u ALTW; rise ERSE TE ru . De} PENTORR LE RB r, Ei ner seTe 4, IE N AR » in» \ RE ut ’ Y BT nennt nrrrannh .eris DRAN) rag sr 3 „ Vibrarp of tbe Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, | AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS. Founded by private subscription, In 1861. KIT INTNNNNMNN Depositedby ALEX. AGASSIZ. Ne: 78 ee TONER B U WLLTEERLEN Mu Bram, \ NRCHTN FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F. MECKEL, JOH. MÜLLER, REICHERT vw. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES. HERAUSGEGEBEN VON D». WILH. HIS uno D». WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND D. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1879. SUPPLEMENT-BAND ZUR PHYSIOLOGISCHEN ABTHEILUNG. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. 1879. OL 22 A AN en) E IA H [2 f ARCHIV FÜR FEYSIOLOGIE. | PHYSIOLOGISCHE ABTHEILUNG DES ARCHIVES FÜR ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. UNTER MITWIRKUNG MEHRERER GELEHRTEN HERAUSGEGEBEN VON Dz. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1879, SUPPLEMENT-BAND. “MIT 19 ABBILDUNGEN IM TEXT. LEIPZIG, VERLAG VON VEIT & COMP. m 1879, Inhalt. G. S. Hat und J. v. Krıes, Ueber die Abhängigkeit der Reactionszeiten vom BIETER OLE SEE ES ee ne ed Hu6o KRONECKER und G. Stanzuey Haus, Die willkürliche Muskelaction . . . 10 ÖSCAR LANGENDORFF, Ueber die Selbststeuerung der Athembewegungen . . . 48 Max JoserH, Ueber die reflectorische Innervation der Blutgefässe des Frosches. 54 L. Brıeger, Zur Kenntniss des physiologisehen Verhaltens des Brenzeatechin, BunehmnteundeResorein. 02. 0 en tn 6 BERNHARD Rawınz, Die Lebenszähigkeit des Embryo’ s . . 2 2 2..2.2..2.6 F. M. Starrr, Ueber den Einfluss der Erdwärme bei Tunnelbauten . . . . . 74 SCHOEN, Bemerkungen über die Dioptrik der Krystalllinse und die Periskopie des een ey LAG B. v. Anker, Neue Erscheinungen der Nieotinvergiftung . . . » 2» 2.2... 167 eeder Dr Nschiesew an den Herausgeber. .*. . . 2 2.2..272..2.....19 Ueber die Abhängigkeit der Reactionszeiten vom Ort des Reizes. Von G.S. Hall und J. v. Kries. Aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. Die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Erregung in sensibeln Nerven ist wiederholt in der Weise bestimmt worden, dass der Unterschied der Reactionszeiten bei Reizung verschieden weit vom Centrum entfernter Hautstellen als Maass derselben betrachtet wurde. Die Correctheit dieser Methode hängt, wie bekannt, von der Zulässigkeit der Annahme ab, dass derjenige Theil der Reactionszeit, welcher nicht auf Rechnung der Leitung im peripheren Nerven und in den langen Bahnen des Rücken- markes, so wie auf Latenzzeit im percipirenden Sinnesorgan und reagi- renden Muskel kommt, die reducirte Reactionszeit, in allen Fällen dieselbe sei. In zahlreichen älteren, diesem Gegenstande gewidmeten Untersuchungen ist diese Annahme in der Regel, theils stillschweigend, theils ausdrücklich, gemacht worden. Die hiernach gewonnenen Werthe waren aber wenig befriedigend. Sie schwankten von 26” pro Sec. (Schelske) bis zu 225" (Kohlrausch) also fast im Verhältniss 1:9. Donders! stellte zuerst auf Grund einer Vergleichung der so be- stimmten sensibeln Leitungsgeschwindigkeit mit der unter Ausschluss des Centralorgans bestimmten motorischen die Behauptung auf, dass die erwähnte Voraussetzung unzulässig sei. „Durch diese directen Bestim- mungen,“? sagt Donders a. a. O. S. 662, „sind nun alle Versuche an Gefühlsnerven, bei welchen die Hirnthätiskeit mit eingeschlossen war, 1 Die Schnelligkeit psychischer Processe. Dies Archiw. 1868. 2 Die von Helmholtz und Baxt im Jahre 1867 mitgetheilten. Archiv f, A. u. Ph, 1879. Suppl.-Band. z. Physiol, Abthlg. 1 De G. S. Hann un J. v. Kris: in’s Gebiet der Geschichte verwiesen, und man- weiss, was dies sagen will. Wittich würde gern noch seiner etwas grösser gefundenen Schnelligkeit für die Gefühlsnerven einige Geltung lassen. Aber es geht nicht; die Uebereinstimmung zwischen Gefühls- und Bewegungsnerven ist in allen Hinsichten zu vollkommen, um zu erlauben, dass gegenüber den sicheren Bestimmungen bei diesen die nach unsicheren Methoden sefundene Leitungsgeschwindiskeit für jene aufrecht erhalten werde.“ Die Frage hätte hiermit für erledigt gelten können. Indessen theilten im Jahre 1870 Helmholtz und Baxt neue Bestimmungen am moto- rischen Nerven mit, welche die grosse Abhängigkeit der Leitungsgeschwin- digkeit von der Temperatur zeigten und somit die Donders’schen Aus- sprüche als weniger sicher begründet erscheinen liessen. In der That sind nun auch mehrere Forscher seitdem wieder von der alten Vorans- setzung ausgegangen. Namentlich hat Exner unter Zugrundelegung derselben ! die Geschwindigkeit der sensibeln und motorischen Leitung im Rückenmark bestimmt. Bloch und Garver fanden die Bestimmung von Leitungsgeschwindigkeiten auf diesem Wege unmöglich. Richet? hat in neuester Zeit wieder die Unabhängigkeit der redueirten Reactions- zeiten als selbstverständliche Voraussetzung betrachtet. (S. d. Anm. am Schlusse d. Arbeit.) Für eine weitere Untersuchung dieser Frage ergab sich nun eine doppelte Aufgabe: erstens eine nochmalige Prüfung der Frage, ob die reducirten Reactionszeiten wesentlich verschieden sind; und zweitens, die Bejahung dieser vorausgesetzt, etwas darüber in Erfahrung zu bringen, wovon diese Differenzen derselben abhängen, welche bisher nur als un- bestimmbare Fehlerquelle angesehen worden sind. Da die von uns an- gestellte, nicht sehr ausgedehnte Reihe von Versuchen unsere Kenntnisse in dieser Beziehung immerhin ein wenig erweitert, so glauben wir sie der Veröffentlichung nicht vorenthalten zu sollen. Wir haben nicht nur, wie die früheren Untersucher, mit Haut- reizen, sondern auch mit optischen Reizen experimentirt. Die Methode - unserer Versuche wollen wir kurz beschreiben, trotz der vielen zum glei- chen Zwecke schon verwandten Methoden, weil sie gerade in dieser Form einen sehr hohen Grad von Sicherheit und Bequemlichkeit er- reicht hat. Jeder Versuch wurde graphisch registrirt und zwar auf der Trom- ‚mel eines Baltzar’schen Kymographions, welches auf seine grösste Ge- schwindigkeit gestellt war. Da die Geschwindigkeit der Trommel, ! Exner, Experimentelle Untersuchung der einfachsten psychischen Processe. Pflüger’s Archiw u. s. w. Bd. VII, S. 634. 2 Richet, Revue philosophique. T. VI, 1878, p. 395. ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÖRT DES ReEızEs. 3 wenn man nicht besondere Vorsichtsmaassregeln anwendet, nicht als ganz constant angesehen werden darf, so benutzten wir zur Zeitschreibung noch eine Registrirstimmgahel von 29 Schwingungen in der Secunde. 1. Die Markirung des Reizes geschah folgendermaassen: Der eine Arm der Stimmgabel wird mittels eines Elektromagnetes aus seiner Gleichgewichtslage gezogen, berührt den Anker desselben und wird von ihm festgehalten. Der durch den Elektromagnet gehende Stromkreis mag der Unterbrechungskreis heissen; er kann mittels eines Schlüssels zu beliebiger Zeit von dem Beobachter geöffnet werden. Die Oefinung des Schlüssels bewirkt also, dass die Stimmgabel vom Anker abreisst und zu schwingen beginnt. Die Berührung des Stimmgabelarmes mit dem Anker schliesst einen zweiten Stromkreis, welcher der Reizungs- kreis heissen mag; beim Abreissen der Stimmgabel vom Anker wird dieser unterbrochen. Derselbe ist entweder durch die primäre Rolle eines du Bois’schen Schlittens oder durch die eines Ruhmkorff’schen Induetionsapparates geführt. Es fällt also der Beginn der Stimmgabel- schwingungen zeitlich zusammen mit dem Inductionsschlage oder In- ductionsfunken, welche als Tast- oder Gesichtsreize dienen. 2. Die Reaction bestand in einem Fingerdruck, welcher mittels eines leicht beweglichen Hebels einen dritten Stromkreis, den Reactions- kreis, unterbricht; die Unterbrechung wird durch einen kleinen .Marey’schen Elektromagnet, dessen Schreibfeder unter derjenigen der Stimmgabel steht, ohne Zeitverlust markirt. Der Gang des Einzelversuchs ist also folgender: Oeffnung des Unterhrechungskreises, Oefinung des Reizkreises, Reiz, Reaction, bestehend in Oefinung des Reactionskreises. Das von einem solchen Versuche erhaltene Bild sieht so aus: ab misst die Reaetionszeit. Wenn der Beobachter den Unterbrechungs- kreis nur ganz kurze Zeit geöffnet lässt, so führt die Stimmgabel jedes Mal nicht viel mehr Schwingungen aus, als zur Zeitbestimmung der betrefien- den Reaction erforderlich sind, weil sie alsbald wieder von dem Anker des Elektromagnetes festgehalten wird. Man kann dann ohne Verschie- bung der Trommel eine Reihe von circa zehn Versuchen hintereinander machen. Die Methode gestattet also eine sehr schnelle Ausführung 1% 4 G. S. Hıru und J. v. Krıes: von vielen Versuchen mit den denkbar einfachsten Manipulationen seitens des Beobachtenden und ohne geringste Störung des Reagirenden. Die Messung der einzelnen Reactionszeit ist mit Leichtigkeit auf Zehntel ‚der Stimmgabelschwingungen auszuführen. Diese Genauigkeit ist vollkommen ausreichend mit Rücksicht auf die Differenzen der Einzelwerthe. Die Versuche wurden stets so angestellt, dass eine Reihe der einen Art zwischen zwei Reihen der anderen Art ausgeführt wurde; die Diffe- renz zwischen jener und dem arithmetischen Mittel aus diesen beiden gab dann den gesuchten Werth. Der Einfluss der Ermüdung ist auf diese Weise möglichst eliminirt. Die auf solche Weise zusammengehörigen Reihen nennen wir eine Gruppe. I. Was die Intensität der als Tastreize benutzten Inductionsschläge anlangt, so machten wir sie ziemlich kräftig, ohne dass sie schmerzhaft waren. Es fällt übrigens hierbei auf, dass es eine durchaus unlösbare Aufgabe ist, die Schläge für zwei verschiedene Hautstellen „subjeetiv gleich stark“ zu machen. Z. B. kann man am Finger eine sehr starke Tastempfindung hervorbringen, die deswegen noch nicht schmerzhaft ist; am Oberarm ist dies gar nicht möglich. Man bekommt dort, schon ehe die Tastempfindung stark wird, eine stechende Empfindung, die am Finger vollständig fehlt. Den Reiz für zwei so verschiedene Stellen gleich zu machen ist daher deswegen unmöglich, weil die verschiedenen Qualitäten der Empfindung nicht in derselben Weise functionell unter einander verbunden sind. Uebrigens darf die Wichtigkeit dieses Punktes nicht überschätzt werden; denn die Abhängigkeit der Reactionszeit von der Reizstärke ist innerhalb ziemlich weiter Grenzen äusserst gering.! Die folgenden Tabellen geben zunächst den Vergleich zwischen Reizung der Zeigefingerspitze und einer Stelle des Oberarms, welche etwa der Insertion des Deltoideus entsprach. Wir beschränken uns auf die Angabe der Resultate, welche in der eben erwähnten Weise aus jeder Gruppe hervorgegangen sind. 18.v. Kries und Auerbach, Die Zeitdauer einfachster psychischer Processe. Dies Archiw. 1817. S. 357. ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÖRT DES REızEsS. 5 Tabelle I. Gereizte Stellen: Spitze des Zeigefingers und Mitte des Oberarms. Reactionszeit in Stimmgabelschwingungen = !/,, Sec. Reag. H. | Reag. K. Arm. Finger. Differenz. Arm. Finger. Differenz. 4.85 4.81 — 0.04 3:94 3:86 —0-08 4.43 4.16 —0:.27 3:49 3-80 +0-.31 4.48 4.47 —0:.01 3:69 3:78 +0.09 4.12 4:16 +0-.04 3.77 373 —0-.04 4.83 4.72 —0.09 3:84 3.89 +0-05 4.10 4-05 — 0.05 3=16,: 32/6 0.0 4.12 4-03 —0.09 3:84 3-56 —0:28 4.13 4-03 — 0-10 3:52 3-78 +0-26 4.32 4.22 —0.10 3.417 3-67 +0-.20 4.41 4:19 —0:.22 3:87 3-72 -+0-35 4.63 4-24 —0.39 3-46 83:60 +0-.14 437 4-21 —0-15 3:49 3.61 +0-12 a 207 0.48 Be Ten 010 In See. 0.152 0.147 — 0.005 0.126 0.129 + 0.003 Wenn wir den Abstand der beiden Hautstellen zu 65 °%® annehmen und für die Leitungsgeschwindigkeit die schon sehr hohe Zahl von 60%, so müsste man eine Zeitdifferenz von + 0011 Sec. erwarten. Im Gegensatze hierzu ergiebt die Differenz 0-003 bei K. eine Leitungs- geschwindigkeit von 214”. Aber vollkommen entscheidend ist das Re- sultat, welches die Versuche von H. ergeben. Regelmässig ist die Reactions- zeit vom Oberarm aus länger als vom Finger aus, trotz des kürzeren Leitungsweges. In den 12 Einzelwerthen, welche für die Differenz ge- funden sind, ist nur ein einziger positiv. — Schwerlich wird Jemand geneigt sein, diesen Umstand immer noch auf die Leitungsgeschwindig- keiten zu beziehen. Man müsste zu diesem Zwecke die unwahrschein- lichsten Annahmen über die Abhängigkeit derselben von der Länge der durchlaufenen Strecke, ihre Verschiedenheit in verschiedenen Theilen der Nerven u. s. w. machen. Es kann vielmehr gar kein gegründeter Ein- wand gegen die nächstliegende Deutung erhoben werden, dass die redu- eirten Reactionszeiten von dem Ort der gereizten Stelle in erheblichem Maasse abhängen, -so zwar, dass sie bei Reizung des Fingers kürzer sind als bei Reizung des Armes. Es muss diese Differenz im betrachteten Falle 0.011 + 0-005 = 0:016 Sec. betragen haben. Diese Differenz ist nicht einmal sehr bedeutend im Vergleich mit dem ganzen Betrage der 6 G. S. Hau unD J. v. KrıEs: reducirten Reactionszeit. Denn nehmen wir die Länge der Leitung vom Finger zur Hirnrinde rund zu 1” an, so erhalten wir eine Leitungszeit hin und zurück von 0'033 Sec., wenn wir 60” als Geschwindigkeit an- nehmen. Rechnen wir dazu noch 0-010 Sec. als Latenzzeit im Muskel und subtrahiren 0-043 von der ganzen Reactionszeit 0-147, so bleiben für die reducirte noch 0-104. Der entsprechende Werth für den Ober- arın beträgt 0°104 -+- 0:016, also nur um !/,—!/, mehr. Man kann es in gewissem Sinne als einen glücklichen Zufall be- trachten, wenn bei dem Vergleich der Stellen die Differenz der redu- cirten Reactionszeiten so gross und in dem Sinne ist, dass die Differenz der Leitungszeiten dadurch übercompensirt wird. Obgleich wir noch eine Reihe anderer Stellen untersucht haben, fanden wir doch ein solches Verhältniss nicht wieder. Aber es ist auch ein einzelner Fall schon ausreichend, um das Vorhandensein von Unterschieden in den reducirten _ Reactionszeiten zu constatiren. Bei einer Vergleichung der Reactionszeiten vom Finger und Nacken erhielten wir als Mittelwerth aus 7 Gruppen: Finger. Nacken. Differenz. 0.150 0.142 0:008 | K. | Finger. Nacken. Differenz, 0126 0120 0.006 Der Unterschied in den reducirten Reactionszeiten ist hier nur in der Weise wirksam, dass er die aus den Leitungsbahnen resultirende Diffe- renz vermindert. Man würde daher bei einer Berechnung der Leitungs- geschwindigkeit zu hohe Werthe erhalten (120 und 150”). LI. Bei der Untersuchung des Auges fanden wir ganz ähnliche Verhält- nisse, nur erheblich prägnanter. Es handelte sich hier um eine Ver- gleichung der Reactionszeiten bei direct und indirect gesehenem Licht- signal. Wir benutzten nicht den durch Luft überschlagenden Inductions- funken, sondern liessen den Schlag sich durch eine kleine Geissler’- sche Röhre entladen. Es hatte das zwei Vortheile: erstens grössere Inten- sität der Lichterscheinung, und zweitens Geräuschlosigkeit derselben. (Bekanntlich darf das Lichtsignal nicht gleichzeitig ein akustisches sein.) Dem Kopfe des Reagirenden wurde durch einen einfachen Halter eine constante Stellung gesichert (Drehungen jedoch gestattet), und während ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÖRT DES REIZES. 7 das Lichtsignal ebenfalls an derselben Stelle blieb, konnte das Auge auf verschiedene Visirzeichen gerichtet werden, so dass die Lichterscheinung bald im Fixationspunkte, bald in verschiedenen Stellen der Gesichtsfeld- peripherie erschien. Es wurde immer nur das eine Auge benutzt, das andere geschlossen gehalten. Auch hier hätte können die Forderung gestellt werden, die Reize für die verschiedenen Theile der Netzhaut gleich stark zu machen. Da indessen die Frage, wie sich in dieser Beziehung die verschiedenen Theile der Netzhaut verhalten, keineswegs sicher beantwortet ist, so zogen wir es vor, einfach denselben Reiz auf alle Theile wirken zu lassen. Wie sich sofort zeigen wird, sind übrigens die Resultate, welche wir erhielten, so deutliche, dass sie selbst durch erhebliche Variationen der Inten- sitäten nicht wären beeinflusst worden. Wir bezeichnen im Folgenden die Reihen nach der Stelle des Ge- sichtsfeldes, in welcher das Lichtsignal erschien; es bedeutet also z. B. „Aussen“, dass dasselbe in der temporalen Gesichtsfeldhälfte sich be- fand, demnach die mediale Netzhaut traf. Auch hier waren die Ver- suchsreihen immer der Art zu Gruppen geordnet, dass die Ermüdung ausgeschlossen werden konnte, z. B. 1) Aussen, 2) Innen, 3) Aussen, zum Vergleich dieser beiden Ge- sichtsfeldstellen; oder 1) direct, 2) aussen, 3) innen, 4) aussen, 5) direct, wo dann 3) ver- glichen wird mit dem Mittelwerth von 1) und 5) und 2) und 4). Hier- nach sind die im Folgenden gegebenen Mittelwerthe zu beurtheilen. Tabelle II. Vergleich der Reactionszeiten bei directem und indirectem Erblicken des Lichtsignals. Die Stellen des indirecten Sehens sind 30° vom Fixations- punkt entfernt. Die Zahlen bedeuten Stimmgabelschwingungen von !/,. Sec. Reag. H. Direct. Aussen. Innen. Direct. Unten. Oben. 6-33 ADETL60 Gelsn 6H70 N 8530 De er gl 6392 TS 6-15 7.24 a sADB.- |. 46437 6.99 8.11 Bess W671 7.83 6-51 107810 407% 2'8-35 790 OA TE 320419: 0-36, © 1.11... 2.58 6.4 7.20 8.33 0) In Sec. 0:219 0.245 0.261 0.222 0.248 0.287 8 G. S. HıLu unD J. v. KRiEs: Reag. K. Direct. Aussen. Innen. | Direct. Unten. Oben. 4-80 5.38 5-45 4-64 5-07 6-00 9-17 5-66 5-90 5-08 5-70 6-51 4-66 5-16 5-33 4-79 5.51 6-11 4-85 5-33 5-88 5-66 . 5-49 6.22 5-22 5-58 5-64 5-13 5-40 6-17 4-92 5-19 5-83 4:99 5-18 6-45 Del 4-94 5:88 ° 5-67 4-95 5-39 6-24 InaSec. 0-31,107 0218635205396 OENl 0.186,2 0.205 Tabelle TIT. Vergleich der Reactionszeiten bei directem und indirectem Erblicken des Lichtsignals. Die Stellen des indireeten Sehens sind 60° vom Fixations- punkt entfernt. Die Zahlen bedeuten Stimmgabelschwingungen - von !/,, Sec. Reag. H. Unten. Oben. Differenz. | Aussen. Innen. Differenz. 8.08 29.042 0.96 Sr oe 1.48. 8:33 0.85.. | 280006 78, 790° 20.33 2.90, 0022050 20:15 6.982 2 31:322..0.84 7.0500 8.200.01.05 7.:0697983088 20,39 Sale SA 28 use ae, dal oe In Sec. 0.263 0-291 0.028 0.263 0.281 0.018 Reag. K. Unten. Oben. Differenz. | Aussen. Innen. Differenz. Deo SA Deso 62a eos 0.98 Se) lo Boieh Borke Socl Be | en rl BRD 5 703 RO In Sec. 0.184 0.248 0.064 0:216 0.277 0.061 Es geht aus diesen Tabellen mit voller Evidenz hervor, dass die Reactionszeiten bei indirectem Sehen grösser sind, als bei directem; aber es zeigt sich auch weiter noch, dass die Richtung, nach welcher wir uns um eine bestimmte Anzahl Grade vom Fixationspunkte entfernen, keines- 1 ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT DER REACTIONSZEITEN VOM ÜRT DES ReızEs. 