals farblose, sondern nur solche Fortsätze, die bis fast an ihr äusserstes freies Ende in regelmässigen und ziemlich engen Abständen längliche Pigmentkörner in ihrer Substanz eingebettet enthalten (vgl. Taf. IV Fig. 4). ‚Ganz ähnlich wie der oben beschriebene gestaltet sich der mikro- skopische Befund bei solchen Netzhäuten, welche vorher intra vitam einer anhaltenden und möglichst intensiven blauen Beleuchtung ausge- setzt waren: ja, es hat uns sogar scheinen wollen, als ob durch diese Methode eine sehr viel ausgiebigere Pigmentirung der Stäbchenschicht erzielt würde, als bei der selbst intensivsten Beleuchtung durch das 366 ÄARNALDO ANGELUCCT: unzerlegte weisse Sonnenlicht. Doch scheint uns der Gegenstand zu schwierig um über dieses Mehr oder Minder jetzt schon eine bestimmte Entscheidung treffen zu wollen. Von den oben beschriebenen Bildern, welche man nach der weissen oder blauen Beleuchtung erhält, sind diejenigen Präparate, die einer im Dunkeln verweilten Retina entnommen wurden, grundsätzlich verschieden. An optischen Durchschnitten der Stäbchenschicht mit den oder ohne die, den Stäbchenenden aufsitzenden Pigmentepithelien erscheint stets nur der äussere Abschnitt, niemals aber die ganze Dicke der Stähchen- schicht pigmentirt (vgl. Taf. IV Figg. 7 und 9). An diesen Präparaten bezeichnet die untere Grenze des oberen Drittels der Stäbchenlänge die- jenige Linie, welche von den Pigmentkörnern fast niemals überschritten wird. Entsprechend diesen Querschnittsbildern findet man an den durch Maceration aus einer derartigen Retina isolirten Pigmentepithelien die abwärts gerichteten Fortsätze fast stets nur in dem oberen Drittel ihres Verlaufes pigmenthaltig, während ihre unteren Abschnitte entweder ganz farblos bleiben oder doch nur wie ausnahmsweise einzelne versprengte Pisgmentkörner enthalten (vgl. Taf. IV Figg. 2 und 3). Diejenigen Netzhäute, welche anstatt in der Dunkelheit in einer möglichst intensiven rothen Beleuchtung verweilt hatten, verhalten sich in Bezug auf die Vertheilung der Pismentkörner gerade so wie die Netzhäute der Dunkelfrösche; wenigstens hat die genaueste mikroskopi- sche Untersuchung auch nicht einmal einen quantitativen Unterschied in der Pigmentirung nachzuweisen vermocht, welcher der Verschieden- heit der beiden von uns angewandten physiologischen Behandlungsweisen entsprochen hätte. Auch bei den im rothen Lichte aufbewahrten Fröschen erstreckt sich die Pigmentirung der von ihren Epithelzellen ausgehenden Fortsätze gerade genau so weit wie bei den Dunkelfröschen, nämlich bis an die untere Grenze des oberen Drittels der Stäbchenschicht, welche Linie sie gleichfalls nie überschreitet. Die Zeitgrössen, welche für die oben beschriebenen physiologischen Veränderungen in Betracht kommen, sind identisch mit denen, welche Boll! für die entsprechenden physiologischen Veränderungen des Seh- rothes ermittelt hat. Um eine Pigmentirung der Retina bis zur Mem- brana limitans externa hervorzubringen, genügt eine intensive Beleuch- tung von im Durchschnitte 10—15 Minuten, d. h. dieselbe Zeit, welche das in der Retina eines Dunkelfrosches aufgespeicherte Sehroth zum Verschwinden bringt. Um die so entstandene Veränderung wieder zu- rückzubilden und die unteren beiden Drittel der Stäbchenschicht wieder UNION, HISTIOLOG. ÜNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S. w. 367 pigmentfrei zu machen, ist ein ebenso langer Aufenthalt der Retina in der Dunkelheit nothwendig, wie zur physiologischen Regeneration des Sehrothes, d. h. 1'/,—2 Stunden. Beide durch die Lichteinwirkung be- dingten physiologischen Vorgänge: die Zerstörung des Sehrothes und die Pigmentirung der Stäbchenschicht und ebenso der Rückzug des Pig- mentes und die Regeneration des Sehrothes fallen also zeitlich ganz genau zusammen. Sehr wichtig für die Physiologie des Sehrothes erscheint uns end- lich die von uns in einer besonderen Versuchsreihe festgestellte That- sache, dass diese physiologische Reaction der Pigmentzellen auf das Lieht durch die Durchschneidung des Sehnerven in keiner Weise be- einträchtigt wird. Noch 380 Tage nach dieser Operation haben wir die physiologischen Veränderungen in der Pigmentirung ebenso gut consta- tiren können, wie in völlig normalen Augen. Es stimmt diese That- sache auf das Beste überein mit dem Ergebnisse einer anderen in unserem Laboratorium angestellten Versuchsreihe von Colasanti,! welcher gleich- falls längere Zeit nach der Durchschneidung des N. opticus noch die Regeneration des physiologisch verzehrten Sehrothes ganz ebenso wie in normalen Augen eintreten sah.? Die Frage, in welcher Weise man sich das Zustandekommen dieser Veränderungen in der Pigmentirung der Stäbchenschicht zu denken habe, ist ebenso interessant wie schwierig zu entscheiden. Soll man etwa ein beständiges Entstehen und Vergehen der Pigmentkörner in den Fortsätzen unter dem Einflusse des Lichtes und der Dunkelheit an- nehmen? Oder soll man nicht vielmehr an eine durch den physiolo- gischen Lichtreiz hervorgerufene Ortsveränderung, an ein Wandern der Pismentkörner denken, deren Quantität dabei als constant oder doch als nahezu constant vorauszusetzen wäre? Für uns hat einstweilen diese letztere Eventualität die bedeutend grössere innere Wahrscheinlichkeit. Aber wenn wir diese Idee verfolgen, stossen wir sofort auf neue Schwie- rigkeiten, so vor allen auf die Frage: Wie vollzieht sich dieses Wandern der Pigmentkörner? Ziehen die Zellen dabei nach Art der Amoeben ihre pigmentirten Fortsätze ganz aus der Stäbchenschicht heraus und 1 Atti dell’ Accademia medica di Roma. Anno III. 1877. Fasc. II. S. 47. ? Zur Methodik dieser Untersuchungen über die Pigmentirung-der Stäbchen- schicht wollen wir zu bemerken nicht unterlassen, dass wir unsere mikroskopischen Präparate stets nur aus einem sehr beschränkten centralen Bezirke des Augen- hintergrundes angefertigt haben. Für die Dunkelfrösche scheint die Beobachtung dieser Vorsichtsmassregel freilich unnöthig; sie ist es aber durchaus nicht bei den Lichtfröschen, bei welchen die als für sie charakteristisch beschriebene intensive Pigmentirung der Stäbchenschicht oft allein im Centrum, nicht aber an der Peri- pherie der Netzhaut deutlich nachzuweisen ist. 368 ÄRNALDO ANGELUCCT: an ihren Leib heran? Oder wandern die einzelnen Pigmentkörner, steigen sie herab und wieder herauf innerhalb der einzelnen Fortsätze ohne dass diese sich dabei verändern? Für die erste wie für die zweite dieser beiden Eventualitäten ist je ein Grund anzuführen. Die erste Möglich- keit würde sehr gut die grosse Leichtigkeit erklären, mit welcher sich bei im Dunkeln gehaltenen Thieren die Retina von ihrer Pigmentschicht im Zusammenhange abziehen und die Continuität beider Membranen ‚unterbrechen lässt. Für die zweite Möglichkeit liesse sich dagegen das bereits oben berichtete Resultat unserer mikroskopischen Untersuchung, der Nachweis der oft sehr langen unpigmentirten Spitzen an den Fort- sätzen der Dunkelfrösche anführen. Denn, so sehr wir auch darauf ge- achtet haben, vermochten wir ausser dem verschiedenen Pigmentgehalte andere Unterschiede an den Fortsätzen der Lichtfrösche und Dunkel- frösche nicht nachzuweisen: vielmehr erschienen uns die Fortsätze der letzteren stets verhältnissmässig ebenso zahlreich und ebenso lang wie die bis an ihr äusserstes freies Ende pigmentirten Fortsätze der Licht- frösche. Wäre dieses negative Resultat unserer vergleichenden Beob- achtungen wirklich ganz unanfechtbar, so würde dadurch die oben ge- stellte Frage in dem Sinne des alleinigen Wanderns der Pigmentkörner und der Unveränderlichkeit der Fortsätze gelöst sein, welche letzteren dementsprechend nicht als bewegliche Pseudopodien, sondern durchweg als physiologisch und morphologisch constante Gebilde angesehen wer- den müssten. | Hiermit wäre Alles erschöpft, was sich über den typischen Bau der Pigmentepithelien des Frosches und über die einzelnen Bestandtheile sagen lässt, die in die Zusammensetzung dieser höchst complicirten Elementarorganismen eingehen. Es bleibt noch übrig, der Verschieden- heiten Erwähnung zu thun, welche dieser Typus in den verschiedenen Regionen der Retina darbietet. Diese Verschiedenheiten sind übrigens nicht sehr gross und auch meist nur quantitativer Art. Die grössten Zellen, d. h. die grössten Sechsecke finden sich, wie Eingangs schon er- wähnt, in der Gegend des Netzhautäquators: hier sind die Zellen oft gross genug, um, wie schon Morano richtig geschätzt hat, 12 — 15 Stäbchenquerschnitte mit ihrer Fläche zu bedecken. Der Flächenaus- dehnung dieser Cylinderepithelien entspricht jedoch keineswegs ihre Entwickelung in der Längendimension; sie sind meist kurz und niedrig, besitzen auch nur eine sehr niedrige Protoplasmakuppe und einen gleich- falls sehr kurz abgestutzten Cuticulardeckel. Ganz im Gegensatze zu ihnen sind die kleinen Cylinderepithelien des Netzhautcentrums, von denen die kleinsten je nur ein einziges Stäbchen bedecken (Morano) in der Längendimension ganz ausserordentlich entwickelt. Die Höhe HisTIoLoG. ÜNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. Ss. w. 369 ihrer Protoplasmakuppe und dementsprechend auch des Cuticulardeckels übertrifft oft das Doppelte der am Netzhautäquator zu beobachtenden Dimensionen. Wie der intensivere physiologische Stoffverbrauch im Retinacentrum erwarten lässt, ist die Quantität des in diesen Zellen auf- gespeicherten regenerativen Materials sowohl von Oeltropfen wie von aleuronoiden Körnern eine sehr grosse, wenigstens verhältnissmässig ganz ausserordentlich viel ‚grösser als in den voluminöseren Epithelien des Netzhautäquators; namentlich die aleuronoiden Körner sind hier oft in solcher Masse vorhanden, dass sie den ganzen unterhalb des Cuti- culardeckels gelegenen Abschnitt der Protoplasmakuppe in Beschlag nehmen. Auch in Bezug auf die Pigmentkörner lässt sich zwischen .den Epithelien der Netzhautperipherie und denen des Centrums ein deutlicher Unterschied nachweisen: in den letzteren sind die Pigment- körner verhältnissmässig nicht so zahlreich wie in den ersteren und auch von einem deutlich lichteren Braun, während diejenigen des Netz- hautäquators fast als schwarz zu bezeichnen sind. Es ist dies eine sehr merkwürdige Beobachtung, da die Analogie der menschlichen Netzhaut mit ihrer ‚bedeutend intensiver pigmentirten Fovea centralis gerade das Gegentheil hätte erwarten lassen. Aus der Familie der ungeschwänzten Amphibien stand uns ausser der Rana esculenta kein anderer Repräsentant zur Untersuchung .der Pigmentschicht zu Gebote. Ebenso mussten wir uns aus der Familie der geschwänzten Amphibien nur mit einer einzigen Species, dem Triton eristatus, begnügen. Schon frühere Untersucher haben auf die — mikroskopisch gespro- chen — wahrhaft kolossalen Dimensionen hingewiesen, welche bei den geschwänzten viel mehr noch als bei den ungeschwänzten Amphibien die histiologischen Elemente der Stäbchen- und Zapfenschicht auszeichnen. Dasselbe, was von den Zapfen und Stäbchen gilt, haben wir in fast noch höherem Grade für die Pigmentepithelien bestätigt gefunden. In der Flächenansicht übertreffen die Dimensionen dieser fast durchweg regelmässig sechseckigen Epithelien die der entsprechenden Zellen beim Frosche um das Doppelte und selbst um das Dreifache (vgl. die Ab- bildungen Figg. 11. 14. 15). Weniger entwickelt sind diese Zellen je- doch in der Längendimension: die in der Abbildung Fig. 16 wieder- . gegebene Zelle war eine der höchsten, welche wir jemals aus der Retina _ von Triton isolirt haben. Die einzelnen Zellen stecken ganz ebenso wie beim. Frosch in dem Cuticular-Apparate der Lamina retieularis retinae Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 24 370 ARNALDO ANGELUCCT: und besitzen gleichfalls ihre besonderen Cuticularkappen: nur sind diese bei Triton sehr viel niedriger als beim Frosch und daher für gewöhn- lich sehr viel schwerer zu demonstriren. Bemerkenswerth ist die Leich- tigkeit, mit welcher an diesen Zellen ihre beiden Bestandtkeile: Proto- plasmakuppe ‘und Pigmentbasis sich von einander ablösen und völlig getrennt aus einander fallen; es geschieht dies sowohl bei der Unter- suchung im frischen Zustande, wie bei der Maceration in der verdünnten Chromsäure und ebenso auch bei der Erhärtung in der Osmiumsäure. So kommen Präparate zu Stande, wie die drei in den Figg. 11. 14. 15 abgebildeten, von denen die beiden ersten je eine Mosaik der Proto- plasmakuppen (Fig. 11 nach der Maceration in verdünnter Chromsäure; Fig. 14 nach Erhärtung in Osmiumsäure) darstellen, während die letz- tere Mosaik Fig. 15 (aus einer mit Osmium behandelten Retina isolirt) einzig und allein noch aus den Pigmentbasen besteht, von denen die Protoplasmakuppen abgefallen sind, Die Protoplasmakuppen bergen auch bei Triton ganz denselben In- halt wie beim Frosch. Der Kern ist sehr gross, fast stets wandständig und besitzt öfter als eines zwei Kernkörperchen. Die Oeltropfen sind ganz ausserordentlich zahlreich (in einzelnen Zellen haben wir deren bis 20 und darüber gezählt), dafür aber durchweg ‘nur sehr klein: solche die auch nur halb so gross wie der Kern sind, gehören schon zu den grössten Seltenheiten. Nur sehr vereinzelte Oeltropfen zeigen das schöne Goldgelb, welches für die Tropfen des Frosches so charakteristisch ist; die überwiegende Mehrzahl ist blass. citronengelb gefärbt und es kommen . selbst Tropfen vor, an denen das Auge gar keine oder doch nur einen ganz schwachen Schimmer gelber Farbe wahrzunehmen vermag, und die sich nur durch ihre vollkommene Kugelgestalt und ihren stärkeren Glanz von den aleuronoiden Körnern unterscheiden. Diese letzteren sind in jeder Zelle ungefähr in gleicher Anzahl vorhanden wie die Oeltropfen, mit denen sie auch die Dimensionen gemein haben (vgl. die Abbildung Fig. 12). Die feinsten von ihnen sind unmessbar fein, ebenso wie die feinsten Oeltropfen, sodass es im frischen Zustande manchmal nicht ganz leicht ist, die einen von den anderen zu unterscheiden. Besser gelingt diese Unterscheidung nach vorheriger Behandlung mit Osmiumsäure, welche die Oeltropfen dunkelbraun und die aleuronoiden Körner dagegen dunkelgrau oder schwarz färbt. In Bezug auf die topographische Ver- theilung dieser Einlagerungen lässt sich auch bei Triton dieselbe That- sache constatiren, auf welche wir schon beim Frosche aufmerksam ge- macht haben, dass nämlich die aleuronoiden Körner vorzugsweise den oberen Abschnitt der Protoplasmakuppen für sich in Anspruch nehmen, während die Oeltropfen mehr die Grenzregion zwischen Protoplasma- Hıstiouoe. ÜNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL UV. S.w. 371 kuppe und Pigmentbasis innehalten. Dies ist besonders deutlich an dem in Fig. 14 abgebildeten Osmiumpräparat wahrzunehmen, in welchem neben den Kernen allein die den oberen Theil der Protoplasmakuppen einnehmenden (dunkelgrau gefärbten) aleuronoiden Körner erhalten ge- blieben sind, während von den tiefer gelegenen Oeltropfen keine Spur mehr zu sehen ist. Die aus Osmiumpräparaten isolirten Pigmentbasen dieser Zellen erscheinen in der Flächenansicht fast stets von hellen Löchern durch- bohrt (vgl. die Abbildung Fig. 15). Jedes einzelne dieser Löcher ent- spricht einem herausgefallenen Stäbchenaussenglied und ersieht man aus ihrer Anzahl ganz unmittelbar die Anzahl der Stäbchen, welche die be- treffende sechseckige Zelle mit ihrer Fläche bedeckte. Die Fortsätze der Pigmentbasis reagiren auf Licht und Dunkelheit in ganz gleicher Weise \ wie beim Frosch. Aus der Classe der Reptilien haben wir nur solche Species unter- suchen können, bei denen allein Zapfen vorkommen, denen aber Stäbchen und mit diesen das Sehroth gänzlich fehlen: Testudo graeca und Lacerta agilis, muralis und viridis. Die Pigmentepithelien aller dieser Thiere zeigen in ihrem Baue durchweg eine sehr grosse Uebereinstimmung. Das System der Lamina reticularis retinae ist auch bei ihnen deutlich entwickelt, doch besitzen innerhalb dieser Classe die Cutieulardeckel nicht die ausgesprochene Kappenform wie beim Frosche, sondern be- decken ganz allein nur die freie Oberfläche und nicht auch die Seiten- ränder der Protoplasmakuppen. Die Protoplasmakuppen enthalten bei den untersuchten Arten den Kern, der ebenso wie bei dem Frosche stets nur einfach ‘vorhanden ist und immer nur ein einziges Kern- körperchen besitzt. Aleuronoide Körner und gelbe Tropfen kommen in dem Protoplasma dieser Zellen nicht vor; dagegen sind als ein wenn auch ineconstantes so doch recht häufiges Vorkommniss farblose: Fett- tropfen zu verzeichnen, die sich bei der Eidechse selten, sehr viel häufiger aber bei der Schildkröte vorfinden (vgl. die Abbildung Fig. 18). Ganz ebenso wie bei Triton zerfallen auch bei den Reptilien diese Zellen mit ganz besonderer Leichtigkeit in ihre beiden Theile, Protoplasmakuppe und Pigmentbasis, und gelingt es namentlich in Osmiumpräparaten nur sehr selten die ganzen Zellen zu isoliren; sie erscheinen dann als regelmässige Cylinder, bedeckt von einer ziemlich starken Cuticularmembran. In der ziemlich hohen gleichmässig grau gefärbten Protoplasmakuppe ist bei dieser Behandlungsmethode ein Kern meist nicht wahrzunehmen (vgl, die Abbildung Fig. 17, von der Schildkröte). Die Pigmentbasen mit ihren Fortsätzen bieten durchweg ein sehr regelmässiges und zierliches Aussehen. Ihre Pigmentkörner haben die Form feiner Nadeln und sind 24* a ARNALDO ANGELUCCT: mit ihren Längsaxen alle der Längsaxe der Cylinderzelle' parallel ge- richtet. Von der Fläche gesehen erscheinen die isolirten Pigmentbasen, in ganz ähnlicher Weise wie die oben beschriebenen von Triton, als von hellen unregelmässigen Lücken durchbrochene Pigmentnetze. Diese Lücken, welche bei Triton durch die herausgefallenen Stäbchenaussen- glieder verursacht werden, entsprechen bei den Reptilien, welchen die Stäbchen fehlen, den herausgefallenen Zapfen. In dem in der Abblidung Fig. 19 wiedergegebenen Präparate kommen etwa 40 Zapfen auf die Fläche je einer Pigmentzelle. Die Frage, ob auch in der Retina der Reptilien die Pigmentkörner physiologische Ortsveränderungen vornehmen, ob sie in Folge der Be- liehtung gegen die Membrana limitans externa vorrücken und sich unter dem Einflusse der Dunkelheit von ihr wieder zurückziehen, haben wir leider mit Sicherheit nicht entscheiden können. Die Schildkröte eignet sich ihrer grossen Lichtscheue wegen gar nicht zu derartigen Versuchen, die wir daher allein an der Eidechse angestellt haben und die wir leider unterbrechen mussten, ehe die Untersuchung uns ein ganz be- stimmtes Resultat ergeben hatte. Wir haben bei Lacerta die Zapfen- schicht immer recht stark pigmentirt gefunden, sowohl in solchen Augen, die in anhaltender Dunkelheit, als auch in solchen, die lange im inten- . siven Lichte verweilt hatten; ob aber die Pigmentirung in den beiden physiologisch entgegengesetzten Fällen wirklich gleichmässig intensiv war, ob sie sich wirklich gleichmässig weit zwischen die Zapfen hinein erstreckte — das zu entscheiden waren unsere wenigen Versuche leider nicht ausreichend. Nur so viel können wir jetzt aussagen, dass in der Zapfenschicht der Eidechse die physiologische Pigmentwanderung, wenn sie dort überhaupt vorkommt, sehr viel weniger merklich ist als in der Stäbchenschieht der Amphibien. Wie in so vielen anderen histiologischen Structureigenthümlich- keiten schliessen sich auch im Bau des Pigmentepithels die Vögel aufs Innigste an die Reptilien an. Auch bei den Vögeln findet sich ganz dieselbe bei den Reptilien bereits beschriebene Abart der Lamina reti- cularis retinae, welche keine eigentlichen tiefer hinabgreifenden Kappen, sondern nur ganz flache Cuticulardeckel über der Oberfläche der einzelnen Zellen ausbildet. Auch scheint die so charakteristische spitze Nadel- form der Pigmentkörner für die Classe der Vögel ebenso sehr Regel zu sein, wie für die der Reptilien. Die einzigen erwähnenswerthen Besonderheiten, welche das Pigment- epithel der Vögel vor dem der oben beschriebenenen stäbchenlosen Reptilien auszeichnen, scheinen ganz sicher mit der Anwesenheit der Stäbchen in der Retina der Vögel in einem sehr interessanten HıisTIoLoG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S.w. 373 morphologischen Zusammenhange zu stehen. Dieser Zusammenhang lässt sich dahin aussprechen, dass dort, wo die Pigmentepithelien bloss Zapfen unter sich haben, ihren Protoplasmakuppen die specifischen Einlagerungen (Oeltropfen und Aleuronoidkörner) fehlen, welche wir oben so ausführ- lich beschrieben und als regeneratives Material für den physiologischen Stoffverbrauch in der Stäbchen- und Zapfenschieht in Anspruch genom- men haben; dass diese specifischen Einlagerungen innerhalb der Zellen aber stets dann nachweisbar sind, sobald diese ausser den Zapfen auch noch Sehroth führende Stäbchenaussenglieder bedecken. Mit Rücksicht auf dieses Verhältniss war uns das Studium der Eulenretina vor allem wichtig. Die Eulen nehmen bekanntlich unter den Vögeln eine Sonder- stellung in der Weise ein, dass bei ihnen die sonst im Aufbau der Vogelretina entschieden die Hauptrolle spielenden Zapfen fast völlig zurücktreten vor der kolossalen Entwickelung der äusserst intensiv und wie es uns hat scheinen wollen ganz besonders dauerhaft sehrothen Stäbchenaussenglieder. Nicht nur dass hier die Zapfen wenig zahlreich und mit den Stäbchen verglichen sehr klein sind: sie haben auch noch die weitere ganz besonders charakteristische Eigenthümlichkeit, dass die in ihrem Inneren an der Grenze von Innen- und Aussenglied eingelagerten Luteintropfen (Oeltropfen) niemals (?) die lebhafte rubinrothe oder gold- gelbe Farbe zeigen, wie bei den anderen Vögeln, sondern alle (?) nur ganz matt blassgelb gefärbt oder gar ganz farblos sind. Wendet man sich aber von der Zapfen- und Stäbchenschicht zu der Untersuchung der Pigmentepithelmembran, so findet man in ihr, eingebettet in die Protoplasmakuppen der einzelnen Cylinderzellen die goldgelben Tropfen wieder, ‚die man in der Zapfenschicht der Eulenvögel vermisst (vgl. die Abbildung Fig. 13). Ihre Anzahl ist innerhalb der einzelnen Pigment- epithelien, welche bei der Eule keineswegs von sehr beträchtlicher Grösse sind, eine sehr erhebliche und mag durchschnittlich wohl gerade die Mitte halten zwischen der in den grossen Pigmentepithelien von Triton und der in denen des Frosches enthaltenen Anzahl. Ihrer Grösse und mehr noch ihrer Farbe nach sind die einzelnen Oeltropfen der Eule mehr denen des Frosches als denen von Triton ähnlich; die meisten sind von ziemlich ansehnlicher Grösse und fast alle sind intensiv gold- selb und nur sehr vereinzelte blass eitronengelb gefärbt. Eigenthümlich ist ihre Neigung in grösserer Anzahl zu Conglomeraten zusammenzukleben, wovon wir weder bei Rana noch bei Triton jemals auch nur ein ein- ziges Beispiel constatiren konnten. Neben den Oeltropfen sind auch die aleuronoiden Körner in den Pigmentepithelien der Eule als constantes Vorkommniss vorkanden; sie sind durchweg fast noch zahlreicher und zum Theil von ebenso ansehnlicher. Grösse wie die Oeltropfen. Ganz 374 ÄRNALDO ANGELUCCI: wie bei Triton und bei Rana nehmen die aleuronoiden Körner den oberen, die Oeltropfen dagegen den unteren (der Pigmentbasis zuge- kehrten) Abschnitt der Protoplasmakuppe ein. Beide Materialien, sowohl die Oeltropfen wie die aleuronoiden Körner, sind in den hohen und schmalen Zellen des Netzhautcentrums sehr viel reichlicher vorhanden als in den breiteren aber niedrigeren Pigmentepithelien der retinalen Peripherie. Zu einer ganz ähnlichen, wenn auch sehr viel weniger eclatanten Wahrnehmung wie die Retina der Eule hat uns auch die Netzhaut der Taube Veranlassung gegeben. In dem Auge der Taube kommen merk- würdiger Weise neben sehr ausgedehnten stäbchenhaltigen und daher sehrothen Zonen scheinbar kaum minder ausgedehnte Regionen vor, wo die Stäbchen völlig fehlen und die Ausläufer der Pigmentzellen keine Aussenglieder von Stäbchen, sondern allein die der Zapfen zwischen sich aufnehmen. Fertigt man nach vorheriger Erhärtung der Retina in Os- miumsäure aus beiden verschiedenen Regionen der Netzhaut besondere _ Präparate an, in welchen die Pigmentzellen in situ und im Zusammen- hange mit den von ihnen bedeckten Elementen der Stäbchen- und Zapfenschicht erhalten sind, so wird man in denjenigen Präparaten, wo die Pigmentzellen allein mit Zapfen in Verbindung stehen, niemals auch nur eine Spur besonderer Einlagerungen innerhalb der Protoplasma- kuppen wahrnehmen (vgl. die Abbildung Fig. 21). Diese specifischen Ein- lagerungen fehlen den Protoplasmakuppen. dagegen niemals dort, wo die Ausläufer der Pigmentzellen Stäbchenaussenglieder zwischen sich fassen (vgl. die Abbildung Fig. 20). Aus diesen Osmiumpräparaten, in denen diese Einlagerungen als dunkle Kugeln oder Körner erscheinen, konnten wir bestimmte Aufschlüsse ‘über ihre Natur nicht gewinnen, und da es uns leider nicht mehr möglich war, diese Gebilde nachträglich noch einmal wieder im frischen Zustande aufzusuchen, so haben wir Positives über ihre Beschaffenheit nicht ermitteln können und müssen einstweilen die Frage offen lassen; ob in ihnen echte luteinhaltige Oel- tropfen vorliegen, oder echte aleuronoide Körner oder noch etwas an- deres von diesen beiden Materialien Verschiedenes. In dieser Richtung bieten unsere Untersuchungen mithin eine sehr bedauerliche Lücke, die hoffentlich recht bald ausgefüllt werden wird. Bestimmtere Resultate haben wir glücklicher Weise in einer anderen Richtung: über das physiologische Wandern der Pigmentkörner in der Retina erzielt. Diese Wanderung scheint bei den Vögeln eine sehr an- sehnliche Rolle zu spielen und sind die durch sie bedingten beiden ver- schiedenen anatomischen Zustände sehr leicht schon makroskopisch zu unterscheiden. Bei der Präparation der Retina und der Pigmentschicht HısTIoLoG@. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. Ss. w. 375 drängen sie sich förmlich der Beobachtung auf, indem der vorher be- lichteten Retina stets grössere Fetzen der Pigmentschicht untrennbar anhaften, während die Trennung der beiden Membranen nach vorherigem Aufenthalte in der Dunkelheit stets leicht und glatt von Statten geht. ! Die mikroskopische Untersuchung dieser beiden verschiedenen Zustände der Netzhaut hat uns bei den Vögeln (Eule, Taube) ein nahezu gleiches Resultat ergeben wie beim Frosche. Nach vorherisem Aufenthalte in der Dunkelheit erscheint stets nur der äussere Saum der Stäbchen- und Zapfenschicht pigmentirt in einer Ausdehnung, welche ziemlich genau einem Drittel des Durchmessers der Stäbchen- und Zapfenschicht ent- spricht; die beiden inneren der Membrana limitans externa zugekehrten Drittel der Stäbehen- und Zapfenschicht bleiben dagegen völlig pigment- frei. Dagegen erstreckt sich nach vorhergegangener intensiver Beleuch- tung der Stäbchen- und Zapfenschicht die Pigmentinfiltration weit über ihr oberes Drittel hinaus; gewöhnlich setzt sie sich in gleichmässiger Intensität bis an die innere Grenze der Stäbchenaussenglieder fort und erstreckt sich in etwas verminderter Intensität zwischen den Stäbchen- innengliedern und den Zapfen dann noch weiter bis an die Membrana limitans externa. Ueber diese hinaus haben wir auch bei den Vögeln niemals auch nur ein einziges Pigmentkorn nachweisen können. Leider haben wir als wir diese Versuche über die Pigmentwande- rung bei den Vögeln anstellten, nicht besonders auf das Verhalten der stäbehenfreien und allein Zapfen enthaltenden Zone geachtet, welche sich in der Retina der Taube vorfindet und wissen wir daher nichts Be- stimmtes darüber auszusagen ob auch hier eine merkliche physiologische Verschiebung der Pismentkörner stattfindet oder nicht. Und doch hätte die Entscheidung gerade dieser Frage mit Rücksicht auf das oben be- richtete zweifelhafte Resultat über das Wandern der Pigmentkörner in der stäbchenfreien Zapfenschicht von Lacerta ein ganz besonderes Interesse geboten. Denn da wir dort ebensowenig wie in den stäbchen- freien Abschnitten der Taubenretina über diesen Punkt Gewissheit er- langen konnten, so muss es einstweilen zweifelhaft bleiben, ob das Wandern der Pismentkörner eine physiologische Eigenthümlichkeit aller Pismentepithelien ohne Ausnahme ist, oder ob sie nur solchen Zellen ! Vgl. hierzu die Angaben H. Müller’s über die Retina der Taube. „Auch der Grad der Festigkeit, mit welcher die Stäbehen zwischen den Pigmentscheiden haften, ist sehr verschieden, manchmal aber ziehen sich dieselben so rasch und leicht heraus, dass man kaum die Ueberzeugung gewinnen kann, ob wirklich an allen Stellen des Auges die Verbindung der Stäbchenschicht mit dem Pigmente eine gleich innige ist“. (H. Müller: Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie und Physiologie des Auges. I. 8. 79.) 376 ARNALDO ANGELUCCT: zukommt, deren Ausläufer Stäbchenaussenglieder zwischen sich fassen, während sie denjenigen Zellen abgeht, welche allein mit Zapfen in Ver- bindung stehen. Dass unter Umständen übrigens die Zapfenschicht der Taube an diesen Stellen gänzlich pigmentfrei sein kann, beweist unsere Abbildung Fig. 21, von der wir bei der Anfertigung leider anzumerken verabsäumt haben, ob sie nach einem aus einer beleuchteten oder im Dunkeln gehaltenen Retina entstammenden Präparate entworfen wurde. Die vorliegende Abbildung Fig. 21 wurde von uns schon vor längerer Zeit zu einem ganz besonderen Zwecke und noch ohne jede physiolo- gische Nebengedanken angefertigt. Sie war dazu bestimmt, eine ganz besondere morphologische Eigenthümlichkeit der Pigmentschicht zu er- läutern, welche so weit uns bekannt, noch von Niemand genauer be- schrieben wurde und welche wir als die „staffelförmige Verschiebung der Pigmentzellen“ bezeichnen wollen." Diese „Verschiebung“, von der sich übrigens schon bei den Amphibien schwache Spuren finden und die bei den Reptilien oft schon recht stark ausgeprägt erscheint, erreicht ihren höchsten Grad doch erst innerhalb der Classe der Vögel und wird sie daher hier am passendsten abgehandelt. Sie ist eine locale Eigen- thümlichkeit der corneawärts vom Netzhautäquator gelegenen Retina- partien: hier verwandelt sich die Axe der einzelnen Cylinderepithelien, die wir bisher als eine rein verticale angenommen haben, in eine schräg geneigte und die Pigmentzellen werden aus rechtwinklisen schiefwink- lige sechsseitige Prismen. Die einzelnen Abschnitte der Zelle: Proto- plasmakuppe, Pismentbasis und die von ihr ausgehenden Fortsätze so- wie die zwischen diesen befindlichen Elemente der Stäbchen- und Zapfen- schicht bleiben nicht mehr in einer verticalen Linie übereinander stehen, sondern erscheinen staffelförmig übereinander verschoben. Diese merk- würdige Veränderung steht offenbar mit den dioptrischen Verhältnissen im engsten Zusammenhange, da sie ausschliesslich nur in jener Zone des Augenhintergrundes vorkommt, wo die aus dem hinteren Knoten- punkte des Auges austretenden Strahlen nur noch in sehr schräger Richtung auf die Retina auftreffen können. Für die Classe der Säugethiere wollen wir uns damit begnügen i Nach H. Müller (Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Anatomie und Physiologie des Auges. I. S. 78) hat v. Wittich (Zeitschrift für wissensch. Zoologie. Bd. IV. S. 458) bei Amphibien und Vögeln eine „wirbelförmige Anordnung der Pigmentzellen“ beschrieben. H. Müller glaubt, diese sei „durch Umlegen der Zellen nach verschiedenen Richtungen bedinst“. Da uns das Original der Arbeit v. Wittich’s nicht zugänglich war, haben wir nicht entscheiden können, ob seiner Beschreibung wirklich echte Präparate der von uns als „staffelförmige Verschie- bung“ beschriebenen Structureigenthümlichkeit des Pigmentepithels oder, wie H. Müller will, nur Kunstproduete zu Grunde gelegen haben. , * HiısTIOoLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S. w. 377 das Pigmentepithel derjenigen beiden Thiere zu beschreiben, welche wir allein wirklich genau untersuchen konnten. Diese beiden Thiere, das Kaninchen und der Ochse bieten in dem Baue ihrer Pigmentmembran so grosse und so charakteristische Unterschiede, dass man sie sehr wohl als Vertreter zweier grundverschiedener Typen betrachten könnte, nach denen sich innerhalb der Säugethierclasse das Pigmentepithel entwickelt hat. Mit dem Typus des Ochsen haben wir das Retinalepithel des - Schafes, des Hundes und der Katze (welche ebenso wie der Öchse auch ein Tapetum besitzen) wenigstens bei oberflächlicher Untersuchung nahe- zu übereinstimmend gefunden. Für den Typus des Kaninchens sind uns weitere Vertreter (die am wahrscheinlichsten wohl unter den licht- scheuen und eines Tapetums entbehrenden Nagethieren aufzufinden wären) bisher mit Sicherheit noch nicht bekannt geworden. Wie bei allen Wirbelthieren sind auch beim Kaninchen die ein- zelnen Epithelien in das Rahmenwerk der Lamina reticularis retinae eingelassen. Der Bau dieser Cutieularbildung schliesst sich beim Ka- ninchen (und bei den Säugethieren überhaupt: denn auch beim Ochsen haben wir das Gleiche constatirt) wieder ganz an den „Amphibientypus“ an, den wir beim Frosche so ausführlich beschrieben haben, d.h. es finden sich bei den Säugethieren wieder die längs der Seitenränder der Protoplasmakuppen hutartig herabsteigenden Cuticularkappen (vgl. die Abbildung Fig. 25b) und nicht mehr jene flachen Deckel, wie sie bei den Reptilien und Vögeln das regelmässige Vorkommniss zu sein scheinen. Freilich steigen diese Kappen, bei aller Uebereinstimmung der Form, bei den Säugethieren niemals so tief herab wie die des Frosches und er- scheinen dabei durchweg erheblich flacher als diese — eine Thatsache, die indess nicht befremden kann, wenn man berücksichtigt, dass auch der Längsdurchmesser der einzelnen Cylinder des Retinalepithels bei den Säugethieren stets ganz ausserordentlich viel kürzer ist als beim Frosche. Sehr eigenthümlich und von allen bisher beschriebenen abweichend ! ist das Bild, welches das Retinalepithel des Kaninchens in der Flächen- ansicht darbietet (vgl. die Abbildungen Figg. 22.23 vom leukäthiopischen und Fig. 24 vom pigmentirten Kaninchen). Von der regelmässigen An- ordnung gleichartiger sechsseitiger Zellen ist hier nichts mehr wahrzu- nehmen und besteht die Epithelmosaik des Kaninchens durchweg aus ungleichartigen sowohl an Grösse wie an Seitenzahl und Form verschie- 1 Die ersten Angaben über die Eigenthümlichkeiten der Pigmentschicht des Kaninchens finden sich bei H. Müller: „Bei Kaninchen enthalten die Chorioidal- zellen ein oder einige Fetttröpfehen und bei den Albinos geben jene Zellen, welche von sehr ungleicher Grösse sind und nicht selten zwei Kerne enthalten, ein sehr zierliches Bild“ (A. a. O. 8. 86). 378 ARNALDO ANGELUCCT: denen Zellen, welche auf den ersten Blick ganz regellos durcheinander gewürfelt erscheinen. Bei genauerem Studium wird man jedoch bald auf eine gewisse Gesetzmässigkeit aufmerksam, die in dieser scheinbar ganz willkürlichen Unordnung waltet: man erkennt erstens, dass hier zwei verschiedene Zellformen vorliegen, zwischen denen Uebergänge wie es scheint nicht vorkommen, nämlich grosse Zellen mit zwei Kernen, von denen jeder ein Kernkörperchen besitzt, und kleine Zellen, deren Dimensionen fast genau die Hälfte der ersteren betragen und die stets nur einen einfachen Kern besitzen. Ferner gewahrt man, dass diese beiden Zellenarten nach einem gewissen Systeme zu einander gruppirt sind, in der Weise nämlich, dass ausschliessliche Anhäufungen der ersten oder der zweiten Zellenart grundsätzlich vermieden und die beiden Zellenformen derart untereinander vertheilt sind, dass die grossen Zellen niemals nur grosse Zellen zu Nachbarn haben, sondern meist’von kleinen Zellen umgeben sind, während ihrerseits die kleinen Zellen niemals allein an andere kleine Zellen, sondern stets auch an grosse Zellen. angrenzen. Auf diese Weise findet in der Mosaik eine beständige Abwechselung der beiden Zellenformen untereinander statt. Es findet sich diese interessante Structur sowohl bei pigmentirten wie bei albinotischen Kaninchen und ebenso bei ganz jungen wie bei vollkommen ausgewachsenen Individuen. Auch scheint sie über die ganze Retina gleichmässig verbreitet zu sein, denn wir fanden sie sowohl im Aequator des Auges wie in den mehr centralen Partien, wobei wir freilich die Möglichkeit, ob nicht vielleicht im eigentlichen Netzhautcentrum an der Stelle des deutlichsten Sehens eine andere mehr gleichartige Anordnung der Pigmentepithelien existire, ausdrücklich offen halten müssen. Abgesehen von den durch die verschiedenen Dimensionen und die einfach oder doppelt vorhandenen Kerne bedingten Unterschiede sind die grossen und die kleinen Zellen der Kaninchenretina sonst vollkommen gleichartig gebaut (vgl. die Abbildung Fig. 25). Sie besitzen auch hier wie in den übrigen Wirbelthierclassen eine Protoplasmakuppe, in welcher der Kern gelegen ist und eine (beim leukäthiopischen Kaninchen natür- lich pigmentlose) Pigmentbasis. Neben dem einfach oder doppelt vorhandenen Kerne finden sich innerhalb der Protoplasmakuppe als constantes Vorkommniss die „Oel- tropfen“. In jeder einzelnen Zelle sind deren meist mehrere vorhanden, von denen die grössten nicht selten den Durchmesser der Kerne über- treffen. Ob sie Lutein enthalten, haben wir mit Sicherheit nicht ent- scheiden können. Dem Auge erscheinen sie entweder ganz farblos oder nur sehr blass gelblich gefärbt. Bei Zusatz von concentrirter Schwefel- säure geht diese blasse Nuance in eine ebenso blasse bläulich-grüne Hi1sSTIOLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL Tv. S. w. 379 Färbung über. Dieser Farbenwechsel ist aber zu unbestimmt, als dass wir daraus mit Bestimmtheit auf die Anwesenheit von Lutein zu schliessen uns getrauten. Jedenfalls ist diese Substanz, wenn überhaupt nur in ganz in geringen Quantitäten innerhalb der Oelkugeln des Ka- ninchens vorhanden. Gelegentlich des Studiums der Pismentbasis und der von ihr aus- gehenden Fortsätze hat uns vor allem die eine praktisch (mit Rück- sicht auf die Pathologie der Netzhautablösung) wie theoretisch gleich bedeutsame Frage beschäftigt, wie es zugehen mag, dass bei den Säuge- thieren und beim Menschen der Zusammenhang der Pigmentmembran mit der Stäbehen- und Zapfenschicht ein so sehr viel wenig inniger, ihre Cohäsion eine so sehr viel lockere ist, wie bei allen bisher betrach- teten Wirbelthierclassen. Dieser Unterschied fällt ganz besonders bei der makroskopischen anatomischen Präparation ins Auge. Für die Am- phibien, Reptilien und Vögel lässt sich die Regel aussprechen, dass bei der Präparation vollkommen frischer Augen (von denen in dieser Frage selbstverständlich nur allein die Rede sein kann) die Pigmentschicht entweder ganz und gar oder doch in grösserer Ausdehnung der Retina anhaftet, wenn das Auge vorher dem Lichte ausgesetzt war; war das Auge vorher in der Dunkelheit gehalten worden, so bleibt allerdings bei der Präparation der Retina vielfach die Pigmentschicht in grösserer Ausdehnung im Augengrunde auf der Chorioides liegen aber niemals ganz; fast ebenso grosse oder doch nur wenig kleinere Fetzen, wie die, welche auf der Chorioides liegen bleiben, folgen auch jetzt noch der Retina. Umgekehrt ist es eine altbekannte Thatsache, dass bei den Säugethieren und beim Menschen das Pigmentepithel unter allen Um- ständen nur eine sehr geringe Cohäsion mit der Retina besitzt und bei der Präparation der Retina fast stets und ganz und gar auf der Chorioi- des zurückbleibt.'" Die fast absolute Constanz dieses Befundes erklärt es vollkommen, wenn noch bis ganz vor Kurzem, d. h.: bis zur Ergrün- dung der wahren entwickelungsgeschichtlichen Beziehungen, das den - meisten Anatomen nur aus den Augen des Menschen und der Säuge- thiere bekannte Pigmentepithel vollkommen einstimmig der Chorioides, der man es stets anhaftend fand, zugewiesen wurde und nicht der Retina, mit weleher es niemals im Zusammenhange präparirt werden konnte. Was wir zu dieser Frage Thatsächliches ermitteln konnten, ist Fol- 1 Im Gegensatze zu dieser allgemeinen Regel erwähnt H. Müller die „be- kannte Erscheinung“, dass am gelben Fleck das Pigmentepithel der Retina stärker anhaftet. Ausser beim Menschen fand H. Müller dies auch bei einem Affen (Cebus capueinus). (H. Müller’s Gesammelte und hinterlassene Schriften zur Ana- tomie und Physiologie des Auges. I. S. 140.) 380 ARNALDO ANGELUCCT: gendes. Morphologisch besteht bei den Säugethieren ganz dieselbe Art und Weise des Zusammenhanges zwischen dem Pigmentepithel und der Stäbchen- und Zapfenschicht wie bei den zuerst betrachteten Wirbel- thierclassen. Entsprechend der grossen Feinheit der Stäbchen und Zapfen bei den Säugethieren bedeckt jede einzelne Pigmentzelle meist eine grössere Schaar dieser Elemente. Wie Fig. 24 zeigt kommen auf die Fläche einer kleineren Pigmentzelle des Kaninchens etwa 8—-10 Zapfen, auf die grösseren Zellen nahezu genau das doppelte, nämlich 16—20 Zapfen. Die Anzahl der von einer einzelnen Zelle bedeckten Stäbchen dürfte nach unserer Schätzung für die kleinen Zellen etwa 40—50, für die grösseren bis 100 betragen. Anatomisch besteht für alle diese Elemente zu der sie überlagernden Pigmentzelle genau das- selbe Verhältniss, welches wir für die bisher besprochenen Wirbelthier- classen vorgefunden haben. Sowohl die Zapfen wie die Stäbchen stossen mit ihren freien Enden an die untere Fläche der Pigmentbasis an, welche ihrerseits ganz ebenso wie bei den Amphibien, Reptilien und Vögeln Fortsätze in die freien Zwischenräume zwischen den Stäbchen und den Zapfen hinabsendet. Diese Fortsätze reichen auch bei den Säugethieren gerade genau so weit, wie bei den anderen Wirbelthierclassen, d.h. bis an die Membrana limitans externa. Entsprechend der geringen Länge der Stäbchen und Zapfen bei den Säugethieren sind auch sie nur sehr kurz, so dass sie, wenn in dem Präparate die Zelle auch nur etwas schräg geneigt ist, meist verdeckt bleiben und nur bei einer ganz reinen Profilansicht der Zelle zur Anschauung gelangen können. Ebenso wie morphologisch scheint auch in physiologischer Beziehung zwischen den Zellenfortsätzen der Säugethiere und denen der übrigen Wirbelthiere eine vollständige Uebereinstimmung zu herrschen. Wir haben beim pigmentirten Kaninchen mehrfach die Netzhäute beleuchteter und unbeleuchteter Augen mit einander verglichen. In beiden Fällen fand allerdings bei der Präparation wie es uns schien mit gleichmässiger ‚Leichtigkeit und Vollständigkeit eine Continuitätstrennung zwischen Stäbehenschicht und Pigmentmembran statt, welche letztere als zu- sammenhängende Haut auf der Chorioides zurückblieb. Dagegen ergab die mikroskopische Untersuchung beider Augen sehr bemerkenswerthe und der verschiedenen physiologischen Behandlung entsprechende Unter- schiede. In dem beleuchteten Auge war die Stäbchenschicht von Pig- metkörnchen durchsetzt und an vielen Stellen unregelmässig zerfetzt und zerrissen. Entsprechend diesen Defeeten ergab die mikroskopische Unter- suchung der inneren Oberfläche der Pigmentmembran, dass auf dieser sehr zahlreiche Aussenglieder ja ganze Conglomerate von diesen zurück- geblieben waren. Die Continuitätstrennung war also in diesem Falle HisTIOLOG. ÜNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL UT. Ss. w. 381 streng genommen nicht eigentlich zwischen Pigmentmembran und Stäb- chenschicht, sondern in der Dicke der eigentlichen Stäbchenschicht selber erfolet.! Im Gegensatze hierzu waren in dem unbeleuchteten Auge weder in der Stäbchenschicht Pigmentkörnchen noch auf der inneren Oberfläche der Pigmentmembran Stäbehentrümmer nachzuweisen. Hier hatte sich die Continuitätstrennung ganz glatt und rein in der Grenz- linie von‘ Pigmentmembran und Stäbchenschicht vollzogen. Derselbe Unterschied in dem Modus der Continuitätstrennung ist übrigens auch beim leukäthiopischen Kaninchen deutlich nachzuweisen. Man vergleiche dazu die beiden Abbildungen Fig. 22 und 23, von denen die erstere von einer im Dunkeln gehaltenen, die zweite von einer beleuchteten Retina herrührt. Im letzteren Falle sieht man die Flächen der Epithelzellen mit zahlreichen tiefschwarzen Punkten besetzt, die nichts anderes sind als die optischen Querschnitte von mit Osmiumsäure gefärbten Stäbchen, welche bei der Trennung beider Membranen an der Epithelmembran haften geblieben sind. An Präparaten, welche von im Dunkeln gehal- tenen Augen angefertigt wurden (vgl. die Abbildung Fig. 22), wird man vergebens nach diesen Stäbchenquerschnitten suchen, weil in diesem physiologischen Zustande die Continuitätstrennung sich niemals auf Kosten der Integrität der Stäbchenschicht vollzieht, sondern genau in der Grenzlinie der beiden Membranen erfolgt. Alle diese einzelnen Befunde werden in ihrer Gesammtheit wohl allgemein als ausreichend acceptirt werden für den Beweis der Thatsache, dass auch bei dem Kaninchen ganz wie bei den anderen Wirbelthieren der Zusammenhang zwischen der Pigmentmembran und der Stäbchen- schicht einem physiologischen Wechsel unterworfen ist und dass er sich nach vorhergegangener Beleuchtung inniger und sehr viel weniger leicht löslich gestaltet als nach vorherigem Aufenthalte in der Dunkelheit. Immerhin ist und bieibt aber dieser Zusammenhang — selbst nach vor- hergegangener intensivster Beleuchtung — bei dem Kaninchen doch stets nur ein sehr lockerer und ist es unleugbare Thatsache, dass in dieser Beziehung zwischen den Säugethieren einerseits und der Gesammt- heit der übrigen stäbchenführenden Wirbelthiere ein ausserordentlich 1 Vgl. hierzu die Bemerkungen H. Müller’s über die Retina der Säuge- thiere: „An frischen Augen bleibt bekanntlich, wenn man die Retina von der Chorioidea ablöst, mitunter ein grosser Theil der Stäbehenschicht mit dem Pigment in Verbindung und zeigt ‘sich später als ein blasses Häutehen. Namentlich ge- schieht dies leicht mit der äusseren Hälfte der Schicht, während andere Male die Zapfen fast allein der Retina folgen. An einem ganz frischen Pferdeauge habe ich die Stäbchen so fest an der Pismenthaut haftend gefunden, dass sie eine Schicht bildeten, welche sich mit jener falten und in Stücke reissen liess“ (A. a. ©. S. 86). 382 ÄARNALDO ANGELUCCT: erheblicher Unterschied bestehen bleibt. Eine befriedigende Erklärung für diesen Unterschied haben wir bisher vergebens gesucht: denn wir müssen gestehen, dass uns die aus den bisjetzt bekannten anatomi- schen Thatsachen abzuleitenden Ursachen, als da sind die geringe Länge der Stäbehen und der Ausläufer der Pigmentzellen, die grosse Feinheit und die dadurch wahrscheinlich bedingte leichtere Zersetzlichkeit der Stäbchenaussenglieder zur Begründung dieses Unterschiedes nur theil- weise genügen wollen. Offenbar liegen diesem Unterschiede noch andere anatomische Verhältnisse zu Grunde, die bisher noch nicht bekannt sind. So z. B. wäre es sehr wohl möglich, dass in der Classe der Säugethiere besondere anatomische Vorrichtungen existirten, durch welche die Pig- mentmembran fester an ihre Unterlage, die Chorioides, angeheftet würde, _ als dies in den übrigen Wirbelthierclassen der Fall ist. Obgleich wir bei keinem der anderen oben erwähnten grösseren Säugethiere Gelegenheit gehabt haben, das Verhalten der Pigmentmem- bran zur Stäbchenschicht unter verschiedenen genau bestimmten physio- logischen Verhältnissen zu studiren, möchten wir es doch als sehr wahr- scheinlich bezeichnen, dass auch bei ihnen dieselben Beziehungen zwi- schen dem anatomischen Befunde und den physiologischen Zuständen existiren, wie wir sie für die Retina des Kaninchens nachgewiesen haben; denn gerade in dem Baue der Pigmentbasis und der von dieser ausgehenden Fortsätze stimmen die genannten Säugethiere ganz voll- kommen mit dem Kaninchen überein, während die bedeutsamen Structur- unterschiede, von denen oben die Rede war, sich ausschliesslich in an- derer Richtung geltend machen, nämlich mit Rücksicht auf die Form und Anordnung der Zellen und auf den Inhalt der Protoplasmakuppe. Ebenso wie man Behufs einer ersten und bequemen Orientirung über den Bau des Pigmentepithels einem leukäthiopischen Kaninchen vor einem pigmentirten den Vorzug geben wird, wird man gut thun bei der Untersuchung des Pigmentepithels des Ochsen gleichfalls mit der nicht pigmentirten Zone zu beginnen, welche der mit einem Tape- tum belegten Region des Chorioides entspricht. Bei der ersten Unter- suchung erkennt man, dass hier in der Anordnung der Mosaik und in der Form der einzelnen Zellen ein von dem des Kaninchen sehr ver- schiedener Typus vorliegt. Alle Zellen besitzen nur einen einzigen Kern und sind von nahezu gleicher Form und Grösse. Im Allgemeinen stellen sie mehr oder minder regelmässige Sechsecke dar, neben welchen jedoch auch andere Polygone ein keineswegs seltenes Vorkommniss sind. Die Form der einzelnen Cylinderepithelien betreffend, so lässt sich leicht constatiren, dass sie durchweg nicht unerheblich höher sind als die sehr flachen Zellen des Kaninchens. Diese Differenz in der Höhe HisTIOLO@. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S. w. 383 kommt nur zum geringen Theile der Pigmentbasis und ganz überwiegend der Protoplasmakuppe zu Gute. Diese enthält ausser dem stets nur ein- fach vorhandenen Kerne aufgespeichertes Material in einer Form, die von den beim Kaninchen vorkommenden grossen Oeltropfen sehr erheb- lich abweicht. In jeder Zelle finden sich 4—8 runde, scheinbar solide Körner, die stets kleiner sind als der Kern, von mehr oder minder dun- kel olivenbrauner oder braunröthlicher Farbe. Diese Körner lassen sich natürlich. in den farblosen Zellen der mit Tapetum belegten Zone am leichtesten nachweisen (vgl. die Abbildung Fig. 26). Auch in denjenigen nur leicht pigmentirten Zellen des Retinalepithels, welche der schmalen Uebergangszone zwischen Tapetum und pigmentirter Chorioides ent- sprechen, sind diese Kügelchen auch neben den fast gleichgefärbten Pigmentkörnern noch ohne Schwierigkeit zu erkennen, von welchen letzteren sie durch ihre Form und Grösse deutlich zu unterscheiden sind (vgl. die Abbildung Fig. 27). Sehr schwer gelingt dagegen ihre ration in den wirklichen Pigmentepithelien, wo die grosse Masse der/ angehäuften Pismentkörner sie fast stets vollkommen verdeckt. __Dennoch sind sie ein constanter Bestandtheil auch dieser Zellen und er- scheinen stets deutlich erkennbar zwischen den Pigmentkörnern, sobald es z.B. durch Druck auf das Deckgläschen gelingt, den dieken Pigment- klumpen zu einer dünnen Ausbreitung auseinanderzutreiben. Ueber die chemische Zusammensetzung dieser interessanten Gebilde, ob sie etwa Fett und Lutein enthalten, wie die Oelkugeln, darüber haben wir bisher Bestimmtes nicht ermitteln können. Nach diesem bliebe uns noch der Bau des Pigmentepithels der Classe der Fische zu erörtern, innerhalb welcher, wie zum Theil schon in den älteren Arbeiten von Hannover und Heinr. Müller hervor- : gehoben wird, ‚zahlreiche höchst merkwürdige und physiologisch sehr bedeutsame Structureigenthümlichkeiten vorkommen. Leider haben unsere auf diese Wirbelthierelasse bezüglichen ziemlich umfangreichen Unter- suchungen in so vielen einzelnen und mitunter gerade den physiologisch wichtigsten Fragen unvollständig bleiben müssen, dass wir uns zu ihrer ‚Veröffentlichung jetzt noch nicht entschliessen können. Wir selber sind uns am schmerzlichsten der auf den letzten Seiten dieser Arbeit nur allzu zahlreich wiederkehrenden Fälle bewusst, in denen wir wider- strebend die halben Ergebnisse unvollständiger Untersuchungen mit- 1 Schon H. Müller thut gelegentlich dieser Gebilde Erwähnung: „Die Zellen (d. h. des Chorioidalepithels eines abnormen Ochsenauges) enthielten gelbröthliche oder bräunliche Tröpfchen und Klümpchen, welche zum Theil fettähnlich erscheinen, aber doch wohl pigmentartiger Natur waren. Solche Körperchen fielen mir in Ochsenaugen auch sonst öfters auf“ (A. a. O. S. 136). 384 ARNALDO ANGELUCCT: theilen mussten: Beobachtungen und Versuche, die durch weiter fort- gesetzte Arbeit noch sehr wohl gründlicher zu vertiefen gewesen wären, die aber aus dem Eingangs dieser Abhandlung erwähnten rein äusser- lichen Grunde wir unfertig liegen zu lassen gezwungen wurden. Wir fühlen, dass in dieser Beziehung auf den vorliegenden Blättern von uns schon genug und übergenug gesündigt wurde, als dass wir die Geduld unserer Leser noch weiter in ähnlicher Welse auf die Probe stellen dürften. Wir behalten uns daher vor, auf das Pigmentepithel der Fische noch in einer besonderen Arbeit zurückzukommen. Rom, 3. Mai 1878. Erklärung der Tafeln. Sämmtliche Abbildungen sind bei einer Vergrösserung von Hartnack IX & l’immersion, 2 gezeichnet worden. Tafel IV. Fig. 1. Rana esculenta. — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Chrom- säure. Flächenansicht des Pigmentepithels von der Chorioidalseite. An den Rän- dern der Figur sind die Epithelien aus den Rahmen der Membrana reticularis retinae herausgefallen und die letzteren allein übrig geblieben. Fig. 2. Rana esculenta (Dunkelfrosch). — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Osmiumsäure. Sechs einzelne isolirte Pigmentepithelien a, db, ce aus dem Centrum der Retina; d eine vermittelnde Uebergangsform; e, f von der Peri- pherie der Netzhaut. Fig. 3. Rana esculenta (Dunkelfrosch). — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Osmiumsäure. Eine zusammenhängende Reihe von fünf Pigment- epithelien aus dem Centrum der Netzhaut. Beachtenswerth ist die regelmässige Anordnung der aleuronoiden Körner in dem obersten Abschnitte der Protoplasma- kuppe. R Fig. 4. Rana esculenta (Lichtfrosch). — Nach vorheriger Maceration in ver- dünnter Osmiumsäure. «a ein Paar zusammenhängender Pigmentepithelien aus dem Centrum der Netzhaut, 5 eine Pigmentzelle von der Peripherie der Netzhaut. Die Ausläufer sind bis an ihre äusserste freie Spitze pigmentirt. Fig. 5. RBana esculenta (Dunkelfrosch). — Frisch untersuchter Inhalt zweier Pigmentzellen. Bei a finden sich neben dem Kerne vier goldgelbe Oeltropfen und acht aleuronoide Körner, worunter ein grösseres; bei 5 finden sich neben dem Kerne zwei grosse und zwei kleine goldgelbe Oeltropfen und sieben aleuronoide Körner. Fig. 6. Rana esculenta (Lichtfrosch). — Frisch untersuchter Inhalt zweier Pigmentzellen. Bei a finden sich neben dem Kerne ein grosser blassgelber und HisTIOLOG. UNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHEL U. S. w. 385 drei goldgelbe Oeltropfen sowie sieben aleuronoide Körner; bei b finden sich neben dem Kerne ein blassgelber und vier goldgelbe. Oeltropfen sowie sechs aleuronoide Körner. Fig. 7. Rana esculenta (Dunkelfrosch). — Nach vorheriger Erhärtung in Os- miumsäure. Ein Stück der Stäbehen- und Zapfenschicht im natürlichen Zusammen- hange mit den vier es bedeckenden Pigmentepithelien. Die Pigmentinfiltration er- streckt sich nur bis auf das obere Drittel der Stäbchenschicht. Fig. Ss. Rana eseulenta (Liehtfrosch). — Nach vorheriger Erhärtung in Ueber- osmiumsäure. Ein Stück der Stäbchen- und Zapfenschicht im natürlichen Zusam- menhange mit den vier es bedeckenden Pigmentzellen. Die Pigmentirfiltration er- streckt sich bis an die Membrana limitans externa. Fig. 9. Rana esculenta (Dunkelfrosch). — Nach vorheriger Erhärtung in Os- miumsäure. Ein Stück der Stäbchen- und Zapfenschicht, von welchem die es be- deekenden Epithelien abgefallen sind. Die Pigmentinfiltration bleibt auf das obere Drittel der Stäbchenschicht beschränkt. Fig. 10. Rana esculenta (Lichtfrosch). — Nach vorheriger Erhärtung in Os- miumsäure. Ein Stück der Stäbcehen- und Zapfenschicht, von welchem die es be- deckenden Epithelien herabgefallen: sind. Dle Pigmentinfiltration erstreckt sich bis an die, Membrana limitans externa. Fig. 11. Triton eristatus. — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Chrom- säure. Protoplasmakuppen von 18 Pigmentepithelien in einer zusammenhängen- den Mosaik isolirt. Fig. 12. Triton eristatus. — Frisch untersuchter Inhalt zweier Pigmentzellen. Bei a zählt man neben dem Kerne 24 Oeltropfen, worunter zwei goldgelbe, und 28 aleuronoide Körner; bei 5 zählt man neben dem Kerne 26 Oeltropfen, worunter ein goldgelber, und 30 aleuronoide Körner. Fig. 15. Strix noctua. — Frisch untersuchter Inhalt zweier Pigmentepithelien. Bei a finden sich neben dem Kerne vier Conglomerate goldgelber Oeltropfen und 13 einzelne Oeltropfen, ausserdem sehr zahlreiche aleuronoide Körner; bei 5 finden sich neben dem Kerne zwei Conglomerate goldgelber Oeltropfen, zwei einzelne soldgelbe und zwei einzelne blassgelbe Oeltropfen, ausserdem sehr zahlreiche aleu- ronoide Körner. Tafel V. Fig. 14. Triton eristatus. — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Os- miumsäure. Im Zusammenhange isolirte Protoplasmakuppen von elf Pigmentepi- thelien. Neben den Kernen sind allein die den oberen Theil der Protoplasma- kuppen einnehmenden aleuronoiden Körner erhalten, von den tiefer gelesenen Oel- tropfen ist nichts wahrzunehmen: wahrscheinlich sind sie beim Zerfall der Zellen an den Pigmentbasen hängen geblieben. Fig. 15. Triton eristatus. — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Os- miumsäure. Im Zusammenhange isolirte Pigmentbasen von zehn Retinalepithelien. Die hellen Lücken, welche im Pigment ausgespart geblieben sind, entsprechen den herausgefallenen Stäbehenaussengliedern. Fig. 16. Triton ceristatus. — Eine durch Maceration in verdünnter Ueber- osmiumsäure isolirte Pigmentepithelzelle. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth. 35 386 A. ANGELUCCIH: ÜNTERSUCH. ÜB. D. RETINALE PIGMENTEPITHELT. S. W. Fig. 17. Testudo graeca. — Eine nach vorheriger Erhärtung in Osmiumsäure in Zusammenhang isolirte Reihe von vier Pigmentepithelien. Im Inneren der Protoplasmakuppen sind weder Kerne noch anderweitige Einlagerungen wahrzu- nehmen. Fig. 18. Testudo graeca. — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Chrom- säure. Im Zusammenhange isolirte Protoplasmakuppen von sieben Pigmentepithelien. Neben den Kernen finden sich in jeder Zelle einige farblose Oeltropfen. Fig. 19. Testude graeca. — Nach vorheriger Maceration in verdünnter Os- miumsäure. Neun im Zusammenhange isolirte Pigmentbasen. Die hellen Lücken in dem Pigment entsprechen den herausgefallenen Zapfenspitzen. Fig. 20. Columba livia. — Nach vorheriger Erhärtung in Osmiumsäure. Drei Pigmentepithelien im Zusammenhange mit acht Stäbchenausseneliedern isolirt, die zwischen den Ausläufern der Pigmentbasis stecken. Fig. 21. ‘Columba livia. — Nach vorheriger Erhärtung in Osmiumsäure. Vier Pigmentepithelien im Zusammenhange mit dem von ihnen bedeckten Stücke der Zapfenschicht isolirt. Das Präparat ist der Peripherie der Retina entnommen. wo die staffelförmige Verschiebung der Pigmentepithelien vorkommt und wo die Stäbchen fehlen. Fig. 22. Lepus cuniculus (Albino), vorher im Dunkeln gehalten. — Nach vor- heriger Erhärtung in Osmiumsäure. Ein grösseres Stück der Epithelmosaik im Zusammenhange isolirt und von der unteren (retinalen) Fläche gesehen. Fig. 23. Lepus cuniculus (Albino), vorher beleuchtetes Auge. — Nach Er- härtung in Osmiumsäure. Ein Stück der Epithelmosaik von der unteren Fläche gesehen. Die tief schwarzen Punkte, welche sich neben den Kemen und den kastanienbraun gefärbten Oeltropfen in den Zellen vorfinden, sind Querschnitte von Stäbehen, die an der unteren Fläche der einzelnen Zellen haften geblieben sind. Fig. 24. Lepus euniculus. — Nach Erhärtung in Osmiumsäure, Ein Stück der Epithelmosaik im Zusammenhange isolirt. Die hellen Lücken in dem Pigment entsprechen den herausgefallenen Zapfen. Fig. 25. Lepus euniculus. — Nach vorheriger Maceration in Osmiumsäure. Paarweise isolirte Retinalepithelien, « und b vom albinotischen, e vom dunkeln Kaninchen. Fig 26. Bos taurus. — Ein im frischen Zustande in Humor aqueus unter- suchtes Stück der Epithelmosaik von der Chorioidalfläche gesehen. Das Präparat ist der nicht pigmentirten Zone der Retina über dem Tapetum entnommen. Fig. 27. Bos taurus. — Ein im frischen Zustande in Humor aqueus unter- suchtes Stück der Epithelmosaik von der Chorioidallläche gesehen. Das Präparat entstammt der Uebergangszone zwischen dem pigmentfreien und dem pigmentirten Abschnitte der Retina. Ueber angeborene Vorstellungen bei den Thieren. Von Dr. Dönhoff in Orsoy a. Niederrhein. ach Cuvier sind es traumartige Vorstellungen, welche die instinct- mässigen Handlungen der Thiere bewirken. Johannes Müller sagt, angeborene Vorstellungen sind bei den Thieren eine Thatsache. Eine angeborene Vorstellung treibt das Junge auf die Zitze der Mutter los- zugehen. Der Biene schwebt der Typus der Zelle vor. Ich glaube, man kann über angeborene Vorstellungen bei den Thieren folgende Sätze aufstellen. IL, Angeboren sind die Raumvorstellungen. BE. du Bois-Reymond lehrt, dass die Raumvorstellung dem Indi- viduum angeboren ist, der Beweis ist ihm die Sicherheit, womit neuge- borene Thiere im Raume sich bewegen." Ich habe das Verhalten zum Raume bei zwei Tage alten Hühnchen, welche das Nest noch nicht ver- lassen hatten, untersucht. Ich setzte Hühnchen in einen Kasten, in welchem‘ in der einen Wand ein Loch über dem Boden sich befand. Sie liefen nach dem Loche, und durch dasselbe zum Kasten hinaus. Ich schliesse hieraus, die Hühnchen sehen die Gegenstände nebeneinander. Ich setzte Hühnchen in einen 1!/, Fuss hohen Kasten. Sofort sprangen sie halbfliegend über den Kasten hinaus. Ich schliesse, die Hühnchen sehen die Gegenstände übereinander. Ich habe in diesem Archiv, Jahr- gang 1876, S. 238, Beobachtungen über Bienen, Bienenschnepper und Junge Hühnchen mitgetheilt, woraus mir hervorzugehen scheint, dass die 1 Ueber Leibnizische Gedanken in der neueren Naturwissenschaft. Monats- berichte der Berliner Akademie 1870. 8. 846 ff. — Besonders erschienen im Diümm- ler’schen Verlage. 1871. S. 28. 95* 388 DÖöNnHorFrE: Thiere die Gegenstände in einer bestimmten Entfernung sehen. Ich habe die Versuche in diesem Jahre mit zwei Tage alten Hühnchen, welche das Nest noch nicht verlassen hatten, wiederholt: das Resultat war dasselbe. Wunderbar! Aber, dass die Thiere ohne Erfahrung die Ent- fernung der Gegenstände kennen, welche wir durch lange Erfahrung er- lernen müssen, ist vielleicht nicht wunderbarer, als dass die Thiere die abgemessensten und complicirtesten Bewegungen ohne Uebung machen, welche wir erst nach langer Uebung machen können. Uebrigens wird das Wunder durch die Hypothese du Bois-Reymond’s, dass die Er- fahrungen der Alten sich auf die Jungen vererben, erklärt. II. Angeboren ist der Typus des Nestes.! Man kann folgende Theorien über den Nestbau machen. Erste Theorie. Das Thier nimmt eine bestimmte Stellung zum Neste ein, und der sinnliche Eindruck, welchen der jedesmalige Zustand des Nestes auf dasselbe macht, nöthigt es, gewisse angeborene Bewegungen zu machen, welche das Nest hervorbringen. Hat z. B. eine Biene ein Wachsblöckchen angeklebt, so nöthigt der Eindruck, welchen das Wachs- blöckchen auf sie macht, sie zu einer bestimmten Stellung zum Wachs- blöckchen und zu bestimmten Bewegungen des Kopfes und der Kiefer, welche ein Aushöhlen desselben in gewisser Richtung bewirken. Ist so der Boden fertig geworden, so nöthigt der Eindruck, welchen der Boden auf ihre Fühler macht, sie zu instinetmässig vorgeschriebenen Bewegun- gen, welche bewirken, dass eine Zellenwand entsteht. Zweite Theorie. Dem Thiere schwebt die Form des Nestes vor, wie dem Baumeister der Bauriss vorschwebt. Gegen die erste Theorie sprechen folgende Thatsachen. 1) Unter allen Thieren, welche bauen, lässt keines sich so ai be- obachten wie die Rauchschwalbe. Fast in jedem Viehstalle eines Bauer- hauses in hiesiger Gegend nisten im Frühjahre einige Schwalbenpärchen. . Da die Ställe sehr niedrig und die Thiere sehr zahm sind, so lässt sich bei etwas verdeckter Stellung das Bauen aus grösster Nähe beobachten. Die Schwalbe baut das Nest an einen Balken, welcher die Decke trägt. Sie fiiest an den Balken, hält sich mit den Füssen fest ünd klebt nun die Lehmkugel, welche sie im Schnabel trägt, gerade vor sich an den Balken. Ist der Balken aber sehr niedrig, so würde das Nest bei dieser Stellung zu nahe an die Decke kommen, es würde zu wenig Raum zwi- ! Dem, welcher den Hochgenuss haben will, eine Spinne weben zu sehen, möchte ich rathen, sämmtliche Spinnennester im Garten zu zerstören. Die Spinnen machen neue Gewebe; wenn man an diesem und dem folgenden Tage öfter zusieht, sieht man Spinnen in verschiedenen Stadien des Nestbaues weben. ÜBER ANGEBORENE VORSTELLUNGEN BEI DEN THIEREN. 389 schen Nest und Decke übrig bleiben, um ein- und ausfliegen zu können. Sie klebt in diesem Falle die Lehmkugel nicht gerade vor sich hin an, sondern sie biegt den Kopf seitlich und nach unten und klebt so die Kugel an. Durch diese Stellung ist sie im Stande, den Boden tiefer nach unten anzulegen. In diesem Falle ist die Stellung zum Neste eine andere als im ersten Falle, es werden andere Muskeln in Action gesetzt. Hat sie bei der Stellung, wo sie sich an dem Balken festhielt, den Boden so weit herausgebaut, dass sie auf denselben sich stellen kann, so stellt sie sich auf den Boden, und von jetzt bis zum Schlusse baut sie das Nest in dieser Stellung fertig. Die Stellung zum Neste ist jetzt wieder eine andere, es müssen beim Bauen von aussen und beim Bauen von innen andere Muskeln in Action treten. Gewöhnlich stellt sie sich nun unter einem rechten Winkel zu der Stelle des Nestes, wo sie die Lehm- kugel anklebt, dieselbe verarbeitet und das Stroh hineindrückt; aber ich sah auch öfter, dass sie sich schief zum Neste stellte, wenn sie baute. __Dass das Thier in der verschiedensten Lage zum Neste den Bau fertig bringt, lässt sich nach ersterer Theorie nicht erklären, wohl aber nach der zweiten. 2) Die Hausschwalbe baut ihr Nest anfangs symmetrisch, später aber führt sie die eine Hälfte continuirlich weiter, in der anderen Hälfte lässt sie ein Flugloch. Hat die Schwalbe ihr Nest zu zwei Dritteln fertig, so ist der Anblick derselbe, ob sie das Nest von rechts oder von links ansieht. Wenn nun der sinnliche Eindruck, welchen das Nest auf sie macht, sie nach der ersten Hypothese nöthigen soll, bestimmte Muskel- bewegungen zu machen, welche den Bau des Nestes bewirken, so ist nicht einzusehen, da der sinnliche Eindruck derselbe ist, ob sie rechts oder links sich in einer bestimmten Stellung zum Neste stellt, warum sie rechts anders baut als links. Nach der zweiten Hypothese hat die Erklärung keine Schwierigkeit. 3) Als ein Rauchschwalbenpaar das Nest bis zur halben Höhe fertig hatte, schnitt ich mit dem Messer das rechte Drittel fort. Trotzdem der sinnliche Eindruck, welchen das halbzerstörte Nest auf die Schwalben machte, ein ganz anderer war, als da sie das fortgeschnittene Drittel bauten, so hatten sie dasselbe in zwei Tagen wieder in derselben Weise hergestellt. Bei der Annahme eines Baurisses macht die Reparatur keine Schwierigkeit. Ich halte deshalb die Ansicht Müller’s, dass den Thieren der Typus des Nestes vorschwebt, für richtig. III. Zweckvorstellungen sind den Thieren nicht angeboren. Es lassen sich eine Menge Thatsachen dafür anführen, dass bei den instinctmässigen Handlungen kein Zweckbewusstsein vorhanden ist. 390 DÖNHOFF: Nehme ich meine Elster in die Hand, so beisst sie beständig in meine Finger. Wenn man nun denken wollte, sie thue dies, um mich zu bewegen, sie loszulassen, so wäre dies sehr irrie. Nehme ich die Elster in die Hand, fasse mit der anderen Hand das obere Ende des Laufes und biege diesen so, dass der Fuss vor den Schnabel zu stehen kommt, so beisst sie sich beständig in den Fuss. ! Versetzt man einen Bienenstock auf einen anderen Stand, so fliegen die Bienen, wenn sie jetzt zum erstenmal ausfliegen, nicht gleich gerade aus, sondern sie drehen sich sofort vor dem Flugloche um, fliegen mehremale, den Kopf nach dem Flugloche gerichtet, pendelnd hin und her, und fliegen dann immer grössere Kreise beschreibend weiter. Hier- durch werden sie in den Stand gesetzt, sich die Gegend so zu’ merken, dass sie den Stock wieder finden können. Man würde sich nun aber sehr irren, wenn man glauben wollte, dieser Zweck schwebe ihnen vor, wie folgende Betrachtung zeist. Bin Schwarm, welcher vom Stocke ab- gezogen ist und eine neue Wohnung bezogen hat, macht beim ersten Ausfluge dieselben Flugbewegungen. Sie sind für ihn nöthig,. da er ge- wöhnlich in eine ferne Gegend zieht. Fange ich aber den Schwarm ein und setze ihn auf die Stelle des Mutterstockes, so macht er dieselben Flugbewegungen. Dieselben sind nicht nötkig, da er die Gegend kennt. Der Instinet lehrt jeder Biene, die geschwärmt hat, diese orientirenden Bewegungen zu machen. Ein Huhn mit Küchlein gluckt fortwährend, wenn sie die Jungen herumführt. Letztere sind hierdurch in den. Stand gesetzt, die Mutter immer wieder finden zu können. Da die Hühner im wilden Zustande vorzüglich in Gegenden mit niedrigem Gestrüpp leben, so würde die Brut ohne dieses fortwährende Glucken leicht die Mutter verlieren. Dass die Mutter diesen Zweck sich nicht vorstellt, folgt daraus, dass viele Hennen schon mehrere Tage vor dem Brüten zu glucken anfangen, die meisten aber während des Brütens, wenn sie das Nest zum Fressen ver- lassen, dann und wann glucken. Ich habe in diesem Archiv, Jahrgang 1 Eine Biene sticht, wenn sie nicht gedrückt wird, nur in der Nähe ihrer Wohnung. Ein Hund bellt und beisst nur in der Nähe des Hauses wo er wohnt. Diese Thatsache ist meines Erachtens der Grund, weshalb ein Kettenhund böser ist als ein Hund, welcher frei beim Hause herumläuft. Wenn man sich ihm naht, so kömmt man in unmittelbare Nähe’ seines beständigen Aufenthaltes und seiner ihm daselbst hergerichteten Wohnung. Biene und Hund schützen durch diese Instinethandlungen ihre Wohnungen. Man würde sich aber sehr irren, wenn man glauben wollte, dieser Schutz schwebe ihnen als Zweck vor. Nähere ich dem Kettenhunde meine Hand so beisst er in die Hand. Nähere ich ihm meinen Stock, besonders wenn ich diesen etwas hin- und herbewege, so beisst er wüthend in den Stock. ÜBER ANGEBORENE VORSTELLUNGEN BEI DEN THIEREN. 391 1876, S. 237, eine Beobachtung über eine Henne mitgetheilt, welche, nachdem sie zwei Tage gebrütet, zu brüten aufhörte. Bei ihr entwickelten sich sämmtliche Triebe der Brutpflege. Diese dauerten etwa drei Mo- nate, also so lange ungefähr, wie eine Henne mit Brut diesen Trieb be- hält. Sie verloren sich auch in der Reihenfolge wie die Triebe bei Hühnern mit Jungen sich verlieren; so verlor sich am ersten der Trieb, die Nacht auf der Erde zuzubringen. Zweckvorstellung musste dem Huhne fehlen. Bei den Instinethandlungen der Menschen fehlt auch die Zweck- vorstellung. Der Mensch isst nicht, um sich am Leben zu erhalten, er vollzieht den Beischlaf nicht, um Kinder zu zeugen. Er thut Beides, weil ein Trieb ihn treibt. IV. Thiere gerathen instinetmässig durch sinnliche Empfin- dungen, bez. sinnliche Vorstellungen in Affeet, welche denen ähneln, wodurch der Mensch in Affeet geräth. Beim Menschen ist es der der sinnlichen Vorstellung sich anschliessende Ge- danke, beim Thiere ist es bloss die sinnliche Vorstellung, welche den Affeet erzeugt. Nehme ich einen Vogel in. die Hand, so zeigen sein stürmisches Herzklopfen, seine beschleunigten Athembewesungen, dass er Angst hat. Geräth er in Angst, weil er denkt, dass ich ihm Leid zufügen könnte? Sehen Vögel eine Eule am Tage, so fallen sie mit Zorn über die- selbe her. Sind sie zornig, weil sie wissen, dass diese ihr Feind ist, wie Brehm behauptet? Sieht ein Huhn einen Habicht kreisen, so geräth es in unglaubliche Ansst. Wenn der Mensch einen Tiger sieht, so geräth er in ähnliche Angst. Die Angst des Menschen rührt daher, dass er denkt, der Tiger könne ihn zerreissen. Denkt das Huhn, welches beim Anblick. eines Habichts in Angst geräth, etwas Aehnliches? Folgende Betrachtung scheint mir zu beweisen, dass das Thier sich nichts denkt, sondern dass der blosse Anblick die Angst macht. Das oben erwähnte Huhn, welches, nachdem es zwei Tage gebrütet, sämmt- liche Triebe der Brutpflege übte, wurde jedesmal, wenn ich mich ihm nahte, zornig; mit gesträubtem Gefieder, dem Ausdrucke des Zornes, ging es auf mich los. Es hatte keine Jungen, konnte also nicht denken, dass ich den Jungen Leid zufügen könnte. Wenn es zornig war, dachte es sich offenbar nichts. Mein Anblick, welcher früher das Thier ruhig liess, brachte bei dem durch den Brutzustand veränderten psychischen rslond dasselbe jetzt in Zorn. 392 ; DÖNHOFF e V. Ob den einzelnen Handlungen der Thiere, so weit sie in- stinetmässige Handlungen sind, Vorstellungen zu Grunde liegen, ist zweifelhaft. Johannes Müller sagt, eine angeborene Vorstellung treibt das junge Füllen auf die Zitzen der Mutter loszugehen. Er gibt nicht an, welche Vorstellung dies sein könnte. Dass es nicht die Vorstellung hat, ich will saugen, und so Milch bekommen, ist wohl sicher, denn solche Zweckvorstellungen fehlen. Aber es ist denkbar, dass es die Vorstellung hat, ich will auf die Zitzen losgehen, und dass diese Vor- stellung seinen Willen und dieser seine Muskeln in bestimmter Weise und Aufeinanderfolge in Bewegung setzt. Es ist denkbar, dass die Schwalbe denkt, ich will die Lehmkugel an die Stelle ankleben, und dass diese angeborene Vorstellung. das Thier nöthigt, die instinetmässigen Handlungen auszuführen, welche. die Vor- stellung realisiren. Man kann sich aber auch denken, Vorstellungen sind nicht die Ur- sache der instinctmässigen Bewegungen. Es sind bloss sinnliche Reize oder unbekannte innere Ursachen, welche die Instinethandlungen be- wirken. Gegen die Annahme, dass menschenähnliche aber angeborene Ge- danken die Ursache der Instinethandlungen sind, spricht Folgendes: 1) Die Thatsache, dass decapitirte Thiere instinetmässige Hand- lungen verrichten, welche sich in Nichts von den durch Vorstellung hervorgerufenen Handlungen der Menschen unterscheiden. In einem decapitirten Thiere stecken keine Vorstellungen. Wenn man nun ein- wenden wollte, im Rückenmarke hausen vielleicht Vorstellungen, so wird doch nicht leicht Jemand annehmen, dass im Hinterleibe einer Biene Vorstellungen hausen. Und doch stösst der abgeschnittene Hinterleib einer Biene, wenn man ihn drückt, den Stachel schnell hervor und zieht ihn wieder schnell zurück, wie eine unversehrte Biene dies thut, wenn man sie an irgend einer Stelle des Körpers drückt. 2) Eine Biene, wenn sie baut, entfernt die Hinterleibsringe von einander, fasst mit der Kralle des Fusses das Wachsblättchen und holt es hervor. Welche Vorstellung soll nun eine Biene bei dieser Instinct- handlung haben? Sie hat nie ihre Hinterleibsringe, noch das Wachs- blättehen zwischen denselben gesehen, da der Kopf zu wenig beweglich ist, und die Augen nach der Seite gerichtet sind. Wie soll sie nun denken, ich will mit der Kralle des Fusses das Wachsblättchen fassen? Dies könnte sie nur, wenn sie wüsste, dass sie ein Wachsblättchen zwischen den Ringen hat. ÜBER ANGEBORENE VORSTELLUNGEN BEI DEN THIEREN. 393 Einen todten Fisch kann man im Wasser nicht so auf die Bauch- kante stellen, dass er stehen bleibt; er fällt jedesmal um wenn man ihn loslässt. Ich befestigte einen Faden an den Stachel einer Flosse, hielt den Faden in der Hand, so dass der Fisch der Schwerlinie folgte, und liess den Fisch in’s Wasser hinunter. Jedesmal, wenn ich den Faden senkte, so dass der Fisch nicht mehr von demselben gehalten wurde, fiel er um. Ich befestigte an zwei Stacheln Fäden, liess den Fisch in’s Wasser herunter, bis er auf dem Boden stand. Wenn ich die Fäden senkte, fiel der Fisch um. Ein Fisch kann sich auf die Bauchkante stellen, so dass.er nieht umfällt. Stellte ich ein Aquarium mit Fischen in eine Temperatur von nahezu 0°, so sah ich die Fische auf dem Boden stehen, ohne dass sie eine Bewegung weder mit den Flossen noch mit den Kiemen machten. Wass soll.nun ein Fisch für Gedanken haben, wenn er sich auf die Bauchkannte stellt? Soll er denken, ich will mich auf die Bauchkante stellen, oder soll er bloss denken, ich will die und die Bewegungen mit der Schwanzflosse machen? Beides zu denken, wird mir schwer.! 3) Die Saugbewegungen des Kindes erhalten sich oft mehrere Jahre in der Form des Lutschens am Daumen. Ich habe im vierten Lebens- jahre noch gelutscht; ich weiss, dass ich dabei Nichts dachte. Gewöhn- lich geschah es so unbewusst, dass die Eltern mich aufmerksam machen mussten, dass ich lutschte. Jedenfalls sind die Behauptungen Cuvier’s und Müller’s, dass den Instinethandlungen Reihen von angeborenen Vorstellungen zu Grunde liegen, nicht bewiesen, und es stehen ihnen schwere Bedenken entgegen. Wahrscheinlich ist mir, dass unbekannte innere Vorgänge, von welchen wir keine Ahnung haben das wunderbare Spiel der Instinethandlungen bewirken. Die ganze Brutpflege läuft ab wie ein Uhrwerk, sie hat ihre bestimmte Dauer von drei Monaten. Bei dem obenerwähnten Huhne ginge nur der Wecker zu früh los. ! Eine Bienenkönigin befruchtet nicht durch den Druck der Zelle, sondern durch den Willen ihre Eier; denn in schmale Arbeitsbienenzellen und in weite Königinzellen legt sie befruchtete Eier, während sie in mittelweite Drohnenzellen unbefruchtete Eier lest. Was denkt nun die Königin, wenn sie ihre Eier be- fruchtet? Denkt sie, ich will die Samentaschen contrahiren, oder denkt sie gar, ich will Ei und Samen zusammenbringen? Gewiss nicht; es ist bei ihr bloss ein willkürlicher, allerdings höchst räthselhafter Einfluss des Willens auf gewisse Nervenfasern vorhanden. : Ueber die sogenannte Anfangszuckung. Von Hugo Kronecker und William Stirling. In unserer Abhandlung „Ueber die Genesis der Tetanus“! haben wir an verschiedenen Orten (S. 25, 26, 38 u. 39) gezeigt, dass die von Hrn. Bernstein angenommene „Anfangszuckung“ des durch sehr häufige Reize tetanisirten Muskels keine normale Erscheinung ist. Kurz bevor diese Arbeit ausgegeben wurde, hat Hr. Bernstein eine Notiz über „Erzeugung von Tetanus und die Anwendung des aku- stischen Stromunterbrechers“ ? veröffentlicht und sich darin gegen die- jenige Darstellung seiner „Versuche über die Einwirkung schnell folgender Reize“ verwahrt, welche wir in unserer vorläufigen Mittheilung gegeben hatten. Hr. Bernstein nennt folsenden Satz? „durchaus irrig“: „Hr. Bernstein hat angegeben, dass bei 250 Inductionsschlägen in der Secunde kein voller Tetanus mehr zu Stande komme. Bei schwachen Reizen finde alsdann nach einer ersten, starken Anfangszuckung nur noch schwache Andeutung von Tetanus statt. Bei starken Reizen schwinde der Tetanus bis auf eine Anfangszuckung, wenn 500 Schläge in der Secunde erfolgen. In einigen Fällen hat Hr. Bernstein auch bei 1760 starken Reizen noch Tetanus wahrgenommen.“ Am heftigsten bestreitet Hr. Bernstein unsere Berechtigung, den vorletzten Satz des oben angeführten Referats aus seiner Abhandlung herzuleiten. Wir eitiren daher zur Begründung unserer Angaben zuvör- 1 Dies Archiv 1878, S. 1 ft. 2 Pflüger’s Archiv Bd. 18. Heft 1 u. 2. 8. 121. 3 Monatsberichte der Berliner Akademie, 6. Dec. 1877. ÜEBER DIE SOGENANNTE ANFANGSZUCKUNG. 395 derst folgendes in seinen Untersuchungen Ueber den Erregungsvorgang im Nerven- und Muskelsystem auf S. 112 enthaltene Protokoll: . Versuch 3. Sartorius. 130 Schwingungen keine AZ 232 14 schwache AZ bei R = 12 deutliche AZ bei R = 12.5% Tetanus bei R= 11 °% 406 er starke NZ bei nr en Zum Verständniss der Abkürzungen ist zu bemerken, dass AZ Anfangs- zuckung bedeutet, R Abstand der secundären Rolle von der primären eines mit zwei Grove’schen Elementen armirten du Bois-Keymond’- schen Schlittenapparates. Hr. Bernstein selbst bemerkt vor dem an- seführten Versuchsprotokolle, dass er zur direeten Reizung des Sartorius der primären Spirale eine schlecht leitende Nebenschliessung (verdünnte. Schwefelsäure) geben und ausserdem Eisenkerne in die primäre Rolle einlesen musste, um die Wirkung der Ströme zu verstärken. Mit dem angeführten Protokolle übereinstimmende Resultate finden sich in dem Versuche 2 (S. 112) sowie in den Versuchen 4, 7, 8 (8. 106). Wir glauben hiernach berechtist zu sein, solchen Reizen, wie Hr. Bernstein deren 464 pro Sec. (wir nahmen,. entsprechend seinem auf 8. 115 gegebenem Beispiele, abgerundet 500 an) angewandt hat, das Prä- dicat „stark“ zu geben, indem wir mit Hrn. Bernstein (vgl. S. 126) und wohl mit der Mehrzahl der Physiologen schwache (minimale), starke und stärkste (maximale) Reize unterscheiden. Als Reizfrequenz wird vom Hrn. Verfasser die doppelte Anzahl der _ Sehwingungen der stromunterbreehenden Feder des akustischen Strom- unterbrechers angenommen. Dass diese Annahme nur dann zulässig ist, wenn die Oefinungs- und Schliessungsschläge völlig gleich stark gemacht worden sind, haben wir in unserer Arbeit (S. 15) dargethan. „Durch Anwendung einer schlecht leitenden Nebenschliessung verliert man“, wie der Hr. Verf. (S. 112) bemerkt, „allerdings die Sicherheit, ob Schliessungs- und Oefinungsschlag gleich(zeitig) erregend wirken. Aber“, fügt er hinzu, „man beeinträchtigt die Brauchbarkeit der Resultate nicht, wenn man sich bei jedem Versuche durch Schliessen und Oeffnen des primären Kreises mit der Hand von der Wirkungsfähigkeit der Ströme unter- richtet.“ Es ist jedoch damit nicht bewiesen, dass bei den unvollkom- menen Contacten, wie sie die schnell vibrirende Feder vermittelt, die schwächere Stromart wirkungsfähig bleibt. Hr. Bernstein schliesst aus den erwähnten Versuchen, in welchen er den Muskel direct oder durch Vermittelung der Nerven reizte, Fol- 396 HuGo KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: gendes: „Die Anzahl der Reize in einer Secunde, bei denen die Anfangs- zuckung auftrat, schwankt in beiden Fällen mehr oder weniger weit um die Zahl 300. Eine genaue Uebereinstimmung und ein präcises Ein- treffen der Anfangszuckung wird man unter solchen Verhältnissen nicht erwarten, wenn man bedenkt, von wie vielen Variabeln der Zustand der Nerven- und Muskelfaser abhängig ist. Es genügt, ihr Eintreten inner- halb gewisser Grenzen der Reizungszahl und das Constante der Erschei- nung nachgewiesen zu haben.“ Auf der folgenden Seite (114) sagt Hr. Bernstein: „Nun erinnern wir uns, dass die Dauer der negativen Schwankung in einem Elemente der Muskelfaser oder, was dasselbe ausdrückt, die. Schwingungsdauer in der Reizwelle der Muskelfaser im Mittel zu 0-004 Sec. gleich !/,., Sec. gefunden wurde. Diese Zahl liegt aber, wie man sieht, innerhalb der angegebenen Grenzen von !/,,, und !/,,, Dec., stimmt also nahe zusammen mit demjenigen Zeitraume, welcher zwischen solchen, schnellfolgenden Reizen liest, welche die ersten Spuren der Anfangs- zuckung erzeugen; und somit werden wir hiermit folgerichtig (!) zu der Vermuthung (!) geführt, dass die Erscheinung der Anfangszuckung in einem ursächlichen Zusammenhange mit der Dauer der negativen Schwankung in der Muskelfaser stehe“. Diese „Vermuthung‘“ wird nunmehr aber nicht durch weitere ‚Ver- suche, sondern durch weitere, ganz ähnliche Betrachtungen so weit ge- stärkt, dass sich auf S. 125 „aus diesen Folgerungen die Erscheinung der Anfangszuckung erklärt“. „Man wird eine Stärke der Reizung ausfindig machen na bei welcher der kammförmige Theil der Reizwellencurve so flach verläuft, . dass er keine Erregung mehr zu erzeugen im Stande ist, während der Anfang der ganzen Curve, der steil anhebt, eine Erregung zur Folge hat. In diesem Falle werden wir beim Beginn der Reizung eine ein- zelne Zuckung beobachten, dagegen während der Dauer der heizung Ruhe des Muskels. Dies ist, wie man sieht, die Erklärung der Anfangs- zuckung, wie wir sie bei einer der Fig. 21 entsprechenden Anzahl von Reizen, ungefähr 300-400 in 1 See. beobachtet haben. Verstärkt man die Reizung, so wachsen die Reizwellen an Höhe, die einzelnen Theile der Curve nehmen an Steilheit zu und es tritt nun zuerst ein schwacher Tetanus auf, welcher der grösseren Anfangszuckung folgt und bei Ver- stärkung der Reize schliesslich in einen starken Tetanus übergeht. Dies ist der Gang der Erscheinung, wie wir ihn jetzt voraussagen können und wie wir ihn in Wirklichkeit beobachtet haben. Man wird zuge- stehen, dass die gegebene Erklärung mit den beobachteten Thatsachen sich in vollem Einklage befindet, und dass wir durch folgerichtige ÜBER DIE SOGENANNTE ANFANGSZUCKUNG. 397 Schlüsse mit Nothwendigkeit zu der ausgesprochenen Abhängig- keit der Erregung von der Reizwelle geführt worden sind.“ Hr. Bernstein ist am Schlusse seiner Untersuchungen in seiner Ueberzeugung fest geworden. Er sagt (S. 232): i „Gemeinsam ist der Nerven- und Muskelfaser das Gesetz der Er- regung. Für den Muskel lässt es sich experimentell nachweisen, dass die Intensität der Erregung eine Function der Keizwelle ist. Durch Reizung mit schnell auf einanderfolgenden Strömen haben wir eine Art Interferenz-Erscheinung aufgefunden, welche die Erregung im Muskel zeigt und die davon abhängt, dass unter diesen Umständen die Reiz- wellen übereinander fallen. Das Auftreten der Anfangszuckung und ihr Erscheinen von demjenigen Reizintervalle ab, dessen Dauer mit der der negativen Schwankung zusammenfiel, führte uns dann zu.dem aufge- stellten Gesetze der Erregung, dem zu Folge die Erresung von der Ge- schwindigkeit abhängig ist, mit der der Strom eines Elementes der Faser schwankt oder sich ändert.“ Waren wir hiernach nicht berechtigt anzunehmen, dass Hr. Bern- stein als numerische Resultate der Untersuchungen oelten lassen wolle, was wir gesagt haben? „Bei schwachen Reizen finde alsdann (bei 250 Inductionsschlägen in 1 Sec.) nach einer ersten starken Anfangs- zuckung nur noch schwache Andeutung von Tetanus statt.“ Und jetzt betont Hr. Bernstein, wieder auf seine erste vorsichtige Formulirung zurückkommend, er habe nur angegeben, „dass bei dieser Reizzahl etwa die Anfangszuckung auftritt.“ Der hierauf folgenden Stelle aus einem ausführlichen Versuchspro- tokolle (S. 102 seiner Abhandlung), wo es heisst: — „Sehr bald erreicht man aber beim Verschieben der secundären Spirale eine Grenze, bei welcher der sehr starken Anfangszuckung ein schwacher Tetanus nach- folgt, und schiebt man die Rollen noch weiter übereinander, so erhält man einen kräftigen Tetanus —“ haben wir den letzten Satz unserer Bemerkung entnommen: „In einigen Fällen hat Hr. Bernstein auch bei 1760 starken Reizen noch Tetanus wahrgenommen.“ Wir hätten fürchten können von Hrn. Bernstein dahin berichtigt zu werden, dass er nicht in einigen Fällen, sondern nur in diesem einen Falle mit dieser Reizzahl noch habe tetanisiren können, denn nur auf ©. 110 seiner Abhandlung haben wir noch die gleiche Reizzahl (1760) erwähnt gefunden, aber mit der Bemerkung: „Das Resultat war auch hier dasselbe: Sowohl bei Anwendung von Inductionsströmen als auch von constanten Strömen zeigte sich die Erscheinung der Anfangs- zuckung mit der bereits beobachteten Regelmässigkeit.“ 398 Hue@o KRONECKER U. WILLIAM STIRLING: Hingegen betont jetzt Hr. Bernstein: „Er beobachtete selbst bei 1760 Reizen in 1 See. nicht nur in einigen Fällen, sondern in allen Fällen Tetanus, wenn die Reize genügend stark waren.“ Später sei es ihm auch gelungen, den Ton von 900 Schwingungen am Kaninchen- muskel, den gleiche Reizfrequenz erregte, wahrzunehmen. Dass bei so hohen Reizfrequenzen ein gleichmässiger Tetanus ohne erössere Anfangszuckung zu Stande kommen kann, ist der Theorie des Hrn. Bernstein nicht gerade günstig, denn wie hoch man auch die Reizwellen annehmen mag, so würden 7 Wellenzüge, welche (bei 1750 Reizen pro Sec.) den Raum einer Wellenlänge anfüllen sollten, den Er- regungsbergen nur eine kleine Absenkung gestatten. Es müssten aber für gleichmässigen Tetanus diese kleinen Schwankungen genügen, um einen der maximalen Zuckung gleich hohen Tetanus zu erzeugen. Andererseits hat Hr. Bernstein selbst zugeben müssen ($. 119), dass zuweilen bei weniger als 250 Reizen (bei 224) die Anfangszuckung auftrete. Er sucht dies durch die Annahme zu erklären, dass auch die Dauer der negativen Schwankung (durch Ermüdung u. s. w.) zunehmen könne. Er sagt darüber ferner: „Besonders aber müssen wir hervor- heben, dass wir unter 200 Reizen in der Sec. niemals eine deutliche (?) Anfangszuckung beobachtet haben. Also bei einem Reizintervalle, wel- ches mit Sicherheit grösser ist, als die Dauer der Reizwelle, tritt eine Anfangszuckung niemals auf, ein Umstand, in welchem wir ganz be- sonders eine Bekräftigung unserer Ansicht über die Entstehung der An- fangszuckung erblicken.‘“ Es ist zu bedauern, dass in den Versuchsprotokollen nel Fälle mit seltenerer Reizfrequenz als 224 pro Sec. (wo noch Anfangszuckung auf- trat) angegeben sind. Hingegen erwähnt Hr. Bernstein (S. 120), dass man zuweilen, was vielleicht schon Manchem aufgefallen ist, bei Reizversuchen mit Hilfe des du Bois-Reymond’schen Schlittenapparates eine der Anfangs- zuckung ähnliche Erscheinung bemerkt. Die Zahl der Schwingungen nun, welche die Feder des Apparates macht, erreicht gewiss nie 100. Er leitet solche „Anfangszuckungen“ (für seine Anschauung folgerichtig) von den hohen Klirrtönen ab. | Der sehr berechtigte Einwand, dass nach allgemeinen Erfahrungen bei sehr schwachen Reizen (um die es sich ja hier handelt) nur die Oefinungsinductionsschläge wirksam sind, die angenommenen Reizzahlen also wohl halbirt werden mussten, ist von dem Hrn. Verfasser nicht in Betracht gezogen worden. Auch ist nirgends gesagt, wie es mit der „Theorie des Erregungsvorganges‘“ in Einklang zu bringen sei, dass nicht ausser der Anfangszuckung eine Endzuckung auftrete. 8. 102 ist er ÜBER DIE SOGENANNTE ANFANGSZUCKUNG. 399 ausdrücklich erwähnt „beim Schliessen (der Nebenschliessung) ist keine Zuckung wahrzunehmen.“ Endlich ist — worauf wir ebenfalls in unserer Arbeit (S. 26) hingewiesen haben — Hr. Bernstein auch den Beweis schuldig geblieben, dass die von ihm gesehene (nicht aufgeschriebene) Anfangszuckung wirklich eine einfache gewesen ist; obgleich dies für seine Theorie von fundamentaler Bedeutung sein musste. Nach alledem scheint es, dass Hr. Bernstein selbst, durch seine eigene interessante Untersuchung ! über den Muskelton belehrt, das Vor- handensein der Anfangszuckung nicht mehr aufrecht halten mag. Wir haben gezeigt, dass auch bei höchster Reizfrequenz keine An- fangszuckung wahrzunehmen sei. Aber freilich lässt sich der „minimale Tetanus“, der ja in die Anfangszuckung zusammenschrumpfen soll, in constanter Form nur mit Hülfe vollkommener Reizapparate gewinnen, wie der Eine von uns dargethan hat.” Der Capillarcontact ermöglicht solche gleichmässige Reizungen. Natürlich muss die Spülung sachver- ständig regulirt werden, damit nicht nachgerissene Luftblasen das Queck- silber erschüttern. Es sind die Contaete in Quecksilber mit oxydirter Oberfläche um so unvollkommener, je weniger tief die schwingende Platinspitze eingetaucht wird, daher kann es geschehen, dass bei schwachen Schwingungen gar keine völlige Trennung des Quecksilbers von der schwingenden Spitze erfolgt, sondern nur eine Verdünnung des aufge- zogenen Tropfens unreinen Metalles. Es ist daher erklärlich, dass kurze ((requent schwingende) Federn des „akustischen Stromunterbrechers“ die Inductionsströme schwächen. Auch unter der Voraussetzung, dass die Ströme ganz gleichmässig gemindert würden, ist es leicht begreiflich, dass der durch minimale Reize bewirkte Tetanus steil abfällt, ja selbst bis auf eine Zuckung zusammenschrumpft, weil, wie der Eine von uns bei früherer Gelegenheit auseinandergesetzt hat,? die Ermüdungscurve der frequenten Zuckungen von der ersten nach relativ langer Erholungs- zeit ausgelösten steil in die Ruhelinie abfällt. Hr. Bernstein eitirt ferner in seiner uns zurückweisenden Notiz (wohl als Parallelstelle zu dem von uns hervorgehobenen Resultate) folgende Sätze aus seinen Untersuchungen (S. 120): „Die Resultate, welche wir in den vorhergehenden Versuchen gewonnen haben, führen uns einer Frage entgegen, die eigentlich im Stillen der Beweggrund zur Anstellung derselben gewesen ist, nämlich zu der Frage, ob es nicht eine 1 Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. 11. S. 191 ft. ?2 Verhandl. der physiolog. Gesellschaft zu Berlin 1877—78. Nr. 3. Dies | Archiv 1877. 3 Hugo Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der quergestreiften Muskeln. Arbeiten aus der physiolog. Anstalt zu Leipzig 1871. VI. S. 220 ft. 400 NH. KroNEcKER v. W. STIRLING: ÜBER DIE SOGEN. ANFANGSZUCKUNG. so grosse Schnelliskeit aufeinanderfolgender Reize gäbe, bei welcher der Nerv oder Muskel nicht mehr errest werde. Diese Frage ist schon öfter von einigen Forschern aufgeworfen worden, aber es hat bisher nicht gelingen wollen, einen Apparat herzustellen, welcher den Anforde- rungen zur Lösung dieser. Frage genügt .... Auch unser Unter- brechungsapparat ist der experimentellen Lösung dieses Problems nicht gewachsen, und wir sind daher in unseren Versuchen nicht im Stande sewesen, die Anzahl der Reize in der Zeiteinheit so weit zu steigern, dass wir das eben besprochene Ziel hätten errei- chen können.“ Da aber die von ihm angewendete Reizmethode nur 2760 Schläge in 1 See. zu geben ermöglichte, wir aber noch die neunfache Reizfrequenz mit Erfolg anwandten,! so erscheinen die citirten Sätze unseren Resul- taten gegenüber bedeutungslos. Hr. Bernstein spricht endlich in vorsichtiger Weise Zweifel aus über unsere Berechtigung, die Reizzahl aus der Tonhöhe unserer induci- renden longitudinal schwingenden Stäbe zu schliessen. Diese Zweifel hatten wir selbst schon erwogen und beseitist (S. 38). Ven dem Ver- langen, den Ton von 22000 Schwingungen auch im gereizten Muskel zu hören, dürfte nach unseren auf 8. 19 und 20 gegebenen Rrörterungen Abstand genommen werden können. 1 Dies Archiv 1878. 8. 27. Pr Der Einfluss der Apnoe auf die durch Strychnin hervorgerufenen Krämpfe. Von L. Pauschinger aus Nürnberg. (Aus dem_physiologischen Institute zu Erlangen.) Ein Decennium etwa ist es her, dass der mildernde Einfluss der Apnoe auf die durch Strychnin hervorgerufenen Reflexkrämpfe beobachtet wurde; Rosenthal und Leube waren es, welche zuerst auf diese für die Beurtheilung der Wirkung wie der Therapie der Strychninvergiftung gleichwichtige Erscheinung aufmerksam machten.! Theils bestätigende, theils modifiecirende Versuche schlossen sich an diese erste Arbeit an, bis im Jahre 1873 Rossbach’s directer Widerspruch die Frage wieder zur offenen umgestaltete. Von Hrn. Prof. Rosenthal zur nochmaligen Behandlung des Themas angeregt und in der freundlichsten Weise unterstützt, stellte ich eine Reihe von Versuchen an, deren Ergebnisse ich mit dem Wunsche vor- lege, dass sie der Parteien Widerspruch zu lösen etwas beitragen möchten. Die ersterwähnte Arbeit war ursprünglich zu anderem Zwecke unter- nommen worden. Leube war nämlich von Prof. Rosenthal auf eine Bemerkung Borie’s in einer niederländischen Zeitschrift aufmerksam gemacht worden, dass das sonst eminent tödtliche Pfeilsift der Mintras von Malakka „auf Hühner gar nicht oder fast gar nicht wirke,“ und suchte nun festzustellen, ob dieses Gift seinem Strychningehalte diese auffallende Eigenschaft verdanke. Eine Erklärung für diese durch seine eigenen Versuche bestätigte Thatsache in der verschieden schnellen Ausscheidung des Giftes ver- muthend hatte Leube die Unterbindung der Ureteren und der Nieren- 1 Dies Archiw, 1867. S. 629. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 26 402 L. PAUSCHINGER: gefässe ohne Erfolg vorgenommen, fand aber bei Prüfung der Lungen auf ihre ausscheidende Thätigkeit, dass die künstliche Athmung von deutlich krämpfestillendem Einflusse sei. Nunmehr genauer auf die Untersuchung dieses Phänomens ein- gehend kam Leube zu folgenden Resultaten: „1) Die gewöhnliche Krampfdose macht keinen Krampf, sondern . höchstens nur schwächste Reflexerregharkeitserhöhung, so dass das Thier bei der Berührung leicht zusammenzuckt. Lässt man mit der künst- lichen Respiration nach, so tritt sehr rasch der ohne die letztere nie ausbleibende Krampf ein. Derselbe erschien, selbst wenn die künstliche Athmung drei Stunden lang fortgesetzt war, blieb dagegen aus, wenn 3!/),—4 Stunden fort- respirirt wurde.“ „2) Die Tödtungsdose tödtete nicht, wenn die an gegen vier Stunden unterhalten wird. Dagegen entsteht zuweilen bei diesen grossen Dosen trotz vollständiger Apnoe des Thieres ein Opisthotonus, welcher aber immer später eintritt, als bei Vergiftung ohne künstliche Athmung und weniger lang andauert. Wird vor obigem Termine mit der Athmung aufgehört, so erfolgt ein sehr heftiger Opisthotonus, in welchem das Thier zu Grunde geht. Dieser Krampf weicht gewöhnlich schnell der künstlichen Athmung.“ Ausserdem constatirte Leube, dass bei 1.0”&'”® Strychnin auf 500 8” Körpergewicht ein mässiger Krampf, bei 1.2”2®® unfehlbar der Tod eintritt, wenn das Gift in den Verdauungscanal gebracht wird. Das letztere ist zu betonen, da das Gift von hier aus stärker wirkt als in der Form von subeutaner Injection, schwächer aber als nach Infusion in eine Vene (Vena jugularis). Vorstehende Angaben konnten wir nicht ganz bestätigen; müssen vielmehr sowohl Leube’s Tödtungsdose als auch seine Krampfdose für zu hoch gegriffen ansehen. Eine nach Leube’s Angaben berechnete Krampfdose führte bei uns jedesmal tödtlichen Ausgang herbei. Statt 2.0”8m Strychnin auf 1000 8"® Körpergewicht fanden wir 1.2 "8% eben genügend, um bei Thieren mittlerer Grösse Krämpfe ohne tödtliches . Ende hervorzurufen, während die relativ gleichgrosse Menge bei Thieren von mehr als 1500®"”® Körpergewicht schon tödtlich wirkte. Eine Ver- stärkung um etwa 10 °/, macht die Krampf erregende Dose zur tödtlichen. Ein Fehler in der Berechnung kann sich kaum eingeschlichen haben, da wir diese sehr bequem hatten; unsere Lösung war nämlich so her- gestellt, dass auf unsere Spritze von 725 °"" oerade 2.0 %8"® Strychni- num muriaticum kamen. Auch die Verschiedenheit der benützten Salze erklärt diese abweichenden Resultate nicht; denn nach unserer auf deren DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U. S.w. 403 atomistischer Molecularformel fussenden Berechnung enthält 1.0”8"” des salpetersauren Salzes 0.8413 reines Strychnin, 1.0”8"® chlorwasserstoff- saures Strychnin 0.8402 ”s"® reines Alkaloid.. Der Unterschied von oo em aber ist zu verschwindend, um zur Erklärung herangezogen zu werden. So bliebe denn nur noch der Recurs an etwaige Verschie- denheiten in der Löslichkeit und Diffusionsfähigkeit übrig. Wie weit diese Annahme berechtigt ist, müssen wir allerdings dahingestellt sein lassen. Doch muss noch bemerkt werden, dass unsere Versuche alle im Sommer und zum Theil an sehr heissen Tagen vorgenommen wurden, was vielleicht auch einen Einfluss auf die Empfindlichkeit der Thiere gegen das Strychnin hat. Kehren wir nun nach dieser Abschweifung, die wir unmöglich ver- meiden konnten, weil sie eben die Basis für eine ‚Vergleichung unserer Versuche mit den -früher angestellten klarlegt, zurück zur weiteren Ent- wickelung der streitigen Frage. Was für das Strychnin galt, konnte auch bei anderen Krämpfe er- regenden Giften seine Richtigkeit haben. In dieser Erwägung machte sich Uspensky ebenfalls auf Prof. Rosenthal’s Veranlassung an die Entscheidung der Frage, ob auch die durch Brucin, Nicotin, Pikrotoxin, Thebain und Coffein hervorgerufenen Krämpfe durch die künstliche Athmung beeinflusst würden. Nur für einen Theil dieser Stoffe, für Brucin, Thebain, Coffein, konnte Uspensky den gleichen krampfstillenden Einfluss der Apnoe constatiren, während er bei Vergiftung mit Nicotin und Pikrotoxin die künstliche Athmung wirkungslos fand.! Dieses Resultat, das vielleicht im ersten Augenblicke wegen seiner scheinbaren. Unvollständigkeit nicht als völlig beweisgültig für die Heilkraft der Apnoe angesehen werden mag, ist gerade die beste Stütze, die für die Leube’sche Beobachtung erbracht werden konnte. Denn die Gifte, bei denen die Apnoe wirksam war, sind gleich dem Strychnin Reflexkrämpfe hervorrufende Gifte; Ni- cotin und Pikrotoxin dagegen führen nicht zur Steigerung der Reflex- erregbarkeit, folglich sind die dadurch erzeugten Krämpfe auch keine Reflexkrämpfe. Demgemäss durfte die künstliche Athmung hier gar nicht wirken, wenn anders ihre Reflexerresbarkeit verringernde Kraft sich nicht als eine auf schwachen Füssen stehende Hypothese erweisen sollte. Wenn wir auch in gegenwärtiger Arbeit auf eine Prüfung dieser Beobachtungen nicht eingehen können, so müssen wir doch gestehen, dass wir ihnen ein gewisses Präjudiz nicht absprechen können. 1 Dies Archiv, 1868. S. 522. 26* 404 L. PAUSCHINGER: Filehne endlich kam bei seinen an strychninvergifteten Kaninchen angestellten Versuchen zu gleicher Anschauung in Betreff der Apnoe- wirkung wie Leube.! Wir beschränken uns hier auf die einfache Mit- theilung »des Resultates der Filehne’schen Versuche, da wir später Veranlassung haben werden, diese besonders für die Entscheidung, auf welche Weise die Apnoe ‚wirkt, sehr werthvolle Arbeit noch eingehender zu betrachten. Den vorstehenden Befunden entgegengesetzt theilt Rossbach als Ergebniss seiner vollständig negatives Resultat aufweisenden Versuche Folgendes mit?: „Die künstliche Respiration hat weder einen Einfluss auf die Er- haltung des Lebens der strychnisirten Thiere, noch auf die Intensität und Dauer der Strychninkrämpfe. Die künstlichen Inspirationsstösse geben sogar häufig Anstoss zum Ausbruche der Krämpfe.“ Da es bei dieser „vorläufigen Mittheilung‘““ geblieben ist, sind wir leider nicht im Stande Näheres über die Rossbach’schen Versuche anzugeben. _ Gegenüber dieser absoluten Verneinung der Thatsache unternahm ich es zunächst, durch neue Versuche mir selbst die Ueberzeugung zu verschaffen, ob die künstliche Athmung einen Einfluss auf die durch Stryehnin hervorgerufenen Krämpfe habe oder nicht. Ich stellte daher zuerst die Krampfdose und die Tödtungsdose für das von mir benutzte Strychninsalz fest, welche, wie oben schon angegeben wurde, zu 1-2 bezw. 1-38" auf 1 Kilo Thier gefunden wurde. Eine genaue Angabe der Dose ist übrigens nicht möglich, denn erstens sind schwerere. Thiere relativ empfindlicher als leichtere, das heisst eine nach dem Gewichtsverhältnisse berechnete gleiche Dosis wirkt bei dem schwereren Thiere stärker; zweitens aber giebt es individuelle Verschiedenheiten in der Empfindlichkeit; drittens haben äussere Um- stände, wie z. B. die Temperatur, wahrscheinlich einen gewissen Einfluss auf das Gelingen der Versuche. | Ein überzeugendes Wort zu sprechen, ist vor Allem unser dritter Versuch geeignet, ein Parallelversuch, auf Hrn. Prof. Filehne’s in per- sönlichem Verkehr mir ertheilten Rath an zwei Thieren von gleichem Wuchse und gleichem Wurfe vorgenommen. Das. eine Kaninchen C wiegt 1320°%, das andere D 13702”. C, das leichtere, wird tracheotomirt. Die Vorbereitungen für die künstliche Athmung werden ebenso ge- 1 Dies Archw, 1873. 8. 370. 2 Centralblatt f. d. medicinischen Wissenschaften, 1873. S. 270. DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U.S.w. 405 troffen, wie sie schon Leube auf Rosenthal’s Rath ausgeführt: die Trachealcanüle wird durch einen kurzen Gummischlauch mit einer an ihrem anderen Ende in den Schlauch der Luftpumpe eingefügten Glas- röhre verbunden, welche durch eine in ihrer Wand angebrachte Oeffnung der überschüssigen Inspirationsluft sowie der Exspirationsluft den Aus- tritt gestattet. Bei Vornahme der künstlichen Athmung wird stets darauf geachtet, dass nach dem Inspirationsstosse eine kurze Pause eingehalten wird, während der die Exspirationsluft entweichen kann. Diese an sich kleinen Vorsichtsmaassregeln sind gewiss nicht zu unterschätzen, da man es durch sie am Besten verhütet, dass das Thier zum Theil seine eigene Respirationsluft, d. h. ein an O armes Luft- gemenge immer wieder eingepumpt erhält. _ Um 2 Uhr 55 Min. erhalten beide Kaninchen 1-6"s"® Strychninum muriaticum per os, so dass also C eine verhältnissmässig grössere Dose .einverleibt bekommt. Bei C' wird sofort die künstliche Respiration begonnen. Während C ruhig und behäbig in seiner Kiste sitzt, stellen sich bei D um 3 Uhr 15 Min. die ersten Anzeichen der Strychnin-Aura ein, womit wir kurzweg das Spitzen der Ohren, die Unruhe, vereinzelte Zuckungen bezeichnen wollen. Um 3 Uhr 20 Min. bekommt das Thier, wenn es sich vom Platze bewegen will, kurze Krämpfe und bald, um 3 Uhr 24 Min. folet den Vorboten ein heftiger Tetanus, der sich mehrmals wiederholt. Durch den dadurch verursachten Lärm wird C, das bis jetzt apathisch in der Ecke gesessen, aus seiner stoischen Ruhe aufgescheucht. Neugierig hebt es, auf die Hinterläufe sich stellend, den Kopf über die Kiste und blickt nach dem Grunde der Störung umher. Da es aber von seinem Leidens- gefährten nichts bemerken kann, zieht es sich wieder in seinen Winkel zurück, scheinbar nicht allzu unmuthig über die resultatlose Locomotion. Nach 60 Minuten, in welchen C keine Spur von Vergiftungssymp- tomen gezeigt, wird die künstliche Respiration ausgesetzt. Auch D beruhigt sich allmählich und ist nach 85 Minuten eifrig damit beschäftigt, sich zu putzen. C ist in der halben Stunde nach Aussetzung der künstlichen Ath- mung völlig ruhig geblieben. Um uns zu vergewissern, dass nicht etwa ein individuelles schwä- cheres Reactionsvermögen auf das Gift am Ausbleiben der Krämpfe bei dem apnoisch gemachten Thiere schuld sei, bekamen beide Kaninchen um 4 Uhr 35 Min. noch eine nachträgliche Dose von 0-5 ”8"” Strychnin. Die künstliche Respiration wurde bei C wieder aufgenommen. Allein 406 L. PAUSCHINGER: trotz derselben verfiel C nach 28 Minuten in einen starken Tetanus, der sieh mehrmals wiederholte, während D nur geringgradige Convul- sionen gezeigt hatte und zu dieser Zeit schon wieder völlig ruhig ge- worden war. Im Laufe der folgenden Stunde kehrte der Anfall nicht wieder. Mit diesen Krämpfen, die bei C' sich sogar noch stärker äusserten als bei D, ist der Beweis geliefert, dass C’ gegen das Strychnin ebenso empfindlich ist als D, dass mithin das Ausbleiben der Krämpfe bei C im ersten Theile unseres Versuches kein zufälliges war. Auffallend ist nun allerdings, dass die Krämpfe des apnoischen Thieres heftiger waren als die des nichtapnoischen. Eine Erklärung für diese Erscheinung zu geben ist uns nur mit Hülfe einer Hypothese möglich. Vielleicht wird das Strychnin durch die als Folge der Krämpfe auftretende starke Carbonisirung des Blutes in seinen Eigenschaften alterirt, während das CO, ärmere Blut im apnoischen Thiere es intact lässt. Möglich auch, dass die Ausscheidung des Giftes bei stärkerem Stoffumsatze im Anfalle rascher von statten geht, während das apnoische Thier in seiner ungestörten Ruhe dieses Vortheils verlustig ist. Drittens endlich, und das scheint mir das wahr- scheinlichste zu sein, sind wohl die refleetorischen Apparate des Thieres D während des ersten Anfalles sehr erschöpft worden, während sie bei dem Thiere € unermüdet blieben und konnten deshalb nach Verstärkung der Dosis einen heftigeren Krampfanfall veranlassen. Konnte sich so oder auf irgend eine andere noch unerklärte Weise die Wirkung der ersten und zweiten Dose summiren, dann ist nur die Wirkungslosigkeit der Apnoe bei der zweiten Vergiftung noch zu er- klären. Auf diesen Punkt wollen wir an einer späteren Stelle zurück- kommen. Noch ein beachtenswerthes Phänomen, das wir auch in anderen Fällen wiederfinden konnten, trat während und nach dem Anfalle zu Tage, dass nämlich selbst durch Vermehrung der Inspirationsstösse und der eingeführten Luftmenge keine Apnoe mehr zu erzwingen war. Auch auf diese Erscheinung werden wir an späterer Stelle noch näher eingehen. Jedenfalls ist durch diesen Versuch festgestellt, dass bei einer kleineren, eben Krampf erregenden Dose der Apnoe eine Verhütung der Krämpfe zu danken ist, denn während D schon nach 29 Minuten im heftigsten Tetanus dalag, blieb das apnoische Kaninchen gleichsam ge- feit gegen die Wirkung der Krampfdose. Bei unserem vierten Versuche benützten wir ein Kaninchen (#) von 1800 #® Körpergewicht. DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U. S. w. 407 Nachdem es tracheotomirt und probeweise in Apnoe gebracht ist, bekommt es um 3 Uhr 10 Min. 2-0”&"” Strychnin per os. Die künstliche Athmung wird aufgeschoben bis zum Eintritt der Strychnin-Aura. Allein das Prodromalstadium wird ganz übersprungen und um 3 Uhr 42 Min. bricht plötzlich ein starker Tetanus aus. Sofort wird die künstliche Respiration eingeleitet. Der Tetanus lässt nach und das Thier bekommt kein Reeidiv und hält sich, nachdem es auf- gestellt, gut auf seinen Extremitäten. Zu bemerken ist, dass das Thier in der ersten Zeit wenigstens während der künstlichen Erweiterung und Verengerung seines Brust- korbes noch spontane Athembewegungen macht, die allmählich erst schwinden. ; Da das Kaninchen in seinem weiteren Verhalten nicht den gering- sten Unterschied von einem nichtvergifteten zeigt, so wird um 4 Uhr 17 Min. die künstliche Athmung eingestellt. Von Zeit zu Zeit'macht das Thier zitternde, zuckende Bewegungen, die um 4 Uhr 45 Min. in etwas stärkere Convulsionen übergehen. Um 4 Uhr 50 Min. ist das Thier wieder ruhig, doch zeigt es bei Berührung noch erhöhte Reflexerregbarkeit, die sich um 5 Uhr 2 Min. in einem starken Tetanus recht deutlich äussert. Nach dreimaliger Wiederholung desselben verendet das Thier. Hier hat also die künstliche Athmung, nachdem ohne sie bereits nach 32 Minuten ein Krampf ausgebrochen war, die weiteren Krämpfe abgeschnitten und mit deren Verhütung das Thier als völlig gesund er- scheinen lassen, bis es durch die Aussetzung der künstlichen Respiration wieder der uneingeschränkten Wirkung des Strychnins preisgegeben wurde. In unserem fünften Versuche bekam ein fast gleichgrosses Kanin- chen # von 1780 8'” Körpergewicht um 2 Uhr 18 Min. die gleiche Dose Strychnin wie Z (2-0”®"®) und wurde sofort in Apnoe gebracht und erhalten. Abgesehen von einer geringen Unsicherheit in seinen Be- wegungen, die etwa nach 45 Minuten eintrat und sich rasch verlor, bot das Thier in der ersten Stunde keine Vergiftungssymptome dar. Nach Ablauf der Stunde, um 3 Uhr 18 Min., wird die künstliche kiespiration ausgesetzt, um zu sehen ob jetzt ohne künstliche Athmung Krämpfe eintreten. Die Apnoe hält etwa 25 Secunden an, um dann den spontanen Athembewegungen des Thieres zu weichen. Um 3 Uhr 20 Min., also 2 Minuten später, bricht ein starker Te- tanus aus, der das Kaninchen aus seiner Kiste heraushebt und es so er- schöpft, dass es schlaff zusammensinkt und regungslos auf der Seite 408 L. PAUSCHINGER: liegen bleibt. Trotz künstlicher Athmung erholt es sich nicht mehr und ist in der nächsten Viertelstunde eine Leiche. Während einerseits das gleichgrosse Kaninchen Z ohne künstliche Athmung schon nach 32 Minuten Tetanus bekommen hatte, blieb in diesem Falle das apnoische Thier die ganze Stunde hindurch, in der es in Apnoe erhalten wurde, völlig frei von jedem Krampfanfalle; und andererseits traten nach Beendigung der Apnoe hier wie dort von Neuem Krämpfe auf. Die tödtliche Wirkung der grossen Gabe aber vermochte die Apnoe nicht zu überwinden, nachdem der tödtliche Tetanus einmal ausgebrochen war. Im sechsten Versuche verwendeten wir ein etwas kleineres Thier, Kaninchen G, 1550 ®°” Körpergewicht. Nach Einverleibung von 1.8”3"® Strychnin um 4 Uhr 2 Min. wird sogleich die Apnoisirung begonnen. Um 4 Uhr 22 Min. wird das Thier von einem heftigen Tetanus befallen, bringt sich aber nach einigen misslungenen Versuchen sich aufzurichten, doch noch. auf die Beine und spaziert 45 Minuten nach seiner Vergiftung munter in seiner Kiste herum. Noch drei Stunden lang wird die Apnoisirung fortgesetzt: eine Wiederholung des Anfalles tritt nicht ein. Wir hatten, nach dem Gewichtsverhältnisse berechnet, diesem Ka- ninchen eine grössere Dose gegeben, als sie Kaninchen Z und 7 be- kommen hatten — auch der Umstand, dass sich die Wirkung der Dose trotz der künstlichen Athmung nicht länger als 20 Minuten zurück- dämmen liess, spricht für die Richtigkeit unserer Berechnung — trotz- dem fand nicht nur keine Wiederholung der Krämpfe statt, sondern das Thier entging auch bei der ohne Unterbrechung fortgeführten künst- lichen Respiration dem Tode, der ihm ohne sie gewiss war. „Gewiss“ nicht etwa unserer Zahlenrechnung wegen, „gewiss“ vielmehr wegen des Spruches der Thatsache. Denn dasselbe Kaninchen bekommt acht Tage später, ohne dass diesmal künstliche Athmung eingeleitet wird, die gleiche Menge Strychnin mit tödtlichem Auseun ee: der nach 51 Mi- nuten erfolgt. Nach 15 Minuten stellten sich in dem letzteren Versuche ziemlich starke Convulsionen ein, welche nach weiteren 5 Minuten in einen sehr starken Tetanus übergehen. Daran schliesst sich continuirliches Zittern und zeitweise auftretende stärkere Convulsionen, in welchen das Thier um 5 Uhr 36 Min. zu Grunde geht. Kaninchen B endlich, von 10108” Körpergewicht (zweiter Versuch), bekam die sehr starke Dose von 1:5”&® Strychnin. Die künstliche DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U. S. w. 409 Respiration wurde sogleich begonnen. Nach 30 Minuten bricht ein starker Tetanus aus, der sich einmal wiederholt. Bei diesem Versuche hatten wir zuerst die Beobachtung gemacht dass während des Anfalles keine Apnoe mehr zu erreichen war. Die Zahl der Respirationsstösse wurde vermehrt — vergeblich. Der Blasebalg wird stärker comprimirt — vergeblich. Zuletzt geschieht des Guten zuviel: die Berstung der Lunge macht allen weiteren Reflexionen ein Ende. Schliesslich stellten wir auch noch einen Versuch an über den Einfluss der Narkose auf die Krämpfe. Wir spritzten einem Kaninchen von 15408” Körpergewicht. 1°” Morphium in die Vena jugularis und gaben ihm nach Eintritt der Narkose 1.6”8"” Strychnin. Die Krämpfe traten bei dieser kleinen Dosis etwas später ein als gewöhnlich; ob diese unbedeutende Differenz ad melius der Narkose zu Gute zu rechnen sei, wollen wir um so weniger entscheiden, als wir bei der geringen Aussicht auf einigermaassen lohnenden Erfolg diese Beobachtung nicht weiter verlolgten. Gestützt auf die mitgetheilten Versuche ist unser Urtheil dies: 1) Kleine, eben Krampf erregende Dosen vermag die Apnoe völlig zu paralysiren. 2) Bei Vergiftung mit grösseren, eben tödtlich wirkenden Dosen verzögert die Apnoe den Eintritt der Krämpfe, mildert ihren Verlauf und verhütet, wenn sie ununterbrochen 2—3 Stunden unterhalten wird, den tödtlichen Ausgang. Wird sie ausgesetzt, so stellen sich die Krämpfe wieder ein und zwar können sie dann so intensiv sein, dass die Apnoe den tödtlichen Ausgang nicht zu verhindern vermag. 3) Bei sehr grossen Dosen, besonders wenn ohne künstliche Athmung ein Krampf schon ausgebrochen ist, kann letztere zuweilen gar keine Apnoe hervorbringen und es erklärt sich daraus die Wirkungslosigkeit der künstlichen Respirationesin solchen Fällen betreffs völliger Verhütung der Krämpfe. Wiederholung derselben sowie tödtlichem Ausgang kann durch die Apnoisirung vorgebeugt werden. 4) Mit dem Ausbruch eines Krampfes fällt stets die Unmöglichkeit Apnoe herzustellen zusammen. Wie weit wir mit unserem Befunde die beiden sich gegenüber- stehenden Anschauungen bestätigen, berichtigen, bekämpfen, das auszu- führen erscheint uns unnöthig, nachdem wir dieselben im originalen Wortlaute mitgetheilt haben. Die Erscheinung, dass ein mit grösseren Mengen Strychnin ver- giftetes Thier durchaus nicht mehr apnoisch zu machen war, steht nun allerdings im Gegensatz zur Leube’schen zweiten These, nach welcher 410 L. PAUSCHINGER: ein allenfallsiger Opisthotonus „trotz vollständiger Apnoe“ eintrat, allein sie schliesst die Erklärung für die krampfstillende Wirkung der Apnoe, wie sie Leube angedeutet und Uspensky weiter erörtert hat, ‚nicht nur nicht aus, sondern ist sogar eine werthvolle Unterstützung für die kosenthal-Uspensky’sche Erklärung, dass bei dem ganzen Vorgang die starke Arterialisirung des Blutes der wichtigste Factor ist. Angefochten wurde diese Hypothese zunächst in einer von Ebner unter Leitung des Herrn Prof. Buchheim ausgeführten Arbeit,! in welcher die durch die künstliche Athmung fortwährend unterhaltenen passiven Bewegungen zur Erklärung für die Wirkungsweise der Apnoe verwerthet werden. Der Gedankengang, auf welchem der Experimentator zu seiner An- schauung kam, ist der: Die Rosenthal’sche Ansicht, dass das Blut im apnoischen Zustande reicher an O sei, ist unrichtig. Folglich werden andere Gründe für die Wirkung der künstlichen Athmung vorliegen und da wäre zunächst an die dabei’ vor sich gehenden passiven Bewegungen zu denken. Eine Bestätigung dieser Vermuthung sieht Ebner in der „Lhatsache, dass die Strychninkrämpfe desto eklatanter sich zeigen, je ruhiger man das Thier lässt, je weniger oft man es z. B. berührt, kneift u. s. w.“ Wird man schon am Grundstein des ganzen Baues, der Verneinung der Rosenthal’schen Theorie der Apnoe, Anstoss nehmen, wird man von vornherein sich sagen, dass diese merkwürdige „Thatsache“ doch wohl nur auf einem Irrweg gefunden sein könne, so sind unsere in Be- zug auf diese Erklärung angestellten Versuche wohl geeignet . diese passiven Bewegungen ihres Charakters als rein passive Bewegungen zu entkleiden. Ausgeführt in der Art, dass „Vorder- und Hinterbeine des auf einer weichen Unterlage liegenden Thieres in einem gewissen Rhyth- ‘mus gegeneinander bewegt werden, erinnern diese Buchheim-Ebner’- schen Bewegungen sehr lebhaft an die Methode, welche Schultze zur Wiederbelebung asphyktisch geborner Kinder vorgeschlagen hat und sind in der That auch nichts anderes als unvollständige künstliche Athem- bewegungen, wie die beigefügten Curven klar darthun. Dieselben sind aufgenommen an einem tracheotomirten Kaninchen mittlerer Grösse. Seine Trachealkanüle wurde durch einen kurzen Gummi- schlauch mit einer Glasröhre, die seitlich eine Oefinung hatte, und das Röhrchen wiederum mit einem Marey’schen Luftkissen verbunden, dessen Hebel die Curven aufzeichnete; die absteigende Linie entspricht der Inspiration, die aufsteigende der Exspiration. 1 Die Wirkung der Apnoe bei Strychninvergiftung. Dissertation. Giessen 1870. DER EImNFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U.Ss.w. 411 Die erste Curve stellt die ruhigen Athembewegungen des Thieres dar. Man sieht an denselben die activen Inspirationen, während die I. Curve. Spontane Athembewegungen. Exspirationen in diesem Falle durchaus passiv, ohne Erzeugung eines positiven Druckes im Lungenraum vor sich gehen. In der zweiten Curve finden wir die spontane In- und Exspiration etwas umfangreicher, weil das Thier, an sich schon von sehr sanguini- schem Charakter, über unsere nach Buchheim versuchten Bewegungen etwas unbändig geworden war. Die Inspiration geht unmittelbar in eine schwache active Exspiration über, welche einen geringen positiven II. Curve. Zu Beginne spontane Athembewegungen des Thieres; das Pluszeichen entspricht dem Beginne der Buchheim-Ebner’schen Bewegungen. Druck erzeugt, ‘der langsam bis zur nächsten Inspiration absinkt. Die Stelle, an der das + sich befindet, entspricht dem Beginne der Buch- heim’schen Bewegungen, in Folge deren der Thorax rhythmisch er- weitert und verengert wird, und zwar bedeutend ausgiebiger als bei der spontanen Athmung. Die dritte Curve verdankt ihr Entstehen unserer Hofinung nach längerer Fortsetzung der Buchheim’schen Bewegungen vielleicht sogar III. Curve. ame) AAN erananannaA Die 15 Minuten lang fortgesetzen Buchheim-Ebner’schen Bewegungen werden an der Stelle, die dem Minuszeichen entspricht, beendet; von da an spontane Athmung. Apnoe zu Stande zu bringen. Sie ist deshalb erst aufgenommen, nach- dem das Thier 10 Minuten lang durch die Buchheim’schen Bewe- 412 L. PAuscHinGer: gungen mit Luft versorgt worden war. Die Stelle des — fällt zusammen mit der Sistirung der Bewegungen. Die flachen Athemzüge darnach sind offenbar unserer künstlichen Athmung zu verdanken, doch ist die Wirkung nicht nachhaltig, wie der weitere Verlauf der Curve zeigt. Die vierte Curve bedarf wohl keiner weiteren Erklärung, da sie im Wesentlichen dasselbe zeigt wie die früheren. IV. Curve. ul Zuerst spontane Athmung; vom Plus- bis zum Minuszeichen Buchheim-Ebner’sche Bewegungen; dann wieder spontane Athmung. Da bei diesem Versuche das Thier bei Einleitung der Buchheim’- schen Bewegungen sehr unruhig geworden war, so wurde der Versuch an einem narkotisirten Thiere wiederholt. Alle drei Curven dieses Versuches (V, VI, VII) zeigen zur Evidenz wiederum den Einfluss der Buchheim’schen Bewegungen auf die Ath- V. Curve. Anfangs spontane Athmung des narkotisirten Thieres; dem Pluszeichen entsprechend Beginn der Buchhei:m-Ebner’schen Bewegungen. mung. Mit der Auseinanderziehung der Extremitäten sinkt die Ordinate tief: herab, um mit der Annäherung der Extremitäten in die Höhe zu schnellen, und in unregelmässigen Schwankungen darnach wieder zur Mittelstellung zurückzukehren. Die sechste Curve veranschaulicht in ihrem ersten Theil die letzten Buchheim’schen Bewegungen, die 15 Minuten lang vorgenommen VI. Curve. Die 15 Minuten lang betriebenen Buchheim-Ebner’schen Bewegungen werden dem Minuszeichen entsprechend mit spontaner Athmung vertauscht. Das Thier ist narkotisirt, worden waren, und, von der Stelle des — an, den Uebergang zur spon- tanen Athmung. Wenn auch hier die ersten sechs Athemzüge nach DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U.S.w. 413 Pausirung der Buchheim’schen Bewegungen flacher sind als die fol- senden, so ist doch der Unterschied so gering, dass wir kaum annehmen können, dass eine die Zeit der künstlichen Athmuns überdauernde Apnoe zu Stande gekommen war. Die siebente Curve endlich bildet die spontanen Athembewegungen ab, unterbrochen durch 15 Minuten lang fortgesetzte Buchheim’sche Bewegungen, denen der lange senkrechte Strich entspricht. Vl. Curve. Zuerst spontane Athmung des narkotisirten Kaninchens. Dem Pluszeichen entsprechend’ Beginn der Buchheim-Ebner’schen Bewegungen, die 15 Minuten hindurch fortgesetzt werden. Der Längs- streifen ab bezeichnet die Stärke der tiefsten In- und Exspiration während der 15 Minuten. Von da an spontane Athmung. Derselbe zeigt zugleich in seinem auf- und absteigenden Theil den äussersten Spielraum der Lungenerweiterung und Verengerung. Aus seinen Versuchen zieht Ebner den Schluss, „dass, wenn man ein Thier in beständiger «Bewegung erhält, die Reflexkrämpfe bei Stryehnin- und Bruein-Vergiftung weniger leicht oder gar nicht ein- ‘treten, und dass es deshalb nicht nothwendig ist, die Rosenthal’sche Theorie der Apnoe zur Erklärung der Gegenwirkung der künstlichen Respiration herbeizuziehen.“ Lassen wir auch hier zunächst unsere Versuche selber sprechen, bevor wir das Defendo oder Condemno in die Urne werfen. Aus diesen Versuchen geht jedenfalls so viel hervor, dass die von Buchheim und Ebner gewählten Bewegungen eine Art von künst- licher Athmung darstellen, durch welche eine energische Lüftung der Lunge erzielt wird. Dieselbe ist nicht so zweckmässig wie die gewöhn- liche, mit einem Blasebalg vorgenommene künstliche Athmung; sie ver- mas daher auch keine die Bewegungen überdauernde Apnoe zu erzeugen; aber so lange als jene Athembewegungen unterhalten werden, führen sie ofienbar dem Blute grössere Mengen von Sauerstoff zu als die nor- malen Athembewegungen. Wenn also durch sie die Wirkung schwacher Strychninvergiftung hintangehalten werden kann, so ist darin keine Widerlesung, sondern eher eine Bestätigung der Rosenthal’schen Anschauungen zu sehen. In unserem achten Versuche bekam Kaninchen 4, 1540°" schwer, um 11 Uhr die eben Krampf erregende Dose von 1-6”®"” Strychnin. 414 L. PAUSCHINGER: Die Buchheim’schen Bewegungen werden sofort in der vorgeschrie- benen Weise begonnen. ‘Um 11 Uhr 9 Min. treten die ersten Zuckungen auf, die sich zeit- weise wiederholen und zwischen 11 Uhr 30 Min. und 45 Min. sowohl an Zahl wie an Intensität am heftigsten sind. Da sich das Thier all- mählich wieder beruhigt, so werden um 12 Uhr 20 Min. die Bewegungen eingestellt. Auch jetzt bleibt das Thier ruhig, doch zeigt es noch er- höhte Reflexerregbarkeit. Um 12 Uhr 40 Min. bricht auf einen Stoss hin ein heftiger Tetanus aus, der sich im Laufe der nächsten 10 Min. noch dreimal wiederholt, so oft das Thier den Versuch macht, sich auf seine Beine zu stellen. Davon erholt es sich jedoch ziemlich rasch und ist um 1 Uhr 30 Min. so munter und frisch wie man nur wün- schen kann. Im zehnten Versuch gaben wir einem fast gleichschweren Kanin- chen von 1550®° Körpergewicht um 5 Uhr 55 Min. 1-8"sm Strychnin, eine Dose, die bei entsprechenden Thieren ohne künstliche Athmung tödtlich gewirkt, mit derselben aber nur einen einzigen Tetanus hervor- gerufen hatte. Die Buchheim-Ebner’schen Bewegungen werden so- fort begonnen. Um 6 Uhr 10 Min. stellen sich ziemlich starke Con- vulsionen ein. Diese gehen um 6 Uhr 15 Min. in starken Tetanus über, der es fast unmöglich macht, die Buchheim-Ebner’schen Be- wegungen fortzusetzen. Nach einigen Secunden lässt der Tetanus nach. Ununterbrochenes Zittern und von Zeit zu Zeit eintretende Convulsionen dauern fort, bis das Thier um 6 Uhr 46 Min. verendet. Mithin lässt sich zwar durch die Buchheim-Ebner’schen Be- wesungen der tödtliche Ausgang nicht verhüten, doch scheinen die Krämpfe bei Vollführung derselben einen etwas milderen Verlauf zu nehmen. In Betreff der Thatsache also, dass diese Art von vicarlirender Ap- noisirung einen wenn auch geringgradigen Einfluss auf die Strychnin- Krämpfe ausübt, können wir den Resultaten Ebner’s beistimmen — zur Erklärung dagegen erachten wir es geradezu für nothwendig die Rosenthal’sche Theorie herbeizuziehen. Denn weil diese Buchheim- Ebner’schen Bewegungen nur eine andere Art von künstlicher Respi- ration sind, wie unsere Curven sattsam gezeigt haben, so wird das Blut O-reicher und dadurch befähigter seine reizaufhebende Wirkung aus- zuüben; weil sie aber zugleich nur mangelhaft die künstliche Athmung ersetzen und das Blut nicht so reichlich mit OÖ durchtränken, als dies bei der Apnoisirung geschieht, deswegen sind sie nicht im’Stande auch® gegen grössere Dosen gleiche Macht auszuüben wie die Apnoisirung. Aufgefallen ist uns auch die Kleinheit der Dosen, deren sich Ebner DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STYCHNIN U. Ss. w. 415 bediente. Die höchste von ihnen ist !!/,”®” für Kaninchen von 1611 und 1584®°% Körpergewicht, zudem noch auf dem Wege subeutaner In- jeetion beigebracht, auf dem die Strychninwirkung am schwächsten ist. Ueberdies ist das schwefelsaure Salz, das bei diesen Versuchen benützt wurde, das an Strychnin ärmste; es enthält 1:0”®®, davon nach unserer Berechnung 0-7488 "8" reines Strychnin, folglich die ansehnliche Menge von 0-1"&% weniger als das salzsaure Strychnin. Ein weiterer Einwand gegen die Rosenthal’sche Erklärung stammt von Brown-Sequard.! Ueber die thatsächliche Richtigkeit der Versuche Rosenthal’s ist Brown-Sdquard nicht in Zweifel; seine eigenen Worte lauten: „J’ai rep&te ses experiences, et j’en ai constate lexactitude.“ Die Erklärung aber, die Rosenthal für die Erscheinung gegeben, bezeichnet er als „absolut falsch.“ Nicht in der Uebersättigung des Blutes mit O sieht Brown- Söquard den Grund für das Anhalten der Athembewegungen in der Apnoe oder das Ausbleiben der Strychninkrämpfe, er leitet vielmehr diese Erscheinung ab von einem „mechanischen Reiz, der auf die Ver- zweigungen des N. vagus in den Bronchien, des N. phrenicus und noch anderer Nerven im Zwerchfell durch die gewaltsam eingeblasene Luft ausgeübt wird.“ Für seine Anschauung führt ende an, dass „Durch- schneidung des kückenmarkes ober- oder unterhalb des Ursprungs des Phrenicus oder auch Durchschneidung der Vagi den Einfluss der Apnoi- sirung auf die Athembewegungen und also auch auf die Strychnin- krämpfe aufhebt.“ Dagegen gelang es Filehne? trotz hoher Rückenmarksdurchschnei- dung und besser noch nach Durchtrennung des Markes durch Umsehnürung sowohl Apnoe zu erzielen als auch nach Durchschneidung der Vagi die Strychninkrämpfe durch Apnoe zu mildern und den tödtlichen Ausgang zu verhüten. Gewiss mit Recht betont Filehne, dass hier ein einziger positiver Versuch die ganze auf negativen Resultaten aufgebaute Theorie umstürzen könne, weil eben in den meisten Fällen die Circulationsstörung in Folge des starken Blutverlustes bei der Operation und ferner der Gefässlähmung nach hoher Rückenmarksdurchschneidung so bedeutend sein könne, dass sie die Versorgung der Centren mit reichlich arterialisirtem Blute un- möglich mache. Das war wohl auch die Klippe, an der Brown- 1 Archives de physiologie normale et pathologigue. IV. S. 204. 2 Dies Archiv, 1873. S. 361. 416 L. PAUSCHINGER: Sequard’s Versuche scheiterten. Das „absolument fausse“ fällt damit auf Brown-Sequard’s eigene Erklärung zurück. Schliesslich bliebe nur noch eine von Hermann in seiner Toxiko- logie angedeutete Erklärung übrig. In dem Abschnitte Strychnin wirft nämlich Hermann beiläufig die Bemerkung hin: „denkbar wäre es, dass die künstliche Respiration durch. Abkühlung des Thieres die reflec- torischen Krämpfe verhindert,“ erinnernd an eine ältere Arbeit Kunde’s. Bei seinen Versuchen über die Einwirkung „der Wärme auf die Ner- venelemente,“ die er an strychnisirten, unter verschiedene Temperatur- verhältnisse gebrachten Fröschen angestellt hatte, war nämlich Kunde zu dem Resultat gekommen „dass bei einer geringen Dosis von Strychnin die Wärmezufuhr den Tetanus aufhebt, die Wärmeentziehung denselben hervorruft; bei einer grösseren Dosis von Strychnin die Wärmezufuhr den Tetanus hervorruft, die Wärmeentziehung denselben nieht zu Stande kommen lässt“. ! Die Temperaturdifferenzen, mit denen Kunde arbeitete, betragen bis zu 30°C. Das bewirkt ganz enorme Temperaturveränderungen, wie sie natürlich bei homöothermen Thieren nicht auf weithin annähernd erzeugt werden können, so dass es schon von vornherein gewagt er- scheinen mag, hier per analogiam Schlüsse zu ziehen. Doch hier braucht man ja kein Hypothesiren; man frast. einfach das Thermometer. Und das zeigte uns bei einem Kaninchen von 37-2° Kör- pertemperatur, im Rectum gemessen, bei Einleitung der künstlichen Ath- mung nach Verfluss von 10 Min. 37-0°% nach 20 Min. 369°; nach 25 Min. 368°; nach 30 Min. 36-8°; nach 35 Min. 367°; nach 40 Min. 36-7°; nach 45 Min. 367°. Mithin war die Körpertemperatur durch die Apnoisirung im Verlauf von °/, Stunden nur um !/,° erniedrigt worden, ungefähr um so viel, als sie auch ohne künstliche Athmung durch das Fesseln allein gefallen wäre. Wenn man aber bedenkt, dass die wirksame Temperatursenkung doch schon in den ersten 20—30 Min. vor sich gehen müsste, dann würde der Unterschied noch geringer ausfallen. Dass eine so unbeträchtliche Körper-Abkühlung nicht dazu angethan . ist, sinen so auffallend Unterschied im Verhalten apnoisirter und nicht apnoisirter Thiere zu erklären, das ist wohl auch ohne weitere Versuche eo ipso klar. Trotzdem glaube ich jedoch, dass die Temperatur nicht ganz ohne ‚Einfluss auf die hier in Rede stehende Erscheinung ist. Bekanntlich kann bei höherer Temperatur viel schwerer Apnoe hergestellt werden 1 Virchow’s Archiv u. s. w. 1860. S. 357. DER EINFLUSS DER APNOE AUF DIE DURCH STRYCHNIN U.S.w. 417 als bei niederer. Da nun alle unsere Versuche bei hoher Sommerwärme angestellt wurden, so ist vielleicht der Unterschied zwischen unseren und den von Leube erzielten Erfolgen zum Theil auf diesen Umstand zurückzuführen. Ich werde deshalb diese Versuche im Herbst wieder aufnehmen und über den Erfolg in einem Nachtrag zu dieser Arbeit berichten. Nachdem wir so alle anderen Erklärungen ausgeschlossen, stellen wir die Wahrscheinlichkeits-Diagnose dahin, dass die Arterialisirung des Blutes es ist, durch welche die künstliche Athmung krampfhemmend wirkt; und wir werden diese Anschauung aufrecht erhalten, so lange nicht eine andere an ihren Platz tritt, welche mit den Gesetzen der Physiologie ebensogut in Einklang steht wie die unsere und dabei die Unhaltbarkeit der letzteren auf unbestreitbare Weise darlest. Nun wäre noch die Frage, in welcher Weise denn die Sättigung des Blutes mit OÖ zur Geltung kommt. Zwei Möglichkeiten sind hier vorhanden: entweder werden die Reflexmechanismen im Rückenmarke selber schwerer erregbar, oder die reflexhemmenden Centren im Gehirn werden gereizt. Da aber nach Durchschneidung des Rückenmarkes sowohl das Strychnin seine Wirkung, als die künstliche Athmung ihre Gegenwirkung beibehält, wie Uspens- ky’s Versuche lehren, so bleibt nur der erstere Weg übrig um zu einer Erklärung zu gelangen. Nach unserer Anschauung ist demnach der Hergang folgender: Das Strychnin übt auf die automatischen Centren im verlängerten Mark einen gewaltigen Reiz aus, wie das rasche Steigen der Athem- frequenz und der Pulszahl beweist. Der gleichen Erregung verfallen die Ganglienzellen in der grauen Substanz des Rückenmarkes, welche den sensiblen Reiz in den motorischen umsetzen. Dieser stärkere Erregungszustand, welcher von der durch das Strych- nin nach Mayer bewirkten Gefässverengerung noch begünstigt wird, bedingt ein Ausstrahlen des sensiblen Reizes auf alle die Bahnen, durch welche centripetale und centrifugale Fasern (wie Arterien und Venen durch das Capillarnetz) zusammenhängen, d. h. er bedingt allgemeine Reflexkrämpfe. Wird jetzt künstliche Respiration vorgenommen, so wird das Blut mit O völlig gesättigt und gleichwie das Athmungscentrum durch das arterialisirte Blut in den Zustand der Ruhe versetzt wird, so werden auch die reflectorischen Ganglien durch das O-reichere Blut, das sie umspült, auf geringere Erregbarkeit gebracht. Diese beiden anomalen entgegengesetzten Zustände nun, der Reiz des Strychnins und die Reiz- verminderung durch den O-Ueberfluss, heben sich auf, die Reflexganglien Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg, 97 418 L. PAUSCHINGER: DER EINFL. D. APNOE AUFD. DURCH STRYCHNIN DT. S.W. fungiren scheinbar normal und verhindern das Uebergreifen der sensiblen Erregung auf alle Reflexbahnen. Ist aber die Strychnindose eine grosse, so überwiegt ihre Macht derart über den Einfluss des O-Ueberflusses, dass nun sowohl spontane Athembewegungen, wie wir sie bei unseren Versuchen gefunden haben, als auch allgemeine Reflexkrämpfe zu Stande kommen, d. h. Ueberreizung des Noeud vital wie der internervalen Ganglien. Mit Freuden benütze ich die Gelegenheit, auch an dieser Stelle meinem hochverehrten Lehrer, Hrn. Prof. Rosenthal, herzlichsten Dank auszusprechen für die freundliche Unterstützung, für die fördern- den. Rathschläge, deren ich speciell bei dieser Arbeit genoss, nicht weniger aber auch für die vielseitige Anregung, die ich während meiner sanzen Studienzeit als sein Schüler gefunden. Ueber die Bestimmung des Mitteldruckes durch das Quecksilbermanometer. Von Dr. v. Kries, Assistenten am physiologischen Institute zu Leipzig. (Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig.) (Hierzu Taf. VI.) Wenn man das Quecksilbermanometer benutzen will um den Mittel- werth eines periodisch veränderlichen Druckes zu bestimmen, so kann man sich hierzu bekanntlich zweier Methoden bedienen. Entweder ver- wendet man das Manometer in seiner gewöhnlichen Gestalt, wo es ent- sprechend den Druckschwankungen mehr oder weniger grosse Excursionen macht; man bestimmt dann den Mittelwerth des von ihm angezeigten Druckes, indem man die erhaltene Curve planimetrirt (oder, wenn sich ihre auf- und absteigenden Theile von geraden Linien nicht merklich unterscheiden, indem man aus den Höhen der oberen und unteren Spitzen das arithmetische Mittel nimmt). Da dies Verfahren etwas zeitraubend ist, so hat man dasselbe durch eine zweite Methode zu ersetzen versucht. Dieselbe bestand darin, eine starke Verengerung in der Verbindung des Manometers mit dem zu messenden Drucke oder im Manometer selbst anzubringen. Das Manometer macht unter diesen Umständen keine Excursionen, sondern stellt sich auf einem gewissen Punkte ein, welcher sofort den gesuchten Mitteldruck ergeben soll. Ein solches Manometer nenne ich im Folgenden im Anschlusse an Marey ein compensirtes. Für eine genaue Beurtheilung beider Methoden müssten wir nun zunächst wissen, ob beide immer dasselbe Resultat ergeben oder nicht, ferner aber, je nach dem Bestehen oder Fehlen einer solchen Ueberein- stimmung über die Correctheit des gemeinsamen oder der beiden ab- weichenden ‚Resultate orientirt sein. Es sind indessen dieser Frage, so viel mir bekannt, nur zwei Arbeiten bis jetzt gewidmet worden. Die 420 v. Kris: Die erste rührt von Setschenow her, die zweite von Poiseuille.! Setschenow verglich direct die Werthe, welche er einerseits mit frei schwingendem Manometer, andererseits nach Anbringen einer Verengerung im Manometer erhielt und fand dieselben in genügender Ueber- einstimmung. ? Poiseuille kam zu dem entgegengesetzten Resultate; man erhält, seiner Meinung nach, durch Anbringung von Verengerungen zu geringe Druckwerthe, „puisque la presence de l’etranglement s’opposant & la libre ascension des colonnes de mercure modifie necessairement en moins la pression cherchee“. Indessen ist für diese Deutung der Erscheinung von Poiseuille insofern kein Beweis erbracht worden, als seine Versuche zweifelhaft lassen, welche von den gefundenen Werthen als die wahren, welche als die falschen zu betrachten sind, mit anderen Worten, ob der H&mody- namometre zu hohe oder der H&mometre compensateur zu geringe Werthe giebt. Bei dieser Lage der Sache wird es gestattet sein, Versuche mitzu- theilen, welche zwar keineswegs zu einer vollständigen Auflösung des hier in Betracht kommenden hydrodynamischen Problems ausreichen, aber vielleicht zu einer exacten Auffassung desselben beitragen können und für die practische Anwendung des Quecksilbermanometers zur Be- stimmung des Mitteldruckes genügen dürften. Die Fragen, welche ich zu beantworten versuchen will, sind der Reihe nach folgende: 1) Giebt die Bestimmung des mittleren Blutdruckes in einer Arterie mit dem frei schwingenden und mit dem compensirten Manometer verschiedene Werthe? 2) Giebt unter irgend welchen anderen Verhältnissen das frei schwingende und das compensirte Manometer verschiedene Mittelwerthe? 3) Welche von beiden Methoden ist in dem Falle von Differenzen als die correcte anzusehen ? 1. Das frei schwingende und das compensirte Manometer bei der Messung arteriellen Blutdruckes. Die hier mitzutheilenden Versuche unterscheiden sich nur in unter- seordneter Weise von den Setschenow’schen. 1 Setschenow, Zeitschr. f. rat. Mediein. III. R. XII. Poiseuille, Quelques mots sur ’h&modynamometre, le cardiometre et P’hemometre compensateur. Gazette hebdomadaire ete. 1868. 2 Er brachte in der Mitte des Manometerrohres einen Hahn an, durch dessen Drehung das gewünschte Maass an Widerstand hergestellt werden konnte. BZ ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. W. 421 In die Carotis eines mittelerossen Hundes wurde endständig eine Canüle eingebunden und diese mit einem gläsernen Gabelrohre verbunden. Der eine Schenkel desselben communicirte durch ein gläsernes Capillar- rohr mit dem einen Schenkel eines zweiten, an das Manometer gesetzten Gabelrohres; die beiden anderen Schenkel der zwei Gabelrohre waren mit einander durch ein weiteres Glasrohr mit Hahn verbunden." Wenn also der Hahn offen war, so bestand eine weite Verbindung zwischen Arterie und Manometer, das letztere konnte unter dem HEinflusse des periodischen Druckes relativ grosse Excursionen machen. Wurde der Hahn geschlossen, so bestand nur die capillare Verbindung; das Mano- meter zeigt daher weder vom Herzschlage noch von der Respiration ab- hängige Bewegungen. Durch abwechselndes Oeffnen und Schliessen des Hahnes erhält man somit eine Anzahl Bestimmungen der einen und der anderen Art, welche unter einander verglichen werden können. Bei meinen Versuchen wurde der Stand des Manometers in der im hiesigen Institute gebräuchlichen Weise mittelst eines Schwimmers auf unendliches Papier registrirt, der Mittelwerth an der Curve des compen- sirten Manometers direct gemessen, aus derjenigen des freien Manometers durch Planimetriren bestimmt. Im Folgenden stellte ich die bei zwei solchen Versuchen erhaltenen Werthe zusammen. Die. Zahlen bedeuten die mittlere Erhebung des Schwimmers über eine bestimmte Abseisse (die Reduction auf absolute Druckwerthe ist unterlassen, weil es sich nur um die Differenzen han- delt). Die mit f bezeichneten Zahlen sind von dem freien, die mit c bezeichneten von dem compensirten Manometer geliefert. Die Reihen- folge der Zahlen entspricht der zeitlichen Folge der Bestimmungen. Kavernsuch: Mittlere Erhebung des Schwimmers in Millimetern bei freiem (f) und bei compensirtem (c) Manometer. ® € ce a [6 c € if u c 8-1 84.5 81-8 80.9 80.7 79.6 80:7 80.3 80.0 80.4. e e IR c c in e e e F 80-1 80.4 80.1 79.6 79.6 790 80:5 81-0 81.5 79.5 3 di er 80.2 80.4 79.0. ! Selbstverständlich waren alle Verbindungsstücke unter Ausschluss von Luft- blasen mit Sodalösung gefüllt. 422 v. KrIES: IaayreusaLch: ir Eee fine ee Bere 492.2 42.9 41-4 41:7 39.7 41-1 40.7 39.6 42.9 42.0 @ f JR c IR e ce Ti ce 49.0 - 44.01. 43.8: 44:0 1.49.32 Al.3, 41.6. 11-20 Ein Blick auf diese Zahlen lehrt, dass, wenn überhaupt Differenzen zwischen beiden Methoden bestehen, sie jedenfalls zu geringfügig sind, um durch die unregelmässigen Schwankungen des arteriellen Druckes hindurch mit Sicherheit wahrgenommen zu werden. Wir finden bald die eine, bald die andere höher, aber durchaus kein regelmässiges Ver- halten. Dieses negative Resultat bestätigt also die Setschenow’schen Versuche. Indessen ist es natürlich nicht statthaft, hieraus ganz allge- mein die Folgerung zu ziehen, dass für den Blutdruck beide Methoden äquivalent seien. Erstens nämlich bietet diese Vergleichung keine sehr grosse Genauigkeit, zweitens aber ist sie ganz unausführbar bei rasch wechselnden Blutdruckverhältnissen, z. B. Vagusreizung. Wir können also nur sagen, dass unter gewöhnlichen Verhältnissen die Differenzen beider Methoden unwesentlich sind. Es schien aus diesen Gründen nicht rathsam, diesen Weg weiter zu verfolgen, vielmehr musste eine vergleichende Prüfung beider Methoden unter beliebigen experimentell herzustellenden Verhältnissen vorgenommen werden. II. Das freie und das compensirte Manometer bei der Messung des mittleren Seitendruckes in elastischen Schläuchen. Ich bediente mich foleender Vorrichtung, um in einem Kautschuk- schlauche einen periodisch wechselnden Strömungsvorgang hervorzubringen. Ein grosser cylindrischer Blechkasten von 1:5” Höhe und 1:35” Umfang konnte zu beliebiger Höhe mit Wasser gefüllt werden. Das am Boden befindliche Ausflussrohr wurde durch eine sogleich näher zu be- schreibende Unterbrechungsvorrichtung mit einem langen Kautschuk- schlauche in Verbindung gesetzt. Durch diesen fand also ein periodisches Ausfliessen statt, wenn die Unterbrechungsvorrichtung in Thätigkeit war. Die letztere war derart, dass sie gestattete zwei Kautschukschläuche ab- wechselnd zu öffnen und zu schliessen und zwar so, dass die Oeffnung des einen mit der Schliessung des anderen zeitlich zusammenfiel. Es wurde bei den augenblicklich in Rede stehenden Versuchen nur die Oeffnung und Schliessung des einen Schlauches benutzt; doch will ich ÜBER pız BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. Ww. 493 der Einfachheit halber die kleine Vorrichtung gleich vollständig be- schreiben. Eine Messingscheibe A (Taf. VI Fig. 1) ist um eine durch C gehende Axe .drehbar; sie besteht aus zwei ungleichen Hälften B und C. Die grössere Hälfte B drückt von den beiden Messingbrettchen D und E das eine zur Seite und comprimirt dadurch den einen der beiden Schläuche 7 und J. Während der Rotation von A ist also in der Hälfte der Zeit 7 comprimirt und J offen, während der anderen Hälfte 77 offen und J comprimirt. Hier nun wurde nur der periodische Verschluss des einen Schlauches benutzt, welcher die Verbindung zwischen dem Reservoir und dem Aus- flussschlauche bildete. Die Scheibe A wurde mittels einer Uebertragung von der Gasmaschine des Institutes in Rotation versetzt. Die Periode der Unterbrechung konnte dabei zwischen 30 und 140 in der Minute varliırt werden. Dicht hinter der Unterbrechungsvorrichtung wurde in den Ausflussschlauch ein gläsernes T-Rohr eingefügt, dessen: Seitenarm mit dem Manometer verbunden wurde. Da man unter diesen Umständen den wahren Werth des im Schlauche zu messenden mittleren Seitendruckes nicht angeben kann, so machte ich ganz dieselben Bestimmungen der Reihe nach mit Manometern von verschiedener Weite. Dieselben wurden zunächst ohne Einschaltung von grösseren Widerständen, also als „freie“ und mit Vermeidung elasti- scher Zwischenstücke an das T-Rohr angefügt. Es zeigte sich hierbei, dass unter diesen Verhältnissen die verschie- den weiten Manometer sehr verschiedene Mittelwerthe ergeben. In den folgenden Tabellen (1—4) bezeichnet S denjenigen Seitendruck, welchen das Manometer bei constanter Oefinung des Schlauches anzeigte; der bei periodischem Fliessen sich ergebende Mitteldruck ist einmal absolut, einmal in °/, von S angegeben. ‚Jedem gefundenen Mittelwerthe ist derjenige Werth S beigefügt, welcher unmittelbar vor- oder nachher gefunden wurde, also derselben Niveauhöhe im Reservoir entsprach. Der Querschnitt des Reservoirs war im Verhältniss zu den strömenden Wassermengen so gross, dass während eines Versuches keine in Betracht kommende Aenderung des Niveaus eintrat. Die Tabellen enthalten im ersten Stabe die Länge einer Unter- brechungsperiode (Zeit zwischen zwei aufeinander folgenden Oefinungen), im zweiten S, im dritten den gefundenen Mittelwerth absolut, im vierten denselben in °/, von S. 424 Manometer 1. v. Kris: Tabelle 1. Weite 10m, Periode der Gefundener Mittelwerth Unterbrechung S. in Sonr absolut | in %/, von 8. 0.23 19.6 7.5 38 0-35 19.6 4.6 23 0.76 19.5 7-5 38 0-93 19.7 8-1 41 1.09 19.6 11-4 58 1:53 20.0 11-7 58 2-0: 20.0 9.2 46 Tabelle 2. Manometer Il. Weite 6m, ee S, Gefundener Mittelwerth in Sec. absolut. in 0/9 von 8. 0.24 21-0 9.5 45 0.33 21-0 7.0 BR) 0.89 20-7 9.3 45 1-03 20-3 11.2 55 1:23 20.5 12.2 59 1-65 20.0 13-0 65 2.19 20-0 6-9 34 Tabelle 3. Manometer III. Weite 4m, Periode der | Gefundener Mittelwerth Unterbrechung S. in Sec. absolut. in %/, von 8. 0.27 20-0 .8.8 44 0.33 20.0 5.6 28 0.79 20.2 7.6 38 0.88 20.5 8.9 43 1-15 20.0 10-6 50 1.47 20.0 9.5 48 1.65 20.0 2-7 13 ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. W. 425 Tabelle 4. Manometer IV. Weite 3m, Periode der 1 Gefundener Mittelwerth Unterbrechung S. in Sec. absolut. in %/, von 8. 0-25 20.0 9.5 47 0-33 20:0 6-5 32 0.67 20.0 4-7 23 0-71 20-5 9.0 44 0-75 20-3 9.1 45 1.07 20-3 4-4 22 1.52 20.0 5:8 29 2.02 20-5 9.7 47 Aus den Tabellen geht hervor, dass die gefundenen Mittelwerthe einerseits von der Schnelligkeit der Oeffnung und Schliessung abhängen, andererseits aber auch je nach der Benutzung eines engeren oder weiteren Manometers ganz verschieden ausfallen. In Fig. 2 Taf. VI sind die Zahlen der Tabelle derart graphisch dargestellt, dass die Periode der Unterbrechung als Abseisse, die gefundenen Mittelwerthe in °/, von 8 als Ordinaten aufgetragen sind. Es entspricht somit jedem Manometer eine der vier Curven. Das verschiedene Aussehen derselben zeigt zur Genüge, wie wesentlich die Resultate von der Beschaffenheit des Mano- meters abhängen. Von der Ursache dieses Verhaltens können wir uns, bis zu einem gewissen Grade, Rechenschaft geben, wenn wir dem Strömungsvorgange selbst unsere Aufmerksamkeit zuwenden. Es zeigt sich nämlich, dass die Ausflussmengen, bei derselben Niveauhöhe im Reservoir, ganz wesent- lich davon abhängig sind, ob ein weites Manometer, ein enges oder gar keines angefügt ist. Fig. 3 Taf. VI zeigt graphisch diese Abhängigkeit. ‘ Die Abseissen entsprechen den Längen der Unterbrechungsperiode, die Ordinaten den während einer Minute ausgeflossenen Wassermengen. Die fünf Curven stellen die fünf Fälle dar, wo gar keins oder je eins der vier benutzten Manometer an das T-Rohr angefügt war. Es zeigt sich hier ganz deutlich, wie die Strömungsverhältnisse von den ohne Mano- meter bestehenden sich um so weiter entfernen, je weiter das angesetzte Manometer ist. Dass der Strömungsvorgang durch die schwingenden Quecksilbermassen alterirt wird, kann uns kaum Wunder nehmen. Namentlich wird es verständlich erscheinen, dass bei einer annähernden Uebereinstimmung der Unterbrechungsperiode mit der Dauer der Eigen- 426 v. KRIES: schwingung der Manometer (etwa 1 Sec.) eine Beschleunigung das Stromes stattfindet. Soviel lässt sich aus den gefundenen Werthen jedenfalls schliessen, dass bei der Ansetzung eines freien, nicht compensirten Manometers an einen elastischen Schlauch, in welchem ein periodischer Strömungsvorgang stattfindet, sowohl eine Beein- trächtigung des Strömungsvorganges als eine völlig unrichtige Angabe mittlerer Druckwerthe eintreten kann. Es lag nun nahe weiter zu fragen, unter welchen Umständen denn diese Störungen und Fehler eintreten und wovon sie abhängig sind; auf diese Untersuchung bin ich indessen nicht eingegangen und zwar deshalb, weil sich nieht alle wesentlichen Bedingungen des Experimentes beherr- schen lassen. Vermuthlich hängt das Verhalten des Manometers nicht bloss von der Schnelligkeit der Unterbrechung und dem wahren Mittelwerthe des Seitendruckes ab, sondern auch von der Art und Weise wie inner- halb einer solchen Periode der Seitendruck sich ändert. Den letzteren Factor aber können wir weder beliebig experimentell variiren, noch auch im gegebenen Falle irgendwie ausreichend beurtheilen. Ganz anders verhält sich nun das compensirte Manometer. Es kann zunächst als selbstverständlich angesehen werden, dass bei den minimalen Flüssigkeitsquantitäten, welche hier in das Manometer hinein- und aus demselben herausfliessen, keine Beeinträchtigung der Strömung durch das Manometer stattfindet. Die angestellten Controlversuche bestätigten dies; die ausfliessenden Mengen waren dieselben, gleichgiltig ob irgend ein compensirtes Manometer angefügt war oder nicht. Es kam nun hier darauf an, zu sehen, ob die erhaltenen Mittel- werthe unabhängig oder abhängig seien 1) von dem Betrage des zwischen T-Rohr und Manometer eingeführten Widerstandes, 2) von der Weite des benutzten Manometers. Es zeigt sich nun, dass die Resultate unabhängig _ . sind von der Weite des angesetzten Manometers, von dem Betrage des Widerstandes aber in sehr einfacher Weise abhängen. Die erhaltenen Werthe sind ven dem Maasse des Widerstandes unabhängig, so lange derselbe nieht unter einen gewissen Werth sinkt, von da ab aber treten Abweichungen auf. Dabei ist es selbst bei kolossalen Widerständen gleichgiltig, ob das Manometer beim Beginn des Versuches auf einen zu hohen oder auf einen zu niedrigen Werth gestellt ist; es erreicht steigend oder sinkend denselben Werth, natürlich um so langsamer, je grösser die Widerstände sind. Die hierhergehörigen Versuche waren den vorigen ganz ähnlich.! 1 Diese Versuche wurden geraume Zeit nach den vorigen ausgeführt. Da hierbei die Dimensionen und Elastieitäten der verschiedenen Kautschuke andere ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. W. 427 Zum Zwecke der Compensation wurde zwischen T-Rohr und Manometer ein dickwandiges Glascapillarrohr eingeschaltet. Da das Manometer hierbei nur minimale oder gar keine sichtbaren Excursionen machte, verliess ich die Methode der Selbstregistrirung und las die Höhen direct an einer hinter dem Manometerrohre befestigten Scala ab. Die folgenden Tabellen (5—12) enthalten im ersten Stabe wieder die Periode der Stromunterbrechung, im anderen die Erhebungen des Manometers über den Nullpunkt. Das Niveau im Reservoir war in allen Fällen dasselbe und es hielt immer der. Seitendruck bei dauernder Oefl- nung, also constantem Ausflusse, einer Erhebung des Manometers um 25.1 ”%® über den Nullpunkt, das Gleichgewicht. Ueber jeder Tabelle ist die Weite des benutzten Manometers an- gegeben und der Betrag des eingeschalteten Widerstandes, bezogen auf den geringsten, welcher benutzt wurde, als Einheit.! Die Uebersicht aus den Tabellen wird erschwert durch die echt senaue Uebereinstimmung der benutzten Unterbrechungsperioden. Dieser Uebelstand liess sich nicht vermeiden, weil die Bewegung der Gas- maschine sich nicht beliebig reguliren, noch auch für längere Zeiträume constant erhalten liess. Indessen lässt die graphische Darstellung die oben ausgesprochenen Sätze vollkommen deutlich hervortreten. Tabelle 5. Tabelle 6. Manometer I. Weite 10°", - Manometer I. Weite LO", Widerstand 1-0. Widerstand 5-2. . Periode der Mittelwerth Periode der Mittelwerth Unterbrechung der Erhebung Unterbrechung der Erhebung in See. in mm. in Sec. in mm. 0-43 4.0 0.49 4:2 0-45: 5.0 0.50 -4 0.74 9.4 0-51 4.6 0.83 9.4 0-60 6-6 1-02 9.3 0-71 7.9 1-07 9.5 0-81 8-4 1-36 10-1 1-02 8.7 1.50 10-2 11018 8-9 1-50 9.9 waren, so sind die jetzt mitzutheilenden Resultate mit den vorigen hinsichtlich der absoluten Werthe nicht vergleichbar. 1 Die Widerstände wurden aus den durchströmenden Wassermengen bei be- stimmter Druckdifferenz bestimmt, 428 v. Krizs: Tabelle 7. Tabelle 8. Manometer I. Weite 10°", Manometer I. Weite 10 "=, Widerstand 8-2. Widerstand 24.0. Periode der Mittelwerth Periode der Mittelwerth Unterbrechung der Erhebung Unterbrechung der Erhebung in Sec. | in mm. in See. in mm. 0.43 2.9 0-60 6-0 0.51 4-35 0.67 7-8 0.56 5-1 0-75 8-0 0-67 ont 1.20 9.1 0.75 7-9 1-46 9.8 0.94 8-1 1-11 8-6 1-14 8-9 1.45 9.8 1.57 10.0 Tabelle 9. Tabelle 10. Manometer I. Weite 10m, Manometer III. Weite 4", Widerstand 32.5. Widerstand 32.5. Periode der Mittelwerth Periode der Mittelwerth Unterbrechung der Erhebung Unterbrechung der Erhebung in Sec. | in mm. in Sec. in mm. 0.44 3-1 0.45 3.4 0.53 4-5 0.52 4.1 0-57 5-1 0.71 tot 0.72 8:0 0-83 8-0 0.81 8-2 0.84 S-1 0.94 8-1 1-03 5.4 1:13 8-9 1-07 8-6 1.14 | 9.0 oa 8-7 1-22 9.2 ‘1-20 8-8 1.50 10-1 1-25 8-9 1.45 9.8 ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. W. 429 Tabelle 11. Tabelle 12. Manometer IV. Weite 3". Manometer IV. Weite 3", Widerstand 8-2. Widerstand 32.5. Periode der Mittelwerth Periode der Mittelwerth Unterbrechung der Erhebung Unterbrechung | der Erhebung in Sec. | in mm. in See. in mm. 0.60 6-0 0.44 3-0 0.62 6-4 0-54 4-5 0.71 7-9 0-58 5-7 0.82 8-2 0-60 5.8 1-00 8-83 0.65 6-9 1.09 8.3 0.71 7-9 1-22 9.0 0.79 8-0 1.57 9.8 0-88 7-9 0-91 8-1 1-00 8-3 1-25 9.1 In Fig. 4 Taf. VI ist die Unterbrechungsperiode als Abscisse auf- getragen, die Erhebungen der Manometer als Ordinaten; so sind drei Curven zusammengestellt, welche den drei Manometern bei Benutzung desselben, nämlich des grössten Widerstandes, angehören. Man sieht leicht, dass die Curven sich regellos durchkreuzen; wenn man sich er- innert, dass 1” Ordinatenhöhe einer Erhebung des Manometers um 0-1 %® entspricht, so ergiebt sich, dass die Abweichungen sehr geringe sind und in die Grenze der Versuchsfehler fallen. Sie rühren haupt- sächlich her von der nicht vollkommenen Regelmässigkeit der Unter- brechungsfrequenz. In gleicher Weise zeigt Fig. 5 Taf. VI die Abhängigkeit vom Be- trage des Widerstandes. Auch hier sind die Unterbrechungsperioden als Abscissen, die Manometererhebungen als Ordinaten aufgetragen. Die fünf Curven gehören alle dem weitesten Manometer an und beziehen sich der Reihe nach auf die verschiedenen benutzten Widerstände. Man sieht, dass die Curven, welche sich auf die Widerstände 8.2, 24.0, 32.5 be- ziehen, in einanderfallen, dass bei 5.2 die Werthe etwas höher und bei 1 deutlich noch höher sind. Bei noch weiterer Verminderung des Widerstandes fangen die Mano- meter an Excursionen von nicht mehr zu vernachlässigender Grösse zu machen und wir kommen in die Versuchsart der vorhergehenden Reihe hinein. 430 v. Krıes: Das Ergebniss dieser Versuche ist so, wie man es erwarten muss, wenn man von der Voraussetzung ausgeht, dass das compensirte Mano- meter genau richtige Angaben liefere. Es berechtigt zunächst nichts zu der Erwartung, dass auch ein unvollständig compensirtes Manometer genaue Resultate liefert; es ist vielmehr nur nothwendig, dass man bei immer vollständigerer Compensirung sich einem Grenzwerthe nähert, und dass dieser mit genügender Annäherung erreicht werden kann, wenn der Widerstand noch in Grenzen bleibt, die seine practische Anwendung noch nicht durch übermässige Verlängerung der Einstellungszeit unmög- lich machen. Diese Vorstellung wird also durch unsere Versuche ge- stützt, aber es fehlt, wie man sieht, der Nachweis, dass die gelieferten unter sich übereinstimmenden Ergebnisse in der That der richtige Mittel- druck sind. Diesen direct zu erbringen wäre nur möglich, wenn wir eine Methode besässen, welche uns gestattete den Mitteldruck vollkommen sicher zu bestimmen. Aber, dass wir eine solche nicht besitzen, ist eben die Veranlassung der gegenwärtigen Versuche. Indessen spricht dafür erstens schon das völlige Parallelgehen der gefundenen Mitteldruckwerthe mit den strömenden Wassermengen; die Abhängigkeit der letzteren von der Unterbrechungsperiode zeigt Fig. 6 Taf. VI. Dieselbe hat fast genau denselben Gang wie die Curven der mittleren Druckwerthe. Ausserdem “aber ist es möglich, einerseits durch einen etwas modificirten Versuch, andererseits durch theoretische Betrachtung diese Annahme zu einem hohen Grade von Wahrscheinlichkeit zu bringen. III. Das freie und das compensirte Manometer unter dem ab- wechselnden Einflusse zweier verschiedener unveränderlicher Drucke. Den wahren Mittelwerth des auf ein Manometer wirkenden Druckes kennen wir zwar dann im Allgemeinen nicht, wenn wir an derselben Stelle den Druck variiren wollen; wir können aber ohne Schwierigkeit ein Manometer abwechselnd und gleich lange einem hohen und einem niedrigen Drucke aussetzen. Hierzu diente die oben beschriebene Vor- richtung, welche nun als Doppelunterbrecher benutzt wurde. Das Manometer wurde mit einem gläsernen Gabelrohre verbunden; der eine Schenkel desselben wurde durch den einen der zwei zu com- primirenden Schläuche (7 und J Fig. 1 Taf. VI) mit dem hohen Drucke des Reservoirs, der andere durch den anderen Schlauch mit einer Flasche verbunden, in welcher das Wasser viel niedriger stand. Wenn die Unter- brechungsvorrichtung in Thätigkeit ist, so ist das Manometer abwechselnd und gleich lange dem hohen und dem geringen Drucke ausgesetzt. Dies ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. w. 431 wird denselben Effect haben, als ob das Manometer durch ein einziges Rohr einem periodisch sehr plötzlich zwischen dem einen und dem an- deren Werthe wechselnden Drucke ausgesetzt wäre, so lange eine Be- dingung erfüllt ist. Es muss nämlich gesorgt werden, dass die Wider- stände, welche das Manometer von dem einen und dem anderen Drucke trennen, gleich gross sind. Offenbar würde, wenn z. B. der hohe Druck nur durch ein sehr enges Rohr auf das Manometer einwirken könnte, der niedere dagegen ohne einen solchen Widerstand, ein zu geringer Mitteldruck erhalten werden. In unserem Falle nun können wir die Widerstände leicht beiderseits gleich machen, nur hinsichtlich der Schläuche 7 und J bleibt der Einwurf möglich, dass der dem hohen Drucke ausgesetzte sich etwas prompter öffene als der andere und hier- durch ein Ueberwiegen des hohen Druckes zu Stande komme. Dieser Einwurf hat indessen keine Bedeutung für das compensirte Manometer. Denn hier befindet sich zwischen Manometer und Gabelrohr, also bei- den Leitungen gemeinsam, ein so grosser Widerstand, dass die anderen gegen ihn als verschwindend betrachtet werden dürfen. Für das freie Manometer aber werden in der That nur solche Abweichungen berück- sichtist werden dürfen, bei denen wir zu niedrige Mittelwerthe finden, welche also auf jene mögliche Fehlerquelle nicht geschoben werden können. Prüfen wir unter diesen Verhältnissen wieder das freie und das compensirte Manometer, so finden wir bei dem ersten sehr erhebliche Abweichungen, wie die folgenden Tabellen (13—16) lehren. Sie ent- halten im ersten Stabe die Periode der Druckschwankung, im zweiten den wahren Mittelwerth, das arithmetische Mittel’ des hohen und des niederen Druckes, im dritten den gefundenen Mittelwerth. Die Druck- werthe sind angegeben in Millimeter-Erhebung des Quecksilbers, und zwar ist der dem geringeren Drucke entsprechende Stand als Abscisse genommen. Der vierte Stab enthält die Differenz in Millimetern, der fünfte dieselbe in Procenten des wahren Mittelwerthes. Es zeigt sich demnach, dass auch unter diesen Verhältnissen das freie Manometer nicht vollkommen correcte Resultate giebt, sondern Abweichungen vorkommen können, welche im Vergleiche zu dem Maasse der Schwankungen sehr beträchtlich sind. Dies ist insofern wichtig, als es zeigt, dass die sub II gefundenen Abweichungen nicht allein auf die Beeinträchtigung des Strömungsvorges im Schlauche, auf eine Modi- fication des einwirkenden Druckes zurückzuführen sind, sondern auch bei unabänderlich gegebenem einwirkenden Drucke solche Differenzen eintreten können. 432 v. Kris: Tabelle 13. Manometer I. Weite 10", Periode der Wahrer |Gefundener Differenz Druck- schwankung. Mittelwerth. absolut. in 9/g- 0.44 24.1 19-2 —HoN) — ur 0.58 24-7 18-4 —6eD —_ 26 0-59 2329 16-5 — Moll) u 0.80 25-0 20-1 —4-9 —ılS) 1-16 25-0 21-4 — 3-6 — IA 1.63 23-8 21.1 — Diet —.nl 1-65 24-7 21-4 — 3-3 — 13 1-68 24-5 22.8 — 1.17 —1 Tabelle 14. "Manometer II. Weite 6%, Periode der Wahrer ‚Gefundener - Differenz Druck- schwankune. Mittelwerth. absolut. | in %o- 0.73 | | ee 0-81 29 18-9 30 | — 1) 0.39 22.3 19.9 ma il 1-47 22.3 19-4 = ll 1-80 299.3 21-6 07 9) Tabelle 15. Manometer III. Weite 4", Periode der Wahrer enden] Differenz Druck- | schwankung. Mittelwerth. absolut. in Oo. 0-69 - 18-0 18-2 +0-2 +1 0.71 18-0 16-8 — 10 —1 0.78 2.0 12-3 +0-.3 +2 1-05 12-0 127 | +0.4 +3 1-30 20) 12-4 +0-.4 185) ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. w. 433 Tabelle 16. Manometer IV. Weite 3", Wahrer [Gefundener Differenz Druck- schwankune. Mittelwerth. absolut. in 9%. 0.69 11-9 | en) ne 0-77 11.9 13-4 1.5 | +13 1-12 12-0 12-7 +0.7 +6 1-53 11-3 13-8 2.0 +16 Die Abweichungen zeigen eine doppelte Abhängigkeit, erstens von der Periode der Unterbrechung, zweitens von der Weite des benutzten Manometers. Im Allgemeinen sind die gefundenen Werthe um so niedriger, je weiter das angewandte Manometer ist. Die Prüfung des compensirten Manometers unter gleichen Verhält- nissen ergab, dass schon bei unvollkommener Compensation die Ab- weichungen sehr gering werden, bei vollständiger aber ziemlich in die Grenze der Ablesungsfehler fallen. So erhielt ich bei Druckschwankungen, welche einem Wechsel von 50=® in der Stellung des Manometers entsprachen, Abweichungen, im höchsten Falle von 0.8” oder 1.6°/,. Diese waren positiv, also im Sinne der in unserem Apparate nicht absolut vollständig ausgeschlossenen Fehlerquelle. Dass das compensirte Manometer den richtigen Mittelwerth ergiebt, wird also durch diesen Versuch im höchsten Grade wahrscheinlich gemacht. IV. Theoretisches. Wenn das Manometer aus seiner Gleichgewichtslage entfernt wird, so wirkt auf dasselbe eine Kraft ein, welche es in die Gleichgewichts- lage zurückzuführen strebt. Diese, mit der jeweiligen Stellung des Mano- meters wechselnde Kraft, ferner der auf das Manometer einwirkende, zu messende Druck, endlich die in jedem Augenblicke entwickelten Rei- bungskräfte, bestimmen die Bewegung des Manometers. Diese lässt sich der mathematischen Behandlung unterwerfen, wenn man gewisse vereinfachende Voraussetzungen macht. Wir betrachten nämlich die Quecksilbersäule des Manometers als eine im Ganzen be- wegliche Masse, sehen also ab von der inneren Bewegung der Flüssig- keit und setzen die dieser Masse ertheilte Beschleunigung in jedem Archiv f. A.u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 2 28 434 v. Krıks: Augenblicke proportional der algebraischen Summe der drei soeben ge- nannten Kräfte. Die erste derselben, die aus der Stellung des Mano- meters resultirende Kraft ist, wie bekannt, der Entfernung desselben aus seiner Gleichgewichtslage proportional; die zweite, der einwirkende Druck, muss für jeden zu behandelnden Specialfall als Function der Zeit ge- geben sein; für die dritte, die Reibungskraft, machen wir eine weitere vereinfachende Voraussetzung, indem wir sie der augenblicklichen Ge- schwindigkeit proportional setzen. Bezeichnen wir mit / die Länge der Quecksilbersäule, mit @ ihren Querschnitt, mit o das specifische Gewicht des Quecksilbers, so ist Z[&o die zu bewegende Masse. Ist x die Entfernung des anometer aus seiner Gleichgewichts- lage, g die Schwere, so ist die erste der einwirkenden Kräfte = 22.009. Es sei ferner ? der einwirkende Druck, und zwar gegeben durch die Höhe derjenigen Quecksilbersäule, welche ihm das Gleichgewicht halten würde. Dann ist die zweite bewegende Kraft = PQog. Endlich sei „7 eine von der Natur des benutzten Instrumentes ab- hängige Reibungsconstante und 7 die Zeit, so erhalten wir folgende Bewegungsgleichung: d?x dx 0 — 2a Qog+PRogon an P nr ae ad Tore “ S 29 Setzen wir hierin Te pn Te — oe) Us a 100. 2 so erhalten wir die Gleichung: d’z PO, en Diese stimmt überein mit der von Mach! gegebenen, nur steht hier / an Stelle von M; dies rührt nur daher, dass wir uns 9.) als Höhe einer Quecksilbersäule gegeben denken. 1 Wiener Sitzungsber. Bd. 47. B. S. 33. ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S. W. 435 Wenn nun 9,4) gegeben ist in der allgemeinsten Form einer perio- dischen Function der Zeit: © 9W=4I > A cos (gt + r), 1 so wird: = > esin (gE +9) + ash (Asinrt+Bcosrt). Hierin ist:. = ae ‚, te(®—7) EN za Hang 20g r = Y p? — 2; X und B zwei vom Anfangszustande abhängige Constanten, Enthält @,,, ausser dem rein periodischen noch einen von der Zeit unabhängigen Theil, welcher = C.g ist,:so wird: C — ®= + Desin(gi+B)+e ER AUsinrt+Bcosrt). Die Bedeutung dieser Gleichung ist folgende: Die Stellung des Mano- meters kann für jeden Augenblick gefunden werden durch algebraische Summirung dreier Theile: Erstens eines constanten Theiles, welcher dem constanten Theile im einwirkenden Drucke entspricht; zweitens eines rein periodischen 'Theiles. Dieser steht zu dem periodischen Theile . im einwirkenden Drucke in dem Verhältnisse, dass jedem Gliede der einen Reihe ein Glied der anderen entspricht, welches gleiche Periode hat, aber an Amplitude und Phase verschieden ist; drittens eines Theiles, welcher eine Eigenschwingung des Manometers darstellt. Dieser 3 - > > — be interessirt uns nicht, weil er wegen des Factors e sehr bald ver- schwindet. Wie sich nun unter den hier gemachten Voraussetzungen die Frage des Mitteldruckes beantwortet ist leicht zu sehen. Der Mittelwerth des 12 Pat. einwirkenden Druckes während der Zeit Z, bis , ist rn 1 Ist P eine periodische Function der Zeit, so müssen wir dies Inte- gral erstrecken über eine ganze Zahl von Perioden. Da hierbei die ganze Sinusreihe den Werth O ergiebt, so bleibt nur der constante Theil € übrig. Ganz ebenso ist für die Stellung des Manometers x der Mittelwerth gleich dem constanten Theile, also = a Da nun einem 28 * 436 v. Kris: __ mm 2 entspricht, so wird hierin eine correcte Uebereinstimmung der Mittel- werthe gefunden. Die Abweichungen also, welche wir noch in dem Falle fanden, wo eine Modification des einwirkenden Druckes durch die Manometer- bewegung nicht angenommen werden konnte, erklären sich aus der so- eben gegebenen Theorie der Manometerbewegung nicht. Auf diesen Punkt schien es mir nothwendig aufmerksam zu machen, weil diese, von Mach gegebene, Theorie bis jetzt die eingehendste und vollständigste ist. Ohne Zweifel rührt diese Differenz nur daher, dass wir in den zu Grunde gelegten vereinfachenden Voraussetzungen nicht genau das Richtige getroffen haben. Eine Vervollständigsung derselben lässt sich leicht ausführen; die Berücksichtigung nämlich der variabeln Wasser- säule, welche sich zwischen der Stelle des zu messenden Druckes und dem Anfange der Quecksilbersäule befindet; diese macht eine Correetur unserer Bewegungsgleichung nothwendig. Bei der praktischen Anwen- dung des Manometers pflegt man dies auch zu berücksichtigen, indem man aus der Erhebung des Manometers den einwirkenden Druck be- rechnet nach der Formel C = 2x E a einwirkenden Drucke von C ”"” eine Erhebung des Manometers um 20 Eine Berücksichtigung dieses Verhältnisses führt indessen zu keiner Erklärung der von uns gefundenen Abweichungen. Wir werden uns daher vor Allem erinnern müssen, dass die Quecksilbersäule des Mano- meters nicht ein bewegliches Ganze ist, sondern in sich bewegt wird. Es dürfte daher die Beschleunigung der Bewegung nicht ohne Weiteres der algebraischen Summe der einwirkenden Kräfte proportional gesetzt werden können, so wenig als die Reibung einfach der Geschwindigkeit proportional sein wird. So werthvoll daher jene Formeln für eine all- gemeine Orientirung über die Manometerbewegung sind, so werden sie doch, wie ich glaube, für die Frage nach der Correetheit des Mittel- druckes nicht können geltend gemacht werden. Für eine ausreichende Darstellung einer periodischen Verschiebung einer Flüssigkeitssäule in einer höhre fehlen aber bis jetzt die nöthigen Grundlagen. Das compensirte Manometer. Das compensirte Manometer ist theoretisch viel einfacher zu behandeln. Das Manometer misst nämlich hier nur einen constanten. Druck. Auf der einen Seite unseres Wider- standsrohres herrscht ein periodisch wechselnder Druck, der zu messende, ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. $S. W. 4537 auf der anderen Seite ein constanter, der vom Manometer entwickelte. Das Manometer wird sich nun auf den zu messenden Druck „eingestellt haben“, wenn während jeder Periode ebensoviel Flüssigkeit in der einen wie in der anderen Richtung durch das Widerstandsrohr fliesst. Beide Flüssigkeitsmengen sollen aber, und darin liegt das Wesen der Compen- sation, nur minimale sein. Die zu lösende Aufgabe lautet also: An dem einen Ende eines sehr engen Rohres ist ein periodisch wechselnder Druck gegeben; wie gross muss ein constanter Druck am anderen Ende sein, damit während jeder Periode ebensoviel Flüssigkeit hin- als zurück- strömt. Da das Manometer hierbei nur verwendet wird zur Messung eines constanten Druckes, so ist unmittelbar selbstverständlich, dass die Weite des Manometers, die Höhe seiner Füllung u. s. w. ohne Einfluss sein müssen. Denn alle diese accidentellen Eigenschaften eines Mano- meters modificiren wohl dessen Bewegung, aber nicht die Bestimmung eines constanten Druckes. So fanden wir auch bei der Compensation die erhaltenen Resultate von der Beschaffenheit des benutzten Instru- mentes unabhängig. In Bezug auf das soeben formulirte Problem fragst sich nun, ob dieser constante Druck gleich ist dem Mittelwerthe des am anderen Ende gegebenen periodisch wechselnden. Diese Frage lässt sich theoretisch beantworten unter einer ganz ähnlichen Beschränkung, wie Jacobson! (bez. Neumann) die theoretische Begründung des Poiseuille’schen Gesetzes gegeben hat. Die Art dieser Lösung lässt sich folgendermaassen charakterisiren. Es ist für die stationäre Strömung in einem cylindrischen Rohre Druck und Geschwindigkeit als Function der Raumcoordinaten in der Weise bestimmt, dass für jeden Punkt die einwirkenden Kräfte, Druckabfall und Reibung sich das Gleichgewicht halten. Diese Bedin- sung ist erfüllt, wenn die Bewegung überall parallel der Axe stattfindet, der Druck in jedem Querschnitte constant ist, und die (der Axe parallele) Geschwindigkeit eine bestimmte Function von r, dem Abstande von der Axe ist. Die Erfüllung dieser Bedingung reicht aber für die Erhaltung eines stationären Zustandes nicht aus. Denn wenn wir uns vorstellen, dass dieser Zustand einen Augenblick andauere, so wird die Vertheilung des Druckes eine andere geworden sein. Es ist, um es kurz auszudrücken, abgesehen von denjenigen Flüssigkeitsbewegungen, welche nothwendig sind um die zu Grunde gelegte Druckvertheilung zu erhalten. Diese sind ausserordentlich gering, weil das Wasser bei minimalen Compres- sionen sehr hohe Druckwerthe entwickelt. Es lässt sich überdies sagen, dass diese Bewegungen um so geringer ausfallen müssen, je geringer 1 Dieses Archiv, 1860, 438 ‚ v. KRIES: die vorhandenen Geschwindigkeiten sind." Unter ähnlicher Einschränkung können wir das uns hier interessirende Problem behandeln. Es lässt sich nämlich eine gewisse Vertheilung von Druck und Geschwindigkeit als Function der Zeit angeben, welche die Eigenschaft hat, dass die in jedem Augenblicke vorhandenen Kräfte den gleichzeitig stattfindenden Geschwindigkeitsänderungen entsprechen; aber auch hier ist abgesehen von denjenigen minimalen Flüssigkeitsbewegungen, welche nothwendig sind, um dieses bestimmte Verhalten der Druckwerthe her- beizuführen, welche sich also in Wirklichkeit zu den hier in Betracht genommenen noch hinzu addiren müssen. Von einer solchen Annähe- rungslösung werden wir uns denken dürfen, dass sie, ähnlich wie das Poiseuille’sche Gesetz, um so strenger gilt, je grösser die Widerstände, je kleiner die vorkommenden Geschwindigkeiten sind. Gehen wir von der Annahme aus, dass die Bewegung überall der Axe parallel, der Druck stets auf allen Punkten eines Querschnittes der- selbe und das Verhalten der Geschwindigkeiten in allen Querschnitten gleich sei, so gelangen wir in einfacher Weise zu einer Vorstellung, welche der obigen Bedingung entspricht. Es sei die «-Axe mit der Axe des betrachteten cylindrischen Rohres identisch, «, v, w die Geschwindigkeitscomponenten, r der Abstand von der Axe, p der Druck, so nehmen wir also an, dass p unabhängig von r, u unabhängig von z, beide aber abhängig von der Zeit (2) seien. Unter . diesen Umständen müssen wir « und p als Functionen von #, r und ? bestimmen, so dass der Gleichung genügt wird: ou 1du Ou öp a 0x 1 Wenn 4, v, w die Geschwindigkeitscomponenten sind, x, 9, z die Raum- coordinaten, p der Druck, so ist die Bedingung für ein Stationärbleiben des Druckes: DEI DURITE ODE Fr wo o die Dichtigkeit, also eine Function von p bedeutet. In den Jacobson’schen Gleichungen ist p eine lineare Function von, «, welches die Axe des Rohres darstellt, v dagegen constant, vo und » = 0. Demnach kann die obige Gleichung nicht erfüllt sein. Bei der, scheinbar nächstliegenden, Annahme, dass auch « eine Function von x und zwar umgekehrt proportional o wäre, würde man keine Erfüllung der Gleichgewichtsbedingungen zwischen Druckabfall und Reibungskräften mehr erhalten. Es sind daher gewisse Flüssigkeitsbewegungen senkrecht zur Axe erforderlich, um die Druckvertheilung zu erhalten. Von diesen abzusehen ist um so eher zulässig, je geringer die überhaupt vorkommenden Ge- schwindigkeiten sind. ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES DV. S. W. 459 wo o die Dichtigkeit, /' eine Reibungsconstante ist, ferner muss für 2-0 »=-C, für2—=1p = werden, wenn diese zwei Punkte die Enden des Rohres, /? der gegebene periodische Druck, C eine Constante ist; endlich mus v=0 für r= BR werden, wenn AR der - Radius des Rohres ist. Der Bedingung des gleichen Hin- und Rück- flusses wird genügt, wenn « überall eine rein periodische Function der Zeit ist. Ist nun ? gegeben in der Form P, + II, wo P, den Mittel- werth und /Z/ den rein periodischen Theil bedeutet, so werden diese Forderungen erfüllt, wenn wirp = P, + P,u= DU setzen‘ wo P und U rein periodische Funetionen der Zeit sind. Auf das Detail einer solchen Lösung soll hier um so weniger ein- ‚gegangen werden, als man bei der Bestimmung der Constanten auf ziem- lich verwickelte Gleichungen geführt wird. Das Wesentliche ist, dass man sich in einfacher Weise überzeugen kann, dass eine solche Annahme rein periodischer Functionen in der That in dem oben definirten Sinne eine Annäherungslösung unseres Problems ist, und hierbei U = /, wird. Hiernach kann es wohl keinem Zweifel unterliegen, dass der Grenz- werth, welchem wir uns bei immer vollständigerer Compensation nähern in der That der wahre Mittelwerth des zu messenden Druckes ist. Es erscheinen auf Grund des Mitgetheilten folgende Schlüsse gestattet: 1) Das frei schwingende Manometer giebt nicht unter allen Um- ständen den correcten Mittelwerth des zu messenden Druckes. Wenn es den -Seitendruck in elastischen Schläuchen misst, so können seine Schwingungen den Strömungsvorgang sehr bedeutend verändern, aber auch wenn eine derartige Fehlerquelle ausgeschlossen ist (III) können Abweichungen eintreten. 2) Das compensirte Manometer ergiebt Mittelwerthe, welche sich der Wahrheit um so mehr nähern, je vollständiger die Compensation ist. Hinsichtlich der Anwendung des compensirten Manometers möchte ich zwei Bemerkungen machen. Für die Correctheit der Methode ist es. wesentlich, dass der zu messende Druck sich unmittelbar an dem einen Ende des Widerstandsrohres befindet. Dies erreicht man in genügender Annäherung, wenn man die Arterie mit dem Widerstandsrohre durch möglichst kurze und nicht elastische Stücke verbindet. Die Verbindung durch einen Kautschukschlauch würde schon Veränderungen involviren können. Es ist daher correcter den Widerstand dicht an der Arterien- canüle, als innerhalb des Manometers einzuschalten. Dagegen ist die Einschaltung elastischer Schläuche zwischen Widerstandsrohr und Mano- 440 v. KrıEs: ÜBER DIE BESTIMMUNG DES MITTELDRUCKES U. S, w. meter, wie man sieht, nur für die Schnelligkeit der Einstellung von Bedeutung. Was das Maass des zu benutzenden Widerstandes anlangt, so ge- nügen auch bei grösseren Hunden sehr mässige Widerstände zu einer vollständigen Compensation, solche nämlich, bei denen für die Ein- stellung des Manometers etwa fünf Secunden stets ausreichend sind. Man sieht daher bei dieser Art der Compensation die unregelmässigen Schwan- kungen des Mitteldruckes im Betrage einiger Millimeter Quecksilber vollkommen deutlich, Da somit eine Schwierigkeit für die praktische Anwendung nicht besteht, so dürfte das compensirte Manometer in dieser Form für viele hämodynamischen Versuche den Vorzug vor dem schwingenden verdienen. Ueber die gegenseitigen Beziehungen der Bauch- und Brustathmung, Von Prof. Angelo Mosso in Turin. $ 1. Methode der Untersuchungen. — In einer vor Kurzem ver- „öffentlichten Arbeit? habe ich diejenigen Modificationen der Respirations- curven betrachtet, welche vom Herzen abhängen. Diese Voruntersuchungen waren nothwendig, weil der negative Puls, welcher von der respiratorischen Wirkung des wechselnden Herzumfanges herrührt, die Respirationscurven der Brust- und Bauchwand stark alterirt.— Um diese Erscheinung isolirt zu studiren, mussten wir zeitweise die Respiration unterbrechen; jetzt, da wir über den Ursprung der Pulswellen und Zacken der Athmungscurven in’s Klare gekommen, belassen wir die Apparate an ihrer Stelle und erlauben frei zu athmen, um die Beziehungen zwischen den Athembewegungen der Thoraxmuskeln und des Zwerchfelles kennen zu lernen. Um den sehr wesentlichen Einfluss des Willens auf den Rhythmus und Mechanismus der Athembewegnngen auszuschliessen, verfiel ich auf den Gedanken, die Versuche an schlafenden Personen anzustellen. Die neuen und wichtigen Ergebnisse, zu denen ich gekommen bin, sprechen wohl zu Gunsten eines derartigen Verfahrens. Die Versuchsperson nahm dabei jedesmal auf einer Matratze eine bequeme horizontale Lage mit leicht erhöhtem Kopfe ein. Die Athembewegungen des Brustkorbes wurden mittels des Marey’- schen Pneumographen? registrirt. Derselbe stellt bekanntlich eine Trom- 1 Umarbeitung eines schon im Archivio per le Scienze mediche, Anno II, Fasc. 4, 1878 erschienenen Aufsatzes. 2 Die Diagnostik des Pulses. Leipzig 1879. 3 Travauz dw laboratoire de M. Marey, Ile annee, 1876, p. 149. 442 ANGELO Mosso: mel mit elastischer Schwingmembran dar, und wird einerseits mit Hülfe eines um den Brustkorb geschnallten Gurtes an diesem befestigt, anderer- seits mit einer Registrirtrommel in Verbindung .gesetzt. Bei jeder In-. spiration erleidet die Membran des Pneumographen einen Zug, wodurch die Luft in der Trommel des Apparates verdünnt wird; daher sinkt die Membran der Respirationstrommel nebst dem an ihr befestigten Schreib- hebel, und dieser zeichnet auf dem berussten Drehcylinder die Athem- bewegungen der Brustwand in entgegengesetzter Richtung, so dass den Inspirationen Senkungen der Curve, den Exspirationen Hebungen ent- sprechen. Der Vierordt’sche Sphygmograph (den ich auch zum Schreiben des negativen Abdominalpulses gebrauche) eignet sich besser als irgend ein Pneumograph zum Verzeichnen der Athembewegungen der Bauch- wand, da man bei dessen Anwendung sehr leicht und nach Belieben die Dimensionen der Curven variiren und, wo dies wünschenswerth, auch ihren absoluten Werth genau bestimmen kann. An den zusammengehörigen Curvenpaaren sind die synchronischen Punkte durch Verticalstriche bezeichnet, wofern nicht beim Schreiben die Federn genau über einander standen, also je zwei synchronische* Punkte beider Curven in einer senkrechten Linie liegen. Die hohe Temperatur, die im Juli und August vorigen Jahres, als ich eben mit diesen Versuchen beschäftigt war, in Turin herrschte, gab insofern ein günstiges Moment ab, als sie die directe Application der Apparate am entblössten Körper gestattete, wodurch der störende Ein- fluss der Kleidungsstücke vermieden werden konnte. Bevor wir an das Studium des Rhythmus, der Form und der gegenseitigen Beziehungen der Grundtypen der Athembewegung treten, muss ich daran erinnern, dass die Ursachen der Modificationen, die wir bald an den Respirationscurven kennen lernen werden, bisher nicht aufgeklärt sind. Auf diesem fast noch unerforschten Gebiete hat die Physiologie erst wenige Schritte gethan, und so lange die Athembewegungen nicht in allen ihren Modalitäten bekannt sind, wäre es verfrüht, die sie bestim- menden Gesetze ermitteln zu wollen. Es soll den Leser nicht ent- muthigen, wenn ich von vorne herein diese bescheidene Erklärung ab- gebe und die. Nothwendigkeit hetone, unsere Betrachtungen zur Zeit auf den Modus und auf die Bedingungen, unter welchen sich die Athem- bewegungen äussern, zu beschränken. Dieses sage ich, um mir die Nachsicht des Lesers zu sichern, wenn ich, in Ermangelung eines logischen Bandes zur systematischen Verknüpfung der Beonachtungen, diese einfach in chronologischer Ordnung aufführe. ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 443 $.2. Aenderung der Respiration während des Schlafes. — Folgendes sind die Fragen, die ich mir im Beginne meiner Unter- suchungen vorleste: 1. Welche Aenderungen erleiden während des Schlafes die Form, der Rhythmus und die Tiefe der Athembewegungen ? — 2. Wie ändern sich hierbei die Beziehungen zwischen Brust- und Bauchathmen ? Am 7. Juli v.J. Asostino Caudana, ein kräftiger Mann von 25 Jahren, an dem ich bereits andere Versuche über den physiologischen Schlaf angestellt habe, streckte sich bequem in horizontaler Lage aus. Mittels eines unter den Brustwarzen den Brustkorb umgürtenden Bandes befestigte ich bei ihm am Sternum einen Marey’schen Pneumographen, der die Brustathmung verzeichnen sollte. Um die Bewegungen der Bauch- wand zu registriren, applicirte ich auf der weissen Bauchlinie, in der Nähe des Nabels, den Knopf einer Trommel, die an einem articulirten Arm be- festigt ist — ein Verfahren, das bereits von P. Bert! zum Registriren der Athembewegungen des Brustkorbes angewendet worden war. Wir erhalten dabei ein richtig gezeichnetes Bild von den Bewegungen der Bauchwand. Während nämlich die Bauchwände emporsteigen, werden sie nach vorne gegen den Knopf der empfangenden Trommel gepresst, und indem, durch Vermittelung der Luft, die Membran und der Hebel der Registrirtrommel in die Höhe gehen, wird auf dem berussten Cylinder eine mit der Be- wegung der Bauchwand gleich gerichtete Curve aufgezeichnet. — Der Marey’sche Pneumograph giebt, wie schon bemerkt, verkehrte Curven. Von den vielen Aufzeichnungen, die ich in jener ersten nächtlichen Sitzung ausgeführt, gebe ich hier nur eine. Nachdem Hr. Caudana 25° lang tief geschlafen, nahm ich die Curven der Fig. 1 auf. Sodann weckte ich meinen Versuchsmann, indem ich ihn beim Namen rief. Ohne andere Bewegung öffnete er die Augen. Mittlerweile ward auf dem be- russten ÖOylinder die Fig. 2 fortgeschrieben. $.3. Analyse der Aufnahmen Fig. 1 und 2.?— Was uns zu- nächst bei der Betrachtung der beiden auf der folgenden Seite wieder- gegebenen Figuren auffällt, das ist der mangelnde Parallelismus zwischen den Excursionen der Bauch- und der Brustwand. — Der Parallelismus I P.-Bert, Legons sur la physiologie comparde de la respiration. Paris 1870. p- 209. 2 Dieser Paragraph ist von Hrn. Dr. Franz Baron Ungern Sternberg (der die vorliegende Arbeit aus dem Italienischen übersetzt hat, selbständig bearbeitet worden. Die hierin entwickelte Auffassung, der ich mich zur Zeit anschliesse, ist verschieden von meiner ursprünglichen Interpretation, wie sie in meinem oben an- geführten italienischen Aufsatze (im Arch. per le science mediche) ausgesprochen war. Dementsprechend hat auch $ 9 eine Aenderung erfahren müssen. Anm. d. Verf. 444 ANGELO Mosso: fehlt in beiden Figuren, doch gestaltet sich die Divergenz sehr verschie- den im Wachen und im Schlafe. Thor, e BEN ! : & 3 e h E # EIN ne Er: ; Abd. % ig: Schlaf. — Curve der Brustathmung 7hor., mittels des Pneumographen geschrieben. — Abd. Curve der Bauchathmung, gleichzeitig mit der vorigen aufgenommen, mittels einer Trommel, deren Knopf in der weissen Bauchlinie in der Nähe des Nabels applieirt war. In‘ der Thoraxcurve entspricht der absteigende Schenkel jeder Welle der Hebung, der ansteigende der Senkung der Brustwand; in der Abdominalceurve zeigen die ansteigenden Theile Vorwölbung der Bauchdeeken, die absteigenden die Einziehung des Bauches an, Thor, Fig. 2. Wachen. — Fortsetzung der oben genannten Respirationsceurven. Im Schlafe geht die inspiratorische Erweiterung des Brustkastens (Senkung der verkehrten Brusteurve) um ein Bedeutendes der Hebung der Bauchwand voran; und ebenso beginnt die entgegengesetzte Bewegung zuerst am Thorax, später am Abdomen. Aber die Dauer beider Be- wegungen ist nur wenig verschieden. Theilen wir nämlich die ganze Dauer der respiratorischen Evolution in 12 gleiche Theile, so nimmt davon die Erweiterung des Thorax !°/,,, die Hebung des Abdomens °/,,, die Senkung des Thorax ?/,,, die des Abdomens ?/,, in Anspruch. Die Differenz in der Dauer beträgt also für jede Phase nur !/,, der ganzen Evo- ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 445 ution. Doch weil die entsprechenden Phasen nicht gleichzeitig anfangen, laufen Bauch- und Brustwand längere Zeit in entgegengesetzter Richtung. Im Wachen beginnen zwar Erweiterung des Thorax und Hebung des Bauches fast gleichzeitig (erstere nur wenig früher). Aber der Beginn der Senkung und die Dauer jeder Bewegungsphase sind sehr verschieden an der Brust und am Bauche: die Erweiterung des Brustkastens dauert nur 2/9; die Hebung des Bauches °/,,, die Senkung der Brustwand 19) ,, die der Bauchwand */,,. Der Unterschied in der Dauer beträgt also für jede Bewegung °/,,, und da die Hebungen fast gleichzeitig anfangen, so kann man sagen, dass während 6 Zwölftel der ganzen Evolu- tion die Bauchwand emporzusteigen fortfährt, während der Thorax sinkt. Wie erklärt sich diese Incongruenz ? Die respiratorischen Excursionen der Bauchwand hängen nicht ausschliesslich von dem abwechselnden Spiele des Zwerchfelles und der Bauchpresse, sondern auch von den Bewegungen des Brustkastens ab, deren Einfluss in dieser Hinsicht diametral entgegengesetzt ist. Es werden daher, wenn der Einfluss beider Factoren gleich ist, die Bauch- wandungen vollkommen stillstehen, wie energisch sich auch Zwerchfell und Thorax bewegen mögen. Und bei überwiegendem Einflusse der Brustbewegungen wird die Bauchwand während der Inspiration sinken, während der Exspiration steigen, ganz als ob das Zwerchfell gelähmt wäre; nur dass die Intensität der Excursionen der Differenz zwischen dem Einflusse der Brustbewegungen und demjenigen des Zwerchfelles nebst Bauchpresse entsprechen wird.*— Macht sich endlich im Laufe eines und desselben Athemzuges erst der eine Factor, dann der andere vorwiegend - geltend, so wird sich eine zeitliche Incongruenz zwischen der Gesammt- exeursion der Bauchwand und dem wirklichen Gange der Ein- und Aus- athmung einstellen müssen,? wie wir das ausführlich an der Fig. 1 erläutern werden, woselbst sich eben dieser Fall ereignet. Andererseits entsprechen auch die Bewegungen der Brustwand nicht durchweg den wirklichen Respirationsphasen. Es können nämlich die Thoraxmuskeln an dem Respirationsgeschäfte ganz unbetheiligt bleiben, 1 Es ist dabei selbstverständlich, dass das Uebergewicht der Brustathmung ebenso gut auf der absolut verstärkten Contraction der Thoraxheber, als auf der absolut geschwächten Thätigkeit des Zwerchfelles beruhen kann. 2 Hr. Dr. von Ungern-Sternberg bekräftigt diese seine Auseinander- setzung durch folgenden sehr einfachen Versuch: Er macht eine Reihe von Athem- zügen, deren jeder (willkürlich) mit einer raschen Erweiterung des Thorax anfängt. Man sieht dann und fühlt es deutlich (mit der aufgelegten Hand), wie das Epi- gastrium im Anfange jeder Inspiration einsinkt, um während der Fortsetzung der- selben langsam emporzusteigen. Anm. d. Verf. 446 ANGELO Mosso: und wo dieser Fall Statt findet oder wenigstens die Betheiligung der Brustmuskeln sehr gering ist, da wird während der Inspiration die Brustwand (namentlich in ihrem vorderen oberen Umfange) sicht- und fühlbar collabiren, anstatt sich zu heben, und umgekehrt während der Exspiration. Und in dem Falle, wo die Betheiligung der Brustmuskeln, im Laufe eines und desselben Athemzuges ungleichmässig ausfällt, da wird die Gesammtexeursion der Brustwand zeitlich von dem wahren Gange der In- und Exspiration abweichen. Diese Eventualität werden wir specieller an Fig. 2, welche ein Beispiel hierfür liefert, beleuchten. Es können also sowohl die Bewegungen des Bauches, als, in anderen Fällen, diejenigen der Brustwand zeitlich von den wahren Respirationsphasen abweichen. Dass überhaupt Eines von Beiden der Fall sei, müssen wir selbstverständlich jedesmal voraussetzen, wenn wir Bauch- und Brusteurve unter einander zeitlich incongruent finden. Doch welches von Beidem, oder ob nicht abwechselnd Beides Statt finde, sowie überhaupt, wann die wahren Respirationsphasen anfangen und endigen, liesse sich in solchen Fällen nur aus der gleichzeitig an der Mund- oder Nasenöflnung regi- strirten Richtung .des Luftstromes mit Sicherheit erkennen. In Er- mangelung eines hierzu recht geeigneten Apparates müssen wir dies aus den Verhältnissen der Öurven selbst zu ermitteln suchen. Dabei müssen wir festhalten, dass, Obigem zufolge, eine ganz flache Bauchcurve neben einer stark-welligen Thoraxcurve auf kräftige Contractionen sowohl des Zwerchfelles als der Thoraxmuskeln deutet, und zwar Contractionen, die sich in ihrem Einflusse auf die Schwankungen der Bauchwand das Gleich- gewicht halten. Deutliche (nicht nothwendig starke) Schwankungen der Baucheurve, bei vorhandenen und gleichlaufenden Schwankungen des Thorax, deuten jedesmal auf überwiegende Thätigkeit des Zwerchfelles. Deutliche aber gegenläufige Oscillationen beider Curven, zumal wenn diejenigen der Brusteurve eher stark sind, deuten auf das Uebergewicht der Brust- über die Zwerchfell-Athmung (resp. auf Erschlaffung oder Lähmung des Zwerchfelles). Schwache Oscillationen der Thoraxcurve deuten einfach auf schwache Betheilisung der Brustmuskeln, und wenn sie mit den deutlichen oder starken Schwankungen der Bauchcurve gegenläufig sind, deuten sie mit Bestimmtheit darauf, dass die Wan- dungen des Thorax, anstatt durch die Brustmuskeln gehoben zu werden, dem Zuge des Zwerchfelles folgen. — Indem diese Regeln nicht bloss für die gesammten Evolutionen der Curven, sondern auch für die einzelnen Strecken derselben gelten, können sie uns bei der Deutung der zeitlich incongruenten Bauch- und Brusteurven leiten, wenn uns der sichere Maassstab der Richtung des Luftstromes fehlt. Jetzt kehren wir zur Betrachtung der Figg. 1 und 2 zurück. . ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 447 In Fig. 1 (Schlaf) erklären sich die zeitlichen Incongruenzen der Bauch- und Brusteurve durch das relative Uebergewicht der Brust- athmung im Anfange der Inspiration (und ebenso im Anfange der Ex- spiration), während sich nachträglich die Contraction des Zwerchfelles in der Inspiration (und die Bauchpresse in der Exspiration) normal geltend machen. Daher betrifft die Anomalie eigentlich nur die Bauch- curve, während der Gang der Brusteurve als maassgebend für den wahren Gang der Respirationsphasen betrachtet werden kann. Wir können also sagen, dass hier die Bauchwand im Anfange der Inspiration dem über- wiegenden Zuge des sich energisch erweiternden Brustkorbes folgt, daher sinkt, später aber, bei fortdauernder Inspiration, dem Drucke des Zwerch- felles nachgiebt und in die Höhe geht. — Es ist bemerkenswerth, dass der ansteigende Wellenschenkel der Abdominaleurve, nachdem er ziemlich flach geworden, einen stärkeren Ursprung zeigt an der Stelle, welche mit dem Besinne der Exspirationsphase der Thoraxeurve synchronisch ist: d. h. das rasche exspiratorische Sinken des stark erweiterten Brustkorbes verhindert einen Augenblick die exspiratorische Wirkung der Bauchpresse und veranlasst ein kurzes aber pseudoinspiratorisches Weitersteigen der Abdominalcurve, worauf erst die Bauchpresse siegreich wird und einen steilen exspiratorischen Abfall der Abdominaleurve hervorbringt. In der Fig. 2 (Wachen) ist das Vorherrschen der Zwerchfellathmung schon an der grossen Ausgiebiskeit der Oscillationen der Bauchwand, im Vergleich zu den schwachen Oseillationen des Brustkorbes, die nament- lich in den incongruenten Theilen ganz flach werden, zu erkennen. Daher dürfen wir hier, bei der theilweisen Incongruenz beider Curven, die Baucheurve als maassgebend betrachten, namentlich wenn wir den Beginn der Exspiration bestimmen wollen, während der Beginn der In- spiration ziemlich übereinstimmend durch beide Curven angedeutet wird. Als incongruent mit dem wahren Gange der Athmung erscheint danach hier der erste, flachere Theil der Senkungsperiode des Thorax (Ansteigen der verkehrten Thoraxeurve): derselbe fällt mit der zweiten zum Theil weniger steilen Hälfte der Baucherhebung zusammen und beruht ver- muthlich darauf, dass der Thorax, nach Vollendung seiner inspiratorischen Expansion, sich nicht weiter activ an der fortdauernden Inspiration be- theiligt, sondern dem Zuge des Zwerchfelles nachgiebt und daher eine leichte langsame Senkung erfährt. Der wirkliche Eintritt der Exspiration ist aber auch an der Thoraxcurve deutlich zu erkennen, indem dann diese verkehrte Curve, synchronisch mit der beginnenden exspiratorischen Sen- kung der Bauchcurve, plötzlich viel steiler zu steigen, also der Thorax rasch zu sinken anfängt. Es ergiebt sich also zwischen dem Respirationsbilde des Schlafes 448 ANGELO Mosso: und demjenigen des Wachens der Gegensatz, dass in ersterem die Brust- athmung, in letzterem die Zwerchfellathmung eine Prävalenz erhält. Bei Hrn. Caudana war in beiden Fällen die Prävalenz eines Respirationstypus eine partielle (d. h. auf einen Theil des Athemzuges beschränkte), wodurch im Schlafe die Baucheurve, im Wachen die Brustcurve incongruent mit dem wirklichen Gange der Respiration wurden. Bei meinen anderen Be- obachtungen fand sich das Vorherrschen des einen oder des anderen Typus meist dauernder, so dass es zu keinen derartigen oder doch so ausge- sprochenen Incongruenzen kam; aber der Gegensatz zwischen dem Vor- herrschen der Brustathimung im Schlafe und der Bauchathmung im Wachen erwies sich als eine sehr häufige, vielleicht constante Erscheinung, die ich der Kürze wegen als Wechsel im Athemtypus bezeichnen will. Schon hier muss ich hervorheben, dass die Prävalenz der Brust- athmung im Schlafe ohne Zweifel nicht bloss auf der absolut verstärkten Thätigkeit der Thoraxheber, sondern auch auf der absolut geschwächten Energie der Contractionen des Zwerchfelles beruht. Darauf deutet der verminderte Gasaustausch in den Lungen, wovon wir im $. 11 reden werden. Ein weiterer Unterschied zwischen dem Respirationsbilde des Schlafes (Fig. 1) und demjenigen des Wachens (Fig. 2) besteht im vorliegenden Falle in der etwas.verschiedenen relativen Dauer der wahren In- und Exspiration. Der Unterschied erscheint, wie wir oben gesehen, viel stärker und ge- staltet sich zu einer völligen Umkehrung, wenn man zwischen Schlaf und Wachen nurdie bezüglichen Thoraxcurven unter einander oder nur die Bauchcurven unter einander vergleicht. Doch wenn wir die Prävalenz der Brustathmung im Schlafe und die der Bauchathmung im Wachen berücksichtigen, und danach (bei der Incongruenz beider Curven) an- nehmen, dass im ersteren Falle nur die Brusteurve, im zweiten nur die Bauchcurve maassgebend sei für die wahren Zeitverhältnisse der In- und Exspiration, so ergiebt sich in dieser Hinsicht eben nur ein merklicher Unterschied, aber nicht mehr eine wahre Umkehrung zwischen Schlaf und Wachen. Im Schlafe nämlich dauerte (nach der maassgebenden Brust- curve) die Inspiration !°/,, der Evolutionsperiode, die Exspiration ?/,,; im Wachen (nach der maassgebenden Baucheurve) die Inspiration °/,,, die Exspiration */,,. — In beiden Fällen also dauerte die Inspiration länger als die Exspiration, was der Angabe von C. Ludwig entspricht (Lehrb. der Physiologie, 2. Aufl., II. Bd., S. 486). Bemerkenswerth ist andererseits, dass bei Hrn. Caudana, sowohl im Schlafe als im Wachen, die Pause nach der Exspiration durchaus fehlte, während dieselbe, nach Beobachtungen Ludwig’s und Anderer, für gewöhnlich nicht nur vorhanden zu sein, sondern länger zu dauern pflegt, ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- u. BRUSTATHMUnNG. 449 als In- und Exspiration zusammengenommen. — Freilich beruhen jene Angaben nicht auf einer graphischen Darstellung der Respirations- bewegungen. $. 4 Weitere Beobachtungen während des Schlafes. — Eine der Hauptfragen, deren Lösung ich mir zur Aufgabe gemacht hatte, bestand in der genauen Ermittelung des Augenblickes, wo die In- und Exspirationsphasen des Brustkorbes und der Bauchwand anfangen und endigen. Daher fand ich es zweekmässig, von dem Gebrauche der an die Bauchwand applieirten Trommel abzustehen, um bei stärkeren Be- wegungen den Verdacht nicht aufkommen zu lassen, dass die Haut viel- leicht nicht beständig in Berührung mit dem Knopfe der Trommel ver- bleibe. Aus diesem Bedenken wählte ich später zum Registriren der Respirationsbewegungen des Bauches den Vierordt’schen Sphygmo- sraphen. Obgleich dieses Instrument schwerer zu handhaben ist als die verbundenen Luftkapseln, so werden wir dennoch bald die unläugbaren Vortheile kennen lernen, die es bei derartigen Untersuchungen gewährt. Hr. Dr. Albertotti jun. hatte mir gefälligst die Gelegenheit dargebo- ten, von ihm am Nachmittage des 17. Juli mehrere Respirationsbilder auf- zunehmen. — Nachdem er sich auf einer Matratze, die einen Tisch be- deckte, in Rückenlage ausgestreckt hatte, applicirte ich an seinem Thorax den Marey’schen Pneumographen in der Weise, dass die Stahlplatte mit der Haut über dem Sternum in Berührung stand. Darauf senkte ich den Vierordt’schen Sphygmographen, den ich zuvor am Rande eines Tisches befestigt hatte, und stellte dessen kürzeren Hebelarm in der Weise ein, dass die als Gegengewicht dienende Metallkugel sich leicht in die Nabelgrube vertiefte. Gegen 3% 40°, während Dr. Albertotti ganz ruhig mit geschlossenen Augen, aber ohne zu schlafen, da lag, nahm ich folgende Curven auf: Abd. Thor. Fig. 4. Wachen. — Curve der Bauchathmung Abd., mittels des Vierordt’schen Hebels geschrieben. — Thor. Thoraxcurve, gleichzeitig mit voriger mittels des Marey’schen Pneumographen aufgenommen. — Beide Curven sind verkehrt: d. h. sinken bei der Inspiration und steigen bei der Exspiration. Archiv f. A.u. Ph. 1878. Physiol. Abthl. 29 450 ANGELO Mosso: Fünf Minuten später liess Dr. Albertotti, ohne es gewahr zu werden, ein Papierblatt fallen, das er in der Hand hielt. — Doch war bereits die Respiration so auffällig verändert, dass ich schon eine Minute vorher auf dem Cylinder notirt hatte: er schlafe. Abd. 8 Thor. Fig. 4. Schlaf. — Fortsetzung des vorigen Respirationsbildes, 7 Minuten später (als Fig. 3), während Dr. Albertotti schlief, geschrieben. Eine Minute später liess der Schlafende ein leichtes Schnarchen vernehmen. Dasselbe wurde allmählich stärker, bis es plötzlich aufhörte und Dr. Albertotti den Kopf auf dem Kissen umdrehte. Das Athmen wurde sodann tiefer. — Dr. A. schlief noch eine halbe Stunde fort, bis er von selbst erwachte. Tas Beiderlei Curven der Fig. 3 und 4 sind verkehrt, und ich will noch einmal daran erinnern, dass ich unter diesem ‚Worte solche Athmungscurven verstehe, deren Senkungen der Hebung und deren Ble- vationen den Senkungen des beobachteten Körpertheils (Abdomen. oder Thorax) entsprechen. Auch hier, wie in der vorhergehenden Beobachtung, ist es die Brusteurve, welche beim Uebergange vom Wachen zum Schlafen die stärksten Alterationen erfährt. Während nämlich im Wachen die ge- sammte Respirationswelle der Brustwand ungefähr einen Halbkreis be- schreibt, stellt sie im Schlafe (Fig. 4) die zwei Seiten eines spitzigen gleichschenkeligen Dreieckes dar, dessen Basis durch die Abscisse der Gesammtwelle gezogen gedacht ist. - Wie sehr auch diese Variation in die Augen fällt, so gestehen wir doch offen, dass wir sie in keiner Weise auf den bei Hrn. Caudana beobachteten Typus zurückzuführen wüssten. Beim Vergleiche sämmtlicher hier nicht wiedergegebenen Respirations- bilder, die jede zweite Minute geschrieben worden waren, bemerke ich, dass, in dem Maasse als der Schlaf tiefer wurde, der negative Abdominal- puls nach und nach an Stärke zunahm. ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN B. BAUCH- U. BRUSTATHMuNG. 451 Um 3» 47 (Fig. 4) stellte sich im negativen Ahdominalpulse ein sehr deutlicher Dikrotismus ein, der nahezu verschwand, als Dr. Albertotti aufwachte. { Nach Ausschliessung des Verdachtes, dass diese Aenderung des Abdominalpulses etwa von einer fehlerhaften Application des Registrir- apparates abhinge, lässt dieselbe zwei Deutungen zu: entweder wurde die Kammersystole stärker, oder es leitet der herabgesetze Tonus des Zwerch- felles und der Bauchwandungen die Volumenänderungen des Herzens und der Aorta vollkommener fort. Andere Beobachtungen, die ich über die Variationen des Pulses im Schlafe angestellt habe, stimmen mich zu Gunsten dieser zweiten Mög- lichkeit, und ich nehme daher an, dass das Stärkerwerden des negativen Abdominalpulses von der Erschlaffung der Bauchwandungen und des Zwerchfelles abhänge. = 8.5. Cheyne-Stokes’sche Respiration ahrord des Schlafes. Die von den Pathologen nach Cheyne-Stokes benannte Athmungs- art habe ich unter physiologischen Bedingungen zum ‚ersten Male bei einem Siebenschläfer, dem Myoxus avellanariusL., zu "beobachten Ge- legenheit gehabt: — Indem ich im vorigen Jahre eines dieser Thiere bei mir im Zimmer hielt, bemerkte ich, dass es im Winter zu wieder- holten Malen ‘und in höchst charakteristischer Weise die Erscheinungen des Cheyne-Stokes’schen Athmens darbot. Zusammengeballt, verblieb es Tage lang regungslos, in tiefen Schlaf versunken, und erwachte nur, wenn der Käfig in meinem Zimmer einer Temperatur von 10—16° C. ausgesetzt wurde. Um von den ersten Beobachtungen, die ich hierüber angestellt, eine Vorstellung zu geben, führe ich hier ein Bruchstück aus meinem Tagebuche an. „9. December 1876, 1" 30° Nachmittags. Zimmertemperatur 17. 4°C. Das Thier wach, aber mit halbgeschlossenen Augen. Es bewegt sich häufig und dreht sich um, als ob es sich bequemer auf dem Werge lagern wollte. Es macht 44 oder 45 Athemzüge alle 15”. 6% 30° Nachmittags. - Temp. 13-4°. Dieselbe Athemfrequenz. — 11” 45° Nachmittags. Athmen regelmässig, 34 oder 35 Athemzüge in 15”. 10.. December, 9% 30° Vormittags. Temp. 9.8°%. Das Thier ist tief eingeschlafen, Das Athmen erfolgt, wie in den vorigen Nächten, in Perioden von 2 oder 3, 4 oder 5 Zügen, auf welche relativ sehr lange ‚Pausen folgen. So bleibt z. B. nach 2 mit normaler Frequenz ausge- führten Athemzügen der Thorax 12” lang ganz unbeweglich; sodann ‚folgen 4 Athemzüge und eine Pause von 16”, dann wieder 4 Athemzüge und eine ebenso lange Ruhe, und so dauert es mehrere Minuten hindurch mit. ganz unerheblichen Varianten,“ . = Si 295 452 Yuyayıaa apıaq : FJunwuygegsnug Jop An) ‘oy 7 !Bunwiwgeyonee dop aan) 'PIF — MANDEGoaA SAfrfag sap puoayrm 17J0J19q[Y a ur wogyrudsay aU98,so No }S-auXloyug. S S Br ANGELO Mosso: Die Cheyne-Stokes’sche Respira- ration ist, meines Wissens, noch nicht als eine Erscheinung beschrieben worden, die beim Menschen unter ganz physio- logischen Bedingungen vorkommen kann; daher werden hoffentlich einige an Schla- fenden erhaltene Respirationsbilder, die einen Beleg für das physiologische Vor- kommen dieser Erscheinung beim Men- schen liefern, nicht ohne Interesse sein. 3jei der Fortsetzung der im vorigen Paragraphen beschriebenen, an Dr. Al- bertotti angestellten Beobachtungen sah ich, als dessen Schlaf tief wurde, nach und nach eine Verschiedenheit in der Gestalt der einzelnen Athemwellen sich einstellen, so dass abwechselnd Perioden mit tieferen und solche mit flacheren Athemzügen auf einander folgten. — Ich bedauere, dass der Mangel an Raum es mir nicht gestattet, eine Reihe solcher Umwandlungen des Athmens in einem Stücke wiederzugeben, obgleich schon die Hälfte eines Respirationsbildes ge- nüst, uns den charakterisirten Typus der Erscheinung erkennen zu lassen, welche Cheyne zum ersten Male im Jahre 1816 nach seiner Beobachtung an einem von Hirnapoplexie getroffenen Kranken be- schrieben hatte. Die Curven der Fig. 5 beginnen in dem Augenblicke, wo die Athembe- wesungen das Maximum ihrer Ausgiebig- keit erreicht haben. Wir sehen, dass sie nun allmählich abnehmen, bis endlich das Athmen ganz unterdrückt erscheint; sodann folgt ein schwacher Athemzug, auf diesen ein zweiter (der schon in Fig. 5 fehlt), dann ein dritter stärkerer, und eine ganze Reihe allmählich tieferer Athemzüge, vollkommen symmetrisch ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 453 mit jenen, die der längeren Pause der Respiration vorangegangen waren. Erst nachdem ich andere Beispiele für diese Erscheinung geliefert haben werde, will ich mich über die Bedeutung derselben aussprechen. $6. Pause nach der Ausathmung. Vierordt und G. Lud- wig theilen in ihren interessanten Beiträgen zur Lehre von den Athem- bewegungen (8. 261) jeden Athemzug in vier Zeitabschnitte; 1. Inspira- tion, 2. Pause, 3. Exspiration, 4. Pause. — Bei Dr. Albertotti und bei Hrn. Caudana, von denen ich einige Respirationscurven aufgeführt habe, gelang es mir nie, trotz den zahlreichen Beobachtungen, die ich an ihnen angestellt, im wachenden Zustande einen Stillstand auf der Höhe der Inspiration wahrzunehmen; wohl aber beobachtete ich auch an ihnen sehr lange Pausen nach der Exspiration, als die Energie der Athembewegung periodisch abnahm, nachdem sich die Cheyne-Stokes’sche Respiration eingestellt hatte. Unter diesen Bedingungen gelang es mir oft bei Hrn. Caudana, während er in tiefen Schlaf versunken war, eine fast vollkommene Unbeweglichkeit des Brustkorbes zu beobachten, welche 18 und selbst 20 Sec. dauerte. Ganz anders als die vorbetrachteten Athmungsbilder gestalteten sich diejenigen eines anderen Individuums. Hr. Stud. med. Roth hat mich bei diesen Beobachtungen unter- stützt. Ich spreche ihm auch an dieser Stelle dafür meinen Dank aus. Bei Hrn. Roth, einem kräftigen Manne von etwa 20 Jahren, ist im wachenden Zustande eine lange Pause nach der Exspiration sehr deutlich wahrzunehmen. Indem ich ihm schwere Rechnungen im Kopfe ausführen liess, sah ich die Athmungspausen eine ausserordent- liche Dauer erreichen. So z. B. während einer Minute, wo er im Kopfe 748 x 16 multiplicirte, -machte er nur 7 Athemzüge, wovon der zweite eine Exspirationspause von 18” darbot. Von den vielen an Hrn. Roth erhaltenen Respirationsbildern gebe ich hier nur noch die Bruchstücke einiger wieder, die am 22. Juli vorigen Jahres aufgezeichnet worden waren. Fig. 6 stellt die Respiration des Hrn. Roth im wachenden Zu- stande aber bei völliger Ruhe dar. Dieser Typus erhielt sich durch nahezu 5 Minuten, während Hr. Roth zerstreut schien und die Augen ge- schlossen hielt. Sodann wurde der Athem frequenter. Die Tiefe der Bauchexcursionen nahm ab, während die Athembewegungen des Brust- korbes allmählich ausgiebiger wurden. Dem Anscheine nach konnte man glauben, dass der junge Mann schlafe. Inzwischen nahm die Athem- frequenz immer zu, bis sie endlich, nach etwa 20”, zweimal grösser ge- 454 ANGELO Mosso: worden war als zuvor (Fig. 7). Die anfangs sehr schwache Brustathmung nahm jetzt zu und gewann die Ueberhand über die Bauchathimung; sodann näherte sich der Typus demjenigen des Schlafes. Fünf Minuten nachdem diese Figur gezeichnet worden, macht Hr. Roth einige Bewegungen mit dem Munde, als ob er im Begriff wäre zu erwächen.: Die Respiration, die kurz vorher schon erheblich modi- fieirt war, näherte sich rasch demjenigen Typus der Fig. 6, welcher, wie bemerkt, dem wachenden Zustande eigen ist; und 8 Minuten später, wäh- Fig. 6. Wachen. — Vorwiegend abdominale Respiration des Hrn. Roth, bei vollkommen ruhigem Verhalten. — Die Curyven sind verkehrt, Fig. 7. Schlaf. — Fortsetzung des vorhergehenden Bildes, 20 Minuten später geschrieben, während Hr. Roth eingeschlafen war. rend der junge Mann in tiefem Schlafe lag machten sich die Perioden der Cheyne-Stokes’schen Respiration bemerklich, wurden in wenigen Minuten immer deutlicher, bis sie endlich die in Fig. 8 dargestellte Form annahmen. u Auch hier geben wir zur Raumersparniss nur die besser gerathene absteigende Hälfte einer Periode wieder. $. 7. Theorien von Traube und von Filehne über die Cheyne-Stokes’sche Respiration. — Die Kliniker hatten uns schon gezeigt, dass die Cheyne-Stokes’sche Respiration bei den verschieden- ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. sten Krankheiten vorkommt; so z. B. bei der fettigen Entartung des Herzens, bei Klappenfehlern, bei Hirn- und Hirnhaut- leiden. Doch die Erklärungen, die bis- her für diese Erscheinung gegeben wor- den sind, sind keineswegs stichhaltig. Traube! giebt folgende Erklärung der Erscheinung: Die Erregbarkeit des Athmungscentrums ist in dem Maasse herabgesetzt, dass der Organismus, we- niger empfindlich für den Reiz der Kohlensäure geworden, mehrere Augen- blicke verweilen kann, ohne die Luft in den Lungen zu erneuern. Sehr bald aber häuft sich die Kohlensäure so seltr im Blute an, dass zunächst die Endaus- breitungen des Vagus in den Lungen, wodurch die schwachen Respirationen ausgelöst werden, sodann die sensiblen Nerven des ganzen Körpers erregt wer- den und ihrerseits das Respirationscen- trum erregen, das eine Reihe dyspnoischer Athemzüge veranlasst. Nach Ausschei- dung des Kohlensäure-Ueberschusses be- sinnt ein neuer Stillstand. Diese Theorie wurde von Filehne? auf Grund einer Reihe bemerkenswerther Versuche angegriffen, in denen er durch mechanische Einwirkungen, Anästhetica und Narcotica, bei Thieren auf künst- lichem Wege die in Rede stehende Er- scheinung hervorgerufen hatte. Die herab- gesetzte Erresbarkeit des Athmungscen- trum ist nach Filehne zwar eine noth- wendige, aber nicht die einzige Ursache ! L. Traube, Gesammelte Beiträge zur Pathologie und Physiologie. Bd. IL, Berlin 1871, und Bd. III 1878. 2 W. Filehne, Das Cheyne-Stokes- sche Athmungsphänomen. Berliner klinische Wochenschrift, 1874, 8. 152. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. x S I = 455 Brusteurve. - Thor. — Abd. Baucheurve. Die Hälfte einer Cheyne-Stokes’schen Respirationsperiode, an Hrn. Roth während des Schlafes beobachtet. Beide verkehrt. 456 ANGELO Mosso: der Öheyne-Stokes’chen Respiration; vielmehr gehört noch dazu, dass das Respirationscentrum weniger erregbar geworden sei, als das vasomo- torische. Nachdem die Athmung einmal unterdrückt worden, sagt Filehne, wird das venöse Blut des Kranken immer venöser; und da die Erregbarkeit des Athmungscentrums herabgesetzt ist, wird der Still- stand fortdauern, ohne dass der Reiz der sich anhäufenden Kohlensäure die Athmung anzuregen im Stande sei. Das- immer venöser werdende Blut erregt endlich das vasomotorische Centrum, es erfolgt daher eine Contraetion aller Arterien des Körpers und auch der Gefässe des Re- spirationscentrums. Der verminderte Blutzufluss zu diesem Organe ver- stärkt derart den Reiz der Kohlensäure, dass das Respirationscentrum, so wenig es auch erregbar, doch wieder zu functioniren anfängt. Diese gedrängte Darstellung der beiden wichtigsten Theorien über den Ursprung der Cheyne-Stokes’schen Respiration zeigt zur Genüge, dass es sich bloss um Hypothesen ‘handelt, die erst zu ihrer Begründung des Beistandes entscheidender Thatsachen harren. Ich versuchte und bin noch jetzt bemüht, über die Ursache dieser Erscheinung in’s Klare zu kommen. Die Leichtiskeit mit der dieselbe während des Schlafes be- obachtet werden kann und die Anwendung des Pletkysmographen werden mir hoffentlich bald zu einem brauchbaren Resultate verhelfen. Das Verfahren, dessen ich mich bei diesen Untersuchungen bediene, besteht darin, dass ich die Zusammensetzung der Luft, die während des Schlafes eingeathmet wird, ändere. Doch die Schwierigkeit, grosse Mengen von Gas zu entwickeln und Gasgemenge von bestimmten Mischungsverhält- nissen darzustellen, vor allem die Schwierigkeit, diese Gase in Gestalt eines unter beständigem Drucke und reichlich den Lungen zufliessenden Stromes in Bewegung zu setzen — das Alles hat meine Uutersuchungen aufgehalten, weil hierzu Mittel gehören, über die ich zur Zeit nicht ver- füge. Ich werde die Arbeit wieder aufnehmen, sobald mein pharma- ‚kologisches Laboratorium eingerichtet sein wird. Für den Augenblick begnüge ich mich mit der Feststellung der Thatsache, dass beim gesun- den Menschen während des normalen Schlafes die Respiration dieselbe eigenthümliche Form darbieten kann, welche von Cheyne-Stokes in krankhaften Zuständen beschrieben worden ist. Um noch einen Beleg für die völlige Identität dieser Erscheinung mit der von Cheyne-Stokes beobachteten zu liefern, wähle ich, unter den vielen Beispielen, die ich anführen könnte, eines von den zahlreichen Respirationsbildern (Fig. 9), das ich in der Nacht des 23. September an Hrn. A. Ruffini gewonnen hatte. ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 547 $. 8. Vergleich zwischen den Athembewegungen, die im na- türlichen Schlafe und denjeni- sen, welche in der Chloralnar- kose gemacht werden. — Die bisher von mir über diesen Gegenstand an- gestellten Versuche flössen mir die Hoffnung ein, einen charakteristischen Unterschied zwischen dem natürlichen und dem künstlich durch Chloral ein- geleiteten Schlafe aufstellen zu können. — In Erwartung einer günstigen Ge- legenheit zur Vermehrung meiner dies- bezüglichen Erfahrungen glaube ich schon jetzt einen der Versuche mit- theilen zu dürfen, den ich der Selbst- aufopferung meines Bruders Ugolino, eines sehr kräftigen Mannes von 24 Jahren, verdanke. Um 10 Uhr Abends am 1. Juli legte er sich in Rückenlage auf eine den Beobachtungstisch bedeckende Ma- tratze, mit leicht erhöhtem, auf einem Kissen ruhenden Kopfe. — Da die Zimmertemperatur etwa 20° betrug, applieirte ich ihm den Marey’schen Pneumosraphen direct am Sternum. Auf dem Abdomen, in der Nähe des Nabels, ruhte die metallische Kugel des Vierordt’schen Hebel. Um 10° 15°, während mein Bruder ganz ruhig lag, schrieb ich das Respira- tionsbild Fig. 10, wobei die Athem- frequenz etwa 18 in 1” betrug. Kurz darauf sagte er, dass er wahr- scheinlich bald einschlafen werde. In der That bemerkte ich 6° später an dem Rhythmus des Athmens, dass er bereits schlief. Der Brustkorb, der sich vorhin schwach erweitert hatte, trat in ver- "le, ©), Cheyne-S tokes ’sche Ath'nung, an Hrn. A. Ruffini während des normalen S:hlafes beobachtet. rg -D << Thor. 458 ANGELO Mosso: stärkte Bewegung, während die Bauchwandungen, deren Bewegungen an- fangs überwiegend waren, relative kuhe überkam, indem sie sich nur noch ganz flach hoben und senkten. Fig. 11, die um 10% 18° aufgenommen wurde, gewährt nun ein Bild von dieser Umwandlung. Die Athemfrequenz blieb durch einige Minuten 14 Resp. pro Min., worauf sie ohne bekannte Veranlassung wieder zunahm und sich auf 16 Resp. pro Minute hielt. Mittlerweile schreckte mein Bruder im Schlafe zweimal zusammen. Ich werde in einer künftigen Arbeit näher diese Erscheinung beleuchten, welche Viele aus eigener Erfahrung kennen, weil die Muskelzuckungen mitunter so stark sind, dass sie den Schlafenden aufwecken, während sie in anderen Abd. Thor. Fig. 10. Wachen. — Curve der Bauchathmung (Add.) und der Brustathmung (Thor.) an meinem Bruder Ugolino bei vullkommener Ruhe erhalten. — Beide Curven sind verkehrt. Thor. Big- alle Natürlicher Schlaf. — Fortsetzung der vorigen Figur, an meinem Bruder Ugolino erhalten. Fällen keine Spur im Bewusstsein hinterlassen. Ich werde zugleich die Modificationen zeigen, welche die Herzthätigkeit und der Zustand der Gefässe in Folge dieser-Zuckungen erfahren. Hier will ich nur be- merken, dass bei solchem Zusammenfahren die Respiration meines Bruders ihre Form änderte und sich dem Typus des Wachens näherte. — Die Uhr, welche zweimal hinter einander Elf schlug, weckte meinen Bruder vollständig auf. Als ich ihn (wie ich stets in solchen Fällen zu thun pflege) über die etwa wahrgenommenen Eindrücke und über die Erinnerung an die verstrichene Zeit befragte, sagte er mir, dass er sich nicht entsinne, ge- schlafen zu. haben und dass er sehr deutlich den Schlag der Wanduhr gehört. Bei weiterem Befragen fügte er hinzu, kein sonstiges Geräusch ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAucH- v. BRuUSTATHMmUnNG. 459 vernommen zu haben, und wunderte sich, dass ich inzwischen zwei Cylinder habe beschreiben und einen habe berussen können, ohne dass er es bemerkt hätte. Diese Lücke im Bewusstsein, nachdem der Schlaf kurz gedauert, fand ich häufig auch bei anderen Personen vor. In diesem Falle zweifele ich nicht im Mindesten, dass mein Bruder wirklich geschlafen habe, und ich könnte ausser der tiefen Modification des Athems andere Belege dafür anführen. So hatte ich z. B. während dieses selben Versuches, um an- nähernd die Tiefe des Schlafes zu ermitteln, zweimal mit dem Knöchel des Zeigefingers auf den Tisch geklopft, ohne dass mein Bruder er- wachte. Sein Erwachen hätte sich bemerklich machen müssen, denn er war angewiesen worden, sofort die Augen zu öffnen, wenn er auf den Tisch klopfen hörte. Weder von diesem noch von anderen Schallein- Fig. 12. Wachen. — Fortsetzung[ der vorigen Figur, nach dem Erwachen meines Bruders geschrieben. drücken hatte er die geringste Erinnerung, obgleich sich ihr Einfluss sehr deutlich in den Respirations- (und Puls-) Curven aussprach. Es verfloss noch eine ganze Stunde, ohne dass mein Bruder wieder einschlafen konnte, obgleich ich die Wanduhr angehalten und das Licht gelöscht hatte. Ich wollte bereits die Beobachtung unterbrechen, als er mir vorschlug, ich möge ihm Chloral geben. Ich nahm den Vorschlag ungerne an, weil ich keine Waage hatte, um die Dosis genau abwägen zu können; da wir aber einmal entschlossen waren, mit diesem Stoffe eine Reihe von Versuchen an uns selbst anzustellen, gab ich meinem Bruder etwa 2 Gramm Chloralhydrat, in 100 Gramm Wasser gelöst. Bevor er die Lösung austrank, liess ich um 12% 1” die Curven der Fig. 12 zeichnen. Ich nahm die Respirationsbilder alle zwei Minuten auf, und bemerkte, dass der Respirationstypus sich rasch änderte; fünf Minuten später war mein Bruder schon eingeschlafen, und zehn Minuten nach der Einnahme des Chlorals war er bereits in tiefen Schlaf versunken. Von der interessanten Reihe der aufeinander folgenden Umwand- lungen des Respirationsrhythmus führe ich nur ein Respirationsbild auf, 460 ANGELO Mosso: welches 15° nach der Einnahme des Chlorals geschrieben wurde, und behalte mir vor, ein anderes Mal auf diesen Versuch zurückzukommen (Fig. 13). $. 9. Erschlaffung des Zwerchfelles. — Eine charakteristische Thatsache, die uns in dieser letzten Figur überrascht, ist das beträcht- liche Uebergewicht, welches die Brustrespiration schnell über die Bauch- respiration gewonnen hat. In dem Augenblicke, wo sich der Thorax erweitert (wie es der ab- steigende Schenkel der pneumographischen Welle andeutet), sinkt die Bauchwand rasch ein. Kaum brauche ich zu betonen, dass diese Erscheinung in grellem Gegensatze steht zu dem Verhalten während des Wachens, da sich die Abd. Thor. % Fig. 13. Chloralschlaf. — Fortsetzung der vorigen Figur, 5 Minuten nach der Einnahme von Chloral geschrieben Bauchwand mit der Thoraxwand gleichzeitig hob. — Der Vergleich der Figuren an und für sich zeigt diesen Unterschied deutlich. Wenn das Zwerchfell aus irgend einem Grunde sich zu contrahiren aufhörte, so würde nothwendigerweise mit jeder Erweiterung des Brust- korbes die Bauchwand herunter steigen. Doch eben dasselbe muss, wie wir oben ($. 446) auseinander gesetzt haben, auch in dem Falle ein- treten, wo die starke Erweiterung des Brustkorbes die Oberhand gewinnt über die schwächeren Contractionen des Zwerchfelles. Fig. 13 stellt eine Respirationsart dar, wo ein solches Uebergewicht der Thoraxathmung stattfindet: aber nicht während der ganzen Inspiration, sondern mehr im Anfange jedes Inspirationszuges. Der Fall ist in dieser Hinsicht der Erscheinung analog, die wir an Hrn. Caudana im nor- malen Schlafe wahrgenommen, und unterliegt insofern derselben Deutung; doch unterscheidet er sich auch in gewisser Hinsicht von diesem. Wir sehen nämlich, dass die Senkung der Curve Z’hor., also die inspiratorische Hebung der Brustwand, in zwei deutlich geschiedenen Absätzen erfolgt, die durch eine kurze flachere Strecke verbunden sind. Der absteigende ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 461 Schenkel der Curve Add. fällt mit der Fortsetzung der ersten steilen Strecke und mit der flachen Stelle des absteigenden Schenkels der Curve Thor. zusammen. Dagegen geht mit der zweiten steilabfallenden Strecke der letzteren die Curve Add. in ein sehr flaches Ansteigen über, d.h. es beginnt hier eine schwache Senkung der Bauchwand, in Coincidenz mit der zweiten steilen Hebung der Brustwand. Den oben 8. 446 kurz ent- wickelten Grundsätzen gemäss folgt in diesem Punkte die Bauchwand zum zweiten Male dem prävalirenden Zuge der Thoraxmuskeln, wie wir es bei Hrn. Caudana nicht gesehen haben. — Auch hier wollen wir bemerken, dass die Prävalenz der Brustathmung im Schlafe zum Theil auf der absoluten Schwächung der Contractionen des Zwerchfelles be- ruhen dürfte (vgl. $. 3 und $. 11). Bevor ich diesen Paragraph abschliesse, will ich hinzufügen, dass der (Chloral-) Schlaf meines Bruders baid so tief geworden war, dass er eine halbe Stunde später nicht mehr auf die Reize reagirte, welche ihn früher jedesmal und sofort weckten. — Als ich ihn stark aufrüttelte und laut beim Namen rief, antwortete er kaum mit einsilbigen Lauten, mit- unter ohne einmal die Augen zu öffnen. In einer anderen Arbeit werde ich die Beobachtungen anführen, die ich an ihm in jener Nacht bei tiefstem Schlafe angestellt. Nach 4 Uhr Morgens gelang es mir endlich, ihn durch wiederholtes Schütteln am Kopfe zu wecken’ und zum Sprechen zu bringen, indem ich ihm sagte, es sei Zeit aufzustehen. Er stieg selbst von seinem Lager, das sehr hoch war, herunter, band das Halstuch um und knöpfte die Beinkleider und die Weste zu. Nachdem er einige Minuten auf einem Stuhle sitzen und gleichsam nachsinnend geblieben war, zog er die Taschenuhr hervor, um zu sehen, wie viel Uhr es sei; dann sprach ich ihn an; er fuhr zu- sammen, hob erstaunt die Augen, schaute um sich herum, als ob er zu sich kommen wollte, und gestand, er habe nichts bemerkt und wisse nicht, wie er vom Bette herunter gekommen und sich in dieser Stellung finde. Unmittelbar nachher stand er auf, und da er vollständig zur Be- sinnung gekommen war, fingen wir an von den Begebenheiten dieses Versuches zu sprechen. Er erinnerte sich nur, Chloral eingenommen zu haben. Nach Hause zurückgekehrt, schlief er ruhig bis gegen 8 Uhr Morgens und hatte sich über kein Unwohlsein zu beklagen. $. 10. Abwechselung der Athembewegungen des Zwerch- felles und des Brustkorbes. — Bisher war angenommen worden, dass bei Männern die Bauchathmung, bei Weibern die Brustathmung vorwiege. Meine Beobachtungen hierüber zeigen, dass bei beiden Geschlechtern der Schlaf den Respirationstypus sehr erheblich ändert, so dass die Athmung bei beiden thoracisch wird. Schon im $. 3 habe ich diese Erscheinung 462 ANGELO Mosso : angedeutet, die ich der Kürze wegen Wechselim Athemtypus benannt habe, weil auf die vorwiegende Bauchathmung des Wachens im Schlafe ein Uebergewicht der Brustathmung folgt, welches zum Theil wenigstens von der absolut geschwächten Thätigkeit des Zwerchfelles abhängen muss. Die folgende Fig. 14 stellt ein in der Nacht des 2. Juli an dem tief schlafenden Hrn. Caudana gewonnenes Bild der Brust- und Bauch- athmung dar. Thor. Fig. 14. Tiefer Schlaf. — Brustathmung Thor. und Bauchathmung Add., mit Erschlaffung des Zwerchfells. Abd, Thor. Fig. 15. Tiefer Schlaf. — Thor. Brustathmung und Abd, Bauchathnung, mit Erschlaffung des Zwerehfells. Die beim vorhergehenden Versuche an meinem Bruder Ugolino nach Einnahme von Chloralhydrat beobachtete Erschlaffung des Zwerch- felles hatte mich keineswegs überrascht, denn ich kannte diese Erschei- nung schon aus den an anderen Personen im Schlafe angestellten Be- obachtungen (s. $. 444, die Beobachtung an Hrn. Caudana). Sehr wahr- scheinlich werden die Kliniker in dieser Erscheinung eine Erklärung für die Verschlimmerung finden, welche bei verschiedenen Lungenkrankheiten ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- U. BRUSTATHMUNG. 463 \ während des Schlafes einzutreten pflegt, und es scheint mir daher zweck- mässig, noch einige Beispiele für die von mir beobachtete Erschlaffung . des Zwerchfelles anzuführen. Fig. 15 ist eine Aufnahme, die ich am 20. Juli 12 Uhr Nachmittags an meinem Freunde A. Ruffini ausgeführt hatte, nachdem er seit einer Stunde eingeschlafen war. — Diese Respirationsbilder zeigen in augen- fälliger Weise das rasche Heruntersteigen des Bauches (wegen relativen Uebergewichtes der Brustathmung) im Augenblicke, wo die Erweiterung des Brustkastens beginnt. i ii | | | I $. 10. Verminderung der Athmungsluft während des Schlafes. — Schon in einer anderen Abhandlung! hatte ich das Ver- fahren angegeben, wonach ich den mittleren Werth der Inspiration be- stimme. Mit demselben Apparate unternahm ich meine Untersuchungen über die Aenderungen, welche das Volumen der in jeder Minute ein- und ausgeathmeten Luft erfährt, sowie über die Variationen im Werthe der einzelnen Inspirationen während des Wachens und im Schlafe. Bei dieser Beobachtungsreihe, die ich später ausführlicher entwickeln werde, hatte ich Gelegenheit einige Thatsachen zu beobachten, die ich jetzt gleich erwähnen will, weil sie direct von der oben besprochenen Er- schlaffung des Zwerchfelles abhängen. Um die in die Lungen eindringende Luftmenge zu messen, benutzte ich eine Gasuhr @ 4 (Fig. 16), die so empfindlich war, dass ihr Wider- 1 Sull’ azione fisiologiea dell’ aria compressa. Atti della Begia Accademia delle seienze di Torino, Vol. XII, Giugno 1877. 464 AnGELo Mosso: stand gegen den Durchtritt der eingeathmeten Luft den Druck von 2 «= Wasser nicht überstieg. Eine Guttaperchamaske A, die genau nach dem Gesichte der Person, , welche sich dem Versuche unterwerfen wollte, modellirt war, und ein System Müller’scher Ventile # D erlaubten, den Strom der Respirations- luft in einer constanten Richtung ZB AC, von der Gasuhr zu den Lungen und von diesen nach aussen durch das Ausathmungsventil D, zu erhalten. Bei diesem Verfahren wird der Athem so wenig behindert, dass ich durch mehrere Stunden hinter einander, und öfters an schlafenden Personen die ganze Nacht hindurch, die Aenderungen des Volums der Respirationsluft beobachten konnte, während ich gleichzeitig die Frequenz und den Werth der einzelnen Inspirationen registrirte. Eine Erscheinung, die mich nicht wenig überraschte, ist die enorme Verminderung, die der Luftaustausch in den Lungen erfährt, wenn der Schlaf sehr tief geworden ist. Die Aenderung der Athemfrequenz beim Uebergange vom Wachen zum Schlafe ist meistens so gering, dass die Volumsverminderung der Inspirationsluft wesentlich auf Rechnung der beträchtlich verminderten Tiefe der Athemzüge zu setzen ist. Um von diesen Versuchen eine genauere Vorstellung zu geben, führe ich von den langen Tabellen meines Beobachtungstagebuches einige Bruch- stücke auf. Hr. Roth setzte sich am 19. April Abends bequem auf einen Lehnstuhl, mit leicht nach hinten geneigstem Kopfe und mit der Gutta- perchalarve auf dem Gesichte. — Indem ich dem Zeiger der Gasuhr folgte, verzeichnete ich die Zahlen, welche ich folgendermaassen rubricirte: T die Zeit — Z die Menge der binnen zwei Minuten durch die Lungen tretenden Luft, in Litern ausgedrückt — F die Zahl der gleichzeitig in einer Minute erfolgenden Athemzüge — J Luftverbrauch durch die ein- zelnen Inspirationen, abgelesen nach den aufeinander folgenden Stellungen des Zeigers auf dem grösseren Zifferblatt der Gasuhr. Letzteres ist in 180 Theile getheilt, deren jeder !/,, Lit. entspricht. Unter den Zahlen, welche in den folgenden Tabellen die Menge der durch die einzelnen Inspirationen aufgenommenen Luft angeben sollen, befinden sich auch die Zeichen O0, welche anzeigen sollen, dass trotz sichtbar versuchter Inspirationsbewegung keine Luft durch die Gasuhr aspirirt worden war. ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- u. BRUSTATHMUNG. 465 Tabelle I. Variationen der Menge der Athmungsluft im Wachen und im Schlafe, bei Hrn. Roth. — 17. April 1877. Temp. 140C. N in F 3 Zeit. Gesammt- Zahl Werth menge |der Inspi-| der einzelnen Inspirationen el rationen während 1 Minute Bemerkungen. E ä inuten h ; E £ ® 2 |inspirirten in in Sechzigsteln von 1 Liter = = Luft 1 Minute. ausgedrückt. 8 5 |linLitern. _ Nachmitt. 10 40 11-5 12 20.028. 25025125. 25 Wacht. 530228: 32829231.33.25. — 42 11 13 30.31. 29. 28. 27. 35. 25.28. 27.28.31. 22. 32. — 44 12 12 288. 30230.0272.26. 293 al. 32. 32.23. 19. 26. 10 58 10-5 14 19. 29. 29. 20. 25. 30. | Bleibt unbeweglich 11. 24. 20. 21. 23. 22. | mit geschlossenen 211. 220. Augen: scheint ae Rei 15 95 21 1900 18, D3, | nee Slummert. 22.:24.,20.. 19. 21. 19. 22120: — 2 11.5 14 20. 19. 18. 19. 25. 24. 30. 19. 27. 25. 25. 25. 25. 22. 11 24 +8 14 i5-192 19.215. 18. 12: | Schläft tief. 13. 10. 13. 11. 6. 10.9. — 26 3.5 13 6.719262 53 525.620: BROUR | a ee 9.6.6.6 1 36 | 18 9 me ao on An | ee in | 31. 24. 25. 21. 34. 33, Bene 13 | 20.38.32, 19.16. 24. 17. 24. 15. 19, 16. 27. 38. _ al m | Aa ee 2 | 26.5.20.092152 18222. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 30 466 ANGELO Mosso: Tabelle II. Variationen der Menge der Athmungsluft im Wachen und im Schlafe bei Hrn. Caudana während er im Bette liest. — 21. April 1877. Temp. 11-5%C. T L F J Zeit. Gesammt- Zahl Werth menge der Inspi- der einzelnen Inspirationen der binnen rationen während 1 Minute Bemerkungen. z = 2 Minuten ö 5 a N 8 2 |inspirirten in in Sechzigsteln von 1 Litre | Een Luft 1 Minute. ausgedrückt. 2 =) in Litern. Vormitt. 92 8119325 15 307728, 21.153.222 Wacht: 27. 26. 29. 28. 48. 29. |ich warte mehr als 26%2°27.26: 2 Stunden ehe er einschläft. — 14 | 13-5 14 25.,24224726:°295210220. 24. 26. 26. 30. 22.32.28. — 16 13 14 289292302827292E 30. 20233.23.283206. 30: 1738 9 15 24. 19.19.19, 115.10. | Schläft tief. I a ale le 2 22010235: — 40 4 16 2222149202 1041386: Sala ken alle Il, ’ A222 — 42 3-5 17 18. 6 A Tas a ©. ©. 3.0. 2752 11) 15 26. 29. 28. 27. 30. 32. |. Ich wecke ihn. 23. 30. 30. 29. 35. 26. 15. 28228 u 54 14 16 89.20..81.292 20. 30: 285029.521023072820. 2430028726. — 56 14:2 16 Me 2 en a N | 28. 25. 28. 25: 28. 27. 202028. DI. ÜBER D. GEGENSEITIGEN BEZIEHUNGEN D. BAUCH- v. BRUSTATHMUnNG. 467 Aus diesen Messungen, die mit gleichen Ergebnissen an anderen Personen wiederholt wurden, folgt: dass die Menge der eingeathmeten Luft während des Schlafes bedeutend abnehmen kann, während die ‚Athemfreguenz gleichbleibt und nicht selten sogar vermehrt erscheint. Der Werth der mittleren Inspiration kann im Schlafe auf !/,, vom Werthe sinken, den sie im Wachen darbot. Mitunter, nachdem 10 bis 15 Minuten dieser höchsten Schwächung der Respirationsthätigkeit ver- flossen sind, ohne dass der Schlaf unterbrochen wurde, wird der Athem tiefer und es scheint sich automatisch eine Compensation einzustellen, um die mangelhafte Lufterneuerung in den Lungen auszugleichen. Diese periodischen Schwankungen in der Tiefe der Respiration, die in mehr- facher Hinsicht denen der Cheyne-Stokes’schen Erscheinung ent- sprechen, sind jedoch viel länger, denn jede Schwankung der Curve umfasst mehrere Minuten. Bei Hrn. Caudana und auch bei Hrn. Roth bemerkte ich bei Beobachtung des Wasserstandes in den Müller’schen Ventilen, dass häufig eine Inspirationsanstrengung stattfand, ohne dass Luft durch die Gasuhr durchtrat. —- Bei genauerer Betrachtung des Brustkorbes und des Abdomens bemerkte ich, dass dabei die Erweiterung des Thorax nicht fehlte, sondern im Gegentheil sehr deutlich war. Doch vermochte sie den Zeiger der Gasuhr nicht in Bewegung zu setzen, indem der Luft- strom so schwach geworden war, dass er den Widerstand des Apparates (= 2°% Wasser) nicht überwinden konnte. Doch dass es überhaupt einen Luftstrom gab, bewiesen die Schwankungen des Wasserstandes in den Müller’schen Ventilen. — Bringen wir diese Erscheinung mit der früher und zu wiederholten Malen festgestellten 'Thatsache zusammen, dass im Schlafe die Brustathmung über diejenige des Zwerchfelles prävalirt, so be- greift man, warum wir diese Prävalenz auf eine absolut geschwächte Thä- tigkeit des Zwerchfelles haben beziehen müssen. Denn nur diese Annahme kann uns-die so erhebliche Herabsetzung des Luftaustausches im Schlafe erklären. In einer nächsten Arbeit werde ich diejenigen Beobachtungen veröffent- lichen, welche ich über die Aenderungen der Empfindlichkeit, insbesondere des Respirations- und vasomotorischen Centrums im tiefen Schlafe an- gestellt habe. Es ist dies ein fruchtbares Beobachtungsfeld, dass mir 1 Bei diesen und ähnlichen Beobachtungen und Versuchen wäre es sehr wün- schenswerth gewesen, die Menge der ein- und ausgeathmeten Luft nicht bloss an der Gasuhr abzulesen, sondern auch graphisch zu registriren. Leider besitze ich bisher keinen geeigneten Apparat zu diesem Zwecke. Doch erhalte ich von Hrn. Riedinger in Augsburg, an den ich mich deswegen gewendet habe, eine Mitthei- lung, wonach ich bald in den Besitz eines solchen zu kommen hoffen darf. : 30* 468 AnGELoO Mosso: BAUCH- UND BRUSTATHMUNG. Ergebnisse geliefert, wonach ich es als wahren Fortschritt der Unter- suchungsmethode betrachten darf, dess es mir gelungen ist, durch im Schlafe angestellte Versuche die peinlichen Handgrifie und die Unsicher- heiten der Vivisectionen zu umgehen, um an deren Stelle harmlose Be- obachtungen und Versuche an Menschen zu setzen. Die Genauigkeit, die ich hierbei erzielt, übersteigt bei Weitem, was bisher bei derartigen Untersuchungen erreicht worden war, denn ich konnte gleichzeitig die Brust- und Bauchathmung, den Zustand des Blutkreislaufes und der Gefässe des Vorderarms (mittels der vereinigten Plethysmo- und Hydrosphypmographen) verzeichnen, und zwar während die schlafende Versuchsperson mit der Gesichtsmaske durch die Gasuhr hindurch athmete, durch welche ich ihr einen reichlichen Strom von Sauerstofl, oder von einem kohlensäure- oder stickstofireichen Gasgemenge oder einfach von atmosphärischer Luft zufliessen liess. Neben den vielen Misserfolgen, die zum Theil aus der Mangel- haftiskeit der Hilfsmittel entsprangen, gelang es mir nicht selten, solche Versuche über die Respiration auszuführen, ohne den Schlaf zu unter- brechen, während die Verrichtungen des Körpers eine Reihe tiefer Veränderungen erfuhren. Die Kohlensäurespannung im Blut, im Serum und in der , Lymphe. Von Dr. J. Gaule in Leipzig. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Die Resultate, welche Buchner! bei seiner Untersuchung der Kohlensäure in der Lymphe des athmenden und des erstickten Thieres erhalten, erweckten in zwei Richtungen die Begierde nach neuen Auf- schlüssen. Buchner fand nämlich, dass nach der Erstickung der Kohlen- säuregehalt der Lymphe abgenommen hatte, während der gleichzeitig gemessene des Blutes natürlich zunahm. Damit zeigte sich, dass die in den grossen Stämmen strömenden thierischen Flüssigkeiten in ihrem Kohlensäuregehalt viel unabhängiger von einander sind, als man seither annahm. Es musste aber an diesem Befunde zum ersten erklärt werden, wie es möglich sei, dass während die Abfuhr von Kohlensäure aus dem Körper verhindert war, aus der Lymphe Kohlensäure verschwinden konnte. Die plausibelsten Erklärungen dafür hatte schon Buchner herbeigezogen, indem er annahm, dass er es vor und nach der Erstickung nicht mit derselben Lymphe zu thun gehabt habe. Bei dem athmenden Thiere floss die Lymphe weiss, milchig getrübt, bei dem Erstickten farblos und opalescirend. Das erstere Verhalten kommt der Darm-, das letztere der Gliederlymphe zu, und so dürfen wir zu der Erklärung des sonst so paradoxen Verhaltens wohl annehmen, dass bei dem athmenden Thiere hauptsächlich Darm-, bei dem erstickten Thiere Gliederlymphe aus- geflossen sei. Der Kohlensäuregehalt der Gliederlymphe wird beim athmenden Thiere jedenfalls nicht höher, wohl aber, selbst wenn wir 1 Arbeiten der physiol. Anstalt zu Leipzig. XI. Jahrg. 1876. S. 108 ff. ATO J. GAULE: die kohlensäurebildenden Processe in den Partien, die die Lymphe be- spült, gering anschlagen, niedriger gewesen sein, als ihn die Erstickungs- lymphe, der überdies immer ja noch etwas kohlensäurereiche Darmlymphe beigemengt war, zeigte. Damit wurden wir dazu geführt, annehmen zu müssen, dass in ver- schiedenen Theilen desselben Gefässsystems Flüssigkeiten von sehr er- heblich verschiedenem Kohlensäuregehalt sich befinden. Die Diffusions- ströme mussten diese Differenz fortwährend auszugleichen, suchen,. und wir sehen sofort ein, dass sich dieselbe nur auf eine grössere Beimengung salzartig gebundener Kohlensäure zur Darmlymphe gründen kann. Denn die Raschheit, mit welcher freie Kohlensäure diffundirt, würde eine er- hebliche Differenz in dern Gehalt an ihr sofort zum Ausgleich bringen, während die Diffusion der Salze, wenn ihr, wie hier, die Strömung der Flüssigkeit entgegengerichtet ist, his zu jedem Grade verlangsamt werden kann. Die Differenzen im Kohlensäuregehalt besagen also nur etwas für die relativen Mengen gebundener und nichts über die freier Kohlensäure. Damit rücken wir der Beantwortung der zweiten Frage, welche durch die Buchner’schen Resultate aufgeworfen wird, näher. Wie ist es denn möglich, dass aus der Lymphe, welche einen so niedrigen Kohlensäure- gehalt besitzt, die Kohlensäure abgeführt wird, da der einzige Weg dazu doch durch das kohlensäurereichere Blut gegeben ist? Aber wir haben eben gesehen, dass die Lymphe einen Theil der Kohlensäure salzartig gebunden enthält und von dem Blute wissen wir das gleiche. Desshalb sagt uns aber auch der Gesammtgehalt dieser Flüssig- keit nichts aus über das Bestrebeu, welches die in ihnen enthaltene Kohlensäure hat, sich auszudehnen. Denn es ist sehr wohl denkbar, dass die Gliederlymphe, obgleich weniger Kohlensäure im Ganzen, doch mehr freie Kohlensäure enthält, als das mit ihr im Austausch sich befindende Blut. Die gebundene Kohlensäure aber findet ja sicher ihren Weg, indem sie dem Flüssigkeitsstrome folst. Daraus ergiebt sich die Nothwendigkeit die Menge der freien Kohlen- säure in Blut. und Lymphe direct zu bestimmen, wenn man sich ein Urtheil über die Frage bilden will, ob ein erheblicher Strom von Kohlen- säure aus der Lymphe in das Blut überzugehen im Stande ist. Hierzu war der Versuch schon gemacht worden von Strassburg!, der die Kohlensäurespannung. der Lymphe mit Hülfe des Aerotonometers unter- sucht hatte. Dabei hatte sich gezeigt, dass dieselbe niedriger war als die des venösen Blutes, aber Strassburg hatte geltend gemacht, dass die Lymphe auf dem Wege zu den grossen Stämmen in Wechselwirkung ı Pflüger’s Archw, VI], 8. 65 ff. Die KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LyımPpHr 471 mit arteriellem Blute getreten sei und mit diesem ihre Spannung aus- geglichen habe. Um die Frage zu entscheiden, musste daher das arte- rielle Blut mit seiner geringen Spannung ganz ausgeschlossen sein, d.h. - es musste eben der Versuch mit Erstickungsblut und a gemacht werden. Buchner hatte schon begonnen, mit dieser für unsere Anschauungen über den Ort der Kohlensäurelösung so wichtigen Aufgabe sich zu be- schäftigen. Da er verhindert wurde, seine Bemühungen fortzusetzen, folgten Prof. BE. Dreehsel und ich im Sommer 1876 einer Aufforderung des Professor Ludwig, mit Hülfe eines von ihm construirten Apparates eine Anzahl vergleichender Spannungsbestimmungen der Kohlensäure in Lymphe, Blut und Serum zu machen. Dieselben sind in dem ersten Abschnitt dieser Abhandlung mitgetheilt und obgleich in denselben die zunächst gestellte Aufgabe gelöst ist, habe ich lange gezögert, dieselben zu veröffentlichen. Die Frage nämlich, ob die Resultate, welche wir er- halten hatten, nur als für den Einzelfall gültige Constanten zu betrachten seien, oder ob man dieselben zu allgemeineren Schlüssen verwerthen dürfe, hat mich zu einer Reihe von Untersuchungen veranlasst, die schliess- lich zu einer scheinbar abliegenden Aufgabe, der Bestimmung der Disso- ciationsconstanten des doppelkohlensauren Natrons führten. Trotz des weiten Weges, den ich’ so zurücklegte, hat es mir nicht gelingen wollen, alle Bedingungen aufzufinden, von denen die Spannung der Kohlensäure in thierischen Flüssigkeiten abhängig ist. Es sind deren anscheinend sehr viele, welche ineinandergreifen und so einen jener wundervollen Regulirungsapparate herstellen, die wir im Organismus so vielfach zu bewundern Gelegenheit haben, deren Mechanik zu verstehen “ unsere Hülfsmittel aber so selten ausreichen. Ich musste zufrieden sein, einige dieser Bedingungen, deren Existenz man übrigens schon ver- muthete, festzustellen, und eine davon näher zu studiren, und hierüber berichte ich in dem zweiten und den folgenden Abschnitten dieser Ab- schnitten dieser Abhandlung. Leider stand mir bei den hierauf bezüg- lichen Versuchen die Unterstützung des Hrn. Prof. Drechsel nicht mehr zur Seite, da anderweite Arbeiten ihn an der Verfolgung der ge- meinschaftlich begonnenen Untersuchung hinderten. 1. Vergleichende Spannungsbestimmungen. Das Verfahren, dessen wir uns bedienten zur Aufsammlung von Lymphe und Blut ist in den aus dieser Anstalt hervorgegangenen Ar- beiten bereits mehrmals beschrieben worden, so dass ich auf dasselbe 472 J. GAULE: nicht weiter eingehe. Speciell von der Buchner’chen Versuchsanord- nung! unterschied sich die unserige nur dadurch, dass wir uns auf Er- stickungslymphe und -blut beschränkten. Von Blut wurde eine grössere Portion gleichzeitig in mehreren Flaschen. aufgefangen, da ein Theil des- selben defibrinirt, ein anderer Theil jedoch centrifugirt und zur Gewin- nung von Serum verwendet werden sollte. Ueber die mit dem Serum vorgenommenen Bestimmungen werde ich im fünften Abschnitt referiren. Blut und Lymphe wurden in zwei Portionen getheilt und zur Aus- pumpung je 20, zur Bestimmung der Kohlensäurespannung je 50—100 °°” (je nach der gewonnenen Lymphmenge mehr oder weniger) verwendet. Alle Versuchsthiere waren grosse kräftige junge Hunde, welche, um die Beimengung von Chylus zu vermeiden, 24 Stunden vorher gehungert hatten. Zweimal arbeiteten wir mit curarisirten Thieren, in dem einen der beiden Fälle gelangen jedoch die Bestimmungen nicht für das Blut, sondern nur für Kohlensäure und Serum. Vier Versuche gelangen an curarisirten Thieren, bei denen übrigens die Anordnung sonst nicht weiter von der bei den nicht curarisirten beobachteten abwich. Ich gebe zunächst die Zahlen des Kohlensäuregehaltes der beiden Flüssigkeiten in der üblichen Form, indem ich die auf 0° und 1” Druck reducirten Volumina anführe, welche in 100 Volumtheilen der Flüssig- keit enthalten sind. a. am nicht curarisirten Thiere: 1) Erstickungsiymphe 23.0 Erstickungsblut 28-1 2) „ 27.7 „ 34.1 3) „ 27.3 R „ 21.26 4) ns 24.6 x 235 b. am curarisirten Thiere: 5) Erstickungslymphe 31.8 Erstickungsblut 34.3 6) I 37.6 s — Des Vergleiches halber will ich die Zahlen Buchner’s noch einmal bier hinzufügen: a. am nicht curarisirtem Thiere: 1)? Erstickungslymphe 38-7 Erstickungsblut 40-2 2) r 33.4 5; —— 3) 5 33.6 2 38.5 b. am curarisirtem Thiere: 7) Erstickungslymphe 31-5 Erstickungsblut — 8) 5 42.0 a 36-8 1A.a. O.S. 109 £. 2 Nummer 1 des Buchner’schen Versuchs. DIE KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LyMPHE. 473 In allen meinen Fällen, sowie in den Buchner’schen Fällen, mit Ausnahme des letzten, ist der Kohlensäuregehalt der Lymphe geringer als der des Blutes. Im Allgemeinen fand ich niedrigere Zahlen, als Buchner, was vielleicht daher rührt, dass meine Lymphen noch freier von beigemengter Darmlymphe waren. In dem einen Falle wenigstens, in dem ich den höchsten Gehalt an Kohlensäure verzeichnete, finde ich im Protokoll die Bemerkung: Lymphe sehr fettreich. Dass die Kohlen- säuregehalte des Blutes bei mir niedriger sind, hat dagegen einen anderen Grund. Ich konnte die Erstickung nämlich nieht so weit treiben wie Buchner, sonst würde ich die grosse Blutmenge, welche ich zur Ge- winnung des Serums brauchte, nicht mehr erhalten haben. Auf die Lymphe hatte dies natürlich keinen Einfluss, die Unterschiede zwischen Blut und Lymphe würden sich aber ohne diesen Umstand noch grösser gezeigt haben. Bevor ich nun zur Mittheilung der Resultate der Spannungsbestim- mung übergehe, will ich den Leser mit den Grundzügen der Methode vertraut machen, welche. wir dabei verfolgten. Die in der Flüssigkeit enthaltene Kohlensäure sollte ihre Spannung in Ausgleich setzen, mit einem vorher luftleer gemachten Raume, in dem der hierdurch entstehende Gasdruck an einem hineinragenden Manometer abgelesen werden’ konnte. Damit diese Ausgleichung mit Sicherheit er- folge und, was bei thierischen Flüssigkeiten von grosser Wichtigkeit ist, nicht allzulange Zeit in Anspruch nehme, befand sich in dem Raume ein breiter Ring aus polirtem Hartgummi, welcher durch einen beson- deren Mechanismus unter Abschluss der Luft von aussen her lebhaft bewegt werden konnte, so dass er durch Quecksilber in die Flüssigkeit - auf- und niedertauchend, die Flüssigkeit mit Quecksilber gemischt in dem Raume hin- und herschleuderte. Ferner musste man voraussetzen, dass die Flüssigkeiten ausser Kohlensäure auch noch andere Gase, namentlich Sauerstoff und Stickstoff an diesen Raum abgeben würden. Es musste daher um den auf Kohlensäure zu beziehenden Antheil des Drucks zu finden, eine Analyse der an den Raum abgegebenen Gase gemacht werden, und deshalb bestand der Ausgleichraum aus zwei Theilen, von denen der eine von dem anderen getrennt und der Analyse unterworfen werden konnte, natürlich unter den Vorsichtsmaassregeln, welche nöthig sind, um das Eindringen von Luft zu verhindern. Das Einführen der Flüssig- keit in den luftleeren Ausgleichraum geschah, indem dieselbe durch das Quecksilber, welches seinen Boden bedeckte, in die Höhe stieg, wäh- rend dafür das entsprechende Quecksilber in das Gefäss herabsank. Da es endlich nothwendig war, die verschiedenen Bestimmungen bei einer und derselben Temperatur auszuführen und diese Temperatur während 474 J. GAULE: der ganzen Dauer des Versuches constant zu erhalten, so war der ganze Apparat umgeben von Wasser, dass sich in einem grossen aus Glas und Eisen construirten Kasten befand. Die Zeichnung des Apparats, welche ich der Abhandlung S. 496 bei- füge, wird den Leser in Stand setzen, sich die Anordnung der Versuche in den Hauptsachen klar zu machen, während ich für die genauere Infor- mation sowohl in Bezug auf die Construction des Apparates als auf die einzelnen Manipulationen auf die als Anhang beigegebene Beschreibung verweise. In derselben berichte ich auch über die Controlen, welche uns die Sicherheit der Angaben unseres Apparates bezeugen sollten. Hier will ich nur hervorheben, dass die von uns mit demselben beobachteten Spannungen des Wasserdampfes nur um Bruchtheile eines Millimeters von den von Regnault angegebenen Zahlen abwichen. Mit anderen Fehlern, als sie bei diesen Beobachtungen des Wasser- dampfes begangen werden, ist aber auch die Versuchsanordnung bei der Spannungsbestimmung der Kohlensäure nicht behaftet, nur wird diese letztere noch durch die Gasanalyse complieirt. Bekanntlich kann der Fehler bei einer Kohlensäureanalyse 0-2 Volumtheile betragen. Wenn nur geringe Mengen von Kohlensäure zur Analyse gelangen, konnte demnach der procentische Fehler ziemlich gross werden. Indessen da stets dasselbe Volum Gas zur Analyse gelangte, so musste, um so ge- ringer dessen Menge sich erwies, um so geringer die Spannung gewesen sein. Je grösser daher der mögliche Fehler in Procenten der Mengen ausgedrückt wird, um so geringer wurde der Einfluss, den er auf die _ Bestimmung der Spannung haben konnte, und daher bewegte sich der absolute Werth des bei der Spannungsbestimmung möglichen Fehlers immer innerhab derselben Grenzen, nämlich eines Millimeters. Folgendes sind die Werthe, die wir erhielten: a. Versuche bei einer Temperatur von 32°C. I. Am curarisirten Thiere: Spannung in 0/, einer . in mm Atmosph. 1) Erstickungslymphe 26-3 3-5 Erstickungsblut 36-3 4.8 Il. Am nicht curarisirten Thiere: 3) Erstickungslymphe 20.3 2-7 Erstickungsblut 44.7 5.9 4) Erstickungslymphe 45-5 6-1 6.4 Erstickungsblut 48.0 Die KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 475 b. Versuch bei einer Temperatur von 40°C. Spannung 0/, einer in mm Atmosph. 5) Erstickungslymphe - 60.0 8.0 Erstickungsblut 92.7 12-5 6) Erstickungsiymphe 52.10 6-9 Erstickungsblut 56.7 7.6 Die Spannung der Kohlensäure ist bei gleicher Temperatur im Blute überall höher als in der Lymphe und es erscheint nicht möglich, sich vorzustellen, dass die Kohlensäure in Gasform aus der Lymphe in das Blut übergehen könne Nur an die durch den Flüssigkeitsstrom fortgespülten kohlensauren Salze könnte man denken, wenn nicht die auf diese Weise bewirkte Abfuhr der Kohlensäure als eine viel zu langsame erschiene, um bei einer einigermaassen erheblichen Kohlensäurebildung der Ge- webe zu genügen. Der Ausweg, dass an irgend einer Stelle des Orga- nismus die Verhältnisse für den Uebergang günstiger seien, ist nicht stichhaltig, denn das von uns der Carotis entnommene Blut war jeden- falls noch das mindest kohlensäurereiche des ganzen Körpers. Dagegen erwarte ich einen berechtigten Einwand aus dem Umstande, dass wir defibrinirtes Blut benutzten. Es ist nach den Untersuchungen Strass- burg’s wahrscheinlich, dass die Gerinnung die Kohlensäurespannung des Blutes steigert, wenn auch aus denselben nicht hervorgeht, in welchem Grade diess der Fall ist. Ich würde mich angeschickt haben, festzu- stellen, ob die Gerinnung eine so erhebliche Steigerung der Spannung bewirkt, dass dadurch die grossen Unterschiede in der Spannung von Lymphe und Blut ausgeglichen werden können, wenn nicht mein Interesse zunächst in Anspruch genommen worden wäre durch Beobachtungen, die der Betrachtungsweise eine andere Richtung gaben. Wir verglichen nämlich ausser den Spannungen der .Lymphe und des Blutes auch die des Serums und hierbei erhielten wir folgende Resultate: a. Versuche bei einer Temperatur von 32°C. I. Am curarisirten Thiere: Spannung in /, einer in mm Atmosph. 7) Erstickungsiymphe 26-3 3.8 Erstickungsserum 26-8 2.6 8) Erstickungslymphe 37.6 5.0 Erstickungsserum 25.7 3.5 476 | J. GAULE: II. Am nicht curarisirten Thiere: Spannung in 0/, einer in mm Atmosph. 9) Erstickungslymphe 20.3 2.7 Erstickungsserum 20.2 2.7 10) Erstickungslymphe 45-5 6-1 Erstickungsserum 30.9 4-1 b. Versuch bei einer Temperatur von 40°C. 11) Erstickungslymphe 52-10 6.9 Erstickungsserum 33-4 4.5 Das Serum steht also in einem ganz anderen Verhältniss zur Lymphe als das Blut; seine Kohlensäurespannung ist entweder gleich gross oder niedriger als die der Lymphe. Es erscheint denkbar, dass die Lymphe ihre Kohlensäure zunächst an das Serum abgiebt, und dass in diesem erst die Spannung erhöht wird, wo es in den weiteren Capillaren mit den Körperchen in Berührung kommt. So würden uns diese Beobachtungen das Verständniss erleichtern, _ wenn sie nicht zu einer neuen weit grösseren Schwierigkeit führten, nämlich der, wie es möglich ist; dass sich ein und dieselbe Flüssigkeit in zwei Theile sondert, die Kohlensäure von so verschiedener Spannung enthalten. Folgendes sind die Spannungen, welche das Gesammtblut und das Serum vou völlig identischen Portionen zeigten. bei 90° rn 12) Erstickungsblut 36.3 4.8 Erstickungsserum 28-8 3° 13) Erstickuugsblut 44.7 5.9 | Erstickungsserum 20.2 2-7 14) Erstickungsblut 48.0 ı 6-4 Erstickungsserum 30.9 4.1 bei 40°. 15) Erstickungsblut 56-7 7.6 Erstickungserum 33-4 4-5 Da man weiss, dass das Serum reicher an Kohlensäure ist, als das Gesammtblut, so muss es um so mehr erstaunen, seine Kohlensäure- spannung so viel geringer zu sehen. Auch in unseren Fällen bewährt sich der grössere Kohlensäurereichthum des Serums und ich will der Vollständigkeit halber auch diese Zahlen geben: Die KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPpHE. 477 12) Erstickungsblut Erstickungsserum . 13) Erstickungsblut Erstickungsserum . 14) Erstickungsblut Erstickungsserum. 15) Erstickungsblut Erstickungsserum . Kohlensäuregehalt in Volumproe. der Flüssigkeit. 34» 38- 28. 36- 34» 44. 25- 34. 3 OIOWEHE—EICDErEE 5 Die Verhältnisse unter denen die Kohlensäure im Blute und im Serum enthalten ist, müssen demnach ganz verschiedene sein, denn die geringere Menge im Blut übt eine grössere Spannung aus. Aber auch in derselben Flüssigkeit ist die Spannung nicht abhängig von dem Gehalte an Kohlensäure, wie folgende Zusammenstellung zeigt: Blut Serum. . Lymphe . Gehalt in Volumproe. 34-3 28.1 Bei 32° Spannung In mm 36. 44. OS TODD OSaoD DD © O1 Wovon aber hängt denn die Spannung ab und was zeigt uns die- selbe an? 478 J.. GAULE: 2. Die Spannung als Kennzeichen der Bindungsweise. Man hat sich in der Literatur daran gewöhnt von der Kohlensäure- spannung als einer Art Constanten zu sprechen, welche bei einer be- stimmten Temperatur einer thierischen Flüssiskeit zukommen müsse. Was für physicalische Bedingungen setzt diese Annahme voraus? Wenn die Kohlensäure im Blute, welches ich als das bestgekannte Beispiel meiner Betrachtung zu Grunde lesen will, theils fest, theils locker gebunden, theils frei enthalten ist, wie man ja gewöhnlich an- nimmt, so wird zunächst die Spannung von der Menge der freien Kohlensäure, die vorhanden ist, abhängen; sie wird dieser Menge direet proportional sein. Alle Kohlensäure, die einen Gasdruck ausübt, muss ja frei sein; das ist eben ihr Kriterium. Dann ist aber nach bekannten Gesetzen der Kohlensäuredruck der Grösse des Raumes, in dem sich das Blut befindet, umgekehrt proportional, sie muss also sinken, in dem Maasse als die Kohlensäure in diesem Raume sich ausbreitet. Damit die Spannung constant bleibe, müsste nun von der locker gebundenen Kohlensäure ebenso viel frei werden als an den Raum abgegeben wird; es hat also nur dann Sinn von der Kohlen- säurespannung als einer Constanten des Blutes zu sprechen, wenn in demselben eine Verbindung existirt, welche sich zersetzt, sobald die Spannung der freien Kohlensäure fällt, und zwar so lange sich zersetzt; bis die ursprüngliche Spannung wieder hergestellt ist. Ist dies der Fall, dann verhält sich die freie Kohlensäure wie der Dampf dieser Verbindung und dieser Analogie nach hat man wohl auch die Bezeich- nung „Spannung“ für den von dieser Kohlensäure ausgeübten Druck ge- wählt. Wenn diese Annahme nun aber nicht zuträfe, wenn eine Ver- bindung, die einen solchen kritischen Punkt hat, im Blute nicht, oder in zu geringer Menge existirte, dann wären ja die Verhältnisse ganz andere. Dann würden wir es nicht mit einer Spannung, sondern mit einem Gasdruck zu thun haben, und die Abhängigkeit von Raum und Menge, in der der letztere steht, würden in Wirksamkeit treten, so dass ein und dasselbe Blut bei derselben Temperatur zwischen vielleicht sehr weiten Grenzen jeden beliebigen Kohlensäuredruck ausüben könnte. Ich muss gestehen, dass wir so befangen in jener Ansicht waren, dass wir bei den ersten der im vorigen Abschnitt erwähnten Versuche diese letztere Möglichkeit gar nicht berücksichtigten. Wir hatten zwar stets die Ab- sicht zu den Versuchen gleich grosse Mengen der Flüssigkeiten zu ver- wenden und den Ausgleichraum gleich gross herzustellen, aber da es nicht möglich war, stets die gewünschten Lymphmengen zu erhalten, so mussten Die KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 479 - wir in einzelnen Fällen davon abstehen. Nur die Versuche 4,5,6,9,10, 11, 12, 14, 15 sind daher mit genau gleichen Mengen und gleichem- Raume angestellt. Und doch ist bis jetzt kein Faetum bekannt, welches die Entscheidung für die eine oder die andere Möglichkeit geben könnte. Es war indessen mit unserem Apparate leicht ein entscheidendes Experi- ment anzustellen. 1) Es wurden in denselben verbracht 219° ® Blut, welche 6-01 CO, enthielten. Die Grösse des Raumes, in welchen dieselbe sich aus- dehnte, betrug 60-1°®. Die CO,-Spannung 6-0”, Als der Raum jetzt auf 148° m vergrössert wurde, fiel die Spannung auf 3-6°=, Die Annahme einer constanten Spannung ist also falsch. Aber auch wie ein reines Gas verhält sich die Kohlensäure des Blutes 6-60 | 148 Sie schlug einen mittleren Weg ein, zeigend dass in dem Blute allerdings mit dem Sinken der Spannung Kohlensäure frei wird, aber weniger als vorher weggegangen ist. Ich will nun, um die Entscheidung über eine so wichtige Thatsache nicht auf einem Versuche beruhen zu lassen, eine Anzahl der von mir an- gestellten hier anführen. Die Spannung desselben Blutes fiel, als der Raum um weitere 87.8°Cm vergrössert wurde, auf 1-7 und sodann bei abermaliger Vergrösserung um denselben Betrag auf 14. Eine ganz gleiche Wirkung musste es hervorbringen, wenn der Raum nicht wirklich vergrössert, sondern das in einem bestimmten Abschnitte des Raumes befindliche Gas nur jedesmal entfernt wurde, so dass sich die Kohlensäure immer von Neuem wieder in diesen Abschnitt hinein ausdehnte. 2) Folgendes sind die Zahlen eines Versuches bei dem die Grösse des Abschnittes, aus dem die Kohlensäure jedesmal entfernt wurde, 141-8 m betrug. — 2 Auer: nicht, denn sonst hätte die Spanung fallen müssen von 6 auf WO He 35.200 90% Nun wurde der Raum um 351-5 vergrössert und die Spannung betrug 3-8. 3) Bei genau derselben Anordnung 10297278287 a6 undin=9 Diese Versuche sind bei einer Temperatur von 15° und mit arte- riellem Blute angestellt. Es ist ihnen gemeinsam, dass die Spannung anfangs weit schneller sinkt, als zum Schlusse. Ja bei einem Versuche, den ich bei der Temperatur von 40° anstellte, ereignete es sich, dass 480 J. GAULE: die Spannung zuletzt trotz der vorgenommenen Vergrösserung des Raumes nicht mehr sank sondern stieg. Es zeigte nämlich dieser Versuch die Reihe: 20-0 19.4 12.6 10.1 10.7 14.2 12.4 10-9 Zum Glück erklärte sich diess paradoxe Resultat. Als ich nämlich die Kohlensäuremenge, welche das Blut bei seinem Verbringen in den Apparat besessen hatte (durch Auspumpen einer identischen Portion ermittelt), verglich mit den Kohlensäuremengen, die ich aus dem Apparate entfernt und jedesmal gemessen hatte, und die Menge hinzufügte, welche im Blute am Schlusse des Versuches noch vorhanden war, zeigte sich folgendes Resultat: ecm quf 00 u.1mD.red. Aus dem Apparat entnommen . . 16-20 Hestie nu ne rt a ee 20.34 In den Apparat verbracht . . . . 14.38 Zu vaolsgerundene ne ee 296 Dieses Mehr von 5:96 = d. h. von 41 Proc. des ursprünglichen Gehaltes ist in dem Apparate gebildet worden. Die colossale Kohlen- säurebildung, welche ich in den Versuchen bei 40° innerhalb weniger Stunden beobachtete, machte, so interessant sie an sich war, doch die Versuche für meinen Zweck unbrauchbar, da die ganze Reihe der Spannun- gen, wie das oben mitgetheilte Beispiel zeigt, äusserst unregelmässig wurde. Ich ging daher zu einer Temperatur von 15° über, bei der die Kohlensäurebildung beschränkt aber nicht aufgehoben ist. Bei der oben mit 1 angeführten Versuchsreihe betrug sie 0:26°em oder circa 4°/,, bei Versuchsreihe 2, 2-26°°m oder circa 9°/,, bei Versuchsreihe 3, 2-23 m oder circa 7°/, der ursprünglich in den Apparat verbrachten Kohlen- säuremengen. Auf diese Werthe reducirt, stört die Kohlensäurebildung zwar noch die Genauigkeit der Resultate, aber sie kann die Bedeutung derselben nicht mehr alteriren. Es geht vielmehr unzweideutig aus denselben hervor, dass im Blute, sobald Kohlensäure weggenommen wird, eine Zersetzung stattfindet, durch die vorher gebundene Kohlensäure frei wird. Diese Zersetzung geht nicht soweit, dass die alte Spannung wieder hergestellt wird; mit jeder Verminderung der Gesammtkohlensäure wird die Menge der freien Kohlen- säure ebenfalls kleiner. Doch wird die Differenz, welche um die durch Zersetzung frei gewordene Menge der Kohlensäure, hinter der wegge- DiE KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LyMmpHe. 481 nommenen zurück bleibt, um so kleiner je niedriger die Spannung war von der man ausging. 2 An Zahlenbeispielen weist sich dieses Verhältniss so aus: Weggenommene Freigewordene Differenz. Kohlensäure in eem red. auf 0Ou.1m.D. 0-81 0.60 0-21 0.48 0.28 0-20 0-30 0-25 0-05 0.23 0-22 0-01 1.06 0.72 0.34 0-91 0.59 0.32 0.74 0.63 0.11 1.33 1.01 0.32 1.19 0.84 0.34 1.04 0.87 0 -17 Wir haben im Blute demnach einen Körper, welcher bei seiner Zersetzung freie Kohlensäure liefert, und dessen Zersetzung von dem Drucke dieser freien Kohlensäure beschränkt wird, und zwar in der Weise, dass für jede Abnahme den Druckes eine bestimmte Menge dieses Körpers sich zersetzt. Diese Menge ist nicht bloss abhängig von der Grösse der Abnahme, sondern auch von der absoluten Grösse des Druckes. Kennen wir nun einen Körper, der einem solchen Gesetz der Zersetzung unterliegt? 3. Beziehungen zwischen Spannung und Dissociation. Bis vor wenigen Jahren war eine Zersetzung, welche die im vorigen Abschnitt geschilderten Erscheinungen darbieten konnte, unbekannt oder doch wenigstens unverständlich. Die Verbindungen zerfielen unter dem Einflusse einer stärkeren Verwandtschaft oder durch Zufuhr von Wärme. Die letztere Art der Zersetzung nannte man Dissociation und nahm an, dass mit zunehmender Temperatur die chemische Verwandtschaft abnehme, so dass sie, sobald ein gewisser kritischer Punkt, den man als Dissociations- temperatur bezeichnete, erreicht werde, nicht mehr hinreiche die Atome in gegenseitiger Verbindung zu erhalten. Erst durch die Ausdehnung der Anschauungen der mechanischen Wärmetheorie auf das Gebiet der chemi- schen Bindung, welche wir Clausius, Berthelot, Naumann, Meyer, Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 31 = 482 J. GAULE: Pfaundler, Horstmann u. A. verdanken, gelangten wir zu einer Theorie der Dissociation, welche uns ihre zwei charakteristischsten Züge erklärt. Das sind erstens die Beschränkung der Dissociation durch die Anwesen- heit der Zersetzungsproducte und zweitens die Zersetzung unterhalb der Dissociationstemperatur. Den ersten Punkt, der uns hier zumeist interessirt, hat Pfaundler am vollständigsten erklärt und ich will, da es zum Ver- ständniss des Folgenden nothwendig ist, hier die Hauptpunkte seiner Erklärung recapituliren. Der Grund der Dissociation liegt in den intramoleculären Bewegungen der Atome. Diese Bewegungen sind ebenso wie die Bewegungen der Molecule der absoluten Temperatur der betreffenden Verbindung propor- tional; die Energie dieser Atombewegungen bildet, wie für die Gase nachgewiesen ist, einen constanten Bruchtheil der Gesammtenergie. Wächst mit steigender Temperatur die Energie dieser Atombewegungen, so dass sie die Grösse der gegenseitigen Anziehung der Atome übersteigt, dann zerfällt die Verbindung; die Bewegung der Atome wird selbständig. Werden nun die Atome der Constituenten, in die die Verbindung zer- fallen ist, von einander getrennt, so ist der Zerfall ein definitiver. Ver- bleiben aber beide Constituenten in demselben Raume, dann werden ihre Atome, die ja nun selbständige Bewegungen ausführen, bei diesen Bewegungen sich begegnen, wieder in den Bereich der gegenseitigen Anziehung kommen und sich wieder vereinigen können. Je zahlreicher die Atome in der Raumeinheit, desto grösser wird natürlich ce£. par. die Chance der Wiederbegegnungen sein. Sind die Constituenten gasförmig, dann ist nach bekannten Sätzen der Druck, den sie in dem betrefienden Raume ausüben, proportional der Zahl ihrer Atome, also auch der Chance der Wiedervereinigung. Denken wir uns also eine Zersetzung, die in einem geschlossenen Raume vor sich geht und bei der das eine Zersetzungsproduct in gas- förmigem Zustande frei wird, so wird in dem Maasse als die Zersetzung voranschreitet, der Druck, den der gasförmige Bestandtheil in diesem Raume ausübt, steigen. In dem Maasse nun, als dieser Druck steigt, wächst aber auch die Chance, welche die kleinsten Theile des Gases haben, sich mit jenen des anderen Bestandtheils der Verbindung wieder zu treffen, und so wird die Zersetzung nur bis zu einem gewissen Drucke fortschreiten können. Sobald dieser Druck erreicht ist, vereinigen sich in der Zeiteinheit ebensoviele Theilchen wieder, als sich trennen. Wird nun der Druck, bei dem ein solches Gleichgewicht stattfindet, ermässigt, dadurch, dass entweder der Raum vergrössert oder ein Theil des in ihm befindlichen Gases weggenommen wird, so wird die Zahl der Wiedervereinigungen in der Zeiteinheit kleiner, sie sinkt unter die Zahl Dis KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPpHE. 483 der sich trennenden. Daher muss nun wieder Gas durch Zersetzung frei werden und der Druck steigt wieder so lange, bis das Gleichgewicht erreicht wird. Aber dieses Gleichgewicht wird nicht auf dem alten Punkte erreicht, denn dadurch, dass jetzt eine Zersetzung stattgefunden hat, ist ja die Menge der Verbindung, welche sich zersetzen kann, ver- mindert. Die Zahl der in der Zeiteinheit sich trennenden Theile der Verbindung muss natürlich ein bestimmter Bruchtheil der ganzen Menge sein, sie muss also auch abnehmen, wenn die Menge abnimmt. Die Zahl der Wiedervereinigungen, demnach auch der Druck, braucht nun nicht mehr so gross zu werden, um die Zahl der sich trennenden zu erreichen, d. h. den Punkt des Gleichgewichts, über den hinaus der Druck nicht mehr wächst. Je niedriger dieses Gleichgewicht nun bereits gelegen ist, um so weniger sinkt der absolute Werth des Druckes bei gleichbleibender Ver- grösserung des Raumes, um so weniger die Zahl der Wiedervereinigungen, um so weniger Gas entwickelt sich, um so weniger wird die Menge der Verbindung gemindert, um so weniger weit wird der neue Punkt des Gleichgewichts von dem alten entfernt liegen. So finden wir, dass alle Punkte, auf die wir in dem Verhalten des Blutes bei unseren Versuchen aufmerksam geworden sind, aus der Theorie der Dissoeiation sich erklären lassen, und es wird daher unsere nächste Aufgabe sein, den Körper aufzuweisen, durch dessen Dissociation im Blute die Kohlensäure frei wird. 4. Von der Dissociation des doppelkohlensauren Natrons. Viele Gründe sprechen dafür, die Bindung der Kohlensäure des Blutes an Natron anzunehmen. Vom chemischen Standpunkte dürfte es sogar unabweislich erscheinen, bei der alkalischen Reaction des Blutes und dem Vorwiegen des Natrons unter den Basen des Blutes, dass der grösste Theil der Kohlensäure an das letztere gebunden sei. Trotzdem ist immer und immer wieder, veranlasst durch das eigenthümliche Ver- halten. der Kohlensäure bei dem Auspumpen des Blutes, der Gedanke an eine leicht zersetzliche Bindung, also eine Bindung anderer Art aufge- taucht. Die Versuche, welche ich oben mittheilte, über die Verände- rungen der Spannung bei der Wegnahme der Kohlensäure, bestätigen durchaus diese letztere Anschauung. Aber würde sich nicht der Wider- spruch zwischen diesen beiden Ansichten auf eine einfache Weise lösen, | 31* 484 | J. Gavne: wenn es sich zeigte, dass die Bindung der Kohlensäure an das Natron selbst eine solche sei, deren Bestehen von dem Vorhandensein eines durch freie Kohlensäure ausgeübten Druckes abhängt? Die älteren Ver- suche von Lothar Meyer scheinen eine solche Annahme zu verbieten. Denn Meyer! wies nach, dass Natron zwei Aequivalente Kohlensäure, also soviel wie es überhaupt zu binden vermag, unabhängig vom Drucke bindet und seine bekannte Formel, welche die Menge A der von einer Lösung einfachkohlensauren Natrons noch weiter aufgenommenen Kohlen- säure zu berechnen erlaubt, nämlich: A=:x+ uph schliesst die Einwirkung von p d. h. dem Druck auf = d. h. auf die chemisch gebundene Menge aus. Indessen experimentell bewiesen ist die Formel nur für hohe Drucke, und selbst für diese fand L. Meyer nicht immer befriedigende? Uebereinstimmung der Versuche mit der Theorie. Bei hohen Drucken muss aber die Abhängigkeit der Bildung des doppel- kohlensauren Natrons von dem Drucke verschwinden, weil sie eben nahezu vollendet ist, und die kleinen Differenzen, welche noch möglich sind, verstecken sich in der Unsicherheit, welcher die Resultate der Ver- suche deshalb ausgesetzt waren, weil nicht bloss x sondern auch & der Absorptionscoöfficient unbekannt war und erst aus den Versuchen be- stimmt werden musste. Je grösser p der Coöfficient von «, desto kleiner der Fehler, welcher dadurch begangen wurde, dass man » als Constante annahm, und daher kam es, das man bei hohen Drucken die bei der Bestimmung von x begangenen Fehler auf & häufte, ohne es zu bemer- ken. Bei niederen Drucken, wo das umgekehrte Verhältniss zwischen x und « statt hat, bemerkte aber L. Meyer den Einfluss des Druckes auf x, denn er giebt ausdrücklich an, dass in einer Atmosphäre, welche weniger als 1 Proc. Kohlensäure enthalte, das doppelkohlensaure Natron sich nicht zu bilden scheine Ein Druck von ca. 7 “@ freier Kohlen- säure würde also den kritischen Punkt bilden, unterhalb dessen das doppelkohlensaure Natron in einfaches: und freie Kohlensäure zerfiele. Aber durch die Einführung der Anschauungen, um die sich durch seine „Theorien der modernen Chemie“ L. Meyer selbst so grosse Verdienste erworben, ist die Lehre von den kritischen Punkten beseitigt. Wir wissen, dass alle Uebergänge vorhanden sein müssen, und dass wenn bei 7 =” Kohlensäuredruck die Verbindung sich zersetzt, auch bei 8”” noch 1 L. Meyer inHenleu. Pflüger’s Zeitschr. f. rat. Mediein. N.F.Bd.VIIIS.258. ? Vergl. Meyer u. Heidenhain, Siudien des physiol. Instituts in Breslau. II. S. 103 ef. » DIE KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 485 eine merkliche Zersetzung stattfinden muss. Wie schnell mit steigendem Kohlensäuredruck die Curve der Zersetzung zur Nulllinie abfällt, darüber kann freilich erst das Experiment entscheiden. Es liest auf der Hand, dass diese Betrachtungen mich ermuthigen mussten, die Abhängigkeit der Zersetzung des doppelkohlensauren Natrons von dem Kohlensäuredrucke zu untersuchen. Denn fiel diese Curve identisch aus mit derjenigen, welche ich beim Blute gefunden habe, so war endlich einmal eine sichere Basis dafür gewonnen, wie man sich die Bindung der Kohlensäure im Blute vorzustellen habe. Ich ver- brachte in meinen Apparat eine Lösung doppelkohlensauren Natrons, welche in 105.5 °”® Flüssigkeit 313-2°® (red. auf 0° u. 1” D.) oder 810-3 "8" Kohlensäure und 611:6”®" Na,O enthielt. Dieselbe stellte in dem Raume eine Spannung von 11-2”” her. Als nun mehreremale in dem abnehmbaren Theile des Raumes die Kohlensäure weggenommen wurde, ergaben sich successive die folgenden Spannungen: 100 927125,.8.281 8310237262, 077.22 Diess bedeutet, dass sobald eine gewisse Kohlensäuremenge weggenommen wurde, die Zersetzung eine neue Menge frei machte, welehe jedoch nicht den Betrag der weggenommenen erreichte. Folgendes ist das Verhältniss zwischen den beiden Mengen. Weggsenommene Freigewordene Differenz in mgr in mer in mgr 4-9 3-4 1-5 3.7 3.0 0-7 3.4 3-7 0-7 3-1 De 0-6 2-8 2-8 0-5 2-6 2-3 0-3 Dass eine Dissociation des doppelkohlensauren Natrons bei Abnahme - des Druckes der freien Kohlensäure stattfindet, geht aus diesen Zahlen nicht nur hervor, sondern auch dass das Verhältniss zwischen der Menge der durch Zersetzung frei werdenden Kohlensäure und dem Sinken dieses Druckes ein ganz ähnliches ist wie im Blute. Diess eröffnete eine weite Perspectivee Denn nicht nur erschienen die Widersprüche die seither zwischen der Ansicht über die chemische Bindung und dem physikalischen Verhalten der Kohlensäure des Blutes bestanden hatten gelöst, sondern man durfte auch die Hoffnung fassen mit Hülfe der Constanten der Zersetzung des doppelkohlensauren Natrons 486 J. GAULE: die Kohlensäurespannung des Blutes unter Umständen berechnen zu können, wo sie sich einer experimentellen Prüfung entzog. Dazu gehörten vor Allem nicht nur umfassende Versuchsreihen zur Bestimmung der Constanten der Dissociation des doppelkohlensauren Natrons sondern auch ein Verständniss des Zusammenhanges dieser Con- stanten unter einander. Denn dieses Verständniss ist durch die im vorigen Abschnitte skizzirte Theorie der Dissociation keineswegs voll- ständig gegeben. Wie man sieht, basirt dieselbe die Beschränkung der Zersetzung durch die Anwesenheit der Zersetzungsproducte auf das Wiederzusammentreffen der kleinsten Theile derselben untereinander. Für die Wahrscheinlichkeit eines solchen Zusammentreffens haben wir aber nur bei gasförmigen Verbindungen ein Maass, bei denen wir die Ge- schwindigkeit, die Zahl und die Grösse der Wirkungssphäre der Molecule kennen. In dem Falle des doppelkohlensauren Natrons aber ist nur das eine Zersetzungsproduct gasförmig, das andere nicht einmal flüssig, sondern nur gelöst. Ueber die Art der Bewegung gelöster Molecule aber wissen wir so gut wie nichts, und dadurch, dass wir hier ausser der Verbindung und ihren Zersetzungsproducten auch noch den Einfluss des Lösungs- mittels, des Wassers, in Rechnung ziehen müssen, wird das Problem complieirt. Es würde mich daher zu weit ab von meinem eigentlichen Gegenstande führen, wenn ich hier über den Versuch berichten wollte, den ich gemacht habe, Formeln für die Zersetzung des doppelkohlen- sauren Natrons aufzustellen. Ich werde dies an einem anderen Orte thun und beschränke mich hier darauf, die zwei Punkte zu erklären, welche uns eine Handhabe bieten, das Verhalteu des Blutes und Serums mit denen von Lösungen von doppelkohlensaurem Natron zu vergleichen. Den einen habe ich bereits oben hervorgehoben; er liegt in dem Ver- halten, welches beide Arten von Flüssigkeiten bei der Vergrösserung des Raumes, in dem ihre freie Kohlensäure sich ausbreitet, oder bei Weg- nahme eines Theiles derselben zeigen. Der andere Punkt ergiebt sich aus der Theorie der Dissociation. In derselben Weise wie die Anwesen- heit des einen Zersetzungsproductes die Dissociation beschränkt, muss es das andere auch thun. Je mehr einfachkohlensaures Natron demnach vorhanden ist, desto niedriger wird der Druck der freien Kohlensäure zu sein brauchen um das Gleichgewicht in der Zahl der sich vereinigen- den und sich zersetzenden Molecule herzustellen. Das dies wirklich der Fall ist, zeigt folgender Versuch bei dem die Spannung der freien Kohlensäure, durch Zusatz kleiner Mengen von einfachkohlensaurem Natron erniedrigt wird. In den Apparat verbracht wurden 105-5°® einer Lösung, welche Die KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 487 124-5”®" Kohlensäure und 34-78" Natrium enthält. Dieselbe stellte eine Spannung bei 15-0 Temperatur von 70:5”® her. Die Hinzufügung von 32-0”8" Na,CO, liess dieselbe sinken auf 56-.8"" > BR 3 h zer SE E 5 4 90.60, lsoame a x Ma Te], 2008, 5 2 09.0 Nachdem wir die Aehnlichkeit des Verhaltens bei der Verminderung der Kohlensäure beobachtet haben, wüssen wir daher fragen, ob auch beim Zusatz von einfachkohlensaurem Natron Blut und Serum in gleicher Weise ihre Spannung vermindern ? 5. Vergleichung der Aenderungen der Spannung von Blut und Serum mit denen des doppelkohlensauren Natrons, Von einer ziffermässigen Vergleichung will ich hier absehen; dieselbe ist ohne Hülfe der Rechnung schon für Lösungen von doppelkohlensaurem Natron nicht durchzuführen. Ein Blick aber auf die Zahlen der fol- senden Versuche lehrt, dass die Uebereinstimmung, da wo man wirklich von ihr sprechen kann, nämlich beim Serum, nur eine so ungefähre ist, dass es nicht lohnt, sich erst auch noch durch die Rechnung von dem, was man ohnehin einsieht, belehren zu lassen. Dass wir für das Blut, mit der Dissociation des doppelkohlensauren Natrons nicht ausreichen, sondern neue Factoren in Rechnung ziehen müssen, zeigt folgender Versuch. In den Apparat verbracht wurden 105-5 m Blut, welche 69-6" Kohlensäure enthielten. | Die Spannung stellte sich bei 15° Temperatur auf 15-0 nach Hinzufügen von 23-5”&® NaCO, 15-0 Mi H a 15-2 # Br KOST 15-1 n ee EL DER 14-7 a EL TORE 15-3 Im Blute müssen also Körper vorhanden sein, welche die Wirkung des einfachkohlensauren Natrons auf die freie Kohlensäure aufheben. Anders ist das Resultat beim Serum. 105-5e m Serum enthaltend 488 : J. GAULE: 84-70”®" Kohlensäure geben bei einer Temperatur von 15° eine Spannung von 12a Nach Einlass von 5-3”&® Na,00, 11-9 „ ne 5 „0200 E ner, ä 5 „lag, 5 LORTE h h 2012 ” Bor > 4 „lea, 5 S20= 5 5 „02:08, 5 (en 5 » era lr, 2 6287, Hier zeigt sich also ein ähnliches Absinken des Druckes, wie bei Lösungen von NaH CO,, abhängig von der zugefügten Menge des ein- fachkohlensauren None Aber das Verhältniss ist ein anderes, wie folgende Gegenüberstellung zeigt. In 105 5° m einer Lösung, welche 107:35"® Kohlensäure und 55-54 "er Natrium enthielt und bei 15° eine Spannung von 16-2 == ausübte, sank die Spannung nach Hinzufügen von 36-4”= Na,CO, auf 2-9=m, also für jedes zugefügte Milligr. Na, CO, um 0-37”, In dem en Versuche mit dem Serum sinkt der Druck nach Zufügung von 83-7 "e Na,CO, von 12-1 auf 6-8”® im Ganzen 5-3=m oder für jedes me Milligr. Na,C0, um 0-06”" also 6mal so langsam. en) Temperatur und Raum sind in diesen hier einan- der gegenübergestellten Versuchen ganz, ursprüngliche Kohlensäuremenge sowie ursprüngliche Spannung nahezu gleich, sodass der Einfluss dieser, sonst wichtigen, Factoren, ausser Spiel bleiben kann. Einen ähnlichen Unterschied in der Raschheit des Absinkens zeigten die Spannungen des Serums gegenüber denen einfacher Lösungen auch bei der Entnahme von Kohlensäure. 1) 105.5 Serum bei 202 «m Raum, 15° Temp. zeigen bei einem CO,-Gehalt von 35.10 m eine Span- DUNSSvone 2: ep aun Nachdem jedesmal die in lem abnelimlaren an (141. 8m) enthaltene Kohlensäure weggenom- men worden war, fiel dieSpannung succesive auf 2) Die Spannung von 105.5” Serum enthaltend 42.87 eem CO, beträgt bei 15-.0° in einem Raume von 925. ucomen re 950 und fällt unter gleichen Umstanden) ne ie NEE 6-8 DIE KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 489 Unter gleichen Umständen fallen die Spannungen der in Bezug auf Flüssigkeitsmenge, Kohlensäuregehalt, Raum und Temperatur entspre- chenden Lösungen, welche nur Kohlensäure und Natron enthalten, wie folst: 1) 3:8. 9. LER) 2) Sol Re Dasselbe zeigt sich, wenn man statt Kohlensäure wegzunehmen, nur den Raum vergrössert. Es muss demnach auch in dem Serum noch nach einem Umstande gesucht werden, welcher dies Verhalten erklärt. | Man konnte zunächst an eine Kohlensäurebildung denken, denn auch im Serum findet während der Dauer eines Versuches bei 15° eine solche statt, wie die folgenden Zahlen beweisen. Ingdens Apparat verbracht 2.0... 2.0. .02..022 2.009720235:.10c= Demselhen/entnommen: nn. a ns na Salds,, sollensam > Schlusse verbleiben 2 72272.751-96, Es werden jedoch am Schlusse des Versuches gefunden, 33-35 „ Sondassr sebilderzwurden 7. 2.2, 222222 21.39,, oder fast 4°%/, der in den Apparat verbrachten Kohlensäure. Dass diese neu- gebildete Kohlensäure im Stande ist, die Abweichungen von dem Verhalten einer Lösung von doppelkohlensaurem Natron zu erklären, scheint mir ausser Zweifel, denn sie reicht hin, um in dem Apparate einen Druck von mehreren Millimetern herzustellen und so viel betragen die Ab- weichungen auch nur. Aber ob sie in Wirklichkeit diese Ursache der Abweichungen ist, das wissen wir nicht. Ich suchte daher zu entdecken, ob noch andere Momente vorhanden seien, welche die Abweichungen erklärten. Zunächst schien es mir möglich, dass das Entgasen selbst eine Ursache der Säurebildung sei. Dies ist jedoch nicht der Fall, denn wenn es rasch geschieht, nimmt das Serum die Kohlensäure unter dem- selben Drucke wieder auf, unter dem es sie entlassen hat, wie folgender Versuch beweisst. 105.5°°® Serum enthaltend 35-15°e® Kohlensäure veranlassen in dem Apparate bei einem Raume von 77-0eem eine Spannung von 17-0° m, Als nun der Raum auf 436-5eem vergrössert wird, sinkt die Spannung auf 6-1mm, Anfänglich hatte das Serum also 1-3 m Kohlensäure angegeben, um die Spannung herzustellen; bei der Vergrösserung des Raumes gab es hierzu noch weitere 1-3 m ab, denn bei 436°w Raum und 6-1 m Spannung befanden sich in demselben 2-6 ® Gas. Die letzteren 1-3 m nahm das Serum jedoch unter den gleichen Verhältnissen wieder auf, unter denen es sie früher enthalten hatte, als der Raum wieder auf 77cm 490 1 J. GAULE: verkleinert wurde, denn nun stellte sich auch die Spannung von 17" wieder her. Ein anderer Versuch sollte klar stellen, ob in dem Serum Körper vorhanden seien, welche in einer Lösung von doppelkohlensaurem Natron Kohlensäure frei zu machen im Stande seien. Es wurden in den Apparat 105-5°= einer Lösung verbracht, welche 277. Tem Kohlensäure und 382-6”®" Natrium enthielt. Bei einem Raum von 100-6 m und einer Temperatur von 15° stellte sich eine Spannung von 319%” her. Als nun noch 46-8 m Serum in den Apparat ge- lassen wurden, stieg die Spannung auf 34m, Das Resultat dieses Versuches ist nicht ganz leicht zu interpretiren. Allerdings haben wir eine Steigerung der Spannung, allein dieselbe ist ganz und gar geringfügig und kann lediglich auf der Verminderung der Absorptioncoöfficienten durch die Beimischung des Serums beruhen. Auf der anderen Seite kann man fragen, ob nicht die Spannung hätte sinken müssen, da ja das Serum für sich in dem betrefienden Raume eine niedrigere Spannung gegeben hätte. Aber dass dies nicht der Fall, sieht man aus folgendem Versuche: 105-5°® einer Lösung, welche mit der oben erwähnten identisch war, wurden in 2 Hälften getheilt, die eine nach der anderen in den Apparat verbracht wurden. Als die, erste Hälfte eingelassen wurde, stellte sich die Spannung auf 21-4”®, nach Einlass der zweiten Hälfte auf 31.9". Man sieht, dass hier die Vermischung zweier Lösungen, welche jede für sich die gleiche Spannung geben musste, eine um die Hälfte höhere Spannung giebt, als jede für sich gehabt hätte. Daher scheint es, wenn auch nicht als eine unabweisliche Folgerung doch als sehr wahrscheinlich, dass die Spannung der Kohlensäure im Serum auf seinem Gehalte an doppelkohlensaurem Natron beruht. Um uns die immerhin kleinen Abweichungen, die es von dem Verhalten des letzteren zeigt, zu erklären, können wir an die Kohlensäurebildung denken, die ich beobachtet habe, oder auch an die von Sertoli! beobach- tete Einwirkung der Eiweisskörper auf das doppelkohlensaure Natron. Es ist mir aber nach dem zuletzt mitgetheilten Versuche wahrschein- licher, dass dieses Moment erst bei sehr niederen Kohlensäuredrucken zur Geltung kommt. Anders steht es jedoch mit dem Blute, und dessen Verhalten müssen wir noch näher untersuchen. 1 Sertoli in Hoppe’s med. chem. Untersuchungen. Heft 3. S. 350. DrE KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 491 6. Der Unterschied der Kohlensäurespannung in Blut und Serum. Die vorhergehenden Abschnitte haben uns gelehrt, dass bei geringe- rem Kohlensäuregehalt das Blut eine höhere Spannung besitzt als das - Serum. Wir haben uns ursprünglich damit begnügt diese Thatsache zu umschreiben, indem wir sagten, dass das Blut relativ mehr freie und weniger gebundene Kohlensäure enthalte als das Serum. Nachdem wir gesehen haben, dass das Verhältniss zwischen freier und gebundener Kohlensäure kein zufälli- ges ist, sondern geregelt wird durch den Zersetzungsprocess eben der gebun- denen Kohlensäure, können wir den Ursachen, welche die Verschiedenheit der Vertheilung auf Blut und Serum bewirken, näher nachgehen. Im Serum haben wir die Dissociation als alleinigen oder ganz vorwiegenden Regulator der Spannung; im Blute haben wir jedenfalls dieselbe Dissociation, aber beein- flusst durch den anderen Bestandtheil, den das Blut ausser dem Serum noch hat, durch die Körperchen. Diese Körperchen müssen im Stande sein, Kohlen- säure aus ihrer zersetzbaren Verbindung frei zu machen, denn nicht nur, dass ihre Beimischung die Spannung erhöht, was man auch aus einem Gehalt an freier Kohlensäure erklären könnte, sondern es lässt sich auch zeigen, dass da wo sie beigemischt sind, unter gleichen Umständen mehr Kohlensäure aus dem gebundenen in den freien Zustand. über- seführt wird. In 105-5 ® Blut herrscht bei einer Temperatur von 15° und einem Raume von 240m eine Spannung von 16-3", Es befinden sich also in diesem Raume 3-71°® freie Kohlensäure. Als nun hiervon 2- 19cm weggenommen und überdies der Raum um 300° m vergrössert würde, sank die Spannung auf 11-9"®. Der Raum betrug nunmehr 540m die Temperatur 15-° die Spannung 11-9”, also die Menge der freien Kohlen- SIERT ahltemantzur diesen: ra nr 6-08 emwerzenom menenmsnai ee m ron na TI, 8.27 „ und davon ab die ursprünglich vorhandenen. ee ierllin., Bomscmiebissich, dass... 2... Gulekyeft N RE; i Kohlensäure durch Zersetzung frei laden sind. Mit dem Serum des glei- chen Blutes wurde genau derselbe Versuch angestelt. Die Spannungen betrugen 12.2 mm und die Mengen der freien Kohlensäure sind die folgenden : Ursprünglich vorhanden . . . . 2.78cm Weszenommeny ka 81264, Im vergrösserten Rum . . . . 8.57 , Folglich frei geworden . . . .. 2.48 „ 492 J. GAULE: also fast nur die Hälfte. — Diese Versuche sind so rasch durchgeführt, dass die Kohlensäurebildung nicht in Betracht kommt. Ein zweites Factum, welches wir beobachteten zeigt uns, dass in dem Blute ein Körper vorhanden ist, der sich mit dem einfachkohlen- saurem Natron verbindet; denn das dem Blute zugesetzte einfach- kohlensaure Natron gelangt nicht dazu mit der Kohlensäure sich zu vereinigen, wie es doch bei gleichem Drucke derselben im Serum thut. Also muss es entweder zerstört werden oder mit einem anderen Körper sich verbinden. Würde es zerstört, dann müsste die in ihm vorhandene Kohlensäure frei werden und die Spannung erhöhen; da dies nicht der Fall ist, bleibt nur die Möglichkeit, dass es gebunden wird. Endlich wissen wir, dass in den Blutkörperchen ein Körper existirt, welcher im Stande ist, auch das einfachkohlensaure Natron zu spalten. Denn das Blut, nicht aber das Serum giebt auch ohne Zusatz einer Säure, seine Kohlensäure bei fortgesetzter Auspumpung vollständig ab. Man ist viel- fach der Ansicht gewesen, dass diese Austreibung veranlasst werde durch Bildung einer stärkeren organischen Säure während der Entgasung. Die beiden folgenden Versuche zeigen, dass dies nicht der Fall ist. Der erste derselben ist ein Parallelversuch zu dem unter S. 489 erwähnten mit Serum angestellten. Es wurden in den Apparat verbracht 105-5 m Blut, welche bei 15° in einem Raume von 75°m eine Spannung herstellten von 32-1”®,. Als der Raum vergrössert wurde auf 435m sank die Spannung auf 17-Imm. Die Menge der freien Kohlensäure betrug in dem Raume von 75m 2.28°m in dem Raume von 435°” 7:05°=, Als nun der Raum wieder auf 75cm verkleinert wurde, stellte sich eine Spannung von 30-9 == wieder her, was beweist, dass die ganze bei der Vergrösserung freigewordene Kohlensäure unter denselben Be- dingungen wieder aufgenommen wurde. Dass die Spannung das zweite Mal etwas niedriger war, unter übrigens ganz gleichen Bedingungen, be- deutet nichts, denn beim Blute trifft man Differenzen von mehr als 2mm bei unmittelbar auf einander, unter denselben Bedingungen folgenden Ablesungen. Ueber die Ursachen hiervon werde ich nachher noch sprechen. Bei dem zweiten Versuche wurde die gesammte Kohlensäure, welche das Blut enthielt, mit Hülfe der Gaspumpe ausgepumpt und dann in dem Apparate mit demselben Blute wieder zusammengebracht. Die Daten dieses Versuches sind die folgenden. Zwei identische Portionen jede von 105-5° ® wurden, die eine in den Apparat, die andere in die Gaspumpe verbracht. Die in den Apparat verbrachte, ergab in damselben bei 15° Temperatur und einem Raume von 250m eine Spannung von 17-9"m, Aus der anderen Portion Die KOoHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LyMPHE. 493 wurden ausgepumpt 46-85°m Gas, welche, in den Apparat verbracht, für sich allein bei 250«= Raum eine Spannung von 198-1 "m herstellten. Als nun das ausgepumpte Blut zugelassen wurde, sank die Spannung auf 243mm, Diese Spannung ist allerdings um 6:4”m höher als diejenige, die das nicht ausgepumpte Blut gezeigt hatte, aber diese 6-4"m Druck, entsprechen nur 1-5 m freie Kohlensäure, welche das Blut im zweiten - Falle mehr enthielt. Es könnte sich also nur um eine Säurebildung in dem entsprechenden Betrag handeln, und diese Säure ist wahrscheinlich Kohlensäure selbst, deren Bildung unter ähnlichen Umständen wir schon mehrmals constatirt haben. Wir müssen nach den Resultaten dieses Versuches vielmehr an- nehmen, dass das einfachkohlensaure Natron gespalten wird durch einen Körper, der nur bei Abwesenheit freier Kohlensäure zu wirken im Stande ist, und sobald die Kohlensäure wieder mit ihm in Berührung kommt, das Natron an dieselbe abgiebt. Ebenso aber verhält es sich mit der Erhöhung der Spannung des Blutes gegenüber dem Serum, denn auch hier ist das Freiwerden der Kohlensäure kein definitives, sonst müsste die Spannung des Serums ja eine hohe bleiben, auch nach der Trennung von den Blutkörperchen. Fassen wir nun zusammen, was wir über die Unterschiede von Blut und Serum in Erfahrung gebracht: 1) Der Kohlensäuregehalt des Serums ist höher als der des Blutes. 2) Die Kohlensäurespannung des Serums ist niedriger als die des Blutes. 3) Wird im Serum die Menge der freien Kohlensäure vermindert, so zersetzt sich nur die dem Sinken des Druckes derselben entsprechende Menge doppelkohlensauren Natrons, im Blute aber mehr. 4) Auf Zusatz von einfachkohlensaurem Natron sinkt im Serum die Spannung: der freien Kohlensäure, im Blute nicht. 5) Im Blute existirt ein Körper, welcher die ganze Bindung zwi- schen Kohlensäure und Natron zu lösen vermag, im Serum nicht. Die sub 2, 3 und 4 erwähnten Erscheinungen können wir aus Einem Gesichtspunkte erklären, wenn wir annehmen, dass ein in den Blutkör- perchen enthaltener Stoff eine Anziehung auf das einfachkohlensaure Natron ausübt. Nach den Untersuchungen von Pflüger!, Preyer und Zuntz dürfen wir wohl annehmen, dass dieser Stoff das Hämoglobin ist. Die -Wegnahme des einen Zersetzungsproductes muss ja nach der Theorie der 1 Vgl. hauptsächlich Pflüger in s. Arch. IL. S. 79. — Preyer in Pflüger’s Arch. 1. S. 395. — Zuntz, Berl. klin. Wochenschrift. 1870. S. 185. 494 J. GAULE: Dissociation die Entwicklung des anderen Zersetzungsproductes begün- stigen; ja wenn das eine Product fortwährend und vollständig wegge- nommen wird, so wird die Zersetzung das bei der betreffenden Tempe- ratur mögliche Maximum erreichen, da ein Zersetzungsproduct allein sie nicht zu beschränken vermag. So können wir uns erklären, wie die Kohlensäureabgabe des Blutes so weit fortschreitet, bis alles doppelkohlen- saure Natron zerlegt ist. Unterdessen müssen wir uns vorstellen, dass das Hämoglobin gegenüber dem von ihm angezogenen einfachkohlen- sauren Natron nicht wirkungslos bleibt. Ein Theil des letzteren ver- bindet sich mit ihm, ein Theil wird zerlegt in Aetznatron und freie Kohlensäure, von denen das erstere vielleicht zwei Aequivalente Hämo- globin bindet. Aber diese Verbindungen sind selbst ungemein zersetz- lich, die Flüssigkeit des Serums wirkt auf das Natron, wie der leere Raum auf die Kohlensäure Sowie die Zersetzung des doppelkohlen- sauren Natrons dadurch zu. Stande kommt, dass die Kohlensäure im Raume sich ausbreitet, während das einfachkohlensaure Natron in der Flüssigkeit bleiben muss, so werden diese Verbindungen zersetzt, weil ihre diffusiblen Bestandtheile in die Flüssigkeit übergehen, während das Hämoglobin an die Körperchen gebunden bleibt. Je mehr Kohlensäure in der Flüssigkeit vorhanden, desto vollständiger wandert das Natron in diese über, weil die Kohlensäure dann das Natron fortwährend aus derselben in Beschlag nimmt und so ein Vacuum für die Diffusion her- stellt. Daher ist bei hohem Kohlensäuredruck der Einfluss des Hämo- globins auf die Spannung ein geringer; wird jedoch die Kohlensäure aus dem Serum immer wieder weggenommen, dann treibt die stets wachsende Concentration des einfachkohlensauren Natrons dasselbe in die Körper- chen hinein, um dort zerlegt zu werden. So haben wir ein Wechsel- spiel der Zersetzung in Körperchen und Serum, welches dazu dienen muss, die Spannung der Kohlensäure innerhalb weiter Grenzen des Ge- haltes auf constanter Höhe zu erhalten. Und dieses stabile Gleichgewicht, welches weder durch eine Zufuhr von freier Kohlensäure, noch von freien Basen merklich verrückt werden kann, macht eben das Blut so geeignet, bald Kohlensäure aufzunehmen, bald abzugeben. Noch mehr - ist dies der Fall, weil das Hin- und Herwandern zwischen Körperchen und Serum es mit sich bringt, dass beständig eine Anzahl freier Molecule sowohl von Kohlensäure als von Na,CO, und NaHO in der Flüssigkeit vorhanden sind. Die freie Kohlensäure wird jede Gelegenheit benutzen nach Aussen zu entwischen, die alkalischen Moleceule werden mit Begierde die aus den Geweben anlangende Kohlensäure auffangen. Sobald man Körperchen und Serum trennt, hört dies Verhältniss auf; der Diffussionsstrom geht wohl im Anfang noch aus den Körperchen Dre KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPpHr. 495 heraus, aber er geht, sobald dieselben sich gesenkt haben, nicht mehr in dieselben hinein, daher sammelt sich alles Natron in dem Serum, und stellt dort mit der Kohlensäure einen Gleichgewichtszustand her, der dem des doppelkohlensauren Natrons entspricht. Schon die geringste Unregelmässigkeit in der Vertheilung der Körperchen im Serum hat daher eine Veränderung der Spannung zu Folge. Bei meinen Blutver- suchen fiel es mir oft auf, dass die Spannung bei zwei aufeinander- folgenden Ablesungen unter gleichen Umständen um mehr als 2”%% ver- schieden war. Am höchsten war die Spannung, wenn ich unmittelbar vorher das Blut sachte geschüttelt hatte. Dann waren Serum und Körper- chen gleichmässig gemischt. Hatte das Blut aber ruhig gestanden, dann war die Spannung niedriger, weil die Körperchen sich gesenkt und oben eine Schicht reinen Serums sich gebildet hatte. Schüttelte ich endlich sehr heftig, so wurden die Körperchen wegen ihrer grösseren Schwere, wie die Körner von der Spreu, von dem Serum getrennt, und kamen langsamer wieder an die Oberfläche als das Serum. Daher sank auch bei heftigem Schütteln die Spannung und zwar hier am allertiefsten. So sehen wir zu den Hülfsmitteln für die Regulirung seiner Kohlen- säurespannung, die wir aus dem Antagonismus der beiden Dissociations- processe bereits abgeleitet haben, noch ein neues hinzugefügt, von dem das Blut an einzelnen Orten vielleicht ausgiebigen Gebrauch macht, nämlich die verschiedene Mischung der Körperchen mit dem Serum. 496 J. GAULE: — i M NIEREN I m | I II il I - IIND j N gY MIN NEE N Die KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 497 Beschreibung des Apparates. Das Apparat besteht aus einer geräumigen Glasglocke (Lit. A der Abbild.), welche nach oben in einen Hals ausläuft, der durch einen Hahn (a) abge- sperrt werden kann. Unten :ist die’ Glasglocke offen und ihr freier Rand ist eingelackt (mit einer Mischung von Schellack und Siegellack) in eine schmiede- eiserne Fassung. Diese. Fassung trägt einen breiten abgebogenen Rand, dessen untere Fläche glatt geschliffen ist, und mit dieser ruht die ganze Glocke auf der gleichfalls glatt geschliffenen oberen Fläche einer schmiedeeisernen Platte auf und wird gegen diese durch 6 Flügelschrauben luftdicht angepresst. Diese Platte ist derartig in den Boden eines circa 40 Liter fassenden Kastens einge- lassen, dass sie einen Bestandtheil von dem Boden desselben bildet. Von den vier verticalstehenden Wänden dieses Kastens sind zwei einander gegenüber- liesende von Glas, die beiden anderen von starkem Eisenblech durch eiserne Winkel und Schrauben mit einander verbunden. Der Kasten ruht auf einem von 4 T eisen sebildeten Gestell etwa 1!/, Meter über dem Fussboden. Oben ist er offen. Die Fussplatte der Glasglocke, die sich in ihm befindet, hat fünf Durch- bohrungen. Dieselbe ist mit ihren Ansätzen noch einmal schräg von oben gesehen besonders dargestellt. Zwei dieser Durchbohrungen sind armirt durch etwa 15°” lange eiserne Ansätze, die nach unten gehen und an ihrer freien Mündung eine Anzahl Schraubenwindungen tragen (Cu. D der Abb.). In diese Ansätze werden die Hälse der Glasgefässe, welche die Lösungen ent- halten (C, u. D, der Abb.) eingeführt, nachdem sie mit einem Ring aus Kau- tschuk und einer ringförmigen Schraubenmutter versehen sind. Durch Anziehen der Schraubenmutter wird der Kautschukring zwischen das Glas des Halses und das Eisen des Ansatzes derart eingepresst, dass, wenn ausserdem genügend Fett vorhanden ist, ein luftdichter‘ Verschluss entsteht. Eine dritte Durchbohrung befindet sich in der Mitte der Fussplatte und diese trägt einen nach oben und einen nach unten gerichteten eisernen Ansatz s. den Aufriss der Glasglocke an der Seite der Hauptfigur). Der nach oben gerich- tete gleicht den eben beschriebenen, der nach unten gerichtete ist kürzer und trägt keine Schraubenwindungen. Durch diese Durchbohrung geht eine enge über einen Meter lange, mit einer Millimetertheilung versehene Glasröhre hindurch, welche an beiden Enden offen ist (ZZ der Abb.); das obere Ende ragt bis in den Hals der Glasglocke, das untere Ende taucht in eine weitere Glasröhre, welche durch einen starken Kautschuk mit dem unteren Ansatz der Durchbohrung verbunden ist. Diese enge Röhre vermittelt also die Communication zwischen dem Inneren und der Glas- Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 39 498 J. GAULE: glocke und der weiten Glasröhre. Um jede weitere Verbindung,auszuschliessen, wird in der oben bereits beschriebenen Weise mit Hülfe eines Kautschukringes und einer Schraube die enge Röhre luftdicht durch den oberen eisernen Ansatz hindurch- geführt. Die vierte und fünfte Durchbohrung der Fussplatte tragen keine An- sätze. Durch sie communicirt das Innere der Glasglocke mit einem eisernen Kasten (K der Abb.), welcher in der Form eines schmalen auf die Kante ge- stellten Prisma’s an den Boden des Wasserbehälters angefügt ist. Durch diesen Kasten ist ein winkelhebelartiger Mechanismus geführt, der einerseits in den Stiel eines Rührers übergeht, andererseits in einen Griff. Der Stiel des Rührers geht durch die vierte Durchbohrung in das Innere der Glasglocke (J, der Abb.), der Griff (J, der Abb.) aber ist durch eine in der Seitenwand des Kastens an- brachte Oeffnung mit dem Winkelhebel verbunden. Diese Oeffnung hat einen Ansatz und auf diesen einerseits wie auf den Griff andererseits ist ein starker Kautschuk aufgebunden so dass das Innere des Kastens, welcher während des Versuchs mit Quecksilber gefüllt bleibt, luftdicht nach aussen abgeschlossen ist. Die Bewegung des Griffs wird durch die Elastieität des Kautschuks ge- stattet. Der grösseren Deutlichkeit halber ist dieser Kasten mit dem hindurch- gehenden Rührer neben der Hauptfigur noch einmal geöffnet im Aufriss und im Grundriss gezeichnet. Die fünfte Durchbohrung dient nur dem Ein- und Austritt von Quecksilber aus dem Kasten in die Glasglocke und umgekehrt. Der Kasten besitzt dementsprechend eine Oeffnung in seiner unteren Wand, durch die er mit einem Quecksilberreservoir in Verbindung steht. Die Verbindung besteht aus einem eisernen Rohr (Z) und einem langen umsponnenen Gummischlauch, zwischen denen ein Glashahn (e) eingeschaltet ist. Das Quecksilberreservoir (7) ist, wie bei der Ludwig’schen Pumpe, eine Glasglocke, die in Schnüren, welche über Rollen laufen, aufgehängt ist. Ein zweites derartiges Reservoir (G) commu- nicirt durch ähnliche Verbindungsstücke (g) mit der oben bereits erwähnten Glasröhre (Lit. R). Diese Glasröhre ist oben durch einen kurzen Kautschuk auf den Ansatz der mittleren Durchbohrung der Fussplatte aufgebunden, dieser Ansatz besitzt eine Oeffnung, durch die das Innere der Glasröhre mit der Atmosphäre communicirt. Soll jedoch die Röhre von ihrem Reservoir bis über das Niveau dieser Oeffnung mit Quecksilber gefüllt werden, so wird die Oeff- nung durch einen eisernen Hahn (f) verschlossen. In das Quecksilber, welches sich in dieser weiten Röhre befindet, taucht die untere Mündung der engen Glasröhre, welche mit ihrer oberen Mündung in das Innere der Glasglocke hineinrast. Es muss daher, um so viel Quecksilber in der engen Glasröhre in die Höhe steigen, als die Druckdifferenz an ihren beiden Mündungen beträgt. Da nun in der weiten Glasröhre Atmosphärendruck herrscht, wegen der oben erwähnten Oeffnung in die Atmosphäre, so kann aus der Niveaudifferenz der beiden Quecksilberspiegel in der engen und der weiten Glasröhre unmittelbar der im Inneren der Glasglocke herrschende Druck erschlossen werden. Das Innere der Glasglocke ist derjenige Theil des Apparates, den ich oben als Schüttel- oder Ausgleichraum bezeichnet habe. Ich komme nun zur Beschreibung des abnehmbaren Raumes. Der Hals der Glasglocke ist durch den Boden einer kleinen eisernen Quecksilberwanne hindurchgeführt (©). Ein Kautschuk, der auf einen Ansatz dieses Bodens aufgebunden ist, umfasst den Hals der Glasglocke, sodass das Quecksilber in der Wanne nicht zwischen Glas und Eisen hindurch fallen kann. Die Mündung des Halses der Glasglocke befindet sich somit in dem Quecksilber, mit dem die Wanne erfüllt ist. Es können daher unter Queck- Dis KOoHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPHE. 499 silber Glasgefässe mit dieser Mündung in Verbindung gebracht, oder abge- nommen werden. Die Verbindung geschieht durch kurze Kautschuke, jedoch so, dass Glas- rand auf Glasrand aufruht. Die Kautschuke dienen nur dazu, um zu verhin- dern, dass durch die capillaren Spalten, welche dann noch bleiben, Quecksilber in das Innere des Apparats eingesaugt werde. Dieselben sind ganz unter Quecksilber. Aufgesetzt wurden gewöhnlich Glaskugeln von circa 150 °” Inhalt mit ziemlich langem Hals, der durch einen Glashahn abgesperrt werden konnte (Lit. B.) Das Glasgefäss wurde in seiner Lage erhalten, indem ein federnder Eisen- stab es von oben stark gegen seinen Stützpunkt, d.i. den Rand das Halses der unteren Glocke andrückte. Der Eisenstab selbst war an die Wände des Wasser- kastens angeschraubt. In diesen fanden auch zwei grosse Holzruder 8 ihre Stützpunkte, welche dazu dienten, um das Wasser im Wasserkasten zu mischen. Thermometer, welche in verschiedener Höhe des Wasserkastens angebracht waren, controlirten, ob die Temperatur überall gleichmässig war. Einer dieser Thermometer (7) war in das Innere der Glasglocke selbst eingeführt und zwar in der Weise, dass die eiserne Fassung derselben durchbohrt und mit einem Ansatz versehen war. Dieser Ansatz trug Schraubengewinde, und der luftdichte Verschluss wurde, wie dies bereits mehrmals beschrieben, durch einen Kau- tschukring und eine ringförmige Schraubenmutter bewirkt, die um den unteren rechtwinklich abgebogenen Theil des Thermometers gelegt waren. Kaltes und warmes Wasser konnten dem Wasserbehälter zugeleitet werden. Eine Abzwei- sung von der Wasserleitung führte an der Decke des Zimmers her bis über den Wasserbehälter. Dort theilte sie sich in zwei Zweige, von denen der eine direct zum Wasserbehälter herunterstieg und kaltes Wasser lieferte, während in den anderen ein kupferner Kessel eingeschaltet war, in dem das Wasser mit Hülfe von Gasfllammen erwärmt werden konnte. Endlich muss ich noch einer Einrichtung Erwähnung thun, die getroffen war, um die Grösse des inneren Raumes der Glasglocke, den sogenannten Schüttel- raum, zu bestimmen. Das eiserne Rohr (Z#), welches den absteigenden Sopenkel der Verbindung zwischen dem Schüttelkasten und dem Quecksilberreservoir bildete, hatte etwa 1” tief unter dem Schüttelkasten einen seitlichen Ansatz, in dem eine Glas- röhre mit Glashahn eingekittet war. Die Glasröhre war ausgezogen in eine feine Spitze. Wurde der Schüttelraum mit Quecksilber aus dem Reservoir ge- füllt, darauf durch Schliessen des bei Zit. g auf der Abbildung sichtbaren Hahns die Verbindung mit dem Reservoir unterbrochen und nun der kleine Glashahn Lit. g, geöffnet, so entleerte sich der Apparat durch die Spitze des Ansatzrohrs und das Quecksilber floss in Gefässe, in denen es gewogen Oder gemessen werden konnte. Das Ausfliessen des Quecksilbers wurde auch nicht dadurch unter- brochen, dass im Apparate ein luftleerer Raum entstand, denn die Quecksilber- ' säule, welche dem Atmosphärendruck das Gleichgewicht hielt, blieb auch, wenn das Niveau bis in den Schüttelkasten sank, immer noch ein Meter lang. In der Versuchsanordnung ergaben sich, je nachdem den zu untersuchen- den Flüssigkeiten Kohlensäure entnommen oder einfachkohlensaures Natron zugefügt werden sollten, zwei Modificationen. Jedoch waren eine grosse Reihe von Handgriffen allen gemeinschaftlich. Ich übergehe diejenigen, welche zur Zusammenstellung des Apparates führen, da sie geübten Händen ohnehin ge- 322 500 J: GAULE: läufig sein werden und beginne mit der Luftleermachung des Apparates. Durch Hebung des Reservoirs wird dasselbe mit Quecksilber gefüllt, während die Luft durch den Hahn der Glasglocke entweicht. Nun wird dieser Hahn geschlossen, und durch Senken des Reservoirs ein grosses Vacuum erzeugt, welches alle etwa in Winkeln und an Wänden hängengebliebene Luft an- saugt. Hat man den Apparat sorgfältig zusammengestellt, so gelingt es durch mehrmaliges Wiederholen dieser Manipulationen ein fast absolutes Vacuum zu erzeugen. Diess kann man leicht controliren, indem man nun die Spannung, die im Apparate herrscht, mit der eines guten Barometers vergleicht. Sind die Wände des Apparates nämlich gehörig benetzt gewesen, so ergiebt die Differenz fast stets genau die Regnault-Bunsen’schen Zahlen für die Spannung des Wasserdampfes bei der betreffenden Temperatur. Die Ablesung der Spannung geschieht oben an dem Niveau des Quecksilbers in der engen Röhre, unten an dem in der weiten Röhre, natürlich mit Hülfe des Fernrohrs. Nun wird die Glaskugel, welche als abnehmbarer Raum dient, mit Quecksilber gefüllt und, durch Auspumpen mit der Ludwig’schen Gaspumpe von aller Luft befreit, mit dem Apparat in Verbindung gebracht. Die Glasglocke wird wieder mit Queck- silber gefüllt und durch Ablassen von Quecksilber in ihr ein Raum von bestimmter Grösse hergestellt. Nun wird durch Oeffnung der Hähne die Communication zwischen der Glasglocke und der Glaskugel hergestellt. Das Quecksilber, wel- ches den oberen Raum erfüllt, fällt dabei herunter und der untere Raum wird um ebensoviel kleiner, als sich oben neuer Raum eröffnet. Die Spannung im Apparate darf sich bei diesem Austausche auch nicht ändern, sonst ist der obere Raum nicht ganz luftfrei gewesen. Das Wasser in dem Wasserkasten, welches den ganzen Apparat umgiebt, wird nun auf die Temperatur von 15° gebracht, und durch die Ruder kräftig bewegt, um alle Theile des Apparates gleichfalls auf diese Temperatur zu bringen. Die Lösung, welche man in den Apparat zu verbringen wünscht, muss sich bereits in dem Glasgefässe befinden, welches mit dem Apparate durch die erste Durchbohrung der Fussplatte hin- durch luftdicht verbunden ist. (Zit. CO, oder D, der Abb.) Wird der Hahn dieses Glasgefässes geöffnet, so steigt die Flüssigkeit in den Apparat empor, während ebensoviel Quecksilber herunterfällt. Der Raum ändert sich also hierbei ebenfalls nicht. Nun tritt der Schüttler in Thätigkeit, welcher bald in die Flüssigkeit, bald in Quecksilber taucht und bei raschen Bewegungen die Flüssigkeit fein zerstäubt durch den Raum schleudert. Der Schüttler besteht in einem breiten Ring aus Hartgummi, der sich zwischen der Wand' der Glasglocke und der Manometerröhre, die das Centrum der Glasglocke einnimmt, auf- und abbewegt. Derselbe ist mit Hülfe eines Ansatzes aufgelackt auf den oben 8.448 erwähnten Stiel (Zit.J,) und wird,durch den im Schüttelkasten be- findlichen Mechanismus von aussen bewegt. Damit bei dem Schütteln nichts von der Flüssigkeit in das Innere der Manometerröhre gelangt, hat dieselbe oben nur eine kleine Oeffnung, welche überdiess noch durch ein Hütchen von Platin geschützt ist. Während des Schüttelns steigt die Spannung im Apparate durch die frei werdende Kohlensäure und dadurch wird die Quecksilbersäule im Manometer- rohre zurückgedrückt. Hierbei entsteht jedoch eine Vergrösserung des Raumes, welche vermieden werden muss. Es wird also immer von Zeit zu Zeit abge- lesen und dann mit Hülfe des einen Quecksilberreservoirs das Niveau in der weiten Röhre, also das untere Manometerniveau, so lange höher gestellt, bis Dre KoHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM UND DER LYMPpHE. 501 das Niveau in der engen Röhre wieder auf den ursprünglichen Stand angekommen ist. Wenn nun zwischen zwei durch 10 Minuten kräftigen Schüttelns getrennten Ablesungen keine Differenz mehr gefunden werden konnte, dann wurde die höchstmögliche Kohlensäurespannung als erreicht angesehen und zu einem weiteren Versuchsact geschritten. Es versteht sich von selbst, dass vor den Ablesungen immer sorgfältig die: Temperatur regulirt und der Barometerstand controlirt wurde. Der nächste Versuchsact war auch noch beiden Modificationen gemeinsam. Es wurde nämlich durch Schliessen des Hahnes die Verbindung zwischen dem oberen und dem unteren Raume unterbrochen, ein Theil des Wassers aus dem Wasserbehälter entfernt, um Platz zu gewinnen, und der Kautschuk, welcher den oberen. und unteren Raum verband, unter dem Quecksilber in der Wanne mit Hülfe eines untergeschobenen Hakens ein wenig gelockert, so, dass das Queck- silber in den oberen Raum aufsteigen und denselben unter Atmosphärendruck bringen konnte. Nun konnte der obere Raum abgenommen und das in ihm enthaltene Gas in ein Absorptionsrohr übergefüllt werden. Darauf wurde diese Glaskugel wieder mit Quecksilber gefüllt, von Luft befreit und wie das erstemal mit dem Apparate in Verbindung gebracht. Nachdem der Wasserbehälter wieder mit Wasser ge- füllt und die Temperatur regulirt ist, wird die Communication zwischen oben und unten hergestellt. Es muss dann, damit der Raum gleich gross bleibe, durch den Hahn g, eine ebenso grosse Menge Quecksilber abgelassen werden, als das aufgesetzte Glasgefäss enthält, da diese Quecksilbermenge ja dem Apparate neu zugeführt wird. Ist dies geschehen, so wird die Spannung in der gleichen Weise wie das erstemal bestimmt. In dem weiteren Verlaufe unterscheiden sich die Versuchsanordnungen von einander. Wurde eine Wegnahme der freien Kohlensäure beabsichtigt, so wurde das obengeschilderte Verfahren eine Reihe von Malen wiederholt. Sollte dagegen das einfach kohlensaure Natron ver- mehrt werden, so trat das zweite durch die Fussplatte der Glasglocke in die- selbe eingeführte Glasgefäss in Wirksamkeit. Dies musste mit einer Lösung von einfachkohlensaurem Natron von bekanntem Gehalt an Kohlensäure und Natron gefüllt und durch Auspumpung von Luft befreit, schon im Beginn des Versuchs mit dem Apparat in Verbindung gebracht sein. Wurde der Glashahn geöffnet, der das Gefäss abschloss, so stieg die in ihm enthaltene Flüssigkeit in die Höhe, während eine gleiche Menge Quecksilber herunterfiel. Durch vorsichtiges Auf- nnd Zudrehen des Hahns liess 'sich diese Menge genau regu- liren, und zwar wurde dieselbe bestimmt, indem an der Theilung, welche das eylindrisch geformte Gefäss trug, der Stand des heruntergefallenen Quecksilbers abgelesen wurde. Nach jedem Einlassen einer gewissen Menge dieser Lösung wurde die Spannung im Apparate nach den weiter oben angegebenen Regeln bestimmt und zum Schlusse noch einmal mit Hülfe des abnehmbaren Raumes eine Gas- probe entnommen, um zu controliren, ob nicht bei einer der Manipulationen Luft sich dem im Apparate enthaltenen Gase beigemengt habe. Die Genauigkeit aller meiner Versuchsresultate habe ich verschiedenen Controlen unterworfen. Ich erwähnte schon, dass ich für die Spannung im Apparate, nachdem derselbe luftleer gemacht worden war, dieselben Zahlen erhielt, welche Regnault-Bunsen als die Wasserdampfspannung für die betreffende Temperatur angeben. 502 J. GAULE: DiE KOHLENSÄURESPANNUNG IM BLUT, SERUM U. D. LYMPHE. Diese Spannung erhielt sich constant, auch wenn der Apparat mehrere Stunden leer stand, sofern nur gesorgt wurde, dass er dieselbe Temperatur behielt. Die in dem abnehmbaren Raume befindlichen Gasmengen ergaben sich aus dem bekannten Volum dieses Raumes und aus den durch den Versuch gelieferten Daten für Druck und Temperatur. Diese Gasmengen wurden aber ausserdem in den Absorptionsröhren, in die sie übergefüllt wurden, gemessen. Ich hatte also zwei Reihen von einander ganz unabhängiger Daten, um die Gasmengen zu bestimmen, die ich dem Apparate entnahm. Die Berechnung wurde immer auf Grund der beiderlei Daten ausgeführt, und es zeigte sich, dass regelmässig das Gas in der Messröhre etwas weniger betrug, als in dem abnehmbaren Raume. Dieser Fehler konnte nur dadurch entstanden sein, dass beim Ueberfüllen etwas Gas an den Wänden des abnehm- baren Raumes haften blieb. Derselbe war übrigens sehr klein, denn er betrug in der Regel nur einige Hundertel eines Cubikcentimeters und erhob sich in seltenen Fällen auf ?/,, Cubikcentimeter. In wenigen Fällen betrug jedoch das Gas in der Messröhre mehr als in dem abnehmbaren Raume und dann war der Fehler gewöhnlich etwas grösser. Man musste also annehmen, dass sich beim Ueberfüllen in die Messröhre etwas atmosphärische Luft eingeschlichen habe und daher wurde der in der Messröhre (die zugleich als Absorptionsröhre diente), sefundene Kohlensäuregehalt bei der procentischen Ausrechnung nicht auf das Gasvolum in der Messröhre, sondern auf den abnehmbaren Raum bezogen. Für verschiedene Versuchsreihen habe ich die Gesammtkohlensäure, welche ich in den Apparat verbracht hatte, verglichen mit den Summen aller Kohlen- säuremengen, die ich aus dem Apparate entnahm, und. dem was ich am Schlusse des Versuches im Apparate vorfand. Hierbei ergab sich, wenn thierische Flüssigkeiten verwendet wurden, die Kohlensäurebildung, über die ich im Texte berichtet habe. Bei einem Versuche, der zur Prüfung der Genauigkeit dieser Berechnung mit doppelkohlensaurem Natron angestellt wurde, ergab sich, dass bei 9 aufeinander folgenden Ent- nahmen von Kohlensäure nicht mehr als O2 Cum Ganzen sich nicht wieder- fanden. Beitrag zur Physiologie der Gesichtsempfindungen. Von Dr. J. v. Kries. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Sf Für die Theorie der Gesichtsempfindungen ist es eine der wichtig- sten Aufoaben, zu erklären, warum die Mannichfaltigkeit unserer Empfin- dungen eine viel geringere ist als die der Lichtreize. Während die letzteren in unendlicher Fülle variirt werden können, ist die Mannich- faltigkeit der Gesichtsempfindungen, wie man zu sagen pflegt, eine nur dreifach ausgeder”te. Den Satz, auf welchen es hier ankommt, können wir so formuliren: Wenn eine beliebige Gesichtsempfindung hervorgebracht werden kann durch die Einwirkung einer Mischung der Quantitäten &, £, 7 der drei einfachen Lichtarten A, B, C', so kann jede überhaupt mögliche continuirliche Aenderung der Empfindung hervorgebracht werden durch die stetige Aenderung der Quantitäten «, f, 7. Die beiden gegenwärtig bedeutendsten Theorien der Gesichtsempfin- dungen, die von Thomas Young aufgestellte, (von Helmholtz und Max- well erneuerte), und die kürzlich von E. Hering gegebene machen zur Erklärung dieser Thatsache übereinstimmend die Annahme, dass die Empfindung bestimmt sei durch die Werthe dreier unabhängig veränder- licher Functionen, welche bestehen sollen in den verschiedenen Inten- sitäten einer beschränkten Anzahl einfacher nervöser Vorgänge. Wenn auf jede dieser drei Functionen drei verschiedene Lichter einen ver- schiedenen Einfluss üben, so erklärt sich daraus unmittelbar der obige Satz. 504 J. v. Krıes: In der Hering’schen Theorie tritt dieses Princip nicht so deutlich hervor, wie in der Helmholtz’schen; aber es ist sehr leicht darin nach- zuweisen. Der nervöse Process weist bei Hering sechs Componenten auf, nämlich den Assimilations- und den Dissimilationsvorgang in jeder der drei Sehsubstanzen. Würde die Empfindung abhängig gedacht von diesen sechs Componenten als unabhängigen Veränderlichen, so würde im Wider- spruch mit der Erfahrung eine zu grosse Variabilität der Empfindung sich ergeben. In der Hering’schen Theorie sind daher die sechs Ver- änderlichen durch besondere Bestimmungen. auf drei redueirt. Bezeich- nen wir mit S und W Assimilations- und Dissimilationsprocess der „schwarzweissen Sehsubstanz“, so ist erstlich die Empfindung nicht ab- hängig von S und W, sondern nur von m ‚d.h. es kommen nicht die absoluten Werthe von S und Win Betracht, sondern nur ihr ‘Verhält- niss. ‘In denjenigen Sehsubstanzen, welche der Farbenempfindung dienen, kommt es darauf an, ob das Dissimilationsmoment oder das Assimilations- moment überwiegt.’ Dieses „Moment“ ist proportional dem Product aus Reiz und Erregbarkeit, Ob dafür auch einfach die Intensität des Dissi- milations- und Assimilationsvorganges gesetzt werden kann, (wie ich eigentlich glaube), ist mir nicht vollkommen deutlich geworden. Es sei R der Werth des Ueberschusses, um welchen z. B. das Rothmoment das Grünmoment (wenn der Kürze halber diese Ausdrücke gestattet sind) überwiegt, so wird nunmehr die Lichtempfindung roth genannt werden. R W-+ = Die Helligkeit dieses Roth ist abhängig von dem Verhältnis ——— , die | mo ‚Sättigung oder Reinheit aber von dem Verhältniss We (a.2.0.8.41). Auf diese Weise ist schliesslich die Empfindung abhängig von den drei unabhängigen Verhältnissen, welche bestehen zwischen den vier Grössen S, W, R (bez. Gr) und BI (bez. G@), wo Gr, Bl und @ beziehlich die Ueberschüsse des Grünmoments über das Rothmoment (Gr), des Blaumoments über das Gelbmoment (BJ) oder des Gelbmoments über das Blaumoment (G) bedeuten. Nach Hering sollen nun die sechs Componenten sich ohne Weiteres dem reflectirenden Bewusstsein als die einfachen Empfindungselemente darstellen. Eine Kritik dieser Behauptung liegt hier nicht in meiner 1 Hering, Zur Lehre vom Lichtsinne. Sechste Mittheilung. Wiener Sitzungs- . berichte. LXIX. 3. Abth. 8 44. BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER (GESICHTSEMPFINDUNGEN. 505 Absicht; ich will nur bemerken, dass, auch wenn dies zugegeben wird, keineswegs daraus schon folgt, dass wir gerade innerhalb dieser sechs Componenten die Veränderungen zu suchen hätten, welche bei der „Um- stimmung des Sehorgans“, „durch Ermüdung“ eintreten. Es ist klar, dass wir je nach der Vorstellung, welche wir uns über den Sitz dieser Er- müdungsveränderungen machen, verschiedene Erwartungen über deren Beschaffenheit bilden müssen. Ein Beispiel mag dies erläutern. Wenn die Ermüdung ihren Sitz hätte in den durchsichtigen Schichten der Netzhaut und darin bestände, dass dieselben gleichmässig für Licht aller Wellenlängen undurchgängiger würden, so würden die Erscheinungen ganz andere sein, als wir beobachten. Demgemäss ist auch Hering bemüht gewesen, speciell den Nachweis zu führen, dass seine Theorie der Er- müdungserscheinungen dieselben vollkommen erkläre. Für die Frage, ob diese Erklärung die richtige sei, ist aber jener psychologische Beweis seiner Theorie durchaus irrelevant. Auch Helmholtz hatte den gleichen Nachweis für seine Theorie geführt, welchen aber Hering für unzurei- chend erklärt. Die grosse Bedeutung der Ermüdungserscheinungen liegt darin, dass sie eine experimentelle Variirung der Gesichtsempfindungen gestatten: es ist bei jeder solchen Variirung möglich festzustellen, ob sie auf einzelne Componenten bezogen werden muss, und welches diese sind. Die Art dieser Untersuchung wird im Folgenden deutlicher hervortreten. Ehe ich aber auf dieselbe eingehe, muss ich über die Einwände Einiges bemerken, welche Hering der Young-Helmholtz’schen Theorie gemacht hat. Helmholtz hat die Ermüdungserscheinungen aus seiner Theorie abgeleitet unter der Voraussetzung, dass die Reizung einer cir- cumscripten Netzhautstelle ohne Einfluss auf deren Umgebung sei. Diese Voraussetzung zu Grunde zu legen war wohl deshalb gestattet, weil sie bei weitem die einfachste ist, welche man machen kann; es war jedenfalls ein berechtigter Versuch, zu sehen, ob man nicht auskommen könne ohne die Annahme wechselseitiger Beeinflussungen der verschie- denen Netzhautelemente. Hering hat nun gezeigt, dass es Erscheinungen giebt, welchen dieser Erklärungsmodus nicht gewachsen ist, und die Berechtigung seiner Argumente will ich nicht in Abrede stellen. Aber es folgt hieraus doch nur, dass man eine gewisse gegenseitige Beein- flussung der verschiedenen Netzhautelemente annehmen muss, aber Nichts für die Helmholtz’sche Theorie. Eine Widerlegung der letzteren kann hierin keineswegs gefunden werden, vielmehr sind diese beiden Vor- stellungen von einander ganz unabhängig. Auch auf dem Boden der Helmholtz’schen Theorie kann man über den Zusammenhang der verschiedenen Netzhauttheile Annahmen machen; freilich sind dieselben 506 J. v. KrıEs: hypothetisch, aber in einer nothwendigen oder auch nur besonders plausibeln Beziehung stehen auch die hierhergehörigen Hering’schen Annahmen zum Kern seiner Theorie nicht." Es handelt sich, wie bekannt, hier fast immer um die Frage, ob gewisse Aenderungen unserer Vorstellungen psychologisch als Urtheilstäuschungen, oder physiologisch als Aenderungen des nervösen Processes erklärt werden sollen. Auf diese Frage will ich hier nur insoweit eingehen, als dies nothwendig ist zur Rechtfertisung einer Methode, nach welcher ich die Ermüdungs- erscheinungen sowohl früher? als auch in einem Theile der hier mitzu- theilenden Versuche studirt habe. Dieselbe besteht darin, dass ein Theil der Netzhaut, dessen Grenze durch das Netzhautcentrum geht, einige Zeit belichtet wird. Das hierzu benutzte Licht nenne ich das ermü- dende. Am Ende der Ermüdungszeit fällt auf dieselbe Stelle das reagirende Licht, auf die daran stossende, vorher nicht belichtete Stelle das Vergleichslicht. Vergleichslicht und reagirendes Licht stossen also im Fixationspunkt zusammen. Eins von beiden wird in successiven Versuchen so lange variirt, bis sie im Anfange gleich erscheinen.” Wäh- rend der Ermüdung ist das ganze Auge, mit Ausnahme der zu ermüden- den Stelle, absolut verdunkelt; demgemäss wird die Stelle, auf welche das Vergleichslicht fällt, einfach als „unermüdet“ angesehen. Es würde dies nicht mehr zulässig sein, wenn wir durch die Belichtung einer Netzhautpartie auch die Nachbarstellen veränderten. Unter den von Hering beschriebenen Phänomenen ist dasjenige, welehes hier in Be- tracht kommt, der „Lichthof“, welcher bei verdunkeltem Auge um das negative Nachbild eines hellen Gegenstandes gesehen wird. Es ist wohl ohne Weiteres zuzugestehen, dass hier eine objective Aenderung, keine blosse Urtheilstäuschung vorliegt. Hering erklärt diese durch die in der Umgebung der belichteten Stelle gesteigerte Assimilirung; diese bewirke eine Steigerung der D Erregbarkeit, welche sich in dem hellen Hof zu erkennen gebe. Hiergegen muss, glaube ich, eingewendet werden, dass der Lichthof nur sichtbar ist im ganz oder nahezu verdunkelten Auge. Beruhte er aber auf einer erhöhten D Erregbarkeit, so müsste er sich ebenso deutlich zeigen, wenn man das Nachbild des hellen Gegen- standes auf einen gleichmässig hellen Grund fallen liesse. Dies ist aber nicht der Fall. Es ist daher viel wahrscheinlicher, dass der Lichthof beruht auf einer allmählichen Ausbreitung des Reizes über die belich- tete Stelle, welche nach dem Aufhören des Reizes fortbesteht. Die ! Vgl. Hering, Zur Lehre vom Lichtsinne. Fünfte Mittheilung. Wiener Sitzungsberichte. LXIX. 3. Abth. $ 22 am Ende.‘ 2 Archiv f. Ophthalmologie. XXI. 2. 3 Hinsichtlich einiger zu beobachtender Vorsichtsmaassregeln siehe a. a. O. 8. 9. BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 507 nähere Ausbildung einer solchen Vorstellung hat gar keine Schwierig- keit. Da nun, wenn man auf hellen Grund sieht, die nächste Umgebung des Nachbildes sich von den entfernteren Partien nicht merklich unter- scheidet, so darf wohl angenommen werden, dass ihre Erregbarkeit nicht verändert ist. Ich möchte also, um es kurz zu wiederholen, die Ver- änderung, welche die nächste Umgebung des Nachbildes im Vergleich zu den entfernteren Theilen zeigt, suchen in einem dort vorhandenen Reiz, nicht in einer veränderten Erregbarkeit. Da es sich nun beim Studium der Ermüdungserscheinungen handelt um die Feststellung der Erregbarkeiten, so wird man die nächste Umgebung des Nachbildes als unverändert betrachten können, wenn man nur immer ziemlich starke reagirende und Vergleichslichter anwendet. Dies ist also die Voraus- setzung der erwähnten Versuche, welche nicht ausser Acht gelassen werden durfte. ; II. Es ist nun aber viel wichtiger zu bemerken, dass, ganz abgesehen von dieser Frage über die gegenseitige Beeinflussung der einzelnen Netz- hauttheile die Helmholtz’sche und die Hering’sche Theorie zu sehr verschiedenen Resultaten hinsichtlich der Ermüdungserscheinungen führen. Dies berechtigte zu der Hoffnung, dass es möglich sein werde, durch ein genaueres Studium derselben zu einer experimentellen Entscheidung in dieser wichtigen Angelegenheit zu kommen. Es geht dies schon daraus hervor, dass wir nur im Sinne der Helmholtz’schen Theorie einfach von „Ermüdungen‘“ sprechen dürfen, während im Sinne der Hering'- schen von „Umstimmungen“ die Rede sein muss, welche sowohl Er- höhungen als Verminderungen der Erregbarkeit sein können. Die dauernde Einwirkung einer, nach Hering einfachen Farbe kann die Erregbarkeit für die Gegenfarbe direct erhöhen, nach Helmholtz wird dieselbe höch- stens sich gleich bleiben können. So könnte es zunächst scheinen, als ob fast jeder messende Versuch irgend einer Ermüdung oder Umstim- mung ausreichend sein müsse, um zu einer Entscheidung zwischen den beiden Vorstellungsweisen zu führen. In der That wird man fast jedes- mal, wenn man das Resultat eines derartigen Versuches nach der einen und nach der anderen Theorie im Voraus zu construiren unternimmt, zu verschiedenen Erwartungen kommen. Aber ein sehr grosser Theil der so erdachten Versuchsmöglichkeiten erweist sich praktisch als unzu- länglich, weil die zu erwartenden Differenzen in die Grenzen der Beob- achtungsfehler fallen, oder weil die Deutung des Erfolges zu sehr beein- flusst wird durch die Annahmen über den wechselseitigen Zusammen- 508 J. v. KRIES: hang der einzelnen Netzhauttheile. Glücklicherweise aber giebt es eine Reihe von Versuchen, bei denen jene Differenzen sehr bedeutend sind, diese (so unsicheren) Annahmen aber gar nicht in Betracht kommen. Ich will diese Versuchsweisen zunächst allgemein formuliren, und dann bei der Beschreibung der Versuche noch durch ein specielles Beispiel erläutern. Es seien ABCDEF... die elementaren Processe der Sehsubstanz, abcdef... ihre Erregbarkeiten; die Zahl sei zunächst unbestimmt. Ferner sei in einem gegebenen Lichte XV der gesammte Reiz, welchen es für den Process A darstellt; es hängt also A ab von den Intensitäten, in welchen das Licht verschiedener Wellenlängen vorhanden ist und von den besonderen Beziehungen, vermöge welcher diese in verschiedenem Maasse auf A wirken. Es wird dann A erregt mit der Intensität a. Wenn nun BEDET die analogen Bedeutungen haben, so haben wir im gegebenen Augenblicke: A in der Intensität a, B in der Intensität->5B u. s. w. Wenn nun zwei objectiv verschiedene Lichter für die Empfindung gleich sind, so heisst dies, da die Empfindung immer nur abhängig gedacht werden kann von drei Functionen jener Componenten, dass: pol. 08, 009), — oa) 09, 0m Wal, 055, ec...) aulallı, 6, 00) (I) x(al, 58, Me DAS @O 6550) wo 9x drei Functionen irgend welcher Art, A und X’, B und $ u. 8. w. die für die beiden Lichter geltenden Werthe sind. Nun zeigt sich ohne Weiteres, dass wenn die Zahl der Componenten nur drei ist, aus diesen Gleichungen sich ergiebt: NRZERE BD: = Wr und hieraus folgt, dass dieselben Gleichungen (I) auch bestehen bleiben für beliebige Aenderungen der Worte @dc. In Worten: Wenn wir nur drei Componenten des nervösen Vorgangs annehmen (Helmholtz’sche Theorie), so folgt aus der Empfindungsgleichheit zweier objectiv verschie- dener Lichter, dass für jede jener Componenten der Reiz im einen Lichte so gross ist wie im anderen. Wie sich also auch die Erregbar- keiten ändern, die beiden Liehter werden stets einander gleich erscheinen. Ist dagegen die Zahl jener Componenten grösser, so folgt die Gleich- heit der Werthe A und X, B und B, & und & u. s. w. nicht aus jenen drei Gleichungen. Es erscheint also möglich, dass durch Aenderungen BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 509 der Wertheadc.... die Gleichungen ungiltig werden. In Worten: Wenn es mehr als drei Componenten des nervösen Vorganges giebt, so folst aus der Empfindungsgleichheit zweier objectiv verschiedener Lichter noch - nicht, dass das Reizmoment für jede Componente im einen so stark als im andern ist. Im Allgemeinen ist es also möglich, dass zwei anfangs gleich erscheinende Lichter durch Aenderungen der Erregbarkeiten un- gleich werden. Speciell in der Hering’schen Theorie ist dies leicht nachzuweisen. Bezeichnen wir die Reizmomente (Producte aus Reiz und Erregbarkeit) für Roth und Grün mit rR und 96 in dem einen, mit rW’ und 9® in dem anderen Lichte, so ist die Bedingung der Empfindungsgleichheit IR — gb =rK — gÖ. (II) Nehmen wir nun zunächt r=g. R=6>o MR — (0% =0. l So ist die Gleichung (Il) erfüllt; sie ist es aber nicht mehr, wenn 7 grodeng << denn dann bleibt nach wie vor die rechte Seite o, während die linke von o verschieden ist. In Worten: eine Gesichtsempfindung wird weder roth noch grün sein, wenn die Momente für Roth und Grün gleich sind. Dies kann der Fall sein in einem Lichte, welches überhaupt auf die roth-grüne Substanz nicht wirkt (W=&= 0); eben so gut aber auch in einem, welches auf dieselbe wirkt, falls nur beide Wirkungen gleich sind, sich also aufheben. Wird nun die roth-grüne Substanz „umgestimmt“, so wird das erstere Licht auch jetzt keine Wirkung haben, das letztere dagegen eine unter Umständen recht bedeutende. Die Hering’sche Theorie postulirt also, dass objectiv verschiedene Lichter, welche bei einer gewissen „Stimmung“ des Sehorganes gleich er- scheinen, bei gewissen anderen „Stimmungen“ ungleich erscheinen. III, Um diese und andere ähnliche Versuche auszuführen, musste ich mich selbstverständlich reiner Spectralfarben bedienen. Ich bedurfte im Allsemeinen dreier heller Felder auf schwarzem Grunde; von diesen diente eines zur Ermüdung einer Netzhautpartie, als ermüdendes Licht; das zweite als reagirendes Lieht musste unmittelbar nach Beendigung der Ermüdung auf die ermüdete Partie fallen, das dritte, das Vergleichslicht, gleichzeitig unmittelbar daran stossen. Alle drei Felder mussten ent- 510 J. v. KrıEs: weder mit einer Spectralfarbe oder mit einer Mischung von zweien er- leuchtet werden, ausserdem musste noch die Zumischung von gewöhn- - lichem weissem Licht möglich sein. Von den gewöhnlichen Formen des Spectralapparates genügt diesen Anforderungen keine Von bisher be- schriebenen Methoden war nur diejenige, welche J. J. Müller benutzte, ! ausreicheud; doch hat diese (S. S. 514 Anm.) einen grossen Uebel- stand, welcher mich veranlasste, von ihr abzugehen. Dez zu stellenden Anforderungen genügte die folgende Anordnung. Als Lichtquelle diente das diffuse Himmelslicht; dasselbe wird von einem vor dem Fenster aufgestellten Spiegel in der geeigneten Richtung in das Beobachtungszimmer reflectirt. Es kann als weiss betrachtet werden, wenn man nur bei bedecktem Himmel arbeitet. Dasselbe fällt durch die Spalten eines Schirmes, welcher in einem Ausschnitt des Fensterladens angebracht ist. Dieser Schirm (in Fig. 1 schematisch dar- gestellt) hat drei verticale Spalten S, S, S, von 2 ® Höhe; diese dienen also als leuchtende Objecte. Alle drei Spalten sind nach Art der s’Grave- sande’schen Schneiden construirt; die Weite eines jeden kann an einer Scala abgelesen werden. Ausserdem können alle drei in horizontaler Rich- tung durch Schrauben verschoben werden, wie dies durch Pfeile in der Figur angedeutet ist. Auch der Betrag dieser Verschiebung kann für S, und S, an zwei Scalen abgelesen werden. Im Allgemeinen dienen S, und S, dazu, um spectrales Licht, S, um weisses Licht in das Gesichtsfeld des Beobachters zu bringen. Dies geschieht nun folgendermassen. In einer Entfernung von etwa 3 ” vom Fenster ist ein gleichseitiges Flintglasprisma und "dahinter eine Linse von 20 °® Brennweite aufgestellt, und zwar für die mittlere Stellung der Spalten $, und S, unter dem Minimum der Ab- 1 Archiv f. Ophthalmologie. XV. 2. BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER (GESICHTSEMPFINDUNGEN. 511 lenkung. Es werden hierdurch zwei objective Spectra von den beiden Spalten S, und S, erzeugt, während durch einen Schirm das Licht von S, vom Prisma abgehalten wird. Diese beiden objectiven Spectra, welche gerade wie die Spalten sowohl in horizontaler als in verticaler Richtung gegen einander verschoben sind, fallen auf den Helmholtz’schen Doppel- spaltschirm,! dessen Spalten ©, und ©, heissen mögen. Fig. 2 zeigt die Lage der beiden Spectra >, und 3, und die beiden Spalten ©, und ©,. Es wird nun dicht hinter der erwähnten Linse, zwischen ihr und Fig. 3. dem Helmholtz’schen Schirm, ein viereckiges Diaphragma aufgestellt. Diese Anordnung zeigt Fig. 3 in einem schematischen Verticalschnitt. L ist die Linse, D das Diaphragma. Der Schnitt ist durch den Spalt S, geführt, und schneidet die beiden Spectra >, und &,. Wenn 1 Physiologische Optik. S. 304. 512 J. v. KRIES: man unter diesen Umständen nur den Spalt S, (Fig. 1) öffnet und das Auge dicht hinter den Spalt ©, bringt, so sieht man das Diaphragma leuchten mit derjenigen Farbe, welche ©, aus dem Spectrum I, aus- scheidet. Oeffnen wir nun gleichzeitig den Spalt $,, so wird von dem Dia- phragma auch noch anderes Licht in’s Auge gelangen, nämlich dasjenige, welches der Spalt ©, aus dem Spectrum >, ausscheidet. Wir können das Diaphragma D (Fig. 3) betrachten als einen leuchtenden Gegenstand, welcher aber nach verschiedenen Richtungen verschiedenes Licht aus- sendet. Diese beiden Lichter werden auf derselben Netzhautstelle ver- einigt und das Diaphragma erscheint in der Mischfarbe, falls das Auge für D accommodirt ist und falls die beiden Lichter gleichzeitig durch die Pupille fallen können. Wenn man dagegen vor den Theil von ©,, auf welchen das Spectrum >, fällt, ein ganz kleines ablenkendes Prisma ? (Fig. 3), von 3° brechendem Winkel bringt, so wird dieses Licht von seinem Wege abgelenkt und auf einem benachbarten Netzhautheile vereinist. Das Diaphragma erscheint also dann doppelt, einmal an seinem wahren Orte, einmal entsprechend dem Prisma verschoben. Durch passende Ein- stellung der Höhe des Diaphragmas kann man es leicht dahin bringen, dass die beiden Felder genau aneinander stossen. Von diesen erscheint das eine in der Farbe, welche aus &,, das andere in der Farbe, welche aus &, durch den Spalt ©, ausgeschnitten wird. Das Princip ist ganz dasselbe, nach welchem in bekannter Weise monoculare Diplopie erzeugt wird, wenn man vor eine Hälfte der Pupille ein ablenkendes Prisma . bringst. Nur sind hier, weil das Diaphragma nach verschiedenen Stellen verschieden gefärbtes Licht aussendet, die beiden Bilder verschiedenfarbig. Auf diese Weise ist es also zunächst möglich, zwei aneinander stossende viereckige Felder, jedes mit einer anderen Spectralfarbe erleuchtet, zu beobachten. Um ein gutes Bild zu haben, müssen die Dimensionen natürlich so gewählt sein, däss die beiden kleinen Spectralausschnitte gleichzeitig durch die Pupille fallen. Wenn man die Pupille nicht an die richtige Stelle bringt, so sieht man nur eins der Felder. Hieraus resultirt kein Uebelstand, wenn man die Dimensionen riehtig wählt und das ablenkende Prisma so anbringt, dass seine brechende Kante horizontal und über dem oberen oder unter dem unteren Spectrum liegt (nicht zwischen beiden). Hierdurch werden die Strahlen ein- ander angenähert, wie Fig. 3 zeigt, und kreuzen sich in der Pupille. Man kann dann ohne die geringste Schwierigkeit die beiden Felder beobachten. Man kann nun durch horizontale Verschiebung von S, und 8, andere Spectraltheile auf ©, fallen lassen, da sich hierbei die Spectra >, und >, entsprechend den Spalten verschieben. Hierdurch ändert man die Licht- BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 513 arten -der beiden Felder, durch Variiren der Spaltweiten regulirt man die Helliskeiten. - Die Zumischung von weissem Licht geschah in der Weise, wie es Fig. 4 in einem schematischen Horizontalschnitt zeigt. Neben dem Prisma, welches zur Erzeugung der Spectra dient, Pr, ist ein Spiegel, M, auf- gestellt; meist benutzte ich einen solchen von schwarzem Glase, Durch Fig. 4. diesen wird das von S, kommende Licht gegen die eine Fläche des Prismas und von dieser wieder gegen die Linse Z reflectirt. Es wird hierdurch ein kleines objeetives Bild des Spaltes S, erzeugt, welches in der Ebene der Spalten S, -und ©,, auf dem Helmholtz’schen Doppel- spaltschirm liest. Durch richtige Stellung des Spiegels kann man es leicht dahin bringen, dass es in den Spalt S, fällt und auf dasjenige Spectrum, welches nicht abgelenkt ist. Bringt man das Auge hinter den Spalt, so erscheint das eine Feld von einer gleichmässigen Mischung weissen und spectralen Lichtes erleuchtet. Die Mischung zweier Spectralfarben geschieht in der Weise, dass S, doppelt gespiegelt wird, so dass es parallel und in gleicher Höhe neben S, erscheint. Zu diesem Zwecke dienen zwei kleine Spiegel, deren einer S, gegenüber, der andere in gleicher Höhe mit S, neben diesem (über S,) angebracht ist. Eine geringe Neigung gegen die Ver- ticale führt leicht zu dem gewünschten Erfolge. Das durch doppelte Archiv f£, A.u. Ph, 1878. Physiol, Abthlg. 33 514 Je. Krmms: Reflexion entstandene Bild von S, will ich $,” nennen. Wenn so zwei verticale, horizontal neben einander befindliche Spalten, S, und S,” ihr Licht auf das Prisma werfen, so entstehen nun auf dem Helmholtz’schen Schirm zwei Spectren, welche horizontal gegen einander verschoben sind. Bei richtiger Wahl der horizontalen Verschiebung werden sie sich theil- weise decken. Das von S,” herrührende Spectrum ist in Fig. 2 durch unterbrochene Linien angedeutet und mit >, bezeichnet. Wenn nun &, z. B. aus dem einen einen gelben, aus dem anderen einen blauen Streifen ausschneidet, so wird das hinter den Spalt gebrachte Auge das Diaphragma in der Mischfarbe sehen.! Da man stets das objective Spectrum im Spalt mittels einer Lupe beobachten kann, so hat es keine Schwierigkeit, im Einzelfall den Ort der gebrauchten Lichter im Spectrum zu bestimmen. Man braucht nämlich nur am Helmholtz’schen Schirm den Ort des Spaltes ©, ab- zulesen,” demnächst ©, so lange erst nach rechts und dann nach links zu verschieben, bis eine kenntliche Fraunhofer’sche Linie in den Spalt tritt und den Ort dieser beiden Linien abzulesen. Hieraus ergiebt sich dann der Ort des gebrauchten Lichtes im Spectrum. Z. B. sei im Versuch der Ort der Spaltenmitte 8.00 ”” oewesen; wir fänden alsdann die Linie b bei 6-00 und 7 bei 9.00, so läge das benutzte Licht auf ?/, der Ent- fernung 5 F. Hiernach kann die Wellenlänge durch Interpolation mit ausreichender Genauigkeit gefunden werden. Die Quantitäten des farbigen Lichtes, welches von S, herkommt und durch den Spalt ©, in’s Auge drinst, ist proportional dem Product aus den beiden Spaltbreiten, die Quantität weissen Lichtes dagegen, welche von S, in’s Auge gelangt, ist nur abhängig von der Weite von S;,, da das ganze -objective Bild von S, in den Spalt ©, hineinfällt. Endlich erwähne ich noch, dass ausser durch die Spalten des Schirmes _ keine nennenswerthe Menge Licht in das Beobachtungszimmer fiel, dass das von den Wänden und der Decke diffus reflectirte Licht durch Schirme von den optischen Apparaten abgehalten wurde, und dass die nicht bre- 1 Die Methode, zwei Felder neben einander herzustellen, ist, wie man sieht, der von J. J. Müller (s. a. a. O.) gebrauchten ganz ähnlich; nur wird das Dia- phragma mit freiem Auge und nicht durch ein Fernrohr betrachtet. Die Methode der Farbenmischung aber ist die von Maxwell (Phil. Trans. 1860). Sie hat den grossen hier ganz unentkehrlichen Vorzug, eine sichere und gleichmässige Mischung beider Farben zu gestatten, während bei der Müller’schen mit der Bewegung des Auges bald die eine, bald die andere Componente der Mischung sich mehr geltend macht. ‘2 Da die am Schirm angebrachte Scala den Ort der einen Schneide giebt, es für uns aber auf die Mitte des Spalts ankommt, so muss man natürlich noch die halbe Spaltbreite hinzuaddiren oder abziehen. BEITRAG ZUR PHysioLoGIE DER (GESICHTSEMPFINDUNGEN. 515 chende Fläche des Prisma’s geschwärzt war. Ich arbeitete daher mit sehr reinen Spectralfarben und es erschienen die Felder auf tiefschwarzem Grunde. IV. Zunächst theile ich die Versuche mit, deren Princeip oben (S. 508) gegeben wurde. Den Sinn derselben wird das folgende Beispiel vielleicht noch verständlicher hervortreten lassen. “Nach der Hering’schen Theorie werden durch weisses Licht in allen drei Sehsubstanzen irgend welche Vorgänge erregt. In Bezug auf die rothgrüne heben sich die antagonistischen Wirkungen des grünen und des rothen Lichtes auf. „Damit das zunächst in neutraler Stimmung gedachte Sehorgan ein gemischtes Licht als farblos empfinde, ist nöthig, dass dieses Licht sowohl für die rothgrüne als für die gelbblaue Substanz ein annähernd gleichgrosses Assimilirungs- wie Dissimilirungsmoment setze, wobei ich das Moment dem Product aus Reiz und Erregbarkeit gleich- Betze en Eben dasselbe Licht aber wird z. B. grünlich erscheinen können, wenn die rothgrüne Substanz nicht mehr neutral gestimmt, sondern ihre grüne Erregbarkeit grösser ist als die rothe. Denn in Folge dessen würden Dissimilirunes- und Assimilirungsmoment nicht mehr gleich sein und ein kleines Moment, welches gleich der Differenz beider Momente ist, wird nun zu Gunsten des Grün zur Wirkung kommen. — Wenn irgend ein Theil des zuvor neutral gestimmten Sehorganes durch farbig erscheinendes Licht nicht übermässig gereizt wird, so wird die Stimmung dieses Theiles immer derart geändert, dass die Erregbarkeit für die eben empfundene Farbe abnimmt und nach Schluss der Reizung kleiner ist als die Erregbarkeit für die Gegenfarbe. Jedes gemischte Licht, welches vorher farblos empfunden worden wäre, wird jetzt mit einer Beimischung dieser Gegenfarbe, oder, wenn zuvor ein Gemisch der Grundfarben gesehen wurde, mit einer Beimischung beider Gegenfarben gesehen.!“ Ist also eine Netzhautstelle durch rothes Licht „umgestimmt‘“, so wird ihr „gemischtes weisses“ Licht nunmehr grün erscheinen. Aber es liest auch auf der Hand, dass dies nicht eintreten kann, wenn das weisse Licht nicht aus allen Lichtarten gemischt ist, wie das gewöhn- liche Tageslicht, sondern aus Gelb und Blau. Gelbes und blaues Licht ‘ wirken auf die rothgrüne Substanz überhaupt nicht ein. Für den Effect des gelbblaueu Lichtes müsste es also ganz gleichgiltisg sein, ob die 1 Hering, a. a. 0. $ 44, 3a . 516 J. v. Krıes: rothgrüne Substanz „neutral“ oder „umgestimmt“ ist; es müsste immer rein weiss erscheinen. Dieser Satz bedarf nur noch einer kleinen Be- richtigung. Auch wenn gar kein Reiz auf die rothgrüne Substanz ein- wirkt, muss doch, weil ja beständig Assimilirungs- und Dissimilirungs- processe in ihr ablaufen, ein gewisses Ueberwiegen des Grünprocesses statt finden können. Diese Quantität Grün also wird sich auch dem aus Blau und Gelb zusammen gesetzten Weiss zumischen können. Wenn wir nun aber einen Theil der Netzhaut durch Beleuchtung mit rothem . Licht „umstimmen“ und dann auf eine Partie dieses umgestimmten Netz- hautstückes gewöhnliches, auf die benachbarte Partie des umgestimmten Stückes aus Gelb und Blau zusammengesetztes weisses Licht fallen lassen, so wird dieser (von den Reizen unabhängige) Theil Grün beiden gemein- sam sein, ausserdem aber wird durch das gewöhnlich gemischte Licht ein viel intensiverer Grünprocess in der umgestimmten rothgrünen Sub- stanz hervorgebracht werden, welcher da fehlt, wo nur gelbes und blaues Licht hinfallen. Man muss also erwarten, dass auf der einen Partie ein Weiss mit ganz geringer grünlicher Beimischung,! auf der anderen ein lebhaites Grün gesehen werde. Die Betrachtung, die hier für einen speciellen Fall durchgeführt worden ist, lässt sich natürlich allgemein anstellen. Eine Mischung aus Gelb und Blau, die für das neutral gestimmte Auge rein weiss ist, wird wie dem rothermüdeten, ebenso auch dem grünermüdeten Auge nahezu weiss bleiben müssen, während gewöhnliches weisses Licht sich ihm roth färben muss. Dasselbe würde gelten für Gelb und Blau als ermüdende Lichter. Namentlich dann müsste man erwarten, dies Verhalten stark ausgepräst zu finden, wenn wir als umstimmenden Reiz einen Assimilationsreiz wählen; denn durch die beständig überwiegende Assimilation müsste nun die Dissimilationserregbarkeit einen sehr hohen Grad erreichen. Die Helmholtz’sche Theorie ergiebt, wie wir oben sahen, allge- mein das Gegentheil; nach ihr müssen wir erwarten, dass Farben, welche dem wnermüdeten Auge gleich erscheinen, auch für das ermüdete ein- ander gleich sind. 1 Diese von den Reizen unabhängige Entstehung des Grün habe ich der Vollständigkeit halber als eine Möglichkeit erwähnen wollen. Auf Grund der Hering’schen Vorstellungen hat man keine Veranlassung, ihr Bedeutung beizu- messen. Man erinnere sich nur dessen, was Hering (8. 19 d. VI. Mittheil.) über die ungünstigen Bedingungen für das Hervortreten der Farben sagt. Auch hier im vothermüdeten Auge handelt es sich immer noch um sehr helle Lichtempfindungen, also ist nach Hering der Dissimilationsprocess der schwarzweissen Substanz noch sehr stark. Vergl. auch a. a. O. $ 44 den ersten kleingedruckten Absatz. BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 517 Wir haben es daher hier in der That mit einem Experimentum crueis zu thun. Das Resultatist ausnahmslos das von der Helmholtz’schen Theorie postulirte gewesen. Ueber die Art der Versuchsanstellung ist kaum noch etwas hinzu- zufügen. Der Apparat wurde so ‚eingestellt, dass das Auge z. B. ein rothes Feld sah, wenn es hinter den Spalt ©, gebracht wurde, dagegen zwei weisse Felder, wenn es durch ©, sah; von diesen war das eine ge- wöhnliches Weiss, von S, herrührend, welches in diesem Falle von M (Fig.4) reflectirt wurde, das andere aus Blau (von $,) und Gelb (von 5,” gemischt. Auf die Herstellung dieser beiden Felder musste die grösste Sorgfalt verwendet werden, um sie in Helligkeit ganz gleich und um die Mischung rein weiss zu machen. Wenn dies vollkommen gelungen und das Auge genügend ausgeruht war, brachte ich es hinter S, und fixirte 40 Sec. lang die Mitte des rothen Feldes,! dann brachte ich sofort das Auge hinter ©, und fixirte die Mitte der Grenzlinie der beiden weissen Felder. Von der ermüdeten Stelle der Netzhaut wird also die eine Hälfte mit der einen, die andere mit der anderen Art weissen Lichtes beleuchtet und es stossen diese zwei Hälften im Netzhautcentrum ' zusammen, so dass eine sichere Vergleichung möglich ist. Es erscheinen in diesem Falle beide Hälften lebhaft und schön blaugrün und es ist zwischen beiden nicht der geringste Unterschied wahrzunehmen. Der Versuch lässt sich sehr vielfach variiren; man kann mit dem ‚gewöhnlichen Weiss solches vergleichen, welches aus Gelb und Blau oder solches, welches aus Roth und Grün zusammen gesetzt ist, und als er- müdendes Licht rothes, gelbes, grünes und blaues wählen; ich habe den Versuch in diesen verschiedenartigen Combinationen ausgeführt und stets das gleiche Resulat erhalten. Dass die Ermüdungen sehr starke gewesen sind, geht daraus hervor, dass das vorher weisse Licht gesättigt blaugrün aussah; ich habe mich deswegen nicht veranlasst gefühlt, die Ermüdungs- zeit über 40 Sec. zu verlängern. Ich halte mich hiernach für berechtigt, allgemein den Satz aus- zusprechen: Verschieden zusammengesetzte Lichter, welche dem un- ermüdeten (neutral gestimmten) Auge gleich erscheinen, er- scheinen auch dem irgendwie ermüdeten (ungestimmten) Auge gleich. 1 Es ist nothwendig, das Diaphragma so zu stellen, dass irgend ein kleines Fleckehen der Linse oder des Prisma’s in die Mitte des Feldes kommt und als Fixa- tionsmarke benutzt werden kann, 516 J. v. KRIES: Dieser ist, wie gezeigt, mit der Hering’schen Theorie der Er- müdung unvereinbar, während er sich aus. der Helmholtz’schen als nothwendige Consequenz ergiebt. Ich will nicht unterlassen, eine naheliegende Modification der Hering’schen Theorie zu erwähnen, welche auf den ersten Blick ge- eignet erscheinen könnte, sie mit der beschriebenen Thatsache in Ein- klang zu bringen. Wenn man nämlich annähme, dass das Maass des Rothen in einer Empfindnng nur bedingt würde durch das Verhältniss des Roth- und Grünvorganges zu einander, nicht durch den absoluten Werth, welchen ihre Differenz im Vergleich zum .Schwarzweissvorgange hat, so wären die Widersprüche beseitigt. Bei sehr intensiver Assimilation und Dissimilation in der Schwarzweisssubstanz könnte dann die Empfin- dung gesättigt roth sein, wenn selbst bei minimalen Werthen des Roth und Grün nur das Ueberwiegen des einen in sehr starkem Verhältniss statt fände. Dieses anzunehmen widerstreitet aber, wie mir scheint, den Hering’schen Vorstellungen durchaus (s. a. a. 0.3 41). Ueberdies führt es auch zu Consequenzen, welche mit bekannten Thatsachen im Wider- spruch stehen. Es müsste hiernach z. B. möglich sein, durch einen ge- ringen Rothzusatz jede beliebige Intensität eines aus Gelb und Blau ge- mischten Weiss mit demselben Sättigungsgrade roth zu färben. Wir können gewissermaassen die Componenten auch einzeln beob- achten, deren Resultat wir hier aufgesucht hatten, nämlich die Ver- änderung des gelben und des blauen Liehtes durch die Rothermüdung und die analogen Fälle für die anderen Theile des’ Spectrums. Auch hier zeigen sich die Thatsachen im Gegensatz zu dem, was man nach der Hering’schen Theorie erwarten sollte. In ganz analoger. Weise, wie wir oben gefolgert haben, zeigt sich, dass für reines Gelb und reines Blau die Umstimmung der rothgrünen Substanz gleichgiltig sein müsste. für reines Grün dagegen die Umstimmung der gelblauen Substanz. Man kann nun durch die Ermüdungsversuche auch in einfacher Weise zur Beantwortung der Frage gelangen, wie das Gelb durch Roth- ermüdung verändert wird. Wenn man nämlich bei der Ermüduns die Mitte des unteren Randes im rothen Felde fixirt, und nach Beendigung der Ermüdung die Mitte der Grenze zwischen zwei Feldern, von denen das obere gelb ist, so bildet sich dieses ab auf der rothermüdeten Stelle; dagegen wird das untere auf der angrenzenden nicht ermüdeten Stelle abgebildet; man kann nun ein Licht aufsuchen, mit welchem das untere Feld erleuchtet sein muss, um dem oberen gleich auszusehen. Es ist dies also das Licht, welches, auf die unermüdete Netzhautstelle fallend, dieselbe Empfindung giebt, wie das gewählte Gelb, welches auf die roth- ermüdete Stelle fällt. Versuche dieser Art zeigen nun, dass auf einer BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 519 Netzhautstelle, welche mit einer Spectralfarbe ermüdet ist, alle Spectral- farben verändert erscheinen. So erscheint auf der rothermüdeten Stelle ein reines Gelb (ganz wenig grünwärts von der Linie D) gleich einem selblichen Grün, welches auf die unermüdete Stelle fällt. Ebenso wird Gelb durch Grünermüdung in Roth-Orange verwandelt. Das Detail dieser Versuche ist von geringem Interesse; ich gehe daher zur Beschreibung derjenigen über, welche zu einer genaueren Bestimmung der drei Helmholtz’schen Componenten führen können. Vv. Dass aus den Ermüdungserscheinungen gewisse Schlüsse auf die Grunderresungsvorgänge gezogen werden können, ist schon von Helm- holtz angedeutet worden. (Phys. Optik 8. 367 —370.) Indessen be- schränkt sich Helmholtz auf den Satz, „dass die gesättigtsten objec- tiven Farben, welche existiren, die reinen Spectralfarben, im unermüdeten Ause noch nieht die gesättigtste Farbenempfindung hervorrufen, welche überhaupt möglich ist“. Eine genaue Analyse zeigt, dass aus den Hr- müdungserscheinungen sich noch Einiges mehr über die Grundfarben ab- leiten lässt.. Wenn es eine Spectralfarbe gäbe, welche eine der drei Componenten isolirt hervorriefe, also auch isolirt ermüdete, so würde die Ermüdung ebenso wirken, wie die Abschwächung des Reizes.. Wenn durch einen Reiz alle drei Componenten, aber in ungleicher Stärke, erregt werden, so werden auch alle in ungleichem Maasse ermüdet, und die Intensitäten ihrer Erresung nähern sich der Gleichheit. Es ist aber leicht zu sehen, dass im Allgemeinen nicht bloss die Sättigung, sondern auch der Farben- ton sich ändern wird, denn wenn A die am stärksten erreste Com- ponente ist, 5 die mittlere und C die schwächste, so wird der Farben- ton hauptsächlich bestimmt durch das Verhältniss von A zu B. Indem nun im Verlauf der Erregung dieses sich allmählich der Gleichheit an- nähert, ändert sich auch der Farbenton. Man sieht leicht, zu welchen Folgerungen dies führt. Alle Farben, in welchen zwei Componenten gleich stark sind, werden nur die Sättigung, alle, in welchen alle drei ungleich stark erregt sind, werden sowohl Sättigung als Farbenton ändern. Die Versuche wurden so angestellt, dass von den beiden aneinander stossenden Feldern zunächst eins verdeckt ist; durch eine kleine, am Helmholtz’schen Schirme angebrachte Vorrichtung wurde ein Spectrum abgeblendet und konnte die Blendung durch einen einfachen Fingerdruck im geeigneten Augenblicke entfernt werden. Das obere Feld war, um 520 J. v. Krıes: bei dem bisher benutzten Beispiele zu bleiben, mit Roth erleuchtet, das untere verdeckt. Nun wurde der untere Rand des rothen Feldes 40 Sec. lang fixirt und dann plötzlich das untere Feld aufgedeckt. Es musste nun dasjenige Licht, das Vergleichslicht, für das untere Feld gesucht werden, mit welchem erleuchtet es dem oberen gleich erschien. Es wurden hierbei also die Veränderungen untersucht, welche die einzelnen Spectralfarben bei anhaltender Fixation erfahren. Bei keiner Spectralfarbe genügt als Vergleichslicht das einfach abgeschwächte ermü- dende Licht. Bei einigen aber ist es ausreichend, einen geringen Weiss- zusatz zu machen, bei anderen muss ausserdem ein etwas andersfarbiges Licht gewählt werrden. Es geht nämlich Roth in Orange über, Orange wird gelber, es nähert sich also Alles, was von der Linie D nach dem weniger brechbaren Ende des Spectrums liegt, dem reinen Gelb; dieses selbst aber bleibt unverändert im Farbenton, es wird nur weisslicher. Ebenso wird das Licht, welches zwischen D und Z liegt, durch die Er- müdung gelber. Rein grünes Licht, etwa bei 5, ändert den Farbenton nicht, sondern wird nur weisslicher. Dagegen wird das Licht, welches neben 5 nach dem brechbareren Ende des Spectrums hin liest, durch die Ermüdung deutlich blauer. Die Anwendung der gleichen Verfahrungs- weise auf das brechbarste Ende des Spectrums stösst auf eigenthümliche Schwierigkeiten. Das Vergleichslicht nämlich muss natürlich stets dunkler sein als das ermüdende (welches hier mit dem reagirenden identisch ist). Nun ändern aber diese Theile des Spectrums auch durch die blosse Ver- dunkelung den Farbenton. Zwei Felder desselben speetralen Lichtes, objectiv nur an Intensität verschieden, machen den Eindruck auch ver- schiedenen Farbentones." Während also aus den obigen Versuchen sich mit Leichtigkeit ergiebt, dass das äusserste Roth des Speetrums im phy- siologischen Sinne noch etwas gelblich ist, dass die zweite Componente dem Grün, etwa der Linie 5, entspricht, bleibt der Bestimmung der dritten zunächst unmöglich, wenigstens würde sie nicht einwurfsfrei sein. Wir können indessen hier auf eine schon früher von J. J. Müller? benutzte Methode recurriren. Dieser schloss aus der Gestalt der Farben- tafel, welche er für die Spectralfarben construirte, dass Violet und nicht Blau anzunehmen sei. Er fand nämlich das aus Blau und Roth misch- bare Violet stets sehr weisslich im Vergleich zu demjenigen des Spectrums. Demselben Principe folgend hatte Maxwell Blau angenommen, weil er glaubte, Violet von gleicher Sättigung wie das spectrale aus Blau und Roth zusammensetzen zu können. Die Versuche, welche ich hierüber 1 Im brechbareren Theile des Spectrums findet bekanntlich etwas Aehnliches statt, wenn man sehr starke oder sehr schwache Intensitäten wählt. 2A.a.0. BEITRAG zuR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 521 anstellte, bestätigten sehr evident das Resultat Müller’s; ich fand unter allen Umständen das aus Blau und Roth gemischte Violet sehr weiss- lich im Vergleich zum spectralen.” Hinsichtlich der dritten Grundfarbe darf daher wohl unbedenklich für Violet entschieden werden. Stellen wir uns das System der Farben auf einem Kreise dar, in dessen Mittelpunkt Weiss läge, so können wir uns durch Pfeile die Art veranschaulichen, wie die einzelnen Farben durch die Ermüdung verän- dert werden. Wir erhalten so die Figur 5. Dieselbe ist theils aus dem erwähnten Grunde für Violet, theils weil mein Apparat die Beobachtung des Purpurs nicht gestattet, unvoll- ständig geblieben. Die beobachteten "Theile aber bestätigen, was man nach der Helmholtz’schen Theorie erwarten musste. Mit der Hering’- schen würden sie unter etwas gezwungenen Annahmen vereinbar sein. VI. Es bleibt nun noch die Frage nach den physiologischen Sättigungs- sraden der Spectralfarben zu beantworten. Gesättigt im physiologischen Sinne wäre eine Farbenempfindung, wenn in ihr die Intensität einer oder zweier Componenten =0 wäre. Dass keine Spectralfarbe im phy- siologischen Sinne gesättigt ist, hat sich aus der Abänderung derselben durch die Ermüdung ergeben, es zeigt sich noch directer daran, dass man sie durch Ermüdung für die Complementärfarbe gesättigter machen kann. Messende Versuche ergeben hierbei nun die interessante Thatsache, dass die Spectralfarben im physiologischen Sinne sehr verschiedene Sät- tigungsgrade zeigen. Es seien A und G zwei Farben, die in dem Verhält- 1 Das abweichende Resultat Maxwell’s erklärt sich, was auch schon Müller hervorgehoben hat, aus seiner Methode; es ist die fragliche Ansicht bei ihm nicht aus directer Beobachtung gewonnen, sondern aus quantitativen Bestimmungen be- rechnet. 522 J. v. Kries: niss zu einander stehen, dass nach der Ermüdung durch A weisses Licht in der Farbe @ erscheint. Verwenden wir nun A als ermüdendes Licht und G als reagirendes, so wird G@ gesättigter erscheinen, als ein auf “ die daranstossende Partie fallendes Vergleichslicht G. Durch Weisszusatz ‘ zum reagirenden Lichte wird man nun eine Mischung finden können, welche, auf die A ermüdete Stelle fallend, denselben .Eindruck giebt, wie das objeetiv gesättigte @. Die Stärke dieses Weisszusatzes wird um so bedeutender sein, je gesättigter (physiologisch) Aund je ungesättister G’ist. Macht man nun umgekehrt G@ zum ermüdenden Licht, A zum reagirenden, so wird man wiederum einen Weisszusatz finden, welcher das auf die G ermüdete Stelle fallende A ebenso erscheinen lässt, wie das reine 4, welches auf die anstossende unermüdete Stelle ‚fällt. Dieser wird um so bedeutender sein, je gesättigter G und je ungesättigter A ist. Ein solcher Versuch ist daher geeignet, zu bestimmen, wie sich die sät- tigungsgrade der verschiedenen Theile des Spectrums verhalten. Zwei solche Farben sind nun z.B. Roth der Linie C und ein Grün- blau, sehr nahe der Linie #, ein wenig grünwärts von derselben. Wenn ich nach einer Rothermüdung von 40” Licht dieser Wellenlänge auf die ermüdete Stelle fallen liess, so erschien es viel gesättigter als das daneben auf die unermüdete Stelle fallende Indem ich nun in successiven Ver- suchen dem reagirenden Licht immer mehr Weiss zusetzte und das far- bige Licht verminderte, fand ich, dass erst bei reinem Weiss Gleichheit zu erhalten war. Auf der rothermüdeten Stelle sieht reines Weiss voll- kommen gesättigt Grünblau aus, genau ebenso, wie das spectrale Grünblau. auf der nebenliegenden unermüdeten Stelle. Wenn man nun den umge- kehrten Versuch macht, so erhält man ein ganz anderes Resultat. Auch das Roth erscheint auf der durch Grünblau ermüdeten Stelle gesättigter, aber es genügt ein geringer Zusatz von Weiss, um es dem auf die un- ermüdete Stelle fallenden Roth gleich erscheinen zu machen. Lässt man dagegen auf die ermüdete Stelle reines Weiss fallen, so erscheint dasselbe als ein sehr weissliches Roth im Vergleich mit dem auf der unermüdeten Stelle gesehenen spectralen Roth. Hieraus folgt, dass im physiologischen Sinne das spectrale Roth viel gesättigter ist als das spectrale Grünblau. Das gleiche Verfahren mit reinem Gelb und einem Indigoblau (nahe der Mitte zwischen F und G) ergaben Verhältnisse, welche zwischen den obigen in der Mitte lagen, und für Blau eine etwas grössere Sättigung als für Gelb. Hieraus ergiebt sich nun mit Sicherheit der Schluss, dass von allen Theilen des Spectrums Roth einer physiologisch ge- sättigten Farbe am nächsten steht, Blau und Gelb weniger gesättigt sind, und Grün am weisslichsten ist. Bei diesem Resultat verdient zunächst hervorgehoben zu werden, dass BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. 523 es übereinstimmt mit dem, was Brücke! auf ganz anderem Wege oe- funden hat. Sodann treten auch die Erscheinungen der Farbenverän- .derung bei der Verdunklung des Speetrums in eine sehr deutliche Be- ziehung hierzu, wenn man die betreffenden Versuche in einer etwas an- deren Form als der gewöhnlichen anstellt, nämlich sich unabhängig macht von der verschiedenen Helligkeit, welche die einzelnen Theile des Speetrums zeigen. Wenn man einen isolirten Ausschnitt des Spectrums in Roth, Grün oder Violet beobachtet, und die Intensität desselben von Null an sanz allmählich wachsen lässt, so findet man bekanntlich einen Punkt, wo der erste Lichtschimmer auftritt, dessen Farbe aber noch nicht zu erkennen ist, sodann einen, bei dem die Farbe erkannt wird. Diese Punkte fallen im Roth so nahe zusammen, dass es fraglich erscheinen kann, ob es überhaupt ein Intervall gibt, in dem das Roth nicht erkannt wird. Im Violet dagegen und noch mehr im Grün ist dieses Intervall sehr bedeutend. Grün ist schon lange als farbloses Lieht sichtbar, ehe es als Farbe erkannt wird; in etwas geringerem Grade gilt dasselbe vom Violet. Die Verschiedenartigkeit, welche hier die Theile des Spectrums zeigen, wird verständlich, wenn wir wissen, dass sie im physiologischen Sinne verschieden gesättist sind. Die im Vorstehenden mitgetheilten Versuche haben, wie ich glaube, ergeben, dass die Erregbarkeitsänderungen des Sehorgans auf Grund der Helmholtz’schen und nicht auf Grund der Hering’schen Theorie so gedeutet werden können, dass eine volle Uebereinstimmung mit den Thatsachen erreicht wird, ja dass die Erscheinungen auf die erstere mit Nothwendigkeit führen.- Es erscheint nothwendig, die Tragweite dieses Resultats genau zu umgrenzen. Einerseits fällt die Nothwendigkeit fort, an Stelle des Erresgungsvorganges im Nerven den Dissimilations- und Assimi- lationsprocess, an Stelle des Reizes D Reize und A Reize zu setzen. Assimi- lations-, Ernährungsvorgänge im Nerven werden wir zwar immer annehmen müssen, aber die Empfindung braucht nicht von ihnen in derselben Weise wie von den Erregungsvorgängen abhängig zu sein, und sie selbst brauchen nicht, wie die Erresungsvorgänge, durch die äusseren Reize direct beeinflusst zu werden. Es sind eben die Ernährungsvorgänge etwas anders als die Erresungsvorgänge. Die Umgestaltung der allgemeinen Nervenphysiologie, welche die Hering’sche Theorie darstellte, kann als von dieser Seite be- sründet nicht anerkannt werden. — Auf der anderen Seite muss darauf auf- 1 Ueber einige Empfindungen im Gebiete der Sehnerven. Wiener Sitzungs- berichte. LXXVII. 3. Abthl. S. 25 des Separatabdrucks. 524 J. v. Kris: BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER GESICHTSEMPFINDUNGEN. merksam gemacht werden, dass die „Componenten“ der Young-Helm- holtz’schen Theorie nicht Empfindungen sind, sondern Vorgänge im Nerven, eine Sache, die wiederholt und von Niemandem deutlicher als von Helm-. holtz selbst in’s Licht gesetzt worden ist. Wenn wir mit Exner Zonen des Sehapparates unterscheiden wollen, so können wir nur sagen, dass eine Ermüdung in eben der Zone stattfinden muss, in welcher diese Com- ponenten statthaben. Vorstellungen über die centrale Umsetzung dieser Vorgänge ist nicht präjudieirt. Ebenso wenig freilich dürfen Argu- mente, welche auf die Beschaffenheit der Empfindung selbst sich gründen, also ihrer Natur nach nur die (sit venia verbo) allercentralsten Vorgänge betreffen können, hinsichtlich der Fragen geltend gemacht werden, die uns hier beschäftigt haben. Es erregt vielleicht das Befremden des Lesers, dass ich von den zahlreichen Thatsachen anderer Art, welche in unserer Frage pro et contra geltend gemacht worden sind, keine berücksichtigt habe. Der Grund hierfür ist sehr einfach. Die Reihe der hier in Betracht kom- menden: Erscheinungen ist folgende: die angeborene Farbenblindheit, die erworbene Farbenblindheit, das Sehen mit den peripherischen Partien der Netzhaut, das Sehen bei herabgesetzter und übermässig verstärkter Beleuch- tung und die Farbenwahrnehmung bei sehr kleinen Objecten. Eine Ver- gleichung der beiden Theorien mit Rücksicht auf alle einschlägigen Thatsachen würde mich demgemäss über die hier gesteckten Grenzen hinausgeführt haben. Ich hielt es daher für zweckmässiger, mich hier auf die eine Methode zu beschränken und hoffe den Zusammenhang mit den anderen Erscheinungen bei einer anderen Gelegenheit darlegen zu können. Die Spannung in den Vorhöfen des Herzens während der Reizung des Halsmarkes. Von Dr. A. Waller. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Obwohl die Versuchsreihe, über die zu berichten ich im Begriff bin, keineswegs die angestrebte Vollendung erlangt hat, so muss ich doch schon jetzt zur Mittheilung ihrer Ergebnisse schreiten, weil ich zu be- stimmen ausser Stande bin, ob und wann es mir vergönnt sein wird, die abgebrochene Arbeit wieder aufzunehmen. Hat man einem Kaninchen nach Einleitung der künstlichen Respi- ration das Rückenmark im zweiten Halswirbel durchschnitten, den peri- pheren Theil das letzteren mit Elektroden armirt, dann einen Längen- schnitt durch das Brustbein und einen darauf folgenden durch den Herz- beutel ausgeführt, hat man weiter, um dem Herzen eine sichere Unter- lage zu gewähren, die freien Ränder des Herzbeutels an die entsprechen- den der klaffenden Brustwunde genäht, so gewahrt man, wenn jetzt kräftige tetanisirende Inductionsströme durch das Mark geschickt werden, eine eigenthümliche Erscheinung am linken Vorhof. Dieses bis dahin schlaffe und blasse Gebilde schwillt rasch an, seine freien Ränder heben sich über die Querfurche empor und aus der hellrothen Färbung, die es annimmt, geht hervor, dass, die Umformung von einer ungewöhnlichen Blutfülle bedingt sei. Bleibt, nachdem sich der Vorhof strotzend auf- gerichtet hat, die Reizung des Rückenmarkes noch wirksam, so stellt er jetzt auch seine Zusammenziehungen ein, indess der rechte Vorhof und die beiden Ventrikel ihre Schläge fortsetzen. Da der linke Vorhof ruht, trotzdem dass die Muskelfasern in ihren periodischen Zusammenziehungen verharren, welche sich ununterbrochen von ihm auf den rechten Vorhof fortsetzen, so wird man nicht geneigt 526 | A. WALLER: sein, den Stillstand dieser Herzabtheilung auf eine unmittelbare Ab- hängigkeit von der Rückenmarksreizung zu beziehen, mindestens nicht eher, bevor man nicht von der Unhaltbarkeit aller anderen Erklärungs- gründe überzeugt ist. Statt der eben verworfenen, bietet sich mit bes- serem Rechte die Annahme, wonach in Folge der Rückenmarksreizung der Blutstrom im Inneren des Vorhofes angestaut sei und durch seinen Druck die Zusammenziehung der Muskelwand verhindert habe. Dass sich mit dieser Anschauungsweise die an dem Herzen beobachteten Erscheinungen genügend erklären lassen, dafür spricht der Erfolg, welchen man durch ein vorübergehendes Zuschnüren der Aortenwurzel zu erzielen vermag. Auch nach diesem Handgriff schwillt und beruhigt sich der linke Vor- hof, während alle anderen Abtheilungen des Herzens ihre Schläge fort- setzen, sodass die Folgen des Aortenschlusses und der Markreizung bis auf geringe Unterschiede übereinstimmen. Einer der letzteren betrifft die Zeit, welche vom Beginn des Eingriffs bis zur vollen Ruhe des Vorhofes verstreicht; sie ist kürzer während der Tetanisirung des Markes, als nach Verschluss der Aorta. Diese Verschiedenheit lässt sich jedoch ausgleichen, wenn man nach der Umschnürung der Aortenwurzel mit den Händen über den Unterleib des Thieres streicht, so dass der Zufluss des Blutes aus der Hohlvene zum Herzen beschleunigt wird. — Eine andere Abweichung zwischen den Erfolgen der beiden Eingriffe liest in dem ungleichen Verhalten des linken Ventrikels. _ Während seiner Diastole ist er in dem einen und dem anderen Falle gleich bedeutend geschwellt, aber am Ende der Systole hat sich sein Umfang bei be- bestehender Markreizung bedeutender verringert, als bei der Unterbin- dung der Aorta. Dieser Unterschied ist jedoch nur ein gradweiser, denn es entleert sich auch der Ventrikel. während der Markreizung nicht voll- ständig. Ungezwungen lässt sich diese Verschiedenheit darauf zurück- führen, dass dem Blute während des Aortenschlusses nur der Ausweg durch die Kranzarterien, während der maximalen Erregung der ver- engenden Gefässnerven aber auch durch andere Canäle offen steht. — Aus der qualitativen Uebereinstimmung der Folgen, welche die Unter- bindung der Aorta und die Reizung des Halsmarkes hervorbringen, wird die Annahme, dass auch während des Bestehens der letzteren der Vorhof stillsteht, weil ihn der Druck des angestauten Blutes an der Zusammenziehung hindert, allerdings sehr wahrscheinlich; für bewiesen darf sie aber erst gelten, wenn es zu zeigen gelingt, dass der Druck im Inneren des strotzen- den Vorhofes von derselben Höhe sei, gleichgiltig ob die Reizung des Markes oder die Umschnürung der Aorta den Stillstand veranlasste. Hierüber kann nur die Messung des im Vorhof bestehenden Druckes Aufschluss geben. DIE SPANNUNG IN DEN VORHÖFEN DES HERZENS U. S. w. 527 Um ohne jegliche Störung des Blutstromes zu einer Druckmessung im Inneren des -Verhofes zu gelangen, benutzte ich eine von Hrn. Pro- fessor 0. Ludwig angegebene Methode, deren Anwendung voraussetzt, dass das Herz sicher gebettet, und dass seine Blutfülle eine beschränkte sei. Das erstere lässt sich durch die Befestigung des gespaltenen Herz- beutels erreichen und die zweite Bedingung erfüllt die Durchschneidung des Halsmarkes. — Nach der Vollendung der beiden genannten Operationen zässt sich mit der federnden Pincette von dem blutleeren über den Körper des Vorhofes weit hervorragenden Herzohre leicht ein Stück abklemmen, in welches man ohne allen Blutverlust eine Canüle einbinden kann. Dem Gelingen dieses Vorhabens kommt es zu Gute, wenn man beachtet, dass die eingeschnittene Vorhofswand ungemein leicht einreisst, wodurch, wenn dieses geschieht, der gesammte Antheil der Wand aufgebraucht werden kann, an welchem das Unterband haften soll. Man eröffne des- halb ‚das Herzohr an seiner Spitze von vorne herein weit genug, damit sich die Canüle ohne Zerrung der Wundränder einfügen lasse. Beach- tenswerth ist auch die Gestalt, welche man der Canüle zu geben hat; an ihrem in das Innere des Vorhofes bestimmten Ende muss sie mit einem stark vorspringenden und möglichst schmalen Ringe enden. Weil sich die Oeffnung in der Vorhofswand immer weit anlegen lässt, so kann man durch sie auch das stumpf abgeschnitten Ende der Canüle leicht einbringen, dann aber bleibt bis zur absperrenden Pincette hin nur wenig Raum und die Vorhofswand gleitet während des Aufbindens, ihrer Steif- heit wegen, leicht von der Canüle ab. Darum muss der in die Höhlung eingeführte Abschnitt des Röhrchens kurz sein und ihr Rand, hinter welchem das Unterband zu liegen kommt, stark hervorspringen. Am entgegengesetzten Ende steckt über der Canüle ein Kautschuckröhrchen, durch das sie mit den Fortsetzungen des Manometers unter bekannten Cautelen verbunden wird, wobei unter Anderem auch darauf zu achten, dass der Vorhof nach der hergestellten Verbindung möglichst genau in seiner natürlichen Lage bleibt. Zu der Zeit, in welcher der Druck aufgeschrieben werden soll, darf - der Vorhof durch die ihm von aussen mitgetheilten Anstösse, wie sie z. B. von den künstlich respirirten Lungen oder den Kammersystolen ausgehen, nicht gegen die Brustwand gedrängt werden, sonst entsteht _ der Anschein rhythmischer Zusammenziehungen des Vorhofes, obwohl er in vollkommener Rühe verharrt. Befolgt man die gegebenen Vorschriften, so wird man sich davon überzeugen, dass die unversehrt gebliebenen Theile des Vorhofes und die Ventrikel während und nach Vollendung des Einsetzens der Canüle ganz in derselben Nee, wie vor dem Be- ginne der Operation weiterschlagen. 528 A. WALLER: Ist nun in Folge einer maximalen Reizung des Markes oder der Zuschnürung des Aortenanfanges ein Stillstand des Vorhofes erzielt, so zeigt das Manometer beidemale denselben Druck an, dessen Werth in verschiedenen Beobachtungen zwischen 20 und 30 "" Hg schwankt. — Nach diesen Messungen darf es als sicher gelten, dass der Vorhof sich während der Reizung des Rückenmarkes darum ruhig verhält, weil er durch den Druck des in ihm aufgestauten Blutes an seinen Zusammen- ziehungen verhindert wird. Ungewiss bleibt es dagegen, von welcher Seite her der hohe Druck kam, den das Innere des Vorhofes während der Reizung des Halsmarkes aufwies, namentlich ob dieses geschah, weil das Blut durch die mangelhaft geschlossenen Zipfelklappen aus dem contrahirten Ventrikel zurückdrang, oder darum, weil der Strom aus den Lungenvenen unter erhöhter Spannung ankam. Zur Beseitigung dieser Zweideutigkeit mussten gleichzeitig die Drücke im linken Vorhof und in der A. carotis gemessen werden. — Was nach anderen zahlreichen Beobachtungen in der A. carotis zu erwarten war, bestätigte der wieder- holt ausgeführte Versuch. Denn zur Zeit, wo der Manometer im Vorhof einen Druck von 20—30 ”® Hg. anzeigte, war die Ho-Säule von der A. carotis aus um hundert und mehr Millimeter emporgetrieben. Schon dieser grosse Unterschied der beiden Spannungen macht den Bestand einer offenen Verbindung zwischen den beiden Höhlen des linken Herzens während der Systole der Kammer unwahrscheinlich, aber erst vollständig widerlegt wird diese Unterstellung durch den zeitlichen Verlauf, wel- chen die Druckänderungen an beiden Orten aufweisen. Anfänglich wachsen, wenn auch mit ungleicher Geschwindigkeit, die Druckhöhen in beiden Manometern gleichzeitig, und zwar so lange, bis die Spannung im Vorhof auf ihr Maximum gelanst ist. Unterbricht man, wenn sich in dem zum Vorhof gehörigen Manometer nur noch die Athemschwan- kungen ausprägen, die künstliche Respiration, so zeichnet jetzt die Feder desselben eine mit der Abscisse parallele Linie auf. Während dessen sind in der Drucklinie, die von der A. carotis geschrieben wird, die Pulsschläge mit unveränderter Deutlichkeit sichtbar. Eine solche Unabhängigkeit des Vorhofs von den Druckschwankungen in der A. carotis wäre durchaus unmöglich, wenn die Klappen während der Systole des linken Ventrikels ihren Dienst versagten. Nach diesem Befunde muss der Druck, welcher im Vorhof herrscht, aus den Lungenvenen stammen. Deshalb ist es selbstverständlich, dass jeder Eingriff, welcher das Blut aus den Körpervenen zum Herzen drängt, — wie z. B. das Zusammenpressen der Unterleibseingeweide mit den Händen — die Schwellung des linken Vorhofes erhöht und be- schleunigt. Umgekehrt wird aber auch die Geschwindigkeit und der DIE SPANNUNG IN DEN VORHÖFEN DES HERZENS U. S. W. 529 Umfang, mit und bis zu welchen sich der linke Vorhof füllt, ein Zeichen für die Stromstärke in den Lungenvenen abgeben, verausgesetzt, dass der Widerstand, welcher in der Aorta besteht, unverändert geblieben ist. Auf Grundlage dieser Betrachtungen gewinnt der Versuch, in welchem man die Unterbindung der Aortenwurzel für sich allein oder gleichzeitig mit der Reizung des Halsmarkes vornimmt, eine Bedeutung, insofern er die Hinsicht in die Bedingung erweitert, durch welche der Tetanus des Rückenmarkes zu einer Ueberfüllung des linken Vorhofes befähigt ist. — Nach der Durchschneidung des Rückenmarkes und der Eröffnung der Brusthöhle sinkt nicht selten die Stärke des Blutstromes so tief herab, dass die linke Herzhälfte selbst nach dem Verschluss der Aortenwurzel kaum anschwillt, wahrscheinlich weil der Abfluss aus den Kranzarterien und der Zufluss aus den Lungenvenen her sich decken. Was alsdann der Umschnürung der Aorta für sich allein nicht gelingt, den Vorhof bis zum Stillstand zu schwellen, kann durch den Hinzutritt einer Reizung des Rückenmarkes erreicht werden. Sowie die letztere zu ‘ der wenig wirksamen Aortenunterbindung hinzukommt, mehrt sich der Umfang des Vorhofs, und öfter bis zu einem Grade, bei welchem er seine Zusammenziehungen einstellt. In Anbetracht hiervon unterliegt es wohl keinem Zweifel, dass die Reizung des Markes unter anderen Wirkungen auch die übt, den Strom aus den Körpervenen bis zum linken Herzen hin zu beschleunigen. Der von Slavjanski aufgestellte 'Satz,! dass während und ‚unmittelbar nach der Tetanisirung des Hals- markes das Blut aus den Körpervenen rascher zu dem rechten Herzen hinfliesse, ist somit dahin erweitert, dass dasselbe auch für die Lungen- venen und das linke Herz gelte. Auf diesen Zusatz lege ich deshalb Gewicht, weil nach den Beobachtungen Lichtheim’s? während der Reizung des Halsmarkes eine verminderte Stromstärke in den Gefässen der Lunge zu erwarten gewesen. Von dem Verhalten, welches der Blutstrom in .der linken Herzhälfte während der heizung des Halsmarkes aufweist, lässt sich nun eine ge- nügende Rechenschaft geben. Zuerst verengen sich die Abflusswege des Aortenstromes, ist dieses bis zu einem merklichen Grade geschehen, so reicht der bisher in der Aorta anwesende Druck nicht mehr aus, das Blut so rasch wie es anlangt, weiter zu fördern. Von diesem Augen- blicke an muss der Umfang der Aorta und damit die Spannung ihrer Wände zunehmen, was jetzt um so rascher geschieht, weil die Lungen- venen und somit auch der Ventrikel mehr Blut zuführen. So lange nun 1 Arbeiten der physiol. Anstalt zu Leipzig. Jahrg. 1874. 2 Die Störungen des Lungenkreislaufes u. s. w. Breslau 1876. S. 50. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 34 530 A. WALLER: der Druck in der Aorta gewisse Grenzen nicht übersteigt, gelingt es dem Ventrikel, sich bis zur vollständigen Entleerung seines Inhaltes zu- sammen zu ziehen. Gedieh aber der Widerstand, welcher dem Abflusse des Aortenblutes entgegentritt, wegen der bedeutenden Verengung der kleinen Arterien auf einen noch höheren Grad und nimmt in Folge hiervon der Druck in ihr noch über jene Grenzen zu, so ist nun auch der Ventrikel gegen Ende seiner Systole nicht mehr im Stande, die volle Entleerung zu erzwingen. Ihm verbleibt also beim Beginn der folgenden Diastole ein Rest an Blut, dessen Volum sich mit der Spannung des Aorteninhaltes verändert. In den theilweise noch erfüllten Ventrikel wird aber auch von dem Vorhofe her nur in dem Maasse Blut über- treten können, in welchem die Spannung seines Inhaltes von der des hereindringenden Stromes überboten wird. Hieraus folgt, dass mit der Grösse des Umfanges, welchen der Ventrikel am Ende einer Systole be- wahrt hat, auch die Stauung im Vorhofe zunehmen muss. Wie nun der Rest, welcher dem Ventrikel am Ende der Systole verbleibt, von den Widerständen im Aortenstrom bedingt, so wird andererseits die höchste Spannung, welche er am Ende einer Diastole erlangen kann, von den elastischen Kräften der Lungengefässe begrenzt werden. — Da in meinen Beobachtungen die Spannung in der Aorta niemals gross genug war, um den Contractionen des Ventrikels ein Ziel zu setzen, da sich dieser vielmehr während jeder Systole bedeutend verkleinerte, so musste er auch während seiner Diastole vom Vorhof aus eine merkliche Blutmenge empfangen haben. Man hätte demgemäss zu dieser Zeit ein Absinken des Druckes im Vorhofe erwarten sollen. Da aber während der maxi- malen Reizung des Halsmarkes trotz der Abgabe des zur Füllung des Ventrikels nöthigen Volums die Spannung in dem Atrium nicht unter den Werth sank, welcher die Verkürzung seiner Muskeln verhindert, ja, da nach den Angaben des Manometers der Druck im Vorhofe öfter gar keine Minderung erfuhr, so muss man annehmen, dass entweder die an den Ventrikel abgegebene Menge im Verhältniss zu der hierzu verfüg- baren sehr gering war, oder dass sie aus der arteriellen Seite der Lungen- sefässe augenblicklich wieder ersetzt wird. Um den Zustand, in welchem sich die Blutgefässe der Lungen während der Reizung des Halsmarkes befinden, auf ähnliche Weise wie den des Herzens auffassen, dazu reichen weder die Beobachtungen Badoud’s und Lichtheim’s, noch die, welche ich mitgetheilt habe, aus, weil in keiner derselben gleichzeitig der Druck auf der arteriellen und der venösen Seite der Lungenbahn bestimmt wurde Um die that- sächlichen Unterlagen, wie verlangt, zu ergänzen, habe ich zugleich in beide Vorhöfe je ein Manometer eingesetzt. Dem sewöhnlichen Ver- Die SPANNUNG IN DEN VORHÖFEN DES HERZENS U. S. w. 531 fahren, wonach die Canülle durch die obere Hohlvene in den rechten Vorhof eingeführt wird, habe ich ein anderes, die Einsetzung derselben in das rechte Herzohr vorgezogen, wobei ich nach den Vorschriften, die für die Benutzung des gleichnamigen linken Herztheiles aufgestellt wurden, verfuhr. Der Vorzug des Herzohres vor der oberen Hohlvene rechtfertigt sich darum, weil bei gleich leichter Ausführbarkeit der nöthigen Handgriffe durch die Wahl dieses Ortes jede Störung des Stromes in den Körpervenen vermieden wird. | Die Auskunft, welche das auf. diese Art eingesetzte Manometer ge- währt, beschränkt sich zunächst nur auf die Angaben über den Füllungs- grad des rechten Vorhofs; da dieser aber von dem Verhältnisse abhängt, welches zwischen den Geschwindigkeiten des Zu- und Abflusses aus den Körpervenen und in den rechten Ventrikel besteht, so können hieraus bei zweckmässiger Wahl der Umstände auch bindende Sehlüsse für den Widerstand abgeleitet werden, welche sich in den Blutgefässen der Lunge der Entleerung des rechten Ventrikels entgegensetzen. Die Bedingungen, unter welchen der Druck im rechten Vorhof gemessen wurde, stimmten mit den für den linken Vorhof gewählten überein. So lange das Manometer im rechten Vorhof des unangetasteten Thieres mündete, zeigte dasselbe keinen merklichen Druck an; dieses war von vornherein bei der sichtlichen Leere des Vorhofes zu erwarten. — Bei einer von 30 bis zu 60 Secunden andauernden Verschliessung der aufsteigenden Aorta stieg das Hg. entweder gar nicht oder nur wenige Millimeter über den Nullpunkt empor, so dass nach diesem Eingriff die Füllung des rechten gewöhnlich hinter derjenigen des linken Atriums zurückblieb. — Wurde durch die Umspannung des Unterleibes das Blut aus den Körpervenen zum rechten Herzen hingetrieben, so liess sich, wenn der Handgriff kräftig ausgeführt wurde, der Druck im Innern des Vorhofes bis zu 12 und 15 ”® Hg. emporbringen, aber es ging die zur rechten Herzhälfte geförderte Blutmasse so rasch in das linke Atrium über, dass fast unmittelbar mit dem Schwellen des Umfanges und dem Ansteisen des Druckes in dem rechten auch beides im linken Vorhof begann und hier nahezu dieselben Werthe wie in jenem erreichte. — Die Leichtigkeit, mit welcher die rechte Kammer das reichlich zuge- führte Blut durch die Lunge in das linke Herz hinübertrieb, trotzdem, dass hier wegen der stärkeren Füllung der Widerstand gewachsen war, prägte sich.noch deutlicher während der Tetanisirung des Rückenmarkes aus. Unter diesem Eingriff vergrösserte sich zunächst der Umfang des rechten Vorhofs und es stieg der Druck um einige Millimeter Hg., aber gleichzeitig bildete sich auf der linken Seite des Herzens der früher be-. schriebene Zustand aus; indess also die Blutfülle des rechten Vorhofes 34* 532 A: WALLER: sich stets in mässigen Grenzen hielt, der Druck in seinem Innern nie über 5”” hinausging und seine Wandungen ihre rhythmischen Contrac- tionen fortsetzten, schwoll der linke Vorhof strotzend an, der Druck in seinem Innern ging bis zu 20 und 30”® Hg. empor, und seine Zuckungen machten einer vollständigen Ruhe Platz. Dieser auffallende Unterschied im Verhalten der beiden Vorhöfe hielt viele Secunden hindurch, stets aber so lange an, als sich die Reizung des Rückenmarkes überhaupt wirksam erwies, — Da sich durch die Verknüpfung des Aortenschlusses mit dem Zusammenpressen der Körpervenen und der Reizung des Hals- markes der höchste Füllungsgrad und zugleich der Stillstand des linken Vorhofes mit Sicherheit erreichen lässt, so war es von Belang, das Ver- halten des rechten Atriums unter denselben Umständen zu prüfen. Nun konnten in ihm durch diese drei nach derselben Richtung hin wirkende Eingriffe allerdings die Füllung und der Druck höher als es sonst ge- lungen war, niemals aber so hoch emporgetrieben werden, dass die Muskeln seiner Wand ihre Zuckungen eingestellt hätten; ja es gelang nicht einmal, die Spannung im rechten Vorhof auf gleiche Höhe mit der zu bringen, welche im linken bestand. Während sie z. B. im erstern höchstens auf 22 ”” Hg. emporkam, betrug sie gleichzeitig im letzteren S36lnmaHo, Mit überzeugender Deutlichkeit sprachen diese Erscheinungen dafür, dass sich während der Tetanisirung des Halsmarkes in den Gefässen der Lunge kein Hinderniss entwickelt, welches den Uebergang des Blutes aus ihrer arteriellen in ihr venöses Ende so sehr erschwerte, dass der rechte Ventrikei unvermögend gewesen wäre, seinen Inhalt zu entleeren. Hätten sich, wie man aus der Drucksteigerung in der Lungenarterie ge- schlossen, die Muskelringe derselben während einer Reizung des Hals- markes verkürzt, so hätten in Folge hiervon die vor den verengten Arterien gelegenen Gefässräume, also auch namentlich das rechte Herz, in einen grösseren Schwellungszustand gerathen müssen, als die dahinter befindlichen, insbesondere als das linke Herz. Hiervon trifft nun aber, wie wir sahen, gerade das Gegentheil ein. Wollte man trotzdem an einer durch Muskelcontraction bedingten Verengung der kleinen Lungen- arterien festhalten, so müsste man mindestens zugeben, dass diese nur in einem Theile der letzteren entstehe, indess ein anderer Antheil der arteriellen Röhren durch den höheren Druck, welchen der rechte Ven- trikel entwickelt, in ungewöhnlichem Maasse ausgeweitet werde. Dieser . verwickelteren Annahme wird man, so lange sie nicht streng bewiesen ist, um so weniger Glauben schenken, als man aus ihr zu der Folgerung kommen würde, dass sich der Blutstrom in den Lungen gerade für den Fall sehr unzweckmässig anordnete, in welchem während des Lebens die » DIE SPANNUNG IN DEN VORHÖFEN DES HERZENS U. S. w. 533 ausgedehnteste und stärkste Reizung des verlängerten Markes zu Stande kommt. Bei hohem Grade von Athemnoth, auf welche ich eben an- spielte, werden die Muskeln der Respirationswerkzeuge zu rhytmischen und die Muskelringe der kleinen Körperarterien zu stärksten tetanischen Contractionen angerest. Erführen nun auch die Muskeln der kleinen "Pulmonatarterien die gleichen Anstösse und würde durch ihre Verengung der freie Zutritt zu den Capillaren der Lungenbläschen gehemmt, so böten die Veranstaltungen, durch welche ein ausgiebiger Luftwechsel in den Lungen und ein stärkeres Zuströmen von Blut zu dem rechten Herzen bedingt wird, auch nicht den geringsten Vortheil. Um wie vieles zweckmässiger muss es dagegen erscheinen, wenn bei der Athem- noth dem dunkeln Blute der Weg zu den Lungencapillaren offen bleibt, so dass es sich auf möglichst ausgedehnten Flächen mit der vorhandenen Luft berühren kann. Wie dem auch sei, jedenfalls muss sich der Druck, welcher sich während der Reizung des Halsmarkes im linken Vorhof einstellte, durch alle Gefässe der Lunge bis zur Ärterie hin fortpflanzen, da er seinen Ursprung einer Stauung verdankte. So lange diese vorhanden, wird jeder neue Zusatz von Blut nur dann in der Pulmonalarterie Platz finden, wenn er mit grösserer Gewalt als sonst eingetrieben wird. Da sich neben diesem Widerstande auch die Blutmenge vergrössert, welche dem rechten Herzen von den Körpervenen aus zufliesst, so könnte man vermuthen, es möchten die systolischen Kräfte des rechten Ventrikels nicht aus- reichen, um die Kammerhöhle vollkommen zu entleeren. Hiergegen ‘ sprechen jedoch die Angaben des Manometers; verbliebe nach vollendeter Systole in der rechten Kammer noch ein merklicher Blutrest, so würden in dem rechten Vorhof Spannung und Fülle nicht so tief sinken können. Die Stauung des Blutes, welche sich von den verengten Zweigen der Aorta aus durch das linke Herz und die Lungen hin erstreckt, findet also im rechten Ventrikel ihre Grenze — Mit dem Druck muss selbst- verständlich auch die Blutfülle der Gefässe gewachsen sein; in welchem Verhältniss zum Druck aber die Räumlichkeit der Gefässe zunimmt, ist nicht bekannt und: somit bleibt es in jedem einzelnen Falle unbestimmt, wie gross das Blutvolum ist, das auf Kosten des grossen Kreislaufes in den kleinen überging. Keinenfalls aber wird man das Blutvolum, wel- ches bei einer starken und verbreiteten Erregung der verengenden Ge- fässnerven von den Lungen aufgenommen werden muss, als gering ver- anschlagen dürfen. Denn es entledigen sich alle Bezirke, zu denen die sereizten und verensten Arterien hintreten, von einem grossen Theil ihres Blutes, ohne dass gleichzeitig eine entsprechende Schwellung der grossen Sammelvenen sichtbar würde. So wird es wahrscheinlich, dass 534 A. WALLER: DIE SPANNUNG IN DEN VORHÖFEN DES HERZENS U. S.W. die verdrängten Massen in die Lunge übertreten müssen, wo sie, wie die Beobachtungen von Cohnheim und Litten zeigen, in dem leicht er- weiterbaren Gefässraum Platz finden. Unter diesen Gesichtspunkten ge- winnen die elastischen Eigenschaften der Lunge eine wesentliche Be- deutung für den Kreislauf; denn jedesmal, wenn der linke Ventrikel gezwungen wird, unter erhöhtem Drucke zu arbeiten, muss er, um dieses zu können, reichlich und unter stärkerer Spannung gefüllt sein; dieser Bedingung ist aber nur dann zu genügen, wenn das Blut aus den er- weiterten Lungenvenen unter höherem Drucke hervorquillt. In den Lungenarterien dagegen darf die Spannung nicht so hoch anwachsen, dass es dem rechten Ventrikel unmöglich wird, sich zu entleeren, weil, wenn dieses geschähe, durch die nothwendig daraus folgende Stockung dem linken Ventrikel seine ohnehin grosse Aufgabe noch weiter er- schwert würde. Demgemäss hat man anzunehmen, dass die Elasticitäts- coefficienten der Lunge mit Rücksicht auf die Blutmasse und die Lei- stungsfähigkeit der Gefässnerven ausgeglichen seien. ” Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1873—79. I. Sitzung am 18. October 1878. Der Vorsitzende gab zuerst dem Trauergefühl Ausdruck, womit bei ihrer Wiedervereinigung nach den Ferien die Gesellschaft ein ihr durch tragisches Geschick entrissenes werthes Mitglied vermisst, und verlas folgende Aufforderung: Berlin, den 18. October 1878. Am 18. August d. J. fand Dr. med. Carl Sachs, Assistent am physiolo- sischen Institut der Berliner Universität, bei Besteigung des Monte Cevedale in Tirol den Tod. Die Wissenschaft erlitt in ihm einen höchst schmerzlichen Verlust. Nach- dem er sich wunderbar früh durch physiologisch-histologische Untersuchungen ausgezeichnet hatte, deren Bedeutung durch einen Facultätspreis anerkannt wurde, entsandte im Herbst 1876 die Königliche Akademie der Wissenschaften zu Berlin den erst zweiundzwanzigjährigen Jüngling auf Alexander v. Hum- boldt’s Spuren nach Venezuela zur Erforschung der Gymnoten. Den Gefahren solcher Reise glücklich entgangen, sollte es ihm nicht vergönnt sein, deren wissenschaftliche Ergebnisse den Fachgenossen in geschlossener Vollendung vor- zulegen. Aus eifrigstem Schaffen riss den begabten und begeisterten Jünger der Physiologie ein jäher Tod. Die unterzeichneten Freunde des Verewigten, die ausser dem vielverspre- chenden Gelehrten in ihm auch noch den liebenswürdigen, edelgesinnten und be- scheidenen jungen Mann hochschätzten, haben beschlossen, sein Andenken durch einen Grabstein zu ehren, welcher seine Ruhestätte bei Bormio zieren soll. Sie erlauben sich, hierdurch zur Betheilisung an einer für diesen Zweck bestimmten Sammlung ergebenst aufzufordern. Baumann. Boerner. E. du Bois-Reymond. Christiani. G. Fritsch. G@ad. Hirschberg. H. Kronecker. H. Michaelis. Senator. Th. Weyl. 536 VERHANDLUNGEN Hierauf macht Hr. EwaArp folgende kleinere Mittheilungen: 1) In seiner Arbeit: „Ueber die Transpiration des Blutes“ (in diesem Archiv, 1877, S. 208 u. ff.) war es dem Vortragenden nicht gelungen, eine Uebereinstimmung -zwischen den Ergebnissen seiner Versuche und denen Poiseuille’s in Betreff des sogenannten Transpirationscoöfficienten zu erzielen. Es ergab sich im Gegentheil für die Versuche, in denen Wasser durch gläserne Capillaren strömte, eine so erhebliche Differenz, dass, nach- dem verschiedene Modificationen zur Beseitigung derselben unternommen wor- den waren (S. 220— 222), Nichts übrig blieb, als die Rechnung in extenso der Prüfung des Lesers zu unterbreiten (S. 223), um Gelegenheit zur Auffin- dung eines etwaigen Irrthums zu geben. Inder That ist der Vortragende jetzt von befreundeter Seite, welcher, wenn sie auch ungenannt bleiben will, doch hiermit verbindlichst gedankt sein möge, auf den fraglichen Fehler auf- merksam gemacht worden. In der Formel: I Fe ande bedeutet & bei Poiseuille die in der Zeiteinheit strömende Flüssigkeitsmenge in Cubikmillimetern, während der Vortragende Zehntelcubikmillimeter gerechnet hatte. Berechnet man aus den sonstigen Daten und der im Versuche statt- sehabten Temperatur von 23°5 C. den Werth %, so erhält man rk 230.0 während es nach Poiseuille sein muss: & = 2206-7. Durch eine kleine Correctur des Werthes für % lassen sich beide Resul- tate noch mehr annähern. Unter % ist die Höhe der drückenden Quecksilber- säule in Millimetern verstanden (s. die Figur S. 212). Hierzu muss noch die Flüssigkeitssäule in der zu durchströmenden Capillare gerechnet werden, welche der Höhendifferenz zwischen dem vorrückenden Quecksilberniveau und dem Spiegel des Wassers in dem Kölbchen, welches zum Aufsammeln der transpirirten Flüssigkeit dient, entspricht. Dieselbe ändert sich allerdings in jedem Momente des Versuches, so zwar, dass sie fortschreitend kleiner wird, indessen wird man sie im Mittel auf 15—20”” Quecksilber rechnen und dem entsprechend den Gesammtdruck 3 ohne grossen Fehler von 363.75 auf 380-0 abrunden können. Alsdann erhält man k = 22699, was eine ausreichende Uebereinstimmung mit dem Peoiseuill’schen Werthe besagt. Der Vortragende hat übrigens diese Correctur in seiner Abhandlung, wo es sich um die Transpiration von Blut handelt, absichtlich nicht angebracht, weil er meint, dass der Reibungswiderstand dieser Flüssigkeit so gross ist, dass er den besprochenen Factor aufhebt. Bei der Wichtigkeit, welche dem Coöfficienten % innewohnt, indem er die Möglichkeit gewährt, die Gleichung 4 mh für beliebige Werthe der Variabeln nach jeder einzelnen Grösse hin aufzu- lösen, ist. die nun constatirte, Uebereinstimmung zwischen den Ergebnissen Poiseuille’s und denen des Vortragenden um so erfreulicher, als dadurch an ° den übrigen Resultaten, welche sich auf Verhältnisszahlen beziehen, Nichts ge- DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 537 ‚ändert wird. Der Werth von % ergiebt sich für Blut aus den S. 224 ange- sebenen Werthen einfach durch Verrückung des Komma’s um 2 Stellen nach rechts und liegt demnach abhängig von dem verschiedenen specifischen Gewicht zwischen 421-4 und 352-8. IE 2) Eine Angabe von Schiff (Archiv f. Heilkunde III, 271, Berner Be- richte 1862) behauptet das Unvermögen der Eiweissverdauung durch das Pan- kreas nach Milzexstirpation. Obgleich Versuche von Lusanna und Schin- deler mit den Infusen der Bauchspeicheldrüse entmilzter Hunde die vollstän- dige Wirksamkeit derselben auf Eiweiss zeigten, hat Schiff dennoch seine Behauptung für Eiereiweiss und Fibrin aufrecht erhalten (Zo sperimentale 1870). In Anbetracht der von Heidenhain bekannt gegebenen Thatsache, dass sich im Pankreas eine Vorstufe des Fermentes, das Zymogen, befindet, welches erst in wässriger Lösung der Drüse oder auch beim blossen Liegen in das wirk- same Ferment umgewandelt wird, war die Möglichkeit immerhin gegeben, dass das Pankreas nach Milzexstirpation keinen wirksamen Saft absondere, etwa nur Zymogen enthalte, und der positive Erfolg in den Versuchen von Mosler (Schindeler) und Lusanna der Methode der Infusbereitung zugeschrieben werden müsse. Der Vortragende führte deshalb, gelegentlich seiner Vorlesungen über die Physiologie und Pathologie der Verdauung, die Entmilzung eines grossen Hundes aus und legte 6 Tage später, als das Thier sich vollkommen wohl be- fand, eine Pankreasfistel an. Das Thier war in der Verdauung und es wurden in 3 Stunden etwas über 20°" Saft gesammelt. Derselbe war dünnflüssig, kaum fadenziehend, ganz schwach opak, reagirte schwach alkalisch. Es wurden mit Mengen von 3—7°°” des Saftes (theils mit, theils ohne Zusätz von einigen Tropfen Sodalösung) gerounenes Eiweiss in Würfel geschnitten, Fibrin aus Rinds- blut und 50— 100°” einer 2procentigen Stärkelösung in verschiedenen Ver- hältnissen (im Ganzen acht Proben) bei Körpertemperatur angesetzt. Nach 6 Stunden war das Fibrin ganz gelöst, die Eiweisswürfel an den Kanten ge- - lockert, die Stärke vollständig in Dextrin und Zucker umgewandelt (Probe mit Jod, Trommer’sche Probe, Gährung). In den eiweiss- und fibrinhaltigen Flüs- sigkeiten war überall eine deutliche resp. starke Peptonreaction mit Kupfer- sulfat und Natronlauge zu constatiren. Später verschwand dieselbe unter reich- licher Entwickelung von Bacterien und Spaltpilzen und dem Auftreten schwachen Fäulnissgeruches. Mit Fett geschüttelt gab der Saft eine vorzügliche und lange sich haltende Emulsion. Auch der Gad’sche Emulsionsversuch war nach Zu- satz von etwas Soda gut demonstrirbar. Beim Erwärmen wurden aus neutralem Fett und Saft Fettsäuren abgeschieden. Vier Wochen später wurde das Thier, dessen Fistel sich wieder geschlossen hatte, getödtet und durch die Section der vollständige Verlust der Milz resp. das Fehlen einer Nebenmilz nachgewiesen. Durch diesen Versuch, scheint dem Vortragenden die Haltlosigkeit der Schiff’schen Angaben definitiv erwiesen. 3) Bespricht der Vortragende einen Vorlesungsversuch, um mit Hülfe von wechselnden Injectionen von Pilocarpium muriaticum, Atropin und Eserin die von Heidenhain entdeckte Wirkung der letztgenannten Gifte auf die Speichel- drüse zu-demonstriren. Vortragender hat den Heidenhain’schen Versuch mit elektrischer Reizung der Chorda und des Sympathicus und Atropin- resp. Eserin- injection wiederholt als Vorlesungsversuch ausgeführt und kann die Angaben dieses Forschers nur pure bestätigen. Folgendes Versuchsprotocoll wird ver- 538 VERHANDLUNGEN lesen: Mittelgrosser Hund, rechter Speichelgang mit einer Canüle montirt, Chorda und Sympathicus frei gelegt. 12° 30”®®" Pilocarpin in die Vene des Fussrückens 4—5 Tropf. in 10 Secunden; 12% 15.72". Atropin ebendaselbst injieirt. Vollständiger Stillstand der Secretion. 12% 30.16” Pilocarpin ohne Erfolg. 12" 45 Sympathicusreizung giebt Sympathicus Speichel. Reizung der (undurchschnittenen) Chorda ohne Erfolg. 1° 30.72" Eserin. Darauf 2—-3 Tropf. Speichel (wahrscheinlich Reste des sympathischen Secretes). Starkes Zittern des Thieres. Klonische Krämpfe. 1% 45.20""8" Pjlocarpin. - Darauf lebhafte Seeretion von 3—4 Tropfen in je 10 Secunden. - Zum Zweck eines einfachen -Vorlesungsversuches fällt die Präparation der Chorda und event. des Sympathicus fort. 4) Bestätigt der Vortragende die Angaben des Hrn. Solana (Jhrb. f. Kinderheilkunde, Bd. XI, Hft. I.) betrefis des Verhaltens des Vagus bei Neu- geborenen. Er war durch Zufall in Besitz von eben geworfenen Hündchen ge- langt. Die Thiere wurden curarisirt, die künstliche Respiration eingeleitet, die Vagi freigelegt, das Herz -durch ein Fenster im Thorax beobachtet und die Schlagfolge an einer aufgelesten Schweinsborste, die ihr Hypomochlion auf der Thoraxwand hatte, gezählt. Drei Versuche mit übereinstimmendem Ergebniss. Als Beispiel: Frequenz vor Vagusfreilegung 96, nach Abbindung des 1. Vagus 96, nach Abbindung des r..Vagus 96, nach Durchschneidung des linken 96. Ströme, welche auf der Zunge nicht mehr erträglich sind (1 Bunsen) bringen eine Verlangsamung von 60—68 zu Stande nach Reizung von je !/, Sekunde. Bei gegeneinandergeschobenen Rollen tritt eine Verlangsamung auf 48—54 ein. Rechts trat der Effect etwas früher wie links ein, indessen schien dem Vor- tragenden dieses Resultat weder so constant noch so deutlich wie es Soltmann angiebt. Der Vortragende macht auf die Bedeutung dieser Versuche für die Patho- logie der Geburt aufmerksam, bei welcher die Geburtshelfer die Abnahme der foetalen Herzfrequenz bei Verzögerung des eingeleiteten Geburtsgeschäftes, Compression der Nabelschnur u. d. m. auf centrale Vagusreizung durch das ungelüftete Blut beziehen. II. Sitzung am 1. November 1878. Hr. Lirtex hält seinen angekündigten Vortrag: „Ueber den hämor- rhagischen Infarkt und die durch arterielle Anämie erzeugten Nekrosen.“ Der Vortragende berichtet zuerst über Versuche, welche er anstellte, um die Circulationsverhältnisse in der Niere kennen zu lernen: 1) Isolirte Unter- bindung der Vene führt zu enormer Gewichts- und, Grössenzunahme des Organs sowie zu Blutungen per diapedesin und rhexin. Bei dauernder Ligatur ver- fällt das Organ allmählich einer Atrophie und weiteren, später zu besprechenden Ernährungsstörungen. Lässt man die Ligatur nicht zu lange liegen, so dass namentlich keine Blutungen entstehen, so gelingt es bei geeigneter Behandlung treffliche Injectionspräparate zu erhalten, die auch namentlich für die Verthei- lung der Lymphgefässe von Interesse sind. 2) Unterbindet man gleichzeitig neben der Vene auch die Arterie, so schwillt das Organ stets bedeutend an und erreicht nach zweistündiger Dauer schon enorme Zunahme des Gewichts DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 539 und der Grösse. Blutungen bleiben dabei niemals aus. Führt man dieselbe Operation auf beiden Seiten aus -und zerreisst gleichzeitig auf einer Seite den Splanchniecus, so schwillt das Organ dieser Seite beträchtlicher an, als das derjenigen Seite, auf welcher der Splanchnicus intact ist. Dass das Blut, wel- ches die Anschwellung des Organs bewirkt, von arterieller Seite geliefert wird, geht daraus hervor, dass Kaninchen mit unterbundener A. renalis noch an gewissen Abschnitten der Niere das in’s Blutgefäss eingespritzte Indig- carmin. secerniren, obwohl kein Harnwasser durch die Glomeruli hindurch- filtrirt. Diese Ausscheidung des Indigcarmins durch die Epithelien der Tubuli contorti ist ein wirklicher Seeretionsvorgang und bedarf zum Zustande- kommen des arteriellen Blutes. Man findet bei diesen Bläuungsversuchen einen blauen Streifen unter der Kapsel und einen zweiten, nahe der Grenzschicht des Marks gelegenen. Ueberall sonst ist das Organ .diffus blassblau gefärbt, ohne jede Spur einer erkennbaren Kerntinction. Die arteriellen Anastomosen schei- nen daher doppelten Ursprungs zu sein. Erstens treten sie durch die Nieren- kapsel zur Niere. Dafür spricht der blaue subcapsuläre Secretionsstreif und ferner der Versuch, dass das Organ mächtig anschwillt, wenn man den ge- sammmten Hilus unterbindet. Der zweite Seeretionsstreif scheint indess darauf hinzuweisen, dass noch andere arterielle Zuflüsse vorhanden sind. Dieselben kann man dadurch nachweisen, dass man bei abgezogener Kapsel Arterie und Vene gleichzeitig unterbindet. Da bei dieser Versuchsanordnung das Organ ebenfalls viel grösser und schwerer wird, so müssen noch andere arterielle Stämmchen zur Niere treten. Da aber ferner alle übrigen Zuflüsse abgesperrt sind, mit Aus- nahme derjenigen des Ureters, so müssen jene im Harnleiter selbst verlaufen und aus den Aa. spermat. ihren Ursprung nehmen. — Bei Kapselabziehung und gleichzeitiger Hilusunterbindung bleibt die Niere in Betreff ihrer Grösse und des Gewichts unverändert. 3) Unterbindung der Aa. renalis allein. Hier sind zwei Fälle möglich: entweder die A. renalis ist keine Endarterie, d. h. der Druck, der im Gebiet der kleinen Anastomosen herrscht, ist grösser als der geringe Druck, welcher in der V. cava inf. vorhanden ist, so wird das Organ in normaler Richtung von einem ganz geringen Strom -durchflossen werden, und nach einiger Zeit unverändert, nur anämisch sein; oder die Arterie verhält sich wie eine Endarterie, d. h. die arteriellen Zuflüsse, welche nach der Ligatur des Stammes zur Niere treten, sind so gering, dass rückläufig Blut aus der V. cava eintreten kann, so schoppt sich das Organ innerhalb einiger Zeit (etwa 2 Stunden) bedeutend mit Blut an und zeigt unter dem Mikroskop eine abnorme, pralle Injection der Venen und Capillaren. Blutungen, vorzugsweise in die gestreckten Kanälchen des Marks kann man nach zwei Stunden oft beobachten. Stets findet man alsdann das Organ vergrössert, schwerer und sehr blutreich. Dass das Blut von der V. renalis hineingeflossen ist, geht daraus hervor, dass man eine deut- liche Abstufung der Hyperämie nach Zonen constatiren kann. Vom Hilus nimmt die Injection nach der Kapsel zu allmählich ab, obschon die Glomeruli auch noch prall injieirt und theilweise durch ergossenes Blut von der Kapselwand abgedrängt sind. Die Möglichkeit, dass das Blut auf andere Weise zur Niere gekommen »ist, wird dadurch ausgeschlossen, dass man denselben Effect erzielt, wenn man die Niere aus allen ihren Verbindungen löst und nur noch vermittelst der V.-renalis mit dem Thier in Verbindung: lässt. Auch dann findet man das Organ stets bedeutend vergrössert (namentlich im Dieckendurchmesser) und enorm hyperämisch; Blutungen sind auch in diesem Fall zuweilen vorhanden, 540 VERHANLUNGEN Es fragt sich, wie kommen diese Blutungen einmal bei unterbundener Ar- terie und andererseits bei gleichzeitiger Unterbindung der Arterie und Vene zu Stande. Nach Cohnheim beruhen sie auf einer Desintegration der Gefäss- wände, welche in den Capillaren und kleinsten Venen eintritt, wenn dieselben einige Zeit lang nicht in normaler Weise durchströmt werden. Ist nun eine Endarterie verschlossen, so dauert es nach Cohnheim einige Zeit, bis der rückläufige Venenstrom das Gebiet füllt; inzwischen ist die Desintegration der Gefässwände vollendet, und es tritt Blut durch dieselben ins Gewebe... Nach des Vortragenden Ansicht muss der Venenstrom, falls eine wirkliche End- arterie verschlossen ist, sofort eintreten. Dies lehrt auch beim Warmblüter das Experiment, denn kurze Zeit nach der Unterbindung der A. renalis ist das Organ schon häufig injieirt. Ferner lehrt der Versuch, dass diese Injection auf rückläufigem Wege eine .bedeutende Grösse erreichen kann, so dass die Capillaren sehr stark erweitert sind. Wenn der Druck in den letzteren auch bei diesen Versuchen notorisch niemals diejenige Höhe erreichen kann, welche er vor Unterbindung der Arterie hatte, so ist jedenfalls die Füllung und Ausdehnung der Capillaren eine ausserordentlich verstärkte. Dass aus diesen überfüllten Capillaren Blutkörperchen austreten, beruht nach des Vortragenden Ansicht auf mechanischen Gründen und bedarf zum Zustandekommen nicht nothwendigerweise der Annahme einer Gefässdesorganisation, gegen welche andere Versuche zu sprechen scheinen. Unterbindet man z. B. die Nierenarterie vier Stunden lang auf Leder und Öffnet dann die Ligatur, so dass der arterielle Blutstrom frei zufliessen kann, so bekommt man keine Hämorrhagien, obwohl in diesen vier Stunden reichlich Zeit zur Des- integration der Nieren gewesen wäre. Da ich aber bei meinen anderweitisen Unterbindungsversuchen die Blutungen zuweilen bereits nach einstündiger Dauer fand, so liest darin jedenfalls der Beweis, dass die Gefässdesintegration ent- weder nichts Constantes ist oder dass auch ohne sie aus über die Norm ge- füllten Capillaren Blutkörperchen austreten können, ähnlich wie es Cohnheim für die Stauung gezeigt hat, nur dass in letzterem Fall abnorme Widerstände und abnormer Druck vorhanden sind. Dass bei ligirter Arterie trotz des ge- ringen in der V. cava herrschenden Druckes eine so hochgradige Niereninjection möglich ist, wie sie durch das Experiment erzeugt wird, bringt der Vortragende in Zusammenhang mit den prallen Lymphgefässinjeetionen, welche man durch constanten, sehr niedrigen Druck erzielen kann. Wenn man bei einem Kaninchen eine Nierenarterie vorübergehend (etwa zwei Stunden) auf Leder unterbindet und das Thier dann leben lässt, so bekommt man kolossale Veränderungen der Niere, ohne dass an den Gefässen eine Spur von Veränderung nachweisbar wäre. Man kann bei einem derartig operirten Thier am 3. oder 5. oder 10. Tage oder noch später eine Selbstinjection vor- nehmen, stets nimmt das Organ die betreffende Farbe diffuse an, ohne dass eine distinete Färbung eintritt — ein Beweis, dass die Niere in normaler Weise durchströmt wurde; niemals ferner traten bei diesen Versuchen ge- färbte Extravate etc. auf; nichts spricht dafür, dass die Gefässe irgendwie gelitten hätten. Und doch finden wir bei diesen Versuchsthieren jedesmal Nekrose. Eine einmalige zweistündliche Unterbindung der Nierenarterie genügt, um das Organ sicher zum Absterben zu bringen. Schon 24 Stunden nach der zeitweiligen Ligatur findet man fast alle gewundenen Kanälchen undurchgängig, mit Cylindern vollgestopft. Die Epithelien sind hochgradig verändert, sie sind gequollen, hyalin, zum Theil zu grossen Schollen verschmolzen, welche die DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 541 peripheren Zonen des Cylinders bilden; die centralen Zonen dieser Cylinder werden constant aus einem feinen Netz feinster Fäden gebildet, welche aus Fibrin be- stehen. Diese fibrinösen Ergüsse in die Harnkanälchen (Croup) bilden sich, sobald die Wandungen derselben des Epithels beraubt sind. Somit bestehen diese Cylinder aus zwei Substanzen, einer peripheren epithelialen und einer centralen fibrinösen. Beide verhalten sich gegen dieselben Färbemittel diffe- rent. Die Kerne der Epithelien fehlen fast überall, hin und wieder sieht man Kernbröckel; niemals gelingt es noch um diese Zeit, die Kerne durch Färbemittel darzustellen. Dieselben sind bereits 24 Stunden nach dem kurz- dauernden Eingriff abgestorben und unsichtbar. In den hyalinen Epithelschollen sieht man einzelne glänzende, stark lichtbrechende Körnchen liegen, welche sich in Säuren lösen. — Lässt man die Thiere 48 Stunden nach der zweistündigen Ligatur leben, so findet man dieselben Veränderungen ausgesprochen; einzelne Epithelien sind weniger scharf zu erkennen; sie sind zu hyalinen Cylindern verschmolzen. Dagegen finden sich die erwähnten Krümel in grosser Anzahl, und stellenweise sind dieselben zu grossen glänzenden Massen zusammengetreten, welche alle Charaktere des Kalkes erkennen lassen. Dieselben finden sich überall wo Nekrosen sind, sei es im Mark oder in der Rinde. In den Infarcten umgeben sie die Peripherie mit makroskopisch sichtbarem weissem Saum. Wartet man drei Tage nach der Operation, so findet man die Nekrosen fast vollständig verkreidet, und so geht ‘die Petrification weiter, bis die Nieren fast mit einer Kalkschale umgeben sind. Der Kalk findet sich natürlich nur da, wo das Blut zufliessen kann, also nicht im Inneren von Infarcten etc. Es fragt sich, ob diese Verkalkungen aus dem alkalischen Kaninchenharn niedergeschlagen sind, oder ob dieselben auf chemischem Wege erfolgt sind, d. h. ob das todte Eiweiss, welches die organische Grundlage der Kalkeylinder bildet, eine chemische Verwandschaft zum Kalk hat, denselben. aus dem Blut angezogen und mit ihm ein unlösliches Kalkalbuminat gebildet hat. Gegen die erstere Ansicht spricht sehr viel; niemals verkalken die Glomeruli auch nur spurweise, obwohl man hier die Verkalkung am ehesten erwarten sollte; ferner findet man auf grossen Nierenschnitten, dass die geraden Kanälchen des Marks vollständig verkalkt sind, obwohl die dazu gehörige Partie der Rinde total mit Cylindern vollgestopft ist. Es ist ganz undenkbar, dass in diesen mit Cylindern ausgestopften Kanälchen Harn herunter geflossen sein könnte, abgesehen davon, dass eine solche Niere überhaupt nicht mehr secernirt. Die Annahme einer chemischen Attraction des todten Eiweiss zum Kalk erscheint als die natürlichere; für sie spricht noch folgender Umstand: dieselben Nekrosen, welche die Attraction zum Kalk haben, haben ebenfalls eine enorme Anziehung zum indigschwefelsaurem Natron. Legt man Schnitte von diesen nekrotischen und verkalkten Nieren in alkalische oder neutrale Lösungen von Indigcarmin, so färbt sich Nichts ausser denselben nekrotischen Partien, welche Kalk angezogen haben. — An diesen Veränderungen nehmen nicht alle gewundenen Kanälchen in gleicher Weise Antheil; einige Ab- schnitte derselben bleiben erhalten, wenn die Arterie zwei Stunden abgesperrt war. Dies hängt jedenfalls von dem Vorhandensein kleiner arterieller Anastomosen ab. Wenn diese das Organ auch nicht auf die Dauer ernähren können, so genügen sie doch, um gewisse Abschnitte der Niere zeitweise vor dem Absterben zu bewahren. — Diese histologisch nachgewiesene Nekrose muss sich natürlich auch durch das Fehlen der normalen Function nachweisen lassen, denn dass eine Niere, welche der- artige Veränderungen erleidet, nicht normal functioniren kann, liegt auf der Hand, 542 VERHANDLUNGEN Unterbindet man die A. renalis vorübergehend zwei Stunden lang und spritzt dann Indigcarmin in die V. jugularis, so findet man, dass nur sehr wenige Theile der Niere den Farbstoff ausgeschieden haben, nämlich nur diejenigen, welche später nicht nekrotisch werden. Macht man denselben Versuch 24 Stunden nach Lösung des Ligatur, so kann man dies vortrefilich demonstriren; überall wo blaue Kernfärbung eingetreten ist, zeigt sich die Niere unverändert; überall da, wo dieselbe fehlt, findet man hochgradige Nekrose. Um zu eruiren, ob alles nekrotische Eiweiss sich der Verkalkung gegen- über gleich verhält, erzeugte ich bei Kaninchen nach der Methode von Gergens dadurch Nekrosen, dass ich eine Lösung von neutr. chromsaurem Kali subeutan injieirte. Wenn ich das Thier am vierten oder fünften Tage nach der Ein- spritzung tödtete, so fand ich ausgedehnte Nekrose, aber keine Spur von Ver- kalkung. Allerdings war auch mikroskopisch die Form der Nekrose eine andere, wie in jenen ersten Fällen, und es folgt daraus, dass man nicht die Nekrosen sammt und sonders confundiren darf. Diejenige Modification des Eiweiss, welche bei der anämischen Nekrose auftritt, ist eine andere als diejenige, welche wir bei der Chromnekrose beobachten. Die erstere hat eine hohe Verwandschaft und Attraction zum Kalk und zum Indigcarmin, die letztere dagegen absolut- nicht. Es beweist dies, dass das todte Eiweiss, welches in beiden Fällen ent- ‚steht, chemisch different ist. Dieselben Nekrosen, welche ich nach zeitweiliger" Arterienligatur erhielt, resultiren auch nach gänzlicher Venenligatur, oder zeitweiliger Arterien- und Venenligatur. Das Bestimmende und Maassgebenhe dabei ist die arterielle Anämie, und diese genügt schon in zwei Stunden, um eine Niere total zum Untergang zu bringen, zu einer Zeit, wo an den Gefässen eine Alteration nicht nachweisbar ist. In ähnlicher Weise verhalten sich die übrigen drüsigen Or- gane, während Muskel die arterielle Anämie viel länger ertragen können. Die epithelialen Gebilde sterben viel früher ab, als die bindegewebigen, wobei die Function und die Blutvertheilung immer das Maassgebende sind. Drüsen, welche an reichliche Durchströmung gewöhnt sind, werden eine selbst kurzdauernde Absperrung nur kurze Zeit nicht ertragen können, während die gefässarmen Fascien, Sehnen und das Periost ihrer Cireulation sehr lange beraubt sein können, ohne abzusterben. III. Sitzung am 15. November 1878. 2. Hr. Fritsch hält seinen angekündigten Vortrag: „Ueber Abbe’s Beleuchtungsapparat.“ Wohl keine Frage hat in den medicinischen Wissenschaften gerade jetzt eine solche Bedeutung gewonnen und soviel Streit veranlasst, als diejenige über das Wesen und den Einfluss der pathogenen Bakterien. Dass dabei von beiden sich gegenüberstehenden Parteien gelegentlich zu weit gegangen wurde, kann keinem Zweifel unterliegen. In dieser Ueberzeugung müssen wir mit besonderer Freude Alles begrüssen, was geeignet ist, den schwankenden Angaben der Autoren eine festere Basis zu verschaffen. Ku Zwei Herren sind es besonders, welche sich neuerdings in dieser Hinsicht De DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 543 ein hervorragendes Verdienst erworben’ haben, das- ist Hr. Kreisphysicus Koch in Wollstein und Prof. Brefeld, zur Zeit in Neustadt, durch ihre Be- mühungen die Entwickelung und Umbildung der Bakterien nachzu- sehen. Auf die Arbeiten des erstgenannten Herrn möchte ich, von ihm selbst autorisirt, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft speciell richten und hoffe insofern eine erwünschte Ergänzung zu der von ihm in Aussicht gestellten Publication seben zu können, als Hr. Koch mich zu diesem Zwecke mit einer Anzahl maassgebender Originalpräparate ausgestattet hat. So dürfte die eigene An- schauung besser als alle Ausführungen die Fortschritte des genannten Autors zur Kenntniss bringen. Nachdem er bereits in früheren Publicationen ! interes- sante Züchtungsversuche mit Bakterien mitgetheilt und den sicheren Nachweis der Uebertragbarkeit des Milzbrandes durch Impfung -bei Benutzung von Impf- stoffen, die reife Sporen des Bacillus anthracis enthielten, geliefert hatte, (in der Darstellung des Modus der Keimung selbst dürfte Brefeld glücklicher- gewesen sein), erwarb er sich weitere Verdienste um die graphische Darstel- lung der so diffieilen, an der Grenze der Sichtbarkeit stehenden Körperchen auf photographischem Wege. Schon hierdurch wurde die Verständigung mit anderen Autoren und die Möglichkeit einer kritischen Gruppirung und Unterscheidung der Formen wesent- lich gefördert. Seitdem war nun sein Bestreben hauptsächlich darauf gerichtet, der Ver- breitung der pathogenen Bakterien in den Geweben nachzugehen und Methoden zu ersinnen, den sicheren Nachweis des Vorhandenseins oder Fehlens derselben zu führen. Ich glaube, man darf zugestehen, dass seine Bemühungen darin von erheblichem Erfolge gekrönt wurden, und dass die Resultate besonders des- halb von schwerwiesender Bedeutung sind, als sie zeigen, wie schwierig in der That die Sichtbarmachung der minimalen Körperchen in dem infieirten Gewebe ist und wie wenig Glauben die zahlreichen in neuerer Tagesliteratur herumwimmelnden Bakterien verdienen! Ein wesentliches Moment für die Erreichung dieses Zieles beruhte in der Benutzung eines bereits seit dem Jahre 1873 beschriebenen aber sehr wenig in Gebrauch gelangten Beleuchtungsapparates des Prof. Abbe in Jena. Die geistvollen theoretischen Erörterungen über die rationellste Beleuchtung mikro- skopischer Objecte,, welche Hr. Abbe in seinen Abhandlungen (Arch. für mikroskopische Anatomie Bd. IX 1873) niederlegte, hätten wohl in weiteren Kreisen die verdiente Würdisung gefunden, wenn er dabei einen weniger ab- straeten, allen bisherigen Beleuchtungsmethoden entgegentretenden Standpunkt eingenommen hätte. Bei der Art und Weise, wie das Mikroskop stets ange- wendet wurde und wohl angewendet werden wird, (begrenzte Lichtquellen u. s. w.) treffen die Grundbedingungen, auf die Abbe seine mathematischen Erörterungen gründete, nicht immer zu und lassen durchaus correete Ausführungen unter Umständen in zweifelhaftem Lichte erscheinen. Der Grundgedanke, welcher zur Construction des Apparates führte, ist’ etwa so zu präcisiren, dass ein Punkt, welcher sich unter dem Einflusse einer möglichst allseitig auf ihn einwirken- den Lichtquelle wie z. B. unter dem freien Himmelsgewölbe befindet, so viel Strahlen erhält und aussendet als möglich ist; ein derartiges Arrrangement der Beleuchtung also die ausgiebigsten Strahlenkegel liefert. Um dieser Anforde- I F. Cohn’s Beiträge zur Biologie der Pflanzen. Bd. II. Heft 2 u. 3. 544 VERHANDLUNGEN rung zu genügen, erhielt der Apparät ein etwa halbkugeliges Linsensystem, welches so in den Öbjectivtisch eingesetzt wurde, dass die plane Fläche dessel- ben dicht unter dem Object lagert; unter dem Linsensystem befindet sich als unbegrenzt gedachte Lichtquelle ein grosser Planspiegel, welcher von vorn in allen Richtungen Licht empfängt und aussendet. Die darunter in radialer Richtung auf die Halbkugel treffenden Systeme werden ungebrochen dem Mittel- punkte zugeführt und hier vereinigt sich also dem darüber befindlichen Object zuströmend. eine grosse Quantität Licht. Zur mannigfachsten, sehr genau be- stimmten Ausnutzung dieses Lichtüberflusses dient nun eine zwischen Spiegel und Linse angebrachte Blendenführung, welche um eine seitlich stehende senk- rechte Axe drehbar und gleichzeitig durch Zahn und Trieb verschiebbar ist, so eine willkürliche Stellung der eingefügten Blende erlaubend. Dieser einfache aber sinnreiche Apparat giebt bei Verwendung entsprechend ausgeschnittener Cartonblenden die mannigfachsten Combinationen verschieden einfallender Strahlenkegel, deren relatives Verhältniss und Stellung zueinander nach Herausnahme des Oculars im Oeffnungsbilde des Objectivs festgestellt werden kann, und gewährt dadurch die Möglichkeit, die Objective auf ihre Correctionen in den einzelnen Linsenzonen zu prüfen. Es geschieht dies, bei- läufig bemerkt, durch Einstellen auf Probetäfelchen, die scharf conturirte Liniensysteme, hell auf dunkel, enthalten (mit der Theilmaschine eingeschnittene Linien in unendlich feiner Silberschicht). Das mit voller Objectivöffnung scharf eingestellte Bild darf durch das nachfolgende, theilweise Abblenden bei gut corrigirtem Objeetiv keine Aenderung in den Umrissen oder in der Einstellung erfahren. Ein anderer Nutzen des Beleuchtungsapparates beruht darin, dass beim Einfügen einer die centralen Strahlen ausschliessenden Blendung und entsprechen- der Abblendung der peripherischen Zonen im Objectiv das Object hell auf dunkelem Grunde erscheint, indem es durch die ganz seitlich einfallenden Strahlen selbstleuchtend wird (sogenannte Deckglasbeleuchtung). Um nun den Nutzen des Apparates für die Bakterienuntersuchung zu ver- stehen, muss man sich vergegenwärtigen, wie ein mikroskopisches Bild im durchfallenden Lichte überhaupt zu Stande kommt. Dabei concurriren wesent- lich drei Momente: Erstens Unterschiede in der Durchlässigkeit oder verschie- denem Brechungsvermögen benachbarter Stellen des Objectes für Licht und damit zusammenhängende Schlagschattenwirkung; zweitens Unterschiede im Farbenton der 'Theilchen des Objectes; drittens Lichtwirkungen, die durch zwischen feinen Zeichnungen sich bildende Interferenzen der Lichtstrahlen entstehen. Das erst- genannte Moment muss am kräftigsten wirken bei möglichst enger Blenden- öffnung, wo die Reduction der Zerstreuungskreise noch Details, die dem eigent- lichen Focus fernliegen, mit deutlichen Umrissen erscheinen lässt. So erhält man ein dunkelconturirtes, kräftig gezeichnetes Structurbild des Objectes von geringer Helligkeit, wo die reiche Detaillirung der Umrisse, die Schattenwirkung und Diffraction an den Kanten der elementaren Theile alle grösseren Feinheiten völlig überdeckt. In solchem Bilde die kleineren Bakterienformen sehen zu wollen, heisst beinahe ebenso viel als Sandkörner, die in ein Dintenfass gefallen sind, mit den Augen suchen. Und doch wird in 8 von 10 Fällen in dieser Weise danach gesucht. Gröbere Formen lassen sich freilich auch so, doch ‚„ Immer nur undeutlich, erkennen. Das Mitwirken von Interferenz der Liehtstrablen für das Zustandekommen DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 545 bestimmter, regelmässiger Zeichnungen im mikroskopischen Bilde ist wohl von Abbe am schlagendsten dargethan worden, indem er auf die im Oeffnungsbilde erscheinenden, durch die Interferenz erzeugten Spectra hinwies und zeigte, wie man in überraschendster Weise durch Hinwegnahme der betreffenden Strahlen- systeme (Einlegen von Blendenausschnitten in’s Objeetiv) die kräftigsten Zeich- nungen auslöschen könne. Zum Zustandekommen solcher Lichtwirkungen ist eine beträchtliche Neigung der in’s Objectiv eintretenden Strählen unerlässlich, denn nur wenn sie schräg gegen die Liniensysteme treffen, wird der Gang der einzelnen Bündel genügend verzögert, um die Interferenzen entstehen zu lassen. Es ist also ein Missgriff, wenn man zum Hervorrufen solcher Bilder enge Blenden anwendet. Für die Sichtbarmachung der Bakterien würde uns dies noch nicht viel nützen, da die Anordnung derselben zwar häufig eine charakteristische ist, doch nicht so eng und regelmässig wird, um mit Gewissheit bestimmte Inter- ferenzen zu ergeben. Es bleibt also nur noch das dritte Moment der Darstellung im mikro- skopischen Bilde übrig: die Unterscheidung durch den Farbenton. Dieses nun hat Hr. Koch mit Glück benutzt, um die Bakterien in den Geweben zu ver- folgen, und beabsichtigt er, seine Methode der Imbibition derselben (soviel ich weiss, kamen besonders Anilinfarben zur Verwendung) in kürzester Zeit zu ver- öffentlichen. Obgleich nun allerdings die Bakterien sich mit bemerkenswerther Leichtigkeit mit bestimmten Farbstoffen imbibiren, so ist der Unterschied im Farbenton von den benachbarten Geweben doch nicht intensiv genug, um selbst dann die feinsten Organismen mit Sicherheit erkennen zu lassen, es sei denn, dass man das Structurbild der Gewebstheile vollständig ausgelöscht habe; dies gelingt aber, wie ich mich persönlich überzeugt habe, in den vorliegenden Prä- paraten nur mit Hülfe des Abbe’schen Beleuchtungsapparates bei voller Oeffnung unter Benutzung der Zeiss’schen Immersions- systeme, die nach Abbe’schen Berechnungen für so beträchtliche Oeffnungswinkel corrigirt sind. Es wird also, um es trivial zu be- zeichnen, alle Structur in dem massenhaften Lichte ertränkt, um das Farben- bild ausschliesslich übrig zu behalten. Die feinsten Bakterien, für deren sicheren Nachweis in den Geweben diese Beleuchtungsweise als conditio sine qua non erscheint, sind aber nicht die mit ge- rechtem Misstrauen betrachteten Kugelbakterien, sondern feine Stäbchen, wie sie Hr. Koch bei Impfung mit Septicämie nachwies. Das Misstrauen gegen die Kugelbakterien ist aber auch nur in gewissem Sinne gerechtfertigt. Will man ungewöhnliche Körnchen, die sich in den Präparaten zeigen, ohne Weiteres als Bakterien ansprechen, so begeht man einen Sträflichen Leichtsinn, da bekannt- lich beliebige, unter eine bestimmte Grösse sinkende Partikelchen im mikro- skopischen Bilde die Kugelform annehmen und so z. B. Moleculardetritus sehr leicht als Bakterien angesprochen werden kann (wohl auch angesprochen worden ist). Zur Charakterisirung wirklicher Bakterien erscheint zunächst die Gestalt von Bedeutung; lässt diese im Stich, was nicht bei so vielen der Fall ist, haben wir die typische Anordnung, d. h. die Bildung von Schwärmen, Gruppirung in Ketten oder Scheinfäden und in Häutchen; endlich das chemische Verhalten gegen Farbstofie, Resistenz gegen Austrocknung und die Entwickelung. Es ist gewiss möglich, dass trotz dieser sich gegenseitig unterstützenden Merkmale zweifelhafte Fälle vorkommen können, aber ebenso sicher ist es, dass, Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abth., 35 546 | VERHANDLUNGEN Dank den neueren Untersuchungen, in denen Hrn. Koch ein hervorragender Platz gebührt, die Zahl dieser Fälle sich mehr und mehr beschränken wird. 4. Hr. H. KKOnEckErR demonstrirt in Gemeinschaft mit Hrn. M. Pr. Meyer: „Ein neues einfaches Verfahren, die maximale Binnentemperatur von Thieren zu bestimmen.“ Zu diesem Zwecke dient ein Thermometer, welches nach Art des von Dulong und Petit angewandten Gewichts- oder Ausflussthermometers geblasen ist. Dieses Maximumthermometer besteht aus einem kleinen kugeligen Glas- sefässe, das in ein feines etwa 1°" langes (nach Bedürfniss mit einer Erwei- terung versehenes) Capillarröhrchen ausläuft. Dieses kleine System wird bei Zimmertemperatur mit Quecksilber gefüllt, in eine passende, innen lackirte Kapsel von gut Wärme leitendem Metall (am besten Silber oder auch Messing) eingelegt, die Ausflussspitze durch Korkfütterung fixirt und der Deckel der - Kapsel fest aufgesetzt. Diese Kapsel lässt man von einem Thiere verschlucken. Hunde geben solche Kapseln leichter als Kaninchen per anum wieder. Bei Kaninchen findet man sie meistens noch nach vielen Tagen, eingehüllt von den copiösen Nahrungs- massen im Magen. Um die höchste Temperatur zu finden, welcher die Thermometer während ihres Aufenthaltes im Darmkanale ausgesetzt waren, versenkt man sie von der Hülle befreit in ein Wasserbad, durch dessen Wände man das aufrecht gestellte Capillarröhrchen mittelst einer Lupe genau beobachten kann. In dem Bade von Zimmertemperatur sieht man nunmehr das Capillarröhrchen, dessen Erwei- terung und zuweilen auch einen Theil des Kugelgefässes frei von Quecksilber. Nunmehr steigert man die Temperatur des Bades allmählich so weit, bis das sich ausdehnende Quecksilber das kleine thermometrische System bis zur Spitze gefüllt hat, und bestimmt mit Hülfe eines Normalthermometers die jetzt im sorgfältig gemischten Bade herrschende Temperatur. Die Temperatur des Bades, bei welcher das Ausflussthermometer gerade voll Quecksilber ist, kann man als die höchste Temperatur ansehen , welcher das Thermometer zuvor ausgesetzt war. Damit diese Bestimmung zuverlässig sei, ist es nothwendig, vielfache Fehlerquellen zu vermeiden, deren genaue Besprechung für eine ausführliche Mittheilung vorbehalten wird. Hier sei nur erwähnt, dass besondere Aufmerk- samkeit darauf verwendet werden muss, dass einmal ausgetretenes Quecksilber nicht im Laufe des Versuchs wieder eingesogen werden könne (wodurch man zu kleine Werthe der Maximaltemperatur erhalten würde), noch dass mehr Quecksilber aus dem Röhrchen herausfalle, als durch die Ausdehnung des im Systeme verbleibenden Quecksilbers verdrängt wird (wodurch die resultirende Maximaltemperatur zu hoch ausfiele). So einfach das Princip des beschriebenen Verfahrens ist, so war doch die Verwirklichung desselben keineswegs leicht. Der Kunstfertigkeit des hiesigen Glasbläsers Hrn. Florenz Müller ist das endliche gute Resultat wesentlich mit zu verdanken. Es lassen sich jetzt thermometrische Systeme von der Grösse einer mässigen Bohne herstellen, deren Angaben auf O-1° C. genau sind. Als Beweis für die Zuverlässigkeit solcher Daten kann es wohl dienen: dass verschiedene von einem Hunde (dessen Rectaltemperatur 37.8° bis 38-2° be- trug) entleerte Ausflussthermometer bei gleichen Temperaturen des Wasserbades DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 547 (39.2°) völlig gefüllt waren, während bei 39-3 bereits Quecksilberkügelchen austraten und abfielen, dass in gleicher Weise verschiedene in einem Kaninchen- magen gefundene Systeme (welche an verschiedenen Tagen eingegeben waren) übereinstimmend die Maximaltemperatur, 40-2 °, anzeigten. Die zu wiederholten Malen, zu verschiedenen Zeiten in das kectum dieses (nicht aufgebundenen) Kaninchens eingeführten Thermometer zeigten Tempera- turen zwischen 37-0° und 37-9 °C. an. IV. Sitzung am 29. November 1878. 1. Hr. HerRMAnNn Munk trägt vor: „Weiteres zur Physiologie der Grosshirnrinde“. Als ich das letzte Mal die Ehre hatte, von den Functionen der Grosshirn- rinde vor Ihnen zu handeln, haben wir vor der Sehsphäre und der Hörsphäre des Hundes in der Rinde des Scheitellappens die Fühlsphäre der gegenseitigen Körperhälfte kennen gelernt, d. h. denjenigen Abschnitt der Grosshirnrinde, wel- cher der Ort der Gefühlswahrnehmungen — der Hautgefühle, der Muskelgefühle und der Innervationsgefühle — ist, und in welchem die Gefühlsvorstellungen ihren Sitz haben — die einfachen Druckvorstellungen, die zusammengesetzteren Lagevorstellungen und die noch mehr zusammengesetzten Tast- und Bewegungs- vorstellungen. Verschiedene Regionen dieser Fühlsphäre ergaben sich den ver- schiedenen Körpertheilen zugeordnet, und wir unterschieden vorerst eine Kopf- region, eine Vorderbeinregion und eine Hinterbeinregion als die selbstständigen Fühlsphären des Kopfes, des Vorderbeines und des Hinterbeines der gegensei- tigen Körperhälfte. „Im Bereiche jeder solchen Fühlsphäre eines Körpertheiles“, führte ich Ihnen aus, „bringen kleine Exstirpationen den theilweisen Verlust der Gefühlsvorstellungen des Körpertheiles, grössere Exstirpationen den völligen Verlust der Gefühlsvorstellungen des Körpertheiles — Seelenlähmung (Seelen- bewegungs- und Seelengefühllosigkeit) des Körpertheiles — mit sich; doch können in dem Reste dieser Fühlsphäre die Gefühlsvorstellungen sich von Neuem bilden. Durch noch grössere Exstirpationen erscheinen die Gefühle selbst geschädigt, und nur ein Theil der Gefühlsvorstellungen vermag sich wiederherzustellen ; jene Schädigung und diese Unvollkommenheit der Restitution sind dabei desto srösser, je weniger von der Fühlsphäre noch erhalten blieb. Die völlige Zer- störung der Fühlsphäre eines Körpertheiles,“ damit schloss ich die Ausführung, „muss den bleibenden Verlust aller Gefühle und Gefühlsvorstellungen des Körper- theiles — Rindenlähmung (Rindenbewegungs- und Rindengefühllosigkeit) des Körpertheiles — zur Folge haben.‘ Mit der Fassung des letzten Satzes habe ich es damals klar zu erkennen segeben, welcher Vervollkommnung meine Versuchsreihen noch bedurften. Es ist mir mit der Fühlsphäre gerade so ergangen, wie das Jahr zuvor mit der 1 Verhandlungen der en Gesellschaft zu Berlin, 1877—1878, No. 9 und 10. (Dies Ar chiv 1378,- 8. 162.) 35* 548 VERHANDLUNGEN Sehsphäre. Wie Sie sich erinnern, war es mir erst nach einer grossen Zahl vergeblicher Versuche zweimal beim Hunde, zweimal, und zwar hier beider- seitig, beim Affen gelungen, nach sehr ausgedehnter Exstirpation der Sehsphäre die Gesichtsvorstellungen sich nicht wiederbilden und die Gesichtswahrnehmung für die Dauer geschädigt bleiben zu sehen. Die Seltenheit des Erfolges war nur zu gut verständlich, da so grosse continuirliche Exstirpationen der Rinde beträchtliche experimentelle Schwierigkeiten bieten, überdies aber auch wohl das Aeusserste sind, was das Messer am Grosshirn wagen darf, wenn es auf die Er- haltung der Versuchsthiere ankommt. Es konnte deshalb nicht verwundern, dass ich an der Fühlsphäre noch nicht das Höchste zu erzielen vermocht hatte, dass ich nicht auch die einfachen Druckvorstellungen durch die Exstirpationen hatte für die Dauer zum Verschwinden bringen können; und in Anbetracht der Ergebnisse der Versuchsreihen, welche ich Ihnen das letzte Mal mittheilte, habe ich mich gewiss zunächst dabei beruhigen dürfen, dass ich nach den grössten Exstirpationen nicht bloss die Tast- und Bewegungsvorstellungen, sondern auch die Lagevorstellungen nicht hatte wiederkehren sehen. Indess hatte ich die Hoffnung nicht aufgegeben, dass auch für die Fühlsphäre der Nachweis ihrer Bedeutung gerade so vollkommen wie für die Sehsphäre sich würde führen lassen, und ich habe meine Hoffnung nicht getäuscht gesehen. Die hierhergehörigen Bemühungen habe ich sämmtlich an die Vorderbein- region geknüpft, weil diese Region sehr gut zugänglich ist, und weil zugleich am Vorderbeine die Prüfung der verschiedenartigen Gefühlsvorstellungen am besten sich durchführen lässt. So hatte ich im März d. J. einem grossen Hunde die ganze Vorderbeinregion der linken lIemisphäre exstirpirt. Als das Fieber vorüber war, boten sich neben Störungen am rechten Vorderbeine auch leichte ataktische Erscheinungen am rechten Hinterbeine dar, doch bildeten sich die letzteren rasch zurück und waren schon nach einigen Tagen ganz verschwunden. Zehn Tage nach der Operation war die Wunde per primam verheilt, und nun hätte man unseren Hund, besonders im (kehen oder Laufen, bei flüchtiger Be- trachtung leicht für unversehrt halten können. Indess wies die genauere Unter- suchung beträchtliche Störungen am rechten Vorderbeine nach, und diese Stö- rungen bestanden nunmehr durch Wochen und Monate durchaus unverändert in Qualität und Quantität fort, bis ich gegen Ende October den Hund, der von der Räude befallen war, musste tödten lassen, Die Störungen waren folgende: Auf glattem Boden glitt das rechte Vorderbein häufig aus, ebenso beim 'Treppen- laufen, wobei es auch öfters die Stufen verfehlte. Setzte der Hund zum Gehen oder Laufen an, so bewegte sich das Bein zunächst abnorm und wurde meist zu wenig gehoben, so dass es scharrte. Auch inmitten des Gehens oder Laufens trat hin und wieder solches Scharren ein, wenn der Hund die Richtung der Bewegung änderte, und insbesondere wenn er kurz umzuwenden suchte. Kam der Hund wieder zum Stehen, so wurde dasselbe Bein in der Regel ungeschickt aufgesetzt, so dass es bald schief mit der Fusssohle, bald gar mit dem Rücken der Zehen oder des Fusses auf den Boden kam. Weiter führte das rechte Vorderbein nie für sich allein eine Bewegung; aus: es wurde weder zum Greifen noch zum Kratzen benutzt, und war der Hund durch Zuruf oder Handbewegung zum Pfotengeben veranlasst, so wurde immer nur das linke, nie das rechte Vorderbein gereicht. Hob man den Hund anı linken Vorderbeine in die Höhe, oder richtete sich der Hund selber am Tische auf, so wurde das rechte Vorder- bein nicht zur Unterstützung herangezogen; und hatte man den Hund auf den DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 549 Tisch gesetzt und das rechte Vorderbein über den Tischrand gezogen, so dass es frei herunterhing, so zog der Hund das Bein nicht zurück. Dem Hunde fehlten mithin die Tast- und Bewegungsvorstellungen für das rechte Vorderbein. Ebenso waren die Lagevorstellungen fortgefallen; denn man konnte das rechte Vorderbein in den Gelenken beugen und strecken oder nach vorn und nach hinten, nach rechts und nach links verschieben, wie man wollte, man stiess nie auf den mindesten Widerstand, und das Bein behielt die gegebene Lage bei. Aber noch grösser war hier der Verlust. Berührte man eines der drei anderen Beine ganz leicht mit dem Finger oder mit dem Nadelknopfe, so sah der Hund sofort hin; und drückte man nur ein wenig stärker, so hob sich das Bein, und der Hund schickte sich zum Beissen an. Gleicher Druck auf das rechte Vor- derbein dagegen blieb ohne allen Erfolg, und man musste sehr stark drücken oder kräftig einstechen, ehe es zum Heben des Beines kam; aber auch dann blieb der Hund ganz theilnahmlos, und kein Muskel des Gesichtes oder des Kopfes kam in Bewegung. Hier waren also durch die Exstirpation mit den zusammengesetzteren Gefühlsvorstellungen auch die einfachen Druckvorstellungen oder, wie wir mit gleichem Rechte sagen können, da Druckvorstellungen und Druckgefühle bei dem Thiere experimentell sich nicht scheiden lassen, auch die einfachen Druckgefühle für die Dauer erloschen. Auf die Vollkommenheit,. welche so meine Versuchsreihen gewonnen haben, lege ich Gewicht. Der eigenthümliche Weg, auf welchem wir zu unserer jetzigen Kenntniss von der Grosshirnrinde gelangt sind, hat auch einen eigenthümlichen Nachtheil mit sich gebracht. Die Reizversuche, welchen wir die Erschliessung des früher unzugänglichen Gebietes verdanken, haben den Glauben an motorische Centra oder, wie diejenigen sie lieber nennen, welche den physiologisch unfass- baren „Willen“ dort angreifen lassen, an psychomotorische Centra in der Gross- hirnrinde rasch so fest einwurzeln lassen, dass es eine schwere Aufgabe gewor- den ist, den Glauben zu beseitigen. Und wenn ich auch selber, seitdem das Verständniss der Fühlsphäre sich mir eröffnet hat, mit der Annahme von Centren, wie sie sonst der Bewegungsanregung dienen, innerhalb der Grosshirnrinde gar nichts mehr anzufangen weiss, so habe ich es mir doch nicht verhehlt, dass ein ganz umfassender Nachweis des Wesens der Fühlsphäre verlangt werden könnte, um die Existenz eines motorischen Abschnittes der Grosshirnrinde zu widerlegen. Jetzt nun, nachdem durch geschlossene Versuchsreihen dargethan ist, wie im Falle der Restitution in der Fühlsphäre immer erst die einfacheren und dann die verwickelteren Gefühlsvorstellungen sich wieder einstellen, erst die Druckvorstellungen, dann die Lagevorstellungen, endlich die Tast- und Be- wegungsvorstellungen wiederkehren, und wie weiter durch grosse Exstirpationen in der Fühlsphäre die Tast- und Bewegungsvorstellungen allein, durch grössere - Exstirpationen mit ihnen die Lagevorstellungen, endlich durch noch grössere Exstirpationen auch die Druckvorstellungen für die Dauer zum Verschwinden gebracht werden: jetzt, meine ich, wird man sich nicht mehr der Erkenntniss verschliessen können, dass man es in dem als Fühlsphäre bezeichneten Ab- schnitte der Grosshirnrinde bloss mit Wahrnehmungen und Vorstellungen, die aus den Gefühlsempfindungen fliessen, zu thun hat, und dass demgemäss nur die Bewegungsvorstellungen in der Fühlsphäre die Ursachen der sogenannten willkürlichen Bewegungen sind. Die Reihenfolge des Unterganges und der Restitution der verschiedenartigen Gefühlsvorstellungen verdient auch von pathologischer Seite volle Beachtung. 550 VERHANDLUNGEN Bei der grossen und wahrhaft aufreibenden Schwierigkeit, die es hat, von den Thieren sicheren Aufschluss über ihr Wahrnehmen und ihr Vorstellen zu er- halten, ist es schwer denkbar, dass die Experimentalphysiologie mehr als die Fundamente der Kenntniss der Grosshirnrinde sollte liefern können, und die weitere Einsicht zu verschaffen, wird der Pathologie vorbehalten bleiben. Dafür wird aber auch in Krankheitsfällen viel genauer und umfassender untersucht werden müssen, als es bisher geschehen ist; und insbesondere hinsichts der Fühlsphäre wird, wo man bei Störungen der willkürlichen Bewegungen eine Rindenläsion vermuthet, mindestens auch auf die Druck-, die Lage- und die Tastvorstellungen zu prüfen sein. Soweit ich die pathologische Literatur habe durchsehen können, ist in solchen Fällen wohl manchmal das Fortbestehen der „Sensibilität“ angemerkt, aber kaum je habe ich es sichergestellt gefunden, dass wirklich noch Rindensensibilität vorhanden war, die Berührungs- oder Druck- gefühle noch erhalten waren. Wo diese Gefühle unversehrt sich finden sollten, werden entsprechend unseren kleineren Exstirpationen, deren Folgen ich Ihnen das vorige Mal schilderte, immer nur kleinere Läsionen der Fühlsphäre anzu- nehmen sein. Nach solchen Exstirpationen habe ich sogar, wie es vielleicht sut ist hier beiläufig zu erwähnen, in den ersten Tagen nach der Operation, in der Zeit also, welche für die Ihnen vorgelesten Erfahrungen stets ausser Acht blieb, offenbar in Folge der Entzündung in der Umgebung der Exstirpations- stelle, die Druckgefühle manchmal verstärkt, man kann sagen eine Rinden- hyperästhesie gefunden. Wo man aber grössere Läsionen der Fühlsphäre vor sich haben wird, da werden, das lässt sich mit Sicherheit voraussagen, gerade so wie nach unseren grösseren Exstirpationen, neben den Bewegungsstörungen immer auch Störungen im Bereiche der Tast-, der Lage- und der Druckvor- stellungen zu finden sein. Noch ein zweites allgemeines Resultat hinsichts der Fühlsphäre habe ich heute dem früher Mitgetheilten hinzuzufügen. Die Fühlsphäre ist nicht auf die Rinde des Scheitellappens beschränkt, sondern sie hat eine wesentlich grössere Ausdehnung und umfasst auch noch die Rinde des Stirnlappens. Ein Jahr und darüber hat dieser Stirnlappen jedem Versuche, einen Einblick in seine Functio- nen zu gewinnen, getrotzt, indem nach seinem Fortfalle gar keine Störung an dem operirten Hunde sich erkennen lassen. wollte; aber endlich hat auch er sich gefügt, und Sie werden nachher sehen, wie er nur einem schwerer zu prüfenden Körpertheile zugeordnet ist. Lassen Sie uns jetzt die einzelnen Regionen, in welche die Fühlsphäre jeder Körperhälfte zerfällt, der Reihe nach betrachten. Diese Regionen sind, wie Sie sich erinnern, dadurch charakterisirt, dass eine jede Region zu einem besonderen Theile der Körperhälfte in Beziehung gesetzt ist, so dass Ver- letzungen einer Region immer Störungen der Gefühle und Gefühlsvorstellungen bloss für den zugehörigen Körpertheil zur Folge haben. Solcher Regionen habe ich das vorige Mal drei unterschieden, vorläufig, wie ich sagte: eine Kopfregion, eine Vorderbeinregion und eine Hinterbeinregion. Heute kann ich Ihnen sieben Regionen vorführen, und zwar nicht bloss beim Hunde, sondern auch zugleich beim Affen, dessen Fühlsphäre bis auf untergeordnetere Momente, welche die Lage und die Ausdehnung der verschiedenen Regionen betreffen, in allen Stücken mit der des Hundes übereinstimmt. Für die Versuche am Affen habe ich mir bisher 29 Thiere verschaffen können. Von ihnen habe ich 8, theils durch Krankheit, theils in Folge der DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 5a ersten Operation, ohne Ergebniss verloren. An den übrigen 21 habe ich, da die. meisten Thiere 2—3, einzelne sogar 4, endlich eines selbst 5 verschiedene, in der Regel durch mehrmonatliche Zwischenräume von einander getrennte Operationen überlebten, ca. 50 Versuche angestellt, von welchen etwa le, auf die Seh- sphäre, 2/, auf die Fühlsphäre entfallen. Ist nun auch die Zahl dieser Ver- suche nur klein gegen die Hunderte von Versuchen am Hunde, welche ich aus- geführt habe, so kommt doch der kleineren Zahl eine wesentlich erhöhte Be- deutung dadurch zu, dass ich die Versuche am Affen immer erst dann unter- nommen habe, wenn ich über die analogen Verhältnisse beim Hunde schon ge- nügend unterrichtet war, so dass mir aus dem sonst unumgänglichen Tasten kein Verlust beim Affen erwachsen ist. Dass aber auch beim Affen, ebenso wie beim ‘ Hunde, alle meine Mittheilungen auf Erfahrungen sich gründen, welche, nachdem die entzündliche Reaction vorüber, in wochen- und monatelanger Beobachtung des operirten Thieres gemacht sind, das glaube ich hier, wenn auch vielleicht zum Ueberflusse, noch besonders hervorheben zu sollen. Gehen wir von der Sehsphäre (A) aus nach vorn, so stossen wir zunächst und unmittelbar vor der Sehsphäre auf die Augenregion, die selbständige Fühlsphäre des Auges (7). Sie nimmt beim Affen den Gyrus angularis ein. Beim Hunde ist sie weniger gut zu begrenzen; nur die Knickung des Gyrus medialis, sein Uebergang in den Gyrus postfrontalis, giebt einen Anhaltspunkt für ihr vorderes Ende ab, und an der medialen Fläche der Hemisphäre, auf welche sie sich fortsetzt, reicht sie bis zum Gyrus fornicatus. Exstirpationen dieser Region, welche sich zu weit nach hinten erstrecken, bedingen Störungen der Gesichtswahrnehmungen und Gesichtsvorstellungen mit; greifen die Ex- stirpationen zu weit nach vorn, so treten nebenbei Störungen der Gefühle und Gefühlsvorstellungen für die Extremitäten und den Kopf auf. Wo rein die Augenregion, sagen wir auf der linken Seite exstirpirt ist, findet sich Folgendes. Zieht man am linken Auge die Lider mit den Fingern von einander und vom Augapfel ab, und berührt man dann leicht mit der Nadel den Bulbus oder die Conjunctiva palpebrae, so tritt sogleich Blinzeln und ein reiches Spielen der Kopf- und Gesichtsmuskeln ein, das Thier sucht unter dem Ausdrucke der Angst oder des Zornes den Kopf zurückzuziehen oder zu wenden, ‘und fast regel- ntässig schlägt das Thier mit der linken Vorderextremität nach der angreifenden Hand. Verfährt man ebenso am rechten Auge, so sieht man nichts als Blinzeln, und man kann drücken und stechen, so lange man will, das Thier bleibt durchaus ruhig. Nähert man weiter den Finger oder die Faust rasch dem linken Auge, so erfolgt jedesmal Blinzeln; dagegen bleibt dasselbe immer aus, wenn man ebenso vor dem rechten Auge handthiert, und tritt hier erst dann ein, wenn es zur unmittelbaren Berührung der Wimpern oder der Lider gekommen ist. solches Ausbleiben des Blinzelns hatten wir schon früher beobachtet, wo durch Läsionen der Sehsphäre Seelen- oder gar Rindenblindheit herbeigeführt war, das Thier somit die Gefahr, die seinem Auge drohte, nicht sah; jetzt, da die Gesichtswahrnehmungen und die Gesichtsvorstellungen des Thieres nach- weislich ganz unversehrt sind, kann das Ausbleiben nur darauf beruhen, dass die Grosshirnrinde den Sphincter palpebrarum nicht mehr in Thätigkeit zu setzen vermag. Führt man bei fixirtem Kopfe des Thieres seine Lieblingsspeise hori- zontal vor seinen Augen vorbei, so vollzieht sich die Seitenwendung der Augen nach rechts nur unvollkommen und nimmt beträchtlich früher ein Ende als normal und als die Seitenwendung nach links. Auch andere Augenbewegungen erscheinen 552 VERHANDLUNGEN geschädigt, doch habe ich sie nicht einer genauen Untersuchung unterwerfen können. Hat man das linke Auge dem Hunde verbunden oder dem Affen vernäht, so verfehlt das Thier, beim Zugreifen mit dem Maule bezw. der Hand, die vorgeworfenen oder vorgehaltenen Nahrungsstücke, desto öfter und desto auffälliger, je kleiner die Stücke sind. Affen, welchen die Augenregion beiderseits exstirpirt war, habe ich nach der unvollkommenen Restitution für die Dauer die Gewohnheit beibehalten sehen, statt mit den Fingerspitzen, wie es der normale Affe thut, immer mit der ganzen flachen Hand die Haferkörner oder Mohrrübenstückchen zu ergreifen. Endlich habe ich manchmal, nicht regelmässig, eine leichte Ptosis und, beim Ss 1 RN u N Grosshirnrinde des Hundes. 2 A Sehsphäre. B Hörsphäre. C—J Fühlsphäre. C Vorderbeinregion. D Hinterbeinregion. E Kopfregion. F Augenregion. G Ohrregion. H Nacken- region. J Rumpfregion.! Affen öfter als beim Hunde, ein mehr oder weniger starkes Thränen des be- troffenen Auges beobachtet; die Ptosis war in der Regel nach 1—2 Wochen, das Thränen nach 1—2 Monaten verschwunden. Eine Veränderung an der Pupille babe ich nie als Folgeerscheinung der Exstirpation constatiren können. Unterhalb der Augenregion (7) und vor der Hörsphäre (2), in der Um- gebung des Endstückes der Fossa Sylvii, liegt die Ohrregion, die selb- ständige Fühlsphäre des Ohres (G@). Für die methodische Untersuchung dieser Region setzen die Gefässe der Fossa Sylvii mit ihren zahlreichen und grossen die kegion überspinnenden Aesten ausserordentliche experimentelle Schwierig- ! Die Holzschnitte sind nach den bei dem Vortrage benutzten Wandtafeln angefertigt. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 553 keiten. Nach continuirlichen Exstirpationen bin ich zwar der Blutungen gut Herr geworden, aber die Thiere haben doch, offenbar in.Folge der Circulations- störungen, nie länger als 3—4 Tage die Operation überlebt. Nur bei stück- weisen Exstirpationen, wenn ich unter Vermeidung der grösseren Gefässe bloss die zwischen ihnen befindliche Rinde heraushob, hatte ich Erfolg. In den nächsten Wochen war dann entweder gar keine Vor- und Rückwärtsdrehung der gegenseitigen Ohrmuschel sichtbar, oder dieselbe erfolgte unvollkommener als die Drehung der gleichseitigen Ohrmuschel; beim Hunde war zugleich eine Gefühl- losiskeit der gegenseitigen Ohrmuschel nachweisbar, besonders regelmässig an deren convexer Fläche. Natürlich können diese Erfahrungen nur als erste Grosshirnrinde des Atlen. C Vorderbeinregion. D Hinterbeinregion. E Kopfregion. F Augenregion. G Ohrregion. H Nacken- region. J Rumpfregion. Mit B ist die Rindenpartie bezeichnet, welche nach den Erfahrungen am Hunde als Hörsphäre anzu- nehmen ist, ! Wahrnehmungen der Bedeutung dieser Region gelten; aber ich habe mich bisher mit ihnen begnügen müssen und auch die untere und die hintere Grenze dieser Region nicht genauer bestimmen können. Weiter nach vorn folgen die drei kegionen, welche am Hundehirn uns schon von früher her bekannt sind: die Hinterbeinregion (C), die Vorder. beinregion (D) und die Kopfregion (#). Nach Exstirpation der Kopfregion habe ich Seelenbewegungslosigkeit der : Nach Hrn. Ferrier sollten in Z/ das Sehcentrum, in G das Hörcentrum, in B die Centren des Geruchs und des Geschmacks, im Hippocampus major und Gyrus hippocampı (medial vom hinteren oberen Ende von B) das Tasteentrum, in der Um- gebung der Fissura Rolandi die Centren der willkürlichen Bewegung, in A das Hungercentrum (Centrum für die Visceralgefühle) gelegen sein; Verlust beider Stirnlappen sollte eine deutliche Schädigung der Intelligenz und der Aufmerksam- keit mit sich bringen. — Vgl. oben S. 168. 654 VERHANDLUNGEN gegenseitigen Zungenhälfte und der dort um den Mund herum gelegenen Muskeln bestehen sehen; ausserdem waren beim Hunde die Druckgefühle der gegen- seitigen Gesichtshälfte verschwunden. Die Zungenlähmung habe ich immer nur bei weit nach unten reichender Exstirpation gefunden. Ich möchte glauben, dass die weitere Untersuchung diese Kopfregion noch in mehrere Regionen wird zerfällen lassen. Die Vorderbein- und die Hinterbeinregion habe ich so umfassend, wie beim Hunde, auch beim Affen auf das Verhalten aller Gefühlsvorstellungen je nach der Grösse der Fxstirpation untersucht und mit demselben Erfolge. Nur über das Verhalten der Druckvorstellungen oder Druckgefühle habe ich beim Affen keine sichere Auskunft mir verschaffen können. Obwohl wir mit den: meisten Affen monatelang uns beschäftigt haben, sind wir doch nicht im Stande gewesen, eines dieser Thiere abzurichten, ja selbst nur einigermaassen zu zähmen; und die unüberwindliche Scheu der Thiere vereitelte jede Untersuchung der Druck- gefühle, indem die Thiere entweder ganz ungeberdig sich verhielten oder aber, gewaltsam niedergehalten, jeden Angriff der Haut mit voller Apathie über sich ergehen liessen. Die dadurch bedingte Unvollkommenheit der Untersuchung ist gewiss bedauerlich, und sie wäre auch von Bedeutung gewesen, wenn wir den Affen als erstes und alleiniges Versuchsthier gehabt hätten; sie ist aber nun- mehr unwesentlich, da wir beim Hunde mit den übrigen Gefühlen und Gefühls- vorstellungen auch die Druckgefühle oder Druckvorstellungen genau haben ver- folgen können. Die Schädigung und der Verlust der Lagevorstellungen, wie der Tast- und Bewegungsvorstellungen treten bei dem Reichthum an Bewegungs- arten, der den Affen vor dem Hunde auszeichnet, bei dem ersteren noch viel deutlicher und überraschender hervor, als bei dem letzteren. Als ich das vorige Mal vorerst die drei in Rede stehenden Regionen an der Fühlsphäre des Hundes unterschied, sagte ich, dass „Verletzungen innerhalb der Strecke D Störungen am Vorderbein und Vorderrumpf, Verletzungen inner- halb der Strecke © Störungen am Hinterbein und Hinterrumpf mit sich bringen“. Die Rumpftheile so mit den Extremitäten zusammenzulegen, war ich damals dadurch veranlasst, dass ich nach Exstirpationen innerhalb der als Vorderbein- region bezeichneten Strecke auch Störungen am Nacken hatte eintreten sehen. Indess hat jetzt die eingehendere Untersuchung ergeben, dass für den Nacken und den Rumpf eigene Regionen der Fühlsphäre existiren. Was ich heute Hinterbeinregion (©) nenne, ist also die selbständige Fühlsphäre ausschliesslich des Hinterbeines, und was ich heute Vorderbeinregion (D) nenne, ist die selb- ständige Fühlsphäre ausschliesslich des Vorderbeines.. Die Hinterbeinregion er- streckt sich beim Affen wie beim Hunde auch über die mediale Fläche der Hemisphäre bis zum Gyrus fornicatus. Ob das Gleiche für das vorderste Stück der Vorderbeinregion des Affen gilt, weiss ich nicht; sicher aber gilt es nicht für die Vorderbeinregion des Hundes. Diese Region erstreckt sich nicht einmal so weit, wie ich es früher anzeigte, bis zur Fissura longitudinalis, sondern zwischen dem medialen Ende ihrer vorderen Hälfte und dem Gyrus fornicatus liegt an der oberen und an der medialen Fläche der Hemisphäre die sechste tegion der Fühlsphäre des Hundes, die Nackenregion (7). Hat man einem Hunde die ganze Nackenregion, sagen wir linkerseits exstirpirt, so trägt der Hund, wenn nach einigen Tagen das Fieber vorüber, den Kopf stets nach links gedreht, und er hat die Fähigkeit verloren, den Kopf und sich im Ganzen rechts herum zu drehen, während er alle Drehungen links DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 539 herum, sowohl die des Kopfes wie die hakenförmigen oder die zeigerförmigen oder die reitbahnartigen des ganzen Körpers, ebenso leicht und gut ausführt wie der unversehrte Hund. Zugleich ist der Verlust der Druckgefühle für die rechte Seite des Nackens zu constatiren: auf jede Berührung der linken Seite antwortet der Hund mit Hinsehen oder gar Beissenwollen; dagegen muss man ihn rechts sehr stark drücken oder stechen, ehe überhaupt eine Reaction erfolst, und auch dann treten nur unregelmässige Bewegungen der Extremitäten ein, bei voller Ruhe der Kopf- und Gesichtsmuskeln. Wirft man dem Hunde Fleischstücke vor, so geht er an die zu seiner Linken in normaler Weise heran, um aber die zu seiner Rechten aufzunehmen, dreht er sich jedesmal zu- nächst links herum, selbst dann, wenn man dicht an seinem rechten Auge vorbei das Fleischstück hat herabfallen lassen. Geht oder läuft der Hund ruhig vor sich hin, ohne dass seine Aufmerksamkeit einem bestimmten Gegenstande zu- sewendet ist, so dreht er sich immer und immer wieder in grösseren oder kleineren Bögen links herum. Das ist nicht im mindesten eine Zwangsbewegung, ebensowenig wie die ähnlichen Linksdrehungen, welche an Hunden, die auf dem rechten Auge seelen- oder rindenblind gemacht sind, in der ersten Zeit nach der Operation zur Beobachtung kommen; vielmehr beruhen beide Male die Drehungen darauf, dass gerade die Absicht, in alter Weise geradeaus zu gehen, den Hund nunmehr naturgemäss zur Linksdrehung führt, im ersteren Falle in Folge der ihm unbewussten falschen Kopfstellung, im letzteren Falle in Folge der ihm unbewussten Einschränkung des Gesichtsfeldes.. Diese Linksdrehungen beim Gehen und Laufen werden denn auch mit der Zeit immer seltener von unserem Hunde ausgeführt und kommen nach einigen Wochen fast gar nicht mehr vor. Später lernt auch noch allmählich der Hund sich nach rechts bewegen, indem er mit nach links gedrehtem Kopfe die Rücken- und Lendenwirbelsäule so krümmt, dass ihre Concavität nach rechts und hinten sieht, oder auch sich ganz im Becken dreht, und er nähert sich nunmehr den rechts vor ihm befindlichen Gegenständen in einem grossen, nach vorn und rechts beschriebenen Bogen. Der Bewegung der rechtsseitigen Nackenmuskeln, wie der Rechtsdrehung bleibt der Hund dauernd unfähig, und auch die übrigen geschilderten Störungen bestehen unverändert fort. Nach unvollkommenen, doch grossen Exstirpationen innerhalb der Nacken- region ist zunächst Alles ebenso, und es kommt nur in den folgenden Wochen zu einer mehr oder weniger vollständigen Restitution. Nach kleinen Exstir- pationen aber beobachtet man die geschilderten Störungen nicht; hier finden sich nur die Druckgefühle an der der Läsion entgegengesetzten Seite des Nackens und die Fähigkeit, den Kopf nach eben dieser Seite zu drehen, in höherem oder geringerem Grade geschädigt. Am deutlichsten tritt die Be- wegungsstörung hervor, wenn der Hund bei feststehendem Rumpfe mit dem Kopfe dem vorgehaltenen Fleischstücke folgt, während man das Fleischstück bald an dem einen, bald an dem anderen Auge vorbei im Bogen nach den Rückenwirbeln hin bewegt: links herum dreht der Hund den Kopf ganz normal, so dass er das Fleischstück über den Wirbeln mit der Schnauze erfasst, während die Drehung rechts herum stets früher ein Ende nimmt und nun erst eine Be- wegung des Rumpfes und der Extremitäten zur Hülfe kommen muss, wenn. der Hund das Fleischstück über den Wirbeln soll erhaschen können. Die siebente Region endlich der Fühlsphäre des Hundes, die Rumpf- region (J), nimmt den Stirnlappen ein. 556 VERHANDLUNGEN Für die Untersuchung dieses Lappens empfiehlt sich ein eigenes operatives Verfahren. Sonst habe ich regelmässig mit Trepan und Knochenzange den Knochen über der für den Angriff ausersehenen Hirnstelle entfernt, die bis dahin unversehrte Dura-Decke passend gespalten und zurückgeschlagen oder auch abgetragen, endlich die zu exstirpirende kindenpartie mit dem Messer erst um- schnitten und darauf herausgeschnitten. So habe ich im letzten Jahre auch ohne die Verletzung des Sinus longitudinalis, welche ich früher für unvermeid- lich hielt, die mediale Fläche der Hemisphäre untersuchen können, indem sich von einer seitlichen Trepanöffnung her das knöcherne Dach über dem Sinus, ohne dass dieser Schaden nimmt, wegbrechen und darauf der Sinus gut bei Seite schieben lässt. Für die Freilesung des Stirnlappens aber bietet der Trepan gar keinen Vortheil; und da sowohl die tiefe Lage des Lappens wie seine grosse Oberfläche bei geringer Dicke nur schwer und unzureichend die Exstirpation der Rinde zulassen, trennt man hier auch besser den ganzen Lap- pen vom übrigen Grosshirn ab. Wollte ich beide Stirnlappen entfernen, so ver- fuhr ich folgendermaassen: Mit einer kleinen convexen Säge sägte ich das Schädeldach zu beiden Seiten der Mittellinie und senkrecht zu dieser durch, einmal nahe hinter der Rückwärtsbiegung des Stirnbeins und zweitens 5—8"" davor; dann stemmte ich mit dem Meissel zwischen den Sägeschnitten jeder Seite den Knochen soweit fort, dass ich bequem die Zange zur Verwendung bringen konnte, und ging nunmehr mit der Zange so vor, dass ich die beider- seitigen Oeffnungen sowohl über den Sinus hinweg mit einander in Verbindung setzte, als auch beträchtlich nach vorn und nach der Seite hin erweiterte, bis ich durch den Rest der Stirnhöhle in die Nasenhöhle sah und die ganze obere Fläche der Stirnlappen, bedeckt von der unverletzten Dura, überblicktee Danach spaltete ich jederseits die Dura an der hinteren Grenze des Stirnlappens, dieser Grenze parallel, von oben nach unten, indem ich nur den Sinus schonte, stach ebendort dicht unter dem Sinus ein spitzes Messer mit sehr stumpfem Rücken, die Schneide nach abwärts, quer durch beide Stirnlappen mitsammt der Falx , hindurch und führte das Messer möglichst weit nach unten. Wie die Sectionen ergaben, reichte der Schnitt meist dicht an den Riechlappen heran, der selber jedoch nie getroffen wurde Wollte ich nur den einen der beiden Stirnlappen entfernen, so verfuhr ich ebenso bloss auf der betreffenden Seite, aber auch da ‘ legte ich den Sinus frei; indem ich das Messer langsamer und vorsichtiger an der hinteren Grenze des Stirnlappens einführte, liess sich an dem grösseren Widerstande, den die Falx der Durchschneidung entgegensetzt, recht gut er- kennen, wann die Spitze des Messers die Falx erreicht hatte. Wunderbar genug, so sehr ich sonst nach den Operationen aller Art Verluste zu beklagen hatte, nach den in der geschilderten Weise ausgeführten Trennungen der Stirnlappen habe ich bisher noch kein einziges Thier verloren; die Verletzung heilte immer - durch Eiterung und in den günstigen Fällen schon in 2—3 Wochen, es schloss sich dann die Schädelwunde sehr rasch, und der Eiter floss durch die Nase ab. Nach der Abtragung beider Stirnlappen erscheint die Rücken- und Lenden- wirbelsäule des Hundes katzenbuckelartig gekrümmt, so dass die hinteren Ex- tremitäten über die Norm den vorderen genähert sind, und der Hund hat voll- kommen die Fähigkeit verloren, die Rücken- und Lendenwirbel zu bewegen und gegen einander zu verschieben. Die Bewegungen der Nackenwirbel und die Drehungen des Kopfes führt dieser Hund alle in ganz normaler Weise aus, auch sind die kücken- und Lendenwirbel passiv gerade so, wie früher, gegen einander s DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 997 beweglich, aber die active Beweglichkeit der letzteren Wirbel ist erloschen, so dass die Rücken- und Lendenwirbelsäule jetzt für den Hund den Vortheil der Gliederung fast verloren hat. Führt man ein vorgehaltenes Fleischstück im Bogen von dem Auge nach der Schwanzwurzel hin, so krümmt sich der normale Hund allmählich mit seiner ganzen Wirbelsäule hakenförmig, ohne die Extre- mitäten zu bewegen, und erreicht das Fleischstück gut mit der Schnauze über der Schwanzwurzel; unser Hund indess dreht bloss Nacken und Kopf, der Rücken bleibt ganz gerade, und es bedarf erst einer Verschiebung der Extremitäten und einer Drehung im Becken, dass er das Fleischstück erhascht. Auch die Dre- hungen beim Gehen und Laufen führt der verstümmelte Hund nur im Becken aus, so dass sie auffallend ungeschickt und bloss in grossem Bogen erfolgen; ist er durch Zuruf inmitten des Laufens plötzlich zu wenden veranlasst, so stolpert er und bewahrt sich nur mühsam vor dem Fallen. Ist bloss ein Stirn- lappen, z. B. der linke, abgeschnitten, so kann sich der Hund in normaler Weise links herum drehen, und er macht auch beim Gehen und Laufen die frei- willigen Wendungen immer links herum; dagegen bleiben alle Bewegungen der kücken- und Lendenwirbel, welche die Thätigkeit der rechtsseitigen Rücken- muskeln erfordern, bei ihm gerade so aus, wie bei dem beiderseitig operirten Hunde. Führt man bei demselben Hunde den vorhin angegebenen Versuch der- art aus, dass man das Fleischstück vom Auge zur Schwanzwurzel das eine Mal an der rechten, das andere Mal an der linken Seite des Hundes im Bogen herum- führt, so tritt die Unbeweglichkeit der rechten Rumpfhälfte gegenüber der linken äusserst schlagend hervor. Ueber das Verhalten der Druckgefühle am Rücken habe ich nichts mit Sicherheit ausmachen können, weil schon der unversehrte Hund gegen Eingriffe, welche seine Rückenhaut treffen, sich äusserst indolent verhält. Beim Affen nehmen die Nackenregion (7) und die Rumpfregion (J) den Stirnlappen vor dem Sulcus parietalis anterior ein. Aus Mangel an Material habe ich hier die beiden Regionen örtlich noch nicht scharf getrennt; doch lässt sich aus den Erfolgen der unvollkommenen Exstirpationen, nach welchen ich eine gewisse Beweglichkeit die einen Male der Nackenwirbel, die anderen Male der Rücken- und Lendenwirbel erhalten sah, entnehmen, dass die Nacken- region zu hinterst, dicht vor dem Sulcus parietalis anterior, und die Rumpf- region weiter nach vorn gelegen ist. Hat man dem Affen die Rinde an der sanzen oberen Fläche und an dem vorderen Stücke der unteren Fläche eines Stirnlappens exstirpirt, so beobachtet man genau dasselbe, wie wenn man einem Hunde Nacken- und Rumpfregion einer Seite zusammen fortgenommen hätte; die geschilderten Bewegungsstörungen treten nur bei dem beweglicheren Affen noch deutlicher hervor als bei dem Hunde. Ist linkerseits exstirpirt, so hält der Affe ständig den Kopf nach links gedreht, und seine Rücken- und Lenden- wirbelsäule ist abnorm nach oben gekrümmt; alle Drehungen werden links herum ausgeführt, jede Drehung rechts herum ist unmöglich, ja sogar jede Bewegung nach rechts fehlt in den ersten Wochen. Ein reizendes Schauspiel bietet sich jetzt dar, wenn man vor dem ruhig dasitzenden Affen Mohrrübenstücke aus- streut: der Affe bringst die zur Linken seines Kopfes befindlichen Stücke an sich, macht dann eine fast volle Umdrehung links herum und ergreift das früher zunächst nach rechts gelegene, jetzt zu äusserst links befindliche Stück, macht von Neuem eine solche Umdrehung wie vorhin und ergreift das nunmehr zu äusserst links gelegene Stück, die Umdrehung wiederholt sich, und so geht es 558 VERHANDLUNGEN fort, bis der Reihe nach von links nach rechts alle Stücke aufgenommen sind. Führt man an einem solchen Affen später die gleiche Exstirpation auch rechter- seits aus, so ist die schiefe Kopfstellung beseitigt, der Kopf wird in alter Weise gerade und nur etwas gesenkt gehalten, die abnorme Krümmung der Wirbel- säule ist verschwunden, und jede ‚Drehung, links herum wie rechts herum, ist unmöglich. Während der einseitig operirte Affe, der die Fähigkeit der Links- drehung noch besitzt, erst nach Wochen es lernt, mittels der Drehung des Rumpfes im Hüftgelenk sich nach rechts zu bewegen, führt der beiderseitig operirte Affe, offenbar durch die Noth erfinderischer, schon in den ersten Tagen die Drehungen im Becken aus. Aber natürlich ist trotzdem der früher so ge- lenkige Affe nunmehr ein höchst unbeholfenes Thier. Geradeaus gehen, laufen, klettern kann er ebenso gut wie zuvor; aber in die Nothwendigkeit versetzt, sich zu wenden, weiss er allenfalls noch beim Gehen und Laufen mit dem Reste seiner Mittel sich zu helfen, doch beim Klettern geräth er immer sehr bald in Schwierigkeiten, die er nur höchst mühsam und ungeschickt, ja manchmal auch gar nicht zu überwinden vermag, und ein jäher Sturz aus der Höhe ist hier oft der Abschluss des zu kühnen Unternehmens. So haben wir nun die Kenntniss erworben oder, richtiger gesagt, die erste Bekanntschaft gemacht fast der ganzen grauen Grosshirn-Oberfläche. Nur der Gyrus fornicatus an der medialen Fläche und eine nicht grosse Partie an der unteren Fläche der Hemisphäre haben sich uns noch entzogen. Von der letz- teren Partie ist guter Anlass vorhanden zu glauben, dass sie die Riechsphäre und die Schmecksphäre enthalte, welchen beiden wir noch nicht begegnet sind. Wo ist denn aber, höre ich fragen, der Sitz der Intelligenz, ‘da ich doch von deren Verlust noch nie gesprochen habe, selbst nicht nach der Exstirpation - der Stirnlappen, die stets in bedeutsame Verbindung mit ihr gebracht worden sind? Die Intelligenz, so muss die Antwort lauten, hat überall in der Gross- hirnrinde ihren Sitz und nirgends im Besonderen; denn sie ist der Inbegriff tünd die Resultirende aller aus den Sinneswahrnehmungen stammenden Vorstel- lungen. Jede Läsion der Grosshirnrinde schädigt die Intelligenz, desto mehr, je ausgedehnter die Läsion ist, und zwar immer durch den Ausfall derjenigen Gruppe einfacherer und verwickelterer Vorstellungen, welche die Sinneswahr- nehmung der betroffenen Strecke zur Grundlage haben; die Schädigung besteht für die Dauer fort, wenn entweder die wahrnehmenden Elemente selbst mit fort- gefallen sind, oder wenn auch bloss nicht Substanz übrig geblieben ist, welche von Neuem der Sitz der verlorenen Sinnesvorstellungen werden könnte. Seelen- blindheit, Seelentaubheit, Seelenlähmung des einen und des anderen Körpertheiles schliessen, ob sie vollkommen oder unvollkommen ausgebildet sind, jede für sich eine eigenartige Beschränkung der Intelligenz ein; und je mehr sie sich com- biniren, desto mehr wird die Intelligenz an Umfang abnehmen, desto mehr wird, bei erhaltener Wahrnehmung, der Kreis der vorhandenen Vorstellungen eingeengt und die Bildung neuer Vorstellungen verhindert sein, so dass früher oder später das Thier abnorm geistig beschränkt, blödsinnig uns erscheinen wird. Für die Schätzung der Intelligenz wird dann aber noch die Beschaffenheit gerade der Fühlsphäre von hervorragender Bedeutung sein, weil von dieser die Grosshirn- rinden-Bewegungen, die sogenannten willkürlichen Bewegungen abhängig sind, nach welchen allein wir den Vorstellungskreis eines anderen Individuums zu be- urtheilen vermögen. Mit der Seelenblindheit, der Seelentaubheit, der Seelenlähmung habe ich DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, 559 Ihnen also auch jedesmal den theilweisen Verlust der Intelligenz vorgeführt. Und wenn wir den seelenblinden oder den seelentauben Hund, wenn wir den Affen, der, seelengelähmt an einer Vorderextremität, die Hand nicht mehr zum Munde zu führen versteht, so gross auch seine Gier nach dem in die Hand ge- steckten Leckerbissen ist, oder den anderen Affen, der eine oder beide Stirn- lappen verloren hat und so wunderlich sich verhält, nicht als blödsinnig aus- gegeben haben, so hatte das nur darin seinen Grund, dass wir eben, was ober- flächlich den Namen Blödsinn führt, tiefer zu zergliedern vermochten. Käme es darauf an, ohne den Zweck solcher Zergliederung einfach Blödsinn experimentell zu erzeugen, ich wüsste keine bessere Methode, als die von Hrn. Goltz geübte des Ausspülens der Grosshirnrinde; wie denn in der That Hrn. Goltz’ Hunde nach ausgedehnter Verstümmelung beider Hemisphären ‚im Aussehen wie im Handeln den Eindruck von Blödsinnigen machten“. Oft genug sieht man auch bei den Exstirpationsversuchen die Natur das Experiment ersetzen, indem jedes- mal Blödsinn allmählich sich ausbildet und sich steigert, wenn eine Meningitis mit oberflächlicher Encephalitis von der Hirnwunde aus über beide Hemisphären sich verbreitet. Sobald solehe. Meningitis sehr weit über beide Hemisphären sich erstreckt, finden wir Bewusstlosigkeit. Dafür scheint es erforderlich zu sein, dass die ganze oder fast die ganze Rinde ausser Function kommt. Nur ist wiederum zu bedenken, dass wir bloss durch die Grosshirnrinden-Bewegungen des Thieres, blos also mittels seiner Fühlsphäre Aufschluss über sein Bewusstsein erhalten, und dass daher die völlige Vernichtung beiderseits der Fühlsphäre allein uns ein Thier wird bewusstlos erscheinen lassen können, das in Wirklichkeit noch nicht bewusstlos ist. Vielleicht hängt damit die auffällige Erfahrung züsammen, welche ich gemacht habe, dass, sobald ein Hirnabscess in den Ventrikel durch- gebrochen war, gleichviel wo der Durchbruch erfolgt und wie gross die Oefinung war, nach einisen Stunden — eher kamen die Fälle nicht zur un. — regelmässig Bewusstlosigkeit gefunden wurde. 2. Hierauf führt Hr. GAD einige, zu Vorlesungsversuchen geeignete Experimente, „Die Athmungsschwankungen des intrathorakalen Druckes“ betreffend vor mit folgenden Erläuterungen: Eine sehr einfache Betrachtung lehrt, dass die normale Athmung der Säuge- thiere und des Menschen von Schwankungen des intrathorakalen Druckes be- gleitet sein muss. In der That strömt ja Luft bei jeder Exspiration aus den Lungenalveolen durch Bronchien und Trachea nach aussen und bei der Inspi- ration in umgekehrter Richtung. Da der Druck in der umgebenden Atmo- sphäre constant ist, so kann ein derartiger Strom nur zu Stande kommen, wenn der Druck in den Alveolen bei der Inspiration geringer, bei. der Exspiration höher ist, als der Druck der umgebenden Atmosphäre. Fast ebenso unmittelbar sieht man ein, dass der absolute Werth dieser positiven und negativen Druck- schwankungen wesentlich abhängen wird von der Grösse und Geschwindigkeit der inspiratorischen, bez. exspiratorischen Volumänderungen des Thorax und von den Widerständen, welche der inspiratorische, bez. exspiratorische Luftstrom er- leidet, und zwar derart, dass mit dem Wachsen dieser Factoren auch der abso- lute Werth der Druckschwankungen zunimmt. Hieraus geht dann ferner her- vor, dass im Allgemeinen die (positive) Exspirationsschwankung dem absoluten 560 - VERHANDLUNGEN Werth nach nicht gleich der (megativen) Inspirationsschwankung sein wird, dass ‚sich aber nicht vorhersagen lässt, welche von beiden der Norm nach überwiegt. Denn betrachtet man die respiratorische Volumänderung des Thorax als Ordinate bezogen auf die Zeit als Abseisse, so stellt die Inspiration der Regel nach eine steilere Curve dar als die Exspiration. Während dieses Moment, wenn es allein vorhanden wäre, der negativen Druckschwankung das Uebergewicht geben würde, wirkt der Umstand in entgegengesetztem Sinne, dass der Exspiration eine geringere Weite der Luftwege, namentlich der Glottis und bei Thieren auch der Nasenöffnungen entspricht. Was schliesslich die zeitlichen Beziehungen zwischen den Respirationsphasen und Druckänderungen betrifft, so lässt sich ohne Weiteres vorhersagen, dass der wahrnehmbare 'Theil der Drucksehwankungen nur mit den steilsten Theilen der Curve der Volumänderungen synchron sein wird, und dass sicher in die Zeit von Respirationspausen, mögen sie bei noch so grosser. Entfernung des Thorax von der Gleichgewichtslage eintreten, keine Druckschwankung fallen kann. Dies Alles sind so einfache und seit den Aus- einandersetzungen von Donders über diesen Punkt so allgemein anerkannte Dinge, dass es sich kaum gelohnt haben würde, sie vor Ihnen nochmals hervorzuheben, wenn ich nicht in der Lage wäre, sie Ihnen in, wie ich glaube, leicht übersichtlicher Weise im Versuch vorzuführen, was sich immer Biere lohnt und was, so viel mir bekannt, auf dem von mir befolgten Wege bisher nicht geschehen ist. Allerdings kann ich Ihnen nicht den ganzen Werth der Druckschwankungen in den Alveolen selbst manometrisch anschaulich machen. Auch verzichte ich darauf, dies bezüglich des ausserhalb der Lungen gelegenen intrathorakalen Raumes zu thun, wie es unter Anderen Hr. Adamkiewicz! seiner Zeit ausgeführt hat, wegen der damit verbundenen verhältnissmässig tiefen Eingriffe in den Organismus. Ich werde mich vielmehr darauf beschränken, Ihnen den Theil der intrathorakalen Druckschwankungen vorzuführen, welcher sich in der Trachea als Seitendruck erkennen lässt. Es verhält sich dieser Theil der Schwankungen zu dem Gesammtwerth der Schwankungen innerhalb ! Ueber den Druck im Herzbeutel von Adamkiewicez und H. Jacobson. Centralbl. f. med. Wiss. 1873. No. 31. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 561 der Alveolen, wie sich die Widerstände verhalten, welche der Luftstrom peripher von der untersuchten Stelle in der Trachea noch zu erleiden hat, zu dem Ge- sammtwiderstand auf dem Wege von den Alveolen bis nach Aussen. Es wird sich zeigen, was an sich beachtenswerth ist, dass dieser Theil der Druck- schwankungen ansehnlich genug ist, um an ihm alle vorangeschickten theore- tischen Aussagen über die intrathorakalen Druckschwankungen zu verificiren. Um den vorliegenden Zweck zu erreichen, ist die durch die schematische Dar- stellung in Fig. 1 veranschaulichte Anordnung getroffen, welche ohne Weiteres verständlich ist, wenn die Bedeutung der eingeschriebenen Buchstaben hinzu- gefügt wird. Bei 7 ist eine Trachealcanüle mit 7-hahn (Fig. 3) in die Tra- chea eines Kaninchens eingebunden; bei 7 befindet sich ein anderer 7-hahn in die bei O offene Glasröhrenleitung eingeschaltet. Bei Q ist ein Quecksilber- manometer, bei M ein „Tambour enregistreur“‘ von Marey, bei Z ein Maximum- manometer, bei J ein Minimummanometer für kleine Druckschwankungen. Die Wirkungsweise der letztgenannten kleinen Hülfsapparate ist nach der Zeichnung selbstverständlich, wenn hinzugefügt wird, dass bei Beginn des Versuches die U-förmigen Theile derselben bis zu den Oeffnungen der Schenkel e und > mit einer gefärbten wässerigen Flüssigkeit gefüllt und dass diese Schenkel äusser- lich mit derselben Flüssigkeit benetzt sind. Wir beginnen unsere Versuchs- reihe mit einer Stellung des Hahns Z, bei der die letztgenannten Apparate aus der Leitung ausgeschaltet sind. Der Hahn der Canüle 7 ist so gestellt, dass der Weg für den Respirationsluftstrom sowohl nach der Glottis und Nase, als auch nach der Oeffnung O frei ist. Der Widerstand auf letzterem Wege ist verschwindend gegen den auf ersterem, so dass die Athmung wesentlich durch das Seitenrohr der Trachealcanüle und die Oeffnung O erfolgt. Dem geringen Werthe dieses Widerstandes auf diesem Wege entsprechend sind Druck- schwankungen an dem sehr empfindlichen „Tambour“ kaum merklich, geschweige dass an dem Quecksilbermanometer die leiseste Bewegung zu beobachten wäre. Sobald ich aber, wie ich jetzt thue, mit dem Finger die Oeffnung bei O ver- schliesse, ist das Thier gezwungen, in normaler Weise durch Glottis und Nase zu athmen und es ist sehr beachtenswerth, wie die Wiedereinfügung dieser normalen Widerstände in den Wes des Luftstromes sich durch die bedeutenden Ausschläge des die Schwankungen des Seitendruckes in der Trachea zur An- schauung bringenden Hebels des Tambour, welche Sie jetzt beobachten, zu er- kennen giebt. Sogar das Quecksilber in dem Manometer & zeigt jetzt Schwan- kungen, welche allerdings den Werth von wenigen Millimetern nicht übersteigen. Dieser lehrreiche Versuch ist eine Illustration zu der Angabe von Knoll,! welcher neuerlich beobachtet hat, dass die Athemschwankungen der Pulscurve (bei Hunden) viel deutlicher ausgeprägt waren, wenn das Thier durch eine ge- wöhnliche Trachealecanüle athmete, als wenn die Athmung in normaler Weise erfolgte. j Stelle ich jetzt den Hahn 7 so, dass der Wes zur Glottis verschlossen ist, schalte ich ferner den „Tambour“ wegen seiner zu grossen Empfindlichkeit mit Hülfe einer Klemmpincette aus und verschliesse nun die Oeffnung O, so ist das Thier gezwungen, in das Quecksilbermanometer zu athmen, wie in ein Pneumatometer Waldenburg’s, und Sie sehen, wie hohe Werthe die intra- thorakalen Druckschwankungen bei Verschluss des Athemwegs und zunehmender . 1 Archiv für experim. Pathol. ete. Bd. 9, Heft 5 u. 6. Archiv £. A. u, Ph. 1878. Physiol, Abthlg. 36 562 VERHANDLUNGEN Dyspno& auch beim Kaninchen annehmen können. Es ist dies der Grenzfall, bei dem °’die Widerstände für den Athemluftstrom den grösstmöglichen Werth erhalten. Die Schwankungen des Quecksilbers betragen jetzt mehrere Centimeter. Ausser dem Widerstand für den Athemluftstrom ist, wie wir uns in Er- innerung gebracht haben, die Steilheit der Volumänderung des Thorax, bezogen auf die Zeit, von Einfluss auf die Grösse der intrathorakalen Druckschwankungen. Um dies zu veranschaulichen, stelle ich die Bedingungen wieder her, wie sie bei Beginn des ersten Versuchs bestanden, und bitte Sie, zu beachten, dass der Hebel des „Tambour‘ kaum merkliche Ausschläge zeigt. Jetzt stelle ich den ‘ Hahn 7 so, dass der Weg zur Glottis und Oeffinung O gleichzeitig verschlossen ist, nach wenigen Athemzügen hat sich mässige Dyspno® entwickelt und ich bringe den Hahn wieder in die ursprüngliche Stellung. Obgleich das Thier wie zu Anfang des Versuches wieder wesentlich durch die Oeffnung © athmet, zeigt der Hebel des „Tambour“, der grösseren Ausgiebigkeit und Schnelligkeit der Athembewegungen entsprechend, sehr viel beträchtlichere Ausschläge Es ist hierbei zu beachten, dass die Grösse der Widerstände für den Athemluft- strom gegen den Anfang dieses Versuches sich nur insofern. verändert hat, als sie selbst Function der Steilheit der Volumänderung des Thorax ist. Um eine Vorstellung der Beziehungen zwischen den absoluten Werthen der positiven und negativen Druckschwankungen zu geben, stelle ich den Hahn 7 so, das & und M aus- und C und J dafür in die Leitung eingeschaltet werden, der Hahn 7 bleibt in der Stellung wie bei Beendigung des vorigen Versuches. So lange O offen ist, kommt bei e und kaum Ausfluss von Flüs- sigkeit zu Stande, sobald ich jedoch O verschliesse, das Thier also in normaler Weise durch Glottis und Nase athmet, fliesst bei der ersten Exspiration eine beträchtliche Flüssigkeitsmenge aus e, und bei der ersten Inspiration aus 2 aus, die Flüssigkeit in den Schenkeln des Manometer geräth in lebhafte Schwankungen, welche gelegentlich zum Ausfluss neuer, jetzt aber kleinerer Flüssigkeitsmengen führen. Ich schalte jetzt Z und J durch Drehen von 7 wieder aus, die Flüssigkeit in den Manometerschenkeln ist zur Ruhe gekommen, die doppelte Entfernung der jetzigen Oberflächen von den Oefinungen e und z giebt das Maximum der positiven, bez. negativen Druckschwankung (in Wasserdruck) an, welche während des Versuches vorgekommen ist. In beiden Manometern be- trägt diese doppelte Entfernung mehrere Centimeter, sie ist in dem Exspira- tionsmanometer um mehrere Millimeter grösser als in dem Inspirationsmano- meter, zum Zeichen, dass die grösste positive Druckschwankung erheblicher war. als die grösste negative. Leider bin ich augenblicklich nicht N in der Lage, Ihnen im Versuch unmittel- UA Ks I RN bar anschaulich zu machen, was die S Theorie über die zeitlichen Beziehungen der Druckschwankungen zu den Athem- | phasen aussagt. Statt dessen erlaube ich \ mir, Ihnen einige Curven vorzulegen SR Sa (Fig. 2), welche ich gelegentlich umfang- N reicher Untersuchungen, über die ich hier noch nicht berichten kann, gewonnen habe. Die oberen Curven stellen ein treues Bild Fig. 2. der Volumänderungen des Thorax, die DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 563 untere der gleichzeitigen Seitendruckän- derungen in der Trachea bei normalem Athmen durch Glottis und Nase eines chlo- ralisirten Kaninchens dar. N Gestatten Sie mir noch wenige Worte über die Trachealcanüle mit 7- Hahn (Fig. 3), welche sich mir bei vielen Ver- suchen als sehr nützlich erwiesen hat.! Bei Construction derselben ist darauf ge- = achtet, dass innerhalb der Canüle jede Verengerung des Lumens vermieden ist und dabei die äusseren Dimensionen so knapp wie möglich gehalten sind. Es ist dies wesentlich dadurch erreicht, dass der Stöpsel des Hahns nicht, wie üblich, doppelt durchbohrt, sondern nur seitlich angeschnitten ist. Einen öconomischen Vortheil, welchen ich dieser Canüle verdanke, will ich nicht unerwähnt lassen. Ich kann nach meinen Erfahrungen nur mit Hrn. Steiner” übereinstimmen, welcher neuerdings wieder darauf aufmerksam ge- macht hat, dass das Einlegen einer gewöhnlichen Canüle in die Trachea eines Kaninchens ein tiefer Eingriff ist. Auch ich habe früher nie an einem Ka- ninchen mit Trachealecanüle am Tage nach dem Einlegen Versuche über nor- male Athmung machen können, ja die Thiere gingen sogar meist bald zu Grunde. Seit ich mich aber meiner Canüle bediene und sie nach beendigten Versuchen so stelle, dass das Thier wieder durch die Nase athmet, habe ich an mehreren aufeinander folgenden Tagen bei demselben Thiere normale Athmung gefunden und untersuchen können. — V. Sitzung am 13. December 1878. 1. Hr. Branpr hält den angekündigten Vortrag: „Mikrochemische Untersuchungen“. Eine für die Zelltheorie sehr wichtige chemische Entdeckung wurde im Jahre 1871 von Miescher? gemacht, — die Entdeckung nämlich, dass die Zellkerne nicht, wie man bis dahin angenommen hatte und wie noch jetzt fast allgemein geglaubt wird, aus verdichtetem Eiweiss bestehen, auch nicht aus modifieirtem verdichteten Eiweiss, sondern dass ihnen eine ganz besondere Sub- stanz, das Nuclein, eigenthümlich sei. Dieses Nuclein unterscheidet sich in der Zusammensetzung vom Eiweiss hauptsächlich dadurch, dass es viel Phosphor (9,6 °/,) enthält, während das Eiweiss phosphorfrei ist; in seinen Reactionen durch die Unlöslichkeit in gewissen Eiweisslösungsmitteln, z. B. in Kochsalz- 1 Diese Canüle fertigt Hr. OÖ. Plath, Kanonierstr. 43. Bei Bestellung ist die Angabe der Lichtung der Trachea zu machen, für welche die Canüle bestimmt sein soll, hiernach ergeben sich die übrigen Abmessungen. Für mittlere Kaninchen beträgt diese Lichtung 5mm, 2 Is. Steiner, Ueber partielle Nervendurchschneidung u. s. w. S. oben 8. 244. 3 Hoppe-Seyler, Medie.-chemische Untersuchungen. 1871. 4. Heft. S.441—460. 36* 564 VERHANDLUNGEN lösung (16°/,) und in erwärmtem Magensaft. Das beste, mikrochemisch aller- dings nicht verwerthbare Erkennungsmittel für das Nuclein besteht in der Mög- lichkeit, durch Kochen mit Aetzalkalien Phosphor abzuspalten. Diese Entdeckung Miescher’s wurde noch von verschiedenen anderen physiologischen Chemikern ! bestätigt. Dagegen sind mir histologische Untersuchungen behufs Verwerthung dieser Entdeckung für Erledigung einiger zwar vielbesprochener, aber noch nicht erledigter Fragen in der Zelltheorie noch nicht bekannt geworden. Ich selbst verdanke meine Kenntniss der Miescher’schen Entdeckung Hrn. Dr. Th. Wey], dem ich auch für die freundliche Unterstützung bei meinen mikrochemischen Untersuchungen über die Protozoen zu grossem Danke verpflichtet bin. Die vielen ausgezeichneten, während der letzten Jahre erschienenen Arbeiten über die morphologische Beschaffenheit der Zellkerne, ihr Verhalten bei der Befruchtung, der Furchung, sowie bei gewissen Theilungsvorgängen machten es in hohem Grade wahrscheinlich, dass Kernsubstanz (verdichtetes Protoplasma!) nicht nur in Zellkernen aufgestapelt sei, sondern dass sie auch im Eiweiss in feinvertheilter Form vorkommen könne. Van Beneden? hat sogar die Ansicht ausgesprochen, dass die Moneren Häckel’s nicht echte (kernlose) Cytoden, sondern Zellen seien, deren Kernsubstanz aber im Protoplasma gelöst sei und nicht, wie in anderen Zellen, zum Nuclein auskrystallisire. Diese Behauptung ist bis jetzt noch nicht bewiesen. Auf Grund der Entdeckung Miescher’s sind wir aber im Stande zu entscheiden, ob es Cytoden im Sinne Häckel’s, ob es ferner Cytoden im Sinne van Beneden’s gebe. Die wenigen Protamöben, die ich fand, untersuchte ich auf diese Frage hin und war auch so glücklich, in sämmtlichen Fällen die allmähliche Auf- lösung der ganzen Cytode durch Behandlung mit 10 procentiger Chlornatrium- lösung herbeizuführen. Nuclein ist in Kochsalz unlöslich; wenn es vorhanden wäre, müsste es also zurückbleiben; da dies aber nicht der Fall war, so darf man wohl schliessen, dass es echte Cytoden im Sinne Häckel’s giebt, die kein Nuclein enthalten und nur aus Eiweissstoffen und vielleicht auch Fett, das eben- falls in 10 procentiger Kochsalzlösung löslich ist, bestehen. Die andere Frage, ob überhaupt Cytoden vorkommen, die niemals einen Kern zeigen und doch Nuclein enthalten, ist schon durch eine Untersuchung von Hoppe-Seyler® erledigt. Es gelang ihm nämlich aus Hefe, in der bekanntlich Kerne morpho- logisch nicht nachweisbar sind, Nuclein darzustellen. — Zur mikrochemischen Untersuchung des Protoplasma der Protozoen benutzte ich folgende Organismen: Amoeba princeps, Arcella, Actinophrys sol, Actino- sphärium Eichhornii und je eine Species von Monas, Epistylis, Vorticella, Para- mecium. Alle diese Organismen hinterlassen nach Entfernung des Eiweisses, des Fettes und des Nucleins durch Behandlung mit Chlornatriumlösung (10°/,) und Natriumearbonat (1°/,) resp. Ammoniak einen mehr oder weniger bedeuten- den schleimigen Rückstand. Um zunächst festzustellen, ob derselbe orga- nischer oder unorganischer Natur sei, erhitzte ich ihn. Er wird dabei verkohlt, ist also eine organische Substanz. Die Behandlung mit Reagentien ergab fol- gende Resultate: Der Rückstand ist löslich in Kupferoxyd-Ammoniak, in con- ä I Vgl. Hoppe-Seyler, Handbuch der chemischen Analyse. 4. Aufl. (1875.) D. 263. 2 Van Beneden, Recherches sur !’&volution des Gregarines. Bulletin de l’ Acad. roy. de Belgique, 1871. 3 Hoppe-Seyler, Medie. chem. Untersuchungen. 1871. 4. Heft. S. 500. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 565 centrirten Säuren und in concentrirten Alkalien, unlöslich dagegen in Wasser, Chlornatriumlösung, Natriumearbonat (1°/,), verdünnten Säuren, verdünnten Alkalien, Alkohol und Aether. Die Reactionen deuten darauf hin, dass wir ein der Cellulose ähnliches Kohlenhydrat vor uns haben. Leider ist es mir noch nicht gelungen durch Einwirkung von Jod und Schwefelsäure oder von Chlorzinkjod eine Bläuung zu veranlassen; da diese jedoch auch bei den Cellulosearten der Pflanzen oft nur auf Umwegen zu Stande kommt!, so ist immer noch die Möglichkeit vorhanden, dass sie nach Auffindung eines geeigneten Ver- fahrens herbeizuführen sein wird. Die Vertheilung dieser Substanz im lebenden Organismus lässt sich durch Färbung mit Bismarkbraun (1 @m- auf 3000 Cem Wasser) sehr schön erkennen. Behandelt man z. B. ein freischwimmendes Acti- nosphärium mit diesem Tinctionsmittel, so wird anscheinend das ganze Thier gefärbt, die Marksubstanz aber stärker, und zwar am intensivsten in unmittel- barer Umgebung der Kerne. Beim Abplatten eines so gefärbten Thieres zeigt sich dann, dass weder das Eiweiss noch das Nuclein den Farbstoff aufgenommen haben, sondern nur das Fett und das „Kohlenhydrat“. Nur die Marksubstanz, der von allen Seiten die Körnchen zuströmen ?, ist mit ihren Fettkörnchen ge- bräunt, die Rindensubstanz dagegen, sowie die Axenfäden und die Kerne? sind vollkommen hyalin. Lässt man dann Chlornatrium- und Natriumcarbonatlösung einwirken, so werden die ungefärbten Substanzen gelöst, ausserdem verschwinden die braunen Fettkörner, das celluloseartige Kohlenhydrat aber bleibt als braune homogene Schleimmasse zurück. 2. Hr. InmAnueL Munk spricht über die Frage, „ob Glycerin ein Nah- rungsstoff ist“. Kleine Mengen von Glycerin nehmen wir mit den gegohrenen Getränken (Wein, Bier) und mit den infolge der Zubereitungsmethoden (Kochen, Braten, kösten) zum Theil ranzigen Fetten zu uns, in weit beträchtlicherer Menge wird aus den mit der Nahrung eingeführten Fetten durch das Pankreasferment, sowie bei den Fäulnissprozessen im Darmrohr Glycerin abgespalten. In neuester Zeit findet das Glycerin angeblich in umfangreichem Maasse zur Verfälschung von Wein und Bier Verwendung, endlich wird es von einigen Seiten geradezu als Ersatzmittel für den Leberthran empfohlen. Ob aber dem Glycerin überhaupt Nährwerth zukommt und welche Mengen davon ohne Nachtheil für den Körper aufgenommen werden können, ist mit genügender Schärfe bisher nicht fest- gestellt worden. , Soll ein N-freier Stoff als Nährstoff gelten, so ‘muss durch seine Zersetzung im Thierkörper ein gewisser Antheil von Eiweiss vor dem Zerfall geschützt, d. h. erspart werden. Die Grösse der so bewirkten Ersparniss des Eiweiss- verbrauchs giebt ein direetes Maass für die grössere oder geringere Bedeutung jenes Stoffs für die Ernährung. Zur Entscheidung der Frage über den Nährwerth des Glycerin wurde an Hunden von etwa 20 Kilo, die mit einem aus Fleisch und Speck bestehenden Futter in N-Gleichgewicht gebracht waren, mehrere Tage hindurch je 25 bis 1 Vgl. Nägeli und Schwendener, Das Mikroskop. 2. Aufl. S. 523 u. 524. 2 Vgl. Sitzungsbericht d. Ges. naturf. Fr. zu Berlin, 15. Oct. 1878, S. 173. 3 Auch mit wässriger Lösung von Hämatoxylin oder von Anilinblau konnte ich nur eine ganz schwache Färbung der lebenden Kerne hervorrufen, während ab- gestorbene Kerne sehr intensiv gefärbt werden. 566 VERHANDLUNGEN 30 Grm. Glycerin verfüttert und die N-Ausscheidung durch Harn und Koth fest- gestellt. Zur Controle wurde bald ein, bald mehrere Tage, nachdem das Glycerin ausgesetzt war, nunmehr Rohrzucker, also ein notorischer Nährstoff, der in Be- zug auf C- und H-Gehalt dem Glycerin sehr nahe steht, in der nämlichen Gabe verfüttert und ebenfalls die gesammte N-Ausscheidung bestimmt. So umfasste z. B. eine Versuchsreihe, die hier kurz angeführt sein mag, vier Perioden von je 3 Tagen und zwar eine Vorperiode (/), eine zweite, während der Glycerin ge- seben wurde, eine Nachperiode (ZZ1/) und endlich eine Periode der Zucker- fütterung. Folgendes sind die Mittelwerthe für die tägliche N-Ausscheidung durch Harn und Koth: I und III. 12.98 mit dem Harn, 0-33 mit dem Koth, macht 13-31 N. NeGlycerin).. 129887 7,277, Se Pe laazlin..i: IValZucken). 1asları I OO RE a ST, Es ergiebt sich hieraus, dass die Aufnahme von Glycerin an dem bestehen- den Eiweisszerfall nichts Wesentliches ändert, während die Verfütterung der gleichen Menge Rohrzucker die N-Ausscheidung um ca. 7 pCt. herabsetzt. In der Glycerinperiode betrug die tägliche Harnmenge im Mittel 345 Cem-, in der Vorperiode 313 Cm, es wird also durch die Einführung von Glycerin die Diurese nur unerheblich gesteigert, dagegen nehmen die festen Bestandtheile und der N-Gehalt des Koths bis zu 60 pCt. zu. Grössere Dosen, 40 @m. wurden von den beiden Versuchsthieren schlecht vertragen, schon am zweiten Fütterungstage stellten sich diarrhoische Entleerungen ein, sodass von der weiteren Darreichung des Glycerins abgestanden, werden musste. Noch grössere Dosen haben nach Luchsinger und Ustimowitsch Haemoglobinurie zur Folge. Im Harn liess sich nach Aufnahme von 25—30 @m: Glycerin weder Glycerin- schwefelsäure oder Glycerinphosphorsäure, woran zu denken war, noch überhaupt unzersetztes Glycerin mit Sicherheit nachweisen, ebenso wenig im Harn eines Menschen, der 20 “m. Glycerin eingenommen hatte, Es scheint also das Glycerin in diesen Dosen im Organismus einer raschen und vollständigen Zersetzung zu unterliegen. Hierfür sprechen auch die Versuche von Scheremetjewski, in denen nach Einführung von Glycerin in die Blutbahn eine Zunahme der CO,- Ausscheidung (und dem entsprechend der O-Aufnahme) festgestellt worden ist. Die Versuche führen den unzweifelhaften Nachweis, dass das Glycerin durch seine Zersetzung im Organismus höchstens als Heizmaterial dienen kann, dass es aber nicht im Stande ist, einen, wenn auch geringen Antheil von Eiweiss vor dem Zerfall zu bewahren. Es hat somit das Glycerin nicht den seringsten Nährwerth. In der ausführlichen Publication wird der Vortragende zeigen, wie zahl- reich die Fehlerquellen in den Versuchen von Catillon sind, auf Grund deren dieser Autor zu dem unrichtigen Schluss gelangt, dem Glycerin Nährstoff zuzu- erkennen (Archives de physiol. norm. et path. 1877. 8. 85). Die Untersuchung ist im Laboratorium des Hrn. Prof. Salkowski aus- geführt worden. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 567 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgänge 18795—76 und 1876—t. Aus der „Deutschen medicinischen Wochenschrift“ abgedruckt, Jahrgang 1875—76. II. Sitzung am 10. December 1875. Hr. Loxwe hält den angekündigten Vortrag „Zur Descendenztheorie“, Redner referirt die von Haeckel aufgestellte Gasträatheorie und ihre Widerlegung durch Claus. Dann wendet er sich zu den Beobachtungen von Kowalewski und Kupfer über den Zusammenhang der Tunicaten mit den Wirbelthieren und bespricht die verschiedene Deutung, die diese Beobachtungen durch die genannten Autoren einerseits nnd durch Dohrn andererseits erfahren haben. Im Anschluss hieran theilt Hr. Loewe mit, dass die embryonale Wirbelsäule der Säugethiere in ihrer frühesten Anlage aus abwechselnd hellen und dunklen Segmenten bestehe. In den hellen Segmenten hätten bisher alle Forscher die Anlage der Wirbelkörper erblickt. Dem sei aber nicht so, es seien dies vielmehr die Anlagen der Zwischenwirbelscheiben. Dies kann man in einem etwas späteren Stadium daran sehr leicht erkennen, dass in den hellen Stellen die intervertebralen Chordaanschwellungen auftreten, während in den dunkeln Partien die Chorda sich verdünnt. In diesem Stadium seien die Zwischen- wirbelscheiben dicker als die Wirbel und beständen noch aus ganz hellem Ge- webe, während die Wirbelkörper selbst dunkel seien. Im nächsten Stadium endlich werden die Wirbelkörper dicker und länger als die Zwischenwirbel- scheiben und ihr Gewebe klärt sich jetzt so auf, dass es heller wird, wie das der letzteren. Durch diesen Befund erkläre sich die Angabe Remak’s und Kölliker’s, dass die Segmentirung der späteren definitiven Wirbelsäule nicht der ursprünglichen Segmentirung der Wirbelsäule entspreche Ebenso werde dadurch die Differenz zwischen Hasse und Gegenbaur erklärt. Ausserdem macht Hr. Loewe noch darauf aufmerksam, dass an Querschnitten durch Ka- ninchenembryonen bis zu 3°® Körperlänge der vierte Ventrikel nach hinten offen sei und mit dem Subarachnoidalraum communicire, 568 VERHANDLUNGEN IV. Sitzung am 28. Januar 1875. Hr. EwAup hält den angekündigten Vortrag „Ueber eine neue Me- thode den Stickstoffgehalt des Blutes zu bestimmen“. Die von Plehn! angegebene Modification des Hüfner’schen Verfahrens der Harnstoffbestimmung mit unterbromigsaurem Natron, bei welcher nicht das Volumen des entwickelten Gases, sondern die Menge einer Lauge von bestimmter Zusammensetzung gemessen wird, welche nöthig ist, um sämmtlichen austreib- baren Stickstoff in Harnstofflösungen unbekannten Gehaltes frei zu machen, nachdem man vorher die Werthigkeit der Lauge nach demselben Verfahren an Harnstofflösungen bekannten Gehaltes festgestellt hat, ist vom Vortragenden auf das Blut übertragen worden. Da aber die Lauge nicht nur den Gesammtstick- stoff des Harnstoffes, sondern auch einen Theil des in den Albuminaten, dem Kreatin, Kreatinin u. d. m. enthaltenen entbindet, so müsste man entweder die senannten anderen Stoffe fortschaffen, um reine Harnstofflösungen zu erhalten, oder aber auf die Bestimmung des Harnstoffes verzichten und sich mit der Er- mittelung annähernder, den wahren proportional verlaufender Stickstoffwerthe begnügen. Schafft man die Albuminate fort, so bleiben neben dem Harnstoff nur Substanzen zu berücksichtigen, deren Menge im Blute so gering ist, dass man sie ohne Schaden vernachlässigen könnte, welche aber jedenfalls nicht im Stande sind, die Ziffer des aus dem Harnstoff erhaltenen Stickstoffes wesentlich zu beeinflussen. Von allen bekannten Verfahren, das Blut zu enteiweissen, ist für den vorliegenden Zweck das durch Glaubersalz und Essigsäure das beste. Bei richtiger Ausführung resultirt ein wasserklares Filtrat, mit welchem die gebräuchlichen Eiweissreactionen fehlschlagen und welches sich vorzüglich zur Anstellung der Filtrirung eignet. Letzteres selbst demonstrirt der Vortragende der Gesellschaft. Wegen der vorgerückten Zeit unterlässt er die Aufzählung zahlreicher Versuche, welche zur Prüfung des Verfahrens angestellt wurden und durchweg ein befriedigendes Resultat gaben. Vergleichsweise ist anzuführen, dass Gscheidlen für den Harnstoff 0-0266 Proc. (Mittel aus 13 Bestimmungen), Munk 0.043 Proc. (Mittel aus 4 Bestimmungen) und Grehant 0.062 Proc. sefunden hat, während das Mittel aus 19 Versuchen nach obiger Methode 0-08372 Proc. ergiebt. Die genauere Analyse der Resultate behält sich der Vortragende vor. V. Sitzung am 11. Februar 1876. Hr. A. FRAENKEL hält den angekündigten Vortrag „Ueber die Be- dingungen des Eiweisszerfalls im Thierkörper.“ Der Vortragende berichtet im Anschluss an eine von ihm in No. 44 des Oentralblattes für die med. Wissenschaften, Jahrgang 1875, veröffentlichte vor- läufige Mittheilung über von ihm angestellte Untersuchungen, welche den Ein- fluss der verminderten Sauerstoffzufuhr zu den Geweben auf die Grösse des Stick- stoffumsatzes betreffen. Gleichgültig, auf welche Weise die Sauerstoffzufuhr be- schränkt wird, sei es durch ein Athemhinderniss in den Luftwegen (Verengerung der Trachea), sei es durch Einathmung von Kohlenoxyd oder durch directe Ent- ziehung von Blut, so resultirt stets eine erhebliche Steigerung der Harnstofi- 1 Dies Archw, 18715 8. 304, DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 569 ausscheidung. Die Wirkung der Blutentziehungen ist bereits früher von Voit und Bauer studirt, aber, wie der Vortragende auseinandersetzt, unrichtig gedeutet worden. Was den Versuch betrifft, eine ausreichende Erklärung für die ange- führten Thatsachen zu geben, so führt derselbe zunächst zur Aufstellung der Frage, worauf denn überhaupt die Verschiedenheit der Eiweisszersetzung im normalen Thierkörper beruht. In dieser Beziehung ist das Factum zu registriren, dass, während das lebende Gewebe als solches nicht den Bedingungen des Zer- falls im Organismus unterliegt, Alles von Aussen in denselben hineingelangende oder in ihm erzeugte abgestorbene N-haltige Material zum grösseren Theil sofort zersetzt und eliminirt wird. Der Sauerstoffmangel wirkt aber eben dadurch, dass er die Gewebe partiell zum Absterben bringt, also die Masse des todten Materials im Körper vermehrt, woraus dann nothwendigs die Steigerung der Harnstoff-Ausscheidung resultirt. Bezüglich der weiteren für die Pathologie des Stoffwechsels sich hieraus ergebenden Folgerungen verweist der Vortragende auf seine demnächst in Virchow’s Archiv erscheinende ausführliche Abhandlung. VI. Sitzung am 25. Februar 1876. Hr. Hermann Munk hält den angekündigten Vortrag „Zur Mechanik der Herzthätigkeit“. Der Vortragende theilte eine erste Reihe seiner Untersuchungen über die Herzthätigkeit mit, welche umfasste: 1. Den physiologischen Nachweis der Ganglien am Frosch- herzen ohne Sinus. Einfache mechanische Reizung führt dort, wo Ganglien sich befinden, eine ganze Reihe von Pulsationen des Herzens mit zunehmenden Intervallen herbei, während sonst der gleichen Reizung nur eine Pulsation folgt. So sind zu con- statiren: Ventrikelganglien an der Mitte des oberen Ventrikelrandes (vom Vor- tragenden schon 1861 angezeigt), Vorhofsganglien an der Scheidewand in etwa !/, der Vorhofshöhe über den ersteren Ganglien, Bulbusganglien in der unteren Hälfte des Bulbus. Die Reihenfolge, in welcher die Herztheile pulsiren, ist bei Reizung der Ventrikelganglien: Ventrikel und Vorhöfe, dann Bulbus; bei Reizung der Vorhofsganglien: Vorhöfe, Ventrikel, Bulbus; bei Reizung der Bulbusganglien: Bulbus, Ventrikel, Vorhöfe. | 2. Die Fortpflanzung der Contraction durch die Totalität jedes einzelnen Herztheiles ohne die Vermittelung von Ganglien und Nerven. An jedem Herztheile tritt auch nach Entfernung seiner Ganglien noch eine totale Contraction ein, die vom gereizten Punkte aus sich verbreitet. Geeignete verschiedenartige Schnitte durch den Herztheil lehren, dass die Contraction immer in der erhaltenen Continuität regelmässig vorschreitet und in ihrem Ablaufe ausschliesslich abhängig ist von den willkürlich für den Versuch hergestellten Bedingungen. — Für den Ventrikel ist Gleiches neuerdings von Hrn. Engel- mann angegeben worden. 3. Das Zustandekommen der regelmässigen Folge in den Pul- 570 VERHANDLUNGEN sationen der verschiedenen Herztheile durch die bestehenden Ver- bindungen der Ganglien, Nerven und Muskeln des Froschherzens. Die vom gangliösen Plexus am Sinus herkommende Erregung geht durch die beiden Scheidewandnerven auf die beiden Ventrikelganglien über. Ein weiterer Weg führt von jenem Plexus durch Nervenfäden, welche dicht unter der Sinus- grenze von den Scheidewandnerven abgehen, zur Vorhofsmuskulatur und von dieser, durch die zu ihr von den Ventrikelganglien kommenden Nerven, gleich- falls zu den Ventrikelganglien. Von den Ventrikelganglien gelangt die Erregung zu den Bulbusganglien durch die von den Ventrikelganglien zur Ventrikelmuskulatur gehenden Nerven, dann durch die Ventrikelmuskulatur, endlich durch die von den Bulbusganglien zur Ventrikelmuskulatur führenden Nerven. Alle von den Ganglien zur Muskulatur gehenden Nerven leiten in beiderlei Richtung. Daher die Herztheile in der verkehrten Reihenfolge ebensowohl pulsiren können wie in der normalen. Durch die Unterbrechung der überall mehrfach vorhandenen Wege für die Erregung wird die Herzthätigkeit so lange nicht gestört, als noch ein einzelner Weg von den Sinusganglien zu den Bulbusganglien unversehrt vorhanden ist. ” VII. Sitzung am 10. März 1876. Hr. Fritsch giebt eine „Vergleichende Uebersicht der augen- blicklich im Gebrauch befindlichen Mikrotome“ und demonstrirt einige derselben, speciell das vom Vortragenden selbst angegebene. Die Berechtigung für Mikrotome ist heutigen Tages nicht mehr in Zweifel zu ziehen, da bereits eine ganze Reihe wissenschaftlicher Arbeiten cxistiren, welche durch den Gebrauch solcher Instrumente gewonnen wurden. Es ist damit schon gleichzeitig der andere Vorwurf widerlest, dass dieselben ihrer Construction nach noch zu unvollkommen seien, um mit Vortheil verwendet werden zukönnen. Man kann vielmehr positiv behaupten, dass für alleArbeiten, in denen esauf genaue, besonders topographische Durchmusterung von Schnittfolgen ankommt, der Nichtgebrauch eines Mikrotoms eine fehlerhafte Verschwendung von Material, Zeit und Mühe involvirt. Bisher kamen für Construction von Mikrotomen nur.zwei Grundprincipien zur Anwendung: Erhebung des Objectes durch Schraubendrehung über einen flachen Teller, der als Führungsebene für das Messer dient, und zweitens: Ver- schiebung des Objectes auf einer ansteigenden Fläche gegen ein horizontal gleiten- des Messer. Der ursprüngliche Autor für das erste Princip ist Oschatz, sein Instrument wurde modifieirt von Welcker; auf gleichem Princip beruht auch das Mikrotom von Ranvier, welches in der Hand gehalten wird, während erstere auf einem Dreifuss standen, und das von Rutherford, welches an den Tisch angeschraubt wird und von einem Kasten zur Aufnahme einer Kältemischung umgeben ist. Auch das Mikrotom von James Smith, sowie das nur in der Form abweichende Schieferdecker’sche gehören hierher, da es im Princip jedenfalls gleich- bedeutend ist, ob das Object durch die Schraube gegen die Platte gehoben, oder diese selbst in gleicher Weise gegen das Object gesenkt wird; die Modification DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 571 ermöglicht gleichzeitig “eine andere Art der Objeetbefestigung mittelst Klemm- schrauben. Krause’s Mikrotom (dem Vortragenden nur aus Beschreibung be- kannt) unterscheidet sich hauptsächlich dadurch, dass beim Schneiden das Object sesen das Messer bewegt wird. Die wichtige Modification des Oschatz’schen Mikrotom’s ist die Gudden’sche. Während früher über die Gestalt des Messers keine besonderen Angaben gemacht wurden und meist gewöhnliche Rasirmesser zur Verwendung kamen, gebraucht Gudden bei seinem Mikrotom schwere Messer mit zwei Handgriffen, deren Querschnitt ein gleichseitiges Dreieck darstellt, dessen Seiten leicht concav sind, während die sehr breite Basis, der Messerrücken, convex ist. Der mit einer Art Bassin umgebene Teller erlaubt das Schneiden unter Flüssigkeitsniveau, selbstverständlich ohne dazu zu zwingen. Die sehr bedeutende Brauchbarkeit dieses Instrumentes ist bereits ziemlich allgemein an- erkannt; es empfiehlt sich überall da, wo die Durchmesser der Ob- jeete beträchtlich werden und zwar im steigenden Verhältniss. Eigenthümlich ist, dass vom Autor eine unpraktische Masse zur Einbettung der Objeete empfohlen ist, nämlich eine Mischung von Wachs, Talg und Oel. Alle wachshaltigen Massen kleben stark an der Messerklinge und verlangen häufige zeitraubende Reinigung derselben. Einen empfehlenswertheren Stoff bietet das Wallrath dar, welches einen niedrigen Schmelzpunkt hat, genügend fest gerinnt und viel weniger am Messer haftet; bei der Sommerhitze wird es nicht weich. Wo es für zartere Objecte zu hart erscheint, hilft Zusatz von Cacaobutter; Oel- zusatz macht es gleichfalls weicher, doch zeigt es dann stärkere Neigung am Messer zu haften, aber immer noch weniger als Wachs. Das zweite Prinecip der Mikrotome hat Rivet zum Autoren und waren diese ursprünglich in festem Holz ausgeführt. Nach Angaben von Brandt und Kossmann verfertigte Leyser in Leipzig das Instrument in Metall, ein „Leyser’sches‘ Mikrotom giebt es also so wenig als ein „Welcker’sches“, sondern ersteres ist als Rivet-Brandt’sches Mikrotom zu bezeichnen. Weigert erhöhte die Brauchbarkeit des Instrumentes sehr wesentlich durch Abänderung des Messers, an welchem er Klinge und Stiel in starkem Winkel stellte. Es blieb bei dieser Modification die Schwierigkeit, quere Messerstellungen zu erzielen und die unglückliche Befestigung der Objecte, welche auf einem Stiel aufgeklebt oder direct in eine grobe Klammer befestigt werden mussten. Diese Uebelstände wurden beseitigt durch die Modification des Vortragenden, welcher das Messer auf einer excentrischen Scheibe befestigt, die sowohl steile als quere Stellungen nach Belieben gestattet und die Objectbefestigung durch Vermittelung von Metallkästen bewirkte, die in grösserem gleitenden Kasten festgeschraubt wurden. ! Es blieb der Uebelstand des Rivet’schen Mikrotoms gegenüber Gudden’s, dass die einseitige Messerbefestigung ein Federn des freien Endes und dadurch ein Ausweichen nach oben veranlasste. Dieser Uebelstand ist auf ein Minimum reducirt worden durch eine neue Einrichtung des Vortragenden, in Gestalt eines Stützbügels für das Messer, welcher unter der Schraube für die excentrische Scheibe eingelegt im Bogen bis an das Messerende übergreift und hier durch eine Stellschraube die Fixirung des Messers ermöglicht. Ausserdem wurde durch eine Abänderung an der Kastenführung die Möglichkeit gegeben, den Kasten 1 Dies Archw, 1374. S. 442, 572 VERHANDLUNGEN durch Anziehen einer Schraube in beliebiger Stellung zu befestigen und so die linke Hand vollständig frei zu bekommen. Die Einrichtung des Kastens erlaubt eine sehr genaue Regulirung der Objectstellung, beliebige Unterbrechung der Arbeit und anderweitige Benutzung des Instrumentes, sowie die verschiedensten Befestigungsweisen durch Einbetten, Einklemmen oder Einfrierenlassen. Für Zwecke des Einklemmens macht der Vortragende darauf aufmerksam, dass der so sehr elastische häufig unreine und harte Kork lieber verlassen und an Stelle desselben bei resistenten Objecten wie Hornsubstanz u. d. m. lieber Boletus laricis genommen werden sollte, wie er in der Form von Estompen in Zeichenmaterialien-Handlungen käuflich ist. Bei Durchtränkung mit einem gerinnbaren Fett (nachdem das Objeet dazwischen in Position gebracht ist) verliert er seine Zähigkeit und zeigt eine erhebliche Resistenz, aber vorzügliche Schnittfähigkeit. Die Modificationen des Rivet’schen Instrumentes empfehlen sich gegenüber Gudden’s überall da, wo es mehr auf Feinheit des Schnittes als auf grosse Ausdehnung ankommt. Selbstverständlich ist eine geschickte Hand zur Anfertigung eines einzelnen, wenig ausge- dehnten Schnittes von idealer Feinheit wohl immer noch das vorzüglichste Instrument. i IX. Sitzung am 7. April 1876. (5)ı Der als Gast anwesende Hr. Cand. med. Tu. Weyu aus Strassburg hält den angekündigten Vortrag über seine auf Veranlassung und unter Leitung Hoppe-Seyler’s angestellten „Untersuchungen über thierische und pflanzliche Eiweisskörper“: In den NaCl-Auszügen (10 Proc. Steinsalzlösung) von Hafer, Weizenmehl, Maissamen, weissem Senf, Erbsen, süssen Mandeln findet sich ein bei 75—80° coagulirender Eiweisskörper, der mit dem Vitellin (Hoppe-Seyler) aus Eigelb in allen bekannten Reactionen übereinstimmt. In den meisten dieser Auszüge lässt sich zweitens ein durch Sättigung mit NaCl fällbarer Eiweisskörper nach- weisen, der wie das Myosin (Kühne) bei 55—60° coagulirt und auch die anderen Reactionen des Myosins aus den quergestreiften Muskeln der Säugethiere zeigt. Vortragender bezeichnet diese beiden Körper als „Pflanzen-Vitellin und Pflanzen-Myosin“. Unter dem Einflusse des Wassers bei gewöhnlicher Temperatur gehen nach- weisbar schon nach einigen Stunden die gefällten Globulinsubstanzen der Thiere und der Pflanzen in Albuminate (Caseine) und zuletzt in coagulirte Eiweiss- körper über. ? Caseinähnliche Körper (Albuminate) werden in frischen Pflanzensamen bei Anwendung niederer Temperaturen und bei schneller Beendigung der Unter- suchung niemals gefunden. Die als „Pflanzen-Casein“ bezeichneten Körper, 1 Diese Zahlen sind die Ordnungszahlen der Nummern der Deutschen mediei- nischen Wochenschrift, in welchen die Berichte ursprünglich abgedruckt stehen. (E. d. B.-R.) DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 573 soweit sie dem Casein der Milch entsprechen sollten, sind daher wahrscheinlich als Kunstproducte zu betrachten. Die fibrinoplastische Substanz (Paraglobulin) coagulirt in 10 Proc. NaCl- Lösg. bei 75°. Hierauf hält der als Gast anwesende Hr. Dr. Is. Srtemer aus Halle einen Vortrag über „Untersuchungen über den Einfluss wechselnder Tem- peraturen auf den Nerven- und Muskelstrom: Wenn man einen Froschnerven in zweckentsprechender Vorrichtung von 2° nach aufwärts erwärmt, so steigt seine elektromotorische Kraft allmählich bis zu einem bestimmten Temperaturgrade, von dem aus bei weiterer Erhöhung der Temperatur ein continuirliches Sinken der Stromkraft eintritt. Dieses Maximum des Nervenstromes liest zwischen 16 bis 24° C.; die Zunahme der Kraft be- trägt bis dahin circa 11 Proc. Hat man dieses Maximum überschritten, so gelingt es bei der Abkühlung zum Maximum des Nerven wieder eine Steigerung seiner Kraft zu erzeugen; eine Erscheinung, welche an bestimmte Cautelen gebunden ist. Erwärmt man den Sartorius des Frosches in gleicher Weise, wie den Nerven, so steigt seine Kraft ebenfalls continuirlich; auch er erreicht ein Maximum, das aber viel höher liest, als jenes; nämlich zwischen 35—40° C. Die Grösse der Zunahme der Kraft zum Maximum beträgt circa 26 Proc. Nach Ueber- schreitung dieses Maximums gelingt es hier ebenfalls bei der Abkühlung zum Maximum eine Erhöhung der Kraft eintreten zu sehen, doch nicht mit derselben Sicherheit, wie beim Nerven. X. Sitzung am 19. Mai 1876. (21) Hr. Sımon hält den angekündigten Vortrag „Ueber Molluscum con- tagiosum und Condyloma subeutaneum“ und zeigt mikroskopische Quer- und Längsschnitte dieser Gebilde, sowie frische, den Geschwülsten entnommene Molluscumkörper. Der histologische Sitz des Molluscum contagiosum wird von einigen Autoren (Zeissl, Hebra, Neumann) in den Talgdrüsen, von anderen Autoren (Vir- chow) in dem Haarfollikel gesucht. Retzius hat 1870 (Nordiskt med. Arkiv) zuerst beide Ansichten für irrthümlich erklärt und sucht den Sitz im Rete Mal- pighii. Vortr. muss sich auf Grund zahlreicher Untersuchungen für die letztere Ansicht erklären. Nie fand Vortr. Sebum in dem Inhalt der Geschwülste, nie Haare, nie zeigte sich bei beginnenden Mollusken eine degenerirte Talgdrüse oder ein Haarbalg, sondern stets ein in colossaler Proliferation begriffenes Rete Malpighii. Was die in der Höhle und in den Lappen der Geschwulst sich findenden sogenannten Molluscumkörper betrifft, so vermochte Verf. durch zahlreiche Reac- tionsversuche nichts Neues über ihre Natur beizubringen. Auch die Anwen- dung des von Jürgens, Cornil und Heschl als Reagens für Amyloidkörper eingeführte Methylanilin gab keinen Aufschluss. Die Molluscumkörper färben sich dunkelblau, während die sie umgebenden verhornten Zellen heller blau werden. Nirgend war- eine Amyloidreaction zu erkennen. 574 VERHANDLUNGEN Dagegen konnte Verf. im Gegensatze zu Virchow u. A. eine allmälige Entwicklung der Zellen_innerhalb der Läppchen erkennen, wie solche auf den Zeichnungen von Henderson und Paterson (Edinburgh Med. and Surg. Journal, vol. 56. 1841) zuerst angedeutet ist. Während in der Peripherie der Läppchen nur cylindrisch angeordnete Retezellen liegen und mehr central dicht gedrängte Molluseumkörper, finden sich in der Zwischenzone Uebergänge, deren Deutung freilich nach Ansicht des Vortr. eine sehr schwierige ist. Er constatirt das Verbleiben der Kerne in den die Molluscumkörper umgebenden verhornten Epithelzellen und hält daher die Entstehung der Körper aus den Kernen für unwahrscheinlich. Ebenso aber die Entstehung aus der Umwand- lung ganzer Zellen, da er (im Gegensatze zu Caesar Boeck u. A.) nie Kerne in den Molluscumkörpern entdecken konnte. Auch die Lukomski’sche Ansicht, dass die Körper aus eingewanderten Zellen entstehen, sucht Vortr. zu wider- legen. Dass dieselben, dem Körper fremde Organismen, vielleicht Pilze seien (Klebs, Retzius), dem widerspricht der allmähliche Uebergang und die colossale Grösse der Gebilde im Vergleich zu den anderen Epiphyten des Menschen. Es bleibt mithin am wahrscheinlichsten, dass die Körper aus dem Protoplasma der Retezellen hervorgehen. Freilich kann Vortr. nicht der die endogene Entste- hung stützenden Beobachtung Bizzozero’s und Manfredi’s beistimmen, welche die Molluscumkörper innerhalb der verhornten Retezellen beobachteten. Vortr. fand beim Rollen der Körper unter dem Deckglase stets, dass die Körper nur halb in den Retezellen, wie Eier im Eierbecher lagen und sich auf Druck herauspressen liessen. Verf. hält mithin das Molluscum contagiosum für eine, ohne Zusammen- hang mit den Drüsen und Haarfollikeln der Haut entstehende Hyperplasie des Rete Malpighii und führt weiter aus, dass der activen kolle der Epithelien bei Proliferationsprocessen der Haut, wie Auspitz dies schon hervorgehoben, eine viel grössere Beachtung als bisher geschenkt werden müsse. Das von Hauck, Zeissl, Bärensprung, Simon, Biesiadecky be- schriebene Condyloma subeutaneum hat.Vortr. vielfach untersucht. Er fand stets den identischen Bau mit Molluscum contagiosum und ohne Ausnahme die charakteristischen Molluscumkörper in demselben. Es sind mithin Mol- luscum contagiosum und Condyloma subcutaneum identische Ge- bilde und Vortr. schlägt vor, für beide fürderhin den von Virchow einge- führten Namen Epithelioma mollusceum gelten zu lassen. XI. Sitzung am 2. Juni 1876. (23) Hr. Weser -Lien bringt zur vorläufigen Mittheilung. dass seinen Untersuchungen gemäss, zunächst der Verbindungssaum, welcher bisher als Ligamentum orbiculare baseos stapedis vestibulare beschrieben worden sei, vielmehr als Circular-Membran der Steigbügelfuss- platte aufgefasst werden müsse. Dieselbe erscheint zwar bei der gewöhn- lichen anatomischen Untersuchung nur als ein schr schmales Band; indess wohl imbibirte mikroskopische Durchschnittspräparate, viel entscheidender aber das physikalische Experiment an frischen Präparaten, lehren, dass man es mit einem DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. N) relativ breiten selbständig schwingungsfähigen Membransaum zu thun hat. Hiervon gewinnt man bei der eigenthümlichen Lage und Verbin- dungsweise des Stapes zur Umrandung des Foramen ovale — im Allgemeinen steigt die Membran steil zu dem mehr tympanalwärts gelegenen Stapesrand herab — nur unter besonderen Bedingungen eine überzeugende Anschauung. Die Circulär-Membran des Steigbügels lässt an gelungenen Imbibitionspräparaten, an welchen vorher der Paukenhöhlenüberzug der Schleimhaut entfernt worden war, ausgesprochene Radiärfasern erkennen. Die elastische Faserlage Rüdinger’s — zwischen dem sog. Ligament. baseos staped. vestib. und Ligam. bas. stap. tympanicum vermittelt die eigentliche sehr elastische Befestigung der Steigbügel- fussplatte im Foramen ovale. Der Vortragende demonstrirte an einem Ohr- präparate vom Menschen — der Vorhof war eröffnet, die Ränder desselben entsprechend abgefeilt und erweitert; durch ein das Vestibulum von hinten luftdicht schliessendes Deckgläschen konnte die Stapesfussplatte bezw. dessen Circular-Membran bei 15- und AOfacher Vergrösserung genau beobachtet werden; in den äusseren Gehörgang war ein Glasrohr, aber nicht luftdicht, eingekittet; mit letzterem war ein Kautschukrohr verbunden, durch welches Schallschwing- ungen eingeleitet werden konnten — wie schon bei ganz leisem Hinein- sprechen oder Hineinsingen von hohen und tiefen Tönen in das Schallrohr deutlich sichtbare Excursionen der Lichtreflexe auf der Circular-Membran, aber durchaus keine auf der Stapesplatte selbst entstanden, die Lichtreflexexcursionen waren sehr ausgiebig bei stärkeren und tieferen Schalleindrücken; nur bei sehr lautem Hineinsingen in das Schallrohr sah man auch am Stapes selbst Licht- reflexexcursionen. Der Muse. tensor tympani und stapedius scheinen die Span- nungsveränderungen der Circular-Membran zu vermitteln; der Vortragende zeigte, wie bei Zug an dem Musc. stapedius die Schwingungsfähigkeit der Cireular- Membran redueirt oder ganz sistirt werde — Der Gegendruck des Labyrinth- wassers war an dem vorgeführten Präparate durch Luftdruck ersetzt, da in dem mittels des Deckgläschens geschlossenen Labyrinthe die Luft mittels eines Röhrchens (welches in den Vorhof mündete und andererseits durch einen Kautschukschlauch mit einem Kautschukballon in Verbindung stand) comprimirt werden konnte. XI. Sitzung am 16. Juni 1876. (25) Hr. E. Saukowskt berichtet über Untersuchungen über die Pankreas- verdauung, welche von ihm in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. G. Weis aus Padua angestellt sind. Es handelte sich in erster Linie um Nachprüfung der Angaben von Heidenhain über den Gehalt des Pankreas an Zymogen, aus dem erst ausserhalb des Körpers Ferment entsteht. Bei den bisjetzt unter- suchten 20 Hunden war das Pankreas in 7 Fällen unwirksam, dieselben scheiden also aus. Von den übrigbleibenden 13 konnte in 4 Fällen das Vorkommen von Zymogen nachgewiesen werden, während in 9 Fällen sich auch das frisch- bereitete Extract wirksam erwies. Es gelang nicht, den Grund für dieses ab- weichende Verhalten aufzufinden; auch als das Pankreas noch warm mit alkali- sirtem möglichst concentrirtem Glycerin verrieben wurde, zeigte sich oft das erste Extract wirksam. Jedenfalls aber kamen Fälle vor, in denen die frische 576 VERHANDLUNGEN Drüse kein nachweisbares Ferment enthält, wohl aber nach 24 Stunden und es wird somit diese fundamentale Entdeckung Heidenhain’s bestätigt. — Was die Fälle von unwirksamer Drüse betrifft, so war einer der Hunde ein besonders gut genährtes und speciell für den Versuch gefüttertes Thier, an dem kein weiterer Eingriff stattgefunden hatte, während bei den anderen sich Hunger und vorher überstandene Eingriffe als Gründe für die Unwirksamkeit geltend machen liessen. — Die Pankreasdrüsen von menschlichen Leichen zeigten sich alle ohne Ausnahme (10 Fälle) unwirksam. Es liegt nahe, diese Erscheinung auf die vorangegangene Krankheit oder auf die Zeit zu schieben, die bis zur Section verlief, doch wird diese Erklärung durch die Beobachtung an Hunden nicht unterstützt. — Lediglich bestätigt wurde die befördernde Wirkung der Salze, sowie die von Heidenhain hierfür gegebene Erklärung. Specieller untersucht wurde ein Product der Pankreasverdauung: das Indol, das als die Muttersubstanz des Indicans im Harn anzusehen ist. Aus Leim bildet sich nach Nencki kein Indol. Ein Hund schied dem entsprechend bei Fütterung mit Leim nur 3 "&" Indigo im Harn aus bei 52°" Harnstoff — noch etwas weniger wie im Hunger (4—5 "2" bei 10—11 °" Harnstoff). Bei Fütterung mit Fibrin dagegen stieg die Ausscheidung auf 16—17 "®" bei 42 ©" Harnstoff. Ebenso war sie auch bei Fleischfütterung erheblich. Im Hunger, sowie bei Leimfütterung muss man annehmen, dass das Indol in den Geweben gebildet wird, also auch hier Eiweiss in derselben Richtung zersetzt wird, wie bei der Pankreasverdauung Der- selbe berichtet ferner über eine neue Farbenreaction der Eiweisssubstanzen. Aus Albumin, Fibrin, namentlich aber Casein lässt sich durch Erhitzen mit Natronkalk ein flüchtiger rother Farbstoff gewinnen. Erhitzt man diesen, an- sefeuchtet mit Zinkstaub, so geht in das Destillat ausser Wasser ein farbloses Oel über, das beim Stehen an der Luft unter nachweisbarer Sauerstoffaufnahme eine prachtvoll rosenrothe Farbe annimmt. Schüttelt man die Flüssigkeit mit Aether, so geht das zum Theil verharzte Oel in diesen über und bleibt beim Verdunsten des Aethers als gelbrothe harzige Masse zurück. Dieselbe löst sich mit grösster Leichtigkeit in Aether, Chloroform, Alkohol, dagegen nicht in Ammoniak. Die Lösungen haben alle äussere Eigenschaften von Urobilin- lösungen. Sie sind gelb mit rothen Rändern, werden beim Verdünnen rosenroth und zeigen grüne Fluorescenz, besonders schön, wenn man die alkoholische Lösung mit einem Tropfen Ammoniak versetzt. Die Lösungen zeigen ferner denselben Absorptionsstreifen, wie Urobilinlösungen. Die Fluorescenz verschwindet - allmählich, die übrigen Erscheinungen erhalten sich jedoch ziemlich unverändert und der Absorptionsstreifen war, wiewohl nicht so scharf, noch an solchen Lö- sungen nachweisbar, die verschlossen und im Dunkeln längere Zeit, bis zu einem Jahr, gestanden hatten. Von einer Identität mit Urobilin kann indessen nicht die Rede sein. Die Unlöslichkeit des erwähnten hückstandes in Ammoniak schliesst diese vollständig aus. Stockvis beschreibt als Product der trocknen Destillation des Bilirubins ein farbloses Oel, das allmählich rosenroth wird und die Spectraleigenschaften des Urobilins annimmt und das er als Chromogen des Urobilins ansieht; vielleicht besteht zwischen diesem Product und dem aus Eiweiss erhaltenen ein naher. Zusammenhang. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 577 Xill. Sitzung am 30. Juni 1376. a7) Hr. LAnpsBer6 knüpft unter Vorlesung wikroskopischer Schnitte einer durch cystoide Umwandlung der äusseren Körnerschicht degenerirten Netzhaut einige Bemerkungen über die Entstehung und Bedeutung dieses Processes, welchen Iwanoff mit Oedema retinae bezeichnet. Der Vortragende weist im Gegensatz zu dem letzgenannten Forscher — für diesen Fall wenigstens — die hypothetische Annahme einer Flüssigkeitsansammlung in der: äusseren Körner- schicht als Ursache der Hohlraumbildung in der letzteren zurück und betrachtet eine primäre Erkrankung der Körner selbst, sowie der mit ihnen in Verbindung stehenden Fasern, als das Wesentliche des Processes. Hierauf hält Hr. WErNIcKE den angekündigten Vortrag: Zur Physio- logie der Varol’schen Brücke. In einem Falle von Brückenerkrankung, welcher zwei Monate lang auf der Nervenstation der Charite beobachtet wurde, ergab die Section den Befund eines kirschgrossen, solitären Tuberkels in der unteren Hälfte des Pons und dem oberen Bezirk der Med. oblongata. Die Symptome des Falles — namentlich eine Lähmung der Blickbewegungen beider Augen nach links hin — sind bereits in vier Fällen von Brückenerkrankung beobachtet worden. Bei diesen fehlt jedoch die genauere Localisation der Affection, welche in dem vorliegendem Falle durch Anfertigung aufeinderfolgender Schnitte im Bereich des ganzen Tumors erreicht wurde. Der Tumor begann etwa in mittlerer Brückenhöhe dicht unter dem grauen Boden, links und ziemlich nahe der Raphe, verbreiterte sich nach unten, erreichte seine grösste Ausdehnung entsprechend der Grenze von Pons und Med. oblongata, erstreckte sich hier nach rechts bis über die Raphe, nach links hin bis in’s Corpus restiforme und erreichte sein unteres Ende in dem oberen Theile des Glossopharyngeuskernes, hier wieder auf die nächste Nähe des grauen Bodens (Ala cinerea) beschränkt. Die Gegend des Oculomotorius- ursprunges war vollständig intact, die Nerven des rechten Oculomotorius ohne Verfettung, dagegen der linke Abducens und Facialis stark verfettet. Die Herabsetzung des Gefühles in der rechten Gesichtshälfte lässt sich bei dem beschriebenen Sitz des Tumors nur auf Unterbrechung der gekreuzten absteigenden Quintuswurzel aus der Substantia ferruginea zurückführen, die Betheiligung des rechten Rectus internus dagegen beweist das Vorhandensein eines Centrums für die combinirte Seitwärtsbewegung der Augen, welches für die Richtung nach links seinen Sitz in der Nähe des linken Abducenskernes, vielleicht auch in der Raphe dieser Gegend haben muss. Demonstration von Schnittpräparaten veranschaulichte den Sitz und Umfang des Tumors. XIV. Sitzung am 14. Juli 1876. (29) Hr. H. Mun& theilt mit: Ueber Functionen des N. vagus von Js. Steiner. Auf der letzten Naturforscherversammlung habe ich gezeigt, dass es möglich ist, den Vagus des Kaninchens mit dem Messer der Länge nach so zu theilen, dass man die in diesem Nerven verlaufenden functionell verschiedenen Archiv f. A, u. Ph. 1878. Physiol. Abth, BEST 578 VERHANDLUNGEN Nervenfasern beliebig trennen and ausser Function setzen kann. Nennen wir der Kürze halber die zu den Lungen verlaufenden Fasern die sensiblen, die übrigen das Herz, den Kehlkopf, Oesophagus u. s. w. innervirenden Zweige den motorischen Vagus, so liegt der erstere stets in dem äusseren, der letztere in dem inneren Theile des gesammten Vagusnerven. Im Besitze dieser Methode lag der Gedanke nahe, die immer noch nicht völlig aufgeklärte Frage, welches die Ursachen der eigenthümlichen Folgen der doppelseitigen Vagusdurchschneidung für die Lungen sind, von Neuem auf- zunehmen. Wie leicht ersichtlich liegt es in dieser Methode, dass eine scharfe Con- trole über den Erfolg der Durchschneidungen geführt werden muss; ich meine, dass es vorkommen kann, wie neben dem sensiblen Vagus auch noch die Herz- oder Stimmbandfasern mit durchschnitten werden. Diese Controle wird in folgender Weise ausgeführt: der Erfolg der Durch- . schneidung des sensiblen Vagus wird ersehen aus der Abnahme der Anzahl der Athemzüge. Für das Herz und den Oesophagus wird vor der Durchschneidnng am Schlitten diejenige Rollenentfernung aufgesucht, bei der man eine deutliche Wirkung auf diese beiden Organe eintreten sieht, darauf die Durchschneidung gemacht und von Neuem oberhalb der Durchschneidungsstelle gereizt. Schliess- lich bleibt die Controlle über die Stimmbänder übrig. Soviel man aber auch nach irgend einem äusseren Zeichen der Integrität oder Läsion der Stimm- bänder suchen mag, es ist mir nicht gelungen, ein solches zu finden. Die bisherige Methode der Eröffnung der Trachea und der directen Inspection der Stimmbänder ist für den vorliegenden Zweck durchaus unbrauchbar, weil allein durch die Eröffnung der Luftwege Einflüsse auf die Lungen einwirken, deren Tragweite vor der Hand nicht zu übersehen ist. Es blieb nur ein Ausweg, nämlich die Laryngoskopie; es ist mir denn auch gelungen, trotz der entgegenstehenden Anschauungen der beiden bisherigen Thierlaryngoskopiker mit Hilfe einiger doch sehr einfacher Kunstgriffe die Laryngoskopie beim Kaninchen so auszubilden, dass sie sich bei ihrer Einfach- heit bald für physiologische und pathologische Lehrzwecke sehr gut eignen könnte. Die Bewegungen der Stimmbänder des Kaninchens sind sehr ausgiebig und jede Störung an denselben sofort zu constatiren. Ausschliesslich interessirt uns hier zu wissen, dass beiderseitige Durchschneidung der Vagi oder der Recur- rentes eine Verengung der Stimmritze bis auf ein Minimum zur Folge hat. So ausgerüstet gehen wir an die obige Frage, die in zwei Theile zerfällt, nämlich: 1) Welches ist die Ursache der pathologischen Erscheinungen in den Lungen und 2) Welches ist die Ursache des stets schon nach 24—36 Stunden eintretenden Todes? Durchschneidet man Thieren beide Recurrentes am Halse, indem man gleichzeitig ein Stück nach seinem Ursprunge hin durch leichten Zug: herausziehen kann, setzt diese Thiere in einen metallnen Käfig mit metallnem Gitterboden, durch den sämmtliche Excremente durchfallen und entzieht ihnen mit Ausnahme des Wassers alle Nahrung, so gehen die Thiere nur durch den Hunger in einer Zeit vom 5.—11. Tage zu Grunde. Tödtet man einzelne Thiere an verschiedenen Tagen, so findet man ca. am 1.—3. Tage den linken oder rechten oberen Lappen oder beide zugleich dunkelroth, aber aufblasbar, etwa im Anfang des Engouements. An späteren Tagen findet man diese selben Stellen schon hepatisirt, die übrige Lunge absolut normal. Stirbt das Thier DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 579 am-8.—11. Tage, so kann die Hepatisation noch ausgedehnter sein, aber die übrige Lunge ist frei. Lässt man die Thiere fressen, so treten im Ganzen dieselben Erscheinungen auf. Keines meiner Thiere ist an der Hepatisation der Lunge gestorben. Lähmt man durch partielle Durchschneidung des Vagus dessen motorischen Theil, so stirbt ein Theil der Thiere nach zwei und mehreren Tagen, ein anderer Theil aber lebt. Bei den ersteren findet man Hepatisationen in dem oberen Theil der Lungen, in diesen häufig Futterreste; die übrige Lunge ist frei. Tödtet man die anderen Thiere, so findet man auch bei diesen freilich etwas weniger umfängliche Hepatisationen in den oberen Lungenpartien. Combinirt man endlich mit der Durchschneidung der beiden Recurrentes die Unterbindung des Oesophagus, so erfolgt der Tod stets nach 24—36 Stunden; in den Lungen findet man entweder seröse Durchtränkung eines oder beider oberen Lappen, eventuell vollständige oder theilweise Hepatisation. Die übrige Lunge ist frei, oder dunkler roth. Den drei Versuchsweisen ist gemeinsam, dass stets Mnndflüssigkeit in die Lnngen gelangen kann; daraus folgt, dass der Eintritt von Mund- flüssigkeit in die Lungen ausnahmslos zur Entzündung, die auf die oberen Partien localisirt bleibt, oder ausgedehnter sein kann, führt. Dagegen differiren die drei Versuchsweisen darin, dass, wie leicht er- sichtlich, die Menge von Mundflüssigkeit, welche in die Lnngen gelanst, in der Zeiteinheit eine verschieden grosse ist und zwar gemäss der Darstellung in aufsteigender Reihe; das heisst nichts anderes, als dass die Intensität und besonders die Geschwindigkeit des Eintritts der pathologischen Processe in den Lungen proportional ist der Menge von Mund- flüssigkeit (resp. Fremdkörpern), welche in sie gelangen kann. Dieser letzte Punkt bildet einen cardinalen Unterschied gegen die Lungen- entzündung nach totaler Vagusdurchschneidung; dieselbe tritt schon ohne Unter- bindung des Oesophagus ausnahmslos nach 24 Stunden auf; wie ich weiter unten zeigen werde, schon allein nach Durchschneidung der Recurrentes, sodass dieselbe im Gegensatz zur obigen Pneumonie innerhalb gewisser Grenzen unab- hängig ist von der Menge der Mundflüssigkeit, welche in die Lungen eintritt. Ferner ist der Process in jenen obigen Versuchen grossen- theils ein circumscripter, im Gegensatz zur Pneumonie nach totaler Vagus- durchschneidung, welcher ebenso constant ein difiuser ist. Wenn wir endlich selbst von den mikroskopischen Differenzen — die indess vorhanden sind — ebsehen, so geht nothwendig aus diesen Betrachtungen hervor, dass bei der doppelseitigen totalen Vagusdurchschneidung durchaus neben dem Fremdkörper noch ein Moment wirksam sein muss, welches jene Erscheinungen bedingt. Wenn man jetzt umgekehrt allein den sensiblen Vagus beiderseitig durch- schneidet, wobei z. B. die Athemfrequenz von 40 auf 14 für die Viertelminute abnimmt — so bleiben die Thiere unbeschränkte Zeit leben. (Der Einwand, dass nicht alle Lungenfasern durchschnitten sein könnten, soll am Ende sehr evident entkräftet werden.) Operirt man eine zweite Reihe von Thieren in gleicher Weise und tödtet dieselben an verschiedenen Tagen in der Zeit vom 2.—6. Tage, so findet man die Lungen durchaus normal, eventuell hier oder dort etwas geröthete Stellen, aber nirgends eine ödematöse Durchtränkung, ge- schweige eine Hepatisation. Ss 580 VERHANDLUNGEN Es führt demnach die Durchschneidung der sensiblen Vagi für sich allein niemals zu pathologischen Erscheinungen in den Lungen. Was den Einfluss des Herzvagus betrifft, so muss ich ein für alle Mal be- merken, dass es für das Leben und die Lungen des Kaninchens vollständig gleichgültig ist, ob derselbe in Action oder gelähmt ist. Wo liegt nun jenes oben gesuchte zweite Moment ? Bei der partiellen Durchschneidung der sensiblen Vagi kommt es unter gewissen Umständen vor, dass zugleich auch die Stimmbänder gelähmt worden sind. Nach 1—3 Tagen stirbt das Thier unter den Erscheinungen wie nach totaler Vagusdurchschneidung und die Section zeigt einen ausgedehnten patho- logischen Process in den Lungen. Wir schliessen daraus, dass, wenn auch die Durchschneidung der sensiblen Vagi allein nicht zur Lungenentzündung führt, ihre Lähmung doch jenes zweite Moment liefert, durch welches ein Process in den Lungen auftritt, wie wir ihn eben für die totale doppelseitige Vagusdurchschneidung kennen. Wir kommen somit zu dem Schluss, dass ohne Mundflüssigkeit bezw. Fremd- körper überhaupt keine Pneumonie eintrete, dass aber stets mit gleichzeitiger Läsion der Lungenfasern im Vagus jene Pneumonie auftritt, welche für die doppelseitige Vagusdurchschneidung charakteristisch ist. Zu diesen Schlüssen wurden wir durch indirecte Versuche und die deductive Be- trachtung geführt. Wir gehen endlich daran, den Beweis für die Richtigkeit dieser Hypothese durch den direeten Versuch anzutreten und sie damit zur Theorie zu erheben. Einem Kaninchen werden beide sensible Vagi durchschnitten; die Respiration fällt z. B. von 36 auf 16 Athemzüge per Viertelminute; nach 24 Stunden athmet das Thier etwa 18 —20 mal in der Viertelminute. Die alte Wunde wird wieder geöffnet und in einer Sitzung beide Recurrentes durchschnitten; die Wunde zugenäht; das Thier befindet sich wohl. Nach weiteren 12 Stunden ist entschiedene Athemnoth vorhanden, es respirirt nur noch zwölfmal in der Viertelminute und nach 24 Stunden ist das Thier todt. In den Lungen eine diffuse Entzündung, wie nach doppelseitiger totaler Vagusdurchschneidung. Der Versuch stellt sich also folgendermaassen: Alleinige Durchschneidung der sensiblen Vagi oder alleinige Durchschnei- dung der Recurrentes, die gesondert in den ersten Tagen nicht die geringsten Erscheinungen gaben, führen, selbst wenn man sie nicht gleichzeitig, sondernin Zwischenräumen von 24 Stunden auf- einander folgen lässt, zu einer Pneumonie genau gleich der nach doppelseitiger totaler Vagusdurchschneidung. Damit ist der directe Beweis für die obige Behauptung erbracht. . Wie vorauszusehen gelingt der Versuch auch in umgekehrter Reihenfolge; ich habe denselben bisher nur so ausgeführt, dass einem Thiere, welchem vor einigen Tagen beide Recurrentes durchschnitten worden waren, beide sensible Vagi abgetrennt wurden. Nach 24 Stunden Tod mit diffuser Pneumonie. Ein näheres Verständniss der Vorgänge erhalten wir durch folgende Be- trachtung: Der Einfluss der Lungenvagi kann beruhen 1) auf mechanischen Störungen als Folge der veränderten Rbythmik der Athmung; 2) auf neuro- paralytischen und 3) auf trophischen Störungen, worüber weitere Versuche ent- scheiden sollen. Was endlich den Tod nach doppelseitiger totaler Vagusdurchschneidung DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 581 betrifft, so müssen wir, nach Ausschluss aller anderen Gründe, auf die Affection in den Lungen zurückkehren. Da wir aber sehen, dass Thiere mit einer gering ausgedehnten Affection sterben, während andere leben, deren Lungen in aus- gedehnterer Weise erkrankt sind, so kann der Tod innerhalb bestimmter Grenzen nicht von der Ausdehnung des pathologischen Processes in den Lungen ab- hängen, sondern er ist abhängig von anderen noch zu eruirenden Ursachen. ! Hierauf folgen optische Notizen von Hrn. J. HIRSCHBERG. 1. Betrachtet man binocular durch eine Combination von zwei zwiefach reflectirenden Glasparallelepipeda ein körperliches Object, so erscheint es be- kanntermaassen platter wegen Verkleinerung der stereoskopischen Grundlinie; betrachtet man dadurch ein ebenes Portrait, so erscheint es plastisch, wohl deshalb, weil jedem Auge die richtige geometrische Projection dargebracht wird, was bei freier Betrachtung eines ebenen Portraits nicht der Fall ist. 2. Um topographische Mikrotomschnitte naturgetreu abzubilden, benutzt man am einfachsten das umgekehrte Bild, welches ein Lupenobjectiv auf die mit Durchzeichnenpapier bezogene gläserne Decke eines Holzkastens wirft. Das Prineip ist seit Porta (1583) bekannt, die Anwendung aber nicht verbreitet. Die Mikrometrie ist überaus einfach. 3. Der Gauss’sche Satz, dass in einem beliebigen centrirten System brechender Kugelflächen die erste Hauptbrennweite sich zur zweiten verhält, wie der Brechungsexponent des ersten Mediums zu dem des letzten, wird ohne Rechnung experimentell erläutert durch eine röhrenförmige Camera obscura von variabler Länge, die erst leer, d. h. nur mit Luft, dann mit Wasser oder einer Flüssigkeit von bekanntem Brechungsindex gefüllt, untersucht wird. 4. Indem man die Distanz D zweier Convexlinsen von F, bis über F, -+ F, verlängert, wo 7, und #, die Brennweiten der beiden Linsen dar- stellen, wird einem parallelen Strahlenbündel jeder beliebige Grad von Conver- senz oder Divergenz einschliesslich des Parallelismus ertheilt, und so ein ein- faches Optometer gewonnen. Die Schriftprobentafel wird auf den Kopf gestellt. It AM} =40-5"", MR, = 27"", so wird D = 60.5”” für Myopie !/,, D = 67-.5"" für Emmetropie, D=75"” für Hypermetrophie !/,. Der Apparat ist einfacher als die Optometer von A. v. Graefe und Snellen, welche nach dem Princip des galileischen Fernrohrs .construirt sind und besitzt alle Vortheile, die dem astronomischen Fernrohr zukommen. Durch Umkehrung des Apparates wird ein Controlversuch ermöglicht; jetzt ist DM 88 mie N I, D, = 61.577 für E,, 20), = AU) ie lalı Sn 5. Um die Messung des Hornhaut-Krümmungsradius zu einer bequem und schnell ausführbaren Methode der Praxis zu machen, werden in Höhe des zu _ untersuchenden Auges zwei Lichtflammen aufgestellt, so dass ihre gegenseitige 1 Vergl. oben S. 218—245 die ausführliche Darstellung dieser Untersuchung. 582 VERHANDLUNGEN Entfernung 1” beträgt und das zu untersuchende Auge vom Mittelpunkt ihrer Halbirungslinie um 1” entfernt ist. Mit einer Lupe (oder mit dem Pupillo- meter von Coccius) misst man /, die Grösse der Distanz der beiden Licht- flammen im Spiegelbildchen der Hornhaut, dann ist direct $ die Brennweite oder der halbe Krümmungsradius des Hornhautspiegels. Denn sei 5 ein Object, ß ein Bild, a der Abstand des Objectes vom Krümmungsmittelpunct eines Convexspiegels, so ist ße _# a mer oder Ar —ı 5, b folglich, da wir — 1 gemacht haben, dr = P. Die Untersuchung ist so schnell ausführbar, dass sie ebenso gut wie die Ophthalmoskopie auf jeden Patienten angewendet werden kann, und genau genug, um Abweichungen der Hornhautkrümmung von dem Mittel erkennen zu lassen. Jahrgang 1876—77. I. Sitzung am 27. October 1876. (44) Hr. Dr. Is. STEINER hält den angekündigten Vortrag: Ueber die Laryngo- skopie am Kaninchen, mit Demonstrationen. Neben der Laryngoskopie an der Katze und am Hunde war es wünschens- werth, auch die Laryngoskopie am Kaninchen, als an dem uns bequemsten Ver- suchsthiere für die physiologische und pathologische Untersuchung, auszuführen, welche bisher als zu schwierig zurückgewiesen worden war. Man bindet das Thier auf das gewöhnliche Kaninchenbrett mit dem Rücken nach oben auf, entfernt den Czermak’schen Halter und stellt einen von einem Metallhalter gehaltenen Metallring gerade über den Kopf des Thieres, bindet an die hintere Umfassung desselben die Ohren an deren Wurzel fest und hebt den Halter so hoch, dass der Nacken des '[hieres eben gut gestreckt wird. Mit zwei Fäden, die an die oberen und unteren Schneidezähne angelest und ent- sprechend befestigt werden, kann man die Mundhöhle weit genug offen halten, um mit einem kreisrunden Glasspiegel von 13 ®” Durchmesser in den Rachen einzudringen. Mit demselben erhebt man das Velum nach oben und hinten und eröffnet sich damit den Einblick in den Kehlkopf. , (Die Zunge wird durch einen Gehülfen mit den Fingern herausgezogen und festgehalten.) Die Stimm- ritze ist so weit, dass von den Stimmbändern nur die innersten Ränder gesehen werden können. Durchschneidet man einen Recurrens, so bedeckt das entsprechende ge- lähmte Stimmband, wie eine Coulisse, die halbe Stimmritze; die darauf fol- sende Durchschneidung des zweiten verengert die Stimmritze auf einen 1 "" weiten Spalt. Im Gegensatz zu Hund und Katze, wahrscheinlich auch zum Menschen, behält das Kaninchen nach doppelseitiger Recurrens- oder Vagusdurchschneidung seine normale Stimme, eine Erscheinung, die der weiteren Untersuchung noch vorbehalten bleibt. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 583 Hr. Dr. HırscHhBerG knüpft hieran eine Mittheilung über laryngo- skopische Untersuchungsmethoden. Um das gewöhnliche laryngoskopische Spiegelbild dem Bilde des Kehl- kopfes in situ gleich zu machen, was für Operationen wichtig sein kann, braucht man eine zweite Reflexion an einem Planspiegel, wozu die dem eigent- lichen Kehlkopfspiegel parallele Hypotenusenfläche eines rechtwinklig -gleich- seitigen Primas zu verwenden ist, das hinter der Durchbohrung des Beleuchtungs- Reflectors angebracht wird. Zur Vergrösserung des Kehlkopfbildes dienen die Larynxlupe und das Larynxmikroskop. Die Larynxlupe besteht aus einem prismatischen Kehlkopf- spiegel, dessen untere Kathetenfläche convex geschliffen ist, nach einem Radius von etwa °/,”’, die, wie ein gewöhnlicher Kehlkopfspiegel, mit einer Hand seführt wird. Das Larynxmikroskop ist nach. dem Princip des Kepler’schen Fernrohres, für eine Objectdistanz von 11”, eingerichtet und besteht aus zwei passend vereinigten Convexgläsern, einem Objectiv von 3° und einem Ocular von !/,”” Brennweite: es ist etwa 41/,” lang, giebt eine etwa achtfache Ver- grösserung und ein Gesichtsfeld, dessen Durchmesser einem Felde des Kehl- kopfes von nahezu !/,” entspricht. Hierauf spricht Hr. Herm. Mun& über den experimentellen Nach- weis der centralen Natur der sympathischen Ganglien. Von verschiedenen Seiten, besonders von Hrn. Sigmund Mayer, ist in neuerer Zeit die centrale Bedeutung der peripherischen Ganglienzelle ange- zweifelt worden. Es scheint hier danach, bei allen guten Gründen, doch an einfachen und unzweideutigen Beweisen zu fehlen. Einen solchen Beweis sieht der Vortragende in seinen Reizversuchen am Froschherzen ohne Sinus (vgl. oben S. 569), da die einfache mechanische Reizung an den Stellen der Vorhöfe und des Ventrikels, an welchen die Ganglien getroffen werden, eine ganze Reihe von Pulsationen des Herzens mit zunehmenden Intervallen, sonst überall nur eine einzige Pulsation herbeiführt. Noch handgreiflicher aber, so zu sagen, liefert den verlangten Beweis der folgende Versuch. Isolirt man am Froschherzen den Ventrikel durch einen dicht an dessen oberen Rande, ohne jede Verletzung des Ventrikels, geführten Schnitt, so treten — in Folge der mechanischen Reizung der Ventrikelganglien — zahlreiche Pulsationen des Ventrikels mit zunehmenden Intervallen ein. Man trenne nun den Ventrikel sogleich nach seiner Isolation durch einen zweiten Schnitt, der von der Basis zur Spitze links neben den Ventrikelganglien verläuft, in eine grössere rechte und eine kleinere linke Partie: die rechte Partie mit den Ventrikelganglien pulsirt weiter, während die linke unmittelbar in Ruhe kommt. Alsbald theile man durch einen neuen, durch die Höhlung geführten Schnitt die rechte Partie in eine vordere und eine hintere Hälfte: an jeder Hälfte sieht man jetzt innen, da wo die Ventrikel- klappe sich verschmälert inserirt, auf der Klappe das Ventrikelganglion, und beide Hälften pulsiren fort, oder es lassen sich, wenn die Pulsationen inzwischen aufgehört haben, durch eine leichte Berührung des Ventrikelganglions die zahl- reichen Pulsationen an jeder Hälfte wieder herbeiführen. An jeder Hälfte schneide man nun endlich mit einer feinen Scheere die Klappe oder auch nur das Ventrikelganglion allein aus: sofort hören die zahlreichen Pulsationen auf, und nur eine einzelne Pulsation ist durch die einfache mechanische Reizung fortan herbeizuführen. 584 VERHANDLUNGEN II. Sitzung am 10. November 1876. (46) Hr. GAD demonstrirt zwei Apparate zur Veranschaulichung der Wirkung der Intercostalmuskeln. Der eine Apparat, welchen Hr. du Bois-Reymond seit Jahren in seinen Vorlesungen dazu benutzt, und der auch wohl sonst in physiologischen Laboratorien verbreitet ist, um daran die Hamberger’sche Theorie zu demon- striren, besteht aus einem senkrecht befestigten vierkantigen Holzstabe, die Wirbelsäule darstellend, an welchem Querstäbe (Rippen) in der Art befestigt sind, dass sie je drei an jeder Seite in einer Verticalebene auf- und nieder- klappen. Die Enden der Querstäbe jeder Seite sind durch je einen senkrechten Stab (Sternum) verbunden, welcher bei den Bewegungen der Querstäbe gehoben und gesenkt wird, und welcher dieselben zwingt, bei jeder Neigung gegen die Wagerechte einander parallel zu bleiben. Die Querstäbe sind derart mit elastischen Bändern bespannt, dass die Richtung der letzteren auf der einen Seite den Verlauf der äusseren, auf der anderen Seite den der inneren Inter- costalmuskeln nachahmt. Bei dem mit der Hand ausgeführten Heben und Senken der die Rippen darstellenden Stäbe werden die Federn in einer Weise gespannt und entspannt, welche Schlüsse auf die Wirkungsweise von Muskeln gestattet, welche man im Geiste an ihre Stelle setzt. Bringt man nun statt der Federn wirklich Muskeln an, so treten bei ihrer Reizung Bewegungen der Rippen ein, welche der Hamberger’schen Theorie entsprechen. Der andere Apparat besteht aus dem 4., 5. und 6. Brustwirbel mit den daran befindlichen knöchernen Rippen, deren Enden auf jeder Seite gesondert in ähnlicher Weise durch senkrechte Stäbe untereinder verbunden sind, wie die Querstäbe des ersten Apparates. Hier gelingt mit Hülfe von Muskeln, welche nach Art der Intercostalmuskeln zwischen den Rippen ausgespannt werden, die- selbe Demonstration wie oben. Als Muskeln dienen zweckmässig die durch das Becken mit einander ver- bundenen Oberschenkel vom Frosch, aus denen die Femora theilweise ent- fernt sind. | Hierauf hält Hr. Dennert den angekündigten Vortrag: „Zur Physio- logie des Gehörorgans“. Der Vortragende stellt sich in Bezug auf die Auflösung der Schallwellen durch das Trommelfell auf den Boden der Weber-Heimholtz’schen Theorie, wonach dasselbe durch die ihm mitgetheilten Schallwellen in transversale Schwingungen geräth und präcisirt, um irrigen Ansichten Einzelner zu begegnen, die dem Trommelfell als einziger Membran zukommende Eigenschaft, durch ver- schiedene Töne in Mitschwingung versetzt werden zu können, dahin, dass dem- selben diese Eigenschaft als eine im Ganzen zu bewegende Membran zukomme. Aus eigenen Beobochtungen wie aus der Untersuchung namentlich musikalisch gebildeter Personen mit gesunden und kranken Gehörorganen auf Interferenz- erscheinungen, Schwebungen und Combinationstöne gelangt er zu der Vermu- thung, dass ein gemeinschaftliches Gesetz diese Vorgänge mit einander ver- knüpft, und spricht als solches .‚die Summirung und Differenzirung der Bewegung in ihrer Umsetzung in Kraft bezw. Druck an‘. Jede Schwebung muss seiner Ansicht nach in ihrer Wirkung auf das Gehörorgan von zwei DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 585 Gesichtspunkten aus betrachtet werden, einmal in ihrer Wirkung auf die Nervenelemente, welche den beiden primären in ihr verlaufenden Tönen ent- sprechen und zweitens in ihrer Eigenschaft, gleichzeitig die Empfindungen von Tönen hervorzurufen. Die erste besteht in einer periodischen Aenderung der den beiden primären Tönen entsprechenden Empfindungsqualitäten in Bezug auf ihre Quantität, bedingt durch periodische Summirung und Differenzirung der Bewegungen der beiden primären Töne und ist ein Vorgang, welcher in jedem Augenblick auch innerhalb der Schwebung abläuft; die zweite Wirkung besteht in periodischen Bewegungen der Contenta des Gehörorgans, gleichfalls bedingt durch periodische Summirung und Differenzirung der Bewegungen der beiden primären Töne, resultirt aber aus den Schwebungen in toto. Beide Vorgänge sehen innerhalb des Gehörorgans unabhängig von einander vor sich und ge- langen auch nicht immer gleichzeitig zur deutlichen Wahrnehmung. Gegen die ausschliessliche Entstehung der Combinationstöne nach dem zweiten augestellten Grundsatz, „dass dieselben entstehen müssen, sobald die Schwingungen so gross werden, dass auch noch das Quadrat der Verschiebung auf die Bewegung Einfluss erhält“, scheint ihm der Umstand zu sprechen, dass man einmal bei zu- nehmender. Schnelligkeit der Schwebungen den Uebergang derselben in Töne in der Empfindung direct beobachten kann, und dass die für ihre Entstehung auf- gestellten Grundsätze an gesunden und kranken Gehörorganen geprüft, nicht immer zutreffen. Der Vortragende vermuthet, dass sich das Gehörorgan für die Unterscheidung der oben erwähnten drei Vorgänge innerhalb der Wellenbewegungen genetisch entwickelt habe, so dass wir im Vorhof das Organ für die Unter- scheidung von Ruhe und Bewegung überhaupt, in den halbeirkelförmigen Canälen für periodische Bewegungen als solehe, und in der Schnecke für ihre Summirung zur qualitativen Empfindung besitzen. Absichtlich hat es der Vortragende unter- lassen, das Gehörorgan in seiner Eigenschaft als statischer Sinn zu betrachten, weil es ihm zunächst darauf ankam, dasselbe in seiner Eigenschaft als allgemein Wellenbewegungen auslösendes Organ zu fixiren, spricht sich aber dahin aus, dass sich in dem Gegebenen leicht Anknüpfungspuncte auch nach dieser Rich- tung finden lassen werden. Zum Schluss spricht Hr. InmAnveL Munk: „Ueber das Vorkommen der Schwefeleyansäure im Harn. Durch die Untersuchungen von Ronalds, Voit u. A. ist festgestellt, dass der Schwefel im Harn nicht allein in der Form von Schwefelsäure vorhanden ist, sondern noch ein anderer schwefelhaltiger Körper sich vorfindet, und zwar nach Sertoli und ‘Salkowski wahrscheinlich eine schwefel- und stickstoff- haltige Säure. Diese Säure ist, wie sich zeigen lässt, die Schwefelcyansäure. Die für sie so charakteristische Farbenreaction (blutrothe Färbung mit Eisen- salzen) ist wegen der Eigenfarbe des Harns und der nur vorhandenen geringen Mengen für den sicheren Nachweis der Schwefelsäure hier nicht zu verwerthen. Dagegen lässt.sich aus dem Blei- nnd Silbersalz der Säure und deren Zer- setzungsproducten beim Kochen mit verdünnten Mineralsäuren der qualitative Nachweis überzeugend führen. Man erhält nämlich beim Distilliren des Blei- und Silbersalzes mit verdünnten Säuren constant neben Schwefelwasserstoff die Cyanwasserstoffsäure (Blausäure) im Destillat. Dieselben Zersetzungsproducte giebt der Alkohol- und Aetherextractrückstand grösserer Harnmengen bei der gleichen Behandlung; eine fernere Bestätigung wird durch die Reaction von 586 VERHANDLUNGEN Schoenbein geliefert, Entwickelung von Schwefelwasserstoff beim Behandeln des Harns mit Zink- und Schwefelsäure, so dass über das Vorhandensein der Schwefeleyansäure im Harn kein Zweifel sein kann. Bisher hat sich ihr Vor- kommen im Harn von Menschen, Hunden und Kaninchen constatiren lassen. Für die quantitative Bestimmung wurde ein vom Vortragenden bereits für den Speichel erprobtes Verfahren benutzt, nämlich die Ausfällung der Schwefeleyan- säure mit Silberlösung, und die Bestimmung des Schwefelgehalts in diesem Schwefeleyan- und Chlorsilber gleichzeitig enthaltenden Niederschlage; es ergab sich, so für den menschlichen Harn bei gemischter Kost als Mittel mehrerer Analysen 0-08 Schwefeleyansäure oder 0-11 Schwefeleyannatrium im Liter; etwa um die Hälfte höher ist der Gehalt des Hundeharns bei reichlicher Fleischkost. Doch ist auf die Fleischnahrung allein die Ausscheidung der Schwefeleyansäure nicht zurückzuführen, weil auch der Harn von Herbivoren (Kaninchen) sie enthält. Die Schwefeleyansäure repräsentirt mit ihrem Schwefelgehalt im mensch- lichen Harn bei gemischter Kost etwa ein Drittel des ausser den Sulfaten im Harn vorfindlichen Schwefels. Innerlich genommen, erscheinen die Schwefeleyansalze im Harn wieder. Die durch mittlere Dosen von 1—2 8" herbeigeführte Steigerung der Schwefeleyan- säureausscheidung im Harn ist noch am 6. und 7. Tage nach der Einverleibung in den Körper recht erheblich und kehrt erst gegen den 8. Tag zur Norm zurück. Bei der ausserordentlichen Löslichkeit der Schwefeleyansalze erscheint diese Verzögerung ihrer Elimination höchst bemerkenswerth. III. Sitzung am 24. November 1876. (48) Herr ImmAnteL Munk hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber die Verbreitung der ungeformten Fermente im Thierkörper.“ Für das diastatische Ferment ist durch die Untersuchungen von v. Wittich und Lepine, für das fibrinverdauende Ferment des Pankreas durch Huefner eine allgemeinere Verbreitung im Organismus constatirt worden. Auch mit dem Pepsinferment des Magens scheint es sich ähnlich zu verhalten, hat doch schon . vor einer Reihe von Jahren Bruecke im Muskel und sogar im Harn Spuren eines pepsinartigen Ferments gefunden. Versetzt man wohl filtrirten gemischten Mundspeichel vom Menschen mit so viel Salzsäure, dass der Säuregehalt 0-1—0.-2 Proc. beträgt und fügt eine Flocke gut ausgewaschenen Blutfibrins hinzu, so erhält man fast constant nach vierstündiger Digestion bei Bluttemperatur mit dem Verdauungsgemisch deutliche Peptonreaction (die schön purpurrothe Färbung bei Zusatz von Natronlauge und wenig Kupferlösung in der Kälte). Durchaus überzeugend fällt der Versuch aus, wenn man zur Controle daneben die gleiche Menge Speichel mit Salzsäure und Fibrin digerirt, nachdem man zuvor durch Erhitzen auf Siedetemperatur das Ferment dieser Probe zerstört hat. Hier bleibt das Fibrin fast unverändert und das Vorhandensein von Peptonen lässt sich hier nicht darthun. Auch aus den Speicheldrüsen selbst gelang es nach dem Verfahren von v. Wittich — Extracetion der gut zerkleinerten Drüsen mit Glycerin, Fällen dieses Auszuges mit abs. Alkohol und Wiederauflösen des Niederschlages in Glycerin — dieses pepsinartige Ferment darzustellen. Es handelt sich hier um einen durchaus anderen DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 587 Fermentkörper, als den von Huefner! isolirten, da von diesem angegeben wird, dass er „so gut, wie der Fermentkörper des Pancreas Fibrin verdaut“, also ge- rade in alkalischer Lösung seine Wirksamkeit entfaltetee Auch bringt ihn Huefner vermuthungsweise zu dem in vielen Drüsen gefundenen Leuein und Tyrosin in Verbindung, der Art, dass diese vielleicht als Producte der durch jenes Ferment bewirkten Umsetzung des Eiweisses der Organe selbst anzusehen wären. Jedenfalls kann dieses dem fibrinverdauenden Princip des Pancreas ähnliche Ferment höchstens in minimalen Spuren in das Drüsensecret übergehen, weil es in der Regel nicht gelingt, mit dem alkalischen Speichel Umsetzung von Fibrin zu Pepton zu erhalten. Dagegen findet sich, wie der Versuch zeigt, unser pepsinartiges Ferment auch im Speichel vor. Statt der Salzsäure erweisen sich auch andere Säuren, so Salpeter-, Essig-, Milchsäure wirksam, nur dass es von diesen eines grösseren Zusatzes bedarf, soll die erwähnte Wirkung statt- haben. Zu bemerken ist, dass im Speichel selbst nur sehr geringe Mengen dieses Ferments vorhanden sind, weil es immer nur gelingt, wenig Fibrin in Pepton überzuführen. Durch das diastatische Ferment der Speicheldrüsen (Mensch, Hund, Kanin- chen) wird Tanninsäure in Gallussäure und Zucker zerlegt. Von den diastatischen Fermenten des Speichels und Pankreas wissen wir, dass ihre Wirksamkeit durch Zusatz von Alkalien erst in relativ hoher Con- centration, durch Zusatz von Säuren früher, aber auch erst bei einem Gehalt von 0-2 Proc. freier Salzsäure beeinträchtigt wird. Dagegen zeigen die nach dem Verfahren von v. Wittich aus der Magen- und Darmschleimhaut (Hund) und dem Muskel (Hund und Pferd) in kleinen Mengen darstellbaren diastatischen Fermente ihre stärkste Wirkung in neutraler Lösung, während schon beim ge- ringsten Säure- oder Alkaligehalt, in ersterem am schnellsten, ihre Wirksamkeit sich abstumpft und alsbald ganz erlischt. Es scheint sich hier um einen durchgreifenden Unterschied dieser Fermente gegenüber denen des Speichels und Pankreas zu handeln; wenigstens haben Ebstein und W. Mueller ein Gleiches von dem aus der Leber extrahirbaren diastatischen Fermente dargethan. Diese Erfahrung spricht wohl gegen die Identität dieser Fermente mit denen des Speichels und Pankreas. Hierauf hält Hr. Lrrten den angekündigten Vortrag: „Ueber die Ver- änderungen der Organe und des Stoffwechsels, welche aus der Einwirkung erhöhter Temperaturen auf denOrganismus resultiren.“ Er operirte ausschliesslich an Meerschweinchen, deren Temperatur er künstlich durch Verhinderung der Wärmeabgabe steigerte, indem er die Thiere in einen Wärmekasten brachte. Die Temperatur in demselben betrug 36 bis 37° C. und wurde auf dieser Höhe constant erhalten. Unter solchen Beding- ungen gelang es ihm, die Meerschweinchen 5—6 Tage am Leben zu erhalten. Die constanten Veränderungen, welche derartige Thiere darboten, waren inten- sive Verfettungen, welche sich in den parenchymatösen Organen vorfanden, die aber auch dann nicht gänzlich fehlten, wenn die Thiere 2—3 Tage den Eingriff überlebt hatten. In Betreff der Reihenfolge, in welcher die Organe verfetten, lässt sich eine gewisse Gesetzmässigkeit nicht verkennen; stets verfettete die Leber am frühesten, dann folgten Herz, Nieren, Respirations- und schliesslich 1 Journal für praktische Chemie, N. F., Bd. V. S. 372 u. fi. 588 VERHANDLUNGEN die Skeletmuskeln.. Die Veränderungen stellen sich in doppelter Form dar, entweder als einfache Infiltration, oder in den höchsten Graden als fettige Degeneration (bes. in den Nieren und im Herzen). Diese genannten Ernährungs- störungen sind nach des Vortragenden Ansicht nicht als ein Process sui generis, nicht etwa als der Ausgangspunkt einer parenchymatösen Entzündung anzusehen, sondern als die natürliche Folge gewisser Stoffwechselveränderungen, welche durch die Einwirkung hoher Temperaturen auf den Organismus hervorgebracht werden. Da die Veränderungen des Stickstoff-Stoffwechsels unter den gleichen Be- dingungen hinlänglich bekannt sind, so untersuchte er ausschliesslich die CO,- Exhalation der im Wärmekasten befindlichen Thiere und zwar 6—8 Stunden, nachdem sie der erhöhten Temperatur ausgesetzt waren und annähernd das Maximum der Temperatursteigerung erreicht hatten. Derartige Untersuchungen ergaben constant das Resultat, dass die CO,-Ausscheiduug beträchtlich ver- mindert ist. In Betreff des Zustandekommens der Verfettungen unter pathologischen Verhältnissen schliesst sich der Vortragende der Voit’schen Hypothese an, dass das aus dem Eiweiss in vermehrter Menge abgespaltene Fett in den Organen unverbrannt liegen bliebe, weil nicht genug Sauerstoff zur Oxydation desselben vorhanden sei. Den Sauerstoffmangel, unter dessen Einfluss wahrscheinlich auch abnorm grosse Quantitäten eiweisshaltiger Materie zu Grunde gehen, leitet der- selbe von der deletären Einwirkung erhöhter Temperaturen auf das Blut und auf die der Sauerstoffübertragung dienenden rothen Blutkörperchen her. IV. Sitzung am 8. December 1876. (4, 1877) Hr. LucAE hielt den angekündigten Vortrag „Ueber das Phonometer“. In dem wesentlich verbesserten, vom Vortragenden demonstrirten Phono- meter bietet sich ein Mittel dar, die Sprachintensität, d. h. den beim Sprechen angewandten Exspirationsdruck genau zu bestimmen. Der Apparat besteht in einer kurzen metallenen Röhre, deren eines Ende sich trichterförmig zu einem Mundstück (a) erweitert, welches am Bande mit DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 589 Gummi bekleidet ist. Am anderen Ende der Röhre ist ein in einer horizontalen Axe pendelnder Fühlhebel angebracht, dessen unterer kürzerer Hebelarm von einer Aluminium- oder Glasplatte (d) gebildet wird, welche in der Ruhelage die Röhre abschliesst, während der obere, in eine Spitze auslaufende längere Arm des Fühlhebels (e) an einem Quadranten den Pendelausschläg anzeigt. Wird ein beliebiges Wort in das Mundstück der Röhre hineingesprochen, so wird je nach dem hierbei angewandten Luftdruck die Platte nach aussen ge- trieben. Durch eine an der Axe angebrachte Vorrichtung wird bewirkt, dass beim Aufhören des Sprechens der Fühlhebel im Maximum der ihm vom Luft- druck mitgetheilten Bewegung stehen bleibt, und sein Ausschlag am Quadranten abgelesen werden kann. Die Construction des Apparates verfolgt in wesentlich verbesserter ver- kleinerter Gestalt genau denselben Zweck, welcher mit dem vor vier Jahren zunächst zur Functionsprüfung bei Schwerhörigen vom Vortragenden angegebenen Membran-Phonometer (vgl. Berl. klin. Wochenschr. 1872, No. 20) angestrebt wurde, und hat sich durch zweijährige Erfahrung praktisch erprobt. Den dem, Membran-Phonometer früher gemachten Einwand, dass das Instru- ment mit der Zeit untauglich werden, und namentlich die Spannung der Gummi- membran sich verändern könne, hat der Vortragende dadurch geprüft, dass er den Apparat mit einer Gasentwickelungsflasche luftdicht verband und durch Eingiessen eines und desselben Quantums Wasser den statischen Druck mass, welcher durch die hierdurch bewirkte Compression der Luft auf die Membran ausgeübt wurde. Bei 1'/; Jahr fortgesetzten Messungen stellt sich hierbei heraus, dass die Spannung der Membran im Wesentlichen dieselbe blieb, so zwar, dass die mittlere Differenz der der Spannung der Membran proportionalen Werthe kaum 1° betrugen. Bei weiterer Beobachtung stellte sich indessen heraus, dass die Gummimembran, wenn der Apparat längere Zeit hindurch nicht gebraucht oder in einem sehr feuchten Zimmer aufbewahrt wurde, ihre Elastieität verlor, endlich Risse und Löcher bekam, sodass die Membran in dem neuen Apparate ganz fortgelassen und durch eine feste Platte ersetzt wurde. Die hierdnrch erlangten praktischen Vortheile wurden reichlich durch die Schwierigkeit aufgewogen, ein Maass für die Grösse des Luftdrucks zu finden, mit welchem die die Röhre verschliessende Platte durch den Exspirationsdruck nach aussen gestossen wird. Nach längeren Versuchen bewährte sich das bei dem Membran-Phonometer oben angedeutete Verfahren, nur mit der Modification, dass zur Messung der lebendigen Kraft, mit welcher die in einem Glascylinder comprimirte Luft auf den mit letzterem verbundenen Phonometer bei Oeffnung eines Hahnes einwirkt, statt des Wassers Quecksilber zur Compression der Luft angewendet wurde. Es ergab sich hierbei, dass das Phonometer bei Benutzung eines bestimmten Volumens Quecksilber, bez. des an dem genannten Apparate selbst in Atmosphären zu bestimmenden Druckes, einen dem letzteren durchaus proportionalen Ausschlag am Quadranten mit grosser Regelmässigkeit in einer langen Reihe von Messungen anzeigte, so dass es möglich wurde, verschiedene Apparate mit Hülfe einer an der Hebelaxe angebrachten Schraubenvorrichtung so zu adjustiren, dass sie bei Anwendung des gleichen Druckes den gleichen Anschlag gaben. Die eingehende Abhandlung erscheint im Archiv für Ohren- heilkunde. 590 VERHANDLUNGEN V. Sitzung am 22. December 1876. Hr. Fark hält den angekündigten Vortrag „Zur Lehre von der anta- sonistischen Wirkung giftiger Substanzen“: Vortr. berichtet über Versuche, welche die antagonistische Wirkung von Strychnin und Chloral betreffen. Der physiologische Gegensatz dieser beiden Substanzen beschränkt sich danach nicht auf die, freilich besonders auffällige Einwirkung auf centrale Nerven-Apparate, sondern umschliesst u. A. auch ge- wisse, von jenen unabhängige, bisher weniger beachtete Einwirkungen der beiden Gifte auf die Erregbarkeit der motorischen Nerven, die Muskel-Irritabilität und die Todtenstarre. Endlich zeigt sich auch ein Antagonismus in einigen soge- nannten Elementar-Wirkungen. Hierauf hält Hr. SaLomon den angekündigten Vortrag „Beiträge zur Lehre von der Leukämie“: Redner hat zwei Fälle reiner lienaler Leukämie, welche im städtischen allgemeinen Krankenhause beobachtet wurden und späterhin zur Obduction kamen, zu Untersuchungen auf Glutin, Hypoxanthin, Milchsäure und einige andere Kör- per benutzt. In dem einen Falle wurden Milz, Blut und Harn, in dem anderen nur das Blut verarbeitet. Letzteres stammte in beiden Fällen aus der Leiche. Der Gang der Untersuchung war der von Salkowski (Virch. Arch. Bd. 50) benutzte. Die 4930 8”% schwere Milz enthielt Glutin, dessen Identität u. A. durch Darstellung von Glyeocoll-Kupferoxyd bestätigt wurde; ausserdem Hypoxanthin (0-.268%), Xanthin, Leucin, Tyrosin (0-8098%). Die Harnsäure fehlte gänzlich, ebenso die Milchsäure, letztere vielleicht in Folge von Zersetzungs- vorgängen. In beiden Fällen wurden im Blut (1500 und 1000, bez. 560 und 1480 m) relativ beträchtliche Mengen von Hypoxanthin, ausserdem Milchsäure gefunden. Die Krystallwasserbestimmung (an den Zinksalzen vorgenommen) ergab beide Male Fleischmilchsäure; ein gleiches Resultat lieferte die in dem einen Falle ausgeführte Bestimmung des Zinkgehalts, — Der Controle wegen wurden 3000 °® rein blutigen Pleuraergusses von einem Carcinomkranken ebenfalls auf Hypoxanthin und Milchsäure untersucht; beide waren vorhanden. Krystall- wasser- und Zinkbestimmung wiesen auch hier Fleischmilchsäure nach. Hypo- xanthin und Fleischmilchsäure sind also keine specifischen Bestandtheile des leukämischen Blutes; ob sie im Blute des normalen Individuums erscheinen, muss unentschieden bleiben. — Vielleicht stammt die Fleischmilchsäure des Blutes unter Umständen aus den Muskeln, nicht immer aus der Milz, deren Vergrösserung ja keine nothwendige Vorbedingung für das Auftreten von Fleischmilchsäure im Blute zu sein scheint. — Glutin wurde im Blute nicht gefunden. Der Harn enthielt den von Salkowski (a. a. O.) beschriebenen, auch im normalen Urin vorkommenden hypoxanthinähnlichen Körper. Milchsäure konnte in drei Portionen von je 10,000°” niemals nachgewiesen werden. DEB BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (FESELLSCHAFT. 591 V1. Sitzung am 12. Januar 1877. Hr. WerNnIcKE hält den angekündigten Vortrag „Beiträge zur Ana« tomie des Gehirns“: Ueber die Faserung des Marklagers der Grosshirnbemisphären giebt es bis jetzt nur wenige sichere Angaben. Zwar haben ältere Forscher im Marklager der Hemisphäre verlaufende Faserzüge bis in’s Einzelne beschrieben; aber deren Methode bestand in der Abfaserung an in Alkohol erhärteten Gehirnen. Der Umstand, dass dabei verschiedene gleich zuverlässige Forscher mitunter zu ver- schiedenen Ergebnissen gelangten, und dass man beim Fasern selbst erfährt, wie leicht man unwillkürlich in eine andere Faserrichtung als die des Haupt- verlaufes geräth, so dass Kunstproducte entstehen, lässt diese Methode nur so weit zuverlässig erscheinen, als sie durch Schnittpräparate bestätigt werden kann. Bekanntlich hat durch Stilling’s Methode des Studiums cantinuirlicher Schnittreihen die Erforschung des Centralnervensystems einen ungeahnten Auf- schwung genommen. Stilling ist jedoch nicht über den Pons noch aufwärts gelangt; erst durch Meynert haben wir über die wichtigsten Theile des Gross- hirns zuverlässige Aufschlüsse erhalten. Ueber das eigentliche Hemisphären- mark macht aber auch Meynert nur wenige und ganz allgemein gehaltene Angaben, er bemerkt z. B. gelegentlich. er könne irgend ein älteres Ergebniss der Faserungsmethode nach seinen Erfahrungen an Schnittpräparaten bestätigen, theilt aber nichts Genaueres über die an den einzelnen Schnitten gefundenen Verhältnissen mit. So verhält es sich auch mit den Angaben über den Verlauf der vorderen Commissur. Diese besteht aus zwei Bestandtheilen, einem Riechlappen- und einem Hemisphärenantheile. Beim Menschen und Affen ist der erstere rudi- mentär, wenn auch nachweisbar vorhanden, der in das Hemisphärenmark ein- strahlende Theil ist dagegen stark entwickelt. Nach Arnold gelangt derselbe nur in den Schläfelappen, nach Burdach und Gratiolet dagegen zugleich zur Spitze des Hinterlappens. Meynert schliesst sich der Ansicht der letzt- genannten Autoren an, ohne aber dafür Belege durch Schnittreihen beizu- bringen. Der Nachweis nun, dass es sich wirklich so verhält, lässt sich in einer horizontalen, der Basis parallelen Schnittreihe durch das Affengehirn erbringen. Man kann an einer solchen drei Stadien des Verlaufes verfolgen. Zu oberst, wo der Seitentheil der vorderen Commissur noch mit dem Mittelstück zusam- menhängt, sieht man den soliden Strang in einen quer gestellten Schrägschnitt übergehen, welcher sich zur Theilung in zwei Bündel anschickt. Auf tiefer geführten Schnitten erscheinen dieselben als zwei gesonderte Querschnitte, welche sich bald so verschieben, dass der äussere zugleich nach vorn zu liegen kommt. Endlich erblickt man auf noch tieferen Schnitten den einen, und zwar den hin- teren der beiden Querschnitte, in einen longitudinalen Faserzug auslaufen, wel- cher in einem nach aussen cnnvexen Bogen erst an die äussere Seite des Linsen- kerns gelangt und dann als Bestandtheil der äusseren Kapsel nach hinten in das sagittale Marklager des Hinterhauptslappens übergeht. In demselben bleibt es zu äusserst liegen und lässt sich etwa bis gegenüber der Cauda des Nucl. caudatus als gesonderter Strang verfolgen. Der andere Querschnitt enthält den schon von Meynert an Schnitten nachgewiesenen Verlauf in den Schläfe- lappen. 592 VERHANDLUNGEN Ein anderes gesondertes Bündel von Markfasern lässt sich im Oecipital- lappen durch Sagittalschnitte nachweisen. Auf solchen Schnitten, welche das nach aussen vom Hinterhorn gelegene Marklager etwa in der Mitte seiner Dicke treffen, geht das schon bekannte sagittale Lager des Hinterhauptlappens als un- unterbrochener Zug von der Hinterhauptsspitze (dem sogen. Operculum des Affen) bis an die Aussenfläche des Thalam. opt. und des Corp. genicul. extern. Weiter auswärts geführte Schnitte zeigen den sagittalen Zug unterbrochen durch ein von oben nach unten ziehendes Bündel von Querfasern, welches die zweite Schläfewindung (und zwar den Pli courbe, den oberen dem Praecuneus benach- barten Theil) mit der Spindelwindung verbindet. Das sagittale Lager zerfällt dadurch in zwei getrennte Abschnitte. Noch weiter nach aussen verschwindet der hintere dem Operculum zugekehrte Theil des sagittalen Lagers, während das Querbündel an Mächtigkeit gewinnt. Es ist hier stark nach vorn convex ausgeschweift, in der Mitte am dicksten, nach beiden Enden sich zuspitzend. Das geschilderte Bündel gehört zu den sogen. Associationsfasern, eine physio- logische Beziehung lässt sich daran noch nicht knüpfen. Die betreffenden Präparate wurden demonstrirt. Hierauf giebt Hr. Dr. J. HirscHBERG eine historisch -kritische Notiz zur Lehre vom kleinsten Gesichtswinkel. R. Hooke (1674) hat nicht be- hauptet, man könne zwei Sterne unter einem Winkel von einer Minute diffe- renziren, sondern im Gegentheil behauptet, man könne zwei oder beliebig viele Sterne, die in dem Raum einer Bogenminute enthalten sind, nicht getrennt wahrnehmen. R. Hooke hat zuerst (1674) mit einem getheilten Lineal er- mittelt, dass man zwei Striche nicht getrennt sehen kann, wenn ihr Zwischen- raum unter einem kleineren Winkel erscheint, als eine Bogenminute. Alle Beobachter (Tob. Meyer, Hück, Volkmann, Helmholtz u. A.) haben als Minimum des Destinctionswinkels 50 bis 90 Bogensecunden gefunden. Die Einwürfe, welche Volkmann (1863) mit Bezugnahme der Irradiation gemacht hat, werden am besten eliminirt, wenn man die Versuche so anstellt, dass der Zwischenraum zwischen den dunkeln Streifen sehr gross ist gegen die Breite jedes dunklen Streifens. VI. Sitzung am 26. Januar 1877. (6) Hr. BERNHARDT hält den angekündigten Vortrag „Ueber periphere Lähmungen“: Die Lehre von den Lähmungen peripherer Nerven ist im Wesentlichen eine Errungenschaft der neuesten Zeit. Erst seit der Einführung der elektrischen Untersuchungsmethoden in die Pathologie der Nervenkrankheiten gelang es, einen näheren Einblick auch für diese Erkrankungsformen zu gewinnen. Man unterschied allgemein in leichte und schwere Lähmungen. Als leicht bezeich- nete man diejenigen Erkrankungen, welche im Laufe weniger Wochen zu voll- ständiger Heilung kamen und sich bei elektrischer Prüfung dadurch charakte- risirten, dass die Erregbarkeit des erkrankten Nerv-Muskelgebietes erhalten blieb und sich von der gesund gebliebenen Seite nicht unterschied. Schwer nannte man diejenigen Lähmungen, bei denen die Erregbarkeit des erkrankten Nerven DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 593 innerhalb der ersten 10—13 Tage so erheblich sank, dass sie für die beim lebenden Menschen anwendbaren Stromstärken als erloschen betrachtet werden konnte. Es galt dies für die ersten 2—3 Wochen der Krankheit sowohl von dem Nerven, als auch vom Muskel und zwar für beide Stromarten. Redner beleuchtet darauf die im Laufe der dritten Woche eintretende Uebererregbar- keit der erkrankten Musculatur gegen den galvanischen Strom und erläutert die bekannten Beobachtungen über die „Entartungsreaction“. Als besonders inter- essant erscheint zur Zeit wiederbeginnender Regeneration des erkrankten Nerven das Verhältniss, dass der Muskel dem Willensreiz oder dem oberhalb der er- krankten Stelle angebrachten elektrischen Reiz wieder gehorcht, obgleich er bei directer galvanischer Reizung noch in der Form der Entartungsreaction reagiren kann. Durch den Vortragenden und Erb ist neuerdings eine Form der Lähmung bekannt geworden (Mittelform), bei welcher sich dieses eigen- thümliche, bei schweren Lähmungen erst nach Monaten eintretende Verhalten, schon früh innerhalb der ersten Wochen zeigt. Diese Thatsachen (Möglichkeit directer und indireeter Erregung des Muskels durch den faradischen Strom, Ent- artungsreaction desselben bei direeter galvanischer Reizung, normales Verhalten bei indirecter galvanischer Reizung) veranlassten den Vortragenden, daran zu denken, dass bei diesen Lähmungsformen die Muskeln der Angriffspunkt der Noxe sein könnten, welche gerade durch dieses Verhalten ihre ihnen eigenthüm- liche Irritabilität unabhängig von jedem Nerveneinfluss documentirten. Diesen drei zur Zeit bekannten Lähmungsformen (der leichten, mittel- schweren und schweren) gesellt der Vortragende nun eine vierte, hochinteressante bei, welche er in der jüngsten Zeit (October 1876) in zwei Fällen beobachtete. Es handelt sich um zwei Lähmungen im Bereich des Nerv. radialis bei Männern, bei denen von der Umschlagsstelle des Nerv. radialis vom Oberarm her, noch von höher gelegenen Punkten aus (Oberschlüsselbeingrube) weder mit dem fa- radischen, noch mit dem galvanischen Strom Reizerfolge an der Extensoren- musculatur (mit Ausnahme des M. triceps, in einem Falle auch des Sup. longus) zu erzielen waren. Bei directer Reizung der Muskeln dagegen, beim Aufsetzen einer oder beider Elektroden unterhalb der Umschlagsstelle auf der Dorsalseite des Vorderarmes selbst, erhielt man eine gute, prompte Contraction der Exten- sorenmuseulatur, ja es erschien sogar zu Anfang die Erregbarkeit eine etwas höhere, als auf der gesunden Seite. Es galt dies für beide Stromarten: die Zuckungen waren blitzartig, schnell und von Entartungsreaction, von einem Vor- wiegen der Oeffnungszuckungen oder der Anodenschliessungszuckungen über die mit der Kathode bei Stromschluss zu erzielenden war nicht die Rede. Alles das fand sich nicht allein 6—10 Tage seit Beginn der Lähmung, sondern auch noch nach 3, 4 und 5 Wochen, so dass man also hier das merkwürdige Bei- spiel einer für den Willen und den elektrischen Reiz vollkommenen Leitungs- unterbrechung hat, bei offenbarer Integrität der unterhalb der lädirten Stelle gelegenen Nerven- und Muskelpartien. Nach dem Vortragenden haben nur Brenner und Vulpian bisher je einen ähnlichen Fall beschrieben, Vulpian in den Erklärungsversuchen an die Analogie mit curarisirten Muskeln gedacht. Der Vortragende deutet darauf hin, dass man in der That bei solchen Fällen vielleicht an einen der Curarewirkung ähnlichen Einfluss der Kälte auf die intra- musculären Nervenendigungen denken könne. Er betrachtet diese Ansicht in- dess als eine rein hypothetische. Wenn man, da Sectionen nicht vorlägen, die Thatsachen umschreibend, auf Grund früherer von Erb angegebener Ge- Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol, Abthlg. 38 594 VERHANDLUNGEN sichtspunkte, eine Erklärung versuchen wollte, so müsste man am Nerven- stamm an einer Stelle eine Leitungsunterbrechung annehmen, welche bedeutend genug wäre, jedweden von oberhalb herkommenden Reiz zu hemmen, aber nicht schwer genug, um peripheriewärts die sonst bei derartigen Zuständen ein- tretenden Degenerationen des peripheren Nervenstücks und der Muskeln zu ver- anlassen. Weitere Ausführungen behält sich der Vortragende für einen anderen Ort vor. Zum Schluss macht Hr. Anpamkıewicz eine Mittheilung „Zur Physio- logie der Schweisssecretion“: Für die Vorgänge der Secretion innerhalb der Drüsensubstanz kennt die Physiologie zwei Arten von Quellen; — physikalische Kräfte, welche durch Vor- sänge der Filtration, und physiologische Ursachen, welche durch directe Nerven- vermittelung wirken. Für die zweite Art von secretorischen Kräften giebt es bisher nur Ein experimentell sichergestelltes Beispiel," das der Submaxillar- drüse mit ihren functionellen Beziehungen zu Erregungen der Chorda und des Sympathicus. Dem Vortragenden ist durch Versuche am Menschen der Nach- weis gelungen, dass auch die Secretion des Schweisses ein nervöser Act sei, der durch künstliche Erregung centrifugaler Nerven hervorgerufen werden könne.” Diese Nerven verlaufen in den motorischen Bahnen der betreffenden Bezirke und reagiren auf Reize unter günstigen Bedingungen, für welche Tempe- ratureinflüsse von Wichtigkeit sind, in Zeiträumen von weniger als einer Minute. Sie besitzen für die Unterextremitäten gemeinschaftliche Centren im Kkücken- mark, sind in ihren Wirkungen von Vorgängen der Circulation unmittelbar nicht abhängig und gestatten es, den Process der Schweisssecretion als einfachen Re- flexaet darzustellen, der sich den bekannten Gesetzen von den ein- und den doppelseitigen Reflexen unterordnet. VII. Sitzung am 9. Februar 1877. (8) Hr. Busc# hält folgenden Vortrag „Ueber die Doppelfärbung des Ossificationsrandes mit Eosin und Haematoxylin“: Der von Baeyer und Caro entdeckte, mit dem Namen des Eosin belegte Farbstoff ist das Kalisalz des Tetra-brom-fluorescein. Es ist in Wasser leicht löslich. Durch Säurezusatz wird ihm das Kali entzogen und es fällt der sog. freie Eosinfarbstoff aus. Derselbe ist in Alkohol löslich, wenngleich weniger als das Eosin in Wasser. Beide Farbstoffe sind in der letzten Zeit für mikroskopische Präparate vielfach empfohlen z. B. von Dreschfeld im Centralblatt für die medizinischen Wissenschaften, 1876 No. 40 und von E. Fischer im Archiw für mikro- skopische Anatomie Bd. 12, S. 349, 352. Ich habe das Eosin bei entkalkten Knochen, an denen es bisher noch nicht versucht zu sein scheint, angewandt. Ich bevorzugte hierbei die wässrige Lösung, die mir bessere Resultate gab, als die alkoholische. ! Hr. Luchsinger ist neuerdings durch Experimente am Thiere zu demselben Resultate gelangt. 2 Hr. Herzenstein hat 1867 in meinem Laboratorium Thränenabsonderung durch Reizung des N. lJaerymalis hervorgerufen. S. dies Archiv 1867. 8.651. (B.d.B.-R.) DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 595 Schnitte von Knochen, die durch Salpetersäure oder Milchsäure entkalkt waren und dann längere Zeit in Alkohol gelegen hatten, nahmen den Farbstoff gut auf. boten aber dabei die starke Fluorescenz dar, die dem Eosin selbst eigen ist. Die Entwässerung durch Alkohol und die Einlesung in Canada- Balsam hält der Farbstoff aus, ohne sich zu verändern. Am Licht erbleicht er jedoch allmählich bis zum vollständigen Verschwinden. War dagegen zum Zwecke der Entkalkung Chromsäure angewandt, in der Mischung mit Salpetersäure oder Salzsäure, und hatten die entkalkten Knochen dann längere Zeit im Alkohol gelegen, so färbten sich die Schnitte ohne Fluo- rescenz rein hellroth und der Farbstoff blieb echt. Nachdem ich dies gefunden hatte, legte ich Schnitte von den durch Sal- petersäure oder Milchsäure entkalkten Knochen aus dem Alkohol, in dem sie behufs Erhärtung gelegen hatten, auf einige Tage in !/,procentige Chromsäure oder 1 procentige Lösung von chromsaurem Kali und brachte sie, nachdem ich sie ausgewässert hatte, in die wässrige BEosinlösung. Jetzt färbten sich auch diese Schnitte ohne Fluorescenz und der Farbstoff blieb echt. Nur an einzelnen Stellen bildete sich eine Mischfarbe aus dem Roth des Eosins und dem Gelb der Chromsäure, doch glaube ich, dass sich dies durch längeres Auswässern vor dem Einlegen in die Eosinlösung verhindern lässt. Im Allgemeinen war die Farbe ein zartes reines Both. Das Eosin besitzt nun gerade für mikroskopische Untersuchungen an Knochen, wenigsten an solchen, die mit Zuhülfenahme von Chromsäure entkalkt waren, die schätzenswerthe Eigenschaft, dass es die Knorpelsubstanz ungefärbt lässt. Es eignet sich daher ganz besonders, und zwar in noch höherem Grade als das Carmin, zur Doppelfärbung mit Haematoxylin, welches die Knorpel- srundsubstanz blau färbt. Schnitte von der Verknöcherungsgrenze junger Knochen zeigen bei dieser Doppelfärbung die Knorpelgrundsubstanz rein blau, die Kerne der aufgeblähten, dem Knochenrande nahe liegenden Knorpelzellen rein roth, den Inhalt der Markräume gleichfalls rein roth und nur in den Knochenbälkchen selbst eine Mischung von blau und roth, die sich übrigens, wie ich glaube, durch vorsichtige Anwendung des Haematoxylins in ein reines Roth wird verwandeln lassen. Die auf diese Weise hergestellten Bilder sind ausserordentlich klar und übersichtlich und ich zweifle nicht, dass das Eosin das Carmin zum Zwecke der Doppelfärbung am Verknöcherungsrande ver- drängen wird. Hierauf berichtet Hr. Saromon „Ueber Untersuchungen, betreffend das Vorkommen von Glykogen in Eiter und Blut“: Hoppe-Seyler hat nachgewiesen, dass Rindslinsen nach mehrtägigem Verweilen in der Bauchhöhle eines Hundes einen Gehalt an Glykogen aufweisen, welcher auf die mittlerweile in das Linsenparenchym eingedrungenen Lymph- zellen bezogen werden muss. Im Eiter von Wunden und Congestionsabscessen fand er kein Glykogen; er nahm deswegen an, dass ein Gehalt an Glykogen nur den mit amöboider Bewegung begabten Rundzellen, nicht aber den meist starren Eiterkörperchen zukomme, liess übrigens die Möglichkeit zu, dass auch in frischen an beweglichen Zellen reichem Eiter gelegentlich Glykogen ange- troffen werden könne. Redner hat an zahlreichen, an grossen Hunden angestellten Versuchen fast 1 Ueber die Chemie des Eiters. Med.-chem. Untersuchungen, 4. Heft. 38* 596 VERHANDLUNGEN regelmässig erhebliche Mengen von Glykogen in dem Eiter der künstlich er- zeugten Abscesse gefunden. Der Gedanke, den Glykogengehalt des Eiters als Maasstab des jeweiligen Glykogenstandes im gesammten Organismus des lebenden Thieres zu benutzen, musste aufgegeben werden, da es sich herausstellte, dass selbst lange (bis zu 9, bezw. 12 Tagen) fortgesetztes Hungern des Glykogen des Eiters keineswegs wie das der Leber zum Schwinden bringst. Ob Zufuhr von Kohlehydraten einen Einfluss übt, konnte nicht entschieden werden, da die durch langes Hungern geschwächten Thiere stets vor Beendigung des betreffenden Versuchs erlagen. Menschlicher Eiter wurde in zwei Fällen chronisch verlaufener Abscess- bildung beide Male mit positivem Erfolge auf Glykogen untersucht. Im frischen Pleuraeiter wurde dagegen kein Glykogen gefunden !. (Redner zeigt ungefähr 2°" reinen aus menschlichem und thierischem Eiter dargestellten Glykogens vor.) Es lag nahe, nunmehr auch das Blut einer erneuten Prüfung auf Glykogen zu unterziehen. Das Vorhandensein der weissen Blutkörperchen lässt hier ebenfalls die Anwesenheit von Glykogen erwarten. Je mehr die genannten slykogentragenden Elemente von den übrigen Blutbestandtheilen befreit werden konnten, um so bessere Resultate standen in Aussicht. Der Vortragende unter- suchte deshalb, unterstützt durch die freundliche Zuvorkommenheit des Hrn. Dr. Möller, Docenten an der Thierarzneischule, die grossentheils aus weissen Blutkörperchen bestehende Crusta granulosa von Pferdeblut, welches in gekühlten Cylindern aufgefangen und zur Verhütung von Fermentationsprocessen sogleich mit einer Lösung von salyeilsaurem Natron versetzt worden war. In der That erhielt er aus 6—7 Litern Blut mit Alkohol schliesslich einen allerdings sehr spärlichen Niederschlag. Derselbe opalescirte schwach in wässeriger Lösung und ergab mit Jodjodkaliumlösung eine Rothfärbung, die beim Erwärmen ver- schwand, beim Abkühlen aufs Neue auftrat. Es handelte sich demnach höchst wahrscheinlich um Glykogen. Naunyn hat übrigens in dem Pfortaderblute mit Amylaceen gefütterter Thiere Spuren einer Substanz gefunden, die mit Speichel Zucker gab (A.a.0.8.92). X. Sitzung am 9. März 1877. (11) Hr. GAD demonstrirt zwei lebende Kaninchen, an denen das schlagende Herz durch Eröffnung des Thoraxraumes und unter Vermeidung der Eröffnung der Pleurahöhlen freigelegt ist. Der Sternum ist in seiner ganzen Länge, bis auf den Proc. xiphoid., entfernt, das Pericardium bis auf das Zwerchfell hinab gespalten, die künstliche Oeffnung im Brustkorb mit Hülfe einer Vförmigen Feder zum Klaffen gebracht. Das kräftig schlagende Herz ist in seiner ganzen Ausdehnung von den grossen Gefässstämmen bis zur Spitze mit einem Blick zu übersehen. Das rechte Herzohr liest ganz vor, von dem linken der vordere innere Rand, so dass die Farbe beider ohne Weiteres zu vergleichen ist. Wenn ! Naunyn, Beiträge zur Lehre vom Diabetes mellitus im Archw für experimen- Zelle Pathologie. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 597 auch die Lage des Herzens in Folge theilweiser Retraction der Lungen nicht mehr die normale ist, so ist sie doch, da der Pericardialraum als eine mulden- förmige Vertiefung zwischen beiden Lungen erhalten ist, eine sichere; sie schwankt mit der Athmung, aber innerhalb enger Grenzen. Die Athmung selbst ist, was Frequenz und Grösse der Volumenschwankungen der Lungenluft betrifft, durch den Eingriff nicht verändert, wie durch besondere messende Versuche festgestellt ist. Dem entsprechend zeigt ein so präparirtes Thier während mehrerer Stunden keine augenfällige Beeinträchtigung seiner Functionen, wenn man nur die frei- gelesten Brustorgane vor Verdunstung und Abkühlung schützt. Der morphologische Ausdruck für die Möglichkeit der Herstellung eines derartigen Präparates ist, dass bei dem Kaninchen auch im erwachsenen Zu- stande der vordere Mittelfellraum keine ideale, sondern eine solche reelle Grösse ist, dass das schneidende Instrument, wenn es gut in der Mittellinie geführt wird, bei seinem Vordringen bis zum Herzen nicht Gefahr läuft, die Pleura- höhlen zu eröffnen. Die Ausführung der Operation ist eine so einfache, dass sie kaum der Beschreibung bedarf. Grössere Gefässe werden nicht verletzt, so dass die Blu- tung, ohne dass für gewöhnlich eine Unterbindung nothwendig würde, sich in sehr engen Grenzen hält. Chloralnarkose erleichtert die Operation, doch ist sie nicht unbedingt erforderlich. Gelegentlich einer sich an die Demonstration anschliessenden kurzen Be- sprechung der geschichtlichen Entwickelung der Methodik des Studiums der Herzthätigkeit musste der Erfindung der beiden Methoden der künstlichen Re- spiration durch Hook im Jahre 1667 gedacht werden. Die hieran geknüpfte Bemerkung, dass es merkwürdig sei, dass der geniale Robert Hook die ihm so nahe gelegte Beobachtung des Zustandes der Apno& für Rosenthal übrig gelassen habe, fand Widerspruch in der Versammlung. Ein Mitglied vertrat die Ansicht, Hook habe allerdings die Apno& beobachtet und beschrieben. Aus der zur Hand befindlichen Originalquelle (.Philosophical Transactions No. 28 p. 539) konnte zur Evidenz bewiesen werden, dass wenn Hook und den Mit- gliedern der Royal Society, welchen er seine berühmten Versuche demonstrirte, das Phänomen der Apno&ö vorgelesen haben sollte, es jedenfalls keine Beachtung sefunden hat und sicher nicht von Hook beschrieben ist. Hierauf hielt Hr. Senator den angekündigten Vortrag: „Zur Lehre von der thierischen Wärme“, Der Vortragende bespricht zunächst die Frage nach der Wärmeregu- lation, in Betreff deren sich zwei Ansichten gegenüberstehen. Die eine findet die Mittel, durch welche die sogenannten Warmblüter ihre Innenwärme trotz äusserer Temperaturschwankungen constant halten, abgesehen von willkürlichen und instinctiven Maassregeln, hauptsächlich m Veränderungen der Wärme- abgabe, welche durch Aenderungen der Circulation und Verdunstung von Seiten der Haut bewerkstellist werden, während nach der anderen Ansicht eine unwillkürliche und reflectorische Anpassung der Wärmebildung an den Wärmeverlust, also eine Steigerung der Wärmebildung bei Abnahme der äusseren Temperatur und eine Verminderung jener bei Zunahme dieser statt- finden soll. Er zeigt, dass das Regulationsvermögen der Warmblüter, wenn sie von den willkürlichen Schutzmaassregeln (Bewegung, Nahrung u. s. w.) keinen Ge- brauch machen, ein sehr beschränktes ist, und dass namentlich die Menschen, 598 VERHANDLUNGEN. obgleich sie durch ihre Intelligenz es verstehen, sich am meisten gegen die Schwankungen der Aussentemperatur zu schützen, nur innerhalb ganz enger Grenzen ihre Innenwärme bewahren können, wenn sie auf die willkürlichen Schutzmaassregeln verzichten. Alle diese Erfahrungen sprechen nicht für das Vermögen, die Wärmeproduction nach dem Wärmeverlust zu regeln, aber sie bilden auch keinen strengen Beweis dagegen. Bewiesen oder widerlegt könnte das Vorhandensein eines solchen Vermögens nur werden durch calorimetrische Untersuchungen, ‘oder durch Untersuchung der Stoffwechselvor- gänge. Bei den calorimetrischen Untersuchungen, welche schon an und für sich grosse Schwierigkeiten bieten, tritt in diesem Falle, wo es sich also z. B. um den Einfluss der Abkühlung handelt, noch der Umstand erschwerend hinzu, dass, wie es eben in dem Begriff der Abkühlung liegt, in jedem Fall mehr Wärme, als normal, abgegeben wird, während man nicht weiss, wie viel davon in derselben Zeit produeirt ist und wie viel der Körper ausserdem von seinem Bestand an Wärme hergegeben hat. Ungefähr lässt sich dieser letztere Antheil durch Messung der Körpertemperatur vor und nach der Abkühlung schätzen. In einigen solchen Untersuchungen, welche der Vortragende früher an Hunden an- gestellt hat, sprach das Ergebniss nicht dafür, dass selbst bei sehr mässiger Einwirkung von Kälte suf die Haut, mehr Wärme, als ohne diese Einwirkung bei sonst gleichem Verhalten, gebildet worden wäre. Was die zweite Methode, die Untersuchung des Stoffwechsels, betrifft, so genügt die alleinige Bestimmung der ausgeathmeten CO, nicht, weil diese, worauf der Vortragende auch schon früher hingewiesen hat, in ihrer Menge sich ändern kann, ohne dass gleichzeitige Aenderungen in ihrer Bildung stattfinden. Sicherer sind die Bestimmungen der ausgeathmeten CO, und des gleichzeitig eingeathmeten 0. Ueber den Einfluss der äusseren Temperatur auf diese Gase liegen nur wenige Untersuchungen bisher vor. An Menschen sind von Speck 3 Versuche angestellt worden, bei welchen während der Abkühlung 2 Mal die CO, und 2 Mal der O innerhalb der normalen Schwankungen lag, 1 Mal über- stieg die CO,, und in einem anderen Versuch der O das normale Maximum ganz wenig, und dabei waren Muskelanstrengungen (Waschungen) nicht ausge- schlossen. Neuerdings sind in Pflüger’s Laboratorium und auf dessen Veran- lassung Untersuchungen angestellt, von Röhrig und Zuntz an Kaninchen und von Colasanti an Meerschweinchen. Pflüger selbst stellt auf Grund dieser Untersuchungen folgende Gesetze auf: 1. Ausathmung von CO, und Aufnahme von O gehen parallel (wenn nicht Dyspnoö vorhanden ist), so dass, wenn von O wenig aufgenommen wird, auch von CO, wenig produeirt wird und umgekehrt. { C { 2. Der Quotient = > ist eine unveränderliche Grösse („Naturconstante“). 3. Bei Thieren mit unversehrtem Nervensystem wirken Temperaturschwankungen der Umgebung von der Haut aus reflectorisch auf den Stoffwechsel, so dass jeder Abnahme der äusseren Temperatur eine entsprechende Steigerung des Stofl- wechsels (gemessen durch das Verhalten der CO, und des O) entspricht. 4. Dies gilt nur, so lange die Temperatur im Inneren (Rectum) des Thierkörpers nicht über oder unter eine gewisse Grenze geht. Bei sehr hoher Temperatur im In- neren werden maximale Werthe des Stoffwechsels und bei sehr niederer Tem- peratur minimale Werthe beobachtet, ohne Rücksicht auf die Temperatur der Umgebung. Der Vortragende weist nun im Einzelnen nach, dass die Versuche von DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 599 Röhrig und Zuntz diesen Gesetzen nicht entsprechen, sondern theilweise ganz direct widersprechen, dass namentlich auch bei Einwirkung eines warınen Bades Zunahme der Gasmengen und bei Einwirkung eines kalten Bades Abnahme des Sauerstoffverbrauchs beobachtet wurde. Colasanti hat hierüber an Meerschweinchen Versuche angestellt, welche sich vermöge ihrer ausserordentlichen Energie ihrer Wärmeregulation ganz be- sonders dazu eignen sollen. Doch giebt er an, dafür gesorgt zu haben, dass die Thiere in dem Athemraum nicht zu starker Kälte (nicht unter 6° C.) aus- gesetzt waren. In der That hat in dem Athemraum während der Versuche eine Temperatur von 6—10° geherrscht. Aber vor dem Versuche hat er die Thiere stundenlang in einem Eiskasten gehalten, dessen Tem- peratur wohl wenig über 0° gewesen ist (wie auch aus anderen Versuchen her- vorgeht). Nachdem die Thiere also Stunden lang starker Kälte ausgesetzt waren, brachte er sie zum Versuche in eine um mehrere Grade höhere Temperatur und fand dabei Steigerung des Stoffwechsels, Die Versuche sind daher nicht beweisend, dass sich Meerschweinchen abweichend von Kaninchen (und Menschen) verhalten, sondern sie können eher noch als Beweis gegen den steigernden Ein- Nuss der Kälte ausgelegt werden. XI. Sitzung am 23. März 1877. (13) Hr. Herm. Munk hielt den angekündigten Vortrag: „Zur Physiologie der Grosshirnrinde“. Die Localisation der Functionen in der Grosshirnrinde ist für den Vortra- senden ein physiologisches Postulat, und er hat Versuche unternommen, die durch Fritsch und Hitzig so glücklich angebahnte Kenntniss zu vervoll- kommnen. ÖObschon er die Untersuchung noch fortzuführen gedenkt, sieht er sich doch zu der folgenden Mittheilung veranlasst, um den jüngsten Veröffent- lichungen von Goltz möglichst bald entgegenzutreten. Goltz’ Erfahrungen zeigen wohl im Allgemeinen, dass nach erheblichen Verstümmelungen des Gross- hirns gewisse bedeutsame Störungen für immer zurückbleiben, aber im Beson- deren lehren sie Nichts und können auch Nichts darüber lehren, ob und welche Leistungen den einzelnen Abtheilungen des Grosshirns zukommen. Hierfür war die Methode der Ausspülung der Gehirnmasse durch Brunnenwasser unbrauchbar. Denn ausser das gewisse grosse Gehirnpartien geradezu fortgenommen wurden, mnssten durch den Druck, der sogar häufig die Athmung und den Herzschlag zum Stillstande brachte und zu tagelanger Bewusstlosigkeit führte, wie nicht minder durch das den thierischen Theilen so schädliche Wasser auch noch andere Hirnpartieen und zwar in ganz unbestimmter Lage und Ausdehnung für kürzere oder längere Zeit functionsfähig werden. Indem so aber durch die Operation eine noch viel umfangreichere Zerstörung angerichtet wurde, als schon von vorn- herein beabsichtigt war und durch die Section zur Feststellung kommen konnte, lässt es sich einerseits nur zu gut begreifen, wie Goltz, mochte er vorn oder hinten die Convexität angreifen, immer gleichartige und höchstens dem Grade nach verschiedene S "rungen beobachtete, und ist es andererseits selbstverständ- 600 VERHANDLUNGEN lich, dass Goltz’ Erfahrungen gegen die Localisation der Functionen in der Grosshirnrinde nicht zu verwerthen sind. Der Vortragende hat sich auf die Untersuchung der Convexität des Scheitel- lappens, des Hinterhauptslappens und des Schläfenlappens des Hundehirns be- schränkt und stets an mittelgrossen Thieren ohngefähr kreisrunde Stücke der Grosshirnrinde von ca. 15” Durchmesser und ca. 2" Dicke exstirpirt, theils an einer Hemisphäre und später symmetrisch an der zweiten, theils symmetrisch an beiden Hemisphären zugleich. Den Exstirpationen am Scheitellappen hatten bekanntlich zuerst Fritsch und Hitzig Bewegungsstörungen folgen sehen; „durch Abtragungen im Bereiche des Hinterlappens‘“ hatte Hitzig, und zwar, wie er glaubte, nicht durch Nebenverletzungen getäuscht, deren Einfluss er noch nicht hinreichend hatte feststellen können, „Blindheit des gegenüberliegenden Auges und paralytische Dilatation der entsprechenden Pupille‘“ hervorgebracht; nach grösseren Verletzungen des Hinterhirns endlich hatte Hitzig seinen sog. „Defect der Willensenergie“, d. h. einen Mangel des Widerstandes gegen passive Bewegungen der Extremitäten, beobachtet. Die Ergebnisse des Vortragenden waren folgende: Denkt man sich eine Linie von dem Endpunkte der Fissura Sylvii vertical gegen die Falx gezogen, so giebt diese Linie ohngefähr die Grenze ab von zwei scharf getrennten Sphären des untersuchten Grosshirnrindenabschnittes — einer vorderen motorischen und einer hinteren sensoriellen Sphäre. Exstirpa- tionen vor der Linie bedingen immer Bewegungsstörungen, Exstirpationen hinter der Linie haben nie, auch nicht spurweise, Bewegungsstörungen zur Folge. Ebenso ziehen den sog. „Defect der Willensenergie“ nur Exstirpationen vor der Linie nach sich, nicht Exstirpationen hinter der Linie. Im Bereiche der sen- soriellen Sphäre wird regelmässig volle Seelenblindheit — ohne jede Verände- rung der Pupille — erzeugt, wenn die Exstirpation den Hinterhauptslappen nahe seiner hinteren oberen Spitze trifft (Stelle A); volle Seelentaubheit, wenn die Exstirpation den Schläfenlappen nahe seiner unteren Spitze angreift (Stelle 2); das Thier hat im ersteren Falle die Erinnerungsbilder der Gesichtsempfindungen, im letzteren Falle die Erinnerungsbilder der Gehörsempfindungen verloren. Nach Exstirpation vor der Stelle A oder unterhalb der Stelle A, zwischen dieser und der Stelle 5, haben sich gar keine Veränderungen an den operirten Thieren wahrnehmen lassen. Die beiderseitige Exstirpation der Stelle 3 — die einseitige Exstirpation führt hier nicht zu sicheren Beobachtungen — ist eine so eingreifende Operation, dass derartig verletzte Thiere noch nicht länger als 15 Tage am Leben erhalten worden sind. Innerhalb dieser Zeit hat nur eine spurweise Restitution der Ge- hörswahrnehmung constatirt werden können. Dagegen hat der Vortragende die Bewegungsstörungen sowohl, wie die Seelenblindheit ganz allmählich innerhalb 4—6 Wochen, und zwar stets vollständig, bis auf die letzte Spur, sich verlieren sehen, so dass die operirten Thiere schliesslich sich in nichts mehr von nor- malen 'Thieren unterschieden. Die genaue Beobachtung besonders der auf beiden Seiten zugleich operirten Thiere ergab, dass die Thiere von Neuem sehen lernten, gerade so wie in der frühesten Jugend. | Danach hält der Vortragende dafür, dass die Grosshirnrinde wirklich, so undenkbar und so wenig einer ernsthaften Behandlung werth auch Goltz eine solehe Anschauung erscheint, doch „in verschwenderischem Uebermaasse“ angelegt ist, und es kann nach seiner Meinung auch schon deshalb gar nicht anders DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 601 sein, weil immer neue Vorstellungen, neue Erinnerungsbilder gewonnen werden können. Dass die Grosshirnrinde erst in der Jugend. mit Erinnerungsbildern besetzt wird, hat Soltmann’s schöne Untersuchung gezeigt. Nun ist es aber nicht anzunehmen, dass gerade die Stelle A die ganze Sehsphäre, die Stelle 5 die ganze Hörsphäre repräsentirt. Vielmehr glaubt der Vortragende, dass so- wohl die Seh- wie die Hörsphäre der Grosshirnrinde ausgedehnter sind, dass in dieser Seh- bez. Hörsphäre die Erinnerungsbilder in der Reihenfolge etwa, wie die Wahrnehmungen dem Bewusstsein zuströmen, gewissermaassen von einem centralen Punkte aus in immer grösserem Umkreise deponirt werden, und dass nach Exstirpation der zur Zeit alle oder die meisten Erinnerungsbilder beher- bergenden Stelle A bez. 5 der Rest der Seh- bez. Hörsphäre in der Umgebung von A bez. B mit neuen Erinnerungsbildern besetzt wird. Weder ein belie- biger Abschnitt derselben Hemisphäre, noch der symmetrische Abschnitt der anderen Hemisphäre, noch endlich auch bereits besetzte und mit anderen, nur gleichartigen Functionen betraute Nachbarpartieen würden also den Ersatz der verlorenen Grosshirnrindenstelle übernehmen, sondern bis dahin unbesetzte Par- tieen der vom Verluste betroffenen motorischen, bez. Seh- oder Hörsphäre. Die experimentelle Prüfung dieser Vorstellung durch nachfolgende Exstirpationen der Stellen vor und unterhalb A hat der Vortragende bereits begonnen, doch sind die schwierigen Versuche bisher noch nicht gelungen. Offenbar hat Goltz in Folge der grossen Ausdehnung seiner Zerstörungen der Grosshirnrinde immer die Bewegungs- mit den Sehstörungen verbunden ge- sehen und, weil zu wenig von der Seh-, bez. Hör- oder motorischen Sphäre erhalten geblieben war, nie eine völlige Restitution beobachtet; die Hörstörungen sind ihm vermuthlich deshalb entgangen, weil er die Grosshirnrinde nicht tief genug angegriffen und auch nicht an beiden Hemisphären gleichzeitig operirt hat. Seine Annahme, dass durch den Reizungszustand Hemmungsvorgänge von der Grosshirnwunde aus gesetzt seien, welche durch Lähmung gewisser in dem Kleinhirn und seinen Verbindungen gelegenen Centren alle die Störungen ver- anlassen, welche nicht bleibender Natur sind, ist unzulässig. Nicht bloss sprechen gegen sie die schon von Hitzig vorgebrachten Gründe, sondern es widerlegt sie auch geradezu die Erfahrung. Häufig ist die entzündliche Reaction, welche am 2.93. Tage nach der Operation eintritt, nur gering und bedingt keine be- sonderen Erscheinungen. Hin und wieder aber, wenn sie stärker ist, tritt z.B. nach Exstirpation der Stelle vor A, an dem bis dahin vom normalem gar nicht abweichenden Thiere nunmehr eine rasch zunehmende Seelenblindheit ein, die nach 1—2 Tagen wieder ganz verschwunden ist. Ist die Reaction noch stärker, dann gesellen sich zur Seelenblindheit in wachsender Stärke auch Bewegungs- störungen hinzu, die aber gleichfalls ebenso rasch, wie sie entstanden sind, sich wieder zurückbilden. Das thut klar dar, was allein der Reizungszustand der Hirnwunde nach sich zieht: mit der zuerst um sich greifenden und dann sich zurückbildenden Entzündung eine rasch vorübergehende Functionsstörung in der Umgebung der exstirpirten Partie. Auch am Pferde hat der Vortragende durch die Exstirpation kreisrunder Stellen der Grosshirnrinde von ca. 20””" Durchmesser und 2”” Dicke das eine Mal, wo er nahe der hinteren oberen Spitze des Hinterhauptslappens operirte, Seelenblindheit, das andere Mal, wo eine Stelle des Scheitellappens angegriffen wurde, Bewegungsstörungen des Vorderbeins, beide Male an der entgegengesetzten Körperhälfte herbeigeführt. Die hier stets eintretenden heftigen Entzündungen 602 VERHANDLUNGEN haben ihn aber von weiteren Versuchen am Pferde abstehen lassen und um so eher, als die Pferde für die Beobachtung durchaus keine Vorzüge vor den Hunden darboten. XI. Sitzung am 6. April 1877. (15) Aufgefordert über die einschlägigen Veröffentlichungen Ferrier’s sich zu äussern, giebt Hr. Herm. Mun& einen Nachtrag zu seinem Vortrage vom 23. März (s. oben). An der Grosshirnrinde des Affen will Ferrier im Gyrus angularis das Sehcentrum, dicht darunter im Gyrus temporo-sphenoidalis superior das Hör- centrum, in der tieferen Partie des Schläfenlappens die Centren des Geruchs und des Geschmacks, im Gyrus uneinatus (und Hippocampus major) das Tast- centrum, endlich in den Hinterhauptslappen das Hungercentrum (!) gefunden haben. Indess lehrt die einfache Durchsicht von Ferrier’s Versuchen, dass überall die Prüfungen der operirten Thiere in ganz unzureichender Weise vor- genommen worden sind und vielfach die allgemeine Depression der Hirnfunetionen, welche beträchtlicheren Grosshirnverletzungen in der Regel nachfolgt, Täuschungen veranlasst hat. Die angeführten Aufstellungen Ferrier’s unterscheiden sich desshalb in Nichts von einer ganz willkürlichen Construction, und ebenso werth- los sind Ferrier’s weitere Angaben über den zeitweiligen oder dauernden Charakter der durch die Operation gesetzten Störungen, wie über den functio- nellen Ersatz der Rindenpartie der einen Hemisphäre, durch die gleichwerthige Partie der anderen Hemisphäre. Gerade auf Grund von Ferrier’s Versuchen glaubt übrigens der Vortragende annehmen zu dürfen, dass die Seh- und die Hörsphäre auch beim Affen dort in dem Hinterhaupts- bez. Schläfenlappen ge- legen sind, wo er sie beim Hunde gefunden hat. Hierauf hält Hr. Anamkızwicz den angekündigten Vortrag „Ueber den Eiweisswerth des Peptons“: Man hat bis auf die neueste Zeit das Product der Magenverdauung von Eiweiss, das Pepton, für ein Product wahrer Zersetzung angesehen und in Folge dessen geschlossen, dass es im Körper des Thieres zum Aufbau der Gewebe nicht diene Als gewichtigster Grund für diese Ansicht galt die Thatsache, dass das Eiweiss durch den Peptonprocess seine charakterische Eigenschaft der Gerinnbarkeit in der Wärme verliert. — Der Vortragende weist darauf hin, dass es ihm gelungen sei, eine innige Beziehung zwischen Eiweiss und Pepton durch eine ihnen gemeinsame Reaction (Violetfärbung durch Eisessig und Schwefelsäure) festzustellen und dass er auf Grund dieser Beziehung zwischen den beiden genannten Stoffen einen tieferen Zusammenhang annehme, über dessen Natur die Analyse der Körper Auskunft geben müsse. Das Resultat der Analyse lehrt, dass zwischen Eiweiss und Pepton Unterschiede nur im Gehalt der Aschen, nicht der Elemente bestehen. Das Pepton ist an Asche ärmer, als seine Muttersubstanz. Diese Thatsache der Salzarmuth führe zu einer neuen, von der bisher gebräuchlichen sehr abweichenden Erklärung der mangelnden Gerinnbar- keit des Peptons in der Wärme. — Denn in neuerer Zeit hat Alex. Schmidt gefunden, dass auch gewöhnliches Eiweiss seine Fähigkeit, in der Wärme zu gerinnen, verliert, wenn es durch Diffusion eines grossen T'heils seiner Salze DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 603 beraubt wird. — Und in der That bestehen zwischen dem diffundirten und dem verdauten Eiweiss in so fern innige Analogien, als sie beide nur den geringen Rest von Salzen enthalten, welcher mit dem Eiweiss fester gebunden ist, den auslaugenden Processen Widerstand leistet und daher im Pepton, wie im dif- fundirten Eiweiss qualitativ, wie quantitativ derselbe ist. Beide enthalten un- sefähr 1 Proc. von vorzugsweise aus Phosphaten bestehenden Salzen. Nur ein wichtiger Unterschied ist zwischen beiden vorhanden. Das diffundirte Eiweiss gewinnt mit den verlorenen Salzen seine Gerinnbarkeit in der Wärme wieder, das Pepton aber nicht. — Der Vortragende liefert experimentell den Beweis, dass dieser Unterschied auf einer wahren „Schmelzbarkeit“ des Peptons beruht und deducirt daraus, wie man im unveränderten Eiweiss eine grössere Bindung der Moleküle, eine innere Structur und Differenzirung annehmen müsse, während dieselbe im Pepton nicht mehr vorhanden sei. Dadurch sei das Pepton als ein allgemeiner Bildungsurstoff der Gewebe charakterisirt, und der Process der Magen- verdauung erscheine als nichts anderes, als ein Process der Salzextraction und der Vernichtung der Molecularstructur im genossenen Eiweiss ohne chemische Zersetzung. — Für die erstere sei die Salzsäure thätig, deren räthsel- hafte Gegenwart im Magen der höheren Thiere nun einen tieferen Sinn gewinne, dies letztere stelle sich als die Wirkung eines Fermentes, des Pepsins, dar. Dieses Ferment ahme, indem es eine Moleculardistraction im Eiweiss erzeugt, nur den Effect der Wärme nach. Da man nun die Zersetzlichkeit eines chemischen Körpers der Summe von Wärme gleichsetzen könne, welche im Stande ist, die Molecularcohäsionen dieses Körpers aufzuheben, und da bei der Peptonisirung des Albumins ein Theil von Wärme zur Moleculardistraction im Eiweiss bereits, wie unten erwähnt, verbraucht sei, so müsse das Pepton ein Stoff sein, welcher um eine dieser Wärme äquivalente Grösse leichter zersetzlich sei, als Eiweiss. Nun bestimmt die Zersetzlichkeit der Nährstoffe die Art ihrer physio- logischen Verwerthung im Organismus, — Hat doch v. Liebig diese Stoffe nach ihrer Zersetzlichkeit in die plastischen, schwer zersetzlichen und zur Bildung der Gewebe dienenden, und in die respiratorischen, leicht zer- setzlichen und zur Wärmeerzeugung verwandten eingetheilt. Wenn also Pepton aus theoretischen Gründen für leichter zersetzlich gehalten werden muss, als Eiweiss, so weist das darauf hin, dass es trotz seiner Eiweissnatur physio- logisch dem Eiweiss nicht gleichwerthig sein und mehr zur Zersetzung, als zur Plastik dienen dürfte, als dieses. Der Vortragende hat mit Hülfe von Stoff- wechselversuchen die Frage nach dem physiologischen Werth des Peptons zu entscheiden gesucht. Er hat zunächst gefunden, dass das Pepton schneller dem Umsatz unterliegt, als Eiweiss, also thatsächlich, wie eben abgeleitet worden ist, leichter zersetzlich ist, als dieses. Ferner hat er durch Parallelfütterungen mit reinem Eiweiss festgestellt, dass das Pepton das Eiweiss in seiner Nähr- fühigkeit erreicht, ja sogar übertrifft. In dem Umstande, dass das Pepton trotz seiner grösseren Zersetzlichkeit sich im Thierkörper nicht mehr, sondern weniger zersetzt, als Eiweiss, ist der Beweis enthalten, dass das genossene Eiweiss nicht als solches in die Säfte eintritt und zur Gewebsbildung diene, sondern der Haupt- masse nach als Pepton. Denn in dieser ganzen Erscheinung wiederholt sich nur ein bekanntes Prineip chemischer Oekonomie, wonach ein rein dargestelltes Product eines chemischen Körpers grössere Wirkungen erzielt, als ein Quantum seiner Muttersubstanz, welche theoretisch die gleiche Menge jenes Productes enthält. Die Nährfähigkeit des Peptons ist wohl geeignet, ihm eine gewisse 604 VERHANDLUNGEN Stellung auch in der therapeutischen Pathologie zu sichern. — In Bezug auf die Details seiner Arbeiten verweist der Vortragende auf seine Monographie: Die Natur und der Nährwerth des Peptons. Berlin, bei Hirschwald. XIll. Sitzung am 20. April 1877. (18) Hr. EwArn spricht über Transpiration des Blutes. Der Vortragende hat die Stromgeschwindigkeit des Blutes in sehr kleinen Röhren (gläsernen Capillaren von 0,5—0,7 "” Durchmesser) in ihrer Abhängigkeit von dem Druck, der Temperatur, der Weite der Röhren und der wechselnden Beschaffenheit des Blutes verschiedener Individuen und nach verschiedenen Zusätzen zu demselben studirt. Durch einige wesentliche Veränderungen des von Poiseuille in seinen „kecherches sur l’&coulement des liquides par des tubes de tres-petit diametre“ angewandten Apparates, deren hauptsächlichste darin bestand, dass die zu durch- strömende Capillarröhre in Folge einer besonderen Anordnung senkrecht gestellt ist, gelang es, die Uebelstände, an denen Poiseuille bei dem gleichen Ver- suche scheiterte, zu überwinden und unter gleichen Bedingungen für gleiches Blut gleiche oder nahezu gleiche Stromgeschwindigkeiten oder Transpirations- zeiten zu erhalten. Gemessen wurde immer die Ausflusszeit gleicher Volumina und hiernach die Geschwindigkeit berechnet. Es wurden drei Versuchsreihen angestellt: 1) solche mit reinem defibrinirtem Blute und Serum, 2) solche mit Blut und Serum, welches mit verschiedenen Substanzen versetzt war, 3) solche mit Blut verschiedener kranker Individuen. Hierbei ergab sich für 1), dass sich bei entsprechender Länge der Röhren die Ausflussmenge verhält wie die vierten Potenzen der Durchmesser und wie der Druck; dass sich die Strom- geschwindigkeit steigert mit wachsender Temperatur, indessen nicht proportional dem Wachsen derselben, sondern für gleiche Temperaturintervalle die Steigerung um so grösser ist, je niedriger die Temperatur und je langsamer die Ausfluss- geschwindigkeit ist; dass die Transpirationsgeschwindigkeit abnimmt mit der Zeit, welche zwischen Vivisection und Versuch verstreicht; dass die Transpi- rationsgeschwindigkeit sinkt mit steigendem specifischen Gewicht und wächst mit steigendem Wassergehalt des Blutes; dass sich der Coöfficient % Poiseuille’s für Menschenblut berechnet im Mittel verhält wie 0,46 : 1 (den für Wasser = 1 gesetzt) und endlich, dass sich für Serum die Transpirationszeit nicht ändert mit der Zeit der Entnahme. Für 2) wurde defibrinirtes Blut oder Serum mit solchem verglichen, welchem Kohlensäure, Nicotin, Strychnin, Curare, Chloral, Chinin, Aether und Harnstoff beigemischt waren. Für die ersten sechs Stoffe wurde beim Blut eine Verlangsamung (bis zum Doppelten der Geschwindigkeit des unver- mischten Blutes und steigend mit steigendem Procentgehalt der zugesetzten Substanz) beobachtet, während sie beim Serum theils ohne Einfluss waren, theils eine Beschleunigung hervorriefen. Für Aether (und gefrorenes Blut) ergab sich eine Beschleunigung. der Transpiration. Der Harnstoff schien ohne Einfluss auf Blut und Serum zu sein. Was schliesslich 3) das Verhalten verschiedenen menschlichen Blutes kranker Individuen betrifft, so differiren die Transpirations- zeiten allerdings erheblich von einander, so z. B. betrug die Zeit bei einem delirirendem Potator mit leichtem Fieber das 1—6fache der Transpirationsdauer DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 605 des Blutes eines Morbillen-Reconvalescenten, aber durchgreifende typische Unter- schiede der Transpiration für gewisse Krankheiten und Temperaturverhältnisse der Individuen liessen sich nicht erkennen. Der Vortragende erwähnte sodann die Ergebnisse der mikroskopischen und spectroskopischen Untersuchung der ad 2) aufgezählten Blutarten und führte aus, wie weit die von Mosso unter dem Titel „Von einigen neuen Eigenschaften der Gefässwand“ veröffentlichten und die eigenen Untersuchungen sich zu ergänzen im Stande sind.! XIV. Sitzung am 4. Mai 1877. (19) Hr. InmAnven Munk hält den angekündigten Vortrag „Ueber die Ein- wirkung des Glycerins auf die Gährungsprocesse“: Bei Versuchen mit künstlicher Verdauung hat der Vortragende die Er- fahrung gemacht, dass in Verdauungsgemischen, welche mit den nach v. Wit- tich’s Vorschrift bereiteten Glycerinextracten der Organe hergerichtet sind, eine Umsetzung der Kohlehydrate zu Milchsäure ungeachtet 24stündiger Digestion bei 38—40° C. nicht zu Stande kommt, während Milchsäuregährung eintritt, sobald man statt der Glycerinextracte die wässrigen Auszüge anwendet. Diese Erfahrung, die den gährungswidrigen Einfluss des Glycerin wahrscheinlich machte, wurde der Ausgangspunkt der Untersuchungen. Versetzt man eine Milchzuckerlösung mit Käse, fügt kohlensaures Natron bis zu deutlich alkalischer Reaction (Alkalien begünstigen die Milchsäuregährung) und endlich eine der Mischung gleiche Menge reines conc. Glycerin (spec. Gew. = 1,25) hinzu, so erfolgt selbst nach 21 Tagen trotz steter Digestion bei 40° C. weder milchsaure noch buttersaure Gährung, die Flüssigkeit erweist sich vielmehr zu dieser Zeit noch ebenso stark alkalisch, wie zu Anfang, während ohne Zusatz von Glycerin in einer solchen Mischung Bildung von Milchsäure schon zwischen 11 und 15 Stunden nachweisbar ist. Zusatz von 1 Th. Glycerin auf 3 Th. Zuckerlösung schiebt den Gährungsprocess so ausserordentlich hinaus, dass erst zwischen dem 7. und 8. Tage die alkalische Reaction infolge der ge- bildeten Milchsäure in die neutrale umschläst; 1 Th. Glycerin auf 9 Th. Zucker- lösung verzögert die Gährung um 22—30 Stunden. Sehr energisch hemmt das Glycerin die spontane Gährung der Milch. Zu den Versuchen wurde stets frisch gemolkene Kuhmilch von alkalischer Reaction benutzt, die dem Vortragenden aus dem Musterstall der hiesigen Thierarznei- schule durch gütige Vermittelung geliefert wurde. Die Vermuthung, dass, ent- sprechend der geringeren Intensität des Gährungsvorganges bei mittleren Tem- peraturen, es hier zur Verzögerung der Fermentation geringerer Mengen von Glycerin bedürfen würde, bestätigte sich vollständig. Bei Zimmertemperatur, die zwischen 15—20° C. schwankte, wurde Milch bei Zusatz von !/, ihres Volumens an Glycerin erst zwischen 8 und 10 Tagen sauer; eine Mischung von 1 Th. Glycerin auf 10 Th. Milch wurde 2—3 Tage, 1: 25 33—38 Stunden, 1:40 und 1:50 wurde 15—18, häufig sogar erst 20—24 Stunden später sauer, als eine Controlprobe derselben Milch, die ohne jeden Zusatz 1 Die ausführliche Arbeit steht in diesem Archiv, 1877, 8. 208. 606 VERHANDLUNGEN der spontanen Gährung überlassen war, und um annähernd entsprechende Zeit- räume wurde auch der Eintritt der Gerinnung hinausgeschoben. Diese Be- obachtung, wonach bei 15—20° C. ein Zusatz von Glycerin zur Milch zu 2—2!/, Proc. den Gährungsprocess nicht unerheblich ver- zögert, dürfte, abgesehen von dem Interesse, das diese Erscheinung an sich darbietet, auf die eventuelle Möglichkeit einer praktischen Anwen- dung des Glycerin hinweisen. Milch mit einem Zusatz von 2 Proc. Glycerin, unterscheidet sich übrigens in ihrem Geschmack nicht merklich von unversetzter Milch. In allen Versuchen befand sich die Milch in unbedeckten Cylindergläsern oder war selbst in grossen, fiachen Schalen ausgebreitet, so dass bei der freien Communication mit der an Gährungs- und Fäulnisskeimen reichen Luft des Laboratoriums die günstigsten Bedingungen für die Gährung gegeben waren. Milch mit einem Glycerinzusatz von der Hälfte oder nur !/, ihres Volumens hatte bei 15—20° C. nach 6—7 wöchentlichem Stehen im ersten Falle gar nichts, im letzteren nur sehr wenig von ihrer Alkalescenz eingebüsst. Mit steigender Temperatur und dem entsprechend wachsender Intensität des Gährungs- processes bedarf es grösserer Mengen von Glycerin; die für höhere Temperaturen von 20—40° C. erforderlichen Glycerinzusätze werden in der ausführlichen Mittheilung niedergelegt werden; hier sei noch erwähnt, dass bei Blutwärme 1 Th. Glycerin auf 8 Th. Milch die Gährung um 15— 24 Stunden, 1 Th. zone auf 3 Th. Milch um etwa 4 Tage hinausschiebt. Auch die alkoholische Gährung der Kohlehydrate wird durch Glycerin er- heblich beeinträchtigt. Die neben dem Alkohol entwickelte CO?-Menge giebt, verglichen mit der von der nämlichen, aber unversetzten Zuckerlösung in gleichen Zeiträumen entbundenen CO?, einen geeigneten Maassstab für die: Beurtheilung der Intensität, mit welcher der Gährungsprocess verläuft. Eine mit frischer Bierhefe versetzte Zuckerlösung, der die gleiche Menge Glycerin hinzugefügt war, hatte nach 48 Stunden keine CO? entwickelt. In einer Mischung von 1 Th. Glycerin auf 2 Th. Zuckerlösung trat in der Regei auch gar keine oder erst im Verlauf des zweiten Tages eine nur geringfügige CO?-Entwickelung auf. Eine Mischung von 1 Th. Glycerin auf 3 Th. Zuckerlösung hatte nach 24 Stunden nur etwa %/,, 1:5 etwa ®/, so viel CO? entbunden, als die Controlprobe ohne Glycerin-Zusatz; dagegen war die Gesammtmenge von CO?, die am Ende des zweiten Tages sich in der Mischung 1 : 5 angehäuft hatte, ziemlich ebenso gross, als die der Controlprobe. Während sonst in der Regel nach 48 Stunden der Gährungsprocess sein Ende erreicht hat, ‘verlief er in der Mischung 1 Th. Glycerin auf 4 oder 3 Th. Zuckerlösung bis zum Ende des dritten Tages, ja zuweilen darüber hinaus weiter, er spielte sich also in geringerer Intensität innerhalb eines längeren Zeitraumes ab. Diese Versuchsreihe wurde bei einer Temperatur angestellt, die zwischen 20—25° C. schwankte; sie ist erfahrungsgemäss für die Alkoholgährung die geeignetste. Von den im Pflanzenreiche verbreiteten Fermentationen wurde die Beein- trächtigung der Emulsinwirkung untersucht und zwar in Rücksicht auf die Spal- tung der Benzolglukoside, des Amygdalins und Salieins. Die Energie der durch das Emulsin eingeleiteten Fermentation, welche die Umwandlung dieser Glukoside in Zucker und einfachere Benzolderivate zur Folge hat, ist bekanntlich weit grösser, als die der Fermente der milchsauren und alkoholischen Gährung; dem- zufolge ist hier auch ein reichlicherer Zusatz von Glycerin erforderlich, soll die Fermentation verzögert werden. Während auf Zusatz von Amygdalin zu einer DER BERLINER PHYSIOLOGISCUEN GESELLSCHAFT. 607 Emulsinlösung schon nach Sekunden bis Minuten die Spaltung in Bittermandelöl, Blausäure und Zucker erfolgt, wird dieser Vorgang durch Hinzufügen der gleichen Menge Glycerin um 1/,—?/, Stunden hinausgeschoben, auf Zusatz des zweifachen Vol. von Glycerin erfolgt die Umsetzung kaum vor 7 Stunden und verläuft auch weiterhin sehr langsam. Salicin wird durch Emulsin in wässeriger Lösung meist innerhalb !/, Stunde zu Zucker und Saligenin zerlegt, Zusatz des halben Vol. von Glycerin schiebt die Spaltung um einige Stunden hinaus; fügt man die gleiche Menge Glycerin hinzu, so haben sich selbst nach 20 Stunden nur Spuren von Saligenin gebildet. Ueber die Einwirkung des Glycerins auf die Spaltung anderer Glukoside soll später berichtet werden. Endlich hat der Vortragende eine hierher gehörige Erfahrung an dem diastatischen Ferment der Bauchspeicheldrüse gemacht. Ein mit reinem Glycerin bereiteter Extract des Pankreas hatte selbst nach längerer Zeit mässig dicken Stärkekleister nicht zu Zucker umgesetzt, während derselbe Kleister, mit Speichel versetzt, in wenigen Minuten Zuckerreaction gab. Als dann der Stärkekleister verdünnt und damit die Concentration des Glycerin vermindert wurde, erfolgte in kurzer Zeit Zuckerbildung. Neuerdings haben Seegen und Kratschmer eine analoge Beobachtung bezüglich der Einwirkung des aus der Leber durch cone. Glycerin extrahirten diastatischen Ferments auf Glykogen veröffentlicht. XV. Sitzung am 18. Mai 1877. (21 u. 22) Hr. Senator giebt folgenden Nachtrag zu seiner Mittheilung vom 9. März 1877: „Zur Lehre von der thierischen Wärme“? In der Sitzung vom 9. März d. J. habe ich in einem Vortrage über die Regulation der thierischen Wärme auch die Ansichten Pflüger’s dar- über, welche er zum Theil als ewig gültige Gesetze formulirt hat, besprochen ‚und mich bemüht, im Einzelnen nachzuweisen, dass die aus Pflüger’s Labo- ratorium selbst hervorgegangenen Versuche theils den Anforderungen nicht ent- sprechen, welche man an exacte Versuche stellen muss, zumal wenn sie zur Begründung ewiger Gesetze dienen sollen, theils diesen Gesetzen direct wider- sprechen. Der in den Sitzungsprotokollen veröffentlichte Auszug dieses Vortrages hat Pflüger zu einem Aufsatz (sein Archiv, Bd. XV. 8. 101) veranlasst, in welchem er die Beweiskraft jener Versuche vertheidigt und ins- besondere die Versuche von Röhrig und Zuntz einzeln durchgeht, weil, wie er mit Recht sagt, „diese Versuche vielfach in der medicinischen Literatur be- sprochen worden sind und es Niemandem jemals eingefallen ist, daraus Belege abzuleiten, wie ich (Senator) es nun versuche“. Gerade dies war, wie ich damals schon angab, auch für mich der Grund gewesen, Ihnen diese Versuche einzeln vorzuführen. Gestatten Sie mir nun, Ihnen zu zeigen, auf welchem Wege Pflüger aus denselben Versuchen das gerade Gegentheil erschliesst von dem, was ich aus ihnen geschlossen habe. Es ist nicht häufig, dass ein Phy- siologe die auf seine Veranlassung (a.a. 0. Bd. XIV. 5.454) angestellten Versuche 1 Pflüger’s Archiv für die gesammte Physiologie. Bd. XIV. S. 593. 2 S. oben S. 597. 608 VERHANDLUNGEN so eingehend interpretirt, wie es hier von Pflüger geschehen und es ist schon deswegen nützlich, die Anweisung, welche ein Physiologe zur Auslegung von Experimenten giebt, kennen zu lernen. Ich werde die Versuche, sowie Pflüger’s Gesetze, wörtlich anführen und bitte Sie mit Hülfe der Ihnen vorliegenden Exemplare von Pflüger’s Archiv zu constatiren, dass ich keine Zahl und kein Wort anders anführe, als dort zu lesen ist, auch keinen Satz so aus dem Zusammenhang reisse, dass er etwa einen anderen Sinn als im Zusammenhange annehmen könnte. Die Versuche von Röhrig und Zuntz sind an Kaninchen mit un-ver- sehrtem Nervensystem angestellt und die Gesetze von Pflüger, welche er nebst Erläuterungen dazu! veröffentlichte, sind ebenfalls für das Kaninchen speciell aufgestellt, namentlich was die Temperaturen betrifft. Im Uebrigen sollen sie nach zahlreichen Aeusserungen Pflüger’s für alle Warmblüter Gel- tung haben. Diese Gesetze, soweit sie uns hier angehen, lauten: I. Bei Thieren mit unversehrtem Nervensystem lie sich zu der Wirkung, welche die Temperatur im Innern des Thier- körpers an sich bedingt, die Einwirkung des centraien Nerven- systems, welches innerhab weiter Grenzen den Stoffwechsel um so energischer steigert, je särkere Abkühlung die Oberfläche des Thieres ausgesetzt ist.“ „Bei sehr hohen Temperaturen im Inneren des Thierkörpers — nämlich 39-8 bis 42°C. — und bei sehr niederen Temperaturen im Inneren des Thierkörpers — : nämlich 30 bis 20°C. — über- compensirt die Temperatur im Inneren des Thierkörpers die Wir- kung des Nervensystems, so dass maximale Werthe des Stoff- wechsels bei den höchsten Temperaturen im Inneren des Thier- körpers und minimale Werthe des Stoffwechsels bei den niedrig- sten Temperaturen im Inneren des Thierkörpers beobachtet wer- den — welches auch immer in diesem Falle die Temperatur des Mediums sei, welches das Thier umgiebt?.“ II. „Es ist ein allgemeines Gesetz, dass, wenn ein Thier sehr viel Sauerstoff verbraucht, es auch sehr viel Kohlensäure produ- cirt, wie dass, wenn es wenig Sauerstoff verbraucht, es auch wenig CO, ausscheidet, immer natürlich hinreichende Mengen des O in der Athemluft vorausgesetzt?.“ Wenn ich noch hinzufüge, dass die Energie des Stoffwechsels gemessen wird durch die O-Mengen, welche in bestimmter Zeit von dem Thiere ver- braucht und die CO,-Mengen die gleichzeitig von ihm ausgeschieden werden,“ ferner, dass es insbesondere auf das Verhalten des OÖ ankommt, weil die O-Ab- sorption ein viel zuverlässigeres Mittel für die Beurtheilung der Energie des Stoffwechsels ist, als die CO,°; endlich, dass eine Temperatur im Inneren des Thierkörpers über 42° C. das Leben unmittelbar gefährdet ® — so haben Sie A.'a. ©. S. 282 und 233. S. 282. S. 284 Anm. Sm283% al, ZONY, Sh 2 nr S. 334. ps aD_nN - er) DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 609 Pflüger’s Grundlehren, welche zur Beurtheilung der von ihm vertheidigten Versuche zur Anwendung kommen müssen. Folgendes sind nun die Versuche! nebst Pflüger’s Commentaren dazu ?: Versuch 1 (genannt II). Athmung zuerst a) bei 18° C. Lufttemperatur, dann b) im Bade von 4°C. Zunahme der CO? im kalten Bade = 32-7 Proc., Abnahme des 0 = 11-5 Proc. Sie sehen, dass gleich dieser erste Versuch dem allgemeinen Gesetz II widerspricht; statt dass beide Gase sich in gleichem Sinne ändern, hat CO? zu-, OÖ abgenommen. Vielleicht wären Sie geneigt, die Abnahme des O um 11-5 Proc. für gering zu achten und zu vernachlässigen. „Als ob die Varia- tion“ (ich gebrauche die Worte, welche Pflüger zu meiner und wohl auch zu anderer Belehrung über die Pflichten eines Naturforschers geschrieben hat? ) „als ob die Variation eines Naturwerthes um 10 Proc. von irgend einem Natur- forscher für etwas Geringes angesehen werden könnte und als ob ein Forscher . die Wucht unläugbarer Thatsachen, die seinen Lieblingstheorien ungünstig sind, dadurch aus der Welt schaffen könnte, dass er, wie der Vogel Strauss, den Kopf in den Sand steckt“. Wenn nach Pflüger also 10 Proc. nichts Geringes sind, so sind es 11-5 Proc. gewiss noch weniger. In diesem Versuch hat also nach Pflüger der O um ein gar nicht Geringes abgenommen, die CO? dagegen um ein ganz Bedeutendes zugenommen. Wie steht es nun mit der Regulirung des Stoffwechsels im kalten Bade? Da es vorzugsweise auf den O ankommt, so hätte hier der Stoffwechsel um ein nicht Geringes abgenommen. Dies ist gegen die Lehre Pflüger’s. „Aber es ist“, sagt er, „bei dem Versuche versäumt worden, die innere Temperatur des Thieres zu messen. Wie ich zeigte, hat die Wärmeregulation ihre Grenzen und setzt voraus, dass die inneren Organe nicht allzustark abgekühlt und dadurch gelähmt werden. Folglich beweist dieser Versuch gar Nichts. Die CO,-Steigerung wird durch die bedeutende Verstärkung der Athembewegungen bedingt sein.“ Wir lernen aus diesem Commentar, wie grossen Werth man bei solchen Versuchen auf die innere Temperatur des Thieres zu legen hat. Versuch 2 (genannt III). Athmungs a) in Luft von 19.4° C,, dann b) im Bade von 10° C. Tem- peratur in ano nach a) 36-0° C., nach b) 29-2°C. Zunahme der CO? im Bade 15-5 Proc, Zunahme des OÖ = 74.5 Proc. Hierzu giebt Pflüger keinen Commentar. „Spricht für uns‘, sagt er, weiter Nichts. Der Versuch muss also sehr beweisend sein. Ist vielleicht wieder versäumt worden, die innere Temperatur des Thieres zu messen? Nein, sie steht an dem Kopf des Versuchsprotocolls, und betrug 29.2° C., lag also dort, wo nach Alinea 2 des ewigen Gesetzes I und nach dem Commentar zu Versuch 1 die inneren Organe gelähmt und minimale Werthe des Stofi- wechsels beobachtet werden. müssen. Diese Temperaturangabe — es ist kaum anders denkbar, als: Pflüger hat sie übersehen. Anstatt, wie das Gesetz I es fordert, minimale Werthe des Stoffwechsels, zeigt der Sauerstoff, auf den es ja besonders ankommt, eine ganz colossale 1 Bd. IV, 8. 65. 2 Bd. XV, S. 110. 3 Bd. XIV, S. 451. Archiv f. A. u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 39 610 VERHANDLUNGEN Steigerung (um 74-5 Proc.)! Die CO? hat nur, was freilich auch mit Gesetz II nicht gut stimmt, um 15-5 Proc. zugenommen, um viel weniger, als in Versuch 1. Vielleicht ist das auch hier nur durch die bedeutende Verstärkung der Athem- bewegungen bedingt. Wir lernen aus dem nicht vorhandenen Commentar Pflüger’s, dass man keinen Werth auf die innere Temperatur des Thieres zu legen braucht, selbst in solchen Fällen, wo sie gemessen worden ist. Versuch 3 (genannt IV). Athmung a) in Luft von 19.3° C., b) im Bade von 36-8° C. sinkend bis 35-.2°. Temperatur des Thieres bei a) 36-3°, bei b) 36-4°. Zunahme der CO°= 10-0 Proc. Zunahme des O=15- 3 Proc. Für den fehlenden Commentar zu Versuch 2 werden wir hier dureh eine längere Auseinandersetzung entschädigt. „Das Thier“, sagt Pflüger, „befand sich, ehe es in das Bad gesenkt wurde, in der Luft, die eine Temperatur von 19-3° C. hatte. Das sieht nun allerdings so aus, als wenn das Thier in eine wärmere Umgebung gebracht - worden wäre und trotzdem eine Steigerung der Oxydationsprocesse erfahren hätte. Hiergegen ist aber geltend zu machen, dass eine Lufttemperatur von 18° C. uns sehr warm vorkommt und dauernd ertragen wird, während ein Bad von 18° C. uns schnell abkühlt und ohne Gefährdung des Lebens nicht auf die Dauer unseren Körper umgeben darf. Dies liegt an der ungeheuren specifischen Wärme des Wassers und seinem grossen specifischen Gewicht, weshalb die Haut durch höher temperirtes Wasser sogar viel mehr ab- gekühlt werden kann, als durch Luft von niederer Temperatur.‘ Ueberraschen wird Sie hier zunächst die Behauptung, „dass eine Luft- temperatur von 18° C. uns sehr warm vorkommt und dauernd ertragen wird“. Das Dies nur gilt für den Menschen, der sich mit schlechten Wärmeleitern, (Kleidung, Betten) umgiebt, kann Pflüger nicht unbekannt sein. Pflüger hat Dies übersehen. Auch das werden Sie, so wenig wie ich annehmen wollen, dass die ein- fachste physikalische Erfahrung, welche sich Jedermann täglich zu Nutze macht und welche hauptsächlich erklärt, warum uns Wasser mehr Wärme ent- zieht als Luft von gleicher Temperatur, nämlich: dass die Luft ein viel schlechterer Wärmeleiter ist, dass diese Erfahrung einem Physio- logen von Fach unbekannt sei — Pflüger hat Dies nur übersehen. Doch dies beiläuig „Es ist also“, fährt Pflüger fort, „bei Versuch 3 keine Sicherheit vorhanden, dass das Thier nicht, trotzdem das Bad wärmer als die Luft war, in dem Bade mehr Wärme verlor, d. h. mehr ab- sekühlt wurde, als in der Luft, folglich beweist der Versuch nichts gegen uns.“ An der Spitze des Protocolls steht: Temp. in ano bei a) (in der Luft) 36-3° C.,, bei b) (im Bade) 36-4° C. Ich bitte Sie, nichts Anderes zu glauben als: Pflüger hat Dies übersehen. Wir lernen aus diesem Commentar, dass man die Temperatur des Thieres nieht zu messen braucht, weil man doch keine Sicherheit erhält, in Versuchen, welche mit den ewigen Gesetzen in Widerspruch stehen. Beachten Sie, dass die gewechselten Gasmengen hier so gleichmässig in demselben Sinne sich ändern, wie nur noch ein einziges Mal (s. unten), sonst aber DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 611 in keinem aller vorhergehenden und nachfolgenden Versuche Nicht ist CO? gestiegen, O gefallen, auch übertrifft nicht die Steigerung des einen Gases (bald CO?, bald wieder O) die des anderen um ungeheure Mengen (60 oder gar 76 Proe.), nein, ihre Steigerung zeigt einen so geringen Unterschied (5-3 Proc.), wie man es nur bei den besten Respirationsuntersuchungen erwarten darf. Hier findet einmal das Gesetz II von dem gleichmässigen Gang beider Gase so glatt, wie irgendwo, Anwendung und wir können also schliessen, dass im warmen Bade, in einem Bade, dessen Anfangstemperatur diejenige im Inneren des Thieres, also um wie viel mehr die Temperatur seiner Haut übertrifft, der Stoffwechsel zugenommen hat — gegen Alinea 1 des Gesetzes I. Versuch 4 (genannt XV]). Athmung a) in Luft von 4.5° (oder 5°) C., b) in Luft von 18-7°, c) im Bade von 2° C. Temperatur des Thieres bei a) 36-7°, bei b) 35-5°, bei c) 27-1°. Zunahme der CO? vom warmen in’s kalte Zimmer = 66-1 Proc. Zunahme des O0 = 41.2 Proc. Zunahme der CO? vom warmen Zimmer in’s kalte Bad = 72-5 Proc. Zunahme des O = 30-0 Proc. Pflüger’s Commentar lautet: „Dieser Versuch spricht durchaus für uns. Das Thier regulirt so stark, dass es trotz der starken Senkung der Temperatur in seinem Inneren doch vermehrte Oxydation zeigt.“ Nach den bisherigen Er- fahrungen fragen wir uns zunächst: Was hat Pflüger hier übersehen? In dem Protocoll von Röhrig und Zuntz ist zu lesen: „Versuch a) vor Ablauf der Viertelstunde unterbrochen, weil sich Schleim in der Luft- röhre ansammelte und dadurch Dyspnoö entstand“ Ich bitte Sie, diesen Umstand mit Ihren Vorstellungen über exacte Respirationsversuche in Uebereinstimmung zu bringen und zu ermessen, ob er wichtig genug ist, um in einem Commentar zu solchen Versuchen — verschwiegen zu werden. Dies ist der erste Theil des Versuchs 4. Und nun vollends der zweite Theil! Es ist noch nicht lange her, als Pflüger schrieb (s. oben Vers. 1): „Wie ich gezeigt habe, hat die Wärme- regulation ihre Grenzen und setzt voraus, dass die Organe nicht allzustark ab- gekühlt und dadurch gelähmt werden“. Dies schrieb er bei Versuch 1, wo das Kaninchen aus Luft von 18° in Wasser von 4°C. gebracht wurde. Hier aber, wo es aus Luft von 18-7° in ein um 16-7° €. kälteres Bad von 2°, sage zwei Grad (., gebracht wird, sind die Organe nicht gelähmt, hier wird es selbst dem Kaninchen, diesem „verweichlichten Hausthier“, wie es Pflüger nennt!, zu arg. Bei 27-1° C. im Rectum müssen zwar nach Pflüger’s Gesetz I Alinea 2 die Organe des Kaninchens längst gelähmt sein, aber Noth bricht Eisen und das Kaninchen bricht das Gesetz. Versuch 5 (genannt XIII). Athmung a) in Luft von 18° C., b) in Eiswasser von 1-5° C. c) in heissem Wasser von 39°C. Temperatur bei a) 35-60 C., bei b) 28-2° C., bei 6) 31°C. Abnahme der CO? im kalten Bade = 62-5 Proc, des 0 = 42.5 Proc. Zunahme der CO? im warmen Bade = 44.2 Proc. Weitere Abnahme des OÖ = 73-7 Proc. „Betrifft nicht die Wärmeregulation“, sagt Pflüger, „da das Körper- 1Bd. XI, S. 335; BEIXV,S. 112. 398 612 VERHANDLUNGEN innere des Thieres absichtlich tief abgekühlt worden ist. Fällt also aus.“ Welche Frage dieser Versuch eigentlich betrifft und warum Röhrig und Zuntz ihn unter dem Titel „Zur Theorie der Wärmeregulation“ mitge- theilt haben? . Diese Frage beantworte wer es vermag. Aber sicher ist es nach Pflüger, dass der Versuch nicht die Wärme- regulation betrifit. Röhrig und Zuntz sagen selbst, dass sie diesen Versuch in der Absicht angestellt haben, den Einfluss eines hohen Grades von Abkühlung auf den Stoffwechsel zu prüfen. Da sie also mit Absicht die Regulation prüfen wollten, so betrifft dieser Versuch — etwas Anderes. Um zunächst unsere erste Frage nach dem von Pflüger Uebersehenen zu erledigen, so bemerken Sie, dass die „tiefe Abkühlung“ nicht den ganzen Versuch, sondern nur seinen ersten Theil betrifft, in dem zweiten Theil, dem „heissen Bade“, stieg die Temperatur des Thieres von 26-2° wieder auf 31°C. Pflüger hat Dies übersehen. Allerdings haben Röhrig und Zuntz auch Dieses mit Absicht gethan, wie sie angeben. Aus Pflüger’s Commentar zu dem vorigen Versuch haben wir gelernt, wessen man sich von einem Kaninchen bei einer „starken Senkung der Tem- peratur in seinem Körperinnern zu versehen hat“, wie es „trotz derselben doch vermehrte Oxydation darbietet“. Hier ist es gerade umgekehrt. Die Organe sind wirklich gelähmt und der Stoffwechsel trotz des kalten Bades nicht ge- steigert, ganz so wie es Gesetz I Alinea 2 verlangt und wie es auch Röhrig und Zuntz! schon a priori erwartet hatten, weil gerade hier das Thier schwach und ohne Nahrung gewesen war. Sie sehen, dass es nur darauf ankommt, die Thiere richtig auszuwählen, damit Pflüger’s Gesetze sich bewahrheiten. Im zweiten Theil des Versuches ist freilich auch dieses Thier schon wieder kräftiger, oder vielleicht gar noch schwächer geworden, als für die Gesetze gut ist. Denn statt sich nach irgend einem ewigen Gesetze zu richten, steigt nun die CO? um 44-2 Proc. und fällt der OÖ noch um weitere 73-7 Proc., so dass der Unterschied in dem Verhalten beider Gase nicht mehr als 118 Proc. beträgt, für einen Naturforscher gewiss „nichts Geringes“. Der erste Theil dieses Versuches stimmt mit dem Gesetz, weil das Thier schwach war, der zweite Theil widerspricht dem Gesetz, obgleich das Thier schwach war. „Fällt also aus“ nach Pflüger. Versuch 6 (genannt XII). Athmung a) in Luft 17° C.,, b) im Bad von 42.9—40.5° C. Tempe- ratur bei a) 37-9°, b) 42-2°. Abnahme des CO? im heissen Bade = 53-6 Proc, Abnahme des O= 18-2 Proc. Die Temperatur des Thieres hatte im heissen Bade über 42°, also „eine das Leben unmittelbar gefährdende Höhe“ erreicht. Pflüger hat Dies übersehen, denn sonst würde er offenbar einen solchen Versuch nicht für beweiskräftig halten, wie aus seiner Erläuterung B. 2 hervorgeht. Aber vielleicht ist es bei der Gesetzgebung nicht so genau wie bei der Naturforschung zu nehmen, da es sich ja nur um 0-2° C. mehr handelt und vielleicht war dieses Thier zur Abwechselung einmal besonders kräftig, so dass es nicht gleich in Lebensgefahr gerieth. Nach Gesetz I Al. 2 musste es dann IA, a..0, 8. 68 2 S, oben und a. a. ©. Bd. XII. S. 334. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 613 bei einer so hohen Temperatur im Inneren „maximale Werthe des Stoffwechsels“ zeigen. Es zeigte minimale Werthe. Also „gehorcht dem Gesetz“, sagt Pflüger. Welchem Gesetz gehorcht das Kaninchen? Versuch 7 (genannt XIV). Athmung a) in Luft von 16-6° C.,, b) in Wasser von 40-.5—39-3° C., ec) in Wasser von 13.3° C. Temp. bei.a) 37-4—37°, bei b) 36-7—38-0°, bei ec) 38-0—-30-4°. Abnahme der CO? im heissen Bade = 27.1 Proc., des O = 27:5 Proe, Zunahme der CO? im kalten Bade = 96.3° Proc., des 07 2021 Broc. Im ersten Theile dieses Versuches sehen wir ausnahmsweise einmal wieder wie in dem warmen Bade bei Versuch 3 beide Gasmengen ganz gleichmässig und:in demselben Sinne sich ändern, genau so wie Gesetz II es verlangt und die inneren Temperaturen bleiben dabei normale und in den Grenzen, wo nach Gesetz I Al. 1 der Stoffwechsel nur von der Haut aus reflectorisch geregelt werden soll. Und gerade diese beiden Versuche geben ein entgegen- sesetztes Resultat. Dort beim Uebergang in ein warmes Bad Zunahme, hier Abnahme der Gasmengen. Der zweite Theil des Versuches freilich widerspricht schon wieder dem Gesetz II; die Gasmengen gehen so wenig gleichmässig, dass die Zunahme des O’s diejenige der CO? um 76-2, sage mehr als sechsundsiebenzig Procent übertrifft. Dies sind die Versuche von Röhrig und Zuntz, welche Pflüger als Stütze für seine Gesetze und Ansichten über Wärmeregulation benutzt und vertheidigt, die Versuche, welche die meisten Balneologen unserer Tage als das Fundament ihrer Wissenschaft betrachten, und welche endlich viele Pathologen für ihre Fieber- und andere Theorien verwertben. Ich bin der Mühe überhoben, noch ein Wort darüber zu verlieren, sowie überhaupt mit Pflüger ferner noch zu streiten. (23 und 24) Hr. SauLkowskı hält den angekündigten Vortrag: „Ueber den Einfluss der Ammoniaksalze auf den Vorgang der Harnstoffbildung im Thierkörper“. Das Eiweiss liefert ausserhalb des Körpers als Zersetzungsproducte fast ausschliesslich Amidosäuren, mit welchen spaltenden Agentien wir es auch be- handeln mögen. Die Amidosäuren bilden im Organismus Harnstoff. Es liegt danach sehr nahe, anzunehmen, dass auch im Körper das Eiweiss im Wesent- lichen in dieser Richtung zerfällt, um so mehr, als wir durch Kühne’s Unter- suchung wissen, dass das Eiweiss im Darmcanal durch die Wirkung des Pan- kreas in ein Gemisch von Amidosäuren übergeführt wird. Allein gegen diese Anschauung sprechen physiologische und pathologische Erfahrungen. Es ist nicht zweifelhaft, dass bei der Spaltung des Eiweiss im Körper Fett entsteht; es ist nun äusserst unwahrscheinlich, dass bei dem Uebergang der Amidosäuren in Harnstoff die dabei bleibenden Reste der Amidosäuren zu Fett zusammen- treten. Die physiologischen Erfahrungen sprechen also dafür, dass der Stick- stoff aus dem Eiweiss nur mit einer geringen Menge Kohlenstoff verbunden austritt und der dabei übrig bleibende Rest des Eiweiss noch eine sehr hoch constituirte Verbindung darstelle, von hohem Moleculargewichte. Die von mir früher nachgewiesene Bildung von Uramidosäure im Körper deutet darauf hin, 614 VERHANDLUNGEN dass der Stickstoff in Form von Cyansäure austritt. In demselben Sinne lassen sich auch die Angaben von v. Knieriem deuten, dass Ammoniaksalze in Harn- stoff übergehen, welche sich indessen für den Hund nur auf eine, nicht vor- wurfsfreie Versuchsreihe stützt. Meine zahlreichen Versuche an Hunden führten mich zu keinem entscheidenden Resultate: die Ergebnisse lassen sich zwar mit der Annahme vereinigen, dass das Ammoniaksalz zum Theil in Harnstoff über- gegangen sei, Sie beweisen sie aber nicht. Die Angaben von v. Knieriem konnten somit nicht bestätigt werden. — Vollkommen beweisend fielen die Ver- suche an Kaninchen aus. Nach Einführung von Chlorammonium beobachtet man folgende Erscheinungen: 1) der Gehalt des Harns an Chloriden steigt, an- nähernd entsprechend dem zugeführten Salmiak; 2) Ammoniaksalz findet sich im Harn nur in sehr geringer Menge (der normale Harn der Kaninchen ist fast frei von Ammoniaksalzen); 3) der Gesammtstickstoffgehalt des Harns steigt um die, mit dem Salmiak eingeführte, Menge Stickstoff, und noch um etwas mehr, weil der Salmiak eine Steigerung des Eiweisszerfalles bewirkt; 4) der gesammte Stickstoff wird in Form von Harnstoff ausgeschieden; 5) die Gesammt- schwefelmenge des Harns bleibt fast unverändert — sie steigt nur um so weit an, als dem gesteigerten Eiweisszerfall entspricht. — Diese Ergebnisse lassen sich nur durch die Annahme erklären, dass der Stickstoff des Salmiaks in Harnstoff übergeht. Man könnte nun auch annehmen, dass der Harnstoff aus dem, aus dem Salmiak sich nothwendig bildenden, kohlensauren Ammoniak unter Verlust von Wasser hervorgehe, dagegen sprechen jedoch hauptsächlich zwei Beobachtungen: 1) dass andere Ammoniaksalze kein ihnen entsprechendes Amid bilden, z. B. essigsaures Ammoniak kein Acetamid, äpfelsaures kein Malamid; 2) dass bei Einführung von Aethylamin sich Monäthylharnstoff bildet, nicht Diäthylharnstoff, wie diese zweite Annahme: verlangen würde, wenn auch der grösste Theil der Alkoholgruppe vollständig oxydirt wird. Beim Zerfall des Eiweiss entsteht somit Cyansäure, vielleicht zum Theil auf dem Umwege von Körpern die Harnsäuregruppe und man kann sich den Harnstoff entstanden denken durch das Aufeinanderwirken von zwei a atomen in statu nascendi. XVl. Sitzung am 1. Juni 1877. Hr. F. Busch hält den angekündigten Vortrag „Ueber die Deutung der bei der Entzündung der Knochen auftretenden Processe“: Da der Vortrag in sehr kurzer Zeit im 3. Heft des 8. Bandes der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie erscheinen wird, so erfolgt hier nur eine ganz kurze Inhalts-Angabe. Bei der auf experimentellem Wege erregten Entzündung des Knochens treten zwei verschiedene Reihen von Processen auf. Die erste Reihe besteht in einem starken entzündlichen Oedem der umgebenden Weichtheile, die zweite in Gewebs-Veränderungen am Knochen, die sich aus Neubildungen von Knochen- substanz unter dem Periost und in der Markhöhle und aus Resorptionen in der Knochenrinde zusammensetzen. Die erstere Reihe bezieht der Vortragende aus- schliesslich auf die Betheiligung der Gefässe, d. h. Erweiterung derselben, Exsudation von Blutflüssigkeit und Auswanderung weisser Blutkörperchen; die zweite dagegen eben so ausschliesslich auf Betheiligung der früheren Gewebe ohne jede Mitbetheiligung ausgewanderter weisser Blutkörperchen. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 615 Es entsteht nun die Frage, ob diese beiden Reihen zusammen die acute Entzündung des Knochens bilden oder ob nur die erstere als acute Entzündung betrachtet werden kann, die letztere dagegen nur als unmittelbare Folge ver- änderter Transsudations- und Ernährungsverhältnisse. Der Vortragende, welcher die zweite Auffassung, die besonders von Cohn- heim und Eberth vertreten wird, nicht prineipiell bekämpfen will, neigt sich doch der letzteren Auffassung zu, welche beide Processe zusammen, sowohl die Ge- fäss- als die Gewebsbetheiligung, als integrirende Theile der Entzündung betrachtet. Darin stimmt er Cohnheim bei, dass die Entzündung ohne nachweisbaren Nerveneinfluss abläuft, da Nervendurchschneidung den Verlauf derselben in keiner Weise abänderte. Hierauf hält Hr. GAn den angekündigten Vortrag „Betrachtungen und Versuche, die Abnahme des Stromes am absterbenden Nerven be- treffend, angestellt vom Vortragenden in Gemeinschaft mit Hrn. Dr. Tschirjew“: Der Vortragende berichtet über Hrn. Engelmann’s „Vergleichende Unter- suchungen zur Lehre von der Muskel- und Nervenelektricität“, veröffentlicht im diesjährigen Aprilhefte des Pflüger’schen Archivs, und knüpft daran folgende Bemerkungen. Die von Hrn. Engelmann entdeckte Thatsache, dass der Längsquerschnitts- strom an gewissen Muskelpräparaten im Vergleich zu dem entsprechenden Strom an monomeren Muskeln schnell sinkt und durch Anfrischen des Querschnittes, selbst nachdem völlige Stromlosigkeit eingetreten war, in der ursprünglichen Höhe und selbst darüber hinaus wieder hervorgerufen werden kann, während dies an monomeren Muskeln nicht möglich ist, hat den genannten Forscher ver- anlasst, den Satz auszusprechen, ‚dass die das Herz zusammensetzenden Muskel- zellen (aller Wirbelthiere) und die glatten Muskelfaserzellen (zunächst des Frosch- magens) im unversehrten ruhenden Zustande nicht merklich elektromotorisch nach aussen wirken“ Obgleich nun Hr. Engelmann glaubt, die diesem Satz zu Grunde liegenden Beobachtungen leichter mit derjenigen Hypothese ver- einigen zu können, welche die Klektrieitätsquelle im Contact absterbender und lebendiger Muskelsubstanz annimmt, als mit derjenigen, welche die Präexistenz regelmässig angeordneter elektromotorisch wirksamer Elemente im Muskel voraus- setzt, so ist doch der aufgestellte Satz, da er die wichtigen Wörtchen „nach aussen“ enthält, als einfacher Ausdruck der beobachteten Thatsachen von jedem Standpunkte aus anzuerkennen. Anders verhält es sich mit dem, aus den analogen Beobachtungen am Nerven erschlossenen Satz, dass „die natürlichen Querschnitte der Nerven- fasern, welche an den Ranvier’schen Einschnürungen vorliegen, im ruhen- den, unversehrten Zustand elektromotorisch unwirksam sind“. Hier fehlen die Worte „nach aussen‘ uud es ist ebenso schwer, einen Grund hierfür zu finden, als einzusehen, weshalb Hr. Engelmann bei den Nerven, bei denen die morphologischen Verhältnisse viel übersichtlicher sind als am Herzen und Magen und bei welchen eine parelektronomische Schicht zunächst nicht anzunehmen ist, wie an den pleiomeren quergestreiften Muskeln (Rectus abdominis), nicht eine Betrachtung durchgeführt hat, welche ihm bei der Dis- cussion der Beobachtungen am Herzen vorschwebte, und welche den Einfluss in Erwägung zieht, welchen die durch die unwirksame Schicht ausgestorbener Sub- stanz gesetzte körperliche Nebenleitung auf die Wirksamkeit nach aussen haben 616 VERHANDLUNGEN muss. Bei Nerven mit frischem Querschnitt werden die Grenzflächen zwischen todter (gequetschter) und lebender Substanz an allen Primitivnervenfasern wesent- lich in: derselben, der Querbegrenzung des Präparates (gg’ der Figur) paral- lelen Ebene liegen und bei Ableitung von der ganzen Breite des Querschnittes (zum Aequator des Längsschnittes) werden nahezu alle Stromfäden, welche die unwirksame Schicht am Querschnitt | erfüllen, in den ableitenden Bogen ge- | I: langen, weil (ausser an den Kanten des 4 Präparates, da wo unwirksame Schicht des Längsschnittes an unwirksame | N Schicht des Querschnittes grenzt) nir- gends eine Veranlassung zur Störung der Parallelität der zum Quer sh senkrechten Stromfäden gegeben ist.! (Fig. 1.) Anders verhält es sich, nachdem sich in Folge des von der gequetschten Stelle aus fortschreitenden und an den Ranvier’schen Einschnürungen begrenzten Absterbens der von Hrn. Engelmann beschriebene Zustand ausgebildet hat, bei dem die den einzelnen Primitivnervenfasern entsprechenden Grenzen zwischen lebender und abgestorbener Substanz wesentlich in verschiedener Entfernung von der Grenze des Präparates (g g‘) liegen. Hier stellt die elektromotorisch wirksame Substanz gleichsam eimen Pinsel mit verschieden langen Haaren dar, so dass in jeder Längsebene eine gezähnelte Figur die Grenze zwischen wirksamer Substanz und unwirksamem Leiter bildet (Fig. 2) und man übersieht, dass bei einer derartigen Anordnung wegen körperlicher Nebenleitung nur ein Bruchtheil der auf den einzelnen Querschnitten senkrechten Stromfäden in den ableitenden Bogen gelangen wird, ein Bruchtheil, dessen Grösse wesentlich von den Dimensionen der Zähne und Lücken abhängen wird. Die diesen Ausspruch illustrirende Fig. 2 ist auf Grund der empirisch gegebenen Thatsache con- struirt, dass jeder Längsschnittspunkt sich positiv verhält gegen jeden Quer- schnittspunkt; ausserdem sind die Erfahrungen über die Ströme flacher Erreger- paare in Elektroiyten der Construction zu Grunde gelegt, bei welcher selbst- verständlich Richtigkeit in quantitativer Beziehung nicht erstrebt ist. Hr. Tschirjew hat nun in der That in dem hiesigen physiologischen Laboratorium durch schematische Versuche gezeigt, dass bei einer die Verhält- nisse im absterbenden Nerven nachahmenden Anordnung zwischen elektromotorisch wirksamer und unwirksamer leitender Substanz eine wesentliche Schwäche der Stromkraft? im ableitenden Bogen zu Stande kommt. Der Versuch bestand darin, dass die vier N. ischiadici von zwei nahezu gleich mittelgrossen Fröschen auf einen gläsernen Objectträger so nebeneinander gelagert wurden, dass die peripheren und centralen Enden je zweier benachbarter Nerven entgegengesetzt, je zweier alternirender gleichgerichtet, und dass die Enden des einen Paares Allan 1 Aenderungen des Querschnittes im Verlaufe des ableitenden Bogens werden allerdings Abweichungen von dieser Parallelität veranlassen, aber man sieht, dass hierdurch nur verschiedene Dichtigkeit an den betreffenden Stellen herbeigeführt, die Stromkraft im ableitenden Bogen aber nicht beeinflusst werden kann. Der Ausdruck „Stromkraft“ ist hier überall in dem von Hrn. du Bois- Reymond definirten Sinn gebraucht. Siehe Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1877. Bd. II, S. 121. Anm. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 617 alternirender Nerven um 6—10”"” der Länge nach gegen die Enden des anderen Paares verschoben waren. Die Enden der vier Nerven wurden auf der einen Seite durch die Luft zu einem passend genäherten und geeignet geformten Thonstiefel einer du Bois’schen unpolarisirbaren Zuleitungsröhre geführt und es wurde dafür gesorgt, dass jedes der vier Enden mit der ganzen Breite des frischen Querschnittes und zunächst nur mit diesem den Thonstiefel berührte. Soweit die Nerven auf der Glasplatte lagen, berührten sich je zwei benachbarte mit den zugewandten Längsschnitten und an der Mitte der Länge des ganzen Bündels war für breite, allen vier Nerven anliegende Ableitung durch eine zweite Thonstiefelelektrode gesorgt. In den ableitenden Bogen waren die Windungen einer Spiegelbussole aufgenommen, die Stromkraft wurde mit Hülfe eines runden Compensators gemessen!. Darauf wurden, ohne die Berührung von Querschnitt und Thonstiefel zu ändern, die Enden der hervorragenden beiden Nerven mit dem Längsschnitt dem Thon und dem Längsschnitt der benachbarten Nerven- enden angelegt, was durch die passende Form des Thonstiefels ermöglicht war, und nun wiederum die Stromkraft gemessen. Es ist klar, dass die erste An- ordnung dem in Fig. 1 dargestellten Fall entspricht, denn da bei letzterem die dem Längsschnitt parallele Richtung der Stromfäden in den dem Querschnitt benachbarten Enden der Nervensubstanz selbst noch erhalten bleibt, so ist es sleicheiltig, ob diese Enden einander anliegen oder durch die isolirende Luft von einander getrennt sind?. Die Uebereinstimmung der zweiten Anordnung mit dem zweiten nachzuahmenden Fall leuchtet von selbst ein. Durch Herstellung der zweiten Anordnung wurde ausnahmslos die bei der ersten Anordnung beobachtete Stromkraft wesentlich geschwächt. Im Mittel aus 36 Beobachtungen betrug die Abnahme der Stromkraft 24,4 Proc. der bei den Versuchen der ersten Kategorie beobachteten Kraft (Min. 14,0 Proc., Max. 37,6 Proec.). Ausser diesen, an frischen Nerven angestellten Beobachtungen liegen 30 analoge vor, bei denen Nerven, welche 24 resp. 48 Stunden aus dem Organısmus entfernt waren, mit frischem Querschnitt versehen, zum Versuch verwendet wurden. Diese Beobachtungen ergaben ein gleiches Resultat. Es ist zu bemerken, dass die Constanz der bei den Versuchen derselben Kategorie in jeder Versuchsreihe erhaltenen Kraftwerthe dafür bürgt, dass die Differenz nicht durch Veränderung der Ableitung vom Querschnitt bedingt war. Es muss ferner erwähnt werden, dass bei den Versuchen zweiter Kategorie die zu erwartende Verschiebung des Aequators gegen das abgeleitete Ende hin eben . merklich war und dass die Bestimmung der Kraftwerthe jeder Kategorie unter Ableitung von dem jedesmaligen Aequator erfolgt ist. Uebrigens hat Hr. Tschirjew bei seinen Versuchen Gelegenheit genommen, die von Hrn. Engelmann am Nerven beobachteten Erscheinungen der Abnahme der Stromkraft und des Einflusses des Anfrischens des Querschnittes zu bestätigen. Aus Hrn. Tschirjew’s Versuchen folgt, dass die körperliche Nebenleitung bei der von Hrn. Engelmann am absterbenden Nervenende entdeckten An- ordnung lebender und abgestorbener Nervensubstanz eine nicht zu vernachläs- sigende Rolle spielt. 1 Als Maasskette diente eine 20 gliedrige No&’sche Thermosäule, deren elektro- motorische Kraft bei geeigneter Behandlungsweise sehr constant erhalten werden kann "2 Eine berechne findet nur insofern statt, als bei dem Versuch die Aequa- toren der einzelnen Nerven etwas gegen einander verschoben sind. 618 VERHANDLUNGEN Es wird sogar sehr wahrscheinlich, dass die ganze Stromabnahme der durch Anfrischen des Querschnittes wieder wirksam zu machenden Nerven von diesem Gesichtspunkte aus zu erklären ist, wenn man bedenkt, dass in dem schematischen Versuch die körperliche Nebenleitung nicht annähernd so wirksam hergestellt werden kann, wie sie am absterbenden Nerven wahrscheinlich realisirt ist. Es ist in dieser Beziehung namentlich geltend zu machen, dass am Nervenende die Höhe der wirksamen Zähne sich zu ihrer Breite durchschnittlich wie 1:50, am Schema im Mittel wie 1:8 verhält, und dass am Nervenende die Neben- leitung in einem die wirksamen Theile allseitig umgebenden Leiter geschieht, was im schematischen Versuch nicht entfernt zu erreichen ist. Wenn es übrigens mit aller auf diesem Gebiet erforderlichen Vorsicht hier vermieden wird, schon auf die vorliegenden Versuche des Hrn. Tschirjew hin die von Hrn. Engelmann für die Leugnung der Präexistenz in die Wagschale geworfenen Phaenomene vom Standpunkt der Präexistenzlehre für definitiv er- klärt anzusehen, so muss ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Beobachtungsmaterial, soweit es aus den bisherigen Publicationen Hrn. Engelmann’s zu übersehen ist, nicht zu unterschätzende Widersprüche gegen die Absterbetheorie selbst enthält. Unter 20 Nervenfasern findet der genannte Forscher zwei Tage nach der Durchschneidung nur 7 resp. 8 bis zur nächsten Ranvier’schen Einschnürung gänzlich resp. stark entartet, die übrigen sind nur in mehr weniger grosser Entfernung vom Schnitt gänzlich, von da ab bis zur nächsten Einschnürung „mässig“ bis „sehr wenig‘ entartet. Soll man sich den Nerven überall, wo Entartung eben merklich ist, als todt vorstellen? Man sieht zunächst keinen Grund für eine solche Annahme ein, und aus Hrn. Engel- mann’s Beobachtungen selbst scheint ein sehr gewichtiger Grund gegen die- selbe zu folgen. Hr. Engelmann giebt nämlich an, dass gequetschte, aber bei der Quetschung nicht in ihrer Continuität getrennte Nervenfaserzellen in verhältnissmässig kurzer Zeit restituirt werden. Gequetschter Nerveninhalt ist also nicht todt, trotz sehr bedeutender Structurveränderungen, warum soll es „mässig‘“ oder „sehr wenig‘ entarteter sein? Ist aber in den 13 resp. 12 auf 20 Nervenfasern der Tod noch nicht bis zur nächsten Ranvier’schen Ein- schnürung vorgeschritten, so müssten sie doch auch nach der Absterbetheorie elektromotorisch wirksam sein, und letztere ist nicht geeignet, die schon nach einem Tage vorhandene Unwirksamkeit nach aussen zu erklären. Die ange- zogenen Zahlenangaben Hrn. Engelmann’s beziehen sich nun freilich auf Nerven, die nach der Durchschneidung im lebenden Thier belassen waren, da aber für _ ausgeschnittene überlebende Präparate keine dergleichen vorliegen, so müssen wir uns an die Angabe halten, dass sich letztere in der ersten Zeit wesentlich so verhalten, wie wenn sie noch ernährt würden, und dass bei ihnen mehrere Stunden nach Anlegen des Schnittes die Anfänge der traumatischen Ent- artung bis zu den nächsten Ranvier’schen Einschnürungen fortgerückt sind. Dass sich diese Beobachtung auf dem Boden der die Präexistenz leugnenden Theorie mit dem schon nach 1—2 Stunden beobachteten Sinken der Kraft auf 49,5 Proc. werde vereinigen lassen, ist weniger wahrscheinlich, als dass die körperliche Nebenleitung sich definitiv als ausreichend zur Erklärung der Un- wirksamkeit des absterbenden Nerven nach aussen erweisen werde Es kann deshalb nicht zugegeben werden, dass das Beobachtungsmaterial des Hrn. Engel- mann, soweit es bis jetzt zu übersehen ist, gegen die Präexistenzlehre oder für die entgegenstehende Theorie irgendwie entscheidend in das Gewicht falle. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 619 Im Gegentheil eröffnet sich die Aussicht, dass unter Zugrundelegung der Engel- mann’schen Beobachtung und unter Berücksichtigung der körperlichen Neben- leitungen eine Schwierigkeit für die Präexistenzlehre sich in befriedigenderer Weise als bisher lösen werde, nämlich die aus der Beobachtung von Schiff entspringende, dass bei Ableitung vom Längsschnitt und vom Narbengewebe eines geheilten Nervenstumpfes der Strom ausser in der normalen und umge- kehrten Richtung gefunden zu werden, in der Mehrzahl der Fälle vermisst wird!. XVII. Sitzung am 15. Juni 1877. (28) Hr. WERNIcKE demonstrirt ein Präparat von Vierhügelerkrankung. Schon bei einer früheren Gelegenheit hat der Vortragende auf das merkwürdige Symptom des Ausfalles der associirten Augenbewegungen nach gewissen Blickrichtungen aufmerksam gemacht und durch genaue Localisation des Herdes in einem ge- eigneten Falle den Nachweis geführt, dass innerhalb des Pons in der Nähe des Abducenskernes jederseits ein Centrum für die associirte Seitwärtsbewegung beider Augen nach der entsprechenden Seite hin gelegen ist.” Die Symptome des vorliegenden Falles schliessen sich hieran insofern an, als in demselben die Beweglichkeit beider Augen nach aufwärts und abwärts sehr beschränkt war, während die Seitwärtsbewegungen absolut intact waren. Dieser Zustand war unter einem äusserst schweren apoplektischen Anfall zugleich mit linksseitiger Hemiplegie und Hemianästhesie entstanden, welche letztere aber vorüber ging. Die Hemiplegie und die Augensymptome blieben dagegen über zwei Jahre lang bis zum Tode unverändert. Im September 1875 wurde der Kranke in einer Sitzung der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur zu Breslau vor- sestellt und von dem Vortragenden auf Grund der bekannten Adamük’schen Versuche die Diagnose auf Erkrankung der Vierhügel gestellt. Diese Diagnose musste durch den später gemachten Befund einer Brückenerkrankung bei Ausfall von Seitwärtsbewegungen eine Einschränkung und die Adamük’schen Versuche nun die Auslegung erfahren, dass nur die präformirten, angeborenen, nicht die in die Willkürbahn eingeschalteten, erlernten Centren der Augenbewegungen durch sie nachgewiesen seien. Dennoch blieb die Diagnose insofern gerecht- fertigt, als es sich um die Zerstörung gewisser in der Vierhügelgegend befind- licher Centren für diese ganz in das Gebiet des Oculomotorius fallenden asso- clirten Bewegungen handeln musste. Die Section ergab nun eine alte Er- weichungsnarbe im rechten Sehhügel, welche bis an die Vierhügelgegend heran- reicht. Diese selbst ist in ihrer rechten Hälfte um mehr als ein Drittel ver- kleinert. Die Verkleinerung ist nur zum Theil durch Schrumpfung des Hirn- schenkelfusses erklärt, denn zieht man diesen ab und vergleicht die übrig bleibenden Regionen der Haube, so ist auch diese recht bedeutend geschrumpft. Zur weiteren Verwerthung ist die mikroskopische Untersuchung erforderlich, welche wahrscheinlich eine Betheilisung der Raphe ergeben wird. 1 8. Fortschritte der Physik. Bd. XXVIII, S. 1114. : 28. oben 8. 600. — vgl. Archiv für Psychiatrie. Bd. VII, S. 513. Ein Fall von Ponserkrankung. 620 VERHANDLUNGEN XIX. Sitzung am 13. Juli 1877. (30-36) Hr. J. Wourr hält den angekündigten Vortrag: „Ueber den Gudden’schen Markirversuch am Kaninchenschädel“. Hr. F. Busch hat sich in seinem kürzlich in dieser Gesellschaft gehaltenen Vortrage in dem Sinne geäussert, als sei es heutzutage als unwiderleglich er- wiesen zu betrachten, dass nie und nirgends ein Wachsthum der Knochen durch Expansion vorkomme. Mit dieser Anschauung befindet er sich allerdings in voller Uebereinstimmung mit den meisten neueren Autoren über das Knochen- wachsthum, mit Kölliker, Stieda, Steudener, Schulin, Schwalbe, Lieberkühn und vielen Anderen. Es hat sich zwar in den letzten Jahren in Bezug auf die Anschauungen über die Vorgänge beim Knochenwachsthum ein bedeutender Umschwung voll- zogen, ein Umschwung, der, wie ich glaube, seinen Ausgangspunkt hauptsächlich von den Betrachtungen über die innere Architektur der Knochen genommen hat. Während noch in den 50er Jahren H. Meyer das Knochengewebe als ein „durch Verkreidung zu Grunde gegangenes Knorpelgewebe“ ansah, betrachtet jetzt v. Ebner dasselbe Gewebe gewissermassen als eine „aus zahllosen Ge- websstücken zusammen gekittete Breceie“, und lässt überall an den Grenzen jedes einzelnen Gewebsstückes modellirende Appositions- und Resorptions- vorgänge in „erstaunlich wechselvoller‘“ Weise in einander greifen. Indess hat doch dieser Umschwung nicht zu verhindern vermocht, dass, wie gesagt, in Bezug auf die wichtige Frage von der Knochenexpansion fast alle neueren Autoren wieder ganz auf den alten Flourens’schen Standpunkt zurückgekehrt sind. Um Ihnen nun aber ein Urtheil darüber zu ermöglichen, ob nicht Hr. Busch und die übrigen vorhin genannten neueren Autoren sich im Irrthum be- finden, bitte ich Sie, mir einige Bemerkungen über den Gudden’schen Markir- versuch am Kaninchenschädel zu gestatten. Bekanntlich hat v. Gudden gewisse Stellen — nämlich das Os frontis und bregmatis des Kaninchens — ausfindig gemacht, die ganz besonders ge- eignet sind zur Ausführung des fundamentalen du Hamel’schen in der Mar- kirung einzelner Knochenpunkte bestehenden Knochenwachsthumsexperiments. Bohrt man in die genannten Knochen bei sehr jungen — 3—7 Tage alten — Kaninchen feine Löcher ein, so erhalten sich diese Löcher, auch wenn man sie nicht mit metallenen Fremdkörpern ausfüllt, 3—6 Wochen hindurch. v. Gudden fand nun zugleich, dass constant die Distanz solcher feinen Löcher nach einigen Wochen sich vergrössert. Der Beweis für das expansive Wachsthum, der hierdurch geliefert wird, ist, wie Gudden mit Recht sagt, „zierlich und durchaus überzeugend“. Ich habe den Gudden’schen Versuch häufig wiederholt und zeige Ihnen heute mehr als ein Dutzend von Präparaten, die ich aus den betreffenden Ex- perimenten gewonnen habe, nebst meinen zugehörigen Originalnotizen. Die feinen Löcher wurden in genau senkrechter Richtung zur Knochenoberfläche eingebohrt. Dass dies wirklich der Fall war, davon können Sie sich noch jetzt überzeugen; denn Sie finden an meinen Präparaten die Distanzen zwischen je zwei Löchern immer gleich gross, ob Sie an der äusseren oder cerebralen Fläche der Schädelchen die Messung vornehmen. Die Massaufnahme der Distanzen mittels eines Zirkels, und die Uebertragung der Distanzen durch Eindrücken der Zirkelspitzen auf DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 621 das Papier des Notizbuchs geschah bei Ausführung des Experiments mit aller nur möglichen Sorgfalt. Wenn Sie nun den gegenwärtigen Befund mit dem bei Ausführung der Versuche notirten Befunde vergleichen, so werden Sie überall v. Gudden’s Resultate bestätigt finden. Fast sämmtliche Löcher haben sich ausserordentlich gut erhalten, und die Distanz zwischen den Löchern hat — bei durchschnittlich dreiwöchentlicher Versuchsdauer — fast ausnahmslos in einer jeden Zweifel ausschliessenden Weise zugenommen. Es handelt sich meist um Distanzzunahmen von mehr als 1 "” auf Entfernungen von durchschnittlich nur 5 ”® an Löchern, welche keine Schädelnaht zwischen sich haben. — Sie finden zugleich die Entfernungen der Bohrlöcher von den benachbarten Schädel- nähten notirt, und können durch Vergleich mit dem gegenwärtigen Befund fest- stellen, dass, während an der Sutura coronaria ein nicht unerhebliches Appositions- wachsthum stattfindet, dies Appositionswachsthum an der Sagittal- und Frontal- naht gleich Null oder jedenfalls doch fast gleich Null ist. In derselben Rich- tung, in der das Nahtwachsthum am bedeutendsten ist, also in der Richtung von vorn nach hinten, findet auch die stärkste Distanzzunahme zwischen je zwei Löchern am Os bregmatis bezw. frontis statt, während in der Richtung von rechts nach links, in welcher kein oder fast kein Nahtwachsthum statt- findet, die Löcher etwas weniger bedeutend auseinander rücken. Aus diesem Befunde ergiebt sich zunächst in unwiderleglicher Weise, dass Os bregmatis und frontis des Kaninchens in der Flächenausdehnung interstitiell oder — um deutlicher zu reden — mittels Expansion bereits fertigen Knochengewebes und Interposition neuer Partikelchen zwischen den älteren Partikelchen wachsen. Der Versuch beweist indess noch viel mehr. Während der Schädel er- heblich gewachsen ist, sind ja die Bohrlöcher sowohl an der cerebralen, als auch an der äusseren Fläche der sehr dünnen Knochenwände erhalten ge- blieben, und daraus ergiebt sich — in ähnlicher Weise, wie ich aus den analogen Stittmarkirungsversuchen an den Diaphysen langer Knochen meine Schlüsse für die Vorgänge an der periostalen und Markhöhlenfläche der Röhrenknochen gezogen habe —, dass an der cerebralen Fläche nichts resorbirt, am Pericranium ebensowenig apponirt worden ist. Damit aber ist zugleich erwiesen, dass auch das Dickenwachsthum der betr. Knochen — wenig- stens in den ersten acht Lebenswochen, auf welche sich meine diesbezüglichen Untersuchungen erstrecken, und in welchen die Kaninchen bereits eine sehr er- hebliche Körpergrösse gewonnen haben — mindestens doch zu einem sehr bedeu- tenden Theile durch Expansion geschehen muss. Eine besonders grosse Bedeutung kommt dem Gudden’schen Versuch nun aber doch um deswillen zu, weil er ausnehmend einfach und leicht ausführbar ist, und weil er in der Mehrzahl der Fälle, während die betreffende Wunde prima intentione heilt, gelingt. Es ist also allen Gegnern der Annahme eines expansiven Knochenwachsthums ein Mittel in die Hand gegeben, wenn sie sich nur der sehr geringen Mühe der Wiederholung dieses Versuchs unterziehen wollen, sich binnen wenigen Wochen von der Existenz des expansiven Wachsthums zu überzeugen. Solche Wiederholungen werden ja nicht mehr lange ausbleiben können, und damit wird sich der zunächst noch nothwendige weitere Umschwung in den früheren Anschauungen vollziehen müssen. Bis jetzt ist ausser mir Maas der einzige gewesen, der den Gudden’schen Versuch wiederholt hat. Er sagt, dass er die Bohrlöcher nach einigen Wochen 622 VERHANDLUNGEN nicht wiedergefunden habe. Mit dieser Bemerkung steht er allerdings in Wider- spruch mit alle dem, wovon Sie sich an meinen Ihnen hier vorliegenden Prä- paraten leicht überzeugen können. Maas hat es nun später vorgezogen, an Hunden zu operiren und in die Bohrlöcher rechtwinklig umgebogene Stiftchen einzufügen und diese Stiftchen hat er in drei genauer mitgetheilten Versuchen nicht auseinander rücken gesehen. Diese Abweichung von Gudden’s und meinen Ergebnissen bleibt, wenn man nicht eben annehmen will, dass der Hundeschädel in völlig verschiedener Weise vom Kaninchenschädel wächst, zu- nächst unerklärlich, und wird durch neue Untersuchungen aufzuhellen sein. Ich muss aber bemerken, dass meine anderweitigen an Hundeschädeln angestellten Wachsthumsversuche mittels um den Schädel gelegter Ringe in hohem Grade dafür sprechen, dass auch der Hundeschädel durch Expansion wächst. Ausser Maas halen noch einige andere Autoren, welche aber nicht selbst den Versuch wiederholt haben, sich bemüht, die Beweiskraft des Gudden’schen Versuches für das expansive Wachsthum ‘zu bemängeln, namentlich Wegner und Schwalbe. Wegner, der, wie ich anderweitig gezeigt habe, es ja in sehr vielen Punkten an der Bemühung hat fehlen lassen, zunächst einmal eben- solche Präparate experimentell zu gewinnen, wie diejenigen seiner Gegner, die er bemängelt, meint, es könnte sich bei v. Gudden’s Versuch an die Ränder der Bohrlöcher neue Substanz angesetzt haben, und dadurch könnten die wirklichen Ränder von einander entfernt worden sein. Hätte Wegner, wie es für ihn geboten war, den Versuch selbst wiederholt, so würde er sich leicht überzeugt haben, dass die Distanzzunahme der Bohrlöcher eine so grosse ist, dass dagegen eine etwaige Apposition an den Rändern der feinen Löcher gar nicht in Betracht käme. Auch würde er sich dann wohl selbst gesagt haben, dass bei seiner Annahme die Bohrlöcher ebenso häufig, wie sie sich von einander entfernen, näher an einander rücken müssten, und er hätte sich leicht überzeugen können, dass letzteres thatsächlich niemals der Fall ist. Einen anderen Einwand gegen die Beweiskraft des Gudden’schen Ver- suches erhebt Schwalbe. v. Gudden hat bei Marken 7—8 Wochen alter Schädel häufig bemerkt, dass ‚sich dieselben an der äusseren Schädelfläche in ein mit der Spitze gegen die bezügliche Nath vorschiebendes Dreieck verwan- delt haben. Schwalbe meint nun, dass die Bohrlöcher Ernährungscanäle imi- tiren, und dass sie durch das interstitiell geschehende Wachsthum des Peri- craniums gegen die Naht hin verschoben werden. Hiergegen ist zu sagen, dass das von v. Gudden beschriebene Verhalten keineswegs — wie dies Schwalbe anzunehmen scheint — constant ist, dass Sie es z. B. an meinen, meistens nur etwa vier Wochen alten Schädelchen fast niemals finden, dass ferner das periostale Schädelwachsthum viel zu gering ist, um die Schwalbe’sche Annahme zu rechtfertigen, und dass endlich auch bei der Schwalbe’schen Annahme die Löcher unter Umständen näher an einander würden rücken müssen. Ich muss noch die Bemerkung hinzufügen, dass der Gudden’sche Ver- such nicht bloss von Wichtigkeit für die Frage vom expansiven Wachsthum ist, sondern auch für die nahe verwandte Frage von der Bedeutung der Schädel- nähte. Ich habe bei einer früheren Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, dass an gewissen Schädelnähten ein Appositionswachsthum undenkbar sei, weil diese Nähte schon frühzeitig dendritische Formen zeigen, bei denen der Eingang in eine Zacke schmäler ist, als die Ausbuchtung der Zacke. Sie sehen z. B. ein solches Verhalten der Nähte an den Ihnen hier mitgebrachten Präparaten DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 623 und Abbildungen von Kinderschädeln. Die Richtigkeit meiner früheren Be- merkung nun findet eine Stütze in dem Gudden’schen Versuch, welcher zeigt, dass an einzelnen Knochennähten in der That keine Knochensubstanz apponirt wird. Letzterer Umstand scheint mir der Analogie wegen auch für die Röhren- knochen von Interesse zu sein. Nicht jede Epiphysenlinie ist ein beständiger Appositionsherd. Die untere Epiphysenlinie des Humerus leistet, wie dies z. B. an einem von Prof. Vogt dem diesjährigen Chirurgen-Congress vorgestellten Individuum erweislich war, gar nichts für die Verlängerung des Knochens. Ich bemerke dies aus folgendem Grunde: Der Umstand, dass meine Be- trachtungen der Knochenarchitektur vom oberen Femurende ausgingen, an dem ebenfalls, — wie ich auch jetzt noch meine, — Nichts oder doch äusserst wenig apponirt wird, war in Verbindung mit der noch vor 7 Jahren allgemein geltenden irrthümlichen Anschauung, dass das Knochengewebe vollkommen passiv, und am allerwenigsten fortwährender mächtiger innerer Appositionen und Resorptionen fähig sei, für mich hauptsächlich der Anlass zur Aufstellung der Theorie des ausschliesslich expansiven Wachsthums. Ich habe diese Theorie inzwischen verlassen, und ich darf sie gern ver- lassen, wenn es mir gelungen ist, den Nachweis der Existenz des expansiven Wachsthums, den Nachweis der Geringfügigkeit der schichtenweise geschehenden Resorption an den grossen freien Oberflächen des fertigen Knochens, und den Nachweis einer so mächtigen Activität des fertigen Knochengewebes, wie sie v. Ebner neuerdings durch mikroskopische Untersuchung thatsächlich festgestellt hat, zu liefern. Die heutigen Mittheilungen würden mir noch mancherlei Veranlassung zu weiteren Bemerkungen über die Knochenwachsthumsfrage bieten. Ich verzichte indess darauf, weil meine neueren Untersuchungen, die ich später der medi- einischen Gesellschaft mitzutheilen gedenke, noch nicht abgeschlossen sind, und ich bitte Sie demgemäss, meinen Vortrag nur als Appendix zur Discussion über den Vortrag des Hrn. Busch ansehen zu wollen. Hierauf hält Hr. EwAtLp den angekündigten Vortrag „Ueber die Ver- änderung kleiner Gefässe bei Nierenkrankheiten“: In Hinblick auf die in England von Johnson beobachtete Hypertrophie der Muscularis kleiner Gefässe bei Morbus Brishtii und die von Gull und Sutton aufgestellte Theorie der Arteriocapillary fibrosis hat der Vor- tragende in den letzten Jahren die einschlägigen auf der medic. Universit.-Klinik zur Beobachtung gekommenen Fälle nach dieser Richtung untersucht. Als Material dienten die kleinen Arteriolen des Pons, welche frisch und mit Fuchsin oder Jodmethylanilin gefärbt untersucht wurden. Eine Gefässdegeneration im Sinne von Gull und Sutton konnte der Vortragende nicht bestätigen und verweist zur etwaigen Erklärung der Befunde jener Herren auf die von Wedl, Ober- steiner, Neelsen u. A, an Hirngefässen gemachten Erfahrungen. Dagegen liess sich eine einfache Hypertrophie der Muscularis und eine Verbreiterung der elastischen Innenhaut ohne nachweisbare Bildung junger oder neuer Elemente in fast allen Fällen chron. interstitieller Nephritis und einem grossen Theil der Fälle interstitieller und parenchymatöser Nephritis nachweisen. Diese Hyper- trophie wird ausgedrückt durch das Verhältniss des Lumens der Gefässe zu ihrer Wanddicke, ersteres = 1 gesetzt. Während dasselbe unter normalen Ver- hältnissen und bei anderen Krankheiten nicht über 1:0.2—0.3 hinausgeht kann es in den besagten Fällen sich . auf 1: 0.8—1.2-steigern. Eine Ver- 624 VERHANDLUNGEN änderung der Adventitia findet hierbei nicht statt. Der Vortragende belegt das Gesagte durch eine Reihe von mit dem Zeichenprisma aufgenommenen Gefäss- abbildungen und eine Tabelle, welche das Verhältniss von Gefäss- und Herz- hypertrophie zum Nierengewicht und der Nierenaffection zeigt. Bei Klappen- fehlern, welche zur Hypertrophie des Herzens, selbst in Verbindung mit Stauungs- nephritis, geführt hatten, bei reiner parenchymatöser Nephritis, bei amyloider Degeneration, sowie bei den einseitigen Nierenerkrankungen wurde die besagte Gefässveränderung nicht gefunden. Bei sonstigen Krankheiten wurde sie einmal in einem Fall von Trichinose gesehen. Der Vortragende glaubt, dass die Gefäss- hypertrophie Folge der Herzhypertrophie und diese wiederum Folge der Nieren- erkrankung sei und weist die Ansichten, welche Herz-, Gefäss- und Nierenerkrankung als gemeinsame Ursache eines dritten Constitutionsleidens auffassen, zurück. Seiner Meinung nach resultirt die Gefässhypertrophie aus dem Bestreben der kleinen Gefässe dem übermässig gesteigerten Seitendruck das Gleichgewicht zu halten. Letzteres aber ist Folge der Strömungsverlangsamung, die das mit Retentions- producten überladene Blut bei seinem Durchgang durch die Capillaren des Körpers erfährt und die zu überwinden das Herz eine vermehrte Arbeitsleistung mit schliesslicher Hypertrophie eingeht. XX. Sitzung am 27. Juli 1877. Hr. Dr. Sacas (als Gast) berichtet über den anatomischen Theil seiner in Vene- zuela angestellten Untersuchungen über Gymnotus electricus und demonstrirt einige dahin gehörige Präparate. Eine kurze Darstellung der Ergebnisse dieser Arbeit ist bereits erschienen (s. dies Archiv, 1877, 8. 66 ff.); die in der zugehörigen Tafel II, Fig. 3 gegebenen Skizze des Rückenmarksdurchschnittes enthält einen Irrthum, dessen Berichtigung vor Erscheinen der ausführlichen Monographie wünschens- werth erscheint: das Centralorgan der elektrischen Nerven ist als eine den Centralkanal völlig umschliessende Masse von Ganglienzellen dargestellt, wäh- rend dasselbe in Wirklichkeit eine V-förmige, den Centralkanal nur von hinten und von den Seiten umschliessende Figur auf dem Durchschnitt darstellt. Hierauf hält Hr. @. SaLomox den angekündigten Vortrag: „Zur Chemie des Blutes“. Redner hat vor einiger Zeit über eine Reihe von Untersuchungen berichtet, welche zu dem Nachweise von Glykogen im Eiter geführt hatten (s. oben, S. 595). Es war anzunehmen, dass auch im Blut, entsprechend seinem Gehalt an weissen Rundzeller, Glykogen sich werde nachweisen lassen. In der Crusta granulosa des Pferdeblutes fand sich in der That ein geringes Quantum einer Substanz, die mit Jod die Glykogenreaction gab. Der Vorsitzende hat seitdem eine grössere Zahl von Blutuntersuchungen mit Rücksicht auf etwaigen Glykogengehalt ausgeführt. Zunächst wurde in zwei Fällen von Leukämie hohen Grades je eine Quantität Schröpfkopfblut analysirt. Der enorme Gehalt an weissen Blutkörperchen schien hier besonders günstige Chancen für die Prüfung auf Glykogen zu bieten. Es fand sich beide Male eine Substanz, die in wässeriger Lösung opaleseirte, auf Jod sich roth färbte und nach dem Erwärmen mit SO, Kupferoxyd redueirte; einmal wurde auch (ohne Säurebehandlung) eine deutliche Rechtsdrehung der Polarisationsebene constatirt. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 625 Weiterhin liess sich aber auch in dem Aderlassblut eines Rheumatikers, sowie in dem arteriellen Blut eines Hundes mittels Jodreaction und Kupferreduction nach Säurebehandlung, Glykogen nachweisen. Selbst in dem Blut zweier mensch- lichen Leichen, von denen die eine 1!/, Stunden, die andere 9 Stunden nach dem Tode zur Untersuchung gelangte, fand sich Glykogen vor. Rechtsdrehung ohne vorherige Säurebehandlung bestand beide Male, das eine Mal bis zu O-8 Proc. (im Soleil-Ventzke’schen Apparat). In drei anderen Fällen ergab die Untersuchung von Aderlassblut auf Gly- kogen ein negatives Resultat, vielleicht in Folge kleiner Versuchsfehler, die bei den geringfügigen Mengen von Glykogen, um die es sich hier überhaupt nur handeln konnte, schon schwer in’s Gewicht fallen mussten. Der Vortragende glaubt auf Grund seiner vorwiegend positiven Befunde das Glykogen als einen häufigen, vielleicht einen normalen Bestandtheil des Blutes ansprechen und seinen Sitz mit grosser Wahrscheinlichkeit in die weissen Blutkörperchen verlegen zu dürfen. Um letztere Annahme über jeden Zweifel zu erheben, würde es allerdings einer vergleichenden Untersuchung von Crusta granulosa und Cruor desselben Blutes bedürfen. Redner beabsichtigt diese Lücke noch auszufüllen. Der Glykogengehalt des Blutes scheint, soviel sich bis jetzt übersehen lässt, in keiner directen Beziehung zur Glykogenbildung in der Leber zu stehen. Hr. Anamktewıcz hält die angekündigten Vorträge: 1. „Ueber Ausschei- dung von Jod durch die Haut“. Bei längerem Gebrauch von Jodkalium stellt sich neben einer Affection der Schneider’schen Membran, die den Schnupfen veranlasst, eine in disse- minirten Herden auftretende Entzündung der Haut ein. Dieselbe führt zur Eiterung und erzeugt dadurch die sogenannte Akne. — Es lag nahe, zu ver- muthen, dass das Jodkalium selbst in die Haut gelangte und hier den Entzün- dungsreiz für die Pusteln der Akne setze. Man hat indessen den Beweis für diese Vermuthung bisher nicht geliefert und daher die ganze Erscheinung für die Physiologie der Haut nicht verwerthen können. Der Vortragende hat in einem Fall sehr intensiv auftretender Jodkaliumakne, bei der die Pusteln fast die Grösse kleiner Furunkeln erreichten, das Jod im Inhalt derselben nachge- wiesen. Er hat den Eiter möglichst rein isolirt, auf Objectgläsern eintrocknen lassen und dann mit Stärkekleister verrieben. Ein Tropfen einer viel tausend Mal verdünnten Lösung von rauchender Salpetersäure brachte dann in dem Ge- misch die charakteristische, immer makroskopisch wahrnehmbare Blaufärbung der Jodstärke hervor. Das Reagens war nur in der bezeichneten sehr starken Verdünnung mit Erfolg zu verwenden. Bei grösserer Concentration bewirkte es neben der Zersetzung des Jodsalzes auch die Zerstörung des gegen Oxydation sehr empfindlichen Jodstärkeblaues. Das physiologische Interesse, das der Nachweis des Jods im Inhalt der Aknepusteln gewinnt, knüpft sich an die Frage nach dem Ort und den Wegen der Ausscheidung des Jodsalzes in der Haut und nach den Ursachen des dis- seminirten und nicht diffusen Auftretens der Entzündung in derselben. Die letztgenannte Erscheinung hat ihren Grund in der Thatsache, dass sich bei Jod- kaliumgenuss nur die Talgdrüsen entzünden. Dieser Umstand weist mit Noth- wendigkeit auf die Talgdrüsen der Haut als die ausscheidenden Organe des Jods hin. Die Ausscheidung differenter in den Körpersäften kreisender Stoffe Archiv f. A.u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 40 626 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. durch Drüsen ist eine durch die bekannten Functionen der Speicheldrüsen (Quecksilber), der Leber (Eisen) u. s. w. längst gesicherte Thatsache der Phy- siologie. — Die Schweissdrüsen können bei der Ausscheidung des Jods in der Akne nicht betheiligt sein, da die Akne gerade an denjenigen Orten der Haut, wo die Schweissdrüsen besonders zahlreich vorkommen (Vola der Hand und Planta des Fusses), regelmässig vermisst wird. Der Grund, weshalb das Jod- kalium gerade die Talgdrüsen selbst entzündet, während es in allen anderen Geweben und Organen, in die es, wie bekannt, wegen seiner grossen Diffusibi- lität ebenfalls gelangt, keinen Schaden anrichtet, mag darin zu finden sein, dass, entsprechend der grossen Trägheit des Stoffwechsels in den Horngebilden der Haut, die Ausscheidung des Jods in den Talgdrüsen sehr langsam erfolgt. Hier mag es daher Zeit finden, als Reiz zu wirken, während ihm diese in den übrigen von den Säften lebhafter durchströmten Geweben möglicher- weise fehlt. 2. „Zur Physiologie des Peptons“. Viele Forscher sind der Ansicht, dass von dem Eiweiss der Nahrung nur derjenige Theil zur Bildung von Zellen und Geweben beitrage, welcher im Magen der Verdauung entgangen sei, dass dagegen das Product der Verdauung selbst, das Pepton, nur das Schicksal habe, im Körper zu zerfallen. Der Vor- tragende hat in einer grösseren Arbeit (Natur und Nährwerth des Peptons. Berlin bei Hirschwald. 1877) dem entgegen den Beweis geführt, dass diese Ansicht falsch ist. Jetzt hat er sich die Aufgabe gestellt, zu untersuchen, ob sich Pepton und Eiweiss in Bezug auf die Zersetzung im Darm analog verhalten, oder ob, der allgemeinen Ansicht entsprechend, jenes den Bedingungen derselben mehr unterliegt, als dieses. Die Hauptquelle der Eiweisszersetzung im Darm ist das Pankreas, und unter den Producten der von ihm bewirkten Zersetzung ist das Indol quantitativ am lebenden Thiere zu bestimmen, da es als Indican in den Harn gelangt und hier (nach der Zerlegung) als Indigo- blau direct gemessen werden kann (Jaffe, Salkowski). — Der Vortragende hat Hunde, die sich im Stickstoffgleichgewicht befanden, mit Pepton und reinem Fleisch gefüttert und gefunden, dass nur das letztere das Indican im Härn auf- fallend vermehrte, das erstere nicht. — Daraus folgt, dass das Pepton den Bedingungen des Zerfalles im Darm nicht nur nicht mehr, sondern weniger unterliegt, als das unverdaute Eiweiss. — Es ist sehr wahrscheinlich, dass es denselben sich durch eine frühzeitige Resorption zum Theil entzieht. Berichtigung. S. 177 Z. 26 v. o. lies „entwickelt“ statt „entwickelte“. 552 in der Figurenerklärung lies: C Hinterbeinregion statt Vorderbeinregion. Re Sohn ” „ _D Vorderbeinregion statt Hinterbeinregion. OBER) en Er ist einzuschalten: A Sehsphäre, C—.J Fühlsphäre. lies: © Hinterbeinregion statt Vorderbeinregion. EL EN ” „ D Vorderbeinregion statt Hinterbeinregion. » 557 Z. 9 v. u. lies „rechts“ statt „oben“. b Er} br} Ei) EL Archir F-Anat: u Phystot. /878. Physiol. dblidg. ‚ Taßl N RÜRUuuNN 2 Ieipzig, Veit & Comp. Lith.Anst.wJ.ßBach,leipzig. _ a I 4 Ri sm } g 7 2 , a) Archio E-Anat. u. Physiol. 1878 stol. AbtHULg Leberthran ..in Sodalösung 0.06% Leipzig, Veit &Comp. “ r u . * » . a F 7 i N = 5 - e 5 v 2 4 w 4 ” . . R er _ Ri = ei a * - e “ r 3 3 r = \ } B hr o NV h r Re + } eh D U 7 Br = r b 4% Re [? { \ { i { ‘ j \ er f YıE ) Yet Ken [5 2 \ ' nr F Archiv F-dnat. u. Physiol. 1878. Physiol. Abtılg. | ) Fig.3 Fig Pig5 Fig2 Pig.l TaEM. Lig10 Pig.3 219.8. Fig. Fig.6. 3 Per en er a Pin We en REF real, ENT Rem \o VB RATN mono N en NER \f D..x85 = Feen En N m < SINE 5 Be 7 S Dee) Er & "EN. 5 en h z Pr > Ser P80n, ji on I a1 o AIS:] SPro9, Na { ERTDT 5 a ING vr JH ® 7, IN) N ae) en N s I al TS, II ANE Ne ee NE See = Eih.Anst.J.6 Sach, Leipzig. Archiv F Anat. w. Phys. 1878. Phys.Abthlg. 2 j es A ee BEN TER 2: Tue Fig-ta ne nee Archiv F-Anat.u. Phys. 1878. Phys. Ahthlg. Fig. F. Boll pin» Fig.IS: Fig. 35 b BIER Lei pri Veit & Comp. TV u) N RE LAN® j L \ R En n > y i P— Pe ch,Leipzig. t.v. 46.83 Ans Lith. ‚Veit u.Comp. Leipzig nn N DENN N A (ER 7 Ja Ken RR N ER Wr u RR DRIN ar N DR 5 IMIINNNINIUINNIV 3 2044 093 332 831