LASER IR IR I IR want ya mr x yy3 eva a varı St EN \ v lat) RER SAN ANNE UNN : wur N ihr nuht re c AR | ; AST. Kr N m \ SAHNE REN. ERRANG DR NDR NARRRARNN NN denk y > : k "r \ ı% h DET I BEI Vaınr " k RS SCHE N yr 3 { NAAR j x % EN \ N ENDEN N u £ ryanr EN N hen. 3 R > Van hr oe er j x ke . ehe " Sei 2 ERLIRICHR : Ak Em art | nr | x x Are nhneneh Ä 4 yank hr ar en e, ve we 7 EerrLr; N f BiE fig J r REF IE) x BER, 2 F f; en BE Er ie 3 £3 2 EEE, 4 ER ZEN IE.N Enoreie LIT a Vibrary of the Museum en OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. FDounded by private subscription, in 1861. EN. III NETT TI No. 7/28, v ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN Dr. WILH. HIS un Dr. MiTBEr BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITAT LEIPZIG, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITAT BERLIN. JAHRGANG 1379, PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. \ 1879. ARCHIV FÜR PHYSIOLOGIE. PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dxz. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1879, / MIT ABBILDUNGEN IM TEXT UND 8 TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COME. 21879. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. Inhalt. OSCAR LANGENDORFF, Versuche über die Pankreasverdauung der Vögel. (Hierzu Tat). . L. Lewis, Ueber einen parat für die künstliche Baron ie Taf, 11) ADvoLE SCHMIDT-MÜLHEIM, Untersuchungen über die Verdauung der Eiweiss- körper . 5 A. M. Bueite, Sal: eten Auekergehalt lass Bla : S. TscHIRJsEw, Tonus quergestreifter Muskeln. (Hierzu Taf, IT) Lxon KrAwzorF und OscAR LANGENDORFF, Zur elektrischen Reizung des Mas gehirns OSCAR LANGENDORFE, leben Me Entehans en Verden stand hin Hunde yo. Öscar Spope, Ueber optische Reflexhemmung 2 EN, Av. KLünner, Ueber die Genauigkeit der Stimme. (hieran Tat. wm BAR e: V. Hensen, Ein einfaches Verfahren zur Beobachtung der Tonhöhe eines ge- sungenen Tons. (Hierzu Taf. V.) ; Av. Arısrtow, Einfluss plötzlichen esampanuaiiemanlieslie auf das Herz 5 W. Nıkousky, Ein Beitrag zur Physiologie der Nervi erigentes. (Hierzu Taf. VI. JoHANnN DocieL, Ueber die Ursache der Geldrollenbildung im Blute des Men- schen und der Thiere. (Hierzu Taf. VI). M. L. ScherHsJ, Zur Lehre der Innervation der Tonlerten WILHELM FiLeoune, Ein Beitrag zur Physiologie der ee und ker a motion E. Baumann und C. ara, elten de) nik Bsnbe das $ eanbolhamse JOHANNES GAD, Ueber das Latenzstadium des Muskelelementes und des Ge- sammtmuskels z ERNST von FLEISCHL, Ueber si Ündharahtan end Warsminäknirfe de ne Elektrometers für physiologische Zwecke N G. von Liesıe, Ein Apparat zu Erklärung der Wirkung la utirchelies an die Athmung . A. E. JENDRAsSIK, Veber iR aan der in den ans reihen "Muskeln unter der Einwirkung constanter Ströme auftretenden Strömungserschei- nungen . C. MOoRDHORST, eben len Binkaro im denn mal ar Verheleng 8 Blutes im Lungenkreislaufe während der In- und Exspiration AS WILHELM FILEHNE, Die Wirkungen des Amylnitrits . EmIL /&RUNMACH, Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Bulsweeilen Fervınann Kruc, Ueber den Einfluss gasartiger Körper au die Function des SOEBEN IE ARE ak. EEE RE TEEN Seite vI INHALT. J. ScumutLzwirsch, Ueber den Einfluss des Blutgehaltes der Muskeln auf deren Reizbarkeit ERTL EN N RE JETE von Krıss und Küster, Ueber angeborene Farbenblindheit . Aa" S. Tscuırsew, Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen Vor- gänge im Nerven (Hierzu Taf. VIII.) Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin 1878—1879: Sıromon, Ueber das Vorkommen des Glykogens im Eiter . Avamxınwicz. Ueber den Einfluss des Ammoniaks auf den Stoffumsatz des Dia- betikers . JULIUS WOLFE, Ueber Schwankungen” der Blutfülle der Extremitäten ee ImmAnven Munk, Ueber den Einfluss des Alkohols und des Eisens auf den Eiweiss- zerfall i EHrLicH, Beiträge zur Kenntniss der eranulirten Bindegewebszellen und der eosino- philen Leukocythen ER ÄDAMKIEWICZ, Ergebnisse bei "Diabetikern nach Salmiakreichung h HIRSCHBERG, Ueber eine Modification des Spektroskops zur Prüfung der Farben- blinden . s , A. FRAENKEL, Ueber den respiratorischen Gasaustausch im Fieber Lassar, Demonstration einer Lampe zu mikroskopischen Zwecken L. Lewis, Ueber eine Elementarenwirkung des Nitrobenzols auf das Blut E. STEINAUER, Ueber eine im normalen Harn vorkommende a organische Substanz Rn CHRISTIANI, Ueber Dämpfung. und Aetaeung an "Spiegelbussolen . JoH. Gap, Ueber einen neuen Pneumatographen . WeEBER-LieL, Nachweis einer Communication der endo- und perilymphatischen Räume des menschlichen Ohrlabyrinths mit extralabyrinthären intracraniellen Räumen . x WDR F. Busch, Zur weiteren "Begründung der Osteoblastentheorie Fritsch, Notiz zum histologischen Bau der Leber . . L. Lewis, Ueber das Verhalten der Trisulfocarbonate, der Xanthogensäure und des Schwefelkohlenstoffs im thierischen Organismus : GRUNMACH, Bemerkungen über Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen ADAMKIEWICZ, Ueber das Verhalten der Salzsäure und der fixen Alkalien im Kör- per des Menschen ImmAntven Munk, Ueber die Resorption der "Fettsäuren, ihre "Schicksale "und ihre Verwerthung im Organismus E. SALKOwSKI, Ueber die Fäulnissproducte des Biweisses und über die Bildung der Hippursäure im Thierkörper . A. AUERBACH, Zur Kenntniss der Ausscheidung des Phenols aus dem "Thierkörper Preusse, Ueber die Anwendung des Telephons in der ärztlichen Praxis zur Er- kennung einseitiger Taubheit . Huso KROoNEcKER, Die re der Froschherzspitze, elektrotonische Reize zu summiren „ . 5 Eee: A. FRAENKEL, Zur Lehre von der Wärmeregulation . JoH. GAD, Einige kritische Bemerkungen, die Pneumatographie "betreffend . ; JoH. GAD, Ueber dieBewegungserscheinungen an den Blüthen von Stylidium adnatum H. Kronecker und M. Ps. Meyer, Ueber den Gebrauch verschluckbarer, kugel- förmiger Maximalthermometer, sowie neuer eylinderförmiger, welche en) sind, im Blutgefässsystem lebender Thiere zu sireuliren . a M. WoLrE, Ueber Blutuntersuchungen bei infectiösen Wundkrankheiten EuruıcH, Ueber die specifischen Granulationen des Blutes > SCHÖLER, Ueber Flüssigkeitsausscheidung aus dem Auge. , Hzrmann Munk, Weiteres zur Physiologie der Sehsphäre der Grosshirnrinde LAsSAR, Mikroskopische Präparate, welche die anasomische BInSERIE der Er- kältung auf den thierischen Organismus demonstriren ; DR H. KRoNECKER, Ueber die Athembewegung des Zwerchfells . . . SENATOR, Ueber das Vorkommen von Producten der Därmfäulniss bei N eugeborenen Seite 479 513 525 159 160 161 163 166 169 169 171 174 175 176 177 181 188 191 357 359 361 370 371 374 376 377 379 382 553 999 567 569 571 579 d8l 992 992 394 Versuche über die Pankreasverdauuug der Vögel. Von Dr. Oscar Langendorff in Königsberg. (Aus dem physiologischen Laboratorium in Königsberg.) (Hierzu Tafel I.) I. Pankreas und Pankreassaft der Taube. Ueber den pankreatischen Saft der Vögel enthält die physiologische Literatur nur dürftige Notizen. Nach Magendie! ist das Secret bei ihnen viel reichlicher, wie bei den Säugethieren und „beinahe gänzlich eiweissstofflicher Natur“, da es durch die Hitze wie Eiweiss gerinnt. Tiedemann und Gmelin? ist es niemals geglückt, diesen Saft aufzu- fangen. „Nur bei einem Truthahn ‚“ sagen sie, „und bei einer Gans pressten wir aus den Ausführungsgängen etwas weniges einer weisslichen, consistenten Flüssigkeit, deren Menge aber so gering war, dass nicht einmal die Prüfung durch Lakmuspapier ein sicheres Resultat ergab.“ Glücklicher sind Bouchardat und Sandras? gewesen, die, wie aus einer Notiz bei Milne Edwards“ hervorgeht, Pankreassaft von Hühnern gesammelt und- diastatisch wirksam gefunden haben. Doch erst Claude Bernard’s Untersuchungen? verdanken wir einige 1 Magendie, Lehrbuch der Physiologie. (Uebersetzt von Hofacker.) 1826. Bd. II, S. 334. 2 Tiedemann und Gmelin. Die Verdauung nach Versuchen. 1831. Bd. II, S. 146. 3 Bouchardat et Sandras, Des fonctions du panerdas ete. 1846. p. 147. 4 Milne Edwards, Lecons sur la physiologie et P’anatomie comparee. T. VII. 1863. p. 68. Die Originalarbeit ist mir nicht zugänglich gewesen. 5 Bernard, Memoire sur le pancreas ete. Academie des Sciences, Supplement aux Comptes rendus. T. I. 1856. Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 1 2 OSCAR LANGENDORFF: nähere Angaben über die Beschaffenheit dieses Secretes. Freilich scheint auch er, obwohl er am Pankreas von Tauben, Gänsen, Hühnern und Enten experimentirte, pankreatischen Saft nur einmal, und zwar von einer Gans, gewonnen zu haben. Sie lieferte ihm in 4'/, bis 5 Stunden 1 bis 1.58% Secret. Dasselbe war alkalisch, viscös, coagulirte beim Erwärmen und zerlegte Fett; auch die Substanz der Drüse verhielt sich bezüglich ihrer chemischen Eigenschaften wie bei den Säugern. Berard und Colin,! die gelegentlich ihrer scharfen gegen Ber- nard gerichteten Angriffe am Pankreas von Vögeln operirten, sowie einige andere, bei späterer Gelegenheit noch zu erwähnende Forscher, die sich dieser Opposition angeschlossen hatten, haben sich mit dem Secrete dieser Drüse des Näheren nicht befasst. Die vorhandenen Daten sind demnach, wie man sieht, nicht gerade zahlreich. Es ist diese Theilnahmlosigkeit gegen das durch seine Grösse auf- fallende und operativen Eingriffen leicht zugängliche Organ schwerver- ständlich, zumal wenn man erfährt, dass gerade am Vogelpankreas zuerst die drüsige Natur des lange räthselhaften Gebildes erkannt worden ist. Wenigstens wird berichtet, dass Hofmann (1642) an ihm zum ersten Male den Ausführungsgang gesehen hat.” — Auch hätte, was speciell das Pankreas der Taube betrifft, die Grösse dieser Drüse bei einem nur von Vegetabilien sich nährenden Thiere auffallen müssen, da man viel- fach hervorhob, dass sie bei fleischfressenden Säugethieren eine viel an- sehnlichere Ausdehnung besitze, wie bei den Pflanzenfressern. ‘Nach’ Bidder und Schmidt? beträgt das Gewicht des Pankreas beim Ka- ninchen !/.,., bei Katze und Hund !/,,, des Körpergewichtes“; ich fand es bei der Taube zu !/;, bis !/s,», Bei Hühnern, Enten, Gänsen ist es verhältnissmässig weniger umfangreich. Junge Tauben besitzen eine stärkere Bauchspeicheldrüse als alte; auch das Secret fliesst hier reich- licher. Die Untersuchungen, über die im Nachfolgenden berichtet werden soll, sind deshalb zumeist an jüngeren Tauben angestellt. Es eignen sich Tauben zu physiologischen Versuchen vortrefflich. 1 Berard und Colin, =. u. R 2 Haller (Zlementa physiologiae etc. T. VI, p. 434) erzählt im Anschluss an Bartholin und Schenk: „Mauritius quidem Hofmannus Patavii eum duetum in gallo indico visum J. Georgio Wirsung, medico bavaro ostendit, adgque Hofmannum a plurimis Germanis novi inventi decus refertur; ut etiam solemni quotannis con- vivio ejus inventi gloria concelebretur.“ 3 Bidder und Schmidt, Die Verdauungssäfte u. d. Stoffwechsel. 1852. S. 258. 4 Jones (bei Milne Edwards, a. a. O., p. 518) giebt an: für das Schaf 1/1195; für die Katze 1/yoo, für den Hund Yagr. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 3 Sie besitzen eine erstaunliche Toleranz gegen eingreifende Operationen jeder Art. Schon Bernard hebt hervor, dass man ihnen die Bauchhöhle eröffnen kann, ohne Peritonitis befürchten zu müssen. Die Thiere sind nicht nur während der Dauer der Operation und des daran sich an- schliessenden Versuches sehr ruhig — sie übertreffen in ihrer Indolenz fast das Kaninchen —; sondern sie fahren nach Beendigung des Expe- riments meistens fort zu fressen, und lassen kaum merken, dass sie zu stundenlangen Versuchen gedient haben. Die Wunden verheilen schnell und gut, und, wenn man, was ich selten versäumte, sich antiseptischer Cautelen bedient, ohne Eiterung. Die Zugänglichkeit des Pankreas und seiner Gänge ist bequemer, wie bei den meisten anderen Thieren. 1. Anlegung der Fistel. Wenn man die Bauchhöhle einer Taube durch einen 1—2°” langen, unter der Spitze der Carina sterni beginnenden, in der Mittellinie ge- führten Schnitt eröffnet hat, liest die Drüse mit der sie einschliessenden Duodenalschlinge gerade zu Tage. Durch einen leichten Zug an dem einen Schenkel dieser Schlinge befördert man das Pankreas bequem und ohne es zu berühren heraus. Die Ausführungsgänge, deren drei, mit- unter vier, seltener zwei vorhanden sind, sind auf den ersten Blick er- kennbar. In langem Verlaufe ziehen sie zur aufsteigenden Partie der - Darmschlinge,! ohne je miteinander sich zu verbinden. Dieses letztere Verhalten, das zuerst von Cl. Bernard? erwähnt wird, und das ich selbst durch Injectionsversuche bestätigen konnte, ist im Gegensatze zu den bei Hunden und Katzen sich findenden, bereits Conrad Brunner bekannten Anastomosen der Gänge sehr bemerkenswerth. Die Zahl der vorhandenen Bauchspeicheldrüsen richtet sich somit nach der Zahl der Ausführungsgänge, wenn auch die gröbere anatomische Trennung nicht immer deutlich sich ausspricht. - Der oberste Gang, der in der Nähe eines langen aber dünnen secun- dären Gallenganges — der mehr als stricknadeldicke Duct. choledochus mündet viel weiter oberhalb — in den Darm sich einsenkt, sammelt das Secret des hinteren Drüsenkörpers; die beiden unteren Gänge, die zuweilen in einen einzigen verschmelzen, entstammen dem Vordertheile der Drüse, die in ihrer Totalität etwa die Form eines lang gestreckt- ovalen, auf beiden Seiten fast gleich grossen Manschettenknopfes besitzt. 1 Vgl. Beschreibung und Abbildung bei Bernard, Zecons de Physiologie ex. perimentale. T. II. 1856. p. 464 et suiv. 2 Bernard, Memoire sur le pancreas. p. 524. 11 4 OSCAR LANGENDORFF: Zum Zwecke der Anlegung einer Fistel wird die Taube auf einem eigens für diese Versuche angefertigten Brette befestigt. Dasselbe steht auf vier Füssen und besitzt eine muldenförmige Vertiefung zur Aufnahme des Thieres. Der Körper der Taube wird durch ein elastisches Band .— eine Esmarch’sche Binde — fixirt, welches durch zwei seitliche Spalten des Brettes hindurchgehend Thorax und Flügel umschlingt. Die Füsse werden einzeln festgebunden. Der Kopf wird für gewöhnlich nicht fixirt, sondern mit einem Tuche leicht bedeckt; die Taube bleibt dann stundenlang ruhig liegen. Sind Operationen am Halse vorzunehmen, so wird der Kopf in eine den eisernen Retortenhaltern nachgebildete, am Kopfende des Brettes befestigte Vorrichtung eingeklemmt. Sind die nothwendigen Vorbereitungen, z. B. Entfernung der Federn auf dem Operationsgebiete, geschehen, so wird die Drüse hervorgeholt. Unter einen der Ausführungsgänge lest man dann einen dünnen Faden, wobei man sich vor Blutungen aus darunter liegenden Venen sehr in Acht zu nehmen hat; durch eine in die Wand des Ganges gemachte feine Oeffnung wird erst als „Finder“ eine Carlsbader Nadel, und, nach- dem sie den Weg gezeigt, eine sehr fein ausgezogene Glasröhre einge- führt und durch den Faden befestigt. Leider verstopft sich eine solche Canüle bei der Einführung sehr leicht, besonders wenn eine Blutung in der Nähe des Ganges entstanden ist. Ich habe deshalb in einigen Fällen die Röhre vor der Einbringung mit Sodalösung gefüllt, wie man dies bei hämodynamischer Versuchen thut — Wasser darf man nicht benutzen, weil es mit dem Pankreassafte * _ einen Niederschlag giebt —, allein es wird dabei durch daneben fallende Tropfen der ätzenden Lösung die Aetaan des Operationsfeldes allzu- leicht geschädigt. Die Glascanüle ist lang, und zweimal in der Weise knieförmig ge- bogen, dass ihre drei Schenkel in drei verschiedenen Ebenen liegen. Der äusserste derselben, wie der innere mit einer feinen Spitze endend, ragt über die Seitenkante des Brettes hervor, und sieht senkrecht nach unten. Durch Nadeln, die man neben der Röhre in die Brust- muskulatur des Thieres sowie in das Brett einstösst, kann man die Lagerung der Canüle sichern. Auf diese Weise ist man in den Stand gesetzt, durch Zählung der ausfliessenden Tropfen, mit Bequemlichkeit die Secretion zu beobachten. Ist die äussere Canülenspitze fein ausgezogen, so fallen die Tropfen schon bei geringer Grösse ab. Die Drüse wird nicht reponirt; Knickung des Ganges wäre bei der Länge desselben dabei kanm zu vermeiden. Be- deckt man sie mit feuchtem Fliesspapier, so genügt das vollkommen, um die "Secretion stundenlang, augenscheinlich ohne grössere Störung, zu beobachten. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 5 2. Absonderung des pankreatischen Saftes. Die Secretion ist bei der Taube verhältnissmässig nicht unbedeu- tend. Obwohl in der Regel nur das von einem Drittheil der Drüse ge- lieferte Secret aufgefangen wurde, gelang es mir doch in einigen Fällen bis 0-.5&@ in einer Stunde zu sammeln. Das ist eine beträchtliche Menge, wenn man bedenkt, dass bei den am Hunde angestellten Ver- suchen von Landau! in sieben Fällen von temporären Fisteln im Mittel nur 0.2°m Secret in einer Stunde geliefert wurden, und dass das Pan- kreas von Kaninchen in der gleichen Zeit nur in günstigen Fällen 0.6—0.7°® Saft secernirt.” Freilich ist man auch bei Tauben nicht immer in so günstiger Lage. Wie bei den bisher untersuchten Thieren hängt die Stärke der Absonderung nachweislich mit der Nahrungsauf- nahme zusammen. Man kann bei der Taube, die ihr Futter bis zu 20 Stunden lang im Kropf behalten kann, nicht so leicht wie bei Hun- den und Kaninchen einen bestimmten Verdauungszustand nach Belieben erzeugen. Am esünstigsten für die Pankreassecretion scheint bei ihr die 3—4 Stunden vorhergehende Nahrungsaufnahme zu wirken; wenigstens erhielt ich dann, bei intensiv gerötheter Drüse, die reichlichsten Saft- mensen, obwohl der Kropf noch den grössten Theil des Futters enthielt. Es scheint als ob schon die Anfüllung des Kropfes die Secretion befördere. Minimale Secretmengen lieferten mir Thiere, die seit 12—15 Stun- _ den nüchtern geblieben waren. Genaueres weiss ich nicht anzugeben über diese Verhältnisse, die an permanenten Fisteln eingehender untersucht zu werden verdienen. — Schon Magendie® erwähnt, dass an den Pankreasgängen der Vögel eine peristaltische Bewegung sichtbar ist. Bei Tauben sieht man die Contractionen sehr häufig. In rhythmischer Folge ziehen sich die einzelnen Partieen des Ausführungsrohres zusammen. In einer langen, mit ihm verbundenen Glascanüle erkennt man diese Bewesungen an dem stossweisen Vorrücken des Secretes. Ist die Glas- röhre eng genug, so sieht man zuweilen auf jedes Vorrücken des Saftes ‚ein leichtes Zurückweichen folgen. Ich weiss mir diese Erscheinung nicht anders zu deuten, als durch die Annahme, dass der Ausführungs- sang nach Ablauf jeder Contractionswelle eine kurze Zeit lang im Zu- 1 Landau, Zur Physiologie der Bauchspeichelabsonderung. Breslau. Dissert. 1873. 8. 6. 2 Heidenhain, Einige Beobachtungen über das Pankreassecret pflanzen- fressender Thiere (angestellt mit den Stud. Henry und Wollheim). Pflüger’s Archiv u. s. w. 3 Magendie, a. a. O. p. 324. 6 OSCAR LANGENDORFF: stande der Diastole verharrt und dadurch eine gewisse Ansaugung auf das vorher systolisch ausgetriebene Secret ausübt. Mit den Athembewegungen steht das rhythmische Vorrücken des Seeretes durchaus in keinem Zusammenhange. Der Rhythmus beider Bewegungen ist ein völlig verschiedener. Auch ist daran zu erinnern, dass bei unseren Versuchen das Pankreas völlig aus der Bauchhöhle ent- fernt, den Einflüssen intraabdominaler Druckverhältnisse also entzogen war. Zudem fällt bei Vögeln die für die Pankreasexeretion der Säuge- thiere vielleicht förderliche mechanische Wirkung von Zwerchfellbewe- sungen fort. Valentin! giebt übrigens an, dass sich auch bei Säugethieren zu- weilen eine lebhafte wurmförmige Bewegung des Wirsung’schen Ganges beobachten lasse. 3. Der Pankreassaft der Taube. Das gewonnene Secret ist wasserklar, von schwach alkalischer Reaction, salzigem Geschmack, und in bei weitem den meisten Fällen dünnflüssig; in zwei Bestimmungen enthielt es 1-294 und 1.412 Proc. an festen Bestandtheilen; davon kamen bei der zweiten Untersuchung nur 0-333 Proc. auf organische Körper. In einigen wenigen Fällen fand ich den Saft etwas viseide, und nur einmal beobachtete ich ein Secret von ausgesprochen zäher Beschaffenheit und stark alkalischer Reaction; leider konnte in diesem Falle eine zur Trockenbestimmung ausreichende Menge nicht gewonnen werden. Beim Kochen trübt sich der Saft, ohne jemals ein consistenteres Gerinnsel zu liefern. Diese Trübung nimmt bei vorsichtigem Essigsäure- zusatz nicht wesentlich zu, verschwindet dagegen bei Zusatz grösserer Mengen der Säure. Tropft man den Saft in destillirtes Wasser, so entsteht eine Trü- bung, die bei Essigsäurezusatz verschwindet. Es dürfte demnach wohl ein dem Myosin oder dem Paraglobulin entsprechender Körper vorhanden sein. »alpetersäure macht starke Trübung; beim Kochen damit tritt Gelbfärbung ein. — Bei mikroskopischer Untersuchung fand ich das frische Secret stets frei von morphotischen Elementen. — Die drei bei den Säugethieren sich findenden Pankreasfermente sind auch im Pankreassecrete der Taube vorhanden. Ein einziger Tropfen des Saftes verwandelt in kürzester Frist ge- 1 Valentin, Zehrbuch der Physiologie des Menschen, 1847. Bd. L, S. 638. | VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 7 kochten Stärkekleister in Zucker; rohe Stärke bedarf weit längerer Ein- wirkung. Fibrin wird anscheinend nicht so schnell verdaut, wie durch Pankreassaft vom Hunde; verdünnt man das Secret mit Wasser, so ist die tryptische Einwirkung sogar eine äusserst träge, wahrscheinlich wegen der Abnahme der die Trypsinverdauung unterstützenden Alkalescenz. Dagegen ist die Einwirkung auf neutrale Fette eine sehr kräftige. Schon im Laufe von !/, Stunde zeigt ein vorher völlig neutrales Gemisch von Pankreassaft und gut gereinigter Butter! deutlich saure Reaction, und in einer Zeit von 2—3 Stunden wird bei Körperwärme die An- säuerung so bedeutend, wie ich sie beim Pankreassafte von Hunden nie- mals gesehen zu haben glaube. Gleiche fermentative Eigenschaften wie das Secret hat auch das Drüsengewebe selbst. Das Glycerinextract desselben besitzt, auch wenn die Drüse noch lebenswarm in Glycerin gebracht wurde, sehr kräftige diasta- tische Eigenschaften. Dagegen ist der Trypsingehalt äusserst gering. ? Der aus den Fisteln gewonnene Saft wurde, soweit er nicht zur so- fortisen chemischen Prüfung diente, zu ungefähr gleichen Theilen mit Glycerin gemengt. Eine solche Mischung lässt sich wochenlang aufbe- wahren, ohne auch nur eine einzige ihrer fermentativen Eigenschaften einzubüssen. Es erhellt daraus, mit wie grossem Unrecht Bernard das Glycerin beschuldigt hat, dass es das Fettferment zerstöre.” Das diastatische und das tryptische Ferment sind in solcher Mischung noch nach Monaten reichlich vorhanden. 4. Der Einfluss einiger Gifte auf die Geschwindigkeit der Secretion. Das Studium der Einwirkung von Giften auf die Secretionen ist bei Tauben von ganz besonderem Interesse, da diese Thiere, wie bekannt, sehr hohe Dosen der giftigsten Alkaloide ungefährdet ertragen. Bekannt ist ihr Verhalten gegen Morphin, das ihnen erst bei Gaben von 0.05—0-1&% verderblich wird. Gegen Atropin sind sie, wie die Kaninchen, fast immun. Nicotin, Pilocarpin werden vortrefflich ver- tragen. Dagegen sind Tauben empfindlich gegen Strychnin. Die mini- malsten Dosen dieses Giftes lösen tödtliche Krämpfe aus. Das ist um 1 Die Reaction derselben wird am besten im Aetherextract geprüft. 2 Auf Trypsin wird das Extract am. besten, nach dem Vorgange von Heiden- hain, unter Zusatz von Sodalösung geprüft. 3 Vgl. übrigens auch Grützner, Notizen über einige ungeformte Fermente des Säugethierorganismus, Pflüger’s Archiv, 1876, Bd. XII, S. 302. 8 OSCAR LANGENDORFF: so wunderbarer, als Leube von den Hühnern angiebt, dass sie hohe Strychnindosen gut vertragen.! Die Geschwindigkeit der Secretion wurde in den mitzutheilenden Versuchen durch Tropfenzählung geschätzt. Es ist mir unter den zu Gebote stehenden Verfahren dieses als das einfachste und zweckmässigste erschienen. Bei der Anstellung dieser mühsamen und zeitraubenden Versuche haben mich die Hrn. Stud. Heyne und Stud. Mandelbaum freund- lichst unterstützt. a. Curare. N. O0. Bernstein? hatte aus einigen Versuchen geschlossen, dass Curarisirung von Hunden eine mehr oder weniger bedeutende Beschleu- nigung der Bauchspeichelabsonderung zur Folge hat. Dem gegenüber hat Heidenhain? bei Hunden und bei Kaninchen die Secretionsge- schwindigkeit unter dem Einflusse des Pfeileiftes immer abnehmen gesehen. Bei meinen Versuchen ergab sich entweder gar kein Ein- fluss der Curarenarkose oder eine sehr geringe Verlang- samung der Secretion in derselben. In zweien der mitzutheilenden Fälle wurde die künstliche Athmung bereits vor der Vergiftung eingeleitet, zur Beurtheilung des Antheils, den der veränderte Respirationsmodus an einer etwaigen Veränderung der Absonderungsseschwindigkeit haben konnte. Von Interesse dürfte die Beobachtung sein, dass bei der Curarisirung von Tauben dem Eintritte der Lähmung häufig Krämpfe vorangehen. Bei anderen Thieren sind ähnliche Beobachtungen von verschiedenen Forschern gemacht worden, so von v. Bezold, der beim Frosche vor der Paralyse die Reflexerregbarkeit erhöht fand. Aehnliche Beobach- tungen eitirt Hermann“ von Wundt und Schelske, sowie von Martin- Magron und Buisson, die von strychninähnlichen Wirkungen des Curare berichten. Die letztgenannten französischen Forscher scheinen mir nicht mit Unrecht daran zu erinnern, dass das Curare von Strychnosarten ge- wonnen wird.° l Hermann, Lehrbuch der experimentellen Toxicologie. 1874. 8. 318. 2 Bernstein, Zur Physiologie der Bauchspeichelabsonderung. Berichte der Kgl. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Math.-phys. Classe. 1869. 8. 122. 3 Heidenhain, Beiträge zur Kenntniss des Pankreas. Pflüger’s Archiv. Bd. X, S. 607. ; 4 Hermann, Tozxicologie. 1874. 8. 307. 5 Möglicherweise sind die Ursachen des Krampfes periphere; denn Ross- bach und Clostermeyer sahen die Maximalzuckungen des Kaninchenmuskels VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 1) Uebrigens muss ich bemerken, dass das von mir benutzte Pfeilgift bei anderen Thieren (Hunden, Kaninchen, Fröschen) durchaus keine Krampferscheinungen erzeugte. Ich theile hier drei von den von mir angestellten Curareversuchen mit: Versuch I. un! —u-6- n == oo A SS 8.0 o A El) A > EI A 5‘ Bemerkungen. re = = 235 Bemerkungen. NS) — a. m Sa” Ass Sa St. Min. See.) Min. | St. Min, See. Mn. | it, al 11 55 45 3-25 11 18 30/2 1 08%) 3-25 Mee2303 12 2.45 3.75 11 24 30| 3 0.4 °°Mm Curare- lösung. 11 27 15) 2-75 re 30 R 1 30 2-25 Subeutane Injection 12 10 15 3.75 Micemar an «75 11 32 45 2-5 von 0-4 °M einer10/o Curarelösung. 12 13 45 |3-5 11 35 30| 2-75 [Spontane Athmung |? 17 45 | 40 1 38 15| 2-75 dauert fort. 12 22 4.25 11 41 45| 3-5 |Gleiche Curaredosis. |? — 5 | 4:28 Künstl. Athmung. | 12 28 30 — Tropfen durch 11 44 30| 2-75 Venen el ne geschüttelt. il 46 45| 1-75 | Willkürl. Bewegungen | 12 33 9.5 noch vorhanden. 0-4 ccm (urare- Krämpfe. lösung. 11 49 30| 2-75 1273630 4.5 ie 52730 3 12 241115) 4-75 12 45 45 | 4-5 Nach Unterbrechung der künstlichen Athmung wird das Vorhanden- sein kräftiger Herzpulsationen constatirt. bei kleinen Curaregaben höher werden, als vor der Vergiftung; und C. Sachs be- merkt dazu, dass er bei seinen Versuchen am Gymnotus electricus die Erregbarkeit des elektrischen Nerven im ersten Stadium der Curarevergiftung erhöht gefunden (Centralbl f. d. medicinischen Wissenschaften. 1878. S. 550). 10 OSCAR LANGENDORFF: Versuch II. Canüle im untersten Pankreasgange. Tracheotomie. => [S) SEE »2 8 |e33 Seesen Bemerkungen. Erg + |o2® Bemerkungen. ao: m sn en a8 => Seren see I -— \ . B Kai St. Min. Sec. Min. St. Min. Sec. Min. 119 85 11 56 15| 3-75 11 24 30| 4-75 0-4 °°M Qurarelösung. 11 28 15 3-75 12 3-75 11 31 45 3.5 12 4 \ i s 11 35 3-25 | Einleitung künstlicher | 28 15] *"@ x Aal 1029 — | Tropfen abgeschüttelt. 11 38 30| 3°5 12 2 3.0 3 . 11 41 45|j 3-25 12 5 — | Abgeschüttelt. 11 45 15| 3°3 12 19523045 117749 3.75 |0.4 °m ÖOurarelösung | 12 23 45) 4-25 in die Bauchhöhle | 19 28 14| 4-5 sespritzt. Ä 11 52 30 3-5 |Reflexe noch vorhand. | 2% 32 2 #3 1a ar 4 Versuch II. Canüle im obersten Pankreasgange. Tracheotomie. DnH 18 5 ES 238 Seas | = = |328 s Boa gas k Seide Bemerkungen. et EIS: Bemerkungen. | "Fa |g5£ "ES SE St. Min. See.| Min. St. Min. See.) Min. 10 54 11.19 5.5 |Subeutane Injection 10 58 .30| 4-5 von 0-8 °°M Öurare. 11° 3 15| 4-75 ee 11 13 30) 5-25 | Künstliche Athmung IL a Sa j eingeleitet (50 pro | 11 44 15| 6-5 Minute.) 11 49 45| 5-5 b. Nicotin. } Vom Nicotin giebt Landau! an, dass es die Bauchspeichelabson- derung beschleunige. Bei Tauben scheint es, so viel ich aus meinen Versuchen schliessen kann, eine derartige Wirkung nicht zu üben; ich“ fand es stets völlig wirkungslos. Zum Belege theile ich drei dieser" Experimente mit: | ee er, ! Landau, Zur Physiologie der Bauchspeichelabsonderung. Tnaug.-Dissertation. Breslau 1873, S, 10, VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 11 Versuch I. Junges Thier. Canüle im unteren Gange. n A ie! =u m ! \ rs A = an 888 Bemerkungen. ae: 828 jemerkungen. Sa gg Se lee St. Min. Sec. | Min. Re tn see Min |.) 9 30 45 10 44 15| 4-75 | Das Thier bleibt ganz 935615 I5-5 ruhig. Keine Myosis. 9 41 30 |5-25 RI 9 45 300@)4-0.@) Na Eine Bewegung des | 1! 4 30) 7-5 Thieres schüttelt d. | 11 10 30, 6-0 BR Tropfen vorzeitig ab. Gleiche Nieotindosis. IEalalor 52770 NEsE65230 56-0 Injection von eirea|ıı 2 135-5 0-00025 Nicotin. 3 os 1 0 al 0 25 0255) Gleiche Nieotindosis. 1026.15 714.75 11 40 30| 6-0 10 11 45 15-5 11 45 45| 5-25 Gleiche Nieotindosis. Gleiche Nicotindosis. ne 0 Unruhe. 11 51 30) 5:76 10 22 45 16-0 Krämpfe. Athmung | 11 56 30| 5-0 | Athmung wird flach verlangsamt, stoss- und etwas krampf- weise. haft. 10 28 3.25 Schüttelkrämpfe. 10 34 6.0 O2 59 Gleiche Nicotindosis. | 12 7 30) 5-5 | Athmung wieder nor- 10 39 30 5-5 mal, die Krämpfe | haben aufgehört. Versuch II. 2a. a8 Au. Be rg .d Rn (er) rg oo u SS es == Ai & Bemerkungen, %5 == 25 5 Bemerkungen. en) SS = = Dan Sl ae are St. Min. See.) Min. St, Nin. Seec.| Min. 10 42 30 1o0a13 — |Canüle wird. da die 10 48 30) 6-0 Secretion stockt, son- 1072537301 5-0 dirt. 10 59 30) 6-0 129 19) 15) 065 7 3.00) 4-0 ) 12726 45) Q=5 ige 125 12, Ser ol "To: #16 45| 5-75 12 36 (2) — |Gleiche Nicotindosis. 11 24 7-25 12 42 30) 6-5 | Tropfen abgeschüttelt. Subeut. Injection von Athmung sehr fre- 11 31 45| 7-75 | 0-8°mNjcotinlösung. quent. \ (3Tropf.auf100Ag.) | 12 45 PO) — 1 37 5-25 | Unruhe. Athmung fre- Heftige Krämpfe. quenter. 12 al ea BT 3 11 44 7.0 12 58 6°25 12 ÜSCAR LANGENDORFF: Versuch III Canüle in dem einfach vorhandenen unteren Gange. Dn vv SEE ES Has Set 1889 Bemerkungen. Er 1588 Bemerkungen. ass |es8 age ps8 Buz BPBr Ba 5 Sn= st Min. Sec] Min. St. Min. Sec| Min UeESEE30 ih 5.0 10) 3-5 38 6.0 Ko, ll 5-0 Gleiche Nicotindosis. £ Athmung beschleu- in n 2 er ik 4-0 nist. 10.29 30 4-0 a Einspritzung v.0-.5&!m une a 5 einer 0-250%/, Nico- | 11 54 3.5 he a . 10 83 3-5 | tinlös. in die Bauch- Gleiche Nicotindosis. : 10 37 15| 4.05 | hohle. E beschleu- Athmung beschleu- Mol ig leichtenKranpe | nen 10 42 4-75 Yu a rampfh. Zuckungen. 10 47 15) 5-25 12 10 5-0 03 5.78 19 18 6:0 Gleiche Nicotindosis. Brat nachden dend al ala Canüle entgleitet dem © nd ER Canse: Sirdewied® cotindosis noch zwei- ae mal wiederholt wor- 11 2 A = , den war, trat unter heftigen Krämpfen der Tod ein. c. Pilocarpin. Das die Secretion des Speichels und des Schweisses so kräftig be- fördernde Pilocarpin hat auf die Absonderung des Bauchspeichels bei Tauben keinen begünstigenden Einfluss. Die Absonderung der Mundflüssiskeit wird auch bei Tauben durch die Jaborandiintoxication beträchtlich vermehrt. Einen eigenen Einfluss äussert dieses Gift ferner auf die Athmung. Dieselbe wird iutermittirend. Auf eine Anzahl von 3—4 hastigen Athem- zügen folst eine Pause; dann kommt wieder eine mehrfache respiratorische Entladung, wieder eine Pause u. s. f. in rhythmischem Wechsel. Zuweilen wird die Athmung ganz irregulär. Vielleicht hängt dies mit einer Ver- mehrung der Bronchialsecretion zusammen, auf die mich Prof. J affe- | aufmerksam gemacht hat. 1 1 g j 1 | i | | en VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 13 Versuch I. Bu, N38 Ba, 88 eh ee we Eee GE, = A 5° Bemerkungen. SE Er ES 5" Bemerkungen. ® [1 eier Ai er Ber Sa® ae Sa® ge St. Min. Sece.| Min. St. Min. Sec.) Min. 3.987..30 107735 I 0622301778 10 44 9 10 16 30) 10 Athmung intermitti- Um 10 Uhr 15 Min. sub- rend. 10 26 OS) cutane Injection von | 10 34 10 0-01 Pilocarpin. Versuch Il. un. Zi [Si = en DB = (e| = =] sag E23 Ssa8 82% “an 888 Bemerkungen. - 872 1822 Bemerkungen. mn SEHR eanf SEH NH Be < A NH HN a St. Min, See.| Min. St. Min. See.| Min. ur BT 253 B) ia ae al 5.0 11 21 8 Gleiche Pilocarpindos. 11 28 7 12 9 30] 8:5 | Athmung wird irregu- x lär und unruhig. KL eb >| en 12 18 45| 9-25 ubeutane Inject. von ne ee h 11 45 30) 9-5 0-00587m Pilocarpin. 120528 9-25 ‚ Intermittirende Ath Athmungunverändert. Be In dem dritten der mitzutheilenden Versuche, der an einem sehr jungen Thiere angestellt wurde, nahm die Secretionsgeschwindigkeit in Folge der Pilocarpininjection entschieden ab. Ich bin mir nicht bewusst, bei der Beobachtung irgend einen Fehler begangen zu haben. Versuch II. 2a Ielare a. Re Ben 825 seaa 298 > Er A 2 S' Bemerkungen. » Sn 2 22 Bemerkungen. Ind per rd Hm oe sa® ae St. Min. Sec. Min. St. Min. Sec.| Min. 3756 30 10 6 45| 2-75 30597 1512-75 10 . 9 30) 2-75 1077 45| 2-5 10 12 15| 2-75 |0-01 Pilocarpin in die 10° 4 9.75 Bauchhöhle gespritzt. 14 OSCAR LANGENDORFF: Du DuH x = 5 E38 xp = 5. 23.8 Zu * S 83 Bemerkungen. et 885 Bemerkungen. {77} @> [= ER) u @’ e ) sel Ba IEB8E St. Min. Sec.| Min. St. Min. See.) Min 10 15 45| 3-5 10 51 30 10 19 3-25 | Athmung dyspnoisch. | 10 55 4-5 10 22 30) 3-5 Erneute Injection von 10 59 45| 4-75 0-01 Pilocarpin. 10 26 3-5 P 10 30 4.0 11 4 30) 4:75 | Athmung mühsam und 10 34 40 1 9 15 475 intermittirend. Aus 10 37 45| 3-75 |Athmung intermitti- dem Schnabel fliesst rend. reichlich schleimige 10 4 3.95 Flüssigkeit. Die Beobachtung wird eine Zeit lang unterbrochen. d. Atropin. Betreffs des Atropins besteht eine Differenz zwischen Heidenhain und Pawlow. Ersterer fand in den von Landau! publicirten Versuchen dieses Gift der Pankreasabsonderung gegenüber vollständig wirkungslos. Pawlow? dagegen sah bei Hunden eine entschiedene Hemmung der Secretion durch Atropin; bei Kaninchen war es ohne Einfluss. In meinen Versuchen sah ich in Folge der Atropininjeetion die Absonderung stets abnehmen, ohne je einen völligen Stillstand derselben zu erzielen. Versuch ], Sehr junges Thier. Canüle im untersten Gange. | DuH »ES Ha er: [Bas Bean Bemerkungen. = 7 [085 Bemerkungen. non Sp< Se lee Ba 035% Zee sone BPB= BB- St. Min. See| Min St. Min. Sec.) Min. 11 42 15 12 15 4-25 11 45 2-75 1298) 4-0 11 48 3.0 Gleiche Atropindosis. iS er 12 24 5.5 11 54 15] 3-0 12 30 30) 5-5 Injection von 0.003 | 12 35 45| 5-75 11 58 15) 4-0 Atrop. sulf. in die | 12 41 15, 5-5 Bauchhöhle. 0-004 Atropin imjieirt. 122 15| 4-0 12 47 15|/ 6-0 P 12 6 30) 4-25 12 53 30] 6-25 \ 12 10 45| 4-25 1 6°5 1 Landau, a..a. O. | 2 Pawlow, Weitere Beiträge zur Physiologie der Bauchspeicheldrüse. Pflüger’s Archiv u. s. w. 1878. Bd. XVII, S. 555. | Be ee ie nn VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 13 oT Versuch 1. e Ba 52 ° Bemerkungen. 55 |858 5emerkungen. In jsee SAT las St. Min. See] Min. | St. Min. Sec.| Min. 10 28 1 8 AD oz 10° 29 1-0 ll, ® 11,076) 10 30 1-0 aba 2-0 10531715] 1-25 HE 2-0 10° 32° 15) 1-0 11 14 15| 2-25 | Krämpfe. 102337 15150 ul ala oo 10 34 30) 1-25 iS No 2 Injection von 0-003 | 11 20 30) 2-25 10 35 45| 1-25 Atrop. in die Bauch- | 11 22 30) 2-0 . höhle. {1225 9-5 10 37 1-25 Sm 2R 15 2505 1022332230 71=5 11 29 30| 2-25 10 39 45| 1-25 0-005 Atropin injieirt. 10 41 1:25 12 31 45| 2-25 10 42 30) 1-5 11 34 2.25 10 43 45| 1-25 11 35 15) — | Abgeschüttelt. Grosse 10 45 1-25 Unruhe. 10 46 30| 1-5 11 37 30| 2-25 Gleiche Atropindosis. | 11 39 30) 2-0 10 48 1-5 11 41 45, 2-25 Leichte Krämpfe. 11 44 2.23 10 48 45] — |Abgeschüttelt. 11 46 15| 2-25 10 49 — |Desgleichen. 11 48 30) 2-25 10 50 30| 1-5 0-005 Atropin injicirt. 10 52 1-5 11 51 10 53 30) 1-5 11 53 30/ 2-5 | Athmung unregelm, 10 54 45| 1-35 und verlangsamt. 107756 -15| 1-5 11 55 45| 2-25 10 58 1-75 115815) 2-3 102159720) 15 1 88) — | Abgeschüttelt. A 1 1-5 202 3.0 0-005 Atropin injieirt. Grosse Unruhe. Ath- 1 2 15 mung sehr verlang- e } samt und mühsam. Das Ergebniss dieser Vergiftungsversuche ist somit wenig erheblich. "Immerhin glaubte ich dieselben mittheilen zu sollen, weil ich meine, dass man durch solche Versuche an Vögeln, die hohe Giftdosen vertragen, leichter zu einem Verständniss der toxischen Wirkungen, insbesondere der seceretorischen Effecte der Gifte, gelangen wird, wie durch Säugethier- 16 OSCAR LANGENDORFF: experimente. Zur Auffindung nervöser Bahnen haben meine Giftversuche nicht geführt. Selbst die geringfügige durch Atropin herbeigeführte Secretionsverlangsamung meine ich eher auf ein Aufhören der die Aus- scheidung des Saftes begünstigenden Peristaltik der Drüsengänge, wie auf eine Lähmung seeretorischer Nerven beziehen zu müssen. II. Historisches und Experimentelles über Exstirpation des Pankreas. Die Bedeutung des Pankreas für die Verdauung erhellt am besten aus den Folgen, die eine Ausschaltung der Drüse nach sich zieht. Ich habe eine solche bei Tauben versucht, und bin dabei zu Resultaten ge- langt, die von der gegenwärtig landläufigen Anschauung abweichen. Da ich damit eine alte und theilweise mit vieler Heftiskeit ver- fochtene Streitfrage wieder erhebe, so sei es mir gestattet, eine kurze geschichtliche Darstellung der einschlägigen Versuche der Mittheilung meiner eigenen Erfahrungen voranzuschicken. ! Versuche, das Pankreas zu entfernen, reichen bis in’s 17. Jahr- hundert zurück. Vesling?, dessen Prosector Wirsung den Ausführungssang des Pankreas beim Menschen auffand, stützt sich kaum auf Thierexperimente, wenn er angiebt, dass bei Verstopfung des Ausführungsganges die Drüse „retentis excrementis“ anschwelle und durch Druck auf Leber und Milz schwere Krankheitserscheinungen verursache. Erst Conrad Brunner? hat den Versuch gemacht, bei Hunden das Pankreas auf blutigem Wege zu entfernen. Die von ihm gewonnenen Resultate sind indess weder merkwürdig noch beweisend. Er selbst be- kennt, dass er nicht im Stande gewesen sei, das ganze Pankreas fortzu- nehmen; einen grossen Theil, den ganzen horizontalen Abschnitt der Drüse, liess er wegen seiner Beziehungen zu den grossen Gefässen zurück. Was nun die Folgen des Eingrifis anlangt, so überstanden einige der operirten Hunde die schwere Verwundung. Sie wurden sehr gefrässig, bekamen Verstopfung, gedjehen aber bei reichlicher Fütterung und blieben 1 Ich entnehme diese historische Darstellung meiner im Jahre 1875 von der medicinischen Facultät in Freiburg i. Br. gekrönten, bisher nicht publieirten Preisschrift. 2 Vesling, Syntagma anatomieum. 1647. p. 38. 3 Brunner, Experimenta nova circa pancreas ete. Amstelod. 1682. — De experim. circa pancereas novis ete. in Möse. nat. cwrios. Dee. Il. 1688. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 17 am Leben. Brunner meinte durch diesen Erfolg einen wesentlichen Stoss geführt zu haben gegen die Lehren der Sylvianischen Schule, die dem Pankreassafte eine für das Leben in hohem Grade wichtige, aber dem ungeachtet sehr mysteriöse Rolle zuertheilt hatten.! — Anderthalb Jahrhunderte lang sind ähnliche Versuche, wie die von Brunner, nicht wiederholt worden. Das 18. Jahrhundert, das mit mit- leidisem Lächeln auf die unfruchtbaren Bestrebungen der Jatrochemiker, dem Verständniss der Drüse näher zu treten, herabsah, hat keine einzige zur Erreichung dieses Zweckes taugliche Beobachtung beigesteuert. Selbst Haller, der nicht ohne Ironie von den Irrlehren des Franciscus Sylvius und seiner Anhänger berichtet, vermochte sich nur ganz all- gemeine, auf eigene Anschauung kaum gegründete Vorstellungen von der Bedeutung des räthselhaften Gebildes und dessen Secretes zu machen.? Die blutigen Versuche Brunner’s zu wiederholen, scheute sich Jeder. Selbst in unserem Jahrhundert gelangten Beobachter, wie Tiede- mann und Gmelin? in Bezug auf die Bedeutung des pankreatischen Saftes nur zu Wahrscheinlichkeitsergebnissen. Ein Schaf, dem sie, nach dem Vorgange von Regner de Graaf, eine Pankreasfistel angelegt hatten, starb nach einigen Stunden, nachdem es 9-214®°” Flüssigkeit secernirt hatte. Tiedemann und Gmelin betrachten diesen Verlust des eiweissreichen Saftes als Todesursache, und schliessen daraus auf die hohe Dignität des Secretes. — Erst die Arbeiten von Olaude Bernard haben den Weg für er- gebnissreichere Untersuchungen gebahnt. Ich beschränke mich hier auf die Besprechung seiner, in dem grossen Memoire sur le pancreas mitge- theilten, auf Ausschaltung der Drüse abzielenden Versuche, die er be- kanntlich vorwiegend in Rücksicht auf die von ihm erkannte und für unentbehrlich erklärte fettemulgirende Kraft des Pankreassaftes unter- nommen hatte. Bernard hat drei verschiedene Methoden zur Abhaltung des Secretes vom Darmcanal in Anwendung gebracht. 1) Er unterband die Ausführungsgänge. Wichtig ist, dass er die Existenz zweier, mit einander communicirender Pankreasgänge bei Hunden und Katzen (oft auch, wenngleich ohne Anastomose, bei Kanin- chen) betont. Schon Regner de Graaf kannte die Duplieität und die 1 „Nam et in intestino cum bile luctari, its chylum separari a faecibus, et praeterea eosdem succos in sanguinem venire, atque iterato in corde dextro confligere, vitalemque focum ejus praecipui organi alere, non sine plausu docebat.“ Haller, Elementa physiologiae. T. VI, p. 447. zz HWaller, ]. c. p. 452, 453. sA.a 0. Archiv f. A, u. Ph, 1878, Physiol, Abthlg. 2 18 OSCAR LANGENDORFF: Anastomose der Gänge beim Hunde.! Durch Unbekanntschaft mit dieser Thatsache hatten dagegen die gegen Bernard’s erste Mittheilung? auf- getretenen Forscher: Lenz, Frerichs, Bidder und Schmidt, Herbst die Beweiskraft ihrer Versuche schwer geschädigt. Bernard selbst nahm später von der Unterbindung der Gänge Ab- stand, weil er, wie schon lange vor ihm Brunner, die Erfahrung ge- macht hatte, dass die Ligaturen bald durchschnüren, und der Gang dann in wenigen Tagen wieder zusammenheilt. 2) Er exstirpirte die Drüse. Es ist das eine schwere und sehr blutige Operation. Wir haben gesehen, dass Brunner, der sie aus- führte, einen wesentlichen Theil der Drüse zurücklassen musste. Ber- nard gab deshalb dieses Verfahren für Hunde gänzlich auf, und behielt es nur für Vögel und kleinere Säugethiere bei. 3) Er injicirte Fett in die Ausführungsgänge und brachte dadurch die Drüse zur Atrophie. Diese Methode schien alles zu leisten, _ was man von ihr verlangte. „Ich bin überzeugt,“ sagt Bernard von ihr, „dass dieses das classische Verfahren ist, welches man zur Zerstörung des Pankreas benutzen muss, um so zu einem Urtheil über die Func- tionen desselben zu gelangen durch die Störungen, die seine Vernichtung nach sich zieht.“ ® Bekanntlich ist dieses Verfahren auch für die Speicheldrüsen von Bernard mit Glück verwendet worden; beim Pankreas hatte es nur die unangenehme Eigenschaft, leicht Peritonitis zu erzeugen. — Die nach Ausschaltung des Pankreas von Bernard beobachteten Erscheinungen sind bekannt: die Thiere entleeren ihre Nahrung fast un- verdaut; besonders die Fette und Amylaceen verlassen den Körper fast unverändert; sie werden sehr gefrässig, magern aber dennoch stark ab. Unter den zehn Versuchen, die Bernard in dieser Richtung an Hunden angestellt hat, sind nur zwei geglückt; sieben Thiere gingen an Perito- nitis zu Grunde. | Die beiden überlebenden entleerten vom 15. bis 16. Tage an wieder normalen Koth, und nahmen an Körperumfang wieder zu. Als man sie tödtete, fand sich, dass ein Theil des Pankreas in der Weise seine nor- \ male Beschaffenheit entweder behalten oder wiedergewonnen hatte, dass er die Function der ganzen Drüse ganz wohl allein übernehmen konnte. Diese Versuche mögen nun vielleicht einige Beweiskraft für die von Bernard behauptete Nothwendigkeit des pankreatischen Saftes für die 1 Bernard, a. a. 0. S. 388. 2 Bernard, Recherches sur les usages du sue pancereatique dans la digestion, Comptes rendus etc. 1849. T. XXVIILI. p. 244. 3 Bernard, a. a. O., S. 480. En Dee: VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 19 Fettverdauung haben, für die universelle Bedeutung dieses Secretes, durch welche nach Bernard die Mithilfe von Galle und Magensaft bei der Verdauung überflüssig werden sollte, beweisen sie absolut nichts. Anders steht es mit den Angaben über die bei Vögeln ausgeführte Exstirpation oder Destruction der Drüse. Sie interessiren uns hier ganz besonders und ich kann nicht umhin, Bernard’s Bericht hier wörtlich anzuführen, weil ich in der Lage bin, seine wörtliche Richtigkeit zu bestätigen. Ich muss indess gleich hier mich gegen die Annahme verwahren, als beabsichtigte ich dem französischen Forscher in der Ge- neralisirung der bei Tauben gefundenen Thatsachen zu secundiren. Bernard! sagt: „En effet, chez les pigeons qui avaient subi cette operation, les exer&ments renferment les graines dont ils s’&taient nourris, simplement broyees par le gesier et seulement colordes par la bile, et melangees avec les urates que renfermaient les excr&ments de ces änimaux. Au microscope ou reconnaissait les cellules vegetales dans leur entier, renfermant les grains de f&cule non alteres et se colorant en bleu par liode, tandisque les parois de la cellule vegetale se coloraient en jaune par le m@me reacti. — — — — Les pigeons, surtout quand ils sont jeunes, supportent assez bien ces sortes d’operation, qui consistent A en- lever le pancereas; ils continuent & manger apres, mais ils mai- grissent et diminuent rapidement de poids. La vie ne se prolonge pas au dela de dix & douze jours pour de jeunes pigeons, et la mort arrive dvidemment par le d&faut de nu- trition, qu’entraine la soustraction du suc pancreatique, car au bout de deux ou trois jours la plaie est parfaitement cicatrisee.“ Aehnliche Resultate ergaben Versuche an lleischfressenden Vögeln (Enten); auch diese starben bald an Marasmus. — Den zahlreichen Gegnern, welche sich gegen Bernard’s Ausfüh- rungen erhoben, konnte es nicht schwer fallen, die wunden Stellen seiner Beweisführung aufzudecken. Die beiden mangelhaften Versuche am Hunde, die Beobachtungen am Pankreas der Vögel; die zahlreichen, aber nicht immer mit Kritik ausgewählten Angaben über Erkrankung der Bauch- speicheldrüse beim Menschen, besassen zusammen vielleicht eine gewisse subjective Ueberzeusungskraft; sie waren aber nicht zureichend, die von Bernard behauptete Omnipotenz und Lebenswichtigkeit des pankreati- schen Saftes für Säugethiere wie für Vögel zu erweisen. Einen Befund, wie er selbst ihn am Hunde gehabt hatte, würde Bernard seinen Gegnern niemals verziehen haben; urgirt er doch ihnen gegenüber immer und immer wieder die Nothwendigkeit, die ganze InBlermandesas a. OS SS. 5833: IF 20 ÜSCAR LANGENDORFF: Drüse zu vernichten. Was setzte ihn in den Stand, mit Sicherheit zu behaupten, dass während des Kräfteverfalls der Thiere und während der lienterischen Erscheinungen die ganze Drüse in Wahrheit ausser Function gesetzt war? Von vielen der citirten Kränkhättshoobachkungen am Menschen liess sich nachweisen, dass die Pankreaserkrankung theils mit schweren All. gemeinleiden, theils mit ernster Erkrankung anderer Organe, z. B. der Leber, in Verbindung stand. Die Versuche an Vögeln waren nur für die Classe der Vögel be- weisend. — Es sind besonders zwei französische Forscher gewesen, Colin und Berard, die unter Opferung wahrer Hekatomben von Versuchsthieren die von Bernard angeresten Versuche der Exstirpation der Drüse wieder aufnahmen, und durch sie zu einem wesentlich abweichenden Resultate gelangten. ! Sie sahen die der Bauchspeicheldrüse völlig oder fast völlig beraubten Thiere? (Schweine, Hunde, Vögel) nicht nur nicht abmagern, Fett ent- leeren und zu Grunde gehen, sondern bei reichlicher Fütterung vortrefi- lich gedeihen, Fett ansetzen, an Körpergewicht zunehmen. Fünf junge Hunde lebten noch 8 Monate nach der Zerstörung der Drüse; einer derselben, der vor der Operation 4.692 *s" gewogen hatte, kam in kurzer Zeit bis auf 18.14! Ein Schwein, das 5!/, Monat nach der Exstirpation getödtet wurde, hatte in dieser Zeit um 25:8 an Körpergewicht gewonnen; die Speckschicht auf dem Rücken war 3% dick. — Am unanfechtbarsten schienen von den Bernard’schen Versuchen die an Vögeln angestellten zu sein. Durch die Beobachtungen von Börard und Colin waren auch sie in Frage oestell. Eine von ihnen operirte Ente wurde in 6 Monaten fast um 1000®”% schwerer; bei der Section fand sich von der Drüse beinahe nichts übrig. Eine ebenso operirte Gans starb erst nach einem halben Jahre. An Tauben wurden keine Versuche von ihnen gemacht. 1 Colin und Berard, Z’ Union 1856. — Gazette medicale de Paris 1857, 1858. — Gazette hebdomadaire de medecine. 1858. — Da mir diese Journale hier nicht zu- gänglich gewesen sind, musste ich nach älteren von mir gemachten Auszügen refe- riren. — Vgl. auch Milne Edwards, Lecons d’ Anatomie et de Physiologie comparee. PNDT. 2 Bei Enten gelang die völlige Entfernung; bei Hunden und Schweinen musste man einen Theil der Drüse zurücklassen; doch durfte man auch in solchen Fällen das Pankreas als völlig beseitigt ansehen, da der zurückgebliebene Abschnitt bei der Section sich als völlig atrophisch erwies: „er war, so gaben Berard und Colin an, hart, fibrös, und knirschte unter dem Messer“. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. >21 Doch gelangte Schiff! bei diesen zu ähnlichen Ergebnissen, wie sie an Gänsen und Enten. Er exstirpirte das Pankreas bei Tauben und Raben, ohne dass nachtheilise Folgen eintraten. Leider theilt Schiff Genaueres über seine Versuche nicht mit. Hierher gehört auch die Bemerkung von Ayres?, der im Jahre 1855 angiebt, dass bei Vögeln die Verdauung der Stärke dann noch vor sich gehe, wenn man Gallengang und Pankreasgang unterbunden habe. Auch Hartsen® gelang die völlige Exstirpation des Pankreas bei Tauben. Die Thiere erholten sich, wie er angiebt, schnell von der Operation; wurden sie mit amylumreicher Nahrung gefüttert, so schieden sie, wie vergleichsweise angestellte Versuche zeigten, stets ebensoviel Zucker und unverdaute Stärke mit dem Kothe aus, wie gesunde Tauben, denen gleiches Futter gereicht worden war. Die Verdauung der Fette war dagegen geschädigt: nach Fütterung mit Fett enthielten die Exere- mente der operirten Thiere constant dreimal soviel in Aether lösliche Substanz, als die gesunder Tauben. Noch drei Monate nach der Exstirpation waren die Thiere am Leben. | ; Uebrigens hat Hartsen bei Hunden die Oelinjectionen Bernard’s wiederholt. Allein die Versuchsthiere starben sämmtlich in den ersten 24 Stunden an den unmittelbaren Folgen der sehr verletzenden Operation. — Bei einer so energischen Widerlegung, die sich auch der, wie wir oben zeigten, nicht allzustarken, aus pathologischen Beobachtungen her- geholten Beweismittel Bernard’s bemächtiste, mussten dessen Ausfüh- rungen in den Augen der Zeitgenossen jeglichen Boden verlieren. Die Unwichtigkeit des pankreatischen Saftes für die Erhaltung des Lebens, seine Bedeutungslosiskeit für das Zustandekommen der Fett- resorption schien erwiesen. Bernard selbst wusste seinen Gegnern nur wenig zu erwiedern.* Er wirft Berard und Colin vor: einen anatomischen Fehler (sie hatten die Drüse nicht gänzlich entfernt, oder secundäre Ausführungsgänge ver- nachlässigt); einen Fehler in der Wahl der Nahrung, die sie den ope- rirten Thieren reichten (sie hatten die zum Versuche dienenden Herbi- voren mit Pflanzen gefüttert, die bereits emulgirtes Fett enthielten). Aber 1 M. Schiff in Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre des Men- schen u. s. w. Bd. II. S. 345. 2 Ayres, Micro-chemical Researches on the digestion of Starch ete. Quarterly Journal of microscop. science. No.XI. 1855. (Canstatt’s Jahresberichte für 1855.) 3 Hartsen, Over de alvleeshklier en hare verrigting. Amsterdam 1862, (Schmidt, Jahrbücher, Bd. 119.) 4 Vgl. Lecons sur les liquides de Porganisme. 1859. T. I. 22 OSCAR LANGENDORFF: der restirende Theil der Drüse fiel ja der Atrophie anheim, der secundäre Ausführungsgang war winzig klein im Verhältniss zu den unterbundenen, und ein Theil der schlagendsten Versuche war an fleischfressenden Thieren gemacht worden, die kein emulgirtes Fett zur Nahrung erhielten. — Auch den anscheinend durchaus vorwurfsfreien Versuchen, die Ber- nard an Vögeln gemacht. hatte, waren andere mit entgegengesetzten Ergebnissen entgegengestellt worden. Doch hier stand Versuch gegen Ver- such; auf welcher Seite der Fehler begangen worden, war nicht ersicht- lich; und es mochte wohl lohnend erscheinen, noch einmal die experi- mentelle Lösung dieser Streitfrage zu versuchen. Die unmittelbare Veranlassung zu meiner Untersuchung gab mir eine vor Kurzem aus Heidenhain’s Laboratorium hervorgegangene Untersuchung von Pawlow!, durch welche ein einfaches Mittel gegeben wurde, die Drüse ausser Thätigkeit zu setzen. Derselbe unterband, wie früher schon unter Heidenhain’s Leitung Henry und lallisme" den Det. pancreaticus bei Kaninchen. Der Einfluss dieser Operation auf das allgemeine Befinden der Thiere war gleich Null. „Kein Symptom wies bei den Thieren auf eine krank- hafte Affection hin.“ Das Körpergewicht nahm nur in den ersten Tagen nach der Unterbindung etwas ab; dann erreichte es wieder seine frühere Grösse. Der Koth der Thiere schien normal, die Verdauung nicht ge- schädigt; dreissig Tage nach der Unterbindung waren die Kaninchen noch am Leben. Im Drüsengewebe bildete sich inzwischen eine starke interstitielle Entzündung aus, die schliesslich zu einer merklichen Atrophie des Organs führte. Mit der Erzeugung einer solchen Schrumpfung war das von Bernard, für Säugethiere wenigstens, vergeblich erstrebte Problem einer gänzlichen Ansrottung der Drüse gelöst; und es war zu untersuchen, ob andere Thiere sich ebenso gleichgiltig gegen diesen Eingriff verhalten würden, wie das Kaninchen, dessen nur schwach entwickelte Pankreasdrüse die Bedeutungslosigkeit derselben schon a priori zu documentiren scheint. 1 Pawlow, Folgen der Unterbindung der Pankreasganges bei Kaninchen. Pflüger’s Archiw u. s. w. 1878. Bd. XVI, S. 123. 2 Einige Beobachtungen über das Pankreassecret pflanzenfressender Thiere. Angestellt von den Studirenden A. Henry und P. Wollheim. Mitgetheilt von R. Heidenhain. Pflüger’s Archw u. s. w. 1877. Bd. XIV. 8. 457. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 23 II. Versuche. Die Unterbindung der Pankreasgänge bei der Taube ist eine nur wenige Minuten in Anspruch nehmende Operation. Nur der oberste, dem hinteren Abschnitte der Drüse entsprechende Gang ist nicht immer leicht zu finden; oft muss man die Duodenalschlinge kräftig nach unten ziehen, um ihn zu sehen. Auch wird er leicht mit einem neben ihm verlaufenden und in seiner Nähe einmündenden secundären Gallengange verwechselt, dessen Unterbindung ohne üble Folgen ist. Die Operation geschah stets mit sorgfältig desinficirten Instrumenten und unter tempo- rärer Anwendung des Lister’schen Carbolspray. Zur Ligatur verwandte ich Seide oder Zwirn; die kleine Bauchwunde wurde mit Catgutnäthen geschlossen. Niemals entsteht bei solcher Behandlung Eiterung der Wunde; nur bisweilen zeugen leichte Verklebungen des Darms mit der Bauchwand von entzündlichen Processen. In einem Falle sah ich nach etwas energischer Anwendung des Spray . einen förmlichen Carboleollaps erfolgen: das 'Thier zitterte heftig, hielt sich nur mit Mühe aufrecht, bekam Nystagmus, erholte sich aber in wenigen Stunden vollkommen. — Die anatomische Veränderung der Drüse bildet sich in kürzester Zeit aus. Schon am 6. bis 7. Tage sieht man das beim gesunden Pan- kreas spärliche Interstitialgewebe vermehrt, und von reichlichen Rund- zellen durchsetzt. Bald schwindet die von der überhandnehmenden Binde- sewebswucherung verdrängte Drüsensubstanz mehr und mehr; nach 10 bis 14 Tagen ist die Drüse hart und verkleinert, und enthält, wie die mikroskopische Untersuchung zeigt, nur noch kleine Inseln unveränderten Drüsengewebes. Zuweilen finden sich multiple Hämorrhagien. Die Aus- führungsgänge sind manchmal cystenartig erweitert, und mit alkalisch reagirender Flüssigkeit prall gefüllt. Niemals ist es mir übrigens vorgekommen, dass (wie das Brunner und Bernard bei Hunden sahen) eine Ligatur durchsehnürte und Wiederverheilung des Ganges zu Stande kam. Es scheint, dass die entzündliche interstitielle Wucherung ihren Aus- gang von der Umgebung der Drüsengänge nimmt. Auch Pawlow äussert eine ähnliche Vermuthung. Mein College, Hr. Dr. Baumgarten, der die Freundlichkeit hatte, einige der veränderten Drüsen zu untersuchen, fand in der Nähe der Ausführungsgänge die entzündliche Neubildung besonders reichlich; unter dem Epithel derselben waren Anhäufungen von Rundzellen zu erkennen, die das Bild einer förmlichen subepithelialen Eiterung darstellten. — Ich bin mit Pawlow der Ansicht, dass der Stau- ungsdruck des Secretes zur Erklärung der Erscheinungen nicht genügt; 24 OSCAR LANGENDORFF: auch ich glaube, dass es sich hier um eine Reizung handelt, die durch die chemische Beschaffenheit des Saftes bedingt ist. — Nur nach Unter- bindung aller Ausführungssänge darf man eine totale Veränderung der Drüse erwarten. Ist ein Gang freigelassen, so erleidet der ihm entspre- chende Drüsenantheil keine Veränderung.! — Die Thiere erholen sich von der Operation sehr schnell; kurze Zeit nachher fangen sie wieder an zu fressen; sie erscheinen meist völlig munter; nur ihr scheues Betragen lässt sie von gesunden Thieren unter- scheiden. In einigen Tagen hat ihre Fresslust einen ganz ab- normen Umfang angenommen. Das Auftreten dieses von Bernard bei seinen Versuchsthieren mehr- fach erwähnten und von vielen ärztlichen Beobachtern bei Erkrankung der menschlichen Bauchspeicheldrüse hervorgehobenen Symptomes konnte ich hier auf das unzweifelhafteste bestätigen. Ein Beispiel wird diese Beobachtung am besten illustriren: Eine Taube, die am 10. November 285 8°" wog, frass in 24 Stunden von den ihr ad libitum vorgesetzten Erbsen 332°%; also ungefähr ihres Körpergewichtes. Am Morgen des 11. November wurde sie operirt; bis zum 12. No- vember frass sie fast nichts; in den nächstfolgenden Tagen nur wenig. Am 20. November betrug ihr Körpergewicht 235°". Sie frass vom Morgen des 20. bis zum Morgen des 21. November 508°" Erbsen, also nn ihres damaligen oder = ihres anfänglichen Körpergewichtes. Dabei hatte ihre Schwere in diesen 24 Stunden um 148"® abgenommen. In vielen Fällen wird noch weit mehr Futter vertilgt. Leider habe ich versäumt, bei mehreren Beispielen exorbitanter Gefrässigkeit nume- rische Daten zu sammeln. Die Bestimmung der verzehrten Futtermenge ist etwas umständlich, da man wegen der Neigung vieler Tauben, einen Theil ihres Futters weit umher zu streuen, besonderer Schutzvorrichtungen bedarf. | In einen dunkeln Raum darf man die Thiere nicht sperren, weil sie dann oft jegliche Futteraufnahme verweigern. | Das Nahrungsbedürfniss ist somit nach der Unterbindung der Pankreas- gänge in hohem Grade vermehrt. Es kann diese Erscheinung zum Beweise für die Richtigkeit der Anschauung dienen, nach welcher das Gefühl des Nahrungsbedürfniss nicht sowohl aus der Leere des Verdauungsschlauches, als vielmehr aus einem sich irgendwie bemerkbar machenden Deficit in 1 Bei Hunden findet man in solchen Fällen gar keine Veränderung der Drüse, das Secret gewinnt durch die Anastomose einen Abfluss. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 25 dem Bestande der allgemeinen Säftemasse entsteht. Magen und Darm sind bei den gierig und in manchen Fällen ununterbrochen fressenden Thieren stets gefüllt. Dagegen wird die Nahrung nur kurze Zeit im Kropfe zurückbehalten. Versucht man den Thieren die genügende Futter- menge vorzuenthalten, so fressen sie, wie ich das mehrfach bemerkte, ihren eigenen Koth. Die in so beträchtlicher Menge aufgenommene Nahrung verlässt den Körper fast unverändert. Gesunde, mit Erbsen gefütterte Tauben entleeren neben der Harn- säure eine mässige Menge weichen, grüngefärbten Kothes, der fast nur aus Cellulose und Chlorophyll besteht und Stärkekörner gar nicht oder nur in geringer Quantität enthält. Das alkoholische Extraet ist von leb- haft grüner Farbe. — Die Kothausscheidung der operirten Thiere ist vom 4. bis 5. Operationstage an bedeutend vermehrt und von eigenthüm- lichem, auffallendem Aussehen. Die oben erwähnte, am 10. November zur Untersuchung gelangte, Taube entleerte vom Morgen dieses Tages bis zum Morgen des nächstfolgenden 308”®" Koth (am Tage zuvor waren ‚32= m Koth entleert worden). Am Tage der Operation (11. Nov.) war der Koth zum Theil flüssig oder breiig und von geringer Menge. Entsprechend der geringen Nah- rungsaufnahme stieg sein Gewicht auch nicht in den bald darauf folgen- den Tagen. Dagegen betrug die Kothmenge am 20. November nicht weniger als T7Em, Bei einem anderen Thiere, das am 2. Mai operirt und durch Dar- reichung von Zucker (s. u.) länger am Leben erhalten worden war, wogen die Excremente vom 18. bis 19. Mai 738% (Körpergewicht = 182); eine sesunde Vergleichstaube hatte in derselben Zeit nur 323”® Koth und Harn entleert. Der Koth der Pankreastauben ist meistens trocken und von stroh- gelber Farbe — auf das frappanteste an einen derben Erbsenbrei er- innernd.. Durch Alkohol lassen sich nur geringe Mengen von Chloro- phyll extrahiren. Es scheint, als ob bei der durch das Fehlen des ‚ Pankreassaftes verringerten oder vielleicht aufgehobenen Alkalescenz des ‚ Darminhaltes das Chlorophyll einer theilweisen Zerlegung unterliege.! | Die mikroskopische Untersuchung ergiebt neben dem normalen Be- ‘ funde von Zellenmembranen und Chlorophyll die Anwesenheit von grossen ‘ Mengen unveränderter, mit Jod sich intensiv bläuender Stärke. | ‚Die Amylaceenverdauung scheint somit bei diesen Thieren völlig ; aufsehoben. Es darf nicht überraschen, dass bei dieser Sachlage die auf | 1 Wie mir übrigens ein Taubenzüchter mittheilt, kommen solche eigenthüm- lieh aussehende Faecalmassen zeitweilig auch bei gesunden Tauben vor. 26 OSCAR LANGENDORFF: stärkemehlhaltiges Futter vorwiegend angewiesenen Thiere trotz der überreichlichen Nahrung an Körpergewicht stetig abnehmen, be- trächtlich abmagern, und in kurzer Zeit unter den Erschei- nungen der Inanition zu Grunde gehen. Dieser Tod durch Verhungern ist in den Fäilen, in welchen alle Gänge unterbunden wurden, unausbleiblich. Er erfolgt gewöhnlich zwischen dem 6. und 12. Tage, selten früher oder später. Die Körpergewichtscurve sinkt fast stetig ab, etwas langsamer, wie es scheint, wie bei completer Nahrungsentziehung, bei welcher der Tod am 6. oder 7. Tage einzutreten pflegt. Der Tod erfolgte bei meinen Versuchsthieren, deren Anfangs- gewicht immer unter 3008” betrug, gewöhnlich, wenn das Körperge- wicht auf 1595 —165®” gesunken war. Aus sehr zahlreichen Wägungen habe ich zur Illustration des Gesagten Curve I und II ausgewählt, in denen die Gewichtsabnahme bei zwei Versuchsthieren graphisch darge- stellt ist. Hat man nicht sämmtliche Gänge unterbunden, sondern, sei es aus Versehen oder mit Absicht, auch nur einen einzigen Gang verschont, so ist von den erwähnten Erscheinungen wenig zu sehen. Zwar am Anfang nimmt das Körpergewicht ab, allein bald steigt es wieder an, nimmt sogar bei guter Fütterung zu; die Fresslust ist nur in der ersten Zeit gesteigert, die Kothmasse nur eine Zeit lang auffallend reichlich. Bei der Wochen oder Monate nachher vorgenommenen Section findet man die Drüse nur in den Theilen verändert, die mit den unterbundenen Aus- führungsgängen in Verbindung standen; der dem freigebliebenen Gange entsprechende Theil ist vollständig intact geblieben, und da er gewöhn- lich 1/,—!/, der gesammten Drüsenmasse darstellt, kann man wohl an- nehmen, dass er die Function der ganzen Drüse zu übernehmen im Stande gewesen sei. Curve III stellt das Verhalten des Körpergewichtes bei einer solchen unzureichenden Unterbindung dar. Sie ist einem schwächlichen Thiere entlehnt, dem am 1. April 1878 zwei Pankreasgänge unterbunden wurden. Am 7, April waren die Kothmassen noch sehr reichlich und erbsenbrei- artig, das Thier sehr gefrässig. Nach 8 Tagen verloren die Faeces ihr eigenthümliches Aussehen, blieben aber noch sehr reichlich bis zum 22. bis 25. April. Das Thier lebte noch am 26. Mai. — ! Unterbindet man nur einen Gang, so kann jegliche auf eine Beein- trächtigung der Verdauung hindeutende Erscheinung fehlen. In dem’ durch Curve IV dargestellten Versuche waren bei einer sehr jungen Taube am 8. Mai 1878 der oberste Pankreasgang und der neben ihm verlaufende kleine Gallengang unterbunden worden. Man sieht, wie im Laufe von 9 Tagen das Körpergewicht zunimmt. 8 | | VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 27 Solche Versuche lehren zugleich, dass der operative Eingriff als solcher ohne jedwede üble Folgen ertragen wird. — Bei der. completen Unterbindung der Pankreasgänge ist es offenbar in erster Reihe der Mangel an Kohlehydrataufnahme, der zum Inanitions- tode führt, also der Ausfall diastatischer Processe. Zwar finden sich bei der Taube, wie mir eine Reihe von Versuchen gezeigt hat, zuckerbildende Fermente im Körper weit verbreitet: die Galle ist, wie bei mehreren Säugethieren,! auch bei den Tauben diasta- tisch wirksam;? die Speicheldrüsen sondern ein fermenthaltiges Secret ab; aus dem Kropf kann man, wie Versuche zeigten, die Hr. Stud. med. Mandelbaum auf meine Veranlassung anstellte, durch eingebrachte Schwämmchen, sowie durch Glycerinextraction der Schleimhaut eine kräftig auf Amylum wirkende Flüssigkeit gewinnen. Allein die Wirksamkeit dieser Secrete kann nur verschwindend klein sein gegen die gewaltige diastatische Fähigkeit des pankreatischen Saftes. Auch finden Speichel und Kropfflüssigkeit kaum Gelegenheit, ihre ver- dauende Kraft zu erweisen. Ich habe niemals in der Flüssigkeit, die mit Erbsen stunden-, ja tagelang? im Kropf verweilt hatte, eine Spur von Zucker entdecken können; ich habe ferner niemals gesehen, dass durch Schwämmchen gewonnene und auf gekochte Stärke gut wirkende " Kropfflüssigkeit, die ausserhalb des Körpers mit rohen Erbsen stunden- | lang bei 35—40° C. digerirt wurde, auch nur die geringste Menge Zucker gebildet hätte. Die vorangehende Zermalmung der Erbsen durch den ' Muskelmagen, möglicherweise auch die durch den Magensaft bewirkte Lockerung des Gewebszusammenhanges ist offenbar Bedingung für den erfolsreichen Angriff eines diastatischen Fermentes. | Nach Unterbindung der Pankreasgänge bleibt also allein der Galle, ı vielleicht noch dem Darmsafte, dessen verdauende Fähigkeiten ich nicht ı kenne, überlassen, die Amylaceen der Nahrung zu saccharifieiren. Einer | solchen Aufgabe ist sie aber sicherlich nicht gewachsen.* — _ Was die Verdauung der Eiweisskörper nach Unterbindung der Pan- N 1 y. Wittich, Weitere Mittheilungen über Verdauungsfermente. Pflüger’s | Archiv u. s.w. 1870. Bd. III, S. 341. 2 Cl. Bernard leugnet mit Unrecht jegliche verdauende Fähigkeit der ‚ Vogelgalle. | 3 Nach doppelseitiger Vagusdurchschneidung fand Hr. Cand. med. Zander bei ‚seinen im hiesigen Laboratorium angestellten Versuchen den Kropf oft prall mit | Flüssigkeit und Erbsen gefüllt. Zucker war darin niemals nachweisbar. | * Merkwürdig ist bei alledem, dass der Koth der operirten Thiere noch dia- statisch wirksam ist. Bei gesunden Tauben enthält der Koth übrigens, wie ich , mich überzeugte, beträchtliche Mengen diastatischen Fermentes, das offenbar zum | grössten Theile dem Pankreassafte entstammt. 28 OSCAR LANGENDORFF: kreasgänge betrifft, so fehlen mir zwar eingehende Versuche darüber; allein ich möchte doch, in Rücksicht auf die nicht gerade starken tryp- tischen Wirkungen des Secretes (s. 0.), sowie auf den anscheinend nicht sehr beträchtlichen Eiweissgehalt des Kothes, annehmen, dass von ernster Bedeutung für die Aufnahme von Albuminaten das Fehlen des Saftes nicht ist. — Die Einwirkung des Pankreassaftes auf die Fette spielt bei der Taube wohl nur eine gerinsfügige Rolle. ! Man müsste nach alledem den bei den operirten Thieren eintreten- den Zustand als eine „unvollständige Inanition in qualitativer Beziehung“ bezeichnen. Bekanntlich geht ein einer solchen Diät unter- worfenes Thier meistens ebenso rasch zu Grunde wie bei completer Nah- rungsentziehung. | In der That zeigte mir ein Versuch, dass es nicht viel Unterschied in der Lebensdauer macht, ob man die Taube, deren Pankreasgänge unter- bunden wurden, hungern lässt oder ob man ihr Nalzunzenuinshung: nach. Belieben gestattet. Eine junge Taube, der die Gänge unterbunden worden waren, und’ die kein Futter erhielt, starb am 6. Tage, nachdem ihr Körpergewicht von 255°” bis auf 159 sich verringert hatte. Nach Chossat gehen) hungernde Tauben zu Grunde, wenn sie ?/, ihres Körpergewichts ver- loren haben; in unseren Fällen ist eine bald grössere, bald geringere) Uebereinstimmung mit diesem Gesetze vorhanden; in dem letzten Ver-' suche ist das beobachtete Endgewicht (1592°%) nur wenig höher als das‘ durch das Gesetz geforderte (153 2”). — Eine Reihe von weiterhin angestellten Experimenten bezog sich auf den Versuch, den durch die Fernhaltung des pankreatischen Secretes be- dinsten Ausfall durch anderweitige Zuführung von diastatischen Fermen- ten oder von resorptionsfähigeren Nahrungsmitteln zu decken. Gegen die Darreichung von Pankreassaft oder Pankreassubstanz liess’ sich schon von vornherein der Einwand machen, dass es in hohem Grade fraglich sei, ob das darin enthaltene diastatische Ferment der verdauen- den Kraft des Magensaftes Widerstand zu leisten vermöge Von dem Trypsin hat bekanntlich Kühne? erwiesen, dass es hier nicht der Fall ist. Aber es gelang mir nicht einmal, eine Entscheidung dieser Frage he er 1 Der Gehalt der Erbsen an Fetten beträgt nicht einmal 2 Procent. Gorupe Besanez, Lehrbuch der physiologischen Chemie. 1874. S, 82T. 2 Kühne, Ueber das Verhalten verschiedener organisirter und RE .. ungeformter Fermente. Verhandlungen des naturwissenschaftlich-medicinischen Vereins \ zu Heidelberg. N. S., I, 3. ä Bi: 2 | VERSUCHE ÜBER DIE P/y;sIREASWRDAUUNG DER VÖGEL. 29 N herbeizuführen; denn die meisten 'ıniere, denen ich Pankreassubstanz beibrachte, erbrachen dieselbe. Gelang die Beibringung; so war ein Einfluss auf die Verdauung durchaus nicht wahrnehmbar, das Körpergewicht nahm nach wie vor ab. — Eine ähnliche Erfahrung habe ich mit Fleisch gemacht. Niemals wurde es spontan aufgenommen, das zwangsweise in den Kropf gestopfte wurde häufig erbrochen. Geschah das letztere nicht, so trat ausser sehr übelriechenden Dejectionen keine merkliche Veränderung ein. — Gekochte Erbsen, die naturgemäss leichter verdaut werden mussten, wie rohe, wurden von den meisten Thieren verschmäht; in einem Falle, in welchem die Verfütterung derselben gelang, sank das Körpergewicht trotzdem wie bei Darreichung roher Nahrung. — Besser sind mir Versuche mit Zucker geglückt. Ich benutzte Rohr- zucker, anstatt des freilich rationelleren, aber von den Thieren ungern ge- nommenen Traubenzuckers; in Mengen von 4—68”% wurde er dem Trink- wasser beigemischt. Im Uebrigen erhielten die Thiere ihre Erbsennahrung wie gewöhnlich. Grössere Mengen von Zucker zu verabreichen, ist nicht thunlich, weil Tauben in solchen Fällen leicht Diarrhoe bekommen und schnell zu Grunde gehen. Geringe Quantitäten werden von den Thieren sehr gern genommen und gut vertragen. Der Erfolg der geringfügigen Zugabe von Zucker ist ein wahrhaft überraschende. Das Sinken des Körpergewichts wird in allen Fällen aufgehalten, der Todeseintritt mehr oder weniger hinausgeschoben. Curve V und VI! geben davon ein Bild; die Gewichtscurve ist, wenn man von vornherein Zucker reicht, weit weniger steil wie in den gewöhnlichen Fällen und sie zeigt hin und wieder Elevationen; setzt man den Zucker aus, so sinkt sie schroff ab. Reicht man einem der wie gewöhnlich mit Erbsen gefütterten Thiere hin und wieder einmal Zucker, so markiren sich diese Tage stets durch ein Ansteigen oder wenigstens bedeutend vermindertes Absinken des Ge- wichtes. Das Leben kann durch die Mitverfütterung von Zucker be- trächtlich verlängert worden; in einem Falle erfolgte der Tod erst am 123, Tage nach der Operation; in einem anderen nach 22 Tagen. Vergeblich habe ich mich bemüht, durch Darreichung von Zucker den tödtlichen Ausgang oänzlich abzuwenden. Ich konnte die mittlere ' Zuckerdosis nicht auffinden, die einerseits zur Ernährung ausreicht, andererseits keine üblen Nebenwirkungen herbeiführt. 1 Die Tage, an denen Zucker erabreieht wurde, sind durch unterbrochene Linien gekennzeichnet. P, \ \ 30 Osopk LANGHNDoRFE: Jedenfalls zeigen schon diesö\ unvollkommenen Versuche das, was sie zeigen sollten: dass die Gewichtsabnahme nach der Unterbindung der” Pankreasgänge in der Störung der Amyläceenverdauung ihren Grund hat, und dass sie aufgehalten werden kann durch Darreichung resorbirbaren Kohlenhydrates. Ich habe nun noch über Versuche zu berichten, die darauf abzielten, ° dem am Abfluss verhinderten Pankreassafte im Blute nachzuspüren. Schon Heidenhain! und nach ihm Pawlow? hatten sich die Frage vor-" gelegt, was nach der Unterbindung aus dem doch wahrscheinlich resor- birten Secrete wird. Es frägt sich allerdings, ob man a priori berechtigt : ist, die Frage in dieser Weise zu stellen. Denn sie macht die Voraus-” setzung, dass die Pankreasdrüse wirklich der Bildungsheerd für die® Secretbestandtheile ist. Man könnte aber auch denken — und für das | diastatische Ferment wenigstens liegen Beobachtungen vor, die sehr da- für sprechen —, dass der Bildungsort für die Fermente eher im ganzen Körper zu suchen, und in der Pankreasdrüse selbst nur der Ort der’ Ausscheidung zu sehen sei. Man würde, wenn das richtig ist, nach Pan- kreasunterbindung nicht von einer Resorption secernirter Stoffe sprechen‘ können, sondern von einer Anstauung an der Ausscheidung verhinderter Stoffe; also nicht, wie Pawlow meint, einen der Cholämie, dem Ikterus ähnlichen Zustand erhalten müssen, sondern eine Veränderung, die eher der Urämie entspräche. Wie dem auch sein mag, Trypsin durfte man, Heidenhain’s Ss Erfahrungen entsprechend, auf keinen Fall im Blute vermuthen;? nur die ne des Zymogen war zu erwarten. F Durch genaue Blutuntersuchungen konnte man hoffen, nicht nur? den Verbleib der Secretbestandtheile, bezw. ihrer Vorstufen auf die Spur zu kommen, sondern auch zu einem Entscheid über die Frage nach dem Sitze der Fermenthbildung zu gelangen. Eine völlig atrophische Drüse nämlich, bei deren mikroskopischer Untersuchung nur vereinzelte In- seln intacter Drüsensubstanz sich fanden, musste zur Fermentbildung untauglich sein; versah sie nun unter normalen Verhältnissen diese Function, so war eine Enzymämie bei atrophischer Drüse nicht denkbar 1'A.0a.0. 2A... 0. & 3 Ausser wenn inan der Ansicht ist, dass nach der Unterbindung das Secret erst aus den Drüsengängen in’s Blut übertritt. [57 ” VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. al und das Bestehen einer solchen musste ein Beweis sein für die Nicht- localisation der Enzymbildung. Ich habe deshalb die Prüfung des Blutes vorgenommen, theils 24 Stunden nach der Unterbindung sämmtlicher Gänge, theils zu einer Zeit, wo der niedrise Werth des Körpergewichts den baldigen Tod er- warten liess. Die Untersuchung, bei der ich das Fettferment vernach- lässigte, geschah in der Weise, dass das Thier durch Kopfabschneiden setödtet, das aus der Halswunde ausfliessende Blut in Alkohol aufge- fangen wurde. Unter diesem blieb es, unter häufigem Umrühren (zur Lösung des Zuckers, von dessen Anwesenheit ich mich überzeugt hatte) 12—24 Stun- den stehen; der Niederschlag wurde getrocknet und mit Wasser oder mit Glycerin verrieben. Niemals fand sich in dem Extracte Trypsin. Nach dem Vorausgeschickten war dieses Ergebniss zu erwarten; es handelte sich nunmehr um den Nachweis des Trypsinogens. Zu diesem Zwecke wurden zwei Wege eingeschlagen; entweder ich leitete durch das nach obiger Angabe angefertigte Glycerinextract "/, bis >/, Stunden lang Sauerstoff, nach dem Vorgange von Podolinski!, um das darin enthaltene Zymogen zu Trypsin zu oxydiren; oder ich breitete das der Taube entzogene Blut sorgfältig auf grosser Fläche aus, behan- delte es erst mit Alkohol, nachdem es 24 Stunden lang bei Zimmerwärme der Einwirkung der atmosphärischen Luft ausgesetzt worden war, und extrahirte dann mit Wasser. In beiden Fällen liess sich Trypsin nachweisen; das Extract verdaute in 12—24 Stunden kleine Mengen von ungekochtem Fibrin.? Der Nachweis von der Anwesenheit des Zymogens im Blute von Tauben, deren Pankreasgänge unterbunden worden, war somit geführt. Die geringe Menge desselben darf bei der nicht sehr kräftigen eiweiss- lösenden Fähigkeit des Taubenbauchspeichels nicht Wunder nehmen. Auch ist es nach den Beobachtungen von Kühne, der in’s Blut injieirtes Trypsin in den Harn übergehen sah, wohl denkbar, dass ein Theil des im Blute kreisenden Ferments durch die Niere schnell zur Ausscheidung gelangt. Vielleicht unterliegt es auch theilweise der Zerstörung. Im Blute gesunder Thiere -fand Kühne keine Spur von Trypsin; 1 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XIII, S. 322 ff. 2 Das Blut der Pankreastaube oder sein Extract fault bei Körpertemperatur ‚viel schneller, als normales Blut und dessen Auszug. Es wird auch im Wasserbade von 35—400C, sehr schnell trübe und misfarben — alles Erscheinungen, die der Anwesenheit von Pankreasferment das Wort reden. 32 OSCAR LANGENDORFF: ich selbst fand bei gesunden Tauben weder Trypsin noch sein Zymogen im Blute vor. — Behandelt man in der angegebenen Weise das Blut von Tauben, welchen die Unterbindung schon eine Reihe von Tagen vorher gemacht worden war, so erhält man ebenfalls ein auf Fibrin lösend wirkendes Extract. Ja es scheint, als ob das Ferment hier sogar in grösserer Menge vorhanden sei, wie bei den erst kurz vorher operirten Thieren. In einem Falle, dessen Geschichte durch Curve V bereits mitgetheilt ist, und in welchem das Thier die Operation 16 Tage überlebte, begann ein deutlicher Zerfall des zu der Blutlösung hinzugefügten Fibrins bereits nach 3 Stunden; nach 6 Stunden war nur noch ein aus Fibrintrümmern bestehender Bodensatz nachweisbar. Die Pankreasdrüse selbst war völlig atrophirt, und sie enthielt von tryptischen Fermenten nur Spuren. (Nach 15 Stunden waren nur sehr geringe Mengen des mit der Drüse zusammen in's Wasserbad gebrachten Fibrins zerfallen.) » 5 Dieser Nachweis spricht entschieden dafür, dass die Fermentbildumg nicht in der Drüse ihren Sitz hat, dass die Fermente vielmehr ihre Ent- stehung dem allgemeinen Stoffwechsel verdanken. Die von Heiden- hain und von Kühne beobachteten morphologischen Veränderungen der Drüsenzellen bei der Secretion sind, für diese Annahme kein Hinderniss; denn sie können ebenso gut auf die Aufnahme und Ausscheidung von Secretionsmaterial, wie auf die Bildung desselben bezogen werden. — Die Aufsuchung des diastatischen Ferments des Pankreassaftes, für welches der nunmehr vacante Namen „Pankreatin“ wohl der passendste sein dürfte, war von nicht geringerem Interesse. Handelte es sich doch vielleicht hierbei um nichts geringeres als um den Schlüssel zu der räthselhaften, von vielen Aerzten (zuerst wohl von Frerichs) beobach- teten Coincidenz von Pankreaserkrankung und Diabetes. Hartsen freilich hat, zum Theil auf Grund seiner an Tauben an- gestellten Versuche, behauptet, dass ein Causalzusammenhang nicht existire; in. Bezug auf den Zuckergehalt der Leber fand er bei seinen Versuchsthieren keine Abweichung von der Norm. Später haben Munk und Klebs! negative Ergebnisse erhalten, als sie bei Hunden die Bauchspeicheldrüse exstirpirten oder den (?) Duct. pancreaticus unterbanden oder die Drüse abschnürten. In der letzten Zeit hat Heidenhain bei zwei Kaninchen, denen er den Pankreasgang unterbunden hatte, den Harn vergeblich auf Zucker unter- sucht; zu demselben Resultate gelangte in seinem Laboratorium Pawlow. — | 1 Tageblatt der Innsbrucker Naturforscher- Versammlung. 1869. Schmidt, ' Jahrbücher. Bd. 144. VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 33 Ich selbst habe niemals Diabetes bei meinen Versuchstauben con- statiren können; selbst dann nicht, wenn die Thiere mit Zucker ge- ‚füttert wurden. Dagegen weichen meine Ergebnisse in Bezug auf den Leberzucker von denen Hartsen’s entschieden ab. In keinem Falle, und ich habe in 6 Fällen untersucht, war in der sofort nach dem Tode untersuchten Leber Glykogen nachweisbar; zweimal dagegen fand sich Zucker vor. Die Untersuchung geschah theils 1—2 Tage nach der Unterbindung der Gänge, theils bei Thieren, die an den unmittelbaren Folgen der Operation zu Grunde gingen, und bald nach dem Tode zur Section gelangten. Man würde indess voreilis urtheilen, wollte man aus diesem Befunde auf den Uebergang von diastatischem Ferment in’s Blut schliessen. Denn einerseits haben mir Versuche an Kaninchen gezeigt, dass man diesen Thieren grosse und kräftig wirksame Mengen von diastatischer Flüssiekeit selbst in’s Pfortadergebiet einspritzen kann, ohne dass die Leber ihr Glykogen vollständig verliert; andererseits lag es bei den Versuchen an den bereits vor längerer Zeit operirten Thieren näher, bei dem Glykogenmangel an eine Inanitionserscheinung zu denken; und, was die kurze Zeit vorher operirten Thiere betrifft, so habe ich zusammen mit dem praktischen Arzt Hın. Neiss vor längerer Zeit die Erfahrung gemacht, dass es bei Tauben zuweilen genügt, allein die Bauchhöhle zu eröffnen und wieder zu verschliessen, um am folgenden Tage die Leber völlig glykogenfrei zu erhalten. Als ich nun, unbeeinflusst durch den Befund an der Leber, die Untersuchung des Blutes vornahm, fand ich dasselbe, gleichviel ob es einen oder mehrere Tage nach der Operation untersucht wurde, stets reich an diastatischen Fermenten. Allein auch hier gebot ein Umstand Vorsicht im Urtheil. Schon v. Wittich! hatte nämlich gezeigt, dass im Blute, wie in vielen anderen Theilen des Thierkörpers normaler Weise zuckerbildende Fermente sich finden. Kühne? wies im Rinderblute und im Blute von Hunden reichliche Mengen von Ptyalin nach. Ich selbst überzeugte mich, dass das Blut sanz normaler Tauben — mit allen Cautelen untersucht — nicht unbe- deutende Mengen von diastatischem Fermente unzweifelhaft besitzt. Da- durch war der Nachweis einer Pankreatinämie bedeutend erschwert; es handelte sich nunmehr um eine quantitative Feststellung des Ferment- sehaltes normalen Blutes und des der operirten Thiere. Eine solche hat auf meine Veranlassung Hr. Stud. Marchand Iy. Wittich, A. a. ©. S. 339. 2 Verhandlungen des nat.-medie. Vereins in Heidelberg. Bd. II, 1. Heft. Archiv f. A. u, Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 3 54 OSCAR LANGENDORFF: nach einer von mir bereits seit zwei Jahren, besonders zu Demonstrations- zwecken, benutzten Methode, unternommen. Diese Methode, die nicht mehr beansprucht, als zur annähernden relativen Schätzung von diastatischen Fermentmengen zu dienen, ist folgende: Eine durch Jod gefärbte Glykogenlösung! wird durch Zusatz von diastatischem Ferment allmählich, in Folge der Bildung von durch Jod weniger tingirbarer Substanzen, entfärbt. Diese Entfärbung geht stufen- weise vor sich, von sattem Rothbraun bis zum hellen Gelb; und sie er- folgt im Allgemeinen um so schneller, je reicher der Gehalt an Ferment ist. Hat man zwei gleich weite Reagensgläser mit gleichen Mengen einer solchen Lösung sefüllt, und jedem von beiden gleiche aber geringe Mengen zweier verschieden starker Fermentlösungen hinzugesetzt, so wird die eine Flüssigkeit schneller entfärbt werden, als die andere. Eine vorher angefertigte Farbenscala, durch verschiedene Verdünnungen derselben Glykogenlösung hergestellt, erlaubt, den Eintritt einer bestimmten Farben- nuance festzuhalten, und die Zeit dieses Eintrittes bei der einen Lösung mit der bei den anderen zu vergleichen. Dieses Verfahren leidet an allen Fehlern der colorimetrischen Me- thoden; und die unbewiesene Voraussetzung, dass die Saccharifications- zeit eine Function der Fermentmenge sei, hat es mit den meisten der bisher zur quantitativen Fermentbestimmung angegebenen Methoden ge- mein; auch die Annahme, dass die Saturation der Farbe mit der Gly- kogenmenge wächst und abnimmt, ist im Grunde nicht völlig richtig. Nichtsdestoweniger leistet die Methode, wie bemerkt, zu Demonstrations- zwecken gute Dienste, und für die von uns beabsichtigte Vergleichung reichte sie vollkommen aus. Die Glycerin- oder Wasserextracte des Blutes wurden in der be- kannten Weise angefertigt. Einer gesunden Taube und einer Pankreas- taube wurden gleiche Mengen Blut entzogen, durch gleiche Alkohol- mengen gefällt; die Niederschläge gleich lange getrocknet, und während gleicher Zeiten mit bestimmten Quantitäten von Wasser oder Glycerin extrahirt. Gleiche Mengen der Extracte wurden sodann nach der angegebenen Weise auf ihren Fermentgehalt geprüft. Das Ergebniss waren in allen beiden in dieser Richtung angestellten Versuchen ein früheres Erblassen der mit dem Blutextracte der Pankreastaube versetzten Glykogenlösung; und zwar hatte sich 1 Ich sollte besser sagen: eine durch Glykogen gefärbte Jodlösung; denn, um eine dunkelrothbraune Färbung zu erhalten, darf man bekanntlich der hellgelben Jod- lösung nur wenige Tropfen einer Glykogensolution hinzufügen. | [27-4 VERSUCHE ÜBER DIE PANKREASVERDAUUNG DER VÖGEL. 35 bei dem zweiten Versuche die Färbung der Normalblutlösung nur wenig von der Farbe der von Ferment freien Jodglykogenlösung entfernt, als die Farbe der anderen Flüssigkeit bereits der der reinen, glykogenfreien Jodlösung sehr nahe stand. Es kann somit keinem Zweifel unterliegen, dass das Blut der ope- rirten Tauben bedeutend mehr diastatisches Ferment besitzt, wie das Blut gesunder Thiere. In diesem Sinne kann man somit auch von einer „Pankreatinämie“ sprechen. Fassen wir nunmehr die in dem letzten Theil dieser Arbeit ge- wonnenen Thatsachen zusammen, so ergiebt sich folgendes: Die Fernhaltung des Pankreassaftes vom Darmkanal stört bei Tauben die Verdauung der amylumhaltigen Nahrung in so hohem Grade, dass die Thiere trotz ihres gesteigerten Nahrungsbedürfnisses unter steter Gewichtsabnahme und Ab- magerung in kurzer Zeitzu Grunde gehen. Durch Darreichung von Zucker kann der tödtliche Ausgang etwas hinausge- schoben werden. Im Blute der operirten Thiere lässt sich Zymogsen (Trypsinogen Kühne) und diastatisches Ferment (Pan- kreatin) nachweisen, selbst zu einer Zeit, wo die Drüse schon in Folge der Unterbindung ihrer Gänge völlig functionsun- fähig geworden ist. Das Blut der operirten Thiere ist reicher an Pankreatin, wie das gesunder. Bei einem Rückblick auf die Gesammtheit der in dieser Arbeit ent- haltenen Versuche kann ich mir nicht verhehlen, dass viele dieser Mit- theilungen sehr fragmentarischer Natur sind. Manche der angeresten Fragen konnten mit den zu Gebote stehenden Mitteln nicht in äus- reichender Weise behandelt werden. Ich bin gegenwärtig bemüht, perma- nente Pankreasfisteln bei Tauben herzustellen. Sie ‘wären, im Falle des Gelingens, am besten geeignet, Aufschluss über diese uud jene Frage zu geben, die sich bei den vorliegenden Untersuchungen der Beantwor- tung entzog. In wie weit die an Tauben gemachten Beobachtungen auch für an- dere Thiere gelten, mag die Zukunft lehren. Königsberg i. Pr., im November 1878. 3% Ueber einen Apparat für die künstliche Respiration. Mitgetheilt von Dr. L. Lewin, Assistenten am Pharmakologischen Institut zu Berlin. Aus dem Pharmakologischen Institute der Universität. (Hierzu Taf. II.) Von den vielen Apparaten, die für die Vornahme der künstlichen Athmung in physiologischen oder pharmakologischen Versuchen angegeben sind, hat sich keiner derart bewährt, um allen hier zu stellenden Anfor- derungen zu genügen. Als solche sind zu nennen: 1) Möglichste Rhythmicität in der Frequenz und dem zeitlichen Ver- laufe der Respirationen. 2) Die Möglichkeit, Zahl und Tiefe der Respiration nach Belieben wechseln zu lassen. 3) Automatischer und geräuschloser Gang des möglichst compen- diösen Apparates, der zugleich leicht transportabel sein muss. Es ist seither eine grosse Reihe von derartigen Athmungsapparaten angegeben worden, von dem einfachsten Blasebalge an, der durch Hände- kraft in Bewegung gesetzt wird, bis zu den durch Wasserdruck oder Gaskraft getriebenen, complicirten Einrichtungen. Fast alle diese Ap- parate erfüllen nur theilweise die eben gestellten Bedingungen. Denn die einfach gebauten sind für den Hand- oder Fussbetrieb eingerichtet, — ein Uebelstand, der besonders da empfunden wird, wo dem Expe- rimentator nicht immer ein Gehülfe bei den Versuchen zu Gebote steht — und die complieirter construirten Apparate waren bisher meist zu theuer und gaben die geforderte Exactheit nur auf Kosten umständ- licher und sonst hinderlicher Einrichtungen. L. Lewis: ÜBer EINEN ÄPPARAT FÜR DIE KÜNSTLICHE RESPIRATION. 37 Der Gre&hant’sche! Apparat nimmt hinsichtlich seiner Leistungs- fähigkeit eine der ersten Stellen ein. Derselbe ist jedoch für den Hand- - betrieb eingerichtet und müsste demnach erst mit einer kostspieligen Gas- oder Wasserturbine verbunden werden, um der wichtigen Anforderung der Selbstthätigkeit zu genügen. Das Gleiche gilt von den Ludwig’schen Athmungsapparaten. Der auf Tafel II abgebildete in dem hiesigen pharmakologischen Institut seit einiger Zeit in Gebrauch befindliche und von Hrn. Professor Liebreich znsammengestellte Apparat entspricht, wie ich glaube, so- wohl hinsichtlich der Einfachheit seiner Construction, als auch der er- probten Vollkommenheit seiner Leistungen allen billigen Forderungen. ? Die bewegende Kraft für denselben ist das Wasser, das von 7 aus (s. Fig. 1) durch einen kleinen Motor (Moteur hydraulique, Pat. A. Schmid, Zürich — s. Fig. 3) strömend, durch eine einfache, innerhalb des Apparates befindliche Vorrichtung die Schnurscheibe %, in Bewegung setzt und seinen Abfluss in der Richtung der Pfeile zum Bassin einer Wasserlei- tung nimmt. Die Bewegung dieser Schnurscheibe überträgt sich auf die Schnur- scheibe Aır. Diese steht mit einer kleinen eisernen Betriebsaxe A in Ver- bindung. Die letztere trägt ein Eisenstück S (Fig. 2), das an einem Ende massiv, ein Contregewicht Z’ darstellt, an dem anderen verjüngt ist und eine prismatische Nuth besitzt, in welche die mit einer Flügelschraube # versehene Gelenkstange G G, passt. Diese ist an ihrem oberen Ende durch eine Schraube an dem Blasebalge D befestigt, der entweder in den Operätionstisch vermittelst zweier Holzleisten eingeschoben ist, oder durch zwei Flügelschrauben auf demselben gehalten wird. Vom Blase- balge aus geht ein Schlauch Z zur Canüle C. Es ist aus der Figur leicht ersichtlich, wie der Blasebalg zur automatischen Action ge- langt. Wenn die beiden Schnurscheiben A, und Aır durch den Wasser- strom in Bewegung gesetzt sind, so gelangt auch die Betriebsaxe A in Thätiskeit und damit auch das Eisenstück 8, dessen Bewegungen durch das Contregewicht P regulirt werden. Diesen Bewegungen muss noth- wendiger Weise die festgeschraubte Gelenkstange GG, folgen, und sie bewirkt, da sie auch an ihrem oberen Ende befestiet ist, In- und Exspi- rationsbewegungen des Blasebalges. Die Anzahl dieser Respirationen ist direet proportional dem Wasserzufluss in der Zeiteinheit und demnach 1 Cyon, Methodik der physiolog. Experimente und Wivisectionen. Giessen und St. Petersburg 1876. 8. 63. ? Der Apparat wird complet hergestellt von dem Mechaniker B. Stabernack, Berlin, W., Potsdamerstr. 26, und zwar, einschliesslich des Preises für den Patentmotor, für 150 Mark. 38 L. Lewin: ÜBER EINEN APPARAT FÜR DIE KÜNSTLICHE RESPIRATION. leicht durch den Wasserhahn zu reguliren. Die Tiefe der Respirationen ist proportional den Excursionen des Blasebalges, die sich leicht durch Verschiebung der Gelenkstange in der prismatischen Nuth NV nach Be- lieben feststellen lassen. Es ist klar, dass der Hub wächst mit dem Halbmesser des Kreises, den das untere Ende der Gelenkstange beschreibt. Dieser Kreis wird aber um so grösser, je näher die Gelenkstange der Ausgangsöffnung der Nuth N geschoben wird, und umgekehrt. Will man ein für alle Mal constante Punkte haben, auf die die Gelenkstange eingestellt werden kann, so graduirt man empirisch die Seitenschienen der Nuth. Auf diese Weise erzielt man bei gewöhnlichem Wasserdruck und bei einem gewöhnlichen Durchlasshahn von ?/,” voll- kommen oleichmässige, rhythmische, und je nach Bedürfniss mehr oder minder grosse Excursionen des Blasehalges. Soll der ganze Raum des Tisches für Operationszwecke benutzt werden, so kann der Blasebalg leicht an der unteren Fläche der Tisch- _ platte befestigt werden. Berlin, im September 1878. Untersuchungen über die Verdauung der Eiweisskörper. Von Dr. Adolf Schmidt- Mülheim, Assistent an der Veterinärklinik der Universität zu Leipzig. „Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Seit dem Nachweise chemischer Kräfte bei der Pepsinverdauung hat man sich zum Zwecke eines genaueren Studiums der Verdauungs- vorgänge dreier verschiedenen Untersuchungsmethoden bedient: 1) der Verdauung durch natürlichen Magensaft ausserhalb des Organismus, 2) der Einwirkung künstlichen Magensaftes auf die Eiweisskörper, 3) der Beobachtung der Verdauungsvorgänge an Thieren mit Magen- fisteln. Die erste Methode ist die älteste und nimmt ihren Anfang mit Versuchen von Reaumur!, Spallanzani? und Braconnot?. Die Ge- nannten liessen Thiere an Fäden befestigte Schwämme verschlucken und erhielten durch Auspressen der hervorgezogenen Schwämme eine Flüssig- keit, welche Fleischstückchen bei Brutofenwärme ebenso löste, wie dieses bei der Verdauung im Magen zu beobachten war. Später haben Tiedemann und Gmelin“ sowie Leuret und Lassaigne° Verdauungsversuche mit natürlichem Magensafte in grösserem Umfange ausgeführt; aber bei der Unmöglichkeit, natürlichen Magensaft leicht und frei von Beimengungen anderer Verdauungssecrete zu erhalten, ist diese Untersuchungsmethode ‚von der Neuzeit gänzlich verlassen und hat für uns nur noch histo- rischen Werth. Ein neues Stadium für die Erforschung der Eiweissverdauung be- ginnt mit dem Jahre 1834:. Eberle® präparirt durch blosse Extraction . der abgespülten Magenschleimhaut mit angesäuertem Wasser „künstlichen 40 ADOoLE SCHMIDT- MÜLHEIM: Magensaft“ von grosser Wirksamkeit und führt eine Methode ein — Verdauungen mit „künstlichen Verdauungssäften“ —, welche unser Wissen von dem Chemismus der Eiweissverdauung bisher am meisten gefördert hat. Eine ganz besondere Bedeutung erlangte die Methode der künst- lichen Verdauung für das Studium der Verdauungsproducte der Eiweiss- körper. Dieses beginnt mit Beobachtungen Mialhe’s’, der unter dem Namen Albuminose eine durch die Einwirkung des Magensaftes auf Eiweisskörper entstehende Substanz beschreibt, als deren charakteristische Eigenschaften er Löslichkeit in Wasser, Unlöslichkeit in absolutem Alkohol sowie Unveränderlichkeit durch Kochen und durch Säuren be- zeichnet. Lehmann® war es dann, der sich mit einer weiteren Unter- suchung dieses Körpers beschäftigte, der für ihn den Namen Pepton ein- führte und der zeigte, dass dieses in seiner Elementarzusammensetzung von den ursprünglichen Eiweissstoffen nicht wesentlich verschieden sei. Auch beschrieb Lehmann mehrere neue Reactionen des Körpers und stellte als _ Grenze zwischen Pepton und Eiweiss die Blutlaugensalz- Essigsäurereaction fest. Meissner? fand, dass bei der Verdauung der Eiweissstoffe durch den Magensaft noch ein zweiter Körper in keineswegs zu vernachlässisender Menge gebildet werde; diesen bezeichnet er als Parapepton und er gibt als dessen charakteristische Kennzeichen die Unlöslichkeit des Körpers in genau neutralisirten Flüssigkeiten, sowie seine leichte Löslichkeit im geringsten Ueberschuss von Säure oder Alkali an. Meissner weiss, nicht, ob er den Körper als Vorstufe oder als Umwandlungsproduct des Peptons betrachten soll oder ob er ein neben dem Pepton entstehendes Spaltungsproduet der Eiweisskörper bildet; er sagt aber ausdrücklich, dass ihm die Umwandlung des Parapeptons in Pepton niemals gelungen sei. Nachdem schon Mulder!’ durch anhaltende Einwirkung des Magen- saftes die Umwandlung sämmtlichen Eiweisses in Pepton bewirken konnte, hat Brücke!! erkannt, dass Meissner’s Parapepton nur ein Durch- gangsproduct der Verdauung ist, welches in seiner ganzen Menge in Pepton übergeführt werden kann, dass es aber durchaus kein specifisches Verdauungsproduct bildet, da es auch durch blosse Behandlung der Eiweisskörper mit schwacher Salzsäure erhalten wird. Die entgegen- gesetzten Angaben Meissner’s erklärt Brücke durch den Umstand, dass sich das Acidalbumin bei niederen Temperaturen oft lange Zeit unverändert in der Verdauungsflüssiskeit hält. Von jetzt an unterschied man bei der Magenverdauung: einfach selöste Hiweissstoffe von den wirklich verdauten. Kommen wir zu der letzten und jüngsten Forschungsmethode. Beaumont’s!? Beobachtungen an einem mit einer Magenfistel versehenen canadischen Jäger veranlassten Bassow!? und Blondlot!* zum Zwecke ee UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER EFIWEISSKÖRPER 41 des Studiums der Masenverdauung Thieren künstliche Magenfisteln anzu- legen. Die bisherige Handhabung dieser Methode rechtfertigt durchaus nicht die hohe Meinung, welche man von ihrem Werthe besitzt. Sie hat fast ausschliesslich für die Beobachtung der Secretionsverhältnisse des Magensaftes Bedeutung erlangt, während unsere Kenntnisse von den chemischen Vorgängen bei der Verdauung durch sie kaum bereichert wurden. . Nach der Entdeckung der eiweissverdauenden Kraft des Bauch- speichels durch Corvisart!? musste auch die besondere Veränderung der Hiweisskörper innerhalb des Darmkanales die Aufmerksamkeit der Forscher in Anspruch nehmen. Als Methode für Untersuchungen über die pan- kreatische Eiweissverdauung dienten fast ausschliesslich künstliche Ver- dauungsversuche; ein Thierexperiment Kühne’s!® und einzelne unbe- deutende Beobachtungen an Kranken mit Darmfisteln haben die Kennt- nisse von dem Chemismus der Verdauung nicht wesentlich gefördert. Hinsichtlich der Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen ist zu be- merken, dass Corvisart die Pankreasverdauung sowohl bei alkalischer als auch bei neutraler und schwach saurer Reaction vor sich gehen lässt, dass Meissner!’ aber hervorhebt, dass nur bei der Einwirkung des Bauchspeichels in schwach sauren Lösungen von reiner Verdauung die Rede sein könne, während in alkalischen Flüssigkeiten neben den Ver- dauungsvoreängen Fäulnissprocesse zugegen seien. Meissner fand ‘gleichzeitig, dass das Eiweiss seiner Hauptmasse nach in Pepton umge- wandelt werde und dass das Auftreten von Parapepton nicht beobachtet werden könne. Seit den umfangreichen Arbeiten Kühne’s!® über die Pankreasverdauung hat man sich bei den Versuchen ganz ausschliesslich ‚alkalischer Fermentlösungen bedient; da nun Kühne bei seinen Ver- dauungen das Auftreten nicht unbedeutender Mengen von krystallinischen Zersetzungsproducten des Eiweisses feststellte, so hat man angenommen, dass innerhalb des Darmkanales nicht allein eine Peptonisirung erfolge, sondern dass daselbst auch eine nicht unbedeutende Quote des Eiweisses in Leucin und Tyrosin zerfalle. Da methodische Untersuchungen über die Veränderungen der Eiweiss- körper innerhalb des Verdauungsapparates selbst bis jetzt nicht vorgelegen haben, da sich vielmehr unser ganzes Wissen von dem Chemismus der Verdau- ung auf künstliche Verdauungsversuche stützt, so bin ich auf Anregung des Hrn, Prof. C. Ludwig die den natürlichen Verdauungsversuchen entgegen- stehenden Hindernisse fortzuräumen bestrebt gewesen und es entstanden die nachfolgenden Untersuchungen, welche sich mit der natürlichen Eiweiss- verdauung innerhalb des Digestionsapparates des Hundes beschäftigen. Sollten diese Versuche den Anstoss zu einer weiteren Ausbildung der 42 ADOoLF SCHMIDT - MÜLHEIM: in Anwendung gezogenen Untersuchungsmethode geben, so würde hier- durch der Chemie der Verdauung kein unwesentlicher Dienst geleistet werden. Den eigentlichen Versuchen singen Bemühungen voraus, welche eine möglichst scharfe Scheidung des Peptens von einfach gelösten Eiweiss- stoffen und eine Trennung dieser beiden von krystallinischen Zersetzungs- producten anstrebten. Bei diesen Untersuchungen zeigte es sich, dass einfach gelöste Eiweisskörper aus dem Inhalte des Verdauungsapparates durch blosses Aufkochen mit essigsaurem Eisenoxyd und einem kleinen Quantum von schwefelsaurem Eisenoxyd vollständig abgeschieden werden können, ohne dass eine nennenswerthe Verunreinigung der eiweissfreien Filtrate durch die zugefügten Reagentien bewirkt wird und ohne dass eine Einwirkung dieser Substanzen auf Pepton und krystallinische Zer- setzungsproducte erfolgt. Schon einmaliges Aufkochen der mit den 10 Eisenlösungen versetzten Flüssigkeit, für deren geringe Concentration stets Sorge getragen werden muss, macht die Lösungen vollkommen eiweiss- und eisenfrei. Die Abscheidung des Eiweisses wurde dann als gelungen betrachtet, wenn die Ferrocyankalium-Essigsäurereaction, welche nach den Angaben Hofmeister’s noch bei 50,000facher Verdünnung der Hiweisskörper eine merkliche Trübung erzeugt, in den klaren Fil- traten nicht die Spur einer Veränderung bewirkte. Als ein vortreffliches Mittel für die Ausfällung des Peptons aus dem flüssigen Inhalte der R Verdauungshöhle und für die Trennung dieses Körpers von den krystal- linischen Zersetzungsproducten bewährte sich die Phosphorwolframsäure. Sie vermag den Körper so vollständig nieder zu reissen, dass die Natron- Kupfersulphatreaction, welche nach unseren Beobachtungen in Pepton- lösungen von 1:10000 noch eine wahrnehmbare Rothfärbung bewirkt, kein Pepton. mehr nachzuweisen vermag. Zugleich lässt sie die krystal- linischen Zersetzungsproducte der Eiweisskörper unverändert. Will man das Pepton vollständig ausfällen, so ist es erforderlich, dass die Ein- wirkung der Phosphorwolframsäure nicht auf gar zu sehr verdünnte Lösungen erfolst. Während nämlich aus concentrirten Peptonlösungen die Phosphorwolframsäure allein alles Pepton abzuscheiden vermag, ge- lingt dieses in schwächeren Lösungen nur nach vorherigem Ansäuern mit Salzsäure; sehr verdünnte Lösungen aber sind selbst unter diesen Umständen nicht völlig peptonfrei zu bekommen. Diese Ergebnisse liessen quantitative Untersuchungen über die Um- wandlungsproducte des Eiweisses innerhalb des Verdauungsapparates als ausführbar erscheinen, denn die scharfe Trennung der einzelnen Körper bei Vermeidung jeder Einfuhr stickstoffhaltiger Reagentien in die zu untersuchenden Flüssigkeiten gestattete einen Aufschluss über die Menge UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER EIWEISSKÖRPER. 43 des einfach gelösten Eiweisses sowohl, als auch über diejenige des Peptons und der krystallinischen Zersetzungsproduete an der Hand einfacher Stickstoffbestimmungen. Von einer Eliminirung der durch das Zuströmen der Secrete des Verdauungsapparates bedingten Versuchsfehler musste vorläufig Abstand genommen werden. Methode der Untersuchung. Als Versuchsthiere dienten Hunde, die in Körpergewicht, Bau, Race und Temperament möglichst überein- stimmten. Die Thiere weilten in gewöhnlichen Käfigen. Durch zwei- tägiges Hungern wurde ihr Verdauungsapparat von alten Futterrückständen möglichst zu befreien gesucht. 24 Stunden vor der Verabreichung des Versuchsfutters erhielten sie 502" Kalbsknochen, damit der auf den Ver- such fallende Theil des Darminhaltes von etwaigen älteren Futterrück- ständen scharf getrennt werden könne. Das Versuchsfutter bestand aus bestem Pferdefleisch, welches nach seiner Befreiung von Fett und sehnigen Gebilden auf einer Fleisch- schneidemaschine zerkleinert und alsdann eine Viertelstunde hindurch gekocht wurde. Behufs der Entfernung von stickstoffhaltigen krystal- linischen Bestandtheilen (Kreatin u. s. w.) und von anhängendem Pepton wurde das gekochte Fleisch auf einem Siebe ausgewaschen. Zur Er- höhung der Schmackhaftigkeit des so zubereiteten Futters dienten kleine Zusätze von Kochsalz. Den Eiweissgehalt des Versuchsfutters berechnete man aus einer Bestimmung des Stickstoffes nach Dumas. Jeder Hund erhielt 200 ®” Fleisch. Nach Verlauf bestimmter Zeit- räume tödtete man die Thiere durch Injection von Cyankalium in den Thorax. Sofort nach dem Eintritt des Todes wurde die Bauchhöhle ge- öffnet und Magen- vom Darminhalt durch zwei um den Anfangstheil des Duodenums geleste Ligaturen getrennt. Das Aufsammeln des Magen- inhaltes geschah in der bereits in früheren Versuchen beschriebenen Weise. Das Waschwasser der Magenschleimhaut vereinigte man mit dem Mageninhalt und setzte zu diesem Gemenge noch so viel Wasser, dass das Ganze behufs einer Zerstörung der Verdauungsfermente ohne Gefahr des Anbrennens aufgekocht werden konnte. Genau dieselbe Behandlung _ erfuhr der bis an den Knochenkoth reichende Theil des Darminhaltes. Magen- und Darminhalt wurden getrennt durch feine Leinwand ge- presst und die Pressrückstände so lange mit Wasser versetzt und aufs ' Neue ausgepresst, bis sie nennenswerthe Spuren von organischen Sub- stanzen an das Wasser nicht mehr abgaben. Die sorgfältig gesammelten , Flüssigkeiten klärte man durch Filtration. Die mit Vorsicht gesam- ' melten ungelösten Massen wurden getrocknet; aus ihrem Stickstofigehalte ' berechnete man die Menge des ungelösten Eiweisses. Behufs der Bestimmung der einfach gelösten Eiweissstoffe in den 44 ADOLF SCHMIDT- MÜLHEIM: Flüssigkeiten wurde ein abgemessenes Quantum der Lösungen mit essig- saurem Eisenoxyd und kleinen Mengen von schwefelsaurem Eisenoxyd versetzt und aufgekocht. Die Eiweissausfällung betrachtete man erst ° dann als vollendet, wenn die ihres Niederschlages beraubte Flüssigkeit ° auf Zusatz von Blutlaugensalz und Essigsäure keine Trübung mehr zeigte. Der braune flockige Niederschlag wurde sorgfältig gesammelt, gewaschen und bei 100° getrocknet. Aus seinem nach dem Dumas’- schen Verfahren ermittelten Stickstoffeehalte wurde die Menge des einfach gelösten Eiweisses bestimmt; hierbei kam der mittlere Stickstoff- gehalt der Eiweisskörper mit 15.6 Proc. in Rechnung. Das vereinigte Filtrat und Waschwasser brachte man auf ein kleineres ” Volumen, säuerte es nach dem Erkalten stark mit Essigsäure an und ® versetzte es so lange mit Phosphorwolframsäure, bis eine filtrirte Probe der Lösung auf Zusatz von Natron-Kupfersulphatlösung nicht die Spur einer Rothfärbung mehr erkennen liess. Der weisse Phosphorwolfram- säureniederschlag wurde wie der Eisenniederschlag behandelt und aus seinem nach Dumas ermittelten Stickstoffgehalte die Menge des Peptons ” berechnet. Hierbei wurde der Stickstoffgehalt des Peptons auf 15.6 Proc. ” veranschlagt. Für den Mageninhalt konnten Untersuchungen auf krystallinische ° Zersetzungsproducte in Wegfall kommen. Der durch Eindampfen der ° eiweiss- und peptonfreien Lösung aus dem Darmkanal gewonnene feste Rückstand diente dreifacher Bestimmung. Zur Untersuchung auf Leuein extrahirte man einen Theil des Rückstandes mit heissem Alkohol, stellte das eingeengte Extraet zur Krystallisation hin und untersuchte es makro- ° wie mikroskopisch auf die leicht erkennbaren Leueinkrystalle. Für den Nachweis von Tyrosin wurde ein anderer Theil des Rückstandes mit ” concentrirter Schwefelsäure übergossen und einige Zeit erwärmt. Nach dem Erkalten und dem Verdünnen der erhaltenen Lösung mit Wasser ” wurde auf’s Neue erwärmt und jetzt so lange kohlensaurer Baryt in die > Flüssigkeit eingetragen, bis auf Zusatz weiterer Mengen eine Entwicke- lung von Gasbläschen nicht mehr erfolgte. Alsdann wurde filtrirt, das Filtrat auf ein kleines Volumen eingeenst und durch vorsichtigen Zusatz einer sehr verdünnten Lösung von neutralem Eisenchlorid die be- kannte Piria’sche Probe angestellt. Endlich bestimmte man in dem Rückstande den Stickstoff nach der Dumas’schen Methode und bezog seine Menge auf krystallinische Zersetzungsproducte des Eiweisses. Wegen der Beimengung stickstoffhaltiger Gallenbestandtheile zum Darminhalt sind die auf diesem Wege ermittelten Werthe viel zu hoch, und es wird die wirkliche Menge des Leucins und Tyrosins weit minimaler sein, als es durch diese Bestimmungen ermittelt wurde. | UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER KIWEISSKÖRPER. 45 Versuche: Versuch I. Ein 8-7 Ks" schwerer Hund erhält nach 24stündigem Fasten 505m Kalbsknochen und nach Ablauf weiterer 24 Stunden 200 Sm Fleisch, wel- ches in der oben beschriebenen Weise zubereitet war. Der Stickstoffgehalt des Futters beträgt 4-772 Proc. Eine Stunde nach der Aufnahme des Fleisches wird das Thier durch eine Injection von Cyankalium in den Thorax getödtet. Der sofort gewonnene Magen- inhalt ist von einer so trockenen Beschaffenheit, dass die einzelnen Fleisch- stückchen beim Aufsammeln in einer Schale krümelig auseinanderfallen. An dem Futter können äusserlich nur geringe Veränderungen wahrgenommen wer- den. Die Masse wird in der beschriebenen Weise behandelt und filtrirt. Der ungelöste Theil des Mageninhaltes wird behufs einer Bestimmung seiner Eiweiss- menge sorgfältig gesammelt und getrocknet. Die durch Auswaschen des Mageninhaltes gewonnene Flüssigkeit stellt eine klare Lösung von saurer Reaction dar. Ihr Volumen beträgt 430 «m, Hiervon werden 100 “in einer Schale erwärmt und es wird unter Umrühren so viel Eisen- lösung in die Flüssigkeit eingetragen, dass eine filtrirte kleine Probe durch Blut- laugensalz und Essigsäure nicht im Mindesten mehr getrübt wird. Alsdann wird das Filtrat auf ein Volumen von circa 20 °® eingeengt, mit Salzsäure versetzt und behufs der Ausfällung des Peptons in der angegebenen Weise mit Phos- phorwolframsäure behandelt. Eine ebensolche Behandlung wird auch dem bis an die Knochenrückstände reichenden Darminhalt zu Theil. Die wässrige Lösung des Darminhaltes ist ziemlich klar und von ausgesprochener saurer Reaction. Zur Bestimmung des ‚Eiweisses und des Peptons werden 55 °® dieser Lösung in Arbeit genommen, während zur Bestimmung der krystallinischen Zersetzuhgsproducte die ganze Flüssigkeit (110°®) benutzt wird. Der ungelöste Rückstand wird wie der entsprechende Theil des Mageninhaltes behandelt. Ergebnisse der Analysen: I. Mageninhalt. A. Gelöster Theil. 1) Einfach gelöste Eiweisskörpeı. Gewicht des Eisenniederschlages aus 100°" . 1.2478 Stickstoffmenge nach Dumas . . . . . . 0.082 „ Einfach gelöste Eiweissstoffe im Magen 2.2623", 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 1.983 &" Mn „ Stickstoffes nach Dumas. . . . 0-112 „ Gesammtmenge des Peptons im Magen 3.087 8", B. Nicht gelöster Theil. Gewicht des Stickstoffes nach Dumas T-AT63EM, 46 ADOoLF SCHMIDT - MÜLHEM: II. Darminhalt. A. Gelöster Theil. 1) Einfach gelöste Eiweissstoffe. Gewicht des Eisenniederschlages aus 55°" . 0.893 EM ” „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.0376 „ Gewicht der einfach gelösten Eiweissstoffe im Darm 0.482 87, 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 0.527 ES " „ Stickstoffes nach Dumas . . .0:0399 „ Gesammtmenge des Peptons 0-512 3, 3) Krystallinische Zersetzungsproducte. Die ganze Darmflüssigkeit wird nach ihrer völligen Befreiung von einfach gelösten’ und verdauten Eiweissstoffen auf dem. Wasserbade zur Krystallisation eingeengt. In dem Krystallbrei ist weder makro- noch mikroskopisch Leuein oder Tyrosin aufzufinden. Die Hoffmann’sche Probe auf Leucin gibt ein nega- tives Resultat. Eine Quantität des Rückstandes wird im Uhrglase mit concen- trirter Schwefelsäure übergossen und einige Zeit erwärmt. Nach dem Erkalten wird die Lösung mit Wasser verdünnt und unter Erwärmen so lange kohlen- saurer Baryt eingetragen, bis kein Entweichen von Kohlensäure mehr wahrge- nommen wird. Das Filtrat wird auf ein kleines Volumen gebracht und mit einigen Tropfen neutraler Eisenchloridlösung versetzt; es entsteht keine Farben- veränderung; auf Zufügen einer kleinen Spur von Tyrosin-Schwefelsäure entsteht aber sofort eine lebhafte Violetfärbung. Diese Probe wird mit einer grösseren ne a ie u Ba nn rn ab N nee Sr aa DES nn n nn Aal al Dar near ar nn nn Menge des krystallinischen Rückstandes wiederholt, ohne dass sie ein anderes Ergebniss hätte. Der ganze Rest des Rückstandes wird mit circa 25 em 7 heissem Alkohol extrahir. Nach dem Verdunsten des Weingeistes hinterbleibt ein Rückstand, in dem mikroskopisch ganz vereinzelte Zn uanelteu von Leucin aufgefunden werden. Die Untersuchungen ergaben also die Abwesenheit irgend nennenswerther Mengen von krystallinischen Zersetzungsproducten der Eiweisskörper. B. Ungelöster Theil. Gewicht des Stickstoffes nach Dumas 0:298 8%, IIL. Menge des resorbirten Eiweisses. Da es an brauchbaren Versuchen über die in der Zeiteinheit aus der Darm- 4 höhle abgeführte Eiweissmenge noch vollständig fehlt, so wurden unsere Ver- suche auch nach dieser Richtung hin nutzbar zu machen gesucht. In dem eben mitgetheilten Versuche erhielt das Thier 200®= Fleisch — 9.544 87m Stickstoff = 61-15 °"” Eiweiss. Hiervon fanden sich vor: UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER EIWEISSKÖRPER. 47 Gelöstes Eiweiss im Magen . . . . 2.262 8” Pepton ” lernhnll 3=08Tann Unverändertes Futter , r i UT ERRT 50. O9. Gelöstes Eiweiss im Darmkanal . . . 0.482 „, Pepton - Me Re. DI Ungelöster Darminhalt N EN ER cl: _Summa 58.746 sm, Mithin sind resorbirt 2-404 2% Eiweiss. (Wegen der Beimengung von stickstoffhaltigen Verdauungssecreten wird die Menge des wirklich resorbirten Eiweisses diese Grösse um ein Geringes über- treffen.) Versuch II. Ein in der angegebenen Weise für den Versuch vorberei- teter Hund von 8.95 "sr Körpergewicht verzehrt 200 S’" Fleisch (Stickstofi- gehalt 3°987 Proc.) und wird zwei Stunden nach der Fütterung durch Injection von Cyankalium getödtet. Magen- und Darminhalt, die sich hinsichtlich ihrer Consistenz und Reaction wie ın dem ersten Versuche verhalten, werden in der beschriebenen Weise ge- sammelt und behandelt. I. Mageninhalt. A. Gelöster Theil. Die wässrige Lösung misst 830°” und ist von saurer Reaction. Es werden 150°” der Flüssigkeit verarbeitet. 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 1.052 3m N „ Stiekstoffes nach Dumas . . . 0.0506 „ Gesammtmenge des einfach gelössten Eiweisses 1- 745 8”, | 2) Pepton. - Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 1.336 2” Stickstoffes nach Dumas . . .0-101 „ ” „ Gesammtmenge des Peptons 3.653", B. Ungelöster Theil. Derselbe wiegt im getrockneten Zustande 30.08, und liefert bei der Verbrennung nach der Dumas’schen Methode her 3.898 8” Stickstoff. II. Darminhalt. A. Gelöster Theil. Menge der Flüssigkeit 200 °®; Reaction sauer. 1) Gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 0.825 A ‚„ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.0214, Gewicht des einfach gelösten Eiweissstoffes im Darm 0:137 8, 48 ADOLF SCHMIDT- MÜLHEIM: 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 0.746 E" h; „ Stickstoffeg nach Dumas . . . 0-0485 „ Menge des Peptons im Darmkanal 0.3118". 3) Krystallinische Zersetzungsproducte. Tyrosin’ kann mit Hülfe der Piria-Städeler’schen Methode nicht nachge- wiesen werden. Der alkoholische Auszug aus der ungefähren Hälfte des festen tückstandes scheidet ganz minimale Mengen mikroskopisch erkennbarer Leucin- krystalle aus. Der ganze Rückstand des Alkoholextractes wird mit dem Rest ° des festen Rückstandes aus der eiweiss- und peptonfreien Darmflüssigkeit ver- ” einigt und das Gemenge nach der Methode Dumas verbrannt. Es werden 2.6°% Stickstoff bei 13°C. und 753 "m Luftdruck erhalten. Bezieht man ® diesen ganzen Stickstoff auf Leucin, so würden ihm 0.0292 2” Leucin entsprechen. ° Berücksichtigt man, dass der grösste Theil des erhaltenen Stickstoffs aber un- zweifelhaft Gallenbestandtheilen angehört, so erscheint die Menge der krystalli- ° nischen Zersetzungsproducte als eine ausserordentlich minimale. B. Ungelöster Theil. Gewicht im getrockneten Zustande 2-1 2"”, Aus 3 0.682 20 werden 0-00562 2’® Stickstoff erhalten. Der ganze Darm enthält also - 0256 8% Stickstoff. IIfL. Menge des resorbirten Eiweisses. 200 8” Fleisch = 51-0111 °”” Eiweiss. Hiervon finden sich vor: Einfach gelöstes Eiweiss im Magen . . 1.7958" Pepton n = OD Unverändertes Futter h, “ . . 24.494 „ Gelöstes Eiweiss im Darmkanal. . . . 0.137 „ Pepton „2 “= RER IL URS IR Ungelöster. Darminhalt ee Summa 32.5318, Mithin sind resorbirt 18-48 &°% Eiweiss. Versuch III. Gewicht des Hundes 7-2 *®". Vier Stunden nach der Ver- ” abreichung des Fleisches (Stickstoffgehalt 5-1337 Proc.) Tod durch Cyan- kalium. Der Mageninhalt ist auffallend trocken. Der Inhalt des Dünndarms 7 besitzt eine saure Reaction. | I. Mageninhalt. A. Gelöster Theil. Die wässrige Lösung nimmt ein Volumen von 69H m ein, ist völlig klar und besitzt eine stark saure Reaction. Von dieser ” Menge werden 250 °® für die Bestimmungen benutzt. f 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . 1.7228” Rn „ Stickstoffes nach Dumas . 0-118 „ Gewicht des einfach gelösten Eiweisses im Magen 2-086 ©. UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER FIWEISSKÖRPER. 49 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 2.651 ®"" Stiekstoltes nach Dumas .... 20487 ” ” ” Gesammtmenge des Peptons im Magen 3-312 3, Oo fo} B. Nicht gelöster Theil. Gewicht des Stickstoffs nach Dumas 4- 04488, II. Darminhalt. A. Gelöster Theil. Die Menge des völlig klaren Filtrates beträgt 115°, die Reaction der Flüssigkeit ist ausgesprochen sauer. Die ganze Menge der Lösung wird verarbeitet. 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 1.406” % „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.068 „ Menge des einfach gelösten Eiweisses 0.436 ®"". 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 2.217 ®"" .n ». Stickstoffes nach Dumas . . . 00-148 „ Gewicht des ganzen Pepton 0.948 2”, 3) Krystallinische Zersetzungsproducte. In dem Alkoholextracte lassen sich nach dem Verdunsten des Weingeistes sanz vereinzelte mikroskopische Krystalle von Leucin nachweisen. Tyrosin kann _ mit Hülfe der Piria’schen Reaction nicht aufgefunden werden. B. Nicht gelöster Theil. Gesammtmenge des Stickstofis nach Dumas 0.298351, III. Menge des resorbirten Eiweisses. 2002” Fleisch enthalten 65-817 °”” Eiweiss. Angetroffen werden: Einfach gelöstes Eiweiss im Magen . . 2.086 ° Pepton B ” Naar 2N:., Unverdautes Futter A 00252928, Gelöstes Eiweiss im Darmkanal . . . 0.436 „, Pepton ” ” Se, 109, Ungelöstes Eiweiss ‚, 5 ee en IS rate Summa 34.6228, Mithin sind resorbirt 31-195 Versuch IV. Körpergewicht des Hundes 8.3KsT, Sechs Stunden nach ‚ der Fütterung‘ wird das Thier getödtet. Der Stickstoffgehalt des Futters be- ‚ trägt 4.991 Proc. Archiv f. A.u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. . 4 50 ADOLF SCHMIDT- MÜLHEIM : Der Mageninhalt hat die Consistenz eines trockenen Teiges. Dünndarm, Coecum, Colon und ein 10% langer Abschnitt des Rectums bergen Kkück- stände vom Versuchsfutter; erst dann kommt der Knochenkoth. I. Mageninhalt. A. Gelöster Theil. Das klare Filtrat besitzt stark saure Reaction und misst 540%, Hiervon wird die Hälfte verarbeitet. 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . .„ 2.5828 | ’ „ Stickstoffes- nach Dumas . . . 0.163 „ Gesammtquantum des gelösten Eiweisses 2-096 &". 5 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 4.401 ®°" n „ Stickstoffes nach Dumas. . . . 2.912 „ Menge des Peptons im Magen 2-912 8%, ER B. Nicht gelöster Theil. Gesammtmenge des Stickstoffs nach Dumas 2.782 8m, II. Darminhalt. A. Gelöster Theil. Das Filtrat ist klar, von braungelber Farbe und von schwach saurer Reaction. Seine Menge beträgt 205 m, e Te 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . .„ 2.7048 r „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.143 „ Gewicht des einfach gelösten Eiweisses 0.417 8°”, 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 3.606 #"" 5 ». ‚Stickstoffes nach Dumas’ 72 220-2117, Menge des Peptons im Darmkanal 1.352 8°", 3) Krystallinische Zersetzungsproducte. Ein grosser Theil des’ krystallinischen Rückstandes wird in Jder angege- benen Weise auf Tyrosin untersucht. Es kann eine ganz unbedeutende schmutzige Violetfärbung beobachtet werden, die sofort in ein lebhaftes Violet übergeht, sobald der Flüssigkeit eine Spur von Tyrosinschwefelsäure zugefügt wird. Es kann sich daher nur um die Gegenwart äusserst minimaler Mengen von Tyrosin gehandelt haben. Der ganze Rest des Rückstandes wird mit heissem Alkohol extrabirt. Nach dem Verdunsten des Weingeistes hinterbleibt ein sehr kleines Quantum mikro- skopisch erkennbarer Leucinkrystalle. B. Nicht gelöster Theil. Stickstoffmenge nach Dumas 0-428 8m, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER FIWEISSKÖRPER. 51 III. Menge des resorbirten Eiweisses. 200 5% Fleisch = 64-0°”” Eiweiss. Angetroffen werden: Einfach gelöstes Eiweiss im Magen . . 2.096 3% Pepton Fr 5 ER Unverändertes Futter m Fr LEN Ir Einfach gelöstes Eiweiss im Darmkanal . 0.917 , Pepton 5 ” N 2 Unzelöster Darminhah rn... 0.0.2743 „ Summa 27° gpg rm Mithin sind resorbirt 36-147 ©" Eiweiss. Versuch V. Ein 7-7 ET schwerer Hund erhält das gewöhnliche Ver- suchsfutter, welches einen Stickstoffgehalt von 4.837 Proc. besitzt und wird nach Ablauf von neun Stunden getödtet. Der Mageninhalt ist von dickbreiiger Beschaffenheit. Beim Aufbinden hat das Thier Knochenkoth und einen Theil des auf das Versuchsfutter fallenden Fleischkothes entleert. I. Mageninhalt. A. Gelöster Theil. Das vollkommen klare Filtrat ist von saurer Re- action. Es wird die Hälfte der Flüssigkeit (60 °®) in Arbeit genommen. 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 3.107 3m " „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.1482 , Menge des einfach gelösten Eiweisses 1.810, 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 4.012 „ Stickstoffes nach Dumas . . .0-.253 „ Gesammtmenge des Peptons 3.242 8, B. Nicht selöster Theil. Gewicht des Stickstoffs nach Dumas 1- 1048", II. Darminhalt. Ä A. Gelöster Theil. Die braungefärbte und ziemlich klare Flüssigkeit ‚ besitzt ein Volumen von 165°® und hat eine deutlich saure Reaction. Die ‚ ganze Lösung dient den Bestimmungen. 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 4.401 E" 3 „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.0683 , Menge des einfach gelösten Eiweisses 0.438". 4* 52 ADOLF SCHMIDT - MÜLHEIM: 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 3.552 2% " „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.1907 , Menge des im Darm befindlichen Peptons 1.222 3%, 5) Krystallinische Zersetzungsproducte. In der Hälfte des festen Rückstandes der eiweiss- und peptonfreien Darm- | flüssigkeit kann vermittelst der Piria’schen Reaction kein Tyrosin nachgewiesen werden. In dem alkoholischen Auszuge aus der anderen Hälfte ist Leuein in so geringer Menge vertreten, dass es nur unter dem Mikroskop erkannt wer- den kann. | B. Ungelöster Theil. Gewicht des Stickstoffs nach Dumas 0-.286°%, III. Menge des resorbirten Hiweisses. 200°” Fleisch = 62-013” Eiweiss. Hiervon finden sich vor: Einfach gelöstes Eiweiss im Magen . . 1.810” Pepton F . AD DE Unverändertes Futter 5 R BRD ZH TZUZN 3 Gelöstes Eiweiss im Darmkanal . . . 0.438 „ Pepton 55 5; an 102 Ungelöstes Eiweiss ‚, n ee, Summa 15.329 8", Mithin sind resorbirt 46-684 8””% Eiweiss. Versuch VI. Ein in der gewöhnlichen Weise behandelter Hund von 7.35 er Körpergewicht wird 12 Stunden nach der Verabreichung von 200 = Fleisch (Stickstoffgehalt 4.803 Proc.) getödtet. Der Magen enthält 15 bis 20°“ einer farblosen Flüssigkeit von schlei- miger Beschaffenheit. In derselben schwimmt ein grauer Ballen von Wall- nussgrösse, der aus verschluckten Haaren und ziemlich weit zerfallenen Muskel- fibrillen besteht. Diese Masse wird mit dem Waschwasser der Magenschleim- haut vereinigt und in der bekannten Weise behandelt. Der Dünndarm ist ziemlich leer; in seinem letzten Abschnitte finden sich” geringe Mengen einer zähflüssigen braunen Masse. Der Dickdarm beherbergt ” dunkelbraunen Fleischkoth; im letzten Endstück des Rectums wird trockener Knochenkoth angetroffen. I. Mageninhalt. A. Gelöster Theil. Das stark saure Filtrat ist vollkommen klar und misst 50 C", 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 0.742 2m h; „ Stickstoffes nach Dumas . . . 0.0076 „ Menge des einfach gelösten Eiweisses 0-0076 ®'”, UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER EIWEISSKÖRPER. 53 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 0.391 3°” cn „ $Stickstoffes nach Dumas . . . 0-013 „ Menge des Peptons im Magen 0.083 &", B. Nicht gelöster Theil. Gewicht des Stickstoffes nach Dumas 0-0187 8%, II. Darminhalt. A. Gelöster Theil. Das bräunlich gefärbte Filtrat ist von saurer Reaction und misst 280°". Die ganze Flüssigkeit wird verarbeitet. 1) Einfach gelöstes Eiweiss. Gewicht des Eisenniederschlages . . . . . 1.472 gm N » Stickstoffes nach Dumas. . „ 0.0315 , Menge des einfach gelösten Eiweisses 0.202 5", 2) Pepton. Gewicht des Phosphorwolframsäureniederschlages 2.315 8” ” Pe Suickstoftes. nach Duumlalsı 2....:..0-.128, Gewicht des Peptons 0.820 8, 5) Krystallinische Zersetzungsproducte. Tyrosin kann nicht nachgewiesen werden. Leucin kann nur durch Ex- traction des festen Rückstandes mit heissem Alkohol in ganz vereinzelten mikro- skopischen Kryställchen erhalten werden. Circa ?/, des trockenen Kückstandes der eiweiss- und peptonfreien Darm- flüssigkeit wird nach der Dumas’schen Methode verbrannt, und es werden 3.2 °°" Stickstoff erhalten. Wollte man diese ganze Gasmenge auf Leucin beziehen, so würden ihr 0.0374 8°" Leuein entsprechen. B. Nicht gelöster Theil. Gewicht des nach dem Dumas’schen Ver- fahren ermittelten Stickstoffes 0.302 8, III. Menge des resorbirten Eiweisses. 2008” Fleisch = 61-705 °°”” Eiweiss. Hiervon werden angetroffen: Einfach gelöstes Eiweiss im Magen . . 0.0493 Pepton B e ; 0.085 „ Unverändertes Fleisch ea Er 82.021208, Einfach gelöstes Eiweiss im Darmkanal . 0.202 „, Pepton nr n = .028205,, Ungelöster Darminhalt ; 129908, Summa 3.2108", Mithin sind resorbirt 58-515 8". 54 ÄDOLF SCHMIDT - MÜLHEIM ; Ergebnisse der Versuche: Hinsichtlich der Magenverdauung geht aus den mitgetheilten Ver- suchen hervor, dass zu ihrem Ablaufe ein viel grösserer Zeitraum er- forderlich ist, als man gewöhnlich annimmt. Während allgemein ange- seben wird, das Fleisch weile nur 5 bis 6 Stunden im Magen, sehen wir, dass nach der Verabreichung mässiger Quantitäten eines Fleisches, dem durch tüchtiges Zerkleinern auf der Fleischschneidemaschine und durch Kochen die leichteste Verdaulichkeit gegeben wurde, noch nach Ablauf von 9 Stunden eine nicht unbedeutende Menge unverdauten Fut- ters im Magen angetroffen wird und dass erst nach 12 Stunden der Verdauungsprocess als vollendet betrachtet werden kann. In unseren Versuchen begann die Magenverdauung bald nach er- folgter Einfuhr des Futters, erreichte ihren grössten Umfang um die zweite Stunde und nahm von dieser bis gegen die neunte Stunde lang- sam ab, um gegen die zwölfte Stunde ihr Ende zu erreichen. Ueberraschen musste auch die physikalische Beschaffenheit des Magen- inhaltes.. Während künstliche Verdauungsversuche nur bei Gegenwart eines bedeutenden Quantums Wasser günstige Erfolge liefern, und während man die Menge des secernirten Magensaftes allgemein als eine sehr bedeu- tende angibt, sahen wir den Mageninhalt — wenigstens gilt dieses für die ersten 6 Stunden der Verdauung — von einer so trockenen Be- schaffenheit, dass er krümelig auseinanderfiel. Der geringe Flüssigkeits- gehalt des Mageninhaltes macht es unwahrscheinlich, dass der Magen nach Art eines mit Flüssigkeit gesättisten Schwammes seine Verdau- ungsproducte in den Dünndarm presst. Hinsichtlich der bei der Magenverdauung gebildeten Producte ergaben die Versuche, dass das Pepton zu allen Zeiten der Verdauung die ein- fach gelösten Kiweissstoffe nicht unerheblich an Menge übertrifft, dass aber in dem Mengenverhältnisse der beiden Eiweissarten zu einander in den verschiedenen Stadien der Verdauung wesentliche Differenzen nicht bestehen. Folgende Tabelle gibt uns hierüber Aufschluss: Zeit nach der Verhältniss des einf. Fütterung gelöst. Eiw. z. Pepton. 1 Stunde ISA Dual, 10 4 ” 1 1-6 6 ; 1 1-4 I 5 1 1.8 12 1 1-8 ih UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER FIWEISSKÖRPER. abi | oT Bedeutsam dürfte auch die Erscheinung sein, dass die Menge der im Magen vorhandenen gelösten und verdauten Eiweissstoffe zu allen Zeiten der Verdauung annähernd dieselbe ist, Es fanden sich näm- lich vor: i Menge des einfach Zeit nach der raten Eiweises und Fütterung. des Peptons. 1 Stunde 5.349 2m 2 n 5.448 „, Aal 5.398 „ 6 N 5.008 „ 9 in 5.052 „ In der Menge des im Magen vorhandenen Peptons zeigten sich nur sehr unwesentliche Differenzen, denn es wurden angetroffen: en Gewicht des Peptons. 1 Stunde 3.087 rm Ale) 3.653 „ A 3.312 „, ON 24912, le 32942, Die mitgetheilten Zahlen sprechen dafür, dass nach der Bildung eines bestimmten Maasses von Verdauungsproducten die Abfuhr dieser Körper gleichen Schritt mit der Verdauung hält, sodass es niemals zu einer Anhäufung von Verdauungsproducten kommen kann. Wie ist diese "Erscheinung zu erklären? Verfügt der Magen über Einrichtungen, welche jeden Ueberschuss von Verdauungsproducten in den Darmcanal leiten, oder ist er selbst begabt, eine Resorption im Umfange der Verdauung auszuführen? Bei unseren gegenwärtigen Kenntnissen von den mecha- nischen Einrichtungen des Magens lässt sich hier keine sichere Ent- scheidung treffen, doch geht aus der Zusammensetzung des Darminhaltes, auf welche wir gleich noch zu sprechen kommen werden, hervor, dass ein nicht unerheblicher Theil der gelösten Stoffe des Magens in den Darmkanal gelangt. Durch unsere Versuche ist auch der Beweis gebracht, dass die Peptonisirung der Eiweisskörper innerhalb des Verdauungsapparates in einem viel grösseren Umfange erfolgt, als man bisher gelehrt hat. Die 56 ADOLF SCHMIDT - MÜLHEIM: auf die Ergebnisse künstlicher Verdauungsversuche gestützte Annahme Brücke’s'?, die Endproduete der Wirkung des Pepsins in saurer Lösung kämen für die Lehre von der Verdauung erst in zweiter Linie in Be- tracht, während einfach gelösten Eiweisskörpern die Hauptrolle zufiele, konnte durch unsere Versuche nicht bestätigt werden, vielmehr hatte die Peptonisirung bereits im Magen eine Ausdehnung erreicht, dass die An- nahme begründet ist, es werde bereits in diesem Organe der weitaus grösste Theil des genossenen Eiweisses in Pepton übergeführt. Kommen wir zu den Ergebnissen hinsichtlich der Darmverdauung, so verdient die in allen unseren Versuchen beobachtete saure Reaction des Dünndarminhaltes zunächst hervorgehoben zu werden. Nicht allein im oberen Abschnitte des Dünndarmes ist ein saurer Inhalt anzutreffen, sondern auch die braunen und weniger flüssigen Massen, denen man am Endabschnitte des Dünndarmes begegnet, zeigen in der Regel noch eine schwach saure Reaction. Durch diesen Befund wird die allgemeine An- gabe widerlegt, dass der Zufluss der drei alkalischen Verdauungssäfte des Dünndarmes im Stande sei, den in diesen Darmabschnitt über- tretenden Massen sofort alkalische Reaction zu verleihen. Bemerkt sei übrigens, dass sich unsere Angaben nur auf den Darmkanal des Hundes zur Zeit der Eiweissverdauung beziehen. Die Reaction des Darminhaltes ist nun für die Einwirkung des Bauchspeichels nicht ohne Bedeutung. Denn während alkalische Ver- dauungsgemische sehr schnell Fäulnisserscheinungen zeigen und während in ihnen schon bald krystallinische Zersetzungsproduete und Indol in grösserer Menge auftreten, tragen die Processe bei der Einwirkung eines sauren Pankreasinfuses auf Eiweisskörper durchaus den Stempel reiner Verdauungsvorgänge. Gelegentlich der Anwendung eines Drüsenauszuges, zu dessen Bereitung eine Salzsäure von 0.2 © benutzt wurde, konnte beobachtet werden, dass die Verdauung grösserer Mengen von Fibrin ziemlich schnell erfolgte und dass die Verdauungsgemische noch nach vierzehntägiger Aufbewahrung bei 40° 0. einen durchaus frischen Geruch besassen; sie enthielten nicht die Spur von Indol und waren arm an Leucin und Tyrosin. Aber auch nach einer anderen Richtung hin ist die saure Reaction des Darminhaltes von Bedeutung, nämlich für die Entstehung des zähen gelben Niederschlages, den man im Dünndarm antrifft. Bei der Anwesen- heit dieses Niederschlages kann mit Sicherheit auf saure Reaction ge- schlossen werden. Die zähen Massen lösen sich aber leicht, sobald die Säure abgestumpft wird, daher findet man den Niederschlag in den aller- letzten Abschnitten des Dünndarmes in der Regel nicht mehr. Der Dünndarmniederschlag‘ dürfte nun für die Sistirung der Pepsinver- UNTERSUCHUNGEN ÜBER DIE VERDAUUNG DER EIWEISSKÖRPER. 57 dauung von der grössten Wichtigkeit sein. Wir ‚sind durch Brücke davon unterrichtet, dass das Pepsin im hohen Grade die Eigenschaft be- - sitzt, sich kleinen festen Körpern anzuhängen; dieses Adhäsionsvermögen ist so bedeutend, dass es für die Reindarstellung des Pepsins benutzt _ wird. Der zähe Niederschlag des Dünndarms wird daher für diese Aus- - fällung in hohem Grade geeignet sein und es dürfte das Ferment erst wieder in Freiheit treten, nachdem der Gallenniederschlag in Folge der alkalischen Reaction im Endabschnitte des Dünndarms in Lösung ge- sangen ist. Durch Kühne davon in Kenntniss gesetzt, dass das Pepsin in saurer Lösung das pankreatische Eiweissferment zu zerstören vermag, sehen wir ein, dass die Rolle des Niederschlages für den Verdauungs- process darin bestehen dürfte, das Trypsin vor der Zerstörung durch den Magensaft zu schützen. Ist das Pepsin im Endabschnitte des Dünn- darms wieder in Freiheit gelangt, so vermag es keinen Schaden mehr anzustiften: Pepsin in alkalischer Lösung ist unwirksam. Hinsichtlich der Umwandlungsproducte der Eiweisskörper im Darm- kanal zeigte es sich, dass auch hier das Pepton am reichlichsten ver- treten ist. Neben diesem finden sich stets nicht unbeträchtliche Mensen einfach gelöster Eiweisskörper vor. In einigen Versuchen wurde ermittelt, dass unter den gelösten HBiweisskörpern das Syntonin eine bedeutende Rolle spielt. Das Verhältniss der einfach gelösten Eiweisskörper zum Pepton zeigte nicht wesentliche Differenzen von dem- jenigen, wie es für den Mageninhalt festgestellt wurde. Da wir nun wissen, dass bei der Einwirkung des pankreatischen Saftes auf Eiweisskörper eine einfache Lösung nicht erfolet, so dürfte dieser Befund ein wichtiges Zeugniss für die untergeordnete Rolle des pankreatischen Saftes bei der Biweissverdauung der Fleischfresser sein und es dürfte die Annahme be- gründet sein, dass bei diesen Thieren fast die ganze Eiweissverdauung durch Pepsinwirkung in saurer Lösung zu Stande kommt. Für eine solche Anschauung spricht auch der Umstand, dass der Darm stets eine bedeutend geringere Menge von Verdauungsprodueten enthält als der Magen und dass niemals ein grösseres Quantum verdaubaren Futters in ihm angetroffen wird. | Die Bildung krystallinischer Zersetzungsproducte des Eiweisses ist unter physiologischen Verhältnissen so unbedeutend, dass von der Um- wandlung und Kesorption einer irgend nennenswerthen Menge Eiweiss in Form krystallinischer Körper gar keine Rede sein kann. Nur in einem Falle gelang es, mit Hilfe der höchst empfindlichen Piria’schen Reaction winzige Spuren von Tyrosin nachzuweisen, und was das Auf- treten von Leucin betrifft, so war die Menge dieses Körpers stets so ' 58 ADOLF ScHMIDT-MÜLHEIM: UNTERS. ÜBER D. VERDAUUNG U. $, W. gering, dass man sich nur auf mikroskopischem Wege von seiner An- wesenheit Gewissheit verschaffen konnte. Die herrschende Lehre von der HEiweissverdauung im Dünndarm konnte daher durch unsere Versuche keine Bestätigung erhalten und dieses kann gar nicht überraschen, wenn man berücksichtigt, dass die herkömmlichen Anschauungen sich auf Ergebnisse künstlicher Ver- dauungsversuche stützen, die unter Verhältnissen angestellt wurden, welche — wenigstens gilt dieses für den Hund — gar nicht im Bereiche der physiologischen Möglichkeit liegen. Für die Frage, welche Zeit verstreicht, bevor die unverdauten Fleischrückstände nach aussen gelangen, mag die Beobachtung nicht uninteressant sein, dass in Versuch V neun Stunden nach der Füt- terung mit Fleisch Knochenkoth abgesetzt wurde, dem unmittelbar ein kleines Quantum Fleischkoth von vollkommen normaler Consistenz folgte, dass also das Futter in neun Stunden den ganzen Verdauungs- apparat des Hundes zu passiren vermag. l Reaumur, Sur la digestion ete. (Mem. de !’Acad. des sciences, 1752). 2 Spallanzani, Ewxperiences sur la digestion. 1183. 3 Braconnot, Experiences chimiques sur le suc gastrique. (Ann. de chimie et de physique, t. XLIX.) 4 Tiedemann und Gmelin, Die Verdauung nach Versuchen. 1826. 5 Leuret und Lassaigne, Recherches physiol. pour servir a lhistoire de la digestion. 1825. 6 Eberle, Physiologie der Verdauung. 1834. 7 Mialhe, Mem. sur la digestion et ’assimilation des matieres albuminoides. 1847. 8 Lehmann, Lehrbuch d. physiolog. Chemie. 1857. 9 Meissner, Untersuchungen über die Verdauung der Eiweisskörper. (Zeit- schrift f. rat. Medie. III. Reihe, Bd. VII.) 10 Mulder, Die Peptone. (Arch. der Holl. Beitr. d. Natur- u. Heilkunde, 1858.) ll Brücke, Beiträge zur Lehre von der Verdauung. (Sitzungsber. d. mathem.- naturw. Klasse der K. Akad. d. Wissenschaften zu Wien. Bd. XXXVI). 12 Beaumont, Zixperiments and observations on the gastrie juice and the Physiol. of digestion. 1834. 13 Bassow, Bullet. de la SocietE des naturalistes de Moscou. 1842. 14 Blondlot, Traite analytigue de la digestion. 1843. 15 Corvisart, Sur une fonction peu connue du pancreas ete. (Gaz. hebdo- madaire de medecine. 1857.) 16 Kühne, Virchow’s Archiv, Bd. 39. 17 Meissner, A. a. 0. 18 Kühne, Verhandl. d. named. Vereins in Heidelberg. N. F., Bd. I. 19 Brücke, O, a, Ö©. ) | } i | , « | i j 4 Ueber den Zuckergehalt des Blutes. Von Dr. A. M. Bleile. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Nach seinen Beobachtungen hält es v. Mering für wahrscheinlich, dass der im Hundeblut enthaltene Zucker vorzugsweise, vielleicht sogar ausschliesslich im Plasma gelöst sei. Ganz abgesehen von dem Lichte, in welchem die rothen Scheiben erscheinen, wenn sie sich frei von Zucker halten, obwohl sie in einer Lösung dieses indifferenten und leicht diffundirbaren Stoffes schwimmen, müssen auch, wenn jene Vorstellung richtig, an die Stelle der Bestimmungen der Zuckerprocente des Gesammt- blutes diejenige des Serums treten. Aus diesem letzteren Grunde schien mir eine Prüfung jener Annahme vor Allem nothwendig, als ich den Entschluss fasste, über die Aenderungen zu arbeiten, welche im Zucker- gehalt des Blutes durch die Fütterung mit Kohlenhydraten eintreten. 1. Zur quantitativen Bestimmung des Zuckers bediente ich mich der Titrirung durch eine alkalische Lösung von Jodquecksilber nach Sachsse, welcher ich in Folge einer Reihe von vergleichenden Unter- ‚suchungen vor der Fehling’schen Lösung den Vorzug geben musste. Anfänglich erschien mir die Genauigkeit des Verfahrens von Sachsse _ durch die Anwesenheit der Riweissstoffe beeinträchtigt, welche nach der Erhitzung des neutralisirten Blutes oder Serums in Lösung verbleiben, weil ich beobachtet hatte, dass eine Peptonlösung das Quecksilber in der Siedetemperatur, wenn auch schwach, aber doch merklich reducirt. Da nach den Erfahrungen von Prof. Drechsler das Pepton durch Phosphorwolframsäure aus der Lösung gefällt wird, und da ich mich ‚ davon überzeugt hatte, dass die Anwesenheit dieser Säure die Aus- werthung des Zuckers durchaus nicht beeinflusst, so liess sich der von 60 A. M. BLEILE: Seiten der uncoagulablen Eiweisskörper drohende Fehler leicht bestim- men. — Zu diesem Ende wurde eine grössere Quantität von Serum in ' zwei Portionen getheilt und in dem wässerigen Extract der einen der Zucker nach der Ausfällung der Albuminate mit Phosphorwolframsäure, in dem anderen, ohne dass dieses geschehen, titrir. Im ersteren Falle erfuhren die Vorschriften von Sachsse folgende Abänderung. Nach-_ dem das Blut oder Serum mit Essigsäure neutralisirt und gekocht, das Coagulum abfiltrirt und ausgewaschen war, wurde die Lösung mit Chlor- wasserstofl stark angesäuert und darauf mit Phosphorwolframsäure versetzt. Dieser letztere wurde abfiltrirt, ausgewaschen und die Flüssigkeit auf dem Wasserbade eingeengt, hierauf wurde sie mit Natronlauge bis zur alkalischen Reaction versetzt und dann nach Sachsse weiter verfahren. Von den vergleichenden Bestimmungen mögen zwei Beispiele genügen. 1) Serum a. ohne Zusatz von Phosphorwolframsäure 0.106 Proc. Zucker 0.108 b. ln Bar „ „ nach Zusatz von derselben. . . ns ö ü 2) Serum a. ohne Zusatz von Phosphorwolframsäure 0.064 Proc. Zucker b. nach Zusatz von derselben. . . . . 0.064 „ \, Die Uebereinstimmung der Zahlen in diesen und anderen Fällen lässt die Anwendung der Phosphorwolframsäure bei der Zuckerbestimmung im Serum als überflüssig erscheinen. Anders könnte es sich vielleicht mit dem Gesammtblute verhalten, da sich aus den durch Centrifugiren mit Salzlösung von Zucker befreiten Blutscheiben mittels kochenden Wassers ein Körper ausziehen lässt, welcher auf Quecksilber reducirend wirkt; aber auch hier tritt ein anderer Umstand ein, der mich auf die Anwendung der Phosphorwolframsäure verzichten liess. Bei meinen vielfachen Bestimmungen machte ich öfter die Erfah- rung, dass trotz der stets gleichen Sorgfalt doch Abweichungen im Juckergehalt zweier Portionen derselben Flüssigkeit vorkamen, die aus den mit der Titrirung verknüpften Fehlern unerklärt blieben. Um diese letzteren möglichst zu verkleinern, hatte ich stets mindestens 20 °°* | Blut oder Serum in Arbeit genommen und den Titer der Jodquecksilber- lösung derart gestellt, dass 1°” derselben 3.8”®" Zucker entsprachen. Hiernach wären im ungünstigsten Falle Unsicherheiten in den Grenzen von 1 bis 2”8" zu erwarten gewesen. Wenn sich nun auch in der über-” wiegenden Mehrzahl der Fälle die Abweichungen zweier Parallelbestim- h mungen nicht über diesen Werth hinaus erstreckten, so kamen doch auch 3 “a A j ef m ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 61 solche bis zu 7”®" vor. Den einzigen Grund, aus dem ich diesen Fehler erklären kann, finde ich darin, dass die Coagulation des Albumins der Titrirung vorangehen muss; je nachdem dasselbe in Flocken oder Klum- pen ausfällt, wird sich das Gerinnsel mehr oder weniger vollständig aus- waschen lassen. Ist diese Bemerkung richtig, so lässt sich auch erwarten, dass bei vergleichenden Bestimmungen aus dem Gesammtblute und des ihm angehörigen Serums der proportionale Fehler wegen des umfänglicheren Coagulums in dem ersteren grösser ausfallen wird, und es dürfte sich manche Frage erst dann endgültig entscheiden lassen, wenn es gelungen sein würde, die Titrirung vor der Ausfällung der Eiweisskörper vorzu- nehmen. In einer besonderen Versuchsreihe habe ich auch den Einfluss ge- prüft, welchen die Zeit auf den Zuckergehalt des Blutes übt, die mehr- facher Manipulationen wegen zwischen dem Aderlass und dem Auf- kochen des Blutes zu verstreichen pflegt. Als Ergebniss derselben stellte sich heraus, dass während der ersten 5 Stunden der Zuckergehalt keine Minderung erfährt, vorausgesetzt, dass das Blut bei Zimmerwärme in einem gut zugedeckten Glase aufbewahrt wird. Dieses bezeugen die nachstehenden Zahlen, welche sich sämmtlich auf defibrinirtes Blut beziehen: 1) unmittelbar nach dem Aderlass aufgekocht 0.160 Proc. Zucker fünf Stunden später aufgekocht V-loy N 2) unmittelbar nach dem Aderlass aufgekocht 0.124 „, % drei Stunden später aufgekocht Oo a 3) unmittelbar nach dem Aderlass aufgekocht 0-118 „ A fünf Stunden später aufgekocht Vote 5 a 4) unmittelbar nach dem Aderlass aufgekocht 0-120 A, E mn Stinden- später aufgekocht . . . :..0.111 , Es bewegen sich, wie man sieht, die Abweichungen in den unver- meidlichen Fehlergrenzen. — Anfänglich hatte ich, zur Vermeidung einer drohenden Zersetzung, dem Blute, welches einige Stunden nach dem Aderlass analysirt werden sollte, verschiedene Stofie zugesetzt, z. B. schwefelsaures Natron, Essigsäure, Thymol und Carbolsäure; da ich jedoch mit ihrer Hülfe keine besseren Resultate als ohne dieselbe er- zielte, so habe ich von ihnen Abstand genommen. Anders verhält sich das Blut, wenn es statt in den verschlossenen Gefässen zu ruhen, mehrere Stunden hindurch mit Hülfe des Gasmotors anhaltend geschüttelt wird. In diesem Falle macht sich eine Verminde- rung des Zuckergehaltes geltend: 62 A. M. BLEILE: 1) nach dreistündigem ruhigen Stehen . 0-178 Proe. Zucker drei Stunden hindurch geschüttelt. . 0-157 „ se 2) nach dreistündigem ruhigen Stehen . 0.197 „ ” drei Stunden hindurch geschüttelt. . 0-170 „, = Dieser Erfolg führte zu der Frage, ob nicht vielleicht durch das zur Ausscheidung des Serums nothwendige Centrifugiren ein Verlust eintreten ° möchte; es scheint jedoch nicht der Fall, oder mindestens nur innerhaib der sonst unvermeidlichen Fehler. Dieses zeigt das folgende Beispiel, welches ebenfalls für geschlagenes Blut gilt: nach dreistündigem ruhigen Stehen 0.126 Proc. Zucker nach dreistündigem Centrifugiren . 0-118 x 2. Ueber das Verhältniss, in welchem der Zuckergehalt des Serums zu dem der Scheiben steht, kann uns gegenwärtig nur ein Versuch auf- klären: die vergleichende Bestimmung der procentischen Zuckermengen im Blute und in dessen Serum. Allerdings kann man auch auf der Centrifuge die Blutkörperchen durch zweimalises Auswaschen mit dem zehnfachen Volumen 2-5 pro- centiger Kochsalzlösung von dem anhängendem Serum befreien und sich‘ davon überzeugen, dass die zurückbleibenden Scheiben keinen Zucker mehr enthalten. Doch aus dieser Erfahrung kann auf den Zuckergehalt der im Blute kreisenden Körperchen nicht geschlossen werden, so lange es im hohen Grade wahrscheinlich bleibt, dass der in ihnen möglicher Weise enthaltene Zucker durch Diffusion in die auswaschende Flüssig- keit übergeht. So blieb mir denn zur Lösung meiner Aufgabe nichts anderes übrig, als in einer grösseren Reihe von Blutarten den Zuckergehalt des Ge- sammthlutes und des zugehörigen Serums zu vergleichen. Hierbei bin ich zu den folgenden Zahlen gekommen, welche für je 100 Theile der betreffenden Flüssigkeit gelten: Blut. ; Serum. 1. 0.052 0.102 22. 0.082 0.155 2b. 0-097 0.176 d. 0.035 0.056 4. 0:068 0.109 5: 0.117 0.181 6. 0.109 0.165 7. 0.102 0.126 8. 0.108 0.125 ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 63 Nach seinen absoluten Werthen weicht der Zuckergehalt des Ge- sammtblutes und des Serums von Fall zu Fall nicht unbeträchtlich von einander ab, aber durchweg befindet sich derjenige des Serums in einem Uebergewicht über den des Gesammtblutes. Inwieweit dieses der Fall, tritt am deutlichsten dadurch hervor, dass man aus den gewonnenen Daten die Serumsmenge berechnet, welche dem Blute eigen sein muss, wenn durch die ihm angehörige die gesammte Zuckermenge des Blutes bestritten werden solle. Da nach der eben ausgesprochenen Annahme Sz = Z sein soll, vorausgesetzt, dass S die Serumsmenge in 100 Theilen Blut, z und Z den procentischen Zuckergehalt des Serums und des Blutes bedeuten, so ist die gesuchte Menge des Serums S = = 100, Führt man diese Rechnung aus, so ergeben sich für die mitgetheilten Bestimmungen der Reihe nach als hypothetische Serumprocente des Blutes: L 50.98 5. 64.64 22. 52-90 6. 66:06 2. anal TR 80-95 | 3762-50 8. 86-40 | 4. 62-39 | Aus diesen Zahlen geht mit einem hohen Grade von Wahrschein- ‚ lichkeit hervor, dass es Blutarten giebt, deren Serum einen genügend grossen Zuckergehalt besitzt, um denjenigen des Gesammtblutes zu decken, mit anderen Worten: deren geformte Bestandtheile als zuckerfrei gelten | dürfen. Den einzigen Einwand, welchen man gegen die Beweiskraft der» ‚ vorgelesten Zahlen und der an sie geknüpften Betrachtungen erheben | kann, leitet sich aus der Unsicherheit ab, welche für die Bestimmung des Zuckers aus dem Gesammtblute besteht. Es kann dieselbe, wie schon ‚ erwähnt, zu niedrig ausfallen, da sich sein festeres Gerinnsel möglicherweise ‚ nicht so vollkommen wie dasjenige des Serums auswaschen lässt. Doch | wie gross man auch die hieraus erwachsende Verminderung des Zählers | in dem Bruche 2 annehmen will, keinesfalls würde bei sorgfältiger Ar- | beit diese Annahme genügen, um daraus in den Beobachtungen 1 und 2 ‚ den hypothetischen Serumgehalt soweit empor zu heben, dass er mehr ‚als 60 Proc. des Blutes ausmachen würde. Da zudem sieben Mal unter | neun Beobachtungen sich der Serumgehalt auf nicht höher als 65 Proc. | berechnet, da er mithin in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle sich in den Grenzen hält, welche dem Procentgehalt des Blutes an Serum | durch andere Beobachtungen angewiesen sind, so wird es mindestens un- 64 A. M. BuLEILE: wahrscheinlich, dass die von mir gewonnenen Resultate auf einer Zu- fälliskeit beruhen. Von einer noch geringeren Bedeutung, als der eben besprochene, ist der Einwand, welcher aus dem ungleichen Gehalte des Hundeblutes an Serum bei den verschiedenen zu meinen Versuchen benutzten Indivi-° duen hergenommen wird. Durch die Beobachtungen über die Färbekraft des Blutes ist schon seit lange bekannt, dass sein Gehalt an Körperchen bedeutende Variationen erleidet. ! Wenn sich nun auch die mitgetheilten Zahlen mit der Annahme” vereinigen lassen, dass die Körperchen des Blutes zuckerfrei sein können, E so liefern sie doch keinenfalls einen Beweis für dieselbe. Hierzu würden sie erst für genügend erachtet werden müssen, wenn das aus ihnen berechnete Serumprocent mit dem übereinkäme, welches’ nach einer anderen unanfechtbaren Methode ermittelt worden wäre. Als‘ eine solche gilt diejenige, welche nach dem Vorschlage von Hoppe- Seyler auf eine Auswerthung des Eiweisses und Hämoglobins in dem’ Blute und in dem serumfreien Cruor und daneben auf die des Eiweisses im Serum ausgeht. Ihr Princip ist durch die Gleichung S = 2 100° ausgesprochen, in welcher S die procentische Serummenge, 5 das Eiweiss und Hämoglobin in 100 Theilen des Gesammtblutes, % das Hämoglobin und Eiweiss in den Körperchen von 100 Theilen Blutes, e endlich das Eiweiss in 100 Theilen Serum bedeutet. Unter den Werthen, welche die Analyse zur Auflösung dieser Gleichung liefern muss, erregt der von A das Gewicht des Hämoglobins und Eiweisses in dem Körperchen von 100 Theilen Blut einiges Bedenken. Um dasselbe feststellen zu können, müssen die geformten von den flüssigen Bestandtheilen des Blutes be freit werden, ohne dass sie einen Verlust an den fraglichen Verbindungen erleiden; zu diesem Ende setzt man das mit dem zehnfachen Volum einer 2-5 Proc. NaCl-Lösung verdünnte Blut so lange auf die Centrifuge, bis die Körperchen zu einem zähen Brei zusammengedrängt sind; hebt man dann die Flüssigkeit ab und wiederholt unter ebenso vielfacher Er- nenerung derselben das Centrifugiren noch zwei- bis dreimal, so kann man darauf rechnen, das Serum bis auf Spuren entfernt zu haben. Da sich hierbei das Salzwasser nicht röthet, so ist aus den-Körperchen kein 1 Zur Vergleichung mit den obigen Zahlen mögen die Bestimmungen des Serumprocentes dienen, welche von Sacharjin nach der Fibrinmethode Hoppe’s und von Bunge nach der Hämoglobin-Eiweissmethode Hoppe’s gewonnen sind: Sacharjin (Virchow’s Archiv, Bd. 21) findet im Hundeblut bei drei Versuchen 63-71, 66-55, 74-48 Proc. Plasma. Buge (Zeitschrift für Biologie, Bd. 12) im Schwein 56-32, im Pferd 46-41, im Rind 68-13 Proc. Plasma. ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 65 Hämoglobin ausgetreten, insofern aber dieses als ein krystallisirbares Mo- lecül leichter als das colloide Eiweiss diffundirt, kann man auch erwarten, dass von diesem in die Salzlösung gewiss nichts übergegangen sei. Dieser Schluss, welcher unter Umständen ganz gerechtfertigt erscheint, wird für unseren Fall so lange auf keine unbedingte Zustimmung zählen dürfen, als wir die Bindungs- und Mischungsart des Eiweisses und Hämoglobins in der Blutscheibe nicht kennen. Das Gewicht der Bedenken wächst, wenn wir erfahren, dass die Körperchen durch das fortgesetzte Aus- waschen mit 2.5 Proc. NaCl-Lösung ihrer Fähigkeit beraubt werden, das Hämoglobin so fest zu halten, wie sie es ursprünglich vermochten; so sah Bunge, dessen Erfahrung ich bestätigen kann, dass das Salzwasser spätestens bei der vierten Erneuerung, manchmal aber auch schon bei einer früheren einen Stich in’s Rothe angenommen hatte, nachdem es von der Centrifuge ausgeschieden war. Würde aber durch das Salzwasser gleichzeitig mit der Entfernung des Serums auch den Scheiben ein Theil ihres Eiweisses entzogen, so müsste, entsprechend der Gleichung, auf welcher die Analyse ruht, das nach ihr bestimmte Serumprocent sich höher berechnen, als es in Wirklichkeit ist. Da jedoch nach den Ana- Iysen, welche Bunge mittheilt, der drohende Fehler nicht sehr in das Gewicht zu fallen scheint, so habe ich mich ebenfalls des Verfahrens von Hoppe-Seyler bedient, als es sich um eine Controle der durch den Zucker bestimmten Serumprocente handelte. Bei den vergleichenden Analysen bediente ich mich je zweier An- theile desselben Blutes; der Serumgehalt aus der einen wurde nach Hoppe-Seyler, aus der anderen aber durch die Titrirung des Zuckers bestimmt. | In zwei aus verschiedenen Thieren stammenden Blutarten ergaben sich für 100 Theile Blut 1) Nach der Methode von Hoppe-Seyler . . 68.66 Serum durch die Titrirung mit Zucker... . . . 62.66 %„ 2) Nach der Methode von Hoppe-Seyler . . 69.04 „ durch die Titrirung mit Zucker. ... . . 64.64 ,„ Der Mangel an Uebereinstimmung, welcher zwischen den auf ver- schiedene Weise gewonnenen Zahlen herrscht, beeinträchtigt allerdings ‚ die Zuversicht auf die aus ihnen abzuleitenden Schlüsse. Gesetzt aber es wären die durch das Eiweisshämoglobinverfahren gewonnenen Zahlen ‚ der Wahrheit gemäss, so würde aus den durch Titrirung erhaltenen her- ' vorgehen, dass sich zwar der Gehalt des Blutes an Serum mittels der ‚ hierzu verwendeten Zuckerbestimmung nicht mit Sicherheit erfahren Archiv f. A. u. Ph. 1379. Physiol. Abthle. 5 66 A. M. BLEILE: lasse, dass dagegen höchst wahrscheinlich in den beiden vorliegenden Fällen der Zucker des Blutes nur in dem Serum enthalten gewesen sei. Zur Unterstützung der eben gegebenen Auslegung verweise ich auf eine frühere Bemerkung, wonach eine Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sich aus den Zuckerbestimmungen der Serumgehalt niedriger, als er in Wahrheit ist, ergiebt. Uebrigens liegt keine Nöthigung dafür vor, die Ursache für die Abweichung je zweier zueinander gehörigen Zahlen allein auf die Zuekerbestimmung zu schieben, denn da es nicht sicher steht, ob nicht die mittels der Eiweisshämoglobinmethode erlangten Resultate ' niedriger als die wahren Werthe ausfallen, so könnte möglicherweise die Wahrheit irgendwo in der Mitte zwischen den durch die beiden Verfah- rungsarten aufgefundenen Werthen liegen. Abweichend von den eben ‚besprochenen verhielt sich ein drittes Blut; in 100 Theilen desselben wurden angegeben: Nach der Methode von Hoppe-Seyler . 54-24 Serum nach der Ditrirung- des Zuekers 7 2. ZEIT Da in diesem Falle das durch den Zucker ermittelte Serumprocent gerade nach der entgegengesetzten Seite von der fällt, auf welcher es nach den ersten beiden Analysen und unter Berücksichtigung des wahrscheinlichen Fehlers zu erwarten gewesen, so muss man schliessen, dass diesmal die Körperchen einen geringen Zuckergehalt besessen haben. Nimmt man das nach Hoppe-Seyler bestimmte Serumprocent als richtig an, so wären in den Körperchen der 20°” Blut, welche der Titrirung unter- zogen wurden, nur 3.9”8" Zucker enthalten gewesen.! Die Versuche, welche ich über die Vertheilung des Zuckers unter die flüssigen und geformten Bestandtheile des Blutes mitgetheilt, kann ich mit dem Satze schliessen: In dem Blute scheint der Regel nach der Zucker nur dem Serum eigen zu sein, doch mag es auch vorkommen, dass ein kleiner Antheil des Zuckers in den Körperchen enthalten ist. — Das was hier bedingt ausgesprochen, wird sich erst definitiv behaupten lassen, wenn die Methode, wonach der Zucker im Blute bestimmt wird, der Coagulation entbehren kann. — In der Annahme, dass die Körperchen je nach Umständen Zucker enthalten oder auch frei davon sein können, 1 In 100 Theilen Blut wurden gefunden 0-118 uud in 100 Theilen Serum 0-182 Zucker. Nehmen wir an, dass in 100 Theilen Blut 54-24 Serum enthalten gewesen, I so ergiebt sich der Gehalt von 100 Theilen Körperchen an Zucker = i (100 x 0-118) — (54-24 x 0182) 45.76 ä und hieraus folgt die obige Zahl für 9-15°°% Körperchen, welche in dem titrirten Blute enthalten waren. Bi ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 67 liest übrigens nichts an sich Unwahrscheinliches; stellen sie sich doch nach Bunge ebenso dem Chlornatrium gegenüber. Als ich nun zur Ausführung der Versuche schritt, durch welche ich mich über Aenderungen unterrichten wollte, die das Blut während der Verdauung von Zucker bildenden Stoffen erfährt, so konnte es für mich nicht mehr zweifelhaft sein, dass es nur zum Vortheil für die Genauig- keit der Bestimmungen und für die Sicherheit des Vergleiches verschie- dener Blutarten diene, wenn man den Zucker aus dem Serum, nicht aber aus dem Gesammtblute titrirt. 3. An einer genaueren Kenntniss darüber, bis zu welcher Grösse und in welchem zeitlichen Verlauf der Zucker im arteriellen Blute zu- nimmt, wenn aus dem Darmrohr die saccharogenen Stoffe des Futters verschwinden, fehlt es uns noch gänzlich. Die Thiere, welche zu Versuchen hierüber dienen sollten, fasteten vor Beginn derselben so lange, bis man des nüchternen Zustandes ihrer Verdauungswege sicher sein konnte. — Alsdann wurde ihnen ein Brei aus bekannten Gewichten Rohrzuckers und Dextrins gereicht oder wenn von diesen beiden nur das letztere gegeben wurde, so erhielt dasselbe als schmackhaften Zusatz noch einige Cubikcentimeter Milch. Aderlässe, die das Blut zur Analyse lieferten, wurden unmittelbar vor und in ge- messenen Zeiten nach der Fütterung ausgeführt, jedesmal in genügender Menge, um 20°” Serum gewinnen zu können. — Einige Stunden nach der Fütterung wurde das Thier getödtet, der Inhalt des Magens und des Darmes sorgfältig gesammelt, durch Alkohol oder Aufkochen vor weiter- schreitender Zersetzung geschützt. Dann wurden alle Zucker gebenden Bestandtheile durch Erhitzen mit verdünnter Schwefelsäure in Trauben- zucker übergeführt. I. Körpergewicht 10:5*, 24 Stunden Fasten, dann einen Aderlass aus der Carotis von 75°”, hierauf 100 ®”” Dextrin mit 50 &”” Rohrzucker, entsprechend 163.89 Traubenzucker, gefüttert und in den angegebenen Zeiten noch drei Aderlässe von je 75°” vorgenommen. 5 Stunden 10 Minuten nach der Fütterung wird das Thier getödtet. Der Magen. enthielt eine gelbe Flüssigkeit. Magen und Darmeanal werden sorgfältig entleert mit Alkohol ausgewaschen. Der Inhalt jedes dieser Abschnitte besonders gesammelt, getrocknet und der Rückstand mit SO,H, von 2 Proc. 4 Stunden lang erhitzt; neutralisirt und eingedampft. Aus dem Versuche ergaben sich folgende Zahlen: Verfüttert ein Aequivalent von . . 163.89 2°” Traubenzucker Gefunden im Magen 61-98 „ 2 Don a an u In 5 Stunden 10 Minuten verdaut . 89-40 „ „ RES 5* 68 A. M. BLEILE: 100 Theile Carotidenserum enthielten vor der Fütterung. . .. . ..0.216°°% Zucker 1 Stunde 20 Minuten nach Her ann hanın un. 0,2928 er 3 „40 re a 8 BR . DIN LO h Se BR 02ER II. Körpergewicht 13-.6®, 4 Tage Fasten, dann einen Aderlass aus der A. carotis von 75°“, hierauf 100°” Dextrin, entsprechend 111-11 Traubenzucker, gefüttert und zu den angegebenen Zeiten zwei Aderlässe von je 75°” oemacht. 4 Stunden 30 Minuten nach der Fütterung wird das Thier getödte. Magen- und Darminhalt besonders gesammelt, mit dem Waschwasser verdünnt, sogleich aufgekocht und dann wie oben weiter behandelt. Es ergaben sich die folgenden Zahlen: Verfüttert ein Aequivalent von . . 111-112” Traubenzucker Gefunden im Magen 22.24 ” ” Darm a 3 u 2 2 In 4 Stunden 30 Minuten aus den Eingeweiden verschwunden . . 81.928” Traubenzucker 100 Theile Carotidenserum enthielten vor der Fütterung . . . ...091708% Zucker 2 Stunden 30 Minden Ach 1 ae 0.348 „, a 4 „ 30 „ „ „ „ ° 0.984 „ „ Es nimmt also nach der Einführung von zuckergebenden Stoffen in den Magen der Zuckergehalt des arteriellen Blutes zu, aber die Summe, ‚um welche das Blut an Zucker zugenommen, kommt nicht in Betracht gegen die Menge dessen, welche aus den Eingeweiden verschwand. — So hatte im Versuche I in der fünften Stunde nach der Dextrinverdau- ung der Zuckergehalt des Serums gegen den Hungerzustand um 0.048 Proc. zugenommen. DBesässe das Thier 8 Proc. seines Körpergewichts an Blut, also = 840°“ und wären 75 Proc. hiervon Serum = 630%, so würde die Gesammtmenge des Zuckers bei einem Procentgehalt des Serums von 0.264 Zucker nur 1-.66®°” und der Zuwachs nur 0.30 3°” betragen haben, obwohl aus dem Darm 89®% des Zuckeraequivalents verschwunden waren. — Zu demselben Ergebniss führt, wie ohne eine weitere Zergliederung ersichtlich, der zweite Versuch. Nach allem, was wir von früher her wissen, ist dieses Resultat kein unerwartetes, denn niemals wurde bei Thieren, wenn sie eine ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 69 an zuckergebenden Stoffen reiche Kost verdauten, auch nur annähernd ein Zuckergehalt des Blutes gefunden, wie er zu erwarten gewesen, wenn sich in diesem die aus dem Darmcanal verschwundenen Zucker- stoffe angehäuft hätten. Neu ist in den vorgelesten Beobachtungen nur das Ergebniss, dass die Vermehrung, welche der Zuckergehalt des Blutes erfährt, schon in einer verhältnissmässig frühen Periode der Verdauung einen Werth erreicht, der später nicht mehr über- schritten wird, trotzdem dass sich in den Eingeweiden noch reichliche Zuckermengen vorfinden, die von dort in einem stetigen Verschwinden begriffen sind. Diese Erfahrungen lassen keine andere Deutung als die zu, dass der Zucker schon während der Verdauung der Kohlehydrate, aus denen er hervorgeht, weiter zerlegt werde; denn wenn sich die 80 und mehr Gramme, welche in wenigen Stunden aus den Eingeweiden verschwinden, in einer Körpermasse von 10 Kilo vertheilt hätten, so müssten einzelne Säfte derselben um ganze Procente an Zucker zuge- nommen haben und zwar um so gewisser, weil sich die Lymphe, wie v. Mering gezeigt, und weil sich, wie oben gezeigt, das Blut nur mit geringen Bruchtheilen eines Procentes an der Aufspeicherung des ge- nannten Stoffes betheiligen. Ob aber die Zersetzung schon im Darmeanal oder erst jenseits des- selben geschieht, darüber lassen uns die bis jetzt bekannten Thatsachen noch im Unklaren. Bildete sich z. B. noch innerhalb des Dünndarms ein bedeutender Antheil des entstandenen Zuckers in Milchsäure u. s. w. um, so würde sich der Stillstand, den wir im Zuckergehalt des arteriellen Blutes trotz der fortschreitenden Verdauung der Kohlehydrate kennen lernten, aus dem mangelnden Zufluss desselben erklären lassen. 4. Mit dieser Stellung der Frage war der Versuch vorgezeichnet, welcher, wenn auch nicht zur vollen Entscheidung der hingestellten Alternative, so doch mindestens zu einem weiteren Aufschluss über den Ort führen musste, an welchem die Umsetzung des Zuckers vor sich geht. Jedenfalls entzieht sich der Theil des Zuckers, welcher aus dem Blut übertritt, einer im Darmcanal stattfindenden Zersetzung und somit war zu prüfen, ob in allen Stadien der Dextrinverdauung durch das Pfort- aderblut mehr Zucker abgeführt wurde als mit dem arteriellen in die Darmeapillaren hineingebracht worden, namentlich aber ob auch in jener Zeit, in welcher trotz der fortdauernden Dextrinverdauung der Gehalt des arteriellen Blutes an Zucker auf seine obere Grenze gelangt war, das Ueberströmen dieses Stoffes in die Pfortaderwurzeln noch anhielt. Die Hoffnung, dass dieser Plan zu einem Ziele führen werde, grün- dete sich wesentlich auf die Beobachtungen v. Mering’s; dieser hatte, als er das Pfortaderblut nach einem vertrauenswürdigeren Verfahren als 70 A. M. BLEILE: den vor ihm geübten auffing, gefunden, dass sich während der Verdauung von saccharogenen Stoffen der Zucker des venösen Darmblutes quantitativ oder qualitativ von dem des arteriellen Blutes unterscheidet. Der hiermit vorgezeichnete Weg war also weiter zu verfolgen. Ueber die Mittel und Bedingungen der Versuche, in denen dieses geschah, ist zu bemerken: Alle Thiere, die in dieser und der folgenden Reihe dienten, waren nach vorgängigem Fasten nur mit Dextrin gefüttert; und es wurde mit dem Auffangen des Portalblutes erst begonnen, nachdem man sicher sein konnte, dass die Verdauung bezw. die Zuckerbildung in vollem Gange war. — Das Blut gewann ich nach der durch v. Mering genauer beschriebenen Weise aus einem durch die Milzvene eingeführten Rohre, welches bis in den Pfortaderstamm reichte. In mehreren Ver- suchen unterschied sich das Verfahren nur dadurch von dem am ange- führten Orte dargestellten, dass die Anlegung der leicht lösbaren Schlinge und des Ligaturstabes um die Pfortader und zwar deshalb unterblieb, weil ich gesehen hatte, dass das Blut aus der Vene durch das ein- gelegte Rohr in vollem Strahle abfloss, obwohl ihm der Ausweg gegen die Leber hin offen stand. Somit konnte eine Operation erspart und dabei auch noch erreicht werden, dass nicht einen Augenblick hin- durch der Blutstrom in der Darmwand stockte. Ehe noch das Rohr in die Milzvene geschoben ward, unterband ich die Milzarterie, so dass das Blut, welches zur Pfortader kam, ihr ausschliesslich von dem Verdauungs- canal zuströmte. Da man nach einer Erfahrung v. Mering’s darauf gefasst sein musste, dass ausser dem Traubenzucker auch noch andere Verdauungs- producte des Dextrins im Pfortaderblut auftreten würden, und da zu erwarten war, dass dieses bei voller und ausschliesslicher Verarbeitung des Dextrins ganz vorzugsweise geschehen möchte, so war auf dieses Vorkommen besonders zu achten. Bei den unter Berücksichtigung dieses Umstandes vorgenommenen Reactionen traf ich im Pfortaderblute niemals auf Erythrodextrin, dagegen wurde einmal das Reductionsvermögen des Blutextractes durch Erhitzen mit Säure sehr bedeutend erhöht, denn es waren nach Angabe des Titers vor dem Kochen 0,375 Proc. Zucker vor- handen gewesen, während sich nach dem Kochen mit verdünnter Salz- säure das Zuckerprocent auf 0,500 stellte. Obwohl nun keineswegs jedesmal durch das Kochen mit Säure eine Steigerung des Reductions- vermögens erzeugt wird, so dürfte es doch zu den unumgänglichen Vor- sichtsmaassregeln gehören, der Titrirung des wässerigen Serumauszuges der Pfortader die Erhitzung desselben mit Säure voraufgehen zu lassen. Von der Milzvene aus kann der Zugang zur Pfortader allerdings gewonnen werden, ohne den Blutstrom durch den Darm zu beeinträch- ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 71 tigen; das Gleiche darf man leider nicht von der Eröffnung der Peri- tonaealhöhle erwarten, deren Folgen sich trotz der Anwendung von Carbol und wärmender Bedeckung allmählich geltend machen. Aus diesem Grunde ist die Zeit, während welcher man nach der Einlesung der Röhre in die Milzvene das Blut aus der Pfortader entnehmen kann, eine beschränkte; solche Reihen von Blutentziehungen, wie in den verschiedenen Stadien der Dextrinverdauung an den Arterien, werden sich nicht an der Pfortader anstellen lassen. Wollen wir also erfahren, ob der Uebergang von Zucker aus dem Darm in die Pfortader auch noch während der Zeit fortdauert, in welcher der Zuckergehalt des arte- riellen Blutes auf seinen constanten Werth angewachsen ist, so bleibt uns nichts anderes übrig, als den Versuch einige Stunden nach der Dextrinfütterung vorzunehmen. Nach dieser Regel habe ich mich gerichtet. Körpergewicht 25,9%, 5 Tage Fasten, dann 100=® Dextrin verfüttert; 3 Stunden später werden abwechselnd in ununterbrochener Reihenfolge je 75m Blut aus der Art. carotis und Vena porta gesammelt. Die zeitliche Ordnung, in welcher die Blutungen vorgenommen werden, sind durch die Zahlen 1, 2,3 u. s. w. bezeichnet, welche vor den Ergebnissen der Serumanalyse stehen. 1) Serum des Pfortaderblutes cab . . . 0.310 Proc. Zucker DEN barotidenblutese =, 7..27720:232, % Sn, btortaderblutese, = ..27.,:0.325 r 4) ,„ “larotidenhlutes „...:. 70220 “ DE, sbifortaderblutes 2 v2... 0-238: , S 6) 7°, © @arotidenblutess 0, 2..2...0:240 7, 5 Durch das analytische Resultat der vier ersten Blutentziehungen aus der V. porta und der A. carotis ist es somit erwiesen, dass der Uebergang des Zuckers aus dem Darm in die Pfortader noch fortdauert, wenn auch schon der Procentgehalt dieses Stoffes im Carotidenblut auf sein durch die Dextrinverdauung erreichbares Maximum gebracht ist. Weil dieses Ergebniss von vornherein wahrscheinlich war, noch mehr aber, weil es durch später mitzutheilende Beobachtungen seine Bestä- tigung empfängt, habe ich die Wiederholung des Versuches nicht für nöthig erachtet. Sieht man es nun für gewiss an, dass sich während der gesamm- ten Dauer der Dextrinverdauung das Blut einen Antheil des entstandenen Zuckers aneignet, so fragt sich, wie gross dieser sei. Nach den vor- gelesten und noch mitzutheilenden Beobachtungen kann man es als wahrscheinlich annehmen, dass der mittlere Ueberschuss von 100 cm Pfortaderserum, über das arterielle = 100®sr, also der von 100° m Pfort- 72 A. M. BLEIGE: aderblut etwa 708" betrage. Legen wir nun der weiteren Rechnung die Beobachtung auf S. 67 zu Grunde, in welcher während 300 Minuten 80 sm Zucker, also in 1 Minute 267 "s aus dem Darm verschwanden, so müssten um sie zu entfernen in einer Minute über 380 °® wesführenden Blutes zur Verfügung gestanden haben. Wenn wir es nun auch dahin gestellt sein lassen, ob eine solche Blutmasse durch die Darmwand eines Hundes von 10.5* Körpergewicht fliesst, so können wir andererseits nicht bezweifeln, dass der Strom durch das Portalsystem ein mächtiger ist; und wäre er auch nur halb so stark wie der oben geforderte, so würde von ihm immer noch ein sehr grosser Theil des Zuckers, der im Darm entstand, weg- geführt werden. Nicht minder wichtig und namentlich ganz unabhängig von allen Rechnungen auf hypothetischen Grundlagen ist eine andere Auskunft, die uns die Versuche gewähren. Sie zeigen, dass sich das Dextrin nur sehr allmählich aus dem Darm entfernt und dass der Antheil seiner Verdauungsproducte, welcher dem Blut zufällt, in der Regel aus Trauben- zucker besteht. Hiernach erscheint die Annahme von Cl. Bernard!, wonach die Leber auf den Uebergang des Zuckers aus der Nahrung in das Arterienblut verzögernd wirkt, nicht mehr nothwendie. Aber wenn auch der Zucker mit einer weit geringeren Geschwin- diskeit, als man sich früher vorstellte, in das Blut übergeht, so besteht doch unzweifelhaft ein sehr merklicher Unterschied zwischen dem Zucker- gehalt des Portal- und Arterienblutes, angesichts dessen die Frage nicht müssig ist, ob derselbe durch einen in der Leber stattfindenden Vorgang verwischt werde Da es durch zahlreiche Versuche von Tscherinow, Dock, Weiss, Fick, Luchsinger, Gamgee u. A. feststeht, dass sich unter dem Einfluss einer saccharogenen Nahrung die an Glykogen arme Leber mit diesem Stoffe beladet, so könnte man unterstellen, dass der grösste Theil des aus dem Darme herübergekommenen Zuckers zur Bil- dung dieses Körpers verwendet würde. Um diese Hypothese aufrecht zu : erhalten, müsste man aber noch hinzusetzen, dass das Glykogen in der Leber alsbald wieder zerstört würde und zwar in der Art, dass unter den aus diesem Process hervorgehenden Produeten der Zucker gar nicht oder E in nur geringer Menge vertreten sei. Dass die Glykogenanhäufung für sich allein den Unterschied im Zuckergehalt des Blutes diesseits und jenseits der Leber nicht zu erklären vermag, darüber wird man dann am wenigsten in Zweifel sein können, wenn sich bei andauernder Ver- dauung von Kohlehydraten der Glykogengehalt der Leber mit der = Nahrung in’s Gleichgewicht gesetzt hat. Denn dass bei der täglichen 1 Sur le diabete 1877. p. 268 et suiv., 319 eb suiv. a | ab) ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. _ Wiederkehr gleicher Gewichte desselben Pflanzenfutters der Glykogengehalt der Leber nicht bis in das Endlose wachsen, vielmehr eine obere Grenze nicht überschreiten wird, kann als selbstverständlich selten. Und von dem Augenblick an, wo diese Grenze erreicht ist, würde ein Kreisprocess aus Zucker in Glykogen und aus diesem wieder in Zucker für die gleich- mässige Vertheilung dieses letzteren über längere Zeiträume von keiner Be- _ deutung mehr sein. Aber selbst wenn die Thiere das beim Fasten verlorene _ Glykogen aus dem Dextrinfutter wieder ersetzen, kann die blosse Auf- _ speicherung desselben für die Herstellung eines merklichen Unterschieds im Zucker des Portal- und des Lebervenenblutes nur wenig ins Gewicht fallen in Anbetracht der grossen Dextrinmengen, die in wenigen Stunden ‚ verdaut werden. Ist dagegen das Glykogen die Vorstufe einer weiter- ‚schreitenden Zerstörung des Zuckers oder vermag diesen die Leber noch ‚auf andere Weise zu spalten, so würde sich hiermit mehr ausrichten lassen. 9. Zur Entscheidung der Frage, ob der Zucker innerhalb der Leber ‚ in einem Maasse umgeformt werde, welches seiner Ueberwanderung aus dem ‚ Darmcanal entspricht, eignen sich vorzugsweise die Versuchsthiere, welche | nach vorausgegangenem Fasten mit Dextrin gefüttert wurden, weil sich ‚ bei ihnen voraussichtlich der Erfolg der Aufspeicherung und der Spal- ‚tuns summiren. In der That schien es nach einigen Beobachtungen, | ‚die v. Mering unter ähnlichen Umständen ausführte, als ob die Leber ‚ zuckerzerlesend wirkte. Als erstes Erforderniss für die hier vorzunehmenden Versuche muss ‚man das Blut aus der Portal- und Lebervene, jedes für sich, unvermischt mit anderen Blutsorten sammeln können, ohne dabei den Strom in den ‘ Wurzeln beider Venen zu stören. Zu diesem Ende reichen die von ‚v. Mering beschriebenen Verfahrungsarten im Wesentlichen aus; dass ich ‚jedoch an die zum Sammeln des Pfortaderblutes dienenden eine Aenderung ‚angebracht, wurde schon erwähnt. Hier habe ich hinzuzufügen, dass ich ‚auch das Verfahren für das Auffangen des Lebervenenblutes in etwas modifi- | eirte, um das Abzapfen mehrere Male hintereinander vornehmen zu können. ‚v. Mering schob unter besonderen, in seiner Abhandlung nachzusehenden ‚ Vorsichtsmaassregeln nahe zur Mündung der Lebervenen zwei Röhren in \entgegengesetzter Richtung ein. Die eine derselben gelangte durch die ‚rechte Schenkelvene in die Vena cava inferior bis zur Leber; um sie ‚wurde oberhalb der Nierenvenen eine Schlinge gelest, so dass sich in ‚die obere Mündung des Rohrs nichts von dem Blute ergiessen konnte, welches durch die Venen fliesst, die unterhalb der Leberarterie in die Vena eava eintreten. Eine Ausnahme hiervon machte nur die linke ‚Vena lumbabis prima, da die rechte gleichnamige Vene in der Wunde 74 A. M. BueIcE: zugebunden war, durch welche die eben erwähnte Fadenschlinge ein- geführt worden. Aus diesem unteren Rohre wurde zu der bestimmten Zeit das Blut abgelassen. Das zweite Metallrohr wurde von oben her in die Vena jugularis dextra durch den rechten Vorhof hindurch in den Abschnitt der Hohlvene eingeschoben, der sich zwischen dem Herzen und dem Zwerchfell hin erstreckt. An das untere Ende dieses Rohres war eine ausdehnbare Blase angebunden, so dass, je nachdem sie leer oder gefüllt, die Verbindung zwischen dem Herzen und der Lebervene offen oder geschlossen blieb. ‘Die Füllung und die Entleerung: der Blase “ wurde durch eine Luftmasse besorgt, welche unter einen positiven oder negativen Quecksilberdruck in bekannter Weise zu setzen war. Die hier zu lösende Aufgabe bestand darin, die Blase an den richtigen Ort zu bringen und sie dort nach Belieben zu füllen oder zu entleeren. Dieserhalb wurde die Metallröhre mit einer Längentheilung versehen, so dass, wenn der Abstand der Jugularis-Wunde von dem sechsten Zwischenrippenraum vorher ermittelt war, dieselbe bis auf deu Theilstrich vorgeschoben werden konnte, welcher die richtige Lage garantirte. Nach sorgfältig ausgeübter Operation gelingt es, kleine Beimengungen aus einer Lumbal- und der Zwerchfellvene abgerechnet, das Blut, welches aus der Leber kommt, rein aufzufangen, aber dieses stammt nicht allein aus der Pfortader. Gesetzt also, es büsste das Pfortaderblut auf seinem Durchgange durch die Lebercapillaren von seinem Zuckergehalte nichts ein, so müsste doch die aus der Lebervene hervorkommende Blutmasse weniger Zucker als jenes führen und zwar in dem Maasse weniger, in welchem das Volum des beigemengten aus der Leberarterie stammenden Blutes ge- wachsen wäre. Den hieraus entspringenden Fehler durch vorgängige Unterbindung der Leberarterie zu beseitigen, hielt ich nicht für rathsam, Ä. weil uns die bekannten Folgen dieser Operation darüber belehren, dass durch sie die chemischen Processe innerhalb der Leber wesentlich geändert werden. Dazu kommt, dass man ohnehin nicht auf eine voll- kommene Uebereinstimmung im Zuckergehalt der in die Leber einströ- menden und der aus ihr hervorgehenden Blutmassen rechnen kann, weil | sie zu verschiedenen Zeiten an dem einen und an dem anderen Orte aufgefangen werden. Nur auf einem Zufall würde es beruhen, wenn 4 der Zuckergehalt des Pfortaderblutes in der Zeit, in welcher es von der | Leber abgelassen wird, gerade so gross als zu der anderen wäre, in welcher es erst nach dem Durchgang durch diese letztere gesammelt” würde. Deshalb ist es möglich, dass trotz der völligen Unirkeimie der Leber das aus ihr hervorgehende Blut bald mehr und bald weniger Zucker enthält als dasjenige, welches man vorher oder später aus der Pfortader zur Vergleichung gewonnen hat. Ein Ausgleich der Abwei- | RE RTUR ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 75 _ ehungen kann demnach nur durch das Mittel aus zahlreichen Blutproben _ erwartet werden. | Da man sich öfter damit begnügt! hat, das Blut aus der Vena cava inferior mit einem Rohre wegzunehmen, welches in sie durch das rechte _ Herz hindurch bis in die Nähe der Mündungen der Lebervene geführt _ worden war, so habe ich auch einige Versuche auf diese Weise aus- geführt. Ich will sie voranschicken. | I. Körpergewicht 32%, 6 Tage Fasten, dann Fütterung mit 100.” ‚ Dextrin in 250°®® Milch gerührt. Drei und eine halbe Stunde später Blut aus der Vena porta und zweimal nacheinander aus der Vena cava ‚ dureh das in die Vena jugularis eingelegte Rohr angesaugt. Je 100 Theile ' Berum enthielten: Aus der Vena porta . . . . 0.307 Zucker » » Vena cava 0.283 und 0:.287 „, | II. Körpergewicht 24,3%. Fasten, dann 100s”® Dextrin mit etwas ' Milch verfüttert. Drei Stunden später Blut aus der Vena porta, dann aus Vena cava und in derselben Reihenfolge wiederholt. Je 100 Theile ‚ Serum enthielten: 1) Aus der Vena porta 0-412 Zucker De Nlenalıcava 205320909 a), Vena porta >0-421° A Ne Vennleava 80.347 5 Ä An die Mittheilung dieser schliesse ich die Aufzählung der Beob- achtungen, in welchen durch die Verschliessung an den oben angegebenen ‚ Stellen das Blut der Lebervenen möglichst rein aufgesammelt war. I. Mittelgrosser Hund. Vier Tage Fasten. 1008'® Dextrin mit 250° Milch verfüttert, nach drei Stunden aus der Vena porta, dann zweimal aus der Vena hepatica das Blut entnommen. Je 100 Theile Serum enthielten: 1) Aus der Vena porta. . . . . 0-355 Zucker 2) » „ Vena hepatica 0-360 und 0.3855 „, Ä II. Grosser Hund. Vier Tage Fasten. 100sm Dextrin mit Milch ‚ verfüttert. Vier Stunden später 100° ® Portal- und dann 100m Leber- ‚ venenblut. Je 100 Theile Serum enthielten: 1) Aus der Vena porta 0.355 Zucker 2) » „ Vena hepatica 0.469 u | Ill. Grosser Hund. Fünf Tage Fasten. 100s"" Dextrin mit Milch ‚gefüttert. Drei und eine halbe Stunde später wechselnd Portal- und ‚ Lebervenenblut. Je 100 Theile Serum enthielten; 1 Cl. Bernard, Sur le diabete. 76 A. M, BLEILE: 1) Aus der Vena porta 0.246 Zucker 2) „ „ Vena hepatica 0.251 „ DE Nlenasmorta 20=.291272, 4) ,„ „Vena hepatica 0-340 „ Die Obduction ergab, dass die linke Nierenvene nicht abge- bunden war. IV. Grosser Hund. Zwei Tage Fasten. 100° Dextrin mit Milch. Zwei und dreiviertel Stunden nachher abwechselnd Blut aus der Vena’ porta und Vena hepatica. In je 100 Theilen Serum waren enthalten: 1) Aus der Vena porta 0.246 Zucker 2) :„ „ Vena hepatica 0-2322 „ Sl Vena on 21 4) „ „ Vena hepatica 0.306 „ Zwischen den Versuchen ohne und mit Abschluss des Blutes der? Vena cava inferior von dem der Lebervene besteht somit ein deutlicher” Unterschied, in den ersteren überwiegt der Zuckergehalt der Pfortader und in den letzteren der des Lebervenenblutes. Will man die Ursache des entgegengesetzten Verhaltens nicht in einer Fügung des Zufalls finden, vermöge welcher bei den Versuchen mit offener Vena cava das Blut, welches hinter der Leber gefangen wurde, schon vor seinem Bin- strömen in diese letztere zuckerärmer gewesen sei als das unmittelbar” aus der Vena porta entnommene, so wäre man zur Erklärung der Ab- weichung auf andere Annahmen angewiesen. Das Uebergewicht, welches‘ der Zuckergehalt des aus der Portalvene gefangenen Blutes über dasjenige’ aufwies, welches aus der Vena cava ohne vorgängige Unterbindung der letzteren gewonnen wurde, könnte man z. B. aus der Beimischung von’ zuckerärmeren Blute ableiten, welches aus anderen Zuflüssen zu dem Leber- venenblute hinzugekommen wäre. Oder aber man könnte den grösseren Reichthum, welchen das Blut der Vena hepatica in der anderen Reihe‘ der Lebervene in Anwendung kamen. Ihretwegen hätte sich, so würde man hinzusetzen müssen, ein Theil des in der Leber aufgespeicherten Glykogens in Zucker umgewandelt, welcher sich dann dem abfliessenden Blute beigemenst habe. Weitere Versuche müssen und können ent- scheiden, ob und welche von diesen Annahmen einen Anspruch & ıf Gültigkeit besitzen. Doch würde man im Unrecht sein, wenn man, veranlasst durch die! eben erhobenen Zweifel, die Ergebnisse der letzten sechs Beobachtungen ohne Weiteres hei Seite legen wollte; dass es. ein solches wäre, ergiebt ÜBER DEN ZUCKERGEHALT DES BLUTES. 17 sich aus der Zusammenstellung ihrer Mittelwerthe. Denn es betrug in den beiden Beobachtungen, in welchen das Blut der Vena hepatica mög- licher Weise durch das Blut aus anderen Zuflüssen verdünnt war, der mittlere procentische Gehalt an Zucker in dem Portalserum 0,380 und in dem Serum der Vena hepatica 0,309. Aus den vier Beobachtungen dagegen, in welchen das Lebervenen- blut möglichst rein aufgefangen wurde, leitet sich als mittlerer procen- tischer Zuckergehalt ab: für das Portalserum = 0,285 und für das Serum der Vena hepatica = 0,334. Die mittleren Werthe des Zuckergehaltes in dem aus der Vena cava hinter der Leber gefangenen Blute übertrefien demnach an Grösse immer noch diejenigen, welche sich aus zahlreichen Beobachtungen am arteriellen Blute ableiten, und die Unterschiede zwischen dem Zuckergehalte des Blutes, das aus den Venen vor und hinter der Leber unter verschiedenen Bedingungen entnommen wurde, weichen nicht beträchtlich genug von- ‚einander ab, um uns zu dem Schlusse zu berechtigen, dass die Leber in nennenswerthem Maasse mindernd oder mehrend auf den von der Pfortader zugebrachten Zucker wirke. | Dasjenige, was sich als sicher und was sich als höchst wahrschein- ‚lich aus meinen Versuchen über Fütterung mit Dextrin ergiebt, lässt ‚sich dahin zusammenfassen, dass der Zucker, welcher nach dem Genuss ‚von Kohlehydraten im Darmcanal entsteht, jedenfalls zum grossen Theile, ‚zugleich aber sehr allmählich in das Blut der Pfortader übergeht und mit ‚diesem höchst wahrscheinlich unverändert in das rechte Herz gelangt; da ‚aber der Zuckergehalt des arteriellen Blutes, trotz des stetigen Zuflusses von zuckerreicherem Blute sich stundenlang auf derselben Höhe hält, so ‚muss in seinem Stromgebiet auch die Gelegenheit zu einem entsprechen- ‚den Verluste an Zucker gegeben sein. Tonus quergestreifter Muskeln. Von Dr. S. Tschirjew. (Hierzu Tafel III.) Die Versuche, welche ich zur Aufklärung des Ursprunges und der Bedeutung der sogenannten Sehnenreflexe angestellt habe,! haben mich zu folgenden physiologisch interessanten Ergebnissen geführt. 1) Die quergestreiften Muskeln des Organismus sind in doppelter Weise mit dem centralen Nervensystem verbunden: sie besitzen ausser den motorischen, d. h. centrifugalen Nervenbahnen, noch centripetale Der Verlauf dieser letzteren lässt sich auf folgende Weise bestimmen die centripetalen Nervenbahnen jedes Muskels verlaufen in dem ihn ver sorgenden Nervenstamme bis zum Rückenmarke und treten dann durch| die hinteren Wurzeln dieses Stammes in’s Rückenmark ein. Bi | 2) Die durch mechanische Erschütterung gewisser Sehnen hervor- gerufenen Zuckungen entstehen auf reflectorischem Wege, nämlich ver-; mittelst der centripetalen Muskelnerven. Die Erregung geschieht dabe nicht etwa in der Sehne an dem Orte der Erschütterung selbst, sonder „erst an der Grenze zwischen Muskel und Sehne, oder in den der Muskel zunächst liegenden Schichten der letzteren“. Dadurch wird di Möglichkeit ausgeschlossen, dass die in Rede stehenden centripeta ı Nervenbahnen Sehnennerven oder hypothetische sensible Nervenfasern der Muskeln seien. h | >12 Seitdem führten mich meine histologischen Studien? zur Auffindung 1 Ursprung und Bedeutung des Kniephänomens und verwandter Erscheinungen‘ Archiv für Psychiatrie. Bd. VIII, Heft 3. 2 Sur les terminaisons nerveuses dans les museles stries. Comptes rendus &6) 22 Octobre 1878. F S. TsctirRJEw: TONUS QUERGESTREIFTER MUSKELN. 79 eines zuweilen sehr reichen Nervennetzes in den Muskelaponeurosen. Die Nervenfasern, welche dieses Netz bilden, verlaufen zuerst mit den intra- musculären Nerven; denn verlassen sie dieselben und treten in die Apo- neurose ein. Ihrer anatomischen Lage nach stimmen sie auf das voll- kommenste mit denjenigen Nervenfasern überein, welche man nach den obenerwähnten Versuchen als centripetale Nervenfasern der Muskeln auf- fassen musste. Andererseits scheiterten alle meine Bestrebungen, im Muskel sensible Nerven aufzufinden. In der letzten Zeit konnte ich dies Ergebniss noch auf experimen- tellem Wege bestätigen. Es hat sich nämlich herausgestellt, dass - schwache elektrische Reizung rein musculärer Nervenäste, die noch einen ziemlich bedeutenden Tetanus im betreffenden Muskel oder der Muskel- sruppe hervorruft, ohne irgend eine Schmerzäusserung von Seiten des Thieres bleibt. Dagegen erzeugt dieselbe schwache Reizung gemischter Nervenäste nicht nur Muskelcontractionen, sondern auch deutliche Schmerzäusserungen. Man bemerkt diesen Unterschied zwischen den rein musculären und den gemischten Nervenästen zuweilen schon wäh- rend des Präparirens. Die Berührung oder das Aufheben der gemischten Nervenäste mit der Präparirnadel wird von einer Schmerzäusserung be- ‚ gleitet; dagegen bleibt das Thier beim Präpariren der rein musculären Nervenäste sehr ruhig, wenn nur dabei nicht der ganze Nervenstamm ‚ gezerrt wird. Denselben Unterschied gelingt es zuweilen bei der Nerven- ‚ durehschneidung zu constatiren. Die Durchschneidung der rein mus- eulären Aeste wird oft nur von einer Zuckung in den entsprechenden Muskeln und von einer Schmerzäusserung begleitet; nur ruft eine starke ‚ und dauernde Reizung der rein musculären Aeste zuweilen eine Reihe , von reflectorischen Zuckungen im ganzen Körper hervor. Ich glaube in Folge dessen folgenden Satz aufstellen zu dürfen. 3) Die in den Aponeurosen endigenden Nerven sind die ‚ einzigen centripetalen Nervenfasern der Muskeln und keine ‚specifisch sensible Nerven. Man muss das Entstehen der sogenannten Sehnenreflexe dadurch _ erklären, dass die aponeurotischen Nervenfasern bei der Sehnenerschüt- ‚ terung an der Uebergangsstelle vom Muskel in die Aponeurose gezerrt werden. Es fragt sich nun: ob nicht auch gewisse Spannungen der Apo- neurosen, bei denen die darin enthaltenen Nervenendigungen mechanisch gereizt werden, zur Zusammenziehung oder vielmehr zu Tetanus des be- tregenden Muskels führen können? Mit anderen Worten: ob der Muskel- ‚ tonus nicht durch eine gewisse Spannung des Muskels veranlasst wird? Auf Grund der Untersuchungen von Heidenhain, Hermann und s0 S. TscHIRJEw: anderen wird die Existenz des Tonus quergestreifter Muskeln von vielen Physiologen geleugnet. Dem gegenüber stehen ziemlich isolirt Brond- geest und E. Cyon, indem dieser letztere sowohl die Existenz eines” reflectorischen Muskeltonus, als auch die Thatsache der Verlängerung - des Froschmuskels nach der Durchschneidung der hinteren Wurzeln auf- rechterhält. Alle hierher gehörigen Beobachtungen waren bis jetzt fast aus- schliesslich an Froschmuskel nangestellt und dazu noch zuweilen an dem kurzfaserigen Gastroknemius. Dadurch erklärt es sich, warum die hier” in Rede stehende kleine Verlängerung der Muskeln nach Nervendurch- schneidung — eine der Grundthatsachen, auf der die Annahme des Muskeltonus basirt — nicht von allen Beobachtern constatirt werden konnte. Man musste also ein anderes mehr geeignetes Object für diese Ver- suche suchen. Die an die Patella angeheftete Muskelgruppe des Kanin-° chens bietet die gewünschte Gelegenheit. Versuche, welche ich in dieser’ Richtung angestellt habe, führten zu Ergebnissen, die ich hier mit- theilen will. Ein Theil dieser Versuche wurde noch in Hrn. E. du Bois-Rey- mond’s neuem physiologischen Institute in Berlin durchgeführt; der andere in Hrn. Marey’s Laboratorium im College de France in Paris. Die Versuchsanordnung und der Versuchsverlauf waren folgende. Bei einem mit 0-.02—0.04®°% einer ziemlich starken Dosis Morphium narkotisirten und auf dem Rücken befestigten Kanin- chen wurde der eine N. cruralis auf einen Faden genommen. Der Nerv wurde oberhalb des Lig. Poupartii vor seiner Verästelung aufgesucht. Sowohl die Präparation des Nerven, als auch das Durchziehen des Fadens wurden mit möglicher Schonung des Nerven ausgeführt. Diese Rück- sicht war hier von besonderer Wichtigkeit. Es genügt nämlich, den N. eruralis mit der Präparirnadel etwas stark in die Höhe zu heben, oder ohne Vorsicht unter ihm einen Faden durchzuziehen, damit das Kniephänomen zu erscheinen aufhöre.! Dieses Aufhören wird durch Verletzung der centripetalen Nervenbahnen bedingt. Es musste also nach der Präparation jedesmal das Kniephänomen auf der entsprechenden 1 S. meine oben angeführte Arbeit: Ueber das Kniephöänomen. TONUS QUERGESTREIFTER MUSKELN. 31 Seite geprüft werden. Nur im Falle seines Vorhandenseins wurde der Versuch weiter fortgesetzt. Darauf wurde die Patellarsehne durch einen Hautschnitt hlossgelegt, und an ihrem Ende, nahe der Tibia, ein starker Faden durch zwei- maliges Durchziehen durch die Sehne und Umbinden gut befestigt. Nachher wurde die Sehne sowohl von der Tibia, als auch vom Knie- selenk getrennt. Es war von grosser Wichtigkeit bei diesen Versuchen, jede Lage- veränderung des Oberschenkels unmöglich zu machen. Dies erzielte ich einerseits durch eine vollständige Streckung des Thieres, andererseits durch eine vollkommene Befestigung des Unterschenkels. Die letztere wurde auf folgende Weise zu Stande gebracht. Das untere Ende des Unterschenkels wurde an das Brett festgebunden, unter dem Knie ein Holzstück gelegt und mittels einer starken Schnur, die um das Knie- gelenk einen Knoten bildete, letzteres stark gegen das Brett gezogen. Dadurch wurde jede seitliche sowohl als verticale Verschiebung des Knie- gelenkes vollständig verhindert. Der Versuch zeigte, dass die auf diese Art der Befestigung gesetzte Hoffnung vollständig berechtigt war. Wurde der an der Patellarsehne angebundene Faden mit dem Hebel eines Myographions verbunden und tief man in der Quadricepsgruppe auf reflectorischem Wege oder durch directe Reizung des N. cruralis oder der Muskeln eine Zuckung hervor, so kehrte die zeichnende Spitze des Hebels nach der Zuckung genau auf die frühere Abseisse zurück. Dank der Morphiumnarkose traten gewöhnlich während des ganzen _ Versuches keinerlei willkürliche Bewegungen ein; die reflectorische Thä- _ tigkeit war dagegen etwas erhöht. Als Myographion benutzte ich entweder einen langen, durch eine Rolle mit einer Wagschale verbundenen Hebel, oder ein Marey’sches Myographion & transmission, bei dem die Belastung theils durch Span- ‚ nung der in der ersten Trommel eingeschlossenen Feder, theils durch einen Kautschukfaden regulirt werden konnte. Dem Hebel war das ‚ Verhältniss des Abstandes der zeichnenden Spitze von der Hebelaxe zur ‚ Länge des Hebelarmes, auf den die Muskelgruppe wirkte, ungefähr wie , 8.5 zu 1.0 gegeben. Beim Marey’schen Myographion war der Schreibe- | hebel von gewöhnlicher Länge; das Verbindungsscharnier der Trommel _ mit dem Hebel wurde der Drehungsaxe des letzteren möglichst nahe gestellt. Ich brauche kaum zu erwähnen, dass für die vollkommene Stabilität des Myographions und für die Constanz seines Abstandes vom Opera- tionsbrette gesorgt war. Beim Marey’schen Myographion a transmission . war dies sehr einfach, durch die Befestigung der ersten Trommel auf Archiv £. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abtblg. ’ 6 82 S. TscHIRJEW: dem Operationsbrette selbst, zu erreichen. Beim Gebrauch des einfachen Hebels waren sowohl das Operationshrett, als das Myograpkıun am Tische unbeweglich befestigt. Die Verbindung der Patellarsehne mit dem Hebel des Myographions bestand aus einem dünnen, weichen Kupferdrahte, der an die Sehne mittels des daran angebundenen Fadens befestigt wurde. Der Schreibehebel zeichnete an einer rotirenden Trommel mit dem Foucault’schen Regulator. | Endlich Soll noch erwähnt werden, dass vor Anfang des Versuches den Wundrändern eine solche Lage gegeben wurde, dass bei der Durch- schneidung des Nerven jede Manipulation an der Wunde unnöthig war. War alles vorbereitet und die erste Dehnung der Muskeln in Folge der Belastung vorüber, so dass die zeichnende Hebelspitze aut 4 derselben Höhe blieb, so wurde zur Erzeugung einzelner Zuckungen in den Muskeln, meistentheils durch directe Reizung derselben, geschritten. ” War der Erfolg günstig, d. h. kehrte die nehmen Hebelspitze nach ° der Muskelzuckung auf die ursprüngliche Abseisse zurück, so wurde endlich die Durchsehneidung des Nerven ausgeführt. Zur Controle wurde i nachher der peripherische Nervenstumpf einige Male elektrisch gereizt. Nach Durchschneidung des Nerven auf der einen Seite wurde die- ; selbe Operation auch auf der anderen Seite ausgeführt. In den ersten Versuchen, als ich der Stabilität meiner Verbindungen noch nicht ganz traute, schickte ich dieser Operation eine Rückenmarks- durchschneidung auf der Höhe des ersten Lendenwirbels voraus. | | ‘ Ergebnisse und Schlussfolgerungen. | Die Ergebnisse dieser Nervendurchschneidungen waren sehr constant: die Muskeln verfielen gleich nach der Durchschneidung zuerst in einen Zustand tonischer Contraction; dieser liess allmählich nach und am Ende” dehnten sich die Muskeln über ihre ursprüngliche Länge aus. (Taf. ILL Fig. 1 und 2.) Es entsteht also wirklich nach der Durchschnei- dung des Nerven eines belasteten Muskels eine gewisse Vers längerung des letzteren. S Dass diese Verlängerung nicht etwa durch Unzulässigkeit der vg bindungen bedingt war, dafür sprachen schon die Ergebnisse der Rei- zungen der Muskeln oder der Nerven vor und nach der Nervondurch- SALE JE ee er TONUS QUERGESTREIFTER MUSKELN. 33 schneidung. Nach den Zuckungen, die durch diese Reizungen erzeugt waren, kehrte die zeichnende Hebelspitze immer zur ursprünglichen Ab- eisse zurück. Auf Taf. III habe ich zwei auf diese Weise erhaltene Curven wieder- gegeben. Curve A ist vermittelst des einfachen Hebels erhalten, Curve B mit Hülfe des Marey’schen Myographions « transmission. Die Curve A bezieht sich ausserdem auf den Fall, wo das BKückenmark in Höhe des ersten Lendenwirbels vorher durchschnitten war. Man erkennt an diesen Curven die sofort nach der Nervendurch- schneidung eintrefiende tonische Muskelcontraction, welche nur allmäh- lich nachlässt. Man sieht auch, dass am Ende der Contraction die Curve unter der ursprünglichen Höhe herabsinkt, was auf die eingetretene Ver- längerung der Muskeln hinweist. Die Ursache der tonischen Muskel- contraction liest natürlich in dem dauernden Erresungszustande des Nerven in Folge des angelesten Querschnittes. Die Grösse dieser Verlängerung war in verschiedenen Fällen ver- schieden. Sie hing sichtlich von der Belastung des Muskels ab. Zuerst wuchs sie mit der Belastung, dann aber nahm sie ab; so dass bei einer gewissen Stärke der Belastung die Nervendurchschneidung entweder zu gar keiner Muskelveränderung mehr führte, oder nur zu einer ganz un- bedeutenden. Es war mir leider unmöglich genauere Untersuchungen über diese Abhängigkeit anzustellen; ich muss mich diesmal nur mit der einfachen Hinweisung auf diese Abhängigkeit begnügen. Gewöhnlich bekam ich die grösste Muskelverlängerung, wenn die angewandte Be- lastung des Muskels nur unbedeutend diejenige überwog, welche für die genaue Rückkehr des Schreibehebels nach der Muskelzuckung auf die ursprüngliche Abscisse nöthig war. Bei gewissen Spannungsverhältnissen der Muskeln tritt also nach der Nervendurchschneidung eine Muskelverlän- gerung ein. Ehe ich zur Besprechung der physiologischen Bedeutung dieser Thatsache übergehe, will ich noch auf eine interessante Beobach- tung aufmerksam machen, die ich während dieser. Versuche gemacht habe. Vergleicht man nämlich die durch eine einzelne Nervenreizung (einen Oeffnungsinductionsschlag) erzeugten Zuckungscurven der Muskeln vor Durchschneidung der Nerven (Taf. III, Figg. 3 u. 4) mit denen nach der Durchschneidung (Taf. III, Fige. 5, 6, 7), so bemerkt man einen sehr wesentlichen Unterschied. Vor der Nervendurchschneidung verläuft die Zuckungseurve in ihrem absteigenden Theile convex gegen die Abscissen- 1 Die Curve Fig. 7 ist mit einer kleineren Drehungsgeschwindigkeit der Trommel erhalten, als die übrigen. 6 * 54 S. TSCHIRJEW: axe und nähert sich letzterer nur ganz allmählich. Dagegen fällt nach der Nervendurchschneidung die Zuckungscurve steil ab, überschreitet die Abseisse und verläuft noch einige Zeit wellenförmig, wobei jede Welle die Abseisse schneidet. Mit anderen Worten, in dem absteigenden Theile der Zuckungscurve eines vom centralen Nervensystem abgetrennten, belasteten Muskels findet man elastische Schwingungen, was beim Muskel, so lange alle seine Nerven- verbindungen intact bleiben, nicht vorkommt. Da wir nur die Zuckungscurve eines Muskels nach der Nervendurch- schneidung als eine einfache Zuckugscurve betrachten können, so müssen wir eine Zuckungscurve, wie die Curven Figg. 3 und 4, bis zu einem ge- wissen Grade als eine Tetanuscurve auffassen. Der Verlauf des abstei- senden Theiles der Zuckungscurve nach Nervendurchschneidung weist - sehr deutlich darauf hin, dass der Muskel sich noch gewisse Zeit nach ° der Beendigung seiner Contraction in einem tonischen Zustande befindet, ° der nur allmählich nachlässt. Es lässt sich zuweilen in dem absteigenden ' Theile der Curve sogar ein Wendepunkt nachweisen (Taf. III, Fig. 3), der den Anfang dieser tetanischen Contraction sehr deutlich bezeichnet. Es wurde schon früher, nämlich von Hrn. Schwalbe!, an den Froschmuskeln nach lebhaften Contractionen ein Zustand der „lange an- haltenden geringen Contraction beobachtet. Er konnte dieselbe Erschei- nung auch nach Trennung der Muskeln vom Rückenmark constatiren. In Folge dessen suchte er natürlich die Ursache dieser zurückbleibenden Contraction im Muskel selbst, und zwar in dessen veränderten Elasti- eitätsverhältnissen: in dem bleibenden Zustande „vermehrter Blastieität“, Dagegen habe ich niemals nach der vorhergehenden Nervendurchschnei- dung eine einzelne Muskelzuckung, gefolgt von einem derartigen Zustande der anhaltenden Contraction, beobachtet. Abgesehen davon sind die Be- dingungen des Zustandekommens der zurückbleibenden Contraetion, wie auch ihre Dauer, in unserem Falle und in dem von Hrn. Schwalbe so verschieden, dass es kaum einem Zweifel unterliegt, dass es sich hier‘ um Erscheinungen ‚ganz verschiedener Natur handelt. | Dagegen finden wir in einer Mitheilung von Hrn. E. Cyon!, die die er vor zwei Jahren der Pariser biologischen Gesellschaft machte, die Beschreibung ganz analoger Erscheinungen. Er experimentirte an Fröschen und hat denselben Unterschied in dem Charakter der Zuckungscurven 1 Zur Lehre vom Muskeltonus. Untersuchungen aus dem physiologischen Labo- ratorivm zw Bonn. 1865. | 2 Sur la secousse museulaire produite par Pexeitation des racines de la moelle epiniere. Gazette medieale de Paris N. 21, Seance de la Societe de Biologie du 22 Avril 1876. W TONUS QUERGESTREIFTER MUSKELN. 85 eines Muskels gefunden, je nachdem letzteres vom centralen Nerven- systeme getrennt wurde oder nicht. Nur erwähnt er nichts von den elastischen Schwankungen im Falle der vorhergehenden Nervendurch- schneidung. Hr. E. Cyon reizte vor der Durchschneidung nicht den gemischten Nervenstamm, sondern die hinteren oder die vorderen Rücken- markswurzeln. Dabei fand er, dass der Charakter der Zuckungscurve auch im Falle der Reizung nur der vorderen Wurzeln derselbe bleibt, d. h. dass die Curve nach ihrem Maximum nicht sofort zur Abseisse zurückkehrt, sondern nur allmählich sich dieser letzteren nähert. Diese Beobachtung von Hrn. E. Cyon schliesst schon die Möglich- keit aus, den eigenthümlichen Verlauf der Zuckungscurve eines Muskels nach der Nervendurchschneidung durch die Betheilisung einer reflecto- rischen Muskelerregung durch die sensiblen Nervenbahnen zu erklären. Andererseits ist es unmöglich die Ursache dieses Verlaufes der Zuckungseurve im Muskel selbst zu suchen, weil man nach der Nerven- durchschneidung einen ganz anderen Verlauf beobachtet. Es liesse sich meines Erachtens diese Erscheinung folgendermaassen erklären. Nach der Beendigung der Zusammenziehung wird der Muskel durch das ihn belastende Gewicht gedehnt. Diese Dehnung erregt die in der Muskelaponeurose verästelten Nervenfasern und versetzt vermittelst der- selben, auf reflestorischem Wege, den Muskel in einen dauernden Zu- stand tetanischer Contraction, der nur allmählich nachlässt. Jetzt wollen wir wieder zu der oben festgestellten Thatsache der Verlängerung eines belasteten Müskels nach der Nervendurchschneidung _ zurückkehren und eine Erklärung dafür suchen. | Erstens ist klar, dass, wenn nach der Nervendurchschneidung eine | Muskelverlängerung eintritt, der Muskel vorher im Zustande einer toni- ‚ schen Contraction sich hat befinden müssen, bedingt durch seine nervösen Verbindungen mit dem centralen Nervensystem. Mit anderen Worten: es wird dadurch das Vorhandensein eines Muskeltonus bei gewissen ‚ Spannungsverhältnissen in den Muskeln unmittelbar bewiesen. Es handelt ' sich nur darum, eine genügende Erklärung für das Zustandekommen ‚ dieses Muskeltonus zu finden. Gegen die Annahme eines fortwährenden centralen Tonus quer- sestreifter Muskeln im Sinne von J. Müller, R. Remak und Brond- ‚ geest, bedingt durch eine fortwährende schwache Innervation aller ‚ Muskeln vom Centrum aus, sei’s dass letztere automatischer oder reflecto- ‚ rischer Natur sei, sprechen einige physiologische und pathologische Be- ‚ obachtungen. Es ist bekannt, dass die Muskeln bei der Annäherung ‚ ihrer Ansatzpunkte, welche durch eine gewisse Stellung der Glieder er- 36 S. TSCHIRJEW : zielt wird, ganz erschlafft werden. Dies kann sowohl am Menschen, und zwar am besten an den Flexoren des Armes und des Öberschenkels, beobachtet werden, als auch an Thieren. An einem auf den Rücken fixirten Kaninchen lässt sich beispielsweise die Erschlaffung gewisser Muskeln des Oberschenkels sehr schön beobachten. Daraus folgt, dass > die Muskeln in einem intacten Organismus nicht fortwährend in teta- nischer Contraction sich befinden, — dass die Intactheit der nervösen Verbindungen des Muskels mit Nervencentren allein für das Zustande- kommen dieser Öontraction noch nicht genügt. Es müssen die Muskeln noch bis zu einem gewissen Grade gespannt werden. Andererseits beob- achtet man an Tabischen in einem gewissen Stadium der Krankheits- ° entwickelung eine vollständige Erschlaffung der Musculatur der Extre- ” mitäten, wobei sowohl die willkürliche Innervation dieser Musculatur, ° wie auch die Hautsensibilität intact sein kann. Hier sind die centri- ” fugalen nervösen Verbindungen der Muskeln mit den Nervencentren sichtlich erhalten; auch die erhaltene normale Stärke der willkürlichen 5 Muskelcontractionen spricht zum Theil für die normale Erregbarkeit der motorischen Bahnen, und doch besteht kein Muskeltonus. Endlich sprechen die Fälle hochgradiger Ataxie ohne jede Sensibi- litätsstörung (Friedreich, Cyon, Eulenburg) und vollständiger spi-' naler Anästhesie ohne Ataxie! (Späth, Schüppel) sowohl als die’ Fälle beiderseitiger hysterischer Anästhesien ohne jede Muskelerschlaffung ” gegen die Annahme eines reflectorischen Muskeltonus, bedingt durch die’ Summe der Erregungen, welche das Rückenmark von der ganzen Körper- oberfläche mittels der sensiblen Nervenbahnen erhält. In diesen Fällen beobachtet man bei vollkommenem Verluste der Sensibilität keine Spur von irgend einer Muskelerschlaffung, und umgekehrt. Die Hautreflexe verhalten sich bei Tabischen nach den klinischen Beobachtungen meisten- theils ebenso wie bei Gesunden; mindestens haben die vorkommenden Störungen in dieser Beziehung nichts Charakteristisches für diese Krankheit. ° Dagegen finden alle bisherigen physiologischen sowohl als patho- logischen Beobachtungen ihre Erklärung, wenn man einen reflectorischen Muskeltonus, bedingt durch die Erregung der aponeurotischen Nerven- fasern, annimmt. Die Erregung wird nur bei einer gewissen Spannung h der Muskelaponeurosen hervorgebracht. Nach dieser Auffassung muss” man annehmen, dass es zwar keinen Muskeltonus im alten Sinne giebt, dass aber die quergestreiften Muskeln des Organismus. ! Da die Ataxie bei Tabischen niemals ohne Muskelerschlaffung beobachtet wird, so muss jedesmal, wenn man von soleher Ataxie spricht, eine Muskelerschlaffung® vorausgesetzt werden, und umgekehrt. j TONUS QUERGESTREIFTER MUSKELN, 87 nur bei gewisser Spannung in eine tonische Öontraction ver- fallen, die bei sonst gleichen Bedingungen so lange dauert, wie die Muskelspannung. Die obenangeführte Muskelerschlaffung, welche man an den Muskeln eines unversehrten Thieres bei Annäherung ihrer Ansatzpunkte beob- achtet, wird jetzt nicht nur verständlich, sondern man kann sie auch als Beweis für eine derartige Entstehung des Muskeltonus betrachten. Alle anderen erwähnten Fälle, welche sich auf Tabische oder Hyste- rische beziehen, erklären sich auch ganz einfach entweder durch Zer- störung der Verbindungsbahnen zwischen den aponeurotischen und moto- rischen Nervenfasern der Muskeln, worauf das Aufhören der Sehnen- reflexe hinweist, oder, bei Intactbleiben derselben, durch vollständige spinale Anästhesie ohne Ataxie. Die grosse physiologische Bedeutung eines reflectorischen Tonus quergestreifter Muskeln in unserem Sinne für die Mechanik unserer willkürlichen Bewegungen springt in die Augen. 1) Es wird dadurch bei den Muskelbewegungen eine Erscheinung vermieden, welche dem todten Gange der Maschine zu vergleichen wäre. 2) Es werden die elastischen Schwankungen, die sonst nach jeder Muskelcontraction eintreten würden, verhindert. Denn wir sehen oben, dass nach Abtrennung des Muskels vom centralen Nervensystem jeder Muskelcontraction elastische Schwankungen um die Abseisse folgen. Endlich kann man die Möglichkeit einer feineren Abstufung unserer willkürlichen Bewegungen als Ergebniss der beiden ersten Momente be- trachten. Es scheint beim ersten Anblick, dass diese Abstufung willkür- licher Bewegungen ihre volle Erklärung in der Natur der normalen Erresungen vom Grosshirn aus und in dem elastischen Widerstande der Muskelantagonisten finden könnte. Allein gegen die ausschliessliche Ab- hängigkeit der feineren Abstufung nur von diesen Momenten spricht die bekannte specifische Ataxie der Tabischen, nämlich die schwankenden Bewegungen der Extremitäten um den Zielpunkt. Diese Ataxie ist bei aller möglichen Variation der übrigen pathologischen Erscheinungen immer an die beiden folgenden geknüpft: Abwesenheit der sogenannten Sehnen- reflexe in der entsprechenden Muskelgruppe und Erschlaffung der Mus- eulatur; die sensiblen Nervenbahnen können dabei intact sein. Mit an- deren Worten, es tritt diese Ataxie jedesmal ein, wenn die reflectorische Muskelerregung, in welcher der Grund des Tonus unserer Ansicht nach liegt, in Folge der Verletzung der betreffenden Nervenbahnen unmöglich wird. Da die centrifugalen Nervenbahnen der Muskeln sowohl als der elastische Widerstand der Antagonisten dabei unverändert bleiben können, 88 S. TSCcHIRJEW: so ist klar, dass die Intactheit der nervösen Verbindungen des Muskels, 7 durch welche für das Eintreten einer tonischen Contraction in Folge der ° Müskeldehnung gesorgt wird, für die normale Abstufung’ und Präcision willkürlicher Bewegungen unbedingt nothwendig ist. | Diese peripherische Regulirung der Bewegungen liesse sich auf fol- sende Weise erklären. | Wenn man irgend eine Muskelgruppe innervirt, so nimmt bei den normalen Bedingungen der Tonus der Antagonisten in Folge ihrer ° orösseren Dehnung zu. Dadurch wird ein viel grösserer Widerstand seitens der Antagonisten geleistet und in Folge dessen wird einerseits der zu bewegende Hebel in seiner Excursion stärker gehemmt, seine ° Bewegung verliert den Charakter einer werfenden Bewegung; anderer- ° seits werden die elastischen Schwankungen an der Höhe der Contraction, wie wir es an den vom centralen Nervensystem abgetrennten Muskeln beobachten, verhindert. Wäre der Widerstand der Antagonisten nur von ° ihren elastischen Kräften abhängig, so müssten auf der Höhe der ge- wollten Contraetion unbedingt elastische Schwankungen eintreten. Be- ° steht dagegen ein Theil des Widerstandes der Antagonisten in ihrer ° tonischen Contraction, so können keine elastischen Schwankungen ein- treten, weil bei jeder Verkürzung der Antagonisten ihr Tonus und also ° auch ihr Widerstand abnehmen müsste, wodurch jede eintretende elasti- ° sche Verkürzung sofort eine Verlängerung nach sich ziehen würde u.s.w. Auf diese Weise müssen die elastischen Schwankungen auf ein Minimum reducirt werden. Bei den Tabischen, bei welchen die Degeneration der centralen ° Enden centripetaler Nervenfasern der Muskeln, oder ihrer Verbindungs- bahnen mit den motorischen Ganglien schon so weit vorgeschritten ist, dass eine gewisse Erschlaffung der Musculatur, beispielsweise der unteren Extremitäten, eingetreten ist, bekommen die Bewegungen einen werfenden Charakter und es entstehen diese bekannten schwankenden Bewegungen um den Zielpunkt, wenn man den Kranken auffordert, sein Bein bis zu einem gewissen Punkte in die Höhe zu heben und in dieser Lage zu fixiren. Diese Bewegungsstörungen hängen sichtlich nur vom Verlust dieser peripherischen Regulirung ab und können nicht etwa als ataktische Bewegungen in eigentlichem Sinne (in Folge der Innervationsstörung) angesehen werden. Paris, im November 1878. TONUS QUERGESTREIFTER MUSKELN. 89 Erklärung der Tafel. Die Bedeutung der Curven ist im Texte angegeben. Der Pfeil zeigt die Rich- tung, in welcher die Curven aufgeschrieben wurden. | Die Buchstaben D auf den Figg. 1 und 2 bezeichnen die Momente der Nerven- ' durchschneidungen. | Der Raumersparniss halber sind die Curven Figg. 1, 2 und 4 nicht in ihrer ganzen Länge dargestellt, sondern jede in zwei Stücke getheilt. Das Stück cd jeder Curve bildet die Fortsetzung der ersten Curvenhälfte «5b und ist unter der Berücksichtigung der Abstände seiner Punkte von der Abseisse über einer und der- selben Linie als Abscisse mit dem Stücke ab aufgetragen. Die Anfangspartien der Curven bis zu den Momenten der Zuckungen (a4, , «Bu.s.w.) bezeichnen die anfängliche Lage des Schreibehebels, welche also der ‚ ursprünglichen Muskellänge (vor der Nervendurchschneidung oder vor der Zuckung) ‚ entsprach. In Folge dessen drückt der Unterschied zwischen der Entfernung der Anfangspartie der Curve und der Entfernung der niedrigsten Punkte des Curven- stücks ed von der Abscisse die eingetretene Veränderung der Muskellänge aus. Der horizontale Verlauf der Curve A bei ihrer maximalen Erhebung (x) rührt ‚ von dem Anschlagen des Schreibehebels an eine Arretirungsvorrichtung her. Zur elektrischen Reizung des Froschgehirns. Von Leon Krawzoff aus Jekaterinoslaw und Dr. Oscar Langendorff. Aus dem physiologischen Institut zu Königsberg. Der Eine von uns! hat vor etwa zwei Jahren mitgetheilt, dass es gelingt, auch beim Frosche durch galvanische oder faradische Reizung des Grosshirns contralaterale Bewegungen auszulösen. In der weiteren Verfolgung dieses Gegenstandes konnten wir im Wesentlichen die damals gewonnenen Resultate bestätigen und erweitern. , Es gelang uns zwei distinete Gebiete als Centren für die vordere) und für die hintere Extremität der entgegengesetzten Seite festzustellen, , welche beide in den parietalen oder temporalen Abschnitt der Hemi-‘ sphäre fallen, von denen aber das erstgenannte mehr ventral- und oral-- wärts, das letztere mehr dorsal- und caudalwärts gelegen ist. Das eine legt man am bequemsten durch Wegnahme des Schädeldaches, das an-- dere durch Entfernung der Schädelbasis frei. Die ausführliche Darlegung unserer Versuche ist hier nicht unsere Absicht; sie soll an anderer Stelle erfolsen.”® Wir wollen hier nur der Resultate erwähnen, die wir durch zeitmessende Versuche in Betreff der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Reizes in centralen Theilen gewonnen haben. 1! Langendorff, Ueber die electrische Erregbarkeit der Grosshirnhemisphären beim Frosche. Centralblatt f. d. med. Wissenschaften. 1876. Nr. 53 und Berliner‘ klinische Wochenschrift 1877. 8. 607. (Sitzungsber. d. Vereins f. wissensch. Heil- kunde zu Königsberg i. Pr.) a 2 Sie wird den Gegenstand der demnächst erscheinenden Inaugural-Dissertatiom von Krawzoff bilden, W ZUR ELEKTR. REIZUNG U. $. w.: L£oON KRAWZORFF U. OÖSCAR LANGENDORFE. 91 Solche Versuche sind bisher nur von Schiff und von Francois Franck angestellt worden. Schiff!, der sich drei verschiedener Methoden bedient hat, findet die Zeit, welche verfliesst vom Eintritte des electrischen Reizes in das Grosshirn bis zum Beginne der Gastroknemiuszuckung 7— 11 mal länger, als wenn die ganze durchlaufene Strecke aus einer mit der Fortpflanzungs- seschwindigkeit des N. ischiadicus begabten Substanz bestanden hätte. Darin sieht er einen neuen Beweis für seine Anschauung, nach welcher es sich bei der Reizung der sog. psychomotorisshen Centren nur um Reflexe handelt. Franck und Pitres? finden nach der graphischen Methode die oesammte Latenzzeit („Totalverzögerung“) = 0.065 Secunden; für die Uebertragungszeit von der Hirnrinde bis zur Ursprungsstelle des Nerven im Rückenmark berechnen sie daraus einen Werth von etwa 0.045”. Wir haben an Fröschen ähnliche Untersuchungen nach zwei ver- schiedenen Methoden gemacht: 1. nach dem gewöhnlich angenommenen graphischen Verfahren, bei welchem erst das Gehirn, dann bei demselben Stande der Trommel der Ischiadieus gereizt wurde; 2. nach einer zweiten graphischen Methode, bei welcher nur das Gehirn oder nur der Ischiadieus gereizt, und bei der durch eine Wippe mit Quecksilbercontaet in dem gleichen Momente der reizende Strom geschlossen und ein reizmarkirender Strom geöffnet wurde. Der letztere setzte ein Signal Deprez? in Thätigkeit. In beiden Fällen verzeichnete während der Reizung eine Stimmgabel (#12 VD) die Zeit. Beide Versuchsreihen, obwohl nicht nur nach verschiedenen Metho- den, sondern auch zu sehr verschiedenen Jahreszeiten (Frühjahr und Spätherbst) ausgeführt, gaben im wesentlichen übereinstimmende Re- sultate. Nach der ersten Methode, bei welcher also die Zeit bestimmt wurde, die vom Einbruch des Reizes in’s Gehirn bis zum Austritt desselben aus dem Rückenmark verfloss, erhielten wir in fünf Versuchsreihen (deren Einzelresultate theils vollkommen übereinstimmten, theils im Mittel be- rechnet sind) folgende Zeitwerthe: ı M. Schiff: Appendiei alle lezioni sul sistemo nervoso encefalico. 1873 p- 529 ff. 2 Franegois-Franck: L’analyse experimentale des mouvements provoques par lexeitation ete. Gaz. des höpit. 1877. Nr. 149, 3 Vgl. Marey, Le methode graphique ete. p. 478. 92 Lton KRAWZOFF U. OSCAR LANGENDORFEF: 0-0351 Secunden 0.0832 5 0.039 i Basen 0.030 Y Im Mittel also 0-036 Secunden. Man kann ganz ähnliche aber gleichseitige motorische Wirkungen, wie bei Reizung der Grosshirnhemisphäre erhalten, wenn man einen Rückenmarksquerschnitt (dicht unter der Med. oblongata) mit sehr feinen Elektroden und sehr schwachen Strömen reizt." Wir bestimmten auch für eine solche Reizung die Uebertragungszeit und fanden sie zu 0:0173”; der elektrische Reiz braucht also allein für den kaum 1°% langen Weg durch das Gehirn nahezu 0-02 Secunden. Nach der zweiten Methode wurden sieben Versuchsreihen angestellt. Es handelte sich hier um die Zeit zwischen Reizmoment und Muskel- zuckung. (Wir benutzten den M. triceps femoris Ecker, dessen Sehne mit einem Marey’schen Myographion in Verbindung stand.) Wir erhielten folgende Mittelwerthe: 0.0488 Secunden 0.0566 = 0.0609 " 0-0476 0-0507 iX 0-0546 H, 0.0488 Im Gesammtmittel somit 0-0525 Secunden. Zieht man davon den Werth ab, den wir als Mittel mehrerer Ver- suchsreihen gewannen für die Zeit, die vom Eintritt des Reizes in den | Plexus ischiadieus bis zur Muskelzuckung verfliesst, nämlich 0-015% , so erhalten wir als Zeitwerth für die cerebrospinale Leitung allein 0.0375”, | ein Resultat, was mit dem oben gewonnenen ziemlich gut stimmt. # 1 Die viel discutirte Frage von der directen elektrischen Erregbarkeit der’ motorischen Theile des Rückenmarkes ist durch die Hitzig’schen Versuche an der Hirnrinde sicher in ein neues, für ihre Bejahung günstiges Stadium getreten. Nach unseren eigenen, allerdings wenig zahlreichen, aber mit den erforderlichen Cautelen vorgenommenen Versuchen müssen wir uns für die direete Reizbarkeit are | | | ' \ | ZUR ELEKTRISCHEN REIZUNG DES FROSCHGEHIRNS. 93 Wir sind somit zu sehr ähnlichen Werthen für die Uebertragungs- zeit gelangt, wie Franck und Schiff. Wenn letzterer aber aus der langen Dauer derselben schliesst, dass es sich um Reflexbewegungen handle, so können wir uns nur der Ansicht anschliessen, die bereits v. Wittich bei Gelegenheit eines Referates über die Schiff’sche Mit- theilung! geäussert hat, dass es sich nämlich auch bei der Reizung der Hirnrinde jedenfalls um mehrfache Ueberleitungen in verschiedene Oen- tralapparate handle, deren Verzögerungen sich einer jeden auch nur ungefähren Schätzung entzögen. Wir sind zudem im Stande, eine Anzahl von Beobachtungen anzu- führen, nach denen uns die fernere Annahme, dass es sich um einfache Reflexe handle, völlig unhaltbar erscheinen muss. Da es nicht unsere Absicht ist, hier dieser Streitfrage näher zu treten, sei nur folgender oft wiederholter Versuch erwähnt: ? Wenn man einem Frosche, der auf Reizung der Hirnsphären prompt mit Bewegungen antwortet, eine kleine Menge Aether unter die Haut spritzt, so verliert sich im Verlauf einer bis mehrerer Minuten (je nach der Aetherdosis) die elektrische Erregbarkeit des Grosshirns vollständig. Zu gleicher Zeit sind aber die Reflexbewegungen noch sehr lebhaft: das Lid schliesst sich bei Berührung der Cornea, das Bein wird kraftvoll zurückgezogen, wenn man es kneift; auch die Athembewegungen sind noch erhalten. Wenn es sich um Reflexe von einem sensiblen Kopfnerven aus (vom Trigeminus wäre zu vermuthen) handelt, warum erlischt dann der Reflex auf die Extremitäten, während der auf die Augenmuskeln persistirt, zumal anderweitig die Extremitäten reflectorisch noch erregt werden können? Unser Versuch schliesst sich an eine Mittheilung von Hitzig an, nach welcher bei Hunden in der Aethernarkose die Erregbarkeit der Hirnrinde noch fortdauern kann, wenn die Reflexe bereits erloschen sind. In unseren Versuchen am Frosche war das Gegentheil der Fall — eine gewiss merkwürdige Differenz in dem Verhalten zweier verschiedener Thierklassen gegen dasselbe Gift. Schiff hinwiederum sah bei ätherisirten Hunden die Reflexbemerkungen wiederkehren, ohne dass die Unerreg- barkeit der Hirnrinde aufhörte (a. a. Q.) | 1 Jahresbericht der gesammten Mediein, herausgeg. von Virchow und Hirsch 1874. Bd. I, S. 268. 2 Die Beobachtung ist bereits im Jahre 1876 dem Vereine für wissenschaft- liche Heilkunde in Königsberg mitgetheilt worden. 94 ZUR ELEKTR. KEIZUNG U. 8. w.: Lion KRAWZOFF U. ÜSCAR LANGENDORFF. Nachsehrift. Nach Abschluss dieser Mittheilungen finde ich, dass bereits 8. Exner! ähnliche Versuche, wie wir, am Frosche angestellt hat. Er’ reizt das Grosshirn mechanisch und bestimmt die Zeit, die vom Ein- bruche des Reizes bis zum Eintritt der Muskelzuckung verfliesst. Aus neun „guten“ Versuchen berechnet sich diese Zeit zu 0.0512” im Durchschnitt. 4 Das stimmt mit dem Resultate unserer zweiten Versuchsreihe an- nähernd überein. | Indessen kann ich den Verdacht nicht unterdrücken, dass es sich nur um Reflexbewegungen- gehandelt habe. Ich selbst fand mechanische Reizung niemals wirksam, und Exner muss, um sicher auf jeden Reiz eine Zuckung zu erhalten, die Thiere mit Strychnin vergiften. Exner selbst scheint seinen Versuchen gegenüber in dieser Beziehung nicht ohne Zweifel gewesen zu sein. ! Exner, Experimentelle Untersuchungen der einfachsten psychischen Pro- cesse. 2. Abhandlung. Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. VIII, S. 532. O0. Langendorff. Ueber die Entstehung der Verdauungsfermente beim Embryo. Von Dr. Oscar Langendorff. Aus dem physiologischen Institut in Königsberg in Pr. Während der Erforschung der morphologischen Verhältnisse des Thierkörpers die Anwendung der entwicklungsgeschiehtlichen Methode die grössten Dienste geleistet hat, ist bisher die Physiologie, obwohl durch Darwin deutlich genug auf diese Bahn gewiesen, einer (in diesem Sinne) genetischen Untersuchungsweise ziemlich fremd geblieben. Naturgemäss zerfällt eine solche, die Entstehung der Functionen in’s Auge fassende Untersuchung in einen phylogenetischen und einen ontogenetischen Theil. Das erstere Gebiet, das der vergleichenden Phy- siologie, ist das bisher fast allein bebaute.! Für die zweite, die ontoge- netische Untersuchung ist noch Alles zu thun. Selbst die Seite, von der man eine solche am leichtesten unternehmen konnte, die Embryo- chemie, hat nur hin und wieder Bearbeiter gefunden. Die hier mitzu- theilenden Untersuchungen enthalten Vorstudien zu einer Entstehungs- geschichte der Verdauungsfermente. | Ich habe durch diese seit zwei Jahren fast ununterbrochen fort- gesetzten Versuche freilich wenig mehr gewonnen, als eine trockene Statistik über die Zeit des ersten Auftretens dieser Körper; indessen sollte ich meinen, dass, wenn es gelingt, auch die Erscheinungszeiten anderer, für die Kenntniss des Stoffwechsels wichtiger Stoffe (des Glyco- gens, des Harnstofis u. a. m.) festzustellen, man dereinst im Stande sein wird, das Auftreten der verschiedenen Stoffwechselproducte in einen 1 Vgl. besonders die interessanten aus dem Heidelberger physiologischen Labo- ratorium hervorgegangenen Untersuchungen über die Enzymonbildung niederer Thiere. 96 OSCAR LANGENDORFF: causalen Zusammenhang zu bringen und dadurch dem Modus ihrer Entstehung näher zu kommen. | An neugeborenen Thieren und Menschen sind bekanntlich bereits Untersuchungen über die Existenz der Verdauungsfermente von Zweifel und von Anderen angestellt worden; über die Fermente des Embryo liegen nur wenige Mittheilungen, meistens gelegentliche Notizen, vor. Literatur. Elsässer: Die Magenerweichung der Säuglinge. 1846. 8. 72. „Die Magenschleimhaut ist unter den genannten Bedingungen stets fähig, verdauend zu wirken, möge sie aus einem gesunden, jungen oder’ alten, oder aus einem durch Krankheit heruntergekommenen Körper (selbst wenn die Verdauung im Leben sehr geschwächt oder Wochen lang auf ein Minimum redueirt war), oder selbst aus einem Foetus stammen. Ich habe wenigstens die Magenschleimhaut von todtgeborenen Kindern mit Erfolg zur künstlichen Verdauung von Mägen selbst oder von Darmstücken, Eiweiss angewendet. Nur ist bei Foetusmägen oder nach langwierigen Krankheiten, sowie in ganz nüchternen Mägen die’ peptische Kraft merklich schwächer als sonst.“ Claude Bernard: Memoire sur le Pancreas. 1856. S. 425. „La secretion du suc pancreatique parait avoir lieu, de m&me que) celle de la bile, avant la naissance; nous verrons, en effet, que dans les matieres intestinales des foetus on peut constater, dans certains cas, a caracteres du suc pancreatique d’une maniere evidente.“ Die wichtigsten Angaben rühren her von Aweifel: Untersuchungen über den Verdauungsapparat der Neus geborenen. 1874. (Hier sind auch die früheren Ancaben von Schiffer, Ritter, Korowin mitgetheilt, die sich auf die Speicheldrüsen oder vielmehr den Speichel neugeborener Kinder beziehen). Zweifel selbst findet beim neugeborenen Menschen von den Speichel- drüsen nur die Parotis ptyalinhaltig; Submaxillardrüse und Pankreas entbehren als diastatischen Fermentes bis zum Ende des zweiten Monats; die Magenverdauung ist schon beim Neugeborenen intensiv und constant vorhanden; im Pankreas ist Trypsin und der Fette zerlegende Korn nachweisbar. ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM EMBrRYo. 97 Von jüngeren Embryonen hat Zweifel einen dreimonatlichen und einen viermonatlichen untersucht; bei beiden fehlten die Mundspeichel- fermente; bei den letzteren fand sich in der Magenschleimhaut kein Pepsin. Hammarsten: Beobachtungen über die Eiweissverdauung bei Neu- geborenen u.$. w. In: Beiträge zur Anatomie und Physiologie, als Fest- gabe für Carl Ludwig. 1874. S. OXVI. Die Arbeit erschien ungefähr gleichzeitig mit der Zweifel’schen. Hammacher fand bei Hunden im Magen während der ersten Woche fast gar kein Pepsin vor; während der zweiten Lebenswoche fängt es an, in merklicher Menge zu erscheinen; erst nach drei bis vier Wochen wird der Pepsingehalt der Masenschleimhaut beträchtlich. Das Pankreas enthält schon bei neugeborenen Hunden ein eiweiss- lösendes Ferment. Wichtig ist der Nachweis, dass nicht alle Thiere desselben Alters gleiche Pepsinmengen besitzen. — Aehnlich sind die Verhältnisse bei saugenden Katzen. Beim Kaninchen dagegen ist die Gesetzmässigkeit geringer. Einmal fanden sich schon am ersten Tage Spuren von Pepsin. Für gewöhnlich treten bedeutende Mengen nach der ersten Woche auf. Trypsin ist auch beim neugeborenen Kaninchen vorhanden. Beim neugeborenen Menschen findet Hammarsten immer Pepsin, doch in sehr wechselnden Mengen; bei einem Sieben-Monats-Kinde, das 14 Tage am Leben erhalten worden war, enthielt die Magenschleimhant Spuren von Pepsin. Grützner: Neue Untersuchungen uber die Bildung und Ausscheidung des Pepsins. 1875. S. 30 Grützner giebt an: „il. Der Magen von Embryonen (Schaf, Rind, ale, Hund) ent- hält geringe Spuren von Pepsin, aber keine Säure. | 2. Die Menge des Pepsins steigt mit der fortschreitenden Entwicke- | luns, und es enthält natürlich auch 3. der Magen des eben geborenen Thieres und Menschen Pepsin.“ | Moriggia: Ueber Verdauungsvermögen und Verdauungsvorgänge beim Fötus. Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere; herausgegeben von Jac. Moleschott. B. XI. 1876. S. 455. Ib Oh Moriggia weist nach, dass bei Rindsembryonen bereits gegen Ende | des dritten Fötalmonats das Vermögen der Magenverdauung auftritt und Iı | sich von da ab mit der ferneren Entwickelung des Fötus allmählich steigert. | Archiv f. A. u. Ph. 1379. Physio]. Abthlg. 7 I un 98 OSCAR LANGENDORFF: Moriesia meint, dass der Magen des Fötus schon verdauend thätig ist. Den Inhalt des Labmagens findet er fast immer leicht sauer: reagirend. Wolffhügel: Ueber die Magenschleimhaut neugeborener Säugethiere. Zeitschrift für Biologie. B. XII. 1876. 8. 217. Wolffhügel findet weder bei 90”"” langen Kaninchenembryonen (eine Untersuchung), noch bei 95 bis 100” langen neugeborenen Ka- ninchen (zwei Untersuchungen) Pepsin vor. Beim Hunde treten nach Wolffhügel die ersten Spuren von Pepsin erst 12 bis 43 Stunden nach der Geburt auf; die Menge des Fermentes ist aber selbst nach fünf Tagen noch zur Verdauung von gekochtem Fibrin unzureichend. (Eine Untersuchung). Die Säurebildung tritt be- reits früher auf. Ich selbst habe im Ganzen 377 Embryonen und Neugeborene unter- sucht. Diese ansehnliche Zahl verliert aber an Bedeutung, wenn ich hinzufüge, dass ich, besonders wenn es sich um jüngere Früchte handelte, meistens mehrere derselben (gewöhnlich einen Wurf) zusammen in "Angriff | senommen habe. Das am meisten zur Verwendung gekommene Thier war das Schwein. Die 289 Exemplare dieser Thierspecies bilden eine fast lückenlose Reihe. Da die Menge des Materials von vornherein eine sanz vollständige Berücksichtigung aller Fermente ausschloss, habe ich mein Augenmerk allein auf das Pepsin, auf das Trypsin und auf das Pankreatin (wie ich das diastatische Ferment des Pankreas zu nennen in einer früheren Arbeiig j vorgeschlagen habe) gerichtet. Die Untersuchung auf Pepsin geschah entweder 1. durch mehrstündige Extraction der Magenschleimhaut mit 0-1 bis 0-2 procentiger al und Zusetzen des Extractes zu gut aus- gewaschenem, rohem Blutfaserstoff; oder 2. durch Hinzufügung der fein zerkleinerten Magenschleimhaut zu gut gequollenem Fibrin (eine sichere und meistens schnell zum Ziele‘ führende Probe); oder d 3. durch S— 14tägige Extraction der entwässerten oder frischen Schleimhaut mit Glycerin und Hinzufügung des Extractes zu gequol- lenem Fibrin. ÜBER DIR ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM EMBRYO. 99 Die Prüfung geschah stets bei Körperwärme im Wasserbad. Ge- wöhnlich wurde ein Controlversuch mit gequollenem Fibrin (mit HCl) zu gleicher Zeit angestellt. In vielen, besonders in allen zweifelhaften Fällen, wurde die Verdauungsflüssigkeit auf Peptone geprüft. War das Material nicht allzu spärlich, so gelangten mehrere der senannten Untersuchungsmethoden gleichzeitig zur Verwendung. Der Pankreatin- Nachweis wurde in der Weise geführt, dass entweder 1. die zerkleinerte und zerriebene Pankreassubstanz direct einem dünnen gekochten Stärkekleister zugefügt wurde, oder dass 2. das wässerige, seltener das Glycerin-Extract der Drüse zur Ver- wendung kam. In ähnlicher Weise, also durch Zusatz der Pankreassubstanz oder ihres Extractes zu Fibrin wnrde auf Trypsin untersucht. In vielen Fällen habe ich den von Heidenhain empfohlenen Zusatz von Na, CO,- Lösung mit Vortheil verwerthet. Standen nur sehr geringe Mengen von Pankreassubstanz zur Ver- füsung, so fügte ich dieselben zur Prüfung auf diastatisches Ferment zur Amylumlösung; war Zucker gebildet, oder war nach 18 — 24 Stunden noch keine Zuckerbildung nachweisbar, so konnte der Rest dieser Ver- dauungsflüssigkeit immer noch gut zur Prüfung auf das Eiweissferment verwendet werden. Umgekehrt darf dagegen, aus naheliegenden Gründen, der Versuch nicht angestellt werden. I. Untersuchungen an Schweinsembryonen. Ich theile zuerst die Versuche an Schweinsembryonen mit. Die _ folsende Tabelle enthält deren Resultate in der Weise, dass die unter- _ suchten Embryonen nach ihrer Grösse in füuf Kategorien getheilt sind. (Gemessen wurde der Abstand vom Scheitel bis zur Analöffnung). Andere Kriterien wie die Grösse habe ich zur Bestimmung des Alters ‚ nicht verwerthen können. Da gleiche Grösse selbst bei derselben Thier- | species nicht immer dem gleichen Entwickelungsstadium entspricht, und | da auch Racenverschiedenheiten in Frage kommen dürften !, ist das freilich 1 Man unterscheidet hier eine einheimische und eine gekreuzt polnisch -eng- N | lische Schweinerace. | U7 100 ÜSCAR LANGENDORFF: ein Uebelstand. Bei dem Mangel ausreichender Angaben über die Ent- wickelung des Schweines! wusste ich ihn aber nicht zu vermeiden. Die Bedeutung der + und — Zeichen ist ohne Erklärung verständlich. Tabelle 1. Kategorie 1. 45-100 "m Körperlänge. Zahl der unter- Zahl der verar- suchten Thiere. beiteten Serien. 130. 16. In 16 Versuchen Pepsin .. 16 — In 7 n Trypsin.. 7 — in 55 Pankreatin 7 — 1mal Spuren (bei 90 "® Länge). 4 Kategorie 2. 100—150”"" Körperlänge. 72 Thiere. 2 'Serien. In 12 Versuchen Pepsin .. 11 — 1 Spuren (120— 135"). Ins) a5 Trypsin.. 3 — (100-135 %2), 4 6+ In 9 " Pankreatin 1 — (100—105"%), 5 + Kategorie 3. 150—200 "® Körperlänge. dl Thiere. 10 Serien. In 10 Versuchen Pepsin ..3 — 3 mal Spuren. a In ur Prypsin 67 1 mal Spuren (150 "®). In N Pankreatin 7 + 1 Selbst die Angaben von C. E. v. Baer, der hier in Königsberg gie \ Gelegenheit zur Untersuchung zahlreicher a unar hatte, geben n geringe Anhaltspunkte. ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM EmBryo. 101 Kategorie 4. 200—250”" Körperlänge. 31 Thiere. 6 Serien. In 6 Versuchen Pepsin .. 4 — 2 nr ® Trypin..5 + 8: Pankreatin 5 + In In SU OT Kategorie 5. 250—500"® Körperlänge. 5 Thiere. 5 Serien. In 5 Versuchen Pepsin .. 1 — 2 mal Spuren. 20 In 5 4 Trypsin..5 + In 5 ni Pankreatin 5 + Aus den mitgetheilten Versuchen gehen folgende Gesetze hervor: 1. Das Pepsin kann in Spuren bereits bei einer Körperlänge von 120— 135 "" auftreten; in grösserer Menge bei Embryonen von einer Länge von 170 — 190”®. Es kann aber noch bei viel älteren Thieren fehlen. (Es fehlte einmal bei einem Embryo, der, bei 280"" Länge, bereits Haare und Zähne besass, vollständig.) In der Mehrzahl der Fälle scheint es kurz vor der Geburt aufzutreten. Gross wird seine Menge im intrauterinen Leben niemals. Anmerkung. Der Mageninhalt, sowie die Schleimhaut selbst fan- den sich beim Schweine niemals sauer — mit einigen wenigen Aus- nahmen, bei denen ich jedoch einer vollkommenen fehlerlosen Unter- suchung nicht sicher bin. Den Mageninhalt bildet bei älteren Embryonen eine reichliche, z. Th. dünnflüssige, gelblichgefärbte, alkalische Kupferlösung kräftig redu- eirende Flüssigkeit; bei jüngeren Embryonen ist der Magen meistens mit einer zähen Schleimmasse angefüllt. Das Contentum enthält niemals Pepsin, auch dann nicht, wenn die Schleimhaut peptisch wirksam be- funden wird. 2. Das Trypsin findet sich constant von einer Körperlänge von 155—150"® an; zuerst nur in Spuren, später in wachsender Menge. 3. Pankreatin erscheint zum ersten Male bei einer Frösse von 90—100””. Bei den über 100” langen Embryonen ist es stets vor- handen; seine Menge wächst im Allgemeinen mit der Körperlänge, und kann bei grossen Embryonen sehr beträchtlich werden (Saccharifieirung von gekochter Stärke in wenigen Minuten). 102 OSCAR LANGENDORFF: II. Untersuchungen an Rindsembryonen. Die Thiere wurden hier einzeln untersucht. Von den Mägen ge- langte meist nur der Labmagen zur Verarbeitung. Sehr bemerkenswerth ist, dass ich in zwei Fällen, in denen die fast wie ein fünfter Magen abgegrenzte Pars pylorica geprüft wurde, auch in dieser Ferment vorfand, obwohl hier von einer Magensaftab- sonderung, folglich auch von einer Imbibition nicht die Rede sein konnte, Die Mägen enthielten eine dünne, überall alkalische, peptisch un- wirksame, Metalloxyd kräftig reducirende Flüssigkeit. Die Magenschleim- haut reagirte (im Vers. 5 und Vers. 7 untersucht) weder auf der Ober- fläche noch in der Tiefe (Zerquetschen zwischen Lakmuspapier) sauer. (Moriggia (a. a. O.) fand dagegen den Inhalt des Labmagens fast immer leicht sauer, und den des Pansens peptisch wirksam). | apeliesil: Grösse in Millimetern. Pepsin. - Trypsin. Pankreatin. 20 — — 2. 165 „ Spuren Spuren — 32a Spuren — 4. 250 „ + + Spuren. 6. 480-500" + e + 7. 540m ee BB AL Aus dieser Tabelle folst, dass: 1. Das Pepsin beim Rinde in Spuren bereits bei 165”" langen Embryonen sich findet. Bei grösseren Thieren ist seine Anwesenheit con- stant und seine Menge bedeutend. 2. Das Trypsin zeigte sich einmal in Spuren bei 165”®=. Sicher r findet man es von 250"” an. % 3. Das Pankreatin tritt bei dieser Länge (250) erst in minimalen ei Mengen auf. Später wird es sehr reichlich. ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM FEMBRYO. 103 III. Untersuchung an Schafsembryonen. Es wurden nur drei Versuche angestellt; bei einem Embryo von 70” Länge fand sich kein Pepsin, kein Pankreatin. Bei zwei 90”" langen Früchten war Pepsin nicht nachweisbar. In Spuren war es bei einem limbryo von 190”® Länge vorhanden. IV. Untersuchung an Kaninchen. Zur Untersuchung gelangten 26 Embryonen verschiedenen Alters (5 Serien), 12 neugeborene (7 Serien) und ein acht Tage altes Kaninchen. Tabelle III. Zahl. Länge. Pepsin. Trypsin. | Pankreatin. | a) Embryonen: DT 2 Spuren 2, 6 ba To u un Spuren — SWR, 70—80 „, + 4 5 Sümm + a, 5 Nahezu ausgetragen E= | 'b) Neugeborene: 6) il Spuren IL — 7) 1 Spuren .n — SR Sofort oder Spuren ne — Sa wenige Stunden + + _ ! nach der Geburt + | 4- — u. 2 + (viel!) + au :o AL Lo) (acht Tage alt) + (viel!) + + Es tritt somit Pepsin wie Trypsin in Spuren bereits bei sehr jungen Embryonen auf; ersteres freilich ist auch bei neugeborenen Kaninchen häufig nur in minimaler Menge “nachweisbar; selten ist seine Quantität beträchtlich. Das Pankreatin fehlt beim neugeborenen Kaninchen und erscheint wahrscheinlich erst im Laufe der ersten Lebenswoche. — In Versuch 5 zeigte der grünlich gefärbte, schleimige, sauer reagirende Inhalt des embryonalen Magens Spuren von peptischer Wirkung auf gequollenes 104 ÜSCAR LANGENDORFF': Fibrin. In Versuch 11 verdaute der Mageninhalt recht kräftig. Da die in Vers. 11 verarbeiteten Thiere bald nach dem Tode untersucht wurden, ist eine Imbibition des Mageninhaltes mit Pepsin aus der todten Schleimhaut unwahrscheinlich. Man wird also annehmen müssen, dass schon im Neugeborenen eine Secretion von Magensaft stattfinden kann. Das Resultat von Vers. 5 ist mir nicht ganz sicher. Saure Reaction wird im Mageninhalt neugeborener Kaninchen (auch wenn derselbe nicht aus Milchcoagulis besteht) niemals vermisst. V. Untersuchung von Ratten. Ich untersuchte 2 neugeborene und 2 zwei bis drei Tage alte Albino- ratten, ferner 6 Embryonen von 45” Länge. In sämmtlichen Versuchen (3 Serien) fand sich Pepsin, Trypsin und Pankreatin war; das erstere und das letztgenannte Ferment (sogar bei den Embryonen) in sehr reichlichen Mengen. Zwei weitere Versuche (mit 9 neugeborenen Albinoratten), bei denen kein Pepsin vorgefunden wurde, glaube ich, weil die Untersuchung nur eine mangelhafte war, unterdrücken zu müssen. Bei 4 drei bis vier Tage alten Exemplaren von Mus decumanus fanden sich alle drei Fermente in reichlicher Quantität. VI. Untersuchung neugeborener Hunde. Es konnten nur drei junge Hunde desselben Wurfes untersucht | werden; der eine am zweiten, der andere am fünften, der dritte am siebenten Tage nach der Geburt. Bei keinem fand sich eine Spur von Pepsin. Doch ist vielleicht wichtig hinzuzufügen, dass der Magen des letztgenannten Thierchens sich im Zustande hochgradigen Katarrhs befand. Weder der Mageninhalt, noch die Magenschleimhaut zeigte saure Reaction. ! Trypsin wurde bei allen drei Thieren gefunden, Pankreatin merkwürdiger Weise nur bei”dem jüngsten. 1 Wenn der Magen bereits Milch enthält, so beweist natürlich saure Reaction des Mageninhaltes nichts für Säurebildung von Seiten der Schleimhaut. Die dies- bezüglichen Angaben Wolffhügel’s und die auf Grund seines Befundes ange- stellten mikroskopischen Untersuchungen sind deshalb theilweise von zweifelhaftem Werthe, ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM EMmBrRyo, 105 VII. Untersuchung neugeborener Katzen. Bei drei neugeborenen Katzen fand ich im Magen nur zweifelhafte Spuren von Pepsin; dagegen enthielt die Bauchspeicheldrüse kräftig wirkende tryptische und diastatische Fermente. Die Mägen waren mit festen, sauer reagirenden Milchcoagulis angefüllt. VIII. Untersuchung von Sperlingen. Bei 10 etwa S Tage alten Sperlingen waren alle drei Fermente in in sehr reichlicher Menge vorhanden. IX. Untersuchung menschlicher Embryonen. Die Untersuchung menschlicher Früchte aus verschiedenen Fötalzeiten musste von ganz besonderem Interesse sein. Durch die Erlaubniss des Hrn. M.-R. Prof. Hildebrandt und durch die liebenswürdige Unterstützung Seitens der Hrrn. Collegen Dahlmann, Münster und Unterberger bin ich in den Besitz von 8 meistens ganz frischen, stets sehr gut conser- virten Embryonen gelangt, deren Alter nicht nur aus dem äusseren Aspect, sondern auch nach den Mittheilungen der genannten Aerzte mit ziemlicher Genauigkeit festgestellt werden konnte. Ich gebe die Versuchsresultate genau nach meinem Tagebuche. Versuch 1. Männlicher Fötus, 124” lang (Scheitel bis After); angeblich aus der 16—17. Woche (was auch mit dem Zustande der Hinter- hauptsverknöcherung [Stud. med. Hagen] gut stimmt). Der Magen enthält eine neutral reagirende, schleimige Masse. Er wird gereinist, zerkleinert und 1'/, Stunde lang mit 0-1°/, HCl extrahirt. Um 3» wird das Extract zu gequollenem Fibrin gefügt, um 4% ist das ‚letztere (bei Körperwärme) vollständig gelöst. N Das Pankreas wird zerkleinert und zerrieben. Ein Theil wird a) mit Wasser und Fibrin um 3b in’s Wasserbad (40° C.) gebracht. ‚Am nächsten Morgen 8% 30” ist nichts gelöst. | Die andere Hälfte | b) wird um 4" 15” zu gekochtem Stärkekleister gefügt. Am nächsten | Morgen 8!/,® ist keine Reduction nachweisbar. ! 1 Die Verdauungsversuche wurden stets im Wasserbad bis 35 —400 C. angestellt. 106 OSCAR LANGENDORFF: Versuch 2.! Männliche Frucht, 135"" lang, angeblich aus dem Anfang des 5. Monats. (Stimmt mit der Hinterhauptsverknöcherung.) Magen: Inhalt spärlich, diekflüssig, neutral. Der Magen wird zerkleinert zu gequollenem Fibrin gesetzt um 5% 45”, Die Verflüssigung beginnt alsbald. Um 6% 30” ist der grösste Theil, um 7» alles gelöst. | Pankreas ae an, a) zu Fibrin um 5% 42% Nachm., bis 8% des nächsten Morgens N nichts verdaut. b) zu gekochtem Stärkekleister um 5» 45” Nachm. Am nächsten Morgen 8!/," kein Zucker nachweisbar. Versuch 3. Am vorhergehenden Tage geborener, sechsmonatlicher Fötus, gut ausgebildet, 180” lang. Magen zerkleinert, a) mit gequollenem Fibrin um 11" 55” ins Wasserbad gebracht Um 12% 40” beginnende Verflüssigung. Um 3°/,® ist alles gelöst. b) Mit HCl 3?/, Stunden lang extrahirt. Das Extract zu gequollenem Fibkrin um 3?/," c) in der Kälte. Um 7* ist ein Theil gelöst; am nächsten Morgen ist fast alles verdaut. (Die Zimmerwärme betrug ad maximum 10—11°R) P) bei 40°C. Um 5% ist ein grosser Theil, um 6" alles verdaut. Der Magen enthielt eine schmierige, braune, neutral reagirende Masse. Pankreas zerkleinert, a) mit Fibrin und Na,CO, um 11° 45% M. Am nächsten Morgen 8!/,® ist noch keine Spur des Fibrins gelöst. b) mit Amylumkleister um 11% 50" M. Am nächsten Morgen kein Zucker nachweisbar (während der Nacht stand die Flüssigkeit kalt). Versuch 4. Männlicher Fötus, soeben geboren, 155 "” lang, Beginn) des 6. Fötalmonats. Magen enthält eine geringe Menge zähschleimiger, grünlichgelben schwach alkalisch reagirender Masse. Die Schleimhaut reagirt nirgend sauer. Ri Der Magen wird zerkleinert um 123/," M. zu gequollenem Fibrin gefügt. Um 1" beginnt bereits die Verflüssigung, um 1!/,® ist schon viel gelöst; Nachmittags wird alles gelöst gefunden. % 1 Ich verdanke diesen Embryo der Güte des Herrn Dr. Bluhm. ÜBER DIE EnTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM EMBRYO. 107 Pankreas a) mit Fibrin um 12% 50”. Um 4'/,® ist ein Theil zerfallen; um 61/," ist der grösste Theil gelöst. b) mit gekochter Stärke um 12" 50”. Am nächsten Morgen 8" ist kein Zucker nachweisbar. Versuch 5. Fünfmonatlicher männlicher Fötus von 155” Länge. Nicht ganz frisch. Magen: der Inhalt braun gefärbt, schwach alkalisch., Er wird zu gequollenem Fibrin um 11?/,® M. gefüst. Um 5" ist nichts gelöst. Die Magenschleimhaut reagirt nirgend sauer. Sie wird zerkleinert. a) mit HC] 5!/, Stunde lang extrahirt. Um 5" Nachm. wird das Extract zu Fibrin hinzugesfüst; um 8" Abends ist ein kleiner Theil, _ am nächsten Morgen fast alles verdaut. b) zu gequollenem Fihrin um 11'/," Um 12" ist ein Theil bereits gelöst. Indessen ist selbst Abends S" noch nicht alles verdaut. | Pankreas | a) mit Fibrin und Na,CO, um 11!/,» Um 3® der grösste Theil, um 8» alles gelöst. b) mit Amylum um 11!/," Am nächsten Morgen 8'/,® ist noch keine Reduction nachweisbar. 1 | Versuch 6. Männlicher Embryo 65" lang; Beginn des 4. Monats. | Magen zerkleinert zu gequollenem Fibrin um 11" Bis 4" Nachm. ist nichts gelöst. Dagegen ist am nächsten Morgen 9% alles verdaut. (Peptone nachweisbar; im Controlversuch nur spurweise Verflüssigung.) Versuch 7. Weibliche Frucht von 140” Länge (160®”% schwer). ‚ Anfang des 5. Fötalmonats. Nicht ganz frisch. _ Magen: Schleimhaut mit dickem, schwach alkalisch reagirendem ‚ Schleime überzogen. Der zerkleinerte Magen | a) mit HC] vier Stunden lang extrahirt. Dann Fibrin hinzugefügt | (um 41/,%). Bis 7!/,"® nur Spuren gelöst; am nächsten Morgen ist fast \ alles verdaut. b) mit gequollenem Fibrin um 1% M. Bis 4 ist nichts gelöst; um ‚Tı/,® der grösste Theil, am nächsten Morgen alles verdaut. (Pepton nachgewiesen.) | Pankreas ! a) mit Fibrin und Na, CO, um 1% Um 4° ist fast alles gelöst. | b) mit Amylumkleister um 12°/," Am nächsten Morgen 9°/,® keine ‚Reduction. 108 OSCAR LANGENDORFF: Versuch 8. Fötus aus dem Anfang des 3. Monats, 35" lang. Magen zerkleinert mit HCl und Fikrin um 12" M. Bis zum nächsten Morgen 9% ist nichts verdaut. | Isolation des Pankreas war nicht möglich. Die in den mitgetheilten Versuchen enthaltenen Ergebnisse stelle ich in folgender Tabelle übersichtlich zusammen. Tabelle IV. ‚ Alter. Länge. Pepsin. Trypsin. Pankreatin. Aka des 3. Monats 35" 1) ah 2) Mauern des 4. Monats 65° + 3) Ende des 4. Monats 124 7m +(viel) — = 4) Anfang des 5. Monats 135" +(viel) — au 5) Anfang des 5. Monats 140° B= + — 6) Fünfter Monat ao) + - = 7) Anfang des 6. Monats 155" u 4 -- 8) Anfang des 6. Monats 180 m + — = Zu diesen Versuchen kommt noch die Angabe von Zweifel, dass bei einem von ihm untersuchten viermonatlichen Fötus der Magen kein’ Pepsin enthielt. Ich muss annehmen, dass es sich um den ersten Be- sinn des 4. Monats gehandelt hat. Ueber die Grösse der Frucht ist nichts angegeben. Wenn es erlaubt ist, aus so wenig zahlreichen Versuchen allge meine Schlüsse zu ziehen, so möchte ich aus ihnen nachstehende Sätze folgern: 1) Das Pepsin tritt beim Menschen im Verlaufe des dritten oder (mit Rücksicht auf die Beobachtung von Zweifel) im Beginn des vierten Monats des Fötallebens auf. Seine Menge ist wechselnd, doch scheinen diese, mit einer progressiven Fortentwickelung nicht übereinstimmenden Schwankungen im Wesentlichen von der Frische des untersuchten Prä- parates abzuhängen. Jedenfalls kann schon gegen Ende des 4. Monats die Pepsinmenge eine beträchtliche sein. Die Magensäure fehlt noch in späteren Fötal- zeiten. Halten wir mit diesem Ergebniss die wenigen Angaben zusammen, die über die embryonale Entwickelung der Magenschleimhaut im ana- tomischen Sinne vorliegen, so stellt sich eine bemerkenswerthe Thatsache heraus. | ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM Emgryo. 109 Nach Kölliker! nämlich ist bei menschlischen Embryonen des 2. Monats die innere Magenoberfläche noch ganz glatt und ohne Drüsen; im dritten Monat ist die spätere Mucosa bereits zu erkennen; im vierten hat in ihr die Bildung der Drüsen begonnen; im fünften sind „die Magendrüsen schon ganz gut ausgebildet“, und im sechsten Monat ist die Entwickelung der Schleimhaut vollendet. Daraus geht hervor, dass die Pepsinbildung in den Magendrüsen besinnt, sowie die Drüsen auftreten und dass diese Fermenterzeugung schon bedeutend sein kann, bevor noch das ihr dienende Organ seine vollständige Ausbildung erreicht hat. Bei dem grossen Interesse, welches sich an die gleichzeitige Be- obachtung der anatomischen und der physiologischen Entwickelung eines Organs knüpft, ist es nur zu bedauern, dass die jüngst von Nussbaum beobachtete Osmiumsäure-Reaction der fermentführenden Zellen auf Zu- verlässigkeit keinen Anspruch machen kann. Man hätte mit diesem ein- fachen mikrochemischen Verfahren das erste Auftreten des Ferments in der entstehenden Drüse weit schärfer feststellen können, als das bei der Subtilität des Organes mit Zuhilfenahme der makrochemischen Unter- suchung möglich wäre. Ich selbst sah bei einem fermentreichen Fötalmagen die Drüsenzellen durch OsO, sich nicht dunkler schwärzen, wie die Muskelhaut. 2) Das Trypsin erscheint zu Beginn des fünften Monats. Eine Ausnahme bildet Versuch III? 3) Das Pankreatin ist im fötalen Leben beim Menschen noch nicht vorhanden. Bekanntlich haben schon Korowin und Zweifel gezeigt, dass es auch beim neugeborenen Kinde noch fehlt. ı Kölliker: Zntwickelungsgeschichte der Menschen und der höheren Thiere. 2. Aufl. 1879. S. 853 u. 854. 2 Man könnte denken, durch die Anwendung der Nas CO; - Solutionen sei hier ein Fehler begangen, im Sinne der von Heidenhain gemachten Beobachtungen _ über die Störung der Verwandlung von Zymogen in Trypsin durch Sodalösung. Da der Foetus aber bereits am vorhergehenden Tage geboren war, trifft ein solcher - Vorwurf nicht zu. 110 OSCAR LANGENDORFF: Schluss. Als Gesammt-Ergebniss geht aus einer Betrachtung der mitgetheilten Versuche hervor, dass die Verdauungsfermente bei verschiedenen Thier- classen zu sehr verschiedenen Epochen des fötalen Lebens zum ersten Male erscheinen. Es stellt sich heraus, dass, während z. B. das Pepsin bei den pflanzen- fressenden Thieren (Wiederkäuern und Nagern!) und beim Menschen durchgehends in sehr frühen Fötalzeiten bereits auftritt, es beim Schweine meistens erst kurz vor der Geburt, bei Fleischfressern erst während des extrauterinen Lebens erscheint. Trypsin tritt bei allen darauf untersuchten Thieren (Embryonen von Hund und Katze wurden nicht untersucht) schon sehr früh auf. Das Pankreatin fehlt beim neugeborenen Menschen und beim neu- seborenen Kaninchen, erscheint aber bei Schweinen, Ratten und Rindern in frühester Fötalzeit. o Ob und wie dieses gewiss merkwürdige Verhalten mit der Ernäh- rungsweise der verschiedenen Ordnungen des Thierreichs zusammenhängt, darüber wage ich nicht einmal vermuthungsweise mich zu äussern. Da die Nahrung für alle Säugethiere in der ersten Zeit des extra- uterinen Lebens Miich ist, so erschiene eine auf die Verschiedenheit der Nahrung gegründete Differenz vom teleologischen Standpunkte un- verständlich. ) ’ Hat man es aber mit einer ererbten frühzeitig embryonalen An- passung an die spätere Lebensweise zu thun, so ist unerklärlich, warum dem omnivoren Menschen das Pankreatin noch fehlt, während der 90 bis’ 100" Jange Embryo des omnivoren Schweines es bereits besitzt; warum das für die Fleischverdauung gewiss wichtige Pepsin dem neugeborenen” Hunde noch mangelt, während es beim pflanzenfressenden I oereimm altern in früher Fötalzeit schon sich vorfindet. # Dass, wie Moriggia meint, die Verdauungssäfte (speciell ci Magensaft) schon im Fötus der Verdauung dienen, möchte ich schon deshalb in Abrede stellen, weil nur in seltenen Fällen (s. d. Versuche an Kaninchenembryonen) der Mageninhalt Pepsin enthält, und weil ich auch dann eher an eine postmortale Extraetion der fermenthaltigen Schleimhaut durch den flüssigen Mageninhalt, wie an eine fötale Mage saftsecretion glauben müsste. 1 Ich darf wohl die zahmen, wohl überall mit Vegetabilien gefütterten Albino- ratten als Pflanzenfresser bezeichnen. 8 ÜBER DIE ENTSTEHUNG DER VERDAUUNGSFERMENTE BEIM EMBrRYo. 11] Ein ferneres Ergebniss meiner Versuche ist die Thatsache, dass ver- schiedene Fermente einer und derselben Drüse zu verschiedenen Zeiten auftreten. In Pankreas erscheint bald das tryptische, bald das diastatische Ferment früher; das eine kann schon sehr reichlich sein, während das andere noch gänzlich fehlt. . Daraus folgt, dass für die Entstehung beider verschiedene Beding- ungen massgebend sind; und es wird auch dadurch nur noch ersicht- licher, dass, wie schon anderweitig betont wurde, die Bildung der ver- schiedenen Fermente einer Drüse nicht ein einheitlicher Vorgang, soudern das Resultat mehrerer nebeneinander einhergehender Processe ist. Wahrscheinlich handelt es sich aber gar nicht um eine Ferment- bildung in der Drüse selbst. Meine früheren Beobachtungen an Tauben mit unterbundenen Pankreasgängen, sowie die gleich mitzutheilenden Versuche an Embryonen, scheinen mir die Annahme immer wahrschein- licher zu machen, dass, wenigstens für gewisse Fermente, der Entsteh- ungsort ein ganz anderer, die Drüse aber nur der Ort ihrer Anhäufung und ihrer Ausscheidung sei. Die Bedingungen für das erste Auftreten dieser Fermente wären also weit weniger in der anatomischen Ausbildnng der Drüse, als vielmehr in den allgemeinen chemischen Verhältnissen des embryonalen Organis- mus zu sehen. Die freilich nur sehr rudimentären Beobachtungen am Fötus, auf welche ich mich hier bezogen habe, sind folgende: Es glückt zuweilen, zu einer Zeit, wo die Bauchspeicheldrüse noch keine Spur von Pankreatin enthält, diastatisches Ferment in anderen, der Fermentausscheidung sonst fern stehenden Organen nachzuweisen. So fand ich solches in mehreren Fällen in dem von Kopf und Bauchein- seweiden befreiten Körper von ganz jugendlichen Schweinsembryonen; das Extraect der- Muskeln, sowie das der Lungen eines 1559 ”” langen menschlichen Embryo war deutlich diastatisch wirksam,! während das Pankreas auch nicht eine Spur eines solchen Enzyms enthielt. Ich darf freilich nicht verschweigen, dass ich häufig genug auch nesative Resultate zu verzeichnen hatte; indessen beweisen diese wenig gegenüber auch nur wenigen positiven Befunden. Durchweg negativ fiel die Untersuchung auf Pepsin aus. Enthielt der Magen nichts davon, so war auch in allen übrigen Organen keine Spur davon zu entdecken. Mir scheint aus diesen Beobachtungen hervorzugehen, dass wenig- stens das diastatische Ferment diffus im Embryonalkörper entsteht, diffus ! Der Zuckergehalt dieser Extracte, dem man durch wiederholte Alkoholex- traetion begesnen muss, ist der Untersuchung sehr hinderlich, 112 OsScAR LANGENDORFF: ÜBER DIE ENTSTEHUNG UV. S. w. sich aufspeichert, um erst zu einer späteren Fötalzeit auf Inu Or- gane sich zu concentriren. ? Aufgefordert von Hrn. Prof. Heidenhain, habe ich auch mikros- kopische Untersuchungen der fötalen Mägen unternommen. Der pepsin- reiche, von Säure freie Magen menschlicher Embryonen bot dafür das beste Material. Doch scheinen mir meine Beobachtungen noch zu spär-. lich und zu unsicher, um zur Veröffentlichung reif zu sein. 2 In 'seiner neuesten, mir nach Abschluss dieser Arbeit zugegangenen Mit- theilung kommt Krukenberg zu sehr ähnlichen Folgerungen betrefis der phylogene- tischen Entwickelung der Enzymfunction. Untersuchungen d. physiologischen In- stitutes der Universität Heidelberg. Bd. Il, Heft 3. Ueber optische Reflexhemmung. Von Oscar Spode, stud, med. Aus dem physiologischen Institut in Königsberg. Setschenow’s Annahme von Reflexhemmungscentren in den Vier- hügeln des Frosches ist mit der Zeit ein Postulat geworden, das die Erklärung mancher physiologischen Thatsache in sich schliesst. Eine Reihe von Experimenten, die von Goltz ausgehen, sind geeignet, die Existenz jener Reflexhemmungscentra zu bestätigen, so sehr dieselbe auch von diesem Forscher bestritten wird. Sein bekannter Versuch, dass ein des Grosshirns beraubter Frosch das leise Streichen der Rückenhaut regelmässig mit Quaken beantwortet, hat in neuester Zeit durch Ver- suche, die Dr. Langendorff anstellte, eine Erweiterung erfahren. ‚Langendorff fand, dass die Durchschneidung beider N. optici hinreiche, um regelmässig jenen (Quakreflex eintreten zu lassen; er führte den Goltz’schen Versuch auf die gleichzeitig mit der Abtragung des Gross- hirns erfolgte Blendung zurück. Langendorff’s Mittheilung! hierüber fand. das lebhafteste Inte- resse Dr. von Boetticher’s, derselbe hat unter Preyer’s Leitung Langendorff’s Versuche einer eingehenden Kritik unterzogen, dessen Resultate zum Theil bestätigt, zum Theil eine Anzahl neuer Thatsachen mitgetheilt?, die ganz dazu angethan wären, das ganze Quakexperiment in ein neues Licht zu stellen. Die Mittheilungen, die von Boetticher auf Grund eigner Beobachtungen gemacht hat, sind kurz die: nicht nnr Ausschaltung des Gesichtssinnes durch Durchschneidung der Sehnerven, Exstirpation der Bulbi, Aetzen der Cornea mit Argt. nitrie. oder Zunähen 1 Dieses Archiv. 1877, 4. und 5 Heft: Die Beziehungen des Sehorgans zu den reflexhemmenden Mechanismen des Froschhirns. 2 Sammlung physiologischer Abhandlungen , herausgegeben von W. Preyer. II. Reihe, III. Heft: Ueber Refleshemmung. Archiv f.A.u. Ph. 18,9. Physiol. Abthlg. 6) 114 ÜSCAR SPODE: der Augenlider, sondern auch Zerstöruug des Gehörsinnes, des Geruchs- organs, ja sogar Vernichtung beliebiger spinaler Nerven sollen den be- kannten Quakreflex nach langsamer Bestreichung des Rückens zur Folge haben. Angeregt durch diese überraschenden Angaben von Boetticher’s, habe ich auf Veranlassung des Herrn Dr. Langendorff alle von von Boetticher angestellten Experimente wiederholentlich der schärfsten und gewissenhaftesten Prüfung unterzogen und bin, ich sage es von vornherein, zu Resultaten gelangt, die den von Boetticher’schen mit einer einzigen Ausnahme direct entgegenstehen. Eine ganze Anzahl von Fröschen bestätigte zunächst nach doppel- seitiger Blendung durch Durchneidung der N. optiei die von Langen- dorff gemachte Beobachtung; sie quakten mit der grössten Regelmässig- keit, sobald ihre Rückenhaut leise mit dem feuchten Finger bestrichen wurde. Nie habe ich aber die von von Boetticher mitgetheilte Be- obachtung machen können, dass dem Bestreichen der Kreuzbeingegend „in der Regel eine Urinentleerung folgte“. Den eigenthümlichen Krötengang | der geblendeten Thiere bestätigt von Boetticher; er sagt, dass bei seinen Fröschen sich der eigenthümliche Gang längere Zeit nach der Blendung einigermaassen verloren habe, und dass die Thiere wieder häufiger springen. Ich muss nun gestehen, dass sich die vielen Thiere, die ich ı operirt habe, in diesem Punkte sowohl unmittelbar nach der Operation | als später ganz gleich verhalten haben; sie kriechen gewöhnlich aller- - dings wie die ihnen stammverwandten Kröten, aber haben darum das‘ Springen nicht vergessen; so habe ich gefunden, dass, wenn ich eines‘ der geblendeten Thiere in die Hand nahm, es mir fast stets durch‘ Springen zu entkommen suchte. Fubini! sagt übrigens in Bezug auf das Schreiten der blinden Frösche: „diese Locomotionsweise wird aus- gesprochener, wenn erst einige Tage seit der Blendung ver- flossen sind“, Dr. von Boetticher giebt ferner an, dass er die gewünschten Er-' folge nicht nur bei Thieren gefunden, die geblendet waren durch Exstir-' pation der Bulbi oder Durchschneidung der N. optici, sondern auch durch Aetzen der Cornea mit Argt. nitric. und durch Zunähen der Augenlider. Ich muss dagegen sagen, dass ich nicht ein einziges Mal das Aetzen der Cornea mit Argt. nitrie. und das Zunähen der Augenlider Fri gefunden habe. Von Boetticher fand auch, dass eine einseitige Blendung voll ständig ausreiche, um den (Qnakrefie ebenso prompt und constant zu, De 1 Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre u. s. w. 1816. Bd. XI, S. 586. ” Fr R hr ; ÜBER OPTISCHE REFLEXHEMMUNG. 115 zeigen, wie vollständige Blendung. Fast ein volles Dutzend Frösche ist von mir durch Durchschneidung eines N. opticus halbseitig geblendet, aber von keinem einzigen der Untersuchungsthiere kann ich das be- haupten, was von Boetticher versichert. Hin und wieder quakten die Thiere allerdings, aber von Boetticher weiss, dass auch ganz intacte Frösche sehr häufig das Streichen des Rückens mit Quaken beantworten. Ein so maschinenmässiges, willenloses, regelmässiges Quaken. wie ganz blinde Frösche zeigten einseitig geblendete nie. Gegen die Beziehungen, die Langendorff zwischen seinem und dem Goltz’schen Experimente sieht, gegen seine Behauptung, dass mit der Abtragsung der Grosshirnhemisphäre gleichzeitig die Tractus optiei durehtrennt werden müssen, dass also die Goltz’schen Frösche ebenfalls blind seien, wendet sich von Boetticher mit grosser Enntschiedenheit. Er eitirt zunächst Goltz selbst, der sich freilich dafür ausspricht, dass seine operirten Frösche sehen; aber allein entscheidend für Goltz’s An- sicht war der bekannte Versuch, durch den er nachwies, dass die Thiere mit grösster Präcision Hindernisse vermeiden. Ich muss an dieser Stelle das Wagniss unternehmen, mich gegen Goltz selbst zu wenden. Die Beobachtung, die Dr. Langendorff und ' ich hin und wieder zu machen die Gelegenheit hatten, dass Frösche, deren beide N. optiei durchschnitten waren, bei geöfinetem Käfig mit Geschick- m En en 27 en ‚ lichkeit durch die kleine Oeffnung desselben zu springen wussten, gab ‚ den ersten Anlass, mit doppelseitig geblendeten Fröschen das Goltz’sche ; Experiment zu wiederholen. Ich fand nun, dass diese durch Durch- ‚ sehneidung beider N. optici geblendeten Frösche mit ganz der- ‘ selben Gewandtheit das ihnen gestellte Hinderniss zu ver- ' meiden wussten wie die nach Goltz’scher Art operirten Thiere, indem sie entweder seitwärts an dem Hinderniss vorbeisprangen oder über dasselbe mit hohem Sprunge hinübersetzten.. Das Experiment von Goltz liefert also durchaus keinen Beweis für seine Behauptung, dass seine T'hiere das Sehvermögen besitzen. Wie kommt es dann aber, dass ganz blinde Thiere die ihnen ent- gegen gestellten Hindernisse in einer oft staunenerregenden Weise ver- ‘ meiden? Ich will es wagen, an die Erklärung der Erscheinung zu gehen. Fast jedesmal, wenn ich das Experiment mit enthirnten oder durch Durch- schneidung der N. optiei geblendeten Fröschen machte, fand ich, dass die Thiere das erste Mal ziemlich regelmässig gegen das Hinderniss sprangen, später dagegen dasselbe meist prompt und gewandt vermieden. Die Erklärung ist jetzt nicht schwer, nachdem die Thiere sich das erste Mal an dem Hinderniss gestossen, sind sie gewitzigt und springen von 116 ÜSCAR SPODE: nun an nach der Seite. Für meine Erklärung spricht der Umstand, dass, sobald ich in die Richtung, welche die Thiere, um das ihnen zuerst ge- stellte Hinderniss zu vermeiden, gewöhnlich einschlugen, ein neues Hin- derniss setzte, die Thiere fast ausnahmslos das erste Mal gegen dasselbe sprangen. Wenn ich schliesslich noch bemerke, was Langendorff bereits ge- sagt, dass bei allen nach Goltz’scher Methode operirten Fröschen die Sehnerven durchschnitten oder mindestens vollständig zerquetscht ge- funden wurden, so sollte diese Thatsache wohl alle Controversen über diesen Punkt übrig machen. Auch Setschenow, Physiologische Studien über die Hemmungsmechanismen für die Reflexthätigkeil des Ruckenmarkes im Grosshirn des Frosches, S. 15, giebt an, dass ein Schnitt durch die Thalami optici den N. optieus stets durchtrennt. Zu meiner Freude kann ich nun aber versichern, dass ich wenigstens nicht bei allen Experimenten das Gegentheil von dem beobachtete, was von Boetticher fand. Die Versuche, die ich vorgenommen, haben nämlich gezeigt, dass von Boetticher Recht hat, wenn er sagt, dass die Zerstörung des Grosshirns allein hinreiche, um den Quakreflex zu Stande zu bringen. Alle Frösche, denen ich nach vorhergegangener Zer- trümmerung des Trommelfells die Paukenhöhle auskratzte, quakten mit einer gewissen Regelmässigkeit. Mit Spannung wandte ich mich nun an die Prüfung der übrigen | zahlreichen Experimente, die von Boetticher angiebt. Leider erhielt | ich auch nicht bei einem einzigen derselben das Resultat, das von Boet- » ticher so glücklich war bei allen zu erhalten. Als ich die Vernichtung des Geruchsorganes ohne irgend einen Er- folg fand, wandte ich mich zur Untersuchung des spinalen Nervensystems ganz in der von von Boetticher angeführten Weise. Ich habe mit der grössten Gewissenhaftigkeit und der grössten Peinlichkeit die einschlägigen Experimente wiederholt. Ich habe sowohl einen als beide Ischiadiei in der Mitte des Oberschenkels durchschnitten, aber auch nicht eine Spur eines Quakrellexes liess sich beobachten. Der ganze Plexus sacralis sogar wurde von mir z. Th. einseitig, z. Th. doppelseitig durchtrennt, auch nicht der geringste Quakreflex zeigte sich; ich versuchte das Experiment, am N. brachialis, jedoch mit demselben Misserfolge. E Ein hierher gehöriger Versuch wirft übrigens auf diese ganze Ope- ration ein eigenthümliches Licht. Ich durchtrennte nämlich Thieren, denen beide oder ein Ischiadicus oder Plex. sacralis durchschnitten war, und die auch nicht das geringste Zeichen eines Quakreflexes zeigten, die N. optici und fand, dass diese Thiere das Bestreichen der Rücken- haut jetzt ebenso wenig mit Quaken beantworteten wie vorher. Sollte ÜBER OPTISCHE REFLEXHEMMUNG. 167 nicht in diesem Falle die Durchschneidung der N. ischiadiei als peri- pherer Reiz geradezu hemmend auf die bekannte Reflexerscheinung eingewirkt haben? Ohne grosse Hoffnungen ging ich an die Prüfung der letzten von vornherein wenig Vertrauen erweckenden Boetticher’schen Experimente. Die linke Hinterpfote eines grossen Frosches tauchte ich eine halbe Minute lang in verdünnte Schwefelsäure. Ein anderes Thier musste sich die Marter gefallen lassen, dass seine ganze linke untere Extremität eine halbe Stunde in concentrirte Schwefelsäure getaucht wurde. Weder bei dem einen noch bei dem anderen Thiere habe ich weder nach Ver- lauf einer noch mehrerer Stunden oder Tage auch nur das geringste Zeichen des Quakreflexes beobachten können. Ich nehme an, dass von Boetticher beabsichtigte, durch dieses Verfahren einen Theil der sensiblen Hautnerven auszuschalten. Zur Er- reichung dieses Zweckes, den auch ich in verschiedener Weise ohne Erfolg anstrebte, scheint die Anwendung der heftig destruirenden Schwefelsäure schon a priori sehr ungeeignet. Das letzte der von von Boetticher angegebenen Experimente lieferte mir dasselbe Resultat wie fast alle übrigen; die Amputation des - hinteren Theiles der Zunge eines grossen Frosches erwies sich als ebenso wirkungslos wie die vorher genannten Operationen. Bei Deutung seines Experimentes hatte sich Langendorff dahin ausgesprochen, dass die Mechanismen, durch deren Wirksamkeit die Reflexhemmung stattfindet, „ihre äussere Anregung durch die Sinne, vor- nehmlich durch den Gesichtssinn erhalten.“ Es war ausdrücklich die Möglichkeit betont worden, dass auch andere Bahnen hemmende Impulse ‚ dem Centralorgane zuführen. Von Boetticher erklärt kurzweg auf Grund seiner Versuchsresultate die Theorie Langendorff’s für „vollständig hinfällis“ Um so wunder- | barer klingt es, wenn er einige Zeilen darauf sagt: „Es strömen sowohl ' durch die höheren Sinnes-, als durch die spinalen Nerven dem Central- nervensystem beständig Erregungen zu, welche einen hemmenden Ein- ' fluss auf das Zustandekommen der Reflexbewegungen ausüben.“ Das klingt doch zum mindesten den oben eitirten Worten Langendorff's sehr ähnlich. Die Differenz besteht darin, dass von Boetticher in den von hemmenden Einflüssen getroffenen Centralorganen nicht wie Langen- dorff Hemmungscentra zu sehen scheint, sondern sensorische Organe. ‘Ich muss aber betonen, dass es mir nicht klar geworden ist, ob von Boetticher die Existenz der Setschenow’schen Centra gänzlich ver- wirft oder nicht. Preyer selbst spricht sich „Die Kataplerie“, Samm- “ u ma u — 118 ÜOSCAR SPODE: ÜBER OPTISCHE REFLEXHEMMUNG. lung physiolog. Abhandlungen, herausgegeben von W. Preyer II. Reihe, 1. Heft. 1378 mit Entschiedenheit zu ihren Gunsten aus. Lässt aber auch von Boetticher sie zu, so ist seine eigenthüm- liche Schlussfolgerung folgende: Durch die centripetalen Nerven erhalten sowohl reflexvermittelnde als reflexhemmende Apparate fortwährende Erresungen. Für gewöhnlich sind beide Impulse im Gleichgewicht. Nun vernichte ich einen Theil dieser centripetalen Erreger; es resul- tirb eine verstärkte Erregbarkeit für Reflexe. Man sollte glauben, von Boetticher würde jetzt weiter schliessen: ' diese Verstärkung der Reflexe ist somit die Folge der Vernichtung der reflexhemmenden Impulse. | Er schliesst aber: diese Verstärkung ist die Folge des Fortfalls der” reflexerregenden Nerven, dank dessen ein neuer, den Organisulä trefiender Reiz sich bequemer ausbreiten kann. Wozu dann überhaupt noch die Annahme von reflexhemmenden Vor richtungen ? : Das Gemisch, das von Boetticher sich aus den Hypothesen von Setschenow, Goltz und Schiff-Herzen (welche letztere er übrigens nur unvollkommen zu kennen scheint, sonst hätte er nämlich nicht über- sehen, dass bereits Herzen nach Durchschneidung grosser Nervenstämme die Reflexerregbarkeit bei Fröschen steigen sah: Herzen, Zixperiences sur les centres moderateurs de laction reflexe. 1864. S. 47 u. fi.) zurecht‘ macht, kann Niemanden befriedigen. Ueber die Genauigkeit der Stimme. Ein Beitrag zur Physiologie des Kehlkopfes. Von Dr. Ad. Klünder aus Hennstedt. Aus dem physiologischen Institut in Kiel. (Hierzu Tafel IV.) Die Frage nach der Genauigkeit, mit welcher unsere Stimme einen Ton zu treffen und zu halten vermag, ist bis jetzt kaum zum Gegenstand des Studiums gemacht worden. Zur Erledigung dieser Frage lege ich nachfolgend ein grosses Versuchsmaterial vor, welches selbst- verständlich keine endgültige Erledigung schafft, dagegen doch den - Physiologen in die Lage bringt, ein weit bestimmteres wissenschaftliches Urtheil in dieser Materie zu fällen, als es bisher möglich war. Einleitend dürften die Verhältnisse zu berühren sein, welche sich an die Erledigung der hier aufgeworfenen Frage knüpfen. Helmholtz! kommt gelegentlich seiner Erwägungen über die Nach- ‚ theile der temperirten Stimmung auf die Schulung der menschlichen Stimme zu sprechen und äussert sich ziemlich scharf über die Unsicher- heit unserer Sänger in der genauen Abmessung der Tonhöhe. Diese Unsicherheit hält er nicht für geboten durch die Natur der Sache, son- ‚ dern für erzeugt durch die temperirte Stimmung. Es fehlten ihm jedoch ‚ die genauen Maasse für die Feinheit der Schwingungen des Kehlkopfes. Wenn sich jetzt zeigt, dass selbst in der etwas ungünstigen Lage von @ (96 Schwingungen) nach acht Versuchen und einer Zählung von etwa 8000 Schwingungen der mittlere Fehler + 0-3885 Schwingungen in 1 Die Lehre von den Tonempfindungen. 3. Abthlg., 16. Abschnitt. AD. KLÜNDER: der Seeunde beträgt und wenn nach Helmholtz ein Sänger bei Angabe eines Duraccords temperirter Stimmung um fast ein Fünftheil eines Halbtons, also in diesem Fall um etwa 1?/, Schwingungen „herumirren“ kann, um sich in Consonanz mit Quinte einerseits oder Terz andererseits zu setzen, so darf damit für erwiesen gehalten werden, dass Helmholtz mit vollständigem Recht eine präcisere Schu- lung verlangt. | Die Fragen, welche ich erledigen möchte, beziehen sich theils auf das Ohr, theils auf die Stimme. Regirt unser Ohr die Stimme, oder ist es das Spannungsgefühl im Kehl- kopf, und wie gross ist der Antheil beider? Werden die Stimmbänder in irgend einer Lage fixirt durch die Gelenke oder hält sie der Muskeltetanus in labiler Spannung? Wie fest also setzt die Stimme ein, sind ihre Schwankungen derart, dass sie den Beweis des Gehorsams gegen das Ohr liefern, dass gar das Auftreten von Schwebungen zur Re- . gulirung der Stimme benutzt werden kann oder mischen sich andere Beziehungen hinein? Wie fein sind die Lei- stungen der betreffenden motorischen Ganglien, Nerven und Muskeln. Wie viel Spannungsgrade des Muskeltetanus sind wir nach den Leistungen der vielleicht am feinsten von allen Muskeln regulirten, jedenfalls sehr fein eingeübten und scharf überwachten, Muskeln unseres Kehlkopfes anzu- nehmen berechtigt? Dies etwa wären die Fragen, welche sich zur Beant- wortung stellen und denen ich auf Vorschlag meines ver- ehrten Lehrers, Hrn. Prof. Hensen, näher zu treten bemüht gewesen bin. Bereits in meiner Dissertation! habe ich einige Mit- theilungen über die Leistungen des Kehlkopfes gemacht. Anfänglich wurden nämlich dieselben aus den Schwebungen der Stimme mit einer constanten Tonquelle bestimmt, worüber dort berichtet ist. Es zeigte sich uns jedoch bald, dass diese Bestimmung nicht ausreichend ist, namentlich weil die Schwebungen häufig nicht zur vollen Ausbildung‘ kommen, sondern zum Unisono zurückgehen. Zur grösseren ' Sicherheit wurde es nöthig, die beiden Toncurven UINANNANAAAANANNUUVUVUVYVUUUUUN a < 2 2 e 5 | M es | BL ANNUAL \ LI IIIINIANIIUIU UV UNYUVNVV I AN RESET INT ENTENT 1 Ein Versuch die Fehler zu bestimmen, welche der Kehlkopf | heim Halten’eines Tons macht. Marburg 1872. 2 WANT ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. 121 nebeneinander aufzuschreiben und auszuzählen. Als Beispiel einer solchen Schrift ist ein kurzer Abschnitt solcher Curve in vorstehen- dem Holzschnitte gegeben. Der in Anwendung gezogene Apparat Fig. 1 bestand im Wesent- lichen aus zwei abgestimmten Membranen, von denen die eine von einer Orgelpfeife, die andere von der Stimme in starke Schwingungen versetzt wurden. Die Membranen a waren Goldschlägerhäutchen und wurden über einen hohlen Metalicylinder 5 von etwa vier Centimeter Durch- messer gespannt. Ihre Abstimmung, die sehr genau sein musste, um starke Schwingungen zu erhalten, geschah dadurch, dass der Rand eines zweiten Hohlceylinders ce durch Schraubenbewegung mehr oder weniger stark gegen den Membran angetrieben wurde. Die gelungene Abstimmung erkennt man daran, dass die Membran tönend schwingt, wenn der zu- gehörige Ton auf sie einwirkt. (Obertöne solcher Membranen liegen über dem Bereich der Stimme.) Auf diese Häute wurden mit Wachs und heissem Kitt geeignet geformte Dräthe d von Aluminium befestigt. Beide Cylinder wurden gegeneinander gerichtet, so dass zwischen | den Spitzen der schwebenden Federn nur ein geringes Spatium blieb und die Federn (Aluminiumdräthe) wurden mit Hülfe von Schlitten und Schraube (Fig. 1 fe) gleichmässig und sorgfältig an einen rotirenden berussten Cylinder f mit schraubenförmiger Bewegung (von König) ‚ angelest. Beide Federspitzen müssen möglichst in einer Ebene mit der Cylinderaxe sich befinden. Um eine genaue und feine Schrift zu er- halten, wird nothwendig ihre Entfernung von der Oberfläche des nie ge- nügend gleichmässigen Papiers constant zu erhalten. Dies wird dadurch erreicht, dass die Unterlage, auf welcher die Hohlceylinder ruhen, um eine Axe x frei drehbar ist und auf dem rotirenden Cylinder durch eine Rolle Fig. 2 fg aufruht, welche verstellbar dicht neben den Federn steht und den Apparat hebt, wo das Papier zu dick ist, sinken lässt, wo es dünner ist oder der Unterlage straffer anliegt. Nachdem der Apparat so orientirt ist, wird vor dem einen Hohl- cylinder eine Orgelpfeife zum Tönen gebracht, in den anderen singt der Beobachter den Ton hinein. Diese Methode hat zur Voraussetzung, dass der Ton der Orgelpfeife innerhalb der Beobachtungszeit sich constant erhalte. Um das zu erreichen, muss das Gebläse gut sein, darf sich während des Versuchs nur um eine kleine Quote seines Inhalts entleeren und muss frei herabsinken, e8 darf nicht getreten werden. Ferner darf in der Nähe der Örgelpfeife keine Bewegung stattfinden. Werden diese Bedingungen innegehalten, so ergiebt weder die graphische Vergleichung mit einer Stimmgabel, noch die feinere optische Vergleichung durch einen König’schen Brenner, der 122 Av. KLÜNDER: sich in dem Spiegel einer gleichgestimmten Stimmgabel spiegelt, ein Schwanken der Tonhöhe. Es bleibt jedoch die Möglichkeit offen, dass der Ton der Orgelpfeife durch den Ton der Stimme beeinflusst werde. Nicht etwa durch die ausgeathmete Luft, diese trifft die Orgelpfeife nicht, auch ist ihr Strom constant, sondern durch die Tonschwingungen. Es ist bekannt, dass zwei auf demselben Gebläse stehende Pfeifen sich erheblich beeinflussen, sobald ihr Ton nahe gleich geworden ist. Für die Unisonocurven wäre eine solche Beeinflussung auch zu fürchten, jedoch natürlich in weit seringerem Grade. Vergleichungen zwischen Stimmgabel und Orgel- | schrift, während unisono gesungen wurde, wiesen von einer solchen Beeinflussung nichts nach und dieselbe darf umsomehr als unmerklich betrachtet werden, als die Intervalleurven, z. B. Quint und Duo- deeime die Genauigkeit der Stimme fast gleich derjenigen in den Uni- sonocurven angeben. : Ehe die Curve geschrieben wird, liniirt man das Papier parallel mit dei Axe des rotirenden Cylinders; diese Linien im Holzschnitt 1234 u. s. w. sind eine grosse Hülfe bei der Auszählung und Vergleichung der Ourven. Das genaueste Verfahren, die Wellenlängen zu vergleichen, besteht darin, dass man mit Hülfe des Ophthalmometers die beiden Wellen- linien zur Deckung bringst. Für die vorliegende Untersuchung erschien dies Verfahren aber weniger zweckmässig, weil die Form der Wellen wegen der verschiedenen Klangfarbe keine identische ist. Ueberhaupt ist die Untersuchung nicht bis an die Grenze der Genauigkeit geführt, | welche mechanisch zu erreichen gewesen wäre, sondern sie erstreckte | sich nur auf die Fälle, wo nach einer mehr oder weniger grossen Reihe ) von Schwingungen !/, Wellenlänge gegen den Ton der ÖOrgelpfeife ge- wonnen oder verloren war. Es war zu bedenken, dass eine geringe Aenderung der Resonanz der Mundhöhle eine Verschiebung der relativen Intensitäten und der Lage der Obertöne zur Folge hat, dadurch dann aber die Form der Welle so verändert wird, dass die Zählung der Wellen ungenau werden muss, weil sie von der Voraussetzung, dass eine Welle der anderen vollkommen ähnlich sei, ausgeht. Will man die Constanz der Resonanz unserer Mundhöhle prüfen, wird man den Schreibapparat noch sorgfältiger reguliren müssen, als das bei meinem Apparat ge schehen ist. r: Die Zählungsweise ergiebt sich am besten aus der Betrachtung der Curven.” Bei der Linie 5 hat eine Verschiebung von !/, Wellenlänge gegen die Linie & stattgefunden, denn auf 13 Schwingungen der Orsd 1 Die Curven im Holzschnitt sind !/, verkleinert worden, auch sind die Mer natürlich nicht so genau wiedergegeben wie im Original. N ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME, 123 pfeife kommen nur 12°/, Schwingungen der Stimme. Dies wird, wie die in den Originalzählungen angegebenen Zahlen zeigen, notirt als 13-!/.. Für die nächsten 11 Schwingungen bis y tritt Einklang ein, Notirung 11, für die nächsten 5 Schwingungen der Stimme bis ö giebt die Stimme 4°/,, also Notirung 5--!/,. Eine Verschiebung in demselben Sinne findet statt bis e, Notirung 14--!/, u. s. w. Es war nicht von vornherein zu wissen, wie solche Curven zu be- handeln sein, die Erfahrung hat aber gelehrt, dass innerhalb der für meinen Zweck erforderlichen Grenze der Genauigkeit die Stimme so allmähliche Aenderungen macht, dass diese Art der Zählung ein richtiges Bild giebt. Es sind 41 Curven in dieser Weise gezählt worden, abge- sehen von denjenigen, welche wegen ungewöhnlicher Fehler in der Stimme oder undeutlicher Schrift verworfen worden sind, deren Zahl eine etwas grössere sein mag. Einige Beispiele dieser Originalzählungen sind im Anhang gegeben. Es schien nicht gerechtfertigt zu sein, sie alle zu geben, aber es wäre richtig gewesen, aus ihnen den Wechsel der Wellenlängen zu berechnen und dann, vielleicht unter Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung, den Fehler zu bestimmen. Die grössere Richtigkeit dieses Verfahrens hat sich jedoch erst bei der Ausarbeitung herausgestellt und ich bin in Folge meiner Beschäf- tigung als praktischer Arzt nicht mehr in der Lage, die Arbeit von Neuem zu beginnen. Die Curven rühren zum grösseren Theil von meiner eigenen Stimme her, der ich zwar nicht Sänger bin, aber in Folge einiger Uebung im Violinspiel ein scharfes Ohr habe. Die zweite Reihe der Curven rührt von einem Knaben Wr. her, der für mich aus dem Nicolaikirchenchor in Kiel von dem Hrn. Director wegen seines besonders guten Ohrs aus- gesucht wurde. Eine Originalzählung (7r.) habe ich einer Curve ent- nommen, welche ein Tenorist, der als langjähriges Mitglied einer Lieder- tafel sich eines guten Rufes als Sänger erfreute, auch hin und wieder in Concerten als Solist wirkte, sang. Seine Öurven mussten wegen zu starker Schwankungen in der Tonhöhe verworfen werden, wie denn auch die von dem Knaben gesungenen Curven besser hätten sein können. Zur genaueren Betrachtung sind die Originalzählungen nach Secunden addirt worden, was zulässig erschien, weil der Ton innerhalb einer Se- cunde nicht leicht positive und negative Schwankungen zugleich zeigte, sondern nur entweder das eine oder das andere. Man erkennt das Ver- halten am leichtesten an der graphischen Darstellung, welche von dem Resultat einiger Curven in Fig. 3 gegeben worden ist. Die Summe der aus dieser Reduction gewonnenen Fehlerquadrate 124 Av. KLÜNDER: durch die um Eins verminderte Anzahl der Beobachtungen dividirt und radieirt, giebt den mittleren Fehler, von welchem in Nachfolgendem die Rede ist. An diesen Fehlern betheiligt sich sowohl das Ohr, indem es den Ton nicht ganz genau hört, als auch die Stimme, die den ge- hörten Ton nicht genau in Bezug. auf seine Tonhöhe wiedergiebt. Die Fehler der Stimme werden in positiven und negativen Schwankungen um eine mittlere Tonhöhe bestehen, das Ohr wird entweder zu hoch oder zu tief hören. Diese Schlussfolgerung aus dem Bau der Organe wird durch die Curven im Allgemeinen bestätigt. Es wäre ja denkbar, dass das Ohr im Verlauf der wenigen in Frage kommenden Secunden bald zu hoch, bald zu tief hörte. Ein solches Verhalten kommt in der That vor, rührt dann aber, wie z. B. in Curve 2 c’ davon her, dass der Einsatz schlecht war und sogleich corrigirt wird. Die grosse Mehrzahl der Curven zeigt deutlich, dass das Ohr continuirlich entweder zu hoch oder zu tief hörte, es macht beinahe den Eindruck, als wenn es wirklich” bald so, bald so verstimmt gewesen wäre. Jedenfalls kann man den Fehler des Ohres etwas eliminiren, indem man den Durchschnittston der Stimme, D in den Tabellen, bestimmt und daran den mittleren Fehler der Stimme sucht. Die sämmlichen Resultate sind der Vergleichung halber auf den Ton g, in besonderen Tabellen reducirt worden. Nunmehr kann der Beantwortung jener oben von uns aufgeworfenen Fragen näher getreten werden. Werden die Stimmbänder in irgend einer Lage durch die Gelenk- verbindungen fixirt oder hält sie der Muskeltetanus in labiler Spannung? Die letztere an sich wahrscheinlichere Alternative wird dureh die Curven bestätigt. Eine Fixirung würde nämlich ein unsicheres Tasten der Stimme am Einsatz, und jedesmal, wenn eine Correetion stattfindet, hervorrufen, dann, sobald die richtige Einstellung gefunden ist, ein ruhiges, nur von dem Druck im Thorax beherrschtes Forttönen. Von beidem zeigen na- mentlich die Originalzählungen nichts. Allerdings finden sich anderer- seits keine so regelmässigen Schwankungen, dass man sie auf den Muskel- ton des tetanisirten Muskels beziehen müsste, aber wir können solche Schwankungen in der Länge des Muskels ja auch sonst nicht constatiren. Wie fest setzt die Stimme ein? sind ihre Schwankungen derart, dass sie den Beweis des Gehorsams gegen das Ohr liefern, so dass die Schwebungen zur Regulirung der Stimme benutzt werden können? Der Einsatz ist häufig z. B. Originalzählung für G, ce, g, g’ bewun- dernswerth genau, ausserdem ist sehr häufig der Einsatz maassgebend | für die Richtung aller nachfolgenden Fehler und fällt mehr dem falsch. Hören wie der Stimme zur Last. Dass das Ohr die Stimme regiert, ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. 125 ist ja selbstverständlich, die Frage kann nur sein, ob es sie unmittelbar, reflectorisch von Ganglie zu Ganglie regiere oder ob sich andere Mecha- nismen einschalten. Um einen so genauen Einsatz zu machen, muss doch wohl ein Gedächtniss für die verschiedenen Spannungsgrade der Stimmbänder vorhanden sein und damit verknüpft ein feines Gefühl für | | I a | | \ ö | l | \ N! f ! ! die Spannungsgrade. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Ohr erst eine Anzahl von Tonwellen erhalten muss, ehe es den Ton genau hört, wahr- scheinlich werden deren nicht zu wenige sein dürfen, wenn die Tonhöhe senau erkannt werden soll. Dass man die Tonhöhe mit Hülfe von Schwebungen corrigiren kann, ist selbstverständlich, aber aus den Ori- sinalzählungen dürfte hervorgehen, dass ein solches Verfahren für eine sichere Stimme nicht anwendbar ist. Wenn, wie dies vorkommt, auf 9, auf 7 und 6 Wellen ?/, Welle gewonnen wird, so ist dies ein schwerer Verstoss gegen die Richtigkeit des Tons, welcher prompt corrigirt werden muss, Dennoch kommt dabei entweder keine Schwebung zu Stande oder dieselbe vollendet sich erst in Folge von Fehlern, welche nach 10, 20, 40 weiteren richtigen Tonstössen gemacht werden, es ist also die Schnelligkeit der Schwebungen nicht das richtige Maass für die Correction einer besseren Stimme. So nahe also auch der Gedanke liegt, die Schweb- ungen für den Gesang nutzbar zu machen, er ist nicht richtig, sondern es muss das einfache Gefühl für die Richtigkeit des Tons ausgebildet werden. Fragen wir endlich nach der Feinheit der Leistungen unseres Organs! Die Frage kann nicht ganz scharf auf die Stimmbandmuseulatur zu- gespitzt werden, denn es kommt der Druck im Brustkorb sowie die Stellung des Kehlkopfs gegen den Resonanzraum mit in Frage, immerhin kommen die Stimmbandmuskeln in erster Reihe in Betracht. Es wird nöthig sein, die Resultate im Einzelnen durchzugehen. Meine Stimme hat für @ (96 Schwingungen) nur ausnahmsweise | einen Fehler von 1 Schwingung in der Secunde gemacht, meistens kommen ' viertel und halbe Schwingungen vor. Das Mittel der Fehler von Ohr und Stimme ist 0.3885 Schwingungen per Secunde mit einem Maximum von 0.5 und Minimum von 0-2 Schwingungen, der Fehler am Durch- schnittston (Stimme) beträgt im Mittel nur 0.3281 Schwingungen, aber (in Folge schlechten Schlusses) findet sich ein Maximum von 0-50, das Minimum ist 0-19. Es haben also Ohr und Stimme zusammen kaum grössere Fehler gemacht wie die Stimme allein. Für das ce von 128 Schwingungen kommen bis zu 2.25 Schwebungen ' in der Secunde vor, auch sind einige Curven, z. B. die zweite, bedeutend schlechter wie die anderen. Dies scheint aber Schuld des Ohrs gewesen zu sein, denn der Fehler, welcher sich für die Stimme allein berechnet, ist dabei oft nur gering, z. B. in Curve 2 und 5. 126 An. KLÜNDER: DE ee Die durchschnittlichen Fehler für Stimme und Ohr betragen 0.95 mit einem Maximnm von 1-68 und Minimum von 0.4. Für die” Stimme allein ist der Durchschnitt 0-47, Maximum 0-59, Minimum 0.23 i Für g von 192 Schwingungen findet sich ein Maximum von drei” Schwebungen, eine Schwebung kommt häufig vor. Der durchschnitt- liche Fehler für Stimme und Ohr beträgt 1-27, Maximum 1-9, Mi- nimum 0-8. Für die Stimme allein ist der Durchschnitt 0-6, Maxi h 0.9, Minimum 0-37. : Für e‘ 256 Schwingungen liegen die Fehler innerhalb der einzelnen Curven noch in denselben Grenzen. Stimme und Ohr ergaben einen Durchschnitt von + 1, mit einem Maximum von 2 und Minimum von 0-74. Stimme allein: Durchschnitt 0.59, Maximum 0.86, Mini- mum 0.38. | Die Zählungen der Stimme des Knaben sind weniger zahlreich und geben etwas weniger gute Resultate. In Bezug auf br Singen der Intervalle ist die Curve der Octare von mir wohl schlechter wie nothwendig gesungen, ich bin aber nicht mehr in der Lage, einen neuen Versuch zu machen, da die Apparate, b welche ich damals (vor acht Jahren) gebrauchte, jetzt nicht mehr zur” Disposition sind. Die Quinteneurven auf @ haben einen mittleren Fehler für Stimme und Ohr von 0.7, dagegen ist der mittlere Fehler ' der Stimme allein genau derselbe, wie für die Unisonoeurven von 9. Die Duodecime gesungen auf g hat für Stimme und Ohr den Fehler ı 7.38 gegen unisono g = 1.27; für Stimme allein von 0-61 gegen unison0 | 9 0-62, also auch hier grosse Uebereinstimmung. R In allen diesen Haste tönte die Orgelpfeife fortwährend, fu eine Untersuchung der Tonhöhe ohne Begleitung der Pfeife fehlen die Mittel. ; Um eine Uebersicht zu geben, habe ich die sämmtlichen mittleren ı Mittelwerthe auf den Ton g, 768 Schwingungen reducirt, dabei finden sich die Fehler von Stimme und Ohr namentlich für Wr. gross, da- gegen sind die Fehler der Stimme allein für die verschiedenen 'Tom-\ höhen von sehr bemerkenswerther Constanz. 5 Es scheint sowohl für mich wie für Wr. die Stimme ein wenig, sicherer zu werden bei höherer Tonlage des betrefienden Stimm fan Nur der Werth von ce und e? fällt etwas aus der Reihe, dennoch ist, olaube ich, die Thatsache richtig. # Die Constanz der Stimme wird man vielleicht am besten würdigen, wenn ich ihre Fehler in Procenten berechnet hierhersetze und zugle das Gewicht g der Mittel durch die Anzahl der gezählten Curven aus- drücke. “ iM ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. 124 | Benler | Anzahl der | Mittlerer . gezählten Gesungener Ton. Fehler. | 2 ee | Curven | | ; | I- G % en IE 0 3981 + 0.342 8 ec 128 ” „0.4703 | ‚, 0.364 8 g 19 r MER G1LIH | 0823 6 e 256 B „ 0.5870 | „ 0.230 5 A.Kl. G Quinte (96) „0.3309 | „ 0.345 2 | ce Octave (130) „0.7097 | „ 0-546 1 9 Duodeeime (142) 0260992 2030| 1 g 387 Schwingungen. | „1.7888 | „0.462 | 1 © 517 „ „2.0286 |, 0.392 2 9” 186 h „2.8284 ,, 0-360 1 Wr. 9° Octav (393) „83-0150 | „ 0.767 2 Bu, (616) 154423 |, 0.280 2 e (Co) 2119280 0,.0-326 2 = Fg 14:643 41 mittlerer Fehler + 0-357°/, Hieraus ergiebt sich, dass eine gute Stimme einen Fehler von ‘ = 0:357 Proc., also bei je 100 Schwingungen eines Tones !/, Schwin- Sungen mehr oder weniger machen wird. Es scheint berechtigt zu sein, die ı Aussage zu machen, dass Intervalle von 0.714 Proc, Schwinungsabstand von dem Stimmorsan getrennt wiedergegeben und getroffen werden können. ) Dies ist wenigstens das directe Ergebniss obiger Zählungen und die An- zahl der Bestimmungen dürfte eine genügende sein. U 4 LT | Hieraus kann jedoch noch kein Rückschluss auf die Leistung der | Museulatur der Stimme gemächt werden. Betrachten wir nämlich noch einmal die Originalzählung z. B. der Curve 1 für G, so findet sich, dass ‚ die Stimme, die den Ton mit 95-84 gegen 96 Schwingungen recht genau traf, ziemlich plötzliche, aber kurz dauernde Schwankungen machte. Sie variirte um !/, Wellenlänge im Verlauf von 9.5—20—-10-25—15—18 u.s. w. Wellen. Dies entspricht, auf die Secunde umgerechnet, viel | bedeutenderen Schwankungen als den soeben gefundenen. Rechnen | wir aus jenen Schwankungen das arithmetische Mittel, so ergiebt sich, | dass auf 16-2 falsche Schwingungen !/, Wellenlänge Fehler kam. Dies . | | 4 | j ergiebt für den Ton von 95.84 Schwingungen einen Fehler von + 1-48 Schwingungen oder von 1.54 Proe. Wenn ein Spannungsgrad der Stimmbänder von einem zweiten y | | = }) 128 An. KLÜNDER: Spannungsgrad unzweifelhaft geschieden sein soll, darf die Stimme bei den von ihr gewöhnlich gemachten Schwankungen nicht in den gewöhnlichen Schwankungsbereich des benachbarten Spannungsgrades hineingerathen. Diese Bedingung wird für die betrachtete Curve erfüllt, wenn die beiden Töne um das Intervall von 3-08 Proc. der Schwingungs- zahlen getrennt sind. Die Curve 1 von G hat ganz nahe das von ung gefundene allgemeine Mittel der Schwankungen ergeben, wir dürfen sie bei der nachgewiesenen grossen Uebereinstimmung der Mittel aller Curven als typisch betrachten und für sie die Zahl der scharf geschiedenen Spannungsgrade unseres Stimmapparates berechnen. Nehmen wir für den Umfang meiner Stimme F mit 88 bis d’ mit 297 Schwingungen. . En _ 1.0308 als Coöffieient; des Intervall, TE wird der Ansatz zu machen sein 297 = 88 x 1-0308° oder log 297 — log 88 log 1.0308 Es ergiebt sich =ı%ı wo z die Anzahl der scharf getrennten Tonstufen angiebt. Diese An- zahl bestimmt sich auf 40 Stufen. Innerhalb der genannten Tonleiter liegen 22 Halbtöne, die Stimme würde also kaum ein Intervall von ı /, Ton ganz befriedigend auseinander halten können. Es ist bemerz; kenswerth, dass die Orientalen noch Vierteltöne singen.! Bei dieser Betrachtung ist der Fehler des Ohrs nicht mit hinein- gezogen, wie ich glaube mit Recht. Nach vorliegender Untersuchung erscheint das Ohr viel weniger feinhörig, als es nach den directen Be- stimmungen von Preyer? ist. In unserem Fall ist, wie schon erwähnt, das Ohr gezwungen, nach sehr wenig Schwingungen zu entscheiden, wie hoch der gesungene Ton war, während bei Preyer dafür eine beliebige und ungestörte Frist gegeben war. Fehler von 3 Proc. liegen weit| ausserhalb der Grenzen dessen, was mein Ohr zulässt, da ich nach einigen Versuchen bei 100 Schwingungen kleine Tondifferenzen, die nicht weiß! von !/, einer Schwingung sein können, noch unterscheide Innerhalb des Verlaufs von 10 Schwingungen des @ kann das Ohr nicht ein-) wirken, denn es braucht gewiss mehr .wie drei falsche Schwingungen, um den Ton als falsch zu erkennen und dann die Reflexzeit, !/,, Se&, um ihn zu corrigiren! Y Es darf demnach bei dieser Betrachtung vom Ohre abgesehen werden, es kann also der Stimmapparat nur 40 Spannungsstufen gut getrennt halten. Zu dieser Beschränkung wirken mindestens zwei Factoren ge- R ! Helmholtz, Die Lehre von den Tonempfindungen u. s. w. 1870. S. 119 2 Preyer, Weber die Grenzen der Tonwahrnehmung. Jena 1876. en een ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME, 129 meinsam, nämlich die Druckschwankungen innerhalb des Thoraxraumes und die Spannungsschwankungen der Kehlkopfmuskeln. Es ist natürlich schwierig, dieselben auseinander zu halten. Die Druckschwankungen im Thoraxraum, welche durch die Volumensänderung des Herzens hervor- gebracht werden, sind, wie die Betrachtung der Zählungen ergiebt, nicht bedeutend genug, um eine merkliche Aenderung der Stimm- höhe zu veranlassen. Es können also nur stärkere Schwankungen des Expirationsdruckes in Betracht kommen; eine Vergleichung von bei ge- ringsem und bei hohem Druck gesungenen Curven würde vielleicht ge- statten, diesen Schwankungen näher zu kommen, jedoch konnte dazu der von mir gebrauchte Apparat nicht verwendet werden. Da demnach die Schwankungen des Drucks im Brustkorb nicht ganz auszuschliessen sind, würden 40 Spannungsstufen die untere Grenze für die Feinheit sein, mit der der Tetanus der Stimmbandmuskeln gra- duirt ist. Als obere Grenze dürfte vielleicht der Werth des mittleren Fehlers der Stimmeurven aller Töne, welcher oben mit + 0.357 Proc. sefunden wurde, zu benutzen sein. Aus dem Intervall von 0.714 Proc. berechnet sich die Zahl der Tonstufen innerhalb des hier genommenen Umfangs der Stimme zu 170. Es würde sich demnach ergeben haben, dass ein sehr geübter Muskel des menschlichen Körpers mindestens 40, höchstens 170 verschiedene Spannungen im Tetanus innezuhalten vermag. Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol, Abthlg, f) 150 Av. Krünpek: Tabellen der Zählungen. 1. Originalzahlen der Unisonocurven. 2. Berechnung aller Unisonocurven. 3. Reduction ders. auf g”. 4. Quinten, Octaven und Duodecime. 5. Reduction ders. auf g”. Rubrik 1 giebt die Schwingungen der Orgelpfeife und der Stimme, » 2% „ die rohen Fehler. j » 3 „ die Fehlerquadrate. D ist der Durchschnittston der Stimme, » 4 „, die Fehler am Durchschnittston. i » 5 „ die Fehlerquadrate für D. Originalzahlen der Unisonocurven. G=8ol. A.Kl. ee liy. AU, g9=Sob. A.Kl. Curve 1. Curve 1. Curve 4. 9 Keen 36 lhh Naar 1a ea 20 18Y/,+Y/, 12 28 18 +1, 10 +1), — 321), 10 El), 8 a a, 1, il —17 60 UNE 8 U, 15 un ol 281), 10 +), —21 I +1, —IT +1 34 ln 951), 24 28"), NOS SEN, ©) 7 +4, 30 —25 Ei, 15 TEE R 15 I +1, (6) —59 —21 9,41, 15 un d en — 221], 12 42 48 18 —, 25 +1, 12,4 "4 20 —ı, 18 aan ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME, G=S8ol. A.Kl. c= Ub. A.Kl. g=Sols. Curve 1. Curve 1. Curve 4. 51 —48 15°/, +", 69 ion Sea), 3017, 231 on) —481/, 31 41 ad a, u an, 60 50 16 351,4"), 24 un an 30 33 ln, 16 29 91, 20 15 eh las 21 oh 21 +'), 18,4", 46 23 56 — 40 —28 Sl, 22 +! Be, 8 an, 36 21 Sl), 60 18 a N 5 1a u 60 20 7 al el, a, & el 36 ul 7 24 161), —"/, 7 eh So 131), 31, 25 Bi, +, 2,1], la 10,4), 151), 24 91, 98 16 +1, 38 +, ul Eu) 21 I — 30 gen, 43 il 52 38 68 10 +1, 20 —69 —22 Ir 151,4"), 22, +" 30 67 a el), u) 24 St, 20 +3, AKL 131 g=Sols. I 21 —'h 21, Il —10 —!, 151), 15 nal I era 26 19 —!, 14 —!), 23 —ı 12 12,—), 16," ID ik 10 —h — la al 16 —1, 19 —ı, 24 10 —/, I la gel, Tl, 17, 16 Zee Kenia — 27 22 2 la li 231), 16 —!), 1 —ı, a 10 ein 9* 132 Av. KLÜNDER: G=8bl. A.RL.| DANK g=Soh. A.Kl. g=Sol,. Curve 1. | Curve 1. Curve 1. 1 +, 20H], 22 len 25 -13 —!, Su 35 27 I +1, — 12 2 Tya+ "ls 15 16 —y, 122, 16 8 —ıı 14,4", 131, 8, DU, 33 16 —, 8 +, IH, 50 | 10,4 a 36 +), 1, 49 221), 16 +), eco 5 Sr la 17 el: 91, 17), 23 111,—'], ) Io 10 a 13 — 18 1), 15 —ı/ 1a 1, wu 5 — 8 u ESS EIZIUTZSENIRU: en U VE: Curve 5. Inne Curve 1. Aal s0 29+2 10 f 80-+1 39+1!/, 12 —!/, 81 22+1 10—!/, 76 | 18+ !/ A 51 45 53 4 U, — 5 U, 1 100 Sl 74-1 —25 il 40 R ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. ld Ok C=URENG g=Soly. Wr. Curve 5. Curve 1. 11— !/, 94 42 -+ 1, 15 56 45+ 1, DT Ya 50+ ur 33+ a 80 —96+ 1), 46-+1 50 74+1 24+ 1, 40 49 —46+1 24— !, 55 35+ — 90 51l-+1 45 + ln 16 — 120 33+ 14 14— iR 59-+1 45+1 100 49 +1 42+1 — 12 5l-+1 58-+ In Be, 76 20 1), ISEN 61 20+ 1, 17 — "ln 61-+1 126 106 —22+ Hl 23 — ln 22 — in 61--1!), 39 in — 67 50-+1 —34+ 1, 40 92-2 29 + in 10-+ jr 65 26 40 sc an 3) 32 —90 18-+ ', 12 — an 202+2 24+ 1), 64 22-+ \, — 40 31+ Y, 1 u) 35+1 62 25-+ ") Keen Ya 224 eh 16 68+1 14 1, 194 1, 12 82 10+ la 0 le —23 64 32 58-+1 46 25 — un 10 w 154 G = Sol, = 96 Schwingungen. A.Kl. Curve l. D, = 9-34. il, 2. 3. 4. 9. 96:96!/, +0-25 0.0625 ı 041 016 96:952/, — 0-5 0-25 70.34 — Valı5o 96:96 + 0.16 — 0.0256 96:953/, - 0-25 0.0625 — 0.09 — 0.0081 96:95, - 0.75 0.5625 — 5A 96:96 + 0:16 — 0.0256 962952, 0.25 020625 — 0-09 — 0.0081 96:96 + 0.16 — 0.0256 96:962/, + 0-5 0.25 + 0-66 — 0-4356 90.2195, 0-20.25,.2050625 — 0.09 — 0.0081 38:93, — 0:8 0-25 — 0.34 — 0.1156 Se 10) 1.5625 10) 1.2841 y 0: 1562 y 09-1284 + 0.3952 + 0.3583 Curve 2. D = 96-0 1. 2. 3. 9620220 0.95 27.020625 8:9, = 05 0-25 96:967/, + 0.25 0.0625 96:962/, + 0-5 0-25 96-96 96:96%/, + 0-25 0.0625 96:962/, + 0-5 0.25 96:961/, + 0-25 0.0625 I — 5 1-0 162311575 8) 2.0000 v 0-25 An. KLÜNDER: 3, Unisonoceurven ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Öurve 3. D = 96-34. 1l 2, 3. 4. 3. 96:96 — 0.34 0:1156 96:96%/, + 0-75 0.56% 2 0-41 — 0-1681 96:96?/, + 0-5 0.25 + 0-16 — 0-0256 96:96%/, + 0-25 0.0625 — 0-09 — 0:0081 96:96 — 0.34 — 0-1156 96:962/, + 0-5 0:25 + 0-16 — 0:0256 96:962/, + 0-5 0:25 U 05162.0..0256 96:96%/, + 0-25 00625 — 0:09 — 0.0081 70:69'/, A. Tloaals 7) 0.4913 y 0:2053 y 0.0702 + 0-4529 + 0:2649 Curve 4. 2 —3.36,203: 1 2. 3. 96:97 +10 1-0 96:96 96:96%/, + 0:25 0.0625 96:96 96:96 96:962/, + 0-25 0.0625 96:952/, — 0-5 0-25 a5, 0.5 0.5625 96:96 50:492/, 8) 1:9375 y 02421 + 04920 (er 136 An. KLÜNDER: Curve 5. D= 96.31. il, 2, 3% 4. 5. 96 :96°/, + 0:5 0:25 + 0:19 — 00361 96:96 or = (W- U 362,962, 1055 0:25 + 0:19 — 0-0361 96 :961/, + 0:25 0-0625 — 0:06 — 00036 96 :962/, + 0-5 0-25 + 0-19 — 00361 96 :961/, + 0:25 0-0625 — 0:06 — 00036 96 :96 70-310 2020961 96 :962/, + 0-5 0-25 + 0:19 — 0-0361 96 :962/, + 0-5 0.25 + 0-19 — 0:0361 96 :961/, + 0-25 0.0625 — 0:06 — 0.0036 g62 962, 10-25 72020625 — 0:06 — 00036 96 :961/, + 0-25 0.0625 — 0:06 — 0:0036 12). 05% U 25625 11) 0-3907 y 0:1420 y 0:0355 0.3768 + 0-1884 Curve 6. D = 95.9. lo 2. 3 4, 3. 96:95, 0.250. .02.0625 _ 0.222 2010484 96:961/, + 0-25 0-0625 + 0:28 — 00784 967953, 0055 2.020625 — 0:22 — 0:0484 96:96, + 0-25 0-0625 + 0:28 — 00784 96:96 + 0:03 — 0:0009 96:95°/, = 0:25 0-0625 — 0:22 — 0:0484 96:96 + 0:03 — 0:0009 96:96 + 0:03 — 0:0009 96:96 + 0:03 — 0:0009 88:88 8), 20-3125 S) 0.2956 y 0.0390 y 0:0369 1974 + 0:1921 Öurve 7. il; 96:96°), 96:961/, 96:96 96:95°), 96:96 96:95°/, 96:96 96:961/, 96:95°/, 96:95], 21.203, ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Do Io: 2. 3. 4. D% +05 0. + 0:53 — 0-2809 +0:25 0-0625 + 0-28 — 0.0784 + 0:03 — 0-0009 — 0:25 0-0625 — 0-22 — 0-0484 + 0-03 — 0-0009 0-25 0-0625 — 0:22 — 0-0484 + 0-08 — 0.0009 +0:25 0-0625 + 6-28 — 0.0784 - 0:25 0-0652 — 0-22 — 0-0484 05 0:85 _ 0-47 — 0:2209 9) 0-8125 9) 0.8065 y 0-0902 y 0:0895 + 0-3031 + 02992 MD) = bene 2. 3% 4. 5. 10-25 0.0625 10-47 — 0-2209 05005 — 0-28 — 0-0784 N 0:25 — 0-28 — 0-0784 0:75 0-56 — 0-53 — 02809 0-22 — 0-0484 _ 0-25 0.0625 — 0-03 — 0-0009 0:25 0-0625 + 0:47 — 0-2209 0.25 0-0625 — 0-03 — 0:0009 0-25 0-0625 — 0-03 — 0-0009 + 0:22 — 0-0484 9) 1.3750 9) 0-9790 y 0-1527 y 0:1089 + 0-3907 + 03300 138 Av. KLÜNDER: Zusammenstellung der Zahlenmittel für @ = Sol. Qurve 1. il. 128 ,.2212954 128.:42947 1230.11287, 128 721292, 1280312907 12872929), 1280:1928, 1253123), 128 5213017, aa le D Corve 1 0.3952 0.3583 2000272.025000 05000 3 01929 02649 01920 0.4920 025 V2arlos 0.1884 6.031974 0-1921 77702023038 0.2992 2822025900 0.3300 8) 3-1081 2.6249 + 0:3885 + 0.3281 Ut, = 128 Schwingungen. . 3249 D= 291% 2, 3. 4. 5. 11-25 15625 + 0.06 — 0-0036 25 1.5625 + 0-06 — 0.0036 170-5 0-25 — 0.69 — 0.4761 25 1.5625 + 0-06 — 0.0036 1.25 15625 + 0:06 — 0.0036 AL. lol 90625 + 0.56 — 0.3136 + 0:75 05625 — 0.44 — 0.1936 029 0:25 — 0.69 — 0.4761 SE ER 5-0625 +.1.06 — 1-1236 8) 154975 5) 2.5974 7 ERzeN yd- + 1'3891 + 0.5698 ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Curve 2. D = 129.46. il, 2” 3. 4. 5. 128 :129°/, + 1-75 3.0625 + 0:29 — 0.0841 128 :1392/, +1-5 2325 + 0.04 — 0.0016 128 :129%/, + 1-25 1.5625 — 0.21 — 0.0441 128 :128%/, + 0-5 0.25 20296 0292116 128 :1293/, + 1-75 3.0625 + 0.29 — 0.0841 285.280 772.2.0 4.0 0.54 = 022916 128 :1291/, + 1-5 2.25 + 0:04 — 0.0016 1911203, ) 16.4375 6) 1.4287 v 2.1396 y 0.2381 + 1.6850 + 0.4879 Curve 3. 195 1230288: 1 2 3 4. 5. 128:127 — 1.0 1-0 — 0.88 — 0.7744 128:127°/, — 0-25 0.0625 — 0.13 — 0:0169 128:1272/, — 0-5 0-25 — 0.38 — 0.1444 128:128!/, + 0.5 0-25 + 0.62 — 0.3844 128:128 70.127 0.0144 128:128?/, + 0-5 0.25 + 0:62 — 0.3844 19&.191/, 5) 1.8125 5) 1.7189 yV 0.3625 y 0.3438 0.6020 + 0.5863 133 140 An. KLÜNDER: Curve 4. | D = 127:9. il, 2. 3% 4. Br 128 :1271/, — 0-5 0-25 | — 0-45 072023 128 :127°/, — 0.25 0.0625 — 0.20 — 0:0400 128 :128%/, + 0-25 0-0625 + 0.30 — 0.0900 1280:1282 22055 0-25 0-55 023075 128 ..:128%/, + 0-75 0.5625 + 0.80 — 0.6400 128 :1281/, + 0-25 0-0625 + 0.30 — 0.0900 128: :128%), + 0-5 0-25 1 or — ln 128 :1272/), — 0-25 0-0625 — 0-20 — 0.0400 128 :127%/), — 0-25 0.0625 — 0.20 00400 1287 221270), 20.575 0:5625 — 0-70 — 0.4900 1282 om Veto 0.5625 — 0.70 — 0.4900 5ay,: 549], 10) 2.7500 10) 2.6475 y 09-2750 y 0-2647 + 0.5244 + 0.5146 Curve 5. D = 129-17. il- 2. 3. A. 3 128 :129%/, + 1-5 2.25 u oa — I SS 128 :128%/, + 0-75 0.5625 02-42 — 0217764 128 :1294, + 1-5 2.25 + 0-33 — 0.1089 128222 I 100 — el — VolER8 128 SINE el 1-0 — 0-17 — 0.0289 128 :128%/, + 0-75 0.5625 oa — VS 128 :1291/, + 1-5 225 + 0-33 — 0.1089 128 :1291/, + 1-5 22 1.0.33 071089 129 ER) 1-0 0.17 .0-0289 4T!),. 48 8) 13.1250 8) 0.8751 y 1.6406 y 0.1094 + 1.2809 + 0.3307 — Da I; ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Curve 6. DEE 1. 2. 3. | 4. 2 128:128 | + 0.59 — 0.3481 sa 1.5 2.25 = 2 20:91 0,8281 Der, 0-75 0.5625. | . — 0.16 — 0.0256 128:128'/, +0.5 0.25 + 1.09 — 1.1881 128:127 — 1.0 1.0 | — 0:41 — 0.1681 128:128 + 0:59 — 0.3481 128:1271/, — 0.75 0.5625 — 0:16 — 0.0256 128:127°/, — 0-75 0.5625 — 0.16 — 0:0266 128:127%/, — 0-5 0.25 + 0.09 — 0.0081 128:1271/, — 0-5 0.25 + 0:09 — 0.0081 128:127'/, — 0-5 0-25 + 0.09 — 00081 128:1271/, — 0-75 0.5625 — 0.16 — 0.0256 108-1263, — 1:05 1.5625 — 0.66 0-4356 41: 40°), 5 12) 8.0625 12) 3.4428 y 0.6719 y 0.2869 + 0.8197 + 0.5356 Curve 7. D5— 128.32: ie 2 3 4. 5. 128:128 — 0.32 — 0.1024 128:1281/, + 0-25 0.0625 — 0-07 — 0:0049 128:1281/, + 0:25 0.0625 — 0.07 — 0.0049 128:1281/, + 0:25 0.0625 — 0-07 — 0.0049 128:128'/, + 0.5 0.25 20.18, 0.0324 128.128!/, + 0.25 0.0625 — 0-07 — 0.0049 128:128'/, + 0-5 0-25 + 0.18 — 0.0324 128:1281/, + 0-5 0.25 + 0.18 — 0.0324 128:128 — 0.32 — 0.1024 ‚128:128°/, + 0-75 0.5625 + 0.43 — 0.1849 128:1281/, + 0.25 0.0625 — 0-07 — 0.0049 22: 10) 1.6250 10) 0-5114 y 0.1625 y 09-0511 0-4031 + 0.2261 141 Av. KLÜNnDER: Curve 8. D = 121.23. lo 2. 3 4. BD 128:1253), — 2-25 5.0625 1. As ot 128:19271), — 0.5 0.25 oe ass 055 0-25 20.27 020 198-1072 .0.5 0-25 7.9702 0007029 srl No 1:0 _ .0.23.20.0529 ae el 1-0 — 0.23 — 0.0529 23.107202 0.25 2020625 0.5 ee asaların = 0b 0-25 200 e ISSN ee 1>0 —-0.23 — 0.0529 sog 0275. 2025625 120.022 02.0009 12810715 — 0-5 0-25 20.970200 Ds 10-7053 00.5625 + 0:02 — 0.0004 128:1271/, — 0-5 0.25 De er se, — 0616 0.5 1.0.02 70.0004 a 13) 11.3125 13) 3.0531 y 0:8702 y 0.2318 + 0.9328 + 0-4814 Zusammenstellung der Fehlermittel für c = Curve 1. 1.3891 0-5698 a ae 0.4879 „ 2732.0206020 0-5863 „ 04...025244 0.5146 12a‘ 0.3307 „ .& Voaldn 0.5356 „2... 0.4031 0.2261 128.02059528 0.4814 8) 7.6371 3.7304 + 0.9546 + 0.4663 Un,. ÜBER DIE (GENAUIGKEIT DER STIMME. g = Sol, = 192 Schwingungen. Curve 1. DI AZ ie 2. 3. 4. 5. 12.193. > + 1.0 1.0 +.0-19 — 0-0361 192:192 — 0.81 — 0-6561 192:1931/, + 1-5 2:25 + 0:69 — 04761 192:192!/, + 0-5 0-25 — 0:31 — 00961 192:193'/, + 1-5 2.25 + 0.69 — 04761 192:1922,, + 0°5 0.25 — 0:31 — 00961 192:1932/, + 1°5 2.25 + 0:69 — 0:4761 192:192: — 0.81 — 06561 nn 8-25 7) 2.9688 v 1.1699 y 0.4241 + 1.0816 + 0.6512 Curve 2. 1) = NGar@L, il, 2. ®. 4. d. 192:194 + 2.0 4.0 + 0:63 — 0:3969 192,1931/, + 1-5 2.25 + 0:13 — 0:0169 192:192 — 1:37 — 18769 192.194 7 2.0 40 + 0:63 — 03969 81: 81'), 3) 10-25 3) 2.6876 v 3.4166 y 08959 + 1.8484 + 09465 Curve 3. D7— 193202. 1; 2. 3 4. 5 01 72.0 4.0 + 0-38 — 0-1444 gs 1.0 1.0 — 0-62 — 0-3844 Me. 11.0 1.0 — 0:62 — 0-3844 Bag 20 40 + 0-38 — 0-1444 do ı 1-5 2:95 Wo szlgeı 4 0.5 0.25 eo ana Road 12.0 ..40 + 0-38 — 0-1444 19:15 +30 90 + 1:38 — 1-9044 198 7) 25-50 7) 4.3752 y 3-6418 y 0-6250 + 1:9083 + 0:7905 u ee 143 144 An. KLÜNDER: Curve 4. D = 192-60 il, 2 5 4. 5% 192:193!/, + 1:25 1:5625 + 0:65 — 04225 192:138 +10 1120) + 0:40 — 01600 192:192/, + 0-5 0.25 — 0:10 — 00100 192:192!/, + 0-5 0:25 — 0:10 — 0.0100 192:1921/, + 0:25 00625 — 0:35 — 0:1225 192:192!/, + 0-5 0:25 — 0:10 — 00100 192:1923/, + 0:75 0.5625 + 0-15 — 00225 192:1921/, + 0.25 00625 — 0-35 — 0:1225 192:192 — 0-60 — 03600 KO22250 I) + 0:30 — 00900 150-1501), 9% 50000 9) 1.2300 y 0:5555 y 0:1366 -+ 07453 72023695 Curve 5. D:— 192556: 1. 2 3 4. 58 192:1922/, + 0:75 0.5625 + 0-19 — 0:0361 132:194 + 2-0 4.0 + 1-44 — 20736 192:1923/, + 0:75 05625 + 0:19 — 0:0361 192:1923/, + 0:75 05625 + 0:19 — 00861 192:1922/, + 05 0.25 — 0:06 — 00036 192:1922/, + 0:75 ° 0-5625 + 0:19 — 0-0361 192:1924/, + 0°25 00625 — 0.31 — 0:0961 192:192 — 0-56 — 0:3136 192:192 — 0:56 — 03126 192:1921/, + 0:25 0:0625 — 0-31 — 0:0961 132:192 — 0:56 — 0:3136 192:198 +1°0 1-0 + 0-44 — 0:1936 192:1921/, + 0:25 0.0625 — 0:31 — 0.0961 125:125 1) edlerts) 12) 36443 y 06406 y 0°3037 = 0-8003 == 0.5511 ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Curve 6. D = 193-0 1. DR 3: 4, 5. 192:192/, + 0°5 0:25 -—— 0250= 20225 192:138 +10 1:0 192-1937 71:0 1:0 192:193/, + 1.5 2-25 12.0250, 02925 100:102 FT ; 3) 4.50 3) 0-50 y. 1:50 y 0:1666 OD + 0-4081 Zusammenstellung der Fehlermittel für y = S$ol,. Curve 1. 1.0816 0-6512 0 oeakern! 09465 32 159083 0:7905 2120-7145 0:3695 „5: 0-8003 0-5511 BED DART, 0-4081 6) 7.6086 3:7169 + 1:2681 + 0:6195 c= Ut, = 256 Schwingungen. A.Kl. - Curve 1. Di7256213 1, 24 38 4. D% 256 :256!/, + 0:75 05625 + 0:62 — 0-4844 256 :255°/, + 0.25 0-0625 | — es — Neikerl 256 :256 - —. (Vo MENITR, 256 :256!/, + 0:25 0.0625 0er 020144 250,:256 2013. 020169 1601/,:160 06875 4) 0.5770 v 0.1718 y 01442 == 0A t 0:3797 Archiv f.A. u. Ph. 1378. Physiol. Abth. 10 146 AD. KLÜNDER: Curve 2. D = 256.31. ir DR 3 4. 38 256 :257U, 41.5 2-9 1 een 256 :255%/, — 0-25 0-06%5 20.56 20.3186 256 :2561/, + 0-25 0-0626 0.06 — 0.0036 256 :255%/, — 0-25 0-0625 N aeatak 91%/,: 91), —— 3) 92-4375 3) 1.0469 y 0-81% y 0-3490 + 0:9013 + 05908 Curve 3. D = 257.31. ıl. 20 8. 4. 5. a a ee en 256259, 272.320,02.0950 lol een 956:2572/), + 1-75 3-06% 270.06 0.0036 256.257 1200 100 — 0-81 — 0-6561 56:25, 15 2-3 -_.0-31 — 0-0961 oa =). ac 2 0-19 — 0-0361 256:37 1, +15 028 ı a Ve 256:2581/, + 2-25 5.0625 na near 256:2581/, + 2-25 5.0625 2 0.440:1956 88 ® 8) 32-6875 8) 3.3474 y 4-0859 y 0.4184 en + 0.6468 Curve 4. D = 25550. 1, 25 3, 4. 3a 2 _ 0.50 — 0.3 256:2551/, — 0-75 0-56 — 0.25 — 0.0625 256:256 + 0-50 — 0-3 256:255°%/, — 0-25 0-0625 + 0.25 — 0.0625 en. 3) 1-6250 3) 0.6250 y 0.5416 y 0.2083 + 0:7359 + 0-4564 Curve 5. 18 256:254/, 256:255°/, 256:255°/, 256:2551/, 256:256!/, 256:256'/, 131:131°), ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. D = 255.59. 2. Eh ; eh); 1:75 83-0625 _ 1-34 — 1:7956 0-75 0.5625 — 0-34 — 0+1156 0.25 0:0625 + 0:16 — 0-0256 0-75 0.5625 — 0:34 — 01156 — 05 ea + 0:91 — 0:8281 5 1025 = 0.91 — -0-8281 5) 4-:7500 5) 3.7086 y 0:9500 y 0:7417 + 0:9746 + 0-8612 Zusammenstellung der Fehlermittel für Ui, = ec. ik 384:385 383:3861/, 384:3861/, 384,3881/, 384:3891/, 274.276 Curve 1. 0:4073 0:3797 22059013 0:5908 13020213 0.6468 412 0.0899 0:4564 5.009746 0:8612 5) 5.0404 2:9349 + 1.0081 + 0-5870 g' = Sol, = 354 Schwingungen. Wr: D = 387:20. 2. a 4. 5. + 10 120 — 2:20 — 4:84 + 2-5 6:25 — 0:70 — 0:49 + 2°5 625 — 0:70 — 0:49 + 45 20:25 + 1:30 — 1:69 +5°%5 80:25 + 2:30 — 5:29 4) 64:0 4) 12-80 vu 1160 y 3:20 ea) + 1:7888 105 148 An. KLünDeEr: c” + Ut, = 512 Schwingungen. Wr. Curve 1. D = 518.35. L 2. g, 4. 5. 512:9214, + 9:25 85.5625 +29 — 8:41 512:517/, + 55 30:25 — 0:85 — 0225 512:5181/, + 6-15 39-0625 -— 0102020108 196: 106%), 2) 154-8750 2) 9.1425. y 17-4375 y 4.5712 4 8.7978 —t 2:1380% Curve 2. D = 516°66. 1% 2 3. 4. 5. en ee) 9.0 -— m3471E7936 DiDESlbE- 0 16-0 270234202190: 512:519 + 7-0 49-0 a — Deallat 329,334 74-0 2) 13868. y 37:0 y 3°6934 + 6-0898° + 1-9192 Zusammenstellung für c” = Dt. Curve 1. 8:7978 2.1380 09610528 19192 i 2) 14-8806 40572 == 74403 + 2:0286 g' = Sol, = 168 Schwingungen. We D = 786.0. ilo 2. 3. Are By 168:784 + 16:0 256-0 yo) — 168:788 + 20-0 400-0 el el 1 1) 656-0 1) 80 y 656-0 ys0 2 25.10125 + 2-8284. ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. 149 3. Reduction der Resultate der vorstehenden Unisonocurven auf y” = Soli, g? — 25-6125 2-8284 Wr er 604 3.0429 g! — 8-0000 3.5776 en, Selina 1°7610 W 50724 2.4780 A.KLı 5.7276 2.7978 | G — 3°1080 2.6248 4. Intervall. Quinte C:G = Ui, : Sol. A.Kl. Curve 1 D = 96.65 2. 38 4. 5 64:96 :9U, +15 2-25 0:85 0.7225 Io I7e 10 1:0 210-555 2051225 302.296 — 0-65 0.4225 96 :961/, + 0°5 0-25 703152 2020225 96 :963/, + 0.75 05625 + 0:10 — 0.0100 96 396°/, + 0:75. 0-5625 0:10 — 0-0100 96 :96%, +05 0-3 20215 0.0225 96 :96°/, + 0:75 05625 02102 020100 771/4:78 54375 7) 1.3425 v 0:7767 v 0.1918 + 0-8813 + 0:4379 Curve 2. D = 96:28. I 2. & 4. B. 64:96:951/, + 0°25 0.0625 — 0:03 — 0°0009 56:961/, + 0°5 0-25 + 0:22 — 00-0484 70:70 1) 0-3125 1) 0.0493 y 0.3125 y 09-0493 + 0.5590 = 090-2240 150 AD. KLÜNDER: Zusammenstellung der Fehlermittel für die Quinte C:@. Curve 1. 0-8813 0-4379 „2. 0.5590 0-2240 2) 1.4403 06610 + 0-@01 | = 0-3309 Octave (C:c = Ut: Ut,. A.Kl. D = 130:02. 1% 2 3% 4. D. 64:128:131 +3-0 9-0 + 0:98 — 0.9604 nee lao, ma Be + 0-48 — 0:2304 128:130 2 2:0 4:0 — 0-02 — 0-0004 128:1297/, 15 2-3 — 0:52 — 0-2704 128:1301/, + 2.25 4.0625 + 0:23 — 00529 128:129%/, + 1-75 83-0625 — 0:27 — 0.0729 san 2 3.090 + 0:98 — 0°9604 128:1308/, + 2:75 7-56 + 0-73 — 0-5329 128:129/, + 1-5 2-25 _ 0-52 — 02704 128:1283/, + 0-75 0.5625 — 1:27 — 1:6129 Bla, ls 20 oo 2 0.008 124.124), 10) 50-2500 10) 5.0369 v 5-0250 v 0-5037 + 22400 + 0.7097 Duodeeime C':g. A.Kl. D = 190-86. 1a 2 33 4. B; 64:192:11 —-10 10 + 0-14 — 0-0196 192.190 22.002 0.86 20-7396 192:10 —-20 40 _ 0:86 — 0-7396 1997-1910 0, 27:00. 120 + 0:14 — 0:0196 192:191%/, — 0-75 0-5625 + 0:39 — 0-1521 192:191°/, — 0:75 0:5625 + 0:39 — 0-1521 192:191%/, — 0-5 0. + 0:64 — 0-4096 51: 85°, 6) 11-3750 6) 22322 Mean y 0.3720 + 1:3768 + 0:6099 ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Quinte c!— g! = Ut,: Sol,. Wr. Curve 1. % 2, 3. 256:384:389 + 5-0 25.0 384:388?/, + 475 22-5625 384:3921/, + 8:25 68-0625 384:394?/, + 10°75 115-5625 384:391!/, + 7-25 59.5625 384:394?/, + 10:75 115-5625 384:3921/, + 8-25 68-0625 0-0009 384:394°/, + 10-74 115-5625 + 2-53 — 6-4009 Syn u) an — 0:22 — 0-0484 384:392 + 80 64:0 — 0-22. — 0-0484 8 9) 717-9375 9) 46-3715 y 79-7708 v 5:1524 + 8-9314 + 2.2699 Curve 2. » D=393:92. 1 2 3. 4. 3% 256.384, 390.1 6:0 _ 36:0 — 3-92 — 15-3664 384 :3971, + 13-5 182-25 + 3-58 — 12-8164 384 :394%/, + 10-25 105-0625 | + 0-33 — 0-1089 a: 4, 2) 323-3125 2) 28-2917 y. 161.6562 y 14-1458 + 12.7144 + 83-7611 Zusammenstellung für die Quinte c!—g!. Curve 1. 8-98314 2.2699 an2. 1220144 37611 2) 216458 60310 == 10.8229 3.0150 152 An. KLÜNDER: Octave c’:c” = Dt, : Ut,. Wr. Curve 1. D = 516.25. Ar 2, 3. 4. 5. 2562.31 22519, 320 9.0 —_. 72 231 a er N) 16:0 za) — VAN: DOES 49-0 SE on — 2502 5120 9.0 Au on 295:297 ar a) el 3) 10.7500 v 27: 6666 y 3.5833 + 5:2599 tz 1:8924 Curve 2. D = 517:16. ja 2, 3 4. 5. 256: 1221 IT FO 49:0 + 1:84 — 3:3856 512:5171/, + 5°5 30:25 20-342 2021956 512:5161/, + 4-5 20-25 — 0:66 — 0:4356 512:516!/, + 4°5 20:25 — 066° — 0:4356 512:516%/, + 4°5 20:25 - — 0:66. — 0-4356 512:517!/, + 5°5 30:25 + 0:34 — 01156 240:241!/, a een =; 5) 170-25 5) 4.9236 v 34-05 y 0:9847 Si= 5.8352 + 0:9923 Zusammenstellung für die Octave c’:c”. Curve 1. 5-2599 1:8924 902528332 0:9923 2) 11-0951 2.8847 + 5.5475 = 1.4423 ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. Octave e:e” = Mi,:Mi,. Wir: Curve 1. D = 653.0. 1 2 5. 4. 5. 320:640:649 + 9-0 s1:0 — re) el) 640:656'/, + 165 2712-25 en 640,654 + 14-0 196-0 1.0 el) 640:654 + 14-0 196-0 Zur 120 640:651%/, + 11°5 132-25 al. — 00205 Ss 18 | 877:50 4) 32-50 1 N) v S:1250 se ao m 2.8504 Curve 2. D = 638.76 il 2 3 4. 5. 320:640:6461/, + 0°5 0:25 + 1:74 — 3.0276 640:638°/, + 1.25 1:5625 202012 30-0001 640:6371/, + 2.5 6°25 — 1120 — 15 BAuEoD 30 9.0 —. 11970 = SIE 640:640!/, + 0:25 0:0625 Lea) — DER 640:640 LED — lo 640:6391/, — 0-5 0:25 74025476 166:1631/, E 6) 17.3750 6) 12-0182 y 2-8957 y 2:0030 SO, = 1:4152 7 Zusammenstellung für die Octave e:e”. Curve 1. 14-8111 2.8504 a leder 1-4152 2) 16-5128 4.2656 = 8-2564 => 2.1928 154 Reduetion der Zahlenmittel der Quinten, Octaven und Duodecime Fig. Fig. Fig. Av. KLÜNDER: ÜBER DIE GENAUIGKEIT DER STIMME. au a 0Sol,. Stimme und Ohr. D. Quinten: C:G — 5.7608 2.6472 eligt — 21.6458 6-0300 Duodecime: C:g —- 5.5072 2-4396 Octaven: | Or 42582 are — Be 2.1635 else — 10°9077 2-5594 Erklärung der Tafel. la. Schreibapparat von oben und im Durchschnitt: a Die Membranen, db Hohleylinder, e Hohleylinder zur Spannung der Membran, d die schreibenden Federn, e der rotirende Cylinder. 1b. Derselbe Apparat von der Seite gesehen. Bezeichnungen dieselben: x Die Axe, auf welcher der Schreibapparat ruht, e Schlitten, durch welchen die Lage der Feder d regulirt wird, g Rad, welches den Schreibapparat in fester Entfernung von der Oberfläche des Cylinders f hält, dasselbe ist durch Führungen und Trieb verstellbar gemacht. 2. Curven über die Schwankungen der Stimme: 0-0 Abeisse, in welchen der Ton der Orgelpfeife verläuft, die Abtei Bi lungen derselben entsprechen !/, Sekunden. Jede Abtheilung der Ordinate entspricht !/, Schwingung. Dargestellt sind Curve No. 5 von 6, Curve n No. 7 von c, Curve 1 von g und 1 von ce’ so wie die Curve g'. Ein einfaches Verfahren zur Beobachtung der Tonhöhe eines gesungenen Tons. Von V, Hensen in Kiel. (Hierzu Tafel V.) Vorstehende Arbeit des Hrn. Ad. Klünder fand ihren ersten Anlass durch das Auffinden eines Verfahrens, mit’ Hülfe der Lissajous’- schen, mit Spiegeln versehenen Stimmgabeln, die Schwankungen der menschlichen Stimmen unmittelbar zu beobachten. Wenn von Seiten der Physiologen auf eine genauere Schulung der Stimme gedrungen wird, ist es auch ihre Sache, Apparate anzugeben, durch welche eine exacte Prüfung der erzielten Erfolge vorgenommen werden kann. Die folgende Methode ist, wie ich glaube, neu und falls sie, was wegen der vielfachen Verwendung, welche die Lissajous’schen Stimmgabeln gefunden haben, möglich wäre, schon beschrieben ist, so ist sie jedenfalls nicht beachtet worden, während sie doch der hübschen Resultate und Bilder halber, welche sie giebt, wohl verdiente, in die grösseren Lehrbücher aufgenommen zu werden. Man stellt vor einer mit Spiegel versehenen, horizontal schwingen- den Stimmgabel, eine König’sche Kapsel mit Brenner in eirca 20% Ent- fernung auf, an den Luftraum der Kapsel wird ein einfaches circa 1°” weites Glasrohr mit Kautschukschlauch angesteckt. (Vgl. Fig. 1.) Die Flamme wird je nach Bedarf entweder so gestellt, dass dem Sänger ihr Bild im Spiegel entzogen ist, oder dass er es beim Singen beobachten kann. Man lässt nun entweder den Ton der angestrichenen Stimmgabel oder deren Duodecime, Octave, Quinte, Quarte, vielleicht auch Terz singen und beobachtet das Flammenbild. Wenn der Ton richtig getroffen und 156 V. HENSsEN: gehalten wird, treten die Flammenbilder auf, welche auf der Tafel mit Fig. 1 bis 6 gegeben sind. Keine Stimme kann auf die Dauer den Ton genau halten; sobald sie variirt bewegen sich die Flammenbilder in der einen oder anderen Richtung. Schwankt die Stimme um eine richtige Mittellage, so gehen die Flammen wechselnd vor und zurück, ist die Tonhöhe nicht genau getroffen, so rotirt das Bild um eine verticale Axe und zwar um so rascher, je weniger genau der Ton getroffen wurde, bei besserem Gehör kommen die Flammen häufiger zum Stillstand, um sich dann von neuem vor oder rückwärts zu bewegen; die stärkeren Bewe- gungen gehen stossweise vor sich, dazwischen verschiebt sich das Bild nur sehr langsam. Die Gipfel der, sagen wir, vorwärts geneigten Flammen gehen vorwärts wenn der Ton zu tief, rückwärts wenn er zu hoch ist. Schon ein sehr leiser Ton spricht an. Dies und die unmittelbare Beobachtung über den Sinn des Fehlers sind specielle Vorzüge des Apparates. Der ganze Versuch beruht auf dem Zusammenwirken zweier, recht- winklig aufeinander verlaufender, periodischer Bewegungen und bedarf in so fern nicht erst der Erklärung. Die besondere Form der Flammen- curve erklärt sich wie folgt. Während die Tonbewegung das Ausströmen des Gases beschleunigt‘ und verzögert, mischt sich der Verbrennungs- vorgang, welcher in ersterem Fall verlangsamt, in letzterem beschleunigt wird, als maassgebender Factor ein. Bewege sich, Fig. 7, die Stimm- | gabel während einer halben Schwingung von a bis a’, sei x die Lage der Flammenspitze bei ruhiger Verbrennung und werde die Octave ge- sungen, so wird bei entsprechender Phase ay!...y! a! die Form des Flammenbildes sein. Die Curve der Gasbewegung würde nicht als einfache Sinuscurve erscheinen, sondern ‘wegen der pendelförmigen Bewegung der Stimm- gabel, etwa die Form ay....y.a’ haben. Die Gasmoleküle werden aber nicht am Rande dieser Curve leuchtend, sondern wegen der Verdichtung des Gases in positiver Phase erst bei z,2,'z? in der negativen Phase schon bei 27z!!z12. Während sie die Strecke yzy,2! u.s.w. durchlaufen, bewegt sich die Stimmgabel von z nach y! von z! nach y,!u.s. w. weshalb die Flamme jene etwas unregelmässige Curve zeigt, die man bei derartigen Versuchen stets wahrnimmt. Dass es den Anschein gewinnt, als wenn die Flamme auf der Fläche eines senkrecht stehenden Cylinders rotirte, beruht auf der perspectivischen Verschmälerung, welche die Flammencurve erleidet, wenn sie in die Phasen langsamerer Schwingungsbewegung der Stimmgabel fällt. Wenn eine solche Flamme mit unveränderlicher Breite wirklich um einen Cy- | linder herum wanderte, würde sie genau dasselbe Ansehen darbieten. EIN EINFACHES VERFAHREN ZUR BEOBACHTUNG DER TONHÖHE v. s. w. 157 Dies muss wohl der Grund sein, weshalb man hier gegen besseres Wissen mit einem Auge Tiefendimensionen wahrnimmt. Man sieht auf der Stimmgabel den Grundton in Form einer einzigen Flamme, Octave giebt zwei, Duodecime drei, Doppeloctave vier u. Ss. w Flammen, welche senkrecht stehen und rechtwinklige Zwischenräume- bei rascher Rotation lassen. Quinte giebt 3 Flammen, weil auf 2 Schwing- ungen der Stimmgabel 3 Schwingungen der Stimme kommen, Quarte 4, Terz 5 Flammen. Diese Flammen liegen aber schräg, winden sich um- einander oder vielmehr um den Cylinder und lassen rhombische Lücken, weil jede Flamme fast während des Verlaufes einer ganzen Stimmgabel- schwingung bestehen bleibt und daher stark geneigt steht. Wenn man einige Stimmen mit dem angegebenen Apparat vergleicht, erkennt man augenblicklich, ob der Ton richtig eingesetzt und wie ruhig er gesungen wird. So genaue Zahlenangaben wie aus den Öurven von Klünder lassen sich allerdings nicht gewinnen, aber dafür ist die Be- ' obachtung beliebig oft für laute und leise Intonation zu machen und | erfordert kaum soviel Sekunden wie jene Tage. | In jedem physiologischen Institut wird ein solcher Apparat leicht zusammengestellt sein, ich bin aber der Ansicht, dass eine solche Ein- ‚ riehtung auch für Direetoren von Gesangvereinen u. d. m. brauchbar sein ' wird, theils zur objectiven Sicherung des eigenen Urtheils bei Auswahl und Zurückweisung ihres Personals, theils zum Beweise der Richtigkeit ihrer Ansicht, vielleicht auch als Mittel zur Einübung reiner Inter- ‚ valle und des Treffens der Töne. Für Einübung der Intervalle ist die Anwendbarkeit auf die genannten Fälle beschränkt, auch habe ich keine Erfahrung darüber, ob die Einübung wirklichen Nutzen gewähren kann; sollte dies sein, so ist nicht zu bezweifeln, dass praktische und bequemere Einrichtungen von den Akustikern leicht herzustellen sein werden. Eine mit Spiegel versehene Stimmgabel etwa g mit 190—200 Schwingungen, ‚ eine Vokalkapsel von König und Gas sind übrigens Bedingungen, die ‚ nicht schwer sich erfüllen lassen. | Ii 158 V. Hessen: Ein EINFACHES VERFAHREN ZUR BEOBACHTUNG U. $.W. Erklärung der Tafel. Fig. 1. a Stimmgabel, 5 Spiegel derselben, auf welchem die Flammeneurre für Unisono, e König’sche Vokalkapsel. Fig. 2. Flammenbild der Octave. Fig. 5. Flammenbild der Duodecime. Fig. 4. Flammenbild der Quinte 2:3 und 3:2. Fig. 5. Flammenbild der Quarte. Fig. 6. Flammenbild der gr. Terz. Fig. 7. Flammencurve. / aal Excursionsbreite der Stimmgabel. Yı Yı a Linie der Toncurve. z2!1z?z212 Höhe der Ordinate, bis oh das Gas Ingerberihte gelangt. Yı'yolys! Scheinbarer Ort der Gasverbrennung. | | | | | | | Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Nachtrag zum Jahrgange 1877—78.' XIX. Sitzung am 26. Juli 1878. Herr SaLomon spricht „über das Vorkommen des Glykogens im Eiter“. Vor längerer Zeit habe ich, in weiterer Verfolgung eines von Hoppe- Seiler eingeschlagenen Weges, Untersuchungen über das Vorkommen von Gly- kogen im Eiter angestellt? und mich überzeugt, dass dieser Körper zu den ge- wöhnlichen Bestandtheilen des Eiters gehört. Die Anschauung von Hoppe- Seyler, dass das Glykogen nur den mit amöboider Bewegung begabten Rund- zellen zukommen, musste somit modifieirt werden; denn die grosse Mehrzahl der Eiterzellen zeigt ja die amöboide Bewegung nicht. Es lag darin für mich ein Hinweis darauf. dass das Vorkommen bez. die Erhaltung des Glykogens vielleicht nicht so streng an das Leben der Zelle gebunden sei, als man, aus- gehend von der Leber mit ihren eigenthümlichen Fermentationsverhältnissen, gewöhnlich anzunehmen geneigt ist. Ich fand mich in dieser Ansicht bestärkt durch die Erfahrung, dass die winzigen Glykogenmengen des Blutes sich bis zu 9 Stunden im der Leiche zu halten vermögen?, trotz der allmählich eintretenden Säuerung des Blutes, trotz der Nachbarschaft fermentationsfähiger Gewebe. Ebenso deutete das von mir sehr häufig beobachtete Vorkommen von Glykogen in dem faulen, sauren Eiter, den man bei Hunden durch subeutane Injection von faulem Blut erzeugt, darauf hin, dass das sonst so leicht veränderliche Glykogen eine nicht geringe Widerstandsfähigkeit gegen die Fäulniss besitzt; ein Verhalten, dass für reine Glykogenlösungnn schon früher bekannt war, das aber beim Eiter in Anbetracht seines geringen procentischen Gehaltes an Gly- kogen doch einigermaassen auffallen musste. Um nun zu erfahren, wie lange das Glykogen in einem unreinen Gemisch ! Durch ein Versehen ist der Bericht über diese Sitzung im vorigen Jahr- Sange des Archivs ausgefallen. 2 Dies Archiv, 1878, 8. 595 (Sitzung der physiologischen Gesellschaft am 9. Februar 1877). 3 Dies Archiv, 1878, S. 625 (Sitzung am 27. Juli 1877). 160 VERHANDLUNGEN sich zu erhalten vermag, wählte ich ein Material, das für die Conservirung etwa vorhandenen Glykogens entschieden ungünstige Verhältnisse bietet, nämlich die eitrigen Auswurfsmassen lungenkranker Individuen. Ich legte es keineswegs darauf an, das Material möglichst frisch in Arbeit zu bekommen, sondern liess die Sputa absichtlich erst 24 Stunden lang sich ansammeln. Während dieser Zeit stehen sie, wie bekannt, in offenen Gläsern im Krankensaal und haben zumal im Sommer reichliche Gelegenheit zur Bakterienentwickelung und zu Zer- setzungen verschiedener Art. Bei der Auswahl der zu prüfenden Sputa wurde nur auf eitrige oder schleimig-eitrige Beschaffenheit und auf Abwesenheit von Speiseresten geachtet, auf die Natur der zu Grunde liegenden Lungenerkrankungen, ob Bronchitis, ob Phthise, kein besonderer Werth gelegt. Das Verfahren be- stand in Zerkochen der Ballen oder der schleimig-zähen Massen mit etwas Natron- lauge; im der alkalischen Lösung wurde das Glykogen nach dem Brücke’schen Verfahren aufgesucht. Der Erfolg der Untersuchungen lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen. Es fand sich Glykogen fast in allen Fällen; die wenigen Ausnahmen, die mir begegnet sind, möchte ich für zufällig und durch das etwas complieirte Verfahren bedingt erachten. Ueberraschend war es mir besonders, das Glykogen sogar noch in typischen putriden und gangränösen Sputis auf- zufinden. Die Mengen waren anscheinend nicht viel geringer als im gewöhn- lichen eitrigen Sputum. Natürlich hat die Widerstandsfähigkeit des Glykogens seine Grenzen. Dies bestätigte mir ein Versuch, in welchem ich 200 °® eitrige Sputa in zwei gleiche Hälften theilte und die eine Hälfte sofort, die andere erst nach 48stündiger Digestion in der Wärme verarbeitete. Die erste Hälfte enthielt Glykogen, die zweite keines mehr. Der Nachweis des Glykogens stützte sich auf die gewöhnlichen Reactionen: Opalescenz der Lösung, Rothfärbung bei Zusatz von Jodkalium, Reduction von alkalischer Kupferlösung nach Behandlung mit Speichel oder mit verdünnter Schwefelsäure. In vielen Fällen konnte ausserdem eine Rechtsdrehung der Polarisationsebene nachgewiesen werden. In letzter Zeit habe ich in Gemeinschaft mit meinem Collegen an der 2 Klinik, Hm. Dr. Ehrlich, das Vorkommen von Glykogen in Eiterkörperchen auch mikrochemisch zu verfoleen angefangen. Nach einer Angabe von Ranvier! treten aus den Eiterkörperchen bei Behandlung mit verdünnten wässrigen Me- dien hyaline Tropfen aus, die bei Zusatz von wässriger Jodlösung sich braun- roth färben, also eine Glykogenreaction ergeben. Wir haben in einem Falle Ranvier’s Versuch an einem eitrigen Sputum mit vollständigem Erfolge | wiederholt. Seitdem ist es uns indessen nicht wieder gelungen, die Reaction zu erhalten. vermuthlich deswegen, weil die eisenthümliche Consistenz der Sputa der Einwirkung von Reagentien auf die geformten Bestandtheile erhebliche - Widerstände entgegenstellt. Wir sahen weiter nichts als eine diffuse nicht besonders intensive braungelbe Färbung der Zellen. Wir hoffen jedoch durch zweckmässige Modification des Verfahrens mit der Zeit bessere Resultate zu erzielen. Hr. Apamkızwiıcz hielt einen Vortrag: „Ueber den Einfluss des Am- moniaks auf den Stoffumsatz des Diabetikers“. Er geht von einer von Justus v. Liebig aufgestellten Theorie aus, nach | 1 Progres medical ete., 1877, p. 422. | | | | DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 161 welcher man sich den „thierisch-organischen Grundstoff“ als aus Ammoniak und Zucker zusammengesetzt denken könne, weist auf eine grosse Reihe von Er- fahrungen hin, welche dem T'hierkörper synthetisches Vermögen zusprechen und untersucht auf Grund derselben das Schicksal des Ammoniaks im diabetischen Organismus, also unter denjenigen Bedingungen, welche einer Synthese im Liebig’schen Sinne günstig sind. Zunächst stellte der Vortragende durch Stoffwechselversuche fest, dass ein Theil des diabetischen Zuckers durch Spal- tung aus Eiweiss entsteht. Dann verfütterte er Diabetikern Ammoniak in Ge- stalt von Salmiak, um durch das im Harn erscheinende Chlor die Grösse des resorbirten Antheils des Salzes zu messen. — Er konnte unter Anwendung ge- wisser Cautelen einer diabetischen Person 10,0 bis 20,08 des genannten Salzes im Laufe von 24 Stunden zuführen und dabei Folgendes feststellen: Zur Resorption gelangten 30 bis 70 p. Ct. des verfütterten Salzes und darüber. — Die Wasserausscheidung und die Bildung von Harnstoff wurden durch dasselbe oder durch Zufuhr entsprechender Kochsalzmengen nicht ge- steigert. — Von dem mit dem Salmiak dem Körper einverleibten Ammoniak sind bis zu 80 p. Ct. im Organismus verschwunden, — während die Menge des mit dem Ham ausgeschiedenen Zuckers abnahm. Nachtrag aus der XVII. Sitzung Dr. JunLıus WoLrr: „Ueber Schwan- kungen der Blutfülle der Extremitäten“. Fragen der praktischen Chirurgie haben mich zu Untersuchungen veranlasst, welche zum Zweck hatten, möglichst genaue Zahlenwerthe für die Schwankungen der Blutfülle eines bestimmten Körperabschnitts, zunächst je nach der verschie- denen Haltung des betr. Körpertheils, festzustellen. Ich suchte diesen Zweck auf 5 verschiedenen Wegen zu erreichen: 1) durch Untersuchung des Füllungs- srades der Radialis bei verschiedener Armhaltung mittels der Waldenberg’schen Pulsuhr; 2) durch ophthalmoskopische Untersuchung der Netzhautgefässe bei aufrechter und umgekehrter Kopfhaltung; 3) durch die Gröbenschütz’sche Methode, nach dem Quantum der Flüssigkeit, die aus einem bis zum Rande mit Wasser gefüllten Gefässe durch einen bestimmten Körperabschnitt verdrängt wird, die verschiedene Blutfülle dieses Körperabschnitts unter verschiedenen Bedingungen zu bestimmen; 4) mittels einer eigenen, nach dem Princip des Mosso’schen Plethysmographen eingerichteten Apparats; 5) mittels Temperatur- messungen der geschlossenen Hohlhand bei verschiedener Armhaltung. Bis jetzt habe ich nur mittels der drei letzteren Methoden verwerthbare Resultate gefunden. ‘Was zunächst die Temperaturmessungen betrifft, so ergab sich, dass der Einfluss der Haltung des Armes auf die Temperatur der geschlossenen Hohl- hand im Allgemeinen ein erstaunlich grosser ist. Beispielsweise fiel bei einem Sjährigen Knaben das Thermometer durch Elevation des Arms einmal im 50 Minuten zwar nur von 37,7° auf 36,8°, dagegen ein anderes Mal in 35 Mi- nuten von 35,8 auf 31, 2°, also um 4,6° und ein drittes Mal in 1 Stunde von 34,8% auf 29,8° also um 5°. — Bei einem 22jährigen Manne war durch Ele- vatıon die Handtemperatur von 29,5 auf 28,6 gefallen. Als hierauf der Arm in die herabhängende Lage gebracht wurde, stieg das Thermometer in 20 Mi- nuten rapide auf 35,6°, also um volle 7°, und in den nächsten 45 Minuten noch weiter bis auf 36,8%, um schliesslich — bei horizontaler Armhaltung — in 20 Minuten wieder auf 36,0° zu fallen. Archiv f.A, u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 11 162 VERHANDLUNGEN An sich schon — d. h. bei horizontaler Armhaltung — zeigen die Hand- temperaturen bei verschiedenen Individuen sehr merkwürdige Verschiedenheiten. Bald steigt das Thermometer in der Hand in kaum 10 Minuten auf 37° und darüber; bald wieder dauert es 2—3 Stunden, ehe es langsam von c. 25° auf 37° steigt; bald endlich bleibt das Thermometer, wenn man auch noch so lange Zeit wartet, auf einem sehr niedrigen Temperaturgrad z. B. 26° stehen, ohne überhaupt weiter zu steigen. Der Grund dieser Verschiedenheiten liegt, — abgesehen von hier obwal- tenden individuellen Variationen, — darin, dass der Grad und die Dauer des Contrastionszustandes der Gefässe der Hand je nach der verschiedenen Tempera- tur der Luft oder des Wassers, die vor der Messung auf die Hand einwirkt haben, ein sehr verschiedener ist. Durch locale künstliche Erwärmung oder Abkühlung der Hand lässt sich der Contractionszustand der Gefässe der Hand bis zu gewissen Grenzen in einer vorher bestimmbaren Weise reguliren. Starke Abkühlung der Hand durch Wasserbäder von 0—5° erzeugt eine nachfolgende derart vermehrte Erschlaffung der Gefässe, dass selbst die Elevation des Arms nicht das sehr schnelle Steigen der Handtemperatur auf 37° und darüber verhüten kann. Dagegen kann man durch Luft von 12—15° oder durch Wasser von 15—20° C. öfters eine stundelang andauernde Contraction der Gefässe erzeugen, die so bedeutend ist, dass selbst bei herabhängendem Arm das Thermometer nicht, über 26° steigt. A Die Elevation erzeugt oft einen nahezu ebenso grossen und stets einen nachhaltigeren Temperaturabfall, als die Esmarch’sche Constriction, welche letztere immer eine rapide Temperatursteigerung im unmittelbaren Gefolge hat. Die Elevation der Extremitäten in Verbindung mit vorausgeschickter Ab- kühlung derselben lässt sich, wie hier nur beiläufig erwähnt sei, als Bluter- sparungsmethode verwerthen. Aus den nach der Groebenschütz’schen und nach der Mosso’schen Methode angestellten Untersuchungen ergab sich, dass bei elevirtem Arm die Hand eines Erwachsenen ungefähr 12°m, Hand, Vorderarm und unteres Drit- theil des Oberarms ungefähr 30°® weniger Blut enthalten, als bei herab- hängendem Arm. Doch bedürfen diese letzteren Zahlenwerthe noch weiterer Controle bei Anwendung von noch mehr vervollkommneten Apparaten. | | | | ! | | Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1878—79. VI. Sitzung am 3. Januar 1879. 1. Hr. InmAanueL Munk hält den angekündigten Vortrag: „Ueber den Einfluss des Alkohols und des Eisens auf den Eiweisszerfall“. Die bisherigen Untersuchungen hatten bei Alkoholgebrauch die Harnstoff- ausscheidung bald vermindert (Smith, Obernier u. A.), bald ganz unver- ändert gefunden (Perrin, Parkes und Wollowicz), die Grösse der einge- führten Gabe schien keinen Unterschied zu bedingen. Für die CO, -Ausschei- dung und O-Aufnahme haben dagegen v. Boeck und Bauer! bei kleinen Dosen von Alkohol eine Verminderung, bei grösseren eine Steigerung constatirt und es war mithin einigermaassen auffällig, dass der Eiweisszerfall gar nicht oder stets in gleichem Sinne beeinflusst werden sollte, mochte die Alkoholgabe eine excitirende oder eine deprimirende und betäubende Wirkung zur Folge haben. Der Vortragende hat im Laboratorium des Hrn. Prof. Salkowski mit den für Stoffwechseluntersuchungen nothwendigen Cautelen Fütterungsversuche mit Alkohol an Hunden angestellt. Es kam in erster Linie darauf an, die Dosen scharf abzustufen, die in Anwendung zu kommen hatten, um bald die anregende, bald die deprimirende und einschläfernde Wirkung hervorrufen zu können. Im Allgemeinen ergab sich, dass Gaben von 1—1!/, °® absoluten Alkohols pro Kilo Thier und Tag eine entschiedene Excitation (lebhaftere Bewegung, kräftigerer Herzschlag, vermehrte Salivation) bewirken, während Gaben von 2°” Alkohol pro Kilo Thier schon eine deprimirende Wirkung (Speichelfluss, stierer Blick, Benommenheit, Schwäche der Hinterbeine, Abgeschlagenheit, schlafsüchtiger Zu- stand) äusserten. Nach noch grösseren Gaben 21/,—3°® absoluten Alkohols pro Kilo Thier fallen die Hunde in mehrstündigen Schlaf, erscheinen auch nach demselben noch benommen und sind erst nach 12—18 Stunden wieder bei ‚ normalem Befinden. 1 Zeitschrift f. Biologie. X. S. 361 ff. ul 164 VERHANDLUNGEN Es wurden zunächst Hunde von 18—20 Kilo Körpergewicht wit einem aus 4008'”® Fleisch und 50—70®’% Speck bestehenden Futter in N-Gleich- gewicht gebracht, dann erhielten sie mehrere (3—5) Tage hindurch eine kleinere oder eine grössere Gabe von Alkohol und wurde in dieser Periode und an den darauf folgenden Tagen, an denen Alkohol nicht mehr gereicht wurde, die N-Ausscheidung durch Harn und Koth festgestellt. Die entsprechende Gabe in Form von Alkohol absol. wurde der mit 200—300 °® Wasser hergestellten Abkochung des Fleisches (nach deren Erkalten) hinzugefügt, sodass die Thiere die ganze Dose in genügender Verdünnung mit dem täglichen Futter erhielten. Diese Methode, schlecht oder scharf schmeckende bez. riechende Stoffe Hunden in der von ihnen so gern genommenen Fleischbrühe beizubringen, erscheint be- sonders empfehlenswerth und der Einführung durch die Schlundsonde bei Weitem vorzuziehen. Wenigstens war selbst bei längere Zeit hindurch auf diesem Wege erfolgter Einverleibung grosser Alkoholgaben niemals Erbrechen oder eine erhebliche Alteration der Verdauung zu bemerken. Zur Veranschaulichung der Verhältnisse der N- Ausscheidung seien aus zwei Versuchsreihen die Zahlenwerthe, auf die es hier ankommt, angeführt. Die erste Reihe umfasste drei Perioden von je drei Tagen, in der mittleren wurde täglich 25°°®% Alkohol abs. gegeben. Die Mittelwerthe für die tägliche N-Aus- scheidung in den einzelnen Perioden betragen: i 1 12-2 N mit dem Harn, 0-42N mit dem Koth, macht 12-62 N Ti (Alkohol). 11.33.,.4, ....0000.330, 0 De II. 12-5 a) „ „ 0.32 m „ ” „ 12.82 „ Ferner in der zweiten Reihe, wo grössere Gaben von Alkohol gegeben wurden (Periode I, III, V ohne Alkohol): IL 13-29 N mit dem Harn, 0-32 N mit dem Koth, macht 13:61 N je age Alkohol Aa-.81, 0, 0, Wa N re II. 13-3 „ „ „ „038, 5 „ „ „ 18.689 je 50°" Alkohol. 14-57 ”» 2» „ ) VA „ „ „ 14.99 , i Vv. 15.21 ER? E) 2) 0.39 ? „ „ ” 13-6 ” Periode II umfasste fünf Tage, die übrigen je vier Tage. Aus der ersten Reihe ergiebt sich, dass mittlere Dosen, welche nur eine erresende, keine betäubende Wirkung ausüben, den Eiweisszerfall verringern und zwar um 6—7 Proc. gegen die Norm. Grössere Gaben, welche einen entschiedenen Depressionszustand er- zeugen und noch grössere, die zu tiefem Schlaf mit nachfolgender stundenlanger Benommenheit führen, steigern dagegen die Eiweisszersetzung und zwar erstere (Periode II der zweiten Reihe) nur um 4—5 Proc., letztere um fast 10 Proc. Man kann diese Steigerung des N-Umsatzes nicht als die Folge der vermehrten Diurese betrachten, denn einmal hat in Periode IV die Menge des täglich ent- leerten Harns im Mittel nur um 25 Proc. zugenommen, während Salkowski und der Vortragende! bei einer Zunahme der Harnmenge um mehr als die Hälfte die Steigerung der N- Ausscheidung noch nicht 3 Proc. haben erreichen sehen, zweitens läuft die Grösse der N-Ausscheidung durch den Harn der Menge desselben durchaus nicht parallel, so betrug am ersten Tage von Periode IV 1 Virchow’s Archw, Bd. 71. S. 508. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 165 bei einer Harnmenge von 528°" die N-Entleerung 13.78”, am folgenden Tage bei 387°°® dagegen 15-.63®"”, weiter bei 483°" 13.948” und endlich bei 327°°% 14.958°%, Angesichts dieser Zahlenwerthe muss wohl die Steige- rung des Eiweisszerfalls zum bei weitem grösseren Theil dem Einfluss des Al- kohols als solchem zugeschrieben werden. Es ist ferner bemerkenswerth, dass nach vorausgeschickten grossen Gaben von Alkohol‘nunmehr die Einführung kleinerer Dosen entweder gar keine oder nur eine viel geringere Herabsetzung des Eiweissverbrauchs zur Folge hat, als sonst. Die Erfahrung, dass grosse betäubende Gaben von Alkohol den Eiweiss- zerfall steigern, dürfte vielleicht das Verständniss anbahnen für die beim chro- nischen Alkoholismus nicht selten auftretende Fettablagerung in den verschie- densten Organen. Wir kennen bereits eine Reihe von Stoffen, die als Gifte bezeichnet werden, welche einen nur noch viel intensiveren Eiweisszerfall und gleichzeitig Verfettungen zur Folge haben, so in erster Linie der Phosphor und das Arsen. A. Fraenkel! hat versucht die Steigerung des Eiweisszerfalls und die Verfettung der Organe bei der Phosphorvergiftung auf eine und dieselbe Ursache zurückzuführen, nämlich auf die dabei stattfindende, verminderte Sauer- stoffzufuhr und es wäre möglich, dass das Nämliche für den Alkohol in grosser Dose und bei lange Zeit hindurch fortgesetztem Gebrauch zuträfe. Die weitere Ausführung und Begründung dieser Anschauung bleibt einer späteren Mit- theilung vorbehalten. Streng genommen ist der Alkohol, in kleiner und mittlerer Gabe genossen, als ein Nährstoff anzusehen, denn durch seine Zersetzung im Körper wird ein sewisser Antheil von Eiweiss. (6—7 Proc.) vor dem Zerfall geschützt. Wäh- rend aber die anderen Nährstoffe, die Fette, die Kohlehydrate und selbst der Leim, in steigenden Gaben eingeführt, innerhalb weiter Grenzen ziemlich pro- portional ihrer Menge den N-Umsatz verringern, ist das Gleiche beim Alkohol nicht der Fall. Grössere Gaben von Alkohol setzen den Eiweissverbrauch keineswegs herab, sie steigern ihn vielmehr bis auf 10 Proc. und darüber, und es dürfte gerade in Rücksicht auf dies durchaus abweichende Verhalten gerathen sein, den Alkohol, obwohl er in mittleren Gaben eine N-Ersparniss bewirkt, nicht unter die Nährstoffe zu classificiren, vielmehr ihm eine besondere Stellung im System der Nahrungs- und Genussmittel anzuweisen. Es ist eine unzweifelhafte Thatsache, dass in einer grossen Reihe von _ Fällen mit Veränderung der Blutmischung einhergehende Zustände unter Eisen- | | | | | gebrauch und zweckmässiger Ernährung eine entschiedene Besserung erfahren. Man hat sich aller Wahrscheinlichkeit nach vorzustellen, wenn auch die expe- zimentelle Begründung dafür noch fehlt, dass durch die Zufuhr von Eisen die Bildungs von Hämoglobin, also des wesentlichsten und für den Chemismus der Athmung wichtigsten Bestandtheils der Blutkörperchen befördert wird. Wenn, davon abgesehen, auf den Stoffwechsel sonst noch eine Einwirkung erfolgt, . so könnte man vermuthen, dieselbe sei etwa derart, dass durch das Eisen eine Ersparniss im N-Umsatz erfolgt. Im Gegensatz hierzu will neuerdings Rabuteau? 1 Virchow’s Archw, Bd. LXVI, S. 1 fi. 2 Comptes rendus 1876. T. LXXXVI, p. 1169. 166 VERHANDLUNGEN bei Eisengebrauch eine Steigerung des Eiweisszerfalls gefunden haben. Die vom Vortragenden durchgeführten Versuchsreihen, in denen Hunden bei N- Gleichgewicht täglich !/, bis fast !/,8"” met. Eisen in Form von Eisenchlorid mit der Fleischbrühe, also in so genügender Verdünnung, dass von einer local reizenden Wirkung keine Rede sein konnte, einverleibt wurde, haben ein an- deres Resultat ergeben. Auch hier mag zur Veranschaulichung der Verhält- nisse der N-Ausscheidung ein Versuchsbeispiel kurz angeführt werden. “Der Versuch umfasst drei Perioden, eine Vorperiode von fünf Tagen, eine Periode der Eiseneinführung und eine Nachperiode von je drei Tagen. Die Mittel» werthe für die tägliche N-Ausscheidung sind: I. 13-17 N mit dem Harn, 0-36 N mit dem Koth, macht 13-53 N ne Aare). 1a. 087, Da PN a A IH. 13-25 ,„ „ ” „ 0-37 5 » „ „ „ 13-62 „ Es ist also die Zufuhr von Eisen auf den Eiweissverbrauch durchaus ohne: Einfluss, die geringe Differenz in der N-Ausscheidung bei Eisengebrauch liegt innerhalb der Fehlergrenzen. Auch war weder eine Verminderung der Harn- menge, noch eine Zunahme des spec. Gewichts, wie Rabuteau angiebt, zu be- obachten. Die Ausnutzung des Eiweisses der Nahrung erfolgt bei Eisengebrauch, wie der N-Gehalt des Koths zeigt, ziemlich ehenso vollständig, als in der Norm. Es hat also die Einführung von Eisen (in der Dose von etwa 0.02% pro Kilo Thier) in den Verhältnissen der Aufnahme und der Zersetzung des Biweisses keine nachweisbare Veränderung zur Folge. VI. Sitzung am 17. Januar 1879. 1. Hr. Eurtich hielt den angekündigten Vortrag: „Beiträge zur Kenntniss der granulirten Bindegewebszellen und der eosinophilen Leukocythen“.! Vor mehreren Jahren hat Waldeyer (Archiv für mikrosk. Anatomie, Bd. XI) nachgewiesen, dass an den verschiedensten Stellen des lockeren Bindegewebes grosse, rundliche, grobgranulirte Zellen vorkommen. Waldeyer betont, dass“ diese Zellen in ihrem Habitus den Bildungszellen des embryonalen Körpers, den Zellen der Zwischensubstanz des Hodens, denjenigen der Steissdrüse, der Neben- niere, des Corpus luteum, endlich auch den Deciduazellen der Placenta ausser- ordentlich ähnlich sehen und glaubt deshalb die von ihm vereinzelt aufgefun- denen Zellelemente als die versprengten Glieder einer grossen, morphologisch zusammengehörigen Gruppe auffassen zu müssen, für die er den Namen der Em- bryonal- oder Plasmazellen vorschlägt. Dem Umstande, dass die Plasmazellen in inniger Beziehung zu dem Gefässsystem stehen, wird Waldeyer durch die Bezeichnung „perivasculäres Zellgewebe“ gerecht. Schliesslich hebt Waldeyer noch hervor, dass diese Zellen eine ausserordentliche Neigung zeigen Fett auf- zunehmen und dass sie möglicherweise zum Theil in Fettzellen übergehen. Kurze Zeit darauf wies der Vortragende nach (Archiv für mikroskop. Ana- tomie, Bd. XIII), dass gewisse Bindegewebzellen ein höchst auffälliges Verhalten 1 Der am 17. Januar gehaltene Vortrag erschien zuerst in der Nummer der Verhandlungen vom 31. Januar (Nr. 5). DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 167 segen viele Anilinfarbstoffe zeigen. Er ermittelte ferner, dass den so darstell- baren Elementen die er in Folgendem als granulirte Zellen bezeichnen wird — eine weite Verbreitung in der Reihe der Wirbelthiere zukommt. In Rücksicht darauf, dass sämmtliche im Interstitialgewebe solitär vorkommende Formen der Waldeyer’schen Plasmazellengruppe sich ebenso wie die granulirten Zellen färbten, hatte der Vortragende damals beide Zellformen identifieirt und demnach die Anilinfärbung als Reagens auf Plasmazellen aufgefasst. Allerdings hatte er schon damals darauf aufmerksam gemacht, dass einer- seits die Mehrzahl der von ihm nachgewiesenen Elemente protoplasmaarm war und demnach der rein morphologischen Definition Waldeyer’s nicht entsprach und dass andererseits mehrere von Waldeyer als Plasmazellen aufgefasste Ele- mente sich gegen Anilin indifferent verhielten. Diese Erfahrungen forderten dringend auf, systematisch die gesammte Waldeyer’sche Plasmazellengruppe auf ihr Verhalten gegen Anilinfarben zu untersuchen. Zum Nachweis der granulirten Zellen sind alle basischen Anilinfarbstoffe, die auch in ihrem übrigen tinctorialen Verhalten die auffällisste Uebereinstim- _ mung unter einander zeigen, geeignet. Vortheilhaft ist es, die violetten und rothen Farbstoffe zu wählen, da diese die granulirten Zellen metachromatisch, d. h. in einer von dem angewandten Farbentone abweichenden Nüance färben. Die Methode der Darstellung der granulirten Zellen weicht nur in einigen nebensächlichen Punkten von der früher (a. a. 0.) angegebenen ab. An regelrecht hergestellten Präparaten sind nur die granulirten Zellen in- tensiv tingirt und zwar in der schon früher (a.a.0.) vom Vortragenden beschriebenen Weise. Nicht gerade häufig findet man neben der körnigen Färbung des Proto- plasma’s auch den Zellkern diffus und in dem charakteristischen Farbenton tingirt. Mehrfach hat der Vortragende constatirt, dass alle granulirten Zellen eines Organes das eben beschriebene, auf Entwickelungszustände hindeutende Verhalten zeigten. Die bei der Färbung dieser Zellen auftretenden Erscheinungen erklären sich ungezwungen durch die Annahme, dass in den Körnungen ein specifischer, in Alkohol unlöslicher, in starker Essigsäure löslicher Körper vorhanden sei, der durch seine Verwandtschaft zu den basischen Anilinfarben ausgezeichnet und mit diesen eine den Doppelverbindungen analoge Vereinigung eingehe. Be- sonders beweisend für diese Auffassung ist die Thatsache, dass unter dem Ein- fluss starker Essigsäure auf solche normal gefärbte Zellen sich eine schöne, in der specifischen Farbennüance erfolgende, diffuse Kernfärbung zeigt, während die Granula mehr oder weniger entfärbt werden. Diese Erscheinung, die an die durch Essigsäure erfolgende Kernfärbung der rothen Blutkörperchen des Frosches erinnert, wäre dann so zu erklären, dass die in den Granulis enthal- tene Verbindung sich in der Essigsäure löst und dann in derselben Weise, wie das Hämoglobin, in den Kern hineindiffundirt. Der Vortragende hat nach dieser Methode zunächst die Organe untersucht, welche nach Waldeyer reichlich oder ausschliesslich Plasmazellen enthalten sollten. Es zeigte sich, dass weder die interstitiellen Hodenzellen, noch die adventitiellen Beläge der Hirngefässe, noch die Zellen der anderen von Waldeyer erwähnten Organe die für die granulirten Zellen charakteristische Reactions- färbung erkennen liessen. Es konnte sogar die interessante Thatsache constatirt werden, dass in dem Hodenparenchym sämmtlicher untersuchter Thiere granu- lirte Zellen vollkommen mangelten, während sie in der Albuginea öfters reichlich vorhanden waren. Auch in der Nebenniere waren granulirte Zellen nur in dem 168 VERHANDLUNGEN Gewebe der Bindegewebskapsel nachzuweisen. Es ergiebt sich hieraus, dass die Zellen sämmtlicher von Waldeyer angeführten Organe nicht mit den granu- lirten Zellen identisch sind, und dass beide, wie aus dem Verhalten des Hodens und der Niebenniere hervorgeht, sogar zu einander in einem Exclusionsverhältniss stehen. Ebenso negativ fielen die an Embryonen angestellten Untersuchungen aus, indem sich bei diesen sranulirte Zellen erst in den späteren Perioden der Ent- wicklung und auch dann nur in geringer Anzahl und auf das relativ ausgebil- dete Bindegewebe beschränkt, nachweisen liessen. Fetttröpfchen hat der Vor- tragende in den granulirten Zellen niemals nachweisen können. Ebensowenig gestattet die Vertheilung der granulirten Zellen sie als zu einem perivasculären Zellgewebe zugehörig zu erachten. Es ist allerdings fest- sestellt, dass sie sich im lockeren Bindegewebe häufig an den Verlauf der Blut- gefässe anschliessen, jedoch ist dies nicht das einzige Vertheilungsprincip. So kann man finden, dass an manchen Schleimhäuten granulirte Zellen nur in dem subepithelialen Bindegewebe vorkommen, oder dass in gewissen Drüsen nur die Ausführungsgänge von granulirten Zellen umringt sind. Es scheint demnach, dass diese Zellen die Neigung haben, sich besonders an den Stellen zu locali- siren, an denen das Bindegewebe sich gegen irgend welche präformirte Fläche oder Röhre absetzt. Diese Anschauungsweise macht die, gerade im lockeren Bindegewebe gerade am häufigsten zu Tage tretende perivasculäre Lagerung leicht verständlich. In Rücksicht darauf, dass 1) die meisten der zu der Waldeyer’schen Plasmazellengruppe gehörigen Elemente (peritheliale, embryonale und fettbildende) die charakteristische Farbenreaction nicht geben; . 2) dass die Mehrzahl der granulirten Zellen protoplasmaarme Gebilde dar- stellen; und dass 3) die granulirten Zellen sich in einer von dem Waldeyer’schen Ver- theilungsschema abweichenden Weise gruppiren glaubt jetzt der Vortragende die von ihm nachgewiesenen granulirten Zellen scharf von den Waldeyer’schen Plasmazellen trennen und sie mit einen be- sonderen Namen belegen zu müssen. Wenn der Vortragende zu den schon existirenden Typen der fixen Binde- gewebszellen (Plattenzellen, Plasmazellen, Fett- und Pigmentzellen) nun noch eine weitere Gruppe, die der granulirten Zellen hinzufügt, so geschieht dies besonders in Rücksicht darauf, dass bei den höheren Wirbelthieren die Ver- theilung der granulirten Zellen eine vollkommen constante ist. So wurden z. B. bei mehr als zehn erwachsenen Hunden im Duodenum und der Leber granulirte Zellen stets in gleicher Vertheilung, Zahl und Grösse vorgefunden. Der Umstand, dass bei neugeborenen und halbwüchsigen Thieren sich die gra- nulirten Zellen in anderer Gruppirung vorfinden, als bei dem vollkommen ent- wickelten Thiere, ist nicht geeignet, diese Annahme zu widerlegen, da für jede Altersstufe ein ganz bestimmtes Vertheilungsschema existirt. Zum Schluss behandelt der Vortragende die Genese und die Bedeutung der granulirten Zellen, die er fast ausschliesslich an pathologisch-anatomischem Material studirt hat. Bei chronischen Entzündungen findet man ausserordent- - N } | | | | | | } DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 169 lich häufig eine bedeutende Vermehrung der granulirten Zellen. In geeigneten Fällen gelang es nachzuweisen, dass diese Elemente nicht von den weissen Blutkörperchen oder ihren von Ziegler geschilderten Metamorphosen deriviren, sondern dass sie sich aus den fixen Bindegewebszellen entwickeln. Sehr bald zeiste es sich, dass das vermehrte Auftreten dieser Zellen sich nicht allein an die chronischen Entzündungen bindet, sondern überhaupt ein Attribut eines local gesteigerten Ernährungszustandes ist, der bald durch chronische Entzün- dungen, bald durch Stauung (braune Lungeninduration), bald durch Neubil- dungen (besonders Carcinome) hervorgerufen sein kann. Man kann von diesem Standpunkt aus die granulirten Zellen gewissermaassen als Producte der Mästung der Bindegewebszellen ansehen und sie dem entsprechend als Mastzellen be- zeichnen. Mit dieser Auffassung verträgt sich recht gut die Beobachtung von Korybutt-Daszkiewicz, das bei Fröschen ‘die Zahl der in Anilin tingiblen Zellen durch gute Fütterung vermehrt würde. Der Vortragende erläutert schliesslich an einigen Beispielen seine physio- logischen Anschauungen über die granulirten Zellen, sie gelten ihm als Indices für die Topographie der Ernährungsverhältnisse des Bindegewebes im normalen und pathologischen Zuständen. 2. Hr. AnamkIewıcz theilt im Anschluss an die Ergebnisse, welche er bei Diabetikern nach Salmiakdarreichung erhalten hat (diese Verhandlungen, Sitzung vom 26. Juli 1878, s. oben S. 117), die Resultate mit, welche Versuche mit demselben Salz am gesunden Menschen geliefert hatten. — Bei Diabetikern lässt der genossene Salmiak den grössten Theil seines Ammoniaks im Körper des Kranken zurück, steigert aber weder die Diurese noch die Ausscheidung von Stick- stoff durch die Nieren, während er die des Zuckers herabsetzt. — Im Körper des gesunden Menschen war dagegen unter gleichen Verhältnissen die Ausscheidung sowohl des Wassers, als die des Stickstoffs vermehrt, während ebenfalls das mit dem Salz eingeführte Ammoniak zum grössten Theil verschwindet, wie es in Uebereinstimmung mit den Angaben von Knieriems Salkowski am Kanin- chen und I. Munk zuerst am Hunde festgestellt haben. 3. Hr. HIRSCHBERG spricht: „Ueber eine Modification des Spektro- skops zur Prüfung der Farbenblinden“. Wenn Sie einen Blick auf die ophthalmologische Literatur des vergangenen ‚ Jahres werfen, so werden Sie finden, dass dieselbe durch Arbeiten über Farben- blindheit wesentlich mit gekennzeichnet wird. Die Physiologie ist bei dieser Frage ebenso interessirt, wie die Augen- heilkunde: denn die physiologische "Theorie der Farbenempfindung wurzelt wesent- lieh in der Lehre der Farbenerblindung; und andererseits sind alle Unter- suchungen auf Farbenblindheit wesentlich als physiologische zu betrachten. Zur Entdeckung und Kennzeichnung der Farbenblindheit wendet man jetzt meistens das Aussuchen von Wollproben an, wie es nach einer Verbesserung des alten Seebeck’schen Verfahrens besonders von Hrn. Holmgren in Upsala ‚ ausgebildet worden ist, oder auch die pseudoisochromatischen Tafeln von Stil- ling u. A. Ausserdem werden zur Vervollständigung des Ergebnisses die Simultancontraste in allen erdenklichen Formen, die Farbenmischung auf Dreh- ‚ scheiben und der Rose’sche Apparat mit zu Hilfe gezogen. 170 VERHANDLUNGEN Selbstverständlich ist aber zur genaueren Definition eines Falles von Farbenblindheit das Spektroskop unerlässlich. Ein Fall von angeborener Farbenblindheit bei guter Sehschärfe erscheint mir erst dann genügend defi- nirt, wenn festgestellt ist, ob demselben an dem einen oder dem anderen Ende des Spektrums ein bestimmter Streifen fehlt oder ob ihm in der Mitte des Spektrums ein: bestimmter Streifen farblos erscheint. Die Vierordt’sche Modification des Spektralapparates ist hierzu sehr bequem und vielfach -ver- wendet: ein beweglicher Schieber im Ocular gestattet aus dem vollen Spektrum jeden beliebigen Streifen auszuschneiden und für sich dem untersuchten Auge‘ zuzuführen. Die HH. Cohn und Magnus in Breslau haben im vorigen Jahre, bei der ebenso mühseligen wie dankenswerthen Untersuchung von mehreren Tau- send Schulkindern auf Farbenblindheit, eine besondere Spektralwollprobe, die von Magnus herrührt, angewendet: sie fordern den Farbenblinden auf, das ganze Spektrum oder einzelne Theile desselben, namentlich gewisse Metalllinien, durch Wollproben nachzubilden. Dieses Verfahren ist gewiss praktisch brauchbar, aber physikalisch genau ist es nicht, weil von den beiden verglichenen Farben- tönen nur der eine wissenschaftlich definirt ist. Genau wird der Vergleich, wenn man den Untersuchten in die Lage setzt, mit jedem Abschnitt eines Spektrums jeden Abschnitt eines zweiten identischen Spektrums direct und bequem zu vergleichen. Zu diesem Behufe habe ich! von Hrn. Dörffel mit Benutzung einer früheren Idee von Helmholtz eine Modification des Vierordt’schen Apparates anfertigen lassen, welche ich Ihnen heute demonstriren möchte, da sie sich bei der prak- tischen Untersuchung auf Farbenblindheit bewährt und da sie gleichzeitig ver- schiedene physiologische Fragen bequem in Angriff zu nehmen gestattet. ! Es ist das Vierordt’sche Spektroskop mit einem Prisma, aber mit zwei unter einem Winkel gegeneinander gestellten Collimatorröhren. Jede von beiden hat ihren Spalt, der durch einen Lichtquell, z. B. durch identische Gasflammen, beleuchtet wird. Wenn man will, kann man sich auch einer einzigen Licht- quelle bedienen, die in der Medianebene zwischen beiden Collimatorröhren steht, und durch je einen Planspiegel ein identisches Bild der einzigen Lichtquelle auf die beiden Spalten werfen. Der eine Spalt ist zunächst in seiner oberen, der andere in seiner unteren Hälfte durch eine bewegliche Metallplatte verschlossen. Folglich erscheinen dem beobachtenden Auge die beiden Spektra übereinander, das brechbare Ende des einen nach rechts, das des anderen nach links gewendet. Mit Hülfe des Vierordt’schen Schiebers wird aus dem Doppelspektrum ein schmaler Streifen ausgeschnitten, der im Allgemeinen aus zwei verschiedenen Spektralfarben zusam- mengesetzt ist. Die obere Hälfte des Streifens kann mittels des Schiebers beliebig gewählt und dann festgestellt werden. Ihr mittlerer Brechungsindex, der mit Hülfe der einen Theilung des Apparates genau abzulesen ist, sei n,. Nunmehr kann man die untere Hälfte des verticalen Farbenstreifens durch eine Mikro- meterschraube, welche das zweite Collimatorrohr langsam dreht, von dem rothen bis zu dem violetten Ende des Spektrums beliebig variiren, ohne dass dieselbe aufhört, die directe Fortsetzung der oberen Hälfte des Farbenstreifs zu bilden. Somit bleibt immer der bequeme sinnliche Vergleich der beiden spektralen Farben- töne gewahrt. Der Untersuchte macht selber die Drehung der Mikrometer- 1 Vgl. meine Notiz im COentralblatt f. Augenheilkunde. 1878. S. 248 ff. j | ! DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. ze schraube und wird, wenn er Daltonist! ist, wie ich mich bereits überzeugen konnte, eine gewisse Farbe vom Brechungsindex n, einstellen, welche ihm als gleichfarbig mit n, erscheint. Auch n, kann durch eine zweite Theilung des Apparates abgelesen werden, Ich bemerke noch, dass die Helligkeit der Farbentöne abgestuft werden kann. Die Untersuchung kann sofort dadurch modifieirt werden, dass durch Um- legen der Schieber z,, das vorher oben war, nach unten wandert, worauf wie- derum, falls der Untersuchte richtig beobachtet, 2, als identisch mit n, ge- funden werden muss. Man kann auch zur Controle die Farbe n, feststellen; dann muss n, als identisch damit eingestellt werden. Somit sind die beiden dem Farbenirren identisch erscheinenden Farben nach ihrem Brechungsindex physikalisch definirt; es ist auch das auf den subjectiven Angaben oder Handlungen des Untersuchten beruhende Verfahren durch den Controlversuch zu dem Werth einer objectiven Prüfung erhoben. Für physiologische Zwecke ist der Apparat darum von besonderer Brauch- barkeit, weil man durch passende Drehung der beiden vor den Spalten befind- lichen Metallplatten die beiden Spektra oder beliebige Streifen desselben ganz oder theilweise zur Deckung bringen kann. VIII. Sitzung am 31. Januar 1879. 1. Hr. A. FrRAEnKEL hält den angekündigten Vortrag: „Ueber den respiratorischen Gasaustausch im Fieber“. Es ist eine relativ geringe Anzahl von ‚Jahren darüber verflossen, seitdem man angefangen hat, mit Zuhülfenahme exacter Untersuchungsmethoden der Lösung der Frage näher zu treten, ob und in welchem Umfange die oxy- dativen Vorgänge im Fieber eine Steigerung erfahren. Die ersten Versuche nach dieser Richtung hin rühren von Hın. Leyden her. Dieselben wurden mit Hülfe der von Lossen angewandten Methode der Messung der Kohlensäure- scheidung beim Menschen angestellt und ergaben, dass im Fieber die Athem- grösse eine Zunahme von mehr als 1!/,:1 und weniger als 1?/,:1, der CO,- Gehalt der exspirirten Luft dagegen eine procentische Abnahme im Verhältniss von 3:3!/, oder von 9:10 erfährt. Aus beiden zusammen resultirt eine Stei- gerung der CO,-Exspiration im Fieber von nahezu 1!/,:1. — Weniger prägnant sind die Ergebnisse, zu denen Liebermeister gelangte, was zum Theil wohl daran liest, dass seine Untersuchungen sich vorzugsweise oder fast ausschliess- lich auf Intermittenskranke beziehen. Bei diesen constatirte Liebermeister gleichfalls constant eine Zunahme der CO,-Ausscheidung im Fieberanfall und zwar betrug dieselbe auf der Akme des febrilen Processes, d. h. im Hitzestadium des Anfalls, etwa 19—31, bei ansteigender Temperatur bis zu 40 Procent. Dagegen erhielt Hr. Senator, welcher den Gasaustausch fiebernder Hunde untersuchte, nicht ganz constante Resultate. Während in dem „Initialstadium“, d.h. dem der fiebererregenden Eitereinspritzung unmittelbar folgenden Zeitraume die Kohlensäureausscheidung der untersuchten Thiere gar keine Veränderung 1 Natürlich nicht, wenn er nur einen schwachen Farbensinn besitzt. Io VERHANDLUNGEN gegenüber der Norm darbot, bisweilen sogar eine geringe Verminderung zeigte, wurde im weiteren Verlauf (auf der Höhe) des Fiebers meist eine Zunahme des Gaswechsels gefunden. Indess war auch die letztere nicht regelmässig vor- handen, da sie in dreien von den sieben mitgetheilten Versuchsreihen fehlt. Neuerdings hat ferner Werthheim Untersuchungen über das. Verhalten der O-Aufnahme und der CO, - Abgabe fiebernder Menschen mitgetheilt, auf Grund deren er den Beweis geführt zu haben meint, dass „das Fieber nicht als ein sesteigerter Verbrennungsproces, sondern vielmehr als eine Abminderung der Stofferneuerung im Gesammtkörper aufzufassen sei“. Mit diesem Satz in’ Wider- spruch steht eine Angabe von Colasanti, welcher bei Gelegenheit seiner Ar- beit über den Einfluss der Umgebungstemperatur auf den Stoffwechsel an einem fiebernden Meerschweinchen eine Steigerung der O-Aufnahme um 18 und der CO,-Abgabe um 24 Procent fand. Aus dem eben Angeführten geht hervor, dass die Frage, ob das Fieber mit einer Steigerung der oxydativen Vorgänge verknüpft sei oder nicht, noch keineswegs als sicher entschieden zu betrachten ist. Selbst da, wo den einzelnen Autoren die Resultate ihrer Untersuchungen Ausschläge ergaben, welche regelmässig nach einer und derselben Richtung hin fielen, scheinen die zur Messung des Gaswechsels angewandten Methoden mit so augenscheinlichen Mängeln behaftet, dass mindestens über die absolute Richtigkeit der gefundenen Werthe ein berechtigter Zweifel gehegt werden kann. Diese Gründe bewogen Hrn. Leyden und den Vortragenden, nochmals die in Rede stehende Frage zum Gegenstande einer ausführlichen Untersuchung zu machen und zwar mit Hülfe eines Apparates, welcher im Wesentlichen ganz nach dem Vorbilde des von Pettenkofer in München aufgestellten construirt ist. Der benutzte Apparat ist so gross, dass er Hunde von 20—40*8 Gewicht bequem aufzunehmen vermag. Die Ventilation wird von einem kleinen Schmidt’- schen Wassermotor (!/, Pferdekraft) besorgt, welcher die Trommel der zur Messung des Hauptstromes bestimmten Gasuhr in ähnlicher Weise bewegt, wie dies bei der kleinen neuerdings von Voit mehrfach benutzten Respirationsvor- richtung geschieht. In der Stunde gehen 7—8000 Liter durch den Apparat. Wegen der grossen Anzahl von Versuchen, welche die Verff. anstellten, be- ‘schränkten sie sich zunächst auf die Untersuchung der CO,-Abgabe im Fieber. Ehe zur Lösung der Hauptaufgabe von ihnen geschritten wurde, führten sie, um den Apparat auf seine Leistungsfähigkeit zu prüfen, Controlbestimmungen mit Verbrennung von Stearinkerzen aus, welche befriedigende Resultate ergaben. Bei fünf derartigen Versuchen, wobei in 4—5 Stunden jedesmal circa 25— 358" Stearin verbrannt wurden, betrug für den Kohlenstoff die Differenz des gefun- denen und berechneten Werthes dreimal weniger als 1, einmal 2 und einmal etwas über 3 Procent. Besondere Schwierigkeit verursachte die Auffindung einer zweckmässigen Methode der Fiebererzeugung, da es darauf ankam, die Thiere in einen möglichst lang dauernden febrilen Zustand mit beträchtlicher Temperatursteigerung zu versetzen. Die relativ besten Erfolge erzielten die Verf. mittels eines Ver- fahrens, welches im Wesentlichen darin besteht, dass mit Hülfe eines langen capillaren Troikarts ein grösseres Quantum frischen, nicht fauligen Eiters in die Oberschenkelmusculatur injieirt wird. Meist bewirkt dieser Eingriff die Ent- stehung eines Muskelabscesses, welcher, mit Unterminirung und Nekrose der um die Injectionsstelle belegenen Weichtheile einhergehend, den Ausbruch lebhaften, se ET Bee nern En u DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (ESELLSCHAFT. 173 mehrere Tage andauernden Fiebers zur Folge hat. Um einen klaren Einblick in die Veränderungen, welche der Gaswechsel unter dem Einfluss des febrilen Processes erleidet, zu gewinnen, war es nothwendig, dieselben auch bei normalen Temperaturverhältnissen der Thiere zu untersuchen. Es wurde daher so ver- fahren, dass regelmässig in einer und derselben, meist S—12 Tage währenden Hungerreihe anfänglich an mehreren Tagen die Grösse der CO,-Ausscheidung im fieberlosen, hierauf im fieberhaften Zustande bestimmt wurde. Ausserdem wurde des Vergleiches halber noch ein besonderer Normalhungerversuch ange- stellt, welcher sich über einen eben so langen Zeitraum forterstreckte, wie jede der Fieberversuchsreihen und daher einen Maassstab für das Verhalten der 00,-Abgabe auch in den späteren Perioden der Inanition bei normaler Eigen- wärme lieferte. Im Ganzen haben die Verfi. sieben Fieberversuchsreihen ange- stellt, deren jede, wie angeführt, 8—12 Hungertage mit ca. 5—7 Respirations- versuchen darunter, umfasst. Die einzelnen Versuche selbst hatten eine Dauer von durchschnittlich 5—7 Stunden. Um die Werthe derselben mit einander vergleichbar zu machen, wurden sie sämmtlich auf die gleiche Dauer von sechs Stunden umgerechnet. Als Resultat nun der ganzen Arbeit ergab sich zunächst, dass in der That das Eiterfieber der Hunde ausnahmslos mit einer beträchtlichen Steigerung der CO,-Ausscheidung einhergeht. Dieselbe ist so bedeu- tend, dass in fünf von den sieben ausgeführten Reihen selbst die an den spä- testen Fiebertagen gewonnenen Zahlen noch um ein Erhebliches die des ersten Hungertages mit normaler Temperatur übertreffen, während doch, wenn die Thiere nicht gefiebert hätten, den Untersuchungen Voit und Pettenkofer’s zufolge der Gaswechsel in jenem späten Zeitraum der Inanition unter allen Umständen ‚eine deutliche Verringerung hätte erkennen lassen müssen. So betrug die Ver- mehrung bei Vergleich mit dem ersten Respirationstage in Reihe I am 7. Tage — 50°/,, in Reihe II am 8. Tage = 17°/,, in Reihe III am 11. Tage = 12°/,, in Reihe IV am 8., bez. 12 Tage = 13°/, und endlich in Reihe V am 6. Tage = 3°/,. Bei weitem schlagender aber noch gestalten sich die Resultate, wenn man die an den Fiebertagen gefundenen Werthe unmittelbar mit den entsprechen- den des Normalversuches vergleicht, was dadurch ermöglicht wird, dass man die am ersten Hungertage einer jeden Reihe erhaltene Zahl = 100 setzt und danach die übrigen umrechnet. Alsdann zeigt sich, dass die Steigerung des Gaswechsels in jenen fünf Reihen unter dem Einfluss des Fiebers sich auf nicht weniger als 40—80°/, beläuft, während nur für die beiden letzten sich der relativ geringe Ausschlag von 10, bez. 20°/, ergiebt. Weiterhin hebt der Vor- tragende hervor, dass die Zunahme der CO,-Ausscheidung stets um so beträcht- licher war, je mehr die Eigenwärme der Thiere die Norm überschritt, ein Fac- tum, welches zugleich die relativ geringe Steigerung in den letzten beiden Reihen, bei denen die betreffenden Versuchsobjecte nur mässige febrile Reaction dar- boten, erklärt. In dreien der in Rede stehenden Reihen wurden die Hunde nach er- folster Eiterinjection mit normaler Temperatur in den Apparat gesetzt und mit deutlich erhöhter aus demselben herausgenommen. Da auch bei diesen Versuchen eine ausgesprochene Zunahme der CO,-Ausscheidung (ein- mal bis zu 50 Proc.) bestand, so ist es mehr als wahrscheinlich, dass schon in dem der fiebererregenden Einspritzung unmittelbar folgenden Zeitraum der Gaswechsel erhöht ist. 174 VERHANDLUNGEN Im letzten Theile seines Vortrages wendete sich Redner, nachdem er noch hervorgehoben, dass die nachgewiesene Vermehrung der CO,-Abgabe nur aus einer annähernd gleich grossen Bildung des in kede stehenden Stoff- wechselendproductes zu erklären sei, der Frage zu, inwieweit aus der Zunahme der Verbrennungsprocesse die Erhöhung der Eigenwärme des fiebernden Orga- nismus zu erklären sei. Er gelangte hierbei in Uebereinstimmung mit der von Anderen schon geäusserten Meinung zu dem Schluss, dass die vermehrte Oxy- dation zwar einen wesentlichen Factor bei dem Zustandekommen der febrilen Temperatursteigerung darstellt, aber nicht alleinige Ursache derselben ist. Dass dem so ist, dafür lassen sich vor allem zwei Thatsachen beibringen. Erstens werden unter dem Einfluss angestrengter Muskelthätigkeit die oxydativen Vor- sänge nicht selten in noch viel erheblicherem Maasse gesteigert, als im Fieber, ohne dass die Innentemperatur sich um mehr als Bruchtheile eines Grades zu erheben braucht oder wenigstens je eine solche Steigerung wie bei hohem Fieber erreicht. Dies muss um so mehr Wunder nehmen, als von der Gesammtsumme der hierbei in lebendige Kraft umgesetzten chemischen Spannkräfte ein ver- hältnissmässig kleiner Antheil zu mechanischer Wirkung gelangt, der über- wiegend grössere (nach Fick unter den für den mechanischen Effect günstigsten Bedingungen nahezu dreiviertel) in Wärme übergeführt wird. — Zweitens er- fährt, wie bekannt, bei reichlicher Nahrungsaufnahme gleichfalls der Gaswechsel eine beträchtliche Zunahme und zwar auch in diesem Falle, ohne dass die Eisenwärme die Grenzen der physiologischen Breite überschreitet. Der normale Organismus besitzt also die Fähigkeit, Steigerungen der Wärmeproduction selbst von bedeutendem Umfange, so weit dieselben nicht zur Deckung des Wärme- verlustes dienen, durch entsprechend vermehrte Abgabe zu bewältigen. Dem fiebernden ist — wenigstens bis zu einem gewissen Grade — diese Fähigkeit abhanden gekommen. Er ist nicht mehr im Stande, das Plus an Wärme, welches er über das zur Erhaltung der normalen Temperatur nöthige Maass er- zeugt, an die Umgebung loszuwerden, daher nothwendiger Weise seine Eigen- wärme eine Steigerung erfährt. Durch welchen Mechanismus aber das Ein- greifen dieses zweiten bei dem Zustandekommen der febrilen Temperatursteigerung betheiligten Factors, die Störung der Wärmeregulation, vermittelt wird, ob es sich dabei vorwiegend um eine beträchtliche Zusammenziehung der die Körperperipherie mit Blut versorgenden kleineren Arterien oder nur einen lähmungsartigen Zustand der gefässerweiternden, sog. Hemmungsnerven der Haut handelt, das muss vor der Hand noch in suspenso gelassen werden. Auf diesen ara Punkt gedenkt übrigens der Vortragende bei nächster Geiles heit nochmals ausführlicher zurückzukommen. 2. Hr. Lassar demonstrirt eine Lampe, welche sich ihm zu mikro- skopischen Zwecken dienlich erwiesen hatte. Dieselbe beruht nicht auf neuen optischen Hülfsmitteln, sondern ist lediglich aus dem Bedürfniss ent- standen, unabhängig von günstiger Tagesbeleuchtung in einer Weise mikrosko- piren zu können, welche bei genügender Helligkeit die für das Auge schäd- lichen Folgen ausschliesst. Eine derartige billige und handliche Beleuchtungs- vorrichtung hat der Fabrikant Hr. Dannhäuser, Berlin SW., Zimmerstr. 95,1, hergestellt. Mit Hülfe eines Neusilberreflectors wird ein sehr intensives Licht erzielt, welches durch Abblendung mit einer kobaltblauen, plangeschliffenen Glas- =) scheibe die Färbung des Tageslichtes erhält. Bei Untersuchungen, welche einen | Kr SAL, 238 > i nn —— DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 175 leicht bläulichen Ton des Lichtes nicht vertragen sollten, kann man selbstver- ständlich durch Zusatz von etwas Kochsalz zu dem Petroleum der Flamme eine selbere Nüance geben, die dann das überschüssige Blau vollständig compensirt. Um die lästige Licht- und Wärmestrahlung zu vermeiden, ist dem Reflector eine schornsteinförmige, den Lampencylinder umfassende Verlängerung aufgesetzt und ein mit Sammet (als schlechtem Wärmeleiter) überzogener Metallschirm an- gebracht. Der Vortragende demonstrirte einige Präparate, um darzuthun, dass mit Hülfe dieser Lampe sowohl ungefärbte Präparate, wie tingirte Structurbilder in ihren feineren Einzelnheiten bei sämmtlichen Vergrösserungen eingehend studirt werden können. Es wäre schliesslich darauf hinzuweisen, dass sich die Lampe für Institute zur Abhaltung abendlicher histologischer Curse und zu ärztlichen Zwecken, welche scharfe Beleuchtung einer umschriebenen Fläche erfordern, empfehlen lässt. Der Preis stellt sich einstweilen in eleganter Ausstattung auf Mk. 10-50, jedoch will der Fabrikant eine einfache Form auch billiger liefern. 3. Hr. L. Lewin hält den angekündigten Vortrag: „Ueber eine Ele- mentareinwirkung des Nitrobenzols auf das Blut“. Der Vortragende theilt mit, dass die von Starkow gemachte Beobachtung über das Auftreten eines Absorptionsstreifens im Roth in mit Nitrobenzol be- handeltem Blute immer zu Stande komme, wenn Blut etwa 2—3 Stunden lang mit vollkommen säurefreiem Nitrobenzol in Verbindung ist, oder wenn dasselbe kürzere Zeit mit Nitrobenzol auf 40—45° erwärmt wird. Hierdurch wird die Angabe von Filehne widerlegt, der diesen Streifen gleich Starkow zwar im Blute von. Hunden, die mit Nitrobenzol vergiftet waren, nicht aber ausserhalb des Körpers erlangen konnte. Es charakterisirt sich dieser Streifen, wie der Vortragende an der Hand von spektroskopischen Zeichnungen auseinandersetzte, nach dem jetzigen Stande unserer Kenntniss des Blutfarbstoffs sowohl hinsichtlich seiner Lage im Spectrum, als seiner Eigenschaften beim Behandeln mit chemischen Agentien vollkommen als Hämatinstreifen. Man ist im Stande ein dem Nitrobenzolblute vollkommen anologes Spectrum hervorzubringen, wenn man zu normalem Blute so wenig Säure hinzufügt, dass der Hämatinstreifen neben den beiden Streifen des Oxyhämoglobins zu Tage tritt. In beiden Fällen erhält man, wenn D auf 47 und C auf 29 der Scala liegt, einen ziemlich gut begrenzten Streifen von 35—38. Daneben die Oxy- 'hämoglobinstreifen, « 47—50 und B 57—64. . Behandelt man das säure- und nitrobenzolhaltige Blut mit Alkalien, so rückt der Hämatinstreifen von seiner ursprünglichen Stelle fort an a heran, so dass er zwischen 41 und 47 zu liegen kommt. Auf Einwirkung von reduci- renden Substanzen, wie Schwefelammonium, verschwindet sowohl in dem mit Nitrobenzol als in dem mit wenig Säure behandelten Blute der Hämatinstreifen und es erscheint nur das breite Reductionsband von 47—64. Die Beobachtung Filehne’s, dass bei Zusatz von Schwefelammonium zu nitrobenzolhaltigem Blute der Streifen im Roth nach rechts rücke, ist auf das Entstehen des dem Schwefelammonium sowie dem Schwefelwasserstoff angehörenden Sulfhämoglobin- streifens zurückzuführen. 176 VERHANDLUNGEN Dieselbe Einwirkung wie das Nitrobenzol auf Blut zeigt u. A. das ganz unlösliche Binitrobenzol, der Aethyläther und der käufliche Petroleumäther. Es liegt deshalb die Möglichkeit vor, dass das Nitrobenzol anolog den ebengenannten Körpern die Fähigkeit habe, Blutkörperchen aufzulösen, und da- durch neben unverändertem Oxyhämoglobin selbst in der Blutbahn Hämatin oder einen mit dem Hämatin in seinem spectroskopischen Verhalten vollkommen identischen Körper hervorzubringen im Stande sei. Zu bemerken ist noch, dass die postmortale Sauerstoffzehrung im Blute, die nach Hoppe-Seyler durch allmähliches Entstehen reducirender Substanzen zu Wege gebracht wird, durch Nitrobenzol aufgehoben wird, und zwar so, dass man noch nach fünf Wochen die beiden Oxyhämoslobinstreifen constatiren kann. Da die Sauerstoffzehrung nur im Stadium der Blutfäulniss beobachtet wird, und wahrscheinlich auf die physiologische Thätigkeit von Fäulnisspilzen zurückzu- führen ist, so ist dem Nitrobenzol in gewissen Grenzen eine fäulnisshemmende Kraft zuzuschreiben. Die näheren Details der Untersuchung werden demnächst ön extenso ver- öffentlicht werden. 4. Hr. E. STEINAUER spricht in einer vorläufigen Mittheilung: „Ueber eine im normalen Harn vorkommende gechlorte organische Sub- stanz“. Vor mehreren Jahren hatte ich die Ehre in dieser Gesellschaft in einem Vortrage „über das Bromalhydrat und seine Wirkung auf den thierischen und menschlichen Organismus“ darauf hinzuweisen, dass nach Einverleibung vom Bromalhydrat sich Bromnatrium im Harn findet; in einem späteren Vortrage „über die physiologische Wirkung der Brompräparate“, dass nach Einverleibung der gebromten Essigsäuren: der Mono-, Di- und Tribromessigsäure und ihres Natronsalzes gleichfalls Bromnatrium im Harn gefunden wird. Ferner hatte ich nach Einverleibung von Monobrombenzol durch die Destillation des Harns mit Säure Monobromphenol erhalten, während die Monobrombenzo&säure im Harn als solche nicht als Monobromhippursäure aufgetreten war. Es lag nun nahe das Verhalten und die Schicksale derjenigen Körper im Organismus zu studiren, in welchen ein oder mehrere Wasserstoffatome statt durch Brom, durch Chlor substituirt sind. v. Mehring und Musculus haben inzwischen gezeigt, dass nach Eingeben von Chloralhydrat im Harn eine ge chlorte organische Säure, die Urochloralsäure auftritt. Bei Versuchen die Uro- chloralsäure aus dem Harn darzustellen, bin ich nach dieser Richtung hin nicht glücklich gewesen, dagegen habe ich die Anwesenheit eines gechlorten organischen Körpers constatiren können, der weder Chloralhydrat war, noch Uro- chloralsäure sein konnte, da er sich in seinen Eigenschaften wesentlich von der letzteren unterschied. Neuerdings habe ich bei Fortsetzung dieser Versuche im Laboratorium des Hrn. Prof. Salkowsky, dem ich für seine mir freundlichst ertheilten Rathschläge mich verpflichtet fühle, um über die erwähnten Schwierigkeiten hinwegzukommen,. für nothwendig gehalten, auch den normalen Harn, der, soweit bislang festge- stellt war, als frei von organischem Chlor galt, auf organisches Chlor zu unter- suchen und habe constant 7 bis 19 Proc. der 24stündigen gesammten Chlor- ausscheidung durch den Harn organisches Chlor im normalen Harn gefunden. ’ en 4 | DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. BAT Ich unterwarf den Harn der Dialyse, und es ist mir gelungen die übrigen Harnbestandtheile fast vollständig zu entfernen und so zu einer Substanz zu gelangen, welche frei von Chloriden 6,5 Proc. organisches Chlor enthält, Feh- ling’sche Lösung beim Erwärmen reducirt, das Kupferoxydul aber in Lösung hält. Die Reagentien, welche ich in Anwendung gezogen habe, wurden selbst- verständlich vorher auf ihr Freisein von Chlor sorgfältig geprüft. Die Frage, woher dieses organische Chlor im normalen Harn stammt, ob die organische gechlorte Substanz aus der eingeführten Nahrung herrührt, oder im Orsanismus selbst gebildet wird, beschäftigt mich gegenwärtig; ebenso habe ich das Verhältniss, in welcher diese Substanz zu der Urochloralsäure steht und eine Reihe anderer einschlägiger Fragen zu studiren angefangen. Die Constatirung der Thatsache an sich, dass der normale Harn organi- sches Chlor enthält, schien mir wichtig genug, um sie, obgleich diese Special- punkte nicht vollständig erörtert sind, der Gesellschaft mitzutheilen, wobei ich mir noch die Bemerkung erlauben möchte, dass ich mir die Weiterverfolsung dieses Gegenstandes ausdrücklich vorbehalte. IX. Sitzung am 14. Februar 1879. Hr. Curıstmıanı führte eine modifieirte Wiedemann’sche Spiegelbussole vor und knüpfte an deren Demonstration folgende Bemerkungen: „Ueber Däm- pfung und Astasirung an Spiegelbussolen.“ Im vergangenen Sommersemester gelangten in den Vorlesungen des Hrn. Prof. E. du Bois-Reymond die feineren Versuche der Nervmuskelphysik (u. A. die thermischen Vorgänge am Muskel bei seiner Thätigkeit und die ne- gative Schwankung des Nervenstromes) vor einem grossen Zuhörerkreise zur objectiven Darstellung.” Auf den nach der du Bois’schen Methode aperiodi- sirten Magnetspiegel der Wiedemann’schen Bussole fiel der Strahl einer elek- trischen Lampe (System von Hefner-Alteneck), welche ihrerseits durch eine Siemens’sche dynamoelektrische Maschine gespeist ward. Der Abstand der neben dem Auditorium in der Demonstrations - Gallerie aufgestellten und somit dem Auge der Zuhörer entzogenen Lampe von der Bussole betrug 121/, Meter. Der Spiegel der Bussole warf ein kreisrundes, helles, auch bei vollem Tages- lieht durch den ganzen Hörsaal sichtbares Bildchen auf eine 3 Meter lange, ‚ von der Bussole um 4 Meter abstehende Scala. Einige geringe Aenderungen an der Bussole genüsten, sie zu diesem Gebrauch dienstbar zu machen. Ich erwähne hiervon nur, dass das Spiegelhäuschen vorn weit aufgeschnitten und dass die erhaltene Schnittöffnung durch eine gegen die Verticale um 10° ge- meiste planparallele Glasplatte verschlossen ist. Dies dient dazu, dem Lichte 1 E. du Bois-Reymond, Ueber ein Verfahren, um feine galvanometrische Versuche einer grösseren Versammlung zu zeigen. Poggendorff’s Annalen, Bd. 95, S. 607 und Gesamm. Abhdlg., Bd. I, 8. 131. Archiy f£. A.u. Ph. 1878. Physiol. Abthlg. 12 178 VERHANDLUNGEN . freieren Ein- und Austritt zu gewähren, derart, dass auch bei einer Ablenkung des Spiegels von 45° das Lichtbildchen den Zuhörern noch sichtbar bleibt. - Die Neigung der Platte gegen die Verticale bewirkt eine Deviation ihrer sich sonst in störender Weise dem Magnetspiegelbilde superponirenden Reflexbilder, - Einige anderweitige leichtere Veränderungen an dem Instrumente sind von rein localem Interesse. Von allgemeinerer Bedeutung ist jedoch die von mir! vorge- nommene Reduction der Dimensionen des Dämpfers und die Beseitigung einiger principiellen Fehler in der Construction dieses für die zeitlichen Verhältnisse bei der Beobachtung so wichtigen Theiles, eine Reduction, welche zur Folge hat, dass die Windungszahl der Rollen, bezüglich die Annäherung } der Windungen an den strommessenden Magnet verdoppelt werden kann. Es bedarf nicht eines Eingehens auf die verwickelten Gesetze, nach |) denen die dämpfenden Inductionsströme durch die Kupfermasse sich ergiessen, um zu der aprioristischen Ueberzeugung zu gelangen, dass die jenseit der über- ) flüssigen Durchbohrungen des bisherigen Dämpfers gelegenen Kupfermassen einen ) nahezu verschwindend kleinen Beitrag zur Dämpfung abgeben gegenüber der- } jenigen Dämpfung, welche die Ströme liefern würden, deren Zustandekommen | serade wegen dieser Durchbohrungen verhindert ist. In gleicher Weise in die Augen springend ist die Unzweckmässigkeit der mit der ganzen Breite des Magnet- ringes zur Kammer absteigenden Fortsetzung des „Schachtes“, die ebenso wie u die den Dämpfer hälftende Durchschneidung lediglich Bequemlichkeitsrücksichten bei der Aufstellung der Bussole ihr Dasein verdankt. Der Erfolg bestätigte die” Richtigkeit aller dieser Ausstellungen, indem ein aus einem einzigen Stücke be- stehender, nur von zweien nothwendigen. Durchbohrungen durchsetzter Kupfer- dämpfer von ausserordentlich viel kleinerem Umfange dasselbe zu leisten ver- mochte, als die wuchtigen alten Dämpfer. Die Magnetringkammer an diesem \ neuen Dämpfer blieb ihrer Grösse nach unverändert: sie bildet die eine der beiden nothwendig bestehen bleibenden Durchbohrungen des Cylinders.. Die‘ zweite, in radiärer Richtung die Masse durchsetzende cylindrische Bohrung, | welche für den Durchtritt das Fadens (bezüglich der Verbindungsstange zwischen } Spiegel und Ring) nothwendig ist, hat einen kreisförmigen Querschnitt von.nur 2” Radius. Das Gewicht des neuen Dämpfers beträgt 280°”, das eines alten dagegen 600 8"”, also mehr als das Doppelte. Der Schacht ist durch ein eylindrisches Rohr (2%® Radius) ersetzt, an dem ein dünner Kupferring | von 4"® Breite hängt. Dieser Ring ist über den Dämpfer gestreift und trägt! denselben. — Das logarithmische Decrement eines meiner Magnetringe betrug für drei Dämpfer alter Construction im Mittel 0-59, das Decrement desselben | Ringes für den neuen Dämpfer ist gleich 0-57. Beim Fallen aus einer Ab- lenkung von 15° ist die achte Schwingung kleiner als 1/, Scalentheil; der neue Dämpfer entspricht also in vollkommenster Weise den von Hrn. du Bois-Rey-) mond? gestellten Anforderungen. Wie Sie sehen, kann ich durch Aufstellung ) eines Hauy’schen Stabes in einer Entfernung von 320 ”” vom Ringe denselben so vollkommen aperiodisch machen, dass er, aus einer Ablenkung von nahezu 90° fallen gelassen, sich schwingungslos in den magnetischen Meridian einstellt | ! Man vergleiche hierzu auch meine Abhandlung in Poggendorff’s An aulem, Ergänzungsbd. VIII, S. 569. 2 E. du Bois- Reymond: Gesammelte Abhandl. I, S. 372 u. Monatsberiehte der Akad. 1874, 8. 771. wi DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 179 Hieran knüpfe ich einige Bemerkungen, aus denen erhellen soll, wesshalb ich glaube annehmen zu dürfen, dass nunmehr aus doppeltem Grunde die Sie- mens’sche Glockenmagnetbussole nicht im Stande sei, für feinere Versuche die Wiedemann’sche Bussole mit du Bois’scher Aperiodisirung zu ersetzen. Der Siemens’sche kugelfürmige Dämpfer besitzt ziemlich denselben Umfang wie der alte cylindrische unserer Bussole: bei Anwendung des neuen Cylinders, der zur Basis einen Kreis von nur 40 ®® Durchmesser hat, wird daher die ohne Astasirung, durch blosse Vermehrung, bez. Annäherung der Windungen zu er- zielende Empfindlichkeit der an den Siemens’schen Bussolen zu erreichenden mindestens gleich kommen, wofern sie nicht gar die letztere übertrifft, was gut denkbar ist, zumal da caet. par. das Drehungsmoment der Windungen in Bezug auf den strommessenden Magnet bei den actuellen Dimensionen für den Ring wohl ein grösseres ist, als für die Glocke. Hierzu kommt dann aber noch bei der von uns geübten Art des Aperiodisirens die Erhöhung der Empfindlich- keit durch Astasirung, welche bei Siemens’schen Glocken nicht möglich ist, da dort der Hauy’sche Stab entweder gar nicht, oder im umgekehrten, die Empfindlichkeit verringernden Sinne in Anwendung zu bringen ist. Anderer- seits ist zu bemerken, dass die elektrische Zeitmessung mittels des eben ape- tiodischen Magnetes,! sowie viele andere an den Zustand &=n geknüpfte Vorzüge die präcise Herbeiführung gerade dieses Zustandes im hohen Grade wünschenswerth erscheinen lassen. An Siemens’schen Glocken kann aber ent- weder nur schwierig und relativ ungenau, durch Herausheben der Glocke aus dem Dämpfer, oder aber unter Empfindlichkeitsverlust, bei Anwendung des um- gekehrten Hauy’schen Stabes, <= n gemacht werden. | Unser neuer Dämpfer theilt überdies mit dem älteren den Vorzug vor dem ' Siemens’schen Kuseldämpfer, dass die Freiheit der Aufhängung des Magnet- spiegelsystemes durch directe Inspection controlirt werden kann, während ein Anstreifen der Glocke an die Dämpferwandung nur indirect unter Fernrohrbeob- ‚ achtung sich erschliesst. ! Da ich der Astasirung als einer willkommenen, weil die Empfindlichkeit ‚ steisernden Zugabe der Aperiodisirung gedacht habe, so liegt es mir noch ob, ‚ einige Zweifel zu beseitigen, die hie und da gegen die Constanz der Empfind- | lichkeit von Bussolen mit Astasirung erhoben worden sind (Rosenthal,? Fick?°). Angeschuldigt wurden als Ursachen solcher die Beobachtung Sloman dan Schwan- ' kungen der Empfindlichkeit die Aenderungen, welche der Erdmagnetismus pe- riodisch erfährt, und welche in der That zu solchen Missständen Anlass geben würden, wenn die Astasirung so hohe Werthe erreichte, dass die Aenderungen ' der erdmagmetischen Kraft nicht mehr verschwänden gegen die restirende Richt- kraft, die auf den strommessenden Magnet wirkt. Zu so hohen Werthen der , Astasirung sich zu versteigen wird man aber niemals Veranlassung fühlen, wenn man Messungen machen will, weil dann schon aus einem anderen Grunde die beobachteten Ablesungen fehlerhaft werden, indem bei so hochgradiger Astasi- i rung die Geschwindigkeit, mit welcher sich wegen der Declinationsschwankungen ‚der Nullpunkt der Scala verschiebt, nicht mehr verschwindet gegen die Ge- ne 4 | = (&lmt istiani, Ueber absolute Graduirung elektrischer Inductionsapparate und | Se elektrische Zeitmessung. In Pogsendorff- s Annalen, Ergänzungsbd. VII, 56—579. 4 2 Posgendorff’s Annalen, Bd. 160, S. 174. | 3 Pflüger’s Archiw, Bd. 16, S. 64. | 197 | \ h ' 1850 VERHANDLUNGEN schwindigkeit, mit welcher der Magnet ablenkenden Strömen folgt. Es hat dem Anschein, als ob man bisher im Allgemeinen sich eine übertriebene Vorstellung von der Kleinheit der Werthe gemacht hat, welche man erhalten würde, wenn man diejenigen Differenzen zwischen der horizontalen Componente des Erdmas- netismus (7) und der des Hauy’schen Stabes (‚$) numerisch darstellte, welche brauchbare Werthe der Astasie im eben ausgesprochenen Sinne abgeben. Ich will daher zunächst die numerische Bestimmung des Werthes von: BnN Ms ausführen, durch welche Grösse ich die Astasirung definiren kann und will. Es bedeute: F die Ablenkung durch einen constanten Strom innerhalb der brauchbarem Werthe der Astasirung, E die elektromotorische Kraft und W den Widerstand im Kreise, u das Drehungsmoment der Bussolenrolle auf den Magnetring für die Strom- einheit, m das magnetische und Y M das Trägheitsmoment des Magnetringes, dann ist: u E F= — und wenn 4 zu ZH’ wird, wird sein: ; u E F= m(H —S) W unter der Voraussetzung, dass sowohl der Ringmagnet als der Hauy’sche Stab sesättigt sind; nur dann dürfen wir nämlich die durch die Zunahme von Z ın- dueirten Magnetismen « vernachlässigen. Unter diesen Umständen wird auch ferner sein: | o_ _4# m HW wenn #@ die Ablenkung bedeutet, die bei 00 grosser Entfernung des Hauy- schen Stabes vom Maenetringe stattfindet. Weiter haben wir, wenn 7, die Schwingungsdauer des Ringes ohne Dämpfung und 7,“ und 7, diese Schwing ungsdauer für die Abstände des Hauy’schen Stabes A und 00 bedeutet: REN #2 gie ‚ua, 5 Bo, = : 27 V- rn) Sizb, 27 V a F H 7,9): 7 m LERZENS f a 2 Also ist: DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 181 Ist fürA= A:e=n;8=8’;0= u; so findet man an mustergültigen Bussolen älterer Construction mit Anwendung eines Magnetringes: @’ = 4-5. Für den höchsten brauchbaren und bei gehörigem Fernrohrabstande zu den denkbar feinsten Untersuchungen hinreichenden Werth von & findet man: Omas = 10.0 Wir haben ferner: F_H—S NZ NS oder wenn: = H-+AH ist, | Fin; AH 732 = H—S oder: Je PIEI JEl ee gg Nach Neumayer! ist: A c- MAN mm 0.0015 Unter Benutzung der Werthe für &’ und «max ergiebt sich, dass für ma 100 Seatentheile F zwischen 100 +#0-7 und 100 +1-5 liegen wird, dass also von einer In- constanz der Empfindlichkeit der Bussole nicht wohl die Rede sein kann. Sind allerdings Ring und Stab magnetisch nicht gesättigt, so könnten schon bei niedri- geren Graden der Astasirung merkliche Störungen auftreten. 2. Hr. GAD hielt den angekündigten Vortrag: „Ueber einen neuen Pneumatographen“. Wer sich experimentell mit Fragen über die Mechanik der Athmung be- schäftigt, wird bald das Bedürfniss empfinden, einen Apparat zu besitzen, welcher sestattet, die die Athmung begleitenden Volumänderungen des Thorax aufzu- schreiben. Mir selbst ist es so gegangen und da ich keinen geeigneten Apparat vorfand, habe ich mir einen derartigen Pneumatographen construirt. In der Form, welche ich ihm zuletzt gegeben habe, leistet er mir seit dreiviertel Jahren gute Dienste und da ich zu der Ueberzeugung gelangt bin, dass wesentliche Veränderungen nicht mehr angebracht zu werden brauchen, so will ich ihn der Oeffentlichkeit übergeben. Mein Pneumatograph beruht auf dem Princip des Spirometers. Es wird aus einem Raum und in denselben zurückgeathmet, dessen übrigens feste Be- Srenzung zum Theil durch ein in Wasserverschluss bewegliches Stück herge- stellt ist; die innerhalb jeden Zeitelementes erfolgenden Verrückungen dieses Stückes sind annähernd proportional den in demselben Zeitelement ein- und aus- geathmeten Luftmengen und können auf einer bewegten Zeichenfläche aufge- I! E. du Bois-Reymond, a. a. O., S. 376 (776). 182 | VERHANDLUNGEN schrieben werden. So erhält man Curven, welche die Volumänderungen des Hohlraumes der Lungen, bezogen auf eine der Zeit proportionale Abseisse, dar- stellen und der Effect der Athembewegungen ist auf absolutes Maass, Volum und Zeit zurückgeführt, mit einem für die erste Annäherung genügenden Grade von Genauigkeit. , Damit den im Princip ausgesprochenen Anforderungen genügt werde, ist erforderlich, dass das bewegliche Stück in jeder während des Versuches vor- kommenden Stellung aequilibrirt sei und dass den Verrückungen desselben möglichst kleine Widerstände entgegentreten. Erstere Bedingung muss erfüllt werden, damit der bewegliche Theil bei jeder vorkommenden Stellung keinen anderen als Atmosphärendruck auf den abgeschlossenen Hohlraum ausübt, die zweite, damit jede beim Aus- oder Einströmen von Athemluft entstehende Druck- differenz durch Ausweichen des beweglichen Theiles sich sofort ausgleichen und nicht zu namhaften Werthen ausbilden kann. Vernachlässigung beider | | | | | | ISIN mul | | | | mm DIE AI | | | | |! SEES SS III STTTEIESISKWUM>©00°|R) )>I3?M8/WViISC Fig. 1. (mama Bedingungen würde zu Compression oder Dilatation der abgeschlossenen Luft- menge führen, welche den zeitlichen Zusammenfall und die Proportionalität zwischen Verrückung und Athembewegung beeinträchtigen und durch Ueber- tragung von Druck- oder Zugkräften auf die innere Lungenoberfläche den Ver- such compliciren würden. Die den Verrückungen erwachsenden Widerstände können auf Trägheit de Massen oder auf Reibung beruhen. Letztere ist fast vollkommen dadurch eliminirt, dass dem beweglichen Theil wesentlich die Form eines rechteckigen Schachteldeckels gegeben ist (siehe den etwas schematisch gehaltenen Längs- schnitt, Fig. 1), dessen Verrückungen in Drehung um eine in Kernern laufende horizontale Stahlaxe bestehen, mit welcher der Deckel durch 2 Aluminiumarme est verbunden ist. Weder die Reibung der Axe im Axenlager, noch die des Deckelrandes in dem Wasser des Wasserverschlusses erreicht einen merklichen Werth. Der übrige Theil des Widerstandes hängt ab von der Masse bez. dem Trägheitsmoment des Deckels unä der demselben ertheilten Geschwindigkeit. Letztere erreicht darum nie bedeutende Werthe, weil wegen der gewählten Ab- messungen des Deckels den mittleren Grössen der Athemvolumschwankungen’ nur relativ kleine Verrückungen der Hauptmasse des Deckels entsprechen. Im m mn nm _ m em, 2 nö mm mm m en ee DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 183 eine für das Zeichnen brauchbare Grösse werden diese Verrückungen übertragen mittels eines leichten und entsprechend langen Armes aus kohr, der der Ober- fläche des Deckels parallel, fest mit diesem verbunden ist und an seinem Ende den Zeichenstift in Gestalt eines gekrümmten und zugespitzten Aluminiumblech- streifens trägt. Bei der Wahl der Abmessungen des Deckels ist ferner von Einfluss die Rücksicht, dass, nach dem Prineip der hydraulischen Presse, den die Verrückung bewirkenden Druckkräften eine grosse Angriffisfläche gewährt werde. Länge und Breite des beweglichen Deckels sind durch diese Rücksichten ‘bestimmt. Die Höhe wird man nicht grösser wählen, als dass die zu erwarten- den Volumschwankungen bei den sonstigen gewählten Verhältnissen eben ihren Ausdruck in den entsprechenden Verrückungen finden ‚können, ohne dass ein Austauchen des Deckels aus dem Wasserverschluss zu befürchten ist. Die Wandstärke des Deckels muss möglichst gering sein, sowohl mit Rück- sicht auf Einschränkung der Masse, als auch, soweit sie sich auf die Ränder bezieht, um die Veränderlichkeit des Auftriebes so klein zu halten, dass eine Aequilibrirung des Deckels in jeder Stellung auf einfache Weise zu ermöglichen ist. Da nämlich der Deckel mit seinen Rändern bei verschiedenen Stellungen "mehr weniger tief in das Wasser des Wasserverschlusses eintaucht, so ist die Grösse des Auftriebes (d. h. des dem Gewicht des verdrängten Wassers gleichen Gewichtsverlustes) und dessen Veränderung bei veränderter Stellung des Deckels wesentlich von der Wandstärke der Ränder abhängig. Ein Material, welches bei der, in dieser Beziehung genügenden Dünne die nöthige Starrheit besitzt, ist der Glimmer, welchen ich sowohl wegen dieser Eigenschaft, als auch wegen seiner Durchsichtigkeit, leichten Bearbeitbarkeit und Dauerhaftigkeit zur Her- stellung des Deckels gewählt habe. Bei genügend fein gespaltenem Glimmer ist die Veränderlichkeit des Auftriebes so gering, dass zur genügend annähern- den Aequilibrirung des Deckels in jeder Pan ua Stellung folgende ein- fache Anordnung ausreicht. Das aequilibrirende Gewicht wirkt an einem Winkelhebel, dessen einer Arm senkrecht zur Stahlaxe des Deckels auf die Mitte desselben aufgeschraubt wird. Die Länge jedes der Arme des Winkelhebels und die Neigung des auf die Stahlaxe aufgeschraubten Armes gegen die Horizontale sind zu variiren. Hebt sich der Deckel, so verringert sich der Auftrieb, was gleichwerthig mit Vermehrung des Gewichtes des Deckels ist. Gleichzeitig verringert sich die horizontale Entfernung des Schwerpunktes des Deckels und vergrössert sich die horizontale Entfernung des Schwerpunktes der aequilibrirenden Masse von der Drehaxe und zwar geschieht letzteres in um so höherem Maass, je länger und je näher der Senkrechten die Hypotenuse des Winkelhebels ist. Durch passende ‘Wahl der drei Variablen ist in der That eine genügend annähernde Aequili- brirung des Deckels für jede vorkommende Stellung zu erreichen. Allerdings ändert sich die Grösse des Auftriebes proportional dem Bogen und die der Drehungsmomente proportional dem Cosinus des Drehwinkels, aber bei den kleinen vorkommenden Winkelbewegungen ist die Abweichung beider Functionen von einander praktisch nicht von Bedeutung. Der Theil des Apparates, in dem sich der Deckel bewegt, ist ein recht- eckiger Kasten mit doppelten Stirn- und Seitenwänden. Die Bodenplatte, sowie äussere und innere Stirnplatten sind von Messing; die äusseren Seitenplatten in ihrem hinteren Theil ebenfalls. Hier tragen sie das Axenlager; im Uebrigen sind die Seitenplatten von Glas. Die Bodenplatte ist im Bereich des inneren 184 VERHANDLUNGEN Raumes durchbohrt für die Einmündung eines Bleirohrs, welches unter der Bodenplatte nach hinten geführt ist und jenseit der hinteren Stirnplatte in einen T-Hahn aus Messing endet, welcher zwei Ansätze für Kautschukverbin- dungen trägt. Da der Kasten auf Stellschrauben steht, so ist unter der Bodenplatte genügender Raum für das Bleirohr. Der Deckelrand bewegt sich in dem Raum zwischen den Doppelwänden, welcher mit Wasser gefüllt den Wasserverschluss darstellt. Da der Deckel der einzig bewegliche Theil der kaumbegrenzung sein soll, so muss die Bewegung der Wasseroberfläche ge- dämpft werden, Dies geschieht in ausreichender Weise dadurch, dass horinzon- tale Glimmerstreifen in der beabsichtigten Niveauhöhe des Wassers derartig an die geseneinandergekehrten Seiten der Doppelwände angekittet werden, dass zwischen ihnen ein für die Bewegungen des Deckels gerade genügender Platz bleibt. Das in dem Deckelraum enthaltene Luftvolum ist so klein, dass schon bei wenigen Athemzügen daraus und darein Dyspnoe eintreten würde, weshalb eine genügend geräumige, überall luftdicht verschlossene Vorlage zwischen Thier und Deckelraum eingefügt werden muss. Dass bei allen hergestellten Verbindungen längere Rohrstücke, sowie namhafte Verengerungen des Lumens zu vermeiden sind, ist selbstverständlich. Aus letzterem Grunde empfiehlt es sich, wo 7-Hähne nothwendig sind, diese nicht mit doppelter Durchbohrung, sondern mit seitlichem Ausschnitt des Stöpsels herstellen zu lassen.! : Die hauptsächlichsten Erfahrungen habe ich an einem Apparat gewonnen, dessen Abmessungen den bei den Kaninchen vorkommenden Athemvolumschwan- 4 kungen angepasst sind. Der Glimmerdeckel ist bei einer Breite von 77 "" und einer Länge von 110””, vorn 30”, hinten 15” hoch. Der Schreibhebel überragt den vorderen Deckelrand um 237 ””, die Axe ist von dem hinteren Rand um 16” entfernt. Empirische Calibrirung ergab, dass bei jeder vor- kommenden Stellung des Deckels einer Erhöhung der Zeichenspitze um 14-5 "#7 eine Volumänderung von 25°“ entspricht. Die Volumdifferenz bei höchstem und tiefstem Stand des Deckels beträgt etwas über 100 “®. Die Vorlage be- steht aus einem Blechkasten von 18000 °“® Gehalt, welcher, um schnelle Lüftung zu erzielen, mit einem leicht zu Öffnenden und wieder luftdicht zu schliessenden Deckel versehen ist. Die Verbindung mit der Trachealcanüle geschieht mittels eines luftdicht anschraubbaren trichterförmigen Stückes. Statt dessen kann ein anderes schräg cylinderförmiges angeschraubt werden, in dessen Vorderfläche der” Kopf des Kaninchens mittels Kautschuklösung derart luftdicht eingefügt wer- den kann, dass kein Druck auf die Trachea oder die die Nase umgebenden Weichtheile ausgeübt wird. Die Vorderfläche des ceylinderförmigen Ansatzstückes” trägt ausser dem Ausschnitt für den Kaninchenkopf einen Tubulus zur Her- stellung einer Verbindung mit dem Seitenrohr der Trachealcanüle mit 7-Hahn.? Ist die angedeutete Combination hergestellt, so genügt eine Drehung an letzt- senanntem Hahn um momentan statt der Nasenathmung Trachealathmung auf- schreiben zu lassen. Auf diese Weise konnten die nöthigen Untersuchungen vorgenommen werden über den Einfluss der Einlegung der seitlich verschlossenen Trachealcanüle auf die Nasenathmung, über den Unterschied zwischen Nasen- und Trachealathmung, über den Einfluss der Chloral-Narkose auf die Athmung, 1 Dies Archw, 1878, S. 563. 2 Siehe a. a. OÖ DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 155 über den Einfluss von Einfügung längerer Rohrstücke in die Verbindungen u. s. w. Die der Gesellschaft vorgelegten Resultate dieser, sowie der zur Kritik der Rosenthal’schen und Hering-Breuer’schen Theorie der Vaguswirkung vor- genommenen Untersuchungen werden in dem Archiv für Anatomie und Phy- siologee ausführlich mitgetheilt werden. Um eine Anschauung davon zu geben, wie sich die mit Hilfe des Apparates gewonnenen Curven darstellen, mag hier jedoch eine Curve Platz finden, die einem Versuch angehört, der zugleich ein Urtheil über die Grösse der durch den Apparat für die Athmung gesetzten Widerstände erlaubt. Die Anordnung des Versuches ist folgende. Der Kopf des Kaninchens ist mit Kautschuklösung in das cylinderförmige Ansatzstück der Vorlage eingefügt. In die Trachea ist eine Trachealcanüle mit T-Hahn eingelegt, welcher so ge- stellt ist, dass der Weg zu Nase und zum Seitenrohr offen ist. Das Seitenrohr Eie. 2. ist mit einem der Schenkel eines zweiten T-Hahnes in Verbindung, von dessen beiden übrigen Schenkeln der eine mit dem Tubulus an der Vorderfläche des Ansatzes der Vorlage, der andere mit einem Tambour enregistreur communicirt. Im Uebrigen erhellt die Anordnung aus der schematischen Darstellung Fig. 2. Steht der zweite Hahn so, dass der Weg zum Tubulus der Vorlage verschlossen ist, so wird durch den Pneumatographen Nasenathmung aufgeschrieben und durch den Tambour der dieselbe begleitende Seitendruck in der Trachea. Sind dagesen alle drei Wege des zweiten T-Hahnes offen, so athmet das Thier wesentlich durch das Seitenrohr in der Trachea, der Pneumatograph schreibt Trachealathmung auf und der Tambour die dieser entsprechende Seitendruck- eurve. Fig. 3 giebt ein Beispiel der so gewonnenen Zeichnungen. Die obere Curve ist mit dem Pneumatographen gewonnen und stellt in ihrem ersten Theil bis * Trachealathmung, von da an Nasenathmung eines nicht narkotisirten, 1950°” schweren weiblichen Kaninchens dar. Die der Zeit proportionale Abseisse wächst von links nach rechts (8-37 — 1°”). Erhebung der Curve bedeutet 156 VERHANDLUNGEN Exspiration (14-5"" = 25°%), Die untere Curve stellt die entsprechenden Seitendruckschwankungen in der Trachea dar. Da diese Schwankungen bei Trachealathmung nur einen geringen Bruchtheil derjenigen bei Nasenathmung ausmachen, so kann der durch die Anfüsung des Pneumatographen eingeführte Widerstand für den Athemluftstrom nur einen ungefähr ebenso kleinen Bruch- theil des normalen Widerstandes in Glottis und Nasenöffnung betragen.! Fassen wir zusammen, was der beschriebene Pneumatograph zu leisten im Stande ist. Genau zu bestimmen gestattet er die Factoren der Athemgrösse (Rosen- thal), d. h. Tiefe und Zahl der Athemzüge in der Zeiteinheit. Mit hohem Grade von Annäherung lässt er erkennen die übrigen Attribute des Athemtypus (ausser Verhältniss von Thorakal- zu Abdominalathmung), d. h. Fig. 3. die absolute Dauer der Athemphasen, ihr Verhältniss zu einander und die Ge- schwindigkeit, mit der die Athembewegung innerhalb jedes Theiles der einzelnen Phasen sich vollzieht. Es ist hierbei zu berücksichtigen die geringe Deforma- tion der Curven in Folge der Bewegung der Zeichenspitze auf dem Umfang eines Kreises von grossem Radius (363 ””) und in Folge der zeitlichen Verschiebung zwischen Athembewegung und Verrückung des Deckels, welche wächst mit der Geschwindigkeit der Athembewegung und dem Inhalt der Vorlage. Numerische Betrachtungen ergeben, dass diese zeitliche Verschiebung sehr gering bleibt, wenn die Seitendruckschwankung in dem abgeschlossenen Luftraum einige Milli- meter Wasser beträgt, und in der That bleibt die genannte Grösse bei dem beschriebenen Apparat unter allen beim Kaninchen vorkommenden Verhältnissen unter 3%, meist ist sie jedoch beträchtlich kleiner. Die erstgenannte Defor- mation besteht in einer kleinen Verringerung der Steilheit im ansteigenden und Vergrösserung im absteigenden Theil der Athemeurve namentlich im oberen 1 Es lag nah, die Aenderung der intrathorakalen Druckschwankung bei ab- wechselnder Tracheal- und Nasenathmung in ihrem Einfluss auf die Athemschwan- kungen des Blutdruckes zu untersuchen. Das Resultat dieser Untersuchung wird besonders veröffentlicht werden. = DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 187 Abschnitt derselben, die zweite Deformation ist eine Verringerung der Steilheit der steileren Partien der Curve. Von Einfluss auf die Beurtheilung der Curven behufs Beantwortung der zunächst zu discutirenden Fragen sind diese Deforma- tionen nicht. Die Eigenschwankungen des Zeichners dürfen bei den gewöhnlich vorkommenden Geschwindigkeiten vernachlässigt werden. Auf Grund der vorliegenden Curven wird es gestattet und zweckmässig sein, den Begriff der Athemgrösse nach zwei Richtungen hin zu erweitern, Unter Athemgrösse kann man einerseits ein Maass verstehen für den Nutzeffect der Athembewesungen. Dann ist zu bedenken, dass das Product aus Tiefe in Zahl der Athemzüge an sich noch kein Maass abgiebt für die Lüftung des Blutes in den Lungen, auf die es bei der Athmung doch ankommt. Es wird in dieser Hinsicht nicht gleichgiltig sein, den wievielten Theil der Dauer einer Athmung die Inspirationsluft in den Lungen verweilt. Bei den gewöhnlichen Athemver- hältnissen wird die Ausnutzung der Inspirationsluft um so vollkommener sein, einen je grösseren Bruchtheil der Dauer der einzelnen Athmung sie mit dem Blut im Verkehr bleibt. Man wird also von diesem Gesichtspunkt aus dem Product aus Tiefe in Anzahl noch als Factor hinzufügen müssen, eine zunächst unbekannte Function des Quotienten aus dem Inhalt der complementären, durch - die Athemcurve gegen einander und durch die Verbindungslinien der Maxima bez. die der Minima der Athemeurve gegen den übrigen Raum abgegrenzten Flächen (in Fig. 3 durch a und 5 bezeichnet). Die so definirte Athemgrösse wird bei bestimmter Respirationstiefe und Frequenz unter sonst gleichen Um- ständen ein Maximum sein bei einem Werth dieses Quotienten @:5, welcher im Allgemeinen grösser als 1 sein wird. Andererseits kann man die Athemgrösse definiren als ein Maass der bei der Athmung geleisteten Arbeit. In dieser Beziehung ist zu bemerken, dass die gewonnenen Curven auch die Aenderungen der Entfernung des "Thorax aus seiner Gleichgewichtslage bezogen auf die Zeit darstellen. Je grösser diese Entfernung ist und je länger sie dauert, um so stärker und andauernder wird die tetanische Contraction der die Entfernung bewirkenden Muskeln, bez. die tetanische Wirkung der entsprechenden Centren sein, um so grösser also die in den Muskeln geleistete Arbeit, bez. die Erregung der zugehörigen Centren. Die gewonnenen Curven gestatten also zwar keine Messung der bei der Athmung geleisteten Arbeit, aber doch einen sicheren Schluss darauf, ob innerhalb eines Versuches die Arbeitsleistung in der Zeiteinheit zu- oder abgenommen hat und eine Schätzung der Grösse dieser Aenderung. Es sind in dieser Beziehung zu vergleichen die nach unten von der Curve, nach oben von einer zunächst will- kürlichen Horizontalen begrenzten Flächenräume. Man hat aber auch ein Mittel in der Hand, die Entfernung dieser willkürlichen Horizontalen von der der Gleichgewichtslage des Thorax entsprechenden Horizontalen zu ermitteln. Durch eine geschickte Trennung des Rückenmarks an der unteren Grenze des vierten Ventrikels gelingt es, die Einwirkung aller Muskelkräfte auf den Thorax fast plötzlich und ohne stürmische Zwischenerscheinungen aufzuheben. Die von diesem Moment an gezeichnete Horizontale entspricht der Gleichgewichtslage des Thorax. Man sieht, dass man auf diese Weise ein neues und wichtiges Attribut des Athemtypus gewinnt, nämlich die mittlere Entfernung des Thorax von seiner Gleichgewichtslage während der Athembewegungen, welche unter Umständen be- trächtlichen Schwankungen unterworfen ist. Man gewinnt ferner ein Kriterium dafür, ob Athempausen in Exspirations-, Inspirations- oder Gleichgewichtsstellung 188 VERHANDLUNGEN des Thorax verlaufen. Hier mag jedoch hervorgehoben werden, dass die mitt- lere Höhe des Zeichenstiftes auch Function der Temperatur des abgeschlossenen Luftraumes, des barometrischen Druckes und des respiratorischen Quotienten CO, a eo ist. Da der Einfluss dieser Factoren jedoch immer ein sehr allmählicher ist, so wird man auf genügend eindeutige Resultate jedenfalls rechnen können, wenn man die Versuche so einrichten kann, dass sie in entsprechend kurzen Zeiträumen ablaufen. ‚ Ueber den Grad der Zweckmässigkeit verschiedener Athemtypen wird man sich ein Urtheil bilden können, wenn man das Verhältniss betrachtet der oben definirten Grössen des Nutzeffeetes und der Arbeitsleistung der Athmungsbewegungen. Schliesslich möge darauf hingewiesen werden, dass der Pneumatograph auch ‚wie ein Spirometer zur Bestimmung gewisser Constanten, namentlich der Menge der Residualluft und der Vital-Capaeität eines Thieres benutzt werden kann. Was den Namen des beschriebenen Apparates betrifft, so könnte es sach- lich angemessen erscheinen, ihn nach dem Wesen der Wirkungsweise und nicht nach der speciellen Anwendung auf das Studium der Athmung zu wählen. Von diesem Gesichtspunkt aus würde ich den Namen „Aöroplethysmograph“ vor- schlagen. Ausser dem für das Kaninchen bestimmten Apparat, dessen Hauptabmes- sungen oben angegeben sind, habe ich einen zweiten zu Untersuchungen über die Athmung des Menschen geeigneten construirt, welcher sich nur durch die Abmessungen von dem vorigen unterscheidet. Der Glimmerdeckel desselben ist 200” breit und 350” lang, der Erhebung des vorderen Randes um 10" entspricht also eine Volumzunahme von 350°”, Den zur Herstellung des Deckels verwandten vorzüglichen Glimmer in Platten von 20.13”” verdanke ich der Güte des Hrn. Dew-Smith in Cambridge, welcher mir gleichzeitig die Adresse des Lieferanten angegeben hat. Die Lieferung fertiger Apparate nach meiner Angabe hat der Mechaniker Hr. ©. Plath (Kanonierstr. 43) übernommen. Nach Beendigung seines Vortrages demonstrirte Hr. GAn die beiden Appa- rate in Thätigkeit und gab den Anwesenden Gelegenheit, sich davon zu über- zeugen, bis zu welchem Grade von Genauigkeit die Aequilibrirung für jede vor- kommende Stellung bei beiden Apparaten erreicht ist, sowie davon, dass die Seitendruckschwankungen bei beiden unter allen bei den Versuchen vorkommen- den Bedingungen weniger als 3”” Wasser betragen, für gewöhnlich sogar kaum wahrnehmbar sind. X. Sitzung am 14. Februar 1879. 1. Hr. WeBer-LieL macht eingehende Mittheilungen über den ihm expe- rimentell gelungenen „Nachweis einer freien Communication der endo- und perilymphatischen Räume des menschlichen Ohrlabyrinths mit extralabyrinthären intracraniellen Räumen. Dass die endolymphatischen Labyrinthräume bei erwachsenen Säugethieren durch den Aquaeductus vestibuli mit einem intraduralen Sacke zusammenhängen, ist von Böttcher bereits vor acht Jahren gezeigt worden. Dass dasselbe oder ein ähnliches Verhältniss auch beim ausgewachsenen Menschen sich vorfinde, ——— Er EEE nn m ne — —— U DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 189 haben die bisherigen Untersuchungen zwar nahe gelest, aber nicht bewiesen, Durch die vom’ Vortragenden so genannte Aspirationsmethode gelingt der Nachweis überzeugend. Zum Experiment wird bei einem möglichst frischen Präparat von nicht zu altem, am besten jüngeren Individuum der Canalis semi- eireularis super. geöffnet (unter Lupe auch Einschnitt in häutigen Canal), dem- selben ein Glasröhrchen übergekittet und dieses durch einen Kautschukschlauch mit einem Aspirator in Verbindung gebracht; dann Eröffnung des auf der hin- teren Fläche des Felsenbeins zwischen den Durablättern gelegenen blindsackartigen Hohlraums (den der Vortragende seinen Untersuchungen gemäss als serösen Sack auffasst). Vorsichtig, mit Vermeidung der durchschnittenen Membran- dächen wird in den Sack ein Tropfen nicht transsudirender Flüssigkeit, Beale’s Blau, gebracht. Durch die Aspiration vom oberen Halbeirkelcanal aus schwindet der Tropfen sofort im Inneren des Felsenbeins; man träufele nun in den Sack so lange blaue Flüssigkeit nach, bis man durch die sich folgenden Aspirationstractionen von der in das Labyrinth eingesosenen Farbflüssigskeit in das Glasröhrchen des Canal. semieire. s. eintreten sieht. — Bei der makrosko- pischen Untersuchung gelungener Präparate, an welchen die Labyrinthhöhlen aufgefeilt, gewinnt man bereits den bestimmten Eindruck, dass nur die endo- Iymphatischen Räume, beide Säckchen, alle häutigen Canäle, sowie der Ductus cochlearis mit aspirirter Flüssigkeit gefüllt worden sind, die perilymphatischen Räume erscheinen ganz frei. Den stricten Beweis für die Richtigkeit dieser Auffassung liefert erst die mikroskopische Untersuchung von Durchschnitts- objecten sowohl der häutigen Canäle (die in Verbindung mit dem Säckchen herausgenommen, in erhärtende Gummilösung gebracht worden waren) wie ganz besonders schön die der Schnecke. Die freie und leichte Verbindung des endo- Iymphatischen Sackes mit dem Labyrinthe wird z. B. auch durch folgenden Versuch illustrirt: Drückt man nur leicht auf den der hinteren Felsenbeinfläche anliesenden nicht geöffneten Sack, so kann man Labyrinthflüssigkeit aus dem seöffneten Halbeirkelcanal zum Abfluss bringen, was doch nur durch Vermitte- lung einer capillaren, mit dem Utriculus in Zusammenhang stehenden Flüssig- keitssäule möglich ist. So werden wohl auch bei pathologisch gesteigertem intralabyrinthären Drucke, wie bei akustischen Druckschwankungen Bewegungen der endolymphatischen Flüssigkeiten nach dem intracraniellen Hohlraum hin statthaben können, wie andererseits intracranieller Ueberdruck oder den Sack (wie nicht selten) umgebende, ihn mitafficirende entzündliche Processe aui das Labyrinth einwirken müssen. Die perilymphatischen Labyrinthräume sind durch den Aquaeductus cochleae mit einem intracraniellen — wie es scheint nicht dem arachnoidalen, sondern dem subarachnoidalen — Raume verbunden. Den Nachweis hierfür liefern die Sich in ihren Ergebnissen gegenseitig controlirenden Untersuchungsmethoden mittele der Injection in den Arachnoidal-, beziehungsweise Subarachnoidalraum einerseits und andererseits mittelst der Aspiration. Dass der Aquaeductus cochleae es sei, welcher die gedachte Communication vermittle, wurde vom Vor- tragenden bereits im Jahre 1869 auf Grund von Injectionsversuchen dargelegt (Monatssehr. f. Ohrenh. No. 8. 1869). Nachdem nun die von anderen For- schern angestellten Einspritzungen in die Arachnoidalräume differente, aber keine positiven Resultate geliefert hatten, unternahm der Vortragende wiederum im verilossenen Jahre Control-Versuche theils an Thieren, theils an Menschen, die einfach eine Bestätigung der früheren Befunde lieferten: Eindringen der Farb- 190 VERHANDLUNGEN Nlüssigkeiten durch den Aquaeductus cochleae in die Scala tympani der Schnecke; Ausfliessen der Injectionsflüssigkeit in die Trommelböhle bei vorher zerstörter runder Fenstermembran. Hiermit war nun zwar der Nachweis gegeben, dass Flüssigkeit aus dem Arachnoidalraum (gerade bei den gelungenen Versuchen fand sich aber die Arachnoidea durch den zwischen den Hirnhäuten vorgeschobenen Injectionscatheter verletzt, Farbflüssigkeit in den Subarachnoidalmaschen, beson- ders der Hirnbasis) in die Schnecke eingepresst werden könne — aber der Einwurf nicht zurückgewiesen, dass durch den starken, stossweisen Injections- druck künstliche Wege neben dem „den Aquaeductus cochleae durchziehenden Venenästchen“ gebildet und so die Flüssigkeiten auf nicht präformirten Bahnen in's Labyrinth gepresst worden seien. Zunächst wurde die Annahme als falsch zurückgewiesen, dass der Aquaeductus cochleae eine Vene führe. An vorgelesten Präparaten — durch die Aspirationsmethode war sowohl der Aquaeductus cochleae, wie der von ihm durch ein 1!/, ””® breites Knochenplättchen getrennte Venencanal neben einander darzulegen gelungen — war ersichtlich, dass. die sogen. Vena aquaeductus cochleae zwar in die intracranielle Oeffnung des Aquae- ductus eindringt, aber schon 1”" von dessen oberer bogenförmiger Eingangs- öffnung entfernt, einen parallelen gesonderten Weg nach der Scala tympani einschlägt. Der Einwand, dass nur der starke Injectionsdruck es ermöglicht, die Flüssigkeit durch die Schneckenwasserleitung in’s Labyrinth zu treiben, wurde durch die Befunde der Aspirationsmethode widerlegt: Eröffnung des oberen Halbeirkelcanals mit Schonung des häutigen Röhrchens; die Oeffnung wird mit dem Aspirator in Verbindung gesetzt, wie im früheren Versuch — dann tauche man entweder die ganze vordere Fläche des Felsenbeins mit dem Porus acustic. intern. und mit der intracraniellen Mündung des Aquaeductus cochleae in Farbflüssigkeit, oder aber man träufelt bei entsprechender Lage des Präparates Tropfen des zu aspirirenden Beale’schen Blau’s in die intracranielle Mündung des Aquaeductus so lange, bis in Folge der fortgesetzten Aspirations- tractionen von der in’s Felsenbein eingesaugten Flüssigkeit in das Glasröhrchen des Can. semic. s. einzudringen anfängt. Bei der Eröffnung des Labyrinths wird man dieses vollständig mit Farbflüssigkeit gefüllt finden, die, wie die Untersuchung lehrt, nicht durch den Porus acust. intern., sondern durch eben die Schneckenwasserleitung hineingelangt ist. Bei der nachfolgenden vorsich- tigen Ausspülung des geöffneten Labyrinths unter Wasser scheint sich bereits zu ergeben, dass der blaue Farbstoff nur in die perilymphatischen Räume ge- langt ist (nicht selten sind übrigens auch die Schneckengefässe gleichzeitig gefüllt worden, ebenso wie man durch eine modificirte Art der Aspiration von den Durchschnittsflächen der Dura und des endolymphatischen Sackes aus auch die wahrscheinlichen Lymphgefässe des Aquaeductus vestibuli und vom Sinus transversus her die Gefässnetze des ganzen Labyrinths in überraschend schöner Weise zur Anschauung bringen kann); die blaue Färbung löst sich nach und nach von der Oberfläche der endolymphatischen Gebilde ab. Doch auch hier giebt erst die mikroskopische Untersuchung an anderen nicht ausgespülten und passend zugerichteten Präparaten die Bestätigung, dass eben nur eine Auflagerung von Farbstoff die Färbung der endolymphatischen Gebilde bedingte; dass deren Lumen durchaus frei, dagegen die Wände der knöchernen Canäle, des Vorhofes, sowie der Scala tympani und vestibuli mit tiefblauem Niederschlag bedeckt sind; dass an gut gelungenen Präparaten die Scala media durchaus frei von Farb- stoff; hart an der Grenze der Membrana Reissn., die regelmässig bei Anfertigung DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 191 feinerer Durchschnitte einriss, an ihrem äusseren wie inneren Ansatz über der Zahnleiste pflegte die blaue Färbung scharf abzuschneiden. Die Bedeutung dieser Befunde wird illustrirt und erweitert durch einige andere Versuche, welche die durch den Aquaeductus cochleae gegebene ausserordentlich leichte Communi- cationsfähigkeit demonstriren und wonach sogar vom Trommelfell her (ab- wechselnde Einpressungen und Luftverdünnungen im äusseren Gehörgang) dem Labyrinth übermittelte Druck- und Saugwirkungen sich an der intracraniellen Mündung des Aquaeductus cochleae durch Auswärtsweichen oder Eingesogen- werden dort eingeträufelter Flüssigkeit geltend machen. Diese durch die Ex- perimente gewonnenen 'Thatsachen eröffnen neue Perspectiven sowohl für die Betrachtung physiologischer und pathologischer Erscheinungen wie auch für die Therapie mancher Gehörleiden; so z. B. wird es nach der dargelegten Abhän- gigkeit intralabyrinthärer Spannungszustände von intracraniellen Drucksteigerungen erst begreiflich, wie manche Geisteskrankheiten, Apoplexien, Hirntumoren zuerst durch Erscheinungen am Gehörorgan, Schwindel, Empfindlichkeit gegen Geräusche, Ohrensausen signalisirt werden. 2. Hierauf spricht Hr. F. Busch: „Zur weiteren, Begründung der Osteoblastentheorie“. In meinem Vortrage über die Osteoblastentheorie in der Sitzung vom 14. Juni 1878 (s. dies Archiv 1878, S. 333; — ausführlich abgedruckt in der Deutschen Zeitschrift für Chirurgie, Bd. X) sprach ich mich in Bezug auf die Bildung der Zahnsubstanz folgendermaassen aus: So differenziren sich die Elfenbeinzellen aus dem embryonalen Bindegewebe der ersten Anlage der Pulpa und erlangen dadurch die Fähiskeit, aus dem allgemeinen Ernährungssafte des Blutes ganz bestimmte Stoffe aufzunehmen und dieselben nach der andern Seite als ein ganz bestimmtes Gewebe: das Elfenbein, zu verarbeiten. Eine Elfenbein- zelle kann zu Grunde gehen, sie kann erkranken und ein krankes Elfenbein bilden, aber sie flectirt nicht; nie kann sie ihre Thätiskeit dahin ändern, dass sie ein anderes Gewebe producirt als eben das Elfenbein, und ebensowenig haben wir Grund anzunehmen, obgleich ein Beweis in dieser Hinsicht kaum zu führen sein dürfte, dass in der nach-fötalen Zeit eine gewöhnliche Pulpenzelle ein- fachen bindegewebigen Charakters im Stande wäre, sich in eine Elfenbeinzelle umzuwandeln. — Ich fuhr dann fort: Ganz ebenso nun steht es, wie ich glaube nachweisen zu können, mit dem Knochengewebe u. s. w. (S. 69). Dieser Zusatz bedarf einer gewissen Modification. Um dieselbe zu begrün- den, bin ich gezwungen auf die allmähliche Entwickelung der Gewebe der Bindesubstanz, sowohl in der aufsteigenden Thierreihe, wie in der fötalen Ent- ‚ wickelung des Menschen einzugehen. Aus dem einfachen hyalinen Protoplasma, aus welchem die Protozoen be- stehen, differenziren sich in der aufsteigenden Thierreihe die vier grossen Ge- websgruppen: Epithel, Bindesubstanz, Nerv und Muskel. Diejenige Form, unter welcher uns eine deutlich ausgeprägte Bindesubstanz ‚zuerst entgegentritt, ist das Gallertgewebe, wie es unter den Üoelenteraten besonders bei den Medusen in so ausgebreiteter Weise vorkommt. Die nächste Form, unter welcher sich uns die Bindesubstanz zeigt, ist das fibrilläre Bindegewebe, wie wir dasselbe an gewissen Körpergegenden bei 192 VERHANDLUNGEN den Hirudineen, Cephalopoden und Echinodermen (Bänder des Kaugerüstes, Ge- kröse des Darms bei Echinus) finden (Leydig). Die dritte Form der Bindesubstanz: das Knorpelgewebe, ist bei den Wirbel- losen ausserordentlich spärlich vertreten. Am deutlichsten ausgeprägt ist es am Respirationsskelet der Kiemenwürmer und im Kopfskelet der Cephalophoren und Cephalopoden. Dagegen kommt bei den Wirbellosen häufiger ein Gewebe vor, welches als Uebergang des Gallertgewebes zum Knorpelgewebe gedeutet werden kann, wie das Gewebe im Mantel der Tunicaten (Leydig). Knochengewebe findet sich im ganzen Reich der Wirbellosen nicht. Die’ festen Skelettheile werden theils durch Abscheidung von Kalk oder Kieselsäure gebildet, theils durch die eigenthümliche Metamorphose bindegewebigser Häute, welche unter dem Namen der Chitinbildung bekannt ist. Aus den,elben Stoffen bestehen auch die Kauwerkzeuge bei denjenigen Wirbellosen, die damit ausge- rüstet sind. Mit Ueberschreitung der Grenze, welche die Wirbelthiere von den Wirbel- losen trennt, findet das Knorpelgewebe durch das Auftreten der Chorda dorsalis mit ihren Umhüllungen eine weit grössere Verbreitung. Bereits bei den Knorpel- fischen zeigt sich uns dann als neue und vierte Form der Bindesubstanz das Knochengewebe in Form von Knochenplatten, die der Haut eingelagert sind (Selachier und Ganoiden), und ebenfalls bei den Knorpelfischen erscheint auch die fünfte und letzte Form der Bindesubstanz: das Zahngewebe, welches nach dem Vorgange von R. Owen besser mit dem Namen der Dentine bezeich- net wird. Knochen- und Zahngewebe der Fische bieten jedoch noch durchaus nicht denjenigen Grad typischer Anordnung und gegenseitiger Differenzirung dar, wie bei den höheren Classen der Wirbelthiere. Das Knochengewebe besteht aus. einer hyalinen verkalkten Grundsubstanz, welche von einer ausserordentlich srossen Zahl röhrenförmiger, ziemlich weiter Canälchen durchzogen ist. Inner- halb derselben finden sich sparsame grosse Knochenkörperchen, aber denselben fehlt durchaus die typische Form und regelmässige Anordnung, wie wir die- selbe durch die übrigen Classen der Wirbelthiere allmählich ansteigend schliess- lich bei den höheren Säugethieren und speciell beim Menschen finden. ° Eben- sowenig ist bei den Fischen die Regelmässigkeit in der Anordnung der Havers- schen Canäle und die Umgebung derselben mit concentrischen Lamellensystemen vorhanden. Kurz das Knochengewebe der Fische macht gegenüber dem Knochen- sewebe des Menschen den Eindruck einer ersten unregelmässigen Gewehsanlage segenüber einem in allen seinen Einzelheiten mit der grössten Sorgfalt und Regelmässigkeit durchgehildeten Gewebe. Aus dem Knochengewebe hat sich bei den Fischen die Dentine heraus- gebildet! Es zeigt sich das ganz unzweifelhaft Uadurch, dass die Dentine bei. der Mehrzahl der Fische kaum von dem Skeletgewebe zu unterscheiden ist, und bei Fischen nur ausnahmsweise die eigenthümliche feste und widerstandsfähige Structur besitzt, die den vorherrschenden Charakter der Zähne der höheren: Wirbelthierklassen bildet (Osteodentine); ferner dadurch, dass die Dentine bei den meisten Fischen von Blutgefässcanälen durchzogen ist, eine Modification des Gewebes, die von Owen mit dem Namen der Vaso-Dentine bezeichnet wurde. 1 Die ganze Darstellung der phylogenetischen Entwickelung der Zähne ge- schieht im engsten Anschluss an R. Öwen’s Odontography. London 1840—45, Tr DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 193 Diese Modification ist allerdings nicht auf die Classe der Fische beschränkt, sondern sie kommt als seltene Ausnahme auch bei Säugethieren und noch sel- tener bei Reptilien vor. — Knochen und Zahngewebe gehen daher bei Fischen allmählich ineinander über, so dass man von einer vollendeten Differenzirung zwischen ihnen, welche dieselben als zwei scharf getrennte Stufen in der Ent- wickelung der Bindesubstanz erscheinen lässt, nicht sprechen kann. Erst bei den höheren Thierclassen, bei den Keptilien und besonders bei den Säugern vollendet sich die Trennung dieser beiden, bei ihrem ersten Ent- stehen so ähnlichen Gewebe. Die vascularisirte Dentine schwindet mehr und mehr und macht der unvascularisirten Dentine Platz. Die Zähne bestehen dann aus einer einzigen Pulpahöhle und einem einzigen System ausstrahlender Röhr- chen, die unter rechtem Winkel zur Pulpahöhle stehen und von dort in pa- ralleler Anordnung mit leicht geschwungenem Verlauf und dichotomischer Ver- zweigung nach der Peripherie des Zahnes ausstrahlen. Auf dieser Höhe der Durchbildung angelangt, stellt die Dentine ein Gewebe dar, welches von dem gleichfalls in seiner Organisation fortgeschrittenen Knochengewebe sich scharf und deutlich sondert. Abgesehen von dieser feineren Iiishellgeitsalken Durchbildung zeigt sich die zunehmende Speecifieirung der Zahnbildung auch durch die ungleich grössere Constanz, welche die Zähne durch Zahl, Form und Anordnung in der aufstei- senden Thierreihe gewinnen, und wodurch dieselben zu einem der charakte- ristischsten Merkmale der höheren Species werden. Bei den Knorpelfischen sind die Zähne niemals in Alveolarhöhlen einge- pflanzt, oder auch nur mit der Substanz des Kiefers verschmolzen, selbst wenn die äussere Kruste desselben verknöchert ist. Sie liegen vielmehr eingebettet in die fibröse Grundlage der Schleimhaut, welche die Kieferknorpel bedeckt. Bei Knochenfischen ist die gewöhnlichste Art der Fixirung der Zähne die durch direete Ankylose mit den Kinnbacken, so dass die Structur der Knochen all- mählich in die der Dentine übergeht. Einige Arten haben die hohle Basis ihrer Zähne auf knöchernen Vorsprüngen fixirt. In wenigen Beispielen sind die Zähne in Höhlen des Knochengewebes implantirt, in denen sie durch die um- gebenden fibrösen Gewebe fixirt werden. Die Zahl der Zähne ist bei Fischen auf’s Aeusserste wechselnd von einem bis zu jener unzählbaren Masse, welche die von Cuvier benannten Formen der dents en velours, dents en brosse und dents en räpe bilden. In Bezug auf ihren Standort liegen die Zähne vielfach nicht nur in den- jenisen Knochen, welche den oberen und unteren Rand der Mundöffnung bilden, sondern ausserdem auch in den Ossa palatina, dem Vomer, den Zungenbeinen, dem Os pterygoides und sphenoides und der unteren Fläche des Hinterhaupt- beines. Bei allen Fischen werden die Zähne abgestossen und.erneut; und dies nicht nur ein Mal, wie bei den Säugethieren, sondern häufig und während des ganzen Lebens des Individuums. Bei denjenigen Arten, deren Zähne in Al- veolen fixirt sind, entsteht der neue Zahn in der Tiefe des Kiefers unter dem alten und tritt hervor, wenn der alte Zahn ausfällt. Aber bei der grossen Mehrzahl der Fische entstehen die neuen Zähne ebenso wie die alten, en in der Mundschleimhaut. In der Classe der Reptilien sind einige Arten zahnlos, andere haben an der Stelle der Zähne eine Hornscheide auf den Kiefern. Unter den mit Zähnen ‚ausgestatteten Reptilien bewegt sich die Zahl derselben in engeren Grenzen als Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 13 194 VERHANDLUNGEN bei den Fischen. Ferner fixiren sich die Zähne mehr auf die Ränder der Kiefer, wenngleich auch hier noch andere Knochen vielfach Zähne tragen. In Bezug auf die Befestigung sind im Allgemeinen die Zähne mit den Knochen ankylosirt, welche sie tragen. Die Substanz der Zähne ist aus vier Geweben zusammengesetzt, aus: Dentine, Cement, Email und Knochen, aber Dentine und Cement sind in den Zähnen aller Reptilien vorhanden. Die Structur der Dentine ist bereits scharf vom Knochengewebe unterschieden und besteht aus- schliesslich aus Zahnröhrchen. Die Entwickelung des Zahnes geschieht regel- mässig von einer Pulpa, die sich in einen Follikel senkt und von einer Kapsel um- schlossen wird. — Ist ein Zahn vollendet, so folgt schon die Vorbereitung für seinen Ersatz durch einen neuen Zahn, und die Fähigkeit, neue Zahnkeime zu entwickeln, haftet dem Individuum in der Classe der Reptilien durch das ganze Leben hindurch an. Auch in der Classe der Säugethiere sind einige Arten zahnlos (Myrmeko- phaga, Manis, Echidna), andere haben Hornplatten statt der Zähne (Balaena, Balaenoptera und Ornithorhynchus). Bei den mit Zähnen ausgestatteten Säuge- thieren lässt sich bereits eine mittlere Zahl derselben angeben. Dieselbe beträgt 32, wie sie sich bei dem Menschen und den Affen der alten Welt findet. Nur bei wenigen Species sinkt dieselbe excessiv bis auf 2, oder steigt ebenso ex- cessiv bis auf 100 und darüber. In ihrer Form, und dem entsprechend in ihrer Function, sondern sich die Zähne fast bei allen Säugethieren in Schneide- zähne, Eckzähne und Mahlzähne. Ferner gliedern sich die Zähne der Säuge- thiere in drei bestimmte Theile: Wurzel, Hals und Krone. Die Befestigung der Zähne findet bei keinem Säugethier mehr durch directe Ankylose statt, sondern jeder Zahn sitzt in einer besonderen Alveole, in welcher er durch die feste Ad- häsion des alveolaren Periosts fixirt ist. Eine scharf ausgesprochene Eigen- thümlichkeit der Classe der Säugethiere sind die getheilten Wurzeln der Back- zähne. In Bezug auf ihren Standort sind die Zähne der Säugethiere beschränkt auf das Os maxillare sup., das Os intermaxillare und die Mandibula, und in jedem dieser Knochen befindet sich nur eine einzelne Reihe von Zähnen. Die Substanz der Zähne besteht aus reiner, nicht vascularisirter Dentine, Email und Cement. Einigen Säugethieren fehlt das Email, bei einigen anderen findet sich vascularisirte Dentine. Die Zähne bilden sich von einer Pulpa, die in eine ab- geschlossene Kapsel hineinragt, in der Tiefe der Kiefer, und die Krone des aus- gebildeten Zahnes dringt durch die bedeckenden Gewebsschichten hindurch und tritt frei zu Tage, während die Wurzel sich in der Tiefe der Kiefer eine genau passende Alveole bildet. Ein für alle Säugethiere, die mit Zähnen ausgestattet sind, gültiges Gesetz ist das der zwiefachen Zahnbildung: der temporären und der permanenten. Nach einer gewissen Zeit fallen die Zähne erster Bildung, „die Milchzähne“, aus und werden durch die bleibenden Zähne der zweiten und letzten Bildung ersetzt. Früher glaubte man, dass die Cetaceen hiervon eine Ausnahme machten, indem sie nur eine Zahnbildung hätten. Spätere Untersuchungen stellten da- segen heraus, dass bei dieser Classe der Ausfall der Zähne erster Bildung schon in der Fötalzeit sich vollzieht. Wir sehen also, wie die Zähne in der aufsteigenden Thierreihe von einem anfangs den grössten Verschiedenheiten unterliegendem Gebilde sich immer schärferen und engeren Gesetzen unterordnen, und wie sie dadurch aus einem anfangs für die betreffende Species wenig charakteristischen Theil schliesslich” DEB BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (ESELLSCHAFT. 195 zu Gebilden werden, in denen sich die Eigenthümlichkeit der Species mit am schärfsten und deutlichsten ausprägt. Dieselbe Wandlung, welcher der Zahn als Organ unterliegt, durchläuft auch sein hauptsächlichstes Constituens: die Dentine als Gewebe. Anfangs vom Knochengewebe kaum unterscheidbar und aus demselben unzweifelhaft meta- plastisch entstanden, wird sie in der aufsteigenden Thierreihe mehr und mehr zu einem scharf charakterisirten Gewebe von eigenem Typus und zum Produet complicirter Bildungsorgane (Zahnsäckchen und Papille), die mit besonderen ge- websbildenden Zellen: den Elfenbeinzellen, ausgestattet sind. Denselben Weg, den wir die Gewebe der Bindesubstanz in phylogenetischer Beziehung haben durchlaufen sehen, durchschreiten dieselben in der Ontogenie jedes einzelnen Wesens. Uns interessirt in Rücksicht hierauf am meisten die Ontogonie des höchsten Wesens der Thierreihe: des Menschen. Auch hier ist die erste Form, in welcher sich eine deutlich ausgeprägte Bindesubstanz zeigt, ein sehr zellenreiches Gewebe, dessen Zellen entweder ohne jede Zwischensubstanz einander unmittelbar berühren, wie bei der ersten Chorda- Anlage, eine Gewebsform, die von Leydig mit dem Namen des zelligen oder blasigen Bindegewebes belegt ist, oder die Zellen sind durch eine hyaline schlei- mige Intercellularsubstanz getrennt in der Form des gewöhnlichen Gallert-Ge- webes. Aus diesen Anfängen entsteht dann ein fibrilläres Bindegewebe, wie es die häutige Wirbelsäule und das häutige Cranium bildet. — Im Anfang des zweiten Monats der Fötalzeit beginnt die Verknorpelung der Wirbelsäule, wel- cher kurz darauf die Verknorpelung des Primordialeraniums folgt. Am Ende des zweiten Monats, in der siebenten Woche, zeigt sich dann der erste Knochen- kern in der Clavicula, und kurz darauf erscheinen die Knochenpunkte in der Wirbelsäule, dem Cranium und den Rippen. Die ersten Vorbereitungen zur Zahnbildung zeigen sich bereits im zweiten Fötalmonat, aber erst im fünften Monat sind die ersten Spuren von Dentine gebildet. Sowohl in der phylogenetischen, wie in der ontogenetischen Entwickelungs- reihe durchlaufen also die Gewebe der Bindesubstanz dieselbe Folge: Gallert- gewebe, bez. blasiges Bindegewebe, fibrilläres Bindegewebe, Knorpel, Knochen und Dentine. Die ersten drei Gewebe, die nicht verkalken, können als die niedere Stufe, die letzten beiden verkalkenden Gewebe als die höhere Stufe der Entwickelung betrachtet werden. Denselben Verlauf nimmt nun, wie ich glaube, auch die Specificität der Gewebsbildung. Die drei Gewebe der niederen Stufe bewahren die Fähigkeit der gegenseitigen Umwandlung ‚der Metaplasie“ von den niedersten Formen der Thierwelt bis zu den höchsten, bis zum Menschen und bei diesem wieder nicht nur in der fötalen Entwickelung, sondern auch unter den normalen und patho- ' logischen Verhältnissen des ausgewachsenen Alters, wenngleich diese Meta- plasie nicht ganz so häufig ist, als vielfach angenommen wird. Ich habe mich über diese Verhältnisse in einem in dieser Gesellschaft gehaltenen Vortrage vom 12. Juli 1878 (dies Archiv 1878, S. 345) eingehend ausgesprochen. Die beiden Gewebe der höheren Stufe: Knochen und Dentine verlieren die Fähigkeit der Metaplasie mehr und mehr, je höher sie in der Thierreihe auf- steigen. Dass auch sie in der Classe der Fische ursprünglich metaplastisch aus den niederen Geweben der Bindesubstanz entstanden sind, unterliegt natürlich ' keinem Zweifel, aber je höher sie in der phylogenetischen Entwickelung empor- | steigen, um so mehr Saelen sie die metaplastische Entstehung ab, und werden 135 196 VERHANDLUNGEN zum Product höher entwickelter, mit besonderen gewebsbildenden Fähigkeiten ausgestatteter Zellen. — Die Dentine vollendet diesen Weg, sie ist bei den höheren Wirbelthieren und speciell beim Menschen bis zur absoluten Speeificität durchgedrungen. Niemals bildet eine Elfenbeinzelle beim Menschen etwas Anderes als Dentine, und nie entsteht Dentine anders, als durch Elfenbeinzellenbildung. Nach beiden Richtungen hin ist die Specifieität eine absolute. Selbst bei den am Weitesten von den normalen Verhältnissen abliegenden pathologischen Pro- cessen, wie bei der Tumorbildung, bewahrt die Elfenbeinzelle ihre ererbten Fähigkeiten. Die einzige Tumorbildung, die wir am Zahn (abgesehen von den nicht hierher gehörigen Schmelz- und Cement-Tumoren) kennen, ist das Odon- tom, d. h. die Bildung einer zwar unregelmässigen, aber in ihrem Grund- charakter doch deutlich ausgesprochenen Dentine. Ebenso ist es ganz unzweifel- haft, dass beim Menschen niemals Dentine durch Metaplasie aus einem anderen Gewebe der Bindesubstanzgruppe entsteht. Das Knochengewebe hat auf der Scala der Entwickelung und dem ent- sprechend der Speecificität zwar eine hohe Stufe erreicht, aber bis zur absoluten Specifieität hat es sich nicht erhoben. Wenngleich der bei Weitem grössten Masse nach Product specifischer Zellen, der -Osteoblasten, bewahrt es doch noch atavistische, metaplastische Reminiscenzen und zwar nach beiden Richtungen, denn einerseits kommt es vor, dass Osteoblastenzellen, wenigstens unter patho- logischen Verhältnissen, ein anderes Gewebe bilden als Knochen, andererseits entsteht aus der niederen Gruppe der Bindesubstanz bisweilen durch Metaplasie ein Gewebe, welches mit dem eigentlichen lamellösen Knochengewebe zwar nicht vollkommen identisch ist, doch aber demselben so nahe steht, dass es schwer und vielleicht unmöglich ist, beide in jedem Falle deutlich zu unterscheiden. Was den letzten Punkt betrifft, so habe ich mich bereits in meiner An- fangs citirten Arbeit genügend ausgesprochen. Ich sagte dort: „Wenn somit auch ein Theil dieser so ausserordentlich seltenen Fälle isolirter Knochenbil- dungen mitten in Weichtheilen eine Erklärung durch die Osteoblastentheorie nicht zulässt und uns nöthigt; auf metaplastische Processe zurückzugreifen, SO sind diese seltenen Vorkommnisse doch durchaus nicht geeignet, um die Osteo- blastentheorie zu stürzen und der metaplastischen Ossificationstheorie für nor- male und pathologische Knochenbildung als Stütze zu dienen“ ($. 90). | Den ersten Punkt betreffend muss ich hier noch einige Bemerkungen hinzu- fügen: Ob unter normalen Verhältnissen, etwa durch sehr schnelles Wachsthum \ in der fötalen Periode oder in den ersten Lebensjahren des Kindes, jemals eine ) so lebhafte Gewebsbildung stattfindet, dass die osteogene Schicht des Periosts zuerst ein kleinzelliges Knorpelgewebe bildet, welches dann erst in Knochen- gewebe übergeht, lasse ich dahingestellt; ich selbst habe nie etwas Aehnliches gesehen. Unzweifelhaft dagegen und längst bekannt ist es, dass bei der unter dem Einfluss der Entzündung so lebhaft stattfindenden Knochenbildung durch Wuche- ) rung der osteogenen Schicht ein kleinzelliges Knorpelgewebe entsteht, welches ’ erst später in Knochengewebe übergeht. Ich habe die betreffenden Verhältnisse \ auf $. 85 der oben eitirten Arbeit abgehandelt. Die Thätigkeit der Osteo- | blastenzellen weicht also hier von dem strieten Wege der Specificität ab, aber ' sie verlässt diesen Weg doch nur insofern, als sie das zugehörige Gewebe mit | Durchlaufung eines anderen Zwischenstadiums bildet. | Unter dem Einfluss der unbekannten Verhältnisse, welche zur Ausbildung } DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 197 der malignen Tumoren Veranlassung geben, weicht die Thätigkeit der Osteo- blastenzeilen noch erheblich weiter von ihrem normalen Wege ab. Ich denke hier besonders an die periostalen Sarkome, Dieselben entstehen wohl unzweifel- haft aus der osteogenen Schicht und nicht aus der membranösen Grundlage des Periosts. Dem entsprechend zeigen sie auch vielfach in ihrem Bau ein aus stalactitenförmigen Knochenbalken zusammengesetztes Gerüst neuer Bildung, und in der Umgrenzungslinie des Tumors liest dem alten Knochen vielfach ein nicht unbedeutender Belag neugebildeter periostaler Knochenmasse auf, welche sich von entzündlichen periostalen Auflagerungen nicht unterscheidet. Aber je weiter man sich von der Basis der alten Knochengewebes entfernt, um so spärlicher werden die Knochenbalken und um so reichlicher das weiche sarkomatöse Ge- webe. Es macht dadurch den Eindruck, als hätte die Neubildung zuerst als knöcherne periostale Auflagerung ‘begonnen und wäre erst im weiteren Ver- laufe durch unbekannte Ursachen zu einer solchen Hast getrieben, dass in der Ueberstürzung der Bildung die Osteoblastenzellen nicht mehr ihre normalen Fähigkeiten ausüben konnten, indem sie Knochengewebe bildeten, sondern nur weiches schwammiges Gewebe hervorzubringen im Stande waren. Es soll das natürlich keine Erklärung sein, sondern nur eine bildliche Darstellung. Zum Schluss präcisire ich noch einmal meine Anschauungen dahm: Die Gewebe der Bindesubstanz zerfallen in zwei Gruppen. Die niedere Gruppe be- steht aus Gallertgewebe, fibrillärem Bindegewebe und Knorpel; die höhere aus Knochen- und Zahngewebe. Die ersten drei Gewebe haben die Fähigkeit, sich durch Metaplasie in einander umzuwandeln bis zu den höchsten Wesen der Thier- reihe und speciell dem Menschen bewahrt, die letzteren zwei sind dagegen bei den höheren Säugethieren und beim Menschen die Gebilde von Zellen, die mit specifischen gewebsbildenden Fähigkeiten ausgestattet sind und haben nicht mehr die Fähigkeit, durch Metaplasie aus anderen Geweben zu entstehen oder sich in andere Gewebe umzuwandeln. Beim Zahngewebe ist diese Specificität eine "absolute; das Knochengewebe hat jedoch die letzte Höhe der Entwickelung nicht erreicht. Obgleich der Hauptsache nach unzweifelhaft das Product specifischer Gewebsbildung, haftet ihm doch selbst noch beim Menschen, wenigstens unter pathologischen Verhältnissen, ein letzter Rest metaplastischer Fähigkeiten an.! 1 In meiner Eingangs ceitirten Arbeit sagte ich 8. 71: „Es ist mir nicht be- kannt, dass sich im Leben eines Säugethieres unter normalen Verhältnissen ein neuer Knochenkern bildet, der ganz ausserbalb irgend welcher Continuität mit dem bei der Geburt bereits ausgebildeten Skelet stände und für den die obige Erklärung nicht genügt.“ Es liegt hier ein Irrthum vor, da bekanntlich beim Menschen zur Zeit der Geburt noch vollkommen knorplich sind: die Patella, die Knochen, die Handwurzel, 5 Fusswurzelknochen und die Sesambeine. Alle diese Knorpel- anlagen sind jedoch zur Zeit der Geburt bereits von Knorpelkanälen durchzogen und gestatten somit dennoch eine Erklärung der späteren Knochenbildung durch die Osteoblastentheorie. Einfluss plötzlichen Temperaturwechsels auf das Herz und Wirkung der Temperatur überhaupt auf die Einstellung der Herz- contractionen. Von Al. Aristow. (Aus dem pharmakologischen Laboratorium des Hrn. Prof. J. Dogiel in Kasan.) Bekanntlich hat Temperaturerhöhung über die Norm eine Beschlen- h niceung der Herzcontractionen, Temperaturverminderung eine Verlang- g D % g samung derselben zur Folge. Unter 0° oder zwischen + 36 bis + 40°C. geht die Verlangsamung der automatischen Herzcontractionen zum voll- kommenen Stillstand über; wirkt von Neuem Normaltemperatur oder elektrischer Reiz auf das Herz ein, so erhält man wieder Contractionen desselben, wie Schelske! gezeigt hat. Nach Cyon’s? Erfahrungen tritt Herzstillstand nicht immer bei 0° ein, zuweilen beobachtet man ihn erst bei — 4°C. Noch unbeständiger erfolgt Herzstillstand bei hoher Temperatur. Mittels eines besonderen, nach Ludwig’s Rath con- struirten Apparates versuchte Cyon sorgfältig den Einfluss des Temperatur- wechsels auf Zahl, Dauer und Kraft der Herzeoneentrationen zu eruiren. Seine Beobachtungen jedoch beziehen sich mehr auf Bestimmung des Einflusses allmählich veränderter Temperatur auf das Herz, als auf die Wirkung eines schnellen Ueberführens des Herzens aus hoher Temperatur in niedrige und umgekehrt. Uebrigens findet man in seiner Arbeit über diese Frage folgendes: 1) „Kommt das Herz, welches bisher bei einer 1 Ueber die Veränderungen der Erregbarkeit durch die Wärme. Heidelberg 1860. 2 EB. Cyon, über den Einfluss der Temperaturveränderungen auf Zahl, Dauer | Stärke der Herzschläge, Bericht d. Kön. Sächs. Gesellschaft d. Wissenschaften 1866. Een EINFLUSS PLÖTZLICHEN TEMPERATURWECHSELS AUF DAS HERZ v. S. w. 199 Temperatur von 20 bis 22° schlug, plötzlich mit Serum und Luft von 0° in Berührung, so sinken die Excursionen, die Bewegungen werden wurmförmig und das Herz dehnt sich allmählich bedeutender aus, als dies beim allmählichen Uebergang in die niedere Temperatur zu ge- schehen pflegt. Verweilt nun das Herz einige Minuten in der niederen Temperatur, so wird der Umfang der Herzbewegungen wieder grösser, so dass sich das Herz so verhält, als ob es allmählich abgekühlt wird.“ 2) „Wenn ein Herz, das längere Zeit auf oder unter 0° gehalten wurde, plötzlich mit Serum und Luft von 40° berührt wird, so führt es eine Reihe von so rasch aufeinander folgenden Schlägen aus, dass es schliesslich in einen Tetanus verfällt; dieser Tetanus kommt dadurch zu Stande, dass der jedesmal folgende Reiz früher erscheint, bevor die dem Vorhergehenden entsprechende Zuckung wieder abgelaufen ist. Die auf- einander folgenden Zuckungen bringen ganz dasselbe Bild hervor, welches ein Muskel bildet, der durch momentane Reize, die in kürzeren Zeit- räumen aufeinander folgten, in Tetanus versetzt wurde. Dieser Tetanus hält am Herzen höchstens 15—30 Secunden an. Bleibt von nun an das Herz noch der höheren Temperatur ausgesetzt, so durchläuft dasselbe in 1'/, bis 2 Minuten alle diejenigen Schlagarten, welche es bei allmäh- licher Erwärmung darzubieten pflegt.“ 3) Wieder anders ist die Erscheinung, welche sich darbietet, wenn das Herz von der Normaltemperatur aus, plötzlich mit Serum und Luft von 40° umspült wird. Statt dass die Schläge, wie es bei allmählicher Erwärmung der Fall, sogleich häufiger und kürzer ausfallen, werden sie nun gross und selten. Die Form der Curven, welche das Manometer anschreibt, gleicht ganz derjenigen, die man durch Reizung des Vagus bei der Normaltemperatur erhält. Die einzelnen Schläge laufen nämlich viel rascher ab als diejenigen, welche das abgekühlte Herz ausführt, und sie sind durch grosse Pausen voneinander getrennt. Diese Art zu schlagen erhält sich 1 bis 2 Minuten hin. Ist diese Zeit verflossen und bleibt alsdann das Herz noch in der hohen Temperatur, so durchläuft es wie- derum die Bewegungsarten, welche uns von der allmählichen Erwärmung her bekannt sind.“ In einer Arbeit über das Herz hat Bowditsch! dem Bekannten über dasselbe wenig hinzugefügt. Mehr Anhaltspunkte über dieses Thema (Einfluss plötzlicher Temperaturänderung aufs Herz) geben uns die Unter- suchungen Luciani’s?, aber auch er richtet seine Aufmerksamkeit mehr 1 Ueber die Eigenthümlichkeiten der Reizbarkeit, welche die Muskelfasern des _ Herzens zeigen. Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1812. ® Eine periodische Function des isolirten Froschherzens. Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1873, 200 * An. ARISTOw: auf die Veränderungen des Rhythmus, der Kraft und der Dauer der einzelnen Herzcontractionen, als auf andere Veränderungen des Herzens in Folge schroffen Temperaturwechsels. Das ist Alles, was in der Lite- ratur über diese Art von Veränderungen der Herzfunctionen bekannt ist. Aus allen Arbeiten über diese Frage kann man den allgemeinen Schluss ziehen, dass das Herz unter dem Einfluss höherer Temperatur als der normalen schneller, und in niederer langsamer schlägt. Als Ausnahme erscheint hier die Beobachtung Cyon’s ($ 3), nach welcher beim schnellen Uebergang von normaler Temperatur auf 40° C. statt, wie gewöhnlich, eine Beschleunigung, zuerst eine Verlangsamung der Herzeontractionen auftrat. Um die Veränderungen der Herzcontractionen durch schroffen Temperaturwechsel näher zu studiren, nahm ich auf den Rath von Prof. Dogiel in seinem Laboratorium eine Reihe von neuen Untersuchungen mit Froschherzen vor; ausserdem wendete ich. meine Aufmerksamkeit auf den Herzstillstand in Folge Temperatureinwirkung. Meine Unter- suchungen bestanden darin, dass ich die Brusthöhle des Frosches öffnete, das Pericardium entfernte und das Herz ausschnitt, wobei ich mich be- mühte, sowohl den Ventrikel und den Vorhof nicht zu verletzen, wie auch einen Theil der grösseren Blutgefässe zum besseren Ergreifen des Herzens behufs Uebertragungsversuche desselben zu erhalten. Das isolirte Herz wurde nun plötzlich aus einer Temperatur in die andere übergeführt. Zu diesem Zweck wurden Eis und erwärmtes Wasser benutzt. In ein Eisstück machte ich gewöhnlich eine zur bequemeren Placirung des Herzens dienende Vertiefung. Auf demselben Tisch, auf welchem sich das Thier befand, wurde das Wasser in einer Porcellanschale mittels einer Gaslampe erwärmt. Die Wassertemperatur konnte von 20°—67° C. erhöht werden. Im Wasser befand sich ein gläserner Dreifuss mit einem zur Aufnahme des Herzens bestimmten Uhrgläschen. Die Temperatur des Wassers wurde mittels eines hunderttheiligen Thermometers, welches Jehntelgrade anzeigte und vorher mit einem Geissler’schen ver- glichen war, bestimmt. Nachdem die Contractionen des isolirten Her- zens gleichmässig geworden waren, tauchte ich es in bis zum bestimmten Grade erwärmtes Wasser und beobachtete nun mittels eines Chrono- meters, wieviel Secunden auf zwei Herzcontractionen kamen. Nachdem eine bestimmte Zahl von Secunden bestimmt war, ergriff ich das Herz mit einer Pincette an dem erhaltenen Theile der Aorta, legte es so schnell wie möglich auf Eis und zählte wieder die Anzahl der Secunden auf zwei Contractionen. Dasselbe wurde mit Herzen, welche sogleich auf Eis gelegt waren, vorgenommen. Dabei beobachtete ich nicht nur % die Frequenz, sondern wendete meine Aufmerksamkeit auch auf “| änderungen der Kraft und Dauer der Pulsationen, auf Eintreten des —ne EINFLUSS PLÖTZLICHEN TEMPERATURWECHSELS AUF DAS HERZ v. Ss. w. 201 Stillstandes und auf vollkommenen Verlust der Contractionsfähigkeit, wobei ich die nächste Ursache aller dieser Veränderungen der Herz- functionen aufzudecken versuchte. Das isolirte Froschherz in erwärmtes Wasser getaucht, schlägt schneller als in der normalen Temperatur; die Beschleunigung ist um so auffälliger, je wärmer das Wasser ist. Schnell füngt dagegen das auf His gelegte Herz langsamer an zu schlagen, wobei die Verlangsamung in Stillstand übergeht. Zuerst hören die Contractionen der Ventrikel und dann die der Vorhöfe auf. Die Frequenz der Herz- contractionen im erwärmten Wasser und auf dem Eise steht im umge- kehrten Verhältniss zur Krait und Dauer jedes einzelnen Herzschlages, ähnlich wie Cyon und Luciani es beobachtet haben. Das Herz, wel- ches auf dem Eise seine Contractionen eingestellt hat, behält länger die Fähigkeit, in normaler Temperatur von Neuem zu schlagen, als das Herz, welches durch bis auf einen bestimmten Grad erwärmtes Wasser zum Stillstand gebracht ist. Das Herz, welches durch Eis oder erwärmtes Wasser zum Stillstand gebracht, noch nicht die Fähigkeit unter anderen Bedingungen zu schlagen verloren hat, befindet sich in mehr ausgedehntem Zustand — Diastole; dagegen steht das Herz, welches durch die angeführte Einwirkung die Fähigkeit zu schlagen verloren hat, in Systole (Tetanus). Durch erwärmtes Wasser kann man bei verschiedenen Subjecten nicht gleich schnell Herzstillstand bewirken. Der verschiedene Temperaturgrad des Wassers bedingt zum Theil die Zeit, in welcher der Herzstillstand erfolgt, wie folgende Zahlen zeigen: Temperatur des Wassers Aufenthaltsdauer des Herzens in welchem das Herz sich im Wasser, bis der Stillstand befindet. eintritt. 65—63° C. 0’— 10 50° 24" 70° 45° 65° — 80“ 40° 125° — 270° 3a 390” 30° 620% Aus dieser Tabelle ersieht man, dass der Stillstand schneller bei Erhöhung der Temperatur von + 30— 65° C. und umgekehrt, langsamer bei geringerer Erwärmung des Wassers eintritt; doch auch diese Er- scheinung hat ihre Grenze, über welche hinaus entgegengesetzte Resul- tate sich zeigen, nämlich: je mehr die Temperatur des Wassers sich 0° nähert, um so schneller erfolgt Verlangsamung der Herzschläge und end- lich Stillstand. Der Herzstillstand kann eintreten in Folge der Einwirkung höherer oder niederer Temperatur auf seinen Hemmungsapparat, oder seine mo- 202 Au. ARISTOw: torischen Centra, oder auf sein Muskelgewebe, oder endlich auf die motorischen Centra und das Muskelgewebe zusammen. Wenn man an- nimmt, dass höhere oder niedere Temperatur, auf das Herz einwirkend, die Thätigkeit des Hemmungsapparates gleich Muscarin bis zu einem gewissen Grade erregt, so wird der Herzstillstand in solchem Falle ver- ständlich; den Grund des Stillstandes kann man jedoch auch in herab- gesetzter Thätigkeit der motorischen Nervencentra und der geschwächten Contractionsfähigkeit der Muskelfasern des Herzens suchen. Um sich über die Richtigkeit der einen oder der anderen von diesen Voraus- setzungen zu vergewissern, stellte ich auf den Rath von Prof. Dogiel einige Versuche an. Bevor ich jedoch von den Resultaten dieser Expe- rimente spreche, finde ich es für nöthig, einige Worte über die Versuchs- | methoden selbst zu sagen. Der bei diesen Versuchen benutzte Apparat besteht aus einem kleinen. | metallischen Tischchen, mit einer kleinen zur Aufnahme des isolirten. Frosehherzens dienenden Vertiefung in der Mitte Von oben wird das Herz mit einem ebenfalls metallischen Plättchen, welches mit einem leicht beweglichen Hebel verbunden ist, bedeckt; so wird die geringste | Contraction des Herzens einem Hebel mitgetheilt, an dessen freiem Ende eine feine Aluminiumnadel die Bewegung auf einer berussten Trommel aufzeichnet. Damit man mit verschiedenen Temperaturgraden auf das in der Vertiefung des Tischchens befindliche Herz einwirken könne, ist folgende Einrichtung getroffen. Das metallische Tischplättchen ist nicht | massiv, sondern hohl; es besteht aus einem Rohr, dessen eines Ende ' mittelst eines gegabelten Kautschukschlauches mit zwei metallischen | 2—3 Liter fassenden Gefässen verbunden ist. Jedes der Gefässe hat | an seinem Boden zwei Oeffnungen: eine für ein Thermometer, die zweite für einen Hahn. Die Hähne der Gefässe sind mit den beiden Aesten des gegabelten Kautschukrohrs verbunden. Am Tischplättchen befindet \ sich noch ein Rohr zur Aufnahme eines empfindlichen Thermometers, so dass die Quecksilberkugel von dem durch das Tischchen fliessenden ! Wasser bespült wird. Vom anderen Ende des Tischplättchenrohrs führt ein Kautschukschlauch in ein auf dem Fussboden stehendes Gefäss, worin das aus dem einen oder anderen beschriebenen Reservoir abfliessende "Wasser aufgefangen wird. In dem einen Reservoir wird das Wasser mittels einer Gasflamme erwärmt, im anderen durch Eis oder eine Frostmischung abgekühlt, Dureh Aufdrehen des einen oder des anderen Hahnes kann man nach Belieben kaltes oder warmes Wasser durch das Rohr fliessen lassen.” Temperatur des Heisswassergefässes, die Schnelligkeit des Stromes kann | man leicht durch die entsprechenden Hähne reguliren. Das Tischehen! FINFLUSS PLÖTZLICHEN TEMPERATURWECHSELS AUF DAS HERZ U. Ss. w. 203 erwärmt oder kühlt sich schnell ab und wirkt auf diese oder jene Weise auf das -in seiner Vertiefung befindliche Herz ein. Will man das Herz elektrisch reizen, so bringt man das Tischchen mit einem Schlitten- inductoriuw in Verbindung. Auf die beschriebene Art erhaltene Veränderungen der Herzcon- tractionen lassen unschwer erkennen, dass der durch erhöhte Temperatur bewirkte Herzstillstand nicht von verstärkter Thätigkeit des Hemmungs- apparates abhängt, weil man im vorliegenden Fall durch elektrische Reizung des Herzens Tetanus erhält, wie Fig. 1 veranschaulicht. Biest: Das Herz war durch Einwirkung einer Temperatur von + 41° C., zum 1’ 20° langen Stillstand in Diastole gebracht (a), nach Reizung aber durch ERlektrieität, (b), erhielt man Tetanus. Bei Betheilisung des regulatorischen Apparates dürfte dies nicht eintreffen; vielmehr wäre hier auf Parese des letzteren zu schliessen. Doch dadurch kann man sich wieder nicht den Herzstillstand in Folge der Einwirkung erwärmten Wassers erklären, da in solchem Falle anstatt des Herzstillstandes in Diastole, eine Beschleunigung der Contractionen eintreten müsste. Folglich muss man Abwesenheit des Reizes seitens der motorischen Herzganglien oder Verlust des Contractionsvermögens der Muskelfasern des Herzens annehmen; letztere Voraussetzung jedoch verliert durch den Eintritt des Tetanus (Fig. 1) an dem von erwärmtem Wasser zum Stillstand in Diastole gebrachten und durch Elektrieität sereizten Herzen, ähnlich wie man es bei Skeletmuskeln bemerkt, an Wahrscheinlichkeit. Auf Grund von dem Allen muss man die nächste Ursache des Herzstillstandes in Folge der Einwirkung einer gewissen Temperatur unweigerlich in einer Veränderung der motorischen Herz- centra suchen, wie schon Schelske gethan hat. Ueber die Veränderung der Thätigkeit des Hemmungsapparates zur Zeit des Herzstillstandes in Folge höherer Temperatureinwirkung, sagt Cyon: „In der Periode des Wärmestillstandes ist jedenfalls die Reizbarkeit des re- gulatorischen Apparates so gut wie aufgehoben. Dies wird durch meine oben angeführte Beobachtung bestätigt. Hierzu kann ich hinfügen, dass der Hemmungsapparat in diesem Falle früher als die motorischen Centra angegriffen wird, was dadurch bewiesen werden kann, dass man, ohne den Herzstillstand in Folge der Einwirkung höherer 204 Au. ARrıSTow: Temperaturgrade abzuwarten im Moment, wo die Herzcontractionen stark vermehrt sind, das Herz elektrisch reizt. Man erhält anstatt Verlang- samung oder Stillstand in Diastole noch stärkere Beschleunigung der Herzschläge, wie aus Fig. 2 zu ersehen ist. VER NER MAMMA „.b [0 Fig 2. Von a bis b Herzcontractionen bei 39- 5°C, Von db bis ce Herzceontractionen während elektrischer Reizung des Herzens. Von e bis d Herzeontractionen nach Aufhebung der Reizung; bei d neue Reizung mit Elek- trieität und bei e Einstellung der Reizung. Nach Aufhebung der Reizung erfolgt ein länger dauernder Herz- stillstand wegen erschlaffter Thätigkeit der motorischen Centra oder wahrscheinlicher auch des Herzmuskels in Folge elektrischer Reizung. Reizt man das Herz nach längerer Einwirkung höherer Temperatur als im vorigen Versuch mittels des ‘elektrischen Stromes, so erhält man statt einfacher Beschleunigung der Herzcontractionen sehr häufige schwache Herzschläge, mit der Neigung, in Tetanus überzugehen — und endlich Tetanus (Fig. 3). na / a | ; a Fig 3. te) Von a bis 5 Herzeontracetionen während einer Temperatur von +41° C. in der 2. Minute; bei b elektrische Reizung; von a bis d ohne Reizung; bei d elektrische Reizung. Der Hemmungsapparat wird nicht nur in Folge der Einwirkung hoher, sondern auch niederer Temperaturgrade auf das Herz paretisch; so erfolgt durch Einwirkung von + 7-5°— 8° im Laufe von 14° auf das Herz Verlangsamung der Herzschläge, welche durch elektrische Reizung beschleunigt werden, und nicht Stillstand, wie Fig. 4 uns zeigt. Fig. 4. Von a bis 5b Herzeontraetionen bei + 8° C.; bei d Anfang der elektrischen Reizung des Herzens; bei © ohne Reizung. EINFLUSS PLÖTZLICHEN TEMPERATURWECHSELS AUF DAS HERZ v. s.w. 205 Stark erhöhte Temperatur, wenn auch nicht gleich schnell bei ver- schiedenen Subjecten, greift nicht allein das Nerven-, sondern auch das Muskelsystem des Herzens an. Es seien hier einige zur Bestätigung des Gesagten ausgeführten Beobachtungen angegeben; sie zeigen, dass das Herz, welches in erwärm- tem Wasser sich einige Zeit befunden, nicht mehr die Fähigkeit, sich zu contrahiren erhält, wenn man es auf Eis oder in Wasser von niederer Temperatur bringt, oder auch elektrisch reizt. Wasser- Zeit des Aufent- temperatur haltes des Herzens Veränderung des Herzens nach Celsius. in Secunden. auf dem Eise. 650 10” Stillstand Erneuerung der Contractionen. 630 5 Ebenfalls. 630 10” Ebenfalls. ER 5 = } Vollständige Einstellung d. Herzschläge. 500 60” Erneuerung der Contractionen. 500 60” Stillstand 15” Schwache Contraction der Vorhöfe. 500 90" Nur Contraetion der Vorhöfe. 500 180” Keine Erneuerung der Contractionen. 450 180” Vollkommene Contr. des Herzens. 409 300” Ebenfalls. 400 360” Stillstand 5” Schwache Vorhofscontractionen. Nicht weniger interessant war die Untersuchung schroffen Tempera- turwechsels auf das Herz. Lässt man, wie oben angegeben, das isolirte Froschherz in dem bis auf einen gewissen Grad erwärmten Wasser und lest es dann plötzlich auf Eis, so bemerkt man Veränderungen in der Herzfunetion, welche sich gänzlich von den Veränderungen der Function durch normale oder allmählich veränderte Temperatur auf das Herz unterscheiden. Anstatt der erwarteten Verlangsamung der Herzschläge in Folge plötzlichen Uebertragens des Herzens aus erwärmtem Wasser auf Eis, sieht man im ersten Moment Beschleunigung der Herzeontrac- tionen eintreten, und umgekehrt; in Folge plötzlicher UVeberführung vom Eis in erwärmtes Wasser fängt das Herz an seltener zu schlagen oder steht im ersten Moment vollkommen still; hierauf tritt erst die Periode der Beschleunigung ein. Solche unvorhergesehene Veränderungen in Folge schroffen Temperaturwechsels auf das Herz kann man nicht nur unter den oben von mir citirten Cyon’schen Bedingungen, sondern auch _ bei anderen Temperaturgraden, wie man es deutlich aus den unten ange- führten Zahlenwerthen ersieht, bemerken. Diese Ergebnisse sind in zwei Tabellen vorgeführt: in der Tabelle A sieht man die Frequenz der 206 Au. Arıstow: Herzschläge beim plötzlichen Uebergang der Temperatur von 0° zu höheren (von + 10° bis + 50°C.) und in der Tabelle B die Frequenz der Herzcontractionen beim plötzlichen Uebergang von höherer Tempe- ratur (+ 50° bis + 10° C.) zum 0°. Tabelle A. N, 5 E $ : 5. 5 ; ET BE NEE ee en ee ra ee Re ee Bee ne | 2 & oa I rs ea I rS O7 rg 72 Sg Sa Sl 3) 72 | 9 9 aaa kernel ee | ee: | x E-} as 88 Sen 88 as a8 SS = 8 son 8 8 CS SS No Se No Nyg N © No Se) NnD N © NZ No |Nn | ee) | ı be) & 09 100 0% 209 09 300 Dr 0 2 ll 2 8 2 10" 2 10” 2 30" 09 400 00 500 ar | ERS ae aa ar | 3 ee { =5 + A Tabelle B. „Klo g] = m u "alz20 a 5J| - 2 = Sl 05 ES ER En „ale m & a D:8 | 28 | D:8 = 2:8 28 | 388105 88] 05188105 33|03 38| 32 98|°3 33|82 88|>2 38|1|33. 33 823122558 a8 zelas else aslerssise aelse nasse sale as A 2 EIER] IEHRI EL TEICHE KEG] BES IcIHEI IGIEI EHEN BEISIIGHEN EICH] BEST EHE] Ice Ns Ny| Ne NnD|IN8 NND NS NZINENZ|INSe No| Se I NZ|I SE NZa| Se NZ|I Ne Sa Ei ie) = EB Eu en) u | Ei mil. 500 09 409 09 300 00 209 00 100 09 ala”| 217] a ml 2 ler 2527| 0.372 57 2 | Au a6] Du j r En . .. N Aus den Tabellen geht also hervor, dass die Veränderungen der Herzfunction, obwohl nicht vollkommen proportional und bei allen In- dividuen gleich, um so mehr in die Augen springen, je mehr die Tem- peraturgrade unter sich differiren. Der allgemeine Charakter jedoch bleibt immer derselbe; beim plötzlichen Ueberführen des Herzens aus einer Temperatur in eine andere erhält man im ersten Moment der Ein- wirkung eine Verlangsamung oder Beschleunigung der. Herzschläge, je nachdem man das Herz vom Eis in erwärmtes Wasser bringt, oder es umgekehrt macht. Sichtlich kommt die stärkste Verlangsamung oder Beschleunigung des Herzens auf den Uebergang von 0° zu + 40° & und von + 40° zu 0° C. Die Functionsveränderung des Herzens wäh- rend der Einwirkung des schroffen Temperaturwechsels wird durch die beifolgende graphische Darstellung (in der eine jede Säule von 2 Milli- meter Höhe eine Secunde, und diese letztere zwei Herzcontractionen | entspricht), noch ms erı nel gemacht. EINFLUSS PLÖTZLICHEN TEMPERATURWECHSELS AUF DAS HERZ v. s. w. 207 Die Temperatur jeder Säule ist durch Verschiedenheit der Zeichen vermerkt, wie es die Fig. 5 uns zeigt. Die eben beschriebenen Veränderungen des Herzens haben nicht nur physiologisches Interesse, sondern sind auch sehr wichtig für die experimentelle Pathologie und Therapie. Sie können theilweise erklären. weshalb man nützlich findet, nach heftiger Einwirkung von Kälte (Ab- frieren von Körpertheilen), nicht warme Umhüllungen oder warmes Wasser u. d. m., sondern Friction solcher, noch nicht völlig verlorener Theile des Körpers mit Schnee oder Eis vorzunehmen. oDE »0 20200 „01.0 O4 00 0,08 00.02 c0 ‚0£ 0.00 .0.05 .05.0 Fig. 5. Was die nächste Ursache dieser Veränderungen der Herzeontractionen durch schroffen Temperaturwechsel anbetrifft, so bleibt sie noch unauf- geklärt. Die Erklärung von Cyon ist meiner Meinung nach gar nicht zutreffend. Er sagt: „Wenn aber die von 20° auf 40°C. plötzlich hereinbrechende Wärme die nervösen Herztheile reizt, so muss sie diese Wirkung vorzugsweise entweder auf den Vagus oder auf das regulatorische Organ ausüben; denn in der That ruft die plötzliche Steigerung der Temperatur Er- scheinungen hervor, wie sie sonst nach Vagusreizen ein- tritt.“ Giebt man zu, dass hier der Vagus betheiligt ist, so müsste man beim plötzlichen Uebergang von -+ 40° C. zu 0% ebensolche Reizung des Vagus erwarten, und folglich sollte im ersten Moment der Einwirkung Verlangsamung der Herzcontractionen eintreten; nichtsdestoweniger erhält man aber Beschleunigung. Doch auch daraus, was über den Einfluss erhöhter Temperatur auf den Vagus gesagt war, ersieht man, dass dessen 208 Au. ARISTOW: EINFLUSS PLÖTZLICHEN TEMPERATURWECHSELS U. $.W. Einfluss fast gänzlich vernichtet und nicht verstärkt wird, folglich die Verlangsamung der Schlagfolge oder sogar der Stillstand des Herzens in Folge plötzlichen Wechsels von ‘0° mit höherer Temperatur nicht als Wirkung des Vagusreizes aufgefasst werden kann. Eher könnte man zugeben, dass die Beschleunigung der Herzschläge nach Einwirkung schnellen Ueberganges aus höherer Temperatur (+ 40°) zu 0° durch ver- minderte Thätigkeit des Vagus bedingt wird; aber auch diese Voraus- setzung wird kaum zutreffend sein. Der von Cyon zu diesem Zweck vorgenommene Versuch mit Curare hat keine beweisende Kraft, da das Atropin, welches ja den Hemmungsapparat des Herzens lähmt, nach meiner Beobachtung keinen Einfluss auf die veränderten Erscheinungen des Herzens in Folge plötzlichen Temperaturwechsels hat. Eine wahr- scheinlichere Erklärung würde darin bestehen, dass erhöhte und niedere Temperatur verschieden auf die motorischen Nervencentra und das Muskel- gewebe des Herzens einwirken: erhöhte Temperatur setzt die Contractions- fähigkeit der Muskeln und die Thätigkeit der Nervenzellen des Herzens herab; niedere Temperatur macht dagegen, obwohl die Contractionen überhaupt verlangsamend, dieselben andauernder und kräftiger. Ein Beitrag zur Physiologie des Nervi erigentes, Von W. Nikolsky in Kasan. Aus dem pharmakologischen Laboratorium des Hrn. Prof. J. Dogiel. (Hierzu Tafel VI.) Nach Eckhard! entspringen die Nn. erigentes einzeln oder zu zweien von jeder Seite aus dem ersten und zweiten, selten aus dem dritten Sacralnerven des Plexus ischiadieus. Diese Nerven gehen zum Plexus hypogastrieus (Eckhard), zu welchem sich Ganglien und ein aus dem Plexus mesentericus, posterior kommender Nervenzweig hinzugesellen. Der Plexus hypogastricus entsendet Radialfasern zur Prostata, dem Intestinum rectum und zur Pars membranacea urethrae. Die erwähnten Fasern gehen zu den Seiten- und hinteren Theilen der Pars membranacea urethrae, wo sie sich in dem Grade in den Bindegewebsbündeln verlieren, dass Eckhard sie nur bis zur Harnröhrenzwiebel verfolgen konnte. Im Verlauf der Nn. erigentes an der Hinterfläche der Pars membranacea fand Eckhard keine besonderen Ganglienbildungen; nur seitlich vom genannten Theile konnte er eine unbedeutende Verdickung der Nerven- fasern bemerken. Loven? constatirte, dass auf der vorderen (unteren) Fläche der Pars membranacea die vom Plexus hypogastricus kommenden Fasern sich mit denen der Nn. pudendi vereinigen; andere Fasern des 1 Beiträge zur Anatomie und Physiologie. 1873. Bd. III, Abthle. 7. 2 Berichte über die Verhandlungen der Königl. Sächs. Gesell. d. Wissensch. zu Leipzig. 1866. Bd. 8. Archiy f. A.u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 14 210 W. NIKOLSKY: Geflechtes begeben sich zur Pars bulbosa urethrae, und zwar an die Stelle, wo die A. profunda penis in die Urethrazwiebel eintritt; hier ver- einigen sie sich ebenfalls mit den Fasern des N. pudendus und dringen in den cavernösen Körper der Urethra und in die Wandungen der stär- keren Zweige der A. profunda penis, ausserdem geht eine dritte Partie von Fasern, welche aus dem Plexus hypogastricus stammen, zum hinteren Theil der Pars membranacea, vereinigt sich hier mit gleichartigen Fasern der anderen Seite und geht zuletzt nach unten zum Bulbus urethrae. Ausser den erwähnten Nervenfasern fand Loven besondere Ganglien oder gangliöse Massen an folgenden Stellen: 1) auf dem hinteren Theile der Pars membranacea, 2) im festen Bindegewebe auf dem hinteren (oberen) Theile des Bulbus und 3) seitlich vom Bulbus am Anfange der A. pro- funda penis. Nach der Entdeckung der Nn. erigentes durch Eckhard, fing man an, die Physiologie der Blutzufuhr während der Ereetion experimentell zu untersuchen, was den Bemühungen Eckhard’s und Loven’s zu ver-. danken ist. Ersterer fand, dass elektrische Reizung der Nn. erigentes eine Zu- nahme, die Reizung des N. pudendus dagegen eine Verminderung des arteriellen Blutes in den Peniscavernen bewirkt. Da im N. pudendus vasomotorische Fasern sympathischen Charakters verlaufen, die ja die Gefässverengerung beherrschen, so ist seine Wirkung verständlich. Die’ Blutanfüllung des Penis erklärt Kölliker! durch Abnahme des normalen Tonus der Gefässe und Wandungen der cavernösen Körper des Penis. Loven beweist diese Hypothese experimentell. Er nimmt an, dass die Blutanfüllung der Cavernen auf zweierlei Weise zu Stande kommen kann: entweder werden die Arterienwände und die Cavernen passiv durch ab- normen Blutdruck erweitert, oder sie haben eine active Rolle, d. h. sie erschlaffen und das Blut strömt passiv in die Cavernen. Die erste Er- klärungsweise kann nach Loven im gegebenen Falle aus dem Grunde keine Anwendung finden, weil der Blutdruck in den Penisgefässen bei stärkerer Erection (durch elektrische Reizung des N. erigens) sechs Zehntel des Carotidendruckes erreicht; folglich genügt die Herzkraft, wenn | die Gefässwände und Cavernen erschlafft sind, um eine Erection zu Stande zu bringen. Ausserdem durchschnitt Loven die feinen Arterienver- zweigungen und Corpora cavernosa des Penis und bemerkte bei elek- ' trischer Reizung der Nn. erigentes beständig eine Erweiterung der Arterien und der Cavernen und Zunahme des Blutausflusses; folglich kann ein \ Blutzufluss allein nicht die Ursache der Erection sein; so ist es z.B. | unmöglich, beim Hunde die Erection nur durch die Thätigkeit des ' Houston’schen Muskels zu erklären, u.s. w. Bei der Erschlaffung des = Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER NERVI ERIGENTES. 211 normalen Gefäss- und Cavernentonus betheiligen sich nach Loven be- sondere Ganglien, welche er im Verlauf der Nn. erigentes entdeckte. Nach Eckhard und Loven liegt der Beherrschungspunkt des Gefäss- und Cavernentonus im Rückenmark, da die Durchschneidung der Nn. pudendi schon für sich eine unvollständige Erection bewirkt, was für eine Trennung der Cavernen vom tonisirenden Centrum spricht. Auf welchem Wege die Erection im normalen Organismus entsteht, bleibt vorläufig dunkel. Kölliker meint, dass die Erection durch Aufhebung des tonisirenden Einflusses des Rückenmarkes auf die Gefässe und Cavernen des Gliedes durch die Reflexwirkung, die von den sensiblen Nerven des Penis ausgeht, zu Stande kommt. | Nach meinen Beobachtungen (an 30 Hunden) gehen zum Plexus hypogastricus beim Hunde immer jederseits zwei Sacralnerven, welche von Eckhard die Benennung Nn. erigentes erhalten haben; dabei ver- einigen sich oft die Nerven nach Austritt aus dem Sacralgeflechte, um nahe beim Plexus hypogastricus wieder auseinanderzugehen, weshalb das Bild eines Nerven erhalten werden kann. Sie treten gewöhnlich aus der ersten und zweiten Kreuzbeinöfinung, sehr selten aus der zweiten und dritten in Verbindung mit zum Plexus ischiadicus führenden Sacral- nerven. Der aus der ersten Kreuzbeinöffnung tretende Nerv ist dünner als der hintere. Beim Isoliren des ersten feineren Nerven unter der Lupe, um ihn bis zur Austrittsöffnung zu verfolgen, wurde von mir be- merkt, dass der Ramus communicans des ersten Sacralganglions des sympathischen Geilechts in diesen Kreuzbeinnerven einen kleinen Zweig entsendet. Zum stärkeren konnte ich keinen Ramus communicans gehen sehen. Ausserdem fand ich an folgenden Stellen im Verlauf der Nn. erigentes Nervenzellen: auf der hinteren und den Seitenflächen der Pars membranacea urethrae, in ihrer Bindegewebshülle und in den Fasern, welche, aus dem Plexus hypogastricus kommend, zur Pars mem- branacea in der Nähe der letzteren treten. Die Zellen sind in den Nerven einzeln oder zu mehreren eingelagert in Form von Ganglien mit vielen Nervenzellen, so dass einige von den Knoten mit unbewafinetem Auge zu sehen sind; sehr deutlich treten sie in der Gestalt dunkelgelber Punkte nach Bearbeitung des Präparates mit Essigsäure (0-5 Proc.) und Pikro- carmin zu Tage. Aus den beigegebenen Abbildungen lässt sich die Lagerung wie der Charakter der Ganglien am besten ersehen. Ganglion a (Fig. 1) wurde nach Maceration in mit schwacher Chromsäure angesäuer- tem Wasser und Bearbeitung des Präparates mit Essigsäure und Pikro- carmin isolirt. Fig. 2 stellt die Nerven des Penis und der Harnblase dar. Sie sind unter Wasser nach Einwirkung schwacher Essigsäure 14* 212 W. NiKoLskKY: (0.5 Proc.) herauspräparirt. Der Buchstabe f zeigt den N. pudendus welcher zu den Corpora cavernosa geht; bei ” gehen seine Zweige zu dem membranösen Penistheil, hier vereinigen sich einige von ihnen mit den Zweigen der Nn. erigentes 5 und c — beide Nn. erigentes, die ‚. sich bald in einen Nerv vereinigen; von ihnen ist 6 — der stärkere hintere, und ce — der feinere vordere Nerv. Zum letzteren geht der communieirende Zweig des sympathischen Geflechts. Eine speciellere Beschreibung der Abbildung folgt am Schlusse dieser Arbeit. In Anbetracht davon, dass der vordere der Nn. erigentes einen Ver- bindungsast sympathischen Charakters erhält, was beim hinteren nicht der Fall ist, machte ich einige Versuche mit isolirter Reizung des einen oder des anderen Nerven und beobachtete dabei den Grad der Cavernen- füllung mit Blut. Es erwies sich, dass bei elektrischer Reizung des dickeren hinteren Nerven, oder beider Nerven, an den Stellen, wo sie verbunden auftreten, man immer Erectionen unabhängig vom Alter des Hundes erhält. Dagegen beobachtet man bei der Reizung des dünneren. vorderen Nerven niemals eine Verstärkung des Anfüllungszustandes der Cavernen mit Blut; im Gegentheil, es findet eine Verminderung desselben statt, so dass wenn durch die Reizung des stärkeren Nerven eine Ereetion erfolst, dieselbe durch Reizung des feineren Stammes van oder selbst aufgehoben wird. Bei der Anordnung der Versuche wurde Folgendes in Betracht ge- zogen. Den Untersuchungen Eckhard’s und Loven’s zufolge geht der Volumzunahme des Penis die Menge des durch die Peniscavernen fliessen- den Blutes parallel; folglich muss auch der Abfluss des Blutes aus den cavernösen Theilen stärker sein. Aus diesem Grunde schliesse ich nach |) der Menge des in einer Zeiteinheit aus den cavernösen Theilen fliessen- den Blutes, vor und nach der elektrischen Reizung der Nn. erigentes, auf die Zu- und Abnahme des Volumens und den Spannungsgrad | des Penis. Die an Hunden ausgeführten Versuche wurden folgendermaassen angestellt. Dem gefesselten Thiere wurde auf dem Secirtische eine Rückenlage gegeben. Entsprechend dem Endstücke der cavernösen Körper | und dem Anfange der Eichelzwiebel, wurde seitlich am Penis ein 5 langer Längsschnitt gemacht, und indem man bis zum Seitentheil der \ beschriebenen Gegend vordrang, fasste man den entblössten Theil des ! Gliedes mit einem Haken und drehte den Penis um seine Längsachse | ein wenig nach innen. Auf solche Weise wird das Anfangsstück einer } von den Dorsalvenen des Penis vollkommen freigelegt. Nachdem man | die aus den cavernösen Theilen des Penis das Blut herausführende Vene ı (ihre Dieke ist in dieser Gegend bei Hunden von mittlerer Grösse un- | Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER NERVI ERIGENTES. 213 gefähr der eines Gänsekiels gleich) vorsichtig isolirt hatte, setzte man in sie ein etwas gebogenes Glasröhrchen, um das Blut bequemer auf- fangen zu können. Nach dieser Manipulation wurde die Vene durch eine kleine Klemmpincette verschlossen. Während des Versuches wurde das Blut in einer bestimmten Zeiteinheit, um dem Gerinnen desselben vorzubeugen, in Sodalösung von vorher bestimmter Menge (10) auf- gefangen. Als nachher die Gesammtquantität der Flüssigkeit gemessen wurde, brauchte man nur die bekannte Menge der kohlensauren Natron- lösung von der Gesammtsumme abzuziehen, und hatte so die Quantität des in einer gewissen Zeit aus der Vene geflossenen Blutes. Das Auf- fangen des Blutes konnte auf mehr als zwei Stunden ausgedehnt werden, wenn man die reine Glascanüle in die Vene an der Austrittsstelle der- selben aus den cavernösen Theilen des Penis und nicht in die schon frei gewordene Vene setzte, weil im letzteren Falle das Blut sehr schnell gerann. Diese Anordnung der Versuche ist jedenfalls zweck- entsprechender als die nach der Methode von Eckhard und Loven, nach welcher die Corpora cavernosa penis durchschnitten wurden, um die Kraft, mit welcher unter verschiedenen Bedingungen des Versuchs das Blut aus der Durchschnittsstelle hervorströmt, zu bestimmen. In meinen Versuchen konnte ich noch geringe Schwankungen in der aus- seflossenen Menge des Blutes feststellen. So z. B. floss aus der Dorsal- vene des Penis des Hundes ohne elektrische Reizung des N. erigens 0.5°® Blut in 15“; nach elektrischer Reizung des N. erigens, bei einer Entfernung von 200”® zwischen den Rollen des du Bois-Reymond’- schen Schlitteninductoriums, in dessen primärem Kreise sich eine Grove’- sche Kette befand, schon 0.95eem Blut in 15“, und bei fortgesetzter Rei- zung, bei einer Entfernung von 150”"m 1.7 m in 15%. Ausserdem war in diesen Versuchen das Trauma gleich wie der Blutverlust zu gering (da die Vene zugeklemmt werden konnte), um einen Einfluss auf die Resultate ausüben zu können, während bei den Versuchen von Eckhard und Loven sowohl ein bedeutender traumatischer Eingriff, als ein Blutverlust vorhanden waren. Bei meinen Versuchen trat störend der Umstand ein, dass an jungen und kleinen Hunden das Experimentiren nicht länger als eine Stunde dauern konnte, weil das Blut nach Verlauf dieser Zeit gewöhnlich in der Vene gerann, da letztere in solchen Fällen sehr klein ist und folglich eine sehr dünne Canüle verlangt. Weiterhin konnten sehr geringe Quantitäten des Blutes durch Adhäsion an den Wandungen der Gefässe der Bestimmung entgehen, wodurch die weiter unten angeführten Zahlen um ein Geringes zu niedrig ausfallen mussten. Jedenfalls drücken sie die Schwankungen in der Quantität des aus den cavernösen Körpern des Penis ausgeflossenen Blutes recht genau aus. 214 W. NIKOLSKY: Ausserdem könnten möglicher Weise gegen meine Methode noch folgende zwei Einwände erhoben werden. Erster Einwand. Wird die das Blut aus dem cavernösen Körper führende Vene während des Versuchs zugeklemmt, so wird ja dadurch die Cireulation im Penis beeinträchtigt und es kann Erection, in Folge von Blutanstauung, eintreten, wenigstens in jenem Theile des cavernösen Körpers, aus welchem das Blut in die andere nicht geschlossene Vene trat. Dieser Einwand verliert im gegebenen Falle seine Bedeutung durch den anatomischen Bau der cavernösen Körper des Penis und der Urethra, welche beim Hunde unter einander communiciren, so dass, wenn das Blut in der Region der einen Dorsalvene sich ansammeln sollte, es durch zwei tiefer gelegene Venen und die andere Dorsalvene des Penis einen Abfluss finden würde; folglich wird sich sehr leicht in diesem Falle ein collateraler Kreislauf bilden. Zweiter Einwand. Während der Erweiterung der cavernösen Körper oder der Volumzunahme des Penis, besonders wenn es schnell geschieht, wird aus der Vene nicht mehr, sondern eher weniger Blut, als vor der Schwellung ausfliessen, da ja ein Theil des zufliessenden Blutes zur Schwellung der cavernösen Körper dienen muss. Ein gleiches Verhältniss zwischen dem Penisumfang und der Menge des ausfliessenden Blutes muss auch während der Volumabnahme der Corpora cavernosa eintreten, da das Blut aus denselben in die Venen getrieben wird und folglich ein grösserer Blutabfluss als vor der besagten Abnahme der cavernösen Körper stattfinden muss. So wird man immer einen directen Zusammenhang zwischen der Grösse der Schwellung der cavernösen Körper bei elektrischer Reizung der Nn. erigentes und der Menge des ausfliessenden Blutes beobachten. Dagegen bemerkt man, dass bei der Reizung derjenigen Nerven, die die Abnahme des Volumens der cavernösen Körper beeinflussen, die Menge des ausfliessenden Blutes geringer wird. In Betreff meiner Versuche, die die Erection zum Gegenstande hatten, habe ich hier noch hinzuzufügen, dass die Bestimmung der Quantität des aus den Corp. cavernosa ausgeflossenen Blutes unter folgenden Um- | ständen stattfand: 1) ohne Anwendung von Elektricität und irgend welchen in das Blut eingeführten Substanzen; 2) bei elektrischer Reizung des Nn. erigentes und 3) bei Erstickung und bei Anwendung von Atropin, | Muscarin und Campher. | EIN BEITRAG zuUR PHYSIOLOGIE DER NERVI ERIGENTES. 215 I. Zwei Versuche ohne Anwendung von Elektricität und von in das Blut eingeführten Substanzen. 1) Die Tabelle zeigt das Resultat eines Versuches am grossen Hunde. Die Zahl in Cubikcentimetern zeigt die Blutmenge an, welche in 15‘ aus der Dorsalvene des Penis ausfloss.. Die Minutenzahl giebt die vom Anfange des Versuches verflossene Zeit an. Vom Anfang des Versuches verflossen 107 10 PA a N ZU Or TE 17157 Zahlwerth in Cubikcentimetern 0:3 0-3 0.3 0-4 0:3 0.2 0.2 2) Der Versuch eben angeordnet, nur ist das Versuchsthier kleiner. Vom Anfang des Versuches verflossen 2021 1,.30000.3302 1457 NEASI 60ER 151 Zahlwerth in Cubikcentimetern 0-25 0-2 0-25 0-25 0.25 0-3 0.25 Wie man sieht, ist der Abfluss des Blutes durch die Dorsalvene des Penis ohne Anwendung von Elektrieität oder von fremden Substanzen im Blute fast regelmässig. IL. Hund mittlerer Grösse. Die Bauchwandungen wurden kreuzförmig durchschnitten wie bei Eekhard und die Nn. erigentes im Becken aufgedeckt. Der Rollen- abstand am Schlitteninductorium (ein Grove im primären Kreise) betrug 100—150®=, Die ausgeflossene Blutmenge wurde in der früher angege- benen Weise bestimmt. 1) Ohne Nervenreizung floss aus der V. dors. p. 0.1°®= Blut in 15”. 2) Bei Reizung des hinteren, stärkeren Nerven floss aus 0.3°m in 15”. 3) Nach der Reizung des dünneren, vorderen Nerven — 0.1“ in 15”. 4) Nach der Reizung des hinteren Nerven — 0.3°® in 15”. 5) Nach der Reizung des vorderen Nerven — 0.05°® in 15”. 6) Nach der Reizung des hinteren | Die Rollen wurden von 150m Nerven — 0.4“ in 15”. auf 100@m genähert. 7) Nach der Reizung des vorderen Nerven — 0.05 m in 15”. Der zweite Versuch ist ebenso angeordnet, wie der erste. 1) Ohne Nervenreizung erhielt man 0.5°m Blut in 15”. 2) Bei der Reizung des vorderen Nerven 0.2°m in 15”, 216 W. NIROLSKY: 3) Während der Reizung des hinteren Nerven 1.2°® in 15”. 4) Während der Reizung des vorderen Nerven 0.25 m in 15”. 5) Während der Reizung des hinteren Nerven 1.0“ in 15”. 6) Während der Reizung des gemeinschaftlichen Stammes der Nn. erigentes erhielt man O.9eem in 15”. Auf Grund ähnlicher Versuche glaube ich annehmen zu können, dass nur der aus der zweiten Sacralöffnung entspringende Nerv als N. erigens betrachtet werden kann und dass der aus dem ersten Sacral- loch entspringende Nerv ein gemischter ist, indem er sympathische Fasern enthält. Dieser Umstand erklärt, aller Wahrscheinlichkeit nach, die Aussage Eckhard’s, dass bei jungen Hunden durch elektrische Reizung des N. erigens keine Erection hervorgebracht wird. Folgender Versuch spricht dafür, dass das Durchschneiden des N. erigens allein eine Contraction der Gefässe und Cavernen des Penis be- wirkt, was auch in dem Falle eintritt, wo die Wandungen der letzteren sich in erweitertem Zustande in Folge vorausgegangener Durchschneidung - der Nn. pudendi, befinden. Hund mittlerer Grösse. 1) Vor dem Nervenschnitt strömte aus der V. dorsalis penis 0.05 Blut in 15”. 2) Nach Durehschneidung beider Nn. pud. 0.4°m in 15”. 3) 20° nach dem Nervenschnitt (Nn. pud.) 0-5eem in 15”. 4) 35’ nach dem Nervenschnitt 0-5°® in 15”. 5) Nach Durchschneidung beider Nn. erig. O- 1° m in 15”. 6) 25° nach dem Nervenschnitt 0.05 m in 15”. 7) 40° nach dem Nervenschnitt 0.05«® in 15”. Folglich befinden sich die Corpora cavernosa unter beständigem Nerveneinfluss, wodurch mittels der Nn. erigentes eine beständige Er- weiterung der Cavernen unterhalten wird. Insofern kann die Wirkung des N. erigens in gewissem Sinne der Wirkung des N. vagus auf das Herz gleichgesetzt werden: durch Reiz des peripherischen Stumpfes des ersteren Nerven erhält man eine Er- weiterung der Gefässe und der Cavernen des Penis und beim Durch- schneiden erfolgt eine Verengerung desselben in Folge des Uebergewichts des die Gefässe und Cavernen contrahirenden Nerveneinflusses; durch Reizung des Vagus erhält man bekanntlich auch eine Diastole, nach der Durchschneidung aber Vermehrung der Herzschläge in Folge des Ueber- gewichts der die Herzcontractionen bewirkenden Nerven. Versuche an mit Atropin oder Muscarin vergifteten Thieren rechtfertigen noch mehr | diesen Vergleich. Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER NERVI ERIGENTES. 217 III. Versuche mit Atropin. Folgende Versuche lassen erkennen, dass Atropin die Nn. erigentes ‘ Jähmt. Das Versuchsthier ist curarisirt. Die linke Carotis ist mit dem Kymographion in Verbindung gesetzt, der linke N. vagus ist am Halse so freigelegt, dass das periphere Ende einer elektrischen Reizung unter- worfen werden konnte. Die Dorsalvene des Penis enthält eine Glascanüle. Es floss aus der letzteren in 15° — 0.1" Blut. Hierauf injieirte man 0.018" in 2eem Wasser gelöstes schwefelsaures Aropin in die V. saphena major. 10° nach der Atropininjection erhält man 0-3°® Blut in 15”. 18° nach der Atropininjection erhielt man 0-.05°® Blut in 15”. 20° nach der Atropininjection erhielt man 0.05%" Blut in 15”. Während dieser Zeit bewirkte eine Vagusreizung nicht den gewöhn- lichen Erfolg am Kymographion, folglich ist der N. vagus gelähmt. Hierauf durchschnitt man die Bauchwand kreuzförmig, suchte den N. erigens auf und reizte ihn (gewöhnlich bei einem Rollenabstand von 150— 50" mit einem Grove’schen Element im primären Kreise). 30° nach der Atropininjection erhielt man, während der N. erigens - gereizt wurde, 0.3° m Blut in 15”. 39° nach der Atropininjeetion erhielt man, während der N. erigens gereizt wurde, 0-05°m Blut in 15”. 45° nach der Atropininjection erhielt man, während der N. erigens der anderen Seite gereizt wurde, 0-05«m in 15”. 50° n. d. Atropininjection ohne Nervenreizung — 005° m in 15”. 70° n. d. Atropininjection bei Nervenreizung — 0.05° m in 15”. Zweiter Versuch wie früher angeordnet. Die Blutmenge aüs der V. dorsalis penis betrug in 15”: 1) Vor der Atropinvereiftung — 0.05cm, 2) Nach Injection von 0.O1sm Atropin nach 5° — 0.3; nach 10° — 0.1°®; nach 20° — 0.05°®®, Hiernach blieb der elektrische Reiz ohne Wirkung auf den N. vagus. 3) Oefinung der Bauchwand: 25° nach Atropininjection, ohne Reizung, erhielt man 0.05°". 30° nach Atropininjection, mit Reizung der N. erigens — 0-05, 45° nach Atropininjection, ohe Nervenreizung — 0.05, 50° nach Atropininjection, mjt Nervenreizung — 0-05° m, 218 W. NIKOLSKY: Solcher Versuche sind sechs angestellt; das Resultat blieb gleich. Folglich wird der N. erigens, wie der N. vagus durch Atropin gelähmt, Ein Unterschied existirt in so fern, als der N. erigens später, nämlich 15—30° nach der Vaguslähmung ergriffen wird. IV. Versuche mit Muscarin. Folgende Versuche, die mit schwefelsaurem Muscarin angeführt wur- den! zeigen, dass dieser sich zum Vagus sehr indifferent verhaltende Körper in ebensolchem Verhältniss zum N. erigens steht. a) Hund mittlerer Grösse. Die linke A. carotis ist mit dem Kymo- graphion verbunden; in der Dorsalvene des Penis befindet sich eine Glas- canüle; die V. saphena major ist behufs der Injection des Giftes heraus- präparirt. Vom schwefelsauren Muscarin wurde eine 0.05°/, wässerige Lösung benutzt. Das Resultat ersieht man aus der Tabelle. 5, Nach der | Nach der | Nach der ng RRE ersten |zweitenIn- | dritten In- oa 22 | Muscarin- |. ,. "och Re Z,D injection jection von | jection von a. von 0:002 Br. 0.00 8. 0.0038r. Die nach der Muscarininjeetion ver- flossene Zeit. . . . EN il 8 1 5,0% 1730600 005% Zahl der Herzschläge in 15” il al le | 3 5 3 Seitendruck des Blutes in Millimetern | 140mm ı 80 99 52 166 55 145 Blutmenge, welche aus der Canüle 1ossaın DE er KOrEcerm var Bo Vo 25 0-6| 0-7 b) Der Versuch ebenso wie vorher angeordnet. Junger, grosser Hund. - ee: Nach der a Nach der ersten zweiten 228 Muscarininjeetion Incl aa a Muscarin. Die nach ee verflossene | | heit 2ur. BE Rh — [57 5 10/2 5:509 4 Zahl der Horse in 15" ARTS N 33 34 32 32 20 23 Blutdruck in Millimetern . . . . .| 159 84 123 | 145 54 85 Blutmenge, die aus der Vene in 15” | MOSEL sul l=0 0-3 0-3 0.0 14! 70 1 Das von mir benutzte schwefelsaure Muscarin war in dem pharmakologischen | Laboratorium des Prof. Dogiel dargestellt und von demselben auf seine PhyaZE logischen Wirkungen geprüft worden. Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER NERVI ERIGENTES. 219 Aus diesen Versuchen kann der Schluss gezogen werden, dass nach Muscarininjection, der Vagusbewegung parallel, eine Erregung des N. erigens stattfindet, was durch verstärkten Blutausfluss aus den Cavernen sich kennzeichnet. V. Versuch mit Erstickung. Aehnlich dem Muscarin wirkt auf Erection die Erstickung, wenn man nach der Blutmenge, welche während derselben aus der Dorsalvene des Penis hervorströmt, urtheilt. Als Beispiel sei hier ein solcher Ver- such (Hund) angeführt. 3 < S) Ben Erstickung des Thieres. a Eon ® # — = | Die vom Anfange der Erstickung | verflossene Zeit . . . . . — Auuan 15 308 2 2'207 | 3 | Aus der Vene geflossene Blut- | | menseunWlog 0-1 0-6 | 1-7 1-0 0-6 0-3 0-1 VI. Einfluss des Camphers auf Erectionen. Zum Theil auf klinische Erfahrungen gestützt, nimmt man an, dass der Campher die Ereetion beeinflusst. Da noch keine Experimental- untersuchuug dieser Frage vorliegt, entschloss ich mich, zur Aufklärung derselben einige Versuche vorzunehmen. Mit Camphereinführung wurden sechs Versuche, die ein und das- selbe Resultat ergaben, ausgeführt. Bei kleinen Dosen, die beschleuniste Herzeontraction bedingen, erfolgt eine geringere Antüllung der Corpora cavernosa mit Blut als bei grossen Dosen, welche die Zahl der Herz- | schläge vermindernd, stärkere Anfüllung der Corpora cavernosa mit Blut bewirken. Zur Bestätigung des Gesagten seien hier einige Versuche ‚ angeführt. 1) Junger Hund von mittlerer Grösse. Im Laufe einer halben Stunde | nach der Einführung der Canüle in die Vene wurde vier Mal Blut auf- gefangen; die Quantität betrug immer 0-1°®=, Hierauf wurde Campher in wässeriger Lösung in die V. saphena eingeführt. Das Resultat zeigt die folgende Tabelle. 220 W. NIKOLSKY: en BE, Erste Injeetion Zweite Injection Ben = von einer kleinen Gabe einer grösseren Gabe A EO| Campher. 0-002gm, Campher. 0-009grm, <{1o Die seit der Campher- einführung verflos- sene Zeit. . ...| — | 15'| 18) 20%) 22°} 267) 15° | 2027| 277) 407) 502. 60) Blutmenge, welche in 15” aus der Vene strömte, in Cubie- centimetern . . . | 0-1 |0-1 |0-05/0-.010-010-05| 0-2 |0-15) 0-2 | 0-4 0-3 0-5 2) Alter Hund von mittlerer Grösse. Dieser Versuch wurde in allen seinen Theilen in gleicher Weise wie der vorhergehende ausgeführt. in BE Erste Injection von Yreite Inieoti } Se Ei einer kleinen Gabe De 8 m u 2 a Camphers. ee ETS. An 0-002 stm, Ä {go rs Die seit der Campher- einführung verflossene eitie EISEN RR — 15’ 20' 22. 12) 20' 30' 65° Blutmenge, welche in 15” aus der Vene strömte, in Cubiecentimetern . 0-2 0-2 0-1 | 0-05 | 0-2 | 0-4 | 0-4 | 0-3 Aus dem Angeführten über die Erection komme ich zu dem Schlusse, dass man zwei Arten von Nn. erigentes annehmen muss, eine den Blut- fluss zu den Cavernen vermehrende und eine denselben vermindernde | (stärkere und feinere Zweige). Die angeführten Versuche sprechen ferner zu Gunsten einer Analogie in der physiologischen Function des N. erigens und des N. vagus. Ausserdem haben anatomische Untersuchungen ge | zeigt, dass im Verlauf des N. erigens ebenso wie in dem des N. vagus im Herzen Nervenzellen eingelagert sind. Was die Wirkung des Camphers auf die Erection anbetrifit, so sprechen die von mir erlangten und hier zum Theil angeführten That- | 1 Während dieser zwei Beobachtungen floss in 15’ so wenig Blut aus der Vene, dass beim Ausmessen die Menge nicht festgestellt werden konnte. eu A Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER NERVI ERIGENTES. 221 sachen dafür, dass in der ersten Periode (oder bei kleinen Dosen) seiner Wirkung eine Verminderung in der Cavernenfüllung mit Blut zu be- obachten ist. Diese Erscheinung fällt wahrscheinlich mit einer Erregung der die Gefässe des Penis verengernden Nerven zusammen. In der zweiten Periode der Camphereinwirkung (oder bei grossen Gaben), be- merkt man dagegen eine vermehrte Blutanhäufung in den Cavernen des Penis. Interessant dabei ist der Umstand, dass die erste Periode der Campherwirkung auf die Ereetion mit vermehrten, die zweite Periode aber mit verminderten Herzcontractionen zusammenfällt. Zum Schlusse muss ich meinen aufrichtigsen Dank Hrn. Prof. Dogiel für seine vielfache Unterstützung in dieser Arbeit darbringen. Erklärung der Tafel, Fig. 1. Ganglion aus der hinteren Fläche der P. membranacea urethrae. (Obj. 5, Oc. 3 von Hartnack.) a Gangliöse Nervenzellen. b Isolirt liegende Nervenzellen. ce Nerven. Fig. 2 stellt Ganglien dar, welche mit unbewaffnetem Auge zu sehen sind und im Verlauf des N. erigens liegen; ausserdem ist das anatomische Verhältniss des letzteren zum Geschlechtsapparat aus der Figur zu ersehen. Das Präparat wurde mit 1/,% wässeriger Essigsäurelösung behandelt. A Intestinum rectum. B \Vesca urinaria. C Pars membranacea. D Pars cavernosa urethrae. E Glans penis. F Praeputium. G Prostata. H Pars bulbosa urethrae. J Eichelbulbus nach Eckhard. a N. erigens und seine Fasern zum Pars membranacea verlaufend. a Fasern zum Reetum. «' Fasern zur Harnblase und Prostata. b Dicker hinterer Nerv, und ce Feinerer vorderer Nerv von den Nn. erigentes. d Nervenzweig aus dem Plexus mesenterius inferior. ee Ganglien, die nach der Behandlung des Präparates mit Essigsäure hervortraten. ‚f Nervus pudendus. f Verbindungsfasern des N. pudendus mit N. erig. T N. dorsalis penis, die beim Versuch behufs Canüleneinstellung in das peripherische Ende durchschnitten wurde. IT A. dorsalis penis. Ueber die Ursache der Geldrollenbildung im Blute des Menschen und der Thiere. Von Johann Dosgiel in Kasan. (Hierzu Taf. VII.) Bekanntlich besitzen die Blutkörperchen verschiedener Thiere und des Menschen die Eigenschaft sich in Reihen anzuordnen, die unter dem Namen „Geldrollen“ bekannt sind. Die vorliegende Arbeit hat zum Zweck die verschiedenen Aneinanderlagerungen der rothen Blutkörperchen genauer zu studiren und die Bedingungen, unter denen die genannten Figuren auftreten, aufzudecken. | Entnimmt man einen Tropfen Blut vom Frosch oder von einem | anderen Thiere oder vom Menschen direct dem Gefässe und beobachtet unter dem Mikroskop (Syst. 7. Ocul. 3, Hartnack) die frei schwimmen- | den Blutkörperchen, so bemerkt man leicht, dass letztere sich zu ver- schiedenen Figuren aneinanderlagern. Eine ähnliche Geldrollenbildung- bemerkt man auch an defibrinirtem Blute. Die Bildung solcher Figuren } im Blute der Fische (Hecht), des Frosches und der Vögel (Taube), ist eine langsame und unvollständige. Fig. 2 und 3 stellt Froschblutkörper- chen dar, die direct dem Herzen entnommen waren. Aus dieser Figur ersieht man, dass die Blutkörperchen so gruppirt sind, dass sie einander theilweise decken. Eine ähnliche Aneinanderlagerung bemerkt man im | Blute der Vögel (Taube — Fig. 5). Die verschiedenen Gruppirungen der ! Blutkörperchen des Hundes und des Menschen sind in den Fisg. 6 und T abgebildet. Aus dieser letzten Figur ersieht man, dass die Geldrollen- bildung im Säugethierblut eine mannigfaltigere und vollständigere ist, \ als im Froschblut. Eine schwimmende Geldrolle des Säugethieres nimm# | JOHANN DoGIEL: ÜRER DIE ÜRSACHE DER GELDROLLENBILDUNG U.8.w. 223 manchmal eine Stellung ein, bei der sie nur aus einem Blutkörperchen ‘zu bestehen scheint. Die Geldrollen im nicht defibrinirten Blute des gesunden Menschen, des Hundes und des Kaninchens erscheinen fast momentan, nach Anfertigung des Präparats. Der erwähnte Unterschied in der Geldrollenbildung bei verschiedenen Thieren und beim Menschen, hängt zum Theil von der verschiedenen Structur der Blutkörperchen ab. Die rothen Blutkörperchen der Fische, des Frosches und der Vögel unterscheiden sich von den Blutkörperchen der Säugethiere und des Menschen dadurch, dass erstere in der Mitte eine dem Kern entsprechende Convexität besitzen (Fig. 1), während die letzteren in der Mitte concav sind (Fig. 6a). Berücksichtigt man diesen Unterschied in der Form der Blutkörperchen, so wird es klar, warum die Geldrollenbildung im Blute des Frosches und der Taube eine andere ist, ‚ als an den Blutkörperchen des Hundes und des Menschen. Es ist jedoch ‚ unmöglich, durch die Unterschiede in der Form und in der Grösse der ' Blutkörperchen die näheren Ursachen der Geldrollenbildung überhaupt klar zu legen. Welcker und andere Forscher, die sich mit dieser Frage ' "beschäftigt haben, glauben eine Erklärung der in Rede stehenden Er- ' scheinung gefunden zu haben in der physikalischen Eigenschaft frei ‚ sehwimmender kleiner Plättchen sich gegenseitig anzuziehen. Zu Gunsten dieser Erklärung führt Ranvier! den Umstand an, dass die Geldrollen- bildung auch in defibrinirtem Blute auftritt, die Blutkörperchen rücken ) aber leicht auseinander sobald man einen Druck auf das Deckgläschen ausübt, bei aufgehobenem Druck kleben sie wieder aneinander. Die Wahrscheinlichkeit dieser Erklärung wird noch gestützt durch den Um- stand, dass die Blutkörperchen des Hechtes, des Frosches und der Taube, deren Form der Plättehenform nicht vollkommen entspricht, auch unvoll- ‚ ständige Geldrollenbildung zeigen. Blutkörperchen des Menschen, die ' durch Temperatureinflüsse oder andere Agentien ihre normale Form ein- gebüsst haben, verlieren mehr oder weniger vollständig die Fähigkeit sich zu Geldrollen zu gruppiren. Rollet? hat gezeigt, dass die Elasticität die Form der Blutkörperchen ändert und den Zerfall der Geldrollen bedingt. Meine Untersuchungen überzeugten mich, dass die Grösse und die - Seheibenform der Blutkörperchen nicht genügen, um die Bildung der Geldrollen im defibrinirten und nicht defibrinirten Blute zu erklären. ‚ Diese meine Ansicht wird durch folgende Data gestützt. ID. Ranvier’s technisches Lehrbuch der Histologie. Uebersetzt von Dr. W. Nicati und Dr. H. von Wyss in Zürich. ® Rollet, Ueber die successiven Veränderungen, welche elektrische Schläge an den rothen Blutkörperchen hervorbringen. Sifzungsberichte der math.-naturwiss. | Olasse der kaiserl. Akad. der Wissenschaften. Bd. L, Abth. II. 1865. 224 JOHANN DOGIEL: Wenn die Geldrollenbildung nur von der Grösse und Scheibenform der im Blutplasma frei schwimmenden Blutkörperchen abhinge, so müsste man erwarten, dass diese Erscheinung immer auftritt, so lange die oben erwähnten physikalischen Eigenschaften der Blutkörperchen erhalten sind. Diese Voraussetzung tritt aber nicht ein, weder beim Blut des Menschen, noch der einen oder anderen Thierspecies. Es scheint, dass die in Rede stehende Eigenschaft der Blutkörperchen von dem Geschlecht, von dem Alter und Gesundheitszustand des Menschen und der Thiere abhängt. Ausserdem erhalten sich die Geldrollen lange Zeit nachdem die Blut- körperchen ihre Form unter dem Einfluss der Luft oder anderer Agentien verändert haben (Figg. 6 und 7). Die im Blutpräparat schwimmenden Ketten der Blutkörperchen (Mensch, Hund) zerreissen nicht leicht, werden aber ausgezogen, verlängert (Fig. 7). Bei starker Zerrung einer solchen Kette zerreisst sie allerdings, dabei kommt aber ein dünner, die Blut- körperchen verbindender Faden zur Beobachtung (Fig. 7). Diese dünnen Fäden sind um so leichter zu beobachten, je rascher die Kettenbildung. vor sich ging. Ausser der einfachen Attraction, die in Folge der physi- kalischen Eigenschaft der kleinen in einer Flüssigkeit schwimmenden Scheiben auftritt, muss noch eine klebrige Substanz zwischen den letzteren angenommen werden, was zum Theil bereits Robin! ausgesprochen hat. Dass die Substanz Fibrin ist, wird dadurch bewiesen, dass diese „@eld- rollen“ in defibrinirtem Blut nicht so rasch und nicht in solcher Menge erscheinen wie im Blut, das direet dem Gefässe entnommen ist. Ausser dem ist bekannt, dass auch aus defibrinirtem Blut Fibrin ausgeschieden werden kann. Alle Bedingungen, die die Fibrinbildung im Blut ver- langsamen, verlangsamen auch die Geldrollenbildung. Wenn man z.B. einen Frosch in eine 10°/, wässerige Chlornatriumlösung bringt und so lange darin lässt, bis eine Linsentrübung (künstlicher Katarakt) eintritt | und darauf das dem Herzen entnommene Blut untersucht, so erweist sich, dass die Blutkörperchen die Fähigkeit verloren haben sich zu Ketten |) aneinander zu lagern (Fig. 8). Wenn sich die in der Flüssigkeit schwim- menden Blutkörperchen manchmal berühren, so trennen sie sich wiederum sehr leicht, sobald sich die Flüssigkeit bewegt (Fig. Sa). Dasselbe ge schieht mit dem Blute des Hundes und anderer Säugethiere, wenn man es direet aus der Carotis in eine Lösung von kohlensaurem Natron (in * einer Öoncentration wie sie gewöhnlich bei manometrischen Versuchen | über Blutdruck benutzt wird) fliessen lässt; es tritt weder Gerinnung, noch „Geldrollenbildung“ ein (Fig. 9).. Tödtet man einen Hund ! Robin, Sur quelques points de ’Anatomie et de la Physiologie des globules | _ rouges du sang. Archives de Physiologie de Brown-Sequard. 1858. | N Il nn m | ÜBER DIE ÜRSACHE DER GELDROLLENBILDUNG IM BuuTE v. 8. w. 225 durch Erstickung, so behalten die Blutkörperchen noch die Fähigkeit sich zu gewissen Figuren aneinanderzulagern; diese Figuren bilden sich aber lanesam und nicht so vollständig, wie vor der Erstickung. Diese Erscheinung tritt übrigens schärfer hervor bei nicht ganz jungen Hunden, deren Blut nach der Erstickung gewöhnlich langsamer gerinnt. Unter- sucht man das Blut eines Hundes vor und nach der Vergiftung durch Alkohol (bis zur völligen Berauschung), so überzeugt man sich, dass die Geldrollenbildung im vergifteten Blut viel langsamer eintritt. Nach Rollet’s Untersuchungen! behält das mit Kohlenoxyd vergiftete Blut die Fähigkeit zu gerinnen, ebensowenig büssen in diesem Falle die Blut- körperchen die Fähigkeit zur Kettenbildung ein. Die Elektrieität zerstört, wie Rollet gezeigt hat, die Geldrollen, weil sie die Blutkörperchen zer- stört. Leitet man Sauerstoff durch defibrinirtes Blut, so kann man die Bildung der Geldrollen beschleunigen, dasselbe geschieht durch Ozon, aber nur im Beginn der Wirkung, so lange Form und Grösse der Blut- körperchen erhalten sind. Man sieht also, dass alle Bedingungen, durch welche die Gerinn- barkeit des Blutes erhöht wird, auch auf die Geldrollenbildung von Ein- fluss sind und umgekehrt. Die Substanz, welche die Blutkörperchen aneinanderkettet, kann uichts anderes als Fibrin sein. Wenn meine Erklärung richtig ist, so kann die in Rede stehende Erscheinung als diagnostisches Moment bei einigen mit Respirations- und Cireulationsstörungen einhergehenden Krankheitsformen benutzt werden. In verschiedenen Krankheiten, wo die Ernährung und Oxydirung des Blutes gestört ist, muss die Geldrollenbildung ganz fehlen, oder die Aneinanderlagerung der Blutkörperchen im Blutpräparat wird eine andere sein. Die Literatur enthält schon einige Fingerzeige in dieser Richtung. Bei Heidenreich?’ findet man folgenden Passus: „Häufig beobachteten „wir, dass die rothen Blutkörperchen, statt sich zu Geldrollen zu ver- „einigen, in unregelmässigen Gruppen sich sammelten. Meistentheils „fand dieses bei fieberhaften Zuständen statt“. An einer anderen Stelle „eitirt der genannte Autor Murchison, nach welchem „bei Typhus „exanthematicus das Blut sehr flüssig war, die rothen Blutkörperchen „gewöhnlich gefurcht erscheinen und unregelmässige Formen hatten. „Auch verloren sie die Eigenschaft, sich in Geldrollenform zu gruppiren“. Einige Beobachtungen, die ich an Kranken in den Kliniken des 1A.20. 1 Dr. L. Heidenreich, Klinische und mikroskopische Untersuchungen über den Parasiten des Rückfallstyphus. Berlin 1877, 8. 8 und 9. Archiv f. A, u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 15 236 JOHANN DoGIEL: ÜBER DIE URSACHE DER GELDROLLENBILDUNG U. $. W. Prof. Subotin und Winogradoff gemacht habe, bestätigen meine oben ausgesprochene Vermuthung über die Bildung der Geldrollen im Blut aus einer Stichwunde. Bei einem Kranken mit Lungenentzündung, aus der Klinik des Prof. Subotin, beobachtete ich eine fast momentane Bildung der Geldrollen mit rascher Ausscheidung von Fibrin, während bei einem an Lungentuberculose leidenden Patienten aus der Klinik von Prof. Winogradoff, die Blutkörperchen aus einer Stichwunde eine ganz andere Lagerung zeigten, als es beim gesunden Menschen der Fall ist. Solcher Beobachtungen an Kranken besitze ich vorläufig sehr wenige, sie können daher auch nicht zu Schlussfolgerungen benutzt werden. Aus den hier niedergelesten Beobachtungen schliesse ich, dass die nächste Ursache der Geldrollenbildung im Blute des Menschen und der Thiere nicht von der Form und Grösse der Blutkörperchen, sondern hauptsächlich von einer klebrigen Substanz — dem Fihrin, abhängt. Schliesslich scheint die „geldrollenbildung“ im Blute des Menschen von dem Gesundheitszustand abzuhängen und kann somit als diagnostisches Mittel bei gewissen Krankheitsformen benutzt werden. Zur Lehre der Innervation der Lymphherzen. Von Dr. med. M. L. Scherhej aus Russland. Die Frage, wo das Centrum der Lymphherzen gelegen ist, ob im Centralnervensystem oder analog dem Blutherzen in den Lymphherzen selbst, kann durch die bisherigen Untersuchungen noch nicht als gelöst betrachtet werden. Der erste Versuchsweg zur Entscheidung dieser Frage wäre der, zu prüfen, ob die vom Centralorgan getrennten Lymphherzen ihre Bewegungen, analog dem Blutherzen, weiter fortsetzten oder ein- ' stellten. Im ersteren Falle wäre der Beweis geliefert, dass das Centrum im Centralnervensystem zu suchen sei. Dieser Versuch ist schon von Volkmann! gemacht worden; er durchschnitt die Medulla beim Frosch und beobachtete, dass die Lymphherzen unbehindert weiter pulsirten. Trennte er dagegen die Lymphherzen von jeder Verbindung mit dem hückenmarke, so beobachtete er einen sofortigen Stillstand der vier ‚ Lymphherzen. Er zog nun hieraus den Schluss, dass das Centrum für diese Herzen im Rückenmark zu suchen sei. Eckhard? machte dann auf den von Volkmann übersehenen Umstand aufmerksam, dass der ‚Stillstand nach Isolirung der Lymphherzen vom Rückenmarke nur ein vorübergehender sei, die Pulsationen kehrten nach kürzerer oder längerer Zeit wieder zurück. Eckhard behauptete daher, dass die Centren für die Lymphherzen in dem Herzen selbst liegen, ganz analog dem Blut- herzen. Den Stillstand der Lymphherzen unmittelbar nach ihrer Isoli- rung vom Rückenmarke. suchte er in der Weise zu erklären, dass im I Dies Archiv, 1844, 8. 419. 2 Henle und Pfeuffer, Zeitschrift für rationelle Mediein. 1850. Bd. IX. 1958 228 M. L. ScHERHES: Rückenmarke Centren für die Herzen vorhanden seien, welche durch ge- wisse Nerven hemmend auf die Herzen wirken. Werden die Hemmungs- nerven stark gereizt, wie bei der Trennung der Lymphherzen vom Rücken- marke, so erfolgt zunächst Stillstand der Herzen. Diese wichtige Thatsache könnte aber nur dann beweisen, dass das Centrum für die Lymphherzen im Herzen selbst sich befinden, wenn nach- gewiesen wäre, dass dieses Phänomen der wiederkehrenden Bewegungen bei jedem vom Rückenmarke getrennten Herzen wahrzunehmen sei und dass diese wiederkehrenden Bewegungen wirkliche Pulsationen und nicht etwa nur Zuckungen sind, wie dies Heidenhain behauptet. Kommen aber diese wiederkehrenden Bewegungen nur in seltenen Fällen vor und haben sie auch nicht den Charakter einer Pulsation, so würde dieses dafür sprechen, dass das Centrum im Rückenmarke zu verlegen ist. Da demnach die Lehre von der Innervation der Lymphherzen noch nicht genügend aufgeklärt schien, habe ich unter gütiger Leitung des Hrn. Professor Munk, für dessen freundliche Unterstützung ich meinen besten Dank abstatte, in seinem physiologischen Laboratorium eine Ver- suchsreihe angestellt, deren Resultate in Kürze mitgetheilt werden sollen. Behufs Lösung der Frage, ob jedes vom Rückenmarke getrennte Herz wieder zu pulsiren anfängt, nachdem es bereits stillgestanden hat, wiederholte ich zuerst die schon gemachten Isolirungsversuche. Die vom Rückenmarke isolirten Lymphherzen standen in der Mehrzahl der Fälle still und blieben auch dauernd bewegungslos. In sehr seltenen Fällen traten jedoch kleine Bewegungen ein. Diese Bewegungen trugen mehr den Charakter einer Pulsation als einer Zuckung, wenn sie auch viel kleiner und unregelmässiger waren, als die Pulsationen vor Trennung der Herzen vom Rückenmarke. Dieses Resultat machte es wahrschein- lich, dass das Centrum der Herzen in das Rückenmark zu verlegen sei. Die erneuten Bewegungen, welche nach Aufhebung des Zusammenhanges der Lymphherzen mit dem Rückenmarke sich nur in der Minderzahl der Fälle einstellen, rühren, wie sich zeigen lässt, her von der Eintrocknung der Organe und von dem Reize der äusseren Luft auf die Nerven oder auf die Ganglien, die nach der Behauptung von Waldeyer in den Organen selbst oder in der Umgebung derselben sich befinden. Isolirt man nämlich die Lymphherzen und brinst sie sofort unter mit feuchtem Papier ausgelegte Glasglocken, so zeigte sich die Zahl der Lymphherzen, bei denen nach dem Stillstand Bewegungen wieder eintreten, ausser- ordentlich vermindert, gegenüber denen, welche bei trockener Luft ihre Bewegungen wieder aufnahmen. Dieses Resultat spricht mit grosser Wahrscheinlichkeit dafür, dass die wiederkehrende Bewegung durch äussere Bike a #r ZUR LEHRE DER INNERVATION DER LYMPHHERZEN. 229 Einflüsse hervorgerufen wird. Wir würden noch mehr zu dieser Annahme berechtigt sein, wenn wir den direeten Beweis liefern könnten, dass die Lymphherzen, die nach der Aufhebung ihres Zusammenhanges mit dem kRückenmarke stillstanden, wieder zu schlagen anfangen, sobald man ex- _ perimentell einen Reiz auf sie wirken lässt. Diesen Beweis zu liefern ist mir in der That gelungen. Nachdem eine grosse Anzahl von Lymphherzen vom Rückenmarke isolirt und zur Ruhe gekommen waren und in diesem Zustande längere Zeit verharrten, wurden sie mit dem Finger oder mit der Sonde gereizt; sofort begannen die Pulsationen: auch ein Wasserstrahl hatte denselben Bflect. Auf einen Reiz erfolgten gewöhnlich mehrere Pulsationen, bald darauf Stillstand, bei erneutem Reize wiederum mehrere Pulsationen und abermaliger Stillstand u. s. f. Selbst nachdem die Herzen 24 Stunden lang stillgestanden hatten, gelang es noch, in der angegebenen Weise, manche wieder in Bewegung zu versetzen. Ob in den Herzen wirklich Ganglien vorhanden sind, deren Reizung die Pulsationen zur Folge hat, oder ob es nur die peripheren Nerven allein sind, die durch einen sie treffenden Reiz die Lymphherzen schlagen machen, bleibt zunächst dahin sestellt. Es geht jedenfalls aus unseren Versuchen soviel hervor, dass, wenn Ganglien im Lymphherzen vorhanden sind, sie nicht automatisch wirken, sondern nur auf Reize functioniren. Auf einen schwachen Reiz erfolgen nur wenige unregelmässige Bewegungen der Lymphherzen und man kann sich wohl vorstellen, dass die Luft im Stande ist, auf die Ganglien oder die Nerven der Lymphherzen einen solchen Reiz auszu- üben und diese so zu kleinen Bewegungen zu veranlassen; hat jedoch der Reiz eine gewisse Stärke erlangt, wie bei unseren Versuchen, so er- hält man vollständig regelmässige Pulsationen. Die Centren, denen die Rolle zuzuertheilen ist, einen andauernden starken Reiz auf die Lymph- herzen auszuüben und so diese in stetiger rhythmischer Pulsation zu er- halten, sind demnach im Rückenmark zu suchen. Lymphherzen ohne Rückenmark wären also trotz ihrer selbständigen Centren vollständig wirkungslos, weil der vom Rückenmark ausgehende Impuls fehlt, der die Bewegung der Lymphherzen auslöst. Auch eine andere Art des Versuches, nämlich der Versuch mit der Zerstörung des Rückenmarkes, den Volkmann gemacht hat und ich vielfach wiederholt habe, bestätigt zur Genüge die Richtigkeit meiner Behauptung. Auch hier waren es nur eine geringe Zahl von Herzen, die nach der Zerstörung des Markes wieder zur Bewegung zurückkehrten. Diese Zahl war aber grösser, als die Zahl der pulsirenden Lymphherzen bei den Isolirungsversuchen. Da dieser Widerspruch nur durch eine ungenügende Zerstörung des Rückenmarkes erklärlich schien, so zerstörte 230 M. L. SCHERHEJ: ich nochmals das Rückenmark mit der Sonde und es stellte sich heraus, dass jetzt nur in ungefähr eben so viel Fällen Bewegungen wieder ein- traten, als bei der Isolirung. Diese Zahl liess sich noch verringern, wenn man die Präparate sofort nach der Zerstörung des Rückenmarkes unter eine mit feuchtem Papier ausgelegte Glocke brachte. Die Resultate bei der Zerstörung des Rückenmarkes stimmen also überein mit denen bei der Isolirung. Wenn auch diese Versuche mit grösster Wahrscheinlichkeit ergeben, dass der Sitz der Bewegscentren im Rückenmarke gelegen ist, hielt ich doch die Frage erst dann für vollständig gelöst, wenn es gelang, einen directen Beweis für unsere Behauptung beizubringen. Hatten wir in unseren bisherigen Versuchen bei Zerstörung des Rückenmarkes Stillstand der Lymphherzen gesehen, so stand zu erwarten, dass bei Erregung des Markes die Lymphherzen in beschleunigte Pulsation versetzt werden würden. Die Erregung des Markes lässt sich einmal durch directen Reiz herbeiführen und zweitens durch Einbringung gewisser Gifte, z. B. Strych- nin und Picrotozin. Bekanntlich erhöht Strychnin die Reflexerregbarkeit, d. h. die Erregbarkeit der motorischen Centren des Rückenmarkes derart, dass beim geringsten, schliesslich selbst gar nicht nachweisbaren Reize, energischer Tetanus eintritt. Ist nun meine vorher aufgestellte Behaup- tung, den Sitz der motorischen Centren im Rückenmarke betreffend, richtig, so müssten bei einem Frosch, dem man Strychnin injieirte, die Lymphherzbewegungen beim Eintritt des Tetanus sich beschleunigen. Zur Veranschaulichung dieser Verhältnisse greife ich aus meinen Versuchs- protokollen ein Beispiel heraus. Beim Frosch werden die hinteren Lymph- herzen frei gelegt, diese machen 18—20 Pulsationen in einer viertel Minute; alsdann Injection von mässigem Quantum Strychnin unter die Brusthaut, 8 Minuten darauf Tetanus, während desselben die Pulsationen der Lymphherzen äusserst beschleunigt, auch unmittelbar danach war die Beschleunigung der Pulse noch deutlich bemerkbar (ungefähr 27—28 Pulsationen in 1/, Minute), die Respirationen waren nach dem Tetanus ebenfalls noch sehr beschleunigt. So lange die Zuckungen ' schnell aufeinander folgten, so lange hielt die Beschleunigung der Lymph- | herzen und der Respiration ziemlich an. Als weiterhin nur auf Appli- cation von Reizen Zuckungen eintraten, nahmen die Pulsationen und Respirationen in dem Zeitraum zwischen einem Tetanus und dem nächst- folgenden ab, während die Pulsationen beim Tetanus und unmittelbar darauf stets beschleunigt waren. Die Respiration war immer nur nach dem Tetanus beschleunigt. Späterhin trat bei Fröschen, denen man eine ziemlich grosse Dose Strychnin injieirte, stets ein Stadium der Er- schlaffung ein, in welchem’ der Frosch auf keinen Reiz in Tetanus ver- Zur LEHRE DER INNERVATION DER LYMPHHERZEN. 21 fiel, die Respiration war immer vollständig sistirt; der Frosch lag wie todt da, jetzt standen auch die Lymphbherzen ganz still. Oeffnet man nunmehr die Brusthöhle, so sieht man das Blutherz in normaler Weise pulsiren. Lässt man einen solchen mit Strychnin vergifteten Frosch so lange liegen, bis er sich so weit erholt hat, dass er auf Reize wieder reagirt und in Tetanus verfällt, so treten auch die Pulsationen der Lymphherzen wieder ein. Man beobachtete verschiedene Grade von Er- holung; der Frosch kann sich so weit erholen, dass er auch ab und zu von selbst eine Respiration macht, hier constatirt man auch hin und und wieder eine pulsirende Bewegung der Herzen. Uebt man auf einen solchen Frosch einen Reiz aus, so geräth er in starken Tetanus und die Lymphherzen pulsiren dabei energisch und frequent. Die Respiration ist auch nach dem Tetanus viel beschleunigter und deutlicher. Nach Auf- hören des Tetanus standen die Herzen entweder ganz still oder machten nur hin und wieder eine sehr kleine Bewegung, gleichzeitig war auch eine kleine Respirationsbewegung wahrzunehmen. Bei anderen Fröschen besteht die Erholung nur darin, dass sie auf Reize reagiren und zwar jedesmal mit Tetanus. Pulsationen kamen in diesen Fällen auch nur während des Tetanus und unmittelbar darauf vor, ebenso treten hier die Respirationen nur nach dem Tetanus ein. Nach dem Tetanus bewegten sich die Lymphherzen eine kürzere oder längere Zeit, dann erfolgte Still- stand, bis irgend ein Reiz den Frosch von Neuem in Tetanus versetzte und die Lymphherzen und Respirationsorgane wieder ihre Thätigkeit aufnahmen. Diesen Versuch wiederholte ich ausnahmslos mit demselben Erfolg. Dieses verschiedene Verhalten in den drei verschiedenen Stadien eines mässig mit Strychnin vergifteten Frosches, nämlich: die beschleu- niste Bewegung der Lymphherzen im ersten Stadium der spontan ein- tretenden Zuckungen, dann der Stillstand der Herzen im zweiten Stadium, dem Stadium der Erschlaffung, und endlich die wiederkehrende Bewegung im dritten Stadium, dem Stadium der Erholung, beweisen auf’s Schlagendste, dass die Bewegungen der Lymphherzen von motorischen Oentren im Rückenmark abhängig sind. Eine weitere Bestätigung wird durch folgenden Versuch geliefert. Durchschneidet man das Kreuzbein bei strychninisirten Fröschen, nachdem _ ein einmaliger Tetanus eingetreten war, so erfolgte ein dauernder Still- stand der Herzen, sogar während eines stetig anhaltenden Tetanus. Injieirt man, um eine sehr schnelle Vergiftung hervorzurufen, eine sehr grosse Dosis Strychnin, so bekommt der Frosch schon nach 1 Minute einen schwachen Tetanus, während desselben Beschleunigung der Lymph- herzenpulsation. Danach liegt er wie leblos da; keine spontane Respiration mehr, keine Reaction auf Reize, dauernder Stillstand der Lymphherzen. 232 M. L. SCHERHET: Dagegen sieht man das frei gelegte Blutherz normal und kräftig pulsiren, Bei so grossen Dosen Strychnin trat Erholung nicht mehr ein. Dieser Versuch zeigt also, dass bei einer grösseren Dose Strychnin, die das Rückenmark sehr schnell lähmt, die Lymphherzen nur während des Tetanus, der ein oder zweimal auftritt, pulsiren und nachher für immer stillstehen. Dieser schnell und für immer eintretende Stillstand der Lymphherzen kann doch wohl nur in Lähmung des Rückenmarkes seinen Grund haben. | Modificirt man diesen Versuch in der Weise, dass man dem Frosch nur ein sehr kleines Quantum Strychnin injieirt, in der Absicht, dem zweiten Stadium, dem der vollständigen Erschlaffung oder Lähmung, das bei einer grossen Dosis Strychnin eintritt, vorzubeugen, so beobachtet man ebenfalls drei verschiedene Stadien, aber diese sind von ganz anderem Charakter. Das erste Stadium nach der Injection, in welchem die Zuck- ungen von selbst, d.h. nicht durch einen nachweisbaren peripheren Reiz hervorgerufen, eintreten, möchte ich bezeichnen als das Stadium der selbständigen Zuckungen. In diesem Stadium sind die Pulsationen während und unmittelbar nach dem Tetanus sehr beschleunigt, ebenso sind die Respirationen bedeutend vermehrt. Später tritt ein zweites . Stadium, das der unvollständigen Erschlaffung, ein. Hier treten Zuck- ungen nur auf nachweisbare Reize auf; der Frosch unterscheidet sich scheinbar in nichts von einem normalen Thiere; er ist aller seiner - Functionen mächtig, nur in abgeschwächtem Grade; er athmet ruhig aber langsam, bewegt sich frei, nur nicht mit gleicher Energie, wie vor der Injection, auch die Lymphherzbewegungen sind deutlich verlangsamt. Im dritten Stadium der viel weniger vollständigen Erholung, zeigt sich zwar noch in so fern die voraufgegangene Strychnininjection von Wirkung, als der Frosch auf kräftige Reize noch immer mit Tetanus antwortet. Die Athmung und die Bewegung .der Lymphherzen sind während dieses ganzen Stadiums beschleunigt. Ziehen wir nun aus unseren Versuchen mit Injection von Strychnin den Schluss, so ergiebt sich, dass erstens volle Analogie zwischen Respira- tion und Lymphherzbewegungen besteht. dass zweitens bei Einwirkung einer kleinen Dose von Strychnin, welche die Erregbarkeit der Centren erhöht, die Lymphherzen in beschleunigte Pulsationen gerathen, während das Blutherz unbeeinflusst in normaler Pulsation beharrt, dass drittens, nachdem durch grösse Dosen von Strychnin eine vollständige Lähmung des Rückenmarkes erzielt worden, die Bewegungen der Lymphherzen gänz- lich sistiren, das Blutherz ungehindert weiter pulsirt. Alles dies beweist unzweifelhaft, dass die motorischen Centren der Lymphherzen im Rücken- mark ihren Sitz haben. 7/uUR LEHRE DER INNERVATION DER LYMPHHERZEN. 233 Einen zweiten directen Beweis für unsere Behauptung giebt folgender Versuch. Durchschneidet man nach Freilegung der hinteren Lymph- herzen die Medulla ablongata, so stehen die Lymphherzen einige Augen- blicke still, pulsiren aber dann mit grosser Beschleunigung, die jedoch nur einige Augenblicke anhält, um dann einem normalen Pulse Platz zu machen. Darauf fangen die Pulsationen an, nach und nach sich zu vermindern, wahrscheinlich durch die fortwährende Abnahme der Func- tionsfähigkeit des Rückenmarkes. Die Pulsationen nehmen von Stunde zu Stunde immer mehr ab, endlich erfolet vollständiger Stillstand. Be- _ rührt man nunmehr eine Stelle der Schnittfläche von der Medulla mit der Sonde, so beginnen diese sofort zu pulsiren und zwar antworten die Herzen auf jeden Reiz mit je 4—5 kräftigen Pulsationen. Diese Versuche wurden stets mit demselben Resultate wiederholt. Bei manchen Lymphherzen, die sehr frühzeitig zu pulsiren aufhörten, kehrten die Be- _ wegungen wieder, sobald die Medulla in der angegebenen Weise gereizt ' wurde, andere, die nie vollständig zu pulsiren aufgehört hatten, sondern —— EEE — ‚ nur schwächer, langsamer und unregelmässiger geschlagen hatten, fingen auf Berührung des Rückenmarkes mit der Sonde auf's kräftigste zu pul- siren an. Würden die motorischen Öentren im Lymphherzen selbst liegen und nur die Hemmungscentren im Rückenmark ihren Sitz haben, so könnten doch unmöglich die in Stillstand versetzten Lymphherzen auf mechanische Reizung des Rückenmarkes hin in neue Bewegungen ge- rathen. Im Gegentheil müssten die noch pulsirenden Lymphherzen auf Reizung des Markes ihre Bewegungen sistiren. Erwähnen wir schliesslich noch eines Experimentes, das von ganz anderen Prineipien ausgehend, uns genau zu demselben Resultat geführt hat. Die vorderen Lymphherzen werden bekanntlich vom Nervus brachialis versorgt. Ich durchschnitt nun den N. brachialis möglichst weit von der Wirbelsäule entfernt, in der Gegend der Achselhöhle; die Lymph- ‚ herzen pulsirten weiter, sogar in beschleunigtem Tempo. Ich reizte als- dann das centrale Ende dieses Nerven; die Frequenz nahm noch zu. Als aber der N. brachialis unmittelbar neben der Wirbelsäule durch- ' schnitten wurde, standen die Lymphherzen still und nahmen ihre Pul- ‚ sationenen nicht wieder auf. Die Erklärung für dies entgegengesetzte, sich scheinbar widersprechende Resultat bei Durchschneidung des N. brachialis an verschiedenen Stellen lässt sich nur in der Weise geben, dass bei Durchschneidung des N. brachialis an einer von der Wirbel- säule sehr entfernten Stelle, damit noch nicht der Zusammenhang der ee mit dem Rückenmark aufgehoben ist, da der Zweig des Brachialis, der die Lymphherzen versorgt, schon vorher oberhalb des Schnittes zu ihnen getreten ist; die Lymphherzen stehen also noch 234 M.L. SCHERHEJ: ZuR LEHRE DER INNERVATION DER LYMPHHERZEN. in Verbindung mit dem Rückenmark und die eingetretene Beschleunigung rührt von dem Reize her, den der Nerv beim Durchschneiden erfährt. Aus gleichem Grunde erfolgt auf Reiz des centralen Endes eine Beschleunigung der Pulse. Geschieht aber die Durchschneidung noch an der Wirbelsäule, so hat man damit den Connex der Lymphherzen mit dem Rückenmarke- aufgehoben; es erfolgt augenblicklicher Stillstand, ein neuer Beweis für das Rückenmark als den Träger der motorischen Centren für die Lymph- herzen. Ich will bemerken, dass ich, nachdem ich dies Experiment häufig wiederholt hatte, nur bei der Mehrzahl der Fälle das geschilderte Resultat erhalten habe; Stillstand erfolgt freilich in allen Versuchen, in einigen zeigte jedoch das Herz kurze Zeit nach erfolgtem Stillstand er- neute Bewegungen, die weit kleiner und unregelmässiger waren als vor Durchschneidung des Nerven. Ich möchte diese wiedereintretenden Be- wegungen vergleichen mit den zurückkehrenden Pulsationen der Lymph- herzen nach Zerstörung des Rückenmarkes. = Ein Beitrag zur Physiologie der Athmung und der Vasomotion. Von Dr. Wilhelm Filehne, ausserord. Professor an der Universität Erlangen. Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen. Im Archive für experimentelle Pathologie und Pharmakologie wird demnächst eine Arbeit von mir über die Wirkung des Morphins auf die Athmung erscheinen. Die betreffende Untersuchung hat mich zu einigen Thatsachen und Gesichtspunkten geführt, die ich gesondert an dieser Stelle mittheilen möchte. Da aber in der erwähnten Abhandlung auch der physiologische Theil ausführlich gehalten ist, so werde ich das hier zu bietende ganz kurz fassen dürfen und muss den sich für die Einzel- heiten interessirenden auf jene Arbeit verweisen. Bei Kaninchen lässt sich durch Einspritzung von 0-1 Morphinsalz in die Blutbahn in jedem Falle eine starke Verlangsamung der Athmung ‚ auf einige Zeit herbeiführen, was allgemein bekannt ist. Nach einiger Zeit und namentlich bald bei grösseren bez. wiederholt dargereichten Giftgaben wird aber die Athmung (bei normaler Blutcirculation bez. Blutdruck und Herzschlag) wieder frequent und anscheinend normal, was in den Lehrbüchern nicht angegeben ist. Nach der herrschenden An- ‚ sieht ist die Verlangsamung der Athmung bedingt durch die erregbar- keitsvermindernde Wirkung, welche das Gift auf das Athmungscentrum ausübt; ja, man hat sich gewöhnt, als die Folge eines jeden die Erreg- barkeit jenes Centrums herabsetzenden Einflusses die Abnahme der Re- spirationsfreguenz und Athmungsgrösse zu fordern. Meine Versuche und deren experimentelle Analyse führen mich zu der Auffassung, dass jene Anschauung nicht richtig sein kann. Weder ist die spätere Wiederbe- schleunigung der Athmung ein Beweis dafür, dass die Erregbarkeit nach- 236 WILHELM FILEHNE: her wieder zur Norm zurückgekehrt sei, noch beruht die vorhergehende Verlangsamung auf der Verminderung der sogen. Erregbarkeit. Dass in jenem späteren Stadium, in welchem die Athmung wieder anscheinend normal ist, die Erregbarkeit enorm herabgesetzt ist, beweise ich dadurch, dass dieselbe Serie von künstlichen Lufteinblasungen, welche am normalen Thiere gar keine Apnoe herbeiführte, jetzt apnoische Pausen bis zu 30 Secunden veranlasst. Die zunehmende Dauer der Apnoeen bei zunehmen- der Vergiftung beweist die progressive Abnahme der Erregbarkeit, obwohl die Respiration sich wieder beschleunigt. Ein genauerer Maassstab als die Dauer der Apnoeen ist in dem Gaszustande des Blutes bei spon- taner, nichtdyspnoischer Athmung gegeben: Nicht aus dem Rhythmus | und der Frequenz der Athmung, sondern aus der Bestimmung des vorhandenen Reizes ceteris paribus ist die Erregbarkeit zu bestimmen. Und dieser vorhandene Reiz ist bei normal blei- bender Circulation ja ausschliesslich im Gaszustand des Blutes gegeben. Schon die Ueberlegung a priori zeigt, dass bei Gleichbleiben des O-Verbrauchs und der CO,-Production eine einfache einmalige Er- | regbarkeitsverminderung des Centrums (wo dann aber die Erregbarkeit constant bliebe) die Frequenz und Ausgiebigkeit der Athmung nicht ı ändern kann. Denn das auf diese Weise bedingte Deficit der Ventilation würde den Blutreiz (um einen kurzen Ausdruck für den vom Gaszustande des Blutes herrührenden Athmungsreiz zu haben) vermehren und Dyspnoe veranlassen; hierzu kann es aber in Wirklichkeit nicht kommen, da die durch den stärkeren Reiz sofort in normaler Weise erregte Athmung eine progressive Verschlechterung des Gaszustandes des Blutes nicht eintreten lässt; dagegen muss eine constant bleibende Verschlech- terung des Gaszustandes die Folge der verminderten Erregbarkeit sein, da beispielsweise aus einer Apnoe heraus es länger dauert bis der Athem- mechanismus (bei nunmehr constant bleibendem Gaszustande) zu spielen beginnt, als bei normaler Erregbarkeit. — Aus dem Erörterten geht, wie : ich an der eitirten Stelle des Weiteren ausführe, hervor, dass (bis herab zu jener bekannten erforderlichen Minimalgrenze des O-Partiardruckes) der O-Gehalt der spontan eingeathmeten Luft ohne Einfluss ! auf den Gasgehalt des Blutes ist; vielmehr richtet sich dieser aus- schliesslich nach dem Athmungsbedürfnissei. e. Erregbarkeit des respiratorischen Öentrums. In der Agone, die ja aber nur relativ kurze Zeit dauert, kommt es dagegen zu einer progressiven Verschlechterung des Gaszustandes bei rapid sinkender Erregbarkeit, wo dann das rapide Sinken sleicluOTE N Folge und Ursache der Blutverschlechterung ist. N Sonach sind die bisherigen Beweise für die eregbarkeitsrormindernde \ Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER AÄTHMUNG UND DER VASOMOTION. 237 Wirkung des Morphins auf das Athmungscentrum zwar entkräftet, die Wirkung selber aber durch neue Beweise sicher gestellt. Falls irgend ein Eingriff den Athmungsreiz nicht verändert (durch Circulationsstörung, elementare Veränderung des Blutes, Behinderung des Gaswechsels, Veränderung des Athmungsbedarfes durch plus oder minus von Muskelthätigkeit u. s. w.), so ist weder eine Veränderung der Erreg- barkeit des respiratorischen Centrums an und für sich von einer Ver- änderung des Athmunssrhythmus gefolgt, noch lässt das Vorhandensein oder Fehlen der letzteren irgend einen Schluss auf die Erregbarkeit des Centrums zu. Die Ursache einer Veränderung des Rhythmus ist daher nach unserer heutigen Kenntniss in den Aenderungen der Hemmung zu suchen, welche dem Erguss der Erregung des Centrums entgegensteht und in den Aenderungen derjenigen Factoren zu suchen, welche ver- stärkend oder abschwächend auf diese Hemmung einzuwirken vermögen. _ Diesen Zusammenhang bezüglich der Athmungsverlangsamung und späterer _ Beschleunigung bei Morphinvergiftung zu ergründen, habe ich bis zu einem gewissen Grade in eingangs erwähnter Veröffentlichung erstrebt. — | j | | 3 | | 1 | \ | | ) | | | | | | | | | | een In jenem Stadium verlangsamter Respiration ist die Athmung oft scheinbar unregelmässig. Eine genauere Registrirung derselben jedoch zeigt, dass es sich um eine periodische. Veränderung der Athmung handelt, die oft überraschend regelmässig wiederkehrt und am häufigsten eine deerescendo verlaufende ist: andere Formen sind: 1) die zusammen eine Gruppe bildenden Athemzüge sind ganz gleich, oder seltener: 2) es geht die Athmung crescendo oder 3) die Athmung verläuft in Form des Cheyne-Stokes’schen Phänomens, d. h. erst crescendo, dann decrescendo. Gleichzeitig mit (und zwar über) der Athemcurve wurde auch die Curve des Blutdrucks aufgenommen. Am einfachsten gestalten sich die Bilder der Curven bei atropinisirten Thieren. Das Atropin wurde vor dem Morphin gegeben und zwar geschah die Atropinisirung zu dem Zwecke, um gewisse, später zu erwähnende Folgen einer dyspnoischen Vagusreizung zu eliminiren. Bei den atropinisirten Thieren steigt jedes Mal einige Zeit vor Beginn der Athmungsperiode der Blutdruck, ist über (d. h. gleichzeitig mit) dem Maximum der Athmung am höchsten und sinkt symmetrisch zum ansteigenden Theile der Curve nach Schluss der Athmung wieder ab, so dass die Druckeurve über den Athmungs- perioden einen symmetrisch gekrümmten, etwas früher beginnenden und später endenden Bogen darstellt. Zuweilen macht der Blutdruck die gleiche Periode durch, ohne dass es unter jenem Bogen zu Athemzügen käme, während das Umgekehrte nicht statt hat. Da die Veränderungen des Druckes in meinen Curven sich sowohl mit als ohne gleichsinnige Veränderungen der Herzelevationen zeigen, so ist die Arterieneontraction 238 WILHELM FILEHNE: das primäre, während eine Verstärkung der Herzarbeit, wo sie überhaupt nachweisbar, als secundär, als Reaction gegen die Drucksteigerung auf zufassen ist. Dass die Steigerung des Drucks vor Beginn der Athmung eine dyspnoische ist und das die spätere Senkung als eine apnoische aufzufassen ist, habe ich in jener Arbeit ausführlicher dargelegt; ein Beweis jedoch sei hier erwähnt: Bei längeren Pausen zwischen den Athmungsserien sieht man durch die Arterienwandungen hindurch das Blut gegen das Ende der Pause dunkler und dunkler werden; während der Athmung wird das Blut immer heller und zwar athmet dann das Thier noch zu einer Zeit, zu der das Blut bereits viel heller ist als gegen Schluss der letzten Pause, so dass also im Vergleich hierzu das Thier vorher bei viel venöserem Blute nicht athmete. Wenn aber gegen Ende der Athemperiode ein Thier trotz besser arteriali- sirten Blutes und gesteigerter Triebkraft für den Blutzufluss (d.h, trotz erhöhten Blutdruckes) Athmungsbedürfniss hat, während es vorher bei schlechterem Blute und geringerer Triebkraft (Blutdruck) keinen Ath- mungsreiz empfand, so ist eine Erklärung hierfür in ungezwungener Weise nur folgendermaassen herbeizuführen: um bei apnoischem Blute Athembewegungen zu veranlassen, haben wir sehr viele Möglichkeiten; aber alle derartigen Eingriffe haben (abgesehen von den hier nicht in Betracht kommenden psychischen, z. B. Willensimpulsen) das gemeinsame, dass sie den Zufluss des apnoischen Blutes zur Medulla oblongata ver- mindern. Wie kann aber bei gesteigerter Triebkraft (Blutdruck) weniger Blut zur Medulla oblongata fliessen? Nur dadurch, dass die von uns erwiesene, den Blutdruck steigernde Contraction der Arterien sich besonders an den Arterien der Medulla oblongata geltend macht, diese also verengt und so den Blutzufluss trotz gesteigerter Triebkraft | vermindert. Dass die Arterien des Athmungscentrums besonders früh und stark in Folge des zunehmenden Blutreizes (Athmungsbedürfniss) von ihren Öentralapparaten zur Contraction veranlasst werden, muss als eine von jenen vielen äusserst plausiblen und nützlichen Steuervorrich- tungen des Organismus angesehen werden. Es wird auf diese Weise das Athmungscentrum bei (überwindbaren) Erstickungszuständen schon zu einer Zeit aufs höchste alarmirt und zu rettendem Dyspnoeathmen veranlasst werden, wo der Gaszustand des Blutes noch gar nicht 80 schlecht ist und an und für sich direct das Athmungscentrum noch nicht ad. maximum erregen würde. Dass eine derartige Einrichtung dem Ge- sammtorganismus nützt, leuchtet ein. — Unter dieser, wie mir scheint, unabweisbaren Annahme, dass sich bei der dyspnoischen Gefässcontrac- tion die Arterien der Medulla oblongata besonders stark betheiligen, wird | auch die erescendo verlaufende Athmung (wo sie gerade vorkommt) ) Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER ÄTHMUNG UND DER VASOMOTION. 239 verständlich. Trotz der durch die begonnene Athmung vorgenommenen Verbesserung des Blutgaszustandes und trotz steigender Triebkraft für die Blutzuleitung nimmt im Athmungscentrum der Reiz zu — was eben nur erklärlich ist, wenn durch besonders starke CGontraction der Arterien des Centrums der Blutzufluss vermindert ist. — Bei den nicht atropinisirten Thieren ist jenes symmetrische Verhalten der Blutdruckseurve zuweilen zwar ebenfalls ausgesprochen; indessen zeist sich hier als häufig sehr störendes Moment zur Zeit der grössten Athmungsleistung eine Verlangsamung des Pulsschlages, welche auf einer dyspnoischen Erregung des Vaguscentrums beruht, wie aus dem Fortfall der Erscheinung bei künstlicher Athmung oder ohne diese nach Vasotomie oder Atropinisiren hervorgeht. Die durch diese zuweilen sehr bedeutende Pulsverlangsamung repräsentirte Verminderung der Herzarbeit kann nun mehr oder weniger die Blutdruckeurve sinken machen und da dieses Sinken zeitlich zusammenfällt mit dem Maximum der dyspnoischen blutdrucksteigernden Arteriencontraction, so resultiren aus diesem Zu- sammentreffen die mannichfaltigsten Combinationen, wegen derer ich auf meine mehrfach eitirte Arbeit verweise. — | Wird die Eliminirung des oben erwähnten Vaguseinflusses nicht mittels Atropin, sondern mittels Durchschneidung beider Vagi bewirkt, ‚so sind die Curven denen der atropinisirten Thiere keineswegs gleich. | Namentlich ist eines ganz gegen die Erwartung ausgefallen. Da der ‚ Eintritt der Athembewegungen nach der Vagotomie besonders verspätet ‚wird, so sollte man doch glauben, dass der Zeitraum vom Steigen des ‚Drucks an bis zum Eintritte der ersten Athmung sich verlängern müsste. ber gerade das Gegentheil tritt ein. Die Drucksteigerung ist noch ‚mehr verspätet als der Eintritt der Athmung und die Druck- ‚Steigerung ist steiler und bedeutender. Bei weiterer Verfolgung ‚dieses Gegenstandes bin ich zu der Ueberzeugung gekommen, dass im ‚Vagus Fasern enthalten sind, welche zum vasomotorischen ‚Centrum in demselben Verhältniss stehen, wie die inspira- ‚torischen Vagusfasern zum Athmungscentrum. Während der ‚Apnoe verursacht die elektrische Reizung dieser Fasern keine Druck- ‚steigerung; sobald sie aber gereizt sind, entladen sich die vom „Blut- reize“ (im oben erörterten Sinne) veranlassten Erregungen leichter und ge- linder und nur bei nicht apnoischen Thieren bewirkt ihre Reizung eine Drucksteigerung. Unter normalen Bedingungen besitzen sie ebenso wie ‚die inspiratorischen Vagusfasern einen Tonus. Was den Tonus dieser "inspiratorischen Fasern angeht, so glaube ich, wird es nicht genügen, ‚ihn, wie es allgemein geschieht, ausschliesslich von der Zerrung der Lungenvagusenden durch die Erweiterung und das Collabiren der 240 | WILHELM FILEHNE: Lunge (bei den Athembewegungen) abzuleiten: Gerade nach einer längeren Apnoe-Pause, wo also die Zerrung längere Zeit nicht stattgefunden hat und die Reizung längst verklungen sein müsste, sehen wir (nur bei intacten Vagis), worauf Traube zuerst aufmerksam machte, die Ath- mung von unmerkbaren Anfängen, ganz seicht beginnen. Demnach kommt die Erregung der Vagusenldigungen auch ohne Zerrung zu Stande und da scheint denn doch die Venosität des Lungenblutes den Reiz für die Vagusendisungen abzugeben. Dass diese Vorstellung nichts mit der Re- flextheorie zu thun hat, liegt auf der Hand. Vom teleologischen Ge- sichtspunkte aus muss es übrigens sehr zweckmässig erscheinen, dass das respiratorische Centrum seine Fühlfäden bis in’s Lungenblut ausstreckt und dass der Eintritt seiner Thätigkeit schon dann befördert wird, wenn ungenügend arterialisirtes Blut in den Lungencapillaren sich befindet, also zu einer Zeit und an einem Orte, wo dıe sofort veranlasste Athem- bewegung die Störung rechtzeitig beseitigt. Das gleiche Moment dürfte als Reiz für den Tonus der von mir angenommenen, mit dem vasomo- torischen Centrum verknüpften Vagusfasern zu beschuldigen sein. Das Auftreten der periodischen Athmung beziehe ich darauf, dass das Morphin zuerst die Erregbarkeit des respiratorischen Centrums mehr schädigt, als die des vasomotorischen; die Periodieität verschwindet bei | stärkerer Vereiftung, weil dann das vasomotorische Centrum eben so sehr gelitten hat wie das respiratorische. _ Nachtrag. Die mehrfach eitirte Arbeit und das Vorstehende waren bereits ab- geschlossen, als am 12. März d. J. in der Zeitschrift für physiolog. Chemie \ eine Arbeit von E. Herter: „Ueber die Spannung des Sauerstoffs im arteriellen Blut“, sowie einige an diese Arbeit angeschlossene Betrach- tungen Hoppe-Seyler’s über die Ursache der Athembewegungen er- ' schienen. Meine andere Arbeit war bereits zum Druck gegeben. Dass ich auch den Wortlaut des vorstehenden nicht änderte, hoffe ich in fol- sendem zu rechtfertigen: z Die überaus wichtige und interessante Beobachtung Herter’s, dass | das arterielle Blut eines spontan athmenden Hundes eine Sauerstoll- | spannung zeigen kann, welche grösser ist als jener Partiardruck des Sauerstoffs, der ein Gasgemisch befähigt venöses Blut mit Sauerstoff voll- | Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER ATHMUNG UND DER VASOoMoTIoN. 241 ständig zu sättigen, darf in ihrer Tragweite nicht überschätzt werden. Freilich ist entgegen der allgemeinen Annahme trotz spontaner Ath- mung in Herter’s Fällen das Arterienblut absolut mit O gesättigt. Ganz abgesehen indessen davon, dass von den 5 aufgeführten Versuchen nur 3 diese hohe Spannung beweisen (2 halten sich innerhalb der Pflü- ser’schen Zahlen), so ist es doch (um zunächst das formelle Substrat der Versuche zu diseutiren) sehr fraglich, ob ein geknebelter, aufgebundener Hund, der aus psychischem Antriebe oder wegen erschwerten Zu- oder Abflusses des Hirnblutes bekanntlich sehr oft eine über das normale hinausgehende Athmung zeigt, zur Entscheidung der vorliegenden Frage ein zulässiges Material darstellt. Es steht fast zu vermuthen, dass jene Thiere nicht aus Gründen des Gaswechselbedürfnisses des Blutes, sondern aus psychischer Veranlassung oder wegen behinderter Hirneireulation oder aus sonstigen anderen Gründen ihre Lungen so ventilirten — kurz dass sie in diesen Versuchen ihr Blut apnoisch machten.! In diesem Gedanken werden wir nicht nur nicht wankend, sondern sogar bestärkt durch folgende Worte Herter’s (S. 103, Anm.): „Es verdient hervorge- hoben zu werden, dass in allen diesen Versuchen die Bedingungen für die Respiration durchaus keine hesonders günstige waren; die Thiere wurden mit zugebundener Schnauze durch Fesselung der Extremitäten in Rückenlage erhalten“. Das „Zubinden der Schnauze“ bot nun ent- weder kein Respirationshinderniss dar, — und dann gilt das oben Ge- sagte ohne weiteres, oder es stellte ein compensirbares Hinderniss dar (dass es nicht zur Erstickung führte, also compensirt werden konnte, geht aus der guten Arterialisation des untersuchten Blutes hervor), — und dann gilt, was in Ludwig’s Institut für die compensirbaren Respira- tionshindernisse bei Hunden durch Köhler gefunden wurde: nämlich, dass die inspirirten Luftmengen grösser als in der Norm sind, dass mit einem Worte das Hinderniss übercompensirt wird. Es ist also sehr wohl möglich, dass von den 5 Versuchen Herter’s nur 2 Versuche solche Hunde betreffen, deren Arterienblut normal war, und dies sind die Fälle mit nicht nachweislich gesättigtem Blute, während die 3 anderen Versuche Hunde mit apnoischem, übermässig gelüfteten Blute betreffen. Um die Versuche beweisend zu machen, müssten .sie an Hunden mit normaler, ruhiger Athmung angestellt werden, — die Hunde dürfen während der Blutentnahme nicht aufgebunden sein, sondern müssen sich unter mög- liehst normalen Bedingungen befinden und namentlich nicht die Angst- l Und dass trotz apnoischen Blutes ein Thier athmet, sobald der Zufluss des Blutes zur Medulla oblongata auf irgend eine Weise direct oder indireet behindert ist, ist bereits im Vorstehenden und ausführlicher im Archiv f. exp. Path. discutirt worden. Archiv f.A.u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 16 242 WILHELM FILEHNE: und Zornabhmung haben und es darf keinerlei Circulationsbehinderung für das Hirn eingeführt werden.! Aber selbst angenommen, dass auch unter solchen Umständen sich das normale Arterienblut als absolut an Sauerstoff gesättigt erweisen sollte, selbst dann sind meiner Meinung nach die Bedenken nicht zuzulassen, welche Hoppe-Seyler aus der Beobachtung Herter’s gegen die Rosen- thal’sche Lehre zieht. Hoppe-Seyler will den Reiz zur Athmung nicht im Gaszustande des Blutes gelegen wissen und die Apnoe nicht davon abhängig sein lassen, dass mehr arterialisirtes Blut zum Athmungs- centrum fliesst (ich gebrauche, aus Gründen die weiter unten zur Sprache kommen werden, absichtlich diesen zweideutigen Ausdruck, der es zweifel- haft lässt, ob „mehr Blut“ oder „mehr arterialisirt“ gemeint ist). Das einzige was in unseren Anschauungen zu ändern wäre, wenn sich das normale Arterienblut wirklich im Zustande der O-Sättigung be- finden sollte, wäre, dass wir die Erregbarkeit des normalen Athmungs- centrums bisher unterschätzt hätten: selbst bei normalem Zuflusse von O-gesättistem Blute wäre der aus dem Gasbedürfnisse (direct oder in- direct) für das Athmungscentrum gelieferte Reiz schon genügend, um es zu erregen: die Scala des erforderlichen Reizes, mit der wir die Er- regbarkeit messen, wäre also einfach nur etwas nach oben zu verschieben (statt erst bei °/,, Sättigung an O käme schon bei voller Sättigung der Punkt des Eintritts der Erregung) — das wäre die einzige Consequenz des Herter’schen Befundes, falls er allgemeine Giltigkeit zu bean- spruchen hätte. Minder schwierig ist es den Bedenken Hoppe-Seyler’s bezüglich des „Blutreizes“ und des Wesens der Apnoe zu begegnen. Die Zunnahme des Athmungsreizes bei Venöswerden des Blutes, bei Erstickung, bei Behinderung des Blutzuflusses zur Medulla oblongata, die klinischen Bilder der verschiedentlichst bedingten Formen von Dyspnoe lassen keinen Zweifel darüber, dass der Gasaustausch zwischen Blut und Me- dulla oblongata (und meinetwegen gewissen anderen centralen oder peri- pheren Nervenelementen) den Athmungsreiz in seiner Grösse bestimmt, und da auch die (Herter’sche) Thatsache der O-Sättigung des normalen Blutes sich diesem Schema fügen würde, sobald wir „die Scala verschie: ben, mit der die Erregbarkeit zu messen ist“, so liegt gar kein Grund vor, die Rosenthal’sche Anschauung zu verlassen. — Hoppe-Seyler leitet die Apnoe, das Aufhören der Athmung nach reichlichen Einblasungen von der Ermüdung der Athemmuskeln des sich” 1 Bemerkenswerth ist, dass (in demselben Hefte der betreffenden Zeitschrift) Hüfner mittels seiner neuen spectrophotometrischen Methode in einem (allerdings nur einmal angestellten) Versuche (Nr. 5) das Arterienblut nur zu 1/,; mit O ge- sättigt fand, während 1]; des Hämoglobins sich als sauerstofffrei erwies. Be, CM Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE DER ATHMUNG UND DER VASOMOTION. 243 gegen die Einblasungen sträubenden Thieres ab; er sieht in der stärkeren Ventilation eine Misshandlung und möchte nicht gelten lassen, dass während der Apnoe mehr arterialisirtes Blut zum Athmungscentrum fliesst, mit anderen Worten, dass der Gasaustausch zwischen diesem Öentrum und dem Blute sich während der Apnoe im Sinne einer Reizvermin- derung geändert habe. Sehen wir zuerst zu, welches seine Anhalts- punkte für seine Bedenken sind, und bringen wir dann unsere Beweise zur Stütze der alten Auflassung. Hoppe-Seyler’s Hauptbedenken fliesst aus dem Herter’schen Funde, dass das normale Arterienblut an O gesättigt sei, und er meint, dass daher trotz reichlicher Ventilation eine nennenswerthe Bereicherung des Blutes an OÖ nicht mehr möglich sei (die geringe Zunahme der Menge O’s unter höherem Partiardruck durch einfache physikalische Absorption, komme nicht in Betracht). Wir haben bereits die Gründe angeführt, die uns diese Sättigung des normalen Arterienblutes als noch nicht be- wiesen erscheinen lassen. Aber sie sei selbst zugegeben: Sehen wir doch | dass in den Venen eines reichlich ventilirten Thieres das Blut mit un rn au hellrother, arterieller Farbe fliesst: also muss doch der Gasaus- tausch zwischen Blut und Geweben im Sinne einer Reizverminderung sich geändert haben. Worauf auch immer dieses Roth- bez. Arteriell- bleiben des Blutes, nachdem es die Capillaren passirt hat, beruhen möge (ob auf einer Beschleunigung des Blutstroms oder auf einer Befreiung | von CO, oder Bereicherung an O oder Verminderung des Gas- bez. Athem- bedürfnisses der Gewebe), — jedenfalls ist die Beschaffenheit des in der letzten Capillarstrecke fliessenden Blutes eine derartige,. dass der ' „Blutreiz“ vermindert ist. Und wir sehen, ganz entsprechend der alten Auffassung, dass das Thier erst wieder zu athmen beginnt, sobald jener „apnoische“ Zustand des Blutes abgenommen hat. Hoppe-Seyler stützt ‚ sich in seinen Ausführungen auf die Zahlen, welche Pflüger (durch ‚ Ewald) an Thieren erhielt#bei denen die apnoische Beschaffenheit des Blutes so unbedeutend war, dass, wie Pflüger später ausdrücklich sagt, das Venenblut nicht arteriell war. Es kann uns nicht befremden, dass in diesen Versuchen der O-Zuwachs des Blutes so sehr gering war, immerhin war er da, und überdies ist auch die bedeutende von Pflüger ‚ gefundene Verarmung an CO, für unsere Frage nicht zu vergessen. Wenn wir nun ferner sehen, dass ein morphinisirtes Thier, welches viel weniger als ein normales Thier, oder sogar überhaupt nicht gegen die künstliche Athmung ankämpft, so leicht und für so lange Zeit in ‚ „Apnoe“ zu bringen ist, — wie soll da die Ermüdung der Athemmuskeln | zur Erklärung herangezogen werden? Wo ist da die Misshandlung? Auch an uns selbst können wir beweisende Experimente anstellen. 16* 244 WILHELM FILEHnE: Eın BEITRAG ZUR PHYSIOLOGIE v. S. w. Wenn ich längere Zeit ruhig geathmet habe und versuche dann den Athem anzuhalten, so gelingt mir dies für höchstens 15 Secunden. Habe ich drei bis vier möglichst tiefe Athemzüge gethan, so kann ich den Athem 35 Secunden anhalten, Nach zwanzig Secunden lang dauernder foreirter Athmung gelingt es mir für 50—55 Secunden ohne Respiration zu verbleiben. Damit ist aber die Grenze für mich erreicht. Ich habe 5 Minuten lang so tief als nur möglich geathmet, ich konnte vor Er- müdung, vor Schwindelgefühl, Flimmern nicht weiter athmen, — aber nach einer Pause von 50—55 Secunden musste ich wieder respiriren. Vom Standpunkte der Rosenthal’schen Auffassung sind diese Erschei- nungen klar: drei vier Athemzüge machen eine unvollständige Apnoe; eine forcirte Athmung von 20 Secunden Dauer macht eine vollständige Apnoe, über die hinaus das Apnoisiren nicht zu treiben ist, und die Muskelermüdung verlängert die Apnoe, d. h. die Athempause nicht. Wie will aber Hoppe-Seyler diese Erfahrung erklären? Nach drei bis vier tiefen Athemzügen habe ich keine Spur von Muskelermüdung und doch habe ich danach weniger Athembedürfniss als bei ruhiger Athmung. Nach 20 Secunden langer verstärkter Athmung habe ich nur eine ge- ringe Ermüdung, nach einer mehrere Minuten dauernden eine sehr be- deutende Ermüdung und doch bleibt die Apnoe gleich lang bestehen. Alles in Allem, glaube ich, sind die Bedenken Hoppe-Seyler’s gegen die herrschende Anschauung wohl zu beseitigen, während umge- kehrt eine Unzahl von Bedenken nur schwierig aus dem Wege zu räumen wären, wenn wir die alte Auffassung von der Ursache der Athembe- wegungen und von dem Wesen der Apnoe aufgeben und uns in der von Hoppe-Seyler angedeuteten Richtung eine neue Theorie construiren wollten. Ueber die dunkle Farbe des „Carbolharns‘“. Von E. Baumann und C. Preusse. Aus dem physiologischen Institut zu Berlin. Nach innerer oder äusserlicher Anwendung von Phenol nimmt der der Harn von Menschen und Hunden häufig eine grünliche bis schwarz- braune Farbe an. Zuweilen enthält solcher Harn gleichzeitig Eiweiss und Gallensäuren.! Fuller Henry? gab an, dass die Harnsäure in dem- selben fehle. Beobachtungen und Versuche über denselben Gegenstand liegen ferner vor von Lemaire,® Patchet,* Kohn,’ Haaxmann,° Almen’ u. A.; Bill® sprach die Vermuthung aus, dass die dunkle Farbe des Carbolharns durch eine Oxydation des Phenols (0,H,O) zu Chinon (C,H,O), die im Thierkörper stattfinde, bedingt sei. Auch andere Beobachter (Ultzmann, Salkowski°) waren der Meinung, dass die Ursache dieser Färbung auf die Bildung von Oxydationsproducten aus dem Phenol zurückzuführen sei. Es war aber auch diesen nicht ge- lungen, ein Oxydationsproduct des Phenols aus dem Harn zu isoliren. 1 W. Hoffmann, Beiträge zur Kenntniss der physiolog. Wirkungen der Car- bolsäure und des Camphers. Inaug. Dissert. Dorpat 1866. 2 Brit. med. Journ. 1869. S. 160. ! 3 Lemaire, De lacide phenique et de ses applications a l’industrie, & Ühygiene, aux sciences anatomiques et ü la therapeutique. Paris 1864. % Lancet II, 1872. 5 Arch. f. Dermatol. u. Syphilis I, S. 232. 6 Journ. de med. Bruxelles 1871, S. 149. 7 Zeitschr. analyt. Chem., Bd. 10. 3 Amerie. Journ. of med. Science. 1870. p. 573. 9 Pflüger’s Archiv.u. s. w. Bd. V, S. 356. 246 E. BAUMANN UND (. PREUSSE: Maly! machte darauf aufmerksam, dass der „Carbolharn“ eine Substanz enthalte, die erst ausserhalb des Thierkörpers eine Dunkel- färbung des Harns in Folge einer Oxydation bewirke. In dem von Maly beobachteten Harne bildete die Bräunung oder Schwärzung erst oben eine Zone, und schritt im ruhig stehenden Harn von oben nach abwärts fort. Wie wir später zeigen werden, ist diese Erschei- nung, das Dunkelwerden des „Carbolharns“ beim Stehen an der Luft, zu unterscheiden von der ursprünglichen grünen bis braunschwarzen Fär- bung, welche der frisch entleerte Harn nach Carbolsäuregebrauch zu- weilen zeigt. Man hatte geglaubt, dass die dunkle Farbe des Harns von der Menge des vom Thierkörper aufgenommenen Phenols abhängig sei und dass man aus der Intensität der Färbung letztere beurtheilen könne. Dagegen machte Kohn (a. a. O.) geltend, dass diese Farbe von verschiedenen Umständen abhängig sei, dass sie häufiger und schneller nach äusserer Anwendung von Phenol als nach innerer auftritt. Salkowski (a. a. O.) bestätigte die Angaben von Kohn und zeigte, dass auch bei innerem Gebrauche der Carbolsäure der Eintritt der dunkeln Färbung des Harns mehr abhängig sei von individuellen Verhältnissen als von der Menge der aufgenommenen Carbolsäure.”? In Uebereinstimmung hiermit steht auch die gelegentliche Beobachtung von Hoppe-Seyler, dass die Harn- blase eines mit Phenol tödtlich vergifteten Menschen „einen hellgelb- lichen Urin“ enthielt.’ Die dunkle Farbe des Carbolharns steht nun in der That nicht in Beziehung zu den bisher bekannten Umwandlungsproducten des Phenols im Thierkörper,* sondern sie ist in erster Linie zurückzuführen auf die Bildung von Hydrochinon (C,H,0,), welches wir als ein weiteres Umwandlungsproduct des Phenols im Thierkörper ermittelt haben. Ein stets kleiner, aber doch nicht unerheblicher Theil des dem Thierkörper zuge- führten Phenols wird durch einen Oxydationsvorgang in Hydrochinon über- geführt, der ganz analog ist den Oxydationsprocessen, welche Hoppe- 1 Jahresber. Thierchem. 1, 8. 184. 2 Eine richtige Beurtheilung der vom Thierkörper Eon an Phenol- menge ergiebt sich aus dem leicht zu ermittelnden Gehalt des Harns an Aether- schwefelsäuren. Dieselben nehmen bis zu einem gewissen Grade, d. h. bis zum Ver- schwinden der schwefelsauren Salze aus dem Harn, entsprechend der resorbirten Phenolmenge zu. Unter sonst normalen Verhältnissen treten die. Intoxications- erscheinungen dann ein, wenn die schwefelsauren Salze aus dem Harn ganz oder bis auf Spuren verschwunden sind. 3 Pflüger’s Archiv u.s.w. Bd. V, 8. 477. 4 Baumann, Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. XIII, 8. 291. ÜBER DIE DUNKLE FARBE DES ([ARBOLHARNS. 247 Seyler! in seinen bekannten Untersuchungen über die Wirkung des activen Sauerstoffes beschreibt, der aber ausserhalb des Thierkörpers noch nicht bewerkstelligt werden konnte. Das im Thierkörper gebildete Hydrochinon wird zu einem Theil zu gefärbten Producten weiter oxy- dirt,. zum grösseren Theile erscheint es im Harn als Aetherschwefel- säure, die durch Erwärmen mit Salzsäure leicht in Hydrochinon und Schwefelsäure gespalten wird. Zur Darstellung des Hydrochinons wird der betreffende Harn mit Salzsäure versetzt, auf die Hälfte seines Volumens eingedampft und nach dem Erkalten mit Aether extrahirt. Die ätherische Lösung wird, zur Entfernung freier Säure, mit verdünnter Sodalösung wiederholt ge- schüttelt und von der wässerigen Flüssigkeit sorgfältig getrennt. Der Aether wird nun abdestilirt, und der zur Trockene verdunstete Rück- stand in wenig Wasser gelöst, von den unlöslichen harzigen Massen ab- filtrirt nnd wieder mit Aether geschüttelt. Nach dem Verdunsten des Aethers hinterbleibt nunmehr eine noch gefärbte krystallinische Masse, die durch 1—2 maliges Umkrystallisiren aus heissem Toluol in farblosen Krystallen erhalten wird. Die Analyse der Substanz ergab die Zusam- mensetzung eines Bihydroxylbenzols C,H,(OH),.. 0.1561 8°" Substanz gaben 0.3722” CO, und 0:0783 8% H, O, diese Werthe geben für: Gefunden Berechnet C 65-19, 65-49, H Haan, 5.4 „ Der Schmelzpunkt der Substanz lag bei 168—169°. Dieselbe ist in Wasser, Weingeist oder Aether sehr leicht löslich. Ihre Lösung wird mit Alkalien braun gefärbt, sie redueirt ammoniakalische Silberlösung in der Kälte sofort, und liefert beim Erwärmen mit Eisenchlorid und anderen oxydirenden Mitteln Chinon. Daraus geht mit Sicherheit hervor, dass die aus dem Harn gewonnene Substanz Hydrochinon ist. Die leichte Veränderlichkeit des Hydrochinons, namentlich gegen oxydirende Agentien, unter Bildung braun gefärbter Producte, machte es wahrscheinlich, dass auch die Farbe des „Carbolharns“ mit dem Auf- treten desselben im Thierkörper in Zusammenhang stehe. Um dies zu prüfen, gaben wir einem mittelgrossen Hunde 0-58" reines Hydrochinon mit dem Futter. Der Harn des Thieres zeigte hierauf in exquisiter Weise die grünlich braune Färbung des „Carbolharns“. Dieselbe trat also schon nach einer verhältnissmässig kleinen Gabe von Hydrochinon 1 Zeitschr. für physiol. Chemie. Bd. II, S. 1 fl, 248 | E. BAUMANN unD (. PREUSSE: ein, während nach- einer gleichen einmaligen Dosis von Phenol heim Hunde (und wohl auch beim Menschen) die Farbe des Harns kaum merkbar verändert wird, und zwar aus dem schon angeführten Grunde, weil der grösste Theil des aufgenommenen Phenols in Form von Phenol- schwefelsäure ausgeschieden wird, die keinen Einfluss auf die Farbe des Harns hat, und stets nur der kleinere Theil des Phenols im Organismus in Hydrochinon übergeht. In dem nach Hydrochinonfütterung entleerten Harn fand sich kein freies Hydrochinon, sondern in Uebereinstimmung mit den Untersuchungen von Herter und dem einen von uns, Hydrochinonschwefelsäure.! Die Lösungen dieser sowie der ihr ähnlichen Verbindungen sind aber unge- färbt. Es kann also die Gegenwart derselben in dem frischen „Carbol- harn“ nicht die Farbe desselben bedingen. Die letztere beruht vielmehr auf einer weiteren Oxydation, die ein Theil des Hydrochinons im Thier- körper erfährt, durch welche, wie es scheint, verschiedene, braun gefärbte Producte gebildet werden, die selbst der Untersuchung schwierig zugäng- lich sind. Ein solcher Körper wird dem frischen, noch sauer reagirenden Carbolharn durch Schütteln mit Aether entzogen. Der Rückstand der - ätherischen Lösung löst sich in Wasser mit bräunlicher Farbe und wird auf Zusatz von Ammoniak schwarzbraun. Die Lösung desselben redueirt aber nicht alkalische Silberlösung und giebt bei der Oxydation kein Chinon; sie ist also frei von Hydrochinon. Lässt man den’nach Hydrochinonfütterung entleerten Harn stehen, so tritt bald eine weitere Veränderung der Farbe desselben ein. Der zuerst gleichmässig grünbraune Harn wird alsdann von der Oberfläche aus allmählich schwarzbraun; zugleich wird die Reaction desselben neutral oder alkalisch in Folge beginnender Harnstofizersetzung. Es ist dies genau dieselbe Erscheinung, welche Maly (a.a. O.) beim Stehen von „Carbolharn“ beobachtete, und die man fast bei jedem solchen Harn wahrnehmen kann. Sie beruht auf der Spaltung der Hydrochinon- schwefelsäure und auf der Oxydation des Hydrochinons, die um so rascher eintritt, je stärker die alkalische Reaction ist. Demgemäss enthält der „Carbolharn‘“, der sich in der angegebenen Weise von der Oberfläche aus dunkel färbt, freies Hydrochinon. Dasselbe wird dem Harn durch Schütteln mit Aether ohne Weiteres entzogen; der Rückstand dieses Aetherauszuges zeigte die Reactionen des Hydro- chinons: Reduction alkalischer Silberlösung in der Kälte und Entwicke- lung von Chinon beim Erwärmen mit Eisenchlorid. Fügt man zu frisch entleertem menschlichen Harn eine kleine 1 Zeitschr. für physiol. Chemie. Bd. I, S. 244. Te a ma m 2 u Le U 20 [2m ee SE u ÜBER DIE DUNKLE FARBE DES (!ARBOLHARNS, 249 Menge von Hydrochinon, so wird die Farbe desselben zunächst nicht verändert. Beim ruhigen Stehen dieses Harns tritt aber nach einiger Zeit ganz dieselbe dunkle Färbung von der Oberfläche aus auf, die bei der Zersetzung des „Carbolharns“ beobachtet wird. Die Dunkelfärbung des Harns nach Eingabe anderer aromatischer Substanzen, wie Brenzcatechin, Anilin! und anderen, ist ohne Zweifel auf die Bildung ganz ähnlicher Oxydationsproduete, wie bei dem Phenol, zu beziehen. 1 Schmiedeberg, Archiv der exper. Pathol. und Pharmak. Bd. VII, S. 11. Ueber das Latenzstadıum des Muskelelementes und des Gesammtmuskels. Von Dr. Johannes Gad. Aus dem physiologischen Institut zu Berlin.! Als Helmholtz im Jahre 1850 mit seinen bahnbrechenden Unter- suchungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Nervenreizung beschäftigt war, hatte er Veranlassung, näher als es bis dahin geschehen war, auf die mechanischen Verhältnisse bei der einzelnen Zuckung des quergestreiften Muskels einzugehen.”e Der Muskel diente gleichsam als Hilfsapparat bei Untersuchung der Vorgänge im Nerven und soweit für den vorliegenden Zweck die Wirkungsweise dieses Hilfsapparates in's Klare gesetzt werden musste, ist es damals geschehen. Es darf aber nicht übersehen werden, dass Alles was im Anschluss an die genannte Untersuchung über die zeitlichen Verhältnisse der Energieänderungen des Muskels („Energie“ gleich „mechanische Aeusserung der Thätigkeit*, Helmholtz) entdeckt worden ist, nur Bezug hatte auf die mechanische Thätigkeitsäusserung des Gesammtmuskels, namentlich des Gastro- knemius des Frosches. Dies gilt in erster Linie von dem Latenzstadium, d. h. von der Zeit, welche verstreicht von dem Moment des Eintreffens des Reizes im Muskel bis zu der ersten wahrnehmbaren mechanischen Thätigkeitsäusserung desselben. Seit den Arbeiten Aeby’s über die Fortpflanzung der Contractions- 1 Der wesentliche Inhalt gegenwärtiger Abhandlung wurde in der Sitzung der „Physiologischen Gesellschaft zu Berlin“ am 14. März d. J. vorgetragen. 2 Dies Archiv 1850, S. 71 u. 276; — 1852, S. 199. ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. S. w. 251 welle! und noch mehr seit denen Bernstein’s über die Fortpflanzung der Reizwelle im quergestreiften Muskel? hat man sich an den Gedanken sewöhnt, dass bei der Muskelcontraction die Zustandsänderung jedes Muskelelementes zeitlich verschieden verlaufen kann von der der übrigen Muskelelemente und dass die beobachtete Erscheinungsweise der Zu- standsänderung des Gesammtmuskels nicht ohne Weiteres einen Schluss gestattet auf das Gesetz nach dem die Zustandsänderung im Muskelelement erfolgt. Einen wesentlichen Antheil an der Ausbil- dung dieser Vorstellungsweise hat das Studium der von E. du Bois- Reymond in so meisterhafter Weise aufgeklärten Verwickelungen ge- habt, unter denen sich die einfachen Gesetze des Längs-Querschnittsstromes und der negativen Schwankung an complicirt gebauten Muskeln, wie dem Gastroknemius darstellen. ® Nichtsdestoweniger und obgleich Helmholtz selbst es dahingestellt liess, ob die Energie des Muskels nicht gleich vom Augenblick der Reizung an steige, hat sich im Alleemeinen doch die Ansicht behauptet, dass das Latenzstadium ein wesentliches Attribut der Muskelcontraction sei. Ja Bernstein, welcher entdeckte, dass das Latenzstadium der elektrischen Zustandsänderung des Muskels, wenn überhaupt vorhanden, jedenfalls nicht länger dauere als 0.001 Secunden,® warf nicht die Frage auf, ob diese Thatsache, welche für das Muskelelement ebenso gut gilt als für den parallelfasrigen Gesammtmuskel, nicht analoge Giltigkeit für die mechanische Zustandsänderung des Muskelelementes habe, über welche die Versuche am Gesammtmuskel direct nichts aussagen. Und doch hätte diese Frage beantwortet sein müssen, ehe sich Theorien auf das zeitliche Verhalten des elektrischen und mechanischen Latenzstadiums des Muskelelementes gründen liessen, wie es Bernstein versucht hat. Diese Vorsicht konnte um so nothwendiger erscheinen, als die Angaben _ der Autoren über die Dauer des mechanischen Latenzstadiums weit aus- einandergingen (0.027 Bernstein, — 0.004” Place). | Wenn wir nun die Frage nach der Dauer des mechanischen Latenz- | stadiums des Muskelelementes aufwerfen, so müssen wir diese Frage zu- | 1 Aeby, Ueber Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung im Muskel. Braun- schweig 1862. ? J. Bernstein, Untersuchungen über den Erregungsvorgang im Nerven- und , Muskelsysteme. Heidelberg 1871. N 3 E. du Bois-Reymond, Ueber das Gesetz des Muskelstromes mit beson- ‚ derer Berücksichtigung des M. gastroknemius des Frosches. Dies Archiv. 1863. S. 521. iA. a. O., 1850. S. 313. | > A. a. O., S. 58. — Vgl. Kortschritte der Physik, Jahrg. XXVIIL, S. 1123. } | 252 JOHANNES GAD: nächst etwas näher präcisiren. Unter Muskelelement wollen wir verstehen den zwischen zwei benachbarten, einander sehr nahen Querschnitten ge- legenen Theil einer Primitivmuskelfaser. Wo, wie beim parallelfasrigen, direet gereizten Muskel, die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass die zwischen denselben beiden Querschnitten gelegenen Theile der einzelnen Primitivmuskelfasern in demselben Zeitmoment auch in demselben Zustand sich befinden, soll unter Muskelelement der zwischen zwei Querschnitten gelegene Theil des Gesammtmuskel verstanden werden. Diesen Fall wollen wir als den einfachsten, mit einiger Annäherung realisirbaren, zunächst in’s Auge fassen. Es handelt sich hier vorläufig nicht um eine anatomische, sondern um eine rein physico-mathematische Definition. Aus Bernstein’s Versuchen wissen wir, dass die Aenderung des elektrischen Zustandes des Muskelelementes Function der seit dem Mo- ment des Eintrefiens des Reizes. beim Muskelelement verflossenen Zeit ist. Die Aenderung des elektrischen Zustandes äussert sich in der nega- tiven Schwankung, welche weniger als 0.001 Secunden nach der Reizung des Muskelelementes in diesem einen merklichen Werth erreicht, schnell zu dem Maximum ihrer Grösse anwächst und (nach Bernstein) schon 0.004 Sec. nach ihrem Beginn im Muskelelement ihr Ende erreicht. Was die Dauer der negativen Schwankung (des Muskelelementes) betrifft, , so ist L. Hermann zu einem von dem Bernstein’schen abweichenden Resultat gekommen.! Nach ihm würde die Dauer wesentlich länger sein. Auf Grund eigener, noch nicht veröffentlichter Versuche sehe ich mich | veranlasst, Hermann hierin beizustimmen. Ueber die Ursache der Ab- - weichung der Resultate von Bernstein einerseits und Hermann und mir andererseits kann ich mich an dieser Stelle nicht aussprechen, doch glaubte ich die Thatsache hier nicht übergehen zu sollen, wo Vergleiche zwischen dem zeitlichen Verhalten der elektrischen und mechanischen Zustandsänderung des Muskelelementes einmal angeregt sind. Fassen wir nun die mechanische Zustandsänderung des Muskel- elementes ins Auge, so ist zu unterscheiden diejenige (passive) Aenderung, welche dem Element dadurch aufgedrängt wird, dass es mit anderen in ? Erregung befindlichen Elementen mechanisch verbunden ist, von der- jenigen (activen), welche durch die in Folge der Reizung des Muskel- elementes selbst in demselben ablaufenden Vorgänge bedingt wird. Letztere | wird für eine Theorie der, die Contraction des Muskels veranlassenden | Vorgänge innerhalb desselben allein von Interesse sein, erstere ist aber ! zu berücksichtigen, weil sie, wie sich zeigen wird, auf die Erscheinungs- 1 L. Hermann, Versuche mit dem Fallrheotom über die Erregungsschwankung 1 des Muskels. Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XV, 8. 244. ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. S. W. 253 weise der Muskelcontraction von wesentlichem Einfluss ist. Die aufge- worfene Frage ist demnach so zu fassen: „Welches ist das Latenzstadium der activen mechanischen Zustandsänderung des Muskelelementes?‘ oder: „Sind wir durch die bekannten Thatsachen gezwungen anzunehmen, dass eine merkliche Zeit vergeht zwischen Eintreffen des Reizes beim Muskel- element und dem Beginn der activen mechanischen Zustandsänderung desselben, und welches ist, wenn eine solche Zeit besteht, ihr wahr- scheinlichster Werth?“ Zu bemerken ist noch, dass wir von den mög- lichen mechanischen Zustandsänderungen hier nur diejenigen behandeln können, welche in einer Längeänderung des Muskels ihren Ausdruck finden, da diese bei der graphischen Aufnahme der Muskelzuckung allein in genügend exacter Weise zur Anschauung zu bringen ist. Wollen wir der aufgeworfenen Frage näher treten, so dürfen wir uns nicht verhehlen, dass wir wenig Aussicht haben, dieselbe in directer Weise zu beantworten. Aber eine Analyse der Bedingungen, von denen die Erscheinungsweise der Verkürzung des Gesammtmuskels abhängt, wird uns dem Ziele immerhin etwas näher bringen. Es ist nun zunächst zu untersuchen, welchen Einfluss auf den zeitlichen Verlauf der Verkürzung des Gesammtmuskels die passive mechanische Zustandsänderung der Muskelelemente hat und es ist hier sofort die Thatsache anzuführen, dass an dem unmittelbar von seinem einen Ende aus gereizten parallelfasrigen Muskel, der durch ein Gewicht im Sinne von Helmholtz belastet ist, sich zeigen lässt, dass die von der Reizstelle entfernteren Theile des Muskels, bevor sie in Contraction gerathen, in sehr merklicher Weise gedehnt werden. Der Nachweis wird derartig geführt, dass auf der be- wegten Zeichenfläche eines Myographions die Bewegung eines leichten Zeichenhebels aufgeschrieben wird, welcher mit der Mitte des Muskels verbunden ist, während der unmittelbare Reiz dem unteren Ende des- selben zugeführt wird. Der Zeichenhebel besteht aus zwei Theilen. Der eine ist ein Stück Maurerrohr, welches an seinem einen Ende mit einer Stahlaxe fest ver- bunden ist, die sich in Kernen eines passenden Stativs dreht und in dessen Höhlung am anderen Ende ein Stück festen Korkes eingepasst ist. Der andere Theil ist ebenfalls ein Stück Maurerrohr, welches an seinem einen Ende als Zeichenstift ein gebogenes und zugespitztes Streif- chen Aluminiumblech trägt und an dessen anderes Ende eine starke spitze Nadel befestigt ist. Diese Nadel wird zunächst durch die Stelle des Muskels gestochen, deren Verrückungen untersucht werden sollen, was ohne wesentliche Verletzungen des Muskels ausführbar ist, und dann tief in den Kork des erstgenannten Stückes eingestossen. Besondere Sorgfalt ist der Aufhängung des Muskels zuzuwenden, 254 JOHANNES GAD: welche so einzurichten ist, dass ein Durchbiegen der den Muskel tragen- den Theile bei den Bedingungen des Versuchs nicht vorkommt. Als ausreichend in diesem Sinne erwies sich eine Aufhängung, welche wesent- lich nach dem bei dem Helmholtz’schen Myographion angewandten Princip ausgeführt war. Als Beweis für die genügende Starrheit der Aufhängung wurde angesehen, dass wenn die Nadel des Zeichenhebels durch den unmittelbar unter der Muskelklemme gelegenen Theil des Präparates gestossen war, nie Senkung der Zeichenspitze bei Contraction des Muskels eintrat. Als Muskelpräparat dienten die zusammen heraus- präparirten und einerseits in Verbindung mit dem Becken andererseits mit der Tibia belassenen Mm. gracilis und semimembranosus nicht zu kleiner, curaresirter Winterfrösche (Rana esculenta). Die Tibia wurde in die Muskelklemme eingeklemmt, der die Belastung tragende Muskel- haken wurde durch die Pfanne des Beckens gestossen. Die Zuleitung des reizenden Stromes geschah mittels in °/, Proc. Kochsalzlösung getränkter Wollfäden, welche einerseits um den Muskel’ geschlungen, andererseits in Thonpfröpfe von du Bois’ unpolarisirbaren Elektroden eingeknetet wurden und die zwischen Muskel und Thonpfropf in leichtem Bogen herunterhingen, so dass durch diesen Theil der Ver- suchsanordnung die mechanischen Bedingungen des Versuchs nicht wesent- lich beeinflusst wurden. Als Reize dienten einzelne Oeffnungsschläge eines du Bois’schen Schlitteninductoriums. Die Reize waren übermaximale. Das benutzte Myographion war ein neueres Federmyographion! von du Bois-Reymond. Dieser Apparat ist wegen der grossen Geschwindig- keit, welche der Zeichenplatte ertheilt werden kann und wegen des Um- standes, dass die Zeichenspitze der Platte schon während der Ruhe an- liest, besonders gut zu Versuchen über den Anfangstheil der Muskelzuckung geeignet. Die Schwingungsdauer der Stimmgabel des benutzten Exemplars beträgt 0-00746 Secunden, nach deutscher Bezeichnungsweise. Der oben beschriebene Zeichenhebel führte seine Bewegung in einer der Zeichen- platte parallelen Ebene aus und zwar derart, dass die Bewegung der Zeichenspitze eine der Bewegung der Platte entgegengesetzt gerichtete Componente enthielt. Stellt man nun den Versuch in der Art an, dass die Nadel des Zeichenhebels etwa durch die Mitte des Muskels gestochen ist und der reizende Strom zwei ca. 1°% von einander entfernten Stellen des unteren Endes zugeführt wird, so ist bei nicht zu kleinen Belastungen (ca. 50 sem) 1 Ueber das Federmyographion in seiner ursprünglichen Form siehe: E. du Bois-Reymond, Fortgesetzte Beschreibung neuer Vorrichtungen zu Zwecken der | allgemeinen Nerven- und Muskelphysik. Poggendorff’s Annalen der Physik und Chemie. Jubelband, S. 596. .r ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. Ss. w. 255 der Erfolg ausnahmslos der, dass der Erhebung der Zeichenspitze eine Senkung derselben vorangeht. Die typische Erscheinungsweise des Versuchs stellt die in Fig. 1 gegebene, auf die Hälfte der natürlichen Grösse reducirte Abbildung einer Originalcurve dar, zu deren völligem Verständniss Folgendes anzuführen ist. Die im Anfang der Zeichnung (links) zu oberst verlaufende Linie ist die mit der Zeit wachsende Abscisse; auf welche die Ordinaten der unmittelbar darunter beginnenden Zuckungscurve zu beziehen sind. In diesem Fall ver- läuft die Abseisse fast streng geradlinig, was jedoch nicht in allen Versuchen mit Sicherheit zu erreichen ist. Es ist dies ein Uebelstand, den ich bei dem Exemplar des Federmyographions, welches mir zur Verfügung stand, nicht ganz zu beseitigen gelernt habe, und welches in geringen Durch- biegungen der die Bahn für die Zeichenplatte bildenden Stahldrähte seinen Grund hat. Um mich von diesem Versuchsfehler so viel wie möglich unabhängig zu machen, habe ich ein für allemal die Abseisse genau unter denselben mechanischen Bedingungen gezeichnet wie die Fig. 1. Zuckungscurve, d. h. die Zeichenplatte wurde durch die Feder geschossen (nicht mit der Hand bewegt) während gleichzeitig die Stimmgabel schrieb und der Reizcontact am Myographion wie bei dem darauf folgenden ' Versuch durch die Nase am Rahmen der Zeichenplatte geöffnet wurde. ‚ Der einzige Unterschied bestand darin, dass beim Zeichnen der Abseisse der Inductionsschlag durch einen Vorreiberschlüssel vom Muskel abge- blendet war. Wie genau die mechanischen Bedingungen des Versuchs in beiden Fällen übereinstimmten, erkennt man daran, dass die beiden , nach einander gezeichneten Stimmgabelcurven sich fast vollkommen decken. | ‚ Die Abseisse für die Stimmgabelcurven wurde bei Bewegung der Zeichen- ‚ platte mit der Hand gezeichnet und ist in allen Fällen fast genau gerad- ‚ linig. Die Ordinate im Anfang der Zeichnung bedeutet den auf bekannte Weise ermittelten Reizmoment; ca. 0-012 Sec. nach demselben verlässt ‚ die Zuckungseurve die Abscisse nach unten, um dieselbe ca. 0-06 Sec. ‚nach der Reizung auf ihrer Bewegung nach oben zu schneiden. Der ' weitere Verlauf der Curve ist hier von untergeordnetem Interesse. Betrachtete man diese Versuche, von denen wir ein Beispiel vor ) uns haben, an sich, ohne auf sonstige Erfahrungen Rücksicht zu nehmen, ‚s0 könnte man daran denken, dass ihr Resultat der Ausdruck davon } 256 JOHANNES GAD: wäre, dass die Reizung des Muskelelementes eine Aenderung des Rlastici- tätscoefficienten und zwar eine Vergrösserung der Dehnbarkeit zur ersten Folge hätte. In der That würde eine solche Annahme das beobachtete Phänomen erklären. Dann müsste aber die der Verkürzung voraufgehende- Dehnung auch zur Erscheinung kommen, und zwar in verstärktem Maass, wenn der Zeichenhebel mit dem unteren Ende des Muskels verbunden ist, d. h. bei der bisher üblichen Weise der Aufzeichnung der Muskel- contraction. Bei genügend exacter Versuchsanordnung ist aber eine, der Verkürzung voraufgehende Verlängerung des Gesammtmuskels soviel mir bekannt bisher nie beobachtet worden, so dass die berührte Annahme nicht gemacht werden darf. Der eindeutige Sinn des geschilderten constanten Versuchsergebnisses ist also der, dass die von der Reizstelle entfernteren Theile des parallel- fasrigen, an seinem einen Ende direct gereizten, belasteten Muskels eine Dehnung erleiden, ehe sie beginnen sich zu verkürzen. Dies Resultat erscheint dem Wesen, wenn auch nicht dem Grade nach, als selbstver- ständlich, wenn man folgenden Versuch berücksichtigt. Entfernt man von einer nicht zu groben Wage die eine Wageschale und bringst statt derselben einen mit einem Gewicht belasteten Muskel an, dessen Nerv derartig auf zwei Elektroden gelegt ist, dass er die freie Bewegung des Wagebalkens nur sehr wenig beeinträchtigt und reizt, nachdem die Wage | gut äquilibrirt und beruhigt war, den Nerven durch einen einzelnen In- } ductionsschlag, so sieht man, wie der Wagbalken in demselben Moment, in dem der Muskel zuckt und die Last sich hebt, nach der Seite des Muskels ausschlägt. Muskel und Last üben also in dem Moment der Con- traction einen stärkeren Zug auf den Aufhängungspunkt aus als während || der Ruhe. Ist der Aufhängungspunkt fest, so entzieht sich diese Zug- änderung unserer Beobachtung, ist der Aufhängungspunkt Theil eines ’ Wagebalkens, wie in dem letzten Experiment, so äussert sich die Zug- änderung in Ausschlag der Wage, befindet sich zwischen dem sich con- ’ trahirenden Muskel und einem festen Aufhängungspunkt ein dehnbarer } Körper, wie der noch nicht in Contraction begriffene Theil des Muskels ' in dem früheren Experiment, so ist die Folge der Zugänderung Dehnung dieses Theiles. | | Aus den beschriebenen Versuchsergebnissen folgt beiläufig, was für \ die Versuchstechnik von Wichtigkeit ist, dass die Aufhängung in Bezug | auf Starrheit nicht nur wie Helmholtz es ausführt! bei Versuchen mit | Ueberlastung in Anspruch genommen wird (im Moment des Abhebens ı der Ueberlastung von der Unterlage), sondern auch bei den Versuchen mit Belastung. 1 A. a. 0. 1850. S. 316. I — RBEBE EEE N ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. $. W. 957 Der Grund für die Zugänderung, deren Wirkung wir uns durch den Versuch veranschaulicht haben, ist leicht einzusehen. In der Ruhe übt die Last durch den Muskel an dem sie hängt einen Zug auf den Auf- hängungspunkt des Muskels aus, der gleich dem Gewicht der Belastung ist, also gleich dem Product aus seiner Masse in die beschleunigende Kraft der Schwere. Wird nun der Masse durch den Muskel eine Be- schleunisung nach oben ertheilt, so wirkt gleichzeitig nach dem III. Newton’schen Satz die Last ausser mit dem bisherigen Zug mit einer nach unten gerichteten Kraft auf den Muskel und durch diesen auf den Aufhängungspunkt, welche gleich ist der Masse der Last mal der ihr ertheilten Beschleunigung. Will man also den Fall der Contraction mit in Betracht ziehen, so muss man als Ausdruck für den durch die Last auf den Aufhängungspunkt und auf jeden zwischenliesenden Querschnitt ausgeübten Zug aufstellen 11 ala) wo m die Masse der Last, y die beschleunigende Kraft der Schwere und ! die Länge des Muskels als Function der Zeit bedeutet. Wir vernach- lässigen hier das Gewicht des Muskels gegen das der Last. Experimentell ist also nachgewiesen, dass die passive Zustands- änderung gewisser Muskelelemente im Anfangstheil der Zuckung in einer nicht zu vernachlässigenden Dehnung ihren Ausdruck findet, und aus dem III. Newton’schen Satze folgt, dass der Zuwachs der auf das Muskelelement wirkenden dehnenden Kraft in jedem Zeitmoment gleich ist dem Product aus der Masse der Last mal der ihr in demselben Mo- ment durch den Muskel ertheilten Beschleunigung. Bezeichnen wir mit A die Länge, mit g den Querschnitt, mit & den Rlasticitätscoöfficienten eines elastischen Körpers, welche zur Zeit , die Werthe A,, g, und e, haben mögen, ist ferner p ein, den elastischen Körper dehnendes Gewicht, dessen Grösse Function der Zeit sei und be- zeichnen wir mit dA die Verlängerung des Körpers, welche dadurch her- vorgebracht wird, dass das Gewicht um dp wächst, nehmen wir ferner an, dass die Aenderung von A um dA zeitlich zusammenfällt mit der Aenderung von p um dp, was erlaubt ist, wenn sich p stetig mit der Zeit ändert, so gilt für den Moment z, die Gleichung: dij, 0 % \dö), Analoge Gleichungen gelten für die folgenden Zeitmomente Zt, u. s. w., welche sich von der aufgestellten dadurch unterscheiden, dass in ihnen den Grössen A, g, & die entsprechenden Indices zugefügt sind. Dehnen Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abth. iz 258 JOHANNES GAD: wir aber, wie wir hier thun wollen, unsere Betrachtungen nur auf so kurze Zeiträume aus, dass sich innerhalb derselben die Werthe von A, q, & nicht beträchtlich von ihrem Anfangswerth unterscheiden, so dürfen wir für einen solchen Zeitraum schreiben: NP DE eng, de Beziehen wir jetzt die Bezeichnungen A, g, e auf den Anfangszustand des Muskelelementes und verstehen wir unter p den die Dehnung des Muskel- elementes bewirkenden Zug, für welchen wir nach Obigem den Aus- druck haben d2l p=m la Hr et bezeichnen wir ferner mit In) die Geschwindigkeit der passiven Län- sn genänderung des Muskelelementes, so erhalten wir für diese, wenn wir die Verkürzung eine positive, die Dehnung eine negative Längen- änderung nennen: a dt e 2% dt3 Um zu einem entsprechenden Ausdruck für die Geschwindigkeit der durch die active Zustandänderung des Muskelelementes bedingten Längen- änderung desselben zu gelangen, müssen wir Annahmen über die Natur des Muskels und seiner Kräfte machen. Wir werden uns vorstellen dürfen, dass die Verkürzung des Muskelelementes in Folge der Reizung bedingt sei durch eine anziehende Kraft, welche zwischen den das Element besrenzenden Querschnitten entsteht und die wir contrahirende Kraft nennen wollen. Die Intensität dieser Kraft wird Function der seit dem Eintreffen des Reizes im Muskelelement verflossenen Zeit sein, eine Func- tion über deren Natur Näheres zu erfahren von dem höchsten Interesse sein würde. Hier beschäftigen wir uns mit der Frage, welche Zeit nach dem Eintreffen des Reizes im Muskelelement vergeht, bis die Intensität dieser Kraft einen merklichen Werth annimmt. Die in den Querschnitten vereinigt zu denkenden Massen, auf welche diese Kraft einwirkt, sind als sehr klein anzusehen im Verhältniss zu den aus der Zähigkeit des Muskels gegen die Annäherung der Massen entspringenden Widerständen. Die Kraft, durch welche die in den Quer- schnitten vereinigt gedachten Massen einander genähert werden, wird also so lange ihre Intensität constant ist, nicht zu einer beschleunigten, sondern zu einer gleichförmigen Bewegung der Massen führen und zwar wird die Geschwindigkeit dieser Bewegung gleich sein dem Product aus der ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. Ss. w. 259 auf die Einheit des Querschnitts bezogenen Intensität der Kraft (©) mal 1 ; E dem Querschnitt (9) mal einem Factor age In welchem die Grösse @ von & 6 der bewegten Masse, sowie von der Zähigkeit (und vielleicht auch der jeweiligen Spannung) des Muskelelementes abhängt. Für die Bewegung einer Masse in einem widerstehenden plastischen Mittel unter dem Einfluss einer in der Richtung der x-Axe wirkenden Kraft © kann man nämlich die a aufstellen: wo g die Projection der Oberfläche auf die «-Ebene und der Factor & eine von der Masse des bewegten Körpers umgekehrt und dem Rei- bungscoefficienten direct proportionale Grösse ist. Erfahrungsgemäss tritt ‚bei geringer Masse und grossen Reibungswiderständen sehr bald nach Beginn der Einwirkung der Kraft en Bewegung ein (Flaum- feder in ruhiger Luft fallend), d. h. es wird © : = — (0 und a ae Wir machen nun die Annahme, dass die Verhältnisse beim Muskel der- artig sind, dass der zuletzt definirte Bewegungszustand momentan ein- tritt, wenn i irgendwie geändert wird. Die Berechtigung für die Annahme, dass ausser der Zähigkeit nicht noch eine innere elastische Kraft sich der Verkürzung des Muskelele- mentes entgegenstellt, ist daraus zu entnehmen, dass ein Muskel auf den keine äusseren dehnenden Kräfte wirken, wenn er sich auf einer Queck- silberfläche contrahirt hat, nach Aufhören der Erregung nicht wieder ausdehnt. Im Allsemeinen sind wir nicht zu der Annahme berechtigt, dass die Zähigkeit des Muskelelementes, mithin der. Factor & bei fort- schreitender Contraetion constant bleibe, da wir die Betrachtung jedoch nur auf sehr kleine Theile der Contractionsdauer ausdehnen wollen, so wird die Annahme, dass « für diese kleine Zeit als constant zu betrach- ten sei, erlaubt sein. Als Ausdruck für die Geschwindigkeit der durch die active Zustands- änderung des Muskelelementes bedingten Längenänderung desselben werden wir nach dem Voraufgeschickten aufstellen können: a ag Ehe). NR Da wir annehmen dürfen, dass die wirkliche Längenänderung des Muskelelementes die Resultante aus der aectiven und passiven Längen- iu 260 JOHANNES GAD: r . R e : 2 N 51: änderung desselben sei, so können wir schreiben, wenn wir mit , die Geschwindigkeit der wirklichen Längenänderung des Muskelelementes bezeichnen: ; di dı dh a at), oder mit Benutzung des Früheren RE ENDEN AR EG; dt3 " Die Geschwindigkeit der Verkürzung des Gesammtmuskels ist gleich der Summe der Geschwindigkeiten der Verkürzungen aller einzelnen Ele- mente. Nennen wir erstere Geschwindigkeit g, jede der letzteren 7, beachten wir, dass I (A) genommen über alle Muskelelemente gleich der Länge des Gesammtmuskels (7) ist, so folgt aus dA — dt undndl—Igdt — >04) _ (di) _ I(yde) _ KEDy) _ S( NS Y)- Danach ist der Ausdruck für die Geschwindigkeit der Verkürzung des’ Gesammtmuskels En GA 1 € dal ET. 1 ET Sek wenn den früheren Voraussetzungen die neue hinzugefüst wird, dass die Faetoren - und — für alle Muskelelemente gleich sind. Mit Rücksicht auf die Zuckung des durch Gewichte belasteten Mus- kels haben wir demnach als Maass für die Summe der in jedem Moment thätigen contrahirenden Kräfte den Ausdruck > dl 1 dal welcher uns lehrt, wie wir uns aus der Betrachtung der empirischen Zuckungsceurve ein Urtheil über die jeweilige Grösse von / zu bilden haben. Es ist hierbei zu beachten, dass = proportional der Steilheit dal B 5 = : und „,; proportional der Krümmungsänderung der Zuckungscurve ist, sowie dass die Anschauung der Zuckungscurve uns unmittelbar ein Ur- theil über die Grösse der Steilheit und Krümmungsänderung an die Hand giebt. Die Grössen /, g und m sind der directen Messung zugänglich, schwieriger — und zunächst gar nicht «&, aber es ist möglich und sogar | wahrscheinlich, dass & von derselben Grössenordnung ist wie «. Nimmt | ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES UV. Ss. w. 261 man dies an und bedenkt man, dass zu einer Zeit, wo die Hubhöhe die für die Bestimmung des Latenzstadiums unvermeidliche Fehlergrenze di . dal Tt namentlich aber 78 Werthe erreicht haben können, so erhellt, dass / schon sehr beträchtlich sewachsen sein kann in den späteren Theilen des nach den üblichen Methoden beobachteten Latenzstadiums. Ehe wir weitere Schlüsse aus dieser Einsicht ziehen, müssen wir eingedenk sein, dass eine wesentliche Grundlage unserer Betrachtung durch den experimentellen Nachweis merklicher Dehnung noch nicht in Contraction begriffener Theile des mit Gewichten belasteten Muskels durch die sich contrahirenden Theile gebildet wird. Der Nachweis wurde seführt bei direeter Reizung eines parallelfasrigen Muskels von einem seiner Enden aus. Schon vor Jahren haben sich bedeutende Autoritäten von der Aufnahme ähnlicher Betrachtungen, wie wir sie hier durchgeführt haben, abhalten lassen durch die Erwägung, dass auch bei totaler directer Reizung des mit Gewichten belasteten Gastroknemius ein Latenzstadium von gewöhnlicher Dauer auitrete.! Man nahm an, dass bei totaler di- recter Reizung alle Querschnitte des Muskels gleichzeitig und in dem- selben Maass in Contraction geriethen und glaubte auf die Dehnbarkeit der nicht in Contraction gerathenden Achillessehne sowie auf die Abwei- chung der Richtung der einzelnen Muskelfasern von der Zugrichtung des Gesammtmuskels kein Gewicht legen zu sollen. Um mich nun auf ganz directem Wege davon zu überzeugen, in wie weit unsere Betrachtungen auch auf diesen gewissermaassen classischen Fall Anwendung finden, liess ich Zuckungscurven durch den mit Ge- wichten belasteten Gastroknemius aufschreiben, indem ich ihn, die Achilles- sehne nach oben, aufhing und die Nadel des beschriebenen Zeichenhebels 12” von der Achillessehne entfernt durch den Muskel stiess. Der reizende Inductionsschlag wurde dem Präparat an seinen äussersten Enden zugeführt. Die Zuckungscurve zeigte nun regelmässig zuerst eine Sen- kung unter die Abscisse und dann erst Erhebung über dieselbe. Als Beispiel diene Fig. 2, die Abbildung einer Originalecurve. Dass der Aufhängepunkt bei der Zuckung unverrückt blieb, wurde durch be- sondere Versuche festgestellt. Es hatte also auch hier eine sehr merk- liche Dehnung eines Theiles des Präparates im Anfangstheil der Zuckung Statt. Ob der Grund hierfür darin liegt, dass die dehnbare Achillessehne noch nicht überschritten hat, schon ansehnliche 1 Vel. E. du Bois-Reymond, Ueber die negative Schwankung des Muskel- stromes bei der Zusammenziehung. 3. Abthl. Dies Archiv. 1876. S. 350. — Gesam- melte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1877, Bd. II, S. 572. 262 JOHANNES GAD: an der Contraction keinen Antheil nimmt, oder darin, dass der Gastro- knemius sehr unregelmässig gebaut ist, muss zunächst dahingestellt bleiben. Soviel ist jedenfails festgestellt, dass das Resultat unserer Be- trachtung im Wesentlichen auch auf den direct total gereizten, mit Gewicht belasteten Gastroknemius anwendbar ist. Wir sind also berechtigt, allgemein auszusprechen, dass der Fehler, welchen man gemacht hat, wenn man aus der Erscheinungsweise des Latenzstadiums des Gesammtmuskels einen Schluss machte auf das La- tenzstadium des Muskelelementes, grösser war, als man bisher angenommen hat, und dass jedenfalls die kleinsten beobachteten Latenzstadien dem wahren Werth des elementaren Latenzstadiums am nächsten kommen. Fig. 2. Wir müssen uns also nach Mitteln umsehen, das Latenzstadium des Gesammtmuskels willkürlich zu verkürzen und wir werden sehen, dass der von uns aufgestellte Ausdruck uns hierbei wesentliche Dienste leisten wird. Wir schreiben ihn zu diesem Zweck wieder in seiner ursprüng- lichen Form: ds 1 M — 1 HR a a RO ag oder mit Vernachlässigung der Glieder höherer Ordnung: dl 1 1% d2J | und bedenken, dass das Latenzstadium um so kürzer erscheinen wird, je früher = einen merklichen Werth annimmt. Das erste Glied der rechten Seite können wir dadurch beeinflussen, dass wir die Zahl der gleichzeitig in Contraction gerathenden Muskelelemente möglichst ver- mehren. Dieses könnte dadurch geschehen, dass man möglichst lange Muskeln wählte und diese total reizte, aber man sieht, dass man das erste Glied nicht dadurch zu vergrössern suchen darf, dass man 2 ver- grössert, weil man damit auch das zweite Glied mit negativem Vorzeichen vergrössert. Man wird also weniger auf die Gesammtlänge des Muskels als auf das Verhältniss der musculösen zu den dehnbaren, nicht muscu- lösen Theilen des Präparates sowie auf die Möglichkeit unnachgiehiger ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. $. W. 263 Befestigungen zu sehen haben und den ausgewählten Muskel total reizen. . c pp . 1 . . Was das zweite Glied betrifit, so haben wir den Factor — gar nicht in € unserer Gewalt, auch y zu varliren ist nicht leicht, eine Aenderung von ! ist nicht zweckmässig wegen ihres Einflusses auf das erste Glied, es bleibt also die Variation von m übrig. Nun kann man erfahrungsmässig die Länge des Latenzstadiums durch Variation des belastenden Gewichtes nicht derart beeinflussen, dass ein Gesetz zu erkennen wäre. Dies liegt offenbar daran, dass wenn man die Belastung dadurch vermindert, dass man ein kleineres Gewicht an den Muskel hängt, man gleichzeitig dem Muskel : Ä 2 1 eine geringere Spannung ertheilt und dadurch zunächst den Factor — € vergrössert, bei weiterer Verminderung des Gewichtes auch Gelegenheit zu zickzackförmiger Anordnung der Primitivmuskelfasern giebt. Man muss also auf ein Mittel sinnen, m, d. h. die durch den Muskel direct in Bewesung zu setzende, mit dem Zeichenhebel verbundene Masse zu variiren, ohne die Spannung des Muskels zu ändern. Dies gelingt auf sehr einfache Weise dadurch, dass man das belastende Gewicht einmal direct an dem mit dem unteren Ende des Muskelpräparates verbundenen Zeichenhebel anbringt, und dann dasselbe Gewicht durch Vermittelung eines genügend langen Kautschukfadens. Bei letzterer Anordnung ist die durch den Muskel direct zu bewegende Masse nahezu gleich Null und die Spannung des Muskels dieselbe wie bei der ersten Anordnung. Verfährt man auf diese Weise, so gelingt es nun in der That, die Dauer des Latenzstadiums in sehr merklicher und der Theorie entsprechender - Weise zu beeinflussen. Als Beispiel führe ich folgende Versuche an: 28/5 77. Il. Graeilis und Semimembranosus in der ganzen Länge sereizt; 25em an Kautschukfaden; Latenzstadium: 0-0104 Sec. 25m fest mit Zeichenhebel verbunden ; Latenzstadium: 0.0148 Sec. III. Gastroknemius direct in der ganzen Länge gereizt; 25°" direct an Zeichenhebel; Latenzstadium: 0-0117 Sec. 255” an Kautschukfaden; _ Latenzstadium: 0.0074 Sec. Es scheint nun am Platz zu sein, einen dem discutirten Ausdruck entsprechenden aufzustellen für den Fall der Belastung des Muskels durch gespannte Federn. Wir gelangen sehr einfach zu einem solchen, indem wir von denselben Voraussetzungen ausgehen wie bei Aufstellung des ersten Ausdruckes. Erinnern wir uns der für einen elastischen Körper angenommenen Beziehung al ee iD de © of 264 JOHANNES GAD: und schreiben wir, wenn wir dieselbe auf den Muskel anwenden wollen, so, dass wir für A setzen / und wenn auf die belastende Feder für A, &,g bez. 7, €, g, so erhalten wir: a2 dt / 2 eqa und aus: RE EAN aD RAN eg dei’ (wenn wir annehmen, dass die Spannungsänderung der Feder dp in jedem Zeitmoment gleich derjenigen des mit derselben verbundenen Muskels ist und wenn wir bedenken, dass jedenfalls a EN 2) dp _ dieg dt RE RUE und: N a eig (a mdoaı In Bezug auf die active Zustandsänderung gilt dasselbe wie bei dem erstbetrachteten Fall, so dass wir nach einigen Umformungen haben: nl - ZoR\® “eo &7 l \ 1 I, 0 | Nennen wir nun den Factor a d.h. die Länge, um die der ela- stische Körper gedehnt wird, wenn die dehnende Kraft um die Einheit der Kraft wächst, den Dehnungscoöfficienten desselben und bezeichnen ihn mit ö bez. Ö', so nimmt der Ausdruck die Form an: Dr 1 no (1.5) 1 ue= aus welcher wir ersehen, dass das Latenzstadium um so kürzer erscheinen wird, je grösser cet. par. ö’ gegen Ö ist. Es ist nun zu beachten, dass ö von der Spannung, welche die Feder dem Muskel ertheilt, abhängig ist, aber es giebt bei jeder Art von Federn Mittel, ö’ zu ändern, ohne gleichzeitig die Spannung zu ändern. Thut man dies, so gelingt es wiederum mit Sicherheit, das Latenzstadium in der theoretisch voraus- gesagten Weise sehr merklich zu beeinflussen. Ja bei passender Wahl der Spannung und des Werthes von Ö’ ist es mir wiederholt gelungen, von dem total gereizten Gastroknemius Latenzstadien von nur 0.004 See. j | } ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES U. Ss. w. 265 Dauer zu Gesicht zu bekommen. Die Spannung durfte nicht zu klein und ö° musste möglichst gross sein, damit dieser Erfolg eintrat. Ich hebe dies ausdrücklich noch einmal hervor, weil Place! der Einzige, welcher angiebt, Latenzstadien von gleicher Kürze beobachtet zu haben, dies unter Bedingungen gethan haben will, bei denen ö’ gerade kleiner gewesen sein muss, als bei den Versuchen, bei denen er längere Latenz- stadien beobachtete. Aber die Versuchsanordnung des genannten For- schers war überhaupt kaum geeignet, um Zeitgrössen von dieser Kleinheit mit einiger Sicherheit zu erkennen. Die Zeichenfläche, auf der die Zuckungscurven aufgeschrieben wurden, hatte im Verhältniss zu der des Federmyographions eine sehr geringe Geschwindigkeit und der Reiz- moment wurde nicht in üblicher Weise durch einen besonderen Versuch bei sehr langsamer Bewegung der Zeichenfläche, sondern bei dem die Zuckungseurve liefernden Versuch selbst mit Hilfe eines eingeschalteten Elektromagnetes bestimmt, ohne dass dem in dem Elektromagnet eintre- tenden Zeitverlust Rechnung getragen wurde. Ich lege hierauf nicht deshalb Gewicht, um für mich die Priorität der wichtigen Beobachtung so kurzer Latenzstadien in Anspruch zu nehmen, sondern um Einwürfen, welche aus den Versuchen von Place gegen meine theoretisch voraus- sesagten und die Theorie bestätigenden Versuche entnommen werden könnten, entgegenzutreten. Es ist oben gezeigt, dass das kürzeste zu beobachtende Latenzstadium des Gesammtmuskels dem wahren Werth des Latenzstadiums des Muskel- elementes am nächsten kommt. Nach den bisher mitgetheilten Versuchen würde das mechanische Latenzstadium des Muskelelementes nicht grösser sein als 0.004 Sec. Der Unterschied in der Dauer des mechanischen und elektrischen Latenzstadiums muss also jedenfalls beträchtlich kleiner angenommen werden, als bisher geschehen ist, wenigstens was den will- kürlichen Muskel betrifft, auf den allein sich unsere Versuche und Be- trachtungen bezogen, aber es bleibt eine immerhin ansehnliche Zeit- differenz bestehen und wir sind noch nicht in der Lage anzugeben, ob ‚ dieselbe ausgefüllt ist durch mechanische Zustandsgleichheit oder durch mechanische Zustandsänderungen, die entweder nicht mit Längenänderung verbunden sind, oder wenn sie es sind, noch nicht haben zur Anschauung sebracht werden können. Jedenfalls sind die Hilfsmittel, um der Ver- kürzung des Latenzstadiums des Gesammtmuskels günstige Bedingungen herbeizuführen noch nicht erschöpft, aber leider wurde ich vor jetzt einem Jahr durch äussere Umstände verhindert, die nach dieser Richtung IT. Place, De contractie-golf der willkeurige spieren. Nederlandsch Archief ‚ wor Genees- en Natuurkunde. IIL, p. 177. 266 JOHANNES GAD: geplanten Versuche auszuführen. Ebenfalls durch äussere Umstände sehe ich mich gezwungen, diese Untersuchung in ihrem jetzigen Zustand zu veröffentlichen, ohne die Ausführung der angedeuteten sowie vieler anderer sehr nahe liegender Versuche abzuwarten. Zu diesen Versuchen gehören auch solche, welche Licht verbreiten könnten über Beobachtungen, bei denen das mechanische Latenzstadium des Gesammtmuskels nicht länger als 0.001 Sec. erschien, aber unter einer Form, für deren Erklärung mir eine durch Experimente gesicherte Theorie noch nicht zu Gebote steht. Ich kann diese Beobachtungen hier also nur andeuten, ohne Schlüsse aus denselben zu ziehen. Was nun die aufgestellten analytischen Ausdrücke anlangt, so muss noch einmal hervorgehoben werden, dass bei ihrer Entwickelung, dem vorliegenden Zwecke entsprechend, zunächst nur die in den Beginn der Zuckung fallenden Vorgänge berücksichtigt sind. Für diese haben sich die Ausdrücke insofern brauchbar gezeigt, als sie uns in den Stand ge- setzt haben, die Versuchsbedingungen dem gesteckten Ziel entsprechend. und mit vorausgesagtem Erfolg einzurichten. Die Ausdehnung des Giltig- keitsbereichs und den Grad der Giltiskeit innerhalb desselben zu discu- tiren, ist hier nicht am Ort. Es mag hier nur die Einfachheit der Form des Ausdruckes für den Fall der Belastung durch gespannte Federn gegenüber dem der Belastung mit Gewichten und die Zweckmässigkeit einer derartigen Anwendung von Federn, dass Spannung und Dehnungs- coöffiecient unabhängig von einander variirt werden, hervorgehoben sein. Es mag ferner hier nicht unerwähnt bleiben, dass man. bei einem genaueren Eingehen auf die sich hier darbietenden Fragen gut thun wird, einem Vorgang Rechnung zu tragen, der meines Wissens bisher nicht in den Kreis der Betrachtung gezogen ist und dessen Beachtung ' nach mancher Richtung hin fruchtbar zu werden verspricht. Es handelt sich um die Wellensysteme veränderter Spannung, welche bei der Con- | traction in dem irgendwie belasteten Muskel und bei Belastung mit | Federn auch in diesen entstehen müssen. Um den Vorgang, welchen ich im Sinne habe, näher zu charakterisiren, will ich von einem grob wahr- nehmbaren Phänomen ausgehen. Hält man einen genügend langen Kautschukfaden in der Hand, an dem ein Gewicht hänst, und bewegt die Hand plötzlich nach oben, so wird der Kautschukfaden zunächst gedehnt und es vergeht eine deutlich wahrnehmbare Zeit, bis das Gewicht in merkliche Bewegung geräth. ! Der diesem Phänomen zu Grunde liegende Vorgang ist offenbar folgender. Die mit der ersten Bewegung der Hand verbundene Spannungsänderung und Dehnung des obersten Theiles des Fadens pflanzt sich als Welle mit der Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Schalles über den Faden fort. Bei | —— ÜBER DAS LATENZSTADIUM DES MUSKELELEMENTES UV. S. w. 267 dem Gewicht angekommen wird sie reflectirt, aber nicht in ihrer ganzen Stärke, da ein Theil ihrer lebendigen Kraft dem Gewicht mitgetheilt ist. Wäre der Faden statt mit dem Gewicht mit einem im Raume festen Punkt verbunden, so würde die Welle in ihrer ganzen Stärke reflectirt. Besässe das Gewicht nicht mehr träge Masse als das letzte Element des Fadens, so würde von der Welle gar nichts reflectirt, sondern ihre ganze lebendige Kraft zur Bewegung des Gewichtes verwandt. Dasselbe würde Statt finden, wenn der Faden nicht dehnbar wäre. Das Verhältniss des Theiles der lebendigen Kraft der Welle, welcher in der reflectirten Welle enthalten ist zu dem, der zur Bewegung des Gewichtes verwandt wird, ist abhängig von der Masse der Längeneinheit des Fadens, der Masse des Gewichtes und von der Dehnbarkeit des Fadens. Ist die theilweise reflectirte Welle bei der Hand wieder angekommen, so wird sie hier total reflectirt und läuft zum Gewicht zurück, um diesem einen neuen Bewegungsimpuls zu ertheilen und von ihm wieder geschwächt reflectirt zu werden und so fort, bis die Welle theils wegen der Reibung im Faden, theils wegen Abgabe von lebendiger Kraft an das Gewicht erlischt. Der ersten Welle waren, so lange die Bewegung der Hand dauerte, immer neue mit wesentlich gleichem Schicksal gefolgt, welche Sich alle einander und der ersten Welle superponiren. Da jede Welle oft den Faden wird durchlaufen müssen, ehe sie die lebendige Kraft, welcher sie ihre Entstehung verdankt, an das Gewicht übertragen hat (bis auf den durch Reibung verloren gegangenen Theil), so ist erklärlich, . weshalb trotz der so bedeutenden Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Wellen eine direct wahrnehmbare Zeit vergeht, ehe das Gewicht in merk- liche Bewegung geräth. Analoge Vorgänge müssen in dem mit Gewichten belasteten Muskel eintreten, sobald aus inneren Gründen an einer oder mehreren Stellen ‚ desselben Spannungsänderungen entstehen. Aus dieser Betrachtung lassen ' sich zwei wichtige Schlüsse ziehen. Erstens folgt aus derselben, dass das Latenzstadium des mit Gewichten belasteten Gesammtmuskels wesent- ' lich länger sein muss als das des Muskelelementes und dass es nicht nur, wie Helmholtz annimmt, möglich ist, dass „die Energie gleich vom Augenblick der Reizung an stiege, aber so langsam“, dass die Ge- schwindigkeit ihres Ansteigens in den ersten 0-01 Secunden nach der Reizung verschwände gegen die in den nächsten 0.004 Secunden, sondern dass es auch möglich und sogar sehr wahrscheinlich ist, dass sie unmit- telbar oder sehr bald nach der Reizung mit derselben Geschwindigkeit stiege wie später, aber eine Zeitlang in Gestalt der geschilderten Wellen Sich der Beobachtung mittels der gewöhnlichen Methoden entzöge. Zweitens wird es sehr wahrscheinlich, dass ein guter Theil der bei 268 JOHANNES GAD: ÜBER DAs LATENZSTADIUM U. S. W. der Contraction des mit Gewichten belasteten Muskels entstehenden Wärme dem durch Reibung eintretenden Verlust dieser Wellen an leben- diger Kraft ihren Ursprung verdanke. Auch an den akustischen Phä- nomenen des thätigen Muskels werden diese Wellen ihren Antheil haben. Aehnliche Vorgänge werden in dem durch gespannte Federn belaste- ten Muskel bei der Contraction eintreten, doch wird sich hier jede Welle als solche in die Feder selbst fortpflanzen. Das Verhältniss der Ampli- tude der an der Verbindungsstelle von Muskel und Feder reflectirten und der in die Feder übergehenden Welle wird von dem Verhältniss des Dehnungscoöfficienten des Muskels (6) und der Feder (6) abhängen und zwar wird die Welle um so weniger durch Reflexion geschwächt sich in die Feder fortsetzen, je grösser 0’ gegen Ö ist, und um so eher wird auch die Bewegung eines mit dieser Stelle verbundenen Zeichen- hebels merklich werden. Dieses ist der Fall, welcher bei denjenigen meiner Versuche realisirt war, bei denen ich Latenzstadien von nur 0.004 Secunden beobachtete. Noch kürzere Latenzstadien würde man wahrscheinlich zu sehen bekommen, wenn es gelänge, die Zeit, nach welcher die vom festen Punkt der Feder reilectirte Welle bei dem Zeichen- hebel wieder anlangt, wesentlich zu verlängern. Fassen wir die Resultate, welche diese als Fragment zu betrachtende Untersuchung als sicher ergeben hat, noch einmal zusammen: | 1. Der belastete Muskel übt, so lange er bei seiner Contraction der . Last eine Beschleunigung nach oben ertheilt, einen stärkeren Zug au seinen Aufhängepunkt aus als in der Ruhe. 2. Die noch nicht in Contraction begriffenen Theile des Muskels (auch Sehnen) erleiden aus diesem Grunde eine merkliche Dehnung. 3. Das mechanische Latenzstadium des Gesammtmuskels ist aus demselben Grunde wesentlich länger als das mechanische Latenzstadium des Muskelelementes. 4. Das kürzeste zu beobachtende Latenzstadium des Gesammtmuskels kommt dem wahren Werth desjenigen des Muskelelementes am nächsten. 5. Das kürzeste Latenzstadium des Gesammtmuskels kam zur Beob- achtung bei Belastung durch gespannte Federn, deren Dehnungscoöfhicient (siehe 5. 264) möglichst gross ist im Verhältniss zum Dehnungscoöffieienten des Muskels. | 6. Das mechanische Latenzstadium des Elementes des willkürlichen Muskels ist jedenfalls nicht länger als 0- 002 Secunden, Ueber die Construction und Verwendung des Capillar- Elektrometers für physiologische Zwecke. Von Dr. Ernst von Fleischl in Wien. Aus dem physiologischen Institut der Universität Wien. Unter den zahlreichen aus der physikalischen Technik entlehnten Behelfen der Nerven- und Muskelphysiologie fehlte bis jetzt ein Instru- ment, welches die in einem Kreise vorhandenen Ströme nach ihrer elektromotorischen Kraft oder nach ihrer Intensität mit solcher Schnellis- keit und mit so geringer Einmischung der Trägheit der Massen anzeigte, dass der jeweilige Stand des Index immer als dem augenblicklichen elektrischen Zustande des Kreises entsprechend, und somit die Bewegungen des Index als ein getreues Abbild der elektrischen Bewegungen im Kreise angesehen werden durften. Bei allen bisher angewendeten Elektro- metern, Galvanometern, Dynamometern u. s. w. war die Dauer der Schwin- sung des Magneten oder des Solenoids so gross, dass die Bewegung des Index schon aus diesem Grunde weit davon entfernt blieb, eine Vor- stellung von dem zeitlichen Verlaufe der elektrischen Vorgänge im Kreise zu geben. Bernstein hat bekanntlich diese Schwierigkeit durch die ungemein Sinnreiche Construction seines Differential-Rheotoms zu überwinden ge- wusst und man verdankt der Anwendung dieses Apparates eine Reihe von Angaben über den zeitlichen Verlauf elektrischer Vorgängeim Nerven und im Muskel; doch liest es in den Bedingungen dieses Instrumentes, dass die Resultate, die es ergiebt, erst nachträglich zur „punktweisen“ Construction einer Schwankungscurve verwendet werden können. 270 ERNST v. FLEISCHL: In dem von Lippmann vor einigen Jahren, auf Grund eines — so viel ich weiss — von Erman im Beginn dieses Jahrhunderts zuerst bemerkten Prineipes, erfundenen Capillar-Elektrometer glaubte ich nun die Eigenschaften wahrzunehmen, welche nothwendig sind für ein In- strument, das elektrische Veränderungen mit fast verschwindender Ver- zögerung anzeigen soll. Ich habe mich also seit einem Jahre mit dem Studium der Eigen- schaften dieses schönen Instrumentes beschäftigt und einige, so viel ich weiss noch nicht beschriebene, aber gerade für den Physiologen wichtige Beobachtungen an demselben gemacht. Auch schien mir manches an der Construction des Instrumentes wesentlicher Verbesserung fähig, ja bedürftig; und im Verlaufe meiner Erfahrungen gelangte ich endlich zur Annahme des im Folgenden be- schriebenen Modelles, welches ich den Hrn. Mechanikern Meyer und Wolf! zur Ausführung überlassen habe. Aus einer dicken kreisrunden Eisenplatte, die auf dei Stellschrauben. steht, erheben sich zwei Säulen, von denen die eine das Elektrometer, die andere das Beobachtungs-Mikroskop trägt. Letzteres ist auf folgende Arten beweglich aufgestellt. Durch Lockerung der Schraube « erhält der wie ein Fernrohrauszug eingerichtete obere Theil der Säule seine Beweglichkeit. Hierdurch kann das Mikroskop in vertikaler Richtung um beträchtliche Strecken gehoben oder gesenkt werden. Der Zweck dieser „groben“ Einstellung ist, das Mikroskop ungefähr in eine dem unteren Ende der Capillare entsprechende Höhe zu bringen. Die feine Einstellung in vertikaler Richtung geschieht durch Drehen an der Kreis- scheibe A, welche auf ihrer oberen versilberten Fläche am Rande eine Eintheilung in 100 Theile trägt, die beim Drehen an der Spitze eines kleinen Index, der in der Zeichnung erkennbar ist, sich vorüberbewest. Die Verschiebung des Mikroskopes parallel mit sich selbst in der Horizontalebene wird durch Drehen der Schraube B bewerkstelligt. Wie sich aus dem Folgenden ergiebt sind in dieser Richtung niemals grosse Verschiebungen nöthig, wesshalb auch auf die Anbringung einer groben Einstellung verzichtet wurde. Die dritte Bewegung des Mikroskopes, die längs seiner Axe ist hin- gegen wieder mittels grober und feiner Einstellung möglich. Zur feinen Einstellung dient die Schraube C, die grobe Einstellung wird durch Verschiebung des Tubus in der Hülse aus freier Hand besorgt. Das Ocular des Mikroskopes ist ein Messocular, d. h. es trägt in der Ebene seines Diaphragma’s eine in Glas geritzte Theilung, welche beim Ge brauche vertikal zu stellen ist. ma en, Beethovengasse. ÜBER CONSTRUCTION UND VERWENDUNG DES ÜAPILLARELEKTROMETERS. 271 Die andere Säule besteht aus einem ge- nau cylindrisch abge- drehten Messingrohre von 26”" äusserem Durchmesser, und trägt drei verstellbare Hülsen (von denen in der perspectivischen Zeiehnung bloss ein Theil der mittleren sichtbar ist) und oben eine Tasse mit Rand zur Aufnahme einer Flasche. Die Hülsen sind der Länge nach aufgeschnitten, und an den Schnittflächen Flanschen angebracht, welche von Schrauben durchbohrt sind, so dass durch Anziehen der Schrauben die Hül- sen fest um die Säule gepresst werden. ohne letztere zu beschä- digen. Von der in der Zeichnung theilweise sichtbaren mittleren Hülse geht ein Arm zuerstnachrunten, dann nach der Seite, welcher an seinem freien Ende eine runde Tasse mit niedrigem Rande trägt. Diese Tasse dient zur Aufnahme des Gefässes D. Sie wird angewärmt, mit leicht schmelzendem TOITTETTEGGTEIETN 272 ERNST v. FLEiscHt: Kitt gefüllt und dann das Gefäss in passender Stellung hineingesetzt. Das Gefäss wird so hergestellt, dass von einer im Querschnitt viereckigen Flasche der obere nicht prismatische Theil abgeschnitten wird, dann von den oberen Rändern zweier einander gegenüberliesender Flächen des unteren Theiles her tiefe, breite Fenster aus diesen Flächen heraus- geschliffen werden, welche Fensteröfinungen dann, die eine mit einem Stücke eines Objeetträgers, die andere mit einem grossen Deckglase, wie es zum Bedeeken mikroskopischer Präparate dient, verschlossen werden. Diese beiden Stücke werden von aussen her auf die Ränder der Fenster aufgekittet. An der obersten Hülse ist das massive Querstück Z befestigt, an der untersten Hülse ein ähnliches; und diese beiden Querstücke sind durch den vierkantigen starken Metallstab 7 starr miteinander verbun- den, so dass sie ein System bilden, welches nur als Ganzes längs der Säule verschoben werden kann. — Das mit der untersten Hülse ver- bundene (Querstück ist nur nach einer Seite in einen Arm verlängert, welcher an seinem äusseren Ende in zwei parallele Backen übergeht, deren Entfernung von einander durch die Schraube G regulirt wird. Diese, an ihren Innenflächen mit Sammt beklebten Backen fassen fest zwischen sich und tragen das untere Ende der getheilten umz.. H, und den unteren Theil des Manometers /7”. Das mit der obersten Hülse verbundene Stück trägt ein fingerdickes horizontales Messingrohr mit einer Bohrung von 1” Durchmesser; an beiden Enden ist dieses Rohr rechtwinklig nach abwärts gebogen. In seinem horizontalen Theile trägt das Rohr den kurzen nach unten ge- richteten Ansatz 5 und an der Abzweigungsstelle dieses Ansatzes den Hahn X. Dieser Hahn, welcher luftdicht eingeschliffen ist, wird von einer ganzen und von einer auf diese senkrechten halben Bohrung durch- setzt, so dass er gestattet, entweder: die beiden Hälften des horizontalen Rohres miteinander zu verbinden und gegen den Seitenansatz b abzu- schliessen, oder: die eine oder die andere der beiden Hälften des hori- zontalen Rohres mit dem Ansatz 5 zu verbinden und gegen die andere Hälfte abzuschliessen. Der Ansatz 5 wird durch ein kurzes Stück diek- ' wandigen Kautschukrohres mit einem Glasrohre verbunden, welches man ! in der Figur bis nahe auf die Grundplatte herabreichen sieht; mit dem unteren Ende dieses Rohres wird dann im entsprechenden Falle ein Druck- apparat mittels eines anderen Stückes Kautschukschlauch (c) verbunden. | Von dem einen absteigenden Schenkel des Messingrohres geht eine kleine | Vorrichtung (d) seitlich ab zur Befestigung des oberen Endes der ge- theilten Glasplatte H. Die beiden unteren Enden der absteigenden | Schenkel des Messingrohres sind ganz gleich gearbeitet. Sie sind zur | ÜBER (ONSTRUCTION UND VERWENDUNG DES ÜAPILLARELEKTROMETERS. 273 luftdichten Verbindung mit Glasröhren bestimmt, die an ihren oberen Enden in Messinghülsen (e, e) eingekittet sind. Die aufeinanderpassen- den Enden des Rohres und der Hülsen sind so genau gearbeitet, dass, wenn zwischen sie ein gefettetes rinsförmiges Lederplättchen gelest ist und dann die Verschraubungen (ZZ) fest angezogen werden, ein selbst bei hohem Drucke luftdichter Verschluss erreicht ist. Jedem Apparate werden mehrere solche Hülsen (e) beigegeben. In eine derselben ist das kürzere Ende des Manometers ein für alle Male eingekittet, die übrigen Hülsen dienen zur Aufnahme verschiedener Capillaren, deren man sich so mehrere aufbewahren kann und die ohne weitere Vorbe- reitung in jedem Moment am Apparate gegen einander vertauscht wer- den können. Auf die Tasse oben auf der Säule wird eine Glasflasche gestellt, welche über ihrem Boden eine seitliche Tubulatur hat. Von dieser führt ein dickwandiger Kautschukschlauch herab, welcher mit seinem unteren Ende fest mit dem hohlen Fortsatze des Glas- hahnes P verbunden ist. Dieser Glashahn (Fig. 2) befindet sich in dem vertikalen Stücke Glasrohr, welches an die tiefste Stelle des Manometers angeschmolzen ist und mit dem Manometer communieirt. Der Glashahn hat ‘eine ganze Durchbohrung senkrecht auf seine Axe. Wenn diese Boh- rung vertikal gestellt wird, so läuft die Flüssiskeit aus dem Manometer in ein darunter stehendes Gefäss. Ferner hat der Hahn eine halbe Bohrung, welche aber nicht mit der oben besprochenen ganzen Bohrung communicirt, sondern in jene axiale Bohrung übergeht, mit welcher, wie oben bemerkt, der Kautschukschlauch f communicirt. Steht diese halbe Bohrung nach oben, so tritt die Flüssigkeit aus der Flasche M in das Manometer. In dieser Stellung ist der Hahn in Fig. 2 gezeichnet. Auf der eisernen Grundplatte ist ferner noch die Ebonitplatte MV aufeeschraubt, welche zwei von einander isolirte, mit je zwei Schrauben- klemmen versehene Messingklötze trägt. Für die Zusammenstellung des Instrumentes zum Gebrauche ist nun folgendes nöthig. In eine der beigegebenen Hülsen e wird mittels Siegel- lack ein Glasrohr fest eingekittet. Entweder ist irgendwo unterhalb der ‚ Hülse in dieses Glasrohr ein dünner Platindraht so eingeschmolzen, dass sein eines Ende frei in das Lumen des Rohres hineinragt, oder es Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 18 274 ERNST v. FLEISCHL: wird derselbe Zweck dadurch erreicht, dass man den Draht in der iso- lirenden Kittmasse zwischen Hülse und Glaswand hinaufgehen lässt, undihn um den oberen Rand des Rohres herum in dessen Lichtung hineinbiest. Dieses Rohr wird in einer Entfernung von ca. 300”" vom oberen Ende in eine feine Capillare ausgezogen, diese an ihrer engsten Stelle abge- brochen und nun das Ganze vorsichtig bis oben mit reinem Quecksilber angefüllt und nachgesehen ob sich die Quecksilbermasse selbst durch die Spannung ihres unteren Meniscus trägt. Hat sich der Quecksilberfaden in dem capillaren Theile des Rohres auf irgend einen Punkt eingestellt, so halte man das Rohr vertikal, mit der Spitze nach unten und mache dann mit dem ganzen Rohre, es in der Richtung seiner Axe verschiebend, eine jähe Bewegung nach aufwärts. Hierbei tritt leicht ein Tröpfchen Quecksilber aus der Spitze der Capillare aus, dieses Tröpfchen wächst langsam und fällt, wenn es etwa die Grösse eines Stecknadelkopfes er- reicht hat, von selbst ab. Ist dies geschehen, so muss sich der Queck- silberfaden mit seinem Ende wieder von der Spitze der Capillare zurück- ziehen; dies ist ein sicheres Zeichen für ‘die Brauchbarkeit der Capillare, Ich rathe Jedermann, sich mit der Behebung von Schwierigkeiten, welche sich beim Anfüllen oder Prüfen einer Capillare herausstellen, nie lange aufzuhalten, sondern lieber das Quecksilber auszuleeren und eine frische Capillare auszuziehen. Das Ausziehen und Füllen der Capillaren macht nämlich gar keine Umstände, lästig ist nur das Einkitten in die Hülse, welches aber sehr selten nothwendig. wird. Ist das Rohr durch mehr- maliges Ausziehen von Capillaren um ein paar Centimeter verkürzt wor- den, so stellt man die passende Länge durch Ausziehen einer etwas höher gelegenen Stelle um den gewünschten Betrag leicht wieder her. Die fertige Capillare wird dann, indem ihr der Verschraubungsring Z von unten her übergeschoben ist, mittels dieses Ringes fest mit dem Instru- ment verbunden. — Will man eine Capillare gegen eine andere ver- tauschen, die erste aber aufbewahren, so umwickle man das Rohr an einer Stelle fest mit mehreren Lagen Bindfaden, bilde so einen Wulst auf demselben, schiebe von der Spitze her einen durchbohrten Kork über ' das Rohr bis an den Wulst und verschliesse nun mit diesem das Rohr ' tragenden Korke eine mit angesäuertem Wasser gefüllte Flasche. Die Capillare austrocknen zu lassen ist nicht rathsam. Liegt einem daran, sich eine unverwüstliche Capillare zu verschaffen, so kann ich immerhin folgende allerdings etwas zeitraubende Procedur empfehlen. Ein dick- | wandiges Glasrohr (ein Barometerrohr) lässt man, nachdem es im Uebrigen " nach den oben gemachten Angaben behandelt ist, vor der Flamme an } einer Stelle zusammenlaufen, so dass eine dieke Glasmasse einen sehr ! dünnen Canal umgiebt. In dem Moment, wo dieser Canal an der | ÜBER CONSTRUCTION UND VERWENDUNG DES ÜAPILLARELEKTROMETERS. 275 heissesten Stelle sich ganz zu verschliessen beginnt, entfernt man das Rohr aus der Flamme und bringt unmittelbar ehe das Glas seine Plasti- eität verliert einen leisen axialen Zug an dem Rohre an, durch welchen eine correctere Kegelgestalt des Lumens erzielt wird. Unmittelbar über der Verschlussstelle wird nun das Rohr abgeschnitten (es kann an diesem Querschnitt leicht 3”” Durchmesser haben), so dass die Capillare unten offen ist. Soll das Ganze auch zu feineren Beobachtungen dienen, so muss eine Facette angeschliffien werden, damit starke Vergrösserungen anwendbar und Verzerrungen des Bildes der Quecksilberkuppe vermieden werden. : Es ist vielleicht nicht überflüssig, auch über diese Procedur einise Worte zu sagen. Für diesen Zweck ist es besser, zunächst das Rohr so abzuschneiden, dass die Capillare nicht eröffnet wird, damit nichts vom Schleifmittel in sie eindringe. Dann wird mit Schmirgel am Rande einer dicken Glasplatte dem ausgezogenen Theile des Rohres ‚eine seiner Axe parallele Fläche angeschliffen und hiebei soviel Glas weggenommen, dass der Canal nur etwa !/,"” unter der Facette liegt. Die Facette muss nun noch polirt werden. Man spannt ein Stück Holz von mehreren Zollen Länge in die Drehbank, dreht daraus einen Cylin- der von ca. 1 Zoll Durchmesser, bestreicht seine befeuchtete Mantelfläche mit gut geschlämmtem Colcothar und, während man den Cylinder rasch sich drehen lässt, führt man unter entsprechendem Drucke die zu poli- rende Fläche auf ihm hin und her bis die Facette ganz hell polirt ist. Sehr abgekürzt wird dieser lästigste Act der ganzen Procedur dadurch, dass man zuletzt auf der Glasplatte, ehe man zu poliren anfänst, mit möslichst feinem Schmirgel schleift. Ist alles dies beendist, dann schneidet man nach soviel ab, dass die Capillare eröffnet wird. Der Querschnitt sieht dann so aus: /“\. Nun wird das Rohr mit Quecksilber gefüllt und überhaupt damit nach den obigen Vorschriften weiter verfahren. Es ist allerdings langweilig, sich eine solche Capillare zu machen, doch stellt sie einen werthvollen Besitz dar, dessen Anschaffung ich wenigstens nicht bereut habe. Ist nun eine brauchbare Röhre gewonnen und angeführt, so wird ihr von unten her der Verschraubungsring Z/ übergeschoben und nun das Rohr fest mit dem Gestelle verbunden, so wie auf der anderen Seite das Manometerrohr. Dann füllt man das Gefäss D, indem man erst etwa 12”® hoch Quecksilber und auf dieses dann bis zum Rande stark ver- dünnte Schwefelsäure hineingiesst. Dann wird das Gefäss durch zweck- mässise Verschiebung der mittleren Hülse auf der Standsäule gehoben, bis die Capillare in dasselbe eintaucht und mit ihrer offenen Spitze in der Schwefelsäure endigt. Auch wird Sorge dafür getragen, dass die Capillare von innen dem Deekgläschen anliegt. 18* 276 ERNST v. FLEISCHE : Zwischen der Flüssigkeit im Gefässe und dem unteren Ende des Quecksilberfadens in der Capillare befindet sich jetzt noch ein Luftfaden, welcher den untersten Theil des Rohrs erfüllt. Um ihn zu entfernen wird der Hahn X mit seinen Flügeln vertikal, mit der Marke nach links gestellt; mit dem Ende des Kautschukschlauches e ein Druck- apparat, eine Compressionspumpe, eine Spritze u. dergl. verbunden, und nun auf das Quecksilber im Rohr ein soleher Druck ausgeübt, dass ein Tröpfehen aus der Spitze der Capillare austritt. Nun lässt man mit dem Drucke nach, der Quecksilberfaden zieht sich zurück und zieht nach sich einen Flüssigkeitsfaden in das Rohr hinein. Der Platindraht, welcher in das im Rohre befindliche Quecksiber eintaucht, wird mit dem einen Messingklotze auf N verbunden; von dem anderen Klotze auf NV geht ein Draht aus, welcher an seinem anderen Ende, mit Ausnahme der Spitze, mit Siegellack überzogen ist. Dieses andere Ende taucht durch die verdünnte Schwefelsäure im Gefässe D bis auf dessen Boden ein, stellt also eine leitende Verbindung des Quecksilbers im Gefässe D mit, dem zweiten Klotze her. Die beiden Klötze werden dann mittels der beiden übrigen Klemmschrauben weiter an die beiden Backen eines du Bois-Reymond’schen Schlüssels verbunden — und nun ist das Instru- ment zum Gebrauche fertig. | Zunächst muss man nun den Betrag einer elektromotorischen . Ein- heit, also z. B. des Stromes eines Daniell’schen Elementes am Instru- mente feststellen. Ein Daniell’sches Element wird hierfür so mit dem du Bois-Reymond’schen Schlüssel verbunden, dass nach Entfernung des Vorreibers der Strom vom Kupfer in das Quecksilber des Gefässes D, _ aus diesem in das Quecksilber der Capillare und von da zum Zink der Kette geht. In dieser Richtung muss jeder Strom, den man messen will, durch das Instrument gehen. Einstweilen cireulirt aber noch gar kein Strom im Instrumente, denn der Vorreiber des Schlüssels blendet denselben ab. Jetzt stellt man das Mikroskop unter Benützung einer | mässigen Vergrösserung auf den Quecksilbermeniscus ein, so etwa, dass | der mittelste Theilstrich der Ocularscala denselben tangirt. Vorher schon hat man aus der Flasche M etwas Quecksilber in das Manometer treten und durch Benutzung des Hahnes X dasselbe in beiden Schenkeln gleich hoch sich stellen lassen. Dann hat man den Hahn X mit den Flügeln horizontal und mit der Marke nach oben gestellt und nun öffnet man dem Strome den Weg durch das Instrument. Augenblicklich verschwindet der Quecksilberfaden aus dem Gesichtsfelde des Mikroskopes, indem er | sich (im umgekehrten Bilde) nach unten zurückzieht. Während man | nun das Auge am Mikroskope behält, dreht man langsam den Hahn 2! so weit, dass Quecksilber aus der Flasche M in das Manometer nachzu- | Bier SRE, RE en ee er — u ÜBER (ONSTRUCTION UND VERWENDENG DES (APILLARELEKTROMETERS. 277 fliessen anfängt. Nach kurzer Zeit erscheint der Quecksilberfaden wieder im Gesichtsfelde und in dem Momente, in welchem er mit seinem Me- niscus den mittleren Theilstrich der Ocularscala tangirt, versperrt man dem Quecksilber den weiteren Zufluss zum Manometer durch eine leichte Drehung des Hahnes ?. Dann liest man die Niveaudifferenz des Queck- silbers in den beiden Schenkeln des Manometers ab und kennt nun den Druck, welcher unter den gegebenen Verhältnissen der elektromotorischen Kraft eines Daniell’schen Elementes das Gleichgewicht hält. Für jede neue Capillare ist diese Bestimmung von Neuem auszuführen. — Will man nun das Instrument .für eine zweite Messung herrichten, so lässt man erst das noch von der früheren Messung im Manometer befindliche Quecksilber aus dem Manometer in das darunter stehende Gefäss aus- fliessen, bis die Niveaux in beiden Schenkeln gleich hoch stehen; und blendet dann den gemessenen Strom vom Instrumente ab. Man soll nicht in umgekehrter Ordnung verfahren, weil sonst möglicherweise in Folge des Druckes das Quecksilber aus der Spitze der Capillare austreten könnte. Auch ist es nothwendig einen du Bois-Reymond’schen Schlüssel und keinen anderen anzuwenden, denn der Ausschlag des In- strumentes fällt nur dann rasch und sicher auf Null zurück, wenn das- selbe in sich zum Kreise geschlossen wird; sind die beiden Quecksilber- massen des Instrumentes von einander isolirt nachdem der Strom aufgehört hat zu wirken, so findet nur sehr allmäligs eine Einstellung auf den Nullpunkt statt, die eben darum auch nicht sehr genau ist, denn der Nullpunkt selbst wechselt binnen eines längeren Zeitraumes (eine Stunde und darüber) seine Lage, indem diese z. B. für Temperaturschwankungen ziemlich empfindlich ist. Da bei einer elektromotorischen Kraft von etwas über 1 Daniell bereits Ausscheidung von Gas an der Grenze von Quecksilber und ange- säuertem Wasser stattfindet, so kann das Instrument zur Messung grösserer elektromotorischer Kräfte nicht angewendet werden. Unter diesen Ver- hältnissen wäre es möglich gewesen das Manometer beträchtlich kürzer zu machen, da die messende Quecksilbersäule nicht 150”" zu über- schreiten braucht. Doch habe ich mich dafür entschieden ihm eine Srössere Länge zu geben, welche gestattet, die elektromotorischen Kräfte der von Muskeln oder Nerven herrührenden Ströme durch Wasserdruck zu messen. Hierdurch wird natürlich eine beträchtlich grössere Genauigkeit . der Messung ermöglicht. An der Capillare, mit welcher ich jetzt schon seit eimigen Monaten arbeite, entspricht, wenn man mit Wasser misst, eine Niveaudifferenz von 1”” einer elektromotorischen Kraft von !/1533 Daniell. Wenn man längere Zeit nicht mit dem Instrumente gearbeitet hat und will es dann wieder in Gebrauch ziehen, so empfiehlt es sich, 278 ERNST v. FLEISCHL: vorher mehrere grössere Ausschläge hervorzurufen, etwa indem man die Marke des Hahnes X nach links stellt und dann mit dem Munde ab- wechselnd Luft in den Schlauch c hineinpresst und aus ihm heraussaugt; noch besser ist es einen so starken Druck anzuwenden, dass ein Tröpf- chen aus der Spitze der Capillare herausfällt. Diese Vorsichtsmassregeln ' dienen dazu, Fehler auszuschliessen, die von Beziehungen herrühren, welche sich bei längerer Ruhe zwischen dem Quecksilber, besonders seinem Meniscus und der Glaswand der Capillare auszubilden scheinen. Ueber- haupt sollte man sich jedesmal wenn man das Instrument in Gebrauch ziehen will, vorher davon überzeugen, dass es sich nach erfolstem Aus- schlage ordentlich wieder auf Null einstellt. Ist alles in gutem Stande, so wird man über die grosse Genauigkeit erstaunt sein, mit welcher die Einstellung auf den Nullpunkt erfolst. Davon, dass die elektromotorische Kraft und keine andere Dimension des Stromes gemessen wird, kann man sich leicht durch zwei aufein- anderfolgende Messungen des Stromes einer und derselben Quelle bei verschiedenen Leitungswiderständen überzeugen. Ich schalte hier eine Bemerkung ein, welche meines Wissens bisher noch nicht gemacht wurde. Obwohl nämlich, wie gesagt, die elektromotorische Kraft von dem Instrumente gemessen wird, so ist doch die Intensität des Stromes nicht ganz ohne Einfluss auf die Veränderungen, die am Stande des Meniscus vor sich gehen. Von ihr hängt nämlich die Geschwindig- keit ab, mit welcher diese Veränderungen sich vollziehen. Ich habe das Gesetz dieser Abhängigkeit nicht genauer erforscht, da die exacie Messung der Zeit hierbei einige Schwierigkeit darbieten dürfte. Die Ein- schaltung eines Widerstandes, wie ihn etwa ein Froschnerv darbietet, be- dingt eine kaum merkliche Verzögerung. Sehr beträchtlich war aber die Verringerung der Geschwindigkeit mit der sich der Meniscus bewegte bei Einschaltung von 3/, Millionen S. E. Die Höhe der compensirenden Flüssigkeitssäule ist jedoch dieselbe bei un grosser und kleiner Widerstände. Die Geschwindigkeit, mit welcher die neue Einstellung erreicht wird, hängt natürlich auch (bei gleichbleibender elektromotorischer Kraft des Stromes) von der Länge des Weges ab, welchen der Meniscus zurück- zulegen hat. Da bei Einwirkung eines Stromes ein bestimmter anderer ' Querschnitt der Capillare vom Meniscus aufgesucht wird, so ist der | zurückzulegende Weg um so kleiner, je grösser der Kegelwinkel der Ca- pillare ist. Derselbe Strom bedingt an einer stumpferen Capillare kleinere Ausschläge als an einer spitzeren. Will man also sehr kleine elektro- motorische Kräfte durch möglichst grosse Ausschläge recht sichtbar machen, so muss man sich eine Capillare ausziehen von fast cylindrischer ı ÜBER ÜONSTRUCTION UND VERWENDUNG DES Ü(APILLARELEKTROMETERS. 279 Gestalt mit möglichst langsamer Verjüngung nach der Spitze zu; eine vollkommen cylindrische Capillare hingegen ist absolut unbrauchbar. — Es giebt zwei Mittel, um den Ausschlag, welcher zur Beobachtung kommt, gross zu machen. Eines besteht, wie eben bemerkt, in der Anwendung einer Capillare von kleinem Kegelwinkel — das andere besteht in der Anwendung einer starken Vergrösserung am Mikroskope. Bis zu einer gewissen Grenze ist es gestattet, sich des erstgenannten Mittels zu be- dienen, von da ab soll man nicht weiter gehen mit der Verkleinerung des Kegelwinkels, sondern jede weitere Vergrösserung durch stärkere Linsen am Mikroskope bewirken — es wird sonst die Einstellung auf den Nullpunkt ungenau, indem das Gleichgewicht der Quecksilber- masse an Stabilität verliert. Capillaren, an denen die durch die elektro- motorische Kraft eines Daniell’schen Elementes hervorgebrachte Verschiebung etwa 1”" beträgt, sind für die meisten Zwecke die gün- stigsten. Was nun die Grösse des Ausschlages am Capillarelektrometer be- trifft, so geht aus dem Gesagten hervor, dass sie sehr von der Gestalt der Capillare abhängt, sie ist also zu einer Messung schon aus diesem Grunde nicht geeignet. Ferner existirt selbst innerhalb ziemlich enger Grenzen kaum eine annähernde Proportionalität zwischen ihr und der Kraft; man kann nichts von ihr sagen, als dass sie eine stetige und serade Function der elektromotorischen Kraft ist. (Die allergeringsten elektromotorischen Kräfte, welche keine deutliche Verschiebung des Me- niscus mehr bewirken, zeigen sich oft noch durch eine Veränderung der Form des Meniscus an.) Eine besondere Beachtung verdient das Verhalten des Ausschlages bei rasch aufeinanderfolgenden, intermittirenden Strömen. Ist die Frequenz keine zu hohe, so zeigt sich jeder Strom für sich an. Bei steigender Frequenz giebt es eine Art von Tetanus. Der Meniscus zeigt noch immer die Periode der Ströme durch seine oscillirenden Be- wegungen an, doch werden die Amplituden der Bewegung um so kleiner, je rascher die Ströme aufeinander folgen und zugleich rückt die Gleich- gewichtslage um die der Meniscus oseillirt mit steigender Frequenz der Ströme immer weiter vom Nullpunkt fort. Durch die rasche Bewegung des Quecksilberfadens, die übrigens als absolut gedämpft zu betrachten ist (man sieht nie ein Hinausschwingen über die Gleichgewichtslage) erscheint das freie Ende des Fadens verwaschen, als graue Fortsetzung des schwarzen Streifens, der den continuirlich von dem Bild des Queck- silbers erfüllten Theilen des Gesichtsfeldes entspricht. Man braucht aber nur eine stroboskopische Scheibe zwischen das Ocular und das Auge zu bringen und sie in Rotation von gehöriger Geschwindigkeit zu versetzen, um selbst bei ausserordentlich hoher Fregnenz der Ströme an die Stelle 280 ERNST v. FLEIScHL: des verwaschenen Endes des Fadens ein ganz scharfes sich bewegendes Bild der Kuppe treten zu sehen. Obwohl nun die Geschwindigkeit, mit welcher der Meniscus den elektrischen Veränderungen eines Kreises folgt, sehr beträchtlich ist, so hat sie doch eine obere Grenze. Wie sich elektrische Vorgänge am Instrumente anzeigen, deren Geschwindigkeit jene Grenze überschreitet, muss die Erfahrung lehren. Nun wird jene Grenze aber offenbar von denjenigen indueirten Strömen, welche ihre Entstehung der Schliessung und Oefinung eines primären Kreises verdanken, überschritten. Die Be- obachtnng lehrt nun, dass solche Ströme auch noch durch Ausschläge des Meniseus angezeigt werden, und dass diese Ausschläge im Allgemeinen grösser sind, wenn die Ströme — gleiche Widerstände vorausgesetzt — stärker sind. Lässt man z. B. einzelne Schliessungsinductionsströme eines Schlitten-Inductoriums durch das Instrument gehen, so entspricht jedes- mal einem geringeren Rollenabstande ein grösserer Ausschlag. Lässt man aber bei einer bestimmten Stellung der Rollen gegeneinander einmal ° einen Schliessungsinductionsschlag und dann — natürlich in derselben Richtung — einen Oefinungsinductionsschlag durch das Instrument gehen, so wird sich der der Schliessung entsprechende Ausschlag merkwürdiger- weise als der grössere zeigen. Lässt man nun eine Reihe. rasch aufein- anderfolgender Schliessungs- und Oefinungs-Inductionsströme, wie sie der du Bois-Reymond’sche Apparat liefert, durch das Instrument gehen, so wird man eine Erscheinung gewahr, welche wegen der Complicirtheit ihrer Erklärung leicht zu Missdeutungen Veranlassung geben kann. Was man direct beobachtet ist folgendes: Jedenfalls bewest sich der Meniscus gegen die Spitze der Capillare zu und oscillirt um eine mittlere Lage, welche der Spitze näher liest, als die Ruhelage des Meniseus im stromlosen Instrumente. Sind die Schliessungsschläge von der Spitze der Capillare nach ihrem dicken Theile zu geriehtet und die Oeffnungs- schläge umgekehrt, so ist die Verschiebung kleiner und die Os- cillationen um die mittlere Lage sind grösser, als wenn die Ströme die umgekehrte Richtung haben. Um dies zu verstehen muss man wissen, dass ein und derselbe Strom einen grösseren Ausschlag am Elektrometer hervorbringt, wenn er in diesem vom dicken Theile zur Spitze der Capillare geht und also den Meniscus gegen letztere zu schiebt, als wenn er die umgekehrte Richtung hat, so dass also eine rasche Aufeinanderfolge von gleichen und entgegen- gesetzten Strömen den Meniscus immer gegen die Spitze der Capillare zu verschiebt. Will man die gleichen und entgegengesetzten Ströme mit Stössen vergleichen, welche einen Körper alternirend mit gleicher Stärke nach der einen und nach der entgegengesetzten Richtung fortzu- ÜBER (ONSTRUCTION UND VERWENDUNG DES (APILLARELEKTROMETERS. 281 bewegen trachten, so muss man den Quecksilber-Meniscus mit einem Körper vergleichen, der sich in einem Medium bewegt, welches seiner Bewegung in zwei entgesengesetzten Richtungen verschiedene Wider- stände darbietet. Von diesem Standpunkte ist wohl auch die Angabe eines englischen Physikers verständlich,! dass die in einem angesprochenen Telephone erresten Wechselströme den Meniscus eines Lippmann’schen Capillarelektrometers immer in einer Richtung verschieben. — Nur wenn die auf dem Meniscus lastende Quecksilbersäule sehr niedris ist, dieser also sich auf einen relativ grossen Querschnitt der Capillare ein- stellt, tritt gelegentlich der Unterschied, den die beiden verschiedenen Richtungen in die Grösse des Ausschlages einführen, zurück gegen den Unterschied zwischen der Wirkung von Schliessungs- und Oeffnungs- induetionsströmen, so dass dann’ eine Reihe rasch aufeinanderfolgender Wechselströme eines Inductionsapparates den Meniscus in einer Richtung und nach Umkehrung des primären Stromes in der entgegengesetzten Richtung verschiebt — immerhin ist die Verschiebung gegen die Spitze der Capillare die beträchtlichere. Auf die Untersuchung der Ursache, wegen welcher die Schliessungsinductionsströme stärker wirken, als die Oefinunssinductionsströme, obwohl das Maximum der elektromotorischen Kraft bei letzteren höher ist, als bei ersteren, habe ich mich nicht weiter eingelassen: soviel scheint klar, dass die zeitlichen Verhältnisse hierbei eine Rolle spielen; vom Zeitintegral direct kann aber die Grösse des Ausschlages nicht abhängen, sonst müsste dieser für beide Arten von Strömen gleich sein, wenn man dafür Sorge trägt, dass er beidemale nach derselben Richtung erfolgt; vielleicht nimmt sich ein Physiker der wie ich glaube nicht undankbaren Aufgabe an, diese Verhältnisse genauer zu erforschen. Wenn einem Leiter eine elektrische Masse genähert wird, so findet IF. J.M. Page in Nature, Vol. 17, p. 283, 284. Daselbst wird auch eine Vermuthung des Dr. Burdon-Sanderson erwähnt, nach welcher sich der beob- achtete Effect aus der verschiedenen Geschwindigkeit der Bewegung des Meniscus in beiden Richtungen erklärt; auch die Thatsache, dass die Wechselströme eines du Bois-Reymond’schen Inductoriums den Meniscus immer gegen die Spitze zu bewegen, wird erwähnt und als Beweis (?) für die vorgebrachte Erklärung angeführt. Es ist gewiss sehr schwer, die Geschwindigkeiten, mit denen sich der Meniscus in ' verschiedenen Fällen bewest, zu messen, während die Thatsache, welche Hrn. Page und auch Hrn. Burdon-Sanderson unbekannt geblieben ist, dass gleiche Ströme sehr verschieden starke Ausschläge nach beiden Richtungen bedingen, sich sehr leicht experimentell constatiren lässt; so z. B. gab mir der äusserst constante Strom eines schwachen Thermoäölementes einen Ausschlag von 14 Theilstrichen der Ocular- scale in der Richtung gegen die Spitze und einen Ausschlag von 7-2 Theilstrichen in der entgegengesetzten Richtung. 282 Ernst v. FLEISCHL: im Leiter eine Vertheilung statt. Während dieses Vorganges ist der Leiter als von einem Strome, dem Vertheilungsstrome, durch- flossen anzusehen. Wie natürlich, werden auch diese Vertheilungs- ströme vom Capillarelektrometer angezeigt und es eignet sich ‘dieses In- strument also auch zum Studium gewisser Erscheinungen der statischen Elektrieität. Hierbei kann das Instrument entweder isolirt sein oder man kann dessen einen Pol zur Erde ableiten. Den anderen Pol verbindet man zweckmässig durch eine Drahtleitung mit einer kleinen Metallkugel, welche sich etwa um ein Meter vom Elektrometer entfernt befindet. Nähert man dieser Kugel z. B. eine geriebene Glasstange, so sieht man den Meniscus einen Ausschlag vollführen, dessen Grösse von der Stärke der Ladung, von der Grösse und von der Geschwindigkeit der Annähe- rung abhängt. Dieser Ausschlag geht wie jeder Ausschlag in dem nicht zum Kreise geschlossenen Instrumente langsam auf Null zurück. Der Rückgang erfolgt etwas schneller, wenn das Instrument nicht zur Erde abgeleitet ist. Ist der Meniscus wieder auf Null gekommen, so erfolst ein Ausschlag in der entgegengesetzten Richtung, sobald man die Glasstange wieder entfernt. Die Richtungen der Ausschläge sind verkehrt, wenn man statt der Glasstange eine Harzmasse anwendet. Bewegt man eine ge- ladene Masse in einiger Entfernung von der Kugel rasch in kleinen Schwingungen hin und her, so macht der Meniscus diese Bewegungen mit. Die Empfindlichkeit des Instrumentes ist auch in dieser Be- ziehung eine sehr grosse. Es ist bekannt, dass durch eine an einem Capillarelektrometer hervor- gebrachte Verschiebung des Quecksilbers ein Strom erzeugt wird und auf diesen Umstand ist die Construction eines Capillarelektromotors basirt. Es beruht somit die Messung mit dem Capillarelektrometer auf Compen- sation — das Capillarelektrometer ist ein automatisch und mit der höchsten | Präcision arbeitender Compensator. Um dies einzusehen, mache man folgenden Versuch. Ein Daniell’sches Element und ein Capillarelektro-" meter und ein äusserst empfindliches Galvanometer (in meinem Falle ein für Nervenströme hergerichtetes) werden in einen Kreis gespannt. Die beiden letzteren Instrumente sind vorläufig durch gute Neben- schliessungen vor der Einwirkung des Stromes geschützt. Nun räume man zuerst die Nebenschliessung vor dem Capillarelektrometer weg und dann die vor dem Galvanometer; und man wird sehen, dass an letzterem gar kein Ausschchlag entsteht. | ÜBER (CONSTRUCTION UND VERWENDUNG DES (APILLARELEKTROMETERS. 283 Einstweilen schliesse ich mit dieser flüchtigen Aufzählung der Eigen- des Capillarelektrometers ab, um nicht die Veröffentlichung der Be- schreibung der Einrichtung, welche ich diesem Instrumente gegeben habe, zu sehr hinauszuschieben; bald soll eine Mittheilung über physiologische Versuche, welche ich mit demselben angestellt habe, und welche ich noch fortsetze, folgen. Ein Apparat zu Erklärung der Wirkung des Luftdruckes auf die Athmung. Von Dr. G. von Liebig in Reichenhall und München. I So lange auch schon der Aufenthalt in hochgelegenen Gegenden als volksthümliches Heilmittel im Gebrauche sein mag, so sind uns doch die Grundlagen für das Verständniss der Wirkungen, welche man den klimatischen Verhältnissen jener Gegenden zuschreibt, bis jetzt noch dunkel geblieben. Die klimatischen Eigenthümlichkeiten, welche man mit Bezug auf Trockenheit und Feuchtigkeit, auf Wärme oder Abkühlung gewöhnlich als den hohen Lagen angehörig betrachtet, finden sich, mit der einzigen | Ausnahme eines grösseren Unterschiedes in der Temperatur zwischen | Sonne und Schatten, auch an geeigneten Orten des tiefer gelegenen | Landes, und dieser Unterschied kann hier nicht in Betracht kommen. Es | bleibt als wesentliche Verschiedenheit zuletzt nur die Verminderung des ' Luftdruckes, deren physiologische Wirkungen, in allen Zonen sich glei- chend, uns in den Erscheinungen der Bergkrankheit vor Augen treten., Die Bezeichnung des „Bergasthma“, welche ebenfalls dafür gebraucht wird, deutet schon darauf hin, dass die Lungen das Organ sind, dessen | Thätigkeit dabei beschwert erscheint. Eine Abnahme des Luftdruckes bedingt zugleich eine geringere Dichte der Luft, und entsprechend ihrer Verdünnung vermindert sich auch die Menge des in dem gleichen Raume enthaltenen Stickstoffs und Sauerstoffs. Durch Paul Bert’s Arbeiten ist nun die Ansicht wieder in Aufnahme gekommen, dass die Ursache der Bergkrankheit nur in der Verdünnung des Sauerstoffs der Luft in grossen Höhen zu suchen sei, | weil diese das Aufnahmsvermögen des Blutes für Sauerstoff herabsetze. en er EIN APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES UT. S. w. 2855 Diese Ansicht lässt die Möglichkeit ausser Acht, dass durch eine stär- kere Verdünnung der Atmosphäre auch mechanische Veränderungen in der Lungenbewegung veranlasst werden könnten, hinreichend gross, um das Athmen zu erschweren, und dass solche Athembeschwerden eine sonst wohl mögliche Ausgleichung des verminderten Sauerstoffgehaltes der Luft, durch die Athmung, verhindern könnten. Es ist mir wahrscheinlich, dass eine Verminderung im Sauerstoff- sehalte der Luft für sich allein die wesentlichen Erscheinungen der Bergkrankheit nicht hervorrufen würde, wenn nicht zugleich auch der Luftdruck sich verminderte, denn unter unserem gewohnten Luftdruck verfügen wir über eine so bedeutende Athemgrösse, dass eine weit- reichende Ausgleichung möglich erscheinen würde. Freilich ist es auch gewiss, dass bei zunehmender Verminderung, oder Verdünnung, des Sauer- stofis in der uns umgebenden Luft, endlich einmal ein Grad der Abnahme eintreten wird, welchen die Thätiekeit unserer Lungen auch unter den günstigsten Verhältnissen nicht mehr ausgleichen könnte; allein Bert’s Versuche, auf welche ich zurückkommen werde, können die Behauptung nicht begründen, dass dieser Grad in Höhen von 5000”, einem Luftdrucke von 416" entsprechend, in welchen Hirten noch verweilen, oder selbst in Höhen von 6000” und darüber (370”® bis 340 ®®), welche von Rei- senden erreicht worden sind, schon eingetreten sei, während die Berg- krankheit viel früher, in Höhen von 3000” (530 "®) aufzutreten beginnt. Eine Erklärung, welche die Wirkungen eines unter unsere gewohnten Druckgrade erniedristen Luftdruckes verständlich machen soll, würde nicht vollständig sein, wenn sie nicht zugleich Rechenschaft über die Wirkungen des höheren Druckes gäbe, welche im Allgemeinen denen des verminderten Druckes entgegengesetzte sind. Bei stärkeren Veränderungen des Luftdruckes treten unter den ersten Erscheinungen solche rein mechanischer Art hervor, welche durch die Anwesenheit von mehr oder weniger Sauerstoff nicht bedingt werden können, und ein oft bestätigtes Vorkommen dieser Art ist das nach beiden Richtungen des Druckes entgegengesetzte Verhalten der Athem- weise, welches wir als die Grundlage für den grössten Theil der übrigen Erscheinungen betrachten können. Beobachter, welche uns über die Bergkrankheit berichten, geben an, dass in srossen Höhen die Athemzüge häufiger und mühsamer werden, und damit stimmen die Versuche überein, welche v. Vivenot mit Dr. G. Lange im Jahre 1864 und Dr. Schyrmunski 1877 in ver- dünnter Luft gemacht haben. Die Ersteren, in der pneumatischen Kam- mer zu Johannisberg, verdünnten die Luft auf den Druck von 435", - entsprechend der Höhe des Mont Blanc von 4800“, der Letztere, in der 256 G. v. Liepie: pneumatischen Kammer des jüdischen Krankenhauses zu Berlin, ver- dünnte die Luft um 300”®, was nahezu der gleichen Höhe entspricht. v. Vivenot fand eine Zunahme der Athemfrequenz, bei verschie- denen Personen um 1 bis 6 Athemzüge, und eine Abnahme in der soge- nannten vitalen Athemgrösse um 300 bis 400°®. Schyrmunski beob- achtete stark beschleunigtes und oberflächliches, zuletzt beschwerliches Athmen, neben anderen Erscheinungen der Bergkrankheit und Abnahmen der Athemgrösse bei verschiedenen Personen um 200 bis 300°”, Wenn man dagegen den Luftdruck, anstatt ihn zu vermindern, um 300”® erhöht, wie es für den Gebrauch der pneumatischen Kammern geschieht, so wird von allen Beobachtern eine Abnahme in der Zahl der Athemzüge, verbunden mit der längeren Dauer eines jeden, und eine Vermehrung in der Athemgrösse angegeben. Geht man unter dem er- höhten Drucke etwas näher auf die Zeitverhältnisse der Athemzüge ein, so zeigt sich, dass es nur die Ausathmung ist, deren Dauer verlängert wird, während die Einathmung etwas verkürzt erscheint, wenn auch. in viel geringerem Verhältnisse. Bei Gelegenheit von Bestimmungen über die Mensen der unter verschiedenem Drucke ausgeathmeten Kohlensäure (Zeitschr. f. Biologie, V,1869) und des aufgenommenen Sauerstoffs (Pflüger’s ArchwX, 8.479), wobei durch Müller’sche Wasserventile, in Verbindung mit einer Gas- uhr, geathmet wurde, machte ich öfters vergleichende Zeitzählungen der Ein- und Ausathmung. Der Beginn des Wechsels in der Athembewegung wurde jedes Mal durch ein leichtes Geräusch, welches die ein- und aus- tretende Luft an den Ventilen machte, deutlich angezeist, und die Zeit bestimmte ich nach einer Secundenuhr, welche !/, Secunden zu schätzen erlaubte. _ Die so ausgeführten Athmungen gaben den Athmenden niemals das Gefühl einer Unbequemlichkeit, jedoch war nicht zu verkennen, dass selbst ein unbedeutendes Hinderniss im Wege der Luftleitung einen ge- wissen, wenn auch für den Athmenden unmerklichen Einfluss auf die Athemweise haben könne. Dieser musste aber bei meinen Versuchen alle Athmungen gleichmässig treffen, und konnte daher nicht die Ver- anlassung für Unterschiede geben, welche unter verschiedenem Drucke jedesmal in der gleichen Weise auftraten. Der Athmende war ganz theilnahmlos an dem Versuche und wusste nicht, wann gezählt wurde Wenn auch diese Zeitbestimmungen im Einzelnen keinen Anspruch auf srosse Genauigkeit machen können, so geben doch ihre Durchschnitte gewisse, jedesmal wiederkehrende Verschiedenheiten deutlich zu erkennen, | wie die folgenden Tabellen zeigen. Die Zählungen wurden an zwei Personen gemacht, von denen die eine, Hr. M., 4 bis 5mal in der Mi- EIN APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. Ss. w. 287 nute, also sehr langsam, die andere rasch, 15 bis 17mal in der Minute, athmete. Die durchschnittliche Tiefe der Athemzüge ist beigefügt. Inuktcdnucke ee. 720 mm | 1040 mm Herr M. 1870. 3 rl rn 31 Zählungen unter gewöhnlichem | Tiefe der Athmung ..| 1331 em | 1439 com Druck, am 17. und 18. October, Da SEnlk 77 PER RT: un en unier erhöhtem Einathmung .,..... 4-48 Sec. | 419 Sec. Druck, am 19., 20., 21. und 22. | = | Deläber ; Nusaphmungsaraer. a: Sol, NLLOER) Dauerdes ganzen Athem- ZUSESMEN ee 13-22 Sec. |15-78 Sec. } Buftdrucke aan | 720 mm | 1040 mm al, AS Et 7 | 72 Zählungen unter gewöhnlichem | Tiefe der Athmung .. 451 com 239m Druck, am 16., 17. und 18. No- ember, 51 Zählungen unter er- _.. z S N = A Eimathmungı zu... 1-54 Sec. | 1-49 Sec BS., ERBE (Ausathmung.. 2... Do DTOH Dauer desganzen Athem- ZU ES ES N: 3-79 Sec. | 4-21 Sec. Man erkennt eine nicht unbedeutende Verlangsamung der Aus- athmung unter dem erhöhten Drucke, auch wenn, wie bei H., nicht tiefer geathmet wurde, und die Verlangsamung ist nicht etwa einem verminderten Athembedürfnisse unter dem höheren Drucke zuzuschreiben, sondern sie ist eine unmittelbare Wirkung des Druckes. Diese Wahr- nehmung war die erste, welche ich im Beginne meiner Arbeiten, im März 1867, zu meiner Ueberraschung gemacht hatte. Es wurde bei den damals angestellten Vorversuchen angestrebt, die gleiche Zahl der Athem- züge unter beiden Druckhöhen einzuhalten, aber es zeigte sich, dass dies für eine mittlere Häufigkeit nicht möglich war. Der Athmende, Hr. M., konnte die, ihm damals unter gewöhnlichem Drucke von 720 ”” bequeme Zahl von 8 Athemzügen unter dem auf 1040”® erhöhten Drucke nicht ohne srosse Unbequemlichkeit einhalten, weil er unwillkürlich mit der Vollendung der Ausathmung hinter der bestimmten Zeit immer etwas zurückblieb. Daraufhin wurde die Zahl von 6 genommen, welche leicht ausgeführt werden konnte, jedoch wurde diese Methode später aufgegeben, weil sie sich für die Bestimmung normaler Verhältnisse unbrauchbar erwies. 288 G. v. Lieeie: Meine Zählungen bestätigen die Angaben v. Vivenot’s, welcher schon 1864 eine Verlängerung der Ausathmung und eine Verkürzung der Einathmung unter erhöhtem Luftdrucke gefunden hatte. Es ist leicht einzusehen, dass auf mechanische Vorgänge, wie die eben betrachteten, das etwas grössere oder geringere Verhältniss des Sauer- stoffs in der Luft keinen Einfluss haben kann. Wäre der Mangel an Sauerstoff in der Luft allein die Ursache der Berekrankheit, so würde diese alle Menschen gleichmässig treffen müssen, was bekanntlich nicht der Fall ist, denn nicht alle Bewohner des Tieflandes sind ihr in dem gleichen Grade unterworfen, einige leiden nicht darunter. Die aber, welche darunter leiden, können sich gewöhnen, in verdünnter Luft zu leben. Nehmen wir einen Augenblick an, das Aufnahmevermögen des Blutes für Sauerstoff werde in Folge der Verminderung des Sauerstofls in der Luft so weit herabgesetzt, dass so schwere Erscheinungen, wie man sie bei der Bergkrankheit bisweilen beobachten kann, daraus hervorgehen müssten, so würde die Thatsache, dass dieselben Menschen nach kurzer Zeit schon mit so viel weniger Sauerstoff auskommen können, die Grundlagen unserer heutigen physiologischen Wissenschaft in Frage stellen. Aus der anschaulichen Schilderung Dr. Pöppig’s von den Lebensver- hältnissen in der 4300” hoch gelegenen peruanischen Bergbaustadt Cerro de Pasco ist es uns bekannt, dass bei den aus dem Tieflande dorthin ein- sewanderten die schlimmsten Erscheinungen der Bergkrankheit nach 8—14 Tagen vorübergehen. Ganz arbeitstüchtig, so wie im Tieflande, wird nach dieser Zeit der Arbeiter noch nicht, weil starke körperliche Anstrengung die Erscheinungen wieder hervorruft. Es bedarf gewöhn- lich einer längeren Zeit, bis die Athemweise des Ankömmlings sich den Verhältnissen des verminderten Luftdruckes vollständig angepasst hat, Menschen, die in jenen Höhen geboren sind, befinden sich dort nicht weniger wohl, als wir in der Tiefe, und wenn Bert, gestützt auf die Mittheilungen von Jourdanet über die- Bewohner der mexikanischen Hochebene in 2000” Höhe, annimmt, dass die Bewohner hochgelegener Gegenden im Allgemeinen körperlich schwächer entwickelt seien, als die Bewohner des Tieflandes, so stehen diesem die Berichte von Bous- singault, d’Orbigny, Pöppig und H. v. Schlagintweit entgegen, nach welchen in Gegenden von über 4000” Höhe, in den Anden Süd- amerika’s und in Hochasien, Bevölkerungen leben, die an kräftigem Körper- bau und an körperlichen Leistungen keinem Volke nachstehen, wenn sie auch durchschnittlich nicht so gross sind wie die Menschen in raEE sonien oder in Hindostan. | Woher kommt es nun, dass die Mehrzahl der unter einem höheren Luftdrucke aufgewachsenen Menschen eine Verminderung des Luftdruckes EIN APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. S. w. 289 um 300%® nicht ohne Beschwerden ertragen kann? Nach dem bereits Mitgetheilten kann der Grund nur darin liegen, dass bei ihnen die Lungen nicht im Stande sind, unter einer solchen Druckverminderung schon gleich Anfangs ihre Thätigskeit in normaler Weise fortzusetzen, und zwar weist das Verhalten der Ausathmung unter dem erhöhten Drucke darauf hin, dass es hauptsächlich die Spannkraft des Lungen- sewebes ist, deren Wirksamkeit durch den Luftdruck beeinflusst wird. Das Lungengewebe ist aber bildsam und nachgiebig, dies wissen wir sowohl aus dem Auftreten der Lungenblähung nach asthmatischen Anfällen und aus ihrer Rückbildung, als aus der Nachwirkung eines längeren Gebrauches des erhöhten Luftdruckes in den pneumatischen Kammern auf die Athemweise. Es wäre also möglich, dass die Spann- kraft der Lungen, wenn sie, wie bei dem Bewohner des Tieflandes, einem höheren Drucke entspricht, unter vermindertem Luftdrucke sich den Ver- hältnissen der dünneren Atmosphäre sleichfalls anpassen werde, nachdem eine den veränderten Umständen angemessene Gewöhnung der instinetiven Thätigkeit der Athemmuskeln vorausgegangen ist. Ehe das geschehen ist, wird die Lunge in grossen Höhen nicht in normaler Weise arbeiten können, und dies dürfte den Erscheinungen der Bergkrankheit zu Grunde liegen, welche nachlassen, sobald man wieder im Stande ist, richtig zu athmen. Erwägen wir zunächst, in welcher Weise der Luftdruck auf die Ausathmung einwirken kann. Dies wird sofort deutlich, wenn man ‚ berücksichtigt, dass für gewöhnlich die Ausathmung nicht mit Hülfe einer ' unter dem Einflusse unseres Willens oder Bedürfnisses stehenden Muskel- thätigkeit geschieht, sondern dass sie sich durch die Spannkraft des Lungengewebes vollzieht, unterstützt durch die Spannkräfte der vorher ausgedehnten Brust- und Bauchwände, Die Wirkung dieser Spannkräfte ist mit der Thätigkeit eines elasti- schen Blasbalges zu vergleichen, der durch Anwendung äusserer Kräfte ' ausgedehnt worden ist und der nun bei Nachlass dieser Kräfte vermittels | seiner eigenen Spannkraft sich wieder zusammenzieht und damit die Luft aus seiner Mündung hinaustreibt. Die ausströmende Luft findet aber in der Dichtigkeit der Atmosphäre einen Widerstand, welcher sie zurückhält und ihre Geschwindigkeit vermindert, und dadurch muss sich _ die Zusammenziehung der Lungen in demselben Verhältnisse verzögern. Die Verzögerung wird geringer, wenn die Dichtigkeit der Atmosphäre abnimmt und sie nimmt zu mit der wachsenden Dichtigkeit. \ Die Diehtigkeit der Atmosphäre ändert sich aber in demselben Ver- hältnisse wie der Luftdruck, und was eben bezüglich der Dichtigkeit ‚ gesagt wurde, gilt also auch fär den Barometerstand. | Archiv f.A.u.Ph, 1879. Physiol. Abthlg. 19 290 G. v. LieBie: In dem ersten Theile von Wüllner’s Zehrbuch der Physik, 1870, ist 8. 389 die Formel entwickelt, welcher man sich zur Berechnung der Geschwindigkeit v' einer Luftströmung, bedient, die, aus einem Raume kommend, worin die Luft unter dem Drucke p’ steht, in einen anderen Raum ausfliesst, in welchem ihr der Widerstand oder Druck p” ent- entgegensteht. Sie lautet in abgekürzter Form eV worin C’ die Geschwindigkeit des Ausflusses in den leeren Raum bedeutet. Setzt man in dieser Formel den Druck, welcher während der Ausathmung in den Lungen herrscht, und der sich aus dem äusseren Luftdruck d und dem Drucke der Lungenspannung = zusammensetzt, gleich p’, also b+nr=p’, den äusseren Druck 5 = p”, so wird" -p=b+n —b=m, und die Formel würde jetzt lauten ze X b+n’ und wenn sich der Barometerstand von d auf 5’ und die Geschwindigkeit dadurch auf v’ ändert, so ergiebt sich das Verhältniss vV=Vb+n:VYb+n, oder es verhalten sich die Geschwindigkeiten der ausströmenden Luft umgekehrt wie die Quadratwurzeln aus den um die Lungenspannung ver- grösserten Barometerständen. Die zur Ausströmung nöthigen Zeiten, 4 verhalten sich aber umgekehrt, wie die Geschwindiekeiten, also :t=Vb+n:Vb+tn, oder geradezu wie die Quadratwurzeln aus den Barometerständen mit der Lungenspannung. Wenn wir nun für die Grösse » das Mittel nehmen zwischen der Spannung der Lungen in ausgedehnter Stellung, nach Donders gleich 30”” Quecksilberdruck, und der Spannung in zusam- mengezogener Stellung, gleich 6”®, so erhalten wir für die mittlere Lungenspannung a = 18%", Setzen wir jetzt die Geschwindigkeit der Ausathmung unter dem Normalbarometerstande von 760” oleich 100, so ergiebt die Berechnung, für Zu- und Abnahme des Barometerstandes um je 100””, folgende Verhältnisse der für die Ausathmung nöthigen Zeiten: Barometerstand, Millim. 1060 960 860 760 660 560 460 485 Zeit der Ausathmung . 118 112 106 100 93 86. 78 Io Eın APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. S. w. 291 Wenn also die Dauer der Ausathmung unter dem Drucke von 760 "" oO beispielsweise 10 Secunden betragen würde, so würde sie sich bei glei- cher Tiefe der Athemzüge unter einem um 300”" höheren Drucke auf 11-8 See. verlänsern und unter einem um 300 %% oerinseren Drucke auf oO oO oO 7’S Sec., endlich unter dem Drucke von 435""%, wie auf dem Mont 6) I - Blane, auf 7:6 Sec. vermindern. a - 2 a Be a Das Verhältniss zwischen der Ausathmung unter dem mittleren Drucke in Reichenhall, von 720””, und dem Drucke in der pneuma- tischen Kammer von 1040”” würde bei gleicher Tiefe der Athemzüge wie 10:12 sein müssen. Bei den oben mitgetheilten Zählungen war das Verhältniss der Ausathmung unter diesen beiden Drucken bei Hrn. M. wie 8-74:11-59, oder wie 10:13:26, also etwas grösser als das. berech- nete, was aber erklärlich wäre, weil der Athemzug unter dem erhöhten Drucke um 100°® tiefer war, die Lungen also weiter ausgedehnt sein mussten. Bei H., dessen Athemzüge unter erhöhtem Drucke etwa die gleiche Tiefe hatten, wie unter dem gewöhnlichen, war das Verhältniss wie 2.25:2-72, oder 10:12-1, stimmte also mit der Berechnung überein. Es war mir nun aber darum zu thun, die thatsächliche Geltung des theoretischen Verhältnisses für die Ausströmungsgeschwindigkeit der Luft ‚auch auf andere Weise überzeugend durch den Versuch darzuthun, und ich sann darauf, einen Apparat zu finden und zu prüfen, an welchem man die Aenderungen in der Geschwindiskeit der ausströmenden Luft unmittelbar erkennen könnte. Diese Arbeit gestattete mir Hr. Professor v. Jolly in München, mein verehrter Freund, mit den Hülfsmitteln seines Laboratoriums auszuführen, und seinem erfahrenen und auf das Freundlichste gewährten Rathe folgend, ersetzte ich den Druck der Lungen- _ spannung durch Quecksilberdruck. Der Apparat besteht, wie die Abbildung zeigt, aus zwei unter ein- ander verbundenen Hohlkuseln von Glas, von denen die eine, welche höher steht, einen mehrfach grösseren Inhalt hat, als die tiefer stehende, kleinere. Die kleinere Kugel ist oben in eine feine Spitze, s, ausgezogen, und ‚ der Versuch besteht darin, dass man Quecksilber aus der grossen in die , kleinere Kugel einströmen lässt, welches die in dieser befindliche Luft ‚ dureh die Spitze hinaustreibt. Da die Spitze sehr fein ist, so erfordert ‚ dies eine gewisse Zeit, welche beobachtet wird. Von beiden Kugeln gehen nach unten Röhrenfortsätze aus, die mittels eines Stückes doppelten Kautschukschlauches aneinandergefügt Sind, und welche die Verbindung zwischen den beiden Kugeln vermitteln. Sie wird hergestellt, wenn man einen Glashahn öffnet, der in dem Ver- "bindungsfortsatze der kleinen Kugel, kurz vor dessen Anschluss an diese 195 292 G. v. Liesie: angebracht ist. Die grössere Kugel, welche bis etwas über ihre Mitte mit Quecksilber gefüllt wird, ist gross genug, dass der Spiegel des Queck- silbers nur wenig sinken muss, wenn so viel davon abläuft, um die kleine Kugel zu füllen. I!) er N MIN UNI N Zr ii In Um nun den Versuch unter verschiedenem Athmosphärendrucke zu ermöglichen, ist nur nöthig, dass man den Raum über dem Quecksilber in der grossen Kugel mit der Ausströmungsspitze der kleinen Kugel mittels einer Glasröhre verbindet, in welcher man die Luft verdünnen und verdichten kann. Diese Glasröhre ist, wie die Abbildung zeigt, ın festem Zusammenhang mit der grossen Kugel, von deren oberem Ende a. J WEEZE EIN APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. S. w. 293 sie ausgeht und sie legt sich dann, indem sie erst nach oben, dann hori- zontal, und endlich wieder nach abwärts gerichtet ist, mit ihrem freien Ende über die Spitze auf der kleinen Kugel, an deren Hals sie mit Siegellack luftdicht befestigt wird. An ihrem oberen horizontalen Theile trägt sie ein kurzes aufgesetztes Rohr, welches in zwei Arme ausgeht: einen der nach hinten gerichtet ist (auf der Abbildung nicht sichtbar), für den Ansatz eines Manometers, den anderen, nach der Seite gerichtet, für die Luftpumpe. Die Verbindung zwischen diesen Fortsätzen und dem inneren der Röhre lässt sich durch einen Gashahn abschliessen. Der Versuch wird angestellt, indem man zuerst, durch Einpumpen oder Ausziehen von Luft, den Luftdruck im Inneren des Apparates auf die zu untersuchende Höhe bringst. Dann entleert man die kleine Kugel, indem man das darin enthaltene Quecksilber durch Neigen des ganzen Apparates auf die Seite in die grosse Kugel übertreten lässt, bis es einen bestimmten Punkt zwischen der kleinen Kugel und dem Hahne erreicht hat, den man sich an der Röhre bemerkt, und schliesst nun den Verbin- dunsshahn. In dem Augenblicke, wenn dieser nach Geradestellung des Apparates wieder geöfinet wird, beginnt man nach einer schlagenden Secundenuhr zu zählen und endet die Zählung in dem Augenblicke, in welchem das Quecksilber in die äusserste Spitze der kleinen Kugel eintritt. Es ergiebt sich nun jedesmal, dass die Zeit, welche nöthig ist, um die Luft aus der kleinen Kugel zu verdrängen, mit zunehmendem Luft- drucke länger, mit abnehmendem kürzer wird, und die Zu- und Abnahmen stimmen mit der Berechnung überein, wenn man einen kleinen Fehler berücksichtigt, der bei stärkerer Druckverminderung im Inneren des Apparates durch den Kautschukschlauch entsteht. Dieser wird nämlich, bei starkem Druckunterschiede zwischen Innen und Aussen, durch den äusseren Luftdruck merklich zusammengepresst, wodurch die Bahn für das Quecksilber verengt und die Ausfüllung der kleinen Kugel etwas verzögert wird. Für die controlirende Berechnung des theoretischen Werthes der Zeit oder Geschwindigkeit wird an die Stelle der Grösse m, welche vorher die Lungenspannung bezeichnete, der Unterschied zwischen den mittleren Ständen der Quecksilberspiegel in der grossen und kleinen Kugel gesetzt, hier 134”=, Der Luftdruck im Inneren des Apparates ergiebt sich aus dem Barometerstande, nach Zuzählung oder Abzug einer aus der Angabe des Manometers bekannten Grösse, um welche man den Druck im Inneren vermehrt oder vermindert hatte. Ich habe wiederholt in den Grenzen von S00"M über, und ebensoviel unter dem herrschenden Barometer- stande die zur Verdrängung der Luft aus der kleinen Kugel nöthige Zeit bestimmt, für Abstände von jedesmal etwa 100%" im Drucke. Eine 294 G. v. Liesie: Reihe dieser Bestimmungen, vom 8. Februar 1879, welche unter zu- nehmender Verminderung des Druckes gemacht wurden, will ich hier mittheilen. Die Zählung unter dem herrschenden Luftdrucke ergab bei mehrmaliger Wiederholung die Zeit von 106-2 Secunden und diese wurde zur Grundlage der Berechnung der theoretischen Werthe für die übrigen Bestimmungen nach der Gleichung t:t=Vbtn:Vbotn, benutzt. Für 5 wurde der mittlere Barometerstand während der Versuchszeit genommen, der 711-2” betrug. Alle Druckangaben sind auf 0° reduecirt. 3 b b—100 5-200 5-—-300 Luftdruck im Apparat 711-2 604-5 508-9 411-6 Zeit der Auströmung in Secunden, berechnet . . I° beobachtet. . 106-2 9° Es wurden drei Reihen von Beobachtungen, sowohl für die Vermin- derung, als für die Vermehrung des Druckes gemacht, bei welchen die an verschiedenen Tagen für den herrschenden Druck gefundenen Zeiten sich zwischen 106 und 108 Secunden bewegten. Um durchschnittliche Werthe in allgemeiner Form berechnen zu können, wurde nun die unter dem herrschenden Drucke gefundene Secundenzahl jedesmal gleich 100 gesetzt und die übrigen Werthe darauf bezogen. Dies konnte ohne Bedenken geschehen, da die einer bestimmten Abstufung des Druckes, wie bei 2, b — 100, 5 — 200 u. s. w., angehörisen Druckgrössen so wenig untereinan- der abwichen, dass ihre Abweichungen das Ergebniss im Mittel nicht beeinflussen konnten. Mittlere Ergebnisse unter vermindertem Drucke: Kustdruckossr 02. b 5-100 7520025 300 Zeit in Secunden, berechnet . . 100 95-5 86-9 79.9 beobachtet. . 100 93-5 88-5 82.7 Man bemerkt unter den stärkeren Druckverminderungen die schon | erwähnte und durch die Nachgiebigkeit der Kautschukverbindung ent- stehende Verzögerung des Ausflusses, die mit der Druckverminderung zunimmt. Sie beträgt unter &—200 1-6 Sec., unter 5—300 2-8 en Unter der Druckerhöhung kommt sie nicht vor. EıIn APpARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. S. w. 295 Mittlere Ergebnisse unter dem erhöhten Drucke: Inustdruck, ad. b 5+100 5+200 5-+300 Zeit in Secunden, Berechnet. 7.421002: 7106-0. 111.1T. 117.2 beobachte 22 221002221006.2°27111.4777116-8 Die gefundenen Zahlen stimmen gut mit den berechneten überein, so dass eine Beeinflussung der Ausathmung durch den Luftdruck in gleicher Weise nicht mehr zweifelhaft sein kann, wenn man zugleich die oben mitgetheilten Zeitverhältnisse des Athmens berücksichtigt. Mit Vermeidung des Fehlers, der aus dem Zusammenpressen des Kautschukschlauches entsteht, was bei Anfertigung eines neuen Apparates leicht geschehen kann, sind die Angaben genau genug, um schon für Höhenunterschiede von 1000” den Einfluss auf die Athmung zu zeigen. Für die Vergleichung auf Höhen, oder in pneumatischen Kammern wird die Form eine einfachere, weil das obere Rohr wegbleiben kann und auch die Kautschukverbindung überflüssig wird. Den Apparat, welchen ich Pnoometer nennen will, da das bessere Wort Pneumatometer schon für etwas anderes angewandt wird, fertigt in gefälliser Form auf Be- stellung Hr. Karl Berberich, Präparator am physikalischen Cabinet der Universität zu München. Was nun die Einathmung betrifft, so haben wir gesehen, dass die darauf verwandte Zeit unter dem erhöhten Drucke etwas verkürzt war. Diese Veränderung, welche sich besonders bei Kranken als eine wohl- thätige Krleichterung des Athmens fühlbar macht, lässt sich durch eine einfache Betrachtung als die Folge des zunehmenden Luftdruckes erkennen. Vergesenwärtigen wir uns zu diesem Zwecke, dass im normalen Zustande die Lungen mit den Brustwänden nicht zusammen hängen und dass des- halb die Zuskräfte, welche den Brustraum erweitern, nicht unmittelbar auf die Lungen wirken können. Ferner, dass die Lungen durch ihre eisene Spannkraft das Bestreben haben, sich auf ihre Wurzel zusammen- zuziehen und damit einen Widerstand bieten, der überwunden werden muss, wenn sie ausgedehnt werden sollen. Dem gegenüber steht als ‚ausdehnende Kraft der Luftdruck, welcher von Innen die Ausdehnung bewirkt, wenn der Brustraum erweitert wird. Ein Luftdruck von 760 "= ist viel stärker, etwa 22 mal so stark, als die mittlere Spannkraft der Lungen, weshalb deren Ausdehnung rasch und unmittelbar erfolgt, und ohne dass die Lungen ihre Berührung mit der zurückweichenden Brust- wand aufgeben. Setzen wir nun den Fall, der Luftdruck wäre schwächer, und wäre z. B. ebenso stark, wie die geringste Lungenspannung, so würde er diese nicht überwinden können, und die Lunge würde bei der 296 G. v. Lepie: Erweiterung des Brustraumes in Ruhe bleiben. Der Zug der Athem- muskeln würde in diesem Falle die Brustwände von den Lungen ent- fernen und zwischen beiden einen luftleeren Raum lassen. Einem etwas grösseren Luftdrucke, von 30%”, würden die Lungen gerade bis zur Grenze ihrer gewöhnlichen Ausdehnung nachgeben, bei welcher ihre eigene Spannung die Stärke von 30" erlangt. Aber rasch würde die Ausdehnung bei diesem Drucke nicht erfolgen können, weil das Ueber- gewicht des Luftdruckes von Anfang an ein geringes wäre und der Widerstand ein zunehmender. Auch keine Anstrengung der Athem- muskeln könnte die Ausdehnung beschleunigen, denn alles was der Muskelzug erreichen würde, wenn er den Brustraum rascher erweitern wollte, als die Lunge folgen kann, wäre eine Trennung der Brustwand von der Obertläche der Lunge. Auch ohne die Gesetze der Mechanik zu Hülfe zu nehmen, wird es klar sein, dass der Luftdruck die Lungenspannung um so rascher über- winden muss, je stärker er ist, und es wird hiernach als selbstverständ- lich erscheinen, wenn wir sehen, dass die Rinathmung bei hohem Luft- druck sich etwas rascher vollzieht. Ebenso erkennen wir, dass eine Verminderung ihrer Geschwindigkeit nothwendig eintreten muss, wenn der Luftdruck abnimmt. Berechnet man die Unterschiede nach der Formel, so erscheinen .sie allerdings klein, allein in einer stärker ver- dünnten Luft muss die beständige Wiederkehr einer Verzögerung, welche die vollständige Befriedigung des Athembedürfnisses erschwert, besonders bei körperlicher Bewegung, endlich eine Ermüdung der vergeblich ange- strengten Athemmuskeln hervorbringen, wie sie uns Lortet so anschau- lich geschildert hat. Die physiologischen Wirkungen des erhöhten wie des verminderten Luftdruckes, soweit sie die Athmung und die Blutvertheilung im Körper betreffen, lassen sich ohne Schwierigkeit aus dem Zusammenwirken der Veränderungen ableiten, welehen die Athemweise unterliegen muss, e8 würde jedoch den Zweck dieser Mittheilung überschreiten, wenn ich jetzt daranf näher eingehen wollte Mein Wunsch wäre erreicht, wenn es mir gelungen sein sollte, den Weg für weitere Schritte zur Begründung eines richtigen Verständnisses dieser Verhältnisse anzubahnen, wozu auch Beobachtungen in grossen Höhen wünschenswerth erscheinen. Zu einer Zeit, in welcher die Anwendung des verminderten Luftdruckes in der Höhe und des erhöhten Luftdruckes in den pneumatischen Kammern mit Vorliebe gewählt wird, bedarf die Heilkunde wissenschaftlicher An- haltspunkte, um die Wirkungen des Luftdruckes beurtheilen zu lernen. Ehe ich schliesse, möchte ich noch einem Bedenken zu begegnen suchen, welches auf Grund der schönen Arbeiten von P. Bert erhoben Bis ne engen une nn EıIn APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. Ss. w. 297 werden könnte. Indem ich eine Abnahme in dem Aufnahmsvermögen des Blutes für Sauerstoff! unter stark vermindertem Luftdrucke als wahrscheinlich zugebe, wage ich es doch nicht, Bert’s Schlüssen bezüglich der Grösse dieser Abnahme zu folgen, welche nach seiner Ansabe (Comptes Rendus etc., t. 77, p. 532) so beträchtlich wäre, dass das Blut in der Höhe des Mont Blane nur etwa °/, seines normalen Sauerstofigehaltes würde aufnehmen können. Versuche von der Art, wie sie Bert an Hunden unter vermindertem Luftdrucke machte (Comptes Rendus ete., t. 75, p. 88), bieten bedeutende Schwierigkeiten, die er mit grossem Geschicke überwand, allein selbst bei der sorgsamsten Ausführung scheinen sie mir nicht die wünschenswerthe Sicherheit für eine so weit gehende Schlussfolgerung zu gewähren. Es wurde den Hunden die Art. carotis oder femoralis unterbunden, an der Unterbindungsstelle eine Röhre eingeführt und vor der Unter- - bindungsstelle eine Klemme angebracht. Röhre und Klemme führten durch die Wand des für den Versuch luftdicht geschlossenen Behälters nach Aussen. Bei dem Oeffnen der Klemme, was von aussen geschehen konnte, strömte das Blut in die Röhre ein, welche es einer in ihre Mün- dung eingesteckten Spritze zuleitete. Während des Versuches durfte eine Zerrung der Unterbindungsstelle nicht stattfinden und der Hund musste deshalb dicht an der Wand des Behälters durch eine besondere Vor- richtung nahezu unbeweslich festgelegt werden. Es wurde dann zuerst im Beginne des Versuches unter dem Luftdrucke von 760 ”" eine Blut- entziehung gemacht, die nach Verdünnung der Luft im Behälter in kurzer Zeitfolge ein- oder mehrmals wiederholt wurde. Die Möglichkeit eines unbeeinflussten natürlichen Athmens allein könnte hier die Ueberzeugung begründen, dass die Hunde bei starker Verdünnung der Luft wenigstens so viel Sauerstoff aufgenommen haben würden, als die Verdünnung selbst es gestattete. Aber auch eine freie Bewegung der Hunde in dem Behälter würde nicht hingereicht haben, uns diese Gewissheit zu verschaffen, denn sie mussten, wie die Menschen, den mechanischen Einwirkungen der Luftverdünnung ausgesetzt sein, und es konnte in Folge derselben der eine mehr, der andere weniger an Athembeschwerden leiden, während ein dritter verschont blieb. Um so weniger wäre nun bei eingeenster Lagerung ven den betroffenen ein ausgiebiges Athmen zu erwarten gewesen. D’Orbigny erzählt im I. Bande seines Voyage dans T_Amerigue, dass in 4500” Höhe nicht nur er selbst, sondern auch sein Hund und seine Maulthiere an Athembeschwerden und Schwäche gelitten hätten. Das Gleiche berichtet H. v. Schlagintweit von Kamelen und Pferden und nach mündlicher Mittheilung hat er die- selben Erscheinungen, neben welchen er noch die Verweigerung des Fressens 298 G. v. Liesie: hervorhebt, auch an Hunden beobachtet. Es wird uns daher nicht über- raschen, wenn die Ergebnisse, welche Bert unter dem verminderten Drucke erhielt, Abweichungen untereinander zeigten, wie sie unter dem erhöhten Drucke nicht vorkamen und nicht vorkommen konnten, denn unter einem stärker erhöhten Drucke nehmen die Athembewegungen sehr bedeutend an Umfang ab, während dennoch die Sauerstoffaufnahme begünstigt ist. Von drei Hunden, 5, ce und d ergab die unter der Druckvermin- derung auf 460”, der Höhe von 4200” entsprechend, gemachte Blut- entziehung bei dem ersten eine Abnahme des Sauerstoffgehaltes im Blute um 26 Proc., bei dem zweiten um 7 Proc., bei dem dritten um 37 Proc. Warum gelang es nun dem zweiten Hunde den Sauerstofigehalt seines Blutes auf 93 Proc. sich zu erhalten, während von den beiden anderen der eine !/,, der andere !/, seines Sauerstoffsehaltes verloren hatte? Bert versucht nicht dies zu erklären, sondern er schliesst aus den Abweichungen selbst auf das Vorkommen einer verschiedenen Beschaffen- heit des Blutes bei verschiedenen Individuen, welches unter Druckver- minderung bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger Sauerstoff auf- nehmen könne, und indem er die gefundenen Abweichungen (differences) mit den verschiedenen Graden der Bergkrankheit bei dem Menschen ver- gleicht, sagt er von ihnen: „Differences, qui doivent exister entre les hommes, et qui indiquent une des raisons pour lesquelles certains hommes supportent presque impundment des diminutions de pression sous les- quelles d’autres sont malades et incapables de tout travail“. Um einen solchen Schluss mit Sicherheit ziehen zu können, wäre es nothwendig gewesen, Hunde zu nehmen, die an das Athmen unter stark vermindertem Drucke schon gewöhnt waren, bei denen man also gewiss sein durfte, dass ihnen die Druckverminderung das Athmen nicht erschwert haben würde. Dies liess sich aber unter dem Luftdrucke von Paris nicht erreichen. | Als Bert seine Versuche machte, war der Gedanke an einen -mecha- nischen Einfluss der Luftverdünnung auf. die Athemthätigkeit noch nicht in weiteren Kreisen aufgenommen und Bert konnte nicht ver- muthen, dass unter einer Druckverminderung von 760% auf 460" die Ausathmung sich nahezu um '/, rascher vollziehen würde, und dass die Einathmung etwas erschwert sein würde. Es ist vorauszusehen, dass bei einer solchen Athemweise die Sauer- stoffaufnahme beeinträchtigt werden müsse, weil bei gleicher Tiefe des | Athemzuges die Luft in den Lungen weniger lange verweilen kann, und | so bestätigen es auch die Erscheinungen der ‚Bergkrankheit, wie sie im Anfange eines Aufenthaltes in grossen Höhen hervortreten. Einige EIn APPARAT ZUR ERKLÄRUNG D. WIRKUNG D. LUFTDRUCKES U. S. w. 299 Menschen gleichen dies leichter aus, andere schwerer, alle fühlen bei rascherer Athemfolge, zu welcher die Druckverhältnisse an sich nöthigen, weniger gut als bei möglichst langsamem Athem, welches dann zugleich auch tiefer ist. Man darf erwarten, es werde für Mensch und Thier um so schwie- tiger sein, die Athmung so einzurichten, dass sie die Druckverhältnisse überwinde, je plötzlicher eine Druckverminderung auftritt, und eine Ueber- sangszeit, die nach Minuten zählt, wie bei den Versuchen, wäre also der Ausgleichung keineswegs günstig gewesen. Wenn nun Bert’s Versuche auch nicht zum Beweise dienen können, dass unter Druckverminderung bei gesunden Menschen und Thieren so erstaunlich grosse Abweichungen in dem Aufnahmsvermögen des Blutes für Sauerstoff bestehen, wie er Abweichungen im Sauerstofigehalte gefunden hat, oder dass eine Verdünnung des Sauerstoffes, so wie sie in den höch- sten bewohnten Gegenden vorkommt, an und für sich schon hinreiche, um solche Abweichungen zu bedingen, so haben sie doch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Sie liefern uns, auch wenn wir die Plötz- lichkeit der Verdünnung und die gezwungene Lagerung in Anschlag bringen, einen Maassstab für die verschiedenen Verhältnisse der Abnahme im Sauerstoffgehalte des Blutes, wie sie bei der Bergkrankheit vorkom- men können, und wie sie der Schwere der Erscheinungen in einzelnen sich Fällen zu entsprechen scheinen. Ueber die Ursachen der in den quergestreiften Muskeln unter der Einwirkung constanter Ströme auftretenden Strömungserscheinungen. | Von Prof. A. E. Jendrässik in Budapest. Die Strömungen, welche mit den sie sonst noch begleitenden Er- scheinungen in den quergestreiften Muskeln der Frösche unter der Ein- wirkung constanter elektrischer Ströme auftreten, sind zweierlei Art. Die eine derselben ist seit Kühne’s Beschreibung unter dem Namen des Porret’schen Phänomens am Muskel allgemein bekannt,! sie ist jedoch betreffs ihrer Ursachen bisher verschieden gedeutet worden. Die- selbe ist nur an parallel gefaserten ganzen Muskeln, besonders am M. sar- " torius, oder an grösseren Faserbündeln solcher Muskeln, aber schon mit freiem Auge wahrnehmbar. Die andere Art der Strömung tritt dagegen innerhalb des Sarkolemma’s der einzelnen Muskelfasern auf und ist darum nur unter dem Mikroskop sichtbar. Zum Unterschiede von der vorigen bezeichne ich letztere als innere Muskelfaserströmung. Ich habe dieselbe schon vor Jahren kennen gelernt, aber von derselben, ausser mündlicher Besprechung gelegentlich meiner Vorlesungen, deshalb keine Mittheilung gemacht, weil ich vorher noch durch weitere Untersuchungen Aufklärung über einige Punkte erlangen wollte.? 18. Kühne, in diesem Archiv, 1860, S. 542; — E. du Bois-Reymond ın seiner Abhandlung: Ueber den secundären Widerstand, ein durch den elektrischen Strom bewirktes Widerstandsphänomen an feuchten porösen Körpern. Monatsberichte der Berliner Akademie u.s. w. 1860. 8. 302 ff.; — Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Muskel- und Nervenphysik. Leipzig 1875. Bd. I, S. 126 #. 2 Bei der nahen Beziehung, in welcher diese Strömung schon vermöge ihrer | Oertlichkeit mit der inneren Structur der Muskelfaser steht, war es wünschenswerth, | ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 301 Indem das Porret’sche Phänomen und die innere Muskelfaser- strömung, wie sich aus dem Folgenden ergeben wird, ihrem Wesen nach Erscheinungen verschiedener Art sind, so müssen dieselben getrennt ab- gehandelt werden. 1. Das Porret’sche Phänomen am Muskel. Die Untersuchungen wurden theils an mit Ourare vergifteten, theils an nicht vergifteten Thieren entnommenen Muskeln nach folgenden zwei Methoden ausgeführt. Bei der einen Methode war durch das eine Muskelende eine nadel- förmige Elektrode gestochen, die entweder frei beweglich blieb oder auch fixirt werden konnte. Das andere Muskelende stand mit du Bois-Rey- mond’s Muskeltelesraphen in Verbindung, während die Mitte des Muskels in einer Zange aus Elfenbein derart mit Schonung eingeklemmt ward, dass dadurch die Ausbreitung jeder Zerrung von dem einen Muskelab- schnitte auf den anderen ausgeschlossen blieb. Auf der dem Muskel zugekehrten Seite des einen der 6"" breiten Zangenblätter waren zwei Platindrähte in einem Abstand von 4”” zu einander parallel, aber die Muskelrichtung kreuzend, ausgespannt, von welcher der von der anderen — einfachen — Elektrode entfernter stehende mit der Stromleitung per- manent verbunden blieb, während der andere mittels Schlüssels damit verbunden werden konnte, so dass dann beide Drähte zwei Zweige der- selben Rlektrode bildeten. In der Hauptleitung der aus 20 kleinen Grove’schen Elementen bestehenden Kette war ein Schlüssel, ein Com- mutator und ein Rheochord, in dem von letzterem zum Muskel geführten Stromzweig aber war noch eine Bussole eingeschaltet. Das zweite Verfahren war vom vorigen nur darin verschieden, dass hier unpolarisirbare Elektroden benutzt wurden, auf welchen der zwischen einem festen Punkte und dem Telegraphen schwach ausgespannte Muskel frei auflag. Als Hlektroden dienten hier zwei kleine knieförmig ge- bogene Glasröhrchen, aus deren horizontalem Aste mit 0-5 procentiger ihre Erscheinungen mit den neueren histologischen Untersuchungsergebnissen einer vergleichenden Prüfung zu unterziehen. Bei Gelegenheit dieser Prüfung, welche Dr. Mezei im hiesigen physiologischen Laboratorium unternommen und deren Er- gebnisse er in einer der ungarischen Akademie der Wissenschaften vorgelegten Ab- handlung veröffentlicht hat, wurden von ihm auch die Richtung dieser Strömung, sowie einige darauf bezügliche Momente näher bestimmt, aber erst weitere Unter- suchungen führten zu einem befriedigenderen Einblick in das Wesen dieser Er- scheinungen und erlauben nun, dieselbe auf ihre bedingende Ursache zurückzuführen. 302 A. E. JENDRÄSSIK: Kochsalzlösung angefeuchtete konische Papierröllchen hervorragten, über welche mit Eiweiss durchtränkte Membranen gebreitet waren; in dem aufrechtstehenden Aste der mit Zinklösung gefüllten Röhrchen tauchten Zinkdrähte ein. Bei beiden Anordnungen war also der Muskel in einen durchströmten, intrapolaren und einen nicht durchströmten, extrapolaren Abschnitt ge- theilt, welche beide gleichzeitig beobachtet werden konnten. In dem Gesammtcomplex des sogen. Porret’schen Phänomens sind folgende Einzelerscheinungen wohl von einander.zu unterscheiden: 1. die bei der Stromschliessung in der ganzen Länge des Muskels plötzlich zuckungsartig auftretende Zusammenziehung, die sich auch auf den extrapolaren Abschnitt selbst dann miterstreckt, wenn der Muskel an der Stelle der beide Strecken scheidenden Elektrode eingeklemmt ist. Diese sich so einstellende Contraction dauert dann, neben ganz unregel- mässigen, im intra- wie extra-polaren Abschnitt, anfangs häufiger und in vielen, später seltenen und nur in einzelnen Bündeln intereurrirenden Zuckungen, während der weiteren Stromdauer fortwährend, aber in ab- nehmendem Grade an, und hört falls nicht schon früher, in Folge über- mässiger Stromdauer, Erschöpfung eingetreten wäre, erst mit der Oell- nungszuckung auf. 2. Entsprechend jener Zusammenziehung erstreckt sich auch die Verdickung des Muskels auf dessen beide Abschnitte. Bei ihrem Ein- tritte erfährt der, der Kathode zunächst liegende Abschnitt gleichsam einen Massenstoss gegen diese Elektrode hin, so dass derselbe der Elek- trode zuzustürzen scheint, auch wenn letztere mit dem beweglich ge- lassenen Muskelende verbunden ist, falls nur dieses nicht gar zu beweg- lich ist, aber immerhin noch mit einigem Widerstand sich der fixirten Mitte nähern kann. Liegt aber der letzteren die Kathode auf, so drängen sich beide Muskelabschnitte dieser zu. Im interpolaren Theil ist dann die Verdickung gegen diese Elektrode hin stark ausgeprägt, während an der Anode der Muskel schlanker bleibt. Die locale Ungleichheit in der Verdickung ist natürlich bei ganz beweglichen Elektroden im intrapolaren Theil ebenso unbemerkbar, wie im extrapolaren, der mit dem freibeweg- lichen Telegraphen verbunden, in seiner Zusammenziehung unbehindert ist. Wird aber auch dieses Ende fixirt, so ist die Verdickung zu beiden Seiten der in der Mitte des Muskels liegenden Kathode deutlich ausge- sprochen und falls der Muskel an dieser Stelle nicht eingeklemmt ist, sondern der Elektrode blos aufliest, so sieht man, dass die Verdickung sich von da aus, sowohl intra- als extra-polar über eine gewisse Strecke hin ausdehnt, die Oberfläche des Muskels sich daselbst in Querfalten legt, —— — ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 303 fortwährend hin und her wogt und auch die partiellen Zuckungen sich hier am meisten wiederholen. Während der weiteren Stromdauer nimmt das unruhige Wogen allmählich ab, die ungleiche Vertheilung der Ver- diekung gleicht sich immer mehr aus, zugleich stellt sich im Bereiche der Kathode innerhalb des intrapolaren Abschnittes eine milchige Trü- bung ein, die im extrapolaren Theil nicht auftritt. Mit der Oefinungs- zuckung wird die Muskelmasse nach der Anode zurückgeworfen und die vormalige Verdiekung schwindet allmählich gänzlich. Ausgeprägter noch ist der Rückstoss bei plötzlicher Aenderung der Stromrichtung. 3. Die sogleich nach der Schliessungszuckung auftretende, von der Anode nach der Kathode gerichtete wellenartige Strömung bleibt stets nur auf den intrapolaren Abschnitt beschränkt. Anfangs in der ganzen Breite des Muskels erscheinend, aber in den einzelnen Bündeln desselben mit verschiedener Geschwindigkeit vorschreitend, beschränkt sich dieselbe später mehr und mehr blos auf einzelne Bündel und auf stets kürzere Strecken, so dass dieselbe in den einzelnen Bündeln bald auftretend, bald verschwindend, zugleich in verschiedener Entfernung von der Anode be- sinnt und ebenso näher oder entfernter von der Kathode wieder ver- schwindet. Anfangs werden die Bündel an den Stellen der eben durch- schreitenden Welle merkbar gekrümmt, verbogen, vorgewölbt, hinterher wieder gerade gestreckt, während die Welle selbst so wogend gegen die Kathode hin weiter vorschreitet, bis sie an dem wallartigen Wulst da- selbst gleichsam brandend, wieder eine Strecke weit nach der Anode hin zurückfluthet und die Biegungen der Bündel ausgleicht. Je mehr sich aber diese Strömung bei der weiteren Dauer des Kettenstromes verlang- samt, um so flacher und gestreckter werden auch die Ausbiegungen der Bündel unter der wellenartigen Strömung, bis diese sich endlich mehr und mehr zu einer sich gleichförmig ergiessenden Fluth umgestaltet; endlich aber schwindet auch diese Form der Strömung, um bei gewen- detem Kettenstrom in der ursprünglichen Weise, aber in umgekehrter Richtung lebhaft wiederzukehren. Diese Strömung tritt am stärksten bei einer gewissen mittleren Anspannung des Muskels auf, während sie aber bei einer noch stärkeren Anspannung, ebenso auch übermässigen Erschlaffung desselben sogleich ‚ aufhört, bei gehöriger Spannung aber allsogleich wieder erscheint. Die unter 2 und 3 beschriebenen Erscheinungen sind es, deren Ge- sammtheit als Porret’sches Phänomen bezeichnet wird; sie müssen aber von einander durchaus unterschieden werden, weil ihre Ursachen wesent- lich verschieden sind. Was nun vor allem die wulstartige Verdieckung in der Gegend der 304 A. E. JENDRASSIK: Kathode anbelangt, so kann ich dieselbe ebensowenig wie Hr. du Bois- keymond! von einer durch die scheinbare Strömung bewerkstelligten Ueberführung contractiler Muskelsubstanz nach der Kathode hin ableiten. Denn im Falle, wo im Inneren der einzelnen Muskelfaser, wie bei der später zu erörternden inneren Muskelströmung wirklich eine Fortbewegung des Faserinhaltes stattfindet, geht diese nach anderen Richtungen vor sich, als die scheinbare Strömung beim Porret’schen Phänomen; bei diesem aber ist unter dem Mikroskop von einer Fortführung ebensowenig eine Spur wahrnehmbar, als man auch an vorher durchströmt gewesenen Muskeln keinerlei Veränderungen in den Querstreifen nachträglich be- merken kann. Ferner bildet sich die Verdickung nicht blos auf der, dem intrapolaren Abschnitte zugekehrten Seite der Kathode aus, auf welchen die überführende Wirkung doch nur allein beschränkt sem müsste, sondern dieselbe erstreckt sich auch auf die extrapolare Seite aus. Auch stellt sich dieselbe sogleich mit dem Schluss des Ketten stromes ein, geht somit der fraglichen Strömung weit voran und statt zuzunehmen, nimmt dieselbe während der weiteren Dauer der Strömung ab, sowie das unruhige Wogen oberhalb der Kathode aufhört oder auch nur schwächer wird. Eben diese unregelmässige, hin- und herwogende Bewegung aber, die sich von der interpolaren Strömung sehr wohl unter- scheiden lässt, ebenso wie die Querrunzeln auf der Oberfläche daselbst beweisen, dass die locale Anschwellung nur durch die, von dieser Elek- trode aus sich wiederholende Reizung bedingt sei, in deren Folge noch nach der Schliessungszuckung nach beideu Abschnitten hin Uontractions- wellen auslaufen, die wohl für sich unsichtbar und nur in den inter currirenden stärkeren Partialzuckungen angedeutet sind, unmittelbar am | Reizungsorte jedoch eine länger andauernde sogen. Schiff’sche idiomus- culare Contraction ebenso hervorrufen, wie dies auch anderweitige locale ' - — mechanische oder durch Inductionsstösse ausgeübte — Reize thun. Ich halte demnach in diesem Sinne die Deutung der an der Kathode auftretenden Anschwellung als örtlichen Tetanus, für welchen dieselbe anzusehen auch Hr. du Bois-Reymond? geneigt war, auch seinen späteren Zweifeln gegenüber aufrecht. Denn sowohl das über die Kathode hinaus sich erstreckende Wogen der Muskelmasse beim Schliessen, findet in der eben von der Kathode ausgehenden Contraction seine Erklärung, | als auch der Rückschlag, mit welchem beim Oeffnen die extrapolare Muskelmasse nach der Kathode hinfährt; indem durch die beim Oeffnen eben von der Anode ausgehende Zuckung die alsdann an der Kathode 1 Gesammelte Abhandlungen, a. a. OÖ. 8. 127. 2A.2.0.S. 129. m m EEE ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 305 erschlaffte Muskelmasse nicht nur in der Ausdehnung der intrapolaren, sondern auch in der über die Kathode hinaus gelesenen extrapolaren Strecke einen plötzlichen Zug nach der jenseit gelegenen Anode hin erfahren muss. Das die intrapolare Strömung nicht durch eine Ueberführung con- tractiler Muskelsubstanz, wofür sie Hr. Kühne! gedeutet hat, bedingt sein könne, habe ich bereits zu begründen gesucht. Aber auch die direete Beobachtung bietet für eine solche Annahme durchaus keine Anhalts- punkte An hinreichend durchscheinenden Muskelpräparaten, wie z. B. an dünnen Hautmuskeln oder am Rande vom M. sartorius kleiner Frösche, an denen die Porret’sche Strömung mit freiem Auge gut sichtbar war, konnte ich wohl unter dem Mikroskope wahrnehmen, dass während einer intereurrirenden Zuckung die Fasern sich gerade streckten und breiter wurden, das Verhalten ihrer Querstreifen jedoch konnte dabei ebensowenig verfolet werden, als während eine Strömungswelle vorüberflog; denn selbst wenn schon die einzelnen Zuckungen ganz aufgehört haben und auch die Strömung selbst bedeutend langsamer geworden ist, tritt mit jeder solcher Welle eine so schnelle Verrückung der Fasern aus dem Gesichtsfelde ein, dass so wie Hr. du Bois-Reymond auch ich nichts weiter als ein flüchtiges Schattenbild wahrnehmen konnte. Der Umstand jedoch, dass die während einer verhältnissmässig langen Dauer sich so oft nach gleicher Richtung wiederholenden Strömungswellen, falls sie sich wirklich auf den Faserinhalt beziehen sollten, doch auch in seiner inneren Anordnung eine Spur hinterlassen müssten, diese aber selbst an lange durchströmt ge- wesenen Muskelfasern, soweit in denselben blos das Porret’sche Phäno- men aufgetreten war, durchaus nicht auffindbar ist, beweist nicht nur, dass jene scheinbare Strömung nicht auf einer Ueberführung des Faser- inhaltes beruht, sondern zugleich, dass sie durch einen dem Jürgensen- schen Phänomen analogen Vorgang im Inneren der Faser auch nicht bedinst sein kann, selbst wenn wir hier davon absehen wollten, dass bei jenem Phänomen die Fortführung der festen Theilchen innerhalb des Stromcanals entweder zugleich nach zwei entgegengesetzten Richtungen oder ausschliesslich nach der Anode hin erfolst, dies aber mit der Rich- tung der Porret’schen Strömung unvereinbar wäre. Ich kann aber diese Strömung auch nicht wie Hr. du Bois- Reymond! „für den Ausdruck örtlicher Zusammenziehungen einzelner Bündel oder Bündelgruppen, welehe von der Anode zur Kathode laufen“, also für analog den fortgepflanzten sogen. Schiff’schen neuromuseularen N. a. ©. S. 542. EN12.02 S. 128. Archiv £.A.u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 20 306 A. E. JENDRASSIK: Contractionen halten. Denn solehe Contractionen könnten doch nur von Orten der unmittelbaren Reizung, also von der einen oder von beiden Elektroden ausgehen. Im Falle sie nun — wie dies im Sinne der be- kannten Reizwirkung constanter Ströme zu erwarten stünde — bei der oder auch nach der Schliessung des Kettenstromes, von der Kathode allein auseingen, so müsste die Strömung in entgegengesetzter Richtung erfolgen, als in der sie wirklich auftritt. Möge aber auch ihr Ausgangs- punkt welche immer der Elektroden sein, oder mögen es auch beide zugleich sein, so müssten sich die Contractionswellen doch stets auch auf den extrapolaren Abschnitt ebenso überpflanzen, wie dies thatsächlich sowohl die Schliessungs- als die Oeffinungszuckung und ebenso die Partial- zuckungen selbst über die eingeklemmte Stelle hinweg thun, und es ist weder ein Grund abzusehen, warum jene Contractionswellen bloss auf den intrapolaren Abschnitt beschränkt bleiben, noch weniger warum sie meistentheils nicht einmal unmittelbar an der Anode, sondern erst in einiger Entfernung von dieser beginnen und warum sie ohne die ganze intrapolare Strecke zu durchlaufen, schon in einiger Entfernung von der Kathode verschwinden. Nachdem so die Porret’sche Strömung im Muskel weder als eine in derselben Richtung sich wiederholende, fortsepflanzte Contractions- welle, noch auch als eine Ueberführung contractiler Muskelsubstanz, sei es zu Folge solcher Contractionen, sei es nach Art des Jürgensen’schen Phänomens, gedeutet werden kann, sind wir trotz den von Hrn. du Bois- Reymond!' angeführten gewichtigen Gegengründen genöthigt die Frage näher zu erörtern, ob jene Strömung nicht dennoch durch Elektrotrans- fusion bedingt sein könnte, die jedoch zu Folge der eigenthümlichen inneren Structur des Muskels sich hier in anderer Weise als sonst an anderen Körpern äussern muss. In der That, wenn sich auch die kataphorische Kraft nur in Capillar- aggregaten äussern kann, Elektrolyte vor sich hertreibend, denen eine benetzte Wand als Stützpunkt dient, so kann diese Wirkung auch im Muskel nicht ausbleiben, der in seinen Fasern und den aus diesen durch Vereinigung mittels Bindegewebe gebildeten Faserbündeln erster und höherer Ordnung, in den zwischen denselben eingelagerten, Blut und | Lymphe führenden Gefässen und Interstitialräumen, endlich innerhalb des alle diese Elemente fascienartig umschliessenden Perimysiums, ein solches Canalsystem darstellt, in welchem ein constanter Strom unaus- bleiblich endosmotische Wirkung ausüben muss. Nachdem aber diese Wirkung mit Bezug auf die Wasserstheile auch nach Hrn. du Bois- TEA a. OS: 2128: ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 307 Reymond ausser Zweifel steht, so richtet sich unsere Frage näher dahin, in welchen Theilen, welchen Canälen des Muskels erfolgt die endosmo- tische Ueberführung des Wassers und wodurch gestaltet sich dieselbe zu dem eigenthümlichen Muskelphänomen? Wären sämmtliche Flüssigkeitscanäle des Muskels einander parallel, so könnte die durch den Kettenstrom hervorgerufene Strömung nur so lange bestehen, als das Gleichgewicht zwischen der Triebkraft des Ketten- stromes und der elastischen Anspannung der Canalwände in den stärker angefüllten und ausgedehnten Abschnitten noch nicht völlig hergestellt wäre, von da an aber müsste die Strömung ebenso aufhören — wie die Porret’sche Strömung thatsächlich aufhört, sobald der Muskel stärker angespannt wird, selbst wenn er dabei zuckungs- und überhaupt contrac- tionsfähig verbleibt —, und jene Triebkraft könnte sich ebenso bloss als Flüssiskeitsdruck äussern, wie z. B. bei jenen Versuchen, bei welchen Hr. Wiedemann! den Druck der durch den Kettenstrom gehobenen Flüssigkeitssäule bestimmte. Sind aber jene Canäle statt gerade gestreckt und rieid zu sein, mannichfach gebogen und gewunden und bis zu einem sewissen Grade schlaf und nachgiebig, durch zahlreiche Seitenäste mi einander verbunden, stellenweise verenet oder ausgebuchtet, wie es die Blut- und Lymphräume besonders des contrahirten Muskels sind, wo bei verkürzten Fäsern jene Gefässe umsomehr Verbiegungen und Verengerungen erleiden, so ist wohl kaum vermeidlich, dass jene, den Raumverhältnissen sich anbequemenden, häutigen Canäle örtliche Verschiebungen erleiden, wenn ihr flüssiger Inhalt unter der Einwirkung des Stromes von der einen Elektrode zur anderen nach dem Orte des kleineren Widerstandes hinsetrieben wird. Und während so die Füllung einzelner Abschnitte abnimmt, um sich nachher unter der ununterbrochenen Stromwirkung von den voranstehenden Abschnitten her abermals zu füllen, schreitet auch die Weiterbeförderung der Flüssigkeit von Abschnitt zu Abschnitt nur mit Unterbrechung und in dem Maasse vor, als es der Gegendruck in den weiter folsenden Abschnitten gestattet, wobei der an einem Orte etwa vorhandene Druck nicht allein von dem Drucke der zwei auf- einander folgenden Abschnitte, sondern von dem Gesammtdrucke sämmt- licher Nachbartheile abhängen wird. So muss der Flüssigkeitsstrom in seinem Laufe vielfach unterbrochen werden; am Orte eines Hindernisses wird er unter dem Einflusse der Wandelastieität auch theilweise zurück- fluthen, um sich je nach dem aufgehobenen Localhinderniss bald da, bald dort wieder zu erneuern. In dem Maasse als mehr und mehr Ab- sehnitte sich entleeren, während sich andere in der Stromrichtung ge- I Wiedemann, Die Lehre vom Galvanismus. 1861. Bd. I, S. 380. 20* 308 A. E. JENDRASSIK: legene anfüllen, und jemehr sich Triebkraft und Gegendruck ausgleichen, wird auch die Strömung abnehmen und endlich ganz aufhören, trotzdem der Muskel unter der Fortdauer des Kettenstromes noch immer in einem gewissen Grade der Contraction verharren kann. Hört der von der Anode her wirkende Druck, nach Unterbrechung des Kettenstromes auf, so wird der Inhalt, falls er noch flüssig geblieben ist, aus den überfüllten Gefässabschnitten, durch ihre elastische Zusammen- zıehung von der Kathode her zurückgedrängt werden, wohl nicht so stürmisch wie unter dem Antrieb des Kettenstromes, sondern der ge- ringeren Kraft entsprechend, langsam, allmählich. Wird jedoch der Kettenstrom selbst plötzlich gewendet, so wird auch die Strömung aus den überfüllten Abschnitten in der neuen Richtung um so lebhafter wieder erscheinen. So ist es erklärlich, dass selbst wenn die kataphorische Kraft auf die Wassertheile beschränkt wäre — wohl richtiger auf die gelösten Substanzen überhaupt, da, wie Hr. Wiedemann! nachgewiesen hat, der. Strom auch diese weiter zu führen vermag —, bei den eisenthümlichen Verhältnissen, zu Folge welcher die verschiedenen Canäle des Muskels, indem sie dem Drucke nachgebend, abschnittweise eine örtliche Ver- schiebung erleiden können, dennoch auch jene optische Discontinuität nicht fehlt, welche nöthig ist, damit jene Strömung bei, dem freien Auge gestattetem grösserem Ueberblick, als dahinfluthende Welle, im be- schränkten Sehfeld des vergrössernden Mikroskopes aber doch wenigstens als flüchtiger Schatten wahrnehmbar sei. Erklärlich ist es weiter, dass diese Strömung eben bei einer gewissen Anspannung des Muskels am lebhaftesten auftritt, dagegen ebenso wie bei stärkerer Anspannung, auch bei übermässiger Abspannung oder gar Zusammenfaltung desselben aufhören muss, indem im letzteren Falle auch die Stützpunkte fehlen, welche dem Druck gegenüber stellenweise den Gefässen zum Widerhalt dienen könnten. Ebenso erklärlich ist es, warum im weiteren Verlaufe des Ketten- stromes jene Strömung sich weder über die ganze intrapolare Strecke, noch auch über alle Bündel des Muskels gleichzeitig ausdehnt, sowie dass. sie schwächer werden, endlich ganz aufhören muss, ohne dass der Muskel aufgehört hätte reizbar zu sein, oder die Fähiskeit verloren hätte, bei geänderter Stromrichtung auch jene Strömung neuerdings zu zeigen. Sind aber bei längerer Dauer des einseitig oder abwechselnd gerichteten Kettenstromes, von der einen oder von beiden Elektroden her ausgedehnte Gerinnungen in jenem Canalsystem aufgetreten, so kann wohl alsdann I Wiedemann, a. a. O, 383. ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 309 in diesen auch keine massenhafte Ueberführung der Flüssigkeit und darum auch keine Lage- und Formveränderung der Canäle mehr vor- kommen, sondern höchstens noch eine durch die Poren hindurch geleitete, unsichtbare Diffusion. Wo dann der Muskel ebenso seine Reizbarkeit, wie die Fähigkeit für das Porret’sche Phänomen eingebüsst haben wird. Und so ist es erklärlich, dass obwohl dieses Phänomen nicht die Aeusserung einer Lebensfunction ist, dasselbe doch an eine bestimmte Beschaffenheit gebunden ist, wie solche nur der lebende und reizbare Muskel besitzt. So ist es möglich ohne weitere Hilfshypothesen den ganzen Complex dieser Strömungserscheinungen im Zusammenhang zu erklären; experi- mentelle Belege freilich für die Richtigkeit der Erklärung vermag ich leider keine anzuführen. Meine Versuche, den Vorgang nach einer oder der anderen Richtung physikalisch nachzuahmen, blieben wohl schon darum ohne Erfols, weil der in der eigenthümlichen Gesammtstructur des Muskels gelegene Hauptfactor nicht nachahmbar ist. Nur in Bezug auf einen Umstand boten die Versuche doch eine Aufklärung. Es fragt sich nämlich, ob das frühzeitige Aufhören der Strömungserscheinung, während der Kettenstrom in unveränderter Rich- tung andauert und während das Contractionsvermögen des Muskels, sowie seine Fähigkeit, bei geänderter Stromriehtung die Strömung wieder leb- haft zu zeigen, noch unverändert fortbesteht, durch irgend welche Ver- änderung der Fähigkeit des Muskels zu solchen Strömungen oder aber ' durch eine Anhäufung von Stromleitungswiderständen in Folge der äusseren und inneren Polarisation, besonders aber des secundären Wider- standes bedingt sei? Diese Frage war insbesondere auch darum zu ent- scheiden, weil bei der bereits beschriebenen ersten Versuchsanordnung ‚ polarisirbare Elektroden angewendet wurden und demzufolge. dort auch der secundäre Widerstand auftreten musste. Es war also eigentlich zu bestimmen, inwiefern etwa das Aufhören der scheinbaren Muskelströmung ı nicht allein durch die Stromschwächung in Folge der Leitungswider- ‚ stände, sondern auch noch anderweitig bedingt war? Wenn nun der von der intrapolaren Strecke abgewendete Zweig der ' an der Muskelklemme angebrachten Doppelelektrode mit dem negativen Pole der Kette verbunden war, während der jener Strecke zugekehrte Zweis: unterbrochen blieb, so nahm entsprechend der an der eingeschal- teten Bussole erkennbaren Abnahme der Stromstärke, auch die Muskel- strömung ab, und weder im Strom noch in der Strömung zeigte sich eine Verstärkung, wenn darauf auch der zweite Zweig der Doppelelektrode mit demselben Pole verbunden ward; wenn aber die Doppelelektrode der ‚ Anode entsprach, so erlangte der Strom, der schon bedeutend geschwächt ‚ war, während die Leitung bloss auf den äusseren Zweig beschränkt blieb, 310 A. E. JENDRASSIK: wieder seine ursprüngliche Stärke und die schon erloschene Strömung kehrte wieder zurück, sobald auch der andere Zweig eingeschaltet wurde. Indem wie Hr. du Bois-Reymond! nachgewiesen hat, der secundäre Widerstand sich nur auf die Gegend der Anode und auch da nur in geringer Ausdehnung einschränkt, so war aus dem obigen Versuch zu entnehmen, dass in der That das frühzeitige Verschwinden der Muskel- strömung durch die Stromschwächung besonders in Folge des secundären Widerstandes bedingt sei. Dass aber die Stromschwächung nicht die einzige Ursache des Ver- schwindens jener Strömung sei, das erwiesen die nach der zweiten Me- thode ausgeführten Versuche, bei welchen der Muskel unpolarisirbaren Elektroden mit Zwischenschaltung solcher Schichten auflag, welchen zu- folge der secundäre Widerstand entweder ganz ausgeschlossen oder wenigstens auf ein Minimum beschränkt blieb. Denn obgleich die Strom- stärke sich jetzt entweder gar nicht oder nur unbedeutend verminderte, so hörte die Strömung doch nur um weniges später als vorhin auf, während der Muskel sowohl. seine Reizbarkeit, als auch die Fähiskeit beibehielt, bei geänderter Stromrichtung das Porret’sche Phänomen wieder zu zeigen. Es erleidet also der. durchströmte Muskel solche Veränderungen, welche denselben nicht so sehr für die Stromleitung, als vielmehr für das Porret’sche Phänomen und auch dafür nicht für immer, sondern bloss gegenüber dem in gleicher Richtung verbleibenden Strom untaug- lich machen, also dafür, dass derselbe die Strömung in derselben Richtung auch noch weiter fortsetze. Worin die Veränderungen liegen, habe ich” bereits oben anzudeuten gesucht. Die Grundlage der bisherigen Erörterung der Strömungsursachen bildete die Annahme, dass der Sitz dieser Strömung in den Flüssiskeits- canälen des Muskels überhaupt gelegen sei; nun aber ist noch zu be- stimmen, ob sich an der Strömung sämmtliche Canäle, Blutgefässe, Lymphräume und Muskelröhren, oder aber nur Canäle einer bestimmten Art betheiligen ? Insofern die kataphorische Kraft in jedem Capillaraggregate sich | äussern kann, das innerhalb benetzter Wandungen Elektrolyte einschliesst, möge es nun ein anorganischer Körper oder ein zusammengesetztes or- | ganisches Gewebe, also auch ein Muskel sein, so können von einer solchen \ Strömung wohl auch die Blutgefässe und Lymphräume nicht ausge- schlossen sein, sobald dieselben einen flüssigen Inhalt besitzen; und es | kann auch der Umstand nicht als Gegengrund gelten, dass in jenen Ge- ı A.a. ©. S. 89 u. 105. a ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 31] fässen Strömungen unter dem Mikroskop nicht wahrnehmbar sind, denn der rasche Ablauf der durch die Strömung hervorgerufenen und dieselbe für das freie Auge wahrnehmbar machenden localen Veränderungen kann wohl kaum Gesenstand mikroskopischer Beobachtung sein. Doch will ich auch nicht unerwähnt lassen, dass ich in einzelnen Fällen an elek- trisch durchströmten Muskelpräparaten unter dem Mikroskope gesehen habe, dass in den Faserzwischenräumen Flüssigkeit sich ergossen und weiter ausgebreitet habe, so wie auch dass in einzelnen Blutgefässen Blutkörperchen sich nach der Anode hin bewegten und mit jeder Strom- wendung ihre eigene Richtung änderten. Ich muss es aber unentschieden lassen, ob diese Fortbewegung als analog dem Jürgensen’schen Phä- nomen anzusehen und daraufhin anzunehmen sei, dass auch das Blut- plasma in jenen Gefässen, nur in entgegengesetzter Richtung als die Körperchen sich fortbewegt habe, oder ob der Gefässinhalt nur in Folge der stärkeren Muskelcontraction an der Kathode von da aus zurückge- dränst worden sei. Liegt aber auch keine Beobachtung vor, welche als directer Beweis dafür gelten könnte, dass innerhalb der Blut- und Lymphgefässe eine elektrische Ueberführung stattfinde, so kann andererseits auch kein Gegen- beweis gegen jene an und für sich so wahrscheinliche Annahme ange- führt werden. Es bleibt dann also nur noch die Frage übrig, ob die Diffusion innerhalb der Blut- und Lymphräume für sich allein schon genügt, um das Porret’sche Strömungsphänomen hervorzubringen oder ob es ausserdem noch nöthig und wahrscheinlich ist, dass auch noch die Muskelfasern selbst sich daran betheiligsen? Falls aber letzteres sicher ausgeschlossen werden könnte, dann müssten auch jene Gefässe umsomehr als allein schon ausreichend anzusehen sein, als die Muskeln sowohl mit parallel ihren Fasern gestreckt verlaufenden Blutcapillaren, als auch mit Lymphräumen reichlich genug versehen sind, welche in dem die einzelnen Fasern und noch mehr die Faserbündel einhüllenden Bindegewebe ein- geschlossen, auf Querschnitten wie auch im Längenprofil an ihren von einander abstehenden seitlichen Contouren überall dort erkennbar sind, wo dieselben Lymphe enthalten. Insofern auch die Muskelfasern einen flüssigen Inhalt besitzen, kann wohl nicht geleugnet werden, dass die kataphorische Kraft in denselben ebenfalls wirksam sein könne. Mit Rücksicht auf ihre eigenthümliche Struetur jedoch scheinen dort der kataphorischen Kraft viel grössere Widerstände entgegenzuwirken, als in den Blut- und Lymphgefässen. Können wir auch bei unbefangener Prüfung der bisherigen histologischen Resultate, noch weniger aber mit Rücksicht auf die später zu besprechenden Strömungserscheinungen, welche unter verschiedenen Einflüssen im Inneren 312 A. BE. JENDRASSIK: der einzelnen Muskelfaser auftreten, nicht geneigt sein, membranöse Scheidewände innerhalb der Faser anzunehmen, so ist doch so viel sicher, dass der Faserinhalt aus abwechselnd aneinander gereihten Querschichten zusammengesetzt ist, die nicht nur in ihren optischen Eigenschaften, sondern auch bezüglich der Consistenz und des wechselseitigen Anhaftens ihrer Theile, von einander verschieden sind und eben darum auch zur elektrischen Ueberführung verschieden geeignet sein müssen. Da nun aber weder während der Porret’schen Strömung, noch auch nachher eine Veränderung an den Querstreifen der Muskelfasern zu bemerken ist, so folgt wohl daraus, dass jene zur Ueberführung weniger geeigneten Schichten ihren Zusammenhang auch während der Porret’schen Strö- mung beibehalten; dann aber müssen dieselben auch die Fortführung der hierzu sonst geeigneten Theile behindern; in demselben Maasse kann sich dann auch die kataphorische Kraft nur als Druck äussern, welchem zu Folge die flüssigeren Bestandtheile anstatt überhaupt oder gar aus- schliesslich entlang der Faser vorzuschreiten, eher durch das Sarkolemma hindurch in die Zwischenräume eindringen werden, die Flüssigkeit ver- mehrend, deren Fortführung alldort weniger behindert ist. Dass in der That ein solches Auspressen der Flüssigkeit aus den elektrisch durch- strömten Fasern stattfindet, beweist theils der Augenschein, indem man unter dem Mikroskop die weiterschreitenden Grenzen der aus den Fasern herausgetretenen Flüssigkeit sehen kann, theils beweisen es die zahlreichen Kreatininkrystalle, die sich nachher auf dem der Kathode zunächst ge- legenen Abschnitte bilden. Selbst wenn also eine elektrische Ueberführung von flüssigeren Be- standtheilen innerhalb der Muskelfasern auch nicht gänzlich ausge- schlossen werden müsste, so ist es doch durchaus nicht wahrscheinlich, dass diese Fasern auch an der wellenartis fortschreitenden Strömung activ theilnehmen; sie könnten aber wohl vermöge ihrer so leichten Biessamkeit passiv dazu beitragen, dass jene Strömung um so auffälliger in die Erscheinung trete. Als Hauptursache der Porret’schen Strömung müssen wir aber nach alledem jene Form- und Lageveränderung ansehen, welche die Blut und Lymphe enthaltenden Canalräume eines sanzen Muskels oder einer ausmehreren Bündeln bestehenden Partie desselben in Folge der durch den Kettenstrom in ihnen bewirkten endosmotischen Ueberführung flüssiger Bestand- theile erleiden. Woraus sich dann auch ergiebt, dass jenes Strömungs- phänomen nicht an einzelnen Muskelfasern, sondern nur an solchen Faserbündeln auftreten kann, welche durch dichteres Bindegewebe nach aussen umgrenzt, im Inneren mit Blut und Lymphe führenden ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. ala Canälen ausreichend versehen sind. In einer derartigen Ausstattung und Umhüllung mag wohl auch der Grund liegen, warum die Strömung so besonders augenfällis am M. sartorius auftritt. Schon durch den eben hervorgehobenen Umstand unterscheidet sich die bisher besprochene Strömung von jener anderen, welche unter der Einwirkung eines elektrischen Stromes von bedeutenderer Dichte im Inneren der einzelnen Muskelfaser sich einstellt, zu deren Erörterung wir nun übergehen. | II. Die innere Strömung in der Muskelfaser. Zur Beobachtung dieser Art Strömungen hat sich im Verlaufe der Untersuchungen als am geeignetsten ein Objectträger erwiesen, dessen Construction, die beistehende Abbildung andeutet. N NEE: Die in zwei Reihen von je vier Löchern durchbohrte Glasplatte ist Zall ‚an der nach Oben gekehrten Seite zwischen «—5 und a,—b, in einem Abstande von 3" mit Furchen versehen. Durch je vier Löcher ist ein ‚circa 0-6” dicker Platindraht so geführt, dass derselbe zwischen ab und a, 5, in den dort befindlichen Furchen liegend, kaum über die Glas- fläche emporragt; zwischen ad, be und a, d,, d,c, verläuft derselbe an der nach unten gekehrten Seite der Platte, bei d und ce, sowie bei d, und c, treten dann die Drahtenden wieder auf die obere Seite, wo sie mit einander verbunden sind. Diese Platte kann auf zwei, mit Draht- klemmen versehenen Metallschienen (8,8), die an einem Rahmen aus Hartsummi Z% unterhalb zwei Federklammern KK, angebracht sind, einfach angeschoben werden, so dass dann die auf der unteren Seite ver- 3l4 A. E. JENDRÄSSIK: laufenden Drahtstreecken in festem Contact mit den stromzuführenden Schienen stehen. Die in den Furchen liegenden Drahtstrecken «&—5 und ,—b, werden mit dem aus 6—10 parallel verlaufenden Fasern bestehenden und mit Schonung angefertisten Muskelpräparat so überbrückt, dass die beiden Muskelenden sich noch ausreichend lang über die Drähte weiter hinaus erstrecken. Ohne irgend einen Zusatz wird dann das Präparat mit einem dünnen Glasplättchen bedeckt. Bei Durchleitung eines elektrischen Stromes von mässiger Stärke, entsprechend 6—10 kleinen Grove’schen Elementen, treten folgende Er- scheinungen auf. Bald oder auch sogleich nach beendigster Schliessungszuckung stellt sich in den Fasern, in den einzelnen meistens ungleichzeitig, eine Strömung zunächst den beiden Elektroden und zu beiden Seiten der- selben, also sowohl intra- als auch extra-polar derart ein, dass zuerst die allernächsten Querstreifen gegen die Elektrode hin in Bewegung serathen, wobei dieselben sich wohl auflockern aber durchaus noch keinen völligen Zerfall erleiden; während so diese Auflockerung von Schichte zu Schichte auf immer entferntere übergreift, schreiten die- selben immer zahlreicher jener Elektrode zu, an welcher in der betref- fenden Strecke dieser Vorgang angefangen hat. So breitet sich während der Andauer des Kettenstromes, die Strömungsstrecke innerhalb der Faser mehr und mehr auch auf entfernter von den Elektroden gelegene Strecken aus, welche in dem Maasse dann auch einen längeren Weg zurücklegen, als sie ursprünglich entfernter von der Elektrode standen. Die diesen zunächst gestandenen Querstreifen, kaum dass sie um ein Merkliches vorwärts geschritten sind, halten auch zuerst an, wobei sie zugleich sich so umwandeln, dass aus den ursprünglich breiten, im grösseren Intervallen abwechselnden Querstreifen sehr schmale, in der Richtung der Faserbreite jedoch entsprechend verlängerte, zugleich in sehr dichter Folge abwechselnd an einander gereihte Querstreifen ent- stehen. Und so wie vorher die Bewegung sich von Schichte zu Schichte auf immer entfernter von den Elektroden stehende ausbreitete, so tritt nun auch der Stillstand unter der eben erwähnten Umwandlung der Querstreifung in derselben Reihenfolge von Schichte zu Schichte ein. Gewöhnlich hört diese Strömung nicht sogleich nach der Strom- unterbrechung, sondern erst etwas später auf und erneuert sich ebenso mit dem Wiederbeginn des Stromes. Hat dieser überhaupt erst kurze Zeit gedauert und wird dann seine Richtung umgekehrt, so beginnen die zu allerletzt entstandenen, also von den Elektroden am meisten ent- fernten feinen Querstreifen nach einander sich gleichsam abzublättern r ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 315 und strömen nun, während sie zugleich wieder breiter werden nach der entgegengesetzten Richtung als vorhin, bis zu einer gewissen Entfernung von den Elektroden hinweg. Dauert aber der Kettenstrom in dieser neuen Riehtung noch länger fort, so hört die spätere Strömung doch wieder von selbst auf, noch bevor sıch alle feinen Querstreifen zu breiten zurückverwandelt haben; nach einer kleinen Pause jedoch stellt sich die Strömung trotz der nun enteegengesetzten Stromrichtung, wieder wie zuerst in der den Elektro- den zugekehrten Richtung her, und wieder wandelt sich die breite Quer- streifung in die feine um. So kann diese Umwandlung und Wieder- zurückverwandlung der Querstreifung innerhalb einer gewissen Strecke mehrmals nach einander mittels in mässigen Pausen wiederholter Strom- wendung bewerkstellist werden, nur darf der Kettenstrom eine gewisse Stärke nicht überschreiten. Es kommt nicht selten vor, dass die Querschichten in eine schiefe Riehtung zur Strömungsrichtung gerathen, wo dann auch die Umwand- lung der einzelnen (Querstreifen nicht gleichzeitig in seiner ganzen Länge stattfindet, sondern am voranschreitenden Ende beginnend, sich nach und nach gesen das andere Ende hin fortsetzt. Die neu ent- standenen feinen Querstreifen sind meistens so schmal und so dicht an einander gereiht, dass ihre Beobachtung schon eine starke Vergrösserung erfordert. Je stärker der Kettenstrom ist, desto prompter stellt sich in der Faser die Strömung ein, desto länger überdauert dieselbe aber auch die Stromunterbrechung, so wie sie auch ihre Richtung nach der Strom- wendung um so später ändert. Ebenso behalten auch die in Strömung serathenen Querstreifen ihre Continuität nicht mehr bei, sondern es zer- fallen dieselben zu Molecülen, welche sich aber wieder zu feinen Quer- streifen zusammenfügen, so wie sie an ihren Halteorten angelangt sind. Immer aber bleiben dann auch nachdem die Strömung ganz aufgehört hat, Molecüle in zerstreuter Lage auf einer um so ausgedehnteren Strecke zurück, je stärker der Kettenstrom ist; ja bei starken Strömen findet fast gar keine Bildung der feinen Querstreifen statt. Je stärker ferner der einwirkende Strom ist, auf einem desto längeren Abschnitte der intrapolaren Strecke schreitet die Strömung nach der Anode, auf einer um so kürzeren nach der Kathode hin. Bei einem Strome von 20 kleinen Grove’schen Elementen endlich dehnt sich die nach der Anode gerichtete Strömung fast auf die ganze Länge der intrapolaren Strecke aus und schreitet so rasch vorwärts, dass es dann nicht mehr möglich ist ihre Ausbreitung von Schicht zu Schicht zu verfolgen. In dieser Raschheit der Strömung mag auch die Ursache liegen, dass intrapolar 316 A. E. JENDRASSIK: nach der Kathode hin kaum noch eine Strömung zu sehen ist, so wie dass die nach der Anode hinströmenden Molecüle sich kaum noch spur- weise zu feinen Querstreifen zusammen gruppiren.! Insofern nun bei diesen Strömungen eine Fortführung fester oder doch gegenüber dem übrigen Faserinhalte, festerer Theile stattfindet, könnte man wohl veranlasst sein, darin eine Analogie mit dem Jürgen- sen’schen Phänomen oder noch mehr mit jenem zu vermuthen, das in den Blättern der Valisneria von Hrn. Heidenhain? zuerst beobachtet ward, das aber auch in anderen Pflanzentheilen, so namentlich nach Hrn. du Bois-Reymond? an den Stärkekörnchen im Inneren der Kar- toffelzellen unter der Einwirkung eines elektrischen Stromes auftritt. Aber schon Hr. Heidenhain und Hr. Jürgensen* waren durchaus nicht der Ansicht, dass in jener Erscheinung ein der Pflanzenzelle eigen- thümliches Phänomen vorliege, weil ja damit die Functionen der Zelle schon erloschen sind. Es dürfte demnach auch genügen, wenn wir hier die innere Muskelfaserströmung dem Jürgensen’schen, als dem allge- meineren Phänomen gegenüber stellen und beide vergleichend prüfen. Ausser in der Fortführung festerer Theile innerhalb eines in Capil- larräumen eingeschlossenen flüssigen Mediums, verhalten sich beide Phänomene nur noch darin einander analog, dass bei mässiger Stärke ‘des Kettenstromes Strömungen gleichzeitig nach zwei verschiedenen Richtungen bei beiden vorkommen. Aber schon diesbezüglich zeigt sich ein wesentlicher Unterschied. Denn während beim Jürgensen’schen Phänomen die Fortführung kleiner Theile gleichzeitig in der ganzen Ausdehnung der intrapolaren Strecke so vor sich geht, dass wohl beide Elektroden sowohl den Ausgangspunkt als auch das Ziel der Wanderung bilden, die Rolle der beiden jedoch je nach der Wand und Mittel- schicht insofern eine entgegengesetzte ist, als die Strömungsrichtung 1 Die Richtung, nach welcher diese Strömungen sich innerhalb der Muskel- faser einstellen, hat zum Theil Hr. Dr. Mezei im hiesigen physiologischen Labo- ratorium klargestellt und im Zusammenhang mit den Resultaten seiner histolo- gischen Untersuchungen der Muskeln in seiner bereits erwähnten ungarischen Abhandlung mitgetheilt. Aus derselben hebe ich hier als bemerkenswerth noch hervor, dass die innerhalb der isotropen Querschicht gelegene, aber nicht in jeder Muskelfaser sichtbare dunkle Zwischenschicht, auch wo dieselbe vorhanden ist, die Strömung durchaus nicht verhindert, sondern mit den übrigen Schichten zugleich auch jene weiter schreitet; mit dem Entstehen der feinen Querstreifen aber ver- schwindet und auch dann nicht mehr wiederkehrt, wenn bei geänderter Strömungs- richtung die breite Querstreifung sich wieder zurückbildet. 2 Jürgensen, in diesem Archiv. 1860. 8. 674. 3 A. a. O. S. 120. (Hr. Jendrässik drückt sich aus, als hätte ich einen Unter- schied zwischen den Bewegungen der Stärkekörnchen und dem Jürgensen’schen Phänomen gemacht, was aber nicht der Fall ist. — E. d. B.-R.) ASN a.10 238.675: ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 317 innerhalb desselben Capillarquerschnittes an der Peripherie und näher der Mitte verschieden ist; erstreckt sich die Muskelfaserströmung nicht sleichzeitig auf den ganzen intrapolaren Theil, sondern bloss auf einen, bis zu einer gewissen Grenze von den Elektroden reichenden Abschnitt, entlang dieses aber hält die Strömung in der ganzen Ausdehnung eines jeden Faserquerschnittes nur eine einzige Kichtung bei, die ursprüng- lich in dem Bereiche beider Elektroden diesen zugekehrt ist, nach einer Stromwendung aber eine Weile in beiden Abschnitten sich von den Elektroden wegwendet, um bald wieder denselben sich zuzukehren. Ferner unterscheiden sich beiderlei Strömungen auch darin, dass während die Jürgensen’sche mit dem Schlusse des Kettenstromes sogleich auf- tritt, mit der Unterbrechung sogleich aufhört, bei der Stromwendung ihre Richtung sogleich ändert; die innere Muskelströmung dagegen je nach der Stromstärke sich mehr oder weniger und verschieden in ihren "einzelnen Phasen verspätet. Endlich bleibt die Jürgensen’sche Strö- mung stets auf die interpolare Strecke eingeschränkt, die innere Muskel- strömung aber tritt sowohl intrapolar, als auch in beiden extrapolaren Strecken, hier gleichwohl in beschränkterer Ausdehnung, auf. Dieser Umstand bildet aber einen Unterschied zwischen beiden auch für den Fall, wo bei grösserer Stärke des Kettenstromes, sowohl die Jürgen- sen’sche Strömung nur einerlei Richtung — nach der Anode hin — zeist, als auch die innere Muskelströmung intrapolar fast nur dieser Richtung, kaum mehr auch noch nach der Kathode hin folgt, denn ausserdem treten auch dann noch die extrapolaren Strömungen auf. Wir dürfen jedoch in dem Complexe der Erscheinungen, welche unter der Einwirkung des Kettenstromes im Inneren der Muskelfaser auftreten, auch von jenem Umstande nicht absehen, dass dabei nicht blos eine Ueberführung der festeren Theilchen, sei es mit Fortbestand der Querstreifung, sei es mit Zerfall derselben stattfindet, sondern dass die überführten Theilchen, dort wo sie anhalten, auch in der neuen Ord- nung der feinen Querstreifen sich wieder zusammenreihen und dass sie nach einer Stromwendung ihre Reihen lockernd und zurückströmend die ursprüngliche breite Querstreifung wieder herzustellen vermögen. Diese Veränderungen in der Gruppirung der Muskeltheilchen müssen wohl als Aeusserungen der noch lebenden Faser angesehen werden. Andererseits jedoch berechtigt uns dies noch keineswegs, die durch den Kettenstrom hervorgerufenen Erscheinungen für identisch zu halten, sei es mit einer fortschreitenden einfachen Contractionswelle, sei es mit einer durch Superposition mehrerer solcher Wellen erzeugten tetanischen Contraction. Denn jener Annahme widerspricht sowohl der Unterschied, welcher zwischen den Ausgangspunkten dieser Strömungen einerseits 318 A. E. JENDRASSIK : und der Contractionswelle andererseits besteht, als auch der Unterschied in Bezug auf den zeitlichen Ablauf beider Erscheinungen. Letztere Annahme aber widerlest der Umstand, dass während der Tetanus so- gleich mit der Unterbrechung des reizenden Stromes aufhört, die innere Muskelströmung noch auffallend lange auch nach der Stromunterbrechung andauern kann; ja dass schon während der Stromdauer diese Strömung lange über jene Zeiterenze hinaus sich hinschleppen kann, bei welcher der Tetanus in Folge der erlahmenden Reizbarkeit von selbst aufhört. Nachdem so keine jener Wirkungen, welche der Kettenstrom, sei es sonst auf den Muskel, sei es auf einen unorganischen Körper auszu- üben vermag, ausreicht, diese inneren Strömungen mit den sie beglei- tenden Erscheinungen zu erklären, sind wir angewiesen, nachzuforschen, ob nicht ausser dem elektrischen Strome auch noch andere Einwirkungen ähnliche Erscheinungen im Muskel hervorrufen können ? In dieser Beziehung lenkt unsere Aufmerksamkeit vor allem das destillirte reine Wasser auf sich, dessen Wirkung auf die noch lebende Muskelfaser Bowman! bereits vor vielen Jahren ausführlich beschrieben hat. Wenn man ein dünnes Muskelfaserbündel vom Frosch rasch, aber behutsam und ohne Wasserzusatz auf dem Objectträger zerfasert, es so- dann bedeckt und die Enden der Fasern im Gesichtsfelde des Mikroskops einstellt und nun erst reines Wasser vom Rande des Deckeläschens her zum Präparate vordringen lässt, wird es leicht gelingen, sich zu über- zeugen, wie genau Bowman’s Beschreibung der nun sich einstellenden Erscheinungen ist und wie sehr die durch Wasser hervorgerufene Strö- mung, mit der dieselbe begleitenden Umwandlung der (Querstreifung, mit jenen Veränderungen übereinstimmt, welche auch der Kettenstrom bewirkt. Es wäre wohl zu wünschen gewesen, dass Bowman’s Be- schreibung auch von Seite der Histologen mehr wäre beachtet worden, denn in der That, ein einziger Tropfen Wasser genügt, um so manchen zierlichen Kunsthau mit seinen mannigfaltigen trennenden Etagen hin- wegzuschwemmen, den die neuere Histologie, an Stelle des funetions- fähigen Organes, aus dem gebeizten Leibe der einstigen Muskelfaser auf- zubauen bestrebt war. Es sei hier ferner auch der Starre gedacht, welche eintritt, wenn in die Gefässe eines eben getödteten Thieres reines Wasser eingespritzt wird. Auch habe ich zweimal zur Winterszeit die Beob- achtung gemacht, dass der M. sartorius vom Frosch sich sehr stark, jedoch mit auffallender Langsamkeit contrahirte, als dessen mit frischer 1 Bowman, In Philosophical Transactions. 1840. Part I, p. 457. On the minute structure and movements of voluntary muscle. — Siehe auch E. Weber, in R. Wagner’s Handwörterbuch d. Physiologie. Bd. III, 2. Abth., 8. 57. ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 319 Schnittlläche versehenes Ende in destillirtes Wasser eingetaucht ward, und dass sich diese Contraction noch ein zweites Mal wiederholte, als derselbe sehr allmählich erschlaffend nach längerer Pause mit der Wasser- fläche wieder in Berührung kam; hernach wohl auch noch erschlaffte, ohne jedoch seine ursprüngliche Länge wieder zu erlangen und ohne dass derselbe bei nochmaliger Berührung mit dem Wasser sich weiter contrahirt hätte. Ich habe leider sowohl bei jener, als auch noch bei einer zweiten Gelegenheit verabsäumt, den Muskel nachträglich unter dem Mikroskop zu untersuchen. Später wiederholte Versuche blieben stets ohne Erfolg. Diese dem elektrischen Strome so analoge Wirkung des Wassers muss uns veranlassen, die Wirkung auch noch anderer, bereits als Muskel- reize bekannter Substanzen zu prüfen. Insbesondere aber mit Rücksicht auf die Elektrolyse, die auch noch an so kleinen Muskelpräparaten, durch die an der Anode nachweisbare freie Säure, so wie durch die an der Kathode reichlich auftretenden Kreatininkrystalle leicht erkennbar ist, müssen wir prüfen, ob ähnliche Wirkungen, wie durch den elektrischen Strom und durch Wasser, nicht auch durch Säuren oder Basen im Muskel können bewirkt werden ? Zu dem Zwecke wurde auf dem ÖObjectträger unter das eine Ende des aus nur wenigen lebenden Fasern bestehenden Muskelpräparates ein schmaler Streifen Löschpapier gebracht und derselbe von seinem über den Rand des Deckplättchens hinausragenden Ende her mit 1°/, Lösung von Essigsäure oder Salzsäure, Kali oder Natronlauge benetzt. Sobald das Reagens bis an das Muskelende vordrang, traten auch wirklich den- jenigen. analoge Erscheinungen auf — Strömung und weiter Bildung feiner Querstreifen — welche, wie wir bereits wissen, das Wasser und der Kettenstrom zu bewirken pflegen. Hierbei dürfen wir zugleich nicht ausser Acht lassen, dass auch die durch chemische Reize hervorgerufene Muskelcontraction weder so rasch eintritt, noch auch so schnell und regelmässig abläuft wie die Muskelzuckung auf elektrische Reizung, und dass an der Stelle, wo der chemische Reiz unmittelbar eingewirkt hat, der Muskel erstarrt zurückbleibt. Diese Daten sind nun schon geeignet, uns als Leitungsfaden bei der Erklärung auch jener Erscheinungen zu dienen, welche der constante ‚ Strom in der Muskelfaser hervorruft. Es ist wohl klar, dass jene Er- scheinungen nicht die unmittelbaren Folgen der Stromwirkung sind, sondern dass sie bedingt sind durch die, in Folge der Elektrolyte an der Anode auftretende freie Säure und durch die an der Kathode aus- geschiedenen Basen. Darum tritt die Strömung zu beiden Seiten beider Elektroden, also sowohl intra- als auch extrapolar, auf, wenngleich in 320 A. E. JJENDRASSIK: verschiedener Ausdehnung, wahrscheinlich zu Folge der ungleichen Wirk- samkeit der beiderseitigen Elektrolyte; darum stellt sich auch die Strömung nicht allsogleich beim Kettenschluss, sondern desto mehr verspätet ein, je schwächer der Kettenstrom, je geringer demzufolge die Elektrolyse und je langsamer die Elektrolyte in wirkungsfähiger Menge ausgeschie- den werden. Aber je geringer ihre Menge bei schwachem Strom ist, desto kürzer wird auch ihre Nachwirkung sein können und um so früher wird nach der mit der Stromunterbrechung gleichzeitig unterbrochenen Elektrolyse, die Strömung selbst aufhören. Dagegen wird die dem stär- keren Strom entsprechende stärkere Elektrolyse so viel Produete ablagern, dass diese genügen werden die Strömung auch noch nach der Strom- unterbrechung eine Weile aufrecht zu erhalten. Ebenso wird die Strö- mung der Stromwendung nicht plötzlich folgen können, sondern dann erst, wenn schon die Producte des vorangegangenen Stromes durch die Pro- ducte des nachfolgenden, entgegengesetzt gerichteten Stromes neutralisirt worden sind, was um so später stattfinden kann, je mehr Producte zufolge des vorangegangenen stärker oder länger andauernden Stromes abgelagert wurden, also auch je mehr neue Producte zu ihrer Neutralisation erfor- derlich sind. Wenn aber der spätere Strom auch noch über die erfolgte Neutralisation hinaus weiter andauert und dessen sich ansammelnde Produete in freiem Zustande zur Wirksamkeit gelangen, so wird auch die Strömung wieder den Elektroden als jenen Stellen sich zuwenden, von welcher die Wirkung des Elektrolytes, gleichviel ob es eine Säure oder Basis sei, ausgeht. | Die Richtigkeit dieser Auffassung hat auch wirklich der folgende Versuch erwiesen. Das aus wenigen Fasern bestehende Muskelbündel ward auf dem Objectträger mit seiner Mitte kreuzweise auf einen schma- len Löschpapierstreifen gelegt, ein Deckgläschen darüber gebreitet und dann das hervorragende Ende des Papierstreifens mit einem Tropfen einer verdünnten Säure benetzt. Als diese im Papier bis zu den Muskelfasern vorgedrungen war, stellte sich sogleich in dieser die bekannte Strömung in der Richtung nach dem Papier hin ein und in ihrem Gefolge auch die Bildung der feinen Querstreifen. Wurde hierauf bei Zeiten noch die Säure neutralisirt, indem man den Papierstreifen mit einer schwachen Kali- oder Natronlösung benetzte, so lockerten sich einige der zuletzt gebildeten feinen Querstreifen auf und wandelten sich nach kurzer Rück- wärtsströmung wieder in breite Streifen um. Dieser Versuch ergänzt also die früheren, auf die Wir chemi- scher Substanzen bene hohen Versuche. Jene haben gezeigt, dass solche Substanzen, welche, den Inhalt der Muskelfaser umändernd, demselben eine saure oder alkalische Reaction ertheilen, eine Strömung hervorrufen, ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 39] zufolge welcher die in grösseren Intervallen abwechselnden, breiten Streifen sich- in dicht aneinander gereihte, sehr feine Streifen umwan- deln, wobei, der grösseren Länge derselben entsprechend, an der Stelle auch die Faser breiter wird. Aus dem späteren Versuche ging aber hervor, dass nach Wiederherstellung der ursprünglichen — neutralen ‚oder nahe neutralen — Reaction der Muskelfaser, die feine Querstreifung unter vorausgehender Auflockerung und hückströmung sich wieder in die ursprüngliche, breite Streifung zurückverwandeln kann; woraus auch ersichtlich, dass zur Zeit der feinen Querstreifung die Muskelfaser noch keineswegs abgestorben war. Beide Versuchsreihen zusammen endlich erlauben den Schluss, dass die Art, in welcher die verschiedenen Theile im Inneren der lebenden Muskelfaser zusammengeordnet sind, keine per- manente, durch irgend welche histologisch-präformirte Trennungsschichten bedingte sein kann, sondern vom chemischen Zustande abhängig, oder wenigstens auch von diesem mitbeeinflusst, eine veränderliche sei. Diese Auffassung wird nun weiter noch wesentlich durch die That- sache gestützt, dass ausser dem elektrolytisch wirkenden Kettenstrom auch noch andere Einflüsse, welche ebenfalls die thermische Reaction der Muskelfasern verändern, gleichfalls im Stande sind, Strömungen in dem- selben und Umwandlung seiner Querstreifung hervorzurufen. Insofern die Wärme, wie bekannt, im Muskel eine Starre hervorruft, bei welcher derselbe sich verkürzt und sauer reagirt, stand zu erwarten, dass auch unter dem Einflusse der Wärme sowohl Strömungen in der Muskelfaser, als auch Umwandlung der Querstreifung auftreten werden. Nun fand Hr. Kühne bei seinen sehr auführlichen Untersuchungen, dass ein Muskel, der noch erregbar oder noch nicht todtenstarr war, bei 40° C. starr werden kann. Derselbe reagirt dann sauer wie der todten- starre Muskel und verhält sich einem solchen gegenüber nach Hrn. Kühne so sehr gleich, dass diese bei 40°C. eintretende und auch bis dahin so bezeichnete Wärmestarre wohl nur eine kleine quantitative Differenz gegenüber der Todtenstarre erkennen lassen dürfte, sonst aber beide identisch sind,” und so wie ein bei 40° C. wärmestarr gewordener Muskel bei 45°C. noch starrer wird, so zeigt auch ein allmählich todtenstarr Sewordener Mukel von einem vor längerer Zeit getödteten Frosche bei jener Temperatur einen höheren Grad von Starre; und auch wenn die Todtenstarre nicht nur durch blosses Verweilen nach dem Tode einge- treten war, sondern auch wenn sie durch Einlegen in destillirtes Wasser oder durch Vergiftung mit Rhodankalium künstlich und schneller er- 1 Kühne, Myologische Untersuchungen. 1860. S. 186. 2 Kühne, a. a. O., 8. 184. Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 21 322 A. E. JENDRÄSSIK: zeugt worden war, trat die stärkere Starre bei der Erwärmung auf 45°C. ein." Die mit den letzteren Mitteln rasch zur Todtenstarre geführten Muskeln zeigten bei 40° C. keinerlei Veränderungen mehr. Die bei 45°C. eintretende Wärmestarre ist also nach Hrn. Kühne verschieden von der Todtenstarre, da sie auch bereits starre Muskeln noch befallen kann. Jeder Froschmuskel, auch der faulende, ganz weiche und mit Pilzen und Vibrionen bedeckte, erstarrt beim Erwärmen auf 45°C. zu einer harten, . weissen und undurchsichtigen Masse.? Nach den bisherigen Erörterungen ist es selbstverständlich, dass für uns zunächst die bei der Erwärmung von 40°C. eintretende Starre von Interesse ist, nicht aber jene, welche bei 45°C. auch in faulenden Mus- keln noch eintreten kann. Indem die Veränderungen, welche allenfalls bei der ersteren Erwärmung in der Muskelfaser auftreten, meines Wissens bisher unbeobachtet blieben, so war ich hierdurch veranlasst, meine Untersuchungen auch darauf auszudehnen. } Zu diesem Zwecke legte ich den Objeetträger mit dem aus wenigen parallelen Fasern bestehenden Muskelpräparate auf den heizbaren Sch ultze’- schen Mikroskoptisch. Während die Wärme bis zu 40° C. stieg, blieb das Innere der Faser vollkommen ruhig und ebenso weiter noch so lange, als die Wärme 45°C. nicht erreichte; bei dieser Wärmestufe aber ge- rieth der ganze Faserinhalt auf ausgedehnten Strecken plötzlich in Strö- mung. Weil jedoch das Präparat während der langsamen Erwärmung in Folge von Verdunstung mehr weniger vertrocknen und absterben konnte, änderte ich später das Verfahren dahin ab, dass ich das Präparat erst dann auf das Tischehen legte, als dasselbe bereits auf 43—44°C. er- wärmt war. Auch jetzt stellte sich die Strömung des Faserinhaltes in grosser Ausdehnung jedesmal ein, sobald die Temperatur 45° C. erreichte. Die Richtung der Strömung war in den einzelnen Fasern eine verschie- dene, ja auch in derselben Faser zeigte sie mitunter gleichzeitig eine entgegengesetzte Richtung, die aber stets gegen das, für den betreffenden Abschnitt zunächst gelegene Faserende gekehrt war. Stieg dann die Temperatur noch höher, so wurde die Strömung so stürmisch, dass der Faserinhalt, indem er sich völlig auflöste und die Querstreifen in ein- zelne Molecüle zerfielen, innerhalb desselben Abschnittes ebenso zugleich nach entgegengesetzten Richtungen hinwanderte, wie wenn eine stärkere Lösung von Säure oder Alkali in grösserer Ausdehnung auf die Muskel- faser einwirkt. Ward jedoch die erwärmende Flamme sogleich entfernt, als die Strömung bei 45°C. begann, so schritt letztere viel langsamer 1 Kühne, a. a. OÖ, S. 187 und 188. 2 Kühne, a. a. O., S. 188. nn ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 323 vorwärts und hielt in einiger Entfernung wieder an, wobei von dieser Haltestelle aus die während der Strömung in Zusammenhang verblie- benen oder auch in Molecüle zerfallenen Querstreifen sich von Neuem zu dicht gedrängten feinen Querstreifen ebenso zusammenordneten, wie unter der Einwirkung der vorerwähnten chemischen Substanzen oder eines Kettenstromes. Obgleich diese Erscheinungen erst dann auftraten, wenn das Ther- mometer des Heiztischehens 45° C. zeigte, so war doch kaum zu be- zweifeln, dass dieselben doch jenem Erstarrungsvorgange entsprechen, welchen Hr. Kühne an dem in Oel oder Quecksilber eingetauchten sanzen Muskel schon bei 40° C. beobachtet hatte, da ja ausser Zweifel das durch den schlechtleitenden gläsernen Objeetträger vom Tischchen getrennte Muskelpräparat denjenigen Wärmegrad noch nicht erreicht haben konnte, welchen bereits das Tischehen besass.. Und in der That als ich nachher mittels eines auf den Objectträger aufgelegsten Thermo- meters, dessen berührende Kugel mit einem kleinen Papierschirme be- deekt war, die Temperatur daselbst prüfte, zeigte es sich, dass diese auf der Oberfläche des Objectträgers genau dann 40° C. erreichte, als das Thermometer des Tischehens auf 45° ©. stand. Dass nun aber jene Strömung und die in ihrem Gefolge auftretende Umwandlung der Querstreifung in den Muskelfasern nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar dadurch durch die Wärme hervorgerufen werde, dass unter der Einwirkung der letzteren eine freie Säure im Muskel sich ausscheidet, dass beweist jene saure Reaction, welche auch Hr. Kühne an ganzen Muskeln beobachtete, als in diesen bei 40° C. die Wärme- starre eingetreten war. Für die Analogie dieser Starre und derjenigen Erscheinungen, welche in der erwärmten Muskelfaser sichtbar sind, spricht ferner auch noch der Umstand, dass wenn ein ganzer M. sartorius zwei Minuten hindurch in Quecksilber auf 40° C. erwärmt wird und derselbe so in Wärme- starre verfiel, alsdann seine sämmtlichen Fasern statt der gewöhnlichen breiten Querstreifung nur die überaus feinen und dichten Querstreifen zeisten. Während so bei der Erwärmung die freie Säure jene Veränderungen des Faserinhaltes bedingt, ruft der Kettenstrom dieselben durch die aus- Seschiedenen Hlektrolyte hervor, welche gleich wie eine freie Säure oder Lauge zu wirken vermögen. Indem bei einem mässig starken Strome die Elektrolyse nur lang- sam vorschreitet, verläuft auch die Strömung, so wie die Umwandlung der Querstreifen langsamer, ihre Continuität erleidet dabei keine Unter- brechung, ihre Veränderungen lassen sich an beiden Elektroden mit dem 21* 324 A.:E. JENDRASSIK: Auge verfolgen; mit der Zunahme der Stromstärke breitet sich aber auch die Strömung immer rascher auf um so längere Strecken aus, die Querstreifen, ihren Zusammenhang meistens einbüssend, zerfallen in einzelne Molecüle, welche sich aber noch immer, wenigstens in einzelnen Fasern, zu feinen Querstreifen zusammenreihen. Auch diese rasche Strömung tritt noch an beiden Elektroden auf, jedoch übertrifft die Länge des nach der Anode hin gerichteten Strömungsabschnittes mehr und mehr diejenige des der Kathode zuströmenden Abschnittes. Bei starkem Kettenstrome endlich stellt sich die nach der Anode gerichtete Strömung fast gleichzeitig im ganzen intrapolaren Abschnitte ein, so dass kaum noch eine Strömung in der Nähe der Kathode in der Rich- tung nach dieser hin intrapolar wahrzunehmen ist. Zugleich ist die Strömung eine so stürmische, dass der Faserinhalt, nun völlig zerfallend, die Bildung feiner Querstreifen gar nicht mehr zulässt. Die bei stärkeren Strömen so ungleiche Ausdehnung der im intra- polaren Abschnitte nach den zwei entgegengesetzten Elektroden gerich- teten Strömungen, scheint darauf hinzuweisen, dass die Anionen auf den Faserinhalt stärker einwirken als die Kationen, was mit dem Umstande, dass ein solcher Unterschied bei directer Einwirkung der Säuren und Alkalien in den angeführten Versuchen nicht auffiel, selbst dann noch in keinem Widerspruche zu stehen braucht, auch wenn beide Substanzen bei gleicher Verdünnung wirklich gleich stark einwirken sollten. Denn unsere Kenntniss reicht ja nur dahin, dass bei der Elektrolyse an der Anode freie Säure ausgeschieden wird, dagegen sind uns die an der Kathode ausgeschiedenen Producte — mit Ausnahme des Kreatinins — noch unbekannt, und immerhin ist es möglich, dass letztere wirklich schwächer einwirken, als dort die freie Säure oder sonst auch ein Alkalı. Ja es scheint sogar, dass Alkalien auf den Muskelinhalt wirklich schwächer einwirken als Säuren; insofern schon Hr. Kühne! fand, dass während die HCl selbst bis zu 1 pro Mille verdünnt auf den frischen Muskelquerschnitt kräftiger Frösche noch reizend wirkt, und tetanische Zusammenziehung in zuckungsfähigen Muskeln hervorbringt, selbst wenn diese an keiner Stelle vorher verletzt und kein künstlicher Querschnitt angelegt worden war, dagegen auf Kali oder Natron bei gleicher Ver- dünnung die Zuckungen in der Regel ganz ausbleiben. Ob nun aber die Strömung in der ganzen Ausdehnung, in welcher dieselbe auftritt, unmittelbar durch die locale Einwirkung der Elektro- lyte bedingt sei, ist wohl schwer zu entscheiden; doch scheint einer solchen Annahme einerseits der Umstand zu widersprechen, dass, falls IA.a 0,S.7, 8 und 11. ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELK. 325 man behutsam entlang eines längeren Papierstreifens, bloss im Wege der capillären Diffusion Säure oder Alkali an die Faserenden zutreten lässt, die Strömung in den Fasern in einer so grossen Länge und so rasch sich einstellt, dass wohl kaum anzunehmen ist, es habe sich das Reagens selbst so rasch innerhalb der Faser diffundirt; und andererseits auch die Annahme sich kaum rechtfertigen lässt, dass die Elektrolyte vom Orte ihrer Ausscheidung als wandernde Ionen in freiem Zustande entlang der Faser weiter geführt werden. Denn dann müssten Strö- mungen in den Muskelfasern durch den Kettenstrom auch dann noch hervorgerufen werden, selbst wenn jene nicht unmittelbar der Ort der Elektrolyse sind. Man kann aber solche Strömungen in den Muskel- fasern nur dann erzeugen, wenn dieselben Metallelektroden unmittelbar aufliegen, der Faserinhalt also mit dem Orte der Elektrolyse in un- mittelbarer Continuität steht; dagegen bleiben die Strömungen gänzlich aus, wenn zwischen den Muskelfasern und den Elektroden andere Theile, Muskel-, Haut oder Leberstücke eingeschaltet sind, selbst wenn hierbei bei passender Zusammenstellung die Stromintensität wesentlich kaum geschwächt worden wäre. Dies weist zweifellos dahin, dass als- dann Elektrolyte in den dazwischen liegenden Muskelfasern nicht vor- handen sind, sowohl darum, weil diese jetzt nicht den Ort der Elektro- lyse abgeben, als auch weil die an den Elektroden ausgeschiedenen Pro- ducte nun weder als wandernde Ionen, noch auch durch Diffusion, bis zu den Muskelfasern gelangt sind, so lange sich letztere noch im leben- den Zustande befanden. Dadurch erklärt sich auch, warum Hr. du Bois-Reymond! selbst‘ durch starke Kettenströme keine Strömung in den Muskelfasern hervorzurufen vermochte; eben weil diese den Elek- troden nicht unmittelbar auflagen, sondern andere organische Theile zwischengeschaltet waren. Wenn nun aber die Strömung sich auch noch über das eigentliche Bereich der ausgeschiedenen Elektrolyte oder der sonst zugeführten chemischen Substanzen hinaus zu erstrecken vermag, so lässt dies wohl kaum eine andere Deutung zu, als dass sobald zufolge der veränderten chemischen Reaction innerhalb auch nur einiger Querschnitte jenes Band sich gelockert hat, welches bis dahin die Muskelmolecüle in Form der dem Ruhezustande entsprechenden breiten Querstreifung zusammen- gefasst erhielt, und in Folge dessen diese Molecüle durch Aenderung ihrer Gruppirung zu feinen Querstreifen oder indem sie sonst eine Ver- schiebung erleiden, und so in der Längenrichtung der Faser Raum ge- währen, alsdann auch der Zusammenhalt der weiterfolgenden Schichten IA. a 0.8. 128. 326 A. E. JENDRASSIK: nicht mehr genüst um jenem Drucke zu widerstehen, welchen der noch lebende, demnach zum Fliessen befähigte Faserinhalt sowohl von Seite des elastisch gespannten Sarkolemma’s, als auch von Seite der gesammten Umgebung erleidet und welcher darum jenen Inhalt in der ganzen‘ Strecke des gestörten Gleichgewichtes dahin verschieben wird, wohin demselben die voranstehenden Schichten ein Ausweichen gestatten. Unter solchen Umständen wird der Faserinhalt ebenso gezwungen sein seinen Platz zu verändern, wie derselbe, solange er noch nicht geronnen ist, auch bei mechanischer Verletzung des Sarkolemma’s an der Rissstelle oder am Schlauchende hervordringt, falls hier das verschliessende Ge- rinnsel durch Säure oder Alkali aufgelöst oder sonst wie entfernt worden war. Wenn nun aber auch durch die ausgeschiedenen Blektrolyte un mittelbar bloss der- erste Beginn der Strömung veranlasst sein mag, so muss doch andererseits die Umwandlung der breiten Querstreifen in die feine Querstreifung oder auch die Bildung dieser letzteren aus schon im Verlaufe der Strömung auseinander gewichenen Molecülen, ebenso der durch die Elektrolyte veränderten Reaction des Faserinhaltes zuge- schrieben werden, wie die hückverwandlung der schmalen Streifen in breite, der Wiederherstellung der ursprünglichen neutralen Reaction im ersten Zeitabschnitte des umgelegten Kettenstromes. Denn beiderlei Gruppirungen der Molecüle beschränken sich bloss auf jene Strecken in der Nähe der Elektroden, bis auf welche die Elektrolyte vorgedrungen sind. Die unmittelbare Wirkung dieser Elektrolyte scheint demnach darin zu bestehen, dass die mit ihnen in Berührung tretenden Muskel- molecüle in ihren wechselseitisen Richtkräften, vermöge welcher sie sich bis dahin, bei neutraler Reaction des Faserinhaltes, der breiten Quer- streifung entsprechend zusammengruppirt erhielten, nun beim Auftreten der sauren oder stärker alkalischen Reaction, eine derartige Abänderung erleiden, dass dieselben, falls sie noch innerhalb ihrer gegenseitigen Wirkungssphäre verblieben sind und also noch durch keinerlei, wie immer bedingte Strömung, aus derselben heraus, von einander entfernt worden sind, in neuer Ordnung als feine Querstreifen sich wieder zu- sammenreihen, hierbei so lange, als noch keine Gerinnung eingetreten ist, das Vermögen beibehaltend, dass dieselben bei Wiederherstellung der, dem Ruhezustande der Faser entsprechenden Reaction, auch ihre ur- sprüngliche Wirkungsweise wieder zurückgewinnen, und indem sie dieser entsprechend sich gruppiren, auch die breite Querstreifung wieder herstellen. Dass diese Wiederherstellung der ursprünglichen Querstreifung von den zu allerletzt gebildeten, also von den Elektroden am meisten ent- i ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 327 fernten feinen Querstreifen aus beginnt und nicht von solchen, die jenen zunächst stehen, obgleich doch die Neutralisation bei den letzteren sich früher einstellt als davon weiter entfernt, dies dürfte wohl daraus zu erklären sein, dass der für die breite Querstreifung in der Längenrich- tung der Faser erforderliche grössere Raum nur durch eine Zurück- schiebung des auf die neu zu gruppirenden Schichten folgenden Faser- inhaltes gewonnen werden kann; einer solchen Verschiebung aber von Seite der, auf die zuletzt gebildeten feinen Querstreifen folgenden, auf- selockerten Schichten weniger Hindernisse entgegenstehen, als gegen- über den, der Elektrode zunächst stehenden Querstreifen von Seite der, auf letztere noch weiter folgenden, dicht zusammengedränsten, ähnlichen anderen Schichten. Eben in Anbetracht des an den Muskelfasern sowohl unter der Einwirkung chemischer Substanzen, als auch des Kettenstromes beob- achteten Vermögens der Zurückgruppirung ihrer Moleeüle, kann auch jener Faserabschnitt nicht als abgestorben angesehen werden, in welchem sich die feine Querstreifung ausgebildet hat, sondern muss als analog jenem Zustande der Contraction aufgefasst werden, welcher sich auch auf mechanische Reizung, als locale sogenannte idiomusculäre Wulstung einstellt, nach deren Verschwinden der Muskel am selben Orte weiter noch reizbar zurückbleibt. Eben darum kann wohl auch die letztere Contraetion nicht mehr wie ehedem Hr. Kühne! hervorhob, gegenüber dem Tetanus als die einzige ununterbrochene, stetige, beharrende Muskelzusammenziehung angesehen werden. Denn so wie bei jener, durch mechanische Reizung erzeugten Contraction, zeigen auch die, durch Elektrolyte oder andere chemische Substanzen in örtliche Zu- sammenziehuns versetzten Stellen der Muskelfaser, neben dem längeren Beharrungszustande in der Contraction, die nachher noch ungestört ver- bliebene Reizbarkeit. Den Contractionen derselben Art sind ferner wohl auch jene Anschwellungen zuzuzählen, welche sich an dem, in eine chemisch reizende Flüssigkeit eingetauchten Muskelende zeigen und welche schon Hr. Kühne? mit Recht als eine local auf die Reizstelle beschränkt bleibende, dauernde Contraction aufgefasst hat. Dass die Herstellbarkeit des normalen Zustandes und der Reizbarkeit auch an solchen Muskelenden, durch nachherige Neutralisation der vorher ein- -, gedrungenen erregenden Flüssigkeit, unter sonst günstigen Umständen nicht ausgeschlossen ist, kann nach den an abgetrennten Faserbündeln gewonnenen Erfahrungen wohl kaum bezweifelt werden, all, . 107 und 108. 328 A. E. JENDRASSIK: Die Analogie der durch die feine Querstreifung erzeugten Zusammen- ziehung, welche an den Faserbündeln unter der Einwirkung von Elek- trolyten oder sonst von chemischen Substanzen, so wie unter dem Ein- flusse der Wärme sich einstellt, mit dem mechanisch hervorgerufenen sogenannten idiomusculären Wulste, kann auch kaum darunter leiden, dass, wie Hr. Kühne! beobachtet hat, der durch einen solchen Wulst geführte Querschnitt niemals sauer reagirt, sondern das auf die Schnitt- fläche gelegte rothe Lackmuspapier blau wird, entsprechend der Reaction des lebendigen Muskels, bei der Wärmestarre und also auch am Orte der damit verknüpften feinen Querstreifung dagegen der Muskel sauer reagirt. Denn nachdem wir bereits wissen, dass die mit der Wärme- starre einhergehende feine Querstreifung ohne jeden Unterschied sich auch ebenso zufolge der unmittelbaren Einwirkung einer Säure, wie auch eines Alkali’s, ebenso zufolge der an der Anode, wie auch an der Kathode freiwerdenden Elektrolyte bilden kann, so kann auch die an der Stelle des idiomuseulären Wulstes gefundene alkalische Reaction - umsoweniger als Gegengrund gelten, als ja sonst der frische Quer- schnitt des Froschmuskels, wie schon vorher Hr. du Bois-Reymond? nachgewiesen hat, eben neutral oder eigentlich amphoter reagirt; und andererseits auch keineswegs noch nachgewiesen ist, dass jene alkalische Reaction, welche Hr. Kühne an der Stelle des idiomuseulären Wulstes gefunden hat, nicht etwa dennoch stärkeren Grades ist als die Reaction des, dem lebenden, aber ruhenden Muskel entnommenen Plasma’s, welches nach Hrn. Kühne? das rothe Papier vergleichsweise viel stärker blau, als umgekehrt das blaue roth färbt. Ja, insofern die Erregbarkeit, also die Befähigung zu neuer Con- traction, voraussetzt, dass die, der Contraction zu Grunde liegende, dich- tere Querstreifung sich vorher schon in die, wie es nach alledem den Anschein hat, an die neutrale heaction gebundene breitere Querstreifung zurückverwandelt habe, steht wohl auch von vornherein zu erwarten, dass solange die Stelle des idiomusculären Wulstes noch Erregbarkeit besitzt oder solche wieder zu erlangen vermag, auch die Reaction derselben, selbst zur Zeit des bestehenden Wulstes, von der normalen Art in keinem hohen Grade, weder als stark sauer, noch auch als stark alkalisch wird abweichen dürfen, damit eben die neutrale Reaction ohne von aussen zugeführte neutralisirende Substanzen, allein schon vermöge der im Muskel selbst, auch nach Ausschaltung desselben aus dem Blut- Ta OS A Hondel9% 2 De Fibrae muscularis Reactione ut Chemieis visa est acida. Berolini 1859. 4. p. 12; — Gesammelte Abhandlungen u. 8. w., Bd. IL., S. 10. 2 Lehrbuch der physiologischen Chemie. 1866. 8. 273. ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 329 kreislaufe, noch vorhandenen chemischen Factoren, für eine gewisse Zeit- frist wenigstens, wieder hergestellt werden könne. Ist dies aber z. B. in Folge einer stärkeren Säureausscheidung nicht mehr möglich, so muss auch der Muskel daselbst seine Erregbarkeit eingebüsst haben. Mit dieser Auffassung steht auch in vollkommener Uebereinstimmung die Beobachtung von Hrn. Kühne,! wonach (bei Warmblütern) die Ge- schwindiskeit, mit welcher die Contraction von der direct gereizten Stelle aus fortschreitet, desto geringer wird, je mehr der Verlust der Erresbarkeit an den Muskeltod, an die Todtenstarre sich annähert, und wobei auf einem gewissen Punkte die direct gereizte Stelle sich nur noch schwach erhebt und dann für immer so stehen bleibt, während der Querschnitt an dieser Stelle nun mehr sauer reagirt und die Starre daselbst Platz gegriffen hat. Für die Analogie zwischen dem Zustande der Stelle der feinen Querstreifung und demjenigen, der an der Stelle des idiomuseulären 'Wulstes vorhanden ist, erwächst weiter noch ein unterstützendes Moment in der Beobachtung, die ich jüngst noch gemacht habe, bei welcher in den auf einem ÖObjectträger ausgebreiteten frischen Muskelfasern die breiten Querstreifen sich stellenweise allmählich in feine umwandelten und sich abermals in jene zurückverwandelten, als ich mittels einer sestielten Nadel ruckweise einen behutsamen Druck auf das die Fasern bedeckende Deckgläschen ausübte. Ich muss wohl die Frage ungelöst lassen, ob in den Muskelfasern auch bei diesem Verfahren eine saure Reaction sich eingestellt hat oder auch nur ob überhaupt die Reaction des Faserinhaltes eine Veränderung erlitten hat? Andererseits jedoch könnte wohl auch die ebenso berechtigte Frage aufgeworfen werden, ob eine Veränderung in der Gruppirung der mit Richtkräften wechselseitig auf einander einwirkenden Muskelmolecüle nicht nur zufolge einer Ver- änderung in der chemischen Reaction, sondern ebenso auch zu Stande kommen könne, wenn diese Molecüle auf eine gewaltsame Weise, wie oben bei einer auf die Faser ausgeübten mechanischen Einwirkung, eine Lageveränderung erlitten haben? Und ebenso berechtigt und nahe- liegend wäre wohl die noch allgemeinere Frage, in wiefern die Ver- änderung der chemischen Reaction — mit welcher zugleich ebenso bei der Wärmestarre, als auch bei der unmittelbaren Einwirkung verschie- dener chemischer Substanzen oder wenn solche in Folge der Elektrolyse frei werden, eine solche Veränderung in der Querstreifung auftritt, bei welcher der Muskel eine Verkürzung erleiden muss — als wenigstens eines jener Zwischenglieder kann angesehen werden, welche auch unter IA.20,8. 118. 330 A. E. JENDRASSIK: den normalen Lebensverhältnissen einerseits zwischen der, an die Gestalts- veränderung gebundenen mechanischen Leistungsfähigkeit des Muskels und andererseits zwischen dem, mit der geleisteten Arbeit in directem Verhältnisse gesteigerten Stoffverbrauche desselben, vermittelnd ein- geschaltet sind? Wir lassen es hier jedoch unerörtert inwiefern der gegenwärtige Stand unserer Kenntnisse die nöthige Grundlage bietet, auf welcher die Lösung aller dieser Fragen mit unbefangenem Urtheile schon jetzt versucht werden könnte; doch wollen wir nicht auch unerwähnt lassen, dass, wenn es auch ausser Zweifel steht, dass die zur mechanischen Kraftäusse- rung geeignete Gestaltveränderung des Muskels, durch eine entsprechende Umlagerung seiner, zwischen Schichten von abweichender physikalischer Constitution eingelagerten festeren Molecüle bewerkstellist wird, und wenn auch die hier mitgetheilten Versuchsergebnisse entschieden dafür sprechen, dass jene Molecüle Richtkräfte nach zwei verschiedenen, der breiten und der schmalen Querstreifung entsprechenden Wirkungsweisen. gegenseitig auf einander ausüben, welche letzteren vom chemischen Zustande der Faser derart abhängig erscheinen, dass eine Aenderung dieses Zustandes auch eine Aenderung jener Wirkungsweisen zur Folge hat, so ist einstweilen doch auch nicht ausgeschlossen, dass auf eben jene wechselseitige Wirkungsweise der Molecüle auch noch ein oder mehrere andere Factoren einwirken können, um selbst als unmittelbare Vermittler zwischen der chemischen Veränderung und der Veränderung ‘ der Kichtkräfte bestimmend aufzutreten. Während für einen näheren Zusammenhang der eben bezeichneten zwei Momente der Umstand zu sprechen scheint, dass mit der Dauer der tetanischen Contraction auch die freie Säure im Muskel entsprechend sich anhäuft und also den Schluss gestattet, dass auch bei jeder einzelnen Contraction in den nach einander folgenden Schichten entlang der ganzen Muskelfaser Säure frei wird, so bildet doch andererseits, auch wenn wir von vielem anderen absehen, ein nicht unwichtiges Gegenmoment jener bedeutende Unter- schied, der zwischen dem so raschen Ablaufe der normalen Contractions- welle und jenem äusserst langsamen, schleppend dahinschreitenden Vor- gange besteht, mit welchem bei der Einwirkung einer chemischen Sub- stanz, z. B. einer stärker diluirten Säure, die Veränderung der Quer- streifung von Schicht zu Schicht sich fortplanzt. i Indem wir uns .die Erörterung jener Factoren, welche unter den normalen Lebensverhältnissen eine Aenderung in der Anordnung der Molecüle im Inneren der Muskelfaser, während der einfachen und der tetanischen Contractionswelle, hervorbringen, mit Berücksichtigung auch der hier vorliegenden Untersuchungsresultate, für eine andere Abhand, ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 3: lung vorbehalten, wollen wir schon hier diejenigen Rückschlüsse ver- folgen, welche sich aus jenen Ergebnissen in Bezug auf die Bedeutung gewisser Vorgänge im Gesammtcomplexe der bei der Muskelstarre auf- tretenden Erscheinungen ziehen lassen, insbesondere auch die viel er- örterte Frage betreffend, inwiefern die Verkürzung des erstarrten Muskels noch als eine Lebensäusserung kann angesehen werden, oder ob dieselbe die Folge des bereits eingetretenen Muskeltodes sei? III. Folgerungen bezüglich der bei der Muskelstarre auftreten- den CGontractionserscheinungen. Ist es auch, wie schon Hr. Kühne! hervorhob, kaum erspriesslich, bei einem solchen Vorgange, wie die Starre, nach einer vitalen und physikalischen Action zu forschen und eine Scheidegrenze zwischen beiden aufzusuchen, so kann doch immerhin der Sinn jener Frage näher dahin abgegrenzt werden, inwiefern kann die Verkürzung des erstarrten Muskels als durch einen, demjenigen analogen Vorgang hergestellt angesehen werden, welcher durch bestimmte Einwirkungen auch in dem noch un- veränderten, mit normalen Lebenseigenschaften begabten Muskel hervor- serufen kann werden und inwiefern ist dieser Vorgang der Verkürzung auch im erstarrenden Muskel zunächst durch eben solche Einwirkungen bedingt oder inwiefern waltet in der einen oder anderen Beziehung ein Unterschied ob? Eine solche Frage ist gewiss umsomehr gestattet, als ja die Muskelstarre ein Complex mehrfacher Erscheinungen ist, welche nothwendiger Weise nicht brauchen alle gemeinschaftlich durch dieselbe Ursache bedingt zu sein. ’ War es auch ungerechtfertigt, wenn von der einen Seite das Haupt- gewicht bei der Muskelstarre auf die dabei wahrgenommene Contraction Selest wurde und musste darum auch der Versuch fehlschlagen, aus dieser einen Erscheinung auch die übrigen abzuleiten; so dürfte anderer- ‚seits, auch nachdem es gelungen ist, durch den von Hrn. Kühne ge- lieferten Nachweis einer im Muskel enthaltenen Substanz, welche bei der Starre im festen Zustande sich ausscheidet, die bei der Starre eintretende Veränderung der Elastieität, der Durchsichtigkeit und der Consistenz ausreichend zu erklären, doch noch immerhin die Frage geboten sein, ob die Verkürzung, welche der Muskel bei der Starre mehr minder er- ea. 0. 8.188. 332 A. E. JENDRASSIK: leiden kann, so wie Hr. Kühne! meint, nichts anderes als die Zusam- menziehung sei, welches das Muskelgerinsel mit jedem anderen Coagulum theilt und alle Bewegungen, welche beim Eintritt der Starre oder wäh- rend derselben an den Gliedern der Leiche vorgehen können, auch nur daher zu erklären seien? Denn mögen auch jene Muskelgerinsel das Vermögen besitzen, sich nach und nach auf ein kleines Volumen zusammenzuziehen, so ist damit noch nicht der Nachweis geliefert, dass auch bei derjenigen Vertheilung, in welcher die gerinnbare Substanz, zu Folge des geschichteten Baues der Muskelfaser, in dieser enthalten sein kann, eine Verkürzung der Faser erfolgen müsse, wenn sich die gerinnbare Substanz, in den von einander durch anders zusammengesetzte Zwischenlagen getrennten Schichten, von einem auch bei der Gerinnung flüssig verbleibenden Bestandtheile ab- scheidet, und wenn dieselbe in solchen getrennten Schichten allenfalls auch auf ein kleineres Volum zusammenschrumpft, dabei aber doch das Volum der ganzen, aus dem Gerinsel und aus dem übrigen flüssigen Theile bestehenden Schicht unverändert verbleibt. Auch wäre ja für den Fall, dass die Verkürzung des erstarrenden Muskels nur durch jene Gerinnung bedingt wäre, damit nicht bloss die Möglichkeit gegeben, dass bei der Muskelstarre auch eine Verkürzung eintreten und Bewegungen in den Gliedern der Leiche hervorrufen oder auch nicht hervorrufen könne, sondern es müsste sich dann der durch die Gerinnung bedingten Muskelstarre nothwendigerweise auch die Verkürzung des Muskels jedes- mal beigesellen. | Hr. Kühne? unterscheidet, wie wir bereits erwähnt haben, von der bei 45° C. eintretenden Wärmestarre diejenige Starre, welche schon bei 40° C. eintritt, und betrachtet letztere als identisch mit der Todten- starre, von welcher sie vielleicht nur quantitativ derart differiren soll, dass bei derselben alle Erscheinungen der Starre nur um so ausgeprägter auftreten. Nun wissen wir aber bereits zufolge der vorher angeführten Untersuchungen, dass eben bei jener Starre, welche bei 40° C. auftritt, jedesmal auch die breite Querstreifung der Muskelfasern eine Umgestal- tung in die überaus schmale Streifung erleidet, wobei zugleich die Fasern sich entsprechend verkürzen. Dass aber jene Umänderung der Quer- streifung durch die dabei auftretende saure Reaction bedingt sei, dürfte wohl nach alledem um so weniger zu bezweifeln sein, als ja die Wärme für sich allein, wie auch Hr. Kühne? nachgewiesen hat, als Erregungs- ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 333 mittel der Muskeln auf der niedersten Stufe steht. Wenn sich nun eine solche Aenderung der Reaction in der Muskelfaser auch bei der Todten- ‚starre einstellt, so steht wohl zu erwarten, dass falls nur die Beweglich- keit der Moleeüle durch die völlig ausgebildete Gerinnung des Faser- inhaltes noch nicht gänzlich aufgehoben ist, die Umänderung der Querstreifung sich auch während der Ausbildung der Todtenstarre wird einfinden und ebenso wie bei jener durch Wärme hervorrufbaren Starre eine Verkürzung des Muskels zu Stande wird bringen. Und so wie wir vorhin auf Grund der Beobachtung, dass die, bei Einwirkung chemischer Substanzen entstehende Querstreifung bei Wiederherstellung der neutralen Reaction sich wieder in die vormalige breite Streifung zurückverwandeln kann, schliessen mussten, dass die Molecüle ihre normalen, wechselseitigen Richtkräfte auch nach dem Zustandekommen der feinen (Querstreifung noch nicht eingebüsst haben, sondern vielmehr dass letztere eben unter dem Einflusse jener Kräfte zu Stande gekommen sei, ebenso mussten wir dies auch bei jener durch Wärme hervorgerufenen Starre annehmen und | können nun dasselbe auch bei der Todtenstarre voraussetzen. In diesem ' Sinne könnte dann allerdings die Verkürzung des im Tode erstarrenden - Muskels auch noch als ein vitaler Act angesehen werden. | Dass die bei der Todtenstarre auftretende Säure in der That ebenso ‚ wie eine von aussen zugeführte Säure oder ein Alkali im Stande sei | eine Umwandlung der Querstreifen zu bewirken, dafür hat sowohl Hr. 'Sehiff! — in dem auch von Hrn. Kühne erwähnten Versuche, bei welchem in der ausgepressten Flüssigkeit eines erstarrten Kaninchen- schenkels die Schenkel einer Kröte starr wurden, später aber die Starre ‚der Bluteirculation wieder gewichen war, — als auch Hr. Kühne? selbst | Beweise beigebracht, indem er beobachtete, dass die stark saure Flüssig- ‚ keit ganz verfaulter Muskeln bisweilen ebenso wie sonst eine verdünnte ‚Säure oder ein Alkali auf gesunde Muskeln als Reize einwirken, wobei ' jene nach vorangehenden Zuckungen in einen Zustand der Starre ver- ‚fallen. Die damit verbundene Verkürzung aber, welche eben zu Folge ‚der, auf solche Einwirkungen — wie wir bereits wissen — auftretenden Umwandlung der Querstreifung sich einstellt, muss wohl als jenem Con- ‚tractionsvorgang analog angesehen werden, der an der Stelle des sog. eu Wulstes stattfindet. Nach den bisher gefundenen Thatsachen kann es uns auch keines- I. befremden, dass die aus ganz frischen Froschmuskeln ausgepresste, Be neutrale Flüssigkeit uhiomieis auf andere au kl erregend zu wirken De | er 1 Dehrbuch der Physiologie des Menschen. Lahr. 1858—59. Bd. I., S. 51. 2 N. a. O., 8. 146. vw 334 A. E. JENDRASSIK: vermag; wohl aber wird die Annahme gestattet sein, dass wenn der stark saure Muskelsaft eine Verkürzung in anderen gesunden Muskeln be- wirken kann, die in einem Muskel freiwerdende Säure die gleiche Wir- kung auch in ebendemselben wird hervorrufen können, vorausgesetzt, dass jene Reaction des Muskelinhaltes sich zu einer Zeit einstellt, wo die Gerinnung in demselben noch nicht so weit vorgeschritten ist, dass da- durch die Molecüle der Querstreifen ihre Beweglichkeit bereits gänzlich eingebüsst haben. Es würde sich also zunächst darum hanıdeift zu bestimmen, in welchem Stadium der Erstarrung die freie Säure im Muskelsafte auftritt. Leider jedoch lassen sich, wie genaue Beobachter übereinstimmend angeben, weder diese Stadien so genau verfolgen, noch auch die Reihenfolge bestim- men, in der die Erscheinungen bei der Todtenstarre nacheinander auftreten. So schreibt Hr. Kühne! die Verschiedenheit der Zeitangabe, wann die Starre eintritt, zum Theil den mangelhaften Kriterien zu, an welchen die verschiedenen Beobachter den sogenannten Muskeltod zu erkennen olaubten. Und ebenso spricht sich Hr. du Bois-Reymond? eben mit Bezug auf den uns hier interessirenden Umstand dahin aus, dass da der An- fang der Todtenstarre durch kein entscheidendes Merkmal bezeichnet ist, es sich auch nicht mit Bestimmtheit behaupten lässt, dass die Säuerung sich immer erst nach vollendeter Erstarrung bemerklich macht. Doch hält er dies für den wahren Sachverhalt, so dass die Gerinnung des Muskelfaserstoffes das ursprüngliche, die Säuerung des Muskels das se- cundäre Phänomen wäre. Andererseits jedoch führt derselbe Forscher an,? dass beim Schlächter gekauftes Rindfleisch, welches eine sehr starke saure Reaction besass, sodann doch freiwillig erstarrte. Woraus also folet, dass hier die Starre das secundäre Phänomen war. Hr. Kühne? aber schliesst aus seinen an Kaninchen-, Hunde- und Froschmuskeln gemachten Beobachtungen, dass der Act der Gerinnung bei der Todtenstarre kein ganz plötzlicher ist, sondern dass ein grosser Theil der contractilen Sub- stanz schon geronnen sein kann, während ein anderer noch in dem flüssigen Zustand beharrt und die Reaction des Muskelsaftes schon in die saure umgeschlagen ist. Und an einer anderen Stelle? giebt derselbe IN ER TE ? Gesammelte Abhandl. Bd. II., S. 16 ff. — (Hr. Jendrässik hat mich miss- verstanden. Es steht da: „Als ich beim Schlächter gekauftes Rindfleisch, welches eine sehr stark saure Reaction besass, sodann freiwillig erstarrte und sauer gewordene Froschmuskeln, endlich sogar Froschmuskeln, die durch fünf Minuten Aufenthalt m | 450 sauer gemacht worden waren, eine Viertelstunde lang kochte, blieben die Mus- keln nach wie vor sauer.“ Die Worte: „sodann freiwillig erstarrte“ beziehen sich | adjeetivisch auf die Froschmuskel, nicht als Zeitwort auf das Rindfleisch. — E.d.B-R.) >3:.2.0,8.18; 4 A. 2.0.8164. 5A, a0, ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 335 Forscher an, dass in der allergrössten Mehrzahl der Fälle der Eintritt der sauren Reaction im Muskel zugleich den Beginn der Starre be- zeichnet. Unter so bewandten Umständen ist nun aber auch die Annahme gestattet, dass im Allgemeinen bei dem frühzeitigen Auftreten der freien Säure im Muskel, eine Umwandlung seiner Querstreifen und eine durch letztere bedingte Contraction des Muskels in der Todtenstarre keineswegs ausgeschlossen ist. Der geringe Grad, den diese Verkürzung gewöhnlich erreicht, ebenso wie ihr gänzliches Ausbleiben in anderen Fällen, findet wohl eine ausreichende Erklärung — ausser in dem Wider- stande, welchen die Gliedmaassen vermöge ihrer Schwere der Lagever- änderung derselben und dadurch auch der Muskelverkürzung entgegen- setzen — im Allgemeinen in dem Umstande, dass ja wie Hr. du Bois- Reymond! sowohl an den quergestreiften, als auch an den glatten Muskelfasern verschiedener Thiere und bei verschiedener Behandlung der- selben nachgewiesen hat, das Freiwerden von Säure im Muskel keine nothwendige und unmittelbare Folge — (und also auch wohl keine be- dinsende Veranlassung) — der Gerinnung des Muskelfaserstoffes sei, son- dern dass unter Umständen letztere allerdings stattfinden könne, ohne erstere nach sich zu ziehen (und wohl auch ohne dass erstere ihr voran- gegangen wäre). Und trotzdem Hr. Kühne” den ersten Reactionswechsel der Muskeln als auf das engste an den Eintritt der Starre geknüpft und die Bildung von freier Milchsäure als einen Theil der eigenthümlichen Veränderungen der Todtenstarre ansieht, so führt er doch auch die Be- obacehtung an, die er ganz constant bei Kaninchen, die man anderer Versuche halber verhungern liess, machte, deren Muskeln erstarrten, ohne dass ein Zeitpunkt eintrat, wo freie Säure darin nachgewiesen werden konnte. Auch fand der genannte Beobachter bei Hunden und Kaninchen, dass nachdem schon für den äusseren Eindruck die Starre in den Muskeln besonnen hatte, diese doch noch bei jeder Art der Reizung langsam fortschreitende Contractionen zeigten, und entgegen seinem oben ange- führten Auspruche findet er sich auch zu dem Schlusse veranlasst?, dass da die Starre bei den Warmblütern schon beginnt, während der Muskel noch erregbar ist und da bei den Kaltblütern der Verlust der Erregbar- keit und der Eintritt der Starre zeitlich so bedeutend getrennt sind, darum beide Vorgänge ganz unabhängig von einander seien. Aus allen diesen Befunden und Angaben, trotzdem sie in manchen Binzelheiten von einander abweichen, geht doch so viel in verlässlicherer UA. a. ©. S. 28. ZEN 2.0, S. 144 Ri. Na. 0%, S. 166. 336 A. E. JENDRASSIK: Weise hervor, dass indem die Säurebildung nicht nothwendig, weder als Ursache noch als Folge, mit dem Gerinnungsvorgange bei der Todten- starre verknüpft ist, sie auch ebensowenig an ein bestimmtes Stadium dieses Vorganges gebunden zu sein braucht, sondern je nach uns unbe- kannten Umständen, bald früher, bald später eintreten kann, sie darum auch je nach der mehr weniger vorgeschrittenen Gerinnung einen ver- schiedenen Grad der Verkürzung wird veranlassen oder aber dieselbe auch ganz behindern wird können. Von unserem Standpunkte aus müssen wir jedoch auch noch zugeben, dass selbst wo im Verlaufe der Todten- starre gar keine Säuerung auftritt, die Reaction vielmehr eine ausge- sprochen alkalische wird, sobald nur diese in einem hinreichend früh- zeitigen Stadium eintritt, dadurch ebenfalls eine Muskelverkürzung hervorgerufen werden könne. Noch scheint aber einen gewichtigen Einwand gegen unsere Ab- leitung der Muskelverkürzung, welche im Verlaufe der Todtenstarre auf- tritt, der Umstand zu bilden, dass, wie Hr. Kühne! beobachtet hat, bei den Muskeln der kaltblütigen Thiere ein Stadium vorkommt, wo sie durch kein Mittel (elektrische Reizung, Säuren, Alkalien) mehr zur Contraction gebracht werden können, wo sie aber noch lange nicht starr sind, sondern durchsichtig bleiben und (wie sonst nach Kühne im normalen Zustande) alkalisch reagiren. Ebendarum soll also die Todtenstarre bei den Fröschen keine Contraction sein können, weil der Muskel selbst lange vorher schon gar nicht mehr im Stande ist sich zu contrahiren und diese Zwischen- stufe zwischen dem starren und dem reizbaren Zustande hier niemals fehlt. Woraus dann auch folgen würde, dass selbst eine frühzeitig bei der Starre auftretende Säure doch nicht mehr vermögend wäre, eine Aenderung der Querstreifung und dadurch eine Contraction zu veranlassen, insofern die Moleeüle der hierzu erforderlichen Richtkräfte bereits schon damals beraubt wären. Jenen von mir unbezweifelten Thatsachen gegenüber kann ich mich | jedoch auf die wiederholt gemachte Beobachtung berufen, dass noch | solche Muskeln oder auch nur Muskelbündel, welche weder bei Berührung ihres Querschnittes mit Säuren oder Alkalien, noch auch unter der Ein- | wirkung von Induetionsströmen oder bei Schliessung und Oefinung von Kettenströmen, durchaus keine Zuckung mehr, nicht einmal unter dem’ Mikroskrope wahrnehmen liessen, dennoch falls nur ihr Faserinhalt noch flüssig und durchsichtig verblieben war, eine Umwandlung ihrer breiten | Querstreifung in die schmale erlitten haben und sich dementsprechend auf solchen Strecken zusammenzogen, wenn ich auf dem Öbjectträger| IA. a..0,,.8..154 M. ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 33 eine verdünnte Säure oder auch nur destillirtes Wasser zu ihnen zutreten liess, oder wenn in ihnen unter der Einwirkung eines Kettenstromes Elektrolyte frei wurden. Aus diesen Versuchen ergiebt sich also, dass auch noch in jenen Muskelfasern, an welchen keine Reizbarkeit mehr äusserlich wahrnehmbar war, die Molecüle noch immer das Vermögen besassen, unter unmittelbar auf sie ausgeübten Einwirkungen, jene Grup- pirung einzugehen, welche nothwendig eine Verkürzung der Muskelfaser nach sich zieht. Dass sich aber trotz dieses Vermögens auf local be- schränkte Reize doch keine Contraction zeigte, erklärt sich wohl daraus, dass diese Muskeln nur des Vermögens verlustig waren, durch den Zu- stand der Contraction in der einen Schicht, in den gleichen Zustand auch in den Nachbarschichten versetzt zu werden und denselben so von Schicht zu Schicht weiter zu übertragen; jene Contraction aber, welche sich unmittelbar am Orte des Reizes eingestellt hat und einzig darauf beschränkt blieb, ihrer Geringfügigkeit wegen äusserlich nicht wahrnehm- bar sein konnte. Ebenso also wie Hr. Kühne! mit Recht die stärkere Erhebung des sogenannten idiomusculären Wulstes gegenüber der fortgepflanzten Con- traction, aus der grösseren Stärke des directen Reizes gegenüber dem- jenigen, welchen eine erregte Muskelquerschicht auf die nächstfolgende ausübt, ableitet, und das Wegbleiben der fortschreitenden Contractions- welle, während der örtliche Wulst noch zu Stande kommt, aus dem Ver- lust des Leitungsvermögens für die Erregung erklärt; können auch wir eine ausreichende Erklärung dafür geben, warum auf einem noch tiefer gesunkenen Lebenszustande des Muskels, bei wie es scheint schon gänz- _ lieh erloschener Reizbarkeit, auf Einwirkungen, welche die gruppirungs- fähigen Molecüle unmittelbar treffen, eine Zusammenziehung des Muskels noch immer zu Stande kommen kann. Und so ist es begreiflich, dass im Muskel auch bei der eben beginnenden Todtenstarre, nachdem der- selbe bereits kein Zeichen einer Reizbarkeit mehr zeigt, die in ihm frei- werdende Säure, indem sie auf die Molecüle unmittelbar einwirkt und dieselben zu neuer Gruppirung bestimmt, eine mehr weniger auffällige Verkürzung bewirken kann. Es ist wohl selbstverständlich, dass die im Verlaufe der Todtenstarre entstandene dichtere Querstreifung in dem sich selbst überlassenen Muskel, bei noch weiter zunehmender Säuerung und hinzutretender Gerinnung des Muskelsaftes, also nachdem der Muskel hart und undurchsichtig ge- worden ist, nicht mehr wird rückgängig werden. Ob aber dann, wenn sich die Starre bei eintretender Fäulniss löst und die Reaction, bevor sie Na. 0., S..113. Archiv f. A. u. Ph. 1379. Physiol. Abthlg. 338 A. E. JENDRÄSSIK: noch alkalisch wird, den Neutralpunkt erreicht, auch die schmalen Quer- streifen, so weit sich solche vorhin gebildet haben, sich in die ursprüng- lichen breiten Streifen zurückverwandeln, wie wir dies bei Neutralisation der auf den Faserinhalt einwirkenden Elektrolyte oder der Säuren oder Alkalien beobachtet haben, und ob dann zum zweitenmal wieder die feinen Querstreifen sich bilden, wenn bei vorschreitender Fäulniss die Reaction alkalisch wird, ob also die vom Charakter der Muskelreaction abhängigen Richtkräfte der Molecüle durch alle Stadien des Absterbens hindurch noch ausdauern können? darüber liegen mir wohl keinerlei Erfahrungen vor; doch dürfte aus später noch zu besprechenden Gründen weder das Fortbestehen jener Richtkräfte, noch weniger das Verbleiben der Mole- cüle im Bereiche dieser Kräfte, an das doch die Möglichkeit ihrer Grup- ‘ pirung gebunden ist, zu erwarten sein; auch sind faulende Muskeln wohl noch nie in contrahirtem Zustande vorgefunden worden. Die Möglichkeit jedoch, dass wo — wie nach Gefässunterbindungen am lebenden Thiere — schon in einem der ausgesprochenen Starre voran- gehenden Stadium, in Folge des Auftretens freier Säure, eine dichtere Querstreifung und mit dieser eine Contraetion des Muskels sich einge- funden hat, letztere nach wieder freigelassener Circulation unter dem neutralisirenden Einflusse des Blutes, mit der Rückumwandlung der Querstreifen sich wieder lösen könne, findet wohl keine Widerlegung in den Erfahrungen, welche Hr. Kühne! anführt, wonach entgegen den Angaben von Key, Brown-Sequard und Stannius, es niemals ge- lingt, den unzweifelhaft unerregbaren und völlig starren Muskel eines warmblütigen Thieres durch den Blutstrom wieder in den leistungsfähigen und reizbaren umzuwandeln, noch einen wirklich starren Muskel irgend eines Kaltblüters aus dem starren Zustand in den normalen zurückzu- bringen. Denn so weit sich diese Erfahrungeu auf ein schon vorgerücktes Stadium der Starre beziehen, erweisen sie eben nur, dass die bereits aus- gebildete Gerinnung auch bei wieder zutretendem Blut sich nur im Wege der Fäulniss löst, welche wohl die saure Reaction umändern, nicht aber auch die an die normale Gesammteonstitution des Muskels gebundene Erregbarkeit wieder herzustellen vermag; so weit aber jene Erfahrungen ein früheres Stadium betreffen, zeigen sie selbst, dass das wiederkehrende Blut bei Warmblütern die bereits sinkende, bei Kaltblütern selbst die schon erloschene Erregbarkeit wenigstens vorübergehend wieder herzu- | stellen im Stande ist. | Eben darum kann auch jener, wohl voraussichtlich gewesene Befund I bei einem anderen, von Hrn. Kühne? angestellten Versuch, dass ein | EEROES IA TU To 2A.a. OÖ, 8. 147, ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 339 Muskel auf denselben Reiz, auf welchen er bei unterbundenen Blutge- fässen zuckte, auch noch weiter zuckte, als die Ligatur wieder gelöst war, allenfalls nur jener Ansicht gegenüber von widerlegender Kraft sein, welche, indem sie in der Muskelstarre nichts anderes als eine permanent bleibende Contraction findet, auch erwarten liesse, dass falls die Blut- circulation letztere zu lösen vermag, dieselbe auch wohl das Zustande- kommen der Muskelcontraction wird verhindern können; keineswegs kann aber jener Befund auch zur Widerlegung der Ansicht gelten, dass die unter bestimmten Bedingungen bei der Muskelstarre mit auftretende Con- traction die mittelbare Folge der dabei auftretenden freien Säure sei, durch deren Neutralisation das Blut wohl auch im Stande sein könnte, den contrahirten Zustand der Muskelfaser so weit zu beheben, als die dazu erforderliche Umlagerung der Molecüle nicht etwa durch die blei- bende Gerinnung verhindert wäre; und dass andererseits das Blut das Freiwerden der Säure und die zu Folge dieser sonst eintretende Contrac- tion ebenso wenig zu behindern vermag, wie es auch nicht verhindert, dass der Muskelsaft bei tetanischer Reizung des Muskels eine saure Re- action erlangt. Nach Erwägung aller bisher erörterten Momente scheint mir die An- sicht begründet zu sein: dass insofern, als es sich bloss um die Anordnung der Muskelmoleüle im Contractionszustande und um die Art der nächsten Bedingungen handelt, welche jene herbeiführen, der auf mechanische Reizung sich örtlich einstellende idiomusculäre Wulst, ferner die Aufwulstung und Zusammenziehung des in eine chemisch reizende Flüssig- keit eingetauchten und alsbald erstarrenden Muskelendes, die in der Muskelfaser durch Elektrolyte, durch verdünnte Säuren und Alkalien, durch Temperaturerhöhung auf 40° C. (bei Froschmuskeln) hervorgerufene, sowie endlich auch die der Todtenstarre, unter gewissen Umständen, sich zugesel- lende Contraction ein identischer Zustand sei. Und insofern jene Molecularanordnung von bestimmten Richtkräften der Molecüle abhängt, welche, wie bei einigen der aufgezählten Vorgänge nachgewiesen wurde, eben im intacten Zustande der Muskelfaser vorhanden sind und auch an denselben, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, gebunden zu sein scheinen, kann wohl auch jener Ansicht entsprechend, die bei der Todten- starre sich einstellende Zusammenziehung noch für einen Lebensact an- gesehen werden. Demzufolge schliesst sich auch die vorgetragene Ansicht in dem bestimmt umschriebenen Sinne der Schiff’schen Auffassung, der gemäss die Contraction des todtenstarren Muskels der idiomuskulären Verkürzung entspricht, insofern an, als man unter dieser Bezeichnung 22* 340 A. E. JENDRASSIK: bloss die, auf die Stelle der örtlichen Reizeinwirkung beschränkt bleibende Zusammenziehung versteht. Aber trotz allen bisher aufgezählten Gründen, auf welche sich die erörterte Ansicht stützt, steht ihr noch ein gewichtiges Moment entgegen. Durch die bereits genannten Forscher ist der Nachweis geliefert worden, dass Säurung und Erstarrung des Muskels nicht nothwendiger- weise an einander gebunden sind; es ist demnach auch erklärlich, dass trotz der im Tetanus auftretenden sauren Reaction, der Muskel doch nicht oder wenigstens nicht unmittelbar der Starre anheim zu fallen braucht; wie kommt es aber und wie ist es mit jener Ansicht, der zu- folge die Molecularanordnung im Muskel an eine bestimmte Reaction des Muskelplasma’s gebunden ist, und insbesondere die dem contrahirten Zustande entsprechende Molecularanordnung durch eine freie Säure her- beigeführt wird, vereinbar, dass, trotz einer solchen Säure, der tetanisch erregte Muskel nicht nur in der ihm gebotenen Ruhepause erschlaftt, sondern selbst schon während der Reizung allmählich in seiner Con- traction nachlässt, anstatt dass letzterer entsprechend der entwickelten Säure wachsen und die Reizung überdauern würde ? Dieser Einwurf verliert jedoch der Auffassung gegenüber, wonach die den oben einzeln angeführten Contractionszuständen eigenthümliche Molecularanordnung durch die Säurung des Muskelsaftes bedingt sei, dadurch an Beweiskraft, dass ja Säuren und wie die kurz vorher er- wähnten Versuche beweisen, auch jene Säure, die sich im Muskel selbst sei’s beim Absterben, sei’s während des Tetanus entwickelt, auch con- tractionsauslösende Muskelreize sind. Wenn also der tetanisirte Muskel trotz seiner Säure doch erschlaffen kann, dann kann so wenig als da- durch die Reizwirkung der Säuren widerlegt wäre, auch ebensowenig bloss dadurch die Richtigkeit unserer obigen Auffassung widerlegt sein. Wir stehen hier vielmehr in Betreff beiderlei Eigenthümlichkeiten, einem neuen Problem gegenüber, das wir, wie mir scheint, damit noch nieht gelöst zu haben vermeinen dürfen, wenn wir etwa die Menge der im tetanisirten Muskel ausgeschiedenen Säure für ungenügend erklärten, um die der Contraction eigenthümliche Molecularanordnung herbeizu- führen. Die Frage erheischt wohl ein tieferes Eingehen auf die Mole- eularvorgänge und ihre Bedingungen, welche im Muskel bei seinen ver- schiedenen Contractionsweisen stattfinden. | Indem ich mir darum eine ausführlichere Erörterung dieses Gegen- standes für eine besondere Abhandlung vorbehalte, führe ich hier nur noch zur Ergänzung des über die innere Muskelströmung bisher Mit- _ getheilten jene Veränderungen an, welche die Muskelfaser unter der Einwirkung abwechselnd gerichteter Inductionsströme erleidet. ÜBER STRÖMUNGSERSCHEINUNGEN AN MUSKELN. 34l Bei mässiger Stärke solcher Ströme gelingt es nicht selten, auch in den Froschmuskelfasern denen in den Inseetenmuskeln von selbst sich einstellenden ähnliche Contractionserscheinungen zu beobachten, die bald auf einer sehr beschränkten Strecke, manchmal gar nur über einige Querstreifen sich ausdehnend, hin und her schwanken, bald aber auch über längere Strecken wellenartig hinwegschreiten und auch wieder zurückfluthen. Stärkere Inductionsströme jedoch wühlen schon in sehr kurzer Zeit — mehr oder weniger ausgebreitet oder auch in der ganzen durchströmten Länge von 3—4"””, das Innere der Muskelfaser derart auf, dass die Querstreifen gänzlich zerfallen, die sich dann nicht mehr wieder zu Reihen ordnen, sondern theils zerstreut bleiben, theils zu Klumpen von sehr verschiedener Grösse sich zusammenhäufen, an denen oft ein auffälliger Glanz bemerkbar ist. Schon nach ein, zwei Minuten erlangt so die Muskelfaser ein ähnliches Aussehen, wie es allgemein den sogenannten fettig entarteten Muskeln zugeschrieben wird. Dass hier von einer derartigen Entartung nicht die Rede sein kann, steht wohl ausser jedem Zweifel. Indem aber, wie dieses Beispiel lehrt, der Muskel auch ohne eine solche Entartung sich dennoch ebenso ver- ändert zeigen kann und man auch die Möglichkeit nicht auszuschliessen vermag, dass ausser den Inductionsströmen auch noch andere Einflüsse ganz ähnliche Veränderungen herbeiführen könnten, wäre es wohl ge- rathen, die fettige Entartung im Muskel nicht bloss nach dem mikro- skopischen Befunde zu beurtheilen und dieselbe schon auf Grund von mehr oder weniger glänzenden Molecülen im zerfallenen Faserinhalte für erwiesen zu halten, sondern einstweilen wenigstens in jedem ein- zelnen Falle eines derartigen Befundes auch auf chemischen Wege nach- zuweisen, dass der Fettgehalt des Muskels wirklich vermehrt sei. Ueber den Blutdruck im Aortensystem und die Vertheilung des Blutes im Lungenkreislaufe während der In- und Exspiration. Von Dr. C. Mordhorst in Flensburg. In einem Aufsatze von O. Funke und J. Latschenberger: „Ueber die Ursachen der respiratorischen Blutdruckschwankungen im Aorten- system“!, welcher mir leider erst vor Kurzem zu Gesicht kam, wird die Theorie Einbrodt’s — der Blutdruck im Aortensystem sei während der Inspiration höher als während der Exspiration — aufrechtgehalten. Darüber sind sich allerdings die neueren Forscher einig, dass der Druck in der Aorta sein Maximum in der ersten Hälfte der Exspiration erreicht; die einen verlegen ihn in den Anfang, die anderen in die Mitte derselben. Ueber die Entstehung dieses Druckes und über die Höhe des mittleren Blut- druckes im Aortensystem während einer Athmung gehen ihre Meinungen jedoch auseinander. m Einbrodt und Ludwig sind bekanntlich durch Experimente an Thieren zu der Ansicht gekommen, dass der Blutdruck im Aortensystem während der Inspiration im Ganzen höher ist als während der Exspiration. Das Ansteigen des Blutdruckes bei der Einathmung erklärt Einbrodt durch das Ueberpumpen einer grösseren Blutmenge in die Aorta, welche durch den erhöhten negativen Lungendruck vom Ventrikel aspirirt war. Andere Forscher sind der entgegengesetzten Ansicht. So sagt Hermann in seinem Grundriss der Physiologie, 4. Auflage: „Die Wirkung der Thoraxverhältnisse auf die Arterien zeigt sich ebenfalls in einer regel- mässigen Schwankung des Blutdruckes (Erhöhung bei der Exspiration, s* 1 Pflüger’s Archiv u. s. w. ÜBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U, 8. W. 343 Verminderung bei der Inspiration) u. s. w.“ Waldenburg, der eine grosse Reihe von sphygmographischen Experimenten an Menschen gemacht hat, spricht seine Ansicht hierüber in seiner Pneumatischen Behandlung der Respirations- und Circulationskrankheiten mit folgenden Worten aus: „Bei der gewöhnlichen und noch viel mehr bei der tiefen Inspiration wird, wie bekannt, der negative Lungendruck gesteigert, wo- dureh ein Zug auf alle intrathoracischen Organe ausgeübt wird. Die Wandungen des Herzens werden gleichsam von allen Seiten nach aussen gezerrt oder besser angesogen, und diesem Aspirationszug müssen sie bei ihrer Contraetion Widerstand leisten. So viel Kraftaufwand, wie die Ueberwindung dieses Widerstandes erfordert, so viel geht an der Ge- sammtkraft der Herzeontraetion für die Ausstossung des Blutes verloren, und das Resultat ist, wie das Kymographion zeigt, Herabsetzung des Druckesim Aortensystem während der Dauer der Inspiration.“ Wer von diesen Forschern hat nun Recht? Dass während der Einathmung das Herz bluthaltiger sein muss als bei der Exspiration, ist eine physikalische Nothwendigkeit; hierüber herrscht auch nur eine Meinung. Ob aber nun der erweiterte Ventrikel Kraft genug besitzt, den Widerstand zu überwinden, den der negative Lungendruck der Zusammenziehung des Herzens entgegensetzt, ist fraglich. Ist das aus den Versuchen von Hering und Breuer hervorgehende Resultat, dass aus den Bewegungen der Lunge eine Selbststeuerung der Athembewegungen hervorgeht, indem deren Ausdehnung eine exspira- torische, deren Zusammenziehung eine inspiratorische Reizung auslöst, richtig, dann scheint es umsomehr gerechtfertigt, auch ein ähnliches Verhalten bei der Regulirung der Herzbewegungen anzunehmen. Es ist kaum denkbar, dass die Kraft der Herzmuskeln so genau bemessen ist, dass sie nur eben hinreichen sollte, um die Contraction vollführen zu können. Es ist im Gegentheil eher anzunehmen, dass die Herzmuskeln einen Vorrath an Kräften besitzen, der nöthig ist, um den im Verhältniss zu ihrer eigenen Mächtigkeit doch nur kleinen Widerstand (ich spreche hier nur von der gewöhnlichen ruhigen Athmung) mit Leichtickeit zu überwinden. Wissen wir doch, dass unter Umständen, z. B. bei starker Bewegung, bei gewissen Krankheiten, das Herz im Stande ist, eine übermässige Arbeit zu verrichten. Um eine kräftige Contraction des Herzens zu be- wirken, wie es zuweilen bei der physikalischen Untersuchung erwünscht ist, lässt man die betreffende Person einige Mal schnell hin und her gehen, und das Bezweckte ist erreicht; das Herz schlägt kräftiger, die Herztöne sind deutlicher zu hören. Je stärker nun die Ventrikel aus- gedehnt werden, desto stärker muss der Reiz sein, dem die im Sinus 344 (. MORDHORST: venosus gelegenen Ganglienzellen (die Remak’schen Ganglienhaufen) und die nahe dem Septum atriorum an der Basis des Ventrikels befind- lichen „Bidder’schen Ganglienhaufen“ durch die starke Ausdehnung des Ventrikels ausgesetzt sind. Letztere bilden nach Rosenthal ein accessorisches Centrum, welches nur bei stärkerem Anwachsen der Rei- zung in Thätigkeit geräth und dann die verstärkte Herzarbeit herbeiführt, analog der accessorischen Thätigkeit des Athemapparates bei der Dyspnoe. Auch haben die neueren Forschungen ergeben, dass die Erregung des Vagus nicht automatisch, sondern reflectorisch, also für gewöhnlich vom Herzen aus hervorgerufen werden. Dasselbe ist wahrscheinlich mit den Sympathicuserregungen der Fall. Je stärker der Reiz an den Nerven- enden am Ende der Diastole, d. h.,je stärker die Erweiterung der Herz- kammer, desto kräftiger muss auch die ÖContraction sein. Dies ist aber der Fall bei der Inspiration, während welcher also das Herz wohl im Stande ist, ein grösseres Quantum Blut in die Aorta überzupumpen. Bei tiefen Inspirationen dagegen, wo nach Donders der ° negative Lungendruck einer Quecksilbersäule von circa 40”” das Gleich- gewicht hält, ist eine Beeinträchtigung der Herzeontractionen durch den- selben anzunehmen, zumal die Erhöhung des negativen Druckes bei ge- wöhnlicher Athmung nur 1.— 2" beträgt. Zu erwähnen wäre noch ein Moment, welcher die Entleerung der Ventrikel erleichtert. Ich meine die in der Aorta und seinen innerhalb des Thorax befindlichen Verzweigungen während der Inspiration statt- findende Erniedrigung des Druckes, die durch Erhöhung des negativen Lungendruckes bewirkt wird. Je niedriger aber der Druck im Aorten- anfange, desto leichter die Herzarbeit. Fraglich ist es allerdings, ob die durch die Erhöhung des Druckes im Abdomen während der Einathmung bestehende Compression der Aorta descendens das erwähnte Moment nicht compensirt. Nach Vierordt und Ludwig ist bei gesunden Individuen. die Inspiration von viel längerer Dauer als die Exspiration. Sie kamen durch viele Versuche an verschiedenen Personen zu folgendem Resultat: Inspirationsdauer. Exspirationsdauer. 8.2 22.7 13-4 26-9 Eine Pause zwischen In- und Exspiration wird nicht angenommen; dagegen fanden sie im Mittel aus acht Versuchen, in welchen fast ohne Ausnahme die Exspirationspause vorhanden war, dass diese sich zu einer ganzen Athmung, die Pause mitgerechnet, wie 10:44 verhält. Riegel, der auch eine grosse Anzahl Messungen gemacht, fand auch im Ganzen UBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U. S. W. 345 die Inspiration kürzer als die Exspiration, die Differenz jedoch nicht so gross, wie die erwähnten Autoren. Wir kommen gewiss der Wahrheit am nächsten, wenn wir annehmen, dass die Inspiration für gewöhnlich nur die Hälfte der Zeit der Exspiration in Anspruch nimmt und die Pause wegfallen lassen oder zur Exspirationsdauer rechnen. Während der Dauer einer Respiration contrahirt sich das Herz durchschnittlich vier Mal; es kommt also nur gut eine Contraction auf die Inspiration. Findet die Entleerung des Ventrikels gleich im Anfange der Einathmung statt, so hat das Herz noch nicht Zeit gehabt, sich über die Norm zu füllen; es kann also von einer Erhöhung des Blutdruckes im Aortensystem noch nicht die Rede sein. Erfolgt die Contraction in der Mitte der Inspiration» dann wird vielleicht ein etwas grösseres Quantum Blut in die Arterien befördert als durch die vorhergehende Contraction. Doch auch dies ist fraglich, weil, bevor eine starke Füllung des Vorhofes in Folge der Inspiration stattfinden kann, die grössten Lungenvenen mit ihren viel dünneren Wänden so stark mit Blut gefüllt werden müssen, bis eine weitere Ausdehnung derselben mehr Kraft erfordert als die Dilatationen des Vorhofes. Bis dieser Moment eintritt, ist aber die Zeit der Inspiration wahrscheinlich fast verstrichen. Auf alle Fälle ist kaum anzunehmen, dass das Mehr von Blut, welches durch eine Contraction während der Einathmung in die Pulmo- nalis befördert wird, so bedeutend sein sollte, dass dadurch die durch die Erhöhung des negativen Lungendruckes erfolgte Raumvergrösserung der ‚ Aorta und deren Verzweigungen compensirt wird. Erfolgen dagegen zwei Contractionen während einer Einathmung, dann wird muthmasslich ein so viel grösseres Quantum Blut in die Aorta übergepumpt, dass der Druck in derselben am Ende der Inspiration. erhöht wird. Die durch die Erweiterung des Thorax in die grossen Lungenvenen und in den linken Vorhofe aspirirte Blutmenge kommt mehr den ersten Con- tractionen der Exspiration als denen der Inspiration zu Gute. Dem- gemäss muss der Blutdruck in der Aorta bei gewöhnlicher ruhiger Athmung immer in der ersten Hälfte der Ausath- mung und zwar nach meiner Ansicht mehr in der Mitte als im Anfang derselben am höchsten sein. 0. Funke und J. Latschenberger setzen voraus, dass der Blut- druck im Aortensystem im Mittel während der Inspiration höher sei als während der Exspiration, obgleich die Richtigkeit dieser Voraussetzung, wie wir soeben gesehen haben, mehr als zweifelhaft ist. Die sphygmo- graphischen Messungen an Menschen beweisen, wie oben schon erwähnt, gerade das Gegentheil. Sie fassen das Resultat ihrer Untersuchungen und Folgerungen dahin zusammen, „dass bei der natürlichen wie bei der 346 C. MORDHORST: künstlichen Athmung die wesentliche Ursache der respiratorischen Druck- schwankungen des Blutes im Aortensystem in dem Capacitätswechsel des Lungencapillarsystems, welcher durch die wechselnde Erweiterung und Verengerung der Lungen hervorgebracht wird, zu suchen ist, speciell, dass die inspiratorische Drucksteigerung bei beiden Athmungsarten von dem Auspressen des Blutes aus dem sich verengenden Capillarsystem der Lunge nach dem linken Herzen, die exspiratorische Druckerniedrigung von der Blutretention in den sich erweiternden Lungencapillaren herrührt.“ Sie stützen sich hierbei auf eine Theorie von Quincke und Pfeiffer, nach welcher die Erweiterung der Lunge eine Erschwerung der Blut- strömung durch Verengerung der Lungencapillaren erzeugen müsse. Als ich im Jahre 1874 in meiner Brochüre „Die Ursache, Vor- beugung und Behandlung der Lungenschwindsucht“ und in einer schrift- lichen Mittheilung an Hrn. Professor L. Hermann in Zürich im Jahre 1876 die Ansicht aussprach, die Capillaren sowohl wie die kleinen Ar- terien und Venen der Lunge seien bei der Einathmung blutleerer als | bei der Ausathmung, war es mir wohl bekannt, dass Quincke und Pfeiffer nachgewiesen hatten, dass die Durchflussmenge des Blutes ' durch die ausgeschnittene Lunge bei der respiratorischen Erweiterung abnimmt, wenn letztere durch positiven Druck von den Bronchien aus herbeigeführt wird, dagegen zunimmt, wenn die Lunge durch negativen | Druck von aussen her erweitert wird. Ich wusste aber nicht, dass sie \ die Theorie aufstellten, „dass auch im Leben in Folge des Umstandes, | dass auch das Herz und die Stämme der Pulmonalgefässe dem negativen \ Inspirationsdruck ausgesetzt sind, die Erweiterung eine Erschwerung der Lungenströmung erzeugen müsse, und dass sie das letztere bedingende Moment in einer Zusammendrückung der Lungencapillaren, welche von \ einem Ueberwiegen des auf ihre den Alveolen zugewendete Fläche wir- kenden Druckes über den auf ihrer der Pleura zugekehrten Peripherie ruhenden Druck herbeigeführt werde,“ eine Ansicht, die mit der mei- } nigen ganz übereinstimmt und deren Richtigkeit ich meiner Meinung nach durch folgende Schlussfolgerungen vollständig motivirte. | Bei demselben Blutdruck in den Gefässen ist der Blutgehalt der- selben abhängig von dem Drucke, welchem sie von aussen ausgesetzt sind. Dieser ist im Lungenkreislaufe sehr verschieden; er schwankt zwischen dem Atmosphärendruck, der in den Luftwegen vorhanden ist und dem | negativen Lungendruck. Diejenigen Gefässe also, die den Luftwegen am | entferntesten liegen oder die zwischen sich und den Luftwegen am meisten elastische Substanz haben, sind dem negativen Drucke am meisten aus- | gesetzt. Es sind das die grösseren Lungenarterien und Venen; je mehr sie sich verjüngen, desto mehr nähern sie sich der Schleimhaut der ! ÜBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U. 8. Ww. 347 Bronchien, bis sie schliesslich, nachdem sie die elastischen Balken durch- setzt, ganz an die Oberfläche derselben treten. Es ist dies doch nur der Fall bei den feinsten Bronchien und den Alveolen; die grösseren Bron- chien werden von den Bronchialarterien versorgt. In den Alveolen sind die Capillaren dem atmosphärischen Drucke ganz ausgesetzt. Allerdings befinden sie sich auch in der Nähe der Pleura; zwischen dieser und den Capillaren liegt jedoch elastisches Bindegewebe, und da auch die Pleura von vielen elastischen Fasern durchsetzt ist, so kommt der negative Lungendruck hier am wenigsten zur Geltung. Die Erschwerung der Lungenströmung wird aber ausserdem durch noch ein Moment vergrössert, welches ich in meinem erwähnten Schreiben dem Hrn. Professor Hermann mittheilte. Ich schrieb: „Wird eine Membran, welche mit Blutgefässen durchsetzt ist, nach allen Seiten hin, also in einem Plan gleichmässig ausgedehnt, so müssen auch die Blut- gefässe in denselben Richtungen ausgedehnt werden. Sie werden länger und breiter. Das Volumen der Membran muss aber trotz der Ausdeh- nung in einer Ebene dasselbe bleiben. Was sie an Flächeninhalt ge- wonnen, hat sie an Dicke verloren. Die Membran ist also dünner seworden. In demselben Verhältniss nun, wie die Blutgefässe in die Breite und in die Länge ausgedehnt, sind sie auch flacher geworden; sie haben ihre Röhrenform eingebüsst. Der Durchschnitt derselben ist nicht mehr rund, sondern länglich oval. Bei hinlänglicher Spannung der Membran werden die Gefässwände sich sogar berühren, so dass das Gefäss kein Blut mehr enthält. Was hier von der elastischen Membran gesagt worden, gilt aber auch für die Alveolen und die feineren Bron- chien (und für die Pleura pulmonalis). Sowohl diese wie jene sind sehr elastisch und sind mit Capillaren durchsetzt. Bei der Exspiration oder richtiger am Ende derselben sind sie beide am wenigsten ausgedehnt, ihre Wände also am wenigsten gespannt, der Durchschnitt der Capillaren rund oder rundoval. In diesem Zustande enthalten also die Capillaren der Alveolen und kleinen Bronchien, die von der Pulmonalis gespeist werden, das möglichst grösste Quantum Blut. Bei der Inspiration nimmt das Lumen eine mehr länglich-ovale Form an, der Blutgehalt wird geringer. Werden die Alveolen, wie es bei gewissen Krankheiten der Lunge der Fall ist, zu stark ausgedehnt, ist durch eine krankhafte Schwellung der Schleimhaut der kleinsten Bronchien das Lumen derselben verstopft, die Entweichung der Luft aus den Alveolen also erschwert oder gar un- möglich, dann legen sich die Wände der Capillaren aneinander. Ist dieser Zustand von längerer Dauer, dann obliteriren Theile der Capillaren, 348 G. MORDHORST: wie es bei Emphysem der Fall ist. Daher die Blutleere der emphyse- matischen Partie der Lunge. Auf der Höhe der Inspiration fliesst, nach dem oben Gesagten, sehr wenig Blut in die kleinsten Lungenvenen. Am Anfange der Inspiration waren die Capillaren stark erweitert, ent- hielten das möglichst grösste Quantum Blut. Da eine rückläufige Bewegung in die kleinsten Arterien durch den höheren Druck daselbst verhindert ist, so wird das Blut der Capillaren wäh- rend der Inspiration in die Venen gepresst. Die Inspiration trägt auf diese Weise zur Blutbewegung bei.“ Ein Jahr später wurde diese meine Ansicht durch die Versuche von J. Latschenberger bestätigt. Auf die Capacitätsverminderung der Capillaren bei der Inspiration stützen Funke und Latschenberger ihre neue Theorie. Sie sagen: „Während die inspiratorische Erweiterung der Lungen vor sich geht, muss die Abnahme der Capacität ihrer Ca- pillaren eine Auspressung des in ihnen enthaltenen Blutes bewirken. Von den beiden Wegen, welche dem Blut für das Ausweichen aus dem verengten Bezirk gegeben sind, ist der Rückweg zur Pulmonalarterie durch den daselbst bestehenden höheren Druck und die Nachfüllung von Blut durch die folgende Systole des rechten Ventrikels jedenfalls im Nachtheil gegenüber dem Ausweg durch die Lungenvenen zum linken Vorhof. Es ist daher in der Pulmonalarterie wohl ein Anwachsen des Druckes durch die Rückstauung des Blutes bei der Inspiration zu er- warten u. Ss. w. u. s. w.“ Letzteres ist meiner Ansicht nach fraglich. Sollte die Volumver- grösserung der Pulmonalis und der grossen Lungenarterien, hervorgerufen durch den negativen Druck während der Inspiration, nicht so gross sein, dass dadurch die Rückstauung des Blutes und das Mehr von Blut, wel- ches die Systole eventuell in die Pulmonalis befördert, compensirt werde? Ich bin geneigt, dies anzunehmen, zumal der Druck in den kleinsten Venen bei der Einathmung bedeutend niedriger ist als während der Ausathmung, der Abfluss aus den Capillaren also viel leichter stattfinden kann. Ja, es wäre sogar möglich, dass dieses Moment allein genügte, um eine starke Retention in den Lungenarterien zu verhüten. Wie der negative Druck der mächtigste Beweger des venösen Körperblutes ist, so | muss er dies meiner Ansicht nach noch vielmehr sein für das Blut der | Lungenvenen, weil die Strecke von den Capillaren nach dem linken Vorhof noch kürzer ist als der Weg durch die Körpervenen. Auch sind die grossen Lungenvenen viel dünnwandiger als die Vena cava, sind also | noch mehr den Einflüssen des negativen Lungendruckes ausgesetzt als diese. Hierdurch aber wird während der Inspiration der Druck in den Lungenvenen negativ, so dass vielleicht bis in die Capillaren hinein, eine ÜBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U. $. w. 349 aspirirende Wirkung sich geltend macht. Bei der Exspiration ist diese blutbewegende Kraft nicht so wirksam. Wie die Vena cava für das rechte Herz, so sind die grossen Lungen- venen für das linke Herz ein Reservoir, aus welchem das Herz nach Bedarf schöpfen kann. Der Behauptung nun von OÖ. Funke und Latschen. berger, die Lungenvenen gäben bei der Inspiration ihren ganzen Blut- vorrath dem Herzen zur Weiterbeförderung her und dadurch beginne der Druck im Aortensystem gleich im Anfang der Inspiration zu steigen, kann ich, wie früher erwähnt, nicht beipflichten. Bei offenem Thorax muss dies natürlich der Fall sein, weil der Einfluss des negativen Lungen- druckes auf die Füllung der Hohlorgane im Thorax gänzlich wegfällt. Bei geschlossenem Thorax dagegen kann meiner Ansicht nach diese Behauptung nicht richtig sein. Funke und Latschenberger erwähnen auch der Saugwirkung der Lungenvenen als eines weiteren Vortheils für das Ausweichen des Capillarblutes durch die Lungenvenen, denken aber nicht daran, dass diese Saugwirkung auch ein Hinderniss für die sofortige Füllung der linken Vorkammer gleich am An- fang der Inspiration ist. Es ist doch einleuchtend, dass die dünn- wandigen Lungenvenen leichter von dem negativen Lungendruck erweitert werden als der linke Vorhof. Dieser fängt erst dann an sich zu erwei- tern, wenn die Venen durch den negativen Lungendruck so stark dilatirt sind, dass ihre Wände einer noch weiteren Ausdehnung mehr Wider- stand leistet, als diejenigen des Vorhofes. Dieses findet erst im Laufe der Inspiration statt. Aus diesem Grunde kann auch nicht der Blutdruck im Aortensysteme gleich am Anfang der Einath- mung, sondern erst gegen Ende derselben zu steigen begin- nen, um in der ersten Hälfte der Exspiration sein Maximum zu erreichen. Ist das in den Lungenvenen aufgespeicherte Blut in die Aorta be- fördert, dann muss der Blutdruck wieder sinken und zwar in Folge der Rückstauung des Blutes in den erweiterten Lungencapillaren und kleinen Lungenvenen, in welchen die blutbewegende Kraft, die Aspiration, auf- gehört hat zu wirken. Bei tiefen Inspirationen, wo der negative Lungendruck von =” Ho auf 40%” erhöht werden kann, werden die intrathoraeischen Arterien durch denselben so stark erweitert, dass sie wohl im Stande sind ein Mehr von Blut aufzunehmen, ohne den Blutdruck zu erhöhen. Es kann jedoch nicht gleichgiltig sein, ob die Inspiration langsam und tief oder schnell und tief ausgeführt wird. Ist Letzteres der Fall, dann erfolgen nur 1--2 Contractionen des Ventrikels, durch welche nicht so viel mehr Blut in die Arterien befördert werden, dass hierdurch die 350 (. MORDHORST: durch den erhöhten negativen Lungendruck erfolgte Vergrösserung des Lumens der Arterien innerhalb des Thorax ausgeglichen wird. Auch kommt hier in Betracht, dass die während der tiefen In- spiration stattfindende Erhöhung des negativen Lungen- druckes eine unvollkommene Contraction des Ventrikels herbeiführen muss. Ist die Einathmung dagegen tief und lang- sam, dann ist eher anzunehmen, dass vor dem Ende der Inspiration der Blutdruck in den grössten Arterien erhöht werde, und zwar deshalb, weil das Herz Zeit hat sich 3—4 ‚Mal oder noch häufiger zu contrahiren. Halten wir nur daran fest, dass die Blutdruckschwankungen unter normalen Verhältnissen ganz abhängig sind von der Art und Weise, wie geathmet wird, ob die Athmung oberflächlich oder tief, von kurzer oder langer Dauer u. s. w., welches bei Menschen und Thieren unter den verschiedensten Verhältnissen sehr verschieden ist, dann sind die Widersprüche, die die Versuche der vielen Experimentatoren ergeben haben, leichter zu er- klären. Um die Richtigkeit meiner schon im Jahre 1874 in der erwähnten Brochüre ausgesprochene Ansicht: die Blut- menge der Lunge sei während der Exspiration grösser als während der Inspiration, zu beweisen, machte ich Anfang October vorigen Jahres folgenden Versuch: Nachdem ich einen Hund von 31/, Kilo Gewicht hatte verbluten lassen, verband ich die Luftröhre desselben mit | einem Wassermanometer, um die Lungenelasticität nach Ende der Exspiration zu messen. Nach Eröffnung der 1/1 Pleurahöhle stieg das Wasser 30”®. Die Lunge eines 3'/, Kilo \ schweren Hundes sucht sich also mit einer Kraft von 60” Wasser- " druck zusammenzuziehen. Nachdem ich den Gummischlauch, der die Fortsetzung der Luftröhre ! bildete und die Verbindung mit dem Wassermanometer herstellte, mit- tels eines starken Fadens luftdicht zugeschnürt und darauf von dem ! Manometer getrennt, die Lunge also ungefähr die Ausdehnung behielt, " die sie nach Eröffnung der Pleurahöhle hatte, entfernte ich sie aus dem Thorax, schnitt die Pulmonalis in der Nähe des rechten Ven- trikels durch und spritzte ca.50°® Wasser in die Lunge hinein, wovon | jedoch etwas sich in das linke Herz entleerte. Es war nun meine Ab- sicht, sowohl die Pulmonalis wie die Mitralis mit einem Quecksilber- | manometer von der Form beistehender Zeichnung zu verbinden, und zwar so, dass mit dem Einfliessen von Flüssigkeit in die Lunge keine Luft ÜBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U. $. W. 351 mit einströmte. Die Verbindung der Röhre « des Manometers mit der Pulmonalis wurde nach Wunsch hergestellt. Als ich, nachdem ich die Mitralis blosgelegt hatte, diese mit dem zweiten Manometer verbinden wollte, brach die Glasröhre an der Verbindungsstelle mit dem Manometer ab; ich konnte also nur mit dem ersten experimentiren, was jedoch meiner Ansicht nach auch genügte, um den Zweck des Versuches zu erreichen. Ich fügte hierauf eine einfache Glasröhre in die Mitralis. Die Lunge wurde jetzt in eine Glasglocke gebracht, die Luftröhre durch den Hals derselben geschoben und da befestigt. Hierauf wurde die Oeff- nung der Glocke mittels einer elastischen Membran, durch welche der verlängerte Schenkel des Manometers, und ein Saugrohr, welches die Verbindung der äusseren Luft mit dem Inneren der Glocke herstellte, sesteckt waren und die in die Mitralis eingefügte Glasröhre, luftdicht verschlossen. Der verlängerte Manometerschenkel, der zugleich die Fortsetzung der Pulmonalis bildete, wurde durch einen Gummischlauch mit einem an der Decke des Zimmers angebrachten Wasserbehälter, die Saugröhre mit dem Waldenburg’schen Apparat verbunden. Dadurch, dass ich die Pulmonalis mit einem so hoch sich befindenden 'Wasserbehälter verband, erreichte ich ein reichliches Vorhandensein von Wasser in den Lungengefässen, was ich ohne einen solchen Druck nicht in dem Grade erreicht haben würde, weil die Gefässe keine Flüssigkeit in sich dulden, die nicht unter einem Drucke steht, der wenigstens ebenso hoch ist, als die Kraft, womit sie sich zu- sammenzuziehen bestreben. Einen solchen Druck in der Pulmonalis herzustellen war jedoch nur möglich, wenn das Manometer mit Queck- silber und nicht mit Wasser gefüllt war. Das Quecksilber stieg 3". Der Druck in der Pulmonalis entsprach also einem Drucke von 6m Hs. Nachdem ich durch Aufhängen von Gewichten die Luft in dem Waldenburg’schen pmeumatischen Apparat verdünnt und den vom Wasserbehälter nach der Pulmonalis führenden Schlauch mit den Fingern zugedrückt und das Abfliessen aus der in die Mitralis eingefügten Röhre verhindert hatte, löste ich den Faden, der die Luftwege von der atmo- sphärischen Luft trennte. Je stärker ich nun die Luft in der Glocke verdünnte, je stärker also die Lunge ausgedehnt wurde, ' desto höher stieg das Quecksilber im Manometer, und um- gekehrt. Bei sehr starker Ausdehnung der Lunge stieg das Quecksilber noch 2°". Ich zeigte dies meinem Collegen Dr. Niemann hierselbst, der mich besuchte, um das Resultat meines Versuches kennen zu lernen, der also die Richtiskeit meines Experiments bestätigen kann. Hiernach unterliegt es also keinem Zweifel, dass die Lunge wäh- 352 6. MORDHORST: rend der Inspiration weniger Blut enthält als während der Exspiration. | Ich hätte nun auch gern versucht, ob die Lunge während der Einathmung oder während der Ausathmung für Flüssigkeit durch- gängiger ist. Es war mir dies jedoch nicht möglich, weil ich nicht einen so starken Druck in der Pulmonalis hervorrufen konnte, der er- forderlich wäre, um einen gleichmässigen Strom aus den Pulmonalvenen zu erzielen, ohne das Quecksilber aus dem circa 10°% hohen Manometer zu treiben. Leider konnte ich auch bei unbehindertem Zufluss des Wassers in die Lunge die Capacität der Lungengefässe während der In- und Exspiration nicht genau ermitteln. Der Wasserbehälter war nicht | so construirt, dass ein Sinken und Steigen des Wassers in demselben mit | Zahlen festgestellt werden konnte. Der Versuch. jedoch war für mich | genügend, um zu demselben Resultat zu gelangen wie Quincke und | Pfeiffer, dass nämlich die Ausdehnung der Lunge durch Ansaugung | die Capacität der Lungengefässe in toto zunimmt; wenn der Zufluss von aussen in die Lunge unbehindert ist. Dieses ist aber im natürlichen Zustande nicht der Fall. Das Steigen des Quecksilbers im Manometer hat eine doppelte Ur- sache. Nehmen wir vorläufig an, dass der Zufluss in die Pulmonaliıs während der In- und Exspiration ein gleicher oder — wie in dem Ver- suche — der Zu- sowohl wie der Abfluss abgeschnitten wäre, so sind es hier zwei Momente, die im natürlichen Zustande eine grössere Blutimenge ? der Pulmonalis, in dem Versuche ein Steigen des Quecksilbers zur Folge? haben müssen. Das eine derselben ist durch die Lage der Pulmonalis ı bedingt. Dadurch, dass letztere dem ganzen negativen Lungendruck aus- | gesetzt ist, während dieses mit den Arterien in der Lunge, namentlich | den kleineren, und den Lungencapillaren nur zum Theil der Fall ist, muss! die aspirirende Wirkung der Pulmonalis grösser sein als diejenige der Lungenarterien und Capillaren. Die Pulmonalis wird erweitert und ist! so im Stande eine grössere Blutmenge während der Inspiration aufzu-| nehmen. | Das zweite Moment ist in der Verkleinerung der Lumina der klein- sten Lungenarterien und Capillaren während der Ausdehnung der Lunge zu suchen, weil hierdurch die Durchflussmenge eine geringere sein und! eine Stauung in den grossen Lungenarterien und in der Pulmonalis em- | treten muss, was gleichbedeutend ist mit dem Steigen des Quecksıli im Manometer. | Auf die Vertheilung und die Bewegung des Blutes in den! Lungenvenen haben die erwähnten beiden Momente einen noch weit! grösseren Einfluss. Der während der Inspiration erhöhte negative Lungen-} | y ÜBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U. $. w. 353: druck übt von aussen einen Zug auf den linken Vorhof und die grossen Lungenvenen aus, wodurch eine Volumvergrösserung der genannten Or- sane erzielt wird, die wiederum zunächst die Aspiration des in den kleineren Lungenvenen vorhandenen Blutes zur Folge hat. Der erhöhte negative Lungendruck ist die wichtigste bewegende Kraft des Lungen- venenblutes. Als zweiter Motor desselben ist die während der Inspiration stattfindende Verengerung der Lungencapillaren und kleinen Lungenvenen zu bezeichnen. Das Blut wird hierdurch gewissermaassen aus der Lunge herausgepresst. Es geht deutlich hieraus hervor, dass die Lunge nicht, wie bis jetzt angenommen wurde, sich einem Schwamme ähnlich während der Inspi- ration vollsaugt, sondern vielmehr bestrebt ist das Blut aus sich zu ent- fernen. Am Ende der Ausathmung sind die kleineren und kleinsten Arterien und Venen, sowie die Capillaren der Lunge ad maximum aus- gedehnt, enthalten also das im normalen Zustande möglichst grösste ‚Quantum Blut; die Pulmonalis und grossen Lungenarterien, der linke Vorhof und die grossen Lungenvenen sind einem relativ niedrigen ne- gativen Druck ausgesetzt, sind wenig dilatirt und enthalten die möglichst kleinste Blutmenge. Beim Beginn der Einathmung steigt der ne- gative Lungendruck und erreicht am Ende derselben seinen Höhepunkt. Im selben Verhältniss nun, wie die Lunge ausgedehnt wird, wird die Capaeität der kleinen Arterien, Venen und Capillaren geringer, so dass sie am Ende der Inspiration ihr Minimum erreicht hat. Gerade das Umgekehrte ist der Fall mit der’Pulmonalis und den grossen Lungen- arterien, dem linken Vorhof und den grossen Lungenvenen, welche in Folge der Wirkung des erhöhten negativen Lungendruckes stark dilatirt sind, also bei gewöhnlicher ruhiger Athmung das möglichst grösste Biut- Quantum enthalten. Mit dem Beginn der Exspiration verändert sich der negative Lungendruck; der Blutdruck in der Pulmonalis und in den Lungenarterien, sowie in dem linken Vorhof und den grossen Lungen- venen wird dadurch erhöht. Der in diesen Organen aufgespeicherte Blut- vorrath wird bez. in die Pulmonalis und in die Aorta getrieben, wodurch der arterielle Blutdruck in letzterer steigt. Ob dieses auch der Fall ist in den Pulmonalarterien, ist schwer zu sagen. Die mit dem Anfang der Exspiration eintretende Verminderung des negativen Lungendruckes erhöht, die Vergrösserung der Lichtung der kleinen Lungenarterien und Capillaren, welche eine leichtere Durchströ- mung des Blutes zur Folge hat, setzt den Blutdruck in der Pulmonalis und in den grösseren Lungenarterien herab. Es ist ungewiss, welches der beiden Momente das Uebergewicht behält, ob also der Blutdruck in Archiy f, A, u, Ph, 1979, Physiol. Abthlg. 23 354 ©. MORDHORST: den Arterien des kleinen Kreislaufes während der Exspiration steigt oder fällt. Wir setzten hierbei voraus, dass die Speisung der Pulmonalis mit Blut während einer Athmung die gleiche, oder wie bei dem Versuche der Zu- und Abfluss verhindert wären. In der Wirklichkeit wird jedoch meiner Ueberzeugung nach der Pulmonalis während der Exspiration mehr Blut zugeführt als während der Inspiration. Der Blutdruck in dem Pulmonalsystem erreicht demnach sein Maximum während der Ausath- mung, wie es auch im Aortensystem der Fall ist. Ich werde die Gründe anführen, die mich zu dieser Ansicht gebracht haben. Die Vena cava und das Herz sind dem negativen Lungendruck ausgesetzt, welcher der Hauptmotor des Körpervenenblutes ist. Er wirkt wie eine Saugpumpe. Mit dem Anfang der Lungenerweiterung beginnt auch seine Saugwirkung auf die Körpervenen im Thoraxraume. Die nachgiebigsten derselben erweitern sich zuerst. Bevor also von einer Ueberausdehnung des rechten Vorhofes die Rede sein kann, füllt sich die dünnwandigere Vena cava-: Erst wenn sie so stark dilatirt ist, dass ihre Widerstandskraft der des in Diastole sich befindenden Vorhofes gleich ist, kann von einer weiteren Ausdehnung des letzteren durch die Saugwirkung des negativen Lungen- drucks die Rede sein. Bei gewöhnlicher ruhiger Athmung findet also erst gegen Ende der Inspiration eine stärkere Füllung des Vorhofes statt. Die während der Einathmung stattfindenden Herzcontractio- nen befördern also im Mittel weniger Blut in die Pulmonalis als diejenigen der Ausathmung. Darnach muss der Blutdruck in der Pulmonalis während der Ausathmung grösser sein als während der Einathmung, analog den Druckverhältnissen im Aorten- system. Auch bei tiefen Inspirationen verhält sich der Blutdruck in der Pulmonalis wie der in der Aorta. Wird tief und schnell eingeathmet, steigt der Druck nicht; es ist im Gegentheil anzunehmen, dass er fällt, weil der hohe negative Lungendruck die vollständige ntleoruns verhin- | dert. Bei tiefer und langsamer Einathmung dagegen ist es möglich, dass gegen Ende derselben der Blutdruck zu steigen anfängt, weil das Herz Zeit bekommt sich häufiger zu contrahiren. | Bevor ich die Arbeit schliesse, erlaube ich mir nach auf die Conse- ı quenzen der hier ausgesprochenen Ansichten mit wenigen Worten auf- ı merksam zu machen. Je mehr die Lunge sich der Exspirationsstellung nähert, desto blut- reicher, je mehr sie sich der Inspirationsstellung nähert, desto blutleerer müssen die kleinsten Arterien und Venen und die Capillaren der Lunge | sein. Bei oberflächlicher Athmung ist ersteres, bei tiefer letzteres der ÜBER DEN BLUTDRUCK IM AORTENSYSTEM U. S. w. 355 Fall. Sollte demnach die Blutstauung in der Lunge bei ober- flächlich athmenden Individuen nicht die Hauptursache ver- schiedener Lungenkrankheiten sein? Auf diese Frage näher einzugehen ist jedoch hier nicht der Ort. Ich behalte mir vor, in einer pathologischen Zeitschrift sie eingehender zu ventiliren. Flensburg, 8. April 1879. 23* Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. _ Jahrgang 1878—79. . XI. Sitzung am 12. März 1879. 1. Hr. GRUNMAcH spricht: „Ueber Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen“ Sein Vortrag wird in diesem Archiv erscheinen.? 2. Hr. Fritsch hält den angekündigten Vortrag: „Notiz zum histo- logischen Bau der Leber“ und demonstrirt die betreffenden Präparate. Ueber wenige Organe haben ‘wohl die histologischen Anschauungen in der neueren Zeit eine so radicale Umwälzung erfahren als über den Bau der Leber, und zwar dreht sich die Frage hierbei hauptsächlich um die Beziehung der Leberzellen zu den Gallenwegen. Die ältere Anschauung, welche noch in den Handbüchern von Kölliker (Gewebelehre) ihre Vertretung fand, betrachtete die Leberzellen gleichsam locker hineingestopft in die zu blasigen Hohlräumen erweiterten feinsten Gallenwege, so dass jene ein gewuchertes unregelmässig- selagertes Epithel dieser darstellen würden. Solche Auffassung die heutigen Tages wohl als vollkommen verlassen zw bezeichnen ist, hat vom rein theoretischen Standpunkt den Vorzug der Einfach- heit für sich und vielleicht liesse sich dieselbe in anderer Form aufrecht erhalten, während wir als eine unbestreitbare Errungenschaft der Histologie die Existenz feinster Gallenwege zwischen den Zellen als Gallencapillaren verzeichnen müssen. Anordnung und Verlauf dieser Gallencapillaren ist bekanntlich durch die Arbeiten von Hering, Chrzonszcewsky, Eberth, Biesiadecki und Anderen näher festgestellt worden; doch ist auch Hering selbst (Stricker’s Handbuch der Gewebelehre 1872) noch ziemlich zurückhaltend hinsichtlich der histologi- ) schen Natur der feinsten Gallengänge, indem er die entgegenstehenden Ansichten der Autoren wiedergiebt, ohne seine eigene Ansicht scharf zu präcisiren. Es handelt sich hierbei wesentlich darum, ob diese Gänge als selbständige Canäle 1 Die in der XI. Sitzung am 14. März d. J. gehaltenen Vorträge (Hr. Weyrz: „Ueber Tyrosin“, und Hr. Gap: „Ueber das Latenzstadium des Muskel- elementes und des Gesammtmuskels“) sind anderswo veröffentlicht. Hrn. GAp’s Arbeit findet sich in diesem Archiv, oben S. 250. 2 8. unten S. 418 fi. } VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 357 mit eigener Wandung oder als einfache Intercellularräume, als Eindrücke der Zellwandung oder der Zellkörpers und dadurch entstehende Bildung von Halb- canälen, die sich gegenseitig ergänzen, aufzufassen seien. Als Vertreter der ersteren Ansicht unter Annahme einer kernführenden Membrana propria erscheint bereits Budge und ihm hat‘,sich M’ Gillavry wesentlich angeschlossen, auf dem Standpunkt der letzteren Ansicht steht wohl noch die Mehrzahl der Autoren mit Hering selbst. Einen Sehritt weiter ging in neuerer Zeit Kupffer, welcher auf der Naturforscher-Versammlung in Wiesbaden 1873 berichtete, wie es ihm gelungen sei, von den Gallenwegen aus intracellulare Hohlräume an der Kaninchen- leber zu injieiren, deren Verbindung mit der Gallencapillare durch kurze, äusserst feine Canälchen (Beobacht. durch Hartnack. Imm. Nr. 10) erfolge. Er be- trachtet diese Hohlräume als „Seceretkapseln“ wie sie an manchen Drüsen der Insecten beobachtet worden sind. Die Regelmässigkeit des Auftretens der injieirten Räume bestimmte ihn, zufällige Extravasation auszuschliessen. Die Rücksicht auf die angedeuteten Controversen veranlasst mich, eine Reihe von Präparaten vorzulegen und einige erläuternde Bemerkungen dazu zu machen, da ich glaube, dass dieselben weitere Einblicke in die Beurtheilung des ‚histologischen Baues der Leber gewähren. Die Injection der Gallenwege ist in höherem Maasse als andere solche ‚Operationen launischer Natur und von wechselnden Erfolgen begleitet, wobei die Beschaffenheit des Objectes selbst, die Injectionsmasse und die Technik des Operirenden mannigfachen Einfluss ausübt. Bei der Leber eines Kaninchens, welche mit einem anerkannt feinen aber mässig kräftigen Beale’s Blau von den Gallengängen aus und nachher mit Carminleim von der Vena hepatica aus injieirt wurde, ergab sich das eigenthüm- liche Resultat, dass beide Massen, die blaue mit einer gewissen Häufigkeit, die rothe gelegentlich, in einzelne Leberzellen über- traten. Dieser Leber entnommene Schnitte, wie sie die vorliegenden Präparate ‚darstellen, zeigen also ein blaugeflecktes Ansehen, hier und da mit eingestreuten rothen Flecken; die Flecke entsprechen aber unverkennbar dem Gesammt- raum der Zellen, deren Kerne in der farbigen Masse noch kenntlich blieben, und nicht besonderen intracellulären Räumen. Das Vorkommen sowohl roth als blau injieirter Zellen (Vena hepatica und Gallenwege) lehrt unzweifelhaft, dass ein Durchbruch von den Blutbahnen wie von den Gallenwegen her nach den Zellen zu stattgefunden hat. Das isolirte Auftreten solcher injieirter Zellräume, ‚welche gelegentlich ganz einzeln mit kaum zu bemerkenden Zuführungsgängen im Gesichtsfelde des Mikroskop erscheinen, beweist aber ebenso sicher, dass für ‚die Gallenwege wie für die Blutbahnen ein bis in die feinsten Verzweigungen isolirtes Canalsystem besteht, da sich sonst die einmal extravasirende Masse unmöglich auf eine einzige Zelle in ihrer Ausbreitung beschränken würde. Wie verhalten sich nun aber die Gallencapillaren im vorliegenden Object? Auch darüber lassen sich an den Präparaten besonders unter Benutzung der Zerzupfungsmethode interessante Aufschlüsse gewinnen. Das Bild derselben ist an den Zellsruppen ein doppeltes, entsprechend den beiden Ansichten der Leber- zellen selbst: Die in der Aufsicht unregelmässig polygonalen Zellen erscheinen ‚von dem Netzwerk der Gallencapillaren umzegen — die schmalere unregel- mässig viereckige Seitenansicht der Zellen zeigt diese Capillaren im ovalen Quer- ‚schnitt, die grösste Axe des Ovals senkrecht zur Richtung der Zellreihe gestellt. 358 VERHANDLUNGEN Dabei ergiebt sich die bereits von Hering hervorgehobene Thatsache, dass die Capillaren beim Kaninchen als Regel, man möchte sagen, mit ängstlicher Genauig- keit in den Zellgränzen die Mitte zwischen den beiden benachbarten Blutcapillaren einhalten. Es folgt daraus, dass ein gewisser Antagonismus in der Vertheilung zwischen den Gefässen beider Systeme in dem Sinne stattfindet, dass bei freier, radıärer Ausstrahlung der Blutcapillaren von der Vena centralis aus die Gallen- capillaren sich im den intercapillären Zellreihen aufsteigend verhalten; wo hin- segen die letzteren zwischen den flach ausgebreiteten Zelllagen ihre Netze bilden, die ersteren vorherrschend im Querschnitt erscheinen. Somit kann man sich Gesichtsfelder im Mikroskop suchen, wo die Gallencapillaren in Aufsicht und andere wo sie im Querschnitt vorwiegend erscheinen; die Verhältnisse wechseln aber im Acinus so mannichfach, dass für diesen beim Kaninchen wenigstens sich eine allgemeine Anordnung .nicht feststellen liess. Es ergiebt sich aus der be- schriebenen Lagerung der Gallencapillaren an den Leberzellen, dass diese nicht, wie es neuere Histologien angeben, stets wenigstens um die Breite einer Leber- zelle von der nächsten Blutcapillare entfernt sind, sondern als Regel nur um die halbe Dicke einer solchen Zelle. Die beschriebene Anordnung der Gallenwege beim Kaninchen entspricht: fast vollständig der von Hering gegebenen, nur dass er die Querschnitte der Capillaren drehrund fand, während ich sie von ovaler Gestalt beobachtete; im Allgemeinen kann ich Hering’s Angaben über dieses System durchweg be- stätigen. Was die Frage nach der Selbständigkeit der Gallencapillaren anlangt, so. findet man in den Zerzupfungspräparaten häufig vorstehende Stümpfe solcher Capillaren an der Grenze der Zellgruppen, seltener sieht man eine Capillare im grösserer Ausdehnung isolirt, oder sie umzieht noch eine freihervorstehende Zelle in ihrer ganzen Ausdehnung, Auch an den injieirten Zellen sieht man die Grenze der Capillare noch deutlich: alle diese Befunde sprechen für die Selbst- ständigkeit der Wandung der Gallencapillaren, welche ich somit für die berechtigtere Anschauung erklären muss; ob aber die structurlos er- scheinende Wand als aus Endothelzellen gebildet zu betrachten sei, sowie ob sie kernführend ist, darüber geben die vorliegenden Präparate keinen Aufschluss. Nach den soeben recapitulirten Beobachtungen erscheint die Vermuthung berechtigt, dass Kupffer doch seiner Meinung entgegen nicht präformirte: Räume (Secretkapseln) der Zellen injieirt hat, sondern die extravasirende Masse, die Capillare an schmaler Stelle durchbrechend, dem gewählten Druck gemäss den weicheren Theil des Zellprotoplasmas vor sich herdrängend selbst die „Secret-_ kapsel“ in der Zelle schuf. Soll die Analogie zwischen den so genannten Or- sanen der Insecten festgehalten werden, so würde das ganze System der Gallen- capillaren als solches damit zu parallelisiren sein. Die allgemeine histologische Auffassung der Leber als Drüse ist nach den neueren Untersuchungen, denen sich die vorstehenden Beobachtungen ergänzend anreihen dürften, nicht so einfach, als man früher glaubte; doch fehlt es nicht an Beispielen, dass auch andere früher für einfach acinös erklärte Drüsen in | neuerer Zeit einen complicirteren Bau erkennen liessen. Ich erinnere bei dieser | Gelegenheit an die von Bermann beschriebenen tubulösen Drüsen in den Speichel- drüsen der Kaninchen und anderer Säugethiere. Können die Verzweigungen der Gallenwege nicht die Grundlage des acinösen Baues der Leber abgeben, so bleibt noch das wenn auch schwache Stützgewebe zwischen den Zellen und die Capsula DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 359 Glissonii als mögliche Grundlage dafür, in welche sich das System der Gallen- capillaren hineindrängt. Was die Function anlangt, so erscheint die sorgfältige Sonderung der Blutcapillaren von den Gallencapillaren darauf berechnet, die Möglichkeit eimes Rücktrittes von Gallenstoffen in das Blut thunlichst zurück- zuhalten. 3. Hr. L. Lewın macht folgende Mittheilung: „Ueber das Verhalten der Trisulfocarbonate, der Xanthogensäure und des Schwefelkohlen- stoffs im thierischen Organismus“. I. Die trisulfocarbonsauren Alkalien. Die Untersuchungen über das Verhalten des im Thierkörper erst zur Ab- spaltung gelangenden Schwefelwasserstoffs, das ich durch Emführung des Schlippe'- schen Salzes constatirt habe, führte mich darauf, ähnliche geschwefelte Verbin- dungen nach der gleichen Richtung hin zu prüfen. Ich benutzte hierzu die trisulfocarbonsauren Alkalien, die, wie bekannt, Dumas in geistreicher Weise zur Unschädlichmachung der Phylloxera mit Erfolg anwandte. Werden in der hypothetischen Kohlensäure: OH co oH sämmtliche Sauerstoffatome durch Schwefel ersetzt, so erhält man die Trisulfo- carbonsäure, SH Cs SH die selbst sehr unbeständig ist, deren lösliche Alkalisalze aber als rothbraune Flüssigkeit durch Zusammenbringen von Aetzalkali mit Schwefelkohlenstoff leicht erhalten werden können. Es war vorauszusetzen, dass gleichwie im Boden, auch im Thierkörper die Zersetzung dieser Salze in der Weise vor sich gehen würde, dass durch den Einfluss der Kohlensäure neben Schwefelkohlenstoff sich freier Schwefelwasserstoff nach folgendem Schema bilden würde: SK OH So + CO gp = Kz CO, +08, + H;8. Trat dieser Fall en, so musste auch eine Elementareinwirkung des Schwefel- wasserstoffs auf das Blut in der von mir früher angegebenen Weise eintreten. Das Experiment bestätigte diese Annahme. Führt man Thieren, je nach der Grösse 0.5—1 2" trisulfocarbonsaures Alkali subcutan ein, so macht sich alsbald eine Ausscheidung von Schwefelwasserstoff aus den Lungen bemerkbar, und im Blute der etwa nach 1—3 Stunden, bei intravenöser Application schon nach einigen Minuten, zu Grunde gegangenen Thiere findet man bei der spektroskopischen Untersuchung zwischen C und D nahe am .D liegend, einen Absorptions- Streifen, der weder durch Alkalien, noch durch reducirende Mittel in seiner Lage verändert, bezw. zum Verschwinden gebracht wird. Wenn die Natrium- linie auf 47, der «-Streifen des Oxyhämoglobin zwischen 46 und 50 und der P-Streifen zwischen 57 und 64 der Millimeterscala liegt, so befindet sich dieser Absorptionsstreifen zwischen 38 und 40. Durch diese Verhältnisse ist die 360 VERHANDLUNGEN Identität dieses Absorptionsstreifens mit dem durch. Schwefelwasserstoff ausser- halb des Thierkörpers im Blute erzeugten nachgewiesen. Es fragt sich nun, ob nicht auch dem sich gleichzeitig abspaltenden Schwefelkohlenstoff- eine ele- mentare Einwirkung auf das Blut zuzuschreiben ist. In der That ist dies, wie ich bald zeigen werde, der Fall. Diese Einwirkung ist jedoch durchaus anderer Art; denn der im Körper sich abspaltende Schwefelkohlenstoff bedingt das Auf- treten eines Absorptionsstreifens, der dem Hämatin angehört, und sich also durch seine Lageverhältnisse sowie durch sein Verhalten gegen chemische Reagentien von dem durch Schwefelwasserstoff ‚erzeugten unterscheidet. Weswegen nun durch Einführung von trisulfocarbonsauren Alkalien nicht diese beiden Absorp- tionsstreifen gleichzeitig sichtbar werden, darüber giebt vielleicht eine Beobach- tung Hoppe-Seylers! Aufschluss. Derselbe fand, „dass der Absorptionsstreifen der sauren albuminhaltigen Albuminlösung beim Einleiten von Schwefelwasserstoff undeutlich wird, vielleicht endlich ganz verschwindet“, Man könnte sich also vorstellen, dass bei der Zerlegung der Trisulfocarbonate im Blute der Einfluss des Schwefelkohlenstofis, der sonst zu Tage treten würde, durch den gleichzeitig freiwerdenden Schwefelwasserstoff aufgehoben wird. II. Die Xanthogensäure und der Schwefelkohlenstoftf. Es lag nach der eben berichteten Untersuchung nahe, einen Körper in den Bereich des Experimentes zu ziehen, der zu den Sulfocarbonaten in einer ge- wissen Beziehung steht. Werden in der hypothetischen Kohlensäure | OH DE nur zwei Sauerstoffatome durch Schwefel ersetzt, so entsteht die Trisulfocarbonsäure OH SH ; und tritt an Stelle des Wasserstoffs in dem Hydroxyl die Aethylgruppe ein, so entsteht die Xanthogensäure: Cs 00, H, CS SH Dieselbe lässt sich als schweres, gelbbraunes, in Wasser unlösliches Oel leicht aus xanthogensauren Alkalien darstellen. Die letzteren, z. B. das xanthogen- saure Kalium erhält man durch Zusammenbringen von alkoholischer Kali- lauge mit Schwefelkohlenstof. Es ist von der Xanthogensäure bekannt, dass sie durch Wärme eine Zerlegung in Alkohol und Schwefelkohlenstoff erleidet: cs 15 — 08,+0, H, (OH) und es traten an mich die Fragen heran: 1) ob diese Spaltung in derselben Weise im Thierkörper vor sich geht, um 2) wenn dies der Fall war, ob eines | der beiden Spaltungsproducte eine ihm sonst nicht zukommende Einwirkung auf Körperbestandtheile, insbesondere auf das lebende Blut auszuüben im Stande 1 Hoppe-Seyler, Medie.-chem. Untersuchungen. Heft 1. S. 153. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 361 wäre. Um die erste Frage zu beantworten, liess ich Thiere durch Müller’sche Ventile athmen, von denen das Exspirationsventil als Sperrflüssigkeit farbloses Triäthylphosphin enthielt, welcher mit Schwefelkohlenstoff eine rothe Verbindung eingeht. Es gelang mir auf diese Weise, mit Sicherheit die Ausscheidung von Schwefelkohlenstoff aus den Lungen darzuthun. Die mit Xanthogensäure (1—2 8") behandelten Thiere gehen in einigen Stunden unter den Erscheinungen der Er- stickung zu Grunde, nachdem zuvor eine vollkommene Anästhesie des ganzen Körpers bestanden hat. Durch kleinere Dosen erzielt man besonders bei Meer- - schweinchen und Ratten Schlaf und Anästhesie, die nach einiger Zeit aufhören können, mitunter ohne sichtbare nachtheilige Folgen zu hinterlassen. Diese Ein- wirkung der Xanthogensäure beruht nach dem vorher Auseinandergesetzten auf dem combinirten Einfluss des Schwefelkohlenstoffs und des Alkohols. Bei allen durch Xanthogensäure vergifteten Thieren findet man nun im Blute einen Absorptionsstreifen im Roth des Spectrums, der in allen Beziehungen mit dem des Hämatins in saurer Lösung übereinstimmt. Derselbe wird hervor- gerufen durch die Fähigkeit des Schwefelkohlenstoffs die rothen Blutkörperchen aufzulösen, in ähnlicher Weise wie dies auch das Nitrobenzol zu Wege bringt. Der Schwefelkohlenstoff vermag in Blutlösungen ausserhalb des Thierkörpers, wie dies schon Preyer nachwies, diesen Absorptionsstreifen im Roth hervorzu- rufen — es ist mir jedoch nicht gelungen durch Vergiftung mit fertigem Schwefelkohlenstofft — wie ich auch die Vergiftung emrichtete — denselben zu erzeugen. Hierdurch beantwortet sich die zweite Frage, die ich mir stellte, dahin, dass der aus der Xanthogensäure im Thierkörper sich abspaltende Schwefel- kohlenstoff eine energischere Wirkung auf das Blut auszuüben vermag als der fertig eingeführte. — Die Details dieser Untersuchung sowie Weiteres über die xanthogensauren Alkalien behalte ich mir vor demnächst in einer grösseren Arbeit niederzulegen. XII. Sitzung am 18. April 1879. 1. Hr. GRUNMACH macht, im Anschluss an seinen in der vorigen Sitzung gehaltenen Vortrag, folgende Bemerkung: Gegen die von Hrn. Tripier! aufgestellte und von Hrn. Leyden unter- stützte Hypothese, wonach die Zunahme des Verspätungsintervalles zwischen dem Spitzenstoss und dem Carotispulse bei Kranken, welche an Insufficienz der Aortenlappen leiden, dadurch bedingt sei, dass die mit dem Beginn der Systole zuerst erzeuste Welle den Blutstrom im Rücklaufe treffe, lässt sich Folgendes einwenden: Der Vortragende hat nicht allein bei Kranken mit Insufficienz der Aortenklappen, sondern auch bei solchen mit Insufficienz der Mitralklappe, wo der angenommene Rücklauf des Blutstromes nicht in Frage kommen kann, für das Verspätungsintervall zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse der grösseren peripheren Schlagadern Zahlenwerthe erhalten, die in demselben Verhältniss zu den Normalwerthen stehen, wie dies bei der Insufficienz der Aortenklappen der 1 Revue mensuelle de medecine et de chirurgie. 1817. 362 VERHANDLUNGEN Fall ist. Zum Beweise dienen die aus einer grösseren Anzahl von Werthen berechneten Mittelwerthe der Zeitintervalle. Dieselben betrugen bei einer mittelgrossen, normalen Versuchsperson im Alter von vierundzwanzig Jahren zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse der Art. carotis 0-10 See. ” ” ”„ ” ) 2) „ ” radıalis 0 ® 162 ”„ ” „ ” ” ” ” „ ” pediaea 0.219 „ bei einer mittelgrossen, an Insufficienz der Aortenklappen leidenden Person im Alter von einundzwanzig Jahren zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse der Art. carotis 0-131 Sec. „ ) „ „ ” „ „ 2) radialis 0.20 ” „ 2) ”„ 37 ) „ ”„ 2) pediaea 0.271 2) und bei einer mittelgrossen, an Insufficienz der Mitralklappe leidenden Person im Alter von sechundzwanzig Jahren zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse den Art. carotis 0.130 Sec. „ ” „ ” „ „ „ ” radialis 0-198 5) „ „ „ „ „ „ ” „ pediaea 0.266 , Dass die Differenzen zwischen den normalen und pathologischen Werthen in beiden Fällen ein gleiches Verhalten zeigen, ist durch die angegebenen Zahlen klar erwiesen. Von Wichtigkeit für die Schlussfolgerung sind ferner die Werthe der Ver- spätungsintervalle, die bei Personen, welche an Arteriosclerose litten, gefunden wurden. Bei einer solchen Person betrug das Zeitintervall zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse der Art. carotis 0.076 See. radialis 0-132 „ 3) „ „ M) „ 2) ” „ pediaea 0.178 „ Man ersieht aus diesen Zahlen, dass dieselben sich umgekehrt zu den Normalwerthen verhalten als dies bei den untersuchten Herzfehlern sich zeigte. Die vom Vortragenden am Hunde und Menschen angestellten Versuche führten zu dem Ergebniss, dass diejenigen Mittel, welche die Spannung im Aortensystem herabzusetzen geeignet sind, auch die Fortpflanzungsgeschwindig- keit der Pulswellen vermindern, dass dagegen diejenigen Mittel, welche den Blut- druck zu erhöhen im Stande sind, auch die Pulsgeschwindigkeit steigern. — Da nun aber bei den genannten Herzfehlern in der Mehrzahl der Fälle die Spannung im Aortensystem herabgesetzt, bei der Arteriosklerose dieselbe erhöht gefunden wird, so dürfte die Schlussfolgerung berechtigt sein, dass die verminderte Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen bei den unter- suchten Herzfehlern durch die Abnahme der Spannung im Aorten- system, dass dagegen die gesteigerte Pulsgeschwindigkeit bei der Arteriosklerose durch die Zunahme der Spannung im Aorten- system zu erklären sei. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 363 2. Hr. Carısııanı hält den angekündigten Vortrag: „Physikalische Mittheilungen“ und spricht: Ueber die Resonanz aperiodisirter Systeme. I. Das Interesse, welches heutzutage in so hohem Maasse Telephon, Mikrophon und Phonograph in Anspruch nehmen, wird mit Recht in ganz besonderer Weise von den Physiologen getheilt. In der That haben wohl die Hoffnungen, die sich an das Studium dieser Instrumente für den weiteren theoretischen Ausbau der physiologischen Akustik knüpfen, eine sehr weit gehende Berechtigung. Die genannten Apparate haben mit dem Ohre das gemeinsam, dass ihre Wirkung in erster Linie auf Mittönen beruht. Denken wir uns einen Schallerreser E und zwar der Einfachheit halber einen schwingenden Punkt, dessen Elongation von der Gleichgewichtslage durch: 2, = F sinkt = f(t) gegeben sein mag, worin k = 2zAh, wenn 5 die Schwingungszahl des so ent- standenen Tones ist, dann nennt man bekanntlich die Erscheinung der Ueber- tragung dieses Tones auf andere vorher ruhende Punkte oder Punktsysteme: Mitschwingen, Mittönen oder Resonanz. Bewest sich das mitschwingende System R in einem Widerstand darbietenden Mittel und ist es durch eine elastische Kraft an seine Gleichgewichtslage gebunden, so wird seine Bewegungsgleichung, wenn wir uns dasselbe wiederum einfach punktförmig denken, und wenn n seine Masse x, die Elongation aus der Gleichgewichtslage zur Zeit 2 bedeutet: dx „d2p A a a —z0E ) m 5 Als Lösung dieser Gleichung finden wir in der Literatur über Resonanz den Ausdruck: F 1 ER — Mm YV (n2— k2)2 + 4222 2 A sin (Vn?— et + ce). Die Theorie der Resonanz in ihrer einfachsten Form beruht auf der Dis- eussion dieser Gleichung, in welcher: sin [# — arctang en) n2 — k2 I) 2 ü Ga. 2 — 26; =n m m gesetzt ist. Diese Lösung der Gleichung I) ist jedoch nur auf den Fall, dass en, also die Fälle, wo Aperiodicität in der Bewegung des unter dem Einfluss nur der elastischen Kraft und des Widerstandes des Mittels sich bewegenden Punktes Z herrscht, sind einer eingehenden theoretischen und experimentellen Behandlung bisher nicht 364 VERHANDLUNGEN unterzogen worden. Aus Gründen, auf die ich alsbald zu sprechen kommen werde, erscheint es aber von Interesse, auch diese Fälle der Discussion zugäng- lich zu machen, und ich will daher die Gleichungen für «,, wenn e=n und wenn > n, hier ableiten und aufstellen. Ausserdem will ich noch der Voll- ständigkeit wegen die beiden Gleichungen für =, hinschreiben, welche gelten, wenn entweder &= 0. oder n=0 ist. Es können die beiden letzteren als specielle Fälle von en betrachtet und daher unmittelbar hin- geschrieben werden, indem man in der Gleichung II) e=0 und in der für e>n abzuleitenden Gleichung n = 0 setzt. Die Gleichungen für e=n und e>n bedürfen jedoch einer besonderen Ableitung, deren Umrisse ich ganz kurz andeuten will. Man stütze sich auf das Verfahren von Lagrange zur Integration nicht- homogener linearer Differentialgleichungen »t* Ordnung für den Fall, dass » partieuläre Integrale y,, Y% ... 9, der homogenen linearen Differential- gleichung gleicher Ordnung bekannt sind. In unserem Falle, wv=2 ist und wo: t t ee rd, 0 2 Ce Zn Neid eh In m dp da dt „ di dt Yyı de (1) 0. : ; für den Falle>n: t — ce — E— —(c+ € ol je one cn u oa); 2 mt vn 0 0 worin r ein reelles r bedeutet. Für den Fall e=:n wird: t t . —eE et —e et = [te il) fodt-e ie f@a: Um die beiden Integrale aufzulösen, setze man: a: FO=Fe, | wodurch man in den sub III) und IV) gedachten Fällen zu folgenden complesen | Lösungen gelangt: F. ((e+r+ik) (ee) = (ed) (ee =) | I) she 2 mt \ 2 — k2—ı2 +2iek Hufe es (eek) == IV?) # 2 m | (& + ik)? f DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 365 - Setzt man den Zähler des eingeklammerten Bruches gleich a und bildet man den Ausdruck: (A—iDa, worin A und B zwei Constanten bedeuten, deren Werthe aus: JE) b ZB re IT?) Am k’?) +2 Bek Don 0 2Ask— Bm’— K)=0 bezüglich aus: Ivp) A@—) +2 Bek— I =0 2Ask— Be —M)=0 zu entnehmen sind, so ist x, gleich dem imaginären Theile des Ausdrucks (A—iB)a, wenn ursprünglich, wie wir es gethan haben, gesetzt war: 5 == Feinkt. Nimmt man aber als wirkende Kraft: &p = F eoskt an, so giebt der reelle Theil des genannten Ausdruckes die gesuchte Grösse, und diese letztere Annahme hat den Vorzug, dass man, wird k = 0 gesetzt, aus der resultirenden Gleichung unmittelbar die Bewegung ablesen kann, welche der betrachtete Punkt unter der allaneisen Wirkung einer constanten Kraft annehmen würde, Für den Fall, dass: &5 = Feoskt, lauten nunmehr die fünf Gleichungen der Resonanz: BB | sin(kt + w) ch a sin (od + w) h; Een / \ L I, = Blsinkttw)-—e nr Syndrom] }; en \ 4) 2 l coskt — sosni); B I) \ | 5 W% —2:t \% IN) = \ sin (kt + u) — sinw + © cosw ZEb | n=0 ‚I, worin: ) F 1 | B = m P) 212 2 a | V n? — k2)2 + 482 k2 N n2 — k2 siny = V (m? — R2)2 + 462 %2 866 VERHANDLUNGEN 2ec%k R V (a? — M2)2 + 4e2 2 We , & (n? + k2) i Explieite lautet somit für e=n die Gleichung 3): F 5 n?—k2 —nt[m2—k | join (Br+ arctang SE )- er | +nt) — art \ cosy = w = arctang 1 Dem — R 2 2 Ra Ren welche Gleichung für = 0 in: F —nt nie tag) Bo übergeht. Entsprechend wird aus 2) für = 0: h rn ee a en RO mn? \ DE = h ö Es sind dieses zwei Gleichungen, die vollkommen übereinstimmen mit denen, die Hr. E. du Bois-Reymond für die aperiodische Bewegung eines Magnetes‘ unter Einwirkung einer constanten ablenkenden Kraft aufgestellt hat. Ist f (£) als eine Summe von sin oder cosin gegeben, so gelten den obigen durchaus analoge Gleichungen. I. Ich will nunmehr den Resonanzbereich für (ge = n) aperiodisirte Resonatoren bestimmen. Die lebendige Kraft des Mitschwingens ist: BPREReoSERn a er und ihr Maximum, welches für k=n eintritt, beträgt: F2 1 max 2m 4e2' Für den Falle=n hat man: 5 PM meh kn 2m (n? + k2)2’ e—n € so dass, wenn k=an ist, IbR ng. i Em LE Ser Cs == a)? KONTO RÄDEN. © an Bene wird. Betrachtet man nun z. B. bei der Variation von %, als den Umfang des Resonanzbereiches bestimmende Grenzwerthe, diejenigen Werthe von %, welche gerade noch den zehnten Theil der Intensität des Tones stärkster Resonanz p oe» on 382 VERHANDLUNGEN Herzspitze in Fallen wo rasch aufeinanderfolgende selbst sehr starke Reize er- folglos blieben, ihre Thätigkeit wieder aufnimmt, wenn man das Reizintervall vergrössert“. Dass die Vorgänge, welche bei häufiger Reizung des Herzens den Schlag erleichtern, nicht „Summationsvorgänge“ im Sinne der Reflexreize sind, zeigte der Vortragende der Gesellschaft durch folgenden Versuch: Eine mit verdünntem Kaninchenblute gefüllte Herzspitze zeichnete mittels des Herzmanometers am Trommelkymographion seine Pulse auf. Diese wurden durch Oeffnungsinductions- schläge eines du Bois-Reymond’schen Schlitteninductorium in längeren Inter- vallen (5—10”) ausgelöst, sobald die Entfernung der secundären Spirale von der primären 13-3 ° betrug; bei 13-5 °” Abstand waren die Reize unwirksam. Wenn nunmehr die Reize im Intervall von 0-5” gegeben wurden, so waren sie ebenfalls unwirksam, bei 13-5 °” Abstand, und erst wirksam bei 13-3 °” Rollen- abstand, genau wie die seltenen Reize. Dass auch die häufigen Reize constante ' Intensität behielten, verbürgte der (im Archiv für Physiologie, Jahrgang 1879, S. 571) beschriebene neue Tetanisirungsapparat. Da sich nun aus der Stirling’schen Arbeit „über die Summation elek- trischer Hautreize“ ergeben hatte, dass die Vermehrung der Reizfrequenz ein ungemein viel wirksameres Mittel ist, um die Reflexbewegungen auszulösen, als - die Vergrösserung der Reizintensität, so ist es nicht gerechtfertigt, die Herzpulse als „Summationsvorgänge“ zu betrachten, um so weniger als das Herz nach Bowditch’s fundamentaler Entdeckung stets maximale Contractionen vollführt, und nach des Vortragenden Beobachtung? durch keine Reizhäufung in wirklichen Tetanus zu versetzen ist, während die Reflexcontractionen einen tetanischen Charakter haben. 5. Hr. A. FrÄnkEL sprach in der Sitzung vom 2. Mai d. J.: „Zur Lehre von der Wärmeregulation“. Bekanntlich hat Heidenhain? den Nachweis geführt, dass reflectorische, sowie directe Erregung der Medulla oblongata (letztere durch Suspension der Athmung oder mässig starke elektrische Reizung bewirkt) ein Sinken der Blut- temperatur im Inneren des Körpers bei gleichzeitiger Steigerung der Haut- temperatur zur Folge hat. Die Erklärung dieser Thatsache aus den während der genannten Eingriffe statthabenden Aenderungen am Circulationsapparat schien anfänglich mit erheblichen Schwierigkeiten verknüpft. Doch gelangte bereits Heidenhain auf Grundlage umfassender Versuche zu dem Schlusse, dass das Sinken der Innentemperatur bedingt sei durch eine Beschleunigung des Blutstromes in den peripherischen Theilen, wodurch 1) die Temperatur dieser nachweisbar ge- steigert, 2) die Abgabe von Wärme durch Leitung und Strahlung vermehrt wurde. Die Frage nach der Art des Zustandekommens der Circulationsbeschleunigung wurde von ihm vor der Hand als eine offene angesehen. Nachdem später durch Goltz dargethan worden war, dass in den zu den Extremitäten verlaufenden Nervenstämmen neben Fasern, deren Erregung Verengerung der von ihnen ver- sorgten Hautgefässgebiete zur Folge hat, auch solche enthalten seien, welche sefässerweiternd wirken, hat Ostroumoff? den Beweis geliefert, dass die bei 1A.a. O,S. 185 u. fl. 2 Pflüger’s Archiv, Bd. III u. V. 3 Pfüger’s Archiv, Bd. XL. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 383 Reizung eines sensiblen Nerven, sowie der Medulla oblongata statthabende Tem- peraturzunahme der Haut auf Erregung der Vasodilatatoren dieses Organes be- ruhe. Damit schien zugleich die letzte Schwierigkeit, welche sich der Erklärung des bei den Heidenhain’schen Versuchen beobachteten eigenthümlichen Sinkens der Innentemperatur entgegenstellte, weggeräumt. Die Bedeutung dieser Thatsachen für die Lehre von der Wärmeregulation, soweit die Abgabe von Wärme dabei in Betracht kommt, liegt auf der Hand und ist seiner Zeit von Heidenhain und Ostroumoff auch hervorgehoben worden. Zugleich aber haben beide Autoren sich dahin ausgesprochen, dass die Resultate ihrer Arbeiten nur einen Beitrag zum Verständniss jenes complicirten Vorganges liefern und eine weitere Fortsetzung der von ihnen begonnenen Ver- suche nöthig se. Dem Vortragenden nun schien es, dass zunächst dieselben in folgender Beziehung einer gewissen Erweiterung bedürftig seien. Unter normalen Verhältnissen des Organismus kommt eine Ueberproduction von Wärme nur durch zwei Factoren bedingt vor: nämlich durch angestrengte Muskelthätigkeit oder gesteigerte Nahrungsaufnahme. In beiden Fällen findet neben der Mehrerzeugung von Wärme zugleich eine Zunahme der Kohlensäure- production statt. Da nach den Beobachtungen Heidenhain’s die Wärmeabgabe nicht blos bei reflectorischer, sondern auch bei directer Erregung des Hals- markes gesteigert wird, die CO, aber ein Reiz für die in der Medulla gelegenen Centra ist, so liess sich annehmen, dass die Anhäufung dieses Gases in jenen beiden in Rede stehenden Fällen das die vermehrte Wärmeabgabe unter der Vermittlung des Nervensystems bedingende Moment sei. — In diesem Sinne wurde von dem Vortragenden eine Versuchsreihe unternommen, welche den Zweck verfolgte festzustellen, ob bei Einblasung kohlensäurereicher, dabei aber zugleich genügende Mengen von Sauerstoff enthaltender Gasgemenge in die Lungen von Thieren (Hunden) die Wärmeabgabe ähnliche Veränderungen erfahre, wie sie bei Heidenhain beispielsweise bei Unterbrechung der künst- lichen Respiration beobachtet worden waren. Zugleich schien es von Interesse, denjenigen Procentgehalt des einzuathmenden Gemenges an CO, kennen zu lernen, bei welchem die beabsichtigte Wirkung überhaupt noch eintrat. — Die Versuchsanordnung war eine einfache. Nachdem, den Vorschriften Ostroumoff’s entsprechend, mehrere Tage vor dem eigentlichen Experiment den Thieren der eine N. ischiadicus durchschnitten worden war, wurden die- selben zunächst tracheotomirt, curarisirt und hierauf die künstliche Respiration mittels Handblasebalges nach dem Tacte eines Metronoms eingeleitet. Alsdann wurde je ein Thermometer zwischen die Zehen beider Hinterpfoten, sowie eben ein solches in das Rectum eingelegt, und nachdem an allen drei Punkten Tem- peraturconstanz eingetreten war, mit den Einblasungen des Gasgemenges be- sonnen. Die Vorrichtung hierzu war ganz die nämliche wie die, deren sich einst Traube! bedient hatte, um die erregende Wirkung der Kohlensäure auf das respiratorische Centrum zu beweisen. Was die Zusammensetzung der zu den Einathmungen verwandten, aus CO,, reinem O und atmosphärischer Luft hergestellten Gemenge betrifft, so verdient hervorgehoben zu werden, dass der Gehalt an Sauerstoff stets um ein bedeutendes den der Atmosphäre übertraf. Der Procentgehalt von CO, variirte zwischen 7-5 und einigen 30 Procent. Es zeigte sich nun, dass in der That auch bei Gegenwart genügender 1 Ges. Abhandlungen, Bd. 1. 384 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. Sauerstoffmengen die Kohlensäureanhäufung im ‚Blute Temperatursteigeruug der- jenigen Hautbezirke zu bewirken vermag, welche noch im ‚unversehrten Zu- sammenhange mit dem Öentralnervensystem stehen. Die beträchtlichste Zunahme der Temperatur an der Pfote mit undurchschnittenem N. ischiadicus, im Betrage von 8° C,, wurde bei einem jungen kräftigen Thiere beobachtet, dem ein Ge- menge von 13 Proc. CO,, 28 O und 59 N eingeblasen wurde. Andere Male betrug die Steigerung zwischen O-5—4° C. Bei diesen Versuchen mit positivem Resultat zeigte sich aber bereits die eine Auffälligkeit, dass gar nicht selten ein und dasselbe Gasgemenge, welches kurz vorher wirksam gewesen war, d.h, eine deutliche Temperaturzunahme an der ungelähmten Pfote bewirkt hatte, bei einer etwa eine halbe Stunde später erfolgenden neuen Einblasung keinen Effect mehr ausübte. Auch das kam vor, dass in einem Falle, wo ein relativ geringer Procentgehalt an CO, im Anfange des Versuches ziemlich erhebliche Temperatursteigerung der Haut zur Folge gehabt hatte, im weiteren Verlaufe ein beispielsweise doppelt so starker Gehalt viel geringere Wirkung zeigte. Bei seinen weiteren Experimenten stiess alsdann der Vortragende auch auf Thiere, bei denen die stärksten von ihm angewandten Gemenge (30 Proc. CO,) über- haupt keinen Effect äusserten. Er glaubt die Ursache für dieses inconstante Verhalten in einer Abnahme der Erregbarkeit der gefässerweiternden Nerven‘ suchen zu müssen, welche vorwiegend durch zwei Momente herbeigeführt wird: erstens durch die lange Fesselung der Thiere und die damit selbst bei Anwen- dung genügender Cautelen eintretende Abnahme der Temperatur im Körperinnern, zweitens durch die anhaltende Einwirkung des Curaregiftes, Den Beweis für die Richtigkeit dieser Ansicht erblickt er darin, dass, wenn in jenen Fällen mit ungenügendem oder gänzlich mangelndem Erfolge unmittelbar nach den Ein- blasungen die Suspension der künstlichen Respiration vorgenommen wurde, diese zwar niemals bezüglich ihrer erregenden Wirkung auf die Hemmungsnerven der Gefässe gänzlich versagte, die Steigerung der Hauttemperatur aber erst nach | minutenlangem Sistiren, i. e. zu einer Zeit, wo das Thier offenbar sich schon im Stadium der Asphyxie befand und die CO,-Anhäufung im Blute einen ganz excessiven Grad erreicht hatte, eintrat. Die Details dieser Arbeit mit den dazu gehörigen experimentellen Belägen werden in der demnächst erscheinenden Zeitschrift für klinische Medicin von Frerichs und Leyden veröffentlicht werden. & we nn | | | | | | | | | | | N | j (4 \ Die Wirkungen des Amylnitrits. Von Dr. Wilhelm Filehne, ausserord. Professor an der Universität Erlangen. Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen. Wer die Literatur über die Amylnitritwirkung durchgeht, wird die Bemerkung machen, dass die Autoren zwar in ihren Ansichten über das Wesen der Wirkungen weit auseinander gehen, dass aber bezüglich der wesentlichen Thatsachen und der Versuchsresultate kein Wider- spruch besteht. Ein solches Auseinandergehen der Auffassungen bei gleichzeitig fehlendem Widerspruch bezüglich der Facta kann offenbar nur in der Lückenhaftigkeit und Vieldeutigkeit des Beobachtungsmaterials oder (bez. und) in der Verschiedenheit der physiologischen Standpunkte der einzelnen Forscher begründet sein. So erwächst denn die Aufgabe einerseits die Lücken so viel als möglich durch Experimentälunter- suchungen auszufüllen, andererseits die Widersprüche in der theoretischen Auffassung über die pharmakologische Wirkung unseres Mittels bis auf ihre physiologische Grundlage zurückzuführen und dann den möglichst elementar präcisirten physiologischen Standpunkt zur Discussion zu stellen. Zur Lösung dieser doppelten Aufgabe möchte ich versuchen, einen kleinen Beitrag zu liefern. Die folgende Abhandlung wird, dem ange- deuteten Bestreben entsprechend, den physiologischen Standpunkt, von dem aus ich die Angelegenheit in Angriff zu nehmen versucht habe, in etwas elementarerer und ausgeführterer Weise auseinander zu setzen ‚ haben, als dies in derartigen Arbeiten sonst zu geschehen pflegt. So neu übrigens die Literatur über das Amylnitrit ist, so haben Sich doch schon einige literarische Irrthümer in die neuesten Arbeiten ‚ und die Lehrbücher eingeschlichen, die ich in der folgenden Mitthei- lung auch dann zu berichtigen mir erlauben werde, wenn ich Gefahr laufe, in den unverdienten Verdacht zu kommen, dass ich Prioritäts- ' ansprüche erhebe. Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 25 336 WILHELM FILEHNE: Die Erscheinungen der Amylnitritwirkung am Menschen, wie sie zuerst von Guthrie beschrieben wurden, darf ich wohl als bekannt vor- aussetzen. Das Wesentlichste dabei ist das Erröthen und die Beschleu- nigung der Herzaction. Diese auffallende Wirkung veranlasste experi- mentelle Untersuchungen an Thieren und zwar wurde zuerst besonders der Ursache des Erröthens nachgeforscht. Es zeigte sich dabei, dass jenes Mittel an Kaninchen sehr schnell die Athmung verstärkt (Veyrieres, Bourneville, Crichton-Browne, Filehne, Mayer und Friedrich!) und dass bald darauf allgemeine Krämpfe auftreten. Die Empfindlich- keit der Kaninchen gegen das Mittel ist eine sehr grosse. Es genügen, wenn man ein reines Präparat hat, ein bis drei Athemzüge des tracheo- tomirten Thieres aus einer mit Amylnitritdämpfen gesättigten Atmo- sphäre, um eine Wirkung zu erzielen, welche derjenigen entspricht, die am Menschen beobachtet wird: Ueberfüllung der Ohrgefässe mit Blut (Amez-Droz, Pick, Bernheim u.s. w.), ferner eine mehr oder weniger stark ausgesprochene Pulsbeschleunigung (meine Beobachtung), welche | bei Hunden schon früher von Wood, Amez-Droz und Pick constatirt war; ferner eine Zunahme der Athmuns; in diesem Stadium sind noch keine Krämpfe zu sehen. (Wegen der Empfindlichkeit der Nasenschleim- haut bez. des Trigeminus der Kaninchen müssen die Inhalationsversuche, wie ich hervorhob, an tracheotomirten Thieren gemacht werden, da sonst Reflexe auf die Athmung, den Herzschlag und die Vasomotion in die Erscheinung treten, welche mit. der Allgemeinwirkung des Mittels nichts zu thun haben). Wird die Einwirkung weiter getrieben, so treten erst Krämpfe auf, dann später allgemeine Lähmung und so gehen die Thiere unter Braunwerden des Blutes (Wood) zu Grunde. Bei Fröschen sieht man nur Lähmung (Eulenburg und Guttmann); an diesen fehlt auch die Pulsbeschleunigung (Pick, ich). Die Analyse der besprochenen Erscheinungen. Die Wirkung auf die Gefässe. Unbestritten und unbestreitbar, weil jeden Augenblick zu demon- striren, ist die Beobachtung Gamgee’s, dass unter dem Einflusse unseres Mittels der Blutdruck im Arteriensystem bei Mensch und Säugethier abnimmt. Da die Herzthätigkeit während der Wirkung des Mittels an 1 Hiernach ist die Angabe im Handbuch d. Arzneimittellehre von Nothnagel und Rossbach (S. 419 der 2. Aufl.), dass Mayer und Friedrich (sc. zuerst) die Zunahme der Athmung beobachteten, zu berichtigen. - } u Bi | ’ Dis WIRKUNGEN DES AMYLINTRITS. 387 Frequenz nachweislich zunimmt und eine Abschwächung des Herz- impulses zweifellos nicht vorliegt, so beweist Gamgee’s Beobachtung, dass das Amylnitrit eine Erweiterung der peripherischen Arterien ver- ursacht. Man kann diese Erweiterung auch direct mit dem Auge, z. B. ‘an den Ohrarterien des Kaninchen, beobachten; so ist also das Erröthen nach Amylnitrit darauf zu beziehen, dass sich die kleinsten Arterien der Haut, besonders des Gesichtes und Halses, übrigens auch der Pia (Schül- ler, Schramm) und des Hirns (wie ich indirect erschlossen habe), er- weitern und dadurch mehr Blut in die Capillaren einströmen lassen. Auf welcher Endursache aber diese Erweiterung zurückzuführen ist, darüber sind die Autoren nicht einig geworden. Bis zu dem Erscheinen der letzten Publieationen über diese Frage war die allgemeine Verbreitung gefässerweiternder Nervenfasern (d. h. solcher Fasern, deren nach der Peripherie laufende Erregung einen Nachlass des Arterientonus bedingt) noch nicht sichergestellt, oder doch jedenfalls noch nicht in’s allgemeine Bewusstsein übergegangen. So können wir uns denn nicht wundern, dass wir nirgend die Frage erörtert finden, ob hierbei vielleicht eine Reizung des dilatatorischen Mechanismus, sei es central oder peripher, vorliege, und ob dieser dilatatorische Mecha- nismus nicht irgend wie störend in jene Versuche eingegriffen habe, die zur Ersründung der Amylnitritwirkung angestellt wurden. Dieser Punkt wäre zunächst zu erledigen. Wir werden weiter unten die Resultate kennen lernen, welche ich in dieser Beziehung erhielt und welche mir die Ueberzeugung verschafft haben, dass der nervöse. gefäss- erweiternde Apparat bei unserem Gegenstande unbetheilist ist. Die bis- herise Discussion der Autoren (mich mit einbegriffen) über die Angriffs- weise des Amylnitrits bei der Gefässerweiterung war dem damaligen Stand- punkte entsprechend von der Voraussetzung ausgegangen, dass es sich nur um einen Nachlass der Vasomotion oder, wie es manche prägnanter be- zeichnen, der Thätigkeit im Bezirke der Vasoconstrietoren handle. Nach der damaligen, inzwischen unverändert gebliebenen Anschauung gehören zur normalen vasomotorischen Erregung drei organisch zusammenhängende Apparate: 1) die glatte Muskelfaser der Arterienringmusculatur, 2) die zu ihr tretende vasomotorische Nervenfaser und 3) eine mit letzterer an deren anderem Ende verbundene Ganglienzelle. Die allgemeine Vor- stellung ist nun, dass die Muskelfaser an und für sich erschlafft bleibt, bis sie gereizt wird. Dieser Reiz kann entweder, und dies gilt durch- weg für die normale, physiologische Vasomotion, durch eine auf der Bahn der vasomotorischen Nervenfaser zufliessende Erregung auf Sie ausgeübt werden, oder es sind mechanische, thermische u. s. w. Reize, welche die Muskelfaser direet erregen. Diese letzteren Reize wirken 25° 388 WILHELM FiLEHANE: jedoch nur ausnahmsweise ein und sind daher für die Art, wie das Amylnitrit die normale, physiologische Vasomotion abschwächt, bez. auf- hebt, ganz ohne Bedeutung. In der Norm wird nach der allgemeinen Auffassung auch die vasomotorische Nervenfaser weder durch in ihr ent- stehende, noch von aussen kommende Reize erregt, sondern sie empfängt die Erregung ausschliesslich von der mit ihr in organischem Zusammen- hange stehenden vasomotorischen Ganglienzelle, welche entweder „auto- matisch“ erregt ist, oder von höher (centraler) gelegenen „automatischen“ Nervenzellen erregt wird. Unsere Frage spitzte sich daher für die For- scher dahin zu: wirkt das Amylnitrit (lähmend oder schwächend) auf die Muskelfaser oder auf die vasomotorische Nervenfaser oder auf die Ganglienzelle? Die Frage muss auch heute noch so gestellt werden, wenn es sich noch anderweitig auch bestätigt, dass, wie ich schon oben andeu- tete, die Vasodilatatoren bei der Amylnitritwirkung nicht betheilist sind. So präcis diese Frage ist, so bietet sich doch bei ihrer experimen- tellen Prüfung eine Schwierigkeit dar. Wir können mit der einzelnen’ Muskel-, Nervenfaser und Ganglienzelle nicht experimentiren. Wir müssen daher grössere Complexe von Muskelfasern, in unserem Falle eine ganze Arterienmusculatur, vasomotorische Nerven und Centren benutzen. Der Ort, an welchem sich die Arterienmusculatur befindet, ist bekannt, ebenso kennen wir die vasomotorischen Nerven. Wo ist aber das „Centrum“? Darüber, dass in der Medulla oblongata und noch etwas weiter aufwärts nach Pons und. Vierhügel zu eine vasomotorische Centralstätte sich befindet, kann nach den ausgedehnten und vortreii- lichen Untersuchungen der Ludwig’schen Schule kein Zweifel sein. Ob aber nach Ausschaltung dieses Centrums keine weitere centrale Innervation den Gefässmuskeln zugeleitet wird, ist mehr als fraglich; ja. nach den älteren Arbeiten von Goltz, Schlesinger, Vulpian, sowie den neuesten Untersuchungen von Stricker findet dann so gut wie sicher noch eine „centrale“ Innervation statt. Dass das Kücken- mark noch Reflexe von sensiblen Erresungen auf die Gefässmusculatur vermittelt, ist sicher, ob es nicht noch einen Tonus unterhält, ist zum Mindesten noch nicht widerlegt. Bis zur definitiven Feststellung des Sitzes der vasomotorischen Centralstellen wird man bei der experi- mentellen Behandlung der uns beschäftigenden Frage die Möglichkeit zu berücksichtigen haben, dass im Rückenmarke automatische vasomo- torische Ganglienzellen vorhanden sein können, die freilich viel schwä- cheren Arterientonus verursachen, als der xa&T &£oyyv vasomotorisches Centrum genannte, in dem verlängerten Marke oelegene Apparat. Man wird daher entweder der Sicherheit wegen das Rückenmark auch ausschalten müssen, wenn man mit einem sicher von eentralen | | | | | | | | \ ” Dıe WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 389 vasomotorischen Einflüssen befreiten Gefässapparate experimentiren will, oder aber man lässt die Frage, ob das Rückenmark vasomotorischer Centralapparat ist oder nicht, ganz aus dem Spiele, wenn man un- zweideutige, beweisende Versuchsresultate haben will. Deshalb kann auch für unsere Frage nicht verwerthet werden die von Lauder Brunton gefundene (von Berger, Mayer und Friedrich bestätigte) Thatsache, dass auch nach Eliminirung der Medulla oblongata die Einathmung von Amylnitrit den Blutdruck noch weiter erniedrigt; denn wenn wir noch einen organisch aus Ganglienzellen, vasomotorischen Fasern und Arterien- musculatur zusammengesetzten Apparat trotz Halsmarkdurcehschneidung oder Hirnausschaltung vor uns haben, so ist der Versuch um nichts we- niger complicirt als der Blutdruckversuch am sonst intacten Thiere. Minder unbequem, ja fast ganz zu vernachlässigen sind, beim heutigen Stande der Dinge, jene hypothetischen, aber fast unabweisbaren peri- pheren, in oder an der Arterienwandung gelegenen Centralstätten, welche einige Tage nach Durchschneidung vasomotorischer Nerven gewisser- maassen die selbständige Pronvincialverwaltung der von der Üentral- regierung abgeschnittenen Distriete übernehmen und die ursprünglich ad maximum erweiterten Arterien wieder verengern. Doch auch ihrer - werden wir bei unseren Erwägungen nicht ganz vergessen dürfen, und wenn auch ihre Thätigkeit bei intacten Nerven eine gegen die Haupt- innervation, die vom Centralnervensystem herfliesst, verschwindende ist, so würden wir der grösseren Sicherheit wegen, abweichend von den übrigen Autoren, die Frage zunächst nicht so stellen: lähmt das Amylnitrit die Gefässmusculatur oder die vasomotorischen Nerven oder die Ganglien- zellen? sondern zunächst: lähmt es die vasomotorischen Apparate des Centralnervensystems oder lähmt es die Peripherie? Da wir aber sehen werden, dass jene hypothetischen peripheren Centren in der That unter normalen Verhältnissen für den Tonus der Arterien nicht in Betracht kommen, so fällt der Unterschied in der Fragstellung fort. Man sollte meinen, eine sichere Entscheidung über den Angrifis- punkt des Amylnitrits zu geben, könne nicht schwerer sein, als zu ent- scheiden, ob ein Gift, welches die Motilität vernichtet, am Muskel, mo- torischen Nerven oder am Centralnervensystem angreift. Denn ob der Muskel ein willkürlich benutzbarer ist, oder von einem automatischen Centrum innervirt wird, kann ja an der Analyse des Versuchs für den Experimentator nichts ändern. Aber die Mehrzahl der Autoren hat die absolute Analogie, die zwischen den beiden motorischen Apparaten be- steht, in ihrer Bedeutung nicht genügend berücksichtigt und hat mit indirecten Beweisen die Sache zu erledigen gesucht. Nachdem L. Brunton in seinen oben erwähnten Blutdrucksversuchen trotz (ver- ww 390 WILHELM FILEHNE: meintlicher) Eliminirung aller vasomotorischen Öentralapparate bei An- wendung des Amylnitrits doch eine weitere Senkung des Blutdrucks er- halten hatte, nahm er eine directe Gefässlähmung an. Gegen ihn kam ein auf das Experiment gestützter Widerspruch von Bernheim, welcher fand, dass während der Wirkung des Mittels durch elektrische Reizung der vasomotorischen Nervenstämme eine Verengerung der Arterien zu erzielen sei und dass daher weder die Arterienmusculatur, noch die vaso- motorischen Nerven gelähmt seien können. Hiergegen machte Pick den zutreffenden Einwand, dass sehr wohl eine periphere Wirkung vorliegen könne, ohne dass die Nerven und die Gefässmuseulatur absolut unerregbar zu sein brauchten, und der Versuch Bernheim’s beweise nur, dass sein elektrischer Reiz stärker war als die erschlaffende Wirkung des Amyl- nitrits. Gegen diesen Einwand ist nichts vorzubringen und es ist daher wohl nicht ganz richtig, den Bernheim’schen Versuch noch weiter, wie es die Lehrbücher und z. B. Mayer und Friedrich thun, in dem Sinne fortbestehen zu lassen, dass sie Bernheim als einen Vertreter der ' centralen Wirkung anführen. Nun hatte schon Wood gezeigt, dass Amylnitrit als Flüssigkeit und in Dampfform für entblösste Muskeln ein lähmendes Gift sei; Pick machte analoge Beobachtungen, und so sehen Beide, Letzterer nach glück- licher Zurückweisung des Bernheim’schen Angrifies, die Gefässerschlaf- fung bei Amylnitritwirkung als abhängig von einer direeten Erschlaffung der Musculatur an, freilich ohne einen directen Beweis zu liefern. Hier- gegen zeigte ich, dass ein Beweis für die direete Lähmung nicht vor- liege und theilte unter Anderem einen Versuch mit, welcher die centrale Wirkung beweisen sollte. Ich schaltete für einen Gefässabschnitt das vasomotorische Centrum mittels Durchschneidung des vasomotorischen Nerven aus und statt dessen ein du Bois-Reymond’sches Schlitten- Inductorium ein und zwar richtete ich die Reizstärke so ein, dass die be- treffenden (Ohr-)Arterien eben eine deutliche Contraction zeigten, so dass ich also eine Erregung den vasomotorischen Nerven hinabsandte, welche schwächer war als das Maximum von Erregung, die das vasomotorische Centrum zu ertheilen vermag, und welche nicht stärker war, als die mittlere Erregung, die letzteres für gewöhnlich den vasomotorischen Nerven übergiebt. Liess ich jetzt das Thier Amylnitritdämpfe einathmen, so erweiterten sich die (Ohr-) Arterien der anderen (mit dem vasomoto- rischen Öentrum in normaler Verbindung gebliebenen) Seite ad maximum, während auf der Seite, welche statt vom natürlichen vasomotorischen Apparat durch das künstliche (elektrische) Centrum innervirt wurde, die Arterien ihr Lumen nicht änderten. Wie dieser Versuch anders als in dem Sinne gedeutet werden könnte, dass Arterienmusculatur und vasomotorischer” DıE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS, 391 Nerv normal erregbar geblieben sind, vermochte ich nicht zu sehen und so musste ich denn dem Amylnitrit eine Wirkung auf das Centrum zu- sprechen. Dieser Versuch ist von den späteren experimentirenden Autoren und von den Lehrbüchern weder discutirt!, noch ist die Thatsache als solche bestritten worden. Und doch ist dieser Versuch der fundamentale in meiner damaligen Arbeit; dagegen finde ich sowohl bei Pick (wel- chen Mayer, S. 69, irrthümlich als Anhänger der centralen Wirkung bezeichnet), als auch im Handbuche der Arzneimittellehre von Rossbach und Nothnagel eine Kritik eines von mir angestellten und von mir selbst als nicht beweiskräftig bezeichneten Vorversuches und merkwür- diger Weise ist diese gegen mich gerichtete Kritik Pick’s, welche Rossbach adoptirt, die einfache Wiedergabe dessen, was ich selber (S. 479) ausgesprochen habe. Ich glaube daher meine von Pick bez. Rossbach bezüglich ihrer Beweiskraft bekämpfte Beobachtung, dass die Lungen nicht erröthen, hier nicht discutiren zu müssen. Jener Versuch aber, in welchem das vasomotorische Centrum durch einen constant bleibenden, von Amylnitrit nicht zu beeinflussenden Ap- parat ersetzt ist, beweist, falls die Thatsache richtig ist, fast unwider- leglich die centrale Wirkung; denn die Vasomotion blieb unbeeinflusst, sobald ein Centrum da war, welches sich nicht beeinflussen lies. Nur ein einziger Einwand war hier möglich, allerdings ein bedenklich ge- wagter Einwand. Der Nerv oder die Muskelfaser könnten in der Weise durch das Gift verändert sein, dass sie zwar gegen den elektrischen Reiz ihre normale Erregbarkeit behielten, während die Erregbarkeit gegen den physiologischen (centralen) Reiz verloren gegangen wäre. Das ist ja wohl eine logische Möglichkeit. Aber es wäre ein unerhörtes Ereig- niss, ohne alle Analogie in der ganzen Toxikologie und Pharmakologie, und eigentlich ist nicht derjenige, gegen welchen dieser Einwand ge- macht wird, beweispflichtig, sondern derjenige, welcher den Einwand er- hebt. Man könnte sich noch allenfalls gefallen lassen, dass der Nerv an einer bestimmten Stelle oder im ganzen Verlaufe zwar elektrisch aber nicht physiologisch erregt werden könne. Wenn er aber dann elektrisch 1 Nur Pick spricht sich über ihn kurz aus und wundert sich, dass die zu- weilen ausserhalb des Sympathicus verlaufenden vasomotorischen Fasern nicht ihre Anwesenheit durch Lähmung ihrer Gefässe verrathen haben, Hierauf habe ich zu erwiedern, dass ich eben nur solche Kaninchen zu Versuchen nahm, bei welchen die vasomotorischen Fasern ganz oder doch so gut wie ganz im Sympathicus verliefen, was man leicht daran erkennt, dass nach der Durchschneidung des Sympathicus die Ohrarterien sich maximal erweitern. Wie aber Pick aus dem Umstande, dass auch ausserhalb des Sympathieus Vasomotoren zu den Ohrarterien ziehen können, einen Einwand gesen die Beweiskraft meines Versuches herleitet, verstehe ich nicht; im Gegentheil würde dann doch höchstens mein Versuch a fortiori beweisend sein. 5) 392 WILHELM FILEHNE; erregt ist, so ist doch gar nicht abzusehen, wie die hinablaufende Erre- gung Querschnitt nach. Querschnitt der Nervenfaser und namentlich an der Muskelfaser anlangend diese anders als physiologisch errege, denn der elektrische Strom als solcher trifft ja die Muskelfaser nicht. Die missverstandene klinische Beobachtung, dass ein gelähmt gewesener Nerv für den Willensimpuls bereits durchgängig sein kann, während die elek- trische Reizung wirkungslos ist und umgekehrt, hat die meiner Mei- nung nach irrthümliche Vorstellung erzeugt, als ob es qualitativ ver- schiedene Erresungen der Nerven gäbe. Es reicht das heute vorliegende Material an Thatsachen wohl hin, um alle Unterschiede in den Erre- gungen der Nervenfasern, welche qualitative Verschiedenheiten vortäu- schen könnten, auf Unterschiede des zeitlichen Verlaufes der Erregung und auf quantitative Unterschiede der Erregungsstärke zurückzuführen. Die Erörterung jener missverstandenen klinischen Beobachtungen gehört nicht hierher, nur möchte ich erwähnen, dass ich bezüglich des Auf- gehobenseins der elektrischen Reaction bei wiedergewonnener Motilität ° | mich auf der Rostocker Naturforscher-Versammlung (1871) geäussert habe; das umgekehrte Verhältniss ist noch leichter zu erklären. Der Einwand, dass möglicherweise während der Amylnitritwirkung der Nerv und die Muskelfaser zwar auf die „physiologische“ Erregung nicht, wohl aber auf die elektrisch veranlasste „unphysiologische* Erre- gung reagiren könnte, ist mir in Wirklichkeit später offen von Samel- sohn entgegen gehalten worden, und in verhüllter Weise von S. Mayer (welcher ihn als einen „schwer zu beseitigenden Einwand“ bezeichnet) und gerade Letzterer, der mit diesem Einwande offenbar die Beweiskraft meines Versuches, den er sonst nicht discutirt, aufheben will, benutzt in derselben Arbeit (also nach mir) die von ihm bestätigte Bern- heim’sche Beobachtung, dass man durch elektrische Reizung der vasomotorischen Nerven eine Arterienverengerung erziele, um zu beweisen, dass die vasomotorischen Nervenstämme durch das Mittel nicht gelähmt werden (S. 70 und 71). Und da er nun durch die nach der Brunton’schen Art (aber mit verbesserter wirklicher Aus- schaltung des im Hirn gelegenen vasomotorischen Centrums) angestellten Blutdruckversuche zu der Ueberzeugung gekommen ist, dass das Amyl- nitrit auf die Peripherie wirke, so schliesst er jetzt, dass nicht die vaso- motorischen Nervenstämme, sondern die Musculatur von dem Mittel ge- lähmt werde. Hierin liegt ein Fehlschluss, der, wenn allgemein acceptirt, bei seiner Verallgemeinerung zu grossen Unrichtigkeiten führen müsste. Woraus schloss Mayer, dass die Nervenstäimme vom Gifte nicht leiden? Doch daraus, dass sich die Arterienmusculatur auf Reizung der Stämme contrahirte; wenn diese Arteriencontraction aber beweist (wie Mayer DriE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 393 will), dass die Stämme intact sind, dann beweist sie auch, dass die Musculatur intact ist. Mayer hat also den Beweis, dass die Ar- terienmusculatur gelähmt wird, keineswegs erbracht. Aber selbst die Behauptung, dass die Peripherie, d.h. entweder Musculatur oder Nerven, _ gelähmt werden, ist durch Mayer’s Blutdruckversuche als richtig nicht erwiesen, da er nur das Haupteentrum, nicht aber das Rückenmark aus- geschaltet hat. Ja die Sache liegt für die Untersuchungsmethode ganz besonders interessant,.denn es lässt sich erweisen, dass unsere Fra ge durch Blutdruckversuche beim heutigen Stande unseres Wissens zu Gunsten einer directen Muskelwirkung gar nicht entschieden werden kann: Angenommen es wären durch irgend ein Verfahren die Arterien von jedweder ventralen Innervation befreit, so würden (und das lässt sich thatsächlich demonstriren) die betreffenden Arterien vollständig erschlaffen, denn die Musculatur contrahirt sich (unter physiologischen Verhältnissen) nur, wenn ihr auf der Bahn der Nerven Erregungen vom Centrum zugeleitet werden. Wenn jetzt Amylnitrit inhalirt wird, so kann dies, gleichviel, ob es central oder auf Nerv oder glatte Muskelfaser lähmend zu wirken im Stande ist, den Zustand völliger Erscehlaffung nicht weiter steigern, denn weiter als „völlig“ kann doch die Muscu- latur nicht erschlaffen. Daher können Blutdruckversuche (welche janur den höheren oder geringeren Grad der Arterienerschlaffung ermitteln können) die vorliegende Frage überhaupt nicht entscheiden. Dagegen ist um- gekehrt aus den Versuchen Lauder Brunton’s und seiner Nachfolger der physiologisch interessante Schluss zu ziehen, dass nach Eliminirung des Hirns die Körperarterien von centralen vasomotorischen Einflüssen noch nicht abgeschnitten sind, denn sonst könnte das Amylnitrit, gleichviel ob es central oder peripherisch wirkt, nicht eine ‚weitere Erschlaffung der Arterien veranlassen. Wo diese vasomo- torischen Centralapparate liegen, ist dann eine anatomische Frage. Aber dass auch die Versuche von 8. Mayer und Friedrich den Beweis für die Lähmung der Arterienmuseulatur durch Amylnitrit nicht erbracht haben, scheint mir sicher zu sein. Dass die vorgetragene Anschauung richtig sei, lässt sich durch einen Versuch leicht zeigen. Wenn ein Kaninchen nach Sympathicusdurch- schneidung eine maximale Erweiterung seiner Ohrarterien (derselben Seite) zeist (was bekanntlich nicht immer der Fall ist, weil oft die vaso- , motorischen Fasern ausserhalb des Sympathicus verlaufen), so sind diese Arterien in Wirklichkeit der Einwirkung ihrer Centralapparate entzogen und sind dann auch völlig erschlafft. Lässt man jetzt Amylnitrit ein- abhmen, so findet eine weitere Erschlaffung nicht mehr statt; es bleibt im günstigsten Falle alles in statu quo, oder zuweilen tritt sogar eine 394 WILHELM FILEHNE: Verminderung der Blutfüllung ein, die offenbar darauf zurückzuführen ist, dass die durch das Amylnitrit veranlasste Erniedrigung, des Gesammt- blutdrucks die Triebkraft vermindert, welche das Blut in die durch Sym- pathicusdurchschneidung gelähmten Öhrarterien strömen liess. Schein- bar in Widerspruch mit dieser thatsächlichen Angabe steht die Behaup- tung Schüller’s, dass die durch Sympathieusdurchschneidung herbei- geführte Hyperämie des Ohres durch Amylnitrit noch gesteigert werde. Schüller hatte offenbar die Versuchsthiere nicht in der Weise, wie ich es that, so ausgewählt, dass er nur mit solchen den Versuch anstellte, deren vasomotorischen Fasern ganz oder fast ganz im Sympathicus ver- liefen (s. d. Anm. auf S. 391). Auch Pick hat in einer späteren Mittheilung (1376) seinen früheren Standpunkt festzuhalten versucht und bringt zum Beweise dafür, dass das Amylnitrit die Musculatur der Arterien direct lähme, folgenden Doppelver- such: Einem Kaninchen wird die eine Carotis zugeklemmt; das Ohr der- selben Seite wird hierdurch ganz blutarm; auf Einathmung von Amylnitrit ist dieses Ohr noch blass, wenn das Ohr der anderen Seite schon blutüber- füllt ist. An einem anderen Kaninchen wird die eine Oarotis ebenfalls zu- geklemmt, das Ohr derselben Seite wird wieder ganz blass. Hierauf wird der Sympathicus derselben Seite durchschnitten und die Ohrarterien erweitern sich alsbald. Also, schliesst Pick, Abschneiden der vom Centrum zum Gefäss verlaufenden Innervation bedingt trotz Carotisklemmung Erweiterung, Amylnitrit-Inhalation thut dies nicht, also ist Amylnitritwirkung nicht gleichbedeutend mit Aufhören der centralen Innervation, während Pick es begreiflich findet, dass bei Amylnitriteinathmung das Gefäss unerweitert bleibt, wenn der Zutritt des vergifteten Blutes zum Gefässe verhindert ist. Auch diese Versuche beweisen das nicht, was Pick will. Fangen wir mit dem minder wichtigen Einwande an, den wir zu erheben haben. Der Doppelversuch ist von vornherein nicht beweisend, weil er an zwei verschiedenen Thieren angestellt ist. Dies Bedenken wäre ja beseitigt, wenn Pick diesen Doppelversuch sehr oft, an vielen Paaren angestellt hätte. Davon sagt aber Pick nichts. Nur von dem ersten Versuche mit Carotisklemmung und Amylnitrit-Inhalation giebt Pick an, dass er „mehrmals mit demselben Erfolge wiederholt wurde“, von der zweiten ! Hälfte des Doppelversuches sagt er dies nicht. Aus den Erfahrungen, die ich weiter unten bei Besprechung der von mir angestellten Durch- strömungsversuche mitzutheilen haben werde, geht überdies hervor, dass Pick seinen Doppelversuch nicht oft angestellt haben kann und dass auch sein mehrmals mit demselben Erfolge wiederholter Versuch noch nicht oft genug wiederholt worden ist. Denn in der grössten Mehrzahl der Fälle (von 21 war es 15 Mal) genügte in meinen Versuchen die Die WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 395 Carotisklemmung nicht, um das Ohr blutarm zu machen und das würde Pick natürlich nicht übersehen haben, wenn er den Versuch oft an- gestellt hätte. So ist also in Wirklichkeit gar nicht abzusehen, ob bei den zwei verschiedenen Thieren die Speisung der Ohrgefässe mit Blut als gleich anzusehen ist, und dann beweist der Versuch selbstverständlich von vornherein nichts; denn es steht mir frei zu behaupten, dass, wenn Pick die Rollen an die beiden Thiere umgekehrt ausgetheilt hätte, die Gefässe des Amylnitrit-Thieres sich erweitert haben würden, und beim anderen Thiere die Gefässe trotz Sympathicusdurchtrennung leer, eng blieben wären. Indessen selbst wenn wir zugeben, dass die Gefässver- theilung und alle sonstigen anatomischen und physiologischen Vor- bedingungen bei beiden Thieren gleich waren, selbst dann beweisen die Versuche Pick’s nichts gegen die centrale Wirkung des Amylnitrits, denn wir können, trotzdem wir die centrale Wirkung annehmen, die Richtigkeit der Pick’schen Beobachtung aus grobphysikalischen Gründen auch ohne eigenes Experiment als selbstverständlich deduciren. — Also kann sie auch nichts gegen unsere Annahme beweisen, sofern wir keinen logischen Fehler machen. In beiden Thieren ist die Blutzufuhr zu den abgesperrten Bezirken wesen der Summe der Widerstände des Bezirks plus denen der sich bildenden Collateralbahnen sehr erschwert. Durchschneiden wir jetzt bei dem einen Thiere den Sympathicus, so vermindern wir die gesammten Widerstände und unter der Triebkraft des normal hohen Blutdrucks strömt mehr Blut ein, die Gefässe werden verbreitert. Bei dem Thiere, welches wir Amylnitrit einathmen lassen, vermindern wir, behaupte ich, ganz ebenso die Widerstände wie vorher, aber es wird auch die Trieb- kraft. vermindert, denn der Druck sinkt z.B. von 150 auf unter 30%” He., und da ist es mehr als begreiflich, dass weniger Blut einfliesst als im vorigen Falle. Hieraus geht hervor, dass die von Pick beobachtete Thatsache jedenfalls eintreten muss und also auch dann, wenn das Amyl- nitrit central lähmt, folglich kann sie nichts gegen die centrale Wirkung beweisen und folglich ist die directe Lähmung der Gefässmuseulatur auch durch den angeführten Pick’schen Versuch nicht bewiesen. Somit liest überhaupt kein stichhaltiger Beweis für die periphere Wirkung vor und ich kann daher die Parteinahme des Rossbach’schen wie des Binz’schen Buches zu Gunsten der peripheren Wirkung nicht für richtig halten; der einzige annähernd stichhaltige Versuch ist der von mir mit Benutzung eines künstlichen vasomotorischen Centrums an- gestellte, welcher für die centrale Wirkung spricht. Auch dieser hat aber einem übermässig skeptischen Kritiker gegenüber eine schwache Stelle, — es könnte, wie oben erörtert ist, der unerhörte Fall vorliegen, | | f 396 WILHELM FILEHNE: dass die physiologische Erregung Nerv oder Muskelfaser oder beide nicht zu durchdringen vermag, während die normal starke Erregung, sobald sie an einer Stelle des Nervenstammes faradisch erzeugt ist, nun- mehr in normaler Weise die Nervenfaser und die glatte Muskelfaser | durcheilt. Ich glaube, dass wir uns nur im allerhöchsten Nothfalle, d. h. wenn zwingende Beweissründe uns dazu treiben, zu einer solchen Annahme entschliessen dürfen; da aber, wie ich gezeigt habe, keine einzige Beobachtung vorliest, welche gegen eine centrale Wirkung spricht, so glaube ich auch heute noch, dass durch meinen Versuch die centrale Wirkung als genügend erwiesen angesehen werden muss. Trotzdem muss aber die Methode zur Entscheidung derartiger Fragen soweit vervollkommnet werden, dass derartige schwache Punkte in der Deutung der Experimente nicht vorhanden sind. Zwei, wenn ich mich so ausdrücken darf, klinische Gesichtspunkte möchte ich erst noch geltend machen, bevor ich die absolut entschei- | denden Untersuchungsmethoden bespreche. Pick beschreibt, und ich kann dies bestätigen, dass am Menschen sehr häufig die Amylnitrit-Röthe auf der Brust in Form unregelmässiger getrennten Flecken auftrete und dass die Haut der Beine sich nicht röthet, während Gesicht, Hals und Brust stark geröthet sind. Wenn man dieses sich plötzlich bei einem Menschen entwickeln sieht, von dem man weiss, dass sein Blut gleichmässig mit einem Gifte geschwängert ist, so kann man vom klinischen Standpunkte nicht verstehen, warum sich nicht alle Arterien gleichmässig verhalten. Warum ist innerhalb des rothen Flecken die Arterie durch das giftige Blut (direct) gelähmt, während dicht daneben ausserhalb des Fleckens die Arterien vom gleichen Blute noch ungeschädigt durchströmt werden? Warum sind die Arterien des Kopfes so empfindlich gegen das gleiche giftige Blut, während die Hautarterien der unteren Extremitäten so wenig darauf reagiren? Für das centrale Nervensystem lassen wir uns eine feinere Differenzirung‘ in der Empfindlichkeit der einzelnen Apparate gern gefallen, denn dafür haben wir zahllose Analogien; aber für ein so niedriges Gewebe, wie die glatten Muskelfasern es sind, oder allgemein gesast, für die kleinen Arterien derartige Unterschiede der Empfindlichkeit je nach der Oertlich- keit anzunehmen, will mir bedenklich erscheinen, und doch müsste zur Erklärung der Amylnitritröthe eine derartige Hypothese schlechterdings aufgestellt werden, wenn die centrale Wirkung geleugnet wird. Der andere Gesichtspunkt ist folgender: Wie von mir zuerst erwiesen | und von Mayer bestätigt, von Pick zugegeben ist, beruht die Puls- | beschleunigung, die gleichzeitig mit der Röthe auftritt, auf einer Auf- | hebung des Tonus im Vaguscentrum. Ist es nicht für eine klinische | h DIE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 397 Auffassungsweise äusserst plausibel, dass die gleichzeitige Arterien- erschlaffung die Folge einer Aufhebung des Tonus des dem Vagus- centrum anatomisch und functionell so benachbarten vasomotorischen Centrums und der diesem subordinirten vasomotorischen im Rückenmarke oder sonst wo gelegenen Ganglienzellen ist? Wie viel unwahrschein- licher, ja wie unglaublich ist es, dass die ebenso schnell und plötzlich und gleichzeitig mit der Lähmung des Vaguscentrums auftretende und mit ihr wieder schwindende Arterienerschlaffung auf einer directen Läh- mung der Musculatur beruhe! Doch gehen wir jetzt über zur Besprechung derjenigen Methode, welche zur Entscheidung derartiger Fragen meiner Meinung nach voll- ständig und anstandslos geeignet ist. Zwei Grundversuche fordere ich, wenn zweifellos die Sache ent- schieden sein soll: Erster Versuch: Eine normale Arterie wird dauernd von unver- siftetem Blute durchströmt oder statisch erfüllt, während das vasomoto- rische Centrum zuerst mit unvergifteten, dann mit vergiftetem Blute ge- speist wird. Zeigt dieser Versuch, dass die Weite der von unvergiftetem Blute durchströmten oder statisch gefüllten Arterie ungeändert bleibt, gleich- viel ob das Centrum vergiftet wird oder nicht, so ist bewiesen, dass die in Frage stehende sonst zu beobachtende Gefässerweiterung peripherisch bedinst ist. Erweitert sich dagegen bei Vergiftung des Centrums die Arterie, trotzdem sie von unvergiftetem Blute durchströmt wird, so liest zweifellos eine centrale Wirkung vor. Zweiter Versuch: Das vasomotorische Öentrum wird unvergiftet erhalten, während durch die zu beobachtende Arterie zuerst unvergiftetes, später vergifteter Blut unter gleichen Bedingungen fliesst. Die Deutung einer etwaigen Veränderung oder des Unverändertbleibens der Arterien- weite liest auf der Hand. Gegen die Methode, welche ich vorschlage, kann, wie ich glaube, kaum ein Bedenken erhoben werden. Die Fragstellung ist klar, die Deutung des erhaltenen Resultats ist zweifellos. Die Verwirklichung dieser Vorschläge bot, um zunächst auf den ersten Grundversuch näher einzugehen, grössere Schwierigkeiten als man erwarten sollte, und ich bin weit entfernt zu glauben, dass ich unter den Verfahren, welche ich einschlug, bereits das geeignetste gefunden habe. Hoffentlich wird mein Vorschlag auch bei anderen Untersuchern eine eingehendere Berücksich- tigung erfahren, so dass ein allgemein brauchbares Verfahren angegeben werden kann. Immerhin habe ich doch schon jetzt einige wenige un- zweideutige Versuche. 398 WILHELM FILEHNE: Um den Anforderungen des ersten Grundversuches zu genügen, habe ich an Kaninchen das Gefässgebiet eines Ohres künstlich mit (un- vergiftet bleibendem) defibrinirtem auf 38°C. erwärmten Kaninchenblute durchströmt und dann das Thier Amylnitrit einathmen lassen. Zweierlei Verfahren befolgte ich. In der einen Versuchsreihe wurde die blut- zuführende Canüle in die Arteria centralis des Ohres eingeführt; in der zweiten Reihe wurde das Blut in die Öarotis communis getrieben, nachdem ich vorher mich versichert hatte, dass ohne künstliche Durch- strömung nach Abklemmung der Carotis communis kein Blut durch Collateralen in die Ohrgefässe gelangen konnte. Hierbei war es, wo es es sich zeigte, dass man meistens noch den rückläufigen aus dem Schädel durch die Carotis interna kommenden Blutstrom absperren müsse, um die Ohrgefässe nach Unterbindung der Carotis communis blutfrei zu haben; häufig musste noch die Carotis communis der anderen Seite oder auch noch die Subelavia incl. Vertebralis derselben Seite unterbunden werden. In beiden Versuchsreihen entstanden mehrere Uebelstände. Zunächst waren meistens bei der Durchströmung schon vor der Gift- zufuhr zum Centrum (vor der Inhalation) die Ohrarterien völlig (durch den Eingriff selbst) gelähmt, so dass die Thiere für unseren Zweck natürlich unbrauchbar waren. Bei der Durchströmung von der Carotis aus gelang es ferner oft nicht, die Ohrgefässe zu füllen. Doch habe ich aus der ersten Reihe einen ziemlich gut gelungenen und aus der zwei- ten Reihe einen tadellosen und zwei ziemlich gut gelungene Versuche, in welchen die Ohrgefässe, obwohl sie von unvergiftetem Blute durch- strömt wurden, sich dennoch schnell erweiterten, sobald das Thier das Gift eingeathmet hatte, sobald also das Gift zum vasomotorischen Üen- trum (nicht aber zu den Gefässen selber) gelangte, — was für die cen- trale Wirkung spricht. Dann richtete ich noch Experimente ein, bei denen die ÖOhrgefässe statisch gefüllt waren und diese Versuche gingen besser. Zu dem Zwecke zog ich unter Vermeidung des Nerven zu beiden Seiten der Central- arterie des Ohres Fäden hindurch, welche ich theils mit, theils ohne Korkunterlage nach beiden Seiten hin zusammenschnürte, so dass das ganze Ohr exel. Nerv und Üentralarterie abgebunden war. Alsbald ent- wickelte sich eine starke Stauung (die schon nach drei Stunden zu blu- tiger Gewebsinfiltralion aber ohne Hämorrhagien führte). Nach 20 Min. bis 1 Stunde brachte ich das (tracheotomirte) Thier in ein kaltes Zim- mer (0°), und hier contrahirte sich die ÖCentralarterie vollständig, wäh- rend die Venen und Capillaren überfüllt blieben. Da die Arterie wegen der Kälte constant contrahirt blieb und ein Abfluss nicht statthatte, so war in der Arterie nach etwa einer Stunde offenbar keine nennenswerthe DIE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 399 Cireulation mehr und die Arterie enthielt unvergiftetes Blut und bekam bei der späteren Vergiftung gar kein oder doch sehr viel weniger Gift als die Arterie der nicht operirten Seite. Nichtsdestoweniger dilatirten sich die Arterien der beiden Seiten in demselben Augenblicke nach Amylnitriteinathmung und das blieb auch dann so, wenn ich so geringe Spuren von Amylnitrit einathmen liess, dass 20 Athemzüge nöthig waren, um die Wirkung eintreten zu lassen. — Dieser Versuch gelang jedesmal. Wir wenden uns jetzt zur Besprechung des zweiten Grundversuches. Wenn der erste Grundversuch mit irgend einem bestimmten Gifte ein positives Resultat gegeben hat, wie in unserem Falle, so ist die Aus- führung des zweiten eigentlich nicht mehr nothwendig. Der erste Ver- such hätte entschieden, dass eine centrale Wirkung vorliegt, der zweite kann jetzt nur noch entscheiden, ob neben der centralen auch noch eine periphere Wirkung existirt. Bei einer Wirkung, welche so schnell und so plötzlich auftritt und so schnell vorübergeht, hat es keinen Sinn zn erwarten, dass die flüchtige Röthe sowohl auf einer centralen Lähmung, als auch auf einer directen peripheren Wirkung beruhen könne, um so weniger darf dies erwartet werden, als die vorliegenden Thatsachen (mein Experiment mit dem künstlichen vasomotorischen Centrum) zu der An- nahme gezwungen haben, dass wenn wirklich eine Muskelwirkung noch besteht, sie jene sonderbare Eigenthümlichkeit haben müsste, dass die durch den physiologischen Reiz verursachte Erregung des Nerven, in der Muskelfaser ankommend, diese gelähmt findet, während die ausgeprobte eben so starke Erregung die Muskelfaser normal antwortend vorfindet, sobald jene Erregung von einer elektrisch gereizten, centraler gelegenen Stelle des Nerven herkommt. Niehtsdestoweniger wünschte ich den zweiten Grundversuch (Ohr- arterie von vergiftetem, Centrum von unvergiftetem Blute gespeist) aus- zuführen. Ich lasse unerwähnt die Schwierigkeiten, welche sich dar- bieten, sobald man künstliche Durchströmung zur Ausführung dieses zweiten Grundversuches anwenden will. Indessen war der zweite Grundversuch praktisch vollständig aus- führbar, sobald man auf die Durchströmung des Centrums mit normalem Blute verzichtete und nur dafür sorgte, dass das Centrum wesentlich später das vergiftete Blut erhielt, als die Ohrarterien. Dieses war erreichbar unter geeigneter Modification eines weiter unten genauer zu würdigenden, von Mayer und Friedrich zur Entscheidung einer ande- ten Frage angewendeten Verfahrens, nämlich zur Entscheidung, ob ge- wisse am Rumpfe zur Beobachtung kommende Erscheinungen (Puls- beschleunisung, Krämpfe) cerebralen Ursprunges seien oder nicht. Die ‚beiden Autoren klemmten zu diesem Zwecke vorübergehend (auf etwa 400 WILHELM FILEHNE: \/, Minute) sämmtliehe von der Aorta zum Kopfe führenden Arterien ab und liessen während dessen das Amylnitrit einathmen. Da jene Er- scheinungen am Rumpfe in dieser Zeit sich nicht zeigten, sondern erst, als dem Blute der Zufluss zum Hirn gestattet wurde, so schlossen sie auf cerebralen Ursprung derselben. Ohne Weiteres liess sich dies Ver- fahren für unser Bedürfniss nicht verwerthen, denn da wir die Ohr- gefässe beobachten wollten, so durften wir die ganze Blutzufuhr zum Kopfe nicht absperren. Auf folgende Weise liess sich jedoch das Ver- fahren für uns brauchbar machen. Und gerade das Resultat des jetzt zu beschreibenden Versuchs dürfte das überzeugendste sein, überzeugender als alle bisher mitgetheilten, besonders da er nie versagt und sich zur Demonstration eignet. Einem tracheotomirten Kaninchen werden beide Carotides internae unterbunden. Die Ohren zeigen eine ziemlich ge- ringe Blutfülle. Die Arteria centralis, an einer bestimmten Stelle mit- | tels einer gläsernen, in halbe Millimeter eingetheilten Scala gemessen, hat eine Breite von !/,”®. Auf Einathmung von Amylnitritdämpfen während der Dauer von 4 Athemzügen zeigt sich nach Ablauf von S Secunden die Blutüberfüllung des Ohres, wobei die Arteria centralis an der betreffenden Stelle eine Breite von 1”” annimmt, Nachdem die Wirkung vorüber ist, werden die beiden Subclaviae, welche schon vor- her freigelegt waren, an ihren Ursprüngen (dicht an dem Arcus aortae, resp. am Truncus anonymus) abgeklemmt. Unter Zunahme der Athmung sieht man nach 30 Secunden eine deutliche Zunahme der Blutfüllung an den Ohren auftreten, wobei die Arteria centralis an der erwähnten Stelle sich von '/, bis auf !/,*” verbreitert. Sobald die Klemmung be- seitigt wird, nimmt sofort die Blutanfüllung der Ohren ab und ist nach 10 Secunden zur Norm zurückgekehrt. Nachdem sich das Thier hiervon erholt hat, wird der eigentliche Versuch angestellt: Die Subelaviae werden abgeklemmt und sofort mit der Inhalation des Mittels begonnen. Obwohl das Thier stärker athmet als in der Norm und obwohl es während der ganzen Klemmungszeit in- halirt, also mindestens 8 Mal so viel Gift erhält, als im ersten Ver- suche, so zeigt sich doch in den ersten 25 Secunden noch keine Zu- nahme der Blutfülle in den Ohren; jetzt wird die Inhalation unter- brochen; nach Ablauf von weiteren 5 Secunden beginnt, wie im vorher- gehenden Falle, eine mässige dyspnoische Erweiterung (Verbreiterung jener | Stelle bis zu '/,"®), sofort beseitige ich die Klemmung und diese | mässige Erweiterung geht zurück; die gemessene Stelle hat wieder nur | noch 1/,”®. Aber nach Ablauf von ferneren 8 Secunden tritt | an den Ohren die Blutüberfüllung ein, jene Stelle erweitert sich | wieder bis zu 1", | | F: | Die WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 401 Diese drei Versuche [1) Amylnitrit ohne Klemmung, 2) Klemmung ohne Amylnitrit, 3) Klemmung und Amylnitrit] wurden an demselben Thiere in gleichen Zeitintervallen und in verschiedener Reihenfolge wiederholt, um die Möglichkeit auszuschliessen, dass das Thier durch die vorhergehenden Eingriffe modifieirt sei. Der Erfolg war stets der gleiche. Dieser Versuch zeigt, dass an einem Thiere, welches sonst nach 8 Secunden an den Ohren die Amylnitritwirkung zeigt, noch nach 25 Secunden frei von derselben ist, sobald das selbst stärker vergiftete Blut zwar in die Ohrgefässe, nicht aber in’s Centrum gelangen kann; die durch die Hirnanämie schliesslich bedingte geringere Blutanhäufung seht, ganz wie im unvergifteten Zustande, in den nächsten Secunden nach Aufhebung der Klemmung zurück und dann erst und wiederum nach 8 Secunden der Einwirkung des vergifteten Blutes auf das Cen- trum erscheint die Gefässwirkung. Damit ist aber die centrale Wirkung, wie mir scheint, bewiesen. Etwas weniger einwandfrei gegenüber einer allzustarken Skepsis ist folgender Versuch: An einem Kaninchen wird die Blutzufuhr zur Me- dulla oblongata abgesperrt und sobald der (graphisch verzeichnete) Blut- druck zu steigen beginnt, wird Amylnitrit eingeathmet: der Druck sinkt nicht; sobald aber (binnen 30 Secunden) die Klemmung der Hirnarterien aufgehoben wird, fällt der Blutdruck auf die für Amylnitrit charakteristische geringe Höhe und bleibt andauernd auf diesem nie- ‚drisen Stande, während an nicht vergifteten Thieren der nach Aufhebung der Hirnarterienklemmung sich zeigende Druckabfall ein kurz vorüber- gehender ist. Wird in einem zweiten Versuche die Inhalation vor- genommen, bevor der Druck in Folge der (durch Gefässklemmung herbei- geführten) Hirnanämie ansteigt, so sieht man zuerst ein geringes Sinken des Druckes, dann kommt aber eben so zeitig wie bei unver- Sifteten Thieren das Steigen, welches (innerhalb gewisser Grenzen) so ' lange anhält, bis man die Klemmung freigiebt, alsdann, d. h. eirca 8 Secunden später, tritt das bedeutende Sinken des Druckes ein. Wir ‚ von unserem Standpunkte müssen in dem anfänglichen geringen Sinken des Druckes den Einfluss des Mittels auf das vor der Giftzufuhr nicht geschützte Rückenmark erkennen; das tiefe Absinken des Druckes tritt aber erst ein, wenn das Gift zur Medulla oblongata gelangen kann. N Gegen ein naheliegendes Bedenken bemerke ich, dass ich durch Control- versuche und Abwechselung der Reihenfolge der Versuche an demselben Thiere mich vor dem Fehler bewahrt habe, die mechanische Ver- engerung des Strombettes durch die Klemmung als Innervationserschei- , Nung aufzufassen u. s. w. Archiv f. A. u. Ph, 1879, Physiol. Abthlg. 26 402 WILHELM FILEHNE: Obwohl wir oben wohl genügend beweisend gezeigt haben, dass die Frage nach dem Angrifisort des Amylnitrits zu Gunsten einer Muskel- wirkung durch Blutdruckversuche schlechterdings nicht entschieden werden kann, so habe ich zur Bestärkung dieser Anschauung Blutdruck- versuche nach Elimirung des Rückenmarks, d. h. nach völliger Befreiung des Gefässapparates von allen centralen Einflüssen einzurichten erstrebt; ich ging dabei von der Voraussetzung aus, dass, wenn alle centralen Einflüsse eliminirt sind, die Arterien sämmtlich erschlafft sein müssen und dass dann die Höhe des Blutdruckes nur noch von der Herzarbeit abhängig sei, wenn nicht etwa jene hypothetischen in oder an den Ge- fässen gelegenen Centren einen irgendwie nennenswerthen Tonus ver- anlassten. Letzteres war zwar nicht sehr wahrscheinlich in Anbetracht dessen, dass nach Durchschneidung vasomotorischer Nerven die von diesen versorgten Gefässe anscheinend gar keinen Tonus mehr zeigen. Indess könnte hier eingewendet werden, dass diese ihres cerebralen und spinalen Tonus beraubten Gefässe doch noch einen nennenswerthen von peripheren: Centren veranlassten Tonus haben, welcher nur dadurch verdeckt werde, dass der normale, hohe Blutdruck diesen Tonus zu überwinden im Stande sei. Auch auf diese Frage — ob die hypothetischen Centren der Körper- peripherie einen nennenswerthen Tonus zu unterhalten im Stande sind, — konnte die Antwort erhalten werden durch Blutdruckversuche mit eli- minirtem Centralnervensystem. Dass die Exeision oder Zerstörung des Rückenmarks bei Säuge- thieren eine schliesslich tödtliche Verletzung ist, geht implieite aus meh- reren Aeusserungen in der Literatur, deren ich mich gerade erinnere, deutlich hervor. Indess besann ich mich nicht darauf, wo etwa näheres über die Zeit zwischen Verletzung und Eintritt des Todes angegeben worden ist (Legallois), und über die verschiedenen Arten, die vasomo- torische Thätigkeit des Säugethier-Rückenmarks zu eliminiren. Und auf | die ziemlich grosse Gefahr hin, dass ich bereits Publieirtes namentlich | aus der älteren Literatur übersehen habe, seien hier die Resultate meiner | Versuche mitgetheilt. | Im Anfange verfuhr ich folgendermaassen: Bei Kaninchen oder Hun- ' den wurde die Halswirbelsäule eröffnet, das Halsmark durchsehnitten und | hierauf mit einem passenden Stabe das Rückenmark zermalmt. Dabei ' ist es nöthig, sich davor zu hüten, nicht zwischen Dura und Wirbelsäule zu gerathen, denn sonst bleibt selbst bei verhältnissmässig ziemlich diekem Stabe das Rückenmark mehr oder weniger unzerstört. War das Rücken- | mark zerstört, so wurde das Thier, an welchem alles vorbereitet war, | mit dem Kymographion in Verbindung gesetzt. Aber schon in den wenigen Secunden, die hierzu erforderlich waren, war der Druck auf Null | DIE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 403 gesunken, das Herz schlug noch, das Thier machte einige tiefe allmählich immer seltener und flacher werdende Respirationen und so starb es, ohne dass eine Amylnitrit-Inhalation hätte gemacht werden können. Die Zer- malmung des Rückenmarks ist ja nun freilich mehr als eine blosse Eliminirung. Deshalb versuchte ich diese letztere auf andere Weise zu erreichen. Bei einem grossen, kräftigen Kaninchen wurde das Halsmark durchschnitten und die ganze Wirbelsäule in der Länge der Medulla spinalis eröffnet. Hierauf wurde dem Thiere eine Erholungszeit von circa zwei Stunden gelassen. Nachdem sich dann Herz und Arterien- spannung als in genügend gutem Zustande befindlich gezeigt hatten, wurde zur Durchschneidung der vorderen Wurzeln geschritten. Sobald diese Procedur vorüber war, starb auch dies Thier wiederum im Laufe von etwa einer Minute und unter den beschriebenen Erscheinungen. Während der letzten Herzschläge und Athemzüge floss aus der eröffneten Carotis-Canüle kein Blut aus. — Der gleiche ungünstige Ausgang zeigte sich bei Exeision des Rückenmarks. Diese Versuche scheinen mir zu beweisen, 1. dass das Rückenmark der Säugethiere ein automatischer vasomo- torischer Centralapparat ist; 2. dass Herzarbeit plus Thätiskeit der etwaigen unter physiologischen Verhältnissen sich befindenden (hypothetischen) Peripheriecentren nicht ausreicht, um einen nennenswerthen Blutdruck zu erzeugen, sobald sich das Thier unter den angegebenen Bedingungen (Operation, Blutverlust u. s. w.) befindet. Im Anschluss an diese Versuche behaupte ich: würde es gelingen, das Centralnervensystem auf weniger eingreifende Weise zu eliminiren, so würde sich der Blutdruck so niedrig stellen, wie er bei stärkster Amylnitritwirkung ist. Dass das Ausserfunctiontreten der vasomotorischen Centra eine directe Wirkung und keine von der Lunge her reflectirte (wofür die Analogie gefehlt hätte) ist, geht daraus hervor, dass sie auch nach Vagus- durchschneidung auftritt, was zuerst Schüller erwähnt (und nicht, wie Rossbach angiebt, Mayer und Friedrich). Dass sie nicht von einer Depressivwirkung herrührt, also nicht etwa durch eine Reizung der Herzinnenfläche durch das amylnitrithaltige Blut bedingt ist, habe ich zuerst hervorgehoben (wonach die Rossbach’sche Angabe ebenfalls zu corrigiren ist). 26* 404 WILHELM FILEHNE: Oben habe ich bereits Versuche erwähnt, welche mir dafür zu sprechen scheinen, dass der vasodilatatorische Nervenapparat bei der Amylnitritwirkung nicht betheiligt sei. Ueber den Verlauf der vasodilatatorischen Fasern am Kopfe finde ich nichts angegeben. Nur für die hintere Extremität sehe ich von Stricker ermittelt, dass die dilatatorischen Fasern in den hinteren Wurzeln des 4. und 5. Lumbalnerven zu treffen sind. Da aber gerade die hinteren Extremitäten anscheinend gar nicht bei der Amylnitritwirkung betheilist sind, so schien es sich kaum der Mühe zu verlohnen, an diesen von Stricker gefundenen Dilatatoren der Hundepfote zu experimentiren. In Ermangelung von etwas Besseren machte ich trotzdem einige Vorversuche an den Hinterextremitäten intacter Hunde und fand dann öfters, nament- lich bei kalter Zimmerluft (unter 13° C.), dass nach Amylnitrit-Inhalation die Temperatur der beiden Hinterpfoten (im Zwischenzehenraume gemessen) um 1—4 Grade stieg (z. B. von 155° auf 18-3). Zuweilen, namentlich bei wärmerer Zimmerluft, fiel im Gegentheil die Temperatur um 1° und. mehr. Während die Fälle mit sinkender Temperatur aus der nachlassen- den Triebkraft und der (bei Hunden übrigens sehr geringen) Abnahme der Innentemperatur erklärt werden können, ohne dass die Gefässe der Hinterpfote selber sich zu ändern brauchen, lässt das zuweilen beobachtete Steigen der Temperatur trotz der eben angeführten in entgegengesetzter | Richtung wirkenden Einflüsse wohl kaum eine andere Auffassung zu, als dass auch die Arterien der Hinterpfote an der Erschlaffung, wenn auch in nur geringem Maasse, theilnehmen. Wenn dieser Vorgang der Erschlaffung auf einer Dilatatorenwirkung beruhte, so stand zu erwarten, dass der Gang der Temperaturen an den beiden Pfoten ein verschiedener werden würde, sobald auf der einen Seite die Dilatatoren durchschnitten wären. Dem entsprechend eröffnete ich bei einem Hunde den Wirbel- canal in der Höhe des 3.—5. Lendenwirbels und zwar so, dass ich nur die linke Hälfte der Wirbelbögen abtrug. Hierauf wurden die linken 4. und 5. hinteren Lumbalwurzeln von der Medulla abgetrennt und beide zusammen über zwei Elektroden gelegt und faradisch mit mittelstarken Strömen gereizt. Die Temperatur der Pfote stieg von 20° auf 25° C. (während die Pfote der rechten Seite keine Aenderung zeigte). Nachdem später die Temperatur wieder (auf 21-5°) gesunken war, erhielt das Thier Amylnitrit zu athmen und die Temperatur beider Hinterpfoten ging ganz gleichmässig um einen Grad herunter. In den nächsten Tagen wurde dieser Inhalationsversuch an demselben Thiere mehrmals wieder holt. Wenn die Temperatur der normalen Pfote unter Einwirkung des Mittels stieg, so geschah das gleiche auch auf der operirten Seite. Und so oft die Temperatur der gesunden Seite sank, war dies auch auf der ' Die WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 405 operirten Seite der Fall. Dies Parallelgehen spricht dafür, dass die Vasodilatatoren nicht bei der Amylnitritwirkung betheiligt sind. Indess haben diese Versuche wegen der wenn auch auf beiden Seiten gleichen, aber doch in den verschiedenen Prüfungen ungleich- sinnisen Temperaturveränderungen etwas an sich, was sie nicht recht überzeugend erscheinen lässt. Es musste daher wünschenswerth sein, analoge Versuche an der oberen Körperhälfte und zwar womöglich am Kopfe, an den Ohren des Kaninchen anzustellen. Schon wollte ich mich auf die Suche nach dem Verlaufe der vaso- dilatatorischen Fasern des Kaninchenohrs begeben. Indess zeigte eine genauere Ueberlegung, dass dieser Excurs auf das rein physiologische Gebiet vermieden werden kann, ohne dass wir auf die Lösung unserer Frage verzichten. In meinem öfter erwähnten älteren Versuche mit Reizung des peri- pherischen Hals-Sympathicus der einen Seite blieb auf Amylnitriteinath- mung die Erweiterung der Öhrgefässe dieser Seite aus. Wären wir sicher, dass in jenem Sympathicus nur Vasoconstrictoren und keine Vaso- dilatatoren enthalten sind, so wäre unsere Frage beantwortet; denn ob- wohl alle Dilatatoren intact geblieben wären, so blieb doch die Dilatation aus, als die Vasoconstrietoren ihre normale Erregung beibehielten. Dann wäre das Nichtbetheilistsein der Dilatatoren bewiesen. Es fragte sich nur, wie man im concreten Falle den Nachweis führen kann, ob im Sympathicus Dilatatoren enthalten sind oder nicht. Dass die Reizung des Sympathicus Contraction und nicht Erweiterung der Gefässe ver- ursachte, bewies nur, dass die Constrietoren, sei es in der Wirkung, sei es in der Zahl, überwiegen, nicht aber, dass keine Dilatatoren vor- handen sind. Die Probe wurde folgendermaassen angestellt: Der durchschnittene Sympathicus der einen Seite wurde faradisch mit ausgeprobter Strom- stärke gereizt und unterdessen die Trachealcanüle verschlossen; nach etwa 40 Secunden trat ganz gleichmässig auf beiden Ohren die bekannte Cyanose mit Gefässerweiterung ein. Aus den bekannten Untersuchungen Heidenhain’s (Ostrumoff) wissen wir, dass diese neben Blutdrucks- erhöhung bez. allgemeiner Gefässcontraction auftretende Gefässerwei- terung der Körperoberfläche von einer dyspnoischen Erregung des vaso- dilatatorischen Apparates abhängt. Da dieser Vorgang in unserem Falle auf beiden Seiten sowohl der Zeit als der Intensität nach ganz gleich- mässig auftrat, so waren im Sympathicus der einen Seite offenbar keine oder jedenfalls so gut wie keine Dilatatoren durchschnitten worden. Nachdem die Trachealcanüle wieder geöffnet war und das Thier sich 406 WILHELM FILEHNE: wieder ganz erholt hatte, wurde der Sympathicus in gleicher Weise gereizt und Amylnitrit eingeathmet — und hierbei erweiterten sich die Ohrgefässe nicht. Hieraus scheint hervorzugehen, dass das Mittel die Dilatatoren nicht erregt. Die Beschleunigung des Herzschlages durch Amylnitrit. Die erwähnte Pulsbeschleunigung wurde zuerst von mir experimentell auf eine Aufhebung des Tonus im Vaguscentrum zurückgeführt.! Pick, der Verfechter der peripherischen vasomotorischen Wirkung, erkannte die centrale Vaguswirkung des Mittels als durch mich bewiesen an. Hierbei beging er eine Inconsequenz. Für ihn durfte meine Beweis- führung nicht genügen. Denn jene centrale Vaguswirkung war von mir nach derselben Methode erwiesen worden, wie die centrale vaso-. motorische Wirkung. War jene erwiesen, so war es auch diese. Auch die Lähmung des Vaguscentrums hatte ich dadurch ermittelt, dass ich dieses Centrum ausschaltete und statt dessen ein unveränderliches künst- liches (elektrisches) Centrum einführte, dessen Wirksamkeit ich so aus- probirt hatte, dass es genau dasselbe leistete wie das normale Vagus- centrum, d. h. dass die Pulszahl die normale war. Wurde jetzt Amylnitrit eingeathmet, so änderte sich die Pulszahl nicht. Hieraus schloss ich, dass sowohl der periphere Vagus als die übrigen auf das Herz wirkenden Factoren durch das Mittel nicht beeinflusst würden und bezog die sonst zu beobachtende Pulsbeschleunigung auf die Aufhebung der Thätigkeit des Vaguscentrums. Aber auch hier blieb als letzter Einwand die Mög- lichkeit, dass die Vagusperipherie zwar normal erregbar geblieben sei, wenn die ihr zufliessende Erregung elektrisch veranlasst ist, dass sie dagegen unerregbar sei, sobald dieselbe Erregung dem physiologischen Reize ihre Entstehung verdankt. Ich gebe zu, dass auch hier dieser Einwand kein glücklicher, sondern ein sehr gewaltsamer ist, aber er musste gemacht werden, sobald die centrale vasomotorische Wirkung geleugnet wurde. Inzwischen ist auch dieser letzte Zweifel durch einen vortrefflichen Versuch von S. Mayer und Friedrich beseitigt worden. Diese Forscher klemmten die vier Hirnarterien zu und liessen darauf sofort Amylnitrit einathmen. Obgleich jetzt das mit dem Mittel im- prägnirte Blut zur Vagusperipherie gelangte, blieb die Pulsbeschleunigung 1 Mit Unrecht schreibt dies Th. Husemann (Archiw f. exp. Path. u. Pharm. Bd. VI, S. 439 und 443) Mayer und Friedrich zu. Die WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 407 aus, sie trat aber sofort ein, sobald man durch Aufhebung der Arterien- klemmung das Blut zum Hirn strömen liess. Dieser Versuch erledigt auch eine Frage, auf welche dieselben beiden Autoren zuerst aufmerksam machten. Diese Frage lautet: ist die durch das Mittel bedingte Aufhebung des Vaguseentrumtonus eine directe oder eine reflectorische, von den Ausbreitungen des Lungenvagus her ver- anlasste? Da in dem erwähnten Versuche die Pulsbeschleunigung aus- blieb, trotzdem das Mittel mit der Lunge in die gewöhnliche Berührung trat und erst sich zeigte, als das Blut zum Hirn strömen konnte, so ist diese Frage in dem Sinne entschieden, dass die Erscheinung nicht reflectorischer Natur ist. Indessen ist hier ein Punkt noch zu erörtern, der von den Autoren, mich mit eingeschlossen, bisher übersehen ist. Wir wissen, dass am intacten Thiere jede Steigerung des Blut- drucks (z. B. durch Compression der Aorta) eine Pulsverlangsamung bedinst und dass Blutverlust eine Beschleunigung veranlasst.” Und zwar beruhen diese Aenderungen des Pulsschlages auf Aenderungen des Tonus im Vaguscentrum. Es wäre daran zu denken, ob nicht vielleicht der Nachlass des Tonus im Vaguscentrum, welcher bei Amylnitritein- einwirkung neben der Blutdrucksenkung sich zeigt, nur die indirecte Folge der Wirkung des Mittels und direct durch die Blutdrucksenkung veranlasst sei. Diese Möglichkeit ist um so mehr in’s Auge zu fassen, da, wie Mayer und Friedrich zuerst angegeben haben, die Druck- senkung etwas früher beginnt als die Pulsbeschleunigung — eine Be- obachtung, die ich bestätigen kann. Man könnte hier vielleicht einwenden, dass jene Abnahme des Vagustonus bei Drucksenkung ohne Gift nur die Folge einer Verminderung des Reizes und nicht die einer Verminderung der Erregbarkeit sei, und dass ja Mayer und Friedrich gezeigt haben, dass während der Einwirkung des Mittels die Erregbarkeit des Vaguscentrums z. B. gegen Reflex, Venöswerden des Arterienblutes, ver- mindert sei. Indess ist, soviel ich weiss, nicht bewiesen, dass das Vagus- centrum im Zustande des Reizmangels (bei erniedrigtem Blutdrucke, ohne Gift und bei intactem Thiere) gegen jene Reflexe u. s. w. normal erregbar ist, so wahrscheinlich dies auch sein mag. Wollte man die oben von uns aufgestellte Frage zu Gunsten einer specifischen Lähmung des Vaguscentrums entscheiden, so wäre erst die soeben geäusserte Vor- frage zu erledigen. Experimentell leichter zugänglich ist die directe Prüfung des Gegen- 1 Die Pulsverlangsamung, welche neben Drucksenkung nach Halsmark- durchschneidung vorkommt und deren Ursache bekanntlich unbekannt ist, kommt hier nicht in Betracht, da wir hier nur die Vorgänge an intacten Thieren im Auge häben. 408 WILHELM FILEHNE: standes, wenn die Frage folgendermaassen formulirt wird: Würde das Amylnitrit auch dann ein Aufhören des Vagustonus (Pulsbeschleunigung) liefern, wenn die Blutdrucksenkung nicht zu Stande käme? Oder auch: Ist während der Amylnitritwirkung durch Steigerung des Druckes (even- tuell bis,zur oder über die normale Höhe hinaus) eine Verlangsamung des Pulsschlages herbeizuführen ? Um diese beiden Fragen zu entscheiden, wurde folgender Versuch angestellt. Ein Kaninchen, tracheotomirt am Kymographion; schwache Amyl- nitritvergiftung; sobald die Blutdruckscurve sinkt, wird die Aorta durch die Bauchdecken hindurch dicht unterhalb des Diaphragma comprimirt; in Folge hiervon steigt die Curve bis auf die normale Höhe. Zu meiner Verwunderung nahm die Frequenz der Herzschläge sogar bis etwas unter die Norm ab. Ich glaubte, obgleich dies zu meinen son- stigen Erfahrungen über die Wirkung unseres Mittels nicht gestimmt hätte, dass die Vergiftung zu der Zeit der Pulsverlangsamung bereits | verschwunden war. Deshalb wiederholte ich den Versuch und liess das Thier so lange die Amylnitritdämpfe einathmen, bis Krämpfe auftraten. Wiederum war bei Compression der Aorta dieselbe Pulsverlanssamung beobachten und zwar trat bei Nachlass der Compression unter Sinken des Drucks die Pulsbeschleunigung wieder auf. Die Pulsverlangsamung kam etwas später als das Steigen des Drucks, die Pulsbeschleunigung etwas später als das Sinken. Wenn ich dann den Versuch in der Weise fortsetzte, dass ich das Thier Minuten lang die Dämpfe einathmen liess und unterdessen abwechselnd durch Aortencompression den Druck stei- gerte und durch Nachlass zum Sinken brachte, so war stets dort, wo die Druckeurve niedrig war, die für Amylnitrit charakteristische Beschleu- nigung, und auf der Höhe der Curve die Verlangsamung. Bei einiger- maassen starker Vergiftung liess sich der Druck durch Aortencompression nicht mehr weit über und später kaum noch bis zur normalen Höhe treiben. Da trotzdem eine Pulsverlangsamung bis zur oder doch bis fast zur Norm zu erzielen war, so muss für eine unbefangene Beurtheilung das Vaguscentrum als durchaus vom Gifte nicht gelähmt gelten, und die am Normalthiere nach Amylnitriteinwirkung auftretende Pulsbeschleu- nigung wäre darauf zurückzuführen, dass in Folge der Blutdrucksenkung (und nicht direct durch das Gift) der Tonus im Vaguscentrum erlischt. Doch auch hier könnte ein übermässig skeptischer Sinn mit einem Einwand kommen, der besser im Voraus beseitigt wird. Es könnte jemandem denkbar erscheinen, dass die Vagusperipherie durch den steigenden Druck erregt wurde, während das Vaguscentrum doch, wie ich früher bewiesen zu haben glaubte, von dem Gifte gelähmt Dre WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 409 sein könnte. Hiergegen liesse sich mit Erfolg auf Grund unserer phy- siologischen Kenntnisse deductiv ankämpfen, trotz Tschirjew, welcher neuerdings entgegen der grossen Zahl der Ergebnisse anderer Forscher bei Drucksteigerung auch nach Eliminirung des Vaguscentrums ein Seltnerwerden des Herzschlages fand; denn mit solcher absolut sicheren Regelmässigkeit und Proportionalität wie in dem Amylnitritversuche ist die Abhängigkeit der Pulsfrequenz vom Drucke bei wirklich eliminirtem Vaguscentrum nie zu demonstriren. Indess viel überzeugender ist der besprochene Einwand durch ein einfaches Experiment zu widerlegen. Man durchschneide dem Thiere beide Vagi, und jene regelmässige Abhängigkeit der Pulsfrequenz vom Blutdrucke ist verschwunden, obwohl die Vagusperipherie den Einwir- kungen der Druckveränderung ausgesetzt bleibt. Sonach scheint mir nichts anders übrig zu bleiben, als zu erklären, dass das Erlöschen des Tonus im Vaguscentrum von der Blutdruck- senkung abhängig ist und dass die Erregbarkeit des Vaguscentrums in den geschilderten Stadien durch das Gift nicht tangirt werde. - Steht hierzu aber nicht in directem Widerspruche die Thatsache, dass die Erregbarkeit des Vaguscentrums sich während der Amylnitrit- wirkung vermindert zeigt gegen Reflex von der Nasenschleimhaut und gegen den Erstickungsreiz? Wie wir schon oben sagten, ist noch gar nicht bekannt, ob das unvergiftete normale Centrum gegen diese Reize nicht auch minder erregbar als in der Norm wäre, sobald der Blutdruck ebenso erniedrigt würde wie während der Amylnitritwirkung. Uebrigens ist, wie auch Mayer und Friedrich angeben, die Erreg- barkeit gegen Reflexe von der Nasenschleimhaut und gegen den dyspnoischen Reiz selbst bei ziemlich starker Vergiftung keineswegs ganz aufgehoben. Ja ich war bei Wiederholung dieser Versuche überrascht, wie wenig in dieser Beziehung das Vaguscentrum von seiner Erregbarkeit eingebüsst hat. Und selbst bei so starker Vergiftung, dass heftige Krämpfe auf- traten, blieben jene Reize nicht erfolglos; allerdings musste namentlich der reflectorische Reiz ein ziemlich energischer sein. Für letztere Prü- _ fung empfiehlt es sich, die von Gad! angegebene T-förmige Tracheal- canüle anzuwenden. Das Thier athmet zuerst mit Abschluss des Nasen* Kehlkopf-Weges direct aus der Canüle die Amylnitritdämpfe ein; darauf _ wird die Canüle so geschlossen, dass das Thier durch die Nase athmen muss und dann bläst man ihm eine dichte Tabaksrauchwolke vor die ' Nase. Die in’s Herz vorher schon eingestochene Acupuncturnadel zeigt ‚ bedeutende Pulsverlangsamung oder gar einen bis zu mehreren Secunden ‚ dauernden Herzstillstand selbst bei sehr starker Vergiftung. 1 Verhandl. d. physiol. Gesellsch. zu Berlin. 1878/19. 8. 33. 410 WILHELM FILERNE: Um nun zu sehen, ob sich bezüglich der nöthigen Reizstärke das amylnitritvergiftete Vaguscentrum im wesentlichen anders verhält als sich ein normales Centrum bei gleich niedrigem Blutdrucke verhalten würde, wurden Parallelversuche angestellt mit Erstickung und Nasenschleimhautreizung einerseits bei amylnitritvergifteten Thieren, andererseits bei solchen, welchen gleichzeitig durch einen grossen arte- riellen Aderlass der Blutdruck schnell erniedrigt wurde. Es zeigte sich, dass die Thiere in beiden Fällen sich durchaus gleich verhielten. Selbst dann noch reagirten die vergifteten Thiere wie die unvergifteten, wenn das Gift reichlicher zugeführt wurde als nöthig ist, um die Pulsbeschleunigung zu veranlassen. Hieraus folgt, dass der Nach- lass des Vagustonus, welcher eben diese Pulsbeschleunigung verursacht, zu einer Zeit erfolgt, da das Vaguscentrum noch normale Erregbarkeit ' besitzt, d. h. dieselbe Erregbarkeit wie ein normales Vaguscentrum bei | gleich niedrigem Blutdrucke.! Da aber bei höherem Blutdrucke die Reaction des Vaguscentrums prompter und bei geringeren Reizen eintritt, so geht. hieraus hervor, dass auch das normale Centrum bei äusserst erniedrigtem Blutdrucke weniger leicht durch Reflexe und dyspnoischen Reiz in Erregung versetzt wird, als wenn es durch den mechanischen Reiz des normalen oder doch eines nennenswerthen Blutdrucks sich be- reits in Erregung befindet. Die soeben vorgetragene Anschauung, dass eine maximale Erregung des Vaguscentrums nur möglich sein dürfte, wenn dasselbe bereits durch den mechanischen Reiz eines gewissen Blutdrucks in Erregung gebracht ist, lässt eine Beobachtung $. Mayer’s’, welche zu bestätigen ich mehr- fach Gelegenheit hatte, in einem neuen Lichte erscheinen, und zwar ist diese Beobachtung sogar ganz besonders geeignet, als Stütze für unsere Anschauung zu dienen. Die Worte Mayer’s bei jener Gelegenheit: „Es ist mir bis jetzt nicht gelungen, einen befriedigenden Einblick in den Mechanismus zu gewinnen, durch den in den geschilderten Versuchen das zu erwartende Resultat — Pulsverlangsamung durch Vagusreizung — nicht in ausgeprägter Weise zum Vorschein kommt,“ müssen es als erfreulich erscheinen lassen, wenn wir für jene alsbald zu besprechende Erscheinung ein theoretisches Verständniss anbahnen können. Wie näm- lich Mayer beobachtete, bleibt bei Kaninchen, denen man sämmtliche Hirnarterien abklemmt, die charakteristische dyspnoische Pulsverlang- 1 Dass bei äusserst starker Vergiftung neben den Erscheinungen einer sich entwickelnden allgemeinen Hirnlähmung auch das Vaguscentrum an der speci- fischen, direeten Lähmung betheiligt wird, darf natürlich nicht für die Genese der pulsbeschleunigenden Wirkung kleiner Dosen verwerthet werden. 2 Prager med. Wochenschr. 1877, Nr. 25—28. DIE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 411 samung aus, während alle übrigen dyspnoischen Erscheinungen aufs deutlichste ausgeprägt sind. Auch hier ist also der Reiz des unter- brochenen Gasaustausches nicht im Stande, das Vaguscentrum zu erregen. Aber im Gegensatze zu allen übrigen dyspnoischen Zuständen ist hier der Druck in den Arterien des Hirns in Folge der Compression auf Null herabgesetzt und so erklärt sich vom Standpunkte der vorgetragenen Anschauung aus diese Thatsache mit Leichtigkeit. Wie Hr. Sattler hier bei einer Discussion über diesen Punkt sehr zutrefiend bemerkte, wird die mechanische Reizung des Vagus- centrums ceteris paribus um so grösser sein, je voluminöser die Hirn- arterien sind, je stärker ihre Füllung ist. Hiermit stimmt ganz überein, dass, wie ich fand, die Pulsfreqguenz bei einem Thiere in der Norm etwas grösser ist, als wenn während der Amylnitritwirkung der Druck durch Aortencompression auf die normale Höhe gebracht wird. Offenbar drücken hier bei gleicher Blutdruckhöhe die durch das Mittel erweiterten Arterien stärker auf das Vaguscentrum als die tonisch contrahirten, also engeren Arterien es in der Norm thun. Die Veränderung der Athmung und die Krämpfe. Die Dyspnoe und die Krämpfe, welche Kaninchen auf Einathmung sehr geringer Mengen unseres Mittel zeigen, sind offenbar unter einem Gesichtspunkt abzuhandeln. Was die Vertiefung und Beschleunigung der Athmung betrifft, so habe zunächst ich (wonach die Rossbach’sche Angabe zu corrigiren ist) gezeigt, dass sie keine durch den Vagus vermittelte Reflexerscheinung ist, da sie auch nach Vagusdurchschneidung entsteht; und dass sie auch nach Abtragung des Grosshirns zu Stande kommt, also von dort aus nicht veranlasst sein kann. Mayer und Friedrich bewiesen, dass die Krämpfe vom Rückenmark und von der peripherischen moto- rischen Sphäre nicht ausgingen, sondern von den Krampfcentren des Hirns, denn bei Compression der Hirnarterien und gleichzeitiger Inha- lation des Mittels blieben die Krämpfe aus, traten aber sofort ein, sobald die Gefässcompression aufgehoben wurde. Bezüglich der Ursache der Reizung des Athemcentrums hatte ich die Vermuthung ausgesprochen, dass sie ausschliesslich in der plötzlichen Drucksenkung und in der veränderten Bluteireulation zu. suchen sei. Diese Zurückführung ist in ihrer Ausschliesslichkeit nicht aufrecht zu erhalten, seitdem Mayer und Friedrich gezeigt haben, dass ebenso 412 WILHELM. FILEHNE: starke, durch Depressorreizung veranlasste Drucksenkungen keine so starke Reizung des Athemcentrums bedingen, wie sie sich nach Amyl- nitrit-Inhalation zeigt. Daher ist nur ein Theil der Reizung auf die Drucksenkung zu beziehen. Dass aber die Drucksenkung in der That ihr Theil zur Entstehung der Dyspnoe und der Krämpfe beiträgt, geht aus folgendem Versuche hervor. Wenn bei einem am Kymographion befindlichen Kaninchen durch Amylnitrit starke Dyspnoe und Krämpfe erzeugt sind, so gelingt es (in den früheren Stadien, bez. bei nicht zu starker Vergiftung) durch Com- pression der Aorta (wobei der Druck in der Carotis steigt) sowohl die Dyspnoe zu mildern, als auch die Krämpfe gänzlich zu beseitigen. Sobald man mit der Compression nachlässt, kehren auch, ohne dass neues Gift eingeführt wird, in demselben Maasse, als der Blutdruck sinkt, die Krämpfe und die stärkere Dyspnoe in der früheren Gestalt wieder. Es kann also kein Zweifel darüber sein, dass die Blutdruckernie- drigung das Auftreten von Dyspnoe und Krämpfen wesentlich begünstigt. | Mayer und Friedrich glauben sowohl für das Athmunsscentrum als für die Krampfcentren eine directe Reizung durch Amylnitrit annehmen zu sollen. Diese Annahme scheint mir an und für sich oder doch so ohne weiteres nicht zulässig zu sein. Einer Substanz, welche am Kaltblüter nur lähmend auf das Centralnervensystem wirkt, wird man ohne die allerzwingendsten Gründe,eine erregende Wirkung auf Abschnitte des Oentralnervensystem der Warmblüter zunächst nicht zu- trauen. Mit der grössten Wahrscheinlichkeit sind von vornherein sowohl die Dyspnoe als die Krämpfe als secundäre Erscheinungen zu deuten. An die Möglichkeit dieses Zusammenhanges dachten auch Mayer und Friedrich und erinnerten sich der Angabe (Wood), dass eine Ver- änderung der Blutfarbe unter Amylnitriteinwirkung auftrete; aber sie weisen den Gedanken, dass die in Rede stehenden Erscheinungen nur von einer dyspnoischen Blutbeschaffenheit abzuleiten seien, entschieden zurück, denn „dann müssten wir auch am Circulationsapparate die be- kannten dyspnoischen Erscheinungen wahrnehmen. Als solche aber sind bekannt Pulsverlangsamung durch centrale Vagusreizung und Druck- steigerung durch Erregung des centralen Centrums für die Vasomotion.“ Dieser Anschaung schliesst sich auch Rossbach’s Handbuch an. Wie mir scheint, kann man diese Betrachtungsweise wohl nicht gelten lassen. Gewiss sind ja am Ende auch Dyspnoe und Erstickungskrämpfe sehr charakteristische Symptome der dyspnoischen Beschaffenheit des Blutes. Trotzdem wäre es durchaus unrichtig, zu behaupten, dass die an cura- | resirten Thieren bei Athmungssuspension auftretende Pulsverlangsamung und Drucksteigerung keine dyspnoischen Erscheinungen seien, weil da- Die WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 413 neben keine Dyspnoe und keine Krämpfe aufträten. Man wird mir einwenden: es verstehe sich von selbst, dass ein Thier, dessen motorischer Apparat gelähmt ist, nicht Muskelbewegungen der Athmung und Krämpfe zeige. Ebenso versteht es sich aber auch von selbst, dass ein Thier, dessen vasomotorischer . Apparat (gleichviel ob peripher oder nicht) und dessen Vaguscentrum (gleichviel wie) gelähmt sind, keine Blutdrucks- steiserung und keine Pulsverlangsamung zeigt, trotz dyspnoischer Be- schaffenheit des Blutes. Es können selbstverständlich nur diejenigen Apparate in Action treten, die noch actionsfähig sind. Dass diese Be- trachtungsweise richtig ist, beweist das Verhalten des Druckes und der Pulsfrequenz stark vergifteter Thiere bei der Erstickung. Denn obwohl hier zu dem langsamer und schwächer wirkenden Reize des durch Amyl- nitriteinwirkung irgendwie (ich behaupte: dyspnoisch) reizenden Blutes sich noch der maximale Reiz einer schnellen und vollständigen Erstickung hinzuaddirt, so sehen wir doch auch hier die normale Reaction nicht, sondern nur ein abgeschwächtes Bild derselben. Lassen wir an einem amylnitritvergifteten Thiere diesen maximalen Reiz nicht einwirken, so kann und muss die lähmende Wirkung des Mittels überwiegen über den ‚Reiz des etwa- dyspnoischen Blutes. Dann aber kann das Ausbleiben der Erregung gerade jener beiden Apparate nicht beweisen, dass das _ Blut nicht dyspnoisch ist; und es können andere nicht gelähmte Centren in Folge dieser Blutbeschaffenheit erregt werden. Ä Der Umstand, dass in den früheren Stadien, wie ich oben erwähnte, . die Krämpfe und die Dyspnoe gemildert bez. aufgehoben werden durch | künstliche Steigerung des Blutdrucks mittels Aortencompression, wobei doch die Blut-, also auch die Giftzufuhr zum Hirn zunehmen, spricht ‚ laut gegen die directe Erregung der resp. Centren. | Inzwischen ist der Zusammenhang der in Rede stehenden Erschei- ' mungen meiner Meinung nach ganz klar geworden durch eine Unter- suchung von Jolyet und Regnard. Zwar bringt Rossbach die Resul- ‚ tate dieser Untersuchung, verwerthet sie indess für die Theorie der ' Wirkung nicht, welche, wie er ausspricht, noch nicht zu geben ist; er | stellt sich vielmehr trotz dieser Resultate auf den Standpunkt Mayer’s. | Jolyet und Regnard fanden, dass ein Hund, welcher „avait subi ‚ les inhalations de nitrite d’amyle & peu pres dans les conditions adoptees | pour les malades que l’on y soumet“ (und Hunde reagiren gegen das \ Mittel noch nicht so empfindlich in Bezug auf Dyspnoe und Krämpfe ' wie Kaninchen) trotz der verstärkten Athmung 1!/, weniger Sauerstoft ) aufnahm, als vorher in der Norm, und dass sein Arterienblut nur die ‚ Hälfte des normalen Sauerstoffgehalts besass. Bei stärkerer, länger fort- gesetzter Inhalation wurden diese Unterschiede noch grösser. Eine Ver- 414 WILHELM FILEHNE: vollständigung bez. in gewissem Sinne eine Bestätigung dieser Befunde ist in neuester Zeit durch eine unter Hoppe-Seyler’s Leitung aus- geführte Arbeit von P. Giacosa geliefert worden, aus welcher hervor- geht, dass sich innerhalb der rothen Blutkörper unter dem Einflusse des Amylnitrits Methämoglobin bildet, welches erst vom Organismus durch einen Reductionsprocess in Hämoglobin zurückverwandelt werden muss. Durch die Untersuchung Jolyet’s und Regnard’s ist die dyspnoische Beschaffenheit des Blutes bewiesen und da wir gezeigt haben, dass das Ausbleiben der Drucksteigerung und der Pulsverlangsamung nichts da- gegen beweisen kann, dass die Athmungssteigerung und die Krämpfe von der dyspnoischen Blutbeschaffenheit abzuleiten sind, so halten wir auch diesen Punkt der Amylnitritwirkung für völlig aufgeklärt. Das Amylnitrit wirkt nicht direet erregend auf das Athmungscentrum und die „Krampfcentren“, sondern verleiht dem Blute eine dyspnoische Be- schaffenheit, welche zusammen mit der Senkung des Blutdrucks zu Dyspnoe und Krämpfen führt. Die später folgende Abnahme der Ath- mung und das Aufhören der Krämpfe bei schwerster Vergiftung sind eines Theiles auf die specifische, direct lähmende Wirkung des Mittels zu beziehen, anderen Theils natürlich auch auf die Erschöpfung der vor- her übermässig (aber seeundär) gereizten Centralapparate. Versuch einer einheitlichen Theorie der Amylnitritwirkung. Von dem gewonnenen Standpunkte aus gestaltet sich die Theorie ı der Amylnitritwirkung trotz der Mannichfaltigkeit der Erscheinungen äusserst einfach und diese Eigenschaft möchte vielleicht eine ihrer besten Stützen sein: Das Amylnitrit hat erstens eine lähmende Einwirkung auf Apparate des Centralnervensystems und zwar ist besonders empfindlich der centrale Vasomotionsapparat; bei stärkerer und längerer Einwirkung wird später das gesammte Öentralnervensystem und das Herz gelähmt; und zweitens‘ hat das Amylnitrit eine eigenthümliche Wirkung auf den Blutfarbstof, wobei ein Theil desselben vorübergehend für den Blutgaswechsel un- brauchbar gemacht wird; hieraus resultirt eine dyspnoische Beschaffen- ) heit des Blutes. Aus der lähmenden Einwirkung auf die vasomotorischen Centren (insbesondere auf das «a7 2£oyyv sogenannte Centrum) erklärt sich’ direct: Erröthen und Blutdrucksenkung; in Folge der Drucksenkung tritt | | | | | DIE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. 415 auf: Nachlass des Tonus im Vaguscentrum und dadurch bedingte Zu- nahme der Pulsfrequenz. Aus der dyspnoischen Beschaffenheit des Blutes (welche hierin von der Blutdrucksenkung und der durch diese gesetzte Circulationsstörung unterstützt wird) erklärt sich das Auftreten von Beschleunigung und Vertiefung der Athmung und von (Erstickungs-)Krämpfen. Nachdem im Vorstehenden das Herzklopfen, welches das Amylnitrit- Erröthen begleitet (oder streng genommen: etwas später auftritt als letzteres), nicht als specifische Wirkung des Amylnitrits auf das Vagus- centrum, sondern als eine indirecte Folge des Mittels und als directe Folge der Blutdrucksenkung erwiesen worden ist, wird es ganz unge- zwungen erscheinen, das Herzklopfen, welches gewisse mit Blutdruck- senkung bez. mit Erröthen verbundene psychische Vorgänge begleitet, ebenfalls darauf zurückzuführen, dass in Folge der Blutdrucksenkung die Erregung des Vaguscentrums aufhört oder nachlässt. In einer früheren Arbeit habe ich bereits versucht, die Vorgänge der Amylnitritwirkung mit denen des Beschämtseins in eine ausgeführtere Analogie zu setzen, als dies von Ch. Darwin geschehen war und ich äusserte mich bei dieser Gelegenheit folgendermaassen: „es scheint ferner im Hirn eine ganz besonders enge Verknüpfung zwischen dem Vaguscentrum und demjenigen Abschnitte des vasomotorischen Centralapparates zu bestehen, welcher die Gefässe des Kopfes beherrscht, so dass die gleiche Ursache, welche den Tonus des ersteren aufhebt, auch mit Leichtigkeit die Thä- tigkeit des letzteren sperrt.“ So schwierig der Beweis und die nähere Erforschung einer derartigen Verknüpfung der beiden Öentren von vorn- herein hätte erscheinen können, so überraschend einfach und leicht hat sich der Zusammenhang der beiden Erscheinungen — Erröthen und Herzklopfen — ermitteln lassen. Und die Durchsichtigkeit dieses Zu- sammenhanges wird es jetzt manchem weniger gewagt als bisher erschei- nen lassen, wenn ich, meinen früheren Standpunkt festhaltend, die am Cireulationsapparate zu beobachtenden Vorgänge des Beschämtseins für identisch halte mit denen der Amylnitritwirkung. Da ferner jede schnelle Blutdrucksenkung eine Vermehrung der Athmungsarbeit veranlasst, und da ein Theil der bei Amylnitritwirkung zu beobachtenden Athmungs- steigerung, wie wir nachgewiesen haben, von der Drucksenkung herrührt, s0 wird die Analogie zwischen der Amylnitritwirkung und den Vor- oängen bei dem Beschämtsein auch für die Athmung aufrechterhalten werden können. 416 WILHELM FILEHNE: DIE WIRKUNGEN DES AMYLNITRITS. Literatur. Wegen der Literatur bis 1874 verweise ich auf die Monographie R. Pick’s Ueber das Amylnitrit u.s. w., 2. Aufl., Berlin 1876, sowie auf meine frühere Arbeit: Pflüger’s Archiv u.s. w. Bd. IX, S. 470 und auf die neueren Arbeiten folgender Autoren: E S. Mayer und J.J. Friedrich, Archiv für nn Pathologie und Prarmad | kologie. Bd. V, 8. 55. g R. Pick, Deutsches Archiv f. klinische Mediein. Bd. XVII, 8. 127. Jolyet et Regnard, Gazette medicale de Paris 1876, p. 340. Bourneville, ibidem p. 150, 196 (mit vollständiger Unkenntniss der deutschen } | Literatur). P. Giacosa, Zeitschrift für physiologische Chemie. Bd. III, S. 54. N Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen. Von Dr. Emil Grunmach in Berlin. Aus dem physiologischen Institute zu Berlin. Es ist bekannt, dass die von Erasistratus! zuerst gemachte Beob- achtung, wonach der Pulsschlag in den dem Herzen näher gelegenen Schlagadern um ein kleines Zeittheilchen früher als in den peripherischen wahrgenommen werde, erst im Jahre 1734 von Josias Weitbrecht? bestätigt wurde. Dagegen behauptete Albrecht v. Haller,’ dass er nur bei schon ermatteten Thieren jene Beobachtung constatiren konnte. In ein neues Stadium gelangte die Kenntniss von der Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Pulswellen erst durch E. H. Weber,‘ der die Er- scheinung der Pulsverspätung in den vom Centrum nach der Peripherie hin gelegenen Schlagadern nach physikalischen Gesetzen erklärte und zugleich den Versuch machte, die Zeitdifferenz zwischen den Pulsen zweier verschiedener Arterien möglichst genau zu bestimmen. Zu diesem Zweck betastete er mit jeder Hand einen der zu untersuchenden Pulse und be- obachtete gleichzeitig die Schläge der Uhr. Beim Vergleich der Pulse der Art. maxillaris externa und axillaris fand er keinen Zeitunterschied. Dagegen vermochte er als Zeitintervall zwischen dem Pulse der Art. maxillaris externa und dem der Art. dorsalis pedis den sechsten oder 1 Galen, An in arterüs sanguis. c. 2. — Synopsis de puls. c. 22. 2 Comment. acad. scient. Petropol. T. VII. 3 Hlementa physiologiae ete. Tom. II. 4 De pulsu, resorptione, auditu et tactu. Lipsiae 1834. — Bericht über die Verhandl. d. Königl. Sächs. Gesellsch. d. Wiss. zu Leipzig, math.-phys. Klasse. 1850. ‚ Bd. I, S. 164. — Dies Archiv. 1852. 8. 497. Archiv f. A, u. Ph. 1379. Physiol. Abthleg. 27T 418 EMIL GRUNMACH: siebenten Theil einer Secunde festzustellen. Bedenkt man aber, wie äusserst schwierig es für die Palpation ist, so kleine Zeitdifferenzen mit Hülfe zweier verschiedener Hände zu bestimmen und noch dazu die Schläge der Uhr zu verfolgen, so wird man kaum zweifeln, dass Weber’s Me- thode nur zu einer approximativen Schätzung der Verspätungsintervalle führen konnte. Um den Einfluss zu studiren, den die Tension der Flüssigkeit in elastischen Röhren auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle ausübe, bestimmte Weber!an einer Röhre von vulkanisirtem Kautschuk die Pulsgeschwindiskeit bei niedrigem und hohem Drucke. Seine Ver- suche führten zu dem Ergebniss, dass Abnahme der Pulsgeschwindigkeit bei Zunahme des Druckes einträte. Dagegen konnte Donders! bei ver- schiedenem Drucke an derselben Röhre einen Unterschied der Fortpflan- zungsgeschwindigkeit der Pulswelle nicht nachweisen, änderte aber später | seine Ansicht, da Rive,? der unter seiner Leitung arbeitete, zu Resul- taten kam, die ganz im Sinne Weber’s ausfielen. Marey’s! Versuche ergaben jedoch, dass mit der Spannungszunahme der Röhre auch die Pulsgeschwindigkeit zunähme, ein Resultat, dass auch Weber erhielt, wenn er statt der Kautschukröhre sich eines Darmstücks bediente. In Bezug auf den Durchmesser der elastischen Röhre sprach Donders die Ansicht aus, dass derselbe keinen Einfluss auf die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Pulswelle habe, dagegen behaupteten Weber und Marey das striete Gegentheil. Ueber den Einfluss der Elastieitätscoöfficienten der Köhrenwand auf die Pulsgeschwindigkeit waren die Ansichten der Experimentatoren ziemlich übereinstimmend. So führten die Versuche von Donders zu dem Ergebniss, dass die Pulsgeschwindigkeit um so kleiner, je grösser der Elastieitätscoöffieient wäre. Da aber Donders unter dem letzteren nicht das Gewicht verstand, welches nothwendig ist, einen Körper von der Quadrateinheit als Durchschnitt zum Doppelten seiner primitiven Länge auszudehnen, sondern den reciproken Werth dieser Grösse, so meinte also Donders, dass die Pulsgeschwindigkeit mit der Zunahme der Rigidität der Röhrenwand wachse. Valentin® kam auf Grund seiner Versuche zu dem Schlusse, dass sich die .Fort- | pflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle wie die Quadratwurzel aus dem Rlastieitätseoöfficienten der Röhrenwand verhalte. Ein ähnliches Resultat ergaben auch die Experimente von Marey, der ausserdem noch nach- 1 Bericht der Sächs. Gesellsch. d. Wissensch. 1850. 2 Physiologie des Menschen. 1859. 8. 59. 3 De Sphygmograaf en de sphygmogr. cwrve. 1866. Blz. 55—58. 4 Physiologie medicale de la eirculation dw sang. Paris 1863. 5 Versuch einer physiol. Pathologie des Herzens und der blutgefässe. 1866. | | | | | | | N | y ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 419 wies, dass Zunahme der Wanddicke der Röhre auch Zunahme der Ge- schwindigkeit der Pulswelle involvire, dass dagegen Zunahme des speci- fischen Gewichts der Flüssigkeit mit Abnahme der Pulsgeschwindigkeit einhergehe. Nach den Versuchen von Onimus und Viry! soll die letztere in umgekehrtem Verhältniss zur Dehnbarkeit der Gefässwand, ferner zum Gewicht, zur Tension und Stromgeschwindiekeit des Blutes stehen. Wenn Vierordt? in seinem Werke über den Arterienpuls keine selbständigen Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Puls- welle mittheilte, so wies er doch auf die Wichtigkeit einer genauen Be- stimmung der Pulsverspätung für die Pathologie hin und empfahl zu diesem Zweck die exacten chronoskopischen Hülfsmittel. Buisson? be- diente sich zwar zweier Sphygmographen bei seinen Versuchen, seine Resultate sind jedoch als mangelhaft zu betrachten, weil sie mit un- sicheren zeitmessenden Apparaten gewonnen wurden. Czermak* war der erste, welcher in exacter Weise am gesunden Menschen das Zeitintervall zwischen den Pulsen zweier verschiedenen Arterien bestimmte. Von den drei zu diesem Zwecke benutzten Metho- den, der mit dem Pulsspiegel, der elektrischen und sphygmographischen, möchte ich nur auf die letzte besonderes Gewicht legen, weil Czermak mit Hülfe derselben zu wichtigen Resultaten gelangte. Das Verfahren, dessen er sich bediente, bestand einfach darin, dass er zwei Marey’sche Sphygmographen an die beiden zu untersuchenden Arterien applicirte und auf die Täfelchen der Apparate über oder unter die Pulscurven noch regelmässige Zeitabschnitte markiren liess. Durch Vergleich beider Täfelchen konnte er mit Leichtigkeit bestimmte Werthe für die Puls- verspätung erlangen. Landois’° Versuche über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen bezogen sich auch nur auf den gesunden Menschen. Er bediente sich zu diesem Zwecke dreier an einer senkrecht stehenden Platte über einander befestigter Elektromagnete, von denen jeder durch ein Daniell’sches Element erregt wurde. In die Kette des obersten Elektromagnetes, welcher zum Markiren der Zeiteurve diente, war ein Mälzel’scher Metronom, in jede Kette der beiden anderen Magnete ein Marey’scher Sphygmograph eingeschaltet. Die Einschaltung der letz- teren wurde der Art bewerkstelligt, dass jeder Schreibhebel einen feinen 1 Journal d’ Anatomie. 1866. 2 Die Lehre vom Arterienpnls in gesunden und kranken Zuständen. Braun- schweig 1855. 3 Meissner’s Jahresber. f. 1861. 8. 430. 4 Mittheilungen aus dem physiol. Privatlaboratorium in Prag. 5 Die Lehre vom Arterienpuls. 27 * 420 EMIL GRUNMACH: Kupferdraht trug, der durch Eintauchen in ein Quecksilbernäpfchen die Kette schloss. Nach Application der Sphygmographen an die zu unter- suchenden Arterien wurden entsprechend der Pulsbewegung von den Schreibspitzen der betrefienden Anker auf die Kymographiontrommel unter die Zeiteurve Marken notirt, deren Abstände leicht berechnet werden konnten. Um ferner die Zeitdifferenz zwischen dem ersten und zweiten Herzton zu bestimmen, auscultirte Landois mit dem Stethoskop die Versuchsperson und schloss mit der Hand beim Beginn des. ersten Herztons die Kette des einen Elektromagnetes durch Eintauchen eines Drahtes in ein Quecksilbernäpfchen, während er beim Beginn des zweiten Tones den Draht wieder aus dem Näpfchen heraushob. Auf ähnliche Weise wurde das Zeitintervall zwischen den Herztönen und dem Pulse der Art. radialis und dorsalis pedis bestimmt. Wie leicht jedoch diese freie Markirung der Herztöne zu fehlerhaften Resultaten führen konnte, gab Landois selber zu, abgesehen davon, dass die Dauer zwischen dem ersten und zweiten Herztone selbst bei ruhisem Pulse ziemlich starken Schwankungen zu unterliegen pflegt. Mit Rücksicht auf die günstige Empfehlung, welche ÖOzermak und Landois der elektrischen Methode angedeihen liessen, begann auch ich meine Versuche mit Hülfe dieser Methode. Zu diesem Zwecke benutzte ich vier Lufttrommeln meines Polygraphen, von denen je zwei die Puls- bewegung an den zu untersuchenden Gefässstellen aufnehmen, je zwei, mit einem Schreibhebel versehen, die Pulsbewegung verzeichnen sollten. Die zwei Lufttrommeln verbindende Glas- und Gummiröhre wurde voll- kommen gleich gemacht, und jede Trommel mit einer möglichst gleich gespannten Membran versehen. Der an dem kurzen Arm des Schreib- hebels befindliche Contact war zugleich mit einem schreibenden Elektro- magnet in die Kette eines Daniell’schen Elementes eingeschlossen, und die Contactschraube so eingestellt, dass beim Beginn des Pulses die Kette geöffnet, beim Ende desselben geschlossen wurde. Als chronosko- pisches Hülfsmittel diente mir eine elektromagnetische Stimmgabel, die hundert Mal in der Secunde einen schreibenden Elektromasnet unter- brach. Mit jeder Pulsbewegung wurden die Schreibhebel des Polygra- phen in Bewegung gesetzt, zugleich damit verzeichneten die senkrecht über einander gestellten Schreibspitzen der drei Elektromagnete auf das feinberusste Papier der Kymographiontrommel Marken, aus deren Ab- ständen mit Hülfe der verzeichneten Stimmgabelschwingungen die Puls- verspätung leicht bestimmt werden konnte. Anfangs schienen die am gesunden Menschen angestellten Versuche ganz gut von Statten zu gehen; aber nach genauer Ausmessung der Markenabstände stellten sich nur zu bald Differenzen heraus, die Zweifel ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 421 an der Güte der Methode aufsteigen lassen mussten. Während z. B. die Zeitintervalle zwischen den Pulsen zweier gleichnamiger Arterien eine Zeit lang gleich Null ausfielen, zeigten sich bei grösster Ruhe der Ver- suchsperson und genauer Berücksichtigung aller nothwendisen Cautelen ab und zu Differenzen der Pulsverspätung, die erst nach veränderter Stellung der Contactschrauben wieder schwanden. Welche Stellung ich auch immer denselben geben mochte, nach längerer oder kürzerer Zeit trat unerwartet derselbe Fehler ein. Es zeigte sich hier derselbe Uebel- stand, der bei der Demonstration des Sphygmophons in der Berliner medicinischen Gesellschaft! von mir ausführlich besprochen wurde. Daher verliess ich nach kurzer Zeit die elektrische Methode und bediente mich bei den folgenden Versuchen der sphygmographischen. Nach Aufhebung der erwähnten Contacte wurden an den Enden der Schreibhebel feine Glasfedern befestigt, die den Vorzug hatten, sowohl einen leicht federnden Druck auf das berusste Papier auszuüben, als auch vermöge ihrer abgerundeten Spitzen sich mit möglichst geringer Reibung über die Russschicht fortzubewegen. Mit einer ähnlichen Feder wurde auch der zur Stimmgabel gehörige, schreibende Elektromagnet versehen, so dass alle drei Federn unter möglichst gleichen Widerständen ihre Ex- ‚eursionen verzeichneten. Bekam man bei der vorhergehenden Versuchs- ‚anordnung nur die Anfangs- und Endpunkte der zu vergleichenden Cur- ven zu sehen, so erhielt man jetzt die vollständigen Curven verzeichnet und konnte dieselben noch anderweitig diagnostisch verwerthen. Meisten- theils wurde der schnellste Gang der Kymographiontrommel (1% in 0-13 Sec.) benutzt, um weniger zahlreiche, aber prägnante Pulsbilder zu erhalten. Ferner hielt ich bei. jeder Versuchsperson den Modus inne, vor der Untersuchung ungleichnamiger Arterien zunächst die Puls- geschwindiskeit an den beiden gleichnamigen zu prüfen. Endlich wurden, um die Leistungsfähigkeit der correspondirenden Lufttrommeln zu er- proben, dieselben an den zu untersuchenden Gefässstellen vertauscht und nur bei gleicher Functionsfähigkeit der Trommeln die Versuche ange- stellt. Auch die Stimmgabel erfuhr zu wiederholten Malen im Verlaufe der Versuche eine Prüfung auf ihre Schwingungszahl. Bevor ich jedoch näher auf die Details meiner Versuche beim Men- schen eingehe, sei zunächst einer Methode Erwähnung gethan, die sich mir zum Studium der Pulsgeschwindigkeit beim Hunde sehr nützlich erwiesen hat. Diese Methode beruht auf der combinirten Anwendung der Cardio- und Plethysmographie. Dass ich beim Hunde nicht die beim Menschen erprobte Methode anwandte, hatte seinen Grund darin, dass I Sitzung vom 18. December 1878. „Ueber die Anwendung des Sphygmophons und des verbesserten Polygraphen.“ Berliner klinische Wochenschrift. 1879. Nr. T. 422 EMIL GRUNMACH: erstens die der Art. pediaea des Menschen entsprechende Schlagader zur Erlangung ausgeprägter Pulscurven zu kleine Dimensionen hatte, ferner wegen der Verschiebbarkeit der Haut die Application der Pelotte eine zu unsichere war. Von der Benutzung der Art. carotis und cruralis nahm ich deshalb Abstand, weil eine möglichst lange Gefässhahn zu den Versuchen verwerthet werden sollte. Der für die Hundepfote bestimmte Plethysmograph besteht im Wesent- lichen aus einem Glasgefäss, einer mit diesem communicirenden Glasröhre und einer Lufttrommel des Polygraphen. Die Pulsationen werden von Wasser auf Luft und schliesslich auf die Membran der Trommel über- tragen, an welcher der Schreibhebel befestigt ist. Das Glasgefäss, dessen Länge 16° und dessen lichter Durchmesser 5!/, ® beträgt, ist mit zwei verschieden weiten Oefinungen versehen. An der weiteren, durch welche die Pfote eingeführt wird, befindet sich eine Gummimanchette, deren äusseres Ende über den Rand des Gefässes festgebunden ist, während das innere Ende, der Innenwand des Gefässes fest anliegend, einen zarten Gummibeutel trägt, der den Zweck hat, einen möglichst dichten Ver- schluss zwischen dem im Gefässe befindlichen Wasser und der Haut der Hundepfote herzustellen. Der genaue Verschluss zwischen der letzteren und dem Glasgefässe wird durch einen °/,°” dicken Gummistopfen be- werkstelligt, der nach einem Gypsabguss der Hinterpfote des Normal- hundes geformt, für die betreffenden Theile so genau passt, dass ein schädlicher Einfluss auf die Bluteireulation nicht zu befürchten ist. Zur Sicherung des Verschlusses befindet sich an dem Rande des Gefässes noch ein Blechkranz, der zur Befestigung von Schnüren dient, die mit dem Gummistopfen fest verbunden sind. Wenn auch der Stopfen eigent- lich nur für den Normalhund bestimmt war, so fand er doch noch ander- weitige Verwendung, da nur solche Hunde zu den Versuchen gewählt wählt wurden, deren Hinterpfotenumfang ungefähr der inneren Lichtung des Gummistopfens entsprach; das Fehlende wurde durch einen Heft- pflasterstreifen ausgeglichen. Der Normalhund war durch wiederholte Uebungen so dressirt, dass er unnarkotisirt stundenlang ruhig die linke Seitenlage innehielt. Es wurde diese Lage absichtlich gewählt, um den Spitzenstoss deutlicher fühlen und die Pulstrommel leiehter applieiren zu können. War diese vorschriftsmässig befestigt und mit der den Schreibhebel tragenden Lufttrommel verbunden, so wurde der Gummistopfen der linken Hin- terpfote angelest, das Glasgefäss darüber geschoben und mittels des Blechkranzes der sichere Verschluss bewerkstellist. Darauf füllte man das in Watte gehüllte Gefäss durch die enge Oefinung mit Wasser von Hauttemperatur, verband das Gefäss mit der erwähnten Glas- ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 4923 röhre und diese mit einer zweiten Lufttrommel des Polygraphen. Nach vollständiger Verbindung sah man das Wasserniveau in der Glasröhre und zugleich damit den Schreibhebel dem Pulse isochrone Bewegungen machen. Liess man nun beide Schreiber übereinander ihre Exeursionen zugleich mit den Schwingungen der Stimmgabel verzeichnen, so konnte man zwischen dem höchsten Punkte der Ventrikelelevation und dem Gipfel der Pfotenpulscurve Intervalle erkennen, die in ähnlicher Weise wie bei den Versuchen am Menschen genau berechnet werden konnten. Die Ausmessung der Curven und speciell die Feststellung der zu ver- sleichenden Punkte wurde durch ein auf das berusste Papier vor dem Fixiren der Russschicht gezeichnetes System rechtwinkliger Coor- dinaten erleichtert. Ferner wurden zur leichteren Berechnung die zur Hinterpfote und zum Spitzenstosse führenden Röhrentheile so lang gewählt, dass die Uebertragungszeit in beiden Apparaten vollkommen gleich war. Bei den nun folgenden Versuchen hatte ich-den Zweck im Auge, aus den Aenderungen der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen auf Zustände im Gefässsystem maassgebende Schlüsse zu ziehen. Die Versuche mussten daher der Art eingerichtet werden, dass man diejenigen Bedingungen einführte, welche erfahrungsgemäss einen bestimmten Zu- stand des Gefässsystems verursachten, und dass man die hierbei gefun- denen Daten als Function jenes Zustandes eruirte. Diese Zustände kann man im Wesentlichen nach zwei Richtungen hin unterscheiden: 1) nach der Zunahme, 2) nach der Abnahme der Füllung oder Spannung des Aortensystems im Vergleich zur Norm. Von den Mitteln, welche den Blutdruck herabzusetzen geeignet sind, benutzte ich a) Die Lähmung der peripheren Gefässnerven durch toxische Mittel, b) die Durchschneidung des Rückenmarks unterhalb der Rauten- grube. Von den Mitteln, welche den Blutdruck zu erhöhen im Stande sind, wurde die Reizung des Rückenmarks an der genannten Durchschneidungs- stelle in Anwendung gebracht. A. Bestimmung des normalen Werthes der Pulsverspätung. Bei‘ dem mittelgrossen, kräftig gebauten, etwa acht Monate alten Normalhunde betrugen die Zahlenwerthe des Verspätungsintervalles zwi- schen dem Spitzenstoss und dem Pfotenpulse: 424 EMIL GRUNMACH: 0-16 Sec. 0.155 Sec. 0.16 ,„ 0.16 ,„ 0-19.0%,, Olbbrn 0.165 „, 0.167 ©, also der Mittelwerth 0.158 Sec. Bei drei anderen mittelgrossen, gesunden Hunden, die später zum Zweck der vorliegenden Untersuchung operirt wurden, ergaben die Nor- malwerthe: 0-155 Sec. 0.165 Sec. 0-15 Sec. 0.16 „ 0-15 „ 0-19 5 0:10,27, Del 2, 0:155 „ 0.15 „ 0-15 „ 0-155 „ 0-15 „ 0.15 „ Dal, Val 0-165 „ 0-155 „ also als Mittelwerthe:- 0-156 Sec. 0-159 Sec. 0.154 Sec. Man ersieht aus den berechneten Mittelwerthen, dass die grösste Differenz 0-005 Sec., die kleinste nur 0-001 Sec. beträgt. Die Werthe zeigten keinen wesentlichen Unterschied, ob man die rechte oder linke Hinterpfote bei den Experimenten in Anwendung zog. Genaue Messungen an den operirten Hundeleichen ergaben als Mittelwerth des Weges vom Anfangstheil der Aorta bis zum Ende der Hinterpfote circa 75°”. Dem- nach pfllanzte sich die Pulswelle bei dem Normalhunde in 0-158 See. 75® und in 1 Sec. 4.746” fort. B. Bestimmungen des abnormen Werthes der Pulsverspätung. Zur Lähmung der peripheren Gefässnerven wurden beim Normal- hunde Aether sulfurieus, Chloralhydrat und Morphium muriaticum benutzt. I. Versuch: Nach Inhalation von Aether bis zur vollständigen Narkose, die nach Verlauf von 20 Minuten eintrat, fand man für das zu suchende Zeitintervall folgende Werthe: 0-18 Sec. 0.175 Sec. Vol Ve, 0.18 „ OT 0.197 Wil. 0:-185 „, 0.185, , also als Mittelwerth: 0-180 Sec., ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 425 oder mit anderen Worten, hei diesem Zustande des Thieres fand man die Pulsgeschwindigkeit in 1 Sec. bis auf 4-11” gesunken. II. Versuch: Nach Verlauf von mehreren Tagen wurden demselben Thiere 3.0 Chloralhydrat per os eingeführt. Ungefähr nach einer halben Stunde befand sich der Hund in tiefer Narkose. In diesem Zustande betrugen die Zeitwerthe: 0-195 Sec. 0.195 Sec. 00-1997 7% 0.185 0-190 ,„ VE) 0:195 7, 0.185 „ also der Mittelwerth: 0.191 Sec. d. h. die Pulswelle pflanzte sich in 1 Sec. nur 3.926” fort. III. Versuch: Wiederum nach einer Pause von mehreren Tagen, an denen das normale Verspätungsintervall gefunden wurde, injicirte man demselben Thiere 0.06 Morph. muriat. subcutan in die Bauchgegend. Eine Viertelstunde darauf trat tiefe Narkose ein. Die Werthe des Ver- spätungsintervalls hatten nun die ansehnliche Höhe von 0-235 See. 0-225 Sec. VER NER VB 0,925, 0.2357 „ Dazeı erreicht. Demnach betrug der Mittelwerth 0.227 Sec. und die Fort- pflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in 1 Sec. nur noch 3.304". Aus diesen Versuchen geht mit Evidenz hervor, dass die benutzten Narcotica den bestimmten Einfluss auf die Pulsgeschwindigkeit haben, durch Herabsetzung des Blutdrucks das Verspätungsintervall Zu vergrössern. Es kam nun darauf an, dieses Intervall auch unter der Bedingung kennen zu lernen, dass sich das Gefässnervencentrum ausser Thätigkeit befände. IV. Versuch: Zu sen Zweck wurde ein mittelgrosser, kräftiger _ Hund benutzt, dessen normales Verspätungsintervall 0-159 Sec., dessen normale Pulsgeschwindigkeit also in 1 Sec. 4-716” betrug. | Nach Injection von 0-03 Morph. muriat. subcutan, 0.008 Curare in die rechte Vena jugularis und Einleitung der künstlichen Respiration erhielt man folgende Werthe: 426 EMIL GRUNMACH: 0.185 See. 0:20 See. 0.20 0, 0.195 „ 0.1950, 0:90 ON Veilel) ; also als Mittelmwerth: 0.195 Sec. Nach der Durchschneidung des Rückenmarks unterhalb der Rauten- grube und bei künstlicher Respiration stellten sich folgende Zeitwerthe heraus: 0-25 Sec. 0-25 Sec. Ve Voa , Vo VD ON23D0 VE2AHN, also als Mittelwerth: 0.244 Sec. und bei Suspension der künstlichen Athmung: 0-24 Sec. 0-25 Sec. 0.235 „ 0.05. 0.245 „ 0.2a ‚0.235 „ Da also als Mittelwerth: 0-243 Sec. Demnach pflanzte sich im letzten Stadium des Versuchs die Puls- welle in 1 Sec. nur 3.086” fort. Ergab sich nun aus den vorhergehenden Versuchen, dass mit der Verminderung des Blutdruckes die Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der Pulswelle abnehme, so war die zunächst liegende Auf- den Einfluss der Blutdruckerhöhung auf die Pulsgeschwindigkeit gabe, zu eruiren. V. Versuch: Bei dem hierzu benutzten Hunde stellte sich das nor- male Verspätungsintervall auf 0.156 See., also die Pulsgeschwindigkeit in 1 Sec. auf 4-807” heraus. Nach Injection von 0-03 Morph. muriat. subeutan, 0-006 Curare in die rechte Vena jugularis und Einleitung der künstlichen Athmung fand man folgende Werthe: 0-19 Sec. 0-195 Sec. 0-20 ,„ VEN, 0-205 „ 0-205 „, 0.195 „ 0-205 „ also als Mittelwerth: 0.199 Sec.; * nach der Durehschneidung des Rückenmarks unterhalb der Rautengrube: \ a ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 427 0-23 Sec. 0-24 Sec. 0.235 „ 0.235 ,, Ve DM2ARE OrDADE 0-245 eh) also als Mittelwerth: 0-238 See. Während einer darauf folgenden, ziemlich starken Reizung des Rücken- marks an der Durchschneidungsstelle mit Hülfe des du Bois’schen Schlitten-Inductoriums und bei Suspension der künstlichen Athmung be- trug das Zeitintervall 0.13 Sec. 0.135 Sec. 0 0.145 „ 0.145 „ oa 0413 VE also der Mittelwerth 0.136 Sec. Demnach war die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in diesem Stadium in 1 Sec. bis auf 5-514” gestiegen. Eine halbe Stunde nach der Reizung fand man bei Suspension der künstlichen Athmung die Werthe folgendermaassen verändert: 0-195 Sec. 0.205 Sec. 200% 0208: 05200 0-205 „ Val, 0.205 „ also als Mittelwerth: 0-201 Sec. Ebenso deutlich zeigte sich die Wirkung der Rückenmarksreizung bei dem nun folgenden Versuche, zu dem ein mittelgrosser, kräftiger Hund benutzt wurde, dessen normales Verspätungsintervall 0.154 öee., dessen normale Pulsgeschwindigkeit in 1 Sec. 4-869” betrug. VI. Versuch: Um zugleich den Einfluss des Curare auf das Ver- spätungsintervall zu eruiren, wurde die Tracheotomie ohne Narkose ge- macht, die künstliche Respiration eingeleitet und 0.0025 einer vorzüg- lichen Öuraresorte in die rechte Vena jugularis eingespritzt. Etwa acht Minuten nach der Einspritzung betrugen die Werthe: 0-175 Sec. 0.17 Sec. Vol 9, OmlSE MVorken 0.185 „ VelAn VESD also der Mittelwerth: 0.179 „ 428 EMIL GRUNMACH: Nach der Durchschneidung des Rückenmarks an der früher bezeich- neten Stelle und bei Suspension der künstlichen Athmung waren die Werthe für das Verspätungsintervall: 0.195 Sec. 0-21 Sec. Omapm 0-205 „ 005} 0-21, 0.205 „ Varalı o also der Mittelwerth: 0-204 Sec. Während der darauf folgenden, ziemlich starken Reizung des Rücken- marks an der Durchschneidungsstelle mit Hülfe des du Bois’schen Schlitten - Induetoriums und bei Suspension der künstlichen Athmung stellten sich folgende Werthe heraus: 0.130 Sec. 0-115 Sec. VEiad Da VD V-aS,, Va Daily also als Mittelwerth 0-12 Sec. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle erreichte daher wäh- rend der Kückenmarksreizung den ansehnlichen Werth von 6-25"in 1 Sec. Aus den beiden letzten Versuchen dürfte mit Sicherheit erwiesen sein, dass auch die Zunahme des Blutdrucks einen bestimmten Binfluss auf die Pulsgeschwindigkeit habe, und zwar den, dieselbe zu steigern. Hierbei muss ich bemerken, dass die Resultate meiner Untersuchung bereits feststanden, als die Abhandlung von Moens! über die Pulseurve erschien, in der über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle in elastischen Röhren Experimente mitgetheilt werden, die in demselben Sinne wie die meinigen ausgefallen sind. Bei einer genaueren Betrachtung meiner Pulscurven stellte sich ferner heraus, dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Puls- welle, abgesehen vom Blutdruck, auch von der Amplitude und Wellenlänge, ausserdem, wie zu vermuthen, von localen Aen- derungen im Lumen der Gefässe beeinflusst werde. — Moens hat die Abhängiskeit der Pulsgeschwindigkeit vom Durchmesser, von der Elasticität und Wanddicke, endlich von dem Inhalt der elastischen El in folgende Sätze zusammengefasst: 1 Die Pulsceuwrve. Leiden 1878. | | | | | | h i | ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 429 1. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit des Pulses in einer elastischen Röhre verhält sich umgekehrt wie die Quadratwurzel aus dem speci- fischen Gewicht der Flüssigkeit, 2. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit verhält sich wie die Quadrat- wurzel aus der Wanddicke der Röhre bei demselben Seitendruck, 3. Die Fortpflanzungsgeschwindiskeit verhält sich umgekehrt wie die - Quadratwurzel aus dem Durchmesser der Röhre bei demselben Seitendruck. 4. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit verhält sich wie die Quadrat- wurzel aus dem Hlastieitätscoöffieienten der Röhrenwand bei demselben Seitendruck. Dass diese Sätze keine unbedingte Gültigkeit für die sehr viel variableren Verhältnisse im lebenden Organismus beanspruchen können, liest wohl auf der Hand. Jedoch lässt die durch viele Versuche geprüfte _ Abhängigkeit der genannten Factoren jedenfalls auf die Richtung ihres Einflusses Schlüsse ziehen. Nachdem die Versuche am Hunde den Beweis geliefert hatten, dass die die Pulsgeschwindigkeit beeinflussenden Factoren sich immer in gleichem Sinne bewährten, schien es mir erlaubt, die Beweisführung umzukehren und den Zahlen der Pulsgeschwindigkeit, wie ich sie beim Menschen fand, Beweiskraft für die vorausgesetzten Aenderungen im Gefässsysteme zuzugestehen. Ich fühlte mich dazu umsomehr berechtist, als sich aus meinen Versuchen ergab, dass bestimmte Mittel auf die Pulsgeschwindigkeit beim Menschen dieselbe Wirkung wie bei den Ver- suchsthieren hatten. A. Bestimmung der Normalwerthe beim Menschen. Als erste Versuchsperson diente mir ein 167 °® grosser, ziemlich kräftig gebauter junger Medieiner, im Alter von 23 Jahren, dessen Puls- zahl in der Minute 68 betrug. Nachdem der gleichzeitige Eintritt des Pulses in beiden Arteriae carotides, radiales und tibiales posticae durch Curven festgestellt war, wurde der Carotispuls der einen mit dem Radial- puls der anderen Seite, ferner der erstere mit dem Pulse der Arteria tibialis postica, endlich der Radialpuls mit dem der letzteren Schlag- ader verzeichnet und die Gipfelpunkte der Pulseurven verglichen. Die aus einer. crossen Zahl von Werthen berechneten Mittelwerthe betrugen für das Verspätungsintervall zwischen 430 EMIL GRUNMACH: dem Pulse der Art. earotis und dem der Art. radialis ...... 0.07 Sec. % RR HERRN “ nn tblalis! postiea 0-10 „ „ „ „ radialis „ „ eR) „ „ „ te 0.049 „ Als zweite Versuchsperson erbot sich mir ein mittelgrosser (168 %), kräftig gebauter, junger Mediciner, im Alter von 24 Jahren, der 64 Pulse in der Minute und vor der ersten Versuchsperson den Vorzug eines aus- geprägten Spitzenstosses hatte. Daher konnten ausser den soeben er- wähnten Versuchen noch solche zur Bestimmung des Zeitintervalls zwi- schen dem höchsten Punkte der Ventrikelelevation und dem Gipfelpunkte der Pulscurven angestellt werden. Hierbei fand man als Mittelwerth zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse der Art. carotis........ 0.10 Sec. ii 2 SERME a radais Se 0.1028 „ „ ” „ „ „ „ pediaea END SRLSR SEES 0.219 I: Pulse der Art. carotis und dem Pulse der Art. radialis.. 0-076 „, 9 ch) >) 99 I) eb] & 7. 6) eh} pediaea. 0.114 Eh} © E nn Tadtalisı an 0 „ RR: u... 0.0 Nachdem noch bei zwei anderen Versuchspersonen des Jünglings- alters die Mittelwerthe der Pulsverspätung keine wesentlichen Differenzen gezeigt hatten, wurden zu den folgenden Versuchen Personen aus dem Kindes-, Mannes- und Greisenalter gewählt, um den Einfluss des Alters auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen zu erfahren. Bei einem zehnjährigen, normal gebauten (133 °” grossen) Knaben, dessen Pulszahl in der Minute 96 betrug, stellten sich folgende Mittel- werthe heraus: zwischen dem Spitzenstoss und dem Pulse der Art. radialis . 0-165 Sec. pediaea . 0.226 „ „ „ „ „ „ „ „ „ Mr „ Pulse der Art. carotis und dem der „ radialis . 0.072 „ „ „ „ „ „ radialis „ „ 93 pediaea . 0.055 „ „ 9 „ „ „ carotis „ „ „9 „ ° 0.12 „ Bei dem Vater des Kindes, einem 172°” orossen, kräftig gebauten, | gut genährten Manne, im Alter von 38 Jahren, der in der Minute 64 U Pulse hatte, fand man als Mittelwerthe zwischen dem Pulse der Art. carotis und dem der Art. radialis. ... .. 0-071 Sec. „ „ „ „ Fa PR) 9 EN pediaea 10 „ ” „ 2) ” radialis ” ” ” ch ” 2.0038 oo ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 431 Bei einem 170% grossen, kräftig gebauten Manne im Alter von 74 Jahren, dessen Pulszahl in der Minute 68 betrug, ergaben die Mittel- werthe zwischen dem Pulse der Art. carotis und dem der Art. radialis...... 0-074 Sec. # S; EEE & re 33 Dedidea 43:00: 1100 „ „ „ ” radialis ” „ ” „ „ 7.000205 „ Wenn auch die gefundenen Mittelwerthe bei den Versuchspersonen verschiedenen Alters nur unbedeutende Differenzen zeigen, so darf man doch nicht vergessen, dass die untersuchten Gefässbahnen beim Kinde und Erwachsenen so verschieden lang sind, dass allein daraus eine Ver- schiedenheit der Pulsgeschwindigkeit wird resultiren müssen. Nach Messungen an Leichen, die mir Hr. Geheimrath Reichert bereitwilligst zur Verfügung stellte, betrug bei mittelgrossen (167—169 ©”) Individuen der Weg vom Anfangstheil der Aorta bis zu der Stelle der Art. radialis, wo man die Pulstrommel zu befestigen pflegt, 83°”, vom Anfangstheil der Aorta bis zur Arteria pediaea auf der Mitte des Fussrückens 145 ®, Die Pulswelle pflanzte sich daher bei der mittelgrossen Versuchsperson in der Richtung nach der oberen Extremität in 0.162 Sec. ... 83 “2 und et a ey nach der unteren Extremität in 0-219 Sec... . Mund a 602er Aus diesen Zahlen folgt, dass die Pulsgeschwindigkeit in der Richtung nach der unteren Extremität eine grössere als nach der oberen ist. Bei einem zehnjährigen Kinde hatte der Weg vom Anfangstheil der Aorta bis zur vorher bezeichneten Stelle der Art. radialis eine Länge von 60°%, und bis zur Art. pediiaea eine Länge von 124°®. Die Puls- welle durchlief also bei der zehnjährigen Neuen Der on in der Rich- tung nach der oberen Extremität in 0.165 Sec. einen Weg von 60° und „ 1 „ „ „ „ 3.636 2 nach der unteren Extremität in 0.226 Sec. einen Weg von 124°® und „ 1 9 “I 39 „ 5.4867, 432 EMIL GRUNMACH: Auch diese Werthe ergeben, dass die Pulswelle in der Rich- tung nach der unteren Extremität mit grösserer Geschwin- digkeit als nach der oberen läuft. Ferner bestätigt der Vergleich zwischen den beim Kinde und Erwachsenen erhaltenen Werthen die Be- hauptung von Czermak, dass die Fortpflanzungsgeschwindiekeit der Pulswelle beim Kinde kleiner als beim Erwachsenen ist. B. Bestimmung der abnormen Werthe beim Menschen. I. Versuch. Um den Einfluss der Venencompression auf die Pulsgeschwindigkeit zu erfahren, wurde auf die Mitte des zu unter- suchenden Armes eine doppelwandige Gummimanchette geschoben und diese so lange aufgeblasen, bis die oberflächlichen Venen ziemlich deut-. lich hervortraten. Nach Verlauf von zehn Minuten fand man bei dieser Behandlung des Armes für das Verspätungsintervall zwischen dem Pulse der Art. carotis und dem Pulse der Art. radialis folgende Werthe: 0-09 Sec. 0-095 Sec. EDER E10 0.09 „ 0-105 „ 0-095 „ 0-105 „ also als Mittelwerth: 0.096 Sec., während kurz vor dem Versuche der eat prechend, Normalwerth 0.07 See. betragen hatte. II. Versuch. Zum Zweck der Arteriencompression wurde ein Tourniquet auf der Art. brachialis in der Mitte des Oberarms befestigt. Bei mässigem Drucke auf die Arterie stieg der Normalwerth des in Rede stehenden Zeitintervalls von 0-071 Sec. nach Verlauf von fünf Minuten | auf folgende Werthe: 0.095 See. 0-10 See. 0.095 „ Ol 0-10, >, 0-105 „ 0-.095 „ 0.105 „ also der Mittelwerth auf: 0-099 Sec., bei stärkerer Compression, wieder nach Verlauf von fünf Minuten, auf: ) ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER PULSWELLEN. 48; wu wu 0.125 Sec. 0.135 Dec. Monte ie, 0.155 VDE 0.14 0.14: , 0.14 „ also der Mittelwerth auf: 0.133 ‚Sec. III. Versuch. Um den Einfluss der Gefässerweiterung auf die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen zu eruiren, bediente ich mich der Wärme. Zu diesem Zweck wurde der untere Theil des Ober- arms und der obere Theil des Unterarms in Wasser von 33° R. getaucht und vor Abkühlung sowohl des Armes, als auch des Wassers Sorge ge- tragen. Nach Verlauf von zehn Minuten, während der Arm dieselbe Lage innehielt, stellten sich für das Verspätungsintervall zwischen dem Pulse der Art. carotis und dem der Art. radialis folgende Werthe heraus: 0-09 Sec. 0.095 Sec. 0.095 „ 0-09 „, 0.095 „ ORAODRR,, Dei) 0-0 also als Mittelwerth: 0.096 Sec., während der Normalwerth kurz vor der Erwärmung 0.07 Sec. gewesen war. Diese drei Versuche zeigen deutlich, dass sowohl locale Ver- engerungen als auch locale Eweiterungen der Gefässlumina bei sonst gesunden Individuen mit Verzögerung der Puls- geschwindigkeit einhergehen. Dass aber auch die Veränderung des Blutdrucks beim Menschen dieselbe Wirkung wie beim Versuchsthiere habe, lehrt der nun folgende IV. Versuch. Nach Application der einen Pulstrommel auf die Gegend des Spitzenstosses, der anderen auf die Arteria radialis liess ich die Versuchsperson nach tiefer Inspiration Mund und Nase schliessen und nun möglichst stark mit Hülfe der Bauchpresse exspiriren. Die Folge davon war, dass durch Hemmung der Herzthätigkeit der Blutdruck herabgesetzt und zugleich damit das zwischen dem Spitzenstoss und dem Radialpuls gelegene Zeitintervall abnorm verändert wurde. Man fand nämlich für dasselbe die Werthe: 0.185 Sec. 0-20 Sec. Vo BD 0-95, (DU VE. 0-195 „, also als Mittelwerth: 0-194 Sec., Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 28 434 Emın GRUNMACH: ÜBER DIE FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT U. $. W. während der Normalwerth kurz vor dem Versuche 0.162 Sec. betragen hatte. Demnach pflanzte sich die Pulswelle während der Blut- druckerniedrigung in 1 Sec. nur 4-278” fort, während sie vor dem Versuche einen Weg von 5.123” in derselben Zeit zurück- selegt hatte. Dass in der That während des letzten Versuchs eine. Abnahme der Spannung im Aortensysteme Statt fand, das zeigte sehr schön die Betrachtung der erhaltenen Pulscurven. An denselben trat nämlich die sogenannte Rückstosselevation so stark ausgeprägt hervor, wie man sie nur in den seltensten Fällen zu sehen Gelegenheit hat. Auf den letzten Versuch möchte ich noch deswegen besonderes Ge- wicht legen, weil Landois in seinem soeben erschienenen Lehrbuch der Physiologie (8. 158) es für zweifelhaft hält, ob sich beim Druck- wechsel in den Arterien des lebenden Menschen eine deutliche Aenderung der Pulsgeschwindigkeit zeigen werde. Da die Füllung des Gefässsystems bei irgendwie dauernd lebens-. fähigen Säugethieren sicherlich nur bedinst ist durch die Füllung des Herzens während der Diastole, so kommt bei denselben die Betrach- tung der Herzkraft zur Beurtheilung der Pulsgeschwindigkeit nicht in Frage. Da wir ferner die Amplitude und Länge der Pulswelle durch den Sphygmographen, die Elastieität und Dicke der Gefäss- wand theils durch den Sphygmographen, theils durch die Palpation nach- weisen können, so bleibt, falls die genannten Factoren keine Aenderung zeigen, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswelle Funetion des Blutdrucks im Aortensystem. Die Resultate meiner Untersuchung über die Pulsgeschwindigkeit ; bei Herz- und Gefässkranken, sowie bei Intoxicationen des Menschen durch gewisse Narkotica werden an einer anderen Stelle ausführlich mit- getheilt werden. , Ich spreche hier Hrn. Geheimrath E. du Bois-Reymond, der mir! gütigst die Hülfsmittel des physiologischen Instituts zur Verfügung stellte, - ferner Hrn. Prof. H. Kronecker, in dessen Abtheilung unter seinem Beirathe die Versuche ausführt sind, meinen besonderen Dank aus. | | | [ | | | j Ueber den Einfluss gasartiger Körper auf die Function des Froschherzens. Von Ferdinand Klug, Aus dem physiologischen Institut zu Budapest. Den Einfluss verschiedener Gasarten auf das dem Körper entnom- mene Froschherz untersuchte Castell,! indem er den Verlauf der Herz- schläge und deren Dauer beobachtete, wie auch prüfte, ob ein Herz, welches den Gasen ausgesetzt zu schlagen aufgehört hatte, in der freien Luft von Neuem zu pulsiren beginnt, beobachtete. Da jedoch das Herz unter normalen Verhältnissen nur dem Ein- flusse von im Blute gelösten Gasen ausgesetzt zu sein pflegt, hielt ich es für zweckmässig, Versuche in dieser Richtung anzustellen; um so mehr, da diese Untersuchungen auch geeignet schienen, unsere Kenntniss von den die Herzaction anregenden und regulirenden Factoren zu er- weitern. So viel mir bekannt, liegen bis jetzt ähnliche Versuche nur von M’Guire? vor, der seine Untersuchungen Ueber die Speisung des Froschherzens unter Leitung des Hrn. H. Kronecker ausgeführt hat. Wie M’Guire, so machte auch ich meine Untersuchungen an Froschherzen mit Hilfe des Kronecker’schen Froschherzmanometers. Nur ausnahmsweise untersuchte ich das an die Canüle befestigte Froschherz, während es in defibrinirtes Blut oder Serum tauchte; mei- stens war dasselbe, wie bei den Versuchen von Goltz,? in Oel versenkt, um auf diese Weise den störenden Einfluss des Blutes auszuschliessen. Ferner leitete ich, bei den meisten Versuchen, in das Herz defibrinirtes l Dies Archiv. 1854. S. 226. 2 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Dies Archiv. 1878. S. 321. 3 Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie u. Physiologie u.s.w. Bd. 23, S. 487. 28* 436 FERDINAND Krug: Schweineblut und gebrauchte dasselbe nie mehr als einmal. Das Blut war natürlich stets frisch und wurde oft noch warm in die Anstalt ge- bracht. Eben weil ein solches Verfahren viel Blut beansprucht, konnte ich meine Versuche nur ausnahmsweise mit Froschblut, oder dem von Anderen benützten Kaninchenblute machen; übrigens fand ich auch keinen Unterschied in der Wirkungsweise dieser Blutarten auf das Froschherz. I. Einfluss des Blutes auf das Froschherz. Herzinnervation, Luciant! fand, dass das durch eine um die Vorhöfe geleste Lisatur auf die Canüle gebundene und mit Serum erfüllte Froschherz nicht in Intervallen folgende, sondern in Gruppen geordnete Schläge ausführt. Nachdem Luciani auch gezeigt, dass gesteigerter diastolischer Druck die Ermüdung des Herzens beschleunist und die Pulscurven unregelmässig macht, fand Rossbach,? „dass an dem mit centrifugirtem, möglichst klarem Kaninchenserum gespeisten Herzen die Gruppenbildung sowohl bei hohem, wie bei niedrigem systolischen Herzdruck auftrat“, ferner dass „das frische Herz nach seiner Füllung mit sehr rothem Serum oder mit defibrinirtem Blute nie eine Spur von einer gruppenweisen Folge der Schläge darbietet“. Selbst wenn Rossbach in das mit Serum ge- füllte Herz, bei welchem die Gruppenbildung in vollkommenster Weise auftrat, an Stelle des Serums Blut leitete, verschwanden die Gruppen und es erschien die regelmässige Pulsation des nicht unterbundenen Herzens. Rossbach beobachtete Gruppenbildung an mit Blut gefüllten Herzen erst dann, wenn das Blut so lange in demselben verweilie, bis es seine hellrothe Farbe ganz verloren hatte. Diese Erfahrungen scheinen. anzudeuten, dass die Schlagfolge des am Vorhof unterbundenen Herzens von dem Inhalte desselben abhängt. Unter dem Einflusse des Blutes folgen die Pulsschläge in regelmässigen Intervallen, unter dem des Serums ordnen sie sich in Gruppen, welche kürzere oder längere Pausen von einander trennen; demnach waren wir angewiesen, die unter dem Einfluss des Serums auftretende eigenthüm- ‚liehe Anordnung der Herzschläge auf dessen geringeren Sauerstoffgehalt, oder auf den Mangel irgend eines anderen in den Blutkörperchen ent- haltenen Körpers zurückzuführen. Nun kann ich aber einen solchen Unterschied der Wirkung des defibrinirten Blutes und des Serums, wie ihn Rossbach beobachtete, 1 Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig. 1872. Bd. VII, S. 113. ? Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig. 1874. Bd. IX, 8. 90. ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION U. 8S.w. 43 absolut nicht bestätigen. Ob ich die Versuche mit defibrinirtem Blute, oder mit Serum machte, die Folge der Herzschläge blieb, bei einem einmal an die Canüle gebundenem Herzen, unverändert. Sie erschien entweder in Gruppen geordnet, oder in einzelnen, von einander gleich- mässig getrennten, Pulsschlägen, ganz unabhängig davon, ob das Herz mit Blut oder mit Serum angefüllt war, ob es seine Contractionen unter Blut, Serum oder Oel ausführte. Bei gruppenweiser Herzaction wurden die Gruppen mit der Zeit, nachdem das Herz zu ermüden begann, ge- stört — Stadium der-Krise (Luciani) — erlangten aber gewöhnlich, in Folge frischen Blutes oder Serums, ihre frühere Regelmässigkeit wieder. Zur Verdeutlichung dieser und noch ferner zu erläuternder Verhält- nisse mögen einige Tabellen dienen. Alle diese beziehen sich auf Herzen, die unter Oel schlugen. Wo ich nicht Schweineblut benutzte, findet sich dies in den Tabellen besonders verzeichnet, ebenso wenn ich bei Versuchen mit einem Herzen die in demselben enthaltene Flüssiekeit erneuert hatte. Die Zimmertemperatur schwankte zwischen 18—22°C. Tabellen zur Erläuterung des Einflusses des Blutes auf das Froschherz. a. b Ce. de mes a: I- | 2. 7 SD Sal | ir 2 Anordnung E Sı klahe ala: 5 | = Ei 2 | Zeit. des a ee oe 5 Versuches. mo ‚auar SE et | 5 I) © o| Gruppe! | © | 2 Inuon | 5 ix Sa Selı8 Contractionen.? en) Z z® ara S |Millimeter. Sec. | Sec. f. /1200°| Ligatur den 2 ar aa 2) | 20 | Vorhöfen 24 17-6—14-6| 39 | 54 entsprechend. | 27 | 18—14-5| 44 | 58 Blut. 23 | 1614-5) 36 | 58 Druck 5 um Hg.\ 20 | 16-145) 33 | 53 16 16—14.5| 29 | 49 11 16—14-8| 22 | ? 10.| 16-15, 20 | 41 13 |15:9 14-8) 24 | 44 | 10 16 15, 1135 41 20 16—15 | 35 | 93 ! Die Höhen bedeuten Erhebungen über die Abseisse. 2 Diese Reihen betreffen die der vorangegangenen Pause folgenden isolirten Contractionen. | 438 FERDINAND Krug: n [eb] | &ö - eb u 2 | Anordnung | & Lioneider Ele 5 | a an > Zeit. des a: Schläge | ® ir © Versuches. er Ben = = er a: © S 58 Grppe1| 8 | & er isolirten S & I.5 2 ı 8 Contractionen. A 2 za en S See. Sec. 20 |16-8—14-5| 38 | 51 B | 21 |16-.5—14 35. | 53 22 16—14 40 | 55° | 24 |13-5—12-5| 41 | 59 | 26 |13-5—11-3| 45 | 63 | 28 112-8—10:5| 46 | 66 33 12—10-5) 53 | 71 39 12—10 63 | 80 46 111-5—9 74 | 83 48 12—9:5 |85| >? 42 110-2—6-2 | 98 | 93 39 7—2-8 1144 | 89 10 9 19 | 4-8—0:5 | 66 II. |30 32’ | Ligatur an der | 33 | 22—17-8| 44 | 39 oberen Hälfte 22 |23-1—17-5| 32 | 36 der Vorhöfe. 18 23—17 27 | 35 Kaninchenblut. | 15 122.8 17-5) 21 | 34 Druck rum ug. | 14 |22-5—16-8| 20 | 36 13 122-5—17 om 32 13 122-5—17 17 | 33 12 22-3—17 16 | 34 13 22-1—17 18 | 34 ? 22—16-5| 20 | 35 12 121-5—16-5| 17 | 35 12 21—16-4| 19 | 31 13 21—16-4| 18 | 33 12 120-5—16-5| 17 | 34 11 120-2—16.5| 17 | 34 11 20—16-2| 17 | 33 | 12 119-8—16-2| 20 | 33 11 ,19-5—16-2| 19 | ? 11 117°-5—15 za Sr 11 117-8—15-2| 20 | 37 | 11 117-5—15 | 20 | 36 | 11 17—15 a) | 8 10 116-5—14-5| 22 | 31 9 115-8 —14-2| 21 | 37 10 115-2—14-8| 23 | 36 | 1 14-5 #oR ÜBER DEN FINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION Tv. S. w. 439 a. b (e nern | g- h. an {«b} © | | ME N n | 7 Anordnung R Ey = 6 - T En Ei >. | Zeit. des ae | SENEREITTE ® = | au) einer ja=] REN ® 2 Me\ersuches.‘ 5, G 25 der isolirten =| 3 | 50 ruppe.. 2 | 3 5 = £ | Ss 3 | 8 | Contractionen. fan) zZ ei A = | S Millimeter. Sec. |Sec. 13 15—13-2, 30 | 39 1 14-2 13 14—13 29 | 40 1 13-8 13 113-8—12-8| 29 | 42 1 ? 13 |13-5—12-5) 23 | >? ? ? Kaninchen- serum. Druck 50 He. 47 |19-2—14-8| 462 Kaninchenblut. Folgen 40 48' | Druck 5mm He. a IH. | 5% |Lieatur an den| 7 12-5—12-5| 14 | 48 | Vorhöfen. 11 112-5—12-5| 18 | 53 Kaninchen- 9 112-5—12 |18 | 63 serum. s 112-3—11-8| 17 | 73 Druck 4-5mm Hg. 4 111-5—10 |227 Kaninchen- | serum. 2 14—13-5| 108 3 12—14-5| 6 59-5 2 113-9—14-9| 3-9 | 56 2 14—14-5| 3-5 | 52 3 113-8—15-3 5-6 | ? Kaninchenblut. | 6 13—13-5| 14 | 46 2| 13-13 |3-5| 34 | 5 san as ag | 1 13-3 | 6 13-5, 15039 6 13-5 1921235 1 13-5 4 13.5 14191722 1 13-5 3 113-3—13-5) 9 | 15 | 31 13 —13:5| 329 Holen ein. 50 54° | Kaninchenblut. \ 13 14—14 106 | zelne Pulse. IV. |10047°| Ligatur nahe | 2 19 3:5| 27 dem Sulcus. 2 19 amn23 Schweineblut. | 2 18-5 4 | 14 | Druck 4um Hg. | 2 18-5 4 | 23 2 19 4 | 97 | 2 19 4 \ 28 2 19 4 | 29 2 18-5 4 | 27 440 FERDINAND Kuus: a b c a | 3/5 g- h. A 2 & a = e: ne 22 |< _ Höhe, E E 2 Anordnung |@ BI Höhe der 5|ı- | A Ei S Veit. des o- lie 6 S = S Versuches. 3 2 NR "| 58 der isolirten 3 © ©| Gruppe. | © | > P “= 5 ss as ı8 Contractionen. ee} Z ei A| a S |Millimeter.|Sec.| Sec 2 1708) 4 | 29 2 18-5 Au? 2 18 40038 2 18 4 | 29 2 18 4 | 30 2 18 4 | 29 | 2 17-5 4 | 80 2 17-5 41/129 | 2 117-8—17 79 17 16 2| 1 16-8 | 6 16-8 ber DR Blut. 2 17-5 20035 | 2 17-8 22 032 | 2 17-8 4| 3832| 5 117-8—17-51167 2 17 3|?p 2 18-5 4 | 32 Blut. 9 18-5 42032 2 18-5 4 | 32 2 18-5 4 | 32 Blut. 2 118-2—18 4.| 31 2 18 4 | 32 2 18 4 | 32 3 118-2—18 6 |.35 3 118-2—18 6 | 36 3 18 6 | 36 3 18—17-8| 6 | 36 | 3 | 18-17-5| 6 | 37 | 3 |17-8—17-5| 6 | 37 3 18-17:5| 6 | 37 | 3 117-8 —-17 6 37 | a 138 | 8 | 2| 17-8 4 | 32 2 17-8 4 38 2 17-2 el Ad 2 et 4|\33 2 17-2 4-5| ? Serum. 3 19-5 85 3 119-5—19-2| 6 | 39 | 6 [19-8—19-5/182 Serum. 2 19—18-8| 4 | 32 i 2) 18-8 4 | 32 a ÜBER DEN EınrLuss GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. 8. w. 441 a. b e. a | A. e7 2 || INEreT 2 Anordnung |2 8! Elche} der a | | IR Ei Er | Zeit. des 5 SE Eur # 3 Versuches. = a Ausope: E| 8 der isolirten a Q IA Sees Contractionen. fee) A sh | S |Millimeter.| Sec. | Sec 2 18-5 4 | 82 2 19—-18-5| 4 | 32 2 18-5 4 32 2 18-5 4 | 34 1 18—95 2 18°5 4|? | Serum. 2 19-5 4355| 2 19-5 83 2 19 | 33 | 2 19 4 | 33 2 18-8 4133 9 18°5 4 | 38 | 2 18-5 4 | 34 9 18-2 4 | 33 2) 17-8 4 | 34 o|. 198 | 88 9 17-2 4| ? 2 16 4 | 36 9 16 4 | 38 | 16-16-3 | 4 | 33 V. | 905° [Ligaturüber dem Sinus venosus. 49 9—21 1100 s Blut. 50 121-5—21-5| 100 Druck 2mn He. 54 [21-5—21-5| 100 | 51 |21-5—21-5| 100 44 |21-5—215| 100 45 21—20-5| 100 49 20-5—14 |109 50 14—11 |100 54 11—8 100 | 46 8—11 1100 | 46 | 88-6 100 42 8-8-5 |100 40 9I—8 100 44 | 8-5—8-5 | 100 | 44 | 8-5—8 100 | 42 8—8 100 | AL | 7-5—7 100 41 8—1 100 40 6-5—7 | 100 40 5—7 100 442 FERDINAnD Kuue: a. b 1 db... Se Ale I: h. 2) o © | 5 - © on Sl) Lam! Sr Do 3 = a =|3|8 | Höte |5 5 = Zeit. des er ; | & 4 einer > BEN = S Versuches leere 8 der isolirten a = > 5 mE gs Contractionen. Bi: A = Aa S Millimeter. See. |Seec 40 T—5 100 Ungleiche Pausen zwi- 30 5—5 100 | schen den e zelnen Herz- schlägen. 21 | 10-5 84 33 9—5 GI E53 28 8—4-5 | 65 | 63 16 | 7-5—5 39 | 51 Erneuerte ; Blutzufuhr 16 | 5.5—5 48 | isolirte Co tracetionen her-, VI. |9054' |Ligatur3@Müber - dem Suleus. 84 111-5—18 165 Froschblut. Druck2-5umHg.| 8 | 19-17-5| 21 | 29 12 118-5—17 Se | 8 10 18—16-5| 33 | 32 9 117:-5—16 31 | 29 13 '17-5—16 43 | 30 16 17—18-8| 50 | 30 21 17—15 66 | 32 22 |116-5—14-8| 67 | 26 62 116-.2—14-5| 168 | 26 14 15-5—14-8| 54 | 18- .' 13 115-5—14-5| 60 | 18 18 15—14 78 | 20 35 15—12-5| 149 | 23 51 | 13-11 |228| 2 2 HOT ET nl! 17) 1110-5857) 40 16 11—10-5| 85 | 40 15 11—10-5| 80 | 47 15 11—10-5| 82 | 52 1 10—10-5| 83 | 62 19 1110-5] 95 | 69 21 11—10-5| 93 | 84 E 20 11—10-5| 102 | 88 22 11—10- co [0 .) e) co Br 4 - ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss. w. 443 [12 b. e d. 6% IE g | h. 2 2 & ; 2 (b} 5n or © = A | [eb] . 73 = : Sa ® Höhe | 3 5 e] > &,| Höhe d ES EN Io &n zZ Anordnung ga Tee | Ne) = © VER a5| Schläge | ; | = = ET Zeit. des SH Satz s|& Be ” v l Sl einer ı| Sir = En ® Ö ee nel g “| 8 der isolirten = > © © ruppe.. Fr SR ! : ® & Se SS Contractionen. ee) A ei as |ıR S |Millimeter.| Sec. | Sce 21 11—10 |104| 96 | | 22 | 11-10 ‘23 |10-5—10 |114 | 106 29 110-510 |120| ? 34 110-510 |148 |120 34 |10-5—9-8 | 154 | 101 3ı j10-5—9-5 |148 | 62197 | 10-6 1154 110 40° 9 | 5.5— 67 (le) [80] m (=>) je=) ‚ VII. | 4016’ | Ligatur in dem Suleus. | go 1917. |100 Froschblut. 2838| 17-15-5| 100 Druck 2mm He. | 28 15-516 |100 21| 16-16-5| 100 21 116-5—16-5| 100 21| 1718-5} 100 2611829. 14001100 26 18-5—17 |100 3 le N 20| 17—15-5| 100 19 115-5— 15-5] 100 15| 16—15-5| 100 12 |15-5—16 |100 9| 16-17 ,100 | 9 17—17 100 4042 | | 6| 17-15-5| 112 VII. | 20 28° Ligaturüber dem, | | Sinus venosus. 44 9—20 100 Blut. 42 20—19 100 Druck 2um Hg, 40 118-5—18 |100 55| 18-14-5| 136 Blut. 34 121-5—22 |100 29 22 , 100 Ligatur an dem unteren Endedes | 14) 21—21-5| 100 Sinus venosus. | 444 FErDInAnD Kuug: di. b e. u. en 2: u" eb) o la en 7 Anordnung |2& Höhe der 5 | = | A o Ya N 2| Schläge .I# >= Zeit. des 55 BD a 2 Versuches. mO SaneL = H ler i i = 53| Gruppe. 5 © der 150 irten e oa a 5 Contractionen. A 2 > ar S |Millimeter.|See. |Sec Blut. Druck unver- 12 21-5 100 ändert. 10 21-5 100 8 21-5 100 Blut. 15 21-5 100 (6) 21 100 Ligatur 3mm über dem Suleus. 6 21-5 100 Blut. Druck unver- | 10 21-520. | 28 |35 | ı 21-5 ? ändert. 9 121-520 25 | 5% 9 121-5 —20 Pr 58) 11 21—20 25 | Sl 11 121-5 —20 24 | 54 12 121-5— 20 29 | 61 12 21—-19-5[ 30 | 62 13 21-5—20 320262) 15 21—19-5| 34 ? Blut. 18 21—20 46 | 74 15 21—19.5| 37 | 66 14 |20-5—19 31 | 64 13 20—19 31 ? Ligatur im Sulcus. 33 1572100 Blut. Druck unver- 28 15 100 ändert. 41 15—14 !100 39 | 14-14 |100 40 14 100 31 14 100 23 14—13-5| 100 18 113-5213 7) 100 10 | 13—13 100 49 | 7 13—12-5| 100) Bemerkungen. ÜBER DEN FINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION UV. Ss. w. 445 N I N a b ( a || TE 4 | h. | n {eb} © ori 1% Io on Sl Wars IR: N = . S =. al le | Höhe. = z | S ISo| ıT: N 3 So & | Sl ar} ön 18 Anordnune |2% Klöhe, der 5 A| N A = we ,„. "SEI Schläge | | = | 5 IS Zeit. des Az Bun Sa | „4 Mn mO| einer = | 5 es Versuches. a alas Serien E | Hu ca Eis: r isolirten I Ero | oo Truppe. 3 S | e \ (5) iM. | Ss 3 z Contractionen. A zZ == A | ® Gans % S . Millimeter.) Sec.| Sec. | IX. 9056) Ligatur 3mm über dem Suleus. 19 | 23—24 1198 Blutiges Serum. | Druck 2mm Ho. | 8 | 23—22 | 32 | 33 8 Bea | | Sean Bl: | 7 |21-5—20-5| 23 | | | Ligatur | | im Suleus. | 34 | 22-21-5| 100 Blutiges Serum. | | | Druck 2mm He. | 29 | 22—21-5| 100 | 28 21-5--21 | 100 | | | | 1 Min. wurden | b. 128 Vene a) ee | | zeichnet. | | Ka 8| 19-19 | 40 | SET 100 | RUN 4 | 16—13-5) 100 Ligatur im | Suleus gelöst. | 8 22 20 | 89 | Blutiges Serum. Druck 2mm Ho. | 14 | 21-20 |a|s| ı 1 ö 10 | 20-19 35 |e68| ı 17-5 | 10 1818 |s1 78, 2: 10.5 ur 58 Ligatur 8 | 1618 | 28 | | | im ‚Suleus. | 20 6 100 10034 | | | oo os Die ersten vier Tabellen zeigen entschieden, dass Blut das Herz ebenso | zu gruppenweise auftretenden Contractionen anregen kann wie Serum. So sehen wir in der I. Tabelle die Thätigkeit eines mit defibrinirtem | Schweineblut gefüllten Herzens verzeichnet, welches vom Anfang bis zum Ende in Gruppen geordnet functionirte. In der II. Tabelle ist ein ähnlicher, mit Kaninchenblut gemachter Versuch verzeichnet. Schliess- | lich weist die IH. und IV. Tabelle die Pulsationen zweier Herzen auf, 446 FERDINAND Kuvue: in welche Blut und Blutserum abwechselnd geleitet wurden, ohne dass dieser Wechsel des Herzinhaltes seinen Ausdruck in der Herzaetion gefunden hätte. Es kann demnach die Ursache der in Gruppen geordneten Herz- contractionen nicht das in das Herz geleitete Serum sein, wir müssen dieselbe vielmehr in der Ligatur selbst suchen. Luciani! findet zwar, dass eine striete Abhängigkeit der Gruppen- bildung von dem Unterbindungsort nicht nachzuweisen ist, giebt aber auch an, dass „je höher über dem Atrioventricularsuleus die Lisatur angelegt worden, desto länger die Gruppen und dafür die Pausen desto kürzer werden.“ Ferner fand Luciani in einem Falle nach Unter- bindung im Sulcus atrioventrieularis statt der Gruppen nur einzelne Pulse, und dass Unterbindungen innerhalb der Grenzen zwischen dem Sinus venosus und der Atrioventricularfuröhe periodische Herzthätickeit zur Folge haben. Es sind dies Angaben, welche jedenfalls zu einer eingehenden Untersuchung der Abhängiskeit der Gruppenbildung von dem Unterbindungsorte auffordern. . Die entsprechenden Versuche machte ich stets mit ganz frischem Blut, da abgestandenes hierzu unbrauchbar ist, auch liess ich die grossen Frösche wenigstens zwei Tage vor dem Gebrauch in das Zimmer bringen, da zu solcher Vorsicht sowohl die Angaben von Gaule? wie auch eigene Erfahrung mahnten. Ich liess theils das an einer bestimmten Stelle unterbundene und mit Blut oder Serum angefüllte Herz bis zur vollkommenen Erschöpfung arbeiten, theils aber legte ich die Ligatur nach einander an verschie- denen Stellen an, füllte das Herz von Neuem und beobachtete dann dessen Thätigkeit. Einige der auf diese Weise gemachten Versuche sind in den obigen Tabellen verzeichnet. So deutet zum Beispiel die V. Tabelle die Contraetionen eines oberhalb des Sinus venosus unterbundenen Herzens an. Durch diese Ligatur blieb also sowohl der Sinus venosus, als auch das ganze Herz möglichst unversehrt. Das ununterbrochen pulsirende Herz zeichnete anfangs rasch steigende Contractionen, welche, nachdem sie ein gewisses Maximum ihrer Höhe erreicht hatten, auf demselben längere Zeit blieben. Schliesslich nahm die Intensität der in gleichen Zeitintervallen rasch auf einander folgenden Schläge ab, sie wurden ungleich und die Pausen immer länger. Nach diesen beinahe eine Stunde anhaltenden Contractionen traten wohl auch ungleiche Gruppen auf, welche jedoch, sobald das Herz 1 A.a. ©. S. 144, 2 Dies Archiv. 1878. 8. 299. ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION TV. S.w. 447 mit frischem Blute angefüllt wurde, gleichmässig nach einander folgen- den Herzschlägen wichen. Legen wir die Ligatur um den Sinus venosus oder unmittelbar an dessen imestande in den rechten Vorhof, dann beobachten wir, dass die gleichmässige Folge der Herzeontractionen um so mehr gestört erscheint, je mehr wir uns mit der Ligatur den Vorhöfen nähern; die einzelnen Schläge werden oft durch längere Pausen getrennt, es treten Gruppen auf. Den entschiedenen Charakter in Gruppen geordneter Herzschläge nimmt die Herzaction an, wenn die Ligatur 3—5"” über den Sulcus angelest wird. Etwas näher dem Ventrikel als dem Sinus venosus unter- bunden, zeigen die Herzschläge jene Anordnung, der die I. und VI. Tabelle entsprechen; die Herzen der von mir benutzten grossen Frösche 2 zum über dem Sulcus atrioventricularis unterbunden, lieferten auch constant in Gruppen geordnete Contractionen. Näher dem Sulcus rief die Ligatur gewöhnlich aus verhältnissmässig wenig Einzelcontractionen bestehende Gruppen Ben, zwischen welche oft einzelne Herzschläge traten. Die L., II., und VI. Tabelle zeigen den Verlauf in Gruppen geord- neter Herzpulse während der Dauer einer ganzen Herzaction. Diese Tabellen entsprechen zugleich Versuchen, welche mit dem Blute ver- schiedener Thiere gemacht wurden; so bezieht sich die I. Tabelle auf Schweineblut, die II. auf Kaninchenblut, während die VI. die Contractio- nen eines mit dem eigenen Blut gespeisten Froschherzens wiedergiebt. Alle diese Versuche deuten an, dass die Dauer der einzelnen Gruppen und die sie trennenden Pausen schliesslich immer länger werden. Tabelle VII zeigt uns, dass die Pulsationen eines in dem Sulcus unterbundenen Herzens nicht in Gruppen geordnet auftreten. Um dieses Resultat zu erhalten, ist die Ligatur mit grosser Vorsicht anzulegen; fällt dieselbe nicht genau in den Suleus, sondern etwas höher, dann treten auch mehr weniger Gruppen auf. In diesem Falle ist die Herz- action nicht so vehement als bei der Unterbindung über dem Sinus venosus, es fallen demnach auf die Zeiteinheit weniger Herzschläge; auch werden die Pausen verhältnissmässig sehr bald länger. Vergleichen wir die Zeitdauer der Herzaction nach der V., VI.und VII. Tabelle, wo das Herz über dem Sinus venosus, den Vorhöfen entsprechend, und im Sulcus atrioventricularis unterbunden wurde, so finden wir, dass das Herz am längsten functionirte, als die Ligatur um die Vorhöfe gelegt war. Auffallend kurz ist die Dauer der Herzpulsation bei der Unterbindung im Sulcus; in dem Falle der VII. Tabelle schlug das Herz nur 26 Mi- nuten, während das um die Vorhöfe unterbundene Herz der VI. Tabelle 448 FERDINAND KLuG: 1 Stunde 46 Minuten lang seine, in Gruppen geordneten, Contractionen fortsetzte. Dieses Verhältniss war in allen den zahlreichen Versuchen, die ich machte, ein gleiches. Alle den Einfluss der Ligatur betreffenden Beobachtungen finden auch ihre Bestätigung in Versuchen an einem Herzen, welches ich in kleinen Zeitintervallen an verschiedenen Orten unterband. Auf diese Weise erhielt ich die Versuchsresultate der VIII. Tabelle, indem ich das Herz zuerst über dem Sinus venosus, dann an dessen Einmündungsort unterband, und wir sehen, wie in dem letzten Fall die Herzschläge sel- tener wurden; dieser Unterbindung folgte die Ligatur 3”” über dem Suleus atrioventricularis, mit in Gruppen geordneten Herzpulsen, und schliesslich die Unterbindung im Sulcus, mit einzelnen getrenntstehenden Pulsationen. Sehr instructiv ist auch der Versuch der IX. Tabelle. Das Herz, welches 3”® über dem Sulcus unterbunden war und seine Contractionen in Gruppen geordnet ausführte, machte sogleich isolirte Öontractionen, wenn die Ligatur dem Sulcus entsprechend angelegt wurde; löste ich diese letztere Ligatur, dann traten auch von neuem Gruppen auf, unge- achtet der Verletzungen, welche die Ligatur etwa verursachte; unterband ich das Herz zu wiederholten Malen im Suleus, so traten abermals ge- trennte Contractionen auf. Uebrigens gelingt ein solcher Versuch nur ausnahmsweise, da eine etwas fest angezogene Ligatur nicht nur die Leitungsfähigkeit ‘des Nerven an der betreffenden Stelle hemmt, sondern denselben meistens auch stark verletzt, demnach die Lösung der Ligatur nicht den früheren normalen Zustand zur Folge haben kann. Indem wir nun den Einfluss der Ligatur kennend nach der Ursache desselben fragen, müssen wir uns erinnern, dass durch jede nicht über dem Sinus venosus angebrachte Ligatur ein Theil der die Herzaction beeinflussenden Nervenganglien von dem Herzen getrennt wird. Wir kennen in dem Froschherz ein Ganglion in der Wand des Sinus venosus — Remak’sches Ganglion —, zwei Ganglienhaufen an der Atrio- ventriculargrenze — Bidder’sche Ganglien —, ferner Nervenzellenan- häufungen in der Wand der Vorhöfe und schliesslich Nervenzellen, ein- sebettet zwischen die Muskelfasern des Ventrikel. Bezüglich der phy- siologischen Wirkung dieser Nervenelemente liegen, wie bekannt, sehr abweichende Angaben vor. So unterscheidet Bidder'! automatisch und reflectorisch erregte En 1 Dies Archiw 1852, S. 163 und 1866, S. 23. i ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss.w. 449 Herzcontractionen. Die Ganglienzellen, welche in dem beide Vorhöfe trennenden Septum enthalten sind, sollten die Herzaction automatisch hervorrufen, während die an der Atrioventriculargrenze befindlichen beiden Ganglienhaufen nur reflectorisch erregte Bewegungen veranlassen sollten. Bidder wurde zu dieser Annahme durch die Erfahrung geleitet, dass das durch Erregung des Vagus stillstehende Herz durch mechanische Reizung der Vorhöfe nicht zu neuer Contraction erregt werden kann, während mechanische Reizung des Ventrikels Herzschläge auslöst. Für die Automatie der Vorhofcentren spricht nach Bidder auch der Um- stand, dass von den an der Grenze der Vorhöfe und des Ventrikels ge- trennten Herztheilen die mit dem Sinus venosus zusammengehenden Vor- höfe pulsiren, während der Ventrikel in Ruhe bleibt. Diese Erklärung der Herzinnervation kann mit unseren Versuchs- resultaten nicht in Einklang gebracht werden. Wir finden absolut keine Art und Weise, nach welcher, auf Grund der Hypothese von Bidder, die in Gruppen geordneten Herzpulsationen zu begreifen wären, welche nach der Ligatur in den oberen Partien der Vorhöfe auftreten, da nach dieser Ligatur der grösste Theil der automatischen Nervenzellen noch unversehrt dasteht. Selbst der Ausschluss eines Theiles der letzteren durch eine tiefer angelegte Ligatur kann die Sache nicht plausibler machen. Denn angenommen, dass alle diese erregenden Nervenzellen nach einander in bestimmter Reihenfolge die Herzaction auslösen, und dass demnach durch die Ligatur ein Theil der erregenden Reize aus der Reihe ausfällt, wird hieraus 'noch immer die veränderliche Dauer der Pause, wie auch die verschiedene Anzahl der Pulse einzelner Gruppen nicht verständlicher. . Bei dem an der Atrioventriculargrenze unterbundenen Herzen bleiben mit dem Ventrikel die beiden Bidder’schen Ganglien allein; das Herz pulsirt wohl kürzere Zeit als wenn die Ligatur höher angelest wurde — siehe Tabelle VII —; allein die Herzaction hält doch beinahe eine halbe Stunde an, beginnt nicht vehement, sondern nimmt während ihrer Dauer an Raschheit zu, um dann langsam aufzuhören. Diese lange Dauer wie auch der Verlauf der Herzaction zeigen, dass nicht der durch die Ligatur veranlasste mechanische Reiz die Herzfunction so lange aufrecht erhält. Wir können daher auch die beiden Bidder’schen Ganglien nicht als im Sinne Bidder’s reflectorisch wirkend betrachten, das heisst, nicht als solche, die allein in Folge äusserer Eingriffe Herzaction auslösen. Goltz! verlegt das für die Herzaction wichtigste Nervencentrum an die Grenze des Sinus venosus und giebt zu, dass sich ähnliche Centren ! Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie und Physiologie. Bd. 21, S. 191. Archiv f£. A. u. Ph. 1879. Physio]. Abthlg. 29 450 FERDINAND Kıve: auch in der Wand der Vorhöfe und des Ventrikels befinden. Alle diese seien aber nicht automatisch, sondern reflectorisch reizende Nerven- elemente, welche unter normalen Verhältnissen das Blut in Erregung - versetzt und die bei Ausschluss jedes Reizes das Herz auch ruhen lassen. Die rhythmischen Oontractionen des Herzens findet Goltz dadurch er- klärbar, dass die Ganglien durch jede Herzcontraction blutfrei werden. Wenn demnach das Blut den Reiz für die Herzpulsationen abgiebt, so werden diese aufhören, sobald der Reiz entfernt wird, und auftreten, so- bald der Reiz wiederkehrt. “2 Wenn wir auch in der Folge die Ueberzeugung gewinnen werden, dass in der That ein Blutbestandtheil der constante Erreger der Herz- sanglien ist, so können wir doch der weiteren Annahme von Goltz nicht beipflichten; denn wollten wir auch bezüglich der Ventrikelwand noch zugeben, dass dieselbe während der Systole blutleer werde, so muss dies bezüglich der Vorhöfe und des Sinus venosus durchaus in Abrede gestellt werden. Auch können die während der Gruppenbildung auftretenden längeren Pausen und der Verlauf einzelner Gruppen durch diese Hypo- these keine Erklärung finden. Nach den Versuchen von Stannius hört das Froschherz, nach der Sinus venosus entfernt worden, auf zu pulsiren, während der Sinus‘ noch weiter schlägt; jedoch beginnt die Contraction des Ventrikels von Neuem, sobald auch die Vorhöfe entfernt werden. Wie bekannt, nahm Stannius! demzufolge in dem Herzen hemmende und erregende Nerven- centren an. Stannius selbst liess sich in weitere Erörterungen nicht ein, seine Versuche aber dienten als Ausgangspunkt der Untersuchungen anderer Forscher. So unterscheidet z. B. auch Heidenhain? hemmende und erregende Nervencentren. Die hemmenden Ganglien befinden sich überwiegend in der oberen Grenze der Vorhofswand und in der des Sinus venosus, die erresenden aber in der unteren Vorhofs- und der Ventrikelwand. Daher unterbricht die unter dem Sinus venosus angelegte Ligatur für einige Zeit die Herzbewegungen, sie wirkt als starker mechanischer Reiz und erregt die an der Ligaturstelle befindlichen hemmenden Ganglien. Dem entsprechend wären auch bei unseren Versuchen die die Grup- pen trennenden Pausen von der durch die Ligatur hervorgerufenen Er- regung hemmender Nervencentren abzuleiten. In diesem Falle müssten aber die Pausen immer, kürzer werden und endlich ausbleiben, weil die 1 Dies Archiv 1852, 8. 92. 2 Dies Archiv 1858, 8. 479 und m nn de nervis orgamisque vortr cordis, Dissert. inaug. Berolini 2854. ” en m ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss.w. 451 dureh die Ligatur veranlasste Erregung, wie Heidenhain selbst her- vorhebt, bald — nach etwa 5—10 Minuten — abläuft, und die Wir- kung der hemmenden Ganglien aufhört. Wie wir jedoch sahen, werden die Pausen, mit seltenen Ausnahmen, während einer stundenlang dauern- den Beobachtung immer länger. Auch nach Bezold! haben wir uns in dem Herzen erregende und hemmende Kräfte in steter Wirksamkeit vorzustellen. Die Herzbewe- gungen erresenden Kräfte haben vorzüglich im Sinus venosus und an der Grenze des Ventrikels ihren Sitz, während das Centrum der hem- menden Kräfte hauptsächlich die in der Wand der Vorhöfe befindlichen Nervenzellen bilden. Wird der Sinus venosus abgetrennt, dann bleiben noch die in der Vorhofswand und der Ventrikelgrenze enthaltenen Ner- venganglien zurück, in welchen die erregenden und hemmenden Kräfte einander längere Zeit das Gleichgewicht halten. Während der Ruhe aber wächst immer mehr der erregende Krafttheil, der auch schliesslich das Gleichgewicht zum Vortheile der erregenden Wirkung stört. Werden auch die Vorhöfe vom Ventrikel getrennt, dann reizt dieser Eingriff den Ventrikel, entfernt zum grössten Theil die hemmenden Kräfte, der Ven- trikel beginnt daher abermals lebhaft zu pulsiren. Dieses Verhältniss der erregenden und hemmenden Kräfte können wir uns etwa in folgender Weise versinnlichen: Fig. 1. Möge die Linie abe der Länge vom Beginn des Sinus venosus bis zum Herzventrikel entsprechen, von a bis 5 reiche der Sinus venosus, von 5 bis ce die Vorhöfe, dann folgt der Ventrikel, der hier nicht mehr angedeutet ist. Die Höhe der Linie JJ über der Abscisse ade ent- spreche den erregenden, die der Linie @@G den hemmenden Kräften. Auch nehmen wir, gemäss der Theorie von Bezold, an, dass die von aJJc und a@G’c eingeschlossenen Räume einander gleich seien; nun 1 Virchow’s Archiv f. pathol. Anatomie und Physiologie. Bd. 14, S. 294. 295 452 FERDINAND KuuG: steigt aber die erregende Kraft durch den im Herzen fortwährend wir- kenden Reiz, bekämpft schliesslich die Hindernisse und löst den Herz- schlag aus. Hieraus ist begreiflich, weshalb das Herz in gleichen Zeitintervallen schlägt, wenn es an die Canüle über dem Sinus venosus befestigt wurde, da ja alle erregenden und hemmenden Ganglien mit dem Herzen ver- eint blieben. Legen wir die Ligatur unter der Sinusgrenze um das Herz, dem- nach unter der in Fig. 1 mit 5 bezeichneten Stelle, so würden die in der Sinuswand, vorwaltenden erregenden Nervenelemente ausgeschlossen und die die Contraction hemmenden Factoren gelangen zu überwiegendem Einfluss. Dieser Umstand kann wohl als Ursache längerer Pausen gelten, erklärt aber nicht, weshalb die Herzcontractionen in Gruppen geordnet auftreten. Möge eine Hypothese wie die soeben besprochene auch noch so zu- treffend erscheinen, sie erklärt uns die Gruppenbildung nicht und leidet an der Annahme besonderer hemmender Vorrichtungen, die doch höchst problematisch ist. Dass die in den Herzganglien entstehende Erregung Hindernisse bekämpfen muss, wenn sie Herzpulse auslösen soll, ist ein Umstand, der stets eintrifft, sobald ein Organ durch Nervenerregung in | den thätigen Zustand versetzt wird. Wenn wir etwa einen Muskel von seinen Nerven aus durch elektrische Schläge zur Contraction anregen wollen, dann muss der Strom auch von ganz bestimmter Intensität sein, unter welcher er eben ungenügend bleibt Muskeleontraction auszulösen. So muss auch die Erregung der Herzganglien einen bestimmten Grad erreichen, um Herzpulse veranlassen zu können. Ich will daher in Fol- sendem den bescheidenen Versuch wagen, allein aus der Gegenwart er- regender Ganglien die bei der Herzfunction beobachteten Erscheinungen zu erklären. N Wie die histologischen Befunde lehren, befinden sich die meisten Ganglien in der Sinus-venosus-Wand, schon weniger in der Ventrikel- grenze und die wenigsten in der Wand der Vorhöfe. Indem wir von der Gegenwart hemmender Ganglien absehen, wird natürlicher Weise } auch das Schema, welches wir der Bezold’schen Theorie gemäss con- struirten, eine andere Form annehmen (Fig. 2). | Die verschiedene Höhe der Linie über der Abseisse J.J’ möge die | segenseitige Anordnung der Nervenelemente im Herzen andeuten; ab | entspreche dem Sinus venosus, 5c den Vorhöfen und cd der Atrioven- trieulargrenze. Wir nehmen an, dass die Erregung der Ganglien eine bestimmte E Intensität erreichen müsse, um Contraction der betreffenden Herztheile ÜBER DEN FINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss.w. 453 auslösen zu können. Da die grösste Menge der .erregenden Centren in der Sinuswand enthalten ist, die zugleich an Muskelelementen am ärmsten ist, wird auch die die Herzpulse auslösende Erregung hier zuerst jenen Höhengrad erreichen, welcher zur Auslösung von Herzschlägen nöthig ist. Zugleich wird aber diese Erregung zuerst die Erregung der nervösen Elemente der angrenzenden Vorhöfe, dann jene des Ventrikels, durch Auslösung von Kräften auf jenen Grad erheben, welchen dieselben be- dürfen, um die entsprechenden Herztheile auch in Contraction zu ver- setzen. Daher muss auch die Pulsation der Herztheile in jener Reihen- folge verlaufen, in der wir sie unter normalen Verhältnissen beobachten können. Wird das Herz in der Höhe der Vorhöfe unterbunden — in Fig. 2 zwischen dc — und damit der beträchtlichste Theil der erregenden Centren entfernt, dann muss die gesammte Erregung der zurückbleibenden Theile, um Herzcontraction auslösen zu können, jenen Intensitätsgrad erreichen, zu dem sie früher mit Hülfe des auslösenden Einflusses der Fig. 2. Nervenelemente des Sinus venosus viel rascher gelangt war. Demnach wird auch die Herzaction in diesem Falle im Ganzen langsamer vor sich sehen, wie dies auch jener Umstand beweist, dass das Herz thatsächlich vor dem Anlegen der Ligatur unter dem Sinus venosus in der Zeitein- heit mehr Pulse ausführt, als nach derselben. Zugleich folgen aber die Herzpulse bei dieser Unterbindung nicht in gleichmässigen Zeitintervallen, sondern in Gruppen geordnet. Diese Erscheinung findet ihre Erklärung in der Beobachtung von Prof. H. Kronecker,! nach welcher ein Herz- schlag für einige Zeit das Auftreten des folgenden erleichtert. Während nämlich die durch eine lange Pause bedeutend gesteigerte Erregung schliesslich einen Herzschlag auslöst, können auf diesen sogleich noch 1 Beiträge zur Anatomie und Physiologie. Als Festgabe Carl Ludwig zum 25 jährigen Jubiläum gewidmet von seinen Schülern. Leipzig 1874. 8. CLXXVII. 454 FERDINAND Krug: mehrere andere folgen; nach dem einmal erfolgten ersten Schlage ist eine schwächere Erregung genügend, um das Herz in Contraction zu versetzen. Dass die Pausen des stundenlang schlagenden Herzens immer länger und die Schläge späterer Gruppen auffallend schwächer werden, findet ' wohl seine Ursache in der immer fortschreitenden allgemeinen Erschöpfung, welcher die Nerven- und Muskelelemente unterworfen sind. Wie dies auch der Umstand beweist, dass das bereits ermüdende Herz kürzere Pausen und kräftisere Schläge macht, wenn wir das in demselben vor- handene Blut durch frisches ersetzen — siehe Tabelle II. Schliesslich fallen nach der Unterbindung im Sulcus auch die Vor- höfe weg, während der Ventrikel die Bidder’schen Ganglien behielt, daher das Verhältniss zwischen den erregenden Kräften und den durch diese zu bekämpfenden Hindernisse zum Vortheil der ersteren geändert | wurde Hier werden daher keine längeren Pausen nöthig sein, damit | die Erregung der Nervengebilde jenen Grad erreiche, der nöthig ist, um die Ventrikelmusculatur zur Contraction anzuregen. Die Herzcontractionen werden, dem verhältnissmässig geringeren Gehalt an Nervenzellen ent- sprechend, weniger vehement sein als bei der Ligatur über dem Sinus, aber doch auch nicht in Gruppen geordnet auftreten. Auch werden die übrigbleibenden Ganglien rascher erschöpft, und die Funetion eines so unterbundenen Herzens dauert nur Verhältnissmässig kurze Zeit. Wir waren bestrebt, die durch die Ligatur hervorgerufenen Ver- änderungen der Herzaction aus der Annahme erregender Ganglien zu erklären und werden in dem Folgenden weitere Daten finden, die uns die Annahme hemmender Nervencentren als überflüssig erscheinen lassen, auch werden wir einen Einblick in die unter normalen Verhältnissen die Herzaction aufrecht haltenden und regulirenden Factoren gewinnen. ! Der hemmende Einfluss der Nervi vagi bleibt erklärbar, auch wenn wir nicht annehmen, dass seine Nervenfasern in besonderen hemmenden Nervenzellen enden; ich werde in einer weiteren Mittheilung auf diesen Gegenstand zurückkommen. II. Wirkungen des Sauerstoffs und der Kohlensäure auf das Froschherz. Nach den Erfahrungen von Castell? schlägt ein Froschherz bei einer Temperatur von 16—20° R. in der atmosphärischen Luft etwa 1 Siehe: Goltz, Vagus und Herz in Virchow’s Archiv, Bd. 26, S. 26. 2A. a. ©. S. 226. ‚8 BE 0 A. ÜBER DEN FINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss.w. 455 3 Stunden lang, in verdünnter Luft werden die Herzschläge bereits nach 10 Minuten seltener und bleiben bald ganz aus. Kräftige und rasche Schläge folgen der Einwirkung des Oxygens, welche auch über 12 Stunden andauern können. Das der Kohlensäure ausgesetzte Herz setzte bei Castell’s Versuchen seine Pulsation etwa 6 Minuten lang fort, dann trat vollkommene Ruhe ein; an der Luft begann dies Herz naeh 15—20 Minuten seine Contractionen von Neuem. Nach diesen Untersuchungen würde das Oxygen die Herzaction gün- stig beeinflussen, während die Wirkung der Kohlensäure höchst schäd- lich zu sein scheint. In der Sitzung der physiologischen Gesellschaft zu Berlin am 3. Mai 1878 berichtete H. Kronecker über Unter- suchungen, welche M’Guire! „Ueber die Speisung des Froschherzens“ unter seiner Leitung ausgeführt hatte. Nach diesen scheint der Sauerstoff der in das Herz geleiteten Flüssigkeit gleichgiltig zu sein, da dasselbe bei entgastem Serum und Blut noch kräftig pulsirte. Auch Kohlenoxyd schwächte den erregenden Einfluss des Blutes auf das Herz nicht. „Da- segen erwies sich asphyktisches Blut ungeeignet, das Herz schlagfähig zu erhalten. Schon kleine Mengen Kohlensäure schwächen den Herz- schlag merklich“. Um bei meinen Versuchen die Gase durch das Blut der Behälter des Froschherzmanometers leiten zu können, verschloss ich die letzteren mit je einem zweimal durchbohrten Korkpfropf, durch welchen zwei Glasröhrehen nach Art der Spritzflaschen in die Behälter führten. Das tief gehende Glasröhrchen brachte ich mit dem Gasometer in Verbin- dung, während das andere mit Hülfe eines Kautschukrohres das durch das Blut geleitete Gas nach aussen führte. Den Sauerstof! gewann ich theils aus Braunstein und chlorsaurem Kali, theils auf elektrischem Wege; die Kohlensäure aus Kreide und Salzsäure. Das reine Gas sammelte ich in einem Glasgasometer an, aus welchem dasselbe nach Bedarf durch das Blut geleitet werden konnte. Mit diesem Blute füllte ich nun das Herz an und beobachtete die Herz- schläge. - Die Wirkung dieser Gasarten ist im Allgemeinen in dem späteren Verlauf der Versuche deutlicher als zu Beginn. Es ist das Herz auf- fallend empfindlicher, wenn es längere Zeit bereits pulsirte und einen beträchtlichen Theil der in seiner Substanz enthaltenen Kräfte verbraucht hat, als wenn es frisch und leicht erregbar ist. Von den vielen Versuchen, die ich machte, möge das Resultat einiger in folsenden Tabellen vorgeführt werden. 1 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Dies Archiv. 1878, In 221. 456 FERDINAnND Kiue: Tabellen zur Erläuterung des Einflusses des Sauerstofis und der Kohlensäure auf das Froschherz. a. b pi d.| e. | f I. h. | £ | a a es l e | an: =|2 || Höhe | 2 ud u 2 Anordnung |2% „lee Ben en A ı2$ Er > | Zeit. des 55| Schläge „| & 28 al Ol einer | | e-B 8 Ö Versuches. |. „ a der isolirten = = rg ©© Gruppe. | © ı 5 3 S- ©. E SE Sans Contractionen. |. ai Z =, a = S Millimeter.|Sec. |Sec. I. ‚3010| Ligatur über dem Suleus. | 11 24 ZN | 24 Blut. 992) 24-13 [1083| 54 Druck 4mm He. 1 14 15 1 14 12 5 14 24 |104 2 11—10-5| 3-5 | 22 2 110-.5—11 3 | 72 2 10 21 227928 —10 3: | 22 2 | 9.8—-10 |3-5| 24 217928 —10 3 | 24 20 092810 3.11) 2 10—10 3 | 18 2 10—10-5| 3-5 | 20 2 10—10-5| 3 | 26 3 10-959 7 #»5)| 28 4 109-5 5-5 28 2 10-5 3-5| 21 2 10-5 3:5 | 22 2 110-5—11 3 721 4 IO—N: 6. | 32 2 10-5 3.5 22 2 10-5—11 13-5, 20 2 10-511: 3-5) ? 2 10—10.5] 3-5 | 22 2.7 1010-5 3=5 |? Blut. 6 23-5 18 | 29 10 |23.5—22 33 122 101 |23-5— 20-5) 292] 34 Serum. | 226) 19—14 | 585| 38 do. | 85| 19-—16—| 498| 17 Sauerstoffserum. 113| 19—9-5 | 343| 32 do. I | az] 1-5—0-1 | 1770| 34 Blut. 1 4-5 5) 20 1 95 10) 10 1 7 23) 4 Ev Nr Zeit. 5031’ ÜBER DEN Eınruuss GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUncTIoN U. 8.w. 457 d. 1% 2 d. EI EL I: h. “ ‚ön a 3 IS. = a = 3 5 Höhe 3 |43 5 Anordnung |2& Höhe der el elek == = 2 2| Schläge u n 8 des er Las 8 B 23 # Versuches. | 5 ER „| 58 der isolirten En A o od Gruppe. & [= S 8 a (eb) rg, | Contractionen. 3:7 ra —_ 9 A A © 2 N > S |Millimeter.| Sec.|Sec. Blut. 80 | 7-5—10-51228 | 35 Sauerstoffblut. Der CE nUe do. 165120192857 Senat: Puls ft 851 |18-5—6-5 990 | 85 | men Aulsen of linie nicht, Ligatur an den Vorhöfen. 11 23—19-5| 19 | 43 Blut. 2 | 23—22 34005 Druck 4mm Hg. | 16 | 23-17-5 | 26 | 51 2 18—20 301022 15 |20-5—16 28 | 57 2 20—19 3. 222 16 20—15.5 33 ? | Unter der Luft- pumpe entgastes' 24 | 18—13 | 41 | 66 Blut. 21 21-514 | 41 | 68 | 19 | 22—-13-5 39 | 71 | Teste 14) 3800 | Sauerstoffblut, | 23 115-.5— ? 30.053 19 16—14 32 | 39 18 118-5—15 31 | 41 29 | 18-14 |34 | 47 27 | 18-13-5| 33 | ? 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Sec.|Sec. 3 12—11 3-5| 2 9 12—9 14 4 3 12—11 4 5 la) ze 5 sa 025 120026 a2 98 | 6 4 9 Mail) 8 4 } 7 | 12-10 11 a le) 914 Sauerstoff blut. 86 13—12 |182 Entgastes Blut. | 40 10-.0:-50 78 erde: | Sauerstoffblut. | 123 | 911-7 | 303 Ligatur an den Vorhöfen. 11 16 20 | 39 Blut. il 16 21 | 54 Druck 5mm Hg. | 11 | 15-16 | 21 554 10 15-5 19 | 52 11 15 21 ? 10eem Kohlen- säure durch 20eem| 14 15 24 | 63 Blut geleitet. g 15-5 18 | 54 7 15 15 | 47 8 15 20 | 48 8 15 21 ? Blut. 12 16 23. | 54 8 17 16 | 45 9 17 21 | 47 5 7 132029 5 kr 325271 b) 16-5 14 | 22 4 Ur ar 20cm Kohlen- säuredurch20em 4| 16-5 |111|30| Blut geleitet. 6) 16 |15| 4 6 16-5 16 | 26 Ka rS .. u-| 6: oo. °2 in r 5 SEE 2 5 | 7 2 Bean = ie Has] 4 (bi5 be B* © . > ) 40 47 a 7 Sr Dann auhal- tende Ruhe Ruhe. Nr. des Versuches. - ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss.w. 459 4. b c. | RE I. Rh. | ® | © s El | cu Ela. IE Höhe al esse, ie Anordnung E 2 Höhe der 8 Ken =) IE Z fe) N ei ab Ira a Zeit. des 52| Schläge |. | & N eo) . S rg nz u Versuches. a = Er “| 8 der isolirten Eu E © Grup. | 2 | 5 : N 5 = s|äg Contraetionen. |2-= je) = A |,© S |Millimeter.|See. | Sec I | | 1: 165 |ız|o | 8 16-5 20 | 32 8 16*5 20 | 32 s| 16-5 | 20 | 36 Re) 9|I 16-5 123 | 34 | | gl RG 21 | 36 | ) 16—15-5| 23 | .? Blut. 6 117-5—16+5| 17 | 30 5117°-5—16-5| 16 | 27 4 117-5—16-4| 12 | 22 a ler 1103 N 5 17—16-5| 14 | 23 | 5 17—16-5| 14 | 21 | 10 | 17—16-5| 24 | 35 | | 6 16-5 16 | 27 7 16-5 18 | 27 | 6 16 17 | 24 5 116-5—16 14 | 20 6 116-5—16 | 17 | 24 | 6 16 re il 7 16 20 | ? 40eem Kohlen- säure durch 20°e m] 5 14 15 | 29 Blut geleitet. 2 14-5 6 | 25 7 114-5—14 19 | 38 9 14—13 8 | 10 10 15 28-||® 5 14-5 60 8 3 13-5 8| 15 Ü 16-5 86 8 Blut. 4 16 47T 8 4 16-5 12 | 13 % 16—15 All 110) | 7 16—15 15 | 18 7 16—14-5| 18 | 19 6 16—14-5| 15 | 17 6 115-5—14-5, 14 | 16 4 15—14-5| 14 | ? Blut. 4 16—14-5| 10 | 14 | 5 16—15 12 | 16 | 5 16—15 11 | 14 460 FERDINAND KuuG: 2 a. \ €: ö E f I- 5 = E =F '2|5)4| Höe |2 05 ce = a © 3| Höhe der | = Sn Eure on zZ nordnung |22| ,... 16) © 3 > | Zeit des Sr Sehe | as Zi ES emer rel has Re Ö = Versuches. 23% a|® der isolirten SE =| I © ©, Gruppe. | © | 5 5 De 5 : od 3 | 8 Contractionen. |” ee) 2 3° alle 2 S |Millimeter.|Sec.|Sec 4 16—15 12 6 16—15 14 | 12 9 17—15 21 9 4 115-5—15 10 8 _ 6 15—14-5| 13 7 6 15—14-5| 13 9 6 15—14 14 8 5 15—14 12 8 8 15—13-5| 19 8 i 7 15—14 17 8 9 15—14 20 ! 10 11 114-5—13-5) 24 | ? 56| 13—12-5| 127 | 44 8occm Kohlen- säure durch 20cm 92| 12—14-5 414 | 22 Blut geleitet. Blut. | 26| 16—15 |102| 25 5 15—14 “ 7 8 15—14 8 8 9 15—14 8 8 13 15—13 3 3 | 72! 14—10-5| 144) 50 Kohlensäure- blut. 3 35 5| 60 1 3 3 ı| .2..,| 1920-5 m 60 Blut. 191 |15-5—13 |706| 26 IV. | 301’ | Ligatur über dem Sulcus. Blut: 93 120-5—21 1179| 51 Druck 5um Hg. Blut. 22 22 170| 13 | 10 22 83 | 12 Kohlensäure- blut. 3 21 103) 3 4 11 15 | 81 5 20-5 16 | 89 6 20-5 ke 7 20 19 | 42 ) | 20 28 | 41 ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTIoNn U. $s.w. 461 a. h e. dem NE g: RS © | 8 | | 5 a R | 2 = | Höhe | 3 Be i a Anordnung 2% Höhe dr | 5 5 | NS A ea Ei WE | Zeit. des sa ee EEE: | and) einer S Re Ar © 3 Versuches. , % Ho der isolirten = = I“ ee Contract Bald - .n 3 ontraetionen. = n- zi aa ‚© | | S Millimeter. See. Sec. rm « 20 a Blut. 18 18 153 | 12 Blut. 17 18-5 125| 13 Kohlensäure- blut. | al 193| 11 | f 16 15 1985| 8 Blut. 42 20 171 | 24 Kohlensäure- blut. 21 17 144 14 | do. 2 1522 1854| 1 6 16—17 14 1178 7 13—17 16 | 102 8 ea: Blut. 207 | 22—1S. |629| 33 Blut. | 23 20 8s4| 27 2/3 Kohlensäure | 1/, Sauerstoff durch Blut ge- leitet. | : 22 18-19 |159| 14 Blut. 18 21-5 85 | 21 2's Kohlensäure 1/, Sauerstoff durch Blut ge- leitet. 25, 2190 dan rei 33,|, „olslanla: Blut. 16 20 92.) 1 Blut. 70 20 181 | 38 50 36° |Ligaturüberdem Suleus. Blut. 127: 17—19 |188'! 67 Druck 4-5um He. Sauerstoffblut. | 17 | 22—20 | 24 9 15 122-5—20 21 T 16 2220 24 7 19 22—20 DU. © 2/3 Kohlensäure l/, Sauerstoff durch Blut ge- leitet. 40 | 18—19-5, 110 | 36 462 FERDINAND Kuve: = a. = @ © = RE | I- r > 2 Anordnung 2= „ae An 5 | M = | Zi SE Ei > Zeit. des 5 Schläge En S ns r Ö Versuches. a = se © der isolirten 8 es 3 > ©.©| Gruppe. | 2 | = : wi © R = .n 3 Z Contraetionen. |4-7 FA zZ a = > S |Millimeter.|Seec.|See Sauerstoffblut. | 46 |21-5—20-2] 129 | 35 14 |21-5—20 25 6 Si 223—19-5| 47 8 77 21-5—19 |127| 60 2/3 Kohlensäure 1/; Sauerstoff durch Blut ge- leitet. 64 116-9—19 |177 36 { do. 32| 16—18-5| 207 | 15 a do. 1010219 115| 8 j Sauerstoff blut. 260| 17—14 |219 118 B Kohlensäure- | Anhaltende blut. ee. | stoffblut unter- | brochen wurde, VI. 11019’ |Ligatur 3mmüber dem $Suleus. Blut. 9 24—23 29 1:71 Druck gmm Ho. 61! 25—23 | 21 | 60 a. 24-23 |ı14 | 50| 4 24—23 13 | 46 I: 24—23 EZ Ep Kohlensäure- blut, 4 12 - 16 | 161 6 15—14 20 | ? | Kohlensäure- Anhaltende blut. ause, Blut. 420 4 19—19 | 15 |138 1 22 6 | 22—-20.5| 24 |101 5 121-5—21 2a ur | 5 [21-521 |19| 68 | 5 121-5—21 Tl | Aa ln Blut. 4 23—22 15 4 4 122-5—21°5| 16 | 37 4 122-5—21 15 | a7 e: 4 22-5—21 15 | 38 | | ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. s.w. 463 I Dauer : > S Gi age — Höhe Höhe der Schläge einer Gruppe. Anordnung Zeit. des Versuches. des Versuches. der isolirten Contractionen. in Procenten. Bemerkuneen. tw} einer Grnppe. Dauer der Gruppe. & Dauer der Pause. Nr. Verhältniss von A: f Zahl der Herzschlä Millimeter.| Sec.| Sec. "sog u er Den = — SU De U } = [eo] Blut. 22-5—21- 22-20: 22—20- ; aa 01 200. 53.534 41 21-520 |126| 33 230 09072 1981310129 46 20-5—18-5| 122 | 34 | 39 20-185 113 | 40 32 19-518 | 92| ? Blut. 9 | 20—-18-5| 26| 39 s| 19-17-5| 26| 36 | 7 119:5—18-5| 21| 36 | 7 1 ı fo) @ 9 DIUTAIN DD OOo DD \ DD - fen [0,0] [S%) DD ent Qu U oo or D RS DD I 19-5—19 | 23 35 19-5—18-5) 27 37 9040 | Ligatur in dem | | | Suleus. | | | Blut. | 32 | 10 17.2100 Druck 3mm He. 26. | 16-19 |100 EISEN 24 | 19-14 | 100 94 1A 14,90 Kohlensäure- blut. 42 2-3-5 100° | Anhaltend 20 Sofge 6 95 nna Er e Ruhe. Blut. | 33 20—20-5| 85 | 135 29 2120-597, 2 | 27 121-5—20-5| 105 | 96 ; | 29 | 21—20 |116| 74 | 30 120-5—19-5| 99 | 74 464 FERDINAND Krug: di. b C. ae: 5 a h. A &h © {eb) j x m = S = 2 = Hohe E = A © &| Höhe der | 2 E|S | ä °2 &n Ser De el Kerze) Sy Del 2] oe P | Zeit. des ou ro Be RZ ee 2 Versuchen, Senn ee Aeriscl Er = © HH „| © er ısolirten = =) S © 2 | Gruppe. | 2 | 2 5 2a 5) R re: = Z Contractionen. 2 jao} Z Zinn = = S [Millimeter. Sec. | See 33 | 20-18-5122 | 73 | 35 20—18-5112| 78 43 |19-5—18 1158| ? Blut. 28 20—19-5| 98 | 46 32 20—19 1118| 39 29 30—18-5) 100 25 18-5 100 25 118-5—18 |100 29 18— ? 100 29 18—17:»5| 100 | 28 17-5 100 | VII. | 99 7 |Ligatur 4mm über dem Suleus. Blut. ray 17—17 1112| 35 Druck 3mm He. | 29 18-16 | 8s0| 57 26 18— 16 143059 21 18—15 66 | ? Kohlensäure- 2 5»5 5 6—13 |432|1-6 blut. 18. 116-5—14-5| 51| >? Blut. 14 16—14-5| 49 | 50: 16 115-.5—14 53 | 48 14 15—13-5| 48| ? Ligatur in dem Suleus. Blut. 62 10 100 Druck 3mm He. ( 54 10—10-5| 100 48 10-5 100 Kohlensäure- blut. 52 3 100 45 3—3-5 |100 35 | 3-54 [100 an | 10 6° Blut. 14 112-512 |100 ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. s.w. 465 Wir wollen nun mit Hülfe dieser Tabellen den Einfluss des Saner- stoffs und der Kohlensäure auf das pulsirende Froschherz beobachten. Aus Versuchen von Regnault wissen wir, dass Blut in reinem Sauerstoff von diesem nicht beträchtlich mehr aufnimmt, als wenn es der atmosphärischen Luft ausgesetzt ist. Daher dürfen wir in den Herz- pulsationen keine bedeutenden Veränderungen erwarten, wenn wir in das Herz anstatt des frischen Blutes von Sauerstoff durchströmtes Blut — Sauerstoffblut — leiten. Da es für unsere Zwecke von Interesse zu sein schien die Wirkung des Sauerstoffblutes mit derjenigen des Serums, durch welches wir Sauerstoff geleitet hatten, zu vergleichen, so entnahm ich die I. Tabelle einer Versuchsreihe die diesen Vergleich gestattet. Die Anfangs isolirten Schläge eines über dem Sulcus atrioventricularis _ unterbundenen Herzens wichen bald gruppenartig geordneten Contrac- tionen, um schliesslich abermals langsam einander folgenden isolirten Herzschlägen Raum zu geben. Führen wir nun in das bereits ermüdende Herz reines Serum ein, dann steigt die Zahl der Schläge in 100 Secunden von 34 auf 38, während deren Höhe gleichmässig abnimmt. Erneuertes Serum vermehrt die Herzpulse nicht mehr, diese fallen als Zeichen der fortschreitenden Ermüdung in 100 Secunden auf 17 herab. Füllen wir jetzt das Herz mit von Sauerstoff durchströmtem Serum an, so steigt auch die Zahl der Herzpulse bald von 17 auf 32 bezüglich 34, während die Intensität derselben noch weiter abnimmt. Das von Sauerstoff durch- strömte Serum regt demnach das Herz zu häufigeren Pulsationen an, scheint aber die zur grösseren Kraftentfaltung nöthigen Stoffe nicht in entsprechender Menge bieten zu können. Unter dem Einflusse reinen defibrinirten Blutes beginnt dasselbe Herz wieder kräftiger zu schlagen, die Höhe der gezeichneten Curven wächst und bald werden auch die Herzschläge bedeutend rascher. Das unter dem Einfluss des Blutes sich immer mehr erholende Herz schlägt noch bedeutend intensiver, nachdem es mit Sauerstofiblut angefüllt wurde. Die Zahl der Herzschläge stieg nämlich in dem letzteren Fall von 35 auf 57 und bei erneuerter Sauerstoffzufuhr selbst auf 85, obgleich das Herz recht lange funetionirte, indem es in 990 Secunden 851 Schläge machte. Die einzelnen Pulse erfolgten oft so rasch, dass der Zeichenstift des Manometers die Abscisse während der Diastole gar nicht erreichen konnte. Die Herzschläge wurden auch zugleich intensiver, die Puls- curven erreichten 20” Höhe. Sauerstoffreiches Blut zeigt also zweifellos eine erregende Wirkung auf die Herzaction. Das Serum übt solchen Einfluss nur in sehr geringem Maasse und ist nicht fähig die fortschreitende Erschöpfung des Herzens aufzuhalten. Wir werden daher die Blutzellen, bezüglich den mit dem Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 30 466 FERDINAND Kurve: Sauerstoff verbundenen Hämoglobin derselben, als den hauptsächlich- sten Factor der Herzaction betrachten. Noch auffallender wird die günstige Wirkung des Sauerstoffblutes, wenn wir dasselbe Herz, einmal mit unter der Queeksilberluftpumpe entgastem Blut, ein andermal mit Sauerstoffblut anfüllen. Einen solchen Versuch zeigt die II. Tabelle. Während das Herz noch lebenskräftig ist, finden wir in der Wirkung des entgasten Blutes noch keine Ab- weichung von jener des sauerstofireichen, wenigstens nicht in auffallender Weise; daher auch hier eben die am Ende der Versuchsreihe erhaltenen Resultate von grösserer Bedeutung sind. Diese deuten aber die fördernde Wirkung des Sauerstoffblutes zur Genüge an; auf 40—47 Pulse in 100 Secunden folgten unter dem Einflusse des entgasten Blutes im Ganzen nur 51 immer matter werdende Herzschläge, dann anhaltende Ruhe, ' welche neu eingeführtes ähnliches Blut nieht zu unterbrechen vermochte. Diese Ruhe hörte aber unter dem Einfluss des Sauerstoff’blutes sogleich auf, die Herzschläge traten von Neuem mit steigender, dann abnehmender Frequenz und Intensität auf. Bezüglich des Einflusses, welchen das Sauerstoffblut auf die gruppenartig geordneten Herzpulse übt, zeigt die II. Tabelle, dass die Pausen kürzer, die die Gruppen bildenden Herz- schläge aber höher werden, als sie unter dem Einfluss des entgasten Blutes waren. Ferner zeichnet das sich im Uebrigen in sehr regelmässigen Gruppen contrahirende Herz unter dem Einfluss des Sauerstoffblutes häufig Gruppen, deren Pulse einander auffallend rasch folgen, die Diastole der vorangegangenen Herzcontraction ist, noch bei weitem nicht zu Ende und schon beginnt das Herz von Neuem zu schlagen. Diese Herzpulse sind ähnlich jenen, welcheH. Kronecker!bei rascher elektrischer Reizung auf 20—30 Grade erwärmter Froschherzen beobachtete. Zur Wirkung der Kohlensäure übergehend wird uns Tabelle III auf den bedeutenden hemmenden Einfluss derselben aufmerksam machen. Als ich bei dem entsprechenden Versuch durch 20° Blut 10—20 « Kohlen- säure leitete, zeigte dieses Blut noch keine auffallende Wirkung auf das Herz, allein bereits sichtbar wurde die Abnahme der Zahl der Herzpulse bei einer Durchleitung von 40° Kohlensäure. Als später die Gruppen geordneter Herzeontractionen sich immer mehr in einander regellos fol- sende Pulse auflösten und ich durch das Blut auch mehr Kohlensäure — 80° — führte, fiel die Zahl der Herzschläge in 100 Secunden von 44 auf 22. Frisches Blut beschleunigte wieder diese durch den Einfluss der Kohlensäure verlangsamte Herzaction. Leitete ich schliesslich durch das Blut längere Zeit recht viel Kohlensäure, dann nahm auch die Herz- contraction sehr rasch ab und hörte nach etlichen Pulsen ganz auf. RE DANS O. SNCHKRXIT. ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION U. Ss. w. 467 Diese hemmende Wirkung der Kohlensäure stört die Gegenwart des Sauerstoffes durchaus nicht, denn dieselbe ist auch dann zu beobachten, wenn ich in das Blut ein Gasgemenge von °/, Kohlensäure und ?/, Sauerstoff leite; wie dies aus Tabelle IV und V zu ersehen ist. Diese, die Wirkung der Kohlensäure auf die Herzaction betreffenden Beobachtungen stimmen nicht nur mit den Angaben von Castell über- ein, sondern bestätigen auch die. Befunde von Mc’ Guire. Die hemmende Wirkung der Blutkohlensäure auf die Herzaction sestattet, wenn wenn wir von der Annahme erregender und hemmender Nervenganglien ausgehen, eine doppelte Erklärung. Die Kohlensäure muss nämlich entweder reizend auf die hemmenden oder lähmend auf die erresenden Ganglien wirken. In beiden Fällen wäre das Resultat dieses Einflusses behinderte Herzaction. Auffallend ist auch, dass das- selbe kohlensäurehaltige Blut, welches die Athembewegungen beschleunigt, die Herzfunction hemmt. Wenn die Kohlensäure des Blutes die Athem- bewesungen aus dem Grunde beschleunigt, weil sie die erregenden Sentren des verlängerten Markes reizt, so läge in der That der Schluss nahe, dass die Kohlensäure auch auf Herzganglien reizend, nicht lähmend wirke. Dies möchte demnach zu der Annahme führen, dass die Kohlen- säure die hemmenden Herzganglien reizt. Betrachten wir jedoch die während des Einflusses des Kohlensäureblutes aufgezeichneten spärlichen Curven, so finden wir, dass die durch das Herz während der einzelnen Pulse entwickelte Kraft in fortwährender Abnahme begriffen ist; während, wenn wir zum Beispiel den Nervus vagus reizen, demnach die Herz- function hemmen, die seltener auftretenden Herzschläge zugleich viel kräftiger werden. Diese Erscheinung spricht gegen die Annahme einer erregenden Wirkung der Kohlensäure auf hemmende Ganglien, und für lähmenden Einfluss auf erresende Herzcentren. Dass dies den bei der Athmung zu beobachtenden Erscheinungen nicht entspricht, kann hier nicht maassgebend sein, da noch nicht entschieden ist, ob der Mangel des Sauerstofis oder die Anhäufung der Kohlensäure im Blute die Athmung ausiöst und wohl auch denkbar ist, dass die Natur die verschiedenen Nervenapparate ihrer Bestimmung gemäss in der Weise versieht, dass sie durch die difierentesten Reize in Erregung versetzt werden können. In der lähmenden Wirkung der Kohlensäure finden auch ihre Er- klärung die Resultate der in der VL, VII. und VIII. Tabelle verzeich- neten Versuche. Das 3”® über dem Suleus atrioventrienlaris unterbundene Frosch- herz der VI. Tabelle hörte in Folge des Kohlensäureblutes nach etlichen Schlägen auf zu pulsiren; während das direct in dem Suleus unterbun- 30* 468 FERDINAND KuucG: dene Herz der VII. Tabelle unter dem Einfluss ähnlichen Blutes seine schwachen Contraetionen noch verhältnissmässig lange Zeit fortsetzte. Aehnliches deutet auch die VIII. Tabelle an, wo bei dem entsprechenden Versuch an einem Herzen beide Beobachtungen ausgeführt wurden. Bei dem den Vorhöfen entsprechend unterbundenen Herzen nämlich können die verhältnissmässig in geringer Anzahl vorhandenen erregenden Ganglien das Herz überhaupt nur schwer in Action versetzen; werden daher auch diese gelähmt, dann muss die Herzaction bald ganz aufhören. Legen wir aber die Ligatur im Sulcus selbst an, und beseitigen damit die Vorhöfe, so nimmt auch der durch die Erregung nun zu bekämpfende Widerstand bedeutend ab; die lähmende Wirkung der Kohlensäure wird daher im Vergleich zu dem früheren Falle nicht so leicht zur vollen Geltung gelangen. Die VII. Tabelle zeigt auch, auf welche Weise ein in dem Suleus unterbundenes und durch oh nmel selähmtes Herz sich unter dem Einflusse frischen Blutes wieder leicht erholt. Das Herz schreibt anfangs in Gruppen geordnete Contractionen, die die Gruppen trennenden Pausen werden immer kürzer, bis sie schliesslich verschwinden; hiernach folgen die Pulse einander in gleichen Zeitintervallen. Es wird also die lähmende Wirkung des Kohlensäureblutes durch frisches Blut langsam aufgehoben. Fassen wir nun das Resultat der Untersuchungen, die wir mit dem Sauerstoff und der Kohlensäure gemacht, kurz zusammen, dann können wir sagen, dass die Herzaction am lebhaftesten vor sich geht, wenn das Herz mit sauerstoffreichem Blut angefüllt ist, dass ferner Sauerstoffmangel, noch mehr aber Kohlensäureanhäufung im Blute, die Actionsfähigkeit des Froschherzens lähmen. Der störende Einfluss des entgasten Blutes gelangt, wie wir sahen, erst bei dem ermüdeten Herzen zum Ausdruck; in diesem Umstande dürfte vielleicht das negative Resultat der Versuche von Mc’ Guire seine Ursache finden. Diese fördernde bezüglich hemmende Wirkung der Bl ist zweifelsohne auch bei normalen Lebensverhältnissen der Erhalter gere- gelter Herzaction. Unsere Versuchsresultate berechtigen demnach voll- kommen zu dem Schluss, den schon die Beobachtungen von Castell andeuteten, dass nämlich der constante Erreger der Herzeontractionen der Sauerstoff, bezüglich das Oxyhämoglobin der Blutkörperchen ist. Wir finden daher im Wesentlichen bestätigt, was Goltz! als wahrscheinlich andeutete, indem er sagte: „Darüber, welche Gase es sind, die dem Blute seine reizende Eigenschaft geben, liegen noch keine Versuche vor. Nach 1 Virchow’s Archiw für pathol. Anatomie u. s. w. Bd. 23, S. 509. ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION v. Ss.w. 469 Tiedemann’s und Castell’s Versuchen lässt sich indess mit der grössten Wahrscheinlichkeit annehmen, dass der Sauerstoff und die Kohlen- säure dabei die wesentlichen Rollen, natürlich von entgegengesetzter Be- deutung, spielen“. Wir fanden ferner keinen Umstand, der zur Annahme hemmender Ganglien berechtigt hätte. Ich bemerke nur noch, dass auch die Annahme besonderer reflecto- rischer Ganglien überflüssig ist. Denn wenn auch die Pause, welche eintritt, wenn wir den Sinus venosus von dem rechten Vorhof trennen, durch die Berührung irgend eines Punktes des Herzens — mit Aus- nahme des Bulbus arteriosus — unterbrochen wird, so beweist dies noch nicht die Gesenwart besonderer Reflexcentren. Denn es können dieselben Nervenelemente, die sonst die Erregung von den Ganglien zur Peripherie leiten, auch geeignet sein, Reflexbewegungen zu vermitteln; so wie etwa der eine Schenkel eines mit Strychnin vergifteten grossen Frosches zuckt, während die vorderen Rückenmarkwurzeln der anderen Seite möglichst weit vom Rückenmark gereizt werden. II. Wirkung verschiedener indifferenter und irrespirabler Gase auf das Froschherz. Unter den indifferenten Gasen beobachtete ich den Wasserstoff, den Stickstoff und das Leuchtgas. Der aus Zink und verdünnter Schwefelsäure bereitete Wasserstoff zeigte keinen Einfluss auf die Herzaction; das Herz blieb bei vielen Ver- suchen über drei Stunden thätig. Zu ähnlichem negativen Resultate führten auch meine Versuche mit Stickstoff, den ich aus der atmosphärischen Luft gewonnen hatte. Nicht so ganz ohne Einfluss zeigte sich das von Leuchtgas durch- strömte Blut auf die Herzaction. Im Beginn der Versuche war nämlich stets eine deutliche Beschleunigung der Herzaction unter dem Einflusse des Leuchtgasblutes zu beobachten, die später, da die Erregbarkeit des Herzens nachliess, nicht mehr zu beobachten war. Es wirkte also das von dem Blut aufgenommene Leuchtgas schwach erregend auf die Ner- venelemente des Herzens, ohne jedoch, wie das Sauerstoflblut, deren Er- regbarkeit zugleich zu steigern. Zur leichteren Uebersicht dieser Verhältnisse schliesse ich zwei Ta- bellen an, von welchen die eine dem Versuche mit einem im Suleus atrioventricularis unterbundenem Herzen entnommen wurde, demnach die 470 FERDINAND Kıug: gesteigerte Thätigkeit des in isolirten Contractionen functionirenden Herzens wiedergiebt, während die andere die Maasse von gruppenartig geordneten Pulsen eines auf dem Sinus venosus unterbundenen Herzens enthält und die beschleunigende Wirkung des Leuchtgases zeigt. Tabellen zur Erläuterung des Einflusses des Leuchtgases auf das Froschherz. a. b. @: Dr ne: i i | 2. a En (eb) eb) \ | j | - = = a 2i2|@| Höhe | 3 |8 E 2 Anordnung a leder : | | A SI Ei RN 4 te) Se) R & zeit des 2 Da e 20m i a B2= =! 2 Versuches. a ae = = Ale Iennikz} Er =| S 8 ©| Gruppe. sus er wi B) $ = = = & Contractionen, 4-7 jao) Z E=| A = S [Millimeter.| See. |Sec 1. |9059' | Ligatur in dem Suleus. Blut. 12 18—17 [/221| 5-4 Druck 2um Hg. 6 17-5—17 |110| 5-4 Leuchtgasblut. 10 16-5 74 13-4 Blut. 4 17—16-5| 59 | 6-7 6 16 101 | 6 Blut. 6 16—15 98| 6 Leuchtgasblut. 10 | 15—15 89 111-2 do. 13 15 96 13-5 Blut. 9 15—14-5| 113 | 7-9 Blut. 25 15-5—15 |2309| 8 Leuchtgasblut. 38 15-5 |[s17 11-9 10 105) 100 9 115-5—15 |100 ) 15 100 9: 15 100 8 15—14-5| 100 Ii. 3029| Ligatur unter dem Sinus venosus. 4| 25—24 8 | 30 Blut. 2 123-5—25 4 | 24 Druck mm Hg. | 2 123-5—24-5) 4 | 24 2 23—24 4 | 24 2 23—21.5| 4| 202m Leuchtgas durch 20cem Blut geleitet. 2| 2523-5) 4 | 26 | ÜBER DEN FINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION UV. $S.w. 471 r di. 2 (6: d. e. | % I. | h. < Se le a = AED (&|2|=3| Höhe | 2 Bi 3 2 Anordnung |@ = 2209 Goal Ei a ı2$ = B ' une | SS Schläge || =.) n® = r Zeit. des SE SR S = = © ne ® Versuches. ee & der isolirten En E . re 3 = Contractionen. |4-3 2) 2 2 © IA |a & SS |Millimeter.|Sec.|Sec. F 2 24-5—23-5| 4 | 22 2 124-5—23-5| 4 | 23 2.124-5—23-5| 4 | 21 2 124-5—23-5| 4 | 19 2 24—23-5| 4 | 20 2 24—23:5| 4 | 22 \ a ee Blut. 2 124-5—23-5| 4 | 26 | 2 124-5—23-5| 4 | 27 2 124-5—23-5| 4 | 25 2 24—23°5) 4 | 25 | 2 24—23-5| 4 | 24 2) 24—23-5| 4 | 24 2 24—23 4 ? 4 24—23 99032 2 24—23.5| 4 | 26 4 24—23 207? 40eem Leuchtgas durch 20eem Blut geleitet. 2| 24-23 4 26 | 2 23.5—22.5]| 4 | 25 2 23-5—22.5)| 4 | 22 2 23—22 A202 2 23—22 4 | 24 2 23—22 423 3 23—20-5)| 6 | 23 9) 23—22 er 2| 2321-5 4 | ® | Blut. 5 22-5—21-5| 12 | 22 | 2 22-5—21 4 | 24 4 22—21 9 | 28 2 22—21.5, 4 ? Blut. 3 22—20 5 | 28 | 3 22—20 6 | 26 3 21-5—19-5| 6 | 26 4 21—19 10 | 27 2 21—20 4 \.;? 3 21-5—19-5| 6 | 26 4 21—19 10 | 27 I 412 FERDINAND Kıuc: a. b. c. a y£ | g. h. ö & 2 1 4 ln Mn 52 e S ea BE one 5 2 a 8) Höheder EIS |S s |8# on £ nordnung |2 5) 71. ds) == E r Zeit. des NS Schläge = © 28 Br 8 Versuches. mO| einer Bi: Bolkete Ei e BR So An der isolirten a =] rS © @©| Gruppe. |2 | 2 2 ae ) ; rd | 8 Contractionen. |4-# ra 2 ei Sul 8 S |Millimeter. Sec.|Sec. = 2 21—20 Ah 4 21—19.5| 10 | 29 2 120-.5—20 4 | 26 4 21—20 OR? | 80cem Leuchtgas | durch 20eem Blut seleitet. 3 120-5—19 5 | 27 | 3 120-5—19-5) 6 | 26 | | 2 120.5— ? 4 | 22 2 120-520 6 | 22 3 120-5—19.5) 6 | 27 2 120-5—19.5| 4 | ? 80cem Leuchtgas durch 20cem Blut geleitet. 2 20-5—19.5); 4 | 20 2 20-.5—19.5) 4 | 21 2 20-5—19-5)| 4 | 26 3 20— ? 6 ı 21 | 2| 20-19 | 4 | 21 2 20—19 4 | 22 | 2 20-19 4 | 19 | 2, 220-190, 1044 618 | 3 119-8s—18-8| 6 | 21 3 119-5 —-18.5| 6 | ? | Blut. 2) 20.19. | 4.29 | 2 20—19-5| 2 | 24 ‚50107 al 0-9 | wen Von den irrespirablen Gasen untersuchte ich die schwefelige Säure (SO,), das Chlor (Cl), Schwefelwasserstoffgas (H,S)) und das Kohlenoxydgas (CO). Von dem Einflusse dieser Gase auf das Frosch- herz geben folgende Tabellen ein deutliches Bild. ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION U.8.w. 473 Tabellen zur Erläuterung des Einflusses des Chlorgases, des Stickstolloxyd-, Schwefelwasserstofl- und Kohlenoxydgases auf das Froschherz. — Te a. b. (@ d.| e. JR | I. a 8 en SR 4 |& e zu a Eins | = | Höhe, ala 5 E Anordnung 28 En. Er 5 | | = >32 Ei P | Zeit. des ee en & Sg 2 A = 3 Versuches. El enunre a der isolirten il si 3 =. u 3 E Contraetionen. 3 A Ei! A = S$ Millimeter. | Sec. | Sec. Ba er B l. Ligatur in dem Sulcus. Blut. 63 5 183.1370-3 Druck 2-:5mum Ho, 27 8 68 139-7 Wenig Chlorgasblut. 18 dl 50 | 36 Chlorgasblut. 38 7—6.5 | 801475 do. | 5 |3-.5—4 [100 9 | 4-5—6-5 |100 15 | 6-.5—7 100 | 35 T-5 100 57 ob) 100 35 7-5 60 162-2 Chlorgasblut. anaende Blut. 51 9—8 65 |78-5 11016 11 |. 87, 150 7.3 II. | 8020’ | Ligatur an den Vorhöfen. Blut. 52 | 1514-5 54 | 65 Druck2-5umHe.| 2 15 3 | 24 KA Il. W 20cm Chlorgas | durch 20eem Blut geleitet. An oe 6 025 3 12 + | 18 2 |12-5—12 3 | 16 2 Oel | | los] a | | 4 1211-5 DER | | er | 474 F'ERDINAND Kuue: a. b (6% d. | e. NL B7® | I | h. BL e & Be 2) = ae ones = 3 38 ss Ma een iS WE & 2 Anordnung :& IPOS alla 5 | = = | | A FE Ei >= | Zeit. des | Paula len 23.08 (do) 1 p as} > L . ‘z - 8 Versuches. = £ Da K|o® der isolirten Sm a = oa NRDr- Eule Contractionen 2 eo . .- [a] = [=] zZ EN = = = Ss Millimeter.| Sec. | Sec. 40eem Chlorgas durch 20eem Blut geleitet. 2 111-5—11 2.| 16 | 4 11—10 Hals 4 11—10 5 | 19 4 11—10-5)| 5 | 18 5 11—10:5| 6 p Blut. 5) 12 619 6 11 | al 4 111108) 5 | 19 4 11-5 5 || 18 5 11-5-11-5| 6 | 19 al le So | 2 22 12 27T ? 80cm Chlorgas durch 20eem Blut geleitet. 13 | 14-13:5| 17 | 55 11 14—13 15 | 54 8 14—13-5| 10 p Chlorgasblut. 8 113-5—12 | ® 10 14—14 52 | Sl 12 |13-5—138 | 16 | 86 10 18-513 | 12 | 64 | Blut. ® 13 al || 119) 4 13 3w| 20 4 13 |1-5| 18 3 13 8 al 2 13 255 | 118} 90 8' 6 13-125) 7 | 20 . des Versuches. Nr ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION UV. 8 mn man mm nn m nn mn nn m nn Lumal m | aD u gem u Zn 0 2a Ca oo a b e. d.\ e. | IE 7 Ko © ® s | Fu ” =, £ = = |3| Höhc 2 a8 2 Anordnung |% EN a BR = =) BE: =) Zeit. des ER ch S © .2 5 = Versuches. a En a a) der isolirten SA E 3 - ERDE E 5 Contractionen. = = en) =) Sn ne S |Millimeter. Sec. Sec | 11022'| Ligatur in dem -Suleus. | Blut. 98.117-5—19 160) Druck 2mm He, 34 | 21-22 | 61| Schwefelwasser- stoffblut. 62 | 17—6 100 54 6—4-5 1100| 30 | 4-5—6-5 | 100 .[29| 75-5 [100] Schwefelwasser- 51 | 6-5—5 |100| stoffblut, | | 49 | 9-5—9 100 86 97-5 100) | 47 | 756-5 100, 40 | 6-5—3-5 | 100 | 31 | 3 5—1 100 90 31° | Ligatur in dem Suleus. | Blut. 75 13—14-5| 100 Druck 2um Hg. 78 114-5—17 |100 71| 17—6-5 |100 72 116-5—15-5) 88 Blut. 49 Il 24 17—17-5| 94 | 10eem Schwefel- \ wasserstoff durch | 20cem Blut ge- leitet. 3 12-5 100 3 12-5—12 |100 Blut. 4 14-5 100 5 14-5 100 5 114-5—13-5| 100 6 13-5—13 |100 5eem Schwefel- wasserstofl durch 20° m Blut ge- leitet. 5 7—6 100 3 6—6-5 | 60 476 FERDINAND Kuve: : a. N c. 7 % ir g. | 7 u z {e] 0} [eb] Fi | RS . = = 2 WEnsherden S E € als | z 38 5, E Anordnung |2 & ee | Ei Alsa E) > | Zeit. des SE Sala gs | 8 23 = ® Versuches. a a der isolirten En a 3 © ©| Gruppe. | © | 3 s F- = 2 =. = & Contractionen. 15-= a) zZ = A 2 S [Millimeter.| Sec. | Sec S { V. | 906’ | Ligatur unter dem Sinus | venosus. | 49 26-5 . Blut. 18 | 2425-5) 80 Druck 3mm He. | 61 Kohlenoxyd- blut. 8 27 —25 18 | 42 Anhaltende” do. I 27—25 16 Ruhe, Blut. 2 123.923 3 | 23 6 123-5—23 15731 2 23 3 | 21 7 23 18 | 30 6 23 16 | 29 Ü 23 ld 28 Re) 23 18 | 35 7 22-5 16 | 82 zu 0.5 Blut. 10 126-5—25 19 | 30 7 25 151027 7 25 16 | 28 In: 25—24-5| 15 | 26 8 ? 1) 8 Wenig Kohlenoxydblut.| 10 | 20—22-5| 22 | ? 8 113-522 18 | 83 7 118-522 18) m Ü 18 —22 18 | 68 6 18—21 16 | 60 5 NS — il 12 | 56 5 18—20-5| 13 | 66 5 13—20-5| 15 | 54 1 18-5 4 18-5—20-5 12 | 45| 2| 18-5 | 52| ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER AUF DIE FUNCTION UV. Ss.w. 477 Die schwefelige Säure, durch Erhitzen von Kupferspänen mit Schwefelsäure gewonnen, sistirt, in das Blut geleitet, die Herzschläge sogleich, sobald nur das Blut in das Herz gelangt. Das mit schwefeliger Säure getränkte Blut tödtet das Herz vollkommen; selbst reines Blut kann dasselbe nicht mehr in neue Contraction versetzen; daher schloss ich auch den obigen Tabellen keine die Wirkung der schwefeligen Säure bezeichnende an. | Nicht so rasch wirkt das aus Mangansuperoxyd und Salzsäure dar- gestellte Chlorgas. Es gelang nur durch wiederholtes Einleiten des Chlor- gasblutes die Action des Herzens zu hemmen. Aber auch das nun ruhende Herz konnte unter der Einwirkung frischen Blutes sich von Neuem erholen. Leitete ich durch das Blut nur: wenig Chlorgas, dann traten zwischen den Gruppen längere Pausen auf, während sich die ein- zelnen Schläge der Gruppen so rasch folgten, dass die Diastole der ein- zelnen Pulse noch nicht abgelaufen war, als schon eine neue Contrac- tion begann. Das Chlorgas wirkte demnach schädlich, zugleich aber auch reizend auf das Froschherz. Schwefelwasserstofigas, mit dem Blut in das Herz geleitet, schwächt und verlangsamt die Herzaction bedeutend, besonders wenn man es so lange durch das Blut leitet, bis dasselbe ganz dunkel wird. Die durch Schwefelwasserstofiblut rasch geschwächten Herzschläge kann aber solches Blut noch einige Zeit unterhalten — siehe Tabelle III. Im Allgemeinen kann Schwefelwasserstoffblut, selbst nach wiederholter Einfuhr in das Herz, dessen Action nicht so rasch aufheben, wie Lustgas oder Chlor; obgleich bereits wenig Schwefelwasserstoffgas die Herzschläge seltener und schwächer macht — Tabelle IV —, so dass dieselben selbst durch reines Blut jene Lebhaftigkeit nicht mehr erlangen, die sie besassen. Wir beobachten demnach bei Schwefelwasserstofigas ausser der langsam lähmenden Wirkung keinen reizenden Einfluss auf das Froschherz. Bezüglich des Kohlenoxydgases, welches stets von Kohlensäure gereinigt in das Schweineblut übergeführt wurde, finden wir einen Versuch in der V. Tabelle wiedergegeben. Dieselbe zeigt, dass mit Kohlenoxydgas ge- nügend versorgtes Blut die Function des Herzens unterbrechen kann. Während aber das Herz unter dem Einfluss des Chlor erst nach mehreren immer matteren Schlägen stille steht, hörten die Herzpulsationen, unter dem Einfluss des Kohlenoxydblutes, selbst nach zwei von kräftigen Puls- schlägen gebildeten Gruppen, schon auf. Das durch Kohlenoxyd gelähmte Herz erlangt aber unter der Ein- wirkung frischen Blutes seine frühere Actionsfähigkeit wieder und ge- stattet, dass wir noch den Einfluss des mit wenig Kohlenoxyd gesättigten 478 FERrDINAnD Krug: ÜBER DEN EINFLUSS GASARTIGER KÖRPER U. $. w. Blutes beobachten. In diesem Falle nehmen die die einzelnen Gruppen trennenden Pausen wohl zu, die Zahl und Folge der die Gruppen bil- denden Pulse aber scheint unverändert zu bleiben. Viel Kohlenoxydgas wirkte demnach in dem von mir untersuchtem Schweineblut schädlich auf das Froschherz. Wir sahen demnach ausser Sauerstoff und Kohlensäure auch andere Gase im Blute auf das Froschherz einwirken. Wir leiteten die Gasarten absichtlich in übrigens möglichst normales Blut, da wir eben den Ein- fluss des normalen Blutes während durch dasselbe verschiedene Gase geleitet wurden, beobachten wollten. Wir fanden auch unter diesen in- differenten und irrespirablen Gasen kein solches Gas, dessen hemmende Wirkung sich in selteneren und um so kräftigeren Schlägen manifestirt haben würde; sahen aber dass jene Gasarten, welche den Sauerstoff des Blutes binden und mit demselben andere schädliche Verbindungen — wie Schwefelsäure, Kohlensäure — bilden, auch die Herzaetion sogleich unterbrechen. Demnach bekräftigen auch diese letzteren Untersuchungen, dass wir die an dem Froschherzen zu beobachtenden Erscheinungen ohne Annahme besonderer Hemmungsvorrichtungen zu deuten vermögen und dass die Herzthätigkeit in der That durch das Oxygen des Blutes erhalten wird. Ueber den Einfluss des Blutgehaltes der Muskeln auf deren Reizbarkeit.' Von Dr. J. Schmulewitsch aus St.- Petersburg. Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen. A. Ueber das Verhalten des Blutes zur funetionellen Thätigkeit der Muskeln überhaupt und insbesondere zu ihrer Reizbarkeit. a. Literatur. In der experimentellen Physiologie existirt ein Versuch, der den innisen Zusammenhang zwischen Blut und Muskelverrichtung beweist. . Bekanntlich wird bei diesem Versuche der Bauchaorta eine Ligatur angelest, wobei eine sehr bald eintretende Paralyse der hinteren Extre- mitäten constatirt wird, welche längere Zeit nur als Folge des verhin- derten Zufiusses des Blutes zu den Muskeln betrachtet worden ist. Dieser Versuch wird allgemein als der Stenson’sche Versuch bezeichnet. In der That hat Stenson in seinem 1667 herausgegebenen Werke? zur Vertheidisung seiner Meinung, dass nicht alle Processe des thieri- schen Organismus lediglich vom Gehirn (a solo cerebro) abhängen, unter anderen Umständen auch noch folgenden Beweis angeführt: „Possem alio 1 Die Arbeit ist schon 1876 im physiologischen Laboratorium des Hrn. Prof. I. Rosenthal zu Erlangen begonnen und fast zu Ende gebracht. Ich war aber leider durch viele Umstände bis jetzt verhindert, die Arbeit ganz zu beendigen und zu veröffentlichen. 2 Stensonius, Zlementorum Miyologiae specimen seu musculi deseriptio geo- metrica. Cusi accedunt cams carchariae dissectum caput et dissectus piscis e canum genere. 480 J. SCHMULEWITSCH: argumento cerebro officium hactenus a plerisque receptum in dubium vocare, cum viderim ligata aorta descendente sine praevia sectione, par- tium posteriarum omnium motum voluntarem toties cessare, quoties vin- culum stringebam, iterumque tot vicibus redire, quot vicibus nodum laxabam; id, quod aliquot ab hine annis observatum variis in locis de- monstravi, praecipue Florentiae, ubi sublato vinculo supervixit canis sine ullo motus incommodo. Cum vero restent necdum tentati alii modi idem experimentum peragendi, nihil amplius de illo hie addam“. Aus diesem Citate ist zu sehen, dass Stenson es für nöthig hält, anzuzeigen, dass er seinen Versuch schon einige Jahre vorher gemacht hatte und dass er ihn schon an einigen Orten demonstrirte. Diese Aus- führlichkeit Stenson’s wird klar, wenn man die nachfolgende Lite- ratur berücksichtigt. In seinem grossen Werke! sagt Haller unter der Ueberschrift: „Simplieior theoria Cowperi“ Folgendes: „Fibras etiam carneas sangui- nem ab arteriis recipere et sanguinem in eas ipsas inruentem, negue inde redeuntem, motum muscularem facere, Cowperus auctor fuit. San- guini in arteriam impulso tribuit Stuartus ruborem et tumorem, quem ponit in primo stadio motus musculi locum habere. Eadem sententia fuit Johannis Swammerdam..... Qui Cl. viri ad ejus modi theorias inclinarunt, potuerunt quidem experimento uti, quod vulgo Stensonio tribuitur. Ligata nempe arteria aorta, resolvi artus posteriores et vicissim redire vires, quando vinculum removetur. Multi Cl. viri idem periculum repetierunt eventu simili.“ Bei der Anführung der Namen der Autoren, welche diesen Versuch wiederholt haben, fügt Haller bei dem Namen Swammerdam'’s die Worte hinzu: „ante Stenonium“. In der That heisst es p. 61—62 des Swammerdam’schen Werkes?: „Omnes musculos fibrasque carnosas in quacunque demum corporis parte sint praesertim ob continuatum spi- rituum animalium infiuxum seu appulsum potius per Nervos (nam san- guinis in musculos influxus seu impulsus, ligata in thorace arteria magna, quando sistitur, ipsos potissimum in calidioribus animalibus, motu orbari observamus, quod experimentum ab eodem nostro amico aliquando insti- tutum vidimus) etiam ete.“ Das Werk, aus dem das Vorhergehende citirt wurde, ist auch 1667 erschienen, aber, wenn man Haller glauben darf, vor dem Stenson’schen 1 Flementa physiologiae corporis humani. T. IV. Lib. IV. Sect. m. XIX. p- 544. 1762. 2 Johannis Swvammerdami Tractatus physico-anatomieo- medieus de Fespi- ratione usugue pulmonum. 1667. ÜBER DEN EInFLUSs DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U.$S.w. 481 Werke. Es ist leicht möglich, dass der Freund, von dem Swammer- dam spricht, Niemand anders als Stenson ist. Wie dem nun auch sei, zweifellos ist es, dass man schon «in dem siebenten Decennium des 17. Jahrhunderts die directe Abhängigkeit der Muskelthätigkeit von dem zufliessenden Blute experimentell bewiesen zu haben glaubte, und dass man diese Abhängigkeit bei Weitem ausge- prägter fand bei warm- als bei kaltblütigen Thieren. Der Stenson’sche Versuch wurde von sehr vielen Gelehrten wieder- holt.! Die theoretischen Erklärungen entsprechen selbstverständlich den Anschauungen jener Zeit. So sagt z.B. Lecat nach Haller in seinem Memoire p. 58: „Arteriolas in cellulas musculorum Iympham nerveae analogam effundere; hine animalia robusta esse, quia plus sanguinis habeant cum pauco cerebro“. Dieses verhinderte aber nicht einige Ge- lehrte sehr richtige Beobachtungen zu machen. So haben z. B. viele bemerkt, dass nach der Unterbindung der Ar- terie „verum non subito motus ejus partis perit“. Weiter: „lente para- lysis suecedit, cum animal cum ligata aorta saepe diu pergat incedere“; Haller fügt hier hinzu: „est ubi non successit experimentum“. Nach Haller finden wir bei A. v. Humboldt? eine Untersuchung über die Beziehung des Blutes zur Muskelthätigkeit. Die Untersuchung betrifit die Herzmuskeln. Er füllte drei Uhrgläser mit Wasser, mensch- lichem venösem Blute, und arteriellem Blute vom Frosch; dann tauchte er ein Froschherz abwechselnd in diese Flüssigkeiten ein und notirte die Veränderungen der Herzschlägee Im Wasser und venösen Blute ver- änderte sich nicht die Zahl der Herzschläge; im arteriellen Blute wurde der Herzschlag bedeutend vermehrt. So hat ein Herz, das schon ganz zu schlagen aufhörte, nachdem es 10 Minuten in arteriellem Blute ge- legen hat,.in den 3 folgenden Minuten 22, 15 und 7 Schläge gegeben; es wurde jetzt wieder in arterielles Blut eingetaucht, und es gab wieder nach einigem Verweilen in diesem Blute 14 Schläge in der ersten Minute; in den folgenden Minuten wurden wieder die Herzschläge selte- ner. Als es zu S gekommen war, wurde das Herz zum 3. Male in das arterielle Blut eingetaucht, und nach einiger Zeit gab es wieder 15 Schläge in der ersten Minute. In einem zweiten Versuche wurde 1 Ausser den hier reproducirten Stellen finden sich bei Haller a. a. ©. noch eine Menge Citate von Autoren, welche den Stenson’schen Versuch wiederholt haben. 2 Versuche über gereizte Muskel- und Nervenfaser nebst Vermuthungen über den chemischen Process des Lebens in der Thier- und Pflanzenwelt. 1797. T. II, 8 263 ff, Archiv f, A. u, Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 31 482 J. SCHMULEWITSCH: ein Froschherz, welches 6 Contractionen in der Minute machte, in das Pericardium, welches noch in der Brusthöhle eines anderen Frosches (dem das Herz entfernt wurde) sich befand, eingeschlossen. Die Zahl der Herzschläge stieg bis 19; herausgenommen aus der Brusthöhle und in kaltes Wasser eingetaucht, gab es nur 10 Contractionen; wieder in die Brusthöhle gebracht, gab es wieder 18 Contractionen in der Minute. Der 3. Versuch bestand darin, dass das Herz einer Kröte in Wasser von 4° R. eingetaucht wurde. Nicht nur hörten die Schläge auf, sondern das Herz büsste vollkommen die Reizbarkeit ein. Als es aber wieder in die Brusthöhle zurückgebracht wurde, war die Zahl der Schläge in den nächstfolgenden 4 Minuten 4, 6, 9, 8; in der Brusthöhle eines Frosches. dem das Herz ausgeschnitten wurde, gab das Krötenherz 28, 29, 32, 27, 26, 23 Contractionen in der Minute. Fischherzen wurden wieder lebens- und contractionsfähig in Eidechsenblut, Herzen der Maulwürfe im Blut der Mäuse; aber Mäuseherzen konnten nicht hergestellt werden durch das Blut von Kaltblütern. Als Wirkungsursache des Blutes betrachtet Humboldt nicht die Temperatur, sondern seine specifischen chemi- schen Bestandtheile. Auf die Skeletmuskeln übte das Blut in den Versuchen von Humboldt keinen solchen Einfluss aus. Das Blut be- sitzt, nach Humboldt, nicht nur die Fähigkeit, die Muskelthätigkeit aufrecht zu erhalten, sondern ist auch zugleich ein Erreger für die Muskeln. In seinen Versuchen über die giftige Wirkung der Angustura virosa hat Emmert! auch die Bauchaorta unterbunden um die Frage zu ent- scheiden: ob sich das Gift durch das Blut oder durch die Nerven ver- breitet. Er hat dabei bemerkt, das die Muskeln der hinteren Extremi- täten 10 Stunden nach der Aortenlisatur noch sehr gut auf das Messer (mechanischer Reiz) reagirten. Bei Wiederholung des Stenson’schen Versuches hat Bichat? in vielen Fällen eine unvollständige Paralyse gesehen und hat dies erklärt durch das Zustandekommen eines collateralen Kreislaufs. Er bezieht sich auf die Thatsache, dass der besondere Zustand (engourdissement), in dem sich die betreffenden Muskeln nach Unterbindung einer Arterie bei einem Aneurysma befinden, sogleich verschwindet, wenn der collaterale Kreis- 1 Ueber die giftige Wirkung der unechten Angustur. Hufeland’s und Harless’s Journal der praktischen Heilkunde. 1815. Bd. III, S. 59. 2 Anatomie generale, appliquee a la Physiologie et ü la medecine. 1821. T. IH. S. 352. Höchst wahrscheinlich hat Bichat über die Aortenligatur noch früher ge- schrieben, denn Treviranus citirt Bichat in seinem Werke, welches schon 1818 erschien. Rn ÜBER DEN EınrLuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. s. w. 483 lauf hergestellt ist. Weiter sagt Bichat, dass das Blut durchaus arte- riell sein muss; denn venöses Blut, so wie viele andere Flüssigkeiten, vernichten die Contractionsfähigkeit der Muskeln. In seinem bekannten grossen Werke sagt. Treviranus! betreffend die Bedeutung des Blutes für die Muskeln, dass die erste Bedingung für die Muskelreizbarkeit ein vollkommen freier Zufluss des Blutes zu den innersten Muskeltheilen ist. Als Beweis führt er ausser den schon oben erwähnten Versuchen von Stenson, Bichat und Emmert noch die von Arnemann (Ueber die Reproduction der Nerven S.26) an, wel- cher die A. iliaca unterbunden hat und dabei keine Paralyse der Extre- mität sah, und die Beobachtung von Fowler (Experiments and Obser- vations relative to the influence discovered by M. Galvani, p. 122), dass die elektromusculäre Reizbarkeit viel rascher verloren geht nach Unterbindung der Arterie als nach Durschschneidung des Nerven. Treviranus discutirt schon die Frage: ob die Wirkung der Liga- tur von der Muskel- oder Nervenanämie abhänst? Nach Lallement?- und Percy® ist die Paralyse nach der Unterbindung der Aorta eine Folge der Blutstockung in dem unteren Theile des Rücken- marks, von dem die Nerven der betreffenden Extremitäten ausgehen. Treviranus will dieser Meinung nicht zustimmen. Er weist erstens auf die anatomische Besonderheit hin, dass Grösse und Breite der Arterie eines jeden Muskels in directem Verhältnisse stehen zu der Thätigkeit des Muskels, so dass die Arterien der rechten (oberen?) Extremität ent- wickelter sind, als diejenigen der linken. Er will sogar einen bestimmten Zusammenhang sehen zwischen den langsamen Bewegungen einiger Thiere — Lemur tardigradus, Bradypus didactylus et tridactylus — und den eigen- thümlichen Anastomosen der Arterien an ihren Extremitäten. Aus allen diesen Gründen denkt Treviranus, dass die gestörte Muskelthätigkeit nach Unterbindung der Arterien eine Folge der Entblutung des Muskels ist. Segalas d’Etchepare* fand, dass 8—10 Minuten nach Unterbindung der Aorta die Bewegungen der hinteren Extremitäten sehr schwach werden; nach der Unterbindung der Vena cava verschwinden die Bewegungen nicht, 1 Biologie oder Physiologie der lebenden Natur. Göttingen 1818. Bd. V, S. 281. 2 An actio museularis a solis spiritibus. Paris 1785. Haller; Disput. anat. select. T. III, S. 426. 3 In seinem Berichte über Ze Gallois, Experiences sur le principe de la vie, S. 318. 4 Notes sur quelques points de Physiologie. Journal de Physiologie par Ma- gendie. 1824. T. IV, Janvier, S. 287. Bulls 484 J. SCHMULEWITSCH: aber die Extremität wird cyanotisch, und nach 4—6 Stunden kommt Oedem. Gleichzeitige Unterbindung der Aorta und der Vena cava ruft Verlust der willkürlichen Bewegungen hervor, aber später, als bei Unter- bindung der Aorta allein, nach 16—20 und mehr Minuten. Segalas erklärt sich diese Thatsachen durch die Voraussetzung, dass bei Unter- bindung der Vene das arterielle Blut nicht so rasch seine reizenden Eigenschaften (auf den Muskel) verliert, und dass das venöse, wie das arterielle, auch ein Reizerreger für die Muskeln ist, nur weniger inten- siv wirkt. Aehnliche Resultate wie S&galas hat auch Kay! erhalten. Indem er die Meinung von Bichat, als ob Erstickungsblut einen besonders schädlichen Einfluss auf die Contractilität der Muskeln hat, für voll- ständig unrichtig erklärt, beweist Kay durch eine ganze Reihe von Versuchen — durch die Ligatur der Aorta und der Aa. iliacae, durch Ein- spritzung venösen Blutes in diese Arterien und endlich durch gleich- zeitige Unterbindung der Arterie und Vene — dass das Venenblut im Gegentheil dazu mitwirkt, dass die Contraetilität länger erhalten bleibt. Sogar den Umstand, dass das rechte Herz länger als alle übrigen Herz- theile contractionsfähig bleibt, erklärt sich Kay dadurch, dass im rechten Herzen das Blut am längsten flüssig bleibt. Engelhardt? legte eine Ligatur an der Aorta beim Frosche vom Rücken aus an. Unmittelbar uach der Operation bemerkte er gar keine Unregelmässisgkeit der Bewegungen der hinteren Extremitäten, aber nach 7 Stunden konnte der Frosch nicht mehr springen, er schleppte die hinteren Extremitäten nach. Bei Unterbindung einer A. iliaca war eine Schwäche der Bewegungen nur an der entsprechenden Seite zu merken. Als die Frösche 80 Stunden nach der Anlegung der Lisatur getödtet wurden, hoben die Muskeln der Extremität, wo die Ligatur war, nur 3/, desjenigen Gewichtes, welches die Muskeln der anderen Extremität aufheben konnten. Ueberhaupt werden die Muskeln der unterbun- denen Extremität viel rascher ermüdet als die anderen Muskeln. Engel- hardt unterbindet die rechte Iliaca und reizt dann galvanisch beide Extremitäten. Anfangs contrahiren sich die Muskeln beider Seiten voll- ständig gleich, aber schon nach 10 Minuten bleibt die rechte Extre- mität zurück, und nach einer halben Stunde ruft Reizung nur ein Zittern der Muskeln hervor. “ 1 Physiological experiments and Observations on the cessation of the contra- tility of the Heart and Museles in the Asphyxia of warmblooded animals. Zdinburgh medical and Surgical Journal. 1828. T. XXIX, p. 37—66. 2 De vita musculorum observationes et experimenta. Bonnae 1841. (Nach Valentin atirt.) ÜBER DEN EinFrLuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. Ss. w. 485 Marshall Hall hat die Behauptung ausgesprochen, dass Verstopfung der Aa. coronariae cordis einen plötzlichen Tod hervorrufen kann. Erichsen! hat nun eine Reihe von Versuchen an Hunden und Kanin- chen unternommen, um den Einfluss der Unterbindung der Coronariae auf die Herzthätigkeit zu bestimmen. Es fand, dass die Herzthätigkeit (bei frischgetödteten Thieren unter künstlicher Athmung) nur 22 Minuten dauerte, wenn die Coronariae unterbunden waren; ohne Unterbindung der Arterien dauerten die Herzschläge 1!/), (nach Brodie sogar 2"/,) Stunden. Die Herzcontractionen hören noch früher auf, wenn man die Kranzvene durchschneidet, so dass das Blut nicht im Herzen stockt, und das letztere in der That vollständig anämisch wird. Das entspricht voll- kommen den oben schon erwähnten Versuchsresultaten von Kay. Unter- bindung der Aorta, welche die Ueberfüllung der Coronariae zur Folge hatte, hat bedeutend die Dauer der Herzthätigkeit verlängert. So hat z. B. das Herz eines Kaninchens nach Unterbindung der Aorta 1 Stunde und 22 Minuten sich contrahirt; ohne Unterbindung der Aorta kaum mehr als 20—25 Minuten; in beiden Fällen war keine künstliche Ath- mung eingeleitet. Valentin? hat einem 5wöchentlichen Kaninchen die rechte A. iliaca unterbunden und bemerkte dabei, dass das Thier zeitweise den rechten Fuss nachschleppte, zeitweise aber vollkommen regelmässige Bewegungen machte. Bei Froschversuchen hat Valentin keine so positiven Resultate bekommen, wie Engelhardt. Ein Frosch konnte auch wirklich 5 Stun- den nach der Unterbindung der Aorta nicht mehr springen, aber zwei andere haben nach der Ligatur vollständig regelmässige Sprungbewe- sungen gemacht. Brown-Sequard? hat folgende Versuche gemacht. In einer ersten Reihe öffnete er die Bauchhöhle bei getödteten Kaninchen und Meer- schweinchen 10—20 Minuten nachdem die Todtenstarre eingetreten war, schnitt die Bauchaorta und die untere Hohlvene quer durch, setzte Röhrchen in beide Gefässe ein und brachte sie in Communication durch Kautschukschläuche mit der Aorta und Vena cava eines anderen leben- den Kaninchens. 6—10 Minuten nach dem der Kreislauf hergestellt war in 1 On the influence of the coronary eirculation on the action of the heart. The London medical Gazette. 1842. T. Il, p. 561. 2 Lehrbuch der Physiologie des Menschen für Aerzte und Studirende. 1847. Bd. II, Abthle. 1, S. 106, 2. Ausgabe. 3 Sur la persistance de la vie dans les membres atteints de la rigidite qu’on appelle cadaverique. Comptes rendus de ’_Academie des sciences. 1851. T. XXXII, S. 885. 486 J. SCHMULEWITSCH: der unteren Hälfte des todten Kaninchens, verschwand die Muskelstarre, und nach weiteren 2—8 Minuten kamen Öontractionen bei Reizung der Muskeln oder Nerven der hinteren Extremitäten. In einer zweiten Ver- suchsreihe durchschnitt Brown-Sequard ein Kaninchen in zwei Theile, so dass beide Theile nur durch die Aorta und die untere Hohlvene mit einander communicirten; jetzt legte er eine Ligatur um die Aorta. Die Muskelirri- tabilität minderte sich von nun an allmählich, und nach 15—40 Minuten trat die Todtenstarre ein. Er liess die Starre während 10—15—20 Minuten andauern, dann nahm er die Ligatur von der Aorta weg; wie nun der Kreislauf hergestellt wurde, verschwand die Starre und die Reizbarkeit kehrte wieder zurück. In einer dritten Versuchsreihe unterband er bei Kaninchen die Bauchaorta unter dem Abgange der Nierenarterien. Die Empfindlichkeit der hinteren Extremitäten verschwand schon nach 6—10 Minuten, nach 12 Minuten verschwanden die willkürlichen Bewegungen; die Reizbarkeit der Muskeln dauerte fast noch eine Stunde nach der Lisatur, nach einer Stunde und 20 Minuten kam die Starre. Er liess die letztere während einer !/, Stunde andauern und nahm dann die Lisa- tur weg. Die Resultate waren dieselben wie in den ersten Versuchs- reihen: Verschwinden der Starre und Herstellung der Reizbarkeit. Auf Grund aller dieser Versuche schliesst Brown-S&quard, dass starre Muskeln noch nicht todt sind, dass sie noch die Fähigkeit besitzen wieder hergestellt zu werden; dass auch die sensiblen und motorischen Nerven, welche durch Anämie ihre Functionsfähigkeit eingebüsst haben, bei neuem Blutzufluss wieder functionsfähig werden. Nach Veröffentlichung der ausgeführten Versuche hatte Brown- Sequard! Gelegenheit einen ganz analogen Versuch an einem Hinge- richteten zu machen. Derselbe wurde enthauptet 8 Uhr Abends; 8 Uhr 25 Minuten war die Starre schon ganz ausgeprägt; S U. 40 M. wurde die Einspritzung defibrinirten Blutes, welche vom Hingerichteten ge- sammelt wurde, in die A. radialis, angefangen; in 8-10 M. wurde ungefähr !/, Pfund Blut bei gewöhnlicher Zimmertemperatur (19° C.) einespritzt. Das arterielle Blut kehrte aus den Venen venös zurück, woraus Brown-Sequard zu schliessen sich berechtigt glaubte, dass todte Muskeln das Blut ebenso wie lebende verändern. Die Einspritzung wurde einigemal wiederholt, die letzte wurde 9 U. 45 M. Abends ge- macht. Um 9 U. 55 M. war die Reizbarkeit der Handmuskeln herge- stellt, nur nicht in allen Muskeln gleichmässig. Einige Interossei be- hielten ihre Reizbarkeit bis 2 Uhr Nachts. Bluteinspritzung in die 1 Recherches sur le retablissement de Pirritabilit& museulaire chez un supplici£. Comptes rendus. 1851. T. XXXII, p. 897. ÜBER DEN EinrLuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. Ss. w. 487 Cruralis den anderen Morgen blieb wirkungslos. Etwas später, aber voll- kommen unabhängig von Brown-Sequard, machte Stannius! eine Untersuchung über die uns interessirende Frage. Von den ersten 3 Ka- ninchen, bei denen die Aorta unterbunden wurde, kam nur bei einem die Starre früh; bei den übrigen zwei trat sie erst den anderen Morgen ein. Es stellte sich später heraus, dass das Kaninchen, bei dem die Todtenstarre bald eingetreten ist, schwanger war, so dass keine (ommu- nication zwischen der Epigastrica und der Iliaca möglich war; bei den anderen zwei existirte diese Communication, so dass ein collateraler, wenn auch sehr unvollständiger Kreislauf in den Muskeln sich hergestellt hatte. In den nachfolgenden Versuchen hat Stannius deswegen ausser der Aorta noch die Cruralis unterbunden. — Er hat nun bewiesen, dass die elektromuseuläre Reizbarkeit noch lange nach der Unterbindung exi- stirt, obwohl die Thiere gleich nach der Unterbindung die Extremitäten nachschleppen wie einen fremden Körper. Im ersten Versuche waren die Muskeln der rechten Extremität noch nach 4'/,, die der linken nach 8'/, Stunden reizbar. Im 2. Versuche gaben einige Muskeln Contraction noch nach 36 Stunden. Im 3. Versuche war die Empfindlichkeit der Haut noch nach 12 Stunden intact. Bei Unterbindung der Aorta und der Crurales dauerte die Contraetilität noch 3—6 Stunden. Die Venen contrahirten sich bei Reizungen noch dann, als die willkürlichen Mus- keln schon vollständig paralysirt waren. In seinem speciellen Werke über Muskel- und Nervenphysiologie behandelt Schiff? sehr ausführlich die Frage über das Verhalten des Blutes zur Muskelthätigkeit. Es finden sich bei ihm einige sehr interes- sante Details über diesen Gegenstand. Bei Besprechung der Bedingungen der Muskelreizbarkeit sagt Schiff: Im Allgemeinen erfordern die Muskeln zur Erhaltung ihrer Thätigkeit eine gewisse Lebendigkeit des Stoffwechsels in ihrem Gewebe; dieser Stoffwechsel wird im Thiere durch die Bluteireulation vermittelt; die Aufhebung derselben bedingt daher nach kurzer Zeit den Tod des Mus- kels. Bei Kaninchen sah Schiff die Lähmung der Bewegung der Hinter- extremitäten stets ganz unmittelbar nach der Ligatur der Aorta; bei Hunden hingegen bestand noch einige Minuten lang eine manchmal ge- schwächte Beweglichkeit fort, welche nach 10 Minuten verschwand. Uehri- sens können, nach Schiff, die Bewegungen sich auch nach 10 Minuten zeigen, wenn der Hund sich nach der Unterbindung recht ruhig verhielt; ‘ - 1 Untersuchungen über Leistungsfähigkeit der Muskeln und Todtenstarre. Archiv für physiologische Heilkunde. 1852. Bd. XI. 2 Lehrbuch der Physiologie des Menschen. 1858—1859. 8. 45 u. ff., 8. 102 u. tt, 488 J. SCHMULEWITSCH: bei stärkeren Muskelanstrengungen kann das Thier sehr bald nur ein unmerkliches Zittern zu Stande bringen. Durch dieses verschiedene Ver- halten verschiedener Thiere zur Unterbindung der Aorta erklärt Schiff den Widerspruch der Schriftsteller bezüglich der Zeit des Eintretens der vollständigen Paralyse. Nach den Beobachtungen von Schiff erfolgt der Tod des Muskels nach Unterbrechung der Circulation früher bei Vögeln als bei Säugethieren (bei diesen früher bei älteren, als bei jüngeren), am spätesten bei Amphibien. Schiff meint, dass die Muskeln nach Unterbrechung der Cireulation so lange noch reizbar bleiben, als die im Muskel vorhandene Flüssigkeit noch freie Materialien enthält, welche den Stoffumtausch der eigentlichen Verkürzungsgebilde unterhalten kön- nen. Für die Richtigkeit dieser Schiff’schen Auffassung spricht die schon früher angeführte Beobachtung, wonach bei Hunden die Contracti- lität rasch schwindet bei energischer Muskelthätigkeit nach Aortenunter- bindung. Hier schwindet nämlich augenblicklich der ganze Kraftvorrath. Entblutete Frösche verloren auch sehr bald ihre Fähigkeit zu springen, wenn sie nach dem Entbluten gezwungen waren, stärkere Bewegungen auszuüben; auch hier wurde also der Vorrath verbraucht, und nicht wieder aus dem Blute ersetzt. In Betreff der Frage, in wiefern bei dem Contractilitätsverlust in Folge der Anämie der Nerv und der Muskel betheiligt sind, finden wir bei Schiff an verschiedenen Stellen seines Werkes folgende Angaben. Bei Unterbrechung des Blutkreislaufes bekommt man noch, nach einiger Zeit, wie esschon vor Schiff bekannt war, Muskelcontractionen bei unmittelbarer Reizung der Muskeln, während man vom Nerven aus keine Contraction hervorrufen kann. Schiff erklärt diese 'Thatsache durch die Voraussetzung, dass die motorischen Nerven viel rascher leiden durch die Blutentziehung als die Muskeln. Für die Richtiskeit dieser Erklärung spricht auch der folgende Versuch. Einem Kaninchen wurden alle Gefässe der hinteren Extremitäten unterbunden, dann das vollkom- mene Verschwinden der Reizbarkeit abgewartet und nachher die Ligatur von der Aorta entfernt. Schiff hat nun bei diesem Versuche beobachtet, dass die Muskeln früher wieder reizbar wurden, als die Nerven. Schiff bemerkte auch, dass die Unterbindung der Aorta allein nur eine Paralyse der Nerven, aber keine Muskelstarre hervorruft. Damit letztere zu Stande komme, müssen noch die Aa. crurales unterbunden werden. Uebrigens genügte bei Mäusen und Ratten die Unterbindung der Aorta für sich allein, um Lähmung und Starre in beiden Extremitäten hervorzurufen. Die Irritabilität der Nerven dauert nach Verlust der willkürlichen Bewegungen in Folge der Gefässunterbindung noch 10—20 Minuten. Die physiologischen Eigenschaften der motorischen Nerven gehen dabei ÜBER DEN EinFLuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. SS. w. 489 verloren in der Richtung vom Rückenmark zur Peripherie; am längsten bleiben reizbar die Nervenendigungen in den Muskeln. Schiff spricht sich entschieden zu Gunsten der Meinung aus, dass die Paralyse bei der Unterbindung der Gefässe von den Nerven und nicht von den Muskeln ausgeht. Er führt als Beweise an: den Verlust der Sensibilität, die Mög- lichkeit bei unmittelbarer Reizung des Muskels noch lange eine neuro- musculäre Contraction zu bekommen, während die Reizung des Nerven schon keine Contraction giebt, endlich auch die sehr lange Existenz der idiomuseulären ! Contraetion. Schiff glaubt sogar, dass bei Unterbin- dung der Aorta nicht nur die Nervenstämme, sondern auch das Rücken- mark paralysirt wird. Er fand, dass man bei Kaninchen, denen die Aorta hoch genug unterbunden ist, den hinteren Theil desselben bloss legen und direct reizen kann, ohne dass eine Spur von Empfindung entsteht. Schiff spricht noch von einer Erscheinung, welche die Unterbin- dung der Gefässe begleitet — nämlich von den fibrillären Contractionen der Muskeln. Er bringt sie in Zusammenhang mit einer eigenthüm- lichen Erregung der motorischen Nerven, welche die erste Wirkung der Hemmung des Blutlaufes sein soll. Er erklärt diese Erscheinung nicht, behauptet aber, dass sie nicht durch die Venosität des Blutes hervor- gerufen wird, da eine Circulation von venösem Blute im Muskel diese Contraetionen nicht hervorruft. Bei seinen Untersuchungen über die selbständige Reizbarkeit der Muskeln, unabhängig von ihren Nervenendigungen, hat.Kühne? auch Anaemie der Muskeln bei Fröschen hervorgerufen, indem er an den sanzen Schenkel, mit Ausnahme des Nerven, eine Ligatur angelegt hat. Auch er hat einen Moment eintreten sehen, in welchem man vom Nerven aus keine Contraction mehr hervorrufen konnte, in welchem auch das Thier keine willkürlichen Bewegungen vollbringen konnte, die Muskeln aber noch vollkommen reizbar waren. Kühne hat es zuerst ausgespro- chen, dass ein wirklich starrgewordener Muskel nicht durch Blut herge- gestellt werden kann. Seine Untersuchungsmethode war derjenigen von Brown-Sequard gleich: er schnitt alles, ausser den Gefässen, durch, so dass die Extremität mit dem Körper nur mittels der Gefässe in Ver- bindung stand. Bei seinen Versuchen an Hunden und Kaninchen hat er nie eine Steigerung der Reizbarkeit bei gehemmten Blutzufluss ge- sehen. 1 Ueber diese, allerdings von anderen Physiologen nicht angenommene Unter- scheidung vergleiche man das angeführte Lehrbuch von Schiff. 2 Untersuchungen über Bewegungen und Veränderungen der contractilen Sub- stanzen. Dies Archiv. 1859. S. 564 u. 748, 490 J. SCHMULEWITSCH: In seiner Inauguraldissertation theilt Ettinger! Folgendes mit. Bei Unterbindung der Gefässe einer Extremität an Fröschen und bei Herauspressen des Blutes aus der anderen Extremität fand er nach 18—24 Stunden, dass die Muskeln der enthluteten Extremität reizbarer als die Muskeln der anderen Extremität waren. Dafür haben auch die ersteren früher ihre Reizbarkeit verloren, als die letzteren. Diesem ent- sprechend “fand er auch eine sehr rasche Ermüdung der Muskeln der entbluteten Extremität. Ettinger erklärt diese Erscheinung durch eine Säurebildung im Muskel, welche ihn Anfangs reizt, später aber hei srösserer Anhäufung den Muskel tödtet. Bei Vervollkommnung der Operationsmethode des Stenson’schen Versuches hat auch du Bois-Reymond? gesehen, dass nach Unterbin- dung der Arterie und Vene die Muskelcontractilität sich länger erhält, als bei der blossen Unterbindung der Arterie. Er erklärt es dadurch, dass bei Unterbindung der Arterie allein das Blut in Folge ihrer Elasti- eität und Contractilität, theilweise aber auch durch Contraction des Mus- kels selbst vollständiger herausgepresst wird. Uebrigens hat du Bois- Reymond auch ein sofortiges Verschwinden der Contractilität bei Unter- bindung beider Gefässe gesehen. Vulpian? spritzte in Wasser suspendirtes Pulvis sem. lycopod. in die Bauchaorta in der Richtung nach unten, und in die V. eruralis in der entgegengesetzten Richtung. Im ersten Falle kam der Verlust der willkürlichen Bewegungen nach einigen Minuten; nach 23 Minuten gab Reizung des N. ischiadicus keine Contraction mehr; die directe Reizung gab zu dieser Zeit noch starke Contraetionen. Die Reizbarkeit der Nerven verschwand vom Centrum nach der Peripherie hin. Bei Ein- spritzung in die Cruralis traten sehr bald vollständige Paralyse und Anaesthesie ein. In einer nachträglichen Arbeit hat Vulpian bei Fröschen den Bulbus aortae unterbunden. Nach 4 Stunden waren keine willkürlichen Bewegungen mehr zu merken. Die Augen waren geschlossen. Das Herz 1 Relationen zwischen Blut und Erregbarkeit der Muskeln. 1860. 2 Abänderung des Stenson’schen Versuches für Vorlesungen. Dies Archiv. 1860. 8. 639. 3 Sur la duree de la persistanee des proprietes des Nerfs et de la moelle epiniere apres l’interruption du cours du sang dans les organes. Gazette hebdoma- daire. 1864. p. 365 et 411, No. 23 et 24. * Sur V’abolition des proprietes et des fonctions des centres nerveux ey les srenouilles par suite de la ligature du bulbe aortique, et sur la relation de ces pro- prietes et de ces fonetions, lorsqu’on laisse la cireulation se retablir. Z’ Institut 1864, Nr. 1599, p. 271. ÜBER DEN EINFLUSS DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN v. Ss. w. 491 contrahirte sich, aber sehr langsam; die Kammer war blass, die Kammer- spitze nach oben gewendet. Elektromuseuläre Reizbarkeit war noch zu sehen, aber bedeutend schwächer als im normalen Zustande; die Reflexe waren verschwunden. Nach 4!/, Stunde wurde die Ligatur entfernt; nach Verlauf einer Stunde traten die Athembewegungen ein; nach 17 Stun- den war der Frosch in vollständig normalem Zustande. Preyer! behauptet gegen Kühne, dass Muskeln, welche in Folge von Wassereinwirkung oder hoher Temperatur (Wärmestarre) starr ge- worden sind, wirklich bei Wiederherstellung des Blutkreislaufes voll- kommen hergestellt werden können. Schiffer? spricht sich in seiner Untersuchung für die Meinung von Schiff und Anderen aus, dass die Paralyse der Extremitäten bei Unterbindung der Aorta von der Paralyse der Nervencentren im Rückenmarke abhänge. Er brinst zu Gunsten dieser Meinung folgende Beweise: Bei Zuklemmung der Aorta schwindet nicht nur die Bewegung, sondern auch die Sensibilität; das Thier schreit nicht bei Reizung des Ischiadieus. Bei Herstellung des Kreislaufes kehrt mit den Bewegungen auch die Sensibilität zurück. Diese Erscheinung kann nicht durch die Paralyse der peripheren Nerven erklärt werden, da ein vollkommen von der Peripherie getrennter Nerv sehr lange reizbar bleibt. Die sensiblen Nerven reagiren also nicht bei dem Stenson’schen Versuch in Folge einer Paralyse ihrer Centren im Rückenmarke. — Wenn man die Aorta dicht über der Theilungsstelle unterbindet, so erscheint die Paralyse der willkürlichen Bewegungen erst nach einer Stunde. Diese Paralyse ist nach Schiffer peripheren Ursprungs, denn hier wird das Rückenmark nicht anaemisch. Ischiadicusreizung giebt hier keine Muskelcontraction, seine sensiblen Fasern aber reaeiren noch lange auf elektrische Reize. Folglich werden beim Stenson’schen Versuche, wo die Paralyse sofort auftritt, auch die motorischen wie die sensiblen Ganglien im Centrum paralysirt. Schiffer hat auch durch Injectionen bewiesen, dass die Aorta an jener Stelle, wo sie bei dem Stenson’schen Versuch zuge- klemmt wird, Zweige an den unteren Theil des Rückenmarkes abgiebt. Wir müssen noch hier hervorheben, dass Schiffer besonders den Umstand betont, dass sich die Lähmung ohne ein voramgehendes Stadium der Erregung ausbildet. 1 Retablissement de Yirritabilit&@ des muscles roides. Travauı de la Societe medicale allemande de Paris. 1865. 8. 37-53. 2 Ueber die Bedeutung des Stenson’schen Versuches. Centralblatt für die med. Wissenschaften. 1869. Nr. 37 u. 38. 492 J. SCHMULEWITSCH: Der Zeit nach die letzte unsere Frage betreffende Arbeit machten Rossbach und Harteneck!. Sie experimentirten an den Gastro- knemien lebender Warmblüter. Sie liessen diese Muskeln arbeiten nach Unterbindung der Cruralis. Sie fanden dabei, dass die Ermüdungs- curve nach der Gefässunterbindung rascher sinkt, als in einem Muskel mit normalem Blutgehalte. Sie bekamen vom Muskel aus noch eine ganze Reihe von Zuckungen, während die Nervenreizung schon keine Contraetionen hervorrief, Pausen gaben keine Erhöhung der Hubhöhe bei Muskeln mit unterbundenen Gefässen. Von einer Erregbarkeits- steigerung erwähnen die Autoren nichts; — sie haben sie eben nicht gesehen. Aus der kurzen Uebersicht der Literatur der uns beschäftigenden Frage ist zu sehen, dass Alle eine Paralyse der hinteren Extremitäten bei Unterbindung der Bauchaorta constatirt haben, und dass Viele diese Para- lyse der Anaemie des Rückenmarkes zugeschrieben haben, da es bewiesen ist, dass die Contractilität der Muskeln noch lange erhalten blieb nach dem Eintreten der Paralyse. Bei Schiff und Ettinger finden wir ausser- dem noch eine Angabe über die Erhöhung der Reizbarkeit bei Fröschen nach deren Entblutung; Schiffer leugnet im Gegentheil auf das Ent- schiedenste diese Erhöhung der Reizbarkeit. b. Eigene Versuche. Ich stellte mir die Aufgabe, den Gang der Reizbarkeit des Muskels vom ersten Moment an nach dem Aufhören des Blutzuflusses zu be- stimmen. Dabei wollte ich die Reizbarkeit unmittelbar am Muskel und nicht bei Reizung des Nerven bestimmen. Da es vollkommen unzweckmässig ist, den Einfluss des Blutes auf die Muskeln an Kaltblütern zu studiren, so habe ich alle Versuche an Kaninchen gemacht. Um den Blutzufluss zu den hinteren Extremitäten aufzuheben, habe ich entweder die Bauchaorta oder die Aa. erurales unterbunden bez. zu- seklemmt. Die älteren Forscher haben bei Ausführung des Stenson’- schen Versuches die Bauchhöhle geöffnet, den Darm auf die Seite ge- schoben, dann der Aorta die Ligatur angelegt, die Bauchorgane wie- der an ihre Stelle gebracht, und die Bauchdecken wieder zusammen- genäht. Um nachzuweisen, dass die nun eingetretene Paralyse bei Wie- derherstellung des Kreislaufes wieder verschwindet, wurden wieder die 1 Muskelversuche an Warmblütern. Pflüger’s Archiwvu.s.w. Bd. XV, 8.1 ÜBER DEN Eınrtuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN v. Ss. w. 493 Nähte von den Bauchdecken abgenommen, die Organe wieder verschoben, die Ligatur von der Aorta herunter genommen, die Därme reponirt, und dann wieder die Bauchhöhle zugenäht. Diese Methode war für meinen Zweck vollkommen unbrauchbar; ich musste ein Mittel besitzen, fast augenblicklich den Blutstrom zu sistiren und herzustellen. Schon Stan- nius hat eine Verbesserung der Methode eingeführt, indem er den Schnitt an der Dorsalseite machte, in die Bauchhöhle bei dem M. sacrolumbalis vorüber eindrang und die Aorta blosslegte ohne das Peritoneum zu be- schädigen. Noch mehr wurde die Operationsmethode durch du Bois- Reymond! vereinfacht. Er führte um den Lendentheil der Wirbelsäule eine krumme Nadel mit einem breiten Bändehen, welches er über den Dornfortsätzen zuschnürte. Diese Methode hat allerdings die Vorzüge der Schnelliekeit und Reinlichkeit der Operation; aber bei ihrem Ge- brauch wird nicht Anämie, sondern Stauung des Blutes in den Mus- keln hervorgerufen. Du Bois-Reymond unterbindet mit der Aorta gleichzeitig auch die Vene, da beide Gefässe beim Kaninchen in einer Rinne liegen, welche durch die inneren Ränder der Psoae gebildet wird. Nun wissen wir aber aus den Untersuchungen von Kay, Segalas und Anderen, dass man andere Resultate bekommt, wenn man nur die Arterie, als wenn man die Arterie sammt der Vene unterbindet; dasselbe hat du Bois-Reymond auch beobachtet, wie schon oben mit- getheilt wurde. Am geeignetsten für meinen Zweck war ein von Ludwig construirter Apparat zum Einklemmen der Aorta bei intacten Bauchdecken. In nebenstehender Abbildung der Ludwig’schen Klemme stellt A eine con- cave ausgehöhlte Platte vor, deren Concavität der Convexität der Dorn- fortsätze der Wirbelsäule, unter die sie zu liegen kommt, entspricht. Beim Herunterschrauben der Schraube D senkt sich der Knopf C, der mit einer Pelote umgeben ist, auf die Bauchdecken herab, und trifit gerade auf die Bauchaorta. Man schiebt die Eingeweide etwas bei Seite und drückt durch einige Drehungen der Schraube die Pelote und die 1S. oben. Schon J. C. Brunner führte, wie du Bois-Reymond bemerkt, eine Nadel um die Wirbelsäule, aber nur zur Unterbindung des Ductus thoracicus. Er führte die Nadel um den Brusttheil der Wirbelsäule zwischen der 9. und 10. Rippe, und hat dieselben Resultate bekommen, wie bei Unterbindung der Bauch- aorta. In seinem Werke: Zxperimenta nova circa pancreas atque diatribe de lympha et genwino pamcreatis usw (1122, S. 186, im Capitel: De experimento eirca motum museulorum) sagt er: „In originem et progressum vasorum lacteorum inquirens olim, eanem inter seeundam et tertiam costarum notharum acu longa filum cras- sius ducente trajeci, ut ligarem ductum thoracicum ... Constrieto itaque vineulo fortiter supra spinam dorsi, canis claudicare, mox pedes posteriores post se raptare eoepit“. 494 J. SCHMULEWITSCH: unter ihr liegende Aorta an den Wirbelkörper so fest an, dass die Pul- sationen in der letzteren vollständig aufhören. Die Feder D bewirkt ein schnelles Abspringen des Knopfes C bei Zurückschrauben der Schraube, wodurch der Kreislauf momentan wieder hergestellt wird. Auf die Cru- ralis legte ich die Ligatur so an, dass sie leicht herunter zu nehmen war; oder ich legte anstatt der Ligatur eine Serre-fine an, welche nicht ge- zahnt war, aber sehr stark federte. Die Muskelreizbarkeit wurde bestimmt durch den elektrischen Reiz mittels des Inductionsstromes. Du Bois-Reymond’s Schlittenapparat ist mit einem constanten Element verbunden; die Elektroden der secun- dären Spirale gehen zu einem du Bois’schen Schlüssel, von dem zwei andere Elektroden, die in Nadeln endigen, ausgehen. Die Nadeln werden in den untersuchten Muskel gestossen, und dann die Stromstärke be- stimmt, welche nöthig ist, um die erste Contraction des Muskels hervor- zurufen. Da die Nadeln ziemlich lang waren, so äusserte sich schon die erste schwache Contraction durch eine ausgiebige Bewegung ihrer oberen Enden. Die Stromstärke, welche nöthig war, um die erste Contraction hervorzurufen, wurde selbstverständlich durch den Abstand der beiden Spiralen gemessen. Erste Versuchsreihe, welche beweist, dass die Muskelreizbarkeit überhaupt durch Anämie ge- steigert, durch Hyperämie verringert wird. I. Kaninchen liegt auf dem Rücken. Die Nadelelektroden sind in den linken M. sastroknemius eingestochen. Die Zahlen in der folgenden so wie in allen übrigen Tabellen bedeuten die Scalentheile des Schlitten- apparates, um welche die zweite Spirale von der ersten entfernt war. ÜBER DEN EINFLUSS DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. Ss. w. 495 Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Scalentheile. jemerkungen. Kam h m 190 a le) 200.190 13, 190 a kl) 74190 4 190 Klemme auf die Aorta. 15 190 Klemme auf die Aorta. 5.195 16 205 | 62,195 2000200 7 195 Klemme ab. 18 205 Klemme ab. Sr 180 19 NS 322185 20185 Id ke ZEl35 inna190 22m 5 Die erste Zuklemmung der Aorta hat in diesem Versuch keine so deutliche Wirkung gehabt wie die zweite — wahrscheinlich in Folge dessen, dass die Aorta das erste Mal nicht ganz verschlossen war. II. Kaninchen in Rückenlage. Nadeln in den rechten Adductores. Zeit. Scalentheille. Bemerkungen. Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. h m hass 10.270.250 1048 250 28 245 50 ° 240 29 245 51 — 31 245 52.2 39 — Klemme anf die Aorta. 54 260 3407290 5602.9250 354910 585 250 36 300 250 3 Sl) 3 -— Klemme auf die Aorta. 000,7320 4 270 39 — Klemme ab. 5 280 40 260 6 280 Muskelzittern. 41 260 720230 42 260 S 260 Klemme ab. 43 260 10 — 45 — Serre-fine auf die linke 202230 A. cruralis. 142,250 46 200 16 280 In diesem Versuche hat die Zuklemmung der Aorta das erste wie das zweite Mal sofort eine Erhöhung der Reizbarkeit hervorgerufen; 496 J. SCHMULEWITSCH: die Befreiung der Aorta vom äusseren Druck hat im Gegentheil eine Verminderung der Reizbarkeit verursacht. Die Zuschliessung der Cruralis an der entgegengesetzten Seite, welche unzweifelhaft einen gesteigerten Blutzufluss zur experimentirten Seite hervorrief, hatte zur Folge eine deutliche Abnahme der Reizbarkeit; die nachfolgende Oeffnung der Cru- ralis hatte den entgegengesetzten Erfol.. Das Muskelzittern hat die Reizbarkeit auf einmal und bedeutend heruntergesetzt. III. Dieselbe Lage des Kaninchens, wie in Versuch I und II. Carotis und Cruralis rechts abpräparirt, in die linken Adduetores die Nadeln eingestochen. Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. h m In mm . 10 54 250 1114 210 55 250 al220 56 250 2100 250 SI 260 22 240 58 250 23 230 59 —. Serre-fineaufdie rechte 24 230 Klemme auf die Aorta. Cruralis. 25 250 ii — 240) 27 260 Klemme ah. 2 230 235 250 a 230 29 240 4 230 Serre-fineaufdierechtte | 30 240 Carotis. 31 240 5 230 32 240 Klemme auf die Aorta. 6 230 33 250 7 225 Serre-fine ab von der 34 260 Cruralis. 35 260 Klemme ab. 877230 30250 9 225 Serre-fine ab von der 33 240 Carotis. Die Hyperämie, welche durch die Einklemmung der Cruralis auf der anderen Seite hervorgerufen wurde, hat auch in diesem Versuche ein merkliches Sinken der Erregbarkeit hervorgerufen. Die Zuklemmung : der Carotis bei zugeklemmter Cruralis hat keine merkliche Wirkung ge- habt; die Erregbarkeit hat nur nach einiger Zeit ihre frühere Höhe er- reicht. Die Zuklemmung der Aorta hat auch in diesem Versuche eine rasche Erhöhung der Erregbarkeit hervorgerufen, nur war die absolute Zahl der Erhöhung nicht so gross, wie in den früheren Versuchen. Wahr- ÜBER DEN EinfFLUss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN UV. S. w. 497 scheinlich kam es dadurch, dass die Cruralis vorher lange zugeklemmt war; diese Arterie hat ihre normalen Dimensionen nicht erreicht, sogar dann als die Serre-fine abgenommen wurde, es war also in den Muskeln noch vor der Einklemmung der Aorta eine relative Anämie, und des- wesen konnte die Einklemmung keine sehr grosse Wirkung ausüben. IV. Dasselbe Kaninchen, welches zum Versuch III diente. Rücken- lage. Nadeln in die Adduetores. Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Scalentheille. Bemerkungen. h m h m Anal 275 450 260 al 280 52 260 Klemme auf Aorta. 32 280 54 285 33 280 55.9290 84 0°280 57 250 oT 270 58 245 38 270 59 240 39 270 5 — 240 40 270 1 240 Klemme ab. 41 270 Klemme auf Aorta. 2.7200 10020295 8 195 A3092.95 4 205 44 285 572215 45 250 6,20220 46 255 00220 48 260 Sm220 49 260 Auch dieses Mal gab die Zuklemmung der Aorta eine unzweifel- hafte Erhöhung der Erregbarkeit; nur ist in diesem Versuche, besonders bei der zweiten Zuklemmung, eine sinkende Reizbarkeit schon während der Zuklemmung zu bemerken. Aber nach einigen Minuten hörte dieses Sinken auf, und nur als die Klemme heruntergenommen wurde, ist die Erresbarkeit wieder rasch gesunken und nur nachträglich allmählich sestiesen, aber nicht bis zur früheren Höhe. V. Einem Kaninchen ist die Haut auf beiden Gastroknemien ab- präparirt; die Elektroden wurden in diesem Versuche nicht in die Mus- keln gestochen, sondern nur angelegt. Diese Untersuchungsweise ist nicht so sicher, da man nicht vollkommen überzeugt sein kann, dass die Elektroden wirklich jedesmal an eine und dieselbe Stelle angelest wurden. Nun unterliegt es aber keinem Zweifel, dass verschiedene Stellen eines Arehiv f,A. u, Ph. 1379, Physiol. Abth, 99 498 J. SCHMULEWITSCH: und desselben Muskels verschiedene Reizbarkeit besitzen, je nach der Nähe des Nerven und einigen anderen Bedingungen. In den Intervallen zwischen zwei Bestimmungen wurden die Muskeln durch die abpräpa- rirte Haut zugedeckt. | Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Scalentheille. Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. 11 5 250 250 Rechte Cruralis | 12 5 270 190 unterbunden. 20 260 180 20 255 210 35. 250 190 35. 290 190 50 250 190 50 300 200 In diesem Versuche hat die Ligatur der rechten Cruralis eine Er- höhung der Erregbarkeit auf der rechten Seite hervorgerufen, welche 1 Stunde 45 Minuten anhielt; links ist die Erregbarkeit gesunken, und stieg nicht mehr bis zur früheren Höhe. VI. Kaninchen in Rückenlage. Zwei Paar Nadeln sind beiderseits in entsprechende Stellen des M. extensor genu quadriceps und in gleicher Entfernung unter einander gestochen, dann mittels Drähten, in denen ein Commutator eingeschaltet war, mit der zweiten Spirale des Schlitten- apparates vereinigt. Man konnte bei dieser Einrichtung die Reizbarkeit beider Muskeln in 5—10 Secunden bestimmen. Zeit. Scalentheille.e Bemerkungen. Zeit. Scalentheille..e Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. ul 8 il 1134 195 190 10° 1907 215 36 200 190 Klemme ab. 12719027210 335 200 195 14 190 210 Serre-fine auf die 41 195 195 rechte Cruralis. 43 195 200 16 205 205 45 190 195 18722052 205 47 190 190 Klemme auf Aorta. 20 205 205 49 200 195 22 205 210 Serre-fine ab. 51 205 185 24200 215 53 200 185 Klemme ab. 262.197 215 a. 9 28.1952 215 57 195 180 20 190 210 | 12 — 195 T90 D2200, 25 | 32219052190 In diesem Versuche ist der Umstand beachtenswerth, dass beide Muskeln sich verschieden zu der Einklemmung der Aorta verhielten: in - e ÜBER DEN Eınrwuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. $S. w. 499 dem linken hat die Anämie nur eine sehr rasch vorübergehende Erhöhung .. hervorgerufen, welcher gleich ein Sinken folgte. Aller Wahrscheinlich- keit nach hängt dieser Umstand davon ab, dass das Kaninchen schon den Tag vorher zu einem Muskelversuche gebraucht wurde, und zwar wurde links experimentirt. VII. Die Nadelelektroden sind in beide Gastroknemien eingestochen und mit dem Commutator in verbunden. Zeit. Scalentheile..e. Bemerkungen. Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. 1040 180 245 2917 21710,7235 43 185 240 183 — -—- Klemmeauf Aorta. 45 185 240 197214075230 47 175 240 o| — 7 Yıttern, Abrilläre 49 180 235 Muskelcontractio- 51. 180 230 nen. 53 180 230 Serre-fine auf die 23. — -—- Die Klemme nie- linke Cruralis. driger. Zittern 55 180 225 hörte auf. 57 175 230 25 190 240 597.175, 230 27 190 250 BEE 230 29 190 250 3 175 230 31 145 245 Dil 230 23 145 240 Klemme herunter. Talla 235 40 180 225 97 115. 230 Die Zuschliessung der Cruralis hatte in diesem Versuch fast gar keine Wirkung: bei der Präparation hat sich die Arterie nahezu bis zum Verschwinden (für das blosse Auge) contrahirt und blieb sehr lange in diesem Zustande Die Muskeln links waren also schon anämisch — was sich durch die bedeutend grössere Reizbarkeit in Verhältniss zu den Muskeln der rechten Seite äusserte. VIII. Versuch ganz wie VI. Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. h m Rechts. Links. 1112 280 220 Die bedeutende Differenz der Reizbarkeit der Muskeln 15 289. 190 beider Seiten wurde dadurch hervorgerufen, dass bei 18 285 200 dem Präpariren der A. cruralis der N. cruralis 21 280 200 mechanisch gereizt wurde. Klemme auf die Aorta. 32*+ 500 J. SCHMULEWITSCH : Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. Zeit. Sealentheile.e Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. 24 295 240 1142 285 210 27 280235 45 280 180 30 285 225 Klemme ab. 48 280 190 Serre-fine ab. 33 275 210 51 280 200 36 275 210 54 270 190 39 270 210-Serre-fine auf die 57 275. 190 rechte Cruralis. 12220185 Die Anämie hat in diesem Versuche auf der rechten Seite eine viel kleinere Wirkung ausgeübt, als auf der linken — wahrscheinlich weil die Muskeln rechts schon anämisch waren, in Folge der Reizung des Nerven (seiner vasomotorischen Zweige) und der Präparation der Arterie. Aus allen angeführten Versuchen ist klar, dass wenn auch die Pa- ralyse der hinteren Extremitäten, welche sehr bald nach der Unterbin- dung der Bauchaorta eintritt, in der That einer Veränderung der Centren im Rückenmarke zuzuschreiben ist, nichtsdestoweniger die Unterbindung der Aorta auch im Muskel selbst eine Reihe von Vorgängen hervorruft, welche schliesslich zu einer vollständigen Functionsunfähigkeit führen. Die Reizbarkeit steigt bedeutend in den ersten Minuten, um nachher ziemlich rasch zu sinken. Man könnte allerdings auch diese Erscheinung in Zusammenhang bringen mit der Veränderung der Nervencentren des Rückenmarkes; nämlich man könnte sagen, dass die Anämie Anfangs eine grössere Reizbarkeit der Rückenmarkscentren hervorruft, welche sich zum Muskel durch die Nerven fortpflanzt, und welche bei nachfolgender Paralyse durch eine verringerte Reizbarkeit ersetzt wird. Nur spricht gegen eine solche Voraussetzung schon der Umstand, dass bei Unterbindung der Cruralis, die gar keinen Einfluss ausübt auf den Blutgehalt des Rücken- marks, man dieselben Erscheinungen wie bei Unterbindung der Aorta in den Muskeln beobachtet. Die Erscheinungen sind nicht so ausge- prägt, wie bei Zuklemmung der Aorta, weil auch die Anämie keine so vollständige ist: schon vom Moment der Unterbindung der Cruralis an entwickelt sich ein Collateralkreislauf, welcher sehr bald die Wirkung der Oruralisligatur vollständig vernichtet. Um aber sich zu überzeugen, dass auch bei Unterbindung der Aorta die Steigerung der Muskelirritabilität eine rein örtliche Wirkung der Anämie, und nicht eine Folge einer Reizung der Nervencentren ist, machte ich eine zweite Reihe von Versuchen an Thieren, bei denen ä ÜBER DEN EINFLUSS DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. Ss. w. 501 früher die Nerven derjenigen Muskeln, welche dem Experimente unter- worfen wurden, durchschnitten waren. Zweite Versuchsreihe welche beweist, dass die Steigerung der Erregbarkeit der Muskeln bei Unterbindung der Aorta nicht von einer Wirkung auf das Kückenmark abhängt. IX. Kaninchen, welchem einen Tag vorher der linke Ischiadicus durchschnitten wurde. Versuchsordnung wie in den Versuchen erster heihe. Die Nadelelektroden in den Gastroknemien. Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Scalentheil. Bemerkungen. h m Bechts. Links. h m Rechts. Links. 345 215 285 4 5 215 215 Klemme auf Aorta. 47. 215 190 7 225 220 48 210 190 8 240 225 49 215 190 9 240 285 50 215 190 10 245 240 50022022130 12 250 255 52.220 190 13 250 255 53 220 190 Klemme auf Aorta. | 14 240 245 54 230 195 15 240 240 55 240 195 16 230 230 57 225 190 In den linken Ga- 18622202225 stroknemius die Na- 2000225907225 deln besser einge- | 22 225 225 stochen. 24 12257 225 59 225 210 20.0.2290 220 #0 la, Pal 283022002220 202:15,215 807 2207225 Das2ll9r 7 215 In diesem Versuche hat die Zuklemmung der Aorta denselben Ein- fluss gehabt auf die Muskeln der Extremität mit durchschnittenem wie auf die mit nicht durchschnittenem Ischiadicus. Nach dem Versuch wurde die Reizbarkeit des N. ischiadicus untersucht: bei verhältnissmässig schwa- chem elektrischen Reiz des Nerven gaben die betreffenden Muskeln eine vollständige Contraction. 502 J. SCHMULEWITSCH: X. Kaninchen, bei dem Tags vorher der Cruralis uunduyerinn: wurde. Die Nadelelektroden in dem Rectus femoris. Zeit. Scalentheille.e. Bemerkungen. Zeit. Scalentheille. Bemerkungen. h m m 310 200 Serre-fine auf die Oru- |325 210 Serre-fine al ralis. 30 180 15 200 40 190 20 220 50 200 Die Reizbarkeit des N. cruralis bei nachfolgender Untersuchung zeigte sich niedriger als im normalen Zustande: um die Contraction der Muskeln vom N. cruralis aus hervorgernfen, musste man einen ziemlich starken Strom anwenden. XI. Kaninchen, bei dem der rechte N. cruralis zwei Tage vor dem Versuche durchschnitten wurde. Die Nadeln in den Extensores cruris. Zeit. Scalenthelle. Bemerkungen. Zeit. Scalentheille.e Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. 104172402220 1031235 234 19 240 220 33 255 240 20 240 220 35 255 240 Klemme ab. 21 240 220 llessns auf Aorta. 370 21025 22 250 225 39 215 215 Klemme auf Aorta. 24 270 260 Klemme ab. 41272307220 26 225 225 44 245 230 Klemme ab. 28. 2252.220 48.220195 30 225 220 Klemme auf Aorta. Der N. cruralis zeigte sich bei der Untersuchung nach dem Ver- suche als vollkommen reizbar. XII. Kaninchen, bei dem der linke N. ischiadieus drei Tage vor dem Versuche durchschnitten wurde. Nadeln in den Gastroknemien. Zeit. Sealenthelle.e Bemerkungen. Zeit. Scalentheile.-e Bemerkungen. h m Rechts, Links, h m Rechts. Links. 424 285 145 445 235 140 26 230 140 41% 235 135 Klemme ab. 28 225 140 49. 205 130 30 225 140 Hg 32 2 13) 53 205 135 Klemme auf Aorta. 341m225.125 5 215 140 31.225 135 57 240 140 Klemme ab. 39 220 135 59 215 135 41 220 130 Klemme auf Aorta. 5 1 210 135 43 220 130 3 215.130 ÜBER DEN EinrLuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. Ss. w. 503 Die Untersuchung der Nerven nach dem Versuche zeigte, dass die Reizbarkeit des rechten N. ischiadicus vollkommen normal war; aber durch den linken N. ischiadieus konnte man mit keinem Strom eine Muskelcontraction hervorrufen: die Reizbarkeit war vollkommen ver- schwunden. Die zweite Versuchsreihe beweist also auf das Bestimmteste, dass die Erhöhung der Reizbarkeit in den Muskeln nach verhindertem Blut- zufluss auch bei vollständiger Abtrennung derselben vom Rückenmark stattfindet, dass also die Wirkung der Anämie eine rein Örtliche ist. Gleichzeitig aber stellen die Versuche X und XII die Frage auf, worin diese örtliche Wirkung eigentlich besteht? Wir sehen, dass in diesen zwei Versuchen die Anämie eine verhältnissmässig sehr kleine Wirkung ausübte, wobei die Nerven in diesen Versuchen sich als wenig oder gar nicht reizbar herausstellten. Die unbeträchtliche Wirkung der Anämie in den Versuchen X und XII kann auf dreierlei Art erklärt werden: 1. Die Anämie übt ihre Wirkung hauptsächlich auf die Nerven-. endisungen in den Muskeln. In den gegebenen Versuchen ist der ana- tomische Bau dieser Nervenenden in Folge der Durchschneidung schon verändert, und darum hat die Anämie keine volle Wirkung sehabt. 2. Die Anämie wirkt hauptsächlich auf die Muskelfaser selbst; in den gegebenen Versuchen ist der Ernährungszustand der Muskelfaser schon verändert und darum hat die Anämie keine volle Wirkung aus- geübt. 3. Die Anämie kann ihre volle Wirkung ausüben nur bei normalem Ernährungszustande der Gefässwände und bei der Lebensfähigkeit der- jenigen Gruppe der Vasomotoren, welche die Gefässe verengern; nur bei diesen Bedingungen ist eine vollständige Entblutung der Muskeln mög- lich — und eine volle Wirkung der Anämie. In den gegebenen Versuchen ist in Folge der vorhergegangenen Durchschneidung des Nerven die Er- nährung (ihre Elasticität) der Gefässwände verändert; hauptsächlich aber haben die verengerten Vasomotoren ihre Lebensfähigkeit eingebüsst. Darum hat auch die Anämie nicht ihre volle Wirkung geäussert. Wir werden weiter unten sehen, welche von diesen Voraussetzungen die wahrscheinlichere ist. 504 J. SCHMULEWITSCH : B. Ueber das Verhalten der Vasomotoren zur Muskelirritabilität. Alle Versuche der zweiten Reihe habe ich an Kaninchen gemacht, denen die Nerven wenigstens einen Tag vorher durchschnitten wurden. Die Nothwendigkeit dieses Intervalls zwischen der Operation und dem Versuche hat sich schon im ersten Probeversuche, den ich hier anführe, gezeigt. XIII. Probeversuch. Zeit. Scalentheille. Bemerkungen. Zeit. Scalentheillee Bemerkungen. ham hesm: 1055 40 N. cruralis durch- | 1120 65 _ Serre-fine wieder auf schnitten; Serre-fine die Cruralis. auf die Art. cruralis. 30 70 1—- 7% 45 9 Serre-fine ab. Dr 6h Serre-fine ab. 12 — 80 107770 20072700 Es unterliegt keinem Zweifel, dass hier eine Steigerung der Erreg- barkeit stattgefunden hat, aber man kann sie nicht ausschliesslich der Unterbindung der Arterie zuschreiben. Als ich die Serre-fine von der Arterie heruntergenommen habe, und die letztere vollkommen durch- gängig wurde, war die Erregbarkeit noch nach einer halben Stunde sehr hoch. Aller Wahrscheinlichkeit nach spielte hier eine Rolle die eigent- liche Durchschneidung des Nerven, dessen Wirkung sehr lange anhielt. Das war aber eben noch zu beweisen. Bekanntlich haben sehr viele Physiologen den Einfluss der Durchschneidung der Nerven auf die Reiz- barkeit studirt, aber dabei fast ausschliesslich nur das Nervenende unter- sucht und zwar nur bei Fröschen. Für Kaninchen giebt es gar keine Zahlen in dieser Hinsicht. Ich habe darum eine Reihe von Versuchen gemacht, in denen ich Kaninchen verschiedene Nerven durchschnitten habe und dabei die Reiz- barkeit unmittelbar am Muskel untersuchte. Dritte Versuchsreihe, welche beweist, dass die Reizbarkeit der Muskeln sich bedeutend ver- grössert unmittelbar nach der Durchschneidung der betreffenden Nerven. XIV. Vorversuch. Reizung wird ausgeübt nur durch Anlegung der Elektroden an die Gastroknemien; unter die Haut der linken Extremität ist ein empfindliches Thermometer eingeführt, unter den linken N. ischia- dieus ist ein Faden durchgeführt. ÜBER DEN EInFLUss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. $. w. Zeit. Temperatur. Scalentheile. Rechts, Links. 27.0 == = 26-2 260 270 24-8 — = 24.4 — 24.3 260 380 ‚24-4 250 390 28:5 240 400 28-8 220 200 29.2 220 270 905 Bemerkungen. Linker N. ischiadieus durchschnitten. Aus diesem Versuche ist zu sehen, dass die Steigerung der Erreg- barkeit der Muskeln der linken Extremität, wo der Nerv durchschnitten wurde, eine sehr bedeutende war, und eine Stunde anhielt. Es ist hier noch das zu bemerken, dass die Reizbarkeit schon im Abnehmen war, als die Temperatur noch immer stieg. XV. Faden unter dem N, eruralis; Elektroden in dem M. extensor GrUris., Zeit. Scalentheile. hm 1051 59 94 55 56 97 11 — Bemerkungen. 210 210 210 210 210 210 210 Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. N. ceruralis durch- schnitten. 210 210 210 228 215 215 XVI. Kaninchen in Bauchlage, unter dem N. ischiadieus ein Faden, in den Gastroknemien Nadelelektroden. Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. hasm! 1141 200 42 210 43 210 44 200 45 200 Die Elektroden tiefer eingestellt. 46 235 47 230 Zeit. h m 1148 49 50 51 52 59 1210 Scalentheile. Bemerkungen. 225 220 215 2ullo 215 215 215 N. ischiadicus durch- schnitten. 906 Zeit. h m 12 13 14 15 16 17 18 19 20 J. SCHMULEWITSCH : Scalentheile. Bemerkungen. 245 250 240 225 225 220 220 215 210 Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. hm 1221 22 23 24 25 26 27 28 29 XVII. Versuchsordnung wie XVI. Feit. Scalentheile. Bemerkungen. 255 255 255 255 255 N. ischiadicus durch- schnitten. | 255 270 270 265 255 255 Qatar DD m 210 205 205 205 205 205 205 205 205 Scalentheille.e Bemerkungen. 245 240° 239 239 239 239 239 245 239 235 250 XVII. Versuchsanordnung wie in XV. Zeit. Scalentheile, Bemerkungen. h m 45 6 275 Beim Präpariren wurde 275 der N.ischiadicus etwas 275 gezerrt und dadurch ge- 275 reizt, und das Eintreten 270 der normalen Reizbar- 275 keit musste nun erstab- 270 gewartet werden. 270 260 255 255 Zeit. Scalentheile.e Bemerkungen. 250 250 250 240 240 240 N. 250 285 270 270 ischiadieus durch- schnitten. ÜBER DEN EiınrLuss DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN U. $. w. 507 Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. | Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. h m h m 26 260 451 240 27 250 32 235 28 2350 | 35 225 29 240 40 225 Da mich die vorhergehende Versuchsreihe überzeugte, dass bei Warm- blütern die Durchschneidung der Nerven eine ähnliche Erreebarkeits- steigerung der Muskeln hervorruft, wie die künstlich erzeugte Anämie, so ensteht bei mir die Frage, ob nicht ein Causalnexus zwischen diesen beiden Erscheinungen existirt, oder, besser gesagt, ob nicht die Erregbarkeitssteigerung bei Durchschneidung der Nerven durch Anämie hervorgerufen wird? Die herrschende Ansicht über die Gefässnerven erlaubte mir vor- auszusetzen, dass nach Durchschneidung der Ischiadici eine vorüber- gehende Contraction der Gefässe, in Folge einer Reizung der gefässver- engernden Nerven eintreten muss. Wenn wir nämlich kurz den gegenwärtigen Stand der Frage über die Vasomotoren resumiren, so müssen wir Folgendes sagen: 1. In den Gefässwänden selbst existiren Nervencentren, von denen der Gefässtonus abhängt; die Thätigkeit dieser Centren verursacht eine Verengerung der Gefässe. 2. Von aussen her gehen zu den Gefässen zweierlei Nerven. Die einen verengern das Gefässlumen durch directe Wirkung auf die Kreis- fasern, oder durch die Verstärkung der Thätigkeit der localen Centren. Die anderen sind Hemmunssfasern, durch deren Wirkung die Local- centren paralysirt- werden. Es tritt eine Erweiterung der Gefässe ein bei starker Reizung sogar sehr ermüdeter oder veränderter Nerven (in diesen Fällen ist die Reizbarkeit verringert). 3. Die gefässverengernden Nerven sind weniger reizbar, als. die Hemmungsfasern; in Folge dessen bekommt man bei schwachem Reize eine Erweiterung der Gefässe; aber die verengernden Nerven sind zahl- reicher als die Hemmungsfasern, darum bekommt bei starkem Reiz die Verengerung der Gefässe die Oberhand. Dieser Theorie gemäss kann man den Einfluss der Nervendurch- schneidung anf die Muskelreizbarkeit folgendermaassen erklären: In den ersten Momenten nach der Durchschneidung, wenn die Nervenreizung noch sehr stark ist, dominiren die Constrietoren; es tritt Anämie ein und in Folge dessen eine erhöhte Erresbarkeit. Nach einiger 508 J. SCHMULEWITSCH: Zeit wird aber der Reiz immer schwächer, so dass er ungenügend ist, um auf die Verengerer zu wirken, aber vollständig hinreichend, um die Hemmungsfasern zn reizen: es tritt nun Hyperämie ein und Sinken der Muskelerregbarkeit. Wenn meine Erklärung richtig ist, wenn die Nervendurchschneidung wirklich dadurch einen Einfluss ausübt auf die Reizbarkeit, dass sie das Lumen der Gefässe und den Blutgehalt der Muskeln verändert, so muss: 1. Bei Stockung des Kreislaufes in den Muskeln die Durchschnei- dung gar keinen Ausfluss ausüben, 2. Bei Curarisirung bis zur Paralyse der miokörischen Nerven bei intacten Vasomotoren die Durchschneidung noch ihren Einfluss äussern. Beides wird bestätigt durch meine letzte Reihe von Versuchen. Vierte Versuchsreihe. XIX. Vorversuch. Unter dem rechten N. ischiadieus ist ein Faden gelegt, unter die Haut der rechten Extremität ein Thermometer eingeführt. Zeit. Temperatur. Scalentheile. N Bemerkungen. h m Rechts. Links, 10 45 26-8 200 180 126 an kr — Unterbunden die Art. cruralis. 15 — 260 180 80 — 240 180 45 24.8 230 2.1520 12 9 24.T —_ — Durchschnitten der rechte N. ischiadicus. 12 25.4 — — 15 24.8 230 180 30 24.4 235 180 45 24.4 235 190 XX. Unter den rechten N. ischiadicus ein Faden untergelest, Na- deln in die Gastroknemien. Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Scalentheile.. Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. 11 2 235 260 11.12 260280 4 245 260 13 265305 6 240 270 14 270 310 7 240 :270 15 270 315 8 245 270 16 275 320 9 245 270 17T 275 390 10 240 270 Klemme auf Aorta. 18 280 320 ÜBER DEN EINFLUSS DES BLUTGEHALTES DER MUSKELN TU. S. w. 509 Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. | Zeit. Sealentheile. Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. =19728305315 1109122057265 20 280 310 DAR L95E2 35 211° 2807395 54 195 225 22 285 295 | 55 195 235 23 285 290 | 56 195 230 24 280 280 57 200 235 25 280 270 Klemme ab. 585 200 240 28 225 275 59 200 245 30 200 250 12 — 205 245 31 220. 225 1 205 250 33 220 260 2. 2107250 34 230 260 3 210 250 35 220 250 Klemme auf Aorta. 4 210 250 37 230 280 52107255 33 240 290 6 210 260 39 245 300 7.210 260 40 255 310 8 210 260 41 260 310 92221500265 42 260 305 10 210 265 43 260 300 Rechter Ischiadieus 11 215 265 . durehschnitten. 2215265 45 240 260 13 215 265 47 250 250 Klemme ab. 14 210 270 48 245 225 1522109265 49 220 280 In diesem Versuche hat die Zuklemmung der Aorta beide Mal eine bedeutende Erhöhung der Reizbarkeit hervorgerufen; die Durchschnei- dung aber des rechten Ischiadieus hat nicht nur keine Hr- höhung der Reizbarkeit hervorgerufen, sondern sogar ein rascheres Sinken derselben. Bei Abnahme der Klemme hat sich die Reizbarkeit des linken Gastroknemius Anfangs schnell und dann all- mählich gehoben bis sie zur früheren Höhe kam; die Reizbarkeit aber des rechten Gastroknemius ging weiter, und nur nach einiger Zeit fing sie an sehr langsam zu steigen; die frühere Höhe hat sie nicht mehr erreicht. Man kann sich das Alles erklären durch den verschiedenen Blutgehalt in dem rechten und linken Muskel, bedingt durch den Zu- stand der localen Centren in den Gefässen. XXI. Unter den rechten N. ischiadicus ist ein Faden durchgeführt, in die Gastroknemien sind Nadeln gestochen. 510 Zeit. h m _ Rechts. 1039 200 40 205 42 . 205 43 210 44 210 45 210 47 210 48 — 49. — DU 51 — 20 — 53. 226 54 225 55 230 56 230 57 280 58 290 59:5 235 11 1 220 J. SCHMULEWITSCH : Scalentheille. Bemerkungen. Links. 205 205 205 205 205 200 Klemme auf Aorta. 215 225 —- & Muskeln zittern.! 220 2 215 210. 210 210 205 Rechter Ischiadicus durchschnitten. 205 190 Zeit been 2 oilo or Worb u 10 15 16 17 18 20 21 22 23 24 25 Scalentheile. Bemerkungen. Rechts. Links. i 220 225 190 185 185 185 185 185 190 190 190 5 195 195 195 195 195 195 195 185 Klemme ab. 195 195 195 190 190 100 Unter den linken Ischiadicus ein Fa- den gelegt. 190 190 190 190 Linker Ischiadicus durchschnitten. 215 210 205 200 200 195 195 . Aus diesem Versuche ist die Differenz im Erfolge der Nervendurch- schneidung bei offenem und geschlossenem Gefäss klar zu sehen. XXIL Unter die linke A. eruralis sowie unter beiden Nn. ischiadieci sind Fäden durchgeführt. Zeit. Scalenthelle.e. Bemerkungen. h m Rechts. Links. 557 215 280 59 215 280 6— 215 28 2 220 290 3 220 290 Rechts. 220 220 215 220 Nadeln in den Gastroknemien. . Scalenthelle.e Bemerkungen. Links. 290 290 Linke A. cruralis unterbunden. 320 320 ! In der letzten Zeit hat Freusberg (Ueber das Zittern, Archiv für Psychiatrie, VI, S. 57—83) eine Untersuchung über das Wesen des Zitterns veröffentlicht. Er kam zu dem Schlusse, dass hier die Hauptrolle Kreislaufsstörungen in den Centren Meine Versuche bestätigen das, beweisen aber zugleich, dass es sich hier nicht um eine bedeutende Steigerung der Erresbarkeit handelt, sondern um eine unregelmässige Vertheilung des Reizes nach der Zeit. spielen. ÜBER DEN Fınrwuss DES BLUTGEHALTES DER MuskErın v.$S.w. 511 Zeit. Scalentheile. Bemerkungen. Zeit. Sealentheile. Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. Me2l5 315 20 225 290 Rechter Ischiadieus 13 220 315 Linker Ischiadicus durchschnitten. durchschnitten. 2252502295 52207295 24 250 290 1002223290 26 260 290 1872257290 280.2500295 1979225 285 | | "30 250 285 3282500270 An diesem Versuche ist hervorragend die Differenz zwischen der Durchschneidung des Ischiadieus bei freier und unterbundener A. eruralis. Der nachfolgende letzte Versuch ist basirt auf der von vielen For- schern constatirten Thatsache, dass es eine Periode bei Vergiftung mit Curare giebt, in welcher der Sympathicus sowie überhaupt die Gefäss- nerven (auch Vagus) noch nicht paralysirt sind, während die motorischen Nerven schon auf die stärksten Reize nicht reagiren. XXIIL. Kaninchen, künstliche Athmung; in die V. jugularis eine Canüle eingestellt, in welche Curarelösung in refrecta dosi eingespritzt wird, bis der abpräparirte Plexus brachialis bei Reizung keine Contraction der Muskeln gab. Vagus ist nicht paralysirt (Sistiren der künstlichen Athmung ruft Stillstand des Herzens hervor). Unter dem rechten N. ischiadieus liegt ein Faden. In die Gastroknemien sind die Nadelelektro- den gestochen. Zeit. Scalentheille..e. Bemerkungen. Zeit. Scalentheile.e Bemerkungen. h m Rechts. Links. h m Rechts. Links. 513 160 170 529 210 230 14 160 170 310.52:1050225 15 160 180 335 205 230 16 165 180 35 210 225 Klemme ab. 17 165 185 36 200 210 18 165 190 35 195° 210 oz, 190 40 195 205 20. 185 190 41 185 205 Rechter Ischiadieus 23 180 195 durchsehnitten. 24 »—_ — Klemme auf Aorta. | 42 240 205 252,180 7230 44 230 200 210.200) 235 46 230 205 Gleich nach Beendigung des Versuches wurde der Ischiadieus unter- sucht; auch mit den stärksten Strömen erfolgten keine Contractionen. 512 J. ScHhMunEwITscH : ÜBER DEN FINFLUSS DES BLUTGEHALTES U. $. w Durchschneidung des Sympathicus am Halse gab die bekannte Erweiterung der Ohrgefässe; seine Reizung Verengerung dieser Gefässe. Die Vasomo- toren waren also noch nicht ergriffen, während die motorischen Nerven schon vollkommen paralysirt waren, Dieser Versuch beweist: 1. Dass die Anämie ihre Wirkung nicht auf die Nervenendisungen, sondern unmittelbar auf die Muskelsubstanz selbst ausübt; 2. dass die Durehschneidung der Nerven hauptsächlich (bei warm- blütigen Thieren) den in letzteren erhaltenen Vasomotoren ihre Wirkung verdankt. Ich halte es für eine angenehme Pflicht, Hrn. Prof. Rosenthal in Erlangen meinen innigsten Dank auszusprechen für die Liebenswürdig- keit und Bereitwilligkeit, mit denen er mir die Mittel seines "Laborato- riums zur Verfügung stellte. Ueber angeborene Farbenblindheit. Von Dr. v. Kries und Dr. Küster. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Wenn wir mit den nachstehenden Zeilen die schon so reiche Lite- ratur der angeborenen Farbenblindheit vermehren, so geschieht dies wesentlich im Hinblick auf die theoretischen Folgerungen, welche aus den hierher gehörigen Thatsachen gezogen worden sind. Die Annahme, dass die Vielheit unserer Gesichtsempfindungen her- vorgebracht wird durch das Zusammenwirken einer relativ geringen Zahl von Componenten hat in neuerer Zeit mehr und mehr Boden gewonnen. In überraschend einfacher Weise konnte man sich die angeborene voll- ständige Farbenblindheit erklären als hervorgebracht durch das gänzliche Fehlen einer solchen Componente, und die Thatsache, dass man diesen Farbenblinden alle Farbentöne aus zwei passend gewählten mischen kann während für ein normales Auge hierzu drei erfordert werden, wurde voll kommen verständlich. Es war aber weiter noch leicht zu sehen, dass das Sehen des Farbenblinden über die Beschaffenheit dieser hypothetischen Componenten einen Aufschluss zu geben versprach; denn je nach der Natur der Componenten, deren Fehlen die Abnormität bedingte, musste man erwarten, würden ganz verschiedene Paare ungleicher Farben für gleich gehalten werden. An die Feststellung dieser Componenten hat sich, wie bekannt, ein besonderes Interesse geknüpft, insofern die eine von Hering entwickelte Vorstellung eine bedeutungsvolle Umgestaltung der allge- meinen Nervenphysiologie postulirte. Seit geraumer Zeit nun wird für diese Frage die angeborene Farbenblindheit verwerthet; merkwürdiger- weise aber hat es geschehen können, dass in ihr sowohl Vertreter der neueren Hering’schen Lehre, als auch die Anhänger der älteren Helm- holtz’schen, welche in gewissem Sinne jener entgegengesetzt ist, Unter- stützung zu finden meinten. Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 33 514 v. Krıes v. Küster: Wie wir glauben hat dieser Zwiespalt einestheils darin seine Ver- anlassung, dass man bei der Untersuchung nicht immer die theoretisch wichtigen Punkte vor Augen gehabt hat, anderntkeils aber auch darin, dass man aus manchen Thatsachen unrichtige Schlüsse gezogen hat. Nachdem eingehende Erwägung uns zu dem Resultate geführt hatte, dass auf Grund des vorhandenen Beobachtungsmateriales keine sanz sicheren Schlüsse gemacht werden konnten, fingen wir an, selbst Unter- suchungen zu machen. Die Natur unserer Untersuchungsmethode brachte . es mit sich, dass zu ihrer Ausführung auch seitens der Farbenblinden grosse Aufmerksamkeit und Sorgfalt verwandt werden musste. Dieser Umstand machte es nothwendie, uns auf intelligente Leute, die selbst ein Interesse an der Sache hatten, zu beschränken. Die Zahl von Fällen, über welche wir berichten, ist dem entsprechend noch nicht gross; wir wünschen indessen nicht, die Mittheilung bis zu einer erheblichen Ver- mehrung: hinauszuschieben, weil dies vielleicht sehr lange Zeit in An- spruch nehmen würde, und auch die kleine Zahl von Beobachtungen zu einer ziemlich sicheren ÖOrientirung in der Frage im Grunde schon aus- reichend ist. Il Wir setzen zunächst als bekannt voraus,! dass eine solche Unter- suchung darauf gerichtet sein muss, Farben zu erhalten, welche den Farben- blinden genau gleich erscheinen, während sie für das normale Auge ver- schieden sind. Einzig so kann man sich von unbestimmbaren subjeetiven Momenten unabhängig machen. Solche „Verwechselungsgleichungen“ ergeben sich nun auf Grund der beiden Theorien in verschiedener Weise; es handelt sich also darum, diesen Unterschied genau kennen zu lernen. Gehen wir zunächst von der Helmholtz’schen aus. Wenn einem Individuum diejenige Componente fehlt, welche vorzugsweise durch die rothen Strahlen des Spectrums erregt wird und welche wir kurz als die rothempfindenden Elemente zu bezeichnen pflegen, so werden ihm zwei Lichter gleich erscheinen, wenn dieselben für das normale Auge nur hin- sichtlich dieser Componente sich unterscheiden, und für die beiden übrigen gleich sind. Wir machen hierbei die Voraussetzung, dass die beiden bei 1 Wenn einige Beobachter, wie z. B. Stilling und Cohn, diese Regel auch jetzt noch ausser Acht lassen und einfach aus den Benennungen Schlüsse ziehen, so kann dadurch nicht für andere Untersucher die Pflicht entstehen, die wohlbekannten Gründe, welche zur Aufstellung jenes Untersuchungsprincips führten, immer auf’s Neue zu wiederholen. ÜBER ANGEBORENE FARBENBLINDHEIT, 51: [ab den Farbenblinden vorhandenen Componenten sich genau oder wenigstens sehr annähernd, gleich verhalten, wie zwei des normalen Auges. Am einfachsten würde sich das Verhältniss für die Untersuchung darstellen, wenn es ein Licht gäbe, welches jene eine Componente allein, die anderen gar nicht erregte. Nennen wir dieses Licht Z%, so wäre für den Farben- blinden einfach I 0) R vom Mangel alles Lichtes nicht zu unterscheiden. Aus einer solchen Gleichung ergeben sich ohne Weiteres alle überhaupt stattfindenden Verwechselungen. Wir brauchen nur zu erwägen, dass auch durch Zu- mischung des Lichtes #% zu einer von zwei gleichen Farben die Gleich- heit nicht wird aufgehoben werden können. Alle Verwechselungsgleich- ungen also werden sich auf die Form bringen lassen: NEN wo X irgend ein beliebiges Licht bedeuten soll, oder auch: XR=X, wenn X und X’ zwei zwar objeetiv verschiedene, aber auch für das nor- male Auge gleich erscheinende Lichter sind. Es brauchen die Ver- wechselungsgleichungen nicht gerade in dieser Form zu erscheinen; denn wir wissen aus den Grassmann’schen Sätzen, dass in einer Mischung beliebige einfache Lichter ersetzt werden können durch gleichaussehende Mischungen, oder Mischungen durch gleichaussehende einfache, oder end- lich Mischungen durch gleichaussehende andere Mischungen. So werden auch Gleichungen, die im Grunde dasselbe bedeuten, in verschiedener Gestalt auftreten können, bei passender Reduction sich aber immer auf die obige Form bringen lassen. Die Sache erleidet nur eine unwesentliche Modification, wenn es kein Lieht giebt, welches im normalen Auge jene Componente isolirt errest. Wenn das rothe Licht ausser den rothempfindenden auch noch schwach die violett- und grünempfindenden Elemente erregt, so wird bei Ausfall der ersteren nur die schwache Erregung der beiden letzteren übrig bleiben; dieselbe schwache Erresung dieser beiden wird auch zu erreichen sein durch irgend ein lichtschwaches Blaugrün. Es wird also nun ein helles Roth und ein lichtschwaches Blaugrün eine Verwechselungs- sleichung: darstellen. Bezeichnen wir dies mit Dg, so würde die Gleich- ung nun lauten ale, — DIB.g; wo a gross und 5 klein zu denken ist. 33* 516 “ v. KRIES v. Küster: Es muss in diesem Farbenpaar, weil beiderseits die grün- und violett- empfindenden Elemente gleich stark erregt werden, linkerseits aber die rothempfindenden weit stärker, für normale Augen die linke Seite heller sein als die rechte. — In ganz gleicher Weise, wie oben, zeigt sich wieder, dass diese Gleichung das Sehen des Farbenblinden vollständig charakterisirt. Jede andere Verwechselungsgleichung muss sich auf die Form bringen lassen: X+n-a-R=X+n.b.Bg, wo wieder X irgend ein Licht bedeutet, n aber einen beliebigen Zahlenwerth. Nach der Theorie von Hering haben wir uns von der Farben- blindheit die folgende Vorstellung zu machen. Dieselbe ist bedingt durch den Ausfall der rothgrünen (bez. gelbblauen) Sehsubstanz. Es bleibt daher vom rothen wie vom grünen Lichte nur die Wirkung auf die schwarzweisse Sehsubstanz. Es werden daher ein rothes und ein grünes Licht, welche für das normale Auge gleich hell sind, d. i. gleiche Wir- kung auf die schwarzweisse Sehsubstanz haben, den Farbenblinden gleich hell erscheinen: aR=cGr, wenn a und c für das normale Auge gleich helle Quantitäten sind. Auch hier genügt die Kenntniss dieser Gleichung zur Ableitung aller Verwechselungen. Mischt man von zwei gleichen Lichtern dem einen eine Quantität Roth, dem anderen eine gleich helle Quantität Grün zu, so werden für das farbenblinde Auge nach wie vor beide identisch sein. Der Unterschied lässt sich also kurz so angeben: Eine für das farbenblinde Auge charakteristische Verwechselungs- gleichung besteht zwischen zwei Lichtern, welche dem normalen Auge a) ausser in der Farbe auch an Helligkeit wesentlich verschieden sind (Helmholtz), b) nur an Farbe verschieden, an Helligkeit aber gleich sind (Hering). Derselbe Unterschied tritt sehr prägnant auch hervor in der bekannten Darstellung der Farben, welche auf der Newton’schen Schwerpunkts- construction beruht. Wie wir hier auch die Einheiten der verschiedenen Lichter wählen, immer liegen die Verwechselungsfarben auf geraden Linien. Der Helmholtz’schen Ansicht gemäss müssen sich alle diese geraden Linien in einem Punkte schneiden, und dieser entspricht dann der fehlenden Componente. Der Hering’schen Theorie nach müssen . diese Linien alle einander parallel sein, falls wir als Einheiten solche Lichtmengen wählen, die dem normalen Auge gleich hell erscheinen.! 1 Bezüglich des Beweises für den ersteren Satz verweisen wir auf Helmholtz, Physiol. Optik, 8. 295 #. Der letztere erweist sich einfach folgendermaassen. Es ÜBER ANGEBORENE FARBENBLINDHEIT. 517 Es könnte nun scheinen, als ob auf Grund bekannter Thatsachen schon zu Gunsten der Helmholtz’schen Theorie entschieden werden könnte. Denn alle Beobachter, die darauf geachtet haben, haben bisher Verwechselungsgleichungen zwischen ungleich hellen Farben angegeben, so Helmholtz, Maxwell, Raehlmann und vor Allem Holmgren, welcher Letztere auf Grund seiner zahlreichen Beobachtungen immer wieder den Unterschied zwischen Roth- und Grünblinden hervorhebt, nämlich dass bei sonst ähnlichen Verwechselungsfarben die Einen helles Roth mit dunklerem Grün, die Anderen umgekehrt dunkles Roth mit hellem Grün verwechseln. Es darf nun aber nicht vergessen werden, dass wir bisher immer die, zwar wahrscheinliche, aber keineswegs bewiesene Voraussetzung ge- macht haben, dass die beiden Componenten der Farbenblinden zweien des Normalsehenden genau oder wenigstens sehr annähernd entsprächen. Ist diese Voraussetzung nicht erfüllt, sondern, was ja auch denkbar ist, die Componenten verschiedener Individuen wesentlich und ohne bestimmte Regel von einander verschieden, so hat es überhaupt keinen Sinn mehr, von „einer fehlenden Componente“ zu sprechen und diese bestimmen zu wollen. In den Verwechselungsgleichungen würde sich dies in der Weise kund geben, dass dieselben sehr grosse individuelle Schwankungen zeigen. Da wir nun jedenfalls schon wissen, dass sehr verschiedene Verwechselungsgleichungen zwischen Roth und Grün stattfinden, so können wir auch schon sagen, dass aus der Farbenblindheit sicher nichts für die Hering’sche Theorie folgt. Ob aber für die Helmholtz’sche Theorie etwas geschlossen werden darf, das hängt ab von der Frage, ob jene Differenzen der Verwechselungsgleichungen continuirlich regellos in einander übergehen (in diesem Falle bleibt die Frage offen), oder ob sie sich naturgemäss in zwei Gruppen, Roth- und Grünblinde, gruppiren, seien R und Gr die einander gleich erscheinenden Lichter, R der Ort des rothen, Gr der des grünen Lichtes; fer- ner N der Ort irgend eines beliebigen anderen Lichtes. Es werden dann zwei Verwechselungssgleichungen erhalten, in- dem wir zu irgend einer Quantität a des Lichtes N eine bestimmte Menge b ein- mal A, einmal Gr mischen. Die Orte dieser Mischungen, M, und Ma», erhalten . wir, indem wir die Linien N Rund N Gr in demselben bestimmten Verhältnisse theilen, nämlich so, dass NM,:RM, = NM3:Gr M, =b:a. Nach einem bekannten Satze ist dann M, Ms parallel R Gr. 518 v. Krıes v. Küster: sodass innerhalb jeder Gruppe die individuellen Differenzen nicht zu bedeutend sind. ! Für die Entscheidung unserer Frage ist es von grossem Nutzen, dass wir ausser den Helliskeitsdifferenzen auch noch einen anderen Unterschied der beiden Theorien zu erwarten haben. Es tritt dies am Deutlichsten hervor in der Newton’schen Farbentafel; es werden nämlich eine Ver- wechselungslinie, welche von der Rotheomponente ausgeht, und eine, welche von der Grüncomponente ausgeht, falls sie beide durch dasselbe Grün (Blaugrün) gehen, nicht dasselbe Roth, bez. Purpur treffen. Viel- mehr wird dem Grünblinden ein blauerer Purpur mit dem betreffenden Blaugrün identisch scheinen müssen, dem Rothblinden ein reines Roth oder wenigstens ein rötherer Purpur. Namentlich darauf also wird zu achten sein, ob diese beiden ' Unterschiede in den Verwechselungsgleichungen in der von der Theorie erwarteten Weise zusammen auftreten oder nicht. Da es uns darum zu thun war, die Verwechselungsgleichungen in einer Form von allgemeiner Giltickeit zu gewinnen, so verwandten wir zur Untersuchung Speetralfarben und als Lichtquelle Tageslicht. Es ist nun nothwendig, eine Farbe des Spectrums vergleichen zu lassen mit einer Mischung zweier anderen. Um dieses zu erreichen bedienten wir uns der Methode, welche der Eine von uns kürzlich beschrieben hat und verweisen betreffs derselben auf die dort gegebene Darstellung. Die Me- thode sestattete, gleichzeitig zwei aneinander stossende quadratische Felder sichtbar zu machen, welche unabhängig: von einander mit einer, bez. einer Mischung von zwei Spectralfarben erleuchtet werden. ? Die Methode hat vor der der rotirenden Scheiben den grossen Vor- 1 Man pflegte bis jetzt häufig in der Weise zwischen Roth- und Grünblinden zu unterscheiden, dass man sagte, den ersteren ist das rothe Ende des Spectrums verkürzt, den letzteren nicht. Auch dies bedeutet natürlich eine Differenz in den Verwechselungsgleichungen; ein Roth z. B. von der B-Linie erscheint dem einen nahezu schwarz, dem anderen noch in erheblicher Helliskeit. Aber gerade bei dieser Untersuchungsweise kann die Frage, ob ein continuirlicher Uebergang statt- finde oder zwei wohlgesonderte Gruppen, nicht wohl entschieden werden. Wir mussten uns vielmehr eines Roth bedienen, welches noch von Allen deutlich als hell wahrgenommen wird. 2 v. Kries, Beitrag zur Physiologie der Gesichtsempfindungen. Dies Archiv. 1878. Auch die Bestimmung der Quantitäten ist dort (8. 514) angegeben. Es be- darf nur noch der Erwähnung, dass das Licht des einen Spaltes (S8;” a. a. ©.) wel- ches nicht direet auf das Prisma fiel, sondern nach Reflexion von zwei Spiegeln, im Vergleich mit dem Licht der anderen Spalten erheblich geschwächt war. Diese durch die doppelte Spiegelung bewirkte Abschwächung konnte leicht empirisch be- stimmt werden. ÜBER ANGEBORENE FARBENBLINDHEIT. 519 zug, dass sie gestattet, die Mischung der Lichter während der Beoh- achtung stetig zu ändern. Ein Mangel der Methode besteht dagegen darin, dass die Farbenblinden ihr Auge dicht hinter den Spalt des Helmholtz’schen Schirmes bringen müssen und demnach bei Verschie- bungen des Auges die hellen Felder verschwinden. Es war indessen dieser Uebelstand nicht gross, weil die meisten untersuchten Personen es sehr schnell zu einer ruhigen und gleichmässigen Beobachtung brachten. Der Gang einer Untersuchung gestaltete sich hiernach sehr einfach. Es wurde zunächst nur das eine Feld erleuchtet und zwar mit Licht, welches der F-Linie entsprach, also Cyanblau. Auf die Frage, wie gefärbt das helle Licht erscheine, antworten dann alle Untersuchten ganz richtig „hlau* .oder „bläulich“. Der Spalt, welcher dieses Licht liefert, wird nun ver- schoben, so dass immer grüneres Licht in das Auge fällt; auf die wie- derholte Frage, wie das Feld erscheint, erhält man dann die Antwort, „nicht mehr blau“, die Farbe sei unbestimmt, „keine rechte Farbe“ und dergleichen. Schon bei einem Licht, welches noch brechbarer ist, als das der Ö-Linie, wird dann das Feld „etwas gelblich‘ oder grünlich ge- nannt. Eine bestimmte Stelle jenes „unbestimmten“ Stückes, wird übri- sens, wie schon bekannt, mit weissem Licht verwechselt. Wir wählten nun immer ein Grünblau von der Wellenlänge 501-5 (Milliontel Milli- meter), um den damit identischen Purpur, bez. Roth, aufzusuchen, die eigentliche Aufgabe der Untersuchung. Es wurde zu diesem Zwecke das andere Feld erleuchtet mit einer Mischung von Roth (Linie C) und Indigo (Mitte zwischen 7 und @). Bei passender Abstufung dieser Mischung und richtiger Helligkeit des Blaugrün erhielten wir nun in allen Fällen eine solche Verwechselungs- sleichung. Die Gewinnung einer solchen erfordert natürlich oft ziemlich viel Geduld; die Farbenblinden sehen oft, dass beide Felder zwar sehr ähnlich, aber doch noch nicht ganz gleich sind, wissen aber den Unter- schied nicht zu bezeichnen; man ist dann in Verlegenheit, auf welche Art man die Zusammenstellung ändern soll. Ist es ja doch schon nicht ganz leicht, für das eigene Auge eine genaue Farbengleichung, z. B. an den Maxwell’schen Scheiben zu gewinnen. Selbstverständlich muss man den zu Untersuchenden das Auge häufig ausruhen lassen, auch eine ein- mal für richtig erklärte Zusammenstellung nicht sogleich benutzen, son- dern mindestens nach einigen Minuten der Ruhe noch einmal contro- liren lassen. Die auf diese Weise erhaltenen Gleichungen sind nun folgende; wir ordnen sie zugleich in die beiden Gruppen, in welche sie unserer Meinung nach zerfallen. Sie sind alle reducirt auf 100 Theile rothen Lichtes. Die meisten Farbenblinden haben wir zweimal untersucht; aus den 520 v. KRIES u. KÜsTER: beiden gewonnenen Gleichungen ist in der folgenden Zusammenstellung das Mittel aufgeführt, sowohl bezüglich des Blauzusatzes, als der gleich- hellen Quantität von Blaugrün. 1. Rothblinde. 1) 100 Roth + 7 Indigo — 20 Blangrün. 2) 100 ES A ie wa 100 CL) + 4 I = 4 „ SL) — II. Grünblinde. 4) 100 Roth + 22 Indigo = 146 Blaugrün. DD N a1) " He ALOO a allen ler 3 Ds 100 Be 8) 2002) 0 22.3007, 2 ell06 u 9), 2100, 2,200 285 in 10) a.10025,, 1293107, 224155 e ISO O 22 li‘ n; Es ist hier noch zu bemerken, dass in der ersten Gleichung das gewählte Blaugrün etwas blauer als das in den anderen Fällen benutzte war, dem, entsprechend der Blauzusatz etwas zu hoch ausgefallen sein muss. Der erste Eindruck von diesen Gleichungen ist unstreitig der, dass sie untereinander wenig übereinstimmen. Dennoch scheint es uns ge- rechtfertigt, sie so, wie wir gethan haben, zu ordnen und in soweit die Annahme für unterschiedene Roth- und Grünblindheit in ihnen bestätist zu sehen. Erwägen wir nämlich, dass die drei Fälle, welche die geringe Helligkeit des Blaugrün ergeben, auch den geringen Blauzusatz zum Roth verlangen, dass also, ob man nach dem einen oder dem anderen Kriterium verfährt, man zu derselben Beurtheilung geführt wird, so werden wir uns nicht leicht entschliessen, diese Uebereinstimmung für zufällige zu halten. Ferner müssen wir, in dem einen Sinne, annehmen, dass die geringe Erregbarkeit der rothempiindenden Elemente für grünes, der grün- empfindenden für rothes Licht um das 4—-5fache in den verschiedenen Fällen schwankte, in dem anderen Sinne dagegen, dass das Verhältniss der Erregbarkeiten der schwarzweissen Sehsubstanz für roth und blaugrün in den einzelnen Fällen um das 7Ofache variiren. Dass somit die Er- gebnisse gewiss überwiegend für die Helmholtz’sche Theorie sprechen, scheint uns zweifellos. Wie gross aber die Sicherheit des Beweises anzu- schlagen sei, das zu bemessen, wollen wir dem Urtheil des sachkundigen Lesers überlassen. Zweifellos könnte sie viel erösser sein, wenn die indi- DD aa ÜBER ANGEBORENE FARBENBLINDHEIT. D viduellen Differenzen geringer wären. Es lac uns daran, gerade auf die Wichtigkeit dieser letzteren die Aufmerksamkeit zu lenken, da sie bisher nicht hinreichend beachtet worden sind. Ehe wir diesen Punkt verlassen, sei es gestattet, noch einige Be- merkungen hinzuzufügen. Es ist nicht unmöglich, dass die Differenzen einigermaassen ver- grössert erscheinen lediglich in Folge von Mängeln der Methode. Die drei Spalten, welche als Lichtquelle dienen, erhalten ihr Licht von etwas verschiedenen Stellen des Himmels; auch bei anscheinend gleichmässig bedecktem Himmel kann die Helliskeit der einzelnen wohl etwas ver- schieden gewesen sein. Ferner war auch die Genauickeit der Ver- gleichung der beiden Felder, namentlich hinsichtlich ihrer Helligkeit, gewiss keine sehr grosse; denn wir hatten keine sehr grossen Gesichts- felder und ungeübte Beobachter. Ob zukünftige Untessuchungen die individuellen Schwankungen ge- ringer ergeben werden, bleibt abzuwarten. Maxwell fand gerade hinsichtlich der Helligkeit des Lichtes in der Nähe von # (verglichen mit den übrigen Theilen des Spectrums) eine nicht unbedeutende Verschiedenheit zwischen sich und einem anderen Beobachter. Er war geneigt, die Veranlassung hiervon darin zu suchen, dass dieses Licht je nach der Stärke der Pismentirung des gelben Flecks verschieden starke Absorption erleide.e. Ein solcher Umstand müsste ebenso wirken, wie eine bei verschiedenen Individuen verschieden hohe Erregbarkeit aller Componenten gegen dieses Licht. URL. Alle unsere Farbenblinden haben wir auch nach der Holmgren’- schen Methode untersucht. Wir fanden hierbei zu unserer nicht geringen Ueberraschung, dass fast die Hälfte von Allen sich nach den Ergeb- nissen dieser Untersuchung als „unvollständig farbenblind‘“ quali- fieirte, während doch die Untersuchung mit abstufbaren Farben am Spektralapparat die „Vollständigkeit“ der Farbenblindheit documentirt hatte oder später documentirte Man versteht bekanntlich unter unvoll- ständiger Farbenblindheit einen Zustand, bei dem die eine Componente nicht ganz fehlt, aber eine abnorm geringe Erregbarkeit besitzt. Man nimmt an, dass dann Farben mit einander verwechselt werden, welche sich hinsichtlich dieser Componente unterscheiden, dass aber der Unter- schied ein gewisses Maass nicht überschreiten dürfe, ohne die Verwech- selung zu verhindern. Es soll sich also, symptomatisch ausgedrückt, han- deln, um eine zu geringe Unterschiedsempfindlichkeit gegen Farben- 522 v. Krıes u. Küster: unterschiede einer besonderen Kategorie. Die Empfindlichkeit gegen Farbenunterschiede anderer Art soll dagegen normal sein. Genauer untersucht ist bis jetzt kein solcher Fall. Die Diagnose hat sich immer darauf gestützt, dass gesättigte Farben stets richtig be- nannt und zu den Holmgren’schen Proben II und III keine falschen Verwechselungsfarben herausgesucht wurden. Uns hat nun die oben er- wähnte Erfahrung zu der Ueberzeugung geführt, dass man aus diesen Thatsachen durchaus noch nicht auf „unvollständige Farbenblindheit“ zu schliessen berechtigt ist. Das Holmgren’sche Wollensortiment ist zwar recht gross, doch bleibt es ein Zufall, wenn für Jemand irgend eine Wolle sehr nahe mit einer Probewolle übereinstimmt. Daher kommt es, dass die Farbenblinden, welche gewohnt sind, sehr geringe Unterschiede zu beachten, oft zu den gesättigten Mustern keine Verwechselungsfarben hinzulesen. Hierbei blieb es auch, wenn wir sie aufforderten, aucH* leicht verschiedene Far- . ben hinzuzunehmen. Nachdem Helmholtz die Nothwendigkeit, Farbenblinde mit abstuf- baren Farben zu untersuchen, so stark betont hatte, hat man sich in neuerer Zeit von der Strenge dieser Forderung mehr und mehr eman- eipirt. Auch die Holmgren’sche Methode ist ja nur eine Modification der älteren Seebeck’schen, welche Helmholtz „doch noch sehr unzu- reichend‘“ findet. Dies hat nun offenbar seine Berechtigung in der Be- quemlichkeit der Methode, weiche sie für Massenuntersuchungen so an- senehm macht. Es ist hierbei auch nur eine Forderung zu stellen, näm- lich, dass keine Abnormitäten des Farbensinnes unbemerkt bleiben. Dieser Forderung genügt, wie wir glauben, die Holmgren’sche Methode, mit Aufmerksamkeit angewandt, vollkommen. Man kann oft aus einer Hand- bewegung des Untersuchten nach einem falschen Gebinde hin, oder daraus, dass er eins behufs genauerer Besichtigung vornimmt, dann aber wieder weglegt, die Diagnose annehmen. Aber es beschränkt sich dies, wie ge- sagt, gar nicht selten auf die ungesättigte Farbe der Probe I. Zur weiteren Untersuchung, auch zur Unterscheidung der vollstän- digen und unvollständigen Farbenblindheit, halten wir eine Methode mit Farbenahstufung für unerlässlich; und die hohen Zahlen, mit welchen in den statistischen Angaben die unvollständige Farbenblindheit fgurirt, ! scheinen uns nicht ganz vertrauenswürdig; die genauere Untersuchung eines unvollständig Farbenblinden hätte festzustellen, ob wirklich. eine herabgesetzte Unterschiedsempfindlichkeit besteht, ob diese vorhanden ist für alle oder nur für gewisse Farbenunterschiede, oder ob es sich nicht 1 Sie soll den meisten Angaben nach häufiger als die vollständige sein. ÜBER ANGEBORENE FARBENBLINDHEIT. 523 blos um eine Unbeholfenheit im Benennen und Erkennen einzelner Farben handelt. Dass eine solche Untersuchung sehr mühsam sein würde, ist gewiss, aber nur auf diesem Wege können wir Aufklärung erwarten. II. Von besonderem Interesse erschien es, von Farbenblinden die ver- schiedenen Theile des Speetrums in Bezug auf ihre Sättigung vergleichen zu lassen. Das Spectrum zerfällt den Farbenblinden in zwei Theile, welche in einem ganz schmalen ungefärbten Striche zwischen 5 und # zusammenstossen. Nach beiden Seiten nimmt die Sättigung der Farbe zu. Vergegenwärtigen wir uns die Verhältnisse zuerst für Rothblinde. An ihrer Uebergangsstelle ist Violet- und Grüncomponente in gewissem Verhältniss erregt. Weiter nach dem Grün zu nimmt die Grüncompo- nente zu, die Violetcomponente ab. Wenn wir uns dem rothen Ende des Spektrums mehr nähern, so nimmt nun auch die Grüncomponente ab. Wir können nun feststellen, ob im Verhältniss zur Grüncomponente die Violetcomponente bis zum Ende des Spectrums sinkt, oder wieder ansteigt, mit anderen Worten, ob das äusserste Roth des Spectrums als rein weisslicher, als gelber, oder als blauer als die Rotheomponente zu betrachten ist. Die betreffenden Versuche haben wir mit einem unserer Rothblinden angestellt. Es zeigte sich zunächst, dass, wie zu erwarten war, zwischen reinem Gelb und Grün (D und 5) keine Gleichung zu erhalten war; eine solche war ohne Schwierigkeit herzustellen, wenn dem Gelb Weiss zugemischt wurde. Gingen wir nun weiter gegen das rothe Ende des Spectrums, so zeigte sich immer die dem Ende näher gelegene Partie gesättigter als die brechbarere; es war eine Gleichung immer nur durch Weisszumischung zu erhalten. Dies konnten wir fortsetzen bis nahe der Linie C. Von da ab wurden die Bestimmungen unmöglich wegen zu geringer Helligkeit. So weit es sich also bestimmen liess, war das Spestralroth noch im physiologischen Sinne etwas gelblich. Der analoge Versuch am violetten Ende des Spectrums ergab, ebenfalls in Ueberein- stimmung mit der Theorie, auch eine Zunahme der Sättigung bis zur Linie @. Darüber hinaus haben wir sie nicht bestimmt. Interessanter noch ist der Versuch an Grünblinden über das violeite Ende des Spectrums. Es lässt sich hier nämlich zur Entscheidung bringen, ob das Violet als die dritte Componente anzusehen ist oder Blau. Im ersteren Falle muss für den Grünblinden die Sättigung bis in’s Violet zunehmen, oder mindestens gleich bleiben, im letzteren Falle dagegen von einem gewissen im Indigo gelegenen Punkte an abnehmen. Die Versuche, welche einer unserer Grünblinden anstellte, sprachen für erstere 524 vw. Krıss v. KÜSTER: ÜBER ANGEBORENE FARBENBLINDHEIT. Alternative. Von Indigo (Mitte zwischen Fund G) ab bis weit über G hinaus konnte kein Sättigungsunterschied eonstatirt werden. (Der Hellig- keitsunterschied ist sehr bedeutend.) Geht man mit dem einen Licht noch näher an F, so erscheint dies weniger gesättigt. Bei 7 war der Unterschied schon sehr deutlich und keine Gleichung mehr ohne Weiss- zusatz zwischen diesem Licht und dem der G-Linien zu erhalten. Was also die Frage anlangt, ob Farbenblinde verschiedene Theile des Spectrums unter einander verwechseln, so ist sie dahin zu beant- worten, dass dies nur vorkommt zwischen solchen Theilen, welche nicht sehr weit von einander liegen, bei denen daher die Sättigungsunterschiede noch nicht merkbar sind. Allerdings können solche für das normale Auge an Farbe schon sehr verschieden sein. Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektro- tonischen Vorgänge im Nerven. Von Dr. S. Tschirjew. Aus dem physiologischen Laboratorium zu Berlin 1877—1878. (Hierzu Tafel VIII, Fig. 1—6.) I. Geschichte und Experimentalkritik der früheren Beobachtungen. Eine der interessantesten Fragen, deren Beantwortung für die rich- tige Auffassung des elektrotonischen Zustandes der Nerven von grosser Wichtigkeit ist, ist die nach der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Er- regbarkeits- und elektrischen Schwankungen, welche an den elektrotoni- sirten Nerven beobachtet werden. Wir besitzen darübers: einerseits die zwei klassischen Versuche von Hrn. Helmholtz und von Hrn. Pflüger; andererseits für die Erreg- barkeitsveränderungen, die direeten Messungen von Hrn. Wundt und von Hrn. Grünhagen. Die Helmholtz’sche! oeladne war foleende Er nahm ein Nervmuskelpräparat vom Frosch und reizte dessen Nerven bald direct, durch Schliessung eines constanten Stromes, bald indirect, durch die elektrotonische Stromschwankung eines anderen ihm anliegenden Nerven, indem er durch diesen letzteren einen constanten Strom von gleicher Stärke schloss. Der Muskel zeichnete seine Zuckungen auf dem rotirenden Cylinder eines Myographions. e . . . . 9..-6 .. . 1 Ueber die Geschwindiskeit einiger Vorgänge in Muskeln und Nerven. Be. richt über die Verhandlungen der Königl. Preuss. Akademie d. Wissenschaften zu Berlin. 1854. 8. 328. 526 S. 'TSCHIRJEW : Hr. Helmholtz konnte dabei keinen merklichen Unterschied zwi- schen den Zeiten finden, welche in beiden Fällen zwischen der Schliessung des constanten Stromes und dem Anfange der Muskelzuekung verflossen. Auf Grund dieses Ergebnisses schloss er, dass der „elektrotonische Zu- stand des Nerven nicht merklich später eintritt, als der ihn erregende elektrische Strom“. Der bekannte Versuch von Hrn. Pflüger! besteht in Folgendem. Man lest neben einander (jedoch isolirt) die Nerven zweier Frosch- schenkelpräparate und überbrückt sie mittels zweier Stücke Platin- draht (Taf. VII, Fig. 1,a). Wenn man jetzt in einem dieser Nerven (N), 46%” oberhalb der angelegten Platindrähte, einen aufsteigenden Strom (6 kleine Grove) schliesst, so bleibt bei der Schliessung der Schenkel des direct gereizten Präparates (M’) in Ruhe, der andere Schenkel (M”) dagegen zuckt. Daraus schloss Hr. Pflüger, dass die elektrotonische Erresbarkeits- schwankung sich wenigstens nicht mit kleinerer Geschwindigkeit fort- pflanzt, als die elektrotonische Stromschwankung. In der That zeigt die in dem benachbarten Schenkel eintretende Zuckung, dass die elektroto- nische Stromschwankung an der überbrückten Stelle zu einer bestimmten Zeit vorhanden war. Wenn sie aber in dem direct gereizten Präparate keine Zuckung auszulösen vermag, so kann dies nur dadurch bedingt sein, dass zu dieser Zeit die Erregbarkeit an dieser Stelle schon abge- nommen hatte. Ich habe sowohl den Helmholtz’schen, als auch den Pflüger’- schen Versuch wiederholt. Was die Helmholtz’sche Messung anbetrifit, so wurde sie fol- gendermaassen angestellt. — Der Nerv des Präparates wurde an einer Stelle (Taf. VILI, Fig. 2, a) gereizt, welche ebenso weit (ungefähr 5”) von der Berührungsstelle (c) beider Nerven entfernt war, wie die polari- sirende Strecke (5); gereizt wurde durch einen Oeffnungsinduetionsschlag. Bei dieser Versuchsanordnung konnte ich auch keinen sicheren Unterschied zwischen den Zeitintervallen finden, welche zwischen dem Anfange der Reizung und dem Beginn der Muskelzuekung in beiden Fällen verflossen: bei der direeten Reizung des Nerven NV, und bei seiner Reizung durch die im Nerven N’ hervorgerufene elektrotonische Strom- schwankung. Die bei Wiederholung des Pflüger’schen Versuches von mir ge- wählte Anordnung unterschied sich von der ursprünglichen nur dadurch, dass ich anstatt der Platindrähte kleine schmale, mit dreiviertelprocen- tiger Kochsalzlösung getränkte Fliesspapierbäusche benutzte. 1 Physiologie des Electrotonus. Berlin 1859. S. 442. -] FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 52 m Der Pflüger’sche Versuch gelingt fast immer. Bei Schliessung eines starken aufsteigenden Stromes’ im Nerven N’ beobachtet man wirk- lich Ruhe im Schenkel M’ und Zuekung im Schenkel 7”. Gegen die Beweiskraft des Helmholtz’schen Versuches lässt sich. ein sehr. gewichtiger Einwand machen. Es ist nämlich einer- seits die Länge der ableitenden Strecke (Abstand zwischen der polari- sirenden, Fig. 2, 5, und der abgeleiteten, c) auf welche man dabei aus bekannten Gründen angewiesen ist, so klein, — andererseits wird die Be- stimmung des Anfangsmomentes der Muskelzuckung bei grosser Geschwin- digkeit der Zeichenplatte so unsicher, dass die Messung zuweilen ganz illusorisch werden kann. In der That handelt es sich bei diesen Ver- suchen um den Vergleich zwischen den Zeiten, welche beide zu verglei- chende Vorgänge brauchen, um eine ungefähr 5”” lange Nervenstrecke zurückzulegsen. Nehmen wir 27” in der Secunde als Fortpflanzungs- geschwindigkeit der Nervenerregung beim Frosche an, so würden sie eine Nervenstrecke von 5"® in 0-00018” durchlaufen. Vorausgesetzt also, dass die elektrotonische Stromschwankung an’allen Stellen des Nerven im Augenblick der Schliessung des polarisirenden Stromes eintritt, so wäre nur auf einen Zeitunterschied von höchstens 0-00018” zu rechnen. Bei der Wiederholung des Helmholtz’schen Versuches bediente ich mich des Federmyographions von E. du Bois-Reymond mit der Feder III!, welche der Zeichenplatte eine Geschwindigkeit von 2522"” in der Secunde mittheilt. Bei dieser Geschwindigkeit entspricht dem Zeitunterschied von 0-00018” nur eine Strecke von 0.47", Wenn man jetzt die Schwierigkeit einer genauen Bestimmung des Anfangsmomentes einer Zuckungscurve bei solcher Geschwindigkeit der Platte in Betracht zieht, so wird man begreifen, wie wenig sicher diese Methode für eine derartige Messung ist. Aus diesem Grunde kann der Helmholtz’sche Versuch kaum als entscheidend für die in Rede stehende Frage angesehen werden. Was den Pflüger’schen Versuch betrifft, so erhob Czermak fol- senden Einwand? gegen seine Beweiskraft: Da nach v. Bezold® bei 1 EB. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Nerven- und Muskelphysik. Leipzig 1876. Bd.I, S. 275. 1 Joh. Nep. Czermak, Ueber Pflüger’s Versuch, die Abhängigkeit des elektrotonischen Erregbarkeitszuwachses vor der Zeit zu. bestimmen und über einen neuen Versuchsplan zur exacten Ermittelung derselben. Vorläufige Bemerkungen. Dies Archiv. 1863. 8. 65. — Vergl. Czermak’s Gesammelte Schriften. Leipzig bei Engelmann. Bd. I. 1879. II. Abthl., S. 650. 2 A. v. Bezold, Untersuchungen über die elektrische Erregung der Nerven und Muskeln. Leipzig 1861. 8. 279. 528 S.: TSCHIRJEW : der Schliessung schwacher Ströme im Nerven die Erregung nicht sofort . eintritt, erst nur nach einer gewissen Zeit, so könnte sein, dass die Erregbarkeitsabnahme sich mit einer viel kleineren Geschwindigkeit fortpflanzt, als die elektrotonische Stromschwankung und doch könnte sie, in Folge der Verzögerung der secundären Erregung, noch die Zuckung des primär erregten Präparates hindern.! Die Untersuchungen von Hrn. Wundt? sind mehr geeignet, uns einen Aufschluss bezüglich des ganzen Verlaufes der Erregharkeits- schwankungen in den extrapolaren Strecken eines elektrotonisirten Nerven zu geben, als genaue absolute Werthe in Bezug auf die Zeit zu ver- schaffen, welche zwischen der Schliessung des polarisirenden Stromes und den ersten Spuren dieser Schwankungen an einer bestimmten Nerven- stelle vergeht. Für letzteren Zweck ist nämlich sein Versuchsverfahren nicht empfindlich genug. Er bediente sich eines Pendelmyographions und bestimmte das erste Eintreten der Erregbarkeitsschwankungen im Nerven nach den Anfangsmomenten der Zuckungscurven. Hr. Wundt kommt auf Grund dieser Untersuchungen zu folgenden Schlüssen: Es entstehen im Nerven bei der Schliessung eines constanten Stromes an der Anode normalerweise zwei Wellen: Erresungs- und Hem- mungswelle Bei schwachen Strömen breitet sich die anodische Hem- mungswelle mit abnehmender Intensität und Geschwindigkeit (30—500"” in 1”) aus; so dass die Erregungswelle, vermöge ihrer grösseren Ge- schwindigkeit, plötzlich in den entfernten Nervenstellen hervorbricht. Bei starken Strömen ist die Hemmungswelle beschleunist (bis 1500 "” in 1”) und die Erregungswelle verlangsammt. Was endlich die Versuche von.Hrn. Grünhagen? betrifft, so waren seine Methoden zu mangelhaft, um die Erlangung brauchbarer Resultate zu gestatten. Hr. Grünhagen kommt auf Grund dieser Versuche unter Anderem zu folgendem Schlusse: Der Beginn des Anelektrotonus fällt ebenso wie der des Katelektrotonus mit dem Einbruchsmomente des polarisirenden Stromes zeitlich zusammen. Die Versuche betreffend der Katelektrotonus bestanden im Folgenden. 1 [Es ist indess zu bemerken, dass Hr. Jul. König seitdem in Hrn. Helmholtz’ Laboratorium zu Heidelberg die Umhaltbarkeit der v. Bezold’schen Lehre ünd die volle Gültigkeit meines „allgemeinen Gesetzes der Nervenerregung durch den elektrischen Strom“ für jede überhaupt noch reizende Stromdichte nachgewiesen hat. Wiener Sitzungsberichte. 1870. Bd. LXXII, Abth. II, S. 537. Damit fällt Czermak’s Einwand gegen Hrn. Pflüger’s Versuch. E. d. B.-R.] ? Untersuchungen zur Mechanik der Nerven und Nervencentren. Erlangen 1871. 3 Ueber das zeitliche Verhalten von An- und Kat-Elektrotonus während und nach der Einwirkung des polarisirenden Stromes. Pflüger’s Archiv. 1871. S. 647. | ! | FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 529 Durch den tetanisirten Nerven eines Nervmuskelpräparates oberhalb der gereizten Strecke wurde ein absteigender Strom geschlossen. In Folge dessen zeigte die vom Muskel auf „dem rotirenden Cylinder eines Fou- cault'schen Regulators“ gezeichnete Tetanuscurve eine Erhebung. Nun wurde vermuthlich das Zeitintervall zwischen der Schliessung des pola- risirenden Stromes und dem Anfange der Erhebung bestimmt. Hr. Grün- hagen sagt, dass diese Erhebung „stets momentan mit dem Schlusse des polarisirenden Stromes“ eintritt und fügt gleich hinzu: „d.h. sie wird in der Curve nach Ablauf desjenigen Zeitintervalls bemerkbar, welcher der latenten Reizdauer des Muskel-Nerven-Präparats bezüglich des Abstandes der gereizten Nervenstrecke vom Muskel entspricht“ (?!, 5. 548). Abgesehen von dieser letzteren Unklarheit, leuchtet ein, dass die Rotationsgeschwindigkeit des angewandten Zeichencylinders zu klein war, damit die hier in Betracht kommenden Zeitmomente deutlich genug von einander getrennt werden konnten. Hrn. Grünhagen’s Schluss bezüglich des Anelektrotonus basirt auf folgenden Versuchen. Es wurde ein Zweig des primären Stromes eines Inductoriums, dessen indueirter Strom zur Reizung diente, als pola- risirender Strom benutzt. Das Resultat war das folgende: „Bei ver- einigter Wirkung beider (des reizenden und des polarisirenden) stellte sich heraus, dass bei empfindlichen Präparaten die Ordinatenhöhe der Induetions-Schliessungs-Zuckung eine Abnahme gegenüber derjenigen er- litt, welche bei ausschliesslicher Wirkung des Inductions-Stromes erhalten worden war“. Daraus hat Hr. Grünhagen seinen oben eitirten Schluss bezüglich des Elektrotonus gezogen. Nun hat er dabei einen Umstand übersehen, welcher diese seine Versuche vollständig werthlos macht, und zwar, dass bei vereinigter Wirkung beider Ströme der inducirte Reiz- strom nothwendigerweise schwächer ausfallen muss, als in dem anderen Falle, weil jetzt ein Theil des ihn inducirenden Stromes mittels eines Rheochords in den Nerven abgeleitet wird. In Folge dessen muss natür- lich auch der Reizeffect im ersteren Falle schwächer sein. An Vervollkommnung des Verfahrens beim Helmholtz’schen Ver- suche war nicht zu denken: jede Vermehrung der Geschwindigkeit der Platte vergrössert auch die Unsicherheit der Bestimmung des An- fangsmomentes der Zuckungscurve Es blieb also nur übrig, die vor- liegende Frage auf irgend einem anderen Wege zu prüfen. Zu diesem Zwecke habe ich eine Reihe von directen Messungen der Fortpflanzungs- geschwindigkeit sowohl der elektrotonischen Stromschwankung, als auch der anelektrotonischen Erregbarkeitsabnahme unternommen und. sie im alten physiologischen Laboratorium der Berliner Universität ausgeführt. Archiv f.A. u. Ph, 1879. Physiol. Abth, 34 530 S. TscHIRJEw: II. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen Stromschwankung im Nerven. Die Versuchsanordnung bei Messungen der Fortpflanzungsgeschwin- digkeit der elektrotonischen Stromschwankung war folgende. Es wurde ein frisch herauspräparirter Ischiadicus vom Frosch NN (Taf. VII, Fig. 5) mit seinen beiden Enden an zwei isolirten Unterlagen (gefirnissten Kork- stücken an einem Glasstabe) befestigt und in der Luft ein wenig ange- spannt. In einem gewissen Abstande von einander berührten ihn die Spitzen zweier Paare unpolarisirbarer Elektroden. Eines dieser Elektro- denpaare (a) leitete den Nerven von zwei ungefähr symmetrisch zum elektromotorischen Aequator liegenden Punkten ab, und war mit einer Wiedemann’sche Spiegelbussole (S_5) verbunden; dieser Kreis wird der Bussolkreis heissen. Das andere Elektrodenpaar stand durch eine Pohl’sche Wippe (W) mit einer Säule (k) von 4—6 kleinen Grove in Verbindung; dieser Kreis heisst der Kettenkreis. Der Bussolkreis blieb vor dem Beginne der Beobachtung durch einen Contactschlüssel (s) geschlossen, und alle in diesem Kreise vor- handenen elektrischen Ungleichheiten wurden durch einen mittels des runden Compensators von einer No&’schen Sternsäule abgeleiteten Strom- zweiges compensirt. Der Kettenkreis dagegen blieb offen und konnte nur durch das Eintauchen eines am Rahmen des Federmyographions (MM) befestigten, amalgamirten Kupferplättehens p in die Quecksilber- rinne Ag eine gewisse Zeit lang geschlossen werden. Der Schlüssel (s) und die Quecksilberrinne (7) waren an der guss- eisernen (Grundplatte des Myographions so befestigt, dass der hahmen bei seiner Bewegung einerseits das Kupferplättchen » in die Quecksilber- rinne eintauchte und dadurch den polarisirenden Strom im Nerven schloss; andererseits, mittels des Daumens g, den Hebel des Schlüssels traf und dadurch den Bussolkreis öffnete. Die Quecksilberrinne war unbeweglich befestigt; dagegen konnte der Schlüssel längs der Grundplatte des Myographions verschoben werden. Durch diese Verschiebung konnte bewirkt werden, dass der Rahmen des Myographions in seinem Fluge zuerst das Plättehen » in die Quecksilber- rinne eintauchte, dann den Schlüssel öffnete und darauf das Plättchen p wieder aus dem Quecksilber entfernte. Das Zeitintervall zwischen dem Momente der Schliessung des pola- risirenden Stromes im Nerven und dem Momente der Oeffnung des Bussol- kreises konnte durch die verschiedene Einstellung des Schlüssels beliebig FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 531 varlirt werden. Eine Theilung erlaubte, die jedesmalige Stellung des Schlüssels genau abzulesen. ! Da es sich bei diesen Versuchen darum handelte, von einem sehr kurze Zeit dauernden Strom einen merklichen Ausschlag zu erhalten, so musste die Dämpfung an der Bussole so klein wie möglich gemacht werden. Zu diesem Zwecke und um zugleich den Ausschlag des Magnetes zu ver- grössern, wurde der massive Dämpfer durch ein Paar kleiner Rollen von 15000 Windungen feinen Drahtes ersetzt. Diese Hülfsrollen waren ihren Dimensionen nach dem entfernten Dämpfer vollständig gleich. Das Gerüst jeder Hülfsrolle bestand aus einer Kupferhülse, an deren End- ränder kupferne Scheiben angelöthet wurden. Die Hülfsrollen wirkten noch so stark dämpfend auf den Magnet, dass dieser, insbesondere bei geschlossenen Rollen, in seiner Gleichgewichtslage ruhig blieb. Als Maenet diente ein stark magnetisirter dünner Stahlring mit einem ihm angeklebten Spiegelsplitter. Das Trägheitsmoment des Magnetes wurde auf diese Weise auch bedeutend verkleinert. Bei 264”"” Abstand des Hauy’schen Stabes betrug die Beruhisungszeit des von 500 °° fallen- den Magnetes 30 Sec.; der Magnet vollzog dabei sechs Elongationen. Öbschon, in Folge grosser Annäherung des Hauy’schen Stabes, die täglichen Variationsschwingungen ziemlich bedeutend waren,! war es doch immer leicht, sie von den stossartigen Ausschlägen in Folge der Ein- wirkung der elektrotonischen Stromschwankungen zu unterscheiden. Bei der Beobachtung befanden sich immer beide Rollenpaare, die eben beschriebenen Hülfsrollen von 15000 Windungen und die gewöhn- 1 Sowohl der Gedanke: zu den Messungen sehr kleiner Zeiten das Federmyo- graphion anzuwenden, als auch dessen praktische Ausführung gehören gemeinschaft- schaftlich mit mır Hrn. Dr. J. Gad an, der damals auch eine Reihe von Versuchen un- ternommen hatte, bei denen er analoger zeitmessender Vorrichtungen bedurfte. (S.oben 8.256.) Auch sonst ist das Federmyographion sehr vervollkommet, mit einem verbesser- ten Schreibapparat und einer Vorrichtung zur Belastung und Ueberlastung des Muskels im Helmholtz’schen Sinne versehen u.d.m. Federmyographien dieser Art liefert die Sauerwald’sche Werkstatt (O0. Plath, Berlin W., Kanonierstr. 43) und werden dieselben auf Verlangen mit den in dieser. Abhandlung beschriebenen Hülfsvorrich- tungen versehen. Die Möglichkeit, das Federmyographion so zu gebrauchen, beruht darauf, dass der Erfinder dasselbe jetzt mit einer Stimmgabel versehen hat, welche durch einen von ihm construirten Mechanismus in demselben Augenblick in Schwin- Sungen versetzt werden kann, wo die Zeichenplatte ausgelöst wird. Die Stimm- sabel verzeichnet auf der Yeahonnlkhie ihre Schwingsungsceurve unter dem Myo- gramm. Da die Gabel etwa 250—300 einfache Schwingungen in der Secunde macht, von denen jede noch mehrere Millimeter auf der Platte einnimmt, so hat es keine Schwierigkeit, dergestalt Zeiten bis zu 0-0001 und nöthigenfalls noch weit kleinere zu messen. Am besten geschehen die Messungen unter dem Mikroskop mit einem Öbjeetivmikrometer bei schwacher Vergrösserung. I! E. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen u. s. w., Bd. I, S. 376 fl, 34* 532 S. TSCHIRJEW: lichen zwei Hydrorollen hinter einander im Bussolkreise. Die Hydrorollen waren ganz aufgeschoben. | Man konnte im Voraus erwarten, dass die zu messenden Zeiten sehr klein. ausfallen würden. Es war deshalb unbedingt nothwendig, die Zeiten kennen zu lernen, welche bei jeder Stromstärke in Folge der Trägheit des Magnetes verloren gehen, d. h. die Zeiten, während welcher Ströme von bestimmter Stärke mindestens anhalten müssen, damit eine deutlich erkennbare Ablenkung des Magnetes erfolge. Zu diesem Zwecke waren diese verlorengehenden Zeiten im Voraus für eine Reihe von Stromstössen bestimmt, welche der Grösse ihrer ersten Ausschläge nach am Häufigsten den zu beobachtenden ersten Aus- schlägen elektrotonischer Stromschwankungen entsprechen; dies waren die Ausschläge von 150, 200, 250, 300, 350, 400, 450 und 500®«. Diese letzteren Bestimmungen waren auch mit Hülfe des Feder- myographions gemacht. Die Versuchsanordnung war dabei folgende: Der Bussolkreis, in welchem sich aber natürlich kein Nerv befand, blieb vor dem Beginne der Beobachtung durch den Contactschlüssel geschlossen. In diesen Kreis wurde mittels eines einfachen Rheochords ein Strom- zweig von der gewünschten Stärke eingeführt. In den Haupt- oder Batteriekreis, der diesen Stromzweig hergab, war die Contactstelle zwischen p und Ag eingeschaltet, so dass der Strom erst durch Eintauchen des Blättchens in das Quecksilber der Rinne geschlossen wurde. Liess man die Zeichenplatte MM des Federmyographions ihre Bahn durchfliegen, so tauchte sie zuerst das Plättchen p in das Quecksilber ein und öffnete nachher den Contaetschlüssel ss Wenn der erfolgte Aus- schlag noch ziemlich bedeutend war, wurde der Schlüssel s dem Null- punkte‘ so lange genähert, bis der Ausschlag gleich 1°° wurde. Als Zeichen für die beginnende Ablenkung des Magnetes wurde immer ein Ausschlag von 1°° genommen. — Aus der Entfernung der gefundenen Stellung des Schlüssels vom Nullpunkte konnte ganz genau die ent- sprechende Zeit bestimmt werden. ? ! Unter dem Nullpunkt ist die Stellung des Schlüssels s zu verstehen, bei welcher seine Oeffnung durch den Daumen g in demselben Momente geschieht, wie das Eintauchen des Plättchens p in das Quecksilber, — bei welcher wenigstens die langsamste Bewegung des Rahmens mit der Hand diese beiden Momente nicht zu trennen vermag und also auch bei relativ starken Stromzweigen im Bussolkreise keinen Ausschlag giebt. 2 Die Bestimmung der Zeiten, welche zu den notirten Stellungen des Schlüs- sels s gehörten, geschah in folgender Art. Es wurden dem Schlüssel folgweise alle diese Stellungen, wie auch die dem Nullpunkt entsprechende gegeben, und der Rahmen langsam mit der Hand vorgeschoben. Jedesmal, wenn der Daumen g den Schlüssel sin seiner Stellung eben öffnete, wurde auf der Zeichenplatte mittels des FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 533 Wir gehen jetzt zur Beschreibung der Versuche selbst über. Als constante Batterie diente uns eine Kette von 4—6 kleinen Grove. Den Verbindungsdrähten des Kettenkreises wurde eine solche Richtung gegeben, dass die Schliessung und Oeflnung des constanten Stromes an und für sich von keinem Einflusse auf den Magnet war. Der Nerv mit den beiden Paaren von unpolarisirbaren Elektroden befand sich in einer feuchten Kammer. Die Länge der ableitenden Nerven- strecke, d. h. der Strecke zwischen beiden Elektrodenpaaren, variirte zwischen 6—14"”, je nach der erhaltenen Stärke der elektrotonischen Stromschwankung; sie wurde immer möglichst gross genommen. War Alles vorbereitet, der frisch herauspräparirte Froschischiadicus in der oben beschriebenen Weise mit den Elektroden verbunden, und der Magnet durch einen Compensationsstrem in seine Gleichgewichtslage zurückgeführt, so bestimmte ich die Grösse des ersten Ausschlages durch die elektrotonische Stromschwankung. Darauf wurde der Rahmen des Federmyographions ausgelöst und der dabei erfolgte Ausschlag beob- achtet. Durch Wiederholung dieser Operation (übrigens mit möglichster Schonung des Nerven) und jedesmalige Veränderung der Stellung des Contactschlüssels s wurde endlich eine solche Stellung des letzteren auf- gefunden, bei welcher der Ausschlag gleich 1° war. Die Grösse des sanzen ersten Ausschlages, wie auch die Vollkommenheit der Compen- sation wurden während dieses Suchens von Zeit zu Zeit controlirt. Später wurden, in analoger Weise wie es bei der Bestimmung der verlorenen Zeiten geschah, die Zeiten bestimmt, welche allen so gefun- denen Endstellungen des Schlüssels s entsprechen. Von diesen Zeiten wurden die Zeiten abgezogen, welche nach der oben erwähnten Tabelle, je nach dem ersten Ausschlage, in Folge der Trägheit des Magnetes verloren gegangen sein müssten. Die Differenzen gaben uns die gesuchten Zeiten, d. h. die Zeiten, welche die elektroto- nische Stromschwankung in jedem beobachteten Fall für ihre Fortpilan- zung durch die ableitende Nervenstrecke brauchte. Diese Untersuchungsmethode war jedoch nicht ganz correet, für den Fall, dass die elektrotonische Stromschwankung wirklich mit kleinerer Geschwindigkeit im Nerven entsteht oder sich darin fortpflanzt, als der elektrische Strom. Die nach Maassgabe der Tabelle abgezogenen Zeit- verluste in Folge der Trägheit müssen natürlicherweise etwas kleiner sein, als die wirklichen hier in Betracht zu ziehenden Zeitverluste. In Schreibhebels eine Ordinate gezogen. Dann wurde der Rahmen zurückgezogen, und bei schreibender Stimmgabel (s. S. 529, Anm.) seiner Bahn entlang geschossen. Die dabei aufgezeichnete Zeiteurve erlaubte in der angegebenen Weise die Zeiten zu bestimmen, welche den Abständen jeder Ordinate von der Nullordinate entsprechen. 534 S. TSCHIRJEW ; Folge davon müssen die nach Abzug der Zeitverluste gefundenen Zeiten etwas grösser ausfallen, als sie in der Wirklichkeit gewesen waren. Doch müsste dieser Fehler desto kleiner sein, je stärker der erste Ausschlag war. Und in der That hat es sich herausgestellt, dass die gefundenen Zeiten desto grösser waren, je kleiner der erste Ausschlag war. Schon dies letztere Factum deutet darauf hin, dass die elektroto- nische Stromschwankung mit kleinerer Geschwindiskeit im Nerven ent- steht und darin sich fortpflanzt, als der polarisirende elektrische Strom. Aus dem eben erwähnten Grunde führe ich hier nur diejenigen Zahlen an, welche den grössten ersten Ausschlägen entsprechen. Tabelle A. Zeitverlust Berechnete Länge Gefundene in Folge der ! Zeit für der ableitenden heit ' Trägheit des llenenz a Nervenstrecke Magnetes ARRE in Millimetern. in Secunden. 6 000186 0.00141 0.00045 0.00022 75 000187 0-00141 0.00046 0.00028 Re) 000187 0.00141 0.00046 0.000530 Ü 000225 0.00189 0.00036 0.00026 11 000523 000452 0.00071* 0.00040 12%) 000188 000141 0-00047 0.000283 ® 000231 000159 0.00042 0.00026 6 000787 000706 0.00081%* | 0.00022 Im Falle * war der erste Ausschlag von 300°, im Falle *%* nur von 160° Man sieht, dass die Zahlen der beiden letzten Spalten, absolut genommen, sich von einander um keine beträchtliche Grösse unterscheiden. Erinnert man sich aber, dass die nach dieser Methode gefundenen Zeiten auch bei so starken ersten Ausschlägen (400—500 Sec.) doch aus dem erwähnten Grunde etwas grösser ausfallen müssen, so wird man den Schluss gerechtfertist finden, dass der gefundene Unterschied zwischen den Zahlen der beiden letzten Spalten in Wirklichkeit noch kleiner ist. Mit anderen Worten, man gelangt auf diese Weise zu fol- gendem Schlusse: die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektro- tonischen Stromschwankung im Nerven unterscheidet sich FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 535 nicht viel von derjenigen der Nervenerregung; sie ist jeden- falls kleiner als die Geschwindigkeit, mit welcher der pola- risirende elektrische Strom im Nerven entsteht. Dabei muss noch zugefügt werden, dass kein constanter Unterschied in dieser Beziehung zwischen der katelektrotonischen und anelektroto- nischen Stromschwankung sich nachweisen liess. III. Fortpflanzungsgeschwindigkeit der anelektrotonischen Erregbarkeitsabnahme im Nerven. Der Versuchsplan,! nach welchem die Messungen der Fortpflanzungs- seschwindigkeit der anelektrotonischen Erregbarkeitsabnahme im Nerven auszuführen waren, lag auf der Hand; er bestand nämlich im Folgenden: Für eine Stelle des Nerven eines Froschgastroknemiuspräparates wurde die minimale Reizstärke aufgesucht, welche Zuckung auslöste. Dann wurde in der dem centralen Ende näher liegenden Partie des Nerven, in einem bestimmen Abstande von der geprüften Stelle, ein starker aufsteigender Strom geschlossen. Die Schliessung des Stromes gab natür- lich in diesem Falle keine Zuckung. Eine gewisse, sehr kurze Zeit nachher wurde die Erregbarkeit des Nerven an der früheren Stelle wieder geprüft. Erzeugte die früher gefundene minimale Reizstärke noch merk- liche Zuckung, so wurde der Moment dieser Reizung in der Zeit von dem Momente der Schliessung des polarisirenden Stromes entfernt und der Versuch wiederholt. Damit wurde so lange fortgefahren, bis die mini- male Reizung ohne Erfols blieb. Der dann sich ergebende Zeitunterschied zwischen den beiden Mo- menten musste die Zeit geben, welche für die Fortpflanzung der Erreg- barkeitsabnahme von der intrapolaren Strecke bis zur gereizten Stelle nöthig war. War dieser Abstand bekannt, so konnte daraus die gesuchte Fortpflanzungsgeschwindigkeit bestimmt werden. Die Anordnung, deren ich mich bei Ausführung dieses Versuchs- planes bediente, war folgende. Es wurde ein Froschgastroknemiuspräparat mit seinem Nerven frisch bereitet, wobei der Muskel mit der Haut be- kleidet und der Nerv mit einem Theile der Wirbelsäule in Verbindung 1 Obschon obiger Versuchsplan ganz selbständig bei mir entstand, wie er bei jedem Forscher entstehen würde, der sich die uns interessirende Frage vorgelegt hätte, so halte ich es doch für angemessen, zu erwähnen, dass ich später einen ganz analogen Versuchsplan in der oben angeführten vorläufigen Mittheilunsg von Czermak (S. 528, Anm.) angedeutet fand. 536 S. TSCEHIRJEW : blieb. Dies Präparat wurde in einem Pflüger’schen Myosraphion be- festigt. Das eingeklemmte Femur wurde durch eine Kautschukplatte sorgfältig von der Klemme isolirt. Auf dem Tische des Myosgraphions wurde ein aus Glas und Kork gefertigter allgemeiner Träger befestigt, welcher zwei Paare unpolarisirbarer Elektroden trug. Die Elektroden konnten sehr bequem mit dem Nerven in Berührung gebracht und längs desselben verschoben werden. Auf dem Glasstabe des Trägers befand sich ferner ein gefirnisstes bewegliches Korkstück, an dem das centrale Nervenende, bez. das Stück Wirbelsäule befestigt werden konnte. Zwi- schen diesen Korkstück und dem Muskel blieb somit der Nerv in der Luft ausgespannt. Das Ganze wurde mit einem Glaskasten bedeckt, dessen Wände mit feuchtem Fliesspapier bekleidet waren. Es wurde dabei besondere Aufmerksamkeit auf gute Isolirung aller Theile von einander verwendet. Das eine Elektrodenpaar (Taf. VILL, Fig. 4, a), welches den Nerven etwa 10” entfernt von seinen centralen Ende berührte, stand in Verbindung mit einer Kette von 4—6 kleinen Grove (X); das andere Elektrodenpaar (6) wurde mit der secundären Rolle eines Schlitteninduetoriums verbunden. Zur Schliessung des polarisirenden Stromes, wie auch zur Oeffnung des Stromes in der primären Rolle des Inductoriums diente derselbe Siemens’sche Fallhammer (7), der von Dr. Gad in seiner Arbeit über Zeichenwechsel u. s. w.! beschrieben wurde. Da die Contactschlüssel dieses Fallhammers, als Nebenschliessung eingeführt, den Strom einer Kette von 4—6 Grove nicht vollständig abblendeten, zog ich es vor, auch hier den polarisirenden Strom einfach durch einen Quecksilbercontact zu schliessen. Dies erzielte ich dadurch, dass ich das eine Ende des Kettenkreises mit dem Axenlager des Hammerstiels, das andere mit dem Quecksilbernäpfchen verband. Beim Fall des Hammers tauchte der an dem Hammerstiele leitend befestigte Metallstift (p) in das Quecksilber- näpfchen (@). Das untere Ende des Metallstiftes »p wurde amalgamirt, und die Quecksilberfläche des Näpfchens @ mittels einer Schicht Alkohol möglichst rein gehalten. Endlich wurde im Batteriekreise noch ein Vor- reiberschlüssel s eingeschaltet. Zur Unterbrechung des Stromes in der primären Rolle des Inductö- riums benutzte ich den einen Contactschlüssel des Fallhammers c. Durch Verstellung der Mikrometerschraube m, die beim Falle des Hammers den entsprechenden Contactschlüssel öffnete, konnte der Zeit- unterschied zwischen dem Momente der Schliessung des polarisirenden 1 Dr. Joh. Gad, Ueber Zeichenwechsel der Stromesschwankung innerhalb des Latenzstadiums u. s. w. Dies Archiv. 18771. 8. 37. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 537 Stromes und dem Momente der Reizung des Nerven beliebig variirt werden. Die auf der Peripherie des Schraubenkopfes befindliche Thei- lung erlaubte jede Stellung der Schraube zu notiren. Um die kleinen Zeiten, welche verschiedenen Stellungen der Mikro- meterschraube m entsprachen, genau messen zu können, erdachte ich gemeinschaftlich mit Hrn. Dr, H. Gad folgende Vorrichtung: An den Kopf des Hammers (X 7) wurde ein besonderer Messingrahmen (Z, Fig. 5, Taf. VIII) geschraubt, wie aus der Zeichnung ersichtlich ist. Dieser Rahmen trug eine kleine Glasplatte. Die Länge dieser Platte war etwas grösser als der von ihr beim Falle des Hammers beschriebene Bogen, so dass eine zeichnende Spitze, die bei der hohen Stellung des Hammers die Glasplatte nahe ihrem unteren Rande berührte, nach dem Falle des Hammers ihren oberen Rand nicht überragte. Die zeichnende Spitze war eine feine, an der Zinke einer speciell dazu verwandten Stimmgabel befestigte stählerne Feder; an der anderen Zinke der Stimmgabel wurde ein gleiches Gegengewicht angebracht. Die Stimmgabel wurde an einem Holzklotze befestigt, der noch eine Spann- vorrichtung trug. Diese letztere war im Princip dieselbe, welche Hr. BE. du Bois-Reymond an seinem Federmyographion angebracht hat. (S. oben 8. 529, Anm.) Sie bestand nämlich aus einem elliptischen Knopfe, der mit seinem kleineren Durchmesser zwischen den Zinken der Stimm- gabel Seschoben werden kann, aber die Zinken auseinanderdrückt, wenn er um einen rechten Winkel gedreht wird, so dass sein längerer Durch- messer sich zwischen den Zinken befindet. Plötzliches Herausziehen des Spanners mittels eines Hebels versetzt dann die Stimmgabel in Schwin- gungen. Die zeichnende Feder wurde mit zweien über einander in einer verticalen Linie angebrachten Schräubchen befestigt. Entsprechend dem oberen der letzteren wurde in der Feder ein querer Schlitz gemacht. In Folge dessen konnte, wenn beide Schräubchen etwas gelöst waren, die Feder um das untere Schräubchen wie um eine Axe seitlich gedreht werden. Diese kleine Vorrichtung hatte zum Zweck, mittels derselben zeichnenden Federspitze, welche später die Zeiteurve aufzeichnete, die Stellungen des Hammers notiren zu können, die den Momenten der Schliessung des Kettenkreises und der Oeffnung des inducirenden Stromes bei jeder Stellung des Metallstiftes p und der Mikrometerschraube m entsprachen. Die Notirung dieser Hammerstellungen geschah auf folgende Weise. Man verband den Quecksilberschlüssel (» @) nnd den Contactschlüssel (ec) mit den beiden einander gesenüberliegenden Paaren von Klemmschrauben an einer Pohl’schen Wippe mit ausgenommenem Kreuze. Die beiden 538 S. TScHIRJEW: mittleren Klemmschrauben der Wippe verband man mit dem Bussolkreise, in den ein Stromzweig von bestimmter Stärke abgeleitet wurde. Zuerst wurde der Bussolkreis mit dem Quecksilberschlüssel verbunden. Man liess jetzt die zeichnende Feder die berusste Glasplatte berühren und senkte ganz allmählich den Hammer. Bei einer gewissen Stellung des letzteren tauchte der Metallstift p in das Quecksilber @, was sich durch Ablenkung der Bussole kundgsab. Nachdem die Stellung des Hammers, bei welcher der Contact des Metallstiftes mit dem Quecksilber eben ein- trat, mittels der Bussole genau ermittelt worden war, wurde die abge- löste Feder der Stimmgabel zur Seite geschoben. Auf diese Weise konnte der Moment der Schliessung des Batterie- kreises, d. h. des polarisirenden Stromes auf das Genaueste notirt werden. Darauf leste man die Wippe um und verband dadurch den Bussolkreis mit dem Contactschlüssel ce. Man fuhr fort den Hammer allmählich weiter zu senken und notirte auf der Glasplatte auf ganz analoge Weise die Momente der Oefinung dieses Schlüssels bei verschiedenen Stellungen der Mikrometerschraube m. Waren alle nöthigen Momente auf der berussten Glasplatte des Fall- hammers notirt worden, so wurde die Feder an der Stimmgabel fest ange- schraubt und der Hammer wieder gehoben, wobei natürlich die Feder- spitze einen Bogen, als künftige Abscisse der Zeiteurve, zeichnete. Nun versetzte man die Stimmgabel in Schwingungen und liess den Hammer fallen. Die schwingende Feder zeichnete eine Welleneurve, mittels wel- cher die Grösse der Abstände zwischen den früher notirten Linien mit Hülfe eines Mikroskops sehr genau in Theilen einer Welle ermittelt werden konnte. Unsere Stimmgabel wurde beiläufig ganz genau mit, einer König’schen Stirimgabel von 512 einfachen Schwingungen in der Secunde abgestimmt. Sie war an den Tisch geschraubt. Auch für die Stabilität des Fallhammers wurde ausreichend gesorgt. Endlich bei der Wahl der Stellung des Metallstiftes » und der Mikro- meterschraube wurde immer darauf Rücksicht genommen, dass die Schliessung und die Oeffnung.mit dem von allen störenden Einflüssen freien Theile der Fallbahn des Hammers zusammenfielen. Noch ist Einiges über das Fallenlassen des Hammers zu bemerken. Es ist leicht einzusehen, dass dies hier ein Punkt von grosser Wich- tiskeit ist. Der Siemens’sche Fallhammer hat bekanntlich einen Elektromagnet, um ihn in der Höhe halten zu können. Diese Vorrich- tung ist sehr bequem; sie erfordert aber für die Gleichheit der Anfangs- geschwindigkeit des Hammers 1) dass der Strom im Elektromagnet immer dieselbe Stärke besitze; 2) dass die Oeffnung des Stromes immer mit derselben Geschwindigkeit geschehe (wegen der Induction der Elektro- FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 539 magnetrolle auf sich selbst). Diesen beiden Bedingungen immer Genüge zu leisten, ist in der Praxis sehr umständlich; insbesondere ist dies bei so verwickelten Versuchen kaum ausführbar. In Folge dessen zog ich es vor, nach dem Beispiele von Hrn.Dr. Gad,! den Hammer einfach aus der Hand fallen zu lassen. Es wurde der Hammer mittels eines starken Fadens gegen die Pole des unmagnetischen Elektromagnetes angezogen und dann durch Loslassen des Fadens fallen gelassen. Bei gewisser Uebung kann man auf diese Weise sehr gute Resultate erzielen; wenigstens konnte ich immer eine Reihe von minimalen Zuckungen bekommen, die sich der Höhe nach kaum von einander unterschieden. Die zeichnende Feder des Hebels schrieb auf dem an der Glasplatte des Myosraphions befestigten berussten Papier. Verlauf eines Versuches. Nachdem ein frisches Froschgastroknemiuspräparat mit seinem Ner- ven auf die obenbeschriebene Weise am Myographion befestigt wurde, und alle Verbindungen, die auf der Fig. 4 (Taf. VIII) schematisch an- gedeutet sind, zusammengestellt waren, wurde der Vorreiberschlüssel s geöfinet und zur Bestimmung der minimalen Reizung geschritten. Als minimale Reizung wurde eine solche betrachtet, welche eine Zuckung von ungefähr 1” Höhe gab. Nachdem die minimale Reizung gefunden war,? und bei wiederholtem Fall des Hammers immer Zuckungen von gleicher Höhe erfolst waren, wurde Schlüssel s auf einmal geschlossen und jetzt der Hammer wieder fallen gelassen. Dann wurde Schlüssel s wieder ge- öffnet und die minimalen Reizungen noch 2—3 mal wiederholt. Die Operation wurde so oft wiederholt und dabei jedesmal die Schraube m des Hammerkopfes verstellt, bis endlich eine solche Schrauben- stellung getroffen war, bei der die früher vorhandene minimale Zuckung- bei gleichzeitiger Schliessung des polarisirenden Stromes eben verschwand. Man bekommt so die in Fig. 6 dargestellten Myogramme. Die Stellungen der Schraube m, bei welchen sich die erste Spur von der Erregbarkeitsabnahme zeigte, wurden notirt und später für sie auf die oben beschriebene Weise die Zeiten bestimmt, welche jedesmal zwischen den Momenten der Schliessung des polarisirenden Stromes im Nerven und der minimalen Reizung des letzteren verflossen. 1IA.2.0. 2 Um die Erregbarkeit der Nerven durch öftere Wiederholung der Reizung nicht zu sehr zu beeinflussen, wurde zuweilen mit einer etwas stärkeren, doch jeden- falls untermaximalen Reizung angefangen. S. 'TSCHIRJEW: In folgender Tabelle sind einige von den Resultaten dieser Bestim- mungen zusammengestellt. Tabelle B.! Abstand un Berechnete Abstand Berechnete] gen gereizten | Gefundene | Zeit für |gergereizien | Gefundene | Zeit für intrapolaren Zeit yes 27" | intrapolaren Zeit a 27 Strecke des il“ Strecke des taz Nerven Nerven - in Millim. in Secunden. in Millim. in Secunden. 10 0-00025 | 0-00057 12 0-00033 , 0-00044 12 0-00029 | 0-00044 10 0-00033 | 000037 Ih 0-00021 | 0-00040 12 0-00055 | 0-00044 ul 0-00031 | 0-00040 10 0-00024 | 000037 13 0:00043 | 0-00048 15 0:00073 | 0-00055 13 0-00057 | 000048 In der ersten Spalte finden sich die Abstände zwischen der gereizten Stelle und der intrapolaren Strecke des Nerven; in der zweiten die kürzesten Zeiten zwischen der minimalen Nervenreizung und der Schliess- ung des polarisirenden Stromes, bei welcher die erste Spur von der ane- lektrotonischen Erregbarkeitsabnahme wahrgenommen wird. Mit anderen Worten es sind die Zeiten, welche die anelektrotonische Erregbarkeits- abnahme für ihre Fortpflanzung von der intrapolaren Strecke bis zur ge- reizten Stelle des Nerven braucht. Die dritte Spalte zeigt, der leichteren Uebersicht halber, die Zeiten, welche für die Fortpflanzung der Nerven- erregung bei den in der ersten Spalte angegebenen Abständen nothwen- dig gewesen wären, die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung zu 27” in der Secunde angenommen. Addirt man alle Zahlen der zweiten Spalte und dividirt die Summe mit der Summe aller Werthe der ersten Spalte, so bekommt man als mittleren Werth eine Fortpflanzungsgeschwindigkeit von 31:9” in der Secunde, also eine Geschwindigkeit, die derjenigen der Nervenerregung jedenfalls sehr nahe steht. j Die Veränderung der Abstände der gereizten Stelle vom Muskel (4—30"”) bei demselben Abstande der ersteren von der intrapolaren 1 Einige von den in dieser Tabelle angeführten Zahlen sind Mittelzahlen aus einer Reihe von Bestimmungen, welche an demselben Nerven hintereinander ge- macht wurden. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VPRGÄNGE. 41 Strecke war von keinem contanten Einfluss auf die Resultate. Dies ist ein sehr wichtiges Factum, welches mit unseren Ergebnissen in voll- kommenen Einklange steht. Würde sich die anelektrotonische Erregbar- keitsabnahme mit einer bedeutend grösseren Geschwindigkeit fortpflanzen, als der Erregungsprocess, so müsste ein gewisser Einfluss des Abstandes vom Muskel wahrgenommen werden, und zwar eine Verminderung der Zeiten der zweiten Spalte, ja sogar ein Wechsel ihres positiven Zeichens in ein negatives im Falle einer bedeutenden Entfernung der Reizstelle vom Muskel. Andererseits weist das Zustandekommen der starken Reaction bei Reizung eines Nerven mit einem starken aufsteigenden Strome darauf hin, dass die anelektrotonische Erregbarkeitsabnahme sich nicht mit einer kleineren Geschwindigkeit nen kann, als der Erregungs- process. Zur Controle wurde manchmal die Reizung in der Zeit noch weiter _ von der Schliessung des polarisirenden Stromes verlegt. Dabei wurde immer beobachtet, dass nicht nur die minimalen Reizungen ohne Erfolg blieben, sondern auch, dass die Reizung, je nach der Vergrösserung dieser Zwischenzeit, sehr bedeutend verstärkt werden konnte, ohne Zuckung hervorzurufen. Endlich wurde nach Oefinung des polarisirenden Stromes immer, wie es sich auch auf dem Myogramm Fig. 6 zeigt, eine Erregbarkeits- erhöhung während der ersten Secunden constatirt. Auf Grund dieser Resultate muss man annehmen, dass die beiden elektrotonischen Processe sich im Nerven mit einer Ge- schwindigkeit fortpflanzen, welche der Fortpflanzungs- geschwindigkeit des Erregungsprocesses im Nerven sehr nahe liegt. Nach unseren bisherigen Versuchen pflanzt sich anelektrotonische Erregbarkeitsabnahme im Nerven mit einer etwas grösseren, die elektrotonische Stromschwankung mit einer etwas kleineren Geschwindigkeit fort als der Erre- gungsprocess. - Ich besnüge mich hier mit der öinftchen Mitthoilung dieser unmittelbaren Versuchsergebnisse, ohne auf ihre Bedeutung für die ' Theorie des Elektrotonus einzugehen. Bei der Kleinheit der hier in Betracht kommenden Zeiten, der relativen Unvollkommenheit unserer 542 8. Tsonrsew: ÜB. D. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT U. 8. W. Untersuchungsmethoden und endlich der Abhängiekeit der hier in Rede stehenden Eigenschaften der Nerven von verschiedenen Bedingungen, die wir noch nicht alle zu beherrschen im Stande sind, — können meiner Ansicht nach diese Resultate an und für sich noch keine entscheidende Bedeutung beanspruchen; wohl aber dürften sie als Zwischenglied in der Kette aller übrigen Thatsachen bereits ein gewichtiges Wort mit- sprechen. Edinburgh, Juni 1879. Nachtrag zur Abhandlung Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektro- tonischen Vorgänge im Nerven. Von Dr. S. Tschirjew. (Hierzu Tafel VII, Fig: 7 u. 8.) Eine vorzügliche Eigenschaft des Lippmann’schen Capillar-Elektro- meters besteht bekanntlich in der grossen Geschwindigkeit, mit welcher der Quecksilbermeniseus den Stromzuwachsen folet. Diese Eigenschaft sowohl als die Bequemlichkeit der Handhabung, welche das Capillar- elektrometer in der ihm von Hrn. Dr. E. v. Fleischl! neulich gegebenen Form darbietet, veranlassten mich, meine früheren Messungen über die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen Stromschwankungen im Nerven mit diesem Apparate zu prüfen. Um nun die Methode noch mehr zu verschärfen, habe ich ihr die Bernstein’sche Multiplicationsmethode zugesellt. Der allgemeine Plan dieser Messungen bestand, wie früher, im Fol- senden: zuerst wurde der Kreis, in welchem sich die abgeleitete Strecke eines Nerven und ein Capillar-Elektrometer befanden, geschlossen und es wurden die etwa darin vorhandenen elektromotorischen Kräfte compensirt,? dann folste der Schluss des polarisirenden Stromes im Nerven, und kurz darauf wurde der erstere Kreis wieder geöffnet. Man bestimmte nun die minimale Zeit, welche zwischen diesem letzteren Moment und dem Mo- 1 Ueber die Construction und Verwendung des Capillar-Elektrometers für phy- siologische Zwecke. S. oben 8. 269- 2 Ein Capillar- Elektrometer eompensirt nämlich von selbst jeden ihn durch- fliessenden Strom auf das Vollständigste (siehe die eben citirte Abhandlung von Hrn. Dr. E. v. Fleisch)). 544 S. TSCHIRIJEW : mente des Schliessens des polarisirenden Stromes verfliessen musste, damit die erste Spur der elektrotonischen Stromschwankung noch am Elektrometer erschiene. Dieser Process wurde durch Einschaltung eines Bernstein’schen Differential-Rheotoms in leicht verständlicher Weise multiplicirt und dadurch die Schärfe der Beobachtung sehr. vergrössert. Die Versuchsanordnung war folgende (Taf. VIII, Fig. 7): Zwei Paare von Fleischl’s unpolarisirbaren Pinselelektroden be- rührten einen in der Luft zwischen zweien isolirten Korkstücken ausge- spannten Froschischiadicus (NN). Eines dieser Elektrodenpaare (a) be- rührte den Nerven in zwei zum elektromotorischen Aequator möglichst symmetrisch liegenden Punkten. Dieses Paar wurde zur Ableitung der elektrotonischen Stromschwankung im Nerven benutzt. Das andere Elektrodenpaar (p) leitete dem Nerven den polarisirenden Strom zu. Der Nerv mit den beiden Elektrodenpaaren befand sich in einer feuchten : Kammer. ; Das ableitende Elektrodenpaar (a) wurde in folgender Weise mit dem Capillar-Elektrometer verbunden. Eine der beiden Elektroden stand & durch Drähte und durch eine Pohl’sche Wippe mit ausgenommenem ° Kreuze (2/7) mit der rotirenden Schneide (k) eines Bernstein’schen Differential-Rheotoms (D AR) in Verbindung (eigentlich mit einer Klemm- schraube, die durch eine kreisrunde Quecksilberrinne und einen an dem rotirenden Theile des Apparates befestigten Draht mit jener Schneide ver- bunden ist). Die andere Elektrode wurde durch Drähte und gleichfalls r durch eine Pohl’sche Wippe mit ausgenommenem Kreuze (77) mit einer = der beiden Quecksilbermassen eines Fleischl’schen Capillar - Elektro- ” meters (CE) verbunden; die andere Quecksilbermasse des letzteren be- fand sich in Verbindung mit einer kleinen Quecksilberrinne g des Rheo- toms, welche die Stelle des sonst daran gebräuchlichen Platindrahtes vertrat. Auf diesem Wege wurde noch ein du Bois-Reymond’scher Vorreiberschlüssel (s”) eingeschaltet und zwar als Nebenschliessung zum Capillar-Elektrometer, wie aus der Zeichnung deutlich hervorgeht. h; Es ist klar, dass dieser ableitende oder Elektrometerkreis nur beim ® Eintauchen des Metallstiftes k in das Quecksilber der Rinne g geschlossen “ werden konnte. 4 Das zuleitende Elektrodenpaar p stand zunächst in Verbindung mit einer Pohl’schen Wippe (ZI) als Stromwender. Eine Klemmschraube dieser letzteren wurde durch die Drähte und die Wippe III mit einer der beiden Quecksilberrinnen g’ des Rheotoms in Verbindung gesetzt; von der anderen Klemme ging ein Leitungsdraht zu einem Vorreiber- schlüssel (s) und von da zur Batterie B, deren zweiter Pol durch einen Draht und die Wippe // mit der anderen Quecksilberrinne g’ des Rheo- FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 545 toms verbunden wurde. — Beim Eintauchen der Schneiden A’ in die Rinnen g konnte der Kreis des polarisirenden Stromes geschlossen werden. Durch Verschiebung der Quecksilberrinnen g und g konnte solche Stel- lung derselben gegen einander getroffen werden, dass bei der Rotation des Rheotoms in der Richtung des Stieles zuerst der Ableitungskreis durch das Eintauchen der Schneide k in die Rinne g geschlossen wurde; dann folgte der Schluss des polarisirenden Stromes im Nerven durch das Eintauchen der Schneiden A# in die Rinnen g; endlich eine gewisse kurze Zeit danach wurde der Ableitungskreis durch das Austauchen der Schneide k aus der Rinne g wieder geöffnet. Um die Zeit zwischen den Momenten der Schliessung des polari- sirenden Stromes und der Oefinung des Ableitungskreises genau ermitteln zu können, musste man Mittel besitzen, den Nullpunkt, d. h. die rela- tive Stellung der Quecksilberrinnen q und g, bei welcher die beiden eben ‚genannten Momente zusammenfallen, bestimmen zu können und zwar für dieselbe Umdrehungsgeschwindigkeit des Rheotoms und dieselbe Stärke des Ausschlages des Elektrometers, bei denen die Messung am Nerven angestellt wurde. Da überdies der Nullpunkt wegen des Ver- spritzens des Quecksilbers aus den Rinnen seine Lage verändern konnte, musste dessen Bestimmung nach jeder Messung am Nerven wiederholt werden können, und zwar mit so kleinem Zeitverlust, dass an demselben Nerven noch mehrere solche Messungen möglich waren. Dies alles erreicht man bei unserer Versuchsanordnung auf das Ein- fachste auf folgende Weise. Das dritte, freigebliebene Paar der Klemm- schrauben der Wippe Z/7 wurde mit einem Daniell’schen Elemente e verbunden und als Nebenschliessung zu dem letzteren wurde ein Rheochord (A) eingeschaltet.! Die entsprechenden zwei Klemmschrauben der Wippe III waren mit einander durch einen Draht verbunden. Durch das Umlegen der Wippen /7 und III in der Richtung »’ wurde also der ganze nach rechts von den Wippen liegende Theil der Verbindungen mit dem Nerven auf einmal aus dem Elektrometer-Kreise gebracht, und statt dessen dieser letztere mit dem Daniell’schen Ele- mente e verbunden. Aus der Zeichnung ist klar, dass diese letztere Ver- bindung nur durch das Eintauchen aller Schneiden k und # in die ent- sprechenden Quecksilberrinnen bewerkstelligt werden konnte. 1 Als Rheochord benutzte ich ein Glasrohr mit einer Reihe von kleinen seit- lichen Ansatzröhrchen gefüllt mit gesättigter Kupfervitriollösung. Archiv f. A.u.Ph. 1879. Physiol. Abthlg. x 35 546 S. TScHiRIEw: Versuchsverlauf. Der Schlüssel s’ geöffnet, der Schlüssel s” geschlossen, die Wippen II und III in der Richtung r umgelest. Nachdem der frisch präparirte Froschischiadicus (von der Kniekehle bis zur Wirbelsäule, von der ihm ein Stück gelassen war) in der oben erwähnten Weise befestigt worden war, wurden die Ableitungselektroden a dem Nerven möglichst symme- trisch zu seinem elektromotorischen Aequator angelest. Die zuleitenden Elektroden berührten in einiger Entfernung davon den dünneren (peri- pherischen) Theil des Nerven. Jetzt wurden die Quecksilberrinnen g und g° diametral gegeneinander gestellt und die Schneiden k und A in diese letzteren eingetaucht. Nun öffnete man den Schlüssel s” und schloss den Schlüssel s‘. Die elektromotorische Kraft des dabei erfolgten Ausschlages des Elektrometers wurde gemessen; sie entspricht der elektromotorischen Kraft der dabei stattgefundenen elektrotonischen Schwankung des Nervenstromes. Dann öffnete man wieder den Schlüssel s’ und leste die Wippen ZZ und III in der Richtung r’ um. Jetzt wurde mittels des Rheochords R ein Strom- zweig in den Elektrometerkreis abgezweigt, der ungefähr dieselbe elek- tromorische Kraft besass, wie die vorher gemessene elektromotorische Stromschwankung. Nachdem dies gelungen war, wurde der Schlüssel s” geschlossen, die Wippen Z/ und 1// wieder in der Richtung r umgelegt und endlich die Quecksilberrinne g! so lange in der der Rotationsrichtung n des Rheotoms entgegengesetzten Richtung n’ verschoben bis das Austauchen der Schneide k aus der Rinne g früher geschah, als das Eintauchen der Stifte # in die Rinne g. Jetzt wurde das Rheotom in Gang gesetzt? und erst nachdem seine Rotationsgeschwindigkeit constant geworden war, wurde der Schlüssel s’ geschlossen und der Schlüssel s” geöffnet. Bei fortwährender Beobachtung des Quecksilbermeniscus des Elektrometers durch das Mikroskop wurde die Rinne g langsam mit der Hand oder der Mikrometerschraube so lange in der Richtung der Rotation (n) ver- schoben, bis man die erste Spur der Bewegung des Quecksilbermeniscus im Sinne der zu beobachtenden elektrotonischen Stromschwankung wahr- nahm. Dann wurde der Schlüssel s’ geöffnet, der Schlüssel s” geschlossen, [4 ! Die Rinne g wurde nämlich statt der kleinen Vorrichtung mit dem Platin- drahte an dem längeren der drei beweglichen Arme des Rheotoms befestigt; dessen Lage kann bekanntlich mit Genauigkeit am getheilten Kreise des Apparates abgelesen werden. 2 Es wurde durch eine Helmholtz’sche elektromagnetische Kraftmaschime getrieben. FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 547 und nach der Ablesung der so ermittelten Stellung der Quecksilberrinne q wurden die Wippen wieder in der Richtung »” umgelegt. — Jetzt schob man die Rinne y wieder etwas zurück, in der Riehtung u‘, öffnete den Schlüssel s” und durch langsames Verschieben der Rinne g in der Richtung n ermittelte man den Nullpunkt, d.h. die Stellung der Rinne, bei. welcher die erste Bewegung des Quecksilbermeniscus jetzt schon unter der Wirkung des Stromzweiges des Daniell’schen Elementes sich zeigte. — War dies geschehen, so schloss man wieder den Schlüssel s”, hielt das Rheotom auf und las die gefundene Stellung der Rinne g ab. Damit war die eine Messung abgeschlossen. Nun legte man die Wippen in der Richtung r um und machte wieder eine solche Doppel- messung. Nach einer Reihe solcher Doppelmessungen wurde die elektromoto- rische Kraft der elektrotonischen Stromschwankung wieder bestimmt und die Länge der Nervenstrecke zwischen beiden Elektrodenpaaren notirt. Man veränderte nun die Grösse dieses letzteren Abstandes, d. h. die Länge der ableitenden Nervenstrecke und stellte wieder eine Reihe von Messungen an. Um das Verspritzen des Orerkeilbers aus den Rinnen möglichst zu vermindern, wurde mit nicht allzugrosser Rotationsgeschwindigkeit ge- arbeitet. Das Rheotom machte nämlich 6-74 oder 7-01 a non in der Secunde. Doch schon bei dieser Kotationsgeschwindigkeit ent- sprach ein Tausendstel des getheilten Kreises des Rheotoms, d. h. einer Umdrehung dem Zeitraume von 0-00015” oder 0-00014”. Ein an dem beweglichen Arme, an welchem die Rinne g befestigt wurde, angebrachter Vernier erlaubte nöthigenfalls die Zeitbestimmung noch weiter zu ver- schärfen; doch hatte eine solche Genauigkeit der Bestimmung im gegen- wärtigen Falle wegen gewisser unvermeidlicher Fehlerquellen keinen be- sonderen Werth, und ich ging in meinen Bestimmungen nur bis zur Hälfte eines Tausenstels des Kreises, d. h. bis zur Zeit von 0-000075” oder 0-00007”. Andererseits wurde der Quecksilbermeniscus mit einem Objectiv N5 und einem Ocular-Mikrometer N2 von Hartnack be- obachtet, wobei die Verschiebung des Quecksilbermeniscus des Capillar- rohres um ein Millimeter anfangs einer elektromotorischen Kraft von etwa 0-0006 Daniell entsprach; da dabei eine Verschiebung des Me- niscus um einen Zehntel Milimeter noch ganz gut unterschieden werden konnte, so betrug also die Genauigkeit einer derartigen Bestimmung etwa 0-00006 Daniell. Zieht man nun die Grössen der elektrotonischen Stromschwankungen in Betracht, mit denen gearbeitet wurde (0-096—0-592 eines Daniell’s), ferner die Multiplication der Wirkungen durch das Rheotom, so wird 3 548 S. TSCHIRJEW: man eingestehen müssen, dass die von uns angewandte Methode empfind- lich genug war, um den in der folgenden Tabelle angegebenen Resultaten einer wirklichen Werth zuschreiben zu können. Die angewandte constante Batterie D bestand aus 4 kleinen Grove. Um den Contact zwischen den Metallschneiden und dem Quecksilber der Rinnen bei der Rotation mehr zu sichern, wurden nach dem -Bei- spiele von Hrn. E. du Bois-Reymond die eisernen Spitzen der ersteren dunch verquickte Kupferplättchen ersetzt. Endlich um die Gleichmässig- keit der Rotation des Rades am Rheotom mehr zu sichern, wurde an dem Rade eine Metallmasse, im Ganzen von etwa 48 ®"”, symmetrisch befestigt. Am häufigsten wurden die Bestimmungen auf der Anodenseite der intrapolaren Nervenstrecke gemacht, da die anelektrotonische Strom- schwankung ceteris paribus immer bedeutend grösser war (siehe unten), als die katelektrotonische, und ausserdem haben wir einige mit dieser letzteren gemachte Messungen keine irgendwie in Betracht kommende constante Differenz ergeben. Tabelle A. Elektromoto- h ische Kraft der Länge der Bernd k = \ Fortpflanzungs- ableitenden al Mittel ale honanischen geschwindigkeit Nervenstrecke | Stromischiran; in 1 Secunde fin. NM ErRne teren. ie . men in Meter. ; in Theilen eines in Secunden. Deraikalil, 4-0 0:00022 0:00018 0.592 DPD) 0-00015 4.5 000022 000024 0.145 18-7 0-00022 000030 000022 5-5 000028 000030 0-387 18-3 000035 000028 0-00028 5-5 000037 0:00032 0257 17-1 000030 0:00030 0-00030 ER ET FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. Länge der ableitenden Nervenstrecke in Millimetern. Gefundene Zeiten. Mittel in Sec unden. Elektromoto- rische Kraft der elektrotonischen, Stromschwan- kungen in Theilen eines _ Daniell. 949 Fortpflanzungs- seschwindigkeit in 1 Secunde in Meter. 6-5 6°5 7.0 0 35 I.0 000043 | 0.000536 0.000453 0.000536 0.000536 - 00042 - 00037 - 00037 - 00042 -00049 SES2S2S2> = - 00030 - 00037 - 00045 ®& ©& -00052 - 00052 - 00045 -00052 SHSoES - 00050 - 00058 - 00050 - 00050 Sa. 8 ®& - 00063 - 00056 - 00056 - 00058 SESES2S - 00067 - 00060 - 00045 - 00067 SES2SES> 000039 000041 000037 000050 0.000952 000058 000060 0.202 0250 0.301 0:296 16-6 15-9 15-9 14.0 14-4 14-7 15.0 550 S. TSCHIRJEW : Elektromoto- RK N itte on1l Fesehniekent ek Mana Stromschwan- "in 1 Secunde in ie ienathonn kungen in Meter. | n$ q : in Theilen eines in Seeunden. Daniel | 9-0 0.00077 000067 0-172 19.4 000067 0:00063 11-0 0:00063 000080 0.116 osad 0.00091 0-.00091 0:00077 0.00077 Die in dieser Tabelle angeführten Messungen gehören zu den besseren sowohl in Bezug auf die Erregbarkeit der angewandte Nerven, als auch in Bezug auf die Genauigkeit der Beobachtung. Unter dem letzteren verstehen wir Folgendes. Es kam nämlich zuweilen vor, dass der Queck- silbermeniscus des Elektrometers noch vor dem Eintritt der stossartigen Wirkung der elektrotonischen Stromschwankung aus nicht zu ermit- telnden Gründen eine langsame, stetige Bewegung zeigte." Zuweilen selang es einfach durch Veränderung der Richtung des Stromes im Elektrometer diese Bewegung aufhören zu lassen. Gelang es aber nicht und war die Bewegung sehr langsam, so konnte man doch noch arbeiten, indem man die elektrotonische Stromschwankung in entgegengesetzter Richtung im Elektrometer wirken liess. Diese letzteren Beobachtungen rechne ich zu den weniger genauen und gebe in der Tabelle Zahlen, die sich meistentheils auf Beobachtungen beziehen, wo der Quecksilber- meniscus sich ruhig verhielt. Diese Resultate stimmen verhältnissmässig sehr gut mit den früheren überein. Da sie aber nach einer mehr sicheren Methode erhalten und andererseits viel vollständiger sind, so bekommen sie natürlicherweise einen grösseren, mehr bindenden Werth, als die früheren. — Aus der Tabelle A folst: 1 Das Elektrometer, eigentlich das Capillarrohr, mit welchem ich arbeitete, war so empfindlich, dass es genügte sogar, dessen von den Quecksilbermassen isolirtte Theile, wie z. B. das Mikroskop, beim geöffneten Schlüssel s”, zu berühren, um einen bedeutenden Ausschlag zu erhalten; daher während der Beobachtung jede Be- rührung des Apparates sorgfältig vermieden ward. OT N FORTPFLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT DER ELEKTROTON. VORGÄNGE. 5 1) dass die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektroto- nischen Stromschwankung im Nerven, obschon sie in gewissen Fällen derjenigen des Erregungsprocesses sehr nahe tritt, doch im Allgemeinen kleiner ist, als diese letztere; 2) dass diese Fortpflanzungsgeschwindigkeit mit der Ver- längerung der ableitenden Nervenstrecke abzunehmen scheint. Dieser zweite Schluss ist jedenfalls noch nicht bindend. Diese scheinbare Abnahme könnte erstens durch die gleichzeitige Abnahme des absoluten Werthes der elektrotonischen Stromschwankung mit der Entfernung von der intrapolaren Strecke bedingt sein, worauf ein ge- wisser Parallelismus zwischen diesen Werthen und den Werthen der ge- fundenen Fortpflanzungsgeschwindigkeit hinweist; und sie liesse sich zweitens durch die sehr ansprechende Annahme erklären, dass die Steil-. heit, mit welcher die elektrotonische Stromschwankung ihr Maximum erreicht, mit der Entfernung von der intrapolaren Nervenstrecke abnimmt, Diese beiden Momente fallen nämlich bei unseren Messungen deswegen in’s Gewicht, weil der Nullpunkt mittels eines immer mit derselben Steilheit sein Maximum erreichenden galvanischen Stromes ermittelt wurde. Ob diese beiden Momente auch genügen, um die in Rede ste- hende Abnahme der Fortpflanzungsgeschwindigkeit vollständig zu erklären, müssen wir für jetzt dahin gestellt lassen. Gelegentlich dieser Untersuchungen habe ich eine Reihe vergleichen- der Messungen der Stärke anelektrotonischer und katelektronischer Strom- schwankungen bei derselben Entfernungen von der intrapolaren Strecke und überhaupt unter gleichen Bedingungen angestellt. Ueber diese Messungen will ich hier kurz berichten. Um die gedachte Gleichheit der Bedingungen zu erreichen, liess ich die Lage der zu- und ableitenden Elektroden unverändert, wechselte aber die Richtung des polarisirenden Stromes im Nerven. Diese Messungen sind auch mittels des oben erwähnten Capillar-Elektro- meters ausgeführt, und die Stärken der elektrotonischer Stromschwan- kungen sind in Theilen eines Normal-Daniell’s ausgedrückt. — Die dabei angewandte constante Batterie bestand aus 4 kleinen Grove. Die Länge der intrapolaren Nervenstrecke varlirte zwischen 9 und 10", 552 S, TscHIRJIEW: FORTPLANZUNGSGESCHWINDIGKEIT T. S$. W. Tabelle B. ag5} Stärke der an- | Stärke derkat- | >25; | Stärke der an- | Stärke der kat- ® &,E \elektrotonischen elektrotonischen| Bu elektrotonischen) elektrotonischen A Strom- Strom- 399 Strom- Strom- Ewa schwankung schwankung B° 2 # | schwankung schwankung Bis Ele BB ©. in Theilen eines Daniells. BR e. in Theilen eines Daniells. 5.0 0.184 0.091 7.0 0.067 0.034 5.0 0.179 0.062 8.0 0.125 0.047 5-0 0.104 0.064 8.0 0.094 0.039 6-0 0.185 0.073 8.0 0.045 0025 6.0 0.130 0.041 8-5 0.124 0.068 6-5 0.236 0.139 85 0.109 0.053 6-5 0.105 0.040 I.0 0.114 0-061 7.0 0.292 0.120 10-0 0.267 0075 7.0 9.220 0.073 Anmerkung. Die absoluten Werthe dieser elektrotonischen Stromschwan- kungen sind verhältnissmässig klein ausgefallen, weil diese Messungen meistentheils am dickeren Theile des Froschischiadieus (seinem sog. Plexus) angestellt wurden. Dazu kam noch, dass die Frösche schon seit geraumer Zeit in Gefangenschaft ge- lebt hatten. Endlich theile ich in Fig. 8 (Taf. VIII) zwei Curven mit, welche das Gesetz der Abnahme des Anelektrotonus (AA) und des Katelektrotonus (A) mit der Entfernung von der intrapolaren Strecke darstellen, wie schon Hr. Dr. E. v.Fleischl eine solche publicirt hat.! Nur die notirten Punkte der Curven wurden direct bestimmt, im Uebrigen wurde graphisch inter- polirt. Je 5”%” der Abscisse entsprechen 1” Entfernung von der intra- polaren Strecke (0). Je 1” der Ordinaten entspricht einer elektromotori- schen Kraft von 0-0121 eines Daniell’s. Da diese Curven in 1””® Abstand von der beiläufig 9” langen intrapolaren Strecke den Anfang nahmen, zeigen sie, dass der Unterschied zwischen Anelektrotonus und Katelektroto- nusin Bezug auf die Stärke bis zu der intrapolaren Strecke bestehen bleibt, Diese Untersuchungen sind im hiesigen physiologischen Laboratorium angestellt, und ich bin dem Hrn. Prof. E. v. Brücke für die Liberalität, mit welcher er mir alle nöthigen Apparate sowohl, wie die übrigen Ver- suchsmittel zur. Verfügung stellte, zum innigsten Danke verpflichtet. Meinen besonderen herzlichen Dank spreche ich hier auch dem Hrn. Dr. E. v. Fleischl aus. Durch die freundliche Bereitwilliskeit, mit welcher er mir mehrere seiner privaten experimentellen Hülfsmittel zu Gebote stellte, hat mir bei der Durchführung dieser verwickelten allen die wesentlichste Hülfe geleistet. Wien, August 1879. 1 Wiener Sitzungsberichte. Bd. LXXVIlI. 3. Abth. Dec. 1878. Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin. Jahrgang 1878—19. XVII. Sitzung am 20. Juni 1879. Hr. Gap machte: „Einige kritische Bemerkungen, die Pneuma- tographie betreffend“. | In dem am 5. Juni ausgegebenen Heft des Pflüger’schen Archivs ist eine Arbeit aus dem physiologischen Institut der Universität Strassburg ent- halten, welche eine in mancher Beziehung abgeänderte Methode zur Aufzeich- nung der Athemdruckschwankungen bringt. Der Verfasser der Arbeit, Hr. R. Ewald, hat sein Augenmerk darauf gerichtet, die Curve des Athmungsdruckes unter Bedingungen aufzunehmen, welche die normale Athmung selbst möglichst wenig stören. Er hat dies dadurch erreicht, dass er den Widerstand für den Athemluftstrom, welcher immerhin erforderlich ist, um Druckschwankungen zur Erscheinung zu bringen, möglichst klein und den zwischen diesem Widerstand und der Nasenöffnung als Seitendruckschreiber an der Leitung angebrachten registrirenden Apparat möglichst empfindlich gemacht hat. Die so vom Menschen sewonnenen und vom Verfasser als normal bezeichneten Curven bieten einiges Interesse dar, insofern sie, in Curven der Volumschwankungen übersetzt, den allgemeinen Typus der mit directer Methode gewonnenen Volumschwankungs- . curven wieder erkennen lassen. In der beigegebenen Figur stellt Nr. 1 einen Theil der von R. Ewald als normale Druckschwankungseurve mitgetheilten dar (zum besseren Vergleich in umgekehrter Richtung), die zweite Curve ist ge- wonnen durch Uebersetzung der Druckschwankungen in Volumschwankungen, unter der Voraussetzung, dass die im Zeitelement aus- oder einströmende Luft- menge dem während desselben bestehenden Werthe des positiven oder negativen Seitendruckes proportional ist. Bei Vergleich beider Curven ist zu berücksich- tigen, dass wo die Ordinaten der ersten den grössten Werth haben, die Steilheit des Verlaufs der zweiten Curve ein Maximum zeigen muss, denn wo der Ueberdruck in der Leitung über den Aussendruck am grössten war, muss die Geschwindigkeit des Luftstroms, also die Geschwindigkeit der Volumänderung am grössten gewesen sein. Curve 3 reproducirt die erste Vierordt’sche Abdominalathemeurve! (und zwar zum besseren Vergleich um- 1 Archiv für physiologische Heilkunde. Bd. 14. 554 VERHANDLUNGEN gekehrt). Curve 4 ist die Wiedergabe einer schon einmal von mir mitgetheilten (s. oben 8. 181, Sitzung am 14. Februar d. J.), mit dem Aöroplethysmo- sraphen vom Kaninchen gewonnenen Curve. In zwei Beziehungen stimmt Curve 2 mit den Curven 5 und 4 überein. Die Exspiration dauert länger als die Inspiration und das Ende der Exspiration ist weniger gekrümmt und weniger gegen die Horizontale geneigt als das Ende der Inspiration. Dies Verhalten kann durchaus als typisch für die normale Athemeurve bezeichnet werden, denn es kehrt bei allen übrigen Autoren, die mit überhaupt in Betracht kom- menden Methoden untersucht haben, constant wieder. Ohne auf Vollständigkeit Anspruch zu machen, seien hier nur genannt Marey,! P. Bert,” Panum,° Mosso. Als nicht typisch muss in Curve 2 bezeichnet werden, dass die grösste Steilheit der aufsteigenden (exspiratorischen) Linie die grösste Steilheit der absteigenden an Grösse übertrifft und dass die Curve beim Uebergang aus Inspiration in Exspiration eine Stetigkeitsunterbrechung 2. Ordnung (einen Knick) zeigt. Dies Verhalten der Volumeurve, welches den Eigenschaften der 1 Journal de "’anatomie et de la physiologve, t. II, p. 431. 2 Lecons sur la physiologie compwree de la respiration. 1870. p. 336. 3 Pflüger’s Archw, Bd. I], S. 155. 4 Dies Archw. 1878. S. 449. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 555 Druckcurve entspricht, dass in ihr der exspiratorische Theil sich weiter von der Abscisse entfernt als der inspiratorische und dass sie beim Uebergang aus Inspiration in Exspiration die Abseisse unter einem Winkel schneidet, kehrt bei allen Autoren zu häufig unmittelbar neben anderem Verhalten wieder, als dass sein Ausbleiben einem Fehler in der Methode zur Last gelegt werden könnte. Etwas Neues über den normalen Athemtypus hat uns also die „normale“ Curve von R. Ewald nicht gelehrt. Man hätte seine Druckeurve aus schon früher als in der Breite des Normalen liegend betrachteten Volumencurven construiren können mit Hülfe desselben Verfahrens, welches uns zur Construction der Volum- curve 2 aus der Druckcurve 1 verholfen hat. Aber etwas Anderes ist es, eine Curve zu construiren, als sie durch directen Versuch zu gewinnen, und es ist anzuerkennen, dass R. Ewald der Erste gewesen ist, der Athemdruckcurven zur Aufzeichnung gebracht hat, die sich in eine einigermaassen befriedigende Beziehung zu den auf anderem Wege gewonnenen Athemcurven setzen lassen. Seine Methode wird in Anwendung zu ziehen sein, wo es sich um specielle Verhältnisse gerade der Druckschwankungen handeln wird, und wir wollen hoffen, dass sie dann einer immerhin noch nothwendigen genaueren Controle Stich halten möge. Es muss nämlich befremden, dass in R. Ewald’s „normaler“ Druckeurve die negativen (inspiratorischen) Flächenräume kleiner sind als die positiven (exspiratorischen), was der Autor ganz richtig so in Worten ausdrückt, dass die Exspiration stärker sei und länger dauere als die Inspiration, ohne den Widersinn zu merken der hierin liest. Ist das Zeitintegral des Druckes ge- nommen über die Dauer der Exspiration grösser als genommen über die Dauer der Inspiration, so muss bei der Exspiration mehr Luft aus- als bei der Inspi- ration einströmen und wenn dies „normale“ Verhältniss andauert, so muss eine Entleerung der Lungen von Luft die Folge sein. Dass der grösste absolute Werth des Druckes, der bei der Exspiration vorkommt, grösser ist als jeder bei der Inspiration vorkommende, tritt, wie schon hervorgehoben ist, oft genug ein, der Mittelwerth des Exspirationsdruckes muss aber, da die Exspiration länger dauert wie die Inspiration, stets kleiner sein als der Mittelwerth des Inspirationsdruckes (bei constanten Widerständen) und die Zeitintegrale des Druckes müssen für beide Athemphasen gleich sein. Das angedeutete Paradoxon, welches in der Curve des Autors enthalten ist, hätte von ihm aufgeklärt werden müssen, wenn er Vertrauen zu seiner, manchen Einwendungen zugänglichen, Methode erwecken wollte. R. Ewald macht auf Grund seiner Curve gegen Vierordt geltend, dass der normale Athemtypus keine Athempause enthalte. Er sagt: „Dadurch ist denn zugleich die Frage der Athempausen abgethan. Es giebt keine Pause nach der Exspiration und vollends nicht nach der Inspiration wie sie Vierordt und Ludwig angenommen“ (In dem Citat fehlt die Initiale „@“ des Vor- namens des zweiten Autors, die in diesem Fall nicht gleichgültig ist.) Die Originalstelle, auf die es ankommt, lautet: „Bei den Athembewegungen unter- scheiden wir: 1) Zeit der Einathmung, 2) Pause, 3) Exspirationszeit und 4) Exspirationspause. Die Pause zwischen In- und Exspiration ist nur sehr selten vorhanden und auch dann jedesmal nur von kür- zester Dauer. Die Berge! unserer Athemcurven zeigen fast immer eine deutliche Spitze, welche In- und Exspiration scharf trennt. Die Pause fehlt 1 Das sind in unserer Reproduction (Curve 3) die Thäler. 556 VERHANDLUNGEN durchaus bei irgend etwas frequenteren Athemzügen. Fixiren wir aber am Ende einer Inspiration unsere Aufmerksamkeit plötzlich auf einen Gegenstand, so kann die Inspirationspause etwas länger werden. — — Anders verhält es sich mit der Exspirationspause. Sie fehlt nur bei fre- quenten Athemzügen“. Was die Inspirationspause betrifft, so bleibt nur hinzuzufügen, dass Vierordt bei umfangreicherer Erfahrung und reiferem Urtheil Fälle gesehen hat, die er als in die Breite des Normalen gehörig anzusehen sich für berechtigt hielt und bei denen Inspirationspausen vorkamen. Das Vorkommen von Exspirations- pausen hätte aber R. Ewald nicht nur als normal, sondern sogar als typisch bezeichnen müssen, wenn die Zahl seiner Beobachtungen überhaupt erlaubte ein Urtheil über Norm und Typus zu fällen. Denn in der als normal bezeich- neten Curve! sind 4 Exspirationen durch absolute Pausen in beträchtlicher Länge von den folgenden Inspirationen getrennt, was sich durch Zusammenfallen der Druckcurve mit der Abscisse markirt, und die übrigen zwei Mal schneidet die Curve zwischen Ex- und Inspiration die Abseisse unter sehr spitzem Winkel. Das Zusammenfallen der Curve mit der Abscisse sieht der Autor als durch einen Fehler des Apparates bedingt an und zwar durch die Trägheit des Hebels. Mindestens mit demselben Recht könnte man aber sagen, dass der Hebel wegen seiner Trägheit auf seinem Wege schräg zur Abscisse diese in den zwei Fällen überschritten hat, ehe der Druck negativ geworden war. Auf Grund meiner ziemlich zahlreichen Versuche mit dem Aöroplethysmographen an Kaninchen muss ich der von Vierordt für den Menschen gegebenen Beschreibung im Allgemeinen zustimmen. Die Belege hierfür, welche der Gesellschaft in der Sitzung vom 14. Februar d. J. vorgezeist wurden, werden bald veröffentlicht werden. Zu diesen Belegen gehören auch die Curven, welche beweisen, dass man von tracheotomirten Kaninchen ganz normale Athemcurven gewinnen kann. Ich führe dies deshalb hier ausdrücklich an, weil R. Ewald, den seine Ver- suche an einem einzigen tracheotomirten Hunde nicht zum gewünschten Ziel führten, derartige Versuche überhaupt verdächtigt. Absolute Pausen auf der Höhe der Exspiration kommen freilich nicht so oft vor, wie es nach der Dar- stellung von Vierordt scheinen könnte, aber immerhin häufig genug unter normalen Bedingungen, um sie, wie Vierordt gethan, als charakteristisch gerade für das wenig frequente Athmen zu bezeichnen. Unbedingt typisch für das normale Athmen ist aber die auffallende Abflachung des letzten Theiles der exspiratorischen Curve, welche sich so deutlich gegen den übrigen steileren Verlauf absetzt, dass Vierordt sehr berechtigt war, ihr einen besonderen Namen zu geben. Ob man die von Vierordt getroffene Wahl dieses Namens für glücklich halten will, darüber kann man streiten, man darf aber nicht ver- sessen, dass man dann um Worte streitet und nicht um Thatsachen, wie dies auch P. Bert? schon vor R. Ewald vergessen hat. Das thatsächliche Verhalten hat schon Vierordt gerade so gut gesehen wie alle Späteren, denen er erst die Bahn gebrochen hat, dessen sind die von ihm mitgetheilten Cur- ven Zeuge. Zur Geschichte der Pneumatographie führt R. Ewald an: „Dieselben Schwierigkeiten, die sich der Bestimmung des normalen Athmungsdrucks ent- gegenstellen, haben es bewirkt, dass die Volumenveränderungen der PBrusthöhle 1 Siehe die Originalcurve in Pflüger’s Archw. 2 L. e. p. S8. 335. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (GESELLSCHAFT. 557 während des normalen Athmens noch nicht untersucht worden sind. — Bert gehört streng genommen nicht hierher, da er nur an Thieren seine Unter- suchungen machte, doch erwähne ich ihn, da er die Methode zu verbessern be- müht war“ Nicht erwähnt aber wird Panum,! der zuerst eine directe Me- thode zur Aufzeichnung der Volumänderungen der Brusthöhle anwandte, indem er, im Versuch am Menschen, die Bewegungen des Spirometers aufschreiben liess, und es scheint auch R. Ewald entgangen zu sein, dass diese directe Methode in neuerer Zeit eine derartige Ausbildung erfahren hat, dass von ihr, wie ich in der schon angeführten Mittheilung am 14. Febr. gezeigt zu haben glaube, auf die zunächst zu stellenden Fragen eine genügend präcise Antwort zu erwarten ist. Das schweigende Hinweggehen über die betreffende Arbeit muss einigermaassen auffallen, da die bezügliche unserer Verhandlungen recht- zeitig dem Director des Institutes, in dem R. Ewald gearbeitet hat, zugesandt und das Heft des Archivs für Anatomie und Physiologie, in welchem dieselbe abgedruckt steht, am 18. April ausgegeben ist. Es ist oben gezeigt worden, wie R. Ewald’s Druckcurve benutzt werden kann, um daraus eine Volumeurve zu construiren. Daraus darf man aber nicht schliessen, dass R. Ewald’s Methode die direete Methode zur Gewinnung von Volumcurven ersetzen kann. Die von Panum zuerst angewandte directe Me- thode bietet nämlich zwei Vortheile dar, welche sie vor anderen Methoden aus- zeichnet, und welche mich gerade veranlasst haben, an ihrer Ausbildung so lange zu arbeiten, bis ich sie für exact genug hielt, um sie meinen Studien über die Athmung zu Grunde zu legen. Der erste Vortheil ist der, dass es die einzige Methode ist, bei der die Athmung auf absolutes Maass, Vo- lum und Zeit zurückgeführt wird, so dass Versuche, die zu verschiedenen Zeiten oder an verschiedenen Thieren angestellt sind, quantitativ direct mit einander verglichen werden können. Der zweite Vortheil der Methode ist der, dass man bei ihr, wie ich gezeigt habe, es erreichen kann, mit einem Schreibapparat zu arbeiten, der in jeder seiner Stellungen im indifferenten Gleich- gewicht sich befindet, so dass, wenn er periodische Bewegungen zeigt, aus diesen mit Sicherheit auf entsprechende periodisch wirkende Kräfte zu schliessen ist, und wenn er ruht, auf das Fehlen einwirkender (in Bezug auf den Apparat äusserer) Kräfte. Der Werth dieser Vortheile wird durch die mit ihrer Hilfe zu erreichenden Resultate auch für weitere Kreise einleuchtend gemacht werden, jedenfalls gehen dieselben der Methode von R. Ewald ab, so dass diese nicht im Stande ist, für die directe Methode zur Gewinnung von Volumeurven ein- zutreten. Ja der Methode der directen Athemdruckzeichnung haftet der Natur der Sache nach eine Unvollkommenbeit an, von der mehrere andere Methoden, namentlich aber diejenige der directen Volumänderungszeichnung frei sind. Sie giebt nämlich nur sehr indirecten Aufschluss über die Aenderungen der Ent- fernung des Thorax aus seiner Gleichgewichtslage und keinen über die Lage der Gleichgewichtsabseisse selbst. Solchen Aufschluss braucht man aber wenn man die Athmung von umfassenderem Gesichtspunkt aus studiren will noth- wendig, weil er, wie ich in der Sitzung vom 14. Febr. gezeigt habe (S. oben S. 187), zu einer Beurtheilung der Grösse der bei der Athmung aufgewandten Arbeit ver- 1 L. Panum, Untersuchungen über die physiologischen Wirkungen der com- primirten Luft. Pflüger’s Archw, Bd. I, S. 125. 558 VERHANDLUNGEN hilft. Die Methode von R. Ewald kann also für specielle, die Athemdruck- schwankungen betreffende Fragen vielleicht einmal von Werth werden, allge- 'meinere Methoden, namentlich die der directen Volumänderungszeichnung, zu ersetzen ist sie aber nicht im Stande. Dass die absoluten Werthe, die R. Ewäld für den normalen Athmungs- druck angiebt, willkürliche, von gewissen in absolutem Maass nicht angege- benen und wohl kaum angebbaren Constanten seines Apparates abhängige Werthe sind, sollte kaum einer Auseinandersetzung bedürfen. Als normalen Athemdruck bezeichnet der Autor den Druck, unter dem die Luft den Körper verlässt. Da dieser Druck, wenn in den unbegrenzten Raum geathmet wird wie in der Norm, sich in demselben Maasse der Null nähert wie der Widerstand gegen den Luftstrom, so kann er normaler Weise überhaupt nicht zur Anschauung gebracht werden. Um eine der Messung zugängliche Grösse zu erhalten, führt also R. Ewald für den Luftstrom, nachdem er die Nase passirt hat, einen künstlichen Widerstand ein, den er so klein macht, dass er eben Druckschwankungen, die messbar sind, zu sehen bekommt. Diese Druck- schwankungen sind abhängig von der Geschwindigkeit des Athemluftstromes und von dem eingeführten Widerstand, letzterer aber ist eine in weiten Grenzen willkürliche Grösse. Bleiben die Constanten dieses (von der Geschwindigkeit des Luftstromes selbst in verwickelter Weise abhängigen) Widerstandes ungeändert, so können die beobachteten Druckschwankungen vielleicht den Ge- schwindigkeiten, mit dem erforderlichen Grade von Annäherung, proportional sesetzt und dann zur directen Gewinnung von Athemdruckeurven verwandt werden. Der absolute Werth der maximalen und minimalen Drucke ist aber nicht nur von dem Organismus und seinem normalen Process, sondern in hohem Grade von einer willkürlich eingeführten, nicht gemessenen und kaum mess- baren äusseren Bedingung abhängig. Von normalem Athemdrucke zu reden hat überhaupt nur einen Sinn, wenn man darunter den Seitendruck versteht, der an einer bestimmten Stelle des thorakalen Hohlraumes oder seiner Leitungen besteht. Je näher nach der äusseren Mündung der Leitung (Nase, Mund oder Trachealfistel) um so kleiner müssen die Differenzen des Seitendruckes gegen den Aussendruck sein. Der Versuch von Valentin, von dem R. Ewald sagt, (S. 463) dass er ihn nicht versteht, und über ‚dessen Ausführung er sich, aus diesem Grunde, willkürliche Annahmen erlaubt, hat den Sinn, dass Valentin den Seitendruck im Pharynx bei Nasenathmung misst und dabei das Manometer mit der Mundöffnung verbindet. Dass die Widerstände für den Athemluftstrom auf dem Wege vom Pharynx bis zur vorderen Nasenöffnung bedeutend genug sind, um Seitendruck in der von Valentin beobachteten Grösse zu erzeugen, kann allerdings in Erstaunen setzen, aber gerade wegen des Ueberraschenden der Grösse des Einflusses der normalen Widerstände jenseits der Trachea, habe ich es für zweckmässig gehalten, das wie ich glaube lehrreiche Vorlesungsex- periment zu organisiren, welches ich der Gesellschaft in der Sitzung vom 29. Nov. v. J. vorgeführt habe! und dessen Beachtung R. Ewald wohl hätte in den Stand setzen können, das Experiment von Valentin zu verstehen. 1 Gad, Einige zu Vorlesungsversuchen geeignete Experimente, die Athmungs- schwankungen des intrathorakalen Druckes betreffend. Diese Verhandlungen, 29. Nov. 1878. Dies Archiv, 1878, S. 559. ln DEB BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 559 2. Hr. Gap spricht hierauf: „Ueber die Bewegungserscheinungen an den Blüthen von Stylidium adnatum“.! Die mannigfaltigen Bewegungen, welche an den verschiedenen Pflanzen- theilen im Laufe der Zeiten bekannt geworden sind, lassen sich, wenn man von den reinen Wachsthumsbewegungen abwsieht, wesentlich in drei Gruppen ordnen. Erstens giebt es solche Bewegungen, welche in ihrer Richtung deutliche Bezieh- ungen und in ihrer Intensität annähernde Proportionalität zu bestimmten äusseren Lebensbedingungen (namentlich zur Bestrahlung) zeigen. Diese Gruppe ist die umfangreichste, zu ihr gehört die grosse Erscheinungsreihe des Heliotropismus. Wir wollen die Bewegungen dieser Gruppe Reactionsbewegungen nennen. Die zweite Gruppe umfasst die scheinbar spontanen periodischen Bewe- gungen, deren Prototyp die Bewegung der Seitenblättchen von Desmodium gyrans ist. -Diese Bewegung ist, was ihre Intensität und die Dauer ihrer Periode be- trifft, freilich auch sehr merklich abhängig von der Intensität äusserer Bedin- sungen (Temperatur, Licht, Sauerstoff), aber die scheinbare Unabhängigkeit des Bewegungstypus liegt darin, dass die Periodieität der Bewegung keine perio- dischen Schwankungen der äusseren Bedingungen nach Intensität oder Richtung zur Voraussetzung hat. Die dritte Gruppe, in welche die Reiz- bewegungen gehören, wird mehr oder weniger umfangreich, je nachdem man den Begriff der Reizbarkeit enger oder weiter fasst. Thun wir letzteres, so gehören hierher alle Fälle, bei denen geringfügige Veranlassungen Bewegungen von grosser Ausgiebigkeit und Geschwindigkeit zur Folge haben und wir sind dann genöthigt, noch zwei wesentlich verschiedene Unterabtheilungen der dritten Gruppe aufzustellen. Die erste Unterabtheilung soll die Fälle umfassen, in denen die Existenz reizbarer Zellen und die einer Erregunssleitung nachge- wiesen werden kann oder wahrscheinlich ist. Die hierhergehörigen Bewegungen sollen wahre Reizbewegungen genannt werden, als ihr Prototyp kann man die Schliessbewegung der Blätter von Dionaea museipula ansehen. Als charakte- ristisch für diese Bewegungen kann noch bezeichnet werden, dass die in Folge der Keizbewegung von dem betreffenden Organ eingenommene Stellung keine bleibende ist, sondern dass Rückkehr in die ursprüngliche Stellung und Wieder- ausbildung der Reizbereitschaft eintritt. Ferner entspricht bei ihnen die Ge- schwindigkeit der ausgeführten Bewegung der Geschwindigkeit der, in Folge des Reizes und unter Vermittelung reizbarer Zellen, eintretenden Aenderung in der Gewebespannung. Zu unterscheiden sind hiervon die Fälle scheinbarer Reizbewegung, bei denen besonders reizbare Zellen nicht anzunehmen sind und bei denen die die plötzliche Bewegung veranlassende Gewebespannung sich, Dank eirer vorhandenen Arretirung, allmählich bis zu dem Grade ausbildet, dass zum Ueberwinden der Arretirung und zur Auslösung der plötzlichen Bewegung eine geringfügige, oft nicht nachweisbare Veranlassung genügt. Ein Beispiel dieser Bewegungsart ist das Auswärtsschlagen der Staubfäden von Parietaria. 1 Obgleich der wesentliche Inhalt dieses Vortrages schon veröffentlicht ist (Sitzungsberichte des botanischen Vereins der Provinz Brandenburg, XXI, S. 84), so hat der Vortragende, der an ihn ergangenen Aufforderung folgend, ihn auch an dieser Stelle drucken lassen, namentlich weil sich ihm die Gelegenheit bot, eine Zeichnung beizugeben und Manches, was bei den Botanikern als bekannt voraus- gesetzt werden musste, ausführlich zu beschreiben. Was die Literatur und die Be- rücksichtisung der Angaben früherer Autoren betrifft, so wird auf die erste Publi- cation verwiesen. 560 VERHANDLUNGEN Die scheinbaren Reizbewegungen sind sämmtlich ausgezeichnet durch Ausgiebig- keit und Plötzlichkeit, es sind wahre Schleuderbewegungen. Die Geschwindig- keit der wahren Reizbewegungen ist eine wesentlich geringere, weil, wie es scheint, die Geschwindigkeit der Gewebespannungsänderung bei den Pflanzen, welche in diesen Fällen auf Turgescenzänderungen, also Wasserbewegung beruht, keinen hohen Werth annehmen kann. Die Bewegungserscheinungen, welche an den Blüthen von Stylidium adnatum beobachtet werden, gehören zu den lebhaftesten Schleuderbewegungen, welche im Pilanzenreiche vorkommen und es war deshalb a priori zu vermuthen, dass sie nicht als wahre Reizbewegungen im definirten Sinne aufgefasst werden dürfen, wie es bisher geschehen war. Eine genauere Untersuchung des Bewegungs- vorganges und seiner wesentlichsten Bedingungen hat diese Vermuthung bestä- tigt, einen sehr interessanten organischen Mechanismus kennen gelehrt und die Gesichtspunkte für vergleichende Untersuchung auf diesem Gebiete vermehrt. Die oberständige Blumenkrone der Blüthe bei den Arten der Gattung Sty- lidium ist fünfzählig, aber der eine Saumabschnitt ist in ein an Grösse den übrigen weit nachstehendes Labellum (Rob. Brown) umgewandelt. Dieses Labellum ist bei verschiedenen Arten wesentlich verschieden gebildet. Bei St. . adnatum. ist dasselbe folgendermaassen gestellt und geformt. Zwischen den beiden grössten der vier grösseren Saumabschnitte der Blumenkrone ist ein grösserer Zwischenraum als zwischen den übrigen und hier ist auch die Röhre der Corolla tiefer ausgeschnitten. In dem Grunde dieses Ausschnittes liest das sehr kleine Labellum (von nur 1/, der Länge der übrigen Abschnitte) in Gestalt einer flei- schigen Zunge mit scharfer Spitze und scharfen Rändern, welche in kurzem Bogen gegen die Corollenröhre zurückgebeugt ist. Ränder, Spitze und Unter- seite tragen den Charakter und zeigen die (rothe) Färbung der übrigen Ab- schnitte, die Oberseite, gleichsam der Rücken der Zunge, ist eingenommen von einem stark gewölbten, grün durchscheinenden, glänzenden Polster. Der histologische Bau des Labellums ist ganz analog dem der übrigen Saumabschnitte, nur dass da, wo sich das Polster befindet, die (chlorophyll- haltigen) Parenchymzellen in zahlreichen Schichten vorhanden sind und dass sein Bündel von Spiralgefässen stärker entwickelt ist. Das so aus zahlreichen Parenchymzellenschichten gebildete Polster ist überzogen von einer Lage cylin- drischer, vollsaftiger Zellen mit deutlichem Kern und klarem Inhalt, welche sich polygonal gegen einander abplatten, palissadenförmig senkrecht zur Oberfläche des Polsters gestreckt und zwar in der Mitte des Polsters länger, an den Rän- dern desselben kürzer sind, doch auch hier sich deutlich gegen die Epidermis- zellen des übrigen Labellums absetzen. Der Ueberzug des Polsters ist drüsiger Natur und repräsentirt ein Nectarium. Aus dem Schlunde der kurzen Röhre der Blumenkrone erhebt sich der mit den zwei Staubfäden zu einem „Säulchen“ verwachsene Griffel. Das Säulchen trägt die Narbe und an deren Peripherie vier einfächerige Staubbeutel, das ganze so gebildete Organ nennt man das „Gynostemium“ und dieses ist es, welches die interessante Schleuderbewegung zeigt. Das Säulchen des Gynostemiums stellt einen abgeplatteten Cylinder dar, an dem man zwei Ränder und zwei Flächen unterscheiden kann. Von den Flächen wollen wir die eine die rothgefärbte, die andere die ungefärbte (grüne) nennen, letztere ist dem Labellum zugewandt, erstere schaut nach der entgegen- gesetzten Seite. Die Färbung erstreckt sich nicht auf die ganze gefärbte Fläche, DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 561 sie beginnt mit einem nach unten concaven Bogen über der Stelle, an der das Säulchen die Blumenröhre verlässt und dehnt sich, nach oben diffus verlaufend, bis zum obersten Drittel des Säulchens aus. Sie greift, namentlich unten, etwas um die Ränder herum auf die ungefärbte Seite über. Die Färbung ist bedingt durch einen rothen, in dem Zellsaft der Epidermiszellen gelösten Farb- stoff, ganz ebenso, wie wir ihn in den Epidermiszellen der gefärbten Stellen der Blumenblätter antreffen. Das Säulchen des entwickelten Gynostemiums zeigt eine constantbleibende Knickung mit nach der ungefärbten Seite offenem, stumpfen Winkel in der Ge- gend des oberen Endes der Färbung, sonst ist dasselbe in der frisch entfalteten Blüthe meist gerade gestreckt. In dem Maasse jedoch, als sich die Staubbeutel ihrer Reife nähern, krümmt sich das Säulchen in der Gegend des unteren Endes Fig. 1. @:1) Fig. 3. (6:1) Fig. 2. (4:1) der Färbung derartig, dass die gefärbte Seite convex wird und dass bei voll- ständig ausgebildeter Krümmung der unter dem constanten Knick gelegene Theil der ungefärbten Fläche zur Anlagerung an das Polster des Labellums gelanst. In dieser Stellung des Gynostemiums öffnen sich die Antheren und zu dieser Zeit ist das Organ zum ersten Mal schleuderbereit. T'heilt man jetzt der Blüthe auf irgend eine Art eine leichte Erschütterung mit, so tritt eine plötzliche Bewegung ein, bei der die mehr als einen halben Kreisbogen beschreibenden Antheren ihren Pollen weit von sich schleudern. Bei dieser Bewegung wird der unterste Theil der rothgefärbten Seite des Säulchens, welcher bisher convex war, concav, die Narbe, welche mit den seitlich stehenden vier Antheren in der schleuderbereiten Stellung den Himmel ansah, kehrt jetzt ihre Rückenseite dem- selben zu, das Säulchen, welches vorher in dem Zwischenraum zwischen den beiden grösseren Saumabschnitten lag, liegt jetzt in demjenigen zwischen den beiden kleineren. Die beiden beschriebenen Stellungen sind in Fig. 1 und 2 dargestellt. Archiv f.A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 36 562 VERHANDLUNGEN Beobachtet man dieselbe Blüthe andauernd weiter, so sieht man, dass nach einiger Zeit das Gynostemium eine rückgängige Bewegung beginnt. Die Geschwindigkeit dieser Bewegung, bei welcher sich der gekrümmt gewesene Theil des Säulchens zuerst streckt und dann wieder so krümmt, dass die roth- gefärbte Seite convex wird und der obere Theil der grüngefärbten zur Anla- serung an das Polster des Labellums gelangt, ist zu Anfang sehr gering, nimmt aber allmählich zu, erreicht ihr Maximum bei erreichter Streckung des Säul- chens und ist dann so gross, dass die Bewegung eben direct als solche wahr- genommen werden kann, ohne dass man aus dem in längerer Zeit erzielten Effect auf dieselbe zu schliessen braucht. Unter günstigen Bedingungen ist der Rückgang etwa in einer halben Stunde vollendet. Das Gynostemium ist dann wieder in der Stellung der Schleuderbereitschaft, es ist aber noch nicht wie- der schleuderbereit.e. Bis zur Ausbildung der vollen Schleuderbereitschaft ist ungefähr noch einmal soviel Zeit erforderlich wie der Rückgang in Anspruch genommen hatte. Bei kräftigen Blüthen und unter passenden Bedingungen (namentlich der Temperatur und Insolation) tritt aber Schleuderbereitschaft sicher wieder ein und der ganze beschriebene Vorgang lässt sich dann an der- selben Blüthe von Neuem und mehrmals hintereinander beobachten. Der Mechanismus dieses Vorganges ist folgender. Das Gynostemium von Stylidium adnatum ist nicht reizbar, dem Gynostemium an sich kommt weder wahre noch scheinbare Reizbewegung zu, sondern nur eine scheinbar spontane periodische Bewegung, als deren Prototyp wir die Bewegung der Seitenblätt- chen von Desmodium gyrans bezeichnet haben. Die Aenderungen der Gewebe- spannungen, in Folge deren der gelenkige Theil des Säulchens einmal an der gefärbten und das andere Mal an der ungefärbten Fläche convex wird, erfolgen mit sehr geringer Geschwindigkeit, mit einer Geschwindigkeit, welche auch in ihrem Maximum eine Grösse ganz anderer Ordnung ist, als die Geschwindigkeit der Schleuderbewegung. Die rückgängige Bewegung erfolgt mit einer Geschwin- digkeit, welche derjenigen entspricht, mit der sich die diese Bewegung bewir- kende Gewebespannung ausbildet. Ist aber das Säulchen bei seinem Rückgange zur Anlagerung an das Polster des Labellums gelangt, und beginnt dann die Gewebespannung in dem Sinne der Schleuderbewegung sich auszubilden, so haftet das Säulchen an dem Polster (Nectarium) so lange bis die Gewebespannung in dem Sinne der Schleuderbewegung einen hohen Werth erlangt hat. Tritt dann eine geringfügige äussere Veranlassung hinzu, in folge deren die der Haftkraft beinah gleiche Spannkraft erstere einen Augenblick übertrifft, so wird die all- mählich angesammelte Spannkraft in eine plötzliche und ausgiebige Bewegung umgesetzt. Der Beweis für die Richtigkeit dieser Vorstellung von dem Mecha- nismus der Bewegungen des Gynostemiums von S. adnatum liegt in folgenden Experimenten und Beobachtungen. Dass dem Gynostemium von S. adnatum an sich nur eine scheinbar spon- tane periodische Bewegung zukommt, wird durch folgendes Experiment ein- leuchtend. Man löst die Schleuderbewegung eines Gynostemiums aus und wartet ab, bis das Säulchen bei seinem Rückgange sich dem Labellum nähert. Dann bringt man ein kleines Stückchen Papier auf das Polster, welches manchmal ohne Weiteres an demselben haften bleibt, sicher aber durch das zurückgelangte Säulchen fest angedrückt wird. Von jetzt ab beobachtet man die Blüthe un- verwandten Auges mit der Loupe. Ohne dass ein äusserer Anlass zu consta- tiren ist, beginnt dann das Säulchen ganz allmählich sich von’ dem Papier ab- 4 > DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 563 zuheben, es richtet sich mit langsam zunehmender Geschwindigkeit ganz auf und geht wohl auch etwas über die aufrechte Stellung hinüber, nie jedoch so weit wie bei einer Schleuderbewegung. Nach einiger Zeit beginnt dann wieder der Rückgang und, wenn das Papier in seiner Lage geblieben oder durch ein neues ersetzt ist, wiederholt sich das allmähliche Auf- und Niedergehen, ist dagegen das Labellum frei, so entwickelt sich wieder Schleuderbereitschaft. Dieses Experiment, welches dem Vortragenden ausnahmslos den beschriebenen Erfolg gezeigt hat, kann man durch einfache Beobachtung ersetzen. Man wird hierbei unterstützt durch die ausserordentliche Neigung der Blüthen von Sty- lidium adnatum zum Variiren. Eine nicht seltene Variation ist die, dass das Labellum zu einem vollkommenen Saumabschnitt entwickelt ist, welcher dann dem Gynostemium ebenso gegenübersteht, wie sonst das Labellum. Fig. 3 stellt eine solche Blüthe dar. Der mittlere Saumabschnitt rechts ist derjenige, wel- cher in der normalen Blüthe zum Labellum entwickelt sein würde Hat sich eine solche Blüthe frisch entfaltet, so legt sich das Säulchen aus der ursprüng- lich, aufgerichteten Stellung ebenso gegen das fünfte Blumenblatt zurück wie in der normalen Blüthe gegen das Labellum, der weniger widerstandsfähige Saum- abschnitt wird hierbei deutlich niedergedrückt. Eine Schleuderbewegung ist bei einer solchen Blüthe nie zu erreichen, das Gynostemium zeigt vielmehr, so lange seine Antheren stäuben, sehr langsames periodisches Auf- und Niedergehen (in !/,- bis 1stündigen Perioden). Eine deutliche Beschleunigung dieser Bewegung durch irgend welchen mechanischen Reiz konnte der Vortragende nicht erzielen. Zu analogen Beobachtungen lassen sich andere Variationen benutzen, wenn bei denselben das Labellum fehlt, oder aus irgend einem Grunde die Anlagerung des Säulchens an das vorhandene Labellum verhindert ist. Es gehört jedoch einige Aufmerksamkeit dazu, um sich bei diesen Beobachtungen nicht täuschen zu lassen. Im Beginn seiner Untersuchung wäre der Vortragende selbst an seiner Ansicht beinahe irre gemacht worden durch das Verhalten einer Blüthe, welche scheinbar ziemlich regelmässig gebaut war, bei der jedoch das Gyno- stemium in dem etwas zu breiten Ausschnitt zwischen den grösseren Abschnitten deutlich neben dem typisch entwickelten Labellum lag. Der Vortragende er- wartete langsame periodische Bewegungen, wurde jedoch durch eine deutliche, wenn auch nicht sehr ausgiebige Schleuderbewegung überrascht, welche ohne ersichtliche Veranlassung erfolgt war. Genaue Besichtigung der Blüthe ergab nun das Vorhandensein eines zweiten, kleineren Labellums, dem sich das Säul- chen bei seinem Niedergang auch wieder anlegte. Der Fall war nun insofern gerade lehrreich, als der Kleinheit des Labellums und seines Polsters entspre- chend auch die Schleuderbewegung wenig ausgiebig war. Es fand ein Los- reissen des Säulchens vom Polster schon statt, wenn die Spannung im Sinne der Schleuderbewegung noch verhältnissmässig unbedeutend war. Es sei übri- gens noch erwähnt, dass der Versuch mit dem zwischengelegten Papierstreifchen auch bei dieser Blüthe in normaler Weise gelang. Was die Brauchbarkeit ab- normer Blüthen für die geschilderte Beobachtung betrifft, so erscheint es nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, dass das Vorkommen eines doppelten Labellums ziemlich häufig ist, dass der fünfte Saumabschnitt, selbst wenn er die Form eines gewöhnlichen Blumenblattes hat, Träger eines Nectariums sein kann. und dass es Blüthen von $. adnatum giebt, bei denen ein Labellum an der rich- tigen Stelle steht und diesem gegenüber ein überzähliger sechster Saumabschnitt. Dass bei dem normalen Vorgang ein zeitweiliges Haften des Säulchens an 36* 564 VERHANDLUNGEN dem Polster des Labellums stattfindet, ist schon nach dem Vorgetragenen sehr wahrscheinlich und wird es noch mehr, wenn hinzugefügt wird, dass der Vor- tragende seit Beginn seiner Beobachtungen an S. adnatum (in der vorjährigen Blüthezeit) bei jeder Blüthe, an der er versuchte, die Schleuderbewegung aus- zulösen, vorher genau die Lage des Gynostemiums untersucht und ausnahmslos, wenn nachher Schleuderbewegung erfolgte, vorher das Säulchen dem Polster des Labellums anliegend gefunden hat. Ganz klar wird aber die Rolle, welche das Haften des Säulchens am Labellum beim normalen Vorgang spielt, durch fol- senden Versuch. Ist das Gynostemium durch die Schleuderbewegung in die Stellung über- gegangen, bei der es in der Lücke zwischen den beiden kleineren Abschnitten liest und versucht man unmittelbar darauf, es in die ursprüngliche Lage zu- rückzubringen, so gelingt dies nur durch Ueberwindung eines erheblichen elasti- schen Widerstandes und losgelassen schnellt dasselbe, wie Morren auch für S. graminifolium angiebt, in die jetzige Gleichgewichtslage zurück. Bei S. adnatum gelingt es aber manchmal, das Gynostemium selbst aus der extremsten Stellung zwischen den kleineren Abschnitten in die schleuderbereite Stellung zwischen den grösseren überzuführen und darin zu erhalten, wenn man nur das Säulchen wieder zur Anlagerung an das Polster des Labellums bringt. Hat hier ein Haften stattgefunden, so verhält sich die Blüthe wieder wie unmittelbar vor der Auslösung der Bewegung, der geringste Anlass bewirkt eine neue Schleuder- bewegung von derselben Aussiebigkeit wie die erste war. In dieser Vollkom- menheit ist das Experiment dem Vortragenden allerdings nur selten gelungen; in folgender Form ist jedoch mit Sicherheit zu demonstriren, worauf es an- kommt. Man wählt eine Blüthe aus, bei der das Gynostemium, nachdem es die Schleuderbewegung ausgeführt hatte, seit einiger Zeit wieder in die ursprüng- liche Stellung zurückgekehrt ist. In der ersten Zeit nach dem beendeten Rück- gange ist es nur mit Ueberwindung einigen Widerstandes möglich, das Säul- chen von dem Polster abzuheben und, losgelassen schleudert es gegen dasselbe zurück. Nach Verlauf einer Viertelstunde etwa hat sich schon einige Span- nung im Sinne der Schleuderbewegung entwickelt und berührt man jetzt das Säulchen, so schnellt es von dem Polster ab in eine mehr oder weniger auf- gerichtete Stellung. Aus dieser kann man es nun ziemlich leicht gegen das Labellum zurückbeugen und meist sofort, manchmal erst nach längerem Druck zum Haften bringen. Ein neuer gelinder Anstoss bewirkt dann wieder ein Emporschnellen in die jetzige Gleichgewichtslage. Durch dieses Experiment, welches der Vortragende sehr häufig mit gleichem Erfolg wiederholt hat, ge- winnt man die Ueberzeugung, dass die Gewebespannung, welche das Zurück- gehen des Gynostemiums bedingte, noch einige Zeit nach erreichter Anlageruns des Säulchens an das Polster in beträchtlicher Zunahme begriffen ist, dass dann diese Gewebespannung allmählich in die entgegengesetzte übergeht und dass eine dieser Spannung entsprechende Bewegung durch das Haften des Säulchens am Polster verhindert wird. Man kann auch an einer abgeschnittenen Blüthe beobachten, von der man die vier grösseren Abschnitte entfernt hat. Hier sieht man mit der Loupe deutlich, wie das Labellum unmittelbar nach der Anlagerung; des Säulchens durch dieses gegen die Blumenröhre zurückgebeugt und dann nach einiger Zeit von diesem wieder in die ursprüngliche Stellung, auch wohl darüber hinaus, mitgenommen wird. Es ist für die Untersuchung sehr wichtig, dass nicht nur die abgeschnit- 2 r DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 565 tene und in beschriebener Art vivisecirte Blüthe überlebt, sondern auch das über dem Fruchtknoten abgeschnittene Säulchen. Bringt man ein solches auf den Objectträger, so sieht man, dass es meist mehrmals hintereinander dieselbe Bewegung ausführt wie in der Blüthe, nur in kürzeren Perioden. Beobachtet man das auf einem seiner Ränder liegende Säulchen, von dem auch die Narbe entfernt ist, trocken ohne Deckglas, bei mittlerer Vergrösserung, so sieht man, wie die Epidermiszellen an der concav werdenden Seite des gelenkigen Theiles papillös werden und dadurch der Oberfläche ein runzliges Aussehen ertheilen, während die Aussenflächen der Epidermiszellen an der gerade convexen Seite in einer Flucht liegen, so dass hier die Oberfläche vollkommen glatt erscheint. Dem Vortragenden ist es bei wiederholt darauf gerichteten Versuchen nie gelungen, durch solche mechanische Reize, wie sie die Bewegung der Staub- fäden von Berberis auslösen, eine Schleuderbewegung an dem herausgeschnittenen Säulchen von S. adnatum herbeizuführen. War das Säulchen gerade in Ruhe, so blieben Reize oft ohne jeden Erfolg, manchmal begann bald nach dem Reiz eine Bewegung. Da jedoch auch spontan Bewegungen erfolgten, so beweist dieser Ausfall des Versuches Nichts für die von früheren Forschern beh auptete Reizbarkeit. Eine gerade bestehende Bewegung wurde, durch Reiz nie in die entgegengesetzte übergeführt. Manchmal hatte es den Anschein, als wenn die Bewegung in Folge des Reizes beschleunigt werde, da jedoch auch die spontane Bewegung nicht mit gleichbleibender Geschwindigkeit abläuft, so kann man auch auf diesen Anschein keinen Schluss gründen. ÖOffenbare Insulte brachten aller- dings ein ziemlich schleuniges und sehr ausgiebiges Einkrümmen hervor, jedoch immer in der der normalen Schleuderbewegung entgegengesetzten Richtung und in dem so eingekrümmten Zustand starb das Organ ab, ohne sich wieder zu strecken. . Ueber den histologischen Bau des Säulchens von $S. adnatum kann der Vortragende zur Zeit Folgendes mittheilen. Das Säulchen wird durchzogen von zwei in der Nähe der Ränder verlaufenden Gefässbündeln mit enggewundenen Spiralgefässen; zwischen den beiden Bündeln und dieselben allseitig umgebend erstreckt sich durch die ganze Länge des Säulchens ein Gewebe aus langge- streckten, schrägabgeschnittenen Zellen mit dieken, stark glänzenden Wandungen und engem Lumen (Kollenchym), in dem auch der Griffelcanal verläuft. An den Rändern liegen diesen Zellen die Epidermiszellen unmittelbar auf, an den Flächen liegen zwischen Epidermis und Kollenchym mehrere Schichten Parenchymzellen. Der gelenkige Theil unterscheidet sich von dem übrigen dadurch, dass in ihm die Epidermiszellen kürzer und dünnwandiger sind. In Form von Papillen vor- sewölbt sind dieselben nur, wenn die betreffende Seite bei der Krümmung concav ist, oder wenn wasserentziehende Mittel eingewirkt haben. In letzterem Falle hebt sich der gelenkige Theil scharf gegen den übrigen ab, indem der gelenkige eingesunken, runzlig und papillös, der andere ganz glatt erscheint. Die Stelle des Säulchens, mit welcher dasselbe sich dem Polster des Labellums anlagert, scheint durch keine besonderen Eigenschaften der Epidermis ausgezeichnet zu sein. Ein zweiter Unterschied zwischen dem gelenkigen und dem übrigen "Theil des Säulchens besteht in dem Inhalt der Parenchymzellen. Während dieser in dem ganzen übrigen Säulchen mit wenig Ausnahmen sich klar darstellt und nur spärliche Chlorophylikörner zeigt, sind die Parenchymzellen und auch die peri- pherischen Kollenchymzellen an dem gelenkigen Theile so dicht mit Stärke- körnern erfüllt, dass diese die Structur fast vollständig verdecken. Ausser den 566 VERHANDLUNGEN Stärkekörnern nehmen auch anscheinend solche Körner an der Erfüllung der . Zellen Theil, welche sich mit Jod nicht blau, sondern braun färben und daher wohl eiweissartiger Natur sein dürften. Die centralen Kollenchymzellen sind immer von körnigem Inhalt frei, so dass die beiderseitigen dunklen Massen stets durch ein helles Band getrennt erscheinen. Etwas darüber auszusagen, in welcher Weise die einzelnen Gewebe activ oder passiv an der Bewegung betheiligt sind, scheint noch nicht an der Zeit zu sein. Die dem Gynostemium von Stylidium adnatum als solchem an und für sich zukommende Bewegung ist oben mit derjenigen der Seitenblättchen der Hedysareen verglichen worden. Dieser Vergleich erscheint um so treffender, wenn man berücksichtigt, dass es auch bei letzterer nicht selten vorkommt, dass die Bewegung eines Blättchens durch irgend ein zufälliges Hinderniss zeitweise sehemmt wird, sodass es zur Ansammlung von Spannkraft und bei Ueberwin- dung des Hindernisses zu einer plötzlichen ausgiebigen Bewegung kommt. Der Vortragende hat im vorigen Herbst Gelegenheit gehabt, sehr kräftige Exemplare von Desmodium gyrans im botanischen Garten zu Kew zu beobachten und wieder- holt Fälle der geschilderten Art zu constatiren. Was nun für das Blättchen von Desmodium dem Zufall überlassen und ganz unwesentlich ist, ist für das Gynostemium bei Stylidium adnatum, durch eine besondere Vorrichtung an einem anderen Blüthentheil, zu hohem Grade der Constanz erhoben und derart zur Norm geworden, dass es dem Gynostemium selbst eigenthümlich erscheinen konnte. Es kann dies nicht Wunder nehmen, wenn man bedenkt, wie die durch die vereinigte Wirkung des Labellums und Gynostemiums bedingte Schleuder- bewegung eine ganz andere Rolle im Haushalte der Pflanze spielen muss, als die ohne Mitwirkung des Labellums allein zu Stande kommende sehr allmäh- liche periodische Bewegung, welche zu dem Verstäuben des Pollens nichts beiträgt. Die Schleuderbewegung des Gynostemiums hat gewisse Analogien mit dem Emporschnellen der Staubfäden bei Pilea, Parietaria und anderen Pflanzen, auch hier handelt es sich nicht um eine wahre Reizbewegung wie bei den Staubfäden von Berberis, Centaurea und anderen, bei ihnen ist jedoch die Ansammlung der Spannkraft nicht wie bei Stylidium adnatum durch periodische Aenderungen der Gewebespannung, sondern durch Eigenthümlichkeiten des Wachsthums und der Evolution bedingt, und die Schleuderbereitschaft, nachdem sie einmal zur Schleu- derbewegung geführt hat, bildet sich nicht von Neuem aus. Man kann die Schleuderbewegung an der Blüthe von Stylidium adnatum als eine Reizbewegung, die Blüthe selbst als reizbar bezeichnen, muss dann aber bedenken, dass das Attribut der Reizbarkeit weder dem Gynostemium, noch dem Labellum an sich, sondern dem aus beiden gebildeten Apparat zukommt. Wir haben es mit einem reizbaren Apparat zu thun, ohne dass wahrschein- lich reizbare Zellen vorhanden sind. Der Fall von Stylidium adnatum ist gerade deshalb von ganz besonderem Interesse, weil bei ihm die Ursachen der periodischen und der Reizbewegung, welche bei Mimosa pudica z. B. so schwer zu trennen sind, weil sie wahrscheinlich in verschiedenen Eigenschaften der- selben Zellen liegen, in so grob wahrnehmbarer Weise auseinander gehalten werden können. Nach der ‚Beschreibung von Morren ist es wahrscheinlich, dass sich die Verhältnisse bei St. graminifolium mehr denjenigen bei Mimosa pudica nähern und man wird mit einiger Spannung an die genauere verglei- chende Untersuchung herantreten, wenn es sich herausstellen sollte, dass bei nahestehenden Arten die Reizbarkeit einmal an die Zelle geknüpft, das andere DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 567 Mal in einen complieirten Apparat gelegt sein sollte. Der Director des hiesigen botanischen Gartens, Hr. Professor Eichler, welcher dem Vortragenden schon jetzt in dankenswerthester Weise die im Garten vorhandenen Arten von Styli- dium zur Untersuchung bereit gestellt hat,! hofft auch St. graminifolium, wel- ches zur Zeit nicht vorräthig ist, für künftige Jahre beschaffen zu können. Auch wird es sich empfehlen, die vergleichende Untersuchung womöglich etwas weiter auszudehnen. Vortragender erinnert in dieser Beziehung nur daran, dass nach Rob. Brown bei Leeuwenhoekia das Labellum reizbar sein, in Folge einer mechanischen Berührung sich aufrichten und das unbewegliche Säulchen mit seiner löffelförmigen Spreite umfassen soll. Da wir den Begriff der Reizbarkeit nur mit der Zelle oder mit den aus Zellen hervorgegangenen Gewebselementen zu verbinden gewohnt sind, so mag noch ein Wort der Rechtfertigung für den gebrauchten Ausdruck „reizbarer Apparat“ gestattet sein. In der That lässt sich zwischen dem Bewegungs- apparat in der Blüthe von Stylidium adnatum und einer reizbaren Zelle eine, wie mir scheint, wesentliche Analogie bei Betrachtung von einem umfassenderen Gesichtspunkte aus aufstellen. Der beschriebene Zustand der Schleuderbereit- schaft lässt sich nämlich charakterisiren als einen solchen, bei dem zwei sich das Gleichgewicht haltende Kräfte auf das bewegliche Organ wirken, welche beide in ihrer Intensität Function der Entfernung des Organs aus der schleuder- bereiten Stellung sind, von denen jedoch die eine (die das Haften bewirkende Kraft) sehr schnell mit der Entfernung abnimmt, während die andere (die Ge- webespannung im Organ selbst) erst bei grosser Entfernung nicht mehr wirk- sam ist. Eine analoge Definition kann man für den Zustand eines explosibelen Moleculs oder einer Bologneser Glasthräne aufstellen und mutatis mutandis auch für den Zustand einer reizbaren Zelle. Den Hrn. Professor Eichler und Dr. P. Magnus sagt Vortragender auch an dieser Stelle seinen herzlichsten Dank für die ihm bei der Untersuchung freundlichst gewährte Unterstützung. Hr. H. KRowEcKER demonstrirte in Gemeinschaft mit Hrn. M. Pr. Mryer: „Den Gebrauch der in der Sitzung dieser Gesellschaft am 15. No- vember 1878 (s. dies Archiv, 1878, S. 546) beschriebenen verschluck- baren, kugelförmisen Maximalthermometer, sowie neuer cylin- derförmiger, welche geeignet sind, im Blutgefässsystem lebender Thiere zu eirculiren“. Hunde konnfen nicht nur ohne jeglichen Nachtheil mehrere Kapseln mit Thermometerkugeln verschlucken und längere Zeit im Verdauungscanale behalten, sondern auch in die Venen (V. jugulares ext. oder femorales) oder Arterien (A. carotides) eingeführte nackte Cylinder bei anscheinend ungestörtem Befinden beherbergen. Die in die Venen gebrachten Cylinder gerathen zumeist in ziem- lich periphere Aeste der Lungenarterie; zuweilen aber fallen sie in die Vena azygos, V. renalis u. s. w. oder bleiben im rechten Vorhofe, in seltenen Fällen im rechten Ventrikel. Die in das centrale Ende der Carotis eingeführten und durch nachgespritztes Blut zur Aorta beförderten Thermometer werden in ent- 1 Ausser Stylidium adnatum hat der Vortragende bisher S. Knightii und juni- perinum untersuchen können und bei beiden Arten keinen wesentlichen Unterschied segen das Verhalten von St. adnatum constatirt. 568 VERHANDLUNGEN fernte Arterienzweige getrieben. Da im Blutstrome stets das schwere dicke Ende voranbleibt, so verletzt die ausgezogene Spitze nicht die Gefässwandungen und veranlasst auch keine Gerinnung des Blutes am Haftorte. Nur im rechten Vorhof oder Ventrikel wurden zuweilen kleine Gerinnsel des Endocards bemerkt, und einmal entstand in einer Tasche der Semilunarklappen der Pulmonararterie, in welche die Spitze sich eingebohrt hatte, grössere Verletzung und festes Fibringerinnsel. Mit Hilfe dieser thermometrischen Methoden wurde bei grossen Hrinden, I. die Wärmeentwickelung bei der Thätigkeit der Verdauungsorgane untersucht, II. ein erster Einblick in die Wärmevertheilung im Blutgefässsysteme ge- wonnen, III. die Aussicht auf den Ort der höchsten Wärmebildung im Körper er- öffnet. I. Aus dem Vergleiche der Temperatur des ruhenden mit derjenigen des thätigen Darmcanals ergab sich Folgendes: Bei mittlerem Fütterungszustande des Thiers ist die mittlere Tem- peratur im Magen (gemessen durch am Faden versenkte und wieder herausge- zogene Verschluckthermometer) um O-5° niedriger als im Rectum. Während die maximale Temperatur, durch die verschluckten und per anum entleerten Kugeln bestimmt, im Mittel um O-5° höher, d. h. etwa 40-.0° war. Am ersten Hungertage sinkt die Temperatur im Magen beträchtlich (oft um 1-0—1-5°), viel weniger im Rectum. In den folgenden Hungertagen wird der Magen wieder wärmer: bald gleich dem wenig abgekühlten Rectum. Die Maximaltemperatur bleibt lange fast ganz constant (39-.0—39.2)”. Dieselbe sank erst vom 14. Hungertage ab auf 38-5. Nahrungszufuhr steigerte bald die Temperatur im Magen um 0-5—1-3°, im Rectum um 0-3—0-8° und wahrscheinlich auch die maximale Darmwärme nicht unbeträchtlich. So ergab z. B. die Thermometrie Am Ende eines Hungertages: im Magen 38-7°, im Rectum 39-3°; nach Fütterung mit 250°” Speck: „, En AO „A020 Die Maximaltemperatur betrug, zufolge den Angaben der 12 Stunden danach entleerten Kugel, 40-5°. Der Nerkamngermiike ähnlich wirkt auf Magen und Recm chemischer Reiz: . . Ein Gramm zweifach kohlensaures Natron in Pastillenform in den Magen gebracht, erhöhte dessen Temperatur sogleich um 0.8° (von rt "50 auf 38.50), die Temperatur des Rectum um 0-8° (von 38.0° bis 38. 8°) Die zunächst constatirte maximale Darmtemperatur a 39.6°. Auch mechanischer Reiz (starkes Lufteinblasen in den Magen) steigerte die Magenwärme um 0-3°—0.4°, die Rectaltemperatur um 0-4°—0.5°. Die maximale Binnenwärme blieb constant (40.-0°). Sogar psychischer Reiz, blosses längeres Vorhalten von Speck (wobei frei- lich Speichelschlucken nicht verhütet war) veranlasste im Magen wie im Rectum des gierigen Hundes sogleich eine Temperaturerhöhung von 0-6°, welche durch wirkliches Fressen nur um fernere O-2° (bis auf 40.4 im Magen) gesteigert wurde. Die maximale Darmtemperatur wurde nachträglich zu 40.4° bestimmt. — Im gereizten Magen wird durch Drüsenthätigkeit die Temperatur wohl in ähnlicher Weise gesteigert, wie, nach C. Ludwigs Entdeckung, in der Unter- DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 569 kieferspeicheldrüse, welche auf Reiz nicht nur reichlicher Speichel secernirt, sondern auch (bis um 1.5°) wärmer wird. Der bemerkenswerthe Zusammenhang zwischen den Wärmeänderungen in Magen und Rectum ist sicherlich nicht auf Schwankungen der Gesammtkörper- wärme zurückzuführen. Hiergegen spricht die Schnelligkeit der auf locale Reize folgenden Temperatursteigerungen und das Verhalten dermaximalen Darmtemperatur. II. An verschiedenen Stellen des Blutgefässsystems wurde die Temperatur durch Schwemmthermometer bestimmt, deren Daten an zugänglichen Stellen (Venenstämmen, rechtem Vorhof, rechten Herzkammern) durch Normalthermo- meter controlirt wurden. Die niedrigste Bluttemperatur innerer Theile ergab sich einmal in der Ven. azygos (37 - 7°), während im rechten Ventrikel des Herzens 38- 3°, im mittleren Lappen der rechten Lunge (in tiefem Aste der Pulmonalarterie) 38-4°, in der linken Ven. renalis 38.29 gefunden wurde. Bei diesem seit 24 Stunden hungernden Hunde betrug die Magentemperatur 38-6°, die Rectum- _ temperatur 39. 5°. Bei einem anderen hungernden Hunde fand sich als niedrigste innere Blut- temperatur, 37-8° im unteren Lappen der linken Lunge; in der Vena azygos 38-0°, im oberen Lappen der linken Lunge 38-6°, in der Vena subclavia 38-5°; im rechten Vorhof 39.0°, in der rechten Herzkammer 39.2°, in der Klappen- tasche der Art. pulmonalis 39.5°. Zu gleicher Zeit betrug die Temperatur des Magens in diesem Thiere 37.3°, im Rectum 395°, die maximale Darmtempe- ratur 401°. Ein fernerer Befund der minimalen inneren Bluttemperatur war unter ähn- lichen Bedingungen: In der Vena azygos 390°; im rechten Ventrikel 39-2°, in der Art. femoralis (an der Abgangsstelle der Profunda) 39.6°, im unteren Lappen der linken Lunge 402°, im mittleren Lappen der rechten Lunge 410°; im Magen 40.0°, im Rectum 39.4°, maximale Darmtemperatur 412°. Aus diesen Beispielen ist ersichtlich, dass auch im nüchternen Darmcanale nur der Magen beträchtlich kühler als das Blut im kleinen Kreislaufe wird. Weitere Versuche sollen die noch fehlenden wichtigen Aufschlüsse über die Temperaturen im Pfortadersysteme geben. Hr. M. Worrr spricht: „Ueber Blutuntersuchungen bei infectiösen Wundkrankheiten“. i Gestützt auf eine Reihe von Blutuntersuchungen bei pyämischen Menschen und bei septisch infiecirten Thieren war der Vortragende in früheren Jahren (s. Virchow’s Archiv 1873, Bd. 59) zu dem Resultate gelangt, dass es Fälle von ganz acut verlaufender Pyämie und Septicämie giebt, bei denen nach den damals angewandten Methoden der Nachweis von lebenden Organismen im Blute der infieirten Individuen nicht geliefert werden konnte. Die Methoden, nach denen damals die Blutuntersuchungen angestellt wurden, waren dreifacher Art: die directe mikroskopische Untersuchung, die Züchtung und die Impfung mit dem Blute der infieirten Individuen auf die Cornea gesunder Thiere. Trotz der nach den genannten Methoden mehrfach erhaltenen negativen Ergebnisse wird selbstverständlich die Existenz von mikroskopischen Organismen überhaupt im Blute bei den genannten Wundkrankheiten nicht in Abrede ge- stellt und der Vortragende leugnet das Vorkommen um so weniger, als er in den Jahren 1874 und 1875 mehrfach positive Resultate nach den genannten Methoden mit dem Blute septischer Thiere und Menschen bekommen hat. 570 VERHANDLUNGEN Seit Anfang dieses Jahres wurden nun die Blutuntersuchungen nach den ausgezeichneten neuen Methoden von Koch (Anilinfärbung, Abb e’sche Beleuch- tung am Zeiss’schen Mikroskop) wieder aufgenommen. Hinsichtlich des Beleuchtungsapparates hebt der Vortragende zunächst her- vor, dass er mit Hrn. Dr. Hartnack vielfach conferirt und dass schliesslich nach Abbe’schen Prineipien eine combinirte Beleuchtungslinse construirt worden ist, die den für uns wesentlichen Zweck des Abbe’schen Apparates ebenfalls erreicht, nämlich das Structurbild der ungefärbten Theile des Objects zu be- seitigen, im Licht zu ertränken, und somit die Erkennung kleinster gefärbter Körper zu ermöglichen. Ausser den Zeiss’schen eigens dafür construirten Stativen gestatten nur die grossen englischen Stative die Anbringung des Abbe’schen Condensors verhältnissmässig leicht; an die jetzt gebräuchlichen Hartnack’schen Stative ist der Abbe’sche Beleuchtungsapparat nicht anzu- bringen und es ist daher die oben erwähnte neu construirte und ohne Schwierig- keit anzubringende Beleuchtungslinse den Besitzern Hartnack’scher Mikroskope für vorliegenden Zweck zu empfehlen. ‘ Die Blutuntersuchungen wurden mit beiden Arten von Beleuchtungslinsen vorgenommen. Dem Enthusiasmus gegenüber, dass nach der neuen Methode jeder Zweifel an der Diagnose auf „Pilz“ gehoben sei, und der Annahme gegen- über, die der Vortragende vielfach im persönlichen Verkehr angetroffen, jetzt jedes runde und gleichmässige Körnchen, das sich mit Anilin färbt, für einen Mikrococcus zu stempeln, muss hervorgehoben werden, dass es Körnchen und Kugeln in den mit Anilinfarbstoffen behandelten Blutpräparaten giebt, die in Bezug auf Färbung, gleichmässige Gestalt und Grösse den Einzelindividuen von Mikrococcen vollkommen gleichen und die doch keine Mikroorganismen sind. Das Vorkommen von solchen mit Anilinfarbstoffen gefärbten „Pseudocoecen“ wird ausführlich erörtert an Präparaten „normalen“ Blutes, das organismenfrei ist; auch nach der Richtung der „Stäbchenformen‘“ werden sodann die Fehler- quellen aufgeführt. Man muss also schliesslich auch nach der neuen Methode, wie nach den alten zur Sicherung der Diagnose auf „Pilz“ Elemente verlangen, die sich ohne Weiteres morphologisch durch besondere andersartige Gestalt (deut- liche Kettenform, dichte Zoogloeaform, zweifellose Stäbchen oder Stäbchen- haufen) als Organismen documentiren; isolirte im Gewebe zerstreute Körnchen und Kugeln, sowie lockere Körnchenaggregate, wenn dieselben auch noch so deutlich die Anilinfärbung angenommen haben und wenn sie auch noch so gleich- mässig an Gestalt und Grösse erscheinen, sind auch nach der neuen Methode, ebenso wie nach den alten als unsichere Befunde ausserhalb der Discussion zu lassen. Das grosse Verdienst Koch’s besteht darin, die auch nach den alten Methoden, aber weniger leicht erkennbaren Organismen, jetzt leichter im Ge- webe aufzufinden. Der Vortragende hat nun, nachdem er sich von den Fehlerquellen im nor- malen Blute eingehende Kenntniss verschafft hat, das Blut unter pathologi- schen Verhältnissen untersucht. Es dienten hierzu 7 Fälle von aceidentellen Wundkrankheiten und zwar 3 Fälle von Pyämie (Embolie), 2 Fälle von Septi- cämie, 2 Fälle von Erysipel, die während des letzten halben Jahres zur Beob- achtung kamen. Das Blut wurde methodisch in Dutzenden von Präparaten intra vitam und post mortem untersucht, bei den Pyämischen auf die Zeit der DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 571 Schüttelfröste, bei den Erysipelatösen auf den Erysipelrand besonders Rücksicht genommen. Als Resultat ergab sich, dass das Blut 3 mal mit positivem Erfolg; 1 mal intra vitam ohne Erfolg, post mortem aus analoger Stelle mit Erfolg, in 3 Fällen hingegen ganz resultatlos auf Mikroorganismen untersucht worden ist. Die mikroskopisch negativen Ergebnisse werden durch Züchtungsversuche mit demselben Blut unterstützt. Der Satz, den ich im Jahre 1873 auf Grund der damaligen Methoden ausgesprochen, „dass es Fälle von acut verlaufender Pyämie und Septicämie siebt, bei denen der Nachweis von lebenden Organismen im Blute nicht ge- liefert werden kann“, behält also auch nach der neuen Methode seine Be- rechtigung. Die Formen der Organismen, die zur Beobachtung gelangten, sind kür- zeste, feinste Stäbchen und Kugelbacterienformen, theils in langen Ketten, theils in Haufen; die feinsten Stäbchen, die an Grösse und Aussehen vollkommen den Septicämiebacillen Koch’s gleichen, haben wir mehrfach intracellulär gesehen. Hervorzuheben ist das gleichzeitige Vorkommen beider Pilzformen bei dem- selben Individuum. Der Vortragende schliesst damit, dass er den mikroskopischen Organismen eine sehr grosse Bedeutung beilest für die accidentellen Wundkrankheiten und die Bekämpfung derselben mit allen nur möglichen Mitteln für dringend ge- boten erachtet; er ist aber, nicht blos auf Grund der vorstehenden Blutunter- suchungen, sondern nachdem er seit Jahren sich mit diesen Organismen be- schäftigt, der Meinung, dass die Organismen bei den genannten Wundkrank- heiten nur als „Giftträger“ functioniren, die Entstehung des Giftstoffes aber noch in dubio bleiben muss. Die ausführlichere Mittheilung wird demnächst erfolgen. 5. Hr. Eseouıch sprach am 16. Mai d. J.: „Ueber die speecifischen Granulationen des Blutes“. Zur Bezeichnung der Beschaffenheit zelliger Gebilde wird schon seit den Anfängen der Histologie das Wort „granulirt“ mit Vorliebe gebraucht. Die Wahl dieses Ausdruckes ist keine ganz glückliche, da sehr viele Umstände den Schein einer Körnung des Protoplasma hervorrufen können. So haben die mo- dernen Untersuchungsmethoden gezeigt, dass viele Elemente, die von früheren Autoren als granulirt beschrieben wurden, diesen Eindruck der Anwesenheit eines netzartig gefügten Protoplasmagerüstes verdanken. Mit nicht mehr Recht darf man Zellen, in denen, sei es spontan bei der Starre, sei es unter dem Ein- flusse gewisser Reagentien (Alkohol), körnige Eiweissfällungen entstehen, als sranulirt bezeichnen, sondern müsste diesen Namen für die Elemente reserviren, denen schon im lebenden Zustande in körniger Form Substanzen eingelagert sind, die sich chemisch von den normalen Eiweissstoffen der Zelle unterscheiden. Nur wenige dieser Körnungen sind wie Fett und Pigment leicht erkennbar; die bei weitem grösste Zahl liess sich durch die jetzt üblichen Mittel nur un- genau oder gar nicht charakterisiren. Man begnügte sich zumeist damit, die Anwesenheit von Granulis in gewissen Zellen festzustellen und dieselben, je nachdem sie mehr oder weniger lichtbrechend waren, bald als Fetttröpfchen, bald als Eiweisskörnchen anzusprechen. 572 VERHANDLUNGEN Frühere Erfahrungen, insbesondere die über Mastzellen, liessen mich er- warten, dass diese der chemischen Untersuchung wohl noch lange unzugäng- lichen Körnungen sich durch die Farbenanalyse, d.h. durch ihr Verhalten zu sewissen Tinctionsmitteln, in genügend scharfer Weise charakterisiren lassen würden. Ich fand in der That derartige Körnungen, die durch ihre Election für gewisse Färbemittel ausgezeichnet waren, und hierdurch durch die Thier- und Organreihe mit Leichtigkeit verfolgt werden konnten. Weiterhin konnte ich nachweisen, dass gewisse der von mir aufgefundenen Körnungen nur ganz bestimmten Zellelementen zukämen und dieselben etwa in der Weise charakte- risirten, wie das Pigment die Pigmentzellen, das Glykogen die Knorpelzelle (Neumann) u.s. w. Ebenso wie für die Diagnose der so vielgestaltig auf- tretenden Mastzellen nur der Nachweis der in Dahlia sich färbenden Körnung, d. h. eine mikrochemische Reaction, maassgebend ist, ebenso gelang es auf tinctorialem Wege andere gekörnte, morphologisch von einander nicht zu tren- nende Zellen in mehrere, leicht zu definirende Untergruppen einzutheilen. In Beziehung auf diese differeneirenden Eigenschaften möchte ich vorschlagen, der- artige Körnungen als specifische Granulationen zu bezeichnen. Die folgenden Untersuchungen wurden nach Koch in der Weise angestellt, dass die Flüssigkeiten (Blut) oder das Parenchym der Organe (Knochenmark, Milz u. s. w.) in möglichst dünner Schicht auf Deckgläser ausgebreitet, bei Zim- mertemperatur getrocknet und sodann nach beliebig langen Fristen gefärbt wurden. Ich hatte diese anscheinend etwas rohe Methode besonders in Rück- sicht darauf gewählt, dass zum histologischen Nachweis von neuen, möglicher- weise bestimmten chemischen Verbindungen entsprechenden Körnungen alle Stoffe, die wie Wasser oder Alkohol als Lösungs- oder, wie die Osmiumsäure, als Oxy- dationsmittel wirken können, vermieden werden müssen und dass hier nur solche Verfahrungsweisen gestattet seien, die wie das einfache Antrocknen die chemi- sche Individualität möglichst ungeändert liessen. Ich fand jedoch bald, dass auch vom rein descriptiven Standpunkt die Methode ausgezeichnete Resultate ergab, indem nicht nur die gröbere Form, sondern auch gewisse feine und feinste Structurelemente (Kernnetze) aufs trefflichste conservirt werden. Als einen weiteren Vortheil dieses Verfahrens möchte ich noch den Umstand an- führen, dass bei dem schnellen Eintrocknen eine Coagulation der Zellalbuminate ausgeschlossen und hierdurch ihr natürliches Färbungsvermögen erhalten bleibt, während dasselbe bei den sonst üblichen Behandlungsweisen, sei es durch ein- fache Coagulation der protoplasmatischen Zellbestandtheile (Alkohol), sei es durch eine mit Oxydationsprocessen verbundene (Chromsäure, Osmiumsäure) bald. vermehrt, bald verringert, in jedem Fall also modificirt wird. Die Untersuchungen wurden nur an Wirbelthieren (Frosch, Triton, Kanin- chen, Meerschwein, Hund, Kalb, Mensch) gemacht und beschränkten sich auf das Blut und die blutbereitenden Organe. Insgesammt wurden hier fünf ver- schiedene specifische Körnungen aufgefunden, die ich in Ermangelung einer rationellen Benennung vorläufig als &, ß, —&-Körnungen bezeichnen werde. Die bei Weitem wichtigste dieser Körnungen ist die eosinophile oder &-Granu- lation, über welche ich schon am 17. Januar d. J. vor der Gesellschaft berichten konnte. Die &-Granulation ist durch ihre Verwandtschaft zu der grossen Reihe der sauren Theerfarbstoffe charakterisirt, d. h. solchen, in denen wie im picrin- saurem Ammon das färbende Princip eine Säure darstellt. Die Farbstoffe zerfallen, entsprechend ihrer Verwandtschaft zu den &-Granulationen, in zwei Gruppen. Die 4 | } | 3 | | 1 j DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 573 erstere umfasst sauere Farbkörper von hohem und höchstem Färbevermögen und tingirt die &-Granulationen auch in einer mittels concentrirten Glycerins her- gestellten Lösung; die zweite Gruppe enthält minder gesäuerte Stoffe, die die Körnungen nur in wässerigen Lösungen anfärben. Die Gruppe I umfasst: A) Die stark sauren Körper der Fluorescäinreihe (Eosin, Methyleosin, Cocein, Pyrosin J und R). B) Stark saure Nitrokörper, wie das Aurantia (Hexanitrodephenylamin). C) Die in zwei Unterabtheilungen zerfallenden Sulfosäuren. Die eine umfasst schwer diffundirende Farbstoffe und enthält insbesondere } die unter verschiedenen Namen (Indulin, Bengalin, Nigrosin) im Handel vorkommenden, wasserlöslichen schwarzen Farbstoffe, die zweite die erst jüngst hergestellten Azofarbstoffe (Tropacolin, Bordeaux, Ponceau). In entsprechender Anordnung enthält Gruppe II: A) Fluorescäin und Chrysolin. B) Pierinsaures Ammon und Napthylamingelb. C) Orange und Aechtgelb. Die Wichtigkeit dieser Verhältnisse ist dadurch gegeben, dass nicht die Färbbarkeit in einem der genannten Farbstoffe, sondern erst der Nachweis der Verwandtschaft zu sämmtlichen Farbkörpern die Diagnose auf &-Granula- tionen gestattet. So färben sich, um ein Beispiel anzuführen, die Krystalloide des Froscheies ebenso stark in Eosin und Methyleosin wie die &-Granulationen. Der Umstand aber, dass die ersteren in Anilinschwarz gar nicht und von Orange nur schwach gefärbt werden, genügt, um eine principielle Differenz zwischen beiden aufzustellen. Es ist wohl selbstverständlich, dass man in jedem Einzel- falle nicht die Gesammtheit der Farbkörper in Anwendung zu ziehen braucht, sondern dass es genügt, sich aus jeder Gruppe einen typischen Vertreter aus- zuwählen. Nach meinen Erfahrungen genügt die combinirte Anwendung der folgenden Flüssigkeiten, um &-Granulationen mit absoluter Sicherheit nach- zuweisen: 1) Stark rothes Eosin-Glycerin, 2) ein mit Indulin gesättigtes Glycerin, 3) eine concentrirte wässerige Lösung von Orange. Zur weiteren Controle ist noch die Anwendung einer vierten, bei der Beschreibung der #-Granulationen zu erwähnenden Lösung, nämlich eines Eosin- Indulin-Glycerin geboten, in welcher sich die &-Granulationen purpurroth färben. Zur weiteren Charakterisirung der Körnungen habe ich untersucht, ob und in welcher Weise ihr Tinetionsvermögen durch verschiedene Agentien beein- flusst werde. Ich fand, dass selbst wochenlang fortgesetzte Behandlung mit absolutem Alkohol ihrer Färbbarkeit keinen Abbruch thut und dass mithin der sie bedingende Körper in Alkohol vollkommen unlöslich sein muss. Im Gegen- satz hierzu genügt schon ein kurzer Aufenthalt der Präparate in Wasser oder ein etwas längerer in Glycerin, um die electiven Eigenschaften der Körnungen vollständig aufzuheben. Auch an den Präparaten, die noch vor dem Austrocknen mehrere Stunden in einer mit 1°/, Osmiumsäure beschickten feuchten Kammer verweilt hatten, liessen sich die &-Granulationen nicht mehr darstellen. 574 VERHANDLUNGEN Ich gehe nun zur Besprechung derjenigen Punkte über, welche die &- Granu- lationen von anderen schon bekannten Körnungen unterscheiden. Mit den in den Mastzellen enthaltenen Körnungen stimmen sie nicht überein, da weder die Mastzellen (nach Versuchen an getrockneten Froschzungen) in Eosin, noch die eosinophilen Zellen in Dahlia tingirbar sind. Ebenso wenig entsprechen die c-Granulationen feinvertheiltem Fett, wie aus folgenden Gründen hervorgeht: 1) dem Umstand, dass sie in Wasser und Glycerin löslich, 2) der nicht eintretenden Schwärzung durch Osmiumsäure, 3) der Persistenz in absoluten Alkohol und 4) den sonstigen Erfahrungen über die Tinction der Fette. Mit derselben Sicherheit lässt sich nachweisen, dass die &-Granulationen nicht aus Hämoglobin bestehen.” Gegen diese Annahme sprechen neben dem Umstande, dass ich mich von einer dem Hämoglobin entsprechenden Farbe der «-Granulationen nicht überzeugen konnte, noch folgende tinctorale Erfahrungen. An normal behandelten Präparaten, d. h. solchen, die bei Zimmertemperatur getrocknet und dann in Eosinglycerin gefärbt waren, findet man, dass die rothen Blutkörperchen kein Eosin aufgenommen, sondern im Gegentheil ihr Hämoglobin an die Farbflüssigkeit abgegeben hatten, während die &-Granulationen intensiv roth tingirt waren. Noch beweisender sind die Schlüsse, die man aus dem tinctorialen Verhalten des Hämoglobins ziehen kann. Da, wie schon erwähnt, das unveränderte Hämo- globin in den üblichen Färbungsmenstruen (Glycerin, Wasser) löslich ist und in denselben ohne weiteres hineindiffundirt, war es nothwendig, dasselbe vorher durch irgend ein coagulirendes Mittel (Erhitzen in der später anzugebenden Weise, Behandlung mit Carbolglycerin u. s. w.) zu fixiren. Es zeigte sich nun, dass das so veränderte Blutroth in seinen electiven Eigenschaften durchaus von denen der &-Körnungen abweicht, indem es sich in den schwer diffusiblen Sulfosäuren (Indulin, Nigrosin, Bengalin) nicht färbte. Ferner kann man nach- weisen, dass das Hämoglobin zu den Nitrokörpern eine viel höhere Verwandt- schaft hat als die &-Körnungen. Schon der Umstand, dass ein ınit pierin- saurem Ammon oder Naphtylamingelb gesättigtes Glycerin die Granulationen vollkommen ungefärbt lässt und die rothen Blutkörperchen intensiv tingirt, be- weist das in genügendem Maasse. Folgende hierauf basirende Versuchsanord- nung ist geeignet, die Verschiedenheit beider Körper in helles Licht zu setzen. ‚ 5°/, Carbolglycerin wird mit Eosin und picerinsaurem Ammon gesättigt und diese Lösung auf die keiner weiteren Vorbereitung bedürfenden Trockenpräparate ' angewandt. Es färben sich hierbei die rothen Blutkörperchen rein gelb, die «&-Körnungen schön roth. Aus diesen Versuchen geht hervor, dass das Eosin mit Unrecht als Reagens auf Hämoglobin aufgefasst wird und dass die nitrirten ' Farbkörper mit mehr Recht diese Benennung verdienen. 1 Es scheint, dass die von Hayem (Progres medical 1879, p. 274) beschriebenen und als Hämoglobinkügelchen aufgefassten Elemente den «- Körnungen entsprechen. Ich entnehme dies nicht sowohl dem mir nicht verständlichen Originalreferat, als den folgenden Worten der Ranvier’schen Replik: „C’est faire une hypothese gra- tuite que d’appeler hematoblastes les granulations des globules blancs qui se colorent par P’inosine“. Auch die von Pouchet (Journal de U’Anatomie 1879, p. 20) im Tritonenblute aufgefundenen und als Semmer’sche Leucocyten (leueocytes a grosses granules de substance hemoglobique) bezeichneten Gebilde dürften eosinophilen Zellen entsprechen. A Te ne m u Yan San ne DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 3Y6) Die beschriebenen Eigenschaften der &-Granulationen lassen die chemi- sche Natur des in ihnen enthaltenen Stoffes nicht erkennen; es lässt sich nur wahrscheinlich machen, dass derselbe kein Eiweisskörper sei. Gegen diese An- nahme spricht der Umstand, dass die uns hier beschäftigenden Körnungen in 8°/, Carbolsäure-Glycerin löslich sind, während die Albuminate durch dasselbe coagulirt werden. Ausserdem kann man sich durch folgenden Versuch davon überzeugen, dass auch tinctoriell die &-Granulationen principiell von den in Zellen und Kernen vorhandenen Eiweissstoffen verschieden sind. Breitet man auf. einer Kupferstange, deren eines Ende durch eine Flamme erhitzt wird, eine Reihe von Trockenpräparaten aus und unterwirft diese so einer länger andauern- den stufenweise abfallenden Erwärmung, so wird man finden, dass durch gewisse (hohe) Temperaturen die Färbbarkeit der Albuminate, auch die des Hämoglobins, vollkommen vernichtet wird, während die der &-Granulationen ungeändert bleibt. Diese überhitzten Präparate sind, beiläufig bemerkt, zum Studium des Blutes wenig geeignet; dagegen liefern minder erhitzte Objecte bei der Behandlung mit den verschiedenen Farblösungen (insbesondere Eosin-Naphtylamingelb-In- dulin-Glycerin) prachtvolle Bilder (Hämoglobin gelb, Kerne schwarz, &-Granula roth, 9-Körnung schwarz). Zur Darstellung der Granulationen verfuhr ich gewöhnlich in der Weise, dass ich die concentrirten Farblösungen mehrere Stunden auf die 'Trockenprä- parate einwirken liess, mehrere Minuten in fliessendem Wasser spülte, die von Glycerin vollkommen befreiten Präparate bei gelinder Wärme trocknete und in Canadabalsam einschloss. An Präparaten, die in solcher Weise mit Eosinglycerin behandelt wurden, findet man die Kerne schwach rosa und die &-Granulationen intensiv purpurroth tingirt. Man überzeugt sich bald, dass die eosinophilen Körnungen nur im Leibe der Zelle, nie aber im Kern nachzuweisen sind. Diese auch bei den anderen von mir gefundenen Granulationen wiederkehrende That- sache steht mit den schon früher an Pigment-, Fett- und Mastzellen gemachten Erfahrungen in guter Uebereinstimmung. Die Form der Körnungen ist sonst stets eine vollkommen kuglige, einige Male fand ich sie kurzen an den Enden abgerundeten Stäbchen gleichend. Viel- leicht dürfen wir hierin ein Analogon zu den von Naegeli beschriebenen Sphaero- und Cylindrocrystalloiden sehen. Im Gegensatz zu der gleichmässigen Form ist die Grösse der Körnungen eine ausserordentlich wechselnde; bald erscheinen sie auch bei starken Ver- grösserungen (Zeiss, Immers. J) als feine Punkte, bald bei schwächeren Syste- men (Zeiss, D) als grössere, an gröbere Fetttropfen erinnernde Gebilde. Der Habitus der sie führenden Zellen bietet morphologisch keinerlei typi- sche Eigenthümlichkeiten dar und ist es daher nicht möglich, ohne Zuhülte- nahme der Färbung eosinophile Zellen zu diagnosticiren. Die Umstände, die es unmöglich machen, auch die unter möglichst einfachen Verhältnissen, d. h. die frei im Blute vorkommenden Zellen einer einheitlichen Beschreibung unter- zuordnen, sind wesentlich folgende: 1) Beträchtliche Differenzen in Grösse und Form der Zellen. 2). Die wechselnde Zahl der meist grossen Kerne (häufig 1 und 2, selten 5 und 6) und wechselnde Lagerung derselben (häufiger excentrisch). 3) Die durch die verschiedene Grösse, Zahl und Vertheilung der Granula bedingten Unterschiede. Man constatirt, dass eine Zelle bald vollkommen ebenmässige Körnungen, bald auch solche von den verschiedensten 576 VERHANDLUNGEN Dimensionen führt. Ebenso schwankend findet man die Zahl der in den Zellen enthaltenen Körnungen, indem bald das gesammte Proto- plasma oder bestimmte Partien desselben auf’s Dichteste von ihnen durchsetzt sind, bald aber auch die Körnungen durch weite Zwischen- räume von einander getrennt und deshalb leicht zählbar sind. Ebenso prägnant sind auch die verschiedenen Lagerungsverhältnisse der Kör- nungen, die einerseits bald diffus durch den Zellleib zerstreut, bald aber in einer mehr weniger ausgedehnten Calotte der kugelig gedachten Zelle localisirt sind und andererseits bald bis dicht an den Kern her- anreichen, bald von ihm durch einen hellen Hof geschieden sind. Aus den gegebenen Daten geht hervor, dass sich die eosinophilen Zellen des Blutes in sehr verschiedenen Aspecten präsentiren können. Ich begnüge mich daher, einen im Froschblut vielfach vorkommenden und als Morulaform zu bezeichnenden Typus etwas eingehender zu schildern. Es handelt sich im All- gemeinen um rundliche Zellen, die bis auf ein schmales Kugelsegment dicht von meist grossen und gleichmässigen Körnungen erfüllt sind. In dem polaren hyalinen Protoplasma findet sich häufig ein grosser länglicher und der Kugel- innenfläche anliesender Kern. Besonders in den Fällen, in welchen die Kör- nungen recht gross und zahlreich sind und sich bei Einstellung auf die Zell- contour als regelmässige Buckelungen präsentiren, ist die Aehnlichkeit mit einer Brombeere eine geradezu überraschende. Nach meinen Erfahrungen ist übrigens die Morulaform durchaus keine specifische Eigenthümlichkeit der eosinophilen Zellen, sondern zeigt sich überall da, wo voluminöse und von groben Körnungen irgend welcher Art (Fett, Pigment u. s. w.) durchsetzte Zellen in einem nicht formbestimmenden Gewebe (Blut, Knochenmark) gelagert sind. Indem ich nun zur Schilderung der Verbreitung der eosinophilen Zellen übergehe, möchte ich bemerken, dass ich dieselben bei keinem der von mir untersuchten Thiere vermisst habe. Ich begnüge mich hier, die bei Frosch und Kaninchen gefundenen Verhältnisse etwas eingehender zu schildern. Im Froschblut lassen sich nach meinen Erfahrungen constant eosinophile Leucoeyten nachweisen. Ihr Verhältniss zu den rothen Blutkörperchen und den sonstigen Elementen ist ein wechselndes, von individuellen Verhältnissen ab- hängiges; im Ganzen grossen hatte ich den Eindruck, dass sie bei Winter- fröschen etwas zahlreicher seien als bei frisch gefangenen Thieren. Es trat nun die Frage an mich heran, ob die eosinophilen Zellen im cir- culirenden Blute durch eine progressive (bez. regressive) Metamorphose der gewöhnlichen Leucocyten gebildet, oder ob sie von bestimmten Organen geliefert würden. Schon meine ersten diesbezüglichen Untersuchungen lehrten mich im Knochenmark einen derartigen Bildungsheerd kennen. Man überzeugt sich leicht, dass das gesammte Knochenmarksystem des Frosches zahlreiche, dicht von &-Kör- nungen durchsetzte Zellen enthält. Diese Zellen sind bald klein und rundlich, bald grösser und mehr plattenförmig. Der Kern, welcher in den runden Ele- menten häufig durch darüber liegende Granula verdeckt ist, liegt meist central. Die Milz enthält im Gegensatz hierzu nur eine geringe Anzahl solcher Elemente. Dieselben sind voluminös, führen ein, zwei und mehr grosse, nicht selten excentrisch gelegene Kerne und eine relativ geringe Körnermenge. Es erscheint bemerkenswerth, dass beim Frosch diese Elemente nicht an bestimmte Organe gebunden, sondern dass sie im gesammten interstitiellen Ge- 3 E DER BERLINER PIYSIOLOGISCHEN GESELLSCHATT. Dar webe nachzuweisen sind und nur in Sehne und Cornea vollkommen fehlen. Allerdings findet man sie in den meisten Organen (Zunge, Lunge, Blase, Herz, Museulatur) nur in einer sehr spärlichen Vertheilung; nur an einem Ort, näm- lich im Mesenterium, fand ich sie in grossen Massen angehäuft. Ihre Lagerung war hier eine wechselnde, indem sie bald an den Venen localisirt, bald durch das Gewebe zerstreut waren. Die hier vorkommenden Elemente glichen durch- aus nicht den in den Blutgefässen vorkommenden Leucocyten, sondern ent- sprachen vollständig dem Typus der Bindegewebszellen, den ich vor Jahren (Archiv f. mikrosk. Anatomie, Bd. XIII) anlässlich der Mastzellen geschildert habe. Bei Anwesenheit von vielen Granulationen erscheinen die Zellen als voll- kommen platte Elemente von wechselnder Gestalt, die durch die dichte rothe Körnung und den centralen hellen Kernfleck leicht zu erkennen sind. Im Gegen- satz hierzu ist es in den Fällen, in welchen die Körnungen spärlich sind, oft sanz unmöglich sich eine Vorstellung von der Grösse und Begrenzung der Zelle und der Situation des Kernes zu bilden. Uebergänge zwischen beiden Formen sind häufig anzutreffen, insbesondere in der Art, dass in der Nachbarschaft einer gut contourirten Zelle einzelne Körnungen oder Körnchenhaufen vorhanden sind. Ganz dieselben Verhältnisse finden sich, wie ich nochmals hervorheben will, auch an den in den serösen Häuten vorkommenden Mastzellen; die einzige mor- phologische Differenz ist dadurch gegeben, dass die eosinophilen Zellen häufig eine exquisite Gleichmässigkeit der Körnung aufweisen. Beim Kaninchen finden sich ganz entsprechende Verhältnisse, indem auch hier das Blut constant eosinophile Zellen führt, wenn auch in geringer Menge. Dagegen bietet hier das Knochenmark eine geradezu überraschende Fülle von eosinophilen Zellen der verschiedensten Grösse. Die in ihnen enthaltenen Gra- nula sind sehr zahlreich, klein, gleichmässig und intensiv tingibel; die Kerne sind einerseits bald gross und bläschenförmig, bald klein und verschiedengestaltet, andererseits bald einfach bald mehrfach. In den Riesenzellen waren &-Granu- lationen nie nachweisbar. In der Milz waren die eosinophilen Zellen constant, wenn auch in einer nur geringen Menge vorhanden, in den Mesenterialdrüsen fehlten sie fast vollkommen. Als ich gelegentlich anderer Untersuchungen ein mehrere Wochen altes Trockenpräparat (Rippenmark Kaninchen) mit Eosin-Indulin-Glycerin behandelte, konnte ich in dem Präparat, das eine schöne blauschwarze Kernfärbung auf- wies, in den eosinophilen Zellen neben zahlreichen rothen Granulationen noch vereinzelte intensiv schwarz tingirte Körnungen nachweisen. Das weitere Stu- dium dieser in dem genannten Farbengemisch sich schwärzenden Körnungen, die ich in Folgendem als $-Granulationen bezeichne, wurde dadurch sehr erschwert, dass dieselbe in ihren Reactionen (insbesondere in ihrem Ver- halten gegen Wasser, Glycerin etc.) fast vollständig mit den &-Granulationen übereinstimmten. Der einzige charakterisirende Unterschied, der zwischen beiden aufgefunden werden konnte, bestand eben darin, dass die einen zum Eosin eine grössere Affinität hatten, als zum Indulin und die andern gerade das umgekehrte Electionsvermögen zeigten. Allerdings konnte ich mir in Rück- sicht auf die sonstige Uebereinstimmung der Körnungen nicht verhehlen, dass eine solche relative, nur durch gleichzeitige Combinationsfärbung aufzufindende Differenz des Tinetionsvermögens nicht genüge, um zwischen beiden eine prin- eipielle Scheidung eintreten zu lassen. Es lag näher, beide Körnungen als Modificationen einer Substanz aufzufassen und sie in einen genetischen Zu- Archiv f. A. u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 37 578 VERHANDLUNGEN sammenhang zu bringen. Es gelang mir in der That durch folgende Versuchs- anordnung letztere Vermuthung wahrscheinlich zu machen. Frisch hergestellte Blutpräparate wurden, sobald sie trocken geworden, durch mehrere Stunden einer stufenweis abfallenden Erhitzung ausgesetzt. Zur Färbung wurde ein dickes Glycerin verwandt, welches durch stundenlanges Schütteln mit Indulin und Eosin gesättigt war. Es zeigte sich nun, dass in den, hohen Temperaturen ausgesetzten, Präparaten die Zellen intensiv und rein roth gefärbte Körnungen führten; während in den minder erhitzten die Gra- nula dunkelschwarz waren. Aus dieser Beobachtung geht hervor, dass die &- Granulationen je nach dem Wassergehalt ein verschiedenes Färbevermögen haben, indem für die wasserreichere Modification das Indulin, für die wasser- ärmere das Eosin der Prädilectionsfarbstoff ist. Diese Erfahrung genügt, um einiges Licht auf die #-Granulation zu werfen. Wenn in einem Präparat, das lange Zeit in trockener Atmosphäre verweilt hat, die Körnungen sich zum Theil eosinophil, zum Theil indulinophil erweisen, so können diese Differenzen nicht durch die Behandlungsweise erzeugt sein, sondern müssen durch präexistirende Unterschiede (z. B. im Wassergehalt) be- dinst sein. Leider gestattet der Raum nicht, auf die vorhandenen Möglich- keiten des Näheren einzugehen, ich begnüge mich daher, die mich am meisten befriedigende dahin zu definiren, dass die #-Granulationen schon im lebenden Körper mehr Wasser enthalten, als die &-Granulationen und dasselbe auch beim Eintrocknen mit grösserer Energie zurückhalten. Eine Consequenz dieser Betrachtung ist die Annahme, dass die &-Granulationen dichter sind, als die P-Granulationen, d. h. dass in den ersteren die Molekülgruppen (Micellen Nae - geli, Syntagmen Pfeffer) grösser und di® intermicellaren Räume kleiner seien, als bei den letzteren. Diese Anschauungsweise erklärt ungezwungen die bei der Färbung mit Indulin-Eosin-Glycerin constatirten Verhältnisse. In die schmalen, diosmomotisch maassgebenden Capillarräume der &-Granulationen dringen die Moleküle des leicht diffundirenden Eosin viel schneller ein, als die des schwer diffundirenden Nigrosin und sind so die Micellen der Granulationen schon mit Bosin gesättigt, noch ehe überhaupt der zweite Farbkörper an sie herantreten konnte. Im Gegensatz hierzu kann durch die breiteren intermicellaren Räume der #-Granulation auch das Molecül des Nigrosin mit Leichtigkeit eintreten und so zur tinctoriellen Geltung kommen. Ich bin auf diese scheinbar transcendentalen Verhältnisse besonders darum eingegangen, weil sie uns einen gewissen Aufschluss über den Zusammenhang der &-und A- Granulationen geben. In der That wird für jeden, der weiss, dass bei der Reifung des Stärkekorns die Amylummicellen sich auf Kosten der intermicellaren Räume (resp. des Wassers) vergrössern, es nicht zweifelhaft sein, dass die weniger dichten, wasserreicheren 5-Granulationen einer unferdigen, die o-Granulationen aber einer zur vollkommenen Entwickelung gelangten, organischen Körnung entsprechen. In der That steht die Annahme, dass die A-Granula- tionen eine Vorstufe der &-Granulationen seien, mit den histologisch zu beo- bachtenden Thatsachen in bester Uebereinstimmung; insbesondere erklärt sich hierdurch ungezwungen das gleichzeitige Vorkommen beider Körnungen in der- selben Zelle. Für die hier vertretenen Anschauungen sprechen auch die Beobachtungen, die ich an einem Falle von Leukämie machen konnte. Es fanden sich in diesem DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 579 Blute neben vereinzelten kernhaltigen rothen Blutkörperchen in reicher Fülle folgende uns hier interessirenden Formen. 1) Elemente verschiedenster Grösse die nur &-Granulationen führten. 2) Zellen mit zahlreichen &- und spärlichen 5-Granulationen. 3) Andere die aufs dichteste von feinsten &- und /-Körnungen durch- setzt waren und deren Protoplasma daher violett erschien. 4) Grosse Zellen, die einen voluminösen, plumpen Kern hatten und 5-Gra- nulationen der verschiedensten Dimensionen führten. Die Deutung dieser Verhältnisse kann einem Zweifel wohl kaum unter- liegen. Aus der geradezu überraschenden Anzahl der geschilderten Elemente lässt sich ohne weiteres folgern, dass in diesem Falle üppige Wucherungsvor- gänge in den die eosinophilen Zellen bereitenden Organen, d. h. insbesondere im Knochenmark Platz gegriffen haben müssten. Dass bei der raschen Ueber- production nur ein Theil der Zellen zur vollkommenen Entwickelung gelangt, andere aber (wie die sub 3 und 4 erwähnten) in noch unfertigem Zustande in die Blutbahn gelangen, dürfte nicht Wunder nehmen. Es liest nahe diese un- reifen indulinophilen Zellen mit den kernhaltigen rothen Blutkörperchen in Parallele zu bringen. An die Darlegung des thatsächlichen Materials möchte ich noch die fol- senden Schlüsse anknüpfen. 1) Die &- und 5-Granulationen sind in den sie führenden Zellen ent- standen und als die Producte einer eigenartigen secretorischen Thätigkeit der Zellen anzusehen. 2( Die eosinophilen Zellen des Froschblutes entstammen nicht insgesammt dem hämatopoätischen System, sondern leiten sich zum Theil von einer pro- gressiven Metamorphose der fixen platten Bindegewebszellen ab. Hr. ScHöLER sprach in der Sitzung vom 30. Mai d. J.: „Ueber Flüssigkeitsausscheidung aus dem Auge. Experimentelle Studien auf Grundlage von Anbrennungsversuchen mit manometrischen Messungen“. 1) Verbrennt man mit einer glühenden Stricknadel bei punktueller oder flächenhafter Berührung der Augapfeloberfläche den Limbus und seine Nachbar- schaft, so entwickeln sich, je nach der Intensität der Verbrennung mehr oder minder ausgeprägt, die Symptome des Glaucoms. Bedeutende Drucksteigerung bis zur Steinhärte — Blässe der Papille — Unterbrechung im Blutstrom der Retinalvenen bis zum völligen Unsichtbarwerden aller Retinalgefässe — tiefe Excavation der Papille — rauchige Trübung der Linse und der Hornhaut, wie Anästhesie der letzteren treten auf. Die gleichen Erscheinungen werden auch bei partieller Verbrennung des Limbus und seiner Nachbarschaft beobachtet. Auch nach Umschnürung oder Verbrennung des Sehnerven, wie der ihn umge- benden Ciliarnerven und Gefässe und auch am enucleirten Auge kommt es zu einer Drucksteigerung und rauchigen Trübung der Hornhaut nach Verbrennung des Limbus und seiner Nachbarschaft. Nach Punktion der Cornea wie der Sclera bis auf den Glaskörper bleiben dieselben trotz Verbrennung desselben aus. Die Dauer der Drucksteigerung schwankt zwischen 10 Minuten bis zu 2 Stunden, je nach der Intensität der Verbrennung. 2) Cireuläre Verbrennung der Hornhaut wie der Sclera (die Breite des Sa 580 VERHANDLUNGEN Brandschorfes betrug meist 2—3"”) ruft die gleichen Erscheinungen und Ver- änderungen in abgeschwächter Intensität hervor. Die constringirenden Eigenschaften der Brandnarbe genügen demnach, um obigen Symptomencomplex zu erzeugen. 3) Manometrische Messungen im Glaskörper wie in der vorderen Kammer oder in beiden zugleich mit einer der von Prof. Leber angegebenen (s. Archiv ‚für Ophthalmologie, Bd. XIX, Abthlg. 2) analogen Vorrichtung ergaben bei vergleichender Beobachtung nach Verbrennung der Sclera, bez. der Hornhaut wie des Limbus, dass ausser der rein mechanischen Einwirkung in Folge der Verbrennung dem Verschlusse des Limbus ein den Flüssickeitswechsel aus dem Auge verlangsamender Effect, wie ihn schon Leber demselben vindieirt, in her- vorragendster Weise zukommt. 4) Sowohl am lebenden wie am todten Kaninchenauge ergiebt sich aus einer sehr grossen Zahl von Versuchen als völlig gleiche Verhältnisszahl (trotz- dem der Abfall beim todten Auge rascher erfolgt) für die austretende Flüssigkeits- menge bei verschlossenem Limbus zum offenen 1.6 der gleichen Zeiteinheit. Demnach beträgt die durch den Verschluss des Limbus erzielte Verlangsamung circa 1/,—!/, der ganzen austretenden Flüssigkeitsmenge. 5) Beim. todten menschlichen Auge und ebenso beim lebenden (wenn wir die Erfahrung am Thierauge hier verwerthen dürfen) beziffert sich die durch den Verschluss des Limbus erzielte Verlangsamung in der Flüssigkeitsausschei- dung aus dem Limbus auf circa ?/, der ganzen austretenden Masse. (Einzelne der Versuche waren zwei Stunden nach dem Tode des Individuums angestellt.) 6) Die Unterbindung der Venae vorticosae steigert den intraoculären Druck so gut wie gar nicht. Im Mittel wurde nur ein Ansteisen um 3”” und auch dieses nur vorübergehend beobachtet. (Nach Prof. Adamük beträgt die Druck- steigerung eirca SO”” Hg.) Durch die Verbrennung der Ven. vort. an ihren Austrittsstellen kommt zwar eine Drucksteigerung von circa 19"”® Hg. im Mittel zu Stande, jedoch ist davon noch der mechanische Effect der Verbren- nung in Abzug zu bringen. 7) Werden künstliche Drucksteigerungen beim lebenden Kaninchen und bei offenem Abfluss durch die Ven. vort. und sonst geschlossenen Abführwegen oder bei offenen Abführwegen und geschlossenen Venae vorticosae im Bulbus erzeugt, so ergiebt die manometrische Messung nur eine Verlangsamung um eirca 1/,—!/, von der gesammten Ausflussmenge in der gleichen Zeiteinheit. 8) Beim todten Kaninchen- wie menschlichem Auge ist bei obigen Ver- suchen (s. Nr. 7) das Resultat ein negatives. 9) Durch Verschluss des Sehnerven und seiner Scheiden durch Verbren- nung, wie Unterbindung am thierischen wie menschlichen Auge ist keine Ver- änderung in der Ausscheidungsgeschwindigkeit von Flüssigkeit aus dem Auge zu erzielen. Hintere um den Sehnerv gelegene Lymphräume, von deren Ver- schluss die Entstehung eines Glaucoma posticum abzuleiten wäre (s. v. Wecker, Stilling u. A.) existiren functionell demnach nicht. 10) Die Druckhöhe, welche erforderlich ist, um den Ausfluss aus den Venae vorticosae zu hemmen, beträgt. beim Kaninchenauge circa 215 "" Hg. im Mittel, während die Retinalgefässe schon durch einen circa halb so starken Druck zum Verschluss gebracht werden. DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN (HESELLSCHAFT. 581 11) Vergleichende Drucksteigerungen im Glaskörper und in der vorderen Kammer zeigen, dass in beiden der Druck ein gleicher ist. 12) Eine tropfförmige Durchfeuchtung der Cornea ist niemals beobachtet worden, sondern selbst bei der stärksten Drucksteigerung ist dieselbe auf ihrer Oberfläche stets trocken geblieben (Leber). Die nähere Begründung dieser auf Grundlage zahlreicher Experimente ge- wonnenen Anschauungen, wie eine eingehendere Beschreibung der dabei ver- wandten Versuchsmethoden, behalte ich mir bis auf das Erscheinen der Arbeit selbst im Archiv für Ophthalmologie vor. XVII. Sitzung am 4. Juli 1879. 1. Hr. HERMANN Munk trägt vor: „Weiteres zur Physiologie der Seh- sphäre der Grosshirnrinde“.! Der Fortschritt in der Kenntniss der Grosshirnrinde, über welchen ich Ihnen heute.zu berichten vorhabe, betrifft die Sehsphäre und insbesondere die Sehsphäre des Hundes. Wie Sie sich von meiner ersten Mittheilung vom März 1877 her erinnern, ist der Ausgangspunkt meiner Untersuchungen die Erfahrung gewesen, dass nach beiderseitiger Exstirpation einer nahe der hinteren oberen Spitze des Hinterhauptslappens gelegenen Rindenstelle A, — selbstverständlich hier und in der Folge immer, wenn nach einigen Tagen die entzündliche Reaction und damit die Functionsstörung in der Umgebung der Exstirpationsstellen vorüber — der Hund seelenblind ist, d. h, wohl noch Gesichtswahrnehmungen hat und Alles sieht, aber die Gesichtsvorstellungen, welche er besass, seine Erinnerungs- bilder der früheren Gesichtswahrnehmungen, verloren hat, so dass er Nichts kennt oder erkennt, was er sieht. Es ergab sich weiter, dass diese Seelen- blindheit mit der Zeit sich verliert, und zwar dadurch, dass der Hund mittels seiner neuen Gesichtswahrnehmungen von Neuem Gesichtsvorstellungen gewinnt; da es ganz in die Hand des Experimentators gelegt ist, ob der Hund gewisse Gesichtsvorstellungen überhaupt wiedergewinnt, und ob dieselben früher oder später sich wieder einstellen, unterliegt es keinem Zweifel, dass der Hund wirk- lich von Neuem sehen lernt, d. h. das Gesehene kennen lernt. Ich schloss damals aus diesen Erfahrungen, dass an der Grosshirnrinde „ein der Gesichts- 1 Die vier früheren Mittheilungen, an welche sich die vorliegende anschliesst, finden sich an folgenden Orten: I. Diese Verhandlungen, 1876—77T, Nr. 16; 17. — Deutsche med. Wochenschr., 1877, Nr. 13; 15. — Dies Archiv, 1878, S. 599. II. (Diese Verhandlungen, 1S16—7T, Nr. 24.) — Berl. klin. Wochenschr., 1877, INw235! III. Diese Verhandlungen, 1877—78, Nr. 9 u. 10. — Dies Archiv, 1878, S. 162. IV. Diese Verhandlungen, 1818—79, Nr. 4u.5. — Dies Archiv, 1875, 8. 547. Auf die Abbildungen, welche der dritten und der vierten Mittheilung beige- geben sind, ist mit den Bezeichnungen A und A, hier Bezug genommen. 582 VERHANDLUNGEN wahrnehmung dienender Abschnitt, eine Sehsphäre, von grösserer Ausdehnung als die Stelle A, existire, dass in dieser Sehsphäre die Erinnerungsbilder der Gesichts- wahrnehmungen in der Reihenfolge etwa, wie die Wahrnehmungen dem Bewusstsein zuströmen, gewissermaassen von einem centralen Punkte aus in immer grösserem Umkreise deponirt werden, und dass nach Exstirpation der zur Zeit alle oder die meisten Erinnerungsbilder beherbergenden Stelle A, der Rest der Sehsphäre in der Umgebung von A, mit neuen Erinnerungsbildern besetzt werde“. Indess ver- mochte ich diesen Schluss zunächst gar nicht weiter zu stützen, und auch noch in meiner zweiten Mittheilung vom Juli 1877 konnte ich nur entzündliche Er- scheinungen, welche unter Umständen an seelenblind gemachten und restituirten Hunden auftreten, dafür geltend machen. Aber in meiner dritten Mittheilung vom März 1878 war ich im Stande, Ihnen gewisse Sehstörungen als regel- mässige Folgen der in der Umgebung von A, ausgeführten Exstirpationen vor- zuführen, Sehstörungen, welche keine andere Deutung zuliessen, als dass mit jeder solchen Exstirpation gewissermaassen ein zweiter blinder Fleck an der Retina des Hundes gesetzt war, jedesmal die Gesichtswahrnehmung für eine circumscripte Stelle der Retina erloschen, der Hund für diese Stelle, wie ich es nannte, rindenblind war. So liess sich die Ausdehnung der Sehsphäre (A) über den ganzen Hinterhauptslappen, die der Falx zugekehrte Seite des Gyrus medialis eingeschlossen, nachweisen. Auch war es mir zweimal gelungen, Hunde, welchen ohngefähr in dieser Ausdehnung die Rinde einer Hemisphäre exstirpirt war, längere Zeit am Leben zu erhalten: beide Hunde waren anfangs auf dem gegen- seitigen Auge nicht blos seelenblind, sondern ganz rindenblind, und die Resti- tution innerhalb vier Wochen ging nur so weit, dass die Thiere beim lang- samen Gehen die Hindernisse vermieden, während die Wiederkehr von Erinner- ungsbildern sich nicht constatiren liess. In derselben dritten Mittheilung konnte ich auch für den Affen die Rinde des hier scharf abgegrenzten Hinterhauptslappens als die Sehsphäre nachweisen. Beiderseitige gleiche partielle Exstirpationen hatten regelmässig Störungen der Gesichtswahrnehmung, manchmal auch den Verlust einzelner Gesichtsvorstellungen zur Folge. Einseitige totale Exstirpation der Rinde an der convexen Fläche machte den Affen für die Dauer hemiopisch, rindenblind für die der Verletzung gleichseitigen Hälften beider Retinae. Endlich durch beiderseitige ebensolche Exstirpation wurde der Affe ganz rindenblind, und selbst in Monaten besserte sich sein Sehen nicht weiter, als dass er beim langsamen Gehen nicht mehr anstiess. Bin ich auch in meiner vierten Mittheilüng vom November v. J. auf die Sehsphäre nicht zurückgekommen, so habe ich dieselbe doch keinen Augenblick aus den Augen verloren. Ihre weitere Verfolgung, mochte sie auch zur Zeit nicht gerade die dringendste Aufgabe in Betreff der Grosshirnrinde sein, bot doch den besonderen Vortheil, dass sie in mehrfacher Hinsicht gewissermaassen die Probe auf das Exempel zu machen gestattete, dass sie die Richtigkeit des Vorgehens, welches zu den eben flüchtig skizzirten Ergebnissen geführt hatte, und die Richtigkeit dieser Ergebnisse selbst prüfen liess durch die Lösung der sich unmittelbar anschliessenden Aufgaben, wie ich sie in meiner dritten Mit- theilung bereits angedeutet hatte. Um das Nächstliegende zuerst zu nehmen, so war mit der beiderseitigen Hemiopie des Affen als Folge der Exstirpation der Rinde eines Hinterhaupts- lappens die Verbindung jeder Hemisphäre mit beiden Retinae zum ersten Male durch den Versuch erwiesen und die physiologische Bedeutung der partiellen DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 583 Sehnervenkreuzung im Chiasma der höheren Säugethiere, wie sie auf Grund anatomischer und klinischer Erfahrungen längst vielfach behauptet war, nun- mehr durch den Versuch aufgehellt. Aber im Widerspruche damit stand, dass ich beim Hunde jeder Sehsphäre die ganze Retina der entgegengesetzten Seite zu- gehörig gefunden hatte, da doch Hrn. v. @udden’s Untersuchungen auch für den Hund eine unvollständige Kreuzung der Sehnerven, nur mit beträchtlicherer Grösse der gekreuzten Bündel ergeben hatten. Dieser Widerspruch, welcher mich schon zur Zeit meiner dritten Mittheilung so beschäftigte, dass ich, trotz der gedrängten Kürze dieser Mittheilung, dem Vergleiche der Sehphären des Affen und des Hundes die Bemerkung hinzuzufügen nicht unterliess: „ich habe wenigstens trotz aller Mühe von einer der Verletzung gleichseitigen Sehstörung nie beim Hunde mich überzeugen können“, — dieser Widerspruch war also zu beseitigen. Zweitens hatte ich in den Ergebnissen der Exstirpationsversuche, welche die um A, gelegenen Stellen betrafen, den Nachweis des anatomischen Substrates für die Localzeichen der Gesichtsempfindungen gesehen. Denn wenn, sagte ich, „mit der Exstirpation einer zusammenhängenden Rindenpartie immer die Wahr- nehmung für eine zusammenhängende Partie der lichtempfindlichen Netzhaut- elemente ausfällt, so kann es nicht anders sein, als dass die centralen Ele- mente der Sehsphäre, in welchen die Opticusfasern enden und die Gesichts- wahrnehmung statthat, regelmässig und continuirlich angeordnet sind wie die lichtempfindlichen Netzhautelemente, von welchen die Opticusfasern entspringen, derart dass benachbarten Netzhautelementen immer benachbarte wahrnehmende Rindenelemente entsprechen.“ Demnach galt es nunmehr, die relative Lage der lichtempfindlichen Netzhautschicht einerseits, der wahrnehmenden Rindenschicht andererseits genauer festzustellen. Was die erste Aufgabe betrifft, so sind mittlerweile einschlägige Versuche schon von anderen Seiten beigebracht worden. Hr. Nicati hat an jungen Katzen — zwischen Katze und Hund kann hinsichts der fraglichen Verhältnisse kein wesentlicher Unterschied bestehen — die mediane Halbirung des Chiasma ausgeführt und danach constatirt, dass die Thiere sahen. Wie sie sahen, ist nicht ermittelt oder wenigstens nicht angegeben. Andere Versuche haben die Hrn. Luciani und Tamburini mitgetheilt. Dieselben nehmen, in Folge nicht genügend sorgsamer Untersuchung, das Seh- centrum des Hundes in der zweiten äusseren Windung (d. i. im Gyrus super- sylvius R. Owen) gelegen an, und zwar in einer langen Rindenzone, welche sich von der Frontalregion bis zur Ocecipitalregion erstreckt. Einseitige Zer- störung dieser Zone oder auch nur ihres parietalen Theiles (welcher in meine „Fühlsphäre des Auges“ und meine „Sehsphäre“ fällt) sahen sie fast vollkom- mene Amaurose des gegenseitigen Auges und leichte Amblyopie des gleich- seitigen Auges mit sich bringen, von welchen die letztere rasch verschwand, die erstere nur langsam sich besserte. Führten sie die gleiche Operation auch auf der zweiten Seite aus, so fanden sie, auch wenn die Sehstörungen in Folge der ersten Operation sich bereits ausgeglichen hatten, fast vollkommene beider- seitige Blindheit; und diese Blindheit besserte sich nur sehr langsam, so dass noch nach Wochen Sehstörungen bestanden. Endlich hat hierhergehörige Versuche ganz neuerdings Hr. Goltz ver- öffentlicht. Hr. Goltz eifert gegen die Angabe der vorgenannten Herren, dass er gleich mir eine vollständige Kreuzung der Sehnerven beim Hunde angenom- 584 VERHANDLUNGEN men haben sollte — ich muss bemerken, dass bis heute von der Kreuzung der Sehnerven bei mir überhaupt gar nicht die Rede gewesen ist —, und er betont, dass er schon 1876 seine „Ueberzeugung‘“ dahin ausgesprochen hat, dass bei Hunden jede Grosshirnhälfte mit beiden Augen in Verbindung steht. Jetzt nun bringt Hr. Goltz zwei Versuche zum Beweise bei. Einem Hunde wurden 558 Rindensubstanz des-linken Hinterhauptslappens herausgespült und das linke Auge ausgeschält. Nach 5 Monaten waren die Sehstörungen wesentlich zurück- gebildet. Nun wurden 4!/,®”® des rechten Hinterhauptslappens fortgenommen. Danach war es über 14 Tage hinaus überhaupt zweifelhaft, ob der Hund sah, und erst nach 3 Wochen folgte er der Bewegung der Hand mit dem Auge und dem Kopfe. Ein analoger Versuch an einem zweiten Hunde lieferte ähnliche Ergebnisse. Sie beachten vielleicht beiläufig, dass Hr. Goltz diese Versuche, bei wel- chen die Exstirpationen immer am Hinterhauptslappen vorgenommen sind, dort berichtet, wo er gerade die Existenz insbesondere der Sehsphäre bekämpft und die ganze Grosshirnrinde zu dem Sehen in Beziehung setzt. Doch thut das hier Nichts weiter zur Sache. Dass jede Hemisphäre des Hundes mit beiden Augen in Verbindung steht, dafür kann die. linksseitige Amblyopie, welche die Hrn. Luciani und Tamburini als die Folge ihrer linksseitigen Exstirpation angeben, als Nachweis nicht gelten; denn diese Amblyopie that sich ihnen nur darin kund, dass die Hunde in der ersten Zeit nach der Operation, mochten beide Augen offen oder das rechte Auge verschlossen sein, langsam und vor- sichtig gingen, und das sieht man bei jedem normalen Hunde, welchen man auf ein Auge beschränkt, so lange er sich an diese Beschränkung noch nicht ge- wöhnt hat. Dagegen ist durch die Versuche von Hrn. Nicati, wie durch die- jenigen Versuche einerseits der Hrn. Luciani und Tamburini, andererseits des Hrn. Goltz, bei welchen der linksseitigen Exstirpation später die rechts- seitige folgte und nunmehr neue Sehstörungen am rechten Auge bemerklich waren, jener Nachweis wohl geführt. z Ich bin inzwischen in anderer Weise vorgegangen. Mir kam es darauf an, wenn eine Beziehung jeder Sehsphäre zu beiden Retinae auch beim Hunde bestand, diese Beziehung sogleich genauer zu bestimmen. Dazu bot die totale Exstirpation einer Sehsphäre das Mittel dar, eine Operation allerdings, deren Misslichkeit ich Ihnen schon wiederholt zu erwähnen Gelegenheit gehabt habe. Nicht nur ist die Exstirpation an sich schwierig, weil sie die der Falx zugekehrte Rinde des Gyrus medialis und das ganze hintere Ende der Hemisphäre mit umfassen muss, sondern es gehen auch, wie bei der grossen Ausdehnung der Verletzung und der Nachbarschaft der Sinus nicht zu verwundern, in Folge von Blutung, Entzündung, Eiterung, Durchbruch in den Ventrikel u. s. w. die operirten Thiere sehr häufig in früher Zeit zu Grunde. Trotz alledem bin ich durch Ausdauer und Uebung der Operation gut Herr geworden, und ich habe nach wohl aus- geführter Exstirpation, bei welcher ich sogar die Rinde auf eine 'grössere Tiefe als sonst, in der Dicke von 3” und darüber, abgeschnitten hatte, 7 Hunde weit über die Zeit der Verheilung hinaus, bis 13 Wochen am Leben erhalten. Die Ergebnisse aller Versuche stimmten überein und waren, immer unter der Voraussetzung der linksseitigen Exstirpation, im Wesentlichen folgende. Wenn nach 3—5 Tagen das Fieber vorüber, fällt an dem sich freiwillig gut bewegenden Hunde blos auf, dass er, vor sich hingehend, häufig sich im Bogen linksum dreht; auf besondere Veranlassung dreht er sich auch gut rechtsum, DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 585 nur stösst er bei solcher Drehung hin und wieder mit der rechten Seite des Kopfes an einen Gegenstand an. Der Hund sieht und erkennt Alles, und, was bei meinen Versuchen immer schon von selber sich versteht, Hören, Biechen, Schmecken, Empfinden, endlich alle Bewegungen sind normal. Hat man dem Hunde das rechte Auge verbunden, so ist Alles ebenso, und von einer Am- blyopie ist Nichts zu bemerken. Hat man ihm dagegen das linke Auge ver- bunden, so bewegt sich der Hund nicht freiwillig, und wenn er durch Hunger und Durst oder durch Lockung zum Gehen veranlasst ist, so geht er lang- sam mit vorgestrecktem Kopfe, dreht sich sehr häufig im Bogen linksum und stösst auch häufig an Gegenstände mit der rechten Seite des Kopfes an; dabei kennt oder erkennt er Nichts, nicht die Fleischschüssel, nicht den Eimer, nicht den Menschen u.s.f. So erscheint der Hund, so lange man nicht auf beson- dere Prüfungen verfällt, wie ich es früher von zwei ähnlichen Versuchen angab, linkerseits normalsichtig, rechterseits vollkommen blind; und in den nächsten Wochen ändert sich das Verhalten nur so weit, dass der Hund bei verbun- denem linken Auge mit der Zeit immer besser und schliesslich sogar beim lang- samen Gehen recht gut die Hindernisse vermeidet, auch einzelne Objeete, z. B. die geschwungene Peitsche, wohl erkennt. Indess verfeinert man die Prüfungen, so zeigt sich sogleich bei der ersten Untersuchung, dass der Hund mit ver- bundenem linken Auge vor seinem rechten Auge und zu seiner rechten Seite allerdings gar Nichts sieht, dass er aber aufmerkt, sobald man vor seine Nase oder vor sein linkes Auge die Finger, ein brennendes Streichholz, den Peitschen- stock und dergleichen bringt, und auch ein wenig das rechte Auge dreht, wenn man die vorgehaltenen Objecte bewegt. Der Hund sieht also mit der äussersten lateralen Partie der rechten Retina. Doch erkennt er das Gesehene nicht; denn nicht blos lassen das Streichholz und der Stock ihn im Uebrigen unbe- wegt, er greift auch nicht zu, so hungrig und durstig er ist, wenn man Fleisch oder ein Wassergefäss ebendort vorhält. Führt man dann ein Fleischstück und die Wasserschale, nachdem man sie vor dem linken Auge gehalten hat, an den Mund des Hundes und lässt ihn fressen und saufen, so schnappt der Hund fortan zu, wenn man wiederum die Hand, ob mit oder ohne Fleisch, dort vor- hält, und dreht sich und schickt sich zum Saufen an, wenn man wieder die Schale oder ein ähnliches Gefäss, ob mit oder ohne Wasser, vor das linke Auge bringt. Das Streichholz und der Stock lassen den Hund auch ferner noch ganz kalt; aber brennt man ihn einmal mit dem ersteren an der Nase, oder schlägt man ihn mit dem letzteren, so zuckt später der Kopf zurück, wenn wieder ein Streichholz, bez. der Stock vor das linke Auge gebracht wird, Wirft man, während man, in der Fütterung des Hundes begriffen, gerade vor diesem steht, ein Fleischstück, das man vor dem linken Auge des Hundes gehalten, vor eben diesem Auge vorbei, so folgt der Hund ausnahmslos, indem er sich rasch dreht, dem Fleischstücke und nimmt es gut auf, höchstens dass er es einen Moment zu suchen hat. Wirft man dagegen das Fleischstück von der- selben Anfangsstellung aus vor dem rechten Auge vorbei, so schaut der Hund verdutzt darein, ohne sich zu rühren, oder sucht vor sich auf dem Boden nach. Alles dies ändert sich dann durch Wochen und durch Monate gar nicht weiter, als dass der Hund mit Hülfe des rechten Auges allein immer freier sich be- wegen und desto mehr Objecte kennen lernt, je öfter und je länger man sein linkes Auge verbunden hält und sich mit ihm beschäftigt. Damit wäre dargethan, dass die äusserste laterale Partie der Retina nicht 586 VERHANDLUNGEN der gegenseitigen Sehsphäre zugehört, bliebe nicht das Bedenken, dass doch möglicherweise die volle Exstirpation dieser Sehsphäre nicht gelungen wäre, Das Bedenken zu beseitigen, kann man die Exstirpation noch grösser, besonders nach vorn und nach aussen und unten ausgedehnter vornehmen, in welchem Falle man dasselbe Resultat erhält; oder man kann später noch eine einfache kleine Exstirpation hinzufügen, die der lateralen Partie der rechtsseitigen Seh- sphäre, eine Operation, deren Bedeutung für die vorliegende Frage die Folge ergeben wird. Indess ist überhaupt gar kein neuer Versuch nöthig; denn die Widerlegung des Bedenkens übernimmt unser in Rede stehender Versuch selber, wenn wir nur auch noch das linke Auge so genau wie das rechte untersuchen. Da finden wir, dass, so viel von der rechten Retina der linken Sehsphäre nicht zugehört, gerade so viel von der linken Retina eben dieser Sehsphäre zugeordnet ist. So normalsichtig unser Hund auf dem linken Auge anscheinend ist, er sieht, wenn ihm das rechte Auge verbunden: ist, keinen Gegenstand, den man vor seiner Nase oder seinem rechten Auge hält oder dort bewest, und er merkt erst auf, wenn der Gegenstand vor das linke Auge gekommen ist. Und wechselt man mit dem Verbinden des rechten und des linken Auges ab, so ist es über- raschend zu sehen, wie genau der Defect des Gesichtsfeldes des linken Auges in Lage und Ausdehnung dem Reste des Gesichtsfeldes des rechten Auges ent- spricht. Auch giebt sich der linksseitige Defect schon im Groben darin kund, dass unser Hund mit verbundenem rechten Auge, wenn man Fleischstücke wirft, die man vor seinem linken Auge gehalten, diesen nur folgt, wenn sie an dem linken, nicht aber, wenn sie an dem rechten Auge vorbeigegangen sind. Durch Wochen und durch Monate erhält sich dann der Defect des linken Auges ganz unverändert: während der Hund mit der äussersten Partie seiner rechten Retina allmählich wieder die Objecte kennen lernt, bleibt er unverändert rindenblind für die äusserste Partie der linken Retina. Es ist also jede Retina zum grössten Theile mit der gegenseitigen Seh- sphäre und nur zu einem kleinen Theile, nämlich mit ihrer äussersten lateralen Partie, mit der gleichseitigen Sehsphäre in Verbindung. Die letztere Partie ist, nach dem Gesichtsfelddefecte des einen und dem Gesichtsfeldreste des anderen Auges zu schliessen, bei den verschiedenen Hunderacen von etwas verschiedener Grösse und zwar, wie mir aufgefallen ist, dort grösser, wo die Divergenz der Augen geringer ist; aber auch in den günstigsten Fällen dürfte sie nicht mehr als etwa ein Viertheil der Retina ausmachen. An die Lösung der zweiten Aufgabe bin ich ganz systematisch mit par- tiellen Exstirpationen der Sehsphäre gegangen, habe — immer bei anderen Hunden — die einen Male die innere, die anderen Male die äussere, weiter die vordere und dann wieder die hintere Hälfte der Sehsphäre fortgenommen, habe dazu kleinere Exstirpationen im Bereiche der Sehsphäre gemacht und habe jedesmal die Sehstörung möglichst genau zu bestimmen mich bemüht. Die Er- gebnisse der gleichartigen Versuche kamen überein, und die der ungleichartigen reihten sich gut aneinander; ich stelle die wesentlichsten zusammen, indem ich immer die linke Hemisphäre als von der Exstirpation betroffen annehme. Ist die innere oder mediale Hälfte der Sehsphäre exstirpirt, so bewegt sich der Hund, wenn das rechte Auge verbunden ist, ganz ungenirt, er sieht und erkennt aller Orten Alles in normaler Weise, und geworfenen Fleischstücken, sie mögen am rechten oder am linken Auge vorbeigegangen sein, folgt er sehr gut und gerade so gut wie ein unversehrter Hund. Hat man dagegen das ze nn ne un A ae De sl DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT, 587 linke Auge verbunden, so bewegt sich der Hund von freien Stücken nur wenig und immer nur langsam, auch bevorzugt er auffällig die Linksdrehung, und manchmal, besonders wenn er rechtsum sich zu drehen veranlasst ist, stösst er mit der rechten Kopfseite an. Wirft man Fleischstücke, so folgt der Hund blos dann gut, wenn der Wurf am linken Auge vorbei erfolgte, während er gar keine Bewegung macht oder höchstens vor sich auf dem Boden nachsieht, wenn das Fleischstück am rechten Auge vorüberging. Nähert man ein Fleisch- stück dem rechten Auge von seiner rechten Seite her so fällt es auf, wie spät der Hund es erst bemerkt, aber er folgt danach ‚der Bewegung gut mit dem Auge und dem Kopfe, so dass er das Fleischstück nicht aus dem Gesichte ver- liert. Nähert man umgekehrt das Fleischstück von der linken Seite her, so bemerkt es unser Hund so früh wie der normale Hund, aber er folgt dann der Bewegung nur eine Weile gut, und plötzlich ist ihm das Fleischstück ver- schwunden. Nähert man ein brennendes Streichholz oder die Peitsche von der linken Seite her, so merkt der Hund auf und zuckt auch meist sofort zurück sobald nur überhaupt das Bild auf der Retina entsteht; dagegen kann man die- selben Objecte von der rechten Seite her ganz nahe an das Auge heran und sogar etwas vor das Auge bringen, und der Hund bleibt unbewegt. Und so kann man weiter noch durch Fleisch und andere Objecte, welche man vor dem ruhig liegenden Hunde an verschiedenen Orten niederlegt, sicherstellen, dass der Hund kein Object sieht, dessen Bild auf der inneren Hälfte seiner rechten Retina entsteht, während er Alles sieht und meist auch gut erkennt, das auf der äusseren Hälfte derselben Retina sich abbildet. In Monaten ändert sich Nichts, als dass der Hund mit verbundenem linken Auge mit der Zeit immer freier sich bewest. Ist nicht die ganze innere oder mediale Hälfte der Sehsphäre ae, sondern blos etwa ihr innerstes Drittheil — noch nicht der ganze in den Gyrus medialis fallende Theil der Sehsphäre —, so ist Alles nahezu ebenso. Nur bewegt sich der Hund mit verbundenem linken Auge von vornherein sichtlich freier, und er folgt auch dem Fleischstücke, das man am rechten Auge vorbei- wirft, erst eine Weile mit dem Kopfe, ehe er es verliert, oder dreht sich sogar ein wenig rechtsum und fängt an seiner rechten Seite zu suchen an. Bei der genauen Prüfung mittels vorgehaltenen oder vorgelegten Fleisches habe ich mich hier wiederholt deutlich zu überzeugen vermocht, dass die rindenblinde mediale Partie der Retina nicht bis zur Mitte der Retina sich erstreckte. Ganz anders sind die Beobachtungen, welche man macht, wenn die äussere oder laterale Hälfte der linken Sehsphäre exstirpirt ist. Zunächst ergiebt sich bei verbundenem rechten Auge Alles gerade so, wie wenn die ganze linke Sehsphäre exstirpirt wäre: der Hund sieht keinen Gegenstand, der vor seiner Nase oder seinem rechten Auge sich befindet, die äusserste laterale Partie der linken Retina ist rindenblind. Verbindet man dann das linke Auge, so sieht der Hund die Objecte, welche man vor seine Nase oder sein linkes Auge bringt, sehr wohl, nur erkennt er sie nicht, und er sieht auch Alles und er- kennt es meist, was an der rechten Seite des rechten Auges sich befindet. Aber wenn man, während der Hund das rechte Auge ruhig hält, diesem Auge von vorn und etwas von links her Objecte nähert oder die Objecte so vor dem Hunde hinlegt, dass ihr Bild auf der inneren Partie der lateralen Hälfte der Retina entsteht, so sieht der Hund die Objeete nicht. Die Lücke, welche dem- nach unser Hund inmitten des Gesichtsfeldes seines rechten Auges hat, und 588 VERHANDLUNGEN welche er für die Dauer behält, giebt sich auch in der ersten Zeit ganz im Groben kund, wenn das linke Auge verbunden ist. Bewegt man nämlich ein Object, nachdem der Hund aufgemerkt hat, mässig rasch von rechts nach links oder von links nach rechts, so folgt der Hund wohl eine Weile gut mit dem Kopfe, hat dann aber plötzlich das Objeet aus dem Gesichte verloren. Führt man ferner bei der Fütterung des Hundes die Fleischstücke immer von seiner linken Seite heran und lässt den Hund zuschnappen, so schnappt der Hund regelmässig zu weit nach links, so dass das Fleischstück an seiner rechten Seite bleibt. Wirft man endlich Fieisch bald am rechten, bald am linken Auge vor- bei, so folgt der Hund zwar jedesmal, aber ungleich gut: gehen die Fleisch- stücke am linken Auge vorbei, so dreht sich der Hund rasch linksum, ist so- gleich an der richtigen Stelle, an welcher das Fleischstück zu Boden gekommen, und hat dieses im nächsten Momente gefunden; gehen die Fleischstücke am rechten Auge vorbei, so erfolet die Rechtsdrehung langsam und unzureichend, und der Hund fängt, noch weit von der richtigen Stelle entfernt, das Fleisch zu suchen an. Schon in der zweiten Woche haben diese Abnormitäten sich verloren: offenbar hat das Thier die neue Lücke im Gesichtsfelde durch Er- fahrung ebenso überwinden gelernt, wie die normale Lücke des blinden Flecks. Hat die Exstirpation nicht die ganze äussere oder laterale Hälfte, sondern etwa nur das äusserste Drittheil der linken Sehsphäre betroffen, so ist die äusserste laterale Partie der linken Retina ebenso, wie vorhin, rindenblind, dagegen ist am rechten Auge nunmehr gar keine Abnormität zu constatiren. Es ist also die äusserste laterale Partie der Retina gerade der äussersten late- ralen Partie der gleichseitigen Sehphäre zugeordnet, und das an jene äusserste Partie nach innen anstossende Stück der lateralen Retinahälfte gehört dem an die äusserste Partie nach innen angrenzenden Stücke der gegenseitigen Seh- sphäre zu. Hunde, welchen die vordere, und andere Hunde, welchen die hintere Hälfte der linken Sehsphäre exstirpirt ist, bieten, wenn man ihnen das linke Auge verbunden hat, aber auch schon ohnedies, einen auffallenden Gegensatz in der Haltung und den Bewegungen ihres Kopfes dar. Die ersteren tragen den Kopf abnorm vorgestreckt und tief, manchmal fast am Boden, die letzteren abnorm zurückgezogen und hoch. Den Menschen, der vor ihnen steht, oder das Fleisch- stück, das etwas hoch ihnen vorgehalten wird, fixiren die ersteren, indem sie nur wenig die Schnauze heben, die letzteren, indem sie den Kopf ganz in den Nacken zurückwerfen und oft dabei auch rückwärts gehen. Um ein Fleisch- . stück vom Boden aufzunehmen, schieben die ersteren den Kopf langsam und nahezu horizontal, dem Boden fast parallel, heran, die letzteren schiessen ge- wissermaassen auf das Fleischstück los, indem sie den Kopf steil von oben nach unten führen. Ist das linke Auge verbunden, so finden die letzteren Hunde vorgeworfenes Fleisch sofort, auch wenn sie es vorher nicht gesehen haben; die ersteren Hunde dagegen finden es gar nicht oder erst nach langem Suchen, auch wenn man sie vorher es fixiren liess. Und was dies Alles schon erwarten lässt, das lehrt dann auch die genaue Untersuchung: die Hunde, welchen die vordere Hälfte der linken Sehsphäre exstirpirt ist, sehen keinen Gegenstand oder verlieren den Gegenstand aus dem Gesichte, sobald sein Bild auf die obere Hälfte der rechten Retina mit Ausschluss ihrer äussersten lateralen Partie oder auf die obere Hälfte der äussersten lateralen Partie der linken Retina fällt, sie sind rindenblind für diese oberen Retinaabschnitte; den anderen Hunden, an DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 589 welchen die hintere Hälfte der linken Sehsphäre zerstört ist, geht es ebenso mit den entsprechenden unteren Retinaabschnitten, — nur von dem Verhalten der äussersten lateralen Partie der linken Retina habe ich mich hier noch nicht sicher überzeugen können. Alles zusammlengenommen ergiebt sich also Folgendes: Jede Retina ist mit ihrer äussersten lateralen Partie zugeordnet dem äussersten lateralen Stücke der gleichseitigen Sehsphäre. Der viel grössere übrige Theil jeder Retina gehört dem viel grösseren übrigen Theile der gegenseitigen Sehsphäre zu, und zwar so, dass man sich die Retina derart auf die Sehsphäre projieirt denken kann, dass der laterale Rand des Retinarestes dem lateralen Rande des Sehsphärenrestes, der innere Rand der Retina dem medialen Rande der Sehsphäre, der obere hand der Retina dem vorderen Rande der Sehsphäre, endlich der untere Rand der Retina dem hinteren Rande der Sehsphäre entspricht. ‘ Die Figg. 1 und 2 werden dies Ergebniss veranschaulichen. In Fig. 1 ist ein Frontalschnitt durch beide Sehsphären etwa in der Mitte der Stelle A, gelegt, und man ,sieht von vorn auf die hinteren Hälften der Sehsphären; die Augen sind horizontal querdurchschnitten. In Fig. 2 sieht man auf beide hetinae (das Centrum jeder ist mit ce bezeichnet) von hinten, auf beide Seh- sphären von oben. Die rechte Sehsphäre (4A) ist punktirt, die linke (ae) mit Linien ausgeführt, und die Stellen (A, und a,), deren Exstirpation Seelenblind- heit zur Folge hat, sind dunkler gehalten. Ebenso punktirt, bez. linirt sind dann die zugehörigen Partieen der beiden Retinae (Z# r), und ausserdem sind die correspondirenden Punkte von Sehsphäre und Retina durch Linien verbun- den, welche entsprechend punktirt, bez. ausgezogen sind. Mit 5 und 5 sind die an die Sehsphären sich anschliessenden Hörsphären bezeichnet. Erinnern Sie sich nun, dass beim Hunde die Stelle des deutlichsten Sehens an der äusseren Hälfte der Retina gelegen ist und nach den Bestimmungen der Hrn. Grossmann und Mayerhausen der Winkel zwischen der Gesichtslinie und der Hornhautaxe nahe 30° beträgt, so gehört, wie Sie sehen, die Stelle A, der Sehsphäre ‘demjenigen Theile der Retina zu, welcher die Stelle des deutlichsten Sehens enthält. Mit dieser Erkenntniss ist die thatsächliche Unter- lage gewonnen für die im März v. J. von mir versuchte Lösung des Räthsels, dass trotz der grossen Ausdehnung der Sehsphäre die Erinnerungsbilder der Gesichtswahrnehmungen so gesammelt in der Stelle A, sich finden. Nachdem ich für die Localzeichen der Gesichtsempfindungen den Nachweis des anato- mischen Substrates geliefert hatte, meinte ich damals, das Räthsel fände „ein- fach dadurch seine Lösung, dass die Stelle A, der Sehsphäre coordinirt ist der Stelle des deutlichsten Sehens der Retina, welche beim Hunde an der äusseren Hälfte der Retina gelegen ist, Immer diese selbe Stelle der Retina wird für deutliches Sehen in Anspruch genommen; darum wird die deutliche Wahrneh- mung der Objecte immer der zugehörigen Stelle A, der Sehsphäre zufallen, und darum werden hier — wie ich ohne Ahnung des Zusammenhanges bereits in meiner ersten Mittheilung es aussprach — die Erinnerungsbilder der Ge- sichtswahrnehmungen in der Reihenfolge etwa, wie die Wahrnehmungen dem Bewusstsein zuströmen, gewissermaassen von einem centralen Punkte aus in immer grösserem Umkreise deponirt werden“. Nichts, scheint mir, kann besser darthun, wie berechtigt das experimentelle Vorgehen auf Grund der einfachsten Annahmen auch auf dem Gebiete der Grosshirnphysiologie ist, als die Ent- wickelung, welche jener erste Versuch überdie Seelenblindheit soweit genommen hat. 590 VERHANDLUNGEN Werfen wir schliesslich noch einen Blick auf die Sehnervenfasern, welche die correspondirenden Netzhaut- und Sehsphärenpunkte, die zusammengehörigen lichtempfindlichen Netzhautelemente und wahrnehmenden Rindenelemente verbinden. Mit der beiderseiti- gen Hemiopie des Affen nach der einseitigen Seh- 'ı sphärenexstirpation und : mit den Ihnen heute vorgelegten Ergebnissen am Hunde ist der Streit über die vollständige oder unvollständige Kreuzung der Sehnerven im Chias- ma der höheren Säuge- thiere durch den Ver- such zu Gunsten derer entschieden, welche, wie besonders Hr. v. Gud- den, auf Grund der ana- tomischen Untersuchung des Chiasma und der Nervi und Traetus optiei jedem Sehnerven ein ge- kreuztes und ein unge- kreuztes Faserbündel zu- geschrieben haben, von welchen das erstere Bün- del vom Menschen zum Kaninchen hin immer grösser, dasletztere Bün- del entsprechend immer kleiner wird. Unsere ) ee ) Versuche lehren dann ll \ = M M weiter, dass das unge- N S : ; kreuzte Bündel der Seh- U | nerven dievon deräusser- sten lateralen Netzhaut partie zur äussersten ae lateralen Sehsphären- 112717) Lan) partie ziehenden Fasern I) enthält. Aber unsere Versuche lehren ferner noch, dass im Verlaufe des gekreuzten Bündels Fig. 1 des Sehnerven eine Ver- : schiebung oder Umsetz- ung aller Fasern desselben der Reihe nach zu Stande kommt, derart dass die Fasern gerade so, wie sie anfangs von rechts nach links auf einander folgen, später von links nach rechts an einander gereiht sind. Ich sage: eine Verschiebung | ns DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 591 oder Umsetzung der Fasern; denn eine Drehung oder ein Umschlag des Bün- dels im Ganzen ist dadurch ausgeschlossen, dass für solchen Fall die anfangs unteren Fasern später zu den oberen und umgekehrt die anfangs oberen Fasern spä- ter zu den unteren wer- den müssten, wogegen die gefundenen Bezieh- ungen der oberen Netz- hauthälften zu den vor- deren Sehsphärenhälften und der unteren Netz- hauthälften zu den hin- teren Sehsphärenhälften entschieden sprechen. Wo im Verlaufe des Bündels die Umsetzung seiner Fasern statthat, das lassen unsere Ver- suche freilich ganz un- bestimmt, indess ist es doch am wahrscheinlich- sten, dass dieselbe zu- gleich mit der Kreuzung der ganzen Bündel im Chiasma vor sich geht. Demgemäss habe ich in Fig. 1 die Kreuzung und die Umsetzung der Fa- sern im Chiasma für eine Horizontalschicht der Fasern dargestellt. Ich habe dabei wieder die einfachsten Annah- ‘men gemacht, dass in allen Horizontalschich- ten des Chiasma, von der Zahl der Fasern ab- gesehen, Alles im We- sentlichen gleich ist, dass von den Fasern dersel- ben Horizontalschicht nirgends mehr als zwei über einander zu liegen kommen, und dass über- haupt die Verwickelung der Fasern das unum- gängliche Maass nicht überschreitet. Diese Annahmen brauchen in der Natur sich nicht erfüllt zu finden, und leicht lassen sich auch verwickeltere Anordnungen herstellen. Aber alle Anordnungen kommen in einem Punkte überein, und diesen her- U | I, \ ul | ii N \ U 592 VERHANDLUNGEN vorzuheben, darum ist es mir zu thun: damit das Postulat unsere Versuche erfüllt werde, dass die Reihenfolge der Fasern des gekreuzten Bündels von rechts nach links in die entgegengesetzte umgewandelt wird, muss eine so eigenthümliche mattenartige Verflechtung der Fasern der beiden gekreuzten Bündel zu Stande kommen, wie sie Fig. 1 zeigt und noch besser ein danach aus farbigen dicken Wollenfäden hergerichtetes Schema, an welchem die jeder- seitige Verflechtung der Fasern deutlicher hervortritt. Für den Affen habe ich in Folge der Seltenheit des Materiales die Unter- suchung der Sehsphäre mittels partieller Exstirpationen noch nicht durchzu- führen vermocht, und ich kann vorerst nur sagen, dass mit den Abweichungen, welche nach den verschiedenen Erfolgen .der totalen einseitigen Exstirpation sich von selbst verstehen, beim Affen Alles analog sich zu verhalten scheint wie beim Hunde. Hoffentlich bin ich bald in der Lage, Ihnen auch über den Affen genauere Auskunft zu geben. XIX. Sitzung am 18. Juli 1879. Hr. Lassar leste der Gesellschaft mikroskopische Präparate vor, welche die anatomischen Einwirkungen der Erkältung auf den thierischen Organismus demonstriren.. Während die bisherigen experimentellen Untersuchungen auf diesem Gebiete sich vorwiegend mit den Verhältnissen der Eigentemperatur und des Blutdruckes beschäftigten, hat der Vortragende seine Aufmerksamkeit in erster Reihe auf die einer jähen Schwankung der Aussentemperatur folgenden krankhaften Erscheinungen und pathologisch - anatomischen Veränderungen ge- richtet. Mit Schwefelcaleiumhydrat enthaarte Kaninchen, die in erwärmten Räumen 24—36 Stunden lang gehalten waren, dann plötzlich bis zum Hals in Eiswasser getaucht und hier einige Minuten festgehalten wurden, zeigten übereinstimmend nach einigen Tagen eiweisshaltigen Harn und fieberhafte Temperatur- steigerung. Gleichzeitig etablirten sich interstitielle Entzündungenin einer grossen Reihe von Organen, vorwiegend in Nieren, Leber und Lun- sen, aber auch im Herzfleisch, der Körpermusculatur und der Nervenscheiden. Am Gefässsystem hatten sich Veränderungen der Intima, verbunden mit stellenweiser enormer Dilatation des Lumen herausgebildet. Analog dem Eiweissgehalt im Secret der entzündeten Niere konnte auch in der Galle bei Entzündung der Leber Eiweiss constatirt werden. XX. Sitzung am 25. Juli 1879. Hr. H. KroneEcker theilt, unter Vorlage von Originalcurventafeln, die Re- sultate einer von ihm in Gemeinschaft mit Hrn. MAx MARCKwALD ausgeführten Untersuchung: „Ueber die Athembewegung des Zwerchfells“ mit: Nach älteren Angaben von Budge (1855) können Kaninchen nach Durch- . schneidung der beiden Phrenici Monate lang fortleben, indem nunmehr die unter DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. 593 normalen Verhältnissen bei diesen 'T’hieren latente Brustatlimung in Wirksam- keit tritt. Dies gilt nur für ältere Thiere. Junge (im Lebensalter von einigen Wochen stehende) sterben sogleich nach der Durchschneidung des zweiten Phre- nicus asphyktisch. Im Alter von einigen Monaten können sie jedoch die Opera- tion mehrere Tage überleben. Die registrirten Athemeurven lehrten uns, dass die Dauer einer Athmungs- phase von etwa 1-5 Sec. bis auf etwa 2-0 Sec. zunimmt, wenn der abdominale Typus in den thoracalen übergeht. Mit Rücksicht auf die neuerdings geltend gemachten Zweifel an der Discontinuität des willkürlichen und des reflectorischen Tetanus erschien es uns wünschenswerth, zu entscheiden, ob die einfache Athembewegung des Zwerch- fells als eine Zuckung oder als ein kurzer Tetanus aufzufassen ist. Wir haben die Synthese und die Analyse des Vorganges versucht. Zum ersteren Zwecke wurden die beiden Phreniei durch einzelne Inductionsschläge erregt. Mit- tels eines kleinen Doppelhebels, dessen eines spatelförmiges Ende am Processus xiphoideus durch die Bauchdecken zum Zwerchfell eingeführt und diesem ange- legt wurde, dessen anderes mit einem belastbaren Schreibhebel verbunden war, konnten die Contractionen des Zwerchfells ziemlich getreu auf eine Kymographion- trommel aufgezeichnet werden. Die Leber verhindert, dass das Hebelende vom Zwerchfell abspringe. Dieses einfache Verfahren, welches durch keinen tieferen Eingriff das Leben des Thieres gefährdet, gab übereinstimmende Werthe für die Dauer der ein- fachen Zwerchfellzuckung. Sie betrug am unermüdeten Präparate von 0-125” bis 0-3”, beim ermüdeten bis 0-5”, also !/, bis !/, einer normalen Athmung. Die Zuckungsdauer änderte sich nicht wesentlich, gleichviel ob Schliessungs- oder Oeffnungs-Inductionsschläge, ob durch schnelles Nähern und Entfernen der secundären an die primäre Rolle erzeugte Inductionsströme, ob Ein- und Aus- schalten eines Widerstandes im Kreise eines constanten Stromes als Reizmittel dienten. Wenn während dieser Einzelerregungen die Brustathmung fortdauerte, so setzten sich die Zuckungscurven als spitze Zacken auf die Athmungscurve. Tetanisirende Reize mässiger Intensität überwanden die natürliche Athmung. — Wenn Durchschneidung der Medulla der natürlichen Athmung ein Ende ge- macht hatte, so konnte durch rhythmische Tetanisirung der peripheren Enden der beiden Phrenici ein dem natürlichen analoger Athemmodus herbeigeführt werden, also eine künstliche Respiration durch directe elektrische (Nerven-)Reizung viele Minuten lang das Thier vor Asphyxie schützen. Die Reizfrequenz, welche nothwendig war, um den normalen ähnliche Athemecurven zu erzeugen, wurde auf etwa 20 Reize in der Secunde bestimmt. 15 Reize ergaben noch deutliche Zähnelung auf den Inspirationsgipfeln. Nun erhob sich die für die Kenntniss der Reizübertragung im Central- nervensysteme fundamentale Frage: Wie viel und welcher Art Reize sind noth- wendig, um das Athemcentrum zum Aussenden der Ladung & bis 8 Impulse in Y/,, Intervall) für eine Respiration zu veranlassen ? Wir trennten beim Kaninchen die Medulla oblongata dicht oberhalb des Athmungscentrum von dem Gehirne ab, derart, dass die Athmung nicht wesent- lich gestört wurde, und reizten durch einzelne starke Oeffnungs-Inductionschläge die Medulla oblongata. Solche Einzelreize konnten, zu rechter Zeit eingreifend, die Inspirationen verstärken oder die Exspirationen verzögern, oder wohl auch Archiv f.A.u. Ph. 1879. Physiol. Abthlg. 38 594 VERHANDLUNGEN DER BERLINER PHYSIOLOGISCHEN GESELLSCHAFT. zwischen die normalen Athemeurven künstlich ausgelöste einschalten, welche den normalen ganz ähnlich waren. Wenn unter solchen Verhältnissen das Thier durch künstliche Respiration apnoisch gemacht war, so vermochten stärkste Schläge keine Athemzüge auszu- lösen. Wenn es gelang, durch theilweise Abtrennung des Athemcentrum lange Athempausen mit eingeschobenen Athemkrämpfen (Cheyne-Stokes’sches Phä- nomen) zu erhalten (Luciani), so konnte in den Pausen durch Reizung der Me- dulla oblongata von jedem starken Inductionsschlage eine einfache Respiration ausgelöst werden, welche an Tiefe und Dauer einer normalen glich. Derart gelang es durch rhythmische elektrische Reizung auf reflectorischem Wege künstliche Respiration zu unterhalten. Hierbei ergab sich eine Analogie mit den von Bowditch und dem Einen von uns am elektrisch gereizten Froschherzventrikel beobachteten Veränderungen der Erregung. Die in Intervallen von einigen Secunden erfolgenden Reize ge- winnen an Effect‘, so dass zuvor eben hinreichende unter Umständen beträchtlich seschwächt werden dürfen, bevor sie völlig unwirksam werden, dann aber wieder auf den früheren hohen Werth gebracht werden müssen, um Erfolg zu haben. Während künstliche Athmung unterhalten wurde, blieben die Athemkrämpfe aus und die Medulla war jetzt gegen Einzelreize unempfänglich. Intermittirende Reize lösen häufig unregelmässige, lange Athembewegungen aus. Ganz ähnliche Effecte wie durch Reizung der Medulla mit einzelnen In- ductionsschlägen haben wir, unter günstigen Verhältnissen, vom centralen Ende der beiden gleichzeitig gereizten Vagi erhalten. Aus diesen Beobachtungen schliessen wir: 1) dass ein einfacher elektrischer Reiz für sich das Athemcentrum nicht in Thätigkeit versetzen kann, sondern nur dann, wenn seine Wirkung durch andere (chemische) Reize verstärkt wird. 2) Dass die kürzeste merkliche Bewegung, in welche das Ath- mungscentrum versetzt werden kann, den Nn. phrenicis 4 wirk- same einfache Reize im Intervall von etwa '/,, zusendet. Hr. SEnAToR spricht: „Ueber das Vorkommen von Producten der Darmfäulniss bei Neugeborenen“. Er hat im Urin von lebendgeborenen Kindern, welche noch keinerlei Nah- rung genossen hatten, kein Indigo (bez. indigobildende Substanz), dagegen ohne Ausnahme gepaarte (Aether-)Schwefelsäuren gefunden, während im Urin von Neugeborenen, welche bereits getrunken hatten, nach 2—4A Tagen sich ausserdem auch Indigo fand. — Auch im Fruchtwasser fanden sich gepaarte Schwefelsäuren. Die möglichen Quellen derselben, sowie etwa daraus zu ziehende Schlüsse, werden erörtert. TaR I. Leipzig, Veit & Comp. Archiv £Anat.u.Phys1879 Phys. Abthlg. r Bi Se = u == ee: A & = SI = Se N => == ER —- 2 u — =o:) m SE ZZZIZEZZESZEEZZEZFTZG SED SATZ EZZEZZ Yfff, Hp, ne ————— NN) Ih, m = — ———— rk Ih li (X ( | }' | MN | l \ Yo nat.Gr. Leipzig Veit & Comp. Tal. Lith. Anst.v.d.Q.Bach ‚Leipzig. Mare Archiv f-Anat.u.Phys.1879. Phys dbthlg. | ©| Talk IH > 5 S | | S N nn N DS) | S N N rD SS, ns ie LeipzigVeit& Comp. AnstwJ.Q.Bach ‚Leipzig. { x N in} x = i ei f n 2 N Yy “ ur ar .. p A543 BER Be get w Vrs- > er 1 Sa ee nn ee Archiv Kinat, als. 1879. Ihys. Abthlg. c Fig. id. TalV b NV | | | SHHSE | | | | | site Salze 2 ® ana LE | FH EOBSEE ILS Nas | ! L | | | EB n 7] em je | IR] lo 1" 9” 3" z" n 10” rag Verlag Veit &Comp Lei JithAnst.v.E.A.Funke, Leipziß, Archiv I. Anat. u. Phys. 1879 Phys. Abthlg, Taf V. vd ii) III TA IRIUNNN NNG: > . Fi ig. 4. Fig, 3. Fig.6. Verlag Veit & Comp. Läpzig Tin AnstzE A Funke Lepzig Archiv f-Anat.u. Phys. 1879 Phys. Abthlg, Tall. Nnys 1679 Ps All Taf. U. Irchww £ Anatıu Phys. 1813. Ihys. Abthlg. r Taf Vi nr f F ıq 6 | mazıim.luckung. ET NR Il | VE a a 7 u S.Tachurjew del Verlag Veit& Comp, Leipziß £ ö TühAnstwE.AFun M 2 ir See Physiologische Abtheilung. 1879. I. u. II. Heft. ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ÄRCHIVES. HERAUSGEGEBEN f VON De. WILH. HIS umso De. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, | UND | Ds. EMIL DU BOIS-REYMOND, | PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. - JAHRGANG 1379. —— PHYSIOLOGISCHE ABTIIEILUNG. — ERSTES UND ZWEITES HEFT. MIT FUNF ABBILDUNGEN IM TEXT UND FUNF TAFELN. } 5 | LEIPZIG, - | VERLAG VON VEIT & COMF. 1879. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 18. April 1879.) Inhalt. i Seite Oscar Langendorff: Versuche über die ee der N “ a Ra mr N L. Lewin: Ueber einen Arne, für die künstliche een. (Eierzu Taf. 1 Sl ‘ Adolf Schmidt-Mülh eim; Untersuchungen, über die Verdauung der Eiweiss- körper, a .e. ee Rh BEER a ARE SE Ka e A. M. Bleile: Ueber a Eruokerechal, = Blutes. ... : et NT AD £ S. Tschirjew: Tonus quergestreifter Muskeln. (Hierzu Taf. m. IRRE rn Leon Krawzoff und Oscar me, Zur elektrischen Being des = \ Froschgehinms . . . LER 90 Oscar Langendorff: Ueber die Enttehue der Verteiler ehe z Embryo... ER ee a er Oscar Spode: Weber optische hen ; AI ee “ Ad. Klünder: Ueber die Genauigkeit der Stimme. (Hierzu Taf. IV). . = 119 V. Hensen: Ein einfaches Verfahren zur ae der’ 'Tonhöhe eines ge- \ sungenen Tons. - (Hierzu Taf. V) . ... FR Pre en) Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu. Bein sau 2 0 a Al. Aristow: Einfluss plötzlichen Temperaturwechsels auf das Herz ER BE, N x 18 De Herren Mitarbeiter erhallen ‚vierzig, Separat - Abzüge ihrer Bei- träge gratis, Beiträge für die anatomische- Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Leipzig, beide Königsstrasse 17, Beiträge für die physiologische Abtheilung an en Professor Dr. E. du Bois-Reymond | Er in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse Jan Mn portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind - auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. "Bestehen die Zeich- Se nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kunierstecher oder Tithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Physiologische Abtheilung. 1879. III. u. IV. Heft. ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON Di. WILH. HIS unp Dx.. WILH. BRAUNE, _ PROFESSOREN DER un AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, & 2 UND D». EMIL DU BOIS-REYMOND, "PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1879. _—— PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. — DRITTES UND VAERTES HEFT. © MIT SIEBEN ABBILDUNGEN IM TEXT UND ZWEI TAFELN. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMF. u — n . 180: Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. = (Ausgegeben am 25. Juni 1879.) Mit einer Beilage von F.C. W. Vogel in Leipzig. Inhalt. W.Nikolsky: Ein Beitrag zur Physiologie der Neryi erigentes. (Hierzu Taf. VI.) 209 Johann Dogiel: Ueber die Ursache der Geldrollenbildung im Bau des Men- schen und..der Thiere.(Eherzu Ta NIE.) 72.2.0 2 00 M. L. Scherhej: Zur Lehre der Innervation der Lymphherzen . . . 227 Wilhelm Filehne: Ein a zur 0 , der a und dor ass. ROtION Zr ner + 238: E. Baumann und C. u Weber die. dunkle Farbe ads lade 1.945 Jl ohannes Gad.: Ueber das Latenzstadium des Muskelelementes und des Ge- sammtmuskels . . . . RR ne Se BE 2 Ernst von Fleischl: Ueber die Construction und Verwendung de ER Electrometers für physiologische Zwecke . . . . 269 G. von Liebig: Ein SERIAL zu Erklärung der Wirkung a Tunftdruckes dur die Athmuns ar. 0% 234 A. E. Jendrässik: Ueber die een in den an cken unter der nn constanter Ströme auftretenden u nungen... . 300° C. Mordhorst: Ueber ie Blutdruck im nen and die Verteilung de Blutes im Lungenkreislaufe während der In- und Exspiratin . . . . . 342 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Brlin . . 2.2.2... 356 Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat - Abzüge ihrer Bei-, träge gratis. i br 3 Ei: Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an \ | Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Leipzig, beide Königsstrasse 17, SE = ‚Beiträge für die physiologische Abtheilung an Professor Dr. E du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung- der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. 5 Physiologische Abtheilung. 15%9. V. u. VI. Heft. ARCHIV FÜR ANATOMIE UND PIIYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES VON REIL, REIL v. AUTENRIETEH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, - REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES, HERAUSGEGEBEN voN Dx.. WILH. HIS us De WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND D:.. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1879, = PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG. == FÜNFTES UND SECHSTES HEFT. MIT ZEHN ABBILDUNGEN IM TEXT UND EINER TAFEL, LEIPZIG, - VERLAG VON VEIT & COMP. 1879. Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. (Ausgegeben am 12. November 1879.) Mit zwei Beilagen: ‚Antiquarischer g “log von S. Calvary & Cie, in Berlin Fund VERF ee "handlung ebendaselbst. Tnhalı Wilhelm Filehne: Die Wirkungen des Amylnitrits . . . 2». . ne: Emil Grunmach: DUeber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Pulswellen . 418 Ferdimand Klug: Ueber. den Einfluss en m auf die Function des Froschherzens . . . 435 J. Schmulewitsch: Ueber ir Einfluss an Dinge de Masken anf ee Reizbarket . .. . ERNETEE a ee ll) von Kries und Küster: Ueber horse Farbenblindheit DT a S. Tsehirjew: Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen £ +. Vorgänge.im. Nerven, > (Hierzu Wal VL) 2 7 2 es rer 20 0 Verhandlungen der physiologischen Gesellschaft zu Berlin . ........... 558 es Titel und Register zum Jahrgang 1879. = \ - > 5 Die Herren Mitarbeiter erhalten vierzig Separat- Abzüge ihrer Bei- ‚träge gratis. 12 = Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune“ inL eipzig, beide Königsstrasse 17 \ Beiträge für die Dhyaidloiche Abtheilung an: - Professor Dr. E. du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, ES - portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuseript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. MN NATMTE ATLANTEN - - n Professor Dr. Wilhelm Braune in Leipzig. Verlag von VEIT & GOMP. in Leipzig. Braune, Dr. Wilhelm, Professor der echt Anatomie zu Leipzig, Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von C. Schmmsper. Colorirt von F. A. Havprvocer. Zweite Auflage. 33 Tafeln. Mit 49 Holzschnitten im Text. - (IT u. 56 8.) Imp.-Fol. 1875. geb. in Halbleinw. M. 120. — Mit Supplement: Die Lage des Uterus ete. (s. u) M. 165. — Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durch- schnitten an gefrornen Cadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers topographisch -anatomischem Atlas mit Einschluss des Supplementes >-zu diesem: „Die Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln in photographischem Lichtdruck. Mit 46 Holasphnnien im Text. (218 8.) Lex. -8. 1875. in Carton. M. 30. — : Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der eneerhatt, Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern ilustrirt. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von ©.SCHMIEDEL. Colorirt von F. A. Hauprvoger. Supplement zu des Verfassers topo- graphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im Text. - (4 8.) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. M. 4. — Auch mit englischem Text unter dem Titel: The position of the uterus and foetus at the end of pregsnancy. Illustrated by sections through frozen bodies. Drawn after nature and lithographed by C. Scumreper. Coloured by F. A. ‘HAuPpTvosEL. Stpplement to,the authors topograph.-anatom. Atlas. 10-plates. With 1 woodeut in the text. (4 58.) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. M. 45. — -- Der männliche und weibliche Körper im Sagittal- 'schnitte. Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom. Atlas. 2 schwarze Tafeln in Lithographie. Mit 10 Holzschnitten im "Text. (82 8) 1872. Imp.-Fol. (Text in gr. 8.) in Mappe. M. 10. — Das Venensystem des menschlichen Körpers. Erste und zweite Abtheilung. Imp.-4. 1875. cart. M. 20. — Einzeln: I. Abtheilung. Die Operächenkelvent in anatomischer und klinischer Beziehung. Zweite Aussabe. 6 Tafeln in Farbendruck. (28,3.) M. 10. — I. Abtheilung. _ Die Venen. der menschlichen Hand. Bearbeitet von Wilhelm Braune und Dr. Armin en 4 Tafeln in photographischem are BOB) 10 Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. Das ARCHIV - S für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J. F. Meckel, Joh. Müller, i Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in_12 Heften von zusammen 66 Bogen mit zahlreichen in den Text eingedruckten Holzschnitten und 25—30 Tafeln, 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Mit dem anatomischen Theil ist die „Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte“, welche als selbständiges Organ zu erscheinen aufgehört hat, verschmolzen, in dem physiologischen Theil kommen auch die Arbeiten aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig zur Veröffentlichung, . welche seither besonders erschienen. Der Preis des Jahrganges beträgt 50 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von His und Braune), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von E. du Bois-Reymond) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 M., der Preis. der physiologischen Abtheilung 24 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig, N Acme Bookbinding Co., Inc. 300 Summer Street Boston, Mass 02210 MINI) 3 2044 093 332 823 PT AIRES LEN hit! 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