9 wegs gleichgiltig ist. Die Werthe für den unteren und äusseren Theil des Gesichtsfeldes sind einander nahezu gleich; stets aber ist der Werth für die mediale Hälfte grösser, als für die temporale, für die obere grösser, als für die untere. Diese sehr erheblichen Differenzen auf Leitungszeiten in ‘den peripheren Nervenfasern zu beziehen, erscheint vielleicht nicht absolut unmöglich; bei weitem wahrscheinlicher aber ist jedenfalls auch hier die Vorstellung, dass die centralen Theile der Reactionszeiten je nach dem Orte der Reizung verschieden sind. Interessanter Weise finden wir hier eine sehr deutliche Beziehung zu den sonstigen functionellen Verschieden- heiten der Netzhautpartien. In der That wissen wir ja, dass die Functions- fähigkeit der Netzhaut in jeder Beziehung (Sehschärfe, Liehtsinn und Farbensinn) nach verschiedenen Richtungen vom Centrum hin verschieden schnell abnimmt, so dass bei gleichem Winkelabstande stets die tempo- rale Gesichtsfeldhälfte der medialen gegenüber, die untere der oberen gegenüber bevorzugt erscheint. Man pflegt dies darauf zu beziehen, dass wir auf die untere Hälfte unseres Gesichtsfeldes mehr zu achten ge- wöhnt sind, als auf die obere und ebenso naturgemäss jedem Auge von den seitlichen Theilen des Gesichtsfeldes vorzugsweise die gleichseitigen (dem rechten die rechts-, dem linken die linksgelegenen) zur Beobach- tung zufallen. Es dürfte nicht zu kühn sein, wenn wir auch die Reactionszeiten uns von der allgemeinen Einübung der einzelnen Netz- hautstellen in ähnlicher Weise abhängig denken. Aus -dem gleichen Gesichtspunkte erklärt sich leicht auch die besondere Kürze der Reactions- zeiten bei Reizung der Fingerspitze. Indessen folgt hieraus noch nicht eine so enge Abhängigkeit zwischen Reactionszeit und Raumsinn, dass immer von den Stellen mit feinerem Raumsinn auch die kürzere (redu- eirte) Reactionszeit gefunden werden müsste. So fanden wir z. B. bei einer Vergleichung der Zungenspitze mit der Stirn als Mittelwerth aus acht Gruppen K. | H. Stirn. Zunge. | Stirn. Zunge. 0.122 0:126 0:163 0.166 Es ist also die Reactionszeit von der Zunge aus noch etwas länger als von der Stirn, obwohl der Raumsinn nach Weber an der Zungen- spitze etwa zwanzig Mal feiner ist, als an der Stirn und die Leitungs- zeiten für beide Stellen jedenfalls nur eine sehr geringe Differenz be- dingen können. Zwischen der dorsalen und volaren Seite der letzten Phalange des Fingers vermochten wir keinen Unterschied zu constatiren. Es soll daher keineswegs eine allgemein giltige einfache Abhängig- keitzwischen Empfindlichkeit und Reactionszeit behauptet, sondern nur die 10 6. S. Hann un J. v. Kress: ÜBER DIE ABHÄNGIGKEIT U. S. w. unverkennbaren Beziehungen, welche sie unter Umständen zeigen, ange- deutet werden. Wenn die Einübung derjenigen Stelle, welche vom Reiz getroffen wird, auf die Reactionszeit von einem nicht zu vernachlässigenden Ein- fluss ist, so werden wir erwarten dürfen, dass auch die Art der Reaction nicht gleichgiltig ist, sondern mit manchen Bewegungen, welche wir mit Präcision unter der Herrschaft des Willens auszuführen gewohnt sind, schneller, als mit andersbeschaffenen geantwortet wird. Hiernach würde die Bestimmung der motorischen Leitungsgeschwindigkeiten aus den Reactionszeiten denselben gegründeten Einwürfen unterliegen, wie die der sensibeln. Wenn wir erwägen, dass die Bestimmung der sensiblen und motorischen Leitung in die Bahnen des Rückenmarks auf einem Ver- gleich der Reactionszeiten bei Reizung der oberen und der unteren Ex- tremität oder bei Reaction mit der einen und der anderen beruht, so finden wir, dass die gefundenen Verhältnisse besonders geeignet sind, uns die Leitung im Rückenmarke langsamer erscheinen zu lassen als sie ist; denn es wird ein grosser Theil der Verzögerung, welche bei Be- nutzung der unteren Extremität sich herausstellt, irrthümlich auf Rech- nung der Rückenmarksleitung geschrieben. Die Resultate des Mitgetheilten können wir dahin zusammenfassen, dass die reducirten Reactionszeiten je nach der Stelle, welche der Reiz trifft, nicht unerheblich verschieden sind und beim Auge diese Unter- schiede sich ganz deutlich denen der sonstigen Functionstüchtigkeit der verschiedenen Netzhauttheile anschliessen; dass die Reactionsmethode zur Bestimmung: der sensibeln uud motorischen Leitungsgeschwindigkeit nicht brauchbar ist, und daher die Leitungsgeschwindigkeit in den langen Bahnen des Rückenmarks zur Zeit unbekannt ist. Anm. Bei Berücksichtigung der Verschiedenheiten der reducirten Reactions- zeiten erledigt sich ein Bedenken von selbst, welches Richet (l. e.) bei Besprechung der von Auerbach und mir herrührenden' Arbeit geltend gemacht hat. Er frast nämlich, ob Werthe von der Ordnung unserer Unterscheidungszeiten (1—6 Hundert- \ . theile einer Seceunde) nicht in die Grenzen der Versuchsfehler fallen; er hält dies ° sogar für wahrscheinlich auf Grund eigener Versuche. Diese Versuche haben nun aber darin bestanden, die sensible Leitungsgeschwindigkeit mittels der Reactions- methode zu bestimmen, was ihm nicht gelang. Richet hat hierbei, wie aus seinen Worten deutlich hervorgeht, die Möglichkeit eines Unterschiedes in den reducirten Reactionszeiten völlig ignorirt. Auf diesen letzteren Umstand und nicht auf die seringe Genauigkeit der Versuche muss daher wohl das Scheitern seiner Bemühungen bezogen werden. Kr: Ber Die willkürliche Muskelaction. Von Hugo Kronecker und G. Stanley Hall. Aus dem physiologischen Institute zu Berlin. Alle willkürlichen Acte werden nicht unmittelbar, sondern durch Vermittelung des Rückenmarks auf die Muskeln übertragen. Auch nach Flechsig’s Untersuchungen ! sind den motorischen Bahnen, auf welchen die Willensimpulse vom Grosshirn zu den Muskeln verlaufen, mindestens in den Vorderhörnern Ganglienzellen eingefügt. Wir können daher un- sere Muskeln nicht in so directer Weise innerviren, wie es elektrische Reize, den motorischen Nerven applieirt, vermögen. Wir haben keine Macht, die Frequenz der dem Muskel durch seine motorischen Nerven zugeführten, vom Willen im Rückenmarke ausgelösten Reize wesentlich zu ändern. Der natürliche Muskelton hat immer ungefähr gleiche Höhe. Ebensowenig sind wir im Stande, den willkürlichen Impulsen auch nur annähernd die Intensität maximaler Nerven- oder Muskelreize zu geben. ? Ein in Bewegung gesetztes System von Ganglienzellen giebt die em- pfangene Erregung nicht in unveränderter Form wieder. Beweise dafür liefern z. B. die coordinirten Reflexe. — Die Schwingungen, in welche die Gangliencentren vom Willenscentrum her versetzt werden, wirken auch nach der Peripherie in rhythmisch wiederkehrender Folge. Die Reize, welche den motorischen Nerven treffen, werden, wie 1 Die Leitungsbahnen im Gehirn und Rückenmark des Menschen, Leipzig 1876, und Ueber Systemerkrankungen im Rückenmark. Leipzig 1878. 8. 25 u. a. 2 H. Kronecker, Ueber Ermüdung und Erholung quergestreifter Muskeln, Arbeiten aus der physiol. Anstalt zu Leipzig. 1871. S. 264. 12 Hvco KRONECKER U. G. STANLEY HALL: Helmholtz! gezeigt hat, vom zugehörigen Muskel ihrer Folge nach genau wiedergegeben, etwa ebenso wie eine Telephonplatte die in der. zugehörigen Rolle kreisenden Stromstösse anzeigt, derart, dass im Mus- keltone Timbreeigenthümlichkeiten der schwingenden Feder eines den Kaninchenischiadicus kräftig reizenden Schlitteninductoriums hörbar wer- den. Es mag dies so zu Stande kommen, dass die im Ganzen und mit relativ fixen Knoten schwingende Feder ausser den starken Contacten, die mit den Wellenbergen des Grundtons isochron sind, auch noch schwächere, Obertönen entsprechende, veranlasst. Es darf also aus dem sogen. natürlichen Muskeltone, wie er durch willkürliche Erregung, und nach der Beobachtung von E. du Bois- Reymond? durch elektrische Reizung des Kaninchenrückenmarkes er- zeugt werden kann, auf die Anzahl der vom Rückenmarke den moto- rischen Nerven zugeführten Reize geschlossen werden. Durch Beobach- tungen consonirender Federn von bekannter Schwingungsdauer hat Helmholtz (1866) die Frequenz dieser Reize zu 18—20 in der Secunde bestimmt. Gegenüber den „neuerdings vielfach ausgesprochenen Zweifeln, dass die natürliche Contraction wirklich discontinuirlicher Natur sei,*? er- scheint es wünschenswerth, die Vibrationen des durch Vermittelung des Rückenmarkes gereizten Muskels objectiv darzustellen. Dies ist uns mit Hülfe einer höchst einfachen Vorrichtung gelungen, der wir die in fol- gender Figur (S. 3) abgebildete Zeichnung verdanken. Der einfache, leicht zu improvisirende Versuch wurde in folgender Weise ausgeführt. Dem Kaninchen wurde die Medulla oblongata ober- halb des Athmungscentrums durchtrennt (um unnöthigen Schmerz und willkürliche Bewegung auszuschliessen), sodann wurden unterhalb desselben Nadelelektroden beiderseits dicht neben dem Rückenmarke eingestochen. Quer über den blossgelesten Musculus biceps femoris, welcher nahe der schnell rotirenden Trommel eines Cylinderkymographions von Baltzar'- scher Construction fixirt war, wurde der Schreibhebel einer Marey’schen Luftkapsel nahe seinem Drehpunkte leicht gelagert, der Schenkel am Halter gut befestigt. Eine am Ende des Hebels angebrachte feine Glasfeder schrieb mit verschwindender Reibung auf der berussten Glanzpapierfläche 1 Monatsbericht der Berliner Akademie vom 23. Mai 1864. — Verhandl. des naturhistor. medicin. Vereins zu Heidelberg. 1866. Bd. IV, 8. 88. 2 Monatsbericht der Berliner Akademie. 1859. 8. 318.— Gesammelte Abhand- lungen, Bd. II, S. 30. ®L. Hermann, Allgemeine Muskelphysik im Handbuch der Physiologie. Leipzig 1879. Bd. ], S. 51. u a FE An 20 ze DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. E .- des Cylinders. Nunmehr wurden Wechselinductionsströme von der secun- dären Spirale eines du Bois-Reymond’schen Schlitteninduetoriums mit schnell schwingendem Hammer dem Rückenmarke zugeführt. So wurde die unterste der in Fig. 1 abgebildeten Wellenlinien gewonnen. Zu- gleich markirte ein Chronograph !/,oo ‚, welche ganzen Wellenlängen der mittleren Linie entsprachen. Die obere Linie wurde gewonnen, als anstatt des Rückenmarkes der Nervus ischiadicus direct gereizt wurde. VVYWVWVVWVVVYVVYUVVVVVVVVVVAAWNAAV VUN VVVVUNVAWVVVVVYVEDINMVVVVN NAVY VUVVUMANAAMA Fig. 1. Vibrationen des M, biceps femoris vom Kaninchen. Reiz 42 Oefinungsschläge pro Secunde: 1, dem oberen Ende des vom verlängerten Mark abgelösten Rückenmarkes applieirt (unterste Curve), 2, dem Ischiadieusnerven applieirt (oberste Curve), — Die mittlere Linie markirt "/,, Secunden, Diese Curven zeigen, dass ein durch Vermittelung des Rückenmarks tetanisirter Muskel ungefähr 20 nicht sehr gleichmässige Schwingungen pro Secunde ausführt, während vom motorischen Nerven aus recht regel- mässige und deutliche Vibrationen, gleicher Frequenz (etwa 43 pro Sec.) wie die wirksamen Reize, gewonnen wurden. Zur Controle haben wir später den schwingenden Hammer selbst auf der rotirenden Trommel zeichnen lassen und mit den Muskelvibrationen übereinstimmende Fre- quenzen gefunden. Man könnte nun aus dem Umstande, dass die Rücken- markstetanuscurve ziemlich genau halb so viel Wellen aufweist, als die bei Nervenreiz erhaltene Tetanuscurve, den Verdacht schöpfen: es seien von den Rückenmarkselektroden ausgehende Stromschleifen der wirksamen Oefinungsinductionsschläge im ersten Falle directe Nervenerreger, wäh- rend die dem Nerven direct applicirten Elektroden Oefinungen und Schliessungen zur Geltung kommen lassen. Eine einfache Betrachtung widerlest diesen Einwand gegen die Beweiskraft des Experiments. Wenn die Vibrationsfrequenz bei Nervenreizung durch Oeffnungs- und Schlies- sungsinductionsschläge verursacht wäre, so müsste der den Reiz auslösende Hammer nur 43 halbe Schwingungen ausgeführt haben, denn jedes An- legen des Hammers an den Contactstift bewirkt eine Schliessungsinduction, jedes Losreissen zum Magnet herab einen Oefinungsinductionsstrom. Nun vermochte aber der Hammer unseres Apparates nicht mit weniger als 35 ganzen Schwingungen in regelmässiger Bewegung zu bleiben, 14 Hu6o KRoNEcKER v. G. Stanıer Härt: während die höchste erreichbare Frequenz etwa 55 Vibrationen betrug." Es hätten aber nur 21 bis 22 ganze Schwingungen den angenommenen Effect haben können. Es sind also die Wellen des Rückenmarkstetanus nicht durch Stromschleifen, die zum motorischen Nerven vorgedrungen sind, zu erklären, sondern durch die prästabilirte Reizfrequenz der irgend- wie erregten Rückenmarkscentren. Bei unserer peripheren Nervenreizung sind demnach nur die Oeffnungsinductionsströme wirksam gewesen. Dies ee Fe VE Bi Bitch scheint den meisten Beobachtern des Muskeltons begegnet zu sein, denn 4 fast alle geben den durch direete Reizung gewonnenen Muskelton als gleichhoch mit der klingenden Reizquelle an. Nur Helmholtz erwähnt schon in seiner ersten Mittheilung über diesen Gegenstand (1864 a. a. O.), dass er auf Reiz mittels einer Stimmgabel von 120 Schwingungen im sereizten Muskel „verhältnissmässig stark auch den Ton von 240 Schwin- gungen, die höhere Octave des Tones der Gabel hörte, welcher durch die gleichzeitig wirkenden 120 Oefinungsschläge und die etwas-schwäche- ren 120 Schliessungsschläge hervorgerufen zu sein schien.“ In dieser selbigen Mittheilung weist Helmholtz auch die Annahme zurück, „dass etwa der elektrische Strom den gespannten Muskel direct, wie einen gespannten Draht in Erschütterung setzte. „Um auch diese Mög- lichkeit auszuschliessen, liess ich,“ fährt Helmholtz? fort, „endlich den Strom durch den Nervus medianus am Oberarm gehen und schwächte seine Stärke so, dass er direct auf die Muskeln applieirt, diese nicht in Zusammenziehung brachte. Sowie der Strom den Nerven kräftig genug traf, dass starke Contractionen der Vorderarmmuskeln entstanden, hörte ich aus diesen den Ton der stromunterbrechenden Feder deutlich heraus- tönen. Wenn ich dagegen die Elektroden am Oberarm ganz wenig zur Seite schob, dass die Wirkung auf die Vordermuskeln aufhörte, so ver- schwand auch der Ton.... Diese Versuche scheinen mir erstens jeden Zweifel an der Existenz eines eigenthümlichen, von dem Zustande der Contraction abhängigen Muskelgeräusches und jede Erklärung desselben aus einer Reibung des Muskels an den umliegenden Theilen oder dieser an einander zu beseitigen.“ Nachdem die Untersuchungen von Helm- holtz über den Muskelton die früher von du Bois-Reymond? ge- sebenen Beweise für die Unstetigkeit jedes Tetanus bekräftigt hatten, waren aus dem merkwürdigen Umstande, dass von den durch Vermit- ! Auch Helmholtz hat in der oben eitirten Abhandlung „Ueber den Muskel- “ die Schwingungszahl der Feder gewöhnlicher Inductionsapparate zu 40—60 pro Seeunde bestimmt. ?2 Hermann (Handbuch d. Physiol. Bd. I, S.52) hat diesen Beweis nochmals geführt. 3 Dies Archiv 1875, 8. 637 und Gesammelte Abhandl. Bd. Il, S. 506 u. 507. ton A ae er rs ee N | | DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 15 telung des Rückenmarks telanisirten Muskeln kein deutlicher secundärer Tetanus zu gewinnen war, Zweifel gegen die prineipielle Identität der Vorgänge im Muskel bei natürlicher und bei künstlicher Reizung desselben erhoben worden. Brücke? hat diese Erscheinung durch die Annahme erklärt, dass bei der natürlichen Erregung die einzelnen Fasern nicht gleichzeitig nach Art von Salven, sondern nach Art eines Pelotonfeuers ihre Reizstösse empfangen und Kühne? hat jüngst Eigenthümlichkeiten im anatomischen Verhalten der Nervenendfasern im Muskel entdeckt, welche für die Kenntniss der natürlichen Muskelerregung bedeutungs- voll zu werden versprechen. Danach „können in den nirgends fehlenden gleichgerichteten Parallelfasern keine Wellen ohne Phasendifferenz neben einander fortschreiten.“ Wir haben weitere Aufschlüsse von den in Aussicht stehenden eingehenden Arbeiten über diesen Gegenstand aus dem Heidelberger physiologischen Institute zu erwarten.‘ Für unseren Zweck genügt es, objeetiv nachgewiesen zu haben, dass eine von der Frequenz der dem Rückenmarke zugeführten Reize und von der Masse und Art des schwingenden Muskels?® unabhängige bestimmte Anzahl von Stössen den Muskel in Erschütterungen versetzt. Auch viel häufigere Erschütterungen des künstlich erregten Muskels können un- zweifelhaft durch feine Schreibmittel getreu objectiv dargestellt wer- den. Es hat der Eine von uns schon a. a. O.° die durch Ranvier vom weissen Kaninchenmuskel erhaltenen 357 Curvenzacken pro Secunde als - gezeichnete Muskeltonvibrationen gedeutet und ausdrücklich hervorgehoben dass wir „weit entfernt seien“ dem „mit den vorzüglichen Messwerk- zeugen des Hrn. Marey ausgerüsteten Forscher“ Irrthümer in der Be- stimmung der Reizfrequenz zuzumuthen. Es war dies schon um des- willen hier nicht möglich, weil ja die Reizfrequenz nicht aus der Schwin- gungszahl des Stromunterbrechers, sondern aus der Vibrationsfrequenz des gereizten Muskels, also der Zahl der wirksamen Reize geschlossen 1 Die wesentlichen Angaben hierüber finden sich in der eitirten Arbeit „Die Genesis des Tetanus“ S. 20 ff. zusammengestellt. 2 Sitzungsber. der Wiener Akademie. 1877. Bd. 75, Abth. III, S. 28 u. 29. 3 W. Kühne, Ueber das Verhältniss des Muskels zum Nerven. (Im Auszuge mitgetheilt. F.) Verhandlungen des naturkistor. mediein. Vereins zu Heidelberg. N.F. Bd. II, Heft 4. % Nach Schluss des Druckes dieser Arbeit sind W. Kühne’s Untersuchungen aus dem physiol. Institut zu Heidelberg, 1879, erschienen, worin, S. 65, die eben aus- seführte Ansicht ausführlicher erörtert ist. 5 Diese schon oben erwähnte Eigenschaft des Muskels, ähnlich wie eine ape- riodisch schwingende Telephonplatte, auf alle Anstösse zu reagiren, spricht gegen die Vermuthung von Brücke (a. a. O. S. 30), dass der Muskel gewissermaassen einen Eigenton habe. 6 Die Genesis des Tetanus. A. a. O. S. 18. 16 | HuGo KRONECKER u. G. StAnuer Harn: | worden ist. Wir hatten also nicht, wie Hermann im neuen Handbuche der Physiologie meint, die Ursache für die auffallenden Angaben Ran- vier’s in gewissen Mängeln seiner Versuche vermuthet. Dass aber die Verdickungswellen nicht als Merkmale unstetiger Verkürzung auf- zufassen seien, dafür haben wir noch neue experimentelle Beweise zu den schon in der Genesis des Tetanus gegebenen gefügt. | Weder vom Kaninchen noch auch vom Frosche erhielten wir deut- liche Zacken in den Krampfeurven, welche der an die Sehne befestigte Schreibhebel auf den Cylinder schrieb, mochte der Krampf durch will- kürliche Antriebe des Thieres, durch reflectorische Reize, durch Strychnin- vergiftung oder durch elektrische Reizung des Rückenmarks ausgelöst sein. Nur wenn directe Nerven- oder Muskelreize in Intervallen von !/,, oder weniger angewendet wurden, erschien die Tetanuscurve schwach ° gewellt. Es sind demgemäss 20 untermaximale Reize in der Secunde auch für den Warmblütermuskel gerade hinreichend, einen mässigen continuirlichen Verkürzungskrampf zu bewirken. | Nunmehr erhebt sich die Frage, ob der Wille, wenn er auch keine Macht über das Reizintervall hat, die Anzahl der vom Rückenmarke aus- " gehenden Reize beliebig, also auch bis zu einem einzigen mindern kann. Auch Brücke wirft (a.a. O. S. 31) die Frage auf: „Giebt es überhaupt willkürliche Bewegungen, welche durch einen einmaligen Impuls ausgelöst " werden?“ S.33 kommt er zu dem Schlusse: „Als unzweifelhaft kann man aber wohl annehmen, dass bei Entladungen, wie wir sie willkürlich vom Gehirne aus zu den Muskeln senden können, unter allen Umständen Addition stattfindet.“ Die Erfahrung, dass man willkürlich ruckweise Bewegungen ausführen kann, welche selbst kürzer dauern als einfache Muskelzuckungen, ist, wie a. a. O. angegeben, durch die unserem Willens- centrum gewohnheitsgemässe Befähigung erklärlich „den Willenstetanus “ des innervirten Muskels durch schnell darnach eingreifende Wirkung der Antagonisten abzuschneiden.“ N. Baxt hat in Gemeinschaft mit dem Einen von uns schon vor mehreren Jahren durch einige Versuchsreihen die Dauer einfachster Willensbewegungen bestimmt und, wie bereits an anderem Orte kurz mitgetheilt worden ist,! gefunden: „Dass eine willkürliche möglichst einfache Contraction (Anschlag mit einem Finger) ziemlich genau doppelt so lange Zeit, im Mittel, dauert als die gleiche durch einen einzelnen Inductionsschlag ausgelöste Bewegung.“ Um die Contractionsdauer zu bestimmen, drückte der Beobachtete, während eine seiner Hände einen als Stütze dienenden Halter umfassten, mit einem Finger dieser ı H. Kronecker und W. Stirling, Die Genesis des Tetanus. Dies Archiv. 1878. 'S. 23. DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 17 Hand die ohne Mühe biegsame Feder eines in der Elliot’schen Werkstatt treffllich gearbeiteten elektrischen Schlüssels vom oberen (einstellbaren) Contacte ab und auf den unteren fest, um sodann den ruhenden Finger von der Feder zum oberen Contacte zurückheben zu lassen. Der Schlüssel hielt einen Strom geschlossen, welcher nur während der Zeit unterbrochen wurde, wo die Feder vom oberen zum unteren Contacte oder in umgekehrter Richtung bewegt wurde. Ein Baltzar’- scher elektromagnetischer Schreibapparat markirte Lösung und Verbin- dung des Contactes. Demzufolge gab jede Contractionsperiode 4 Zeiten: 1) Beginn des Druckes, 2) Moment der definitiven Hemmung, 3) Be- endigung des Druckes, 4) Moment, in welchem die Ruhelage wieder erreicht ist. Es würden also die Zeiten von 1 bis 3 der Dauer der Zusammenziehung, 5 bis 4 der Erschlaffungszeit entsprechen. Baxt hat mit Hülfe dieses bei anderer Gelegenheit näher zu erörternden Verfahrens folgende bisher noch nicht mitgetheilte Werthe für die Dauer einfacher willkürlicher und einfacher künstlicher Contractionen der Finger erhalten: I. An sich selbst: A. Auf Willensreize Von der rechten Hand (Mittel aus 37 Versuchen) für die Sekınser ...\. RE ER HEN. 72.26. 4 0:8208 Von der linken and (Mittel aus 42 Versuchen) . . . 0.302” Vom Zeigefinger der rechten Hand ee aus 15 Ver- sachen) ee . 0.296”. B. Auf Reizung durch einzelne Pad cksshrümer Vom Zeigefinger der rechten Hand (Mittel aus 29 Ver- anche) obs EHEN RE II. An Hrn. Prof. Yeo, der diese Versuche gütigst unterstützte, A. Auf Willensreize: Vom Zeigefinger der rechten Hand (Mittel aus 40 Ver- SICHER Te BE int: 082220 B. Auf Reizung durch einzelne ne Vom Zeigefinger der rechten Hand (Mittel aus 20 Ver- STRCHETN OL RE NN nn. Oslade Der Eine von uns (Hall) fand bei Wiederholung dieser Versuche (ohne vorherige Uebung’ im einfachen Anschlage) im Mittel aus 37 Messungen vom Zeigefinger der rechten Hand: Nena Walllensteizern. 2 se OT B. Auf elektrische Hinzelneire, ee Archiv £, A. u. Ph, 1879. Suppl.-Band z. Physiol. Abthle. 2 18 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY HALL: Die Beschränkung, welche der Wille in seiner Macht ertragen muss, indem er diesen Endorganen keine einfachen Impulse zukommen lassen kann, wird aber reichlich aufgewogen durch die freie Abstufung in den Muskelbewegungen, welche das An- und Abschwellen der multiplen Reize, das Ein- und Ausschliessen der beliebig wechselnden Widerstände gewährt. Auch erhält sich die Reizbarkeit der Nerven gewiss länger, wenn die- selben durch wiederholte schwache Reize, als wenn sie durch einfache, beträchtlich verstärkte in lebhaftere Thätigkeit versetzt werden. Gewährt nun aber, wie im Allgemeinen die Wiederholung der Reize vor der Verstärkung derselben, auch eine grössere Reizfrequenz Vorzüge vor einer geringeren? Steht das natürliche Reizintervall, welches sich für alle bisher darauf untersuchten Thiere nicht wesentlich verschieden ergeben hat, ebenso wie es unzweifelhaft von gewissen unbekannten Eigenschaften des nervösen Centralorgans abhängt, so auch mit den Sonderheiten des Muskels im Einklange? Zuvörderst ist es, gemäss den von Einem von uns sefundenen Ermüdungsgesetzen, ein besonderer 'Vortheil, dass durch die langsamste Reizfolge, welche noch dauernde Zusammenziehung zu be- wirken vermag, die Ermüdung, die wesentlich mit der Reizfrequenz wächst, minimal gehalten wird. Sodann wird nach den von Helm- holtz gefundenen Gesetzen der Superposition zweier schnell auf einander folgender Zuckungen die mechanische Wirkung am grössten sein, wenn jede Zuckungscurve vom Maximum der ihr vorhergehenden anhebt. Damit also die normale Reizfrequenz maximale Wirkung erzeuge, wäre es nöthig, dass die einfache Zuckung in !/,, bis !/; ihr Maximum erreicht. Bei vielen Muskeln des Frosches, sowie bei den weissen Kaninchenmuskeln scheint dies unter normalen Verhältnisseu zuzutreffen. Es fehlt uns an Beobachtungsmaterial, die Gültigkeit dieser Angabe auch für menschliche Muskeln zu begründen. Die Analyse der Willensbeweguug erforderte nunmehr, zu unter- suchen, ob Zuckungen, die sich im Intervalle von !/,,” bis /,, super- poniren, höher sind als diejenigen, welche in früheren oder späteren Stadien sich zu summiren begonnen haben. Von den Doppelzuckungen. Die Beantwortung der so einfach formulirten Frage ergab bald so mannichfaltige Verwickelungen, dass dieselben durch viele Versuchs- reihen erst zum kleinen Theile haben gelöst werden können. Es sind, soviel wir bisher bemerkt haben, 4 Factoren, welche die Höhe der summirten Contraetion beeinflussen. u di 1m ee SE nd ZZ nt LA En a Ki u 3 Ba nn al nn Fa ne Tal a a ln Lu ULLA UL u Eee ee et ee = DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 19 I. Die mechanische Wirkung des zweiten Antriebes, welcher, wenn möglich, der vom ersten Impulse geworfenen Last eine neue Beschleunigung ertheilt. II. Die Ermüdung, welche ceteris paribus eine Höhendifferenz zwischen der ersten und der zweiten Zuckung bedingt: um so mehr, als die Erholungspause sehr klein ist. III. Die Aenderung der Erregbarkeit, welcher ein Muskel für kurze Zeit nach erhaltenem Reize unterliegt. IV. Ein Erregungsrest (Contractur), welcher zu den folgenden Con- tractionen sich addiren kann. I. Ueber die mechanische Wirkung doppelter Zuckungsantriebe. Helmholtz! hat in einer kurzen fundamentalen Mittheilung das schon oben erwähnte Gesetz aufgestellt, nach welchem zwei schnell auf- einander folgende maximale Zuckungen sich superponiren. Danach er- hebt sich die zweite Zuckungscurve so über die erste, wie wenn der Ausgangspunkt die natürliche Länge des ruhenden Muskels markirte. Die Maximalhöhe der summirten Zuckung muss also immer gleich sein der Maximalhöhe einfacher Zuckung, addirt zu der Entfernung des Aus- sangspunktes von der Abscisse. Es verstärkt demzufolge der zweite Impuls den ersten gar nicht, wenn dieser zur Zeit, wo der zweite me- chanisch wirksam wird, selbst noch keine merkliche Bewegung der Last verursacht hat. Dies ist der Fall, wenn das Intervall zwischen den beiden Reizen kleiner ist als !/,0, Secunde. Sind die Reize nicht maximal, so verstärken sich ihre Wirkungen auch bei der kleinsten Zwischenzeit. Helmholtz hat allem Anscheine nach seine Untersuchung auf das Stadium der steigenden Energie der Muskelzuckung beschränkt; es ist aber auch von Interesse, zu untersuchen, in welcher Art die Zuckungs- eurve im Stadium der sinkenden Energie durch einen zweiten Zuckungs- antrieb verändert wird. Da der natürliche Muskelton des Frosches 16—20 Schwingungen entspricht, das Stadium der steigenden Energie etwa !/,, Secunde dauert, so kann es sich ja leicht ereignen, dass der zweite superponirte Reiz, welchen das Rückenmark aussendet, erst mani- fest wird, wenn die Energie des contrahirten Muskels schon zu sinken begonnen hat. Aber auch abgesehen von diesem speciellen Interesse für 1 Monatsber. der Berliner Akademie der Wissenschaften. 1854. S. 328. 3*+ 20 HvGo KRONECKER UV. G. STANLEY HALL: das Verständniss der willkürlichen Tetani, ist die Untersuchung der Stummationsverhältnisse im absteigenden Curventheile um deswillen von allgemeiner Wichtigkeit, weil hierdurch ein Mittel gegeben ist, die Dauer des activen Theiles der Zuckung zu bestimmen. Zu diesem Zwecke war eine Versuchsreihe über Doppelzuckungen von v. Raum ausgeführt wor- den. welche in dessen Dissertation niedergelegt ist. Die Versuche waren aber nicht mannichfach genug, um vollkommen eindeutige Resultate zu bieten. Es ergab sich, wie zu erwarten, dass die Summation im auf- steigenden Theile vollkommener war, als die von gleich hohem Punkte im absteigenden Curventheil ausgehende. Auch bei Anwendung von „Federwiderständen anstatt der Gewichte zeigte sich, dass die Entwickelung der verdoppelten Kraft um so vollkommener ist, je weniger die Energie zwischen den beiden Impulsen sinken konnte“. Die Lösung der oben formulirten Frage stand also noch aus. Nachdem wir nunmehr durch eine grössere Anzahl von Versuchen über die Ursachen der Inconstanz der Summationswerthe manchen Auf- schluss erhalten haben, können einige Normen für das Verhältniss von Reizintervall und Summationshöhe aufgestellt werden. Für den grössten Theil unserer Experimente diente der Triceps fe- moris des Frosches, vom Plexus ischiadieus aus gereizt, als Versuchs- object. Der Muskel zeichnete seine Zuckung vierfach vergrössert auf der am Schreibhebel vorbeigeschossenen Platte des du Bois-Reymond’schen Federmyographions! auf. Das Myographion ist, seit sein Erfinder es be- schrieb, von diesem durch eine zeitmarkirende Stimmgabel vervollständist worden. Für besondere Zwecke haben Gad und Tschirjew? daran einen zweiten beliebig verstellbaren Reizungscontact, wir eine elektromagnetische Auslösungsvorrichtung und eine Quecksilberdoppelrinne angebracht. Diese letztere setzte uns in den Stand, mit einem Schlittenapparate beiden Contacten, welche durch die geschossene Platte geöffnet werden, die Doppel- reize in kurzen Intervallen dem Nerven zuzuleiten. Von den auf be- russter Platte fixirten Zeichnungen wurden Photographien genommen, welche Vorbilder für die hier wiedergegebenen Zeichnungen waren. Die folgende Fig. 2 diene als Muster für die Darstellung der Summa- tionscurve. Das Curvensystem ist von einem frischen Präparate gezeichnet worden, die Reize (Oeffnungsinductionsschläge) waren maximale, d. h. 'i. du Bois-Reymond, Gesammelte Abhandlungen, Bd. I, S. 261, aus Poggendorff’s Annalen der Physik u. Chemie. 1873. Jubelband. S. 591. ® S. Tschirjew, Fortpflanzungsgeschwindigkeit der elektrotonischen Vorgänge. Dies Archiv. 1879. S. 530 u. 531. WILLKÜRLICHE MUSKELACTION, x 4 Dıx azued vDII P aurg un I ag "FI, gyoudsgus ar uogsaogum Aop agurfuarfo M SIONSUIT SOp WASIMNONZIBWISTIN UEISOTESSNE aJouyuoN 'z WOA pun 'T WOA auonsIeA WIOP 0A AAP UEUOF dLp moup1L29q ,„ypun,y ueAmg 9 “arm I DUuaI “II pun ] aAanossunyonz oyımmuns uozuruepoM ET UOA [[EAroguf we op gouyprezog AIL--T "uop.ımMm uAAOLINDSIZ JA9Puosa3 Modınoa uerap “oAmossumyonz ayuıgmser uosurfuopeM & ISBF UOA [IBANUT WIE mOZIOy g SUR arp youupl9zogd PIL-F-I US uAI[WAISJUT UASSOAS pun UOWIOIN UT OUOSOTT UIOA "oII “ “ “ “ « RE "DJI “ « “ “ “ on r ‘I 9Aıny ıny guawowziog uop Jouyprzog u STIOWIOF SHOT UOIEISEIEN LUMEN 08 Ju Sop UEAIMOSFUNJONZ IIBWILEIT 22 Hu6o KRONECKER uU. G. STANLEY HALL: man konnte durch Verstärkung der Einzelreize keine höheren Zuckungen vom Muskel erhalten. Die resultirenden Summationscurven sind höher als sie dem Helm- holtz’schen Gesetze zufolge sein dürften. (S. 10.) Nach der oben wiedergegebenen Regel für die Zusammensetzung von schnell folgenden Zuckungen müsste die maximale Höhe der sum- mirten Zuckungscurve I + IIa gleich sein der Summe aus der Maximal- höhe der einfachen.Curve . „0 A 100 und der Entfernung des (Ausgangs-) Punktes für Curve IIa von der Abseisse (d. h. wo Ila von I sich abzuheben a) 300 er = 1 0)n die geforderte Summe würde SEIN A — 23.5um, Die Maximalhöhe der Summationscurve jr + ia ist er in Wirk- lichkeit? .. = Br 20 Ebenso sollte ia Maximalhöhe kr Smnneimermene I + Ile, ge- setzmässig summirt, aus dem Werthe der Maximalhöhe der einfachen Curve gleich sein . . . — und die Entfernung des Angers von ir Ansese a0 die geforderte Summe wäre demsemassıı Be a en sie ist aber in Wirklichkeit 222 le Den Freilich ist die Höhenbereehnung al aan na auszuführen, weil die Ausgangspunkte nicht genau bestimmbar sind, zumal oft, wie auch in diesem Falle der freigelassene Muskel während der vielfachen Zuckungen dauernd etwas gedehnt wird, so dass die Absceissen und dem- zufolge auch identische Zuckungseurven sich nicht vollkommen decken. Aus diesem Grunde sind auch im vorliegenden durch Fig. 1 wieder- gegebenen Muster die zu den vier Curven gehörigen Abscissen nicht gezogen worden, ebenso ist Curvel, deren Verlauf ja aus der Summations- curve I + IIe bis ganz nahe ihrem Ende erkennbar wird, nicht besonders gezeichnet. Auch werden die Curven oft seitlich etwas gegen einander verschoben, wenn die Schreibtafel nicht jedesmal mit genau gleicher Geschwindigkeit an dem aufgeworfenen Schreibhebel vorbeifliest. Diese Aenderungen der Geschwindigkeit, welche in der zeitmarkirenden Stimm- gabeleurve, zumal jenseits des zweiten Contactes, ausgedrückt erscheinen, sind bei der von uns angewandten Construction des Apparates unvermeid- lich, wenn die durch diesen Contact gebildete Hemmung an verschiedene Stellen der Bahn gerückt wird. Alle Fehler, welche durch die besproche nen Mängel der Zeichnung in die Berechnung der Summationshöhen ein- geführt werden, sind aber viel zu klein, um die oben bestimmten Diffe- renzen zwischen den gesetzmässigen und den wirklichen Maximalhöhen zu erklären. u DıiE WILLKÜRLICHE MUSKELAOTION. 23 Die wenigen in der folgenden Tabelle zusammengestellten Zahlen reichen wohl hin, zu zeigen, in welcher Art die Summation maximaler Zuckungscurven im Stadium der steigenden Energie geschieht. I. Tabelle der Höhenwerthe maximaler, von frischen oder wenig ermüdeten Muskeln gezeichneter Zuckungen, die sich im Stadium der steigenden Energie summiren. Verhältniss , Verhältnis | | a der Ausgangs- FR Ben Ausgangs- | Maximalhöhe | Maximalhöhe) 0... File höhe zur BOPN RE F: Macher | der | d Maximalhöhe | gesetzmässig höhe. ZN y: | summirten | en eseschen berechneten Zuckung. | Zuckung. | en . Zuckung Zuckung. Summations- 5 Dr höhe. mm mm mm mm 0-05 1.40 1.0 18-25 27.0 19.25 0.12 1.28 2.0 17:0 24.25 19.0 0.13 | 1.41 1*1.0@-0) | 7-.5(15-0)|12.0(24.0)| 8-5(17.0) Dar, 1-39 1-75 10-5 17-0 112.25 0:25 1.00 5.0 20-0 25.0 25-0 ‚ 0.32 1-04 5-50 17.0 23-5 22.5 0.35 1.06 5-25 15.0 21-5 20.25 0.42 Noll 7.0 16-5 26-0 23-5 0.65 0-98 10-0 15-5 25.0 25-5 0.73 0.89 8-0 11.0 17.0 19.0 0.84 0.83 14.5 17-25 27.5 31-75 0.87 0275 113.0 15.0 21-0 28.0 0.97 0.93 *7.0(14-0)| 7-25(14-5)113-25(26-5)|14-25(28-5) 1.00 0:74 17-5 17.5 26-0 39.0 Die ersten beiden Spalten der Tabelle zeigen, wie der zweite Im- puls immer mehr an Wirkung einbüsst, in je vorgerückterem Stadium der ersten Zuckung er dieser nachhilft. Die grösste Kraft entfaltet er, wenn er im ersten Sechstel der primären Zuckungscurve eingreift. Dann verläuft also die Zuckung nicht so, „als wäre der in diesem Augenblicke stattfindende Contractionszustand des Muskels sein natürlicher Zustand * In diesen Fällen ist der Angviffspunkt des Muskels am Schreibhebel bis zum Halbirungspunkte des Hebels vorgerückt, so dass die Hubhöhen nur verdoppelt, nicht wie sonst vervierfacht worden. Die absoluten Werthe sind also erst verdop- pelt mit den übrigen vergleichbar. 24 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY HALL: und die zweite Zuckung allein eingeleitet worden,“: sondern es bleibt noch ferner der Antrieb der ersten Zuckung wirksam. Im zweiten und dritten Sechstel des Anstiegs hilft die zweite Zuckung der ersten ziem- lich genau dem Helmholtz’schen Gesetze gemäss. Wenn endlich die zweite Zuckungscurve nahezu vom Gipfel der ersten anhebt, so „fällt sie stets etwas kleiner aus als die angeführte Regel fordern würde,“ da sie sich dem tetanischen Verkürzungsmaximum des Muskels nähert. Die Zuckungs- curven, welche in einem kürzeren als dem ersten hier angegebenen Intervalle von ?/,,,” einander folgen, scheinen ihre Wirkung nicht mehr wesentlich zu summiren. Wir haben nicht genügend Versuche, um die Grenze genau zu bestimmen, wo die Summation beginnt, doch haben uns einige im Intervall von !/,,,” folgende Reize gar keine verstärkende Wirkung mehr gezeigt, und die Bemerkung von Helmholtz: „Es wir- ken zwei maximale Reize nicht stärker als einer, wenn ihre Zwischenzeit so klein ist (kleiner als ungefähr !/,,, Secunde), dass beim Anfang der zweiten Zuckung die erste noch keine merkliche Höhe erreicht hat,“ lässt darauf schliessen, dass Helmholtz auch von Reizen, die in etwas längeren Intervallen einander folgten, nicht beträchtliche Summationen entstehen sah. — Wenn man demnach die Summationscurven, deren für uns wichtigste Werthe die obige Tabelle enthält, in einem System gra- phisch zusammenstellte, indem man alle über der gleichen Zeitabscisse construirte, so würde der Complex in seinen äusseren Conturen einem langen Bergrücken gleichen, der vom Fusse des kurzen Vorberges sogleich viel steiler als dieser aufsteigt. Während die Summationen im Stadium der steigenden Energie unter verschiedenen Umständen der Erregbarkeit und der Leistungsfähiekeit des Präparates im Allgemeinen übereinstimmende Verhältnisse zeigen, wird man bei Untersuchung der Zuckungssummationen im Stadium der sinkenden Energie von allerhand merkwürdigen Unbeständigkeiten über- rascht, so dass man ohne einen Leitfaden für das Curvengewirr häufig veranlasst wird, an grobe Versuchsfehler zu glauben. Nachdem man von einem guten Präparate Öurvenpaare erhalten hat, die eine gewisse Regel der Abnahme der Summenwerthe mit dem Sinken der Ausgangs- höhen zeigen, findet man häufig unter gleichen äusseren Versuchsbedin- sungen ganz abweichende Resultate. Ja, es geschieht, dass von höheren Ausgangspunkten kleinere Zuckungsmaxima erreicht werden, als von niedrigeren; es kann sogar die Maximalhöhe der summirten Zuckung kleiner bleiben, als die Maximalhöhe einfacher Zuckung. 1 Helmholtz, a. a. ©. Dis WIELLKÜRLICHE MUSKELACTION. 35 Nachdem wir aber auf die Einflüsse der Ermüdung aufmerksam geworden waren, erkannten wir von den Gesichtspunkten aus, welche durch die Untersuchungen über die Muskelermüdung eröffnet sind, im scheinbaren Durcheinander den geordneten Plan. im nächsten Capitel handeln. Jetzt betrachten wir nur diejenigen Summationsverhältnisse, die im Stadium der sinkenden Energie bei frischen Muskelpräparaten Statt haben. Hiervon Die untenstehende Tabelle diene zur Orientirung. Verhältniss der Ausgangs- höhe zur Maximalhöhe der einfachen Zuckung. So See oe oo ne II. Tabelle der Höhenwerthe maximaler, von frischen Muskeln gezeichneter Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren. werden wir Verhältniss | der gefun- i 5 |Maximalhöhe r Gesetz. ar Asnes Maximalhöhe ir mässige Höhe gesetzmässig Tode use summirten der Dereehneten Zuckung. Zaekune. summirten nallone ; Zuckung. höhe. Br ar: Kr el 0.93 |%8.0(16-0)| 8-0(16-0)\15-0 (30-0) 16-0 (32-0 0.87 |*6.0(12.0)| 6-0 (12-0) 10-5 (21-0) 12-0 (24-0) 0.82 14-0 14-0 23.0 28.0 0-87 15.0 17.0 23.0 92-0 0.86 6-0 8.0 12-0 14-0 0-82 115-0 - 21-0 29.5 36-0 0.96 11.0 16-0 26.0 27.0 0-8 110-5 17.0 22.0 27.5 1.04 8.0 17.0 26-0 25.0 0.91 7.0 17.0 22.0 124-0 1.0 7.0 20.0 27.08 27.0 0.85 5-0 16.0 18-0 21-0 1-0 5.5 17-5 23-0 23-0 1.06 6-0 20.0 29 26-0 1.12 5-0 20.0 28.0 25.0 1:15 4:5 19.0 26-0 23-5 1.02 3-75 16.0 20-25 19-75 210 | 3:5 16-0 21-5 19-5 * Halbe Hebellänge. 26 Hudo KRONECKER U. G. STANLEY HALL: | br > Verhältniss Verhältniss 3 | . „7 | Gesetz- Me year a Ausgangs- a HE Elobz ae gesetzmässig höhe. A IB summirten AR N En berechneten j Zuckung. der einfachen ne | ı Zuckung. Zuckung. | hehe, mm mm | mm | mm 0.22 0.91 3.0 13.5 15.0 16.5 0.14 1.0 1-5 10:5. men 12.0 0.12 1-15 2.0 17.055011. 4522-0 19.0 0.05 1.0 1.0 20.0 21.0 21-0 0.0 1.11 0.0 18-0 20.0 18.0 0.0 1.07 0.0 7.0 led | 7.0 —0:05 | 1.10 — 0) 20.0 21-07 7er 9 —0.06 1.09 —1.0 18.0 18.5 17.0 —0.06 1.11 — 1.0 18.0 ee u er N) —0-11 1.22 —2.0 18.0 19.5 16-0 —0.11 1.08 —2.0 17.5. 17.0 15.5 —0+18 1.15 —2.0 15.0 15.0 13.0 Ein Vergleich dieser Tabelle mit der vorhergehenden lehrt, dass die Summation zweier Zuckungen eines ganz frischen Muskels im Stadium der sinkenden Energie nahezu in derselben Weise erfolgt, wie im Sta- dium der steigenden Energie, nur mit dem Unterschiede, dass, während die im ersten Aufstieg sich entwickelnde Energie mächtig gefördert wird durch den superponirten Impuls, dagegen der schwache Kraftrest im letzten Zuckungsabfalle wenig mehr die Wirkung der zweiten Contraction unterstützt. Es ist jedoch zur richtigen Würdigung der Zahlenwerthe zu bemer- ken, dass als Ausgangshöhe im absteigenden Curventheile das erste Mi- nimum der zweiten Curve angenommen worden ist. Diese Minimalhöhe ist aber merkwürdiger Weise keineswegs immer identisch mit der Höhe des Ortes auf der absinkenden ersten Curve, wo die zweite sich abhebt. Besser als Beschreihung und Zahlenbelese wird eine Abbildung dies Verhalten klar machen. Der folgende Holzschnitt (Fig. 3) stellt eine facsimilirte Curven- gruppe dar, auf welcher drei Doppelzuckungen und die sie componirenden einfachen aufgezeichnet sind. In der dritten Summationscurve (vom längsten Intervall) ist deutlich erkennbar, wie die zweite Curve sich von der ersten nahe‘ unter dem Wendepunkte dieser ablöst, wo sie in das Stadium der sinkenden Energie DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 2 tritt, aber nicht sogleich aufwärts steigt, sondern zuvor noch ein Stück mit verminderter Geschwindigkeit abfällt, sodann sich erhebend, zu be- trächtlicher Maximalhöhe gelangt, ziemlich parallel über der geson- dert notirten letzten Einzelzuckung. Ohne solche Einsenkung wendet sich die zweite Doppelzuckungscurve (®/, 4; Reizintervall) ziemlich genau vom Maximum der ersten ab, plötz- lich stark vermehrte Beschleunigung des Hebels anzeigend, schliesslich die Last auf etwas grössere Höhe fördernd, als es die dritte Doppel- zuckung vermocht hat. Der im In- tervall °/,,; Secunden dem ersten Reiz folgende zweite erhält die srösste Geschwindigkeit der ersten Zuckung, ohne Steigerung derselben, längere Zeit gleichmässig als der einfache Reiz dies vermag. Das Maximum dieser summirten Zuckung bleibt wesentlich unter demjenigen der zweiten. " das Intervall des Das Intervall der Secunde. 113 e der untersten Zeitschreiber-Linie entspricht ! bezeichnet, betragen °/,,; , das Intervall des zweiten “,;, y Triceps femoris eines Frosches mit 60 Gramm belastet durch drei Paare Oeffnungsinductionsströme gereizt. Besonders interessant aber ist, E neben diesen Formwandlungen der En Curven, die Veränderung, welche die Er Dauer der latenten Reizung erfährt, 3 jenach dem Thätigkeitsgrade, in wel- “2 chem sich der Muskel zur Zeit ihres | Ablaufs befindet. Die vom Reize r, 8:, resultirende Doppelcurve I verliess S = die erste einfache etwanach der glei- 33 chen Latenzzeit, welche verging, be- 33 vor die zweite einfache Curve sich = von der Abscisse erhob, hingegen 3 löste der Reiz », die summirte 3 Zuckung II viel schneller aus, als E die entsprechende .einfache, und ebenso war die Wirkung von dn mitr combinirten Reiz r im Verlaufe der Curve Ill schon manifestirt, in einem Zeitpunkte, wo die isolirte Reizung » noch lange latent blieh. 28 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY HALL: 3 Diese Veränderlichkeit in der Zeitdauer latenter Reizung mit dem Wechsel der Arbeitsphasen, in welchen der Muskel begriffen war, als” ihn der neue Reiz traf, war am Einfachsten zu erklären durch die An- nahme, dass der ein bestimmtes Gewicht hebende Muskel in den ver- die Bewegung der trägen Masse kleiner oder grösser ist als seine eigene Contractionsgeschwindigkeit. Daher ist im Anfange der Zuckung der Widerstand, welchen das (zu dieser Zeit noch ruhende) Gewicht dem schiedenen Stadien seiner Zuckung verschieden belastet ist, je nachdem | plötzlichen Bewegungsantrieb bietet, am grössten, daher die zur Ueber-" windung jenes Widerstandes nöthige „Spannungshöhe“ maximal. Wenn die Widerstände der zu bewegenden Last im Verhältniss zur Muskel- energie so gross sind, dass die für die Bewegungsantriebe aufgewendeten lebendigen Kräfte sich ganz in Spannungen des elastischen Muskelgebildes” umsetzen, dann kann es kommen, dass der Muskel sich gar nicht ver- kürzt, sondern durch die erlittene Spannung, zufolge seiner unvollkom- ruhende Last etwas verlängert bleibt. Da man nun die Entwickelung der Zuckungsenergie nicht als instantan ansehen darf,! so kann es kom- menen Elastieität, bald nach Beendigung seiner Zuckungen durch die” } men, dass erst nach einer vorgängigen Verlängerung, die der Muskel” durch den ersten Ruck erfahren hat, die Contraction, vermöge des nun- mehr noch übrigen Antriebes, in bewegende Wirksamkeit tritt. In der” That haben wir bei einigen vorläufigen Versuchen vor dem Erheben der Zuckungseurve über die Abseisse ein geringes Sinken des Zeichen- stiftes unter die Abscisse beobachtet, ähnlich wie es neuerdings Gad? am ruhenden Ende des partiell contrahirten Muskel beschrieben und aus Dehnungen des ruhenden Theiles erklärt hat. Sobald die Masse in Be- wegung gerathen ist, nehmen die Widerstände gegen die Muskelcontraction ab und verschwinden, sobald die Contraction langsamer wird als die Bewegung des geworfenen Gewichts. Es wird also der mit träger Masse belastet zuckende Muskel in den Zeitmomenten, in welchen seine Energie schnell abnimmt, völlig oder theilweise entlastet werden. Umgekehrt kann es geschehen, dass das von der Wurfhöhe herabfallende Gewicht durch die erlangte lebendige Kraft, dem in neuer Zuckung ihm entgegen- eilenden sich verkürzenden Muskel einen Widerstand entgegensetzt, der grösser ist als jener, welchen das ruhende Gewicht auf den vom Ruhe- zustand an zuckenden Muskel ausübt. So können also die Spannungshöhen, welche sich während verschiedener Phasen im doppelt zuckenden Muskel l Helmholtz, Dies Archiv. 1850. 8. 283. 2 Ueber das Latenzstadium des Muskelelementes und des Gesammtmuskels. Dies Archiw. 1879. S. 255. Die WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 29 entwickeln, sehr wechselnde Werthe annehmen. Einige besondere Versuche haben uns nun gezeigt, dass die Dauer der latenten Reizung auch beim „belasteten“ Muskel (Gastroknemius und Trieeps femoris vom Frosche) mit der Last wächst, wenn auch natürlich lange nicht so bedeutend, wie es Helmholtz bei dem „überlasteten“ nachgewiesen hat.! Es lag jetzt nahe, diese von der Trägheit der bewegten Massen her- rührenden während des Zuckungsverlaufes veränderlichen Arbeits- und Spannungsverhältnisse dadurch auszuschliessen, dass man den Muskel, wie Marey, Place, Klünder, Gad u. A. oft gethan haben, Metall- federn ziehen liess, anstatt ihm Gewichte anzuhängen. Unter der Annahme, „dass die Spannungsänderung der Feder in jedem Zeitmoment gleich derjenigen des mit derselben verbundenen Muskels ist“?, können wir die Widerstände, gegen welche der Muskel sich verkürzt, als ziemlich constant ansehen, wenn wir dafür sorgen, dass die Spannung der widerstehenden Feder für den Umfang einer Zuckung sich nicht wesentlich ändert. Vergleichende Zuckungsreihen, welche wir den Triceps femoris mit Gewichten oder mit gleich stark spannender Feder haben ausführen lassen, zeigten, dass die vom Myographionhebel gezeichneten Zuckungs- curven höher waren, wenn ein Gewicht, als wenn eine entsprechende Federspannung zu überwinden war. Die weiter unten stehenden Figuren (4a und b) geben ein charakte- ristisches Bild von den Unterschieden der beiden Arten von Zuckungs- curven, welche sich etwa folgendermaassen formuliren lassen: 1. Die Curve des Federmuskels steigt anfänglich (etwa ?/,4, bis "/ı4s Sec. lang) steiler auf, als diejenige des Gewichtsmuskels. 2. Die Gewichtscurve erreicht die Federcurve und übertrifft sie, so dass die Maximalhöhe der ersteren häufig beträchtlich höher ist, als die der letzteren. 3. Die Federeurve fällt steiler ab, als die Gewichtscurve, welche oft erst 2/1453 Pis ®/]4, Sec. später die Abseisse erreicht. 4. ‚Die Federeurve enthält wellige Erhebungen, welche von den elastischen Schwankungen der gezerrten Feder herrühren. 5. Summationscurven, von Muskeln ausgeführt, die gegen Feder- widerstände arbeiten, unterscheiden sich nicht nur in den beschriebenen Sonderheiten, die jede Curve für sich aufweist, sondern auch dadurch, dass das Stadium der latenten Reizung für die zweite Zuekung bei dem 1 Dies Archiv. 1850. 8. 302 ff. 2 Gad hat a. a. ©. die Bedingungen entwickelt und realisirt, unter denen das kürzeste Latenzstadium des Gesammtmuskels zum Vorschein kommt. STANLEY HALL: \ I: RB DEM 4) Y HvGo KRONECKI 510) Der st, als bei dem Federmuskel. jewichtsmuskel wesentlich grösser i ( die c tiefer die Ausgangshöhe für je ® ICh deutende elesen ist. 2" > so be Interschied ist um [ oO - R r 31 er zweite Zuckung Fig. 4a u, Ab, Zwei Paar Summationseurven. Die eine Curve zeichnet der Muskel mit 60 Gramm belastet der Muskel durch eine Spiralfeder von 60 Gramm Spannung gedehnt wurde (Curve 7). Der Muskel ist „belastet“, doch durch nahe gerückte Unterstützung vor Ueberdehnung bewahrt. Eine Wellenlänge entspricht 4,5". Fig. Fig. ‚r 4a. Reizintervall 1% 42 4b. Reizintervall 124,3". ( Curve @ ) ’ die andere, währeud DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION, 31 Die vorstehende Abbildung (Fig. 4a u. 2) illustrirt wohl ohne wei- tere Beschreibung die eben genannten charakteristischen Unterschiede. Ganz frei von träger Masse ist aber auch der gegen Federwiderstand zuckende Muskel nicht; denn immer ist noch der (am Angrifispunkte der Muskel durch 108" äquilibrirbare) Zeichenhebel mit dem Systeme ver- bunden. Da nun bei den meisten Myo- graphionversuchen die Schreibhebel einerseits mit dem Muskel, anderer- seits mit dem Gewichte locker ver- bunden sind, so erschien es wün- schenswerth, nachzuforschen, in wie- weit die vom Schreibhebel gezeich- neten Curven die Bewegung des unteren Muskelendes oder die Be- wegung des gehobenen Gewichtes wiedergeben. Um die etwaigen Differenzen experimentell festzustellen, wurde eine Anordnung construirt, welche drei vertical unter einander schrei- bende Hebel verbunden enthielt. Die nebenstehende Figur 5 giebt das Facsimile der durch eine Zuck- ung mit den 3 Hebeln gewonnenen Curven. Der oberste Hebel war an die Muskelsehne gehakt, der mittlere war mit dem ersten sowie mit dem unteren durch einen biegsamen Fa- den verknüpft; aber mit dem unter- sten war das belastende Gewicht starr verbunden. Im Stadium der steigenden Energie erfuhr das ge- sammte System eine beschleunigte Hebung. Sobald aber die Con- Fig. 5. Der Triceps femoris vom Frosche zeiehnet mit drei Schreibhebeln eine Zuckung auf. Obere Curve vom Hebel mit der Sehne fest vereinigt. Mittlere Curve vom Schreibhebel, der durch bieg- same Fäden mit Muskel und Gewichtshebel ver- bunden. Untere Curve vom Hebel, der mit dem Ge- wicht fest verbunden. Die senkrechten Linien be- zeichnen die Länge der Tangenten der drei bis zum voraussichtlichen Maximum der gezeichneten Muskelzuckung langsam gehobenen Hebel. Rota- tionsgeschwindigkeit des Cylindermantels 77 mm in 1”, tractionsgeschwindigkeit des Muskels sich minderte, flogen die frei beweg- lichen Theile den Fallgesetzen entsprechend weiter. Der mit dem Muskel 32 Hvado KRONECKER U. G. STANLEY HALL: fest verbundene Hebel wurde durch die unvollkommene Biegsamkeit des Muskels, oder im Falle eines genau axial gerichteten Druckes durch die oeringe Compressibilität gehemmt. Der mittelste, zusammen mit dem untersten aufwärts geworfen, fand nur durch die Reibungswiderstände an der Schreibfläche und an der Drehaxe Verzögerungen, welche ihn, bevor er den Scheitel seiner Wurfparabel erreicht hatte, zur Umkehr brachten. Der unterste (dritte) Hebel ging höher als der zweite, weil die gleichen Reibungswiderstände die grössere Masse (Hebel mit Gewicht) verbunden weniger zu hemmen im Stande waren. In der That sind die Curven, welche die drei Hebel zeichnen, nach der Maximalhöhe abgestuft, derart verschieden, dass die Curve des Gewichtshebels am höchsten, die des Muskelhebels am niedrigsten, zwischen beiden die des mittleren Schreibhebels ist. Die Dauer der Zuckung ist von allen drei gleich lang angegeben. Dies zeigt, dass nicht nur, wie selbstverständlich, die durch gespannte Fäden verbundenen Hebel gleichzeitig gehoben werden, sondern dass auch der Muskel so langsam erschlafft, dass die anfänglich freifallenden Hebel ihn noch erreichen, bevor er seine natürliche Länge (welche ihm mit der Lastung des obersten fest verbundenen Hebels zu- kommt) wieder gewonnen hat. Von da ab erfolgt die Dehnung (durch den Hebel und das Gewicht) in derselben Weise, wie wenn sie ihm im Ruhezustande angehängt worden wären. Ferner ist sowohl die Zeit vom Anfangspunkte der Contraction an bis zur Maximalhöhe in allen drei Fällen gleich, als auch der zweite Theil, welcher die Zeit vom Maximum bis zum Erreichen der Ruhelänge umfasst. Hieraus ist zu schliessen, dass nach dem ersten gemeinsamen Antriebe der Muskelhebel sowie der mittlere Schreibhebel verzögert werden derart, dass der relativ frei fliegende Gewichtshebel zur gleichen Zeit die grössere Höhe erreicht. Ebenso fällt bei der Erschlaffung des Muskels der mit diesem starr verbundene Hebel nicht schneller, als der Fallgleichung entspricht, selbst wenn die Muskelmasse in kürzerer Zeit erschlafft war, weil der Muskel biegsam ist. Schliesslich folgen der mittlere und der untere Hebel der Bewegung des oberen so genau, dass alle drei Curven gleichzeitig in die Abseisse sinken, obwohl sie von verschiedener Höhe gefallen sind. Zu den in diesem Capitel kurz besprochenen mechanischen Com- plicationen, die sich bei Zeichnung der Summationscurven geltend machen, ist noch die Begünstigung zu rechnen, welche elastische Schwankungen des Muskels am Ende der ersten Zuckungscurve unter passenden Be- dingungen dem mechanischen Effecte der zweiten bringen können. Aus diesem Grunde erhalten manche Maximalhöhen, die aus Summationen ganz am Ende des Stadiums der sinkenden Energie entstanden sind, merkwürdig hohe Werthe, besonders dann, wenn sie von Stellen der DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 33 ersten Curve anheben, die unter der Abscisse liegen, also im Momente grösster elastischer Spannung. IH. Von der Ermüdung, welche bei den Zuckungssummationen eine Höhendifferenz zwischen der ersten und zweiten Zuckung bedingt. Wir haben schon oben erwähnt, dass erst Ordnung in das schein- bare Gewirr der Vorgänge bei den Doppelzuckungen kam, als die Ein- flüsse der Ermüdung, wie sich dieselben zumal bei den Summationen im Stadium der sinkenden Energie geltend machten, erkannt worden waren. Um eine klare Vorstellung von den tief eingreifenden Aenderungen zu geben, welche die Ermüdung in den Summationsvorgängen bewirkt, mögen folgende zwei Figuren (S. 24) Platz finden. Die erste (Fig. 6) siebt ein System summirter Zuckungscurven wieder, welches ein frischer Muskel gezeichnet hat, die zweite (Fig. 7) ein auf analoge Weise vom ermüdeten Muskel gewonnenes System. ‚Die Fig. 6 erscheint als ganz gesetzmässiger Complex; nur dass wegen der grossen Belastung die Summation im Stadium der steigenden Enersie nicht so schnell wächst wie in anderen Fällen. Die Fig. 7 dagegen bietet ganz auffallende Unregelmässigkeiten dar. Am merk- würdigsten erscheint die schon oben hervorgehobene Thatsache, dass von höheren Orten des abfallenden Theils der ersten Zuckungseurven aus- gehende zweite Curven niedrigere Summationswerthe geben als tiefer aufgesetzte. Die untenstehende Tabelle III enthält eine Zusammenstellung der das Stadium der sinkenden Energie betreffenden Summationswerthe von Zuckungen, welche verschiedene ermüdete Muskeln gezeichnet haben. Man ersieht daraus, dass im Allgemeinen die vom Höhepunkte der ersten Curve ausgehenden addirten Curven nur wenig höhere Werthe erreichen als die Normalhöhe einfacher Zuckung beträgt, dass etwas unter dem Gipfel abgehende zweite Curven nicht einmal .den Werth ein- facher Zuckungen erlangen, während in späteren Stadien der sinkenden Enersie summirte Zuckungen meist etwas höhere Maxima haben; und dass am Ende abgehende Curven die gesetzmässige Höhe erreichen, oder unter günstigen Bedingungen wohl auch etwas überschreiten. Archiv f. A. u. Ph. 1879. Suppl.-Band. z, Physiol, Abthig. 3 G. StAnLEY Hart: ONECKER U. > j! Hvco Kr 34 Fig. 6. Trieeps femoris vom Frosche zeichnet ganz unermüdet mit 60 Gramm belastet ein System von 14 Doppelzuckungseurven, in wachsenden Reizintervallen. Die senkreehten numerirten Striche markiren die 14 Reizmomente, Die Stimmgabeleurve markirt '4,, als ganze Schwingungen. N N < N I SS N DEN SE Ben Fig. 7. Trieeps femoris vom Frosche zeichnet mit 30 Gramm belastet nach längerer Arbeit ein System von 14 Doppelzuckungsceurven in wachsenden Reizintervallen. Die senkrechten numerirten Striche markiren die 14 Reizmomente, Die letzten (zuerst gezeichneten Curven) sind bei etwas grösserer Geschwindigkeit der Myographionplatte geschrieben, als die übrigen, daher die Stimmgabelceurven, welche /,,; markiren in einander verschoben erscheinen. DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 35 Ill. Tabelle der Höhenwerthe maximaler, von ermüdeten Muskeln gezeichneter Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren. Nmenies es. Maximalhöhe | Pan ae Bi zur Ausgangs- Ba, 2: der es Moximalhöhe Eremniseis | Ne | Zuckung | anurten | summirten der einfachen hkions- ° | Zuckung Zuckung. 2:0 DM RER BEE. Im | ja 1.0 0-55 5.0 5.0 m 5.5 10-0 1-0 0.58 17-0 17.0 20.0 | 34.0 1-0 0.53 14-0 14-0 15-0 28.0 1:0 0.53 14-0 14-0 15-0 28.0 1-0 0.56 16-0 16-0 18-0 32.0 0-86 0:38 12.0 14-0 10-0 26-0 0-81 0-45 6253. Fe 5 14-5 Bere. -0.37 940,7 410 7 1.5 | .20.0 0.79 0.49 11-5 14-5 12775401 ,26.0 0.8 | 0.31 7.0 9.0 5.0 | 16.0 0.76 0.61 11-0 14-5 15-5 25.5 0.73 0-46 11-0 15.0 12.0 26-0 0.58 0.52 9.0 15-0 13-0 24.0 0-57 0.68 8.5 15-0 16-0 23.5 ‚0-55 0.77 8.0 14-5 17.25 22.5 0.45 0.76 7:08 are, 22.5 0.44 0.72 7:00, iesassn lonzoEn + 793.0 0.38 0-56 a. 1 SE 15-9 0-35 0.71 Den en 15-0 21.0 0-3 0.68 3.3 11-0 9.74 14.3 0.21 0:99 3.0 14-5 17-25 17-5 0-17 1:08 2.5 14-5 17-5 17.0 0.09 0.95 1.0.1° 11-5 12.0 0-0 120° 0-0 den 14-5 14-5 36 Hugo KRONECKER v. G. STANLEY HALr: Einige Verhältnisswerthe, welche von den benachbarten, analogen Stadien angehörigen, erheblich abweichen, werden nicht auflallend er- scheinen, wenn man bedenkt, dass die Reihen verschiedenen Muskeln zugehören, die sich gewiss in ganz verschiedenen Ermüdungsstadien befanden. Die Deutung dieser Resultate wird einfach, wenn wir uns die für die Muskelermüdung geltenden Gesetze in’s Gedächtniss zurückrufen!, 1. „Die Differenz der (arithmetischen) Ermüdungsreihe nimmt ab, wenn die Reizintervalle wachsen.“ 2. „Es arbeitet der Muskel, so oft er auch seinen Zuckungsrhythmus hat wechseln müssen, in jedem Ermüdungsstadium, bei beliebigem Reiz- intervalle, in derselben Weise weiter, als wenn er alle bis dahin aus- seführten Contractionen vom Anfange an in dem gegenwärtigen Inter- valle gemacht hätte. Die Höhen gleicher Intervalle, mit einander ver- bunden, ergeben Ermüdungscurven, welche von einem gemeinsamen Anfangspunkte im Allgemeinen geradlinig und divergent zur Abseisse abfallen, indem die Ermüdungslinie kleinster Intervalle den steilsten _ Verlauf nimmt.“ „Ein frischer Muskel zeigt daher kaum merkliche Differenzen seiner Zuckungshöhen bei verschiedenen Zuckungsintervallen, weil die Ermüdungslinien gegen den Anfangs- punkt hin convergiren.“ „Am Schlusse einer Arbeitsreihe wachsen die Zuckungs- höhen mit den Ruhezeiten beträchtlich“ Bei den Berechnungen der Summationshöhen sind immer die Höhen der beiden componirenden Zuckungen als gleich vorausgesetzt worden. Natürlich ist auch bei unseren Versuchen stets darauf geachtet worden, dass die Probezuckungen, welche vom ersten und zweiten Reizcontacte ausgelöst wurden, gleich hoch seien. Aber die Probezuckungen folgten einander in längeren Zwischenzeiten, während sie bei den Summations- versuchen nur Intervalle von einigen Hunderttheilen einer Secunde zwischen sich hatten. Aus den angeführten Sätzen ergiebt sich, dass zwei schnell fol- gende Maximalreize, welche die summirte Verkürzung zu- sammensetzen, von dem frischen Muskel annähernd gleich hohe Einzelzuekungen auslösen, während der ermüdete Mus- kel sich nach der kurzen Ruhepause, die wir ihm während ! H. Kronecker, Ueber die Ermüdung und Erholung der Muskeln. Arbeiten aus der physiologischen Anstalt zu Leipzig. 1871. S. 208, 209, 218. Dis WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 37 eines Theils seiner ersten Zuckung gegönnt, nur sehr man- gelhaft erholt. Es wird also beim ermüdeten Muskel die zweite componirende Zuckung um so kleiner ausfallen, je schneller sie der ersten folgt, also in je früherem Stadium der ersten Zuckung sie sich zu dieser addirt. Die Beobachtung, welche durch Fig. 7 illustrirt wird: dass an höherem Orte im Abfalle der ersten Curve aufgesetzte addirte Zuckungen nicht nur relativ, sondern auch absolut niedriger sind, als von tieferen Stellen der ersten Curve sich erhebende, lässt darauf schliessen, dass die Ermü- dung mit wachsender Reizfrequenz sehr schnell zunimmt. Auch die beträchtlich grösseren Höhen, welche die Zuckungen erreichen, die sich nahe dem Ende der ersten Curve summiren, werden aus den Ermü- dungsgesetzen erklärlich. „Die Verbindungslinie der Höhenendpunkte eines mit unveränder- tem Gewichte belasteten, in gleichen Zeitintervallen sich contrahiren- den Muskels verläuft geradlinig, bis die Werthe der Höhen kleiner ge- worden sind, als die Werthe der Dehnung eines einfachen Muskels durch dasselbe Gewicht. Von diesem Punkte ab wird die Verbindungslinie nahezu eine Hyperbel, deren eine Asymptote die Dehnungslinie des ruhenden Muskels ist.“! Dieser Ermüdungsverlauf ist? durch die be- wiesene Annahme erklärt worden, dass die Elastieität des arbeitenden Muskels nicht an dessen Ermüdung betheiligt ist, dass also die Hülfe, welche die elastischen Kräfte den contractilen leisten, constant bleibt (abgesehen von Structuränderungen, welche die Elastieität für sich schä- digen). Wenn also der primär zuckende Muskel schon in das Dehnungs- gebiet gelangt ist, wenn ihn die zweite Zuckung ablenkt, so erleichtern ihm die elastischen Kräfte die Anfangsbewegung der Last. Auf die nun naheliegende Frage, weshalb bei den noch kleineren Reizintervallen, welche die Summationen im Stadium der ‘steigenden Energie bewirken, doch höhere Maxima zu Stande kommen, findet sich die Antwort in der oben S. 18 gegebenen Darstellung der während des Zuckungsverlaufs wechselnden Belastungsverhältnisse. Der. zweite Impuls des noch im Stadium der steigenden Energie befindlichen Muskels trifft eine schon in Bewegung gesetzte Masse und vermag dieselbe daher weiter zu fördern, als wenn er sie ruhend, oder gar in entgegengesetztem Sinne bewegt (im Stadium sinkender Energie) zu überwinden hätte. Es verhält sich der Muskel, während er seine Doppelzuckung im Stadium der steigenden Energie ausführt, wie ein IH. Kronecker, a. a. 0. 8. 237. BEN® a2 0..8. 239... 38 Hvao KRONECKER U. G. STANLEY HALL: weniger belasteter und demgemäss höher zuckender Muskel. Dieses Ver- halten musste sich auch beim frischen Muskel geltend machen, dessen Zuckungshöhe ja auch mit verminderter Last zunimmt. In der That haben wir oben SS. 13 und 14 darauf aufmerksam gemacht, dass im aufsteigen- den Theile summirte Zuckungen oft höhere Werthe geben als die Helm- holtz’sche Regel forderte. Diese qualitativ betrachtende Erklärung der Einflüsse, welche die Ermüdung auf die Summationsvorgänge übt, kann nicht zu einer quan- titativen präcisirt ‘werden, weil nach eingeschobenen längeren Ruhe- pausen erst zwei oder drei höhere Zuckungen erfolgen, bevor die der neuen Reizfrequenz zugehörige Ermüdungsdifferenz ihren constanten Werth erlangt hat.! Es bleibt also ein über ein paar Zuckungen nach- wirkender Erholungsrest, welcher in unseren Summafionsversuchen, wo nur zwei benachbarte Zuckungen verglichen werden, störend zur Geltung kommt. Es wäre nun wünschenswerth, mit Hülfe von Versuchen an Muskeln, die gegen Federwiderstände arbeiten, die eben gemachten Erörterungen zu beweisen. Da der Eine von uns aber wegen seiner unaufschiebbaren Abreise die Arbeit hat abschliessen wollen, so muss diese experimentelle Probe einer späteren Untersuchung vorbehalten bleiben. III. Von der Aenderung der Erregbarkeit, welcher ein sub- maximal gereizter Muskel für kurze Zeit nach erhaltenem Reize unterliegt. Wundt? hat diesen Gegenstand schon vor mehreren Jahren einer genauen experimentellen Prüfung unterzogen, aber nicht um die mecha- nischen Verhältnisse der Muskelzuckung zu studiren, sondern um die Modifieationen der Erresbarkeit von Nerven während und kurz nach Ablauf einer minimalen, submaximalen oder maximalen Zuckung zu be- stimmen. Uns interessiren für die vorliegende Untersuchung. folgende Sätze über den Verlauf der Erregung bei sehr kurz dauernden Strom- stössen (wie die von uns angewendeten Oefinungsinductionsströme sind): 1. bei der Prüfung mit Minimalreizen findet man während der Zuckung und nach derselben in der Regel erhöhte Erregbarkeit. Doch Lu. Var PL 0 Ps Bar ®? Wundt, Untersuchungen zur Mechanik der Nerven u. Nervencentren. I. Abth. 1871. Cap. ASS 6 Dre WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 39 kommen an Nerven hoher Leistungsfähigkeit zuweilen auch hier un- mittelbar nach dem Ablauf der Zuckung flüchtige Spuren einer Hemmung zum Vorschein. 2. Das regelmässige Bild, welches der Stromstoss mittlerer Stärke gewährt, besteht, selbst wenn die Schliessungsdauer relativ gross ist, in einem Abklingen der Erregung in der Form gesteigerter Erregbarkeit. 3. Ist die Dauer des starken Stromstosses sehr kurz, so ist wieder gewöhnlich während und nach der Zuckung die Erregbarkeit gesteigert. 4. Insbesondere bei der Anwendung schwacher Stromstösse findet man regelmässig, dass die Hemmungserscheinungen durch die in Folge "wiederholter Reizung überhandnehmende Asthenie schwinden. „Als das regelmässige Verhalten des Nerven nach Einwirkung eines momentanen Reizes wird man immerhin dies zu betrachten haben, dass die Erregung selbst mehr oder weniger nach beendeter Zuckung als gesteigerte Erregbarkeit nachklinst. Jene positive Modification, welche man durch häufige Wiederholung momentaner Reize in geeig- neten Pausen erzielt, ist demnach nichts anderes als eine Summations- wirkung. Während die vorangegangene Reizung noch abklingt, trifft den Nerven ein neuer Reiz, der, indem er stärker wirkt, auch stärker nachklingt u. s. f. Eine Bedingung, unter der man allein die positive Modification beobachtet, ist darum auch die, dass die Intervalle der Reize hinreichend klein seien, um den Nerven jedesmal noch innerhalb des Stadiums der abklingenden Erregung zu treffen.“ ! Auch in unseren Versuchen, die mit submaximalen Reizen gewonnen waren, machten sich die in obigen Sätzen enthaltenen Erscheinungen bemerklich. Die übergesetzmässigen Höhenwerthe, welche bei Summa- tionen im Stadium der steigenden Energie sich ergeben, wie aus der folgenden Tabelle IV. (S. 40) ersichtlich ist, gleichen den Ueberschrei- tungen, wie sie auch bei Anwendung von maximalen Reizen auftreten und im vorigen Abschnitte beschrieben und erläutert worden sind. Man kann die Erhöhung der Summationsmaxima bei maximal ge- reizten Muskeln unmöglich durch erhöhte Reizbarkeit erklären, ohne den Begriff der „maximalen Reize“ umzustossen. Der Grad der Erregbarkeit kann doch nur bestimmt werden durch das Verhältniss der Grösse des Reizes zur Grösse des Effects, also würde bei verminderter Erregbarkeit der Effect constant erhalten werden können durch entsprechende Reiz- versrösserung. Da nun aber maximale Reize so weit gesteigerte Reize sind, dass eine Verstärkung derselben keine grössere Wirkung auszulösen 1 Wundt, Mechanik der Nerven und Nervencentren. Il. Abthl, 1876. S. 66. 40 HuGo KRONECKER v. G. STANLEY HALL: fi IV. Tabelle der Höhenwerthe submaximaler, von frischen Muskeln gezeichneter Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren. Verhältniss | Verhältniss 3 Gesetz- der Aussangs.| der gefun- Maximalhöhe aximalhöhe ‚mässige Höhe En denen zur Ausgangs- che der de | Maximalhöhe gesetzmässig höhe. Zuckung. an summirten j der einfachen berechneten | Zee Zuckung. | De Summations- } * Oo höhe FR r Br mm mm F 0-21 1.60 1-0 4.75 9.5 5-75 ! 0.42 1.40 2.0 4.75 9.5 6-75 | 0.63 1.16 3-0 4.75 9.0 7.75 | 0.69 0.74 8-5 13.0 6-0 21.5 F 0-77 0-76 10.0 13-0. 17-5 23.0 0.80 0.72 8.0 10.0 13-0 18-0: 0.84 1.02 4.0 4.75 9.0 8-75 0.84 0.91 8.0 9.5 16-0 17.5 0.86 0.85 12.5 14-5 23.0 27.0 0.88 0.75 11-5 13.0 18-0 24.5 0.9 0.73 I.0 10.0 14-0 19-0 0.94 1.18 8.0 8.5 19.5 16-5 0.96 0.92 12.5 13.0 23-5 25.5 0.96 0.92 12.5 13-0 23-5 25-5 1.0 0.81 14-5 14-5 23-5 29.0 1-0 0.75 13-0 13-0 19-5 26-0 1-0 0.94 4.75 4.75 9.0 9.50 1-0 | . 0.84 13.0 13-0 22.0 26-0 1-0 19 10597 9.5 9.5 18-5 19.0 1.0 0.494 8-5 8.5 16-5 17.0 vermag, so konnte auch vermehrte Erregbarkeit nicht äusserlich merklich werden, sondern nur etwa dadurch, dass die Grenze, an welcher die Reize maximal werden, herabrückt. — Da nun der Eine von uns früher nachgewiesen hat, dass die Intensität der Reize, welche für den frischen Muskel maximale sind, es auch für den ermüdeten bleiben, so tief auch mit der Leistungsfähigkeit die Zuckungsgrösse sinkt, so kann man in keinem Stadium des Arbeitsverlaufs eine Veränderung der Zuckungshöhen auf Rechnung von Erregbarkeitsänderung setzen. Die Fälle, in denen die Summationshöhen der am Ende des Stadiums sinkender Energie super- DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 4] ponirten Zuckungen bei maximal gereizten, ganz frischen Muskeln höher als gesetzmässig sind, lassen sich durch das von Fick! näher beschriebene Verhalten eines im Anfang seines Tetanus festgehaltenen, dann losge- lassenen Muskels erklären. Ein solcher Muskel wirft eine mässige Last viel höher, als wenn er diese sogleich freiheben darf. Es entwickelt sich in ihm grössere Spannung, als dem gehobenen Gewichte entspricht und so wird durch die Elastieitätsentwickelung die Contraction begünstigt. Bei Anwendung submaximaler Reize erscheinen, wie aus der folgen- den Tabelle V ersichtlich, die im Stadium sinkender Energie summirten, überhohen Zuckungen häufiger als bei Application maximaler. Wir sind berechtigt, die übergesetzmässigen Höhen, wie sie hier (und in vielen nicht hier angeführten Fällen) auftraten, zum Theil wohl von erhöhter Reizbarkeit herzuleiten, weil wir häufig gesehen haben, dass die zweite Zuckung höher ward als die erste, obwohl das Reizintervall so gross gemacht war, dass die erste Zuckung gänzlich abgelaufen war, bevor die zweite begann, also gar keine Summation mechanischer Effecte ange- nommen werden konnte, auch elastische Nachschwingungen nicht mehr merklich waren. V. Tabelle. der Höhenwerthe submaximaler, von frischen Muskeln gezeichneter Zuckungen, die sich im Stadium der sinkenden Energie summiren. Verhältniss Verhältniss 1 r Maximalhöh | Gesetz- ee Genen mr | Ausgangs. |Mazimelhöhe "zer jmäige Höhe Maximalhöhe | gesetzmässig höhe. | ee summirten | „mmirten = ee en | ? Zuckung. Bed uc ung. höhe. mm | mm mm | mm 1:0 0:95 6-0 6.0 1108 12-0 1:0 0:92 9-5 3 175 LISO 0:98 0:93 8:25 85 15°5 16-75 0:96 084 a are) 21°5 25-5 0:95 0:56 45 4:75 8.0 9-25 0:94 0:85 8.0 8.5 14.0 16°5 0:90 0-84 ld, 130 2175 25:75 0:88 0-89 52 ll) 22301 1 Pr 0.88 0:75 ee le 15°5 24°5 0-88 0-89 1500 113-0 22-0 24-5 1 Muskelarbeit. 1867. S. 58, 42 HuGo KRONECKER U. G. STANLEY Hann: Verhältniss Verhältnis i % Gesetz- cefun- E .. |Maximalhöhe . . Re Ru denn aut Hase ee a Wir wu Maximalhöhe Se wi Zuckung. EI summirten der einfachen | ereehneten USTnE- | Zuckung Zuckung. Summen mm mm mm | mm 3 höhe. ih 0-85 0:99 85 10-0 18-0 18-5 0:83 0-86 5.0 6°0 9-5 11-0 ORT DE 10.0 1320 1130 23-0 0-74 0-96 Le) 955 16-0 16-5 0-73 0-77 9-5. 1320 1029 22-5 0-69 0:99 9.0 13°0 10-0 22:0 0-65 0-93 8:5 130 20-0 21:5 0-63 0-90 3.0 4-75 Ko) el 0-60 ol 6-0 10-0 16-5 16°0 0-50 0-79 6-5 13-0 925 13-5 0-42 1:0 5-5 13.0 18-5 18-5 0-40 11210) 4-0 100 119955) 14-0 0-38 1:05 5.0 13-0 18-5 15:0 0-37 11919 35 9-5 14-0 13-0 0-34 oıl® 5-0 14-5 21,98 1979083 033 0-94 2-0 6°0 1215 8.0 0-31 0-85 4-0 13.0 14-5 1) 0.19 1-0 2-5 13-0 15-5 15-5 0-15 10 20 13°0 15-0 15:0 0-12 1:03 165, 12-5 14-5 140 VOL 0-83 1195 13:0 12-0 14-5 0-0 1:10 0:0 10.0 1) 10:0 — 0.12 1.08 — 7 118) 12-5 11-5 —0 16 11238) —1°5 9.5 9.0 | 8.0 Die summirende Wirkung der Elastieität erhellt wie bei den maxi- malen, so auch bei submaximalen Summationszuckungen aus der über- gesetzmässigen Grösse der Werthe am Ende der Tabelle, welche sich auf Summationscurven beziehen, die von unterhalb der Abseisse gelegenen Orten ausgehen. DiE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 43 IV. Ueber den Erregungsrest (Contractur), welcher zu den folgenden Contractionen sich addiren kann. Kühne! hat gezeigt, dass auf Quecksilber schwimmende Muskeln nach beendigtem Tetanus nur sehr mangelhaft sich wieder ausdehnen. Schiff und Hermann haben die unvollkommene Wiederverlängerung in niederem Grade an aufgehängten schwachbelasteten Muskeln beobach- tet. Diese Vorgänge sind unzweifelhaft als mechanische aufzufassen, ganz ähnlich wie die verlangsamte Erschlaffung beim ermüdeten Muskel, welcher Valentin? freilich einen Antheil an der Arbeitsleistung zu- weisen wollte. Wesentlich verschieden von diesem Verkürzungsrückstand ist der in seiner äusseren Erscheinung ähnliche Zustand des Muskels, welchen Tiegel®? als Contractur bezeichnet und näher untersucht hat, nachdem schon Helmholtz‘ eine hierauf bezügliche Bemerkung gemacht und der Eine von uns die absonderliche Reizbarkeitserscheinung beschrieben hatte®, welche sich derart äussert, dass während längerer Ruhepausen (bis 10 Sec.) die Muskeln zwischen rhythmisch folgenden einfachen Induetions- reizen zuweilen ziemlich beträchtlich verkürzt bleiben. Dieser Vorgang ist dadurch von einem mit der Ermüdung vergleichbaren wesentlich ver- schieden, dass er mit der ferneren Function des Muskels nicht zu- son- dern abnimmt. Tiegel hat gefunden, dass solche Contractur nur bei directer Muskelreizung auftritt, und dass während dieses Zustandes die Erregbarkeit des Muskels für seinen normalen vitalen Reiz (durch seinen motorischen Nerven) eine minimale geworden ist, während die Contractur selbst (von maximaler Heftigkeit bei Märzfröschen) eben so gross wird, wie die mit ihr zusammen ausgelöste Zuckung. Auch im Blutkreislauf befindliche Muskeln zeigten die Contractur und zwar um so stärker, je intensiver die Reize waren, welche sie trafen. Ferner giebt Tiegel an, dass „die Contractur mit der Zeit und unabhängig von weiteren "Reizen abklingt.“ Endlich hat Tiegel nachgewiesen ®, dass die Dehnung des in Contractur befindlichen Muskels bis zu seiner natürlichen Ruhe- länge durch viel kleineres Gewicht bewerkstelligt werden konnte, als für gleiche Dehnung des ruhenden Muskels erforderlich war; doch fügt er hinzu, 1 Dies Archiw. 1859. S. 815. 2 Valentin, Physiologische Pathologie der Nerven. 1864. 8. 191. 3 Pflüger’s Archiv u. s. w. 1876. Bd. XIIL S. 71. 4 Dies Archiv. 1850. S. 280. 5 Berichte der Berliner Akademie. 1870. S. 629. STiesel, a. a. ©. S. 32. v Fig. 8. Curve 1 einfache Zuckung des Triceps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 1 Secunde nachdem 10 Reize im Intervall von Yo den Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten. CKER U, G. STANLEY HALL: x 4 Hvco KRrorr Fig. 9. Curve 1 einfache Zuckung des Triceps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 5 Secunden nachdem 10 Reize im Intervall von Y,,, den Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten. DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 45 dass auch kurz dauernde, starke Belastung, welche die Contractur über- windet, den Muskel dauernd zur Ruhelänge bringt, in welcher er ver- harrt, auch nachdem das Ueberdehnungsgewicht wieder abgenommen ist. Es ist demzufolge die Contractur nicht mit dem „Verkürzungsrück- stand“ identisch, welchen Hermann als einen „durch gewisse Abnor- mitäten, wie starke Ermüdung, Absterben, Ernährungsstörungen und viele Gifte bedingten Uebergangszustand zur Todtenstarre* ! auffasst. Einen zwingenden Beweis dafür, dass die Contractur als ein activer Zustand anzusehen ist, konnten wir dadurch führen, dass wir den Muskel im Stadium der Contraetur durch einen neuen Reiz treffen liessen. Wenn die Contractur ein passiver Zustand wäre, so würde ein von derselben befallener Muskel auf neuen Zuckungsreiz etwa so reagiren müssen, wie ein Muskel, dem seine Last so hoch unterstützt wird, dass er sie erst abhebt, wenn er seinem Verkürzungsmaximum nahe ist. Für den Fall aber, dass die Contractur ein activer Vorgang ist, konnte man erwarten, dass ein neuer Reiz, zu der dauernden Erregung addirt, die- selbe vermehren würde. Die an erregbaren Frühlingsfröschen angestellten Versuche liessen keinen Zweifel darüber, dass der in Contraetur befindliche Muskel, auch wenn er vom Nerven aus gereizt war, einen Reiz stärker beantwortet, als ein zuvor ruhender Muskel. Unsere Experimente sind auf zweierlei Weise ausgeführt worden. Die eine Reihe wurde derart angestellt, dass der Muskel zuerst eine maximale Zuckungscurve zeichnen musste, dass er hierauf durch eine Reihe von Inductionsschlägen im Intervall von Yo tetanisirt wurde und endlich, nach mehreren Secunden Ruhe, eine zweite Maximalzuckung, unter sonst gleichen Umständen wie die erste, zu notiren hatte. Die folgenden 3 Figuren machen das Anfangs-, Mitte- und Endstadium eines nach kurzem Tetanus abklingenden Erregungs- zustandes deutlich. In Fig. 8 (S. 44) ist die Curve I kurz vor dem Tetanus, die Curve Il eine Secunde nach Beendigung des kurzen Tetanus gezeichnet worden. Die höhere Abseissenlinie, von welcher die Curve II ausgeht, zeigt den Verkürzungsrest vom jüngst vergangenen Tetanus. Es ist ohne Maassan- gabe ersichtlich, dass die Maximalhöhe der zweiten Curve das Maximum der ersten Curve bedeutend mehr als um das Hebungsstück der Abscisse übertrifft. | Die nebenstehende Figur (Fig. 9) zeigt den Erregungsrest, welcher in diesem Falle 5 Sec. nach der Beendigung eines Tetanus von !/,, Sec. Dauer geblieben war. Noch immer ist die zweite Curve wesentlich höher 2 Hermann, Handbuch der Physiologie. 1879. Bd. I, Theil 1, S. 251. Fig. 10. Curve 1 einfache Zuckung des Trieeps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 9 Secunden nachdem 10 Reize im Intervalle von Y,. den Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten. ‚ STAnLEY HALL 6 Hu60 KRONECKER U. SE Er Da Fe N Irene SIR HEINZE SEGA NAVI, Yun yahyan, All, Curve 1 einfache Zuekung des Trieeps femoris. Curve 2 durch gleichen Reiz ausgelöst, 15 Seeunden nachdem 50 Reize im Intervalle von Y,., den Muskel vom Plexus ischiadieus aus tetanisirt hatten. 46 DIE WILLKÜRLICHE MUSKELACTION. 47 als die erste. Auffallend ist hierbei auch die Verkürzung der Dauer der latenten Reizung. Erst 9 Sec. nach dem Tetanus hat der Muskel seine normale Ruhe annähernd wiedergefunden, wie die nebenstehende Figur 10 lehrt. Noch deutlicher, als auf den Verlauf einfacher Zuekungen, wirken tetanische Anfälle auf den Verlauf von Doppelzuckungen. Die Doppeleurve I in Figur 11 ist von einem Triceps femoris ge- zeichnet worden, welchem 50 Induectionsschläge in "/,,, See. Intervall zugeführt wurden. Noch 15 Sec. nach Beendigung dieses Tetanusanfalls macht sich die nachwirkende Erregung geltend. Die Doppeleurve hebt von dem Ausläufer der Tetanuscurve an, übertrifft dann weit das Maximum der ersten Doppeleurve. | Diesen Erscheinungen liegen unzweifelhaft Summationserregungen zu Grunde, nicht „Steigerung der Erregbarkeit“. Die Contractionen von Muskeln, die unter dem Einflusse früherer Erregungen innervirt worden, sind fundamental verschieden von den Zuckungen, welche ein Muskel höchster Leistungsfähigkeit, vom Nerven höchster Erregbarkeit gereizt, zu liefern vermag. Solche Summationsvorgänge, die in peripheren Nerven nur in be- schränktem Maasse auftreten, sind sehr verbreitet in der Sphäre der nervösen Centralorgane. Der lange Starrkrampf, welchen ein einziger In- duetionsschlag an dem mit Strychnin vergifteten Frosche auszulösen ver- mag, kann nicht durch „gesteigerte Erregbarkeit des Rückenmarks“ erklärt werden, ebensowenig kann die vom „periodisch schlagenden“ Frosch- herzen durch einen Reiz auslösbare Reihe von Pulsen diesem ersten Antrieb als allein wirkende Ursache zugeschrieben werden, nicht minder endlich sind die durch Hautreize ausgelösten Athembewegungen Sum- 'mationseffecte. 1 Nachträgliche Bemerkung. Mehrere Wochen, nachdem die vorliegende Arbeit gedruckt war und auch Probeabzüge derselben (am 1. September) nach ‚Amerika geschickt worden waren, erhielten wir von Hrn. Sewall dessen im phy- siologischen Institut zu Baltimore ausgeführte Arbeit: „On the effeet of two suc- ceeding stimuli upon muscular contraction‘“ (Journal of Physiology, Vol. II, No. 2). Diese wichtige Untersuchung zeigt so mannigfache Analogien mit der unsrigen, dass ein näheres Eingehen auf den Inhalt derselben nicht möglich wäre, ohne unsere Abhandlung umzuarbeiten. x Ueber die Selbststeuerung der Athembewegungen. Von Dr. Oscar Langendorff. Aus dem physiologischen Laboratorium in Königsberg ı. Pr. Hering und Breuer hatten bekanntlich gefunden, dass das Zusam- mensinken der Lungen als inspiratorischer, die Ausdehnung derselben als exspiratorischer Reiz wirkt. Der erste Theil dieses Satzes ist von allen späteren Beobachtern bestätigt worden; gegen den zweiten haben Guttmann und Gad, sowie O. Rosenbach Einspruch erhoben, die Ersteren auf Grund entgegengesetzter Versuchsergebnisse, der Letztere aus mangelnder Uebereinstimmung in der Deutung der beobachteten Er- scheinungen. Da mit der Anerkennung des ganzen Hering-Breuer’schen Ge- setzes die Lehre von der Selbststeuerung der Athmung steht und fällt, so erscheint eine nochmalige Prüfung desselben sehr wünschenswerth. Ich habe eine solche um so eher unternommen, als ich mich in früheren Versuchen ! überzeugt hatte, dass man nicht berechtigt ist, dem N. vagus‘ athmungshemmende oder exspiratorische Fasern abzusprechen. Ich theile hier nur diejenigen Versuche mit, die ich zur Prüfung des zweiten Theiles des Hering-Breuer’schen Gesetzes unternom- men habe. Ich habe zuerst an Kaninchen experimentirt, die bald schwach, bald! stark mit Chloralhydrat narkotisirt waren, und ich bin dabei zu so) widersprechenden Ergebnissen gelangt, dass ich an der Feststellung einer! bestimmten Gesetzlichkeit schon verzweifelte. Als ich meine Versuche‘ darauf an nicht betäubten Thieren anstellte, war der Erfolg ein so con-- ! Der Einfluss des Nervus vagus und der sensiblen Nerven auf die Athmung.., Mittheil. aus dem Königsberger physiologischen Laboratorium. 1878- 8. 33. ” O0. LANGENDORFF: ÜBER D. SELBSTSTEUERUNG D. ATHEMBEWEGUNGEN. 49 stanter, dass ich mich nicht erinnere, unter vielen Versuchen auch nur einer einzigen Ausnahme von dem sogleich zu schildernden Verhalten - begegnet zu sein. Dass der Versuch bei tiefster Chloralnarkose auch einen ganz be- stimmten Erfolg hat, davon überzeugte ich mich später. — Ich kann Guttmann nicht beistimmen, wenn er die Lufteinblasung während des apnoischen Zustandes für den Cardinalversuch Breuer’s erklärt. Ob man es bei der Apnoe wirklich mit nichts, als mit einer Sauerstoffüberladung des Blutes zu thun hat, steht keineswegs ausser allem Zweifel." Ist das aber auch der Fall, so sind doch bei der Ein- leitung einer solchen Apnoe durch wiederholte Lufteinblasungen Mo- mente eingeführt, die auf den Erregbarkeitszustand der intrapulmonalen - Vagusfasern von Einfluss sein müssen. Und auf Reizung dieser kommt es ja beim Aufblasungsversuche an. Wenn man den Einfluss eines In- ductionsschlages auf einen motorischen Nerven untersuchen will, so wird man sich hüten, denselben vorher durch wiederholte schwache Reizung auf den Versuch vorzubereiten. Will man durchaus, wozu übrigens gar kein Grund vorhanden, in der Apnoe einblasen, so thut man besser, letztere durch kurze Reizung des Trigeminus durch Chloroform herbeizuführen. Dieses Verfahren ist, wenn auch nicht ganz vorwurfsfrei, doch müheloser, erfolgreicher (in Be- zug auf die Dauer des dadurch zu erzielenden Athmungsstillstandes) und lässt wenigstens den Vagus in Ruhe. Das einfachste aber ist, an dem ruhig athmenden Thiere zu ope- tiren, hier durch eine forcirte Einblasung den normalen Vorgang zu steigern, zu übertreiben, also so zu verfahren, wie man gewöhnlich bei der Feststellung einer Nervenwirkung verfährt. Meine Versuche wurden in folgender Weise angestellt: Bei einem kleinen Kaninchen wird eine Canüle mit Gummischlauch in die Luftröhre eingebunden; darauf wird eine Seite des Thorax durch einen kleinen Längsschnitt in einem Zwischenrippenraume eröffnet, und in die Oeffnung eine Ludwig’sche Doppelcanüle, wie sie bei Blutdruckver- suchen Verwendung finden, luftdicht eingeschraubt. Das freie Ende dieser Canüle führt zu einem Wassermanometer, welches die respiratorischen Druckschwankungen in der Brusthöhle deutlich zu erkennen giebt. Wird graphische Aufzeichnung dieser Schwankungen beabsichtigt, so ist das Ma- nometer mit einer specifisch schwereren Flüssigkeit (Salzlösung, ver- dünntes Glycerin) gefüllt, und es bewegt sich auf dem freien Schenkel des Manometers ein feiner Glasschwimmer mit Schreibfeder. ı Vgl. z. B. Hoppe-Seyler, Physiol. Chemie. IIT. Theil. S. 520. 1872. Archiv f, A, u, Ph, 1879, Suppl,-Band z. Physiol, Abthlg. 4 50 (). LANGENDORFF: Es ist einleuchtend, dass der Schwimmer bei jeder Exspiration steigt, bei jeder Inspiration sinkt — mag die Trachealcanüle offen oder ge- schlossen sein; dass er ferner bei Einblasungen in die Lunge steigt, bei Ansaugung aus derselben sinkt. Wird nun einem so vorbereiteten Thiere Luft in die Trachea ein- seblasen, nach der Einblasung aber die Trachealcanüle verschlossen, so sieht man constant Folgendes: Die Manometerflüssigkeit wird durch die Aufblasung der Lunge in die Höhe getrieben; nachher steigt sie langsam an, erreicht ein gewisses über die Abscissen weit emporsteigendes Maximum, und verharrt auf diesem eine Zeit lang. Oefinet man während dieses Zeitraumes die Luftröhrencanüle, so sinkt naturgemäss die Wasser- säule rapide ab, und zwar häufig, besonders wenn der Collaps der Lunge ein sehr plötzlicher ist, unter die Abseisse. In manchen Fällen wird mehrere Secunden andauerndes Verharren auf diesem Minimumstande Tabeess ale a — a‘ Einblasung. b Athmungsschlauch geöffnet. beobachtet. Hat man während des Maximums die Luftröhrencanüle ver- schlossen gehalten, so erfolgt nach Ablauf längerer oder kürzerer Zeit ein kleines ruckweises Absinken, diesem folgt wieder ein leichtes An- steigen, Pause u. s. f£. Der absteigende Schenkel der Curve hat somit die Gestalt einer Treppe mit breiten Stufen. Fig. 1 gehört einem Versuche an, in welchem an einem sehr jungen nicht narkotisirten Kaninchen operirt wurde. Der Schwimmer zeichnete auf das unendliche Papier des Ludwig'’- schen Kymographions. Höhe und Dauer der Einblasung ist durch aa’ bezeichnet. Bei 5 wurde die Trachealcanüle freigegeben. — Ueber die Bedeutung solcher Erscheinungen kann kein Zweifel ob- walten: Auf die Einblasung folgt eine langsam sich steigernde active Exspiration. Das Thier verharrt dann eine Zeit lang auf der Höhe der Exspiration. Dann beginnt die Ath- ÜBER DIE SELBSTSTEUERUNG DER ÄTHEMBEWEGUNGEN. al mung wieder, und zwar mit beschleunigtem Rhythmus bei frei- gegebener, mit verlangsamtem bei verschlossen gehaltener Tracheal- canüle. Beschränkt man sich unter Beiseitelassung des Manometers auf die blosse Beobachtung des Thieres, so sieht man nach der Einblasung die Rippen langsam herabsteigen, die Bauchmuskeln sich contrahiren. Ist die Bauchhöhle eröffnet, so sieht man gleichzeitig mit den Rippen das Zwerchfell noch stärker nach unten gehen. Es wird Niemand diese Be- wegung für eine inspiratorische halten, denn der Zwerchfellmuskel ist dabei völlig erschlafft. Er wird nur durch die exspiratorische Wirkung der Thoraxmuskeln als der nunmehr allein nachgiebige Theil des Brust- korbes passiv nach unten gedrängt.! Man kommt bei Anstellung dieser Versuche leicht auf den Gedanken, es sei auch das Hinabgehen der Rippen und die Contraction der Bauch- muskeln ein passiver Act, hervorgebracht durch die Tendenz dieser Theile, ihr durch die Aufblasung der Lunge gestörtes elastisches Gleichgewicht wiederzugewinnen. Eine solche Deutung ist aber hinfällig aus folgenden Gründen: 1. Am frischgetödteten Thiere bleibt der Thorax bei der Aufblasung in der ihm durch diese ertheilten Stellung: die Rippen gehen hier nicht nach unten, die Bauchhöhle wird nicht verengt; 2. Die beschriebenen Erscheinungen fehlen sämmtlich nach Dureh- schneidung der beiden Vaei; 8. sie sind dagegen vorhanden, wenn man vor dem Versuche den Thorax ausgiebig eröffnet hat, in welchem Falle von einer insufflatorischen Rippenhebung nichts zu sehen ist. — In Bezug auf die Contraction der Bauchmuskeln nach der Einblasung befinde ich mich nicht nur mit Breuer und mit Lockenberg, son- dern auch mit Rosenbach in thatsächlicher Uebereinstimmung. Nach letzterem Autor soll aber diese Contraction „nur ihrem zeitlichen Auf. treten und ihrer Wirkung nach einer Exspiration gleichen, ihrem Wesen nach (?) aber ein selbständiger, mit dem Ablauf der Athembewegungen nicht direct in Verbindung stehender Vorgang“ sein. Die Zusammen- ziehung der Bauchmuseulatur soll zu Stande kommen durch die bei der Aufblasung der Lungen eintretende Dehnung und dadurch bewirkte Rei- zung dieser Muskeln — ähnlich wie das sogenannte Unterschenkel- phänomen durch mechanische Reizung des Quadriceps. Ein sehr einfacher Versuch lehrt, dass Dehnung der Bauchmuskeln nicht im Stande ist, die Bauchmuskeln zur Contraction anzureizen. Ich I Vgl, J. Rosenthal, Die Atheinbewegungen u. 8. w. 1862. S. 49. 4* 52 0. LANGENDORFF: legte bei einem Kaninchen eine Canüle anstatt in die Trachea in die jauchhöhle ein. Wurde jetzt in sie Luft hineingeblasen, und dann ab- sesperrt, so ging die Athmung ganz wie vorher, nur ein wenig schneller, fort; die Bauchmuskeln machten keine Spur von Bewegung, Die Auf- blasung des Abdomens konnte sogar sehr beträchtlich sein. Ich habe diesen Versuch hauptsächlich deshalb angestellt, um zu sehen, ob vielleicht die inspiratorische Dehnung der Bauchmuskeln in ähnlicher Weise als exspiratorischer Reiz wirkt, wie die der Lungen, und möglicherweise (nach Breuer) die des Thorax, Wäre ein Erfols vorhanden gewesen, so hätte ich freilich weit eher an einen reflectorischen Vorgang gedacht, wie an eine directe Reizung. Die bisher mitgetheilten Aufblasungsversuche sind an nicht be- täubten Thieren angestellt worden. Hat man dieselben dagegen, wie Guttmann und Gad es thaten, vorher durch Chloralhydrat tief narko- tisirt, so ist das Bild ein anderes. Auf die Einblasung von Luft in die Fig. 2. Lungen folst nur eine schwache Exspirationsbewegung, dann ein Athmungs- stillstand, der an Dauer den bei nicht betäubten Thieren eintretenden weit übertreffen kann: ich sah in einem Falle die Athmung 67” lang stillstehen. Im Uebrigen verhielten sich die Thiere wie die nicht narko- tisirten. Zuweilen fehlt die Exspirationsbewegung gänzlich; der Athmungs- stillstand schliesst sich an die- Einblasung unmittelbar an. Wahrschein- lich hängt ihr Eintritt ab von der Athmungsphase, in welcher die Ein- blasung das Thier traf:! Fiel der Abschluss des Trachealschlauches mit einer Inspiration zusammen, so musste der Thorax erst die Exspirations- stellung einnehmen, bevor er zur Ruhe kam; während beim Zusammen- fallen mit einer Ausathmung der Thorax gleich in seiner „Endstellung“ verharrte. Jedenfalls muss man auch hier die Einwirkung der Lungenaufblasung als eine inspirationshemmende bezeichnen; ! Man könnte sich vorstellen, dass die in den Lungen sich stärker erwärmende, in Folge dessen sich ausdehnende Luft die Manometersäule in die Höhe treibt. Diese Deutung wird aber schon dadurch widerlegt, dass ich meine eigene warme Exspirationsluft in die Lungen blies. ÜBER DIE SELBSTSTEUERUNG DER ÄTHEMBEWEG! NGEN. BR und indem man sich vergegenwärtigt, dass zur Documentirung einer ex- spiratorischen Wirksamkeit die Hervorbringung activer Exspirations- bewegungen kein unbedingtes Erforderniss ist, kann man auch hier von einer exspiratorischen Wirkung reden. Wir erkennen jetzt, wodurch Guttmann und Gad verleitet wurden, anzunehmen, dass Lungenaufblasung active Exspirationen nicht hervor- zubringen vermöge. Der Grund liegt in der tiefen Chloralnarkose, der sie ihre Versuchsthiere unterwarfen. Offenbar wurden sie zur Anwen- dung derselben veranlasst durch die Besorgniss, dureh selbständige Re- spirationsbewegungen getäuscht zu werden. Ich habe aber einerseits während der Einblasung beim nicht betäubten Thiere nur äusserst selten irgend welche selbständigen Bewegungen gesehen, und andererseits mich durch Versuche überzeugt, dass auch nach Ausschaltung aller Willkür- bewegungen am nicht narkotisirten Thiere der Versuch genau ebenso gelingt, wie am unversehrten. Ich entfernte nämlich vor dem Versuche die Grosshirnhemisphären, und sah auch dann den Aufblasungsversuch ebenso glücken, wie in den früheren Versuchen; die active Exspiration war nicht minder kräftig. — Was nun den Grund für das Fehlen stärkerer Exspirationsbewe- gungen und das Auftreten eines langen Einblasungsstillstands bei tief- ster Chloralnarkose betrifft, so ist dieser wahrscheinlich in einer Schwä- chung sowohl des inspiratorischen als des exspiratorischen Theiles des nervösen Athmungsapparates zu suchen. Dass eine solche existirt, be- weist schon die oft excessive Verlangsamung der Athmung bei tiefster Narkose. Während der Aufblasung ist der dadurch gesetzte, sonst so kräftige Exspirationsreiz nicht mehr im Stande, eine active Ausathmung herbeizuführen. Seine Wirksamkeit beschränkt sich auf die Veranlassung einer Athmungspause; und der daneben vorhandene Inspirationsreiz muss erst zu einer ungewöhnlichen Höhe anschwellen, um das sonst leichter von ihm überwundene Hinderniss zu beseitigen. Ich bin in vorliegenden Versuchen somit zu Ergebnissen gelangt, die mir die Richtigkeit auch des angefochtenen Theiles der Hering- Breuer’schen Angaben ausser Zweifel zu setzen scheinen. Ich halte es für überflüssig, einige Abänderungen des Versuchsverfahrens zu erwähnen, die die gewonnenen Erscheinungen nur bestätigt haben. Gegenüber den sinnreichen Versuchsmodificationen der Breuer’schen Arbeit bringen sie doch nichts wesentlich Neues. Köniesberg i. Pr., 30. Juli 1879. Ueber die reflectorische Innervation der Blutgefässe des Frosches. Von Max Joseph, stud. med. Aus dem physiologischen Institut in Königsberg i. Pr. Im Wintersemester 1878—79 stellte ich auf Anregung des Hrn. Dr. Langendorff eine Reihe von Versuchen über das angegebene Thema an. Die von mir benutzte Versuchsmethode war folgende: y Es wurde zu den Versuchen immer Rana esculenta verwandt; nach- dem die Frösche curarisirt waren, wurde der N. ischiadicus präparirt und peripher unterbunden, sein centrales Ende mit Ludwig’schen Elektro- den versehen, darauf das Herz freigelest und in einen der beiden Zweige des Aortenbulbus eine Glascanüle eingeführt, die mit einem Manometer in Verbindung stand. Das Manometer war mit einer Sodalösung oder mit einer Mischung von Soda und verdünnten Glycerin, die ich zuweilen sehr vortheilhaft fand, gefüllt." Die Canüle war hinter der Einbindungs- stelle zu einer Kugel aufgeblasen. Diese nahm etwaige kleine Gerinnsel auf und hielt so lange Zeit hindurch die Bahn frei. Einige Male be- nutzte ich statt des Sodamanometers den neuen Wellenzeichner von Fick,? doch dürfte dieser sich beim Frosche mehr zur Darstellung der Pulsform als zur Verzeichnung gröberer Druckschwankungen eignen. ! Die Mischung enthielt Glycerin. pur. 10cem, Sol. Natri carb. cone. 5eem, Aqua destillata 50eem, das specifische Gewicht der Mischung war = 1044. ?2 Fick, Ein neuer Wellenzeichner. Gratulationsschrift für Rinecker. 1877. Sun, 3 4 M. JOSEPH: ÜBER DIE REFLECTORISCHE INNERVATION U. S. W. +) I. Ueber reflectorische Blutdrucksteigerung beim Frosche. Nachdem durch zahlreiche Untersuchungen der neueren Zeit die ‚ Lehre von der reflectorischen Erregung der Gefässmuskeln so ausführ- lich für den Warmblüter behandelt war, lag es, im Hinblick auf die nahen Beziehungen zwischen vasomotorischen Apparaten und Wärme- regulation, nahe zu sehen, ob beim Frosche trotz des Mangels der letz- teren für die Gefässinnervation ähnliche Gesetze gelten, wie für das Säugethier. Dies festzustellen bezweckten meine Versuche; durch mano- metrische Untersuchungen hoffte ich hierüber bessere Auskunft zu erhalten, wie durch mikroskopische Beobachtung der Gefässwände, die von den früheren Beobachtern (Saviotti, Pick,! Riegel,® Nussbaum? und Gaskell?) vorgezogen worden war. 1. Einfluss der elektrischen Reizung des N. ischiadicus. Sobald der Nerv gereizt wurde, machte sich stets eine Erhöhung des Blutdruckes bemerkbar, doch stellte sich ein Unterschied bei der An- wendung schwacher und starker Ströme heraus. Bei der Benutzung schwacher unterbrochener Inductions- ströme (1 Daniell XX bis X °” Spiralenabstand) steigt der Blutdruck oft um ein Beträchtliches; auf einem Maximum angelangt, verharrt er daselbst bei Fortdauer der Reizung; hört dieselbe auf, so sinkt die Flüssigkeits- säule entweder gleich ab, oder der Druck bleibt eine Zeit lang constant, um dann wieder zu der Normalhöhe, oft sogar unter dieselbe zu sinken. Hört die Reizung vor Erreichung des Druckmaximums auf, so dauert das Steigen noch ein wenig fort, dann sinkt der Druck, ohne längere Zeit auf der Höhe zu verweilen. Bei längerer Reizungsdauer wird somit für die Gefässweite gewissermaassen ein neuer Gleichgewichtszustand ge- schaffen, der sich in einer durch die Reizungsgrösse bestimmten Höhe über den alten erhebt. Wellenartige Schwankungen um das Maximum- niveau habe ich bei schwachen Strömen nicht gesehen. Solche Wellen sind auch beim nicht gereizten Frosche für gewöhnlich nicht wahrnehm- bar; zuweilen aber, besonders nach voraufgegangener Rückenmarksdurch- schneidung treten sie mit grosser Deutlichkeit, doch anscheinend ohne 1 Pick, Ueber reflectorische Innervation der Gefässe. Diss. Berlin 1873. 2 Riegel, Ueber die reflectorische Innervation der Blutgefässe. Wien. med. Jahrb. N. F.1.S. 9. 3 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. X. 1875. 4 Journal of anatomy and physiology. Vol. XI. p. 720. 56 M. JosEpH: besondere Regelmässigkeit auf. Vielleicht ist ihr Erscheinen hierbei durch unbeabsichtigte Reizung des Rückenmarksquerschnittes bedingt. Wenn ich mit starken Strömen! reizte (1 Daniell X bis O0“ Spiralenabstand), erfolgte die Steigerung des Blutdruckes steiler wie bei schwacher Reizung, auch war sie im Allgemeinen beträchtlicher, meist ° aber sank selbst bei kurzdauernder Reizung noch während derselben der Druck herab, sogar manchmal unter das Normalniveau. Dauerte die Reizung noch weiter an, so erhob sich zuweilen der gesunkene Blutdruck von Neuem, um dann wieder abzusinken. Dies beweist, dass die Er- scheinung nicht auf Ermüdung der gereizten Nerven zu beziehen ist; eine Erholung: derselben bei fortdauernder Reizung ist nicht wohl denkbar. Wahrscheinlich hat man auch beim stark gereizten Frosche an einen Kampf zwischen constrietorischen und dilatatorischen Impulsen zu denken und die Entstehung der Wellen auf dieselben Momente zu beziehen, die Latschenberger und Deahna? für die Erklärung derselben beim Säugethier angeführt haben. Bei schwacher Reizung ist ein Absinken während der Reizung nur bei sehr langer Dauer derselben (über 3 Mi- nuten) bemerkbar. Eine Wiedererhebung tritt hier nicht ein, man hat es also wahrscheinlich mit Ischiadieusermüdung zu thun. 2. Einfluss der mechanischen und chemischen Reizung. Bei der Durchschneidung des N. ischiadieus gelang es mir stets, eine Blutdruckerhöhung zu erhalten, sie war allerdings nur sehr vorüber- gehend und meist sehr gering. Latschenberger und Deahna? da- gegen sahen in sieben Versuchen fünfmal Drucksenkung und nur zweimal Drucksteigerung der Ischiadieusdurchschneidung folgen. Ebenso konnte ich durch leichtes Bestreichen der Haut mit einem Pinsel, durch Kneifen der Pfote, durch Reizung der Haut mit Ammo- niak eine oft recht bedeutende Blutdruckerhöhung erzielen. II. Ueber den Ort der Gefässverengerung. Eine weitere Versuchsreihe wurde angestellt, um zu sehen, auf Kosten welcher Gefässgebiete die reflectorische Drucksteigerung zu Stande ! Der Täuschung durch Stromschleifen, welche leicht die Gefässwandungen selbst, wie die Medulla oblongata oder das Rückenmark treffen konnten, war durch die bekannten Cautelen vorgebeugt. | 2 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XII. 1876. 3A. 2.0. ÜBER DIE REFLECTORISCHE INNERVATION D. BLUTGEFÄSSE D. FroscHes. 57 kommt. Beim Säugethiere weiss man bekanntlich seit den Untersuchungen von Heidenhain und Grützner,! dass Haut- und Muskelgefässe für die reflectorische Drucksteigerung nicht verantwortlich gemacht werden können, aber die Versuche der genannten Forscher haben ausserdem das ‚merkwürdige Resultat ergeben, dass selbst Ausschaltung des Splanch- nicusgebietes die reflectorische Drucksteigerung nicht beeinträchtigt. Beim Frosche sieht man, guten Beobachtern zu Folge, auf sensible Rei- zung Haut- und Muskelgefässe sich verengern und es ist hier die Frage zu lösen, ob ausser dem musculo-cutanen Gefässgebiete auch dem abdo- minalen oder pulmonalen Gebiete ein wesentlicher Antheil an der Druck- steigerung zukommt. Um diese Frage zu lösen, musste man den Ein- fluss sensibler Reizung untersuchen 1) nach Ausschaltung der Blutgefässe der Baucheingeweide, 2) nach Ausschaltung des Gefässgebietes der Extre- mitäten nnd 3) nach Ausschaltung der beim Frosche zum Aortenkreis- lauf in nahe Beziehung tretenden Lungengelfässe. Die Ausschaltung der Eingeweide wurde so vorgenommen, dass nicht die zu ihnen führenden Nerven durchschnitten wurden, sondern dass man, unter Vermeidung jeder Blutung, die Eingeweide (Verdauungscanal, Leber, Milz) unterband und aussehnitt; die unmittelbare Folge der Unter- bindung war gewöhnlich Stillstand des Herzens und Absinken des Blut- druckes, offenbar in Folge von Sympathicusreizung und reflectorischer Einwirkung auf das Herz. (Um dabei den schädlichen Eintritt reich- licher Manometerflüssigkeit in das Herz zu verhindern, wurde während der Unterbindung das Manometer abgesperrt und erst nach völliger Er- holung des Herzens freigegeben.) Bald aber erhob sich der Druck und erreichte seine frühere Höhe. Wurde nunmehr die Haut gereizt, so er- gab sich in allen Fällen Blutdrucksteigerung; freilich war sie im Ver- hältniss zum intacten Frosche viel geringer. Abbindung der Lungen hatte meist keine Veränderung des Blut- drucks zur Folge; sensible Reizung ergab stets Blutdruckerhöhung aber sie war geringer als beim intacten Frosche; während man bei einem solchen auf ein leichtes Bepinseln der Haut mit Ammoniaklösung oder auf schwache mechanische Reizung stets eine Blutdruckerhöhung um mindestens 1°“ erhielt, konnte man nach Entfernung der Lungen nur eine Blutdrucksteigerung um 2””, höchsens 4”” erzielen. Die vier Extremitäten wurden in der Weise ausgeschaltet, dass sie nur durch den N. ischiadicus, bez. den Hauptstamm des Plexus brachialis in Zusammenhange mit dem Rumpfe des Frosches blieben. Auch jetzt war noch auf sensible Reizung erhebliche Blutdrucksteigerung bemerkbar. l Beiträge zur Kenntniss der Gefässinnervation. Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XVI. 58 M. Josepr#: Ich suchte ferner, nach gleichzeitiger Ausschaltung der Bauchein- seweide und der Lungen den Blutdruck zu beobachten, allein ich konnte hier nichts Sicheres sehen, da der Blutdruck, wahrscheinlich in Folge von Schwächung der Herzkraft, fortwährend sank; sensible Reizung hielt das Fallen nicht auf. Wenn wir die Resultate dieser Versuche betrachten, so müssen wir uns sagen, dass wir zu einer sicheren Anschauung über die bei der reflectorischen Drucksteigerung betheiligten Kreislaufsgebiete nicht ge- langt sind. Das Geringerwerden des Gefässreflexes nach Ausschaltung der Lungen und der Abdominalorgane lässt sich natürlich für- eine Ent- scheidung in dieser Frage nicht verwerthen. Ein Zusammenwirken sämmtlicher Gefässgebiete erscheint als das Wahrscheinlichste, indessen kann man sich doch der Auffassung nicht verschliessen, und dazu regen ganz besonders die Beobachtungen von Heidenhain und Grützner! an, dass doch vielleicht ausser der Verengerung der Arterien noch andere Momente bei der reflectorischen Blutdrucksteigerung betheiligt sind, deren Beachtung seit den bahnbrechenden Arbeiten Ludwigs vielleicht allzusehr in den Hintergrund gedrängt worden ist. Ill. Spinale Gefässreflexe. Endlich versuchte ich den Ort des Centrums des Gefässreflexes selbst zu localisiren, somit der Frage nach der Existenz spinaler Gefässcentra näher zu treten. Bekannt sind in dieser Beziehung die am Warm- blüter gewonnenen, zum Theil freilich sich widersprechenden Ergebnisse von Schlesinger, Heidenhain und Kabierske, $. Mayer, Luch- singer u. A. Für den Frosch giebt Nussbaum? an, nach Abtrennung der Medulla oblongata vom Rückenmark auf sensible Reizung noch Ar- teriencontractionen mit Hülfe des Mikroskops wahrgenommen zu haben. Auch Gaskell berichtet, dass er durch sensible Reizung Contraction der Muskelgefässe — ebenfalls mikroskopisch beobachtet — erzielt habe. Ich selbst habe bei einer grösseren Anzahl von Fröschen die Medulla oblongata vom Rückenmark getrennt und dann Reizung sensibler Nerven angewandt. Ich konnte aber niemals eine unzweideutige Erhöhung des Blutdruckes erzielen. Höchstens kam eine minimale 1—2"" betragende Steigerung der Druckmessersäule zu Stande, und zwar nur bei Appli- N Na (0) Aa O)% © [8 ÜBER DIE REFLKECTORISCHE INNERVATION D. BLuTGErÄssE D. Froscnes. 59 cation so starker Ströme, dass diese nicht mehr als unbedenklich be- trachtet werden konnten. Zuweilen sank dagegen sogar die Sodalösung ein wenig. Die Thiere wurden zu diesen Versuchen theils bald nach der Durchschneidung, theils ein Paar Stunden oder sogar Tage nach derselben benutzt, und die Durchschneidung des Rückenmarkes erfolgte, unter gerinsfügiger Blutung, in verschiedenen Höhen.! Der Reiz war bald ein mechanischer, bald ein chemischer, bald ein elektrischer, und’ die Frösche waren theils tief, theils schwach, theils gar nicht eurarisirt. Die Hinterthiere befanden sich im Zustande hoher Refllexerregbarkeit; auf leichte mechanische Reizung der Pfote traten kräftige Reflexbewe- gungen, oft auch Entleerung von Harn ein. Trotz aller Versuchsände- rungen war aber der Erfolg ein durchaus negativer. Soll man aus diesen Ergebnissen schliessen, dass der Frosch spi- nale Gefässcentra nicht besitze? Ich glaube,‘ dass man dazu nicht berechtigt ist. Dass ein spinaler Gefässtonus auch beim Frosche vor- handen ist, geht aus den mannigfaltisen Versuchen von Goltz wohl augenscheinlich hervor. Auch spricht dafür die von mir beobachtete nicht unbeträchtliche Höhe des Blutdruckes nach Rückenmarksdurch- schneidung, die zuweilen nur wenig unter der Druckhöhe des intacten Thieres zurückblieb. Wo aber ein Tonus existirt, da existiren auch Centra. Mag nun dieser Tonus ein wirklich automatischer sein, mag er in Anregungen von der Peripherie seinen Grund haben, aus den mitge- theilten Versuchen folgt nur, dass entweder durch elektrische Nerven- reizung dieser Tonus nicht weiter gesteigert werden kann, oder dass die von dem übriggebliebenen Medullarantheile versorgsten Gefässgebiete zu seringfügig sind, um einen merklichen Einfluss auf die Höhe des allge- meinen Blutdruckes üben zu können. Zwischen diesen beiden Erklä- rungen zu entscheiden, wage ich um so weniger, als möglicherweise noch ein anderes Moment in Betracht kommt. Nähme man nämlich an, dass beim intacten Frosche das Herz an der reilectorischen Druckstei- gerung nicht so ganz unbetheiligt ist, wie man jetzt für gewöhnlich glaubt, so liesse sich vielleicht das Ausbleiben der Drucksteigerung nach Abtrennung der Medulla oblongata vom Rückenmark durch den Fortfall des Herzrefiexes wenigstens theilweise erklären. 1 Man muss sich aber natürlich hüten, tiefer als über der Ursprungsstelle der Wurzeln des Plexus ischiadicus das Rückenmark zu durchschneiden. Denn in diesem Falle kann bei Reizung der Schenkelhaut die Medulla oblongata in den Reflexkreis mit hineingezogen sein. In der That sah ich in zwei Fällen, in denen die Durch- schneidung zwischen erster und zweiter Ischiadieuswurzel erfolgt war, auf mecha- nische Reizung mancher Theile des Schenkels kräftige Blutdrucksteigerung, wäh- rend beim stärksten Kneifen der Zehen und des Fusses keine solche zu erzielen war. 60 M. Joskpn: ÜBER DIE REFLECTORISCHE INNERVATION U. S. W. Fasse ich schliesslich die Hauptergebnisse der mitgetheilten Ver- suche noch einmal kurz zusammen, so folgt aus ihnen, dass 1) auch beim Frosche eine Blutdruckerhöhung auf Reizung sensibler Nerven eintritt, 2) dass dieselbe auch nach Ausschaltung des gesammten Bauch- gefässgebietes, oder der Lungengefässe, oder der Gefässe der vier Extre- mitäten zu Stande kommt, 3) dass die reflectorische Druckerhöhung ausbleibt, wenn das Rücken- mark in beliebiger Höhe unterhalb der Medulla oblongata durch- schnitten ist. Zur Kenntniss des physiologischen Verhaltens des Brenzceatechin, Hydrochinon und Resorein und ihrer Entstehung im Thierkörper. Von Dr. L. Brieger. Aus der chemischen Abtheilung des physiologischen Instituts zu Berlin. Die Gruppe der Dihydroxylbenzole ist durch den Nachweis, dass das ' Brenzcatechin ein regelmässiger Bestandtheil des Thierkörpers ist, und ‘ dass das Hydrochinon unter gewissen Bedingungen im Thierkörper ge- bildet wird, dem Interessenkreise der Mediciner näher gerückt. Ebstein ‘ und Müller! waren es, die zuerst aus -dem Harne eines Kindes, der - an der Luft, namentlich nach Zusatz von Alkali, sich dunkel färbte, ‚ säulenförmige rechtwinklige Krystalle isolirten, die durch ihre Reactionen ' als Brenzeatechin sich charakterisirten. Der gleiche Körper bedingte ‚ nach diesen Autoren die Dunkelfärbung des Urins bei einem Falle, von ‚ dem Fürbringer? erzählte. Die Angabe von Fleischer,? dass die ‚ Bräunung und das Reductionsvermögen des Harns nach Verabreichung ‚ von Salicylsäure und ihrer Natronverbindung dem Brenzeatechin zuzu- schreiben sei, bedarf noch weiterer Aufklärung. Aus Baumann ’'s Unter- suchungen‘ geht aber hervor, dass das Brenzcatechin ein regelmässiger Bestandtheil des Menschen- und Pferdeharns sei, und dass als Quelle 1 Virechow’s Archiv u. s. w. Bd. LXII. S. 554. 2 Berl. klin. Wochenschr. 1875. Nr. 24. — Zeitschr. f. analyt. Chemie. Bd. XIV. S. 408. 3 Berl. klin. Wochenschr. 1875. Nr. 39 u. 40. 4 Pflüger’s Archiv u. s. w. Bd. XII. S. 63; — Bd. XIII. 8. 16. 62 L. BRIEGER: desselben nicht das Eiweiss betrachtet werden dürfte, da bei Hunden mit ausschliesslicher Fleischkost das Brenzcatechin im Urin nicht ge- funden wird. Ebensowenig gelang es Preusse! bei einem Kaninchen, das ca. 14 Tage lang auf blosse Milchnahrung gesetzt worden, Brenz- catechin im Harne nachzuweisen. Preusse wurde deshalb zur Annahme geführt, dass das Brenzeatechin der Pflanzennahrung entstamme und es glückte ihm, durch Versuche zu erhärten, dass die im Pflanzenreiche weit verbreitete Protokatechusäure im Thierkörper theilweise in Brenz- catechin übergehe. Ueber das Auftreten von Hydrochinon im Thierkörper sind wir erst vor Kurzem von Baumann und Preusse? unterrichtet worden. Sie erhielten nämlich diesen Körper aus dem Harn von Hunden, die längere Zeit mit Phenol gepinselt worden waren und erbrachten hier- bei den Nachweis, dass Oxydationsproducte des Hydrochinon es sind, welche die Dunkelfärbung des Carbolharns verursachen. Die Form, in welcher die Dihydroxylbenzole den Thierkörper ver- lassen, ist nach Baumann und Herter? die der Aetherschwefelsäuren. Kennen wir somit, wenn auch nur theilweise, die Umstände, welche das Auftreten dieser Substanzen im Thierkörper bedingen und die Art und Weise ihrer Elimination aus demselben, so fehlt uns doch bisher jeder Anhaltspunkt über ihre Wirkung im thierischen Organismus und ihr Verhalten gegen Gährungs- und Fäulnissträger. Diese Verhältnisse auf- zuklären, bezwecken die folgenden Untersuchungen, in deren Kreis ich auch noch das Resorein gezogen habe, um so die Gesammtreihe der Dihydroxylbenzole mit einander vergleichen zu können. A. Wie verhalten sich Kalt- und Warmblüter gegen Brenzcatechin, Hydrochinon und Resorein ? Bei den zunächst folgenden Versuchen mit Sommerfröschen habe ich von der subcutanen Beibringung der Dihydroxylbenzole Abstand genom- men. Da sich zeigte, dass die betreffenden Substanzen leicht von der Haut aus resorbirt werden, habe ich das von Christiani! angegebene und erprobte Verfahren eingeschlagen, das einen guten Einblick in die Reihenfolge der Symptome erlaubt. Versuchsanordnung: I. Ein Frosch von ca. 55°" Körpergewicht wird in ein Becherglas ge- setzt, dessen Boden von 5 m einer Lösung (1: 1000) eines der Dihydroxyl- benzole bedeckt ist. II. Ein gleich grosser Frosch wird in ein Becherglas von denselben \ Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. Il, S. 329. 2 Dies Archiv. 1879. 8. 245. > Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. I, S. 244. ! Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. II, 8. 273. VERHALTEN DES BRENZCATECHIN, HYDROCHINON UND REsorcm. 63 Dimensionen wie I. gebracht und 10°" einer Lösung (1: 1000) eines der Dihydroxylbenzole hinzugefügt. Ill. Verfahren wie in Il., ausserdem werden noch 50 *" Wasser hin- zugegossen. IV. Es wird wie in II. vorgegangen, der Wasserzusatz betrug hier ber 100°". Die Oberfläche der Versuchsthiere war somit in geringerer oder grösserer Ausdehnung von der Flüssigkeit umspült. In der folgenden Tabelle sind einige Versuchsergebnisse zusammengestellt: Eintritt etwaiger Vergiftungs- Endeffect. snchs- erscheinungen. | anordnung. VE THE Rn 5 ET ' 7 Brenz- Hydro- ss so Brenz Hydro- R ‘ eatechin. | chinon. Resorein. | catechin. chinon. rer: DEN tn Erna | m . . . . . rs . . | . . . . 2 Stunden. 2) en den, leben. | Tod nach . z ; Tod nach Tod nach h r : 91], ä 10m Krämpfe nach einigen Minuten. en a eStanden. | | Ri 54. Tod nach Tod nbeh a 3 Stunden. | 6 Stunden. et | sich. er © | Keine | Tod nach | zu gun. | Frösche Bear a Stunden. Krämpfe. | 6 Stunden. A leben. I Die Versuche, die öfter und stets mit dem gleichen Erfolge aus- seführt wurden, zeigen, dass das Brenzcatechin am intensivsten to- -xisch wirkt, ihm steht nahe das Hydrochinon, während das Resorcin Sich als am wenigsten giftig herausstellte. Diese Schlussfolgerungen werden noch gestützt durch die Resultate anderer Versuchsreihen, bei denen Frösche in Lösungen von 0,005 "2" Brenzcatechin auf 100 °® Wasser gesetzt, innerhalb 10 Stunden zu Grunde gegangen waren, während es beim Hydrochinon einer Lösung von 0,013°” auf 100 «m Wasser benöthigte, um denselben Hffect zu erzielen, und Resoreinlösungen in gleicher Con- eentration wie das Hydrochinon die Frösche wenig oder gar nicht schä- disten, 64 | L. BRIEGER: Die toxischen Wirkungen der Diohydroxylbenzole äussern sich in gleicher Weise, wie die des Phenols, von dem die letale Dosis für den Frosch nach Christiani von der Haut aus 0-01” beträgt, zeigen aber wie aus obiger Tabelle hervorgeht, quantitative Unterschiede unter sich, Die Versuchsthiere .werden anfangs soporös, collabiren, das Aufent- haltswasser trübt sich dabei milchig, es treten dann leichte Zuckungen der Extremitäten ein, denen schnell refleetorische Krämpfe folgen, die mit der Dauer an Intensität gewinnen. Die Thiere werden dann sehr häufig in die Höhe geschnellt, so dass das Aufenthaltswasser schaumig wird. Mit der zunehmenden Erschöpfung der Thiere lässt auch die In- tensität der Krämpfe nach. Die Thiere beginnen mühsam zu athmen, machen häufig schnappende Bewegungen und sind dann plötzlich todt oder erholen sich bei nicht tödtlichen Dosen allmählich. Bisweilen er- folgt der Tod auf der Höhe der reflectorischen Krämpfe. Bei der Obduction der so vergilteten Frösche fand sich das Blut ° dünnflüssig, blauroth, die kleinen Arterien erweitert, Hyperämie der Unterleibsorgane und der Schenkelmuseulatur, die Lungen emphysematös aufgeblasen, Befunde,! wie sie Christiani, gleichfalls aber nicht con- stant, an phenolvergifteten Fröschen bemerkt hat. Das Aufenthaltswasser der durch die Dihydroxylbenzole vereifteten Frösche, das sich stets sehr rasch milchig trübte, wurde eingedampft, mit Chlorbarium versetzt und vom schwefelsauren Baryt abfiltrirt, es entstand beim Kochen mit Salzsäure ein erheblicher Niederschlag von BaSO,, ein Beweis, dass auch die Frösche die Dihydroxylbenzole in Form gepaarter Schwefelsäuren ausscheiden. Die Warmblüter vertragen relativ grössere Dosen der Dihydroxyl- benzole als die Kaltblüter. | Einem Kaninchen von 13708" Körpergewicht werden 0.2508°% Hydro- chinon in Milch verabreicht. Auch nicht das geringste Unbehagen oder irgend welche üble Folgewirkungen machen sich geltend. Als nach mehreren Tagen demselben Thiere 0,5 8°” Hydrochinon verabfolgt wurden, sind ca. eine halbe Stunde nach Einverleibung der Substanz kurz an- dauernde Krämpfe in den Extremitäten wahrnehmbar, doch erholt sich | das Thier bald und frisst in gewohnter Weise, erst 0.75®'% demselben Thiere nach 2 Tagen beigebracht, riefen nach einer halben Stunde Krämpfe zuerst in den vorderen, dann in den hinteren Extremitäten hervor, diese steigern sich rasch zu allgemeinen klonischen Krämpfen, es tritt bald! Athemnoth ein, die Arterien erweitern sich, die Ohren fühlen sich bren- - nend heiss an. Speichel und Thränensecretion erscheint vermehrt, die? IA. 2.0.8. 281. VERHALTEN DES BRENZCATECHIN, HYDROCHINON UND Resorcım. 65 Sensibilität bleibt völlig intact, Keflexe rufen heftige Krampfanfälle her- vor, die Temperatur steigt um ca. 1!/,°C. um bald wieder zu sinken, die Krämpfe werden schwächer, die Reflexerregbarkeit nimmt ab, die Athmung wird langsamer und nach 1!/, Stunden stirbt das Thier. Bei der Obduction zeigte sich das Blut dickflüssig, Ventrikel prall gefüllt, sonst nichts bemerkenswerthes. Bei einem anderen Kaninchen von 2330 8” Körpergewicht veranlassen 0.4®°=® Hydrochinon gar keine Alteration, 1®"" mehrere Tage später ein- gegeben ca. 2 Stunden lang klonische Krämpfe, das Thier erholte sich darauf wieder und befand sich in der Folge ganz wohl. Der Urin dieser Thiere war stets dunkel gefärbt und enthielt kein freies Hydrochinon. Dasselbe trat aber auf, nachdem der Harn in Fäul- niss übergegangen war, in Folge von Zersetzung der Aetherschwefelsäuren. Nach Eingabe von 0.58"” Resorein verräth ein Kaninchen von 2200®"" Körpergewicht kein Unbehagen, während 1°”% clonische Krämpfe ver- ursachen, die bald vorübergingen. Aehnlich war die Wirkung von einem Gramm Resorcin bei einem Kaninchen von 2740 8”® Körpergewicht, nur dauerten hier die Krämpfe 2 Stunden lang an, wenige Tage nachher, als das Thier zur Norm zurück- gekehrt, führten 0-5 ®°® Brenzeatechin bei demselben nach einer halben Stunde unter heftigen Krämpfen den Tod herbei. Nicht letal war die Dosis von 0.38m Brenzcatechin bei einem Kaninchen ven 16808" Körper- gewicht, nur eine Stunde lang wurden dadurch heftige klonische Krämpfe ausgelöst, worauf das Thier sich wieder wohl befand. Eine Woche später erlag das gleiche Thier einer Gabe von 0-58" Brenzcatechin in einer halben Stunde unter ähnlichen Erscheinungen, wie eben beim Hydrochinon beschrieben. Das Brenzeatechin, welches dem Phenol sehr nahe steht, von dem 0-3—0-5sm Kaninchen tödten, übertrifft somit auch bei Warmblütern hin- sichtlich seiner Giftigkeit die beiden anderen Dihydroxylbenzole, von denen dem Resorein die schwächsten giftigen Eigenschaften zukommen. B. Antifermentative Wirkung der Dihydroxylbenzole. Nach Hüfner, Kühne, Nencki u. A. verläuft bekanntlich die Fäulniss von Pankreasinfusen sehr rasch und giebt sich zu erkennen dureh Bildung von Schwefelwasserstofl, Gasentwickelung, das reichliche Auftreten von Bakterien und die Abspaltung aromatischer Substanzen, wie Indol, Phenol u. s. w. Um die etwaigen fäulnisswidrigen Eigen- schaften der Dihydroxylbenzole beurtheilen zu können, wurden je 20 e fein zerhackten Pankreas mit je 100 °® verschieden starker Lösungen der betreffenden Substanzen bei 40°C. 4—14 Tage lang digerirt. Daneben Archiv f£.A. u. Ph. 1379. Suppl.-Band z. Physiol. Abth. 5 66 L. BRIEGER: wurde stets ein Controlversuch aufgestellt. Von Zeit zu Zeit wurde auf Bakterien untersucht und durch ein in den Kolben hineingehängten Streifen von Bleipapier auf etwaige Schwefelwasserstofientwickelung ge- prüft. Im Destillat eines jeden Kolben wurde sodann mit rauchender Salpetersäure das Indol nachzuweisen versucht. Es stellte sich nun her- aus, dass das Hydrochinon und Brenzcatechin in lprocentiger Lösung die Eiweissfäulniss vollständig verhindern, während das Resorein in 1 procenti- ger Lösung die Entwickelung von Bakterien und Schwefelwasserstoff nicht zu hemmen vermochte, doch kam es hierbei nicht zur Indolbildung. ‚ Alle diese Flüssigkeiten hatten sich stets dunkel gefärbt und konnte man dort, wo reichlich Bakterien vorhanden waren, bemerken, dass ge- wisse Arten von Bakterien sich gebräunt hatten, während andere un- gefärbt schienen. Uebrigens fanden sich auch in den fäulnisswidrig wirkenden Lösungen von Brenzcatechin und Hydrochinon vereinzelte Bakterien. Den Einfluss der Dihydroxylbenzole auf die Buttersäuregährung stu- dirte ich in der Weise, dass ich in Kolben, die ca. 300°” fassten, 11/, &" milchsauren Kalk und 1'/,®” einer dieser Substanzen hineinbrachte, dann fest verkorkte und ein durch den durchbohrten Kork gehendes Abzugs- rohr mit einer mit Quecksilber gefüllten Absorptionsröhre in Verbindung setzte. Selbstverständlich wurden auch stets Controlversuche angestellt. Es zeigte sich nun hierbei wiederholt, dass Brenzeatechin und Hydro- chinon stets in '/, procentiger Lösung die Buttersäuregährung hintan- hielten. In den gleichprocentigen Resoreinlösungen, sowie in den Control- versuchen hatte stets eine Gasentwickelung stattgefunden. Der Einfluss der Dihydroxylbenzole auf die Alkoholgährung wurde | in der Weise geprüft, dass je 10 °® einer Traubenzuckerlösung von 5 Proc. über Quecksilber mit wechselnden Mengen der. Dihydroxylbenzole zu- sammengebracht wurden. Diese Versuche, deren Aufzählung im Ein- zelnen ich unterlassen zu dürfen glaube, ergaben eine nahe Ueberein- stimmung hinsichtlich der Einwirkung der drei isomeren Verbindungen. Bei Zusatz von 0-.1®% Brenzcatechin, Hydrochinon oder Resorein, d. h. also in 1 procentiger Lösung wurde die Alkoholgährung vollkommen unter- drückt, während kleinere Quantitäten dieselbe nur verzögerten. C. Nachweis und Trennung von Brenzeatechin und Hydrochinon im Phenolharn. Nachdem Baumann und Preusse! aus dem Harn von mit Phenol vergifteten Hunden das Hydrochinon dargestellt und aus dem Auftreten Pe VERHALTEN DES BRENZCATECHIN, HYDROCHINON UND Resorcm. 67 desselben und seiner Oxydationsproducte die dunkle Färbung des Carbol- harns hergeleitet hatten, war es von einem gewissen Interesse, zu er- fahren, ob auch aus dem Harn von Menschen, die mit kleinen Dosen Phenol behandelt worden waren, das Hydrochinon sich darstellen liesse. Bei der Verarbeitung derartigen Harns hielt ich mich genau an die Vorschrift von Baumann und Preusse'. 40 Liter Urin von mit Phenol äusserlich behandelten Patienten, wurden mit Salzsäure auf ca. 3 Liter eingedampft und nach dem Erkalten mit Aether extrahirt, der wieder- holt mit Sodalösung geschüttelt wurde. Der Aether wurde dann sorg- sam von der Flüssigkeit getrennt, abdestillirt, der Rückstand zur Trockne ‚verdunstet, mit wenig Wasser aufgenommen und dann die harzigen Massen abfiltrirt. Das Filtrat wurde wiederum mit Aether ausgeschüttelt, derselbe verdunstet und der Aetherrückstand wiederholt aus heissem Toluol umkrystallisirt. Es hinterblieben O-453 8m reines Hydrochinon, das bei 167—168° C. schmolz und die bekannten Reactionen des Hydro- -chinon zeigte. Seine Lösung reducirte ammoniakalische Silberlösung, lieferte beim Erwärmen mit Eisenchlorid Chinon und färbte sich mit Alkalien braun. Baumann und Preusse! hatten aus dem Harn von mit Phenol vergifteten Hunden, die lange vorher nur mit Fleisch ge- füttert waren, also Brenzcatechin nicht bilden konnten, Reactionen er- halten, welche die Bildung des Brenzcatechin aus dem Phenol in ge- ringen Mengen erwiesen. Es schien mir nicht unwichtig, zu versuchen, ob auch das Brenzcatechin aus solchem Harn sich in Substanz darstellen lässt. Dies gelang mir nach folgendem Verfahren. Der Harn wurde zunächst wie bei der Gewinnung des Hydrochinons behandelt. Der - Rückstand der gereinisten Aetherauszüge wurde aber nicht aus Toluol umkrystallisirt, sondern in Wasser gelöst und mit Bleiacetat gefällt. Das Brenzeatechin wird in neutraler Lösung von Bleiacetat gefällt, wäh- rend das Hydrochinon in Lösung bleibt. Der dadurch entstandene Nieder- schlag wurde abfiltrirt, mit verdünnter Schwefelsäure zerlegt und dann mit Aether extrahirt. Der Aether wurde an der Luft verdunstet und der Rückstand in Exsiccator stehen gelassen, wobei glänzend weisse Kry- stalle anschossen, die durch Sublimation gereinigt wurden. Der Schmelz- punkt dieser Krystalle wurde zu 98° C. gefunden, während Brenzeatechin bei 102° C. schmilzt. Im Uebrigen zeigten die geringsten Mengen davon in neutraler oder alkalischer Lösung die Reactionen des Brenzcatechin. In wässeriger Lösung wurden sie mit Eisenchlorid grün gefärbt, welche Färbung nach Zusatz von kohlensaurem Ammoniak durch blau in violet Na 0. 8. 247. 2 Zeitschr. f. physiol. Chemie. Bd. III. S. 157. 5* 68 BRIEGER: VERHALTEN D. BRENZCATECHIN, HYDROCHINON U. RESORCIN. sich umwandelte. Salpetersaures Silber wurde durch Lösungen dieser Krystalle bei Gegenwart von Ammoniak in der Kälte, alkalische Kupfer- lösung beim Erwärmen sofort reducirt. Resorcin im Thierkörper nachzuweisen, gelang mir ebensowenig wie Baumann und Preusse. Da den Dihydroxylbenzolen eine kräftig antifermentative Wirkung zukommt, so liegt es nahe, sie äusserlich in gleicher Weise anzuwenden, wie das Phenol, vor dem sie den Vorzug haben, keine ätzenden Eigen- schaften zu besitzen. Letzterer Umstand gestattet, die Dihydroxylbenzole selbst in sehr starker Concentration auf Stellen appliciren zu können, die ihrer Empfindlichkeit wegen die Phenolanwendung in wirksamer Concentration verbieten. Das Hydrochinon schien sich hierfür besonders zu empfehlen, da es bei sehr stark antifermentativer Wirkung viel weniger siftig als das Phenol ist. Ich habe deshalb mit dieser Substanz einige klinische Versuche unternommen. Aus denselben möchte ich schon jetzt hervorheben, dass mit Hydrochinon bei der Gonorrho& auffällig günstige Resultate erzielt wurden. Ich verfüge bereits über eine heihe von Be- obachtungen, wo Leute mit abundanten eitrigen Ausflüssen, die 8 bis 14 Tage, bei einem Falle bereits ein viertel Jahr, lang bestanden hatten, innerhalb S—10 Tagen nach 2—Ö5maligen täglichen Injeetionen von 1—2 procentigen Hydrochinonlösungen, die sorgfältig überwacht waren, davon befreit wurden. Die Injectionen erzeugten, ausser bei einem Falle, keine nennenswerthe Schmerzempfindung. Die Schmerzhaftigkeit, welche jede frische Gonorrhoö begleitet, schwindet nach wenigen Tagen, sobald der Ausfluss nach den Injectionen sich zu vermindern beginnt. Dass aber bei diesen Fällen die Hydrochinoninjectionen es waren, welche die copiöse Secretion sistirten, und nicht etwa zufällige Umstände, geht dar- aus hervor, dass bei Individuen, bei denen zum Zwecke der Controle schon im Beginn der Secretionsverminderung die Injectionen ausgesetzt wurden, sofort eine Recrudescenz erfolgte, die durch neue Injectionen rasch behoben wurde. Ich habe mich ferner überzeugt, dass 2 pro- centige Hydrochinonlösungen in Augen von Kaninchen geträufelt keinerlei ätzende Wirkungen auf die Cornea ausübten, und dürfte sich deshalb das Hydrochinon auch bei infectiösen Augenleiden wie Blennorrho& u.s. w. mit Erfolg in Anwendung ziehen lassen. Mit dem Resorcin habe ich nicht die günstigen Resultate erzielt, wie mit dem Hydrochinon. 2—5 pro- centige Lösungen von Resorein in die Harnröhre injieirt, verursachten heftige Schmerzen und beschränkten den Ausfluss nicht im Geringsten. Berlin, den 14. October 1879. Die Lebenszähigkeit des Embryo’s. Von Dr. Bernhard Rawitz, Unterarzt in Berlin, Als Unterarzt in der Charit& auf der Abtheilung für syphilitische Weiber hatte ich hin und wieder Gelegenheit, Aborte zu beobachten (Ereignisse, die bei Puellis publieis nicht gar so ungewöhnlich scheinen), die meist Früchte sehr früher Perioden betrafen, von denen der eine mir einer weiteren Erwähnung deshalb werth erscheint, weil die dabei zu- fällig angestellten Beobachtungen einen, wie ich glaube, sehr interessanten Beitrag liefern zu jener, von Pflüger aufgestellten Lehre von der Lebens- tenacität des Embryo’s. Wenn ich diese Beobachtungen, die im Juni gemacht wurden, erst jetzt veröffentliche, so hat das einerseits seinen Grund darin, dass ich, mehr der Histologie zuneigend, in Unbekanntschaft mit der einschlägigen Literatur die physiologische Bedeutung der beobachteten Thatsachen mehr ahnte, als klar erkannte, deren Erkenntniss ich erst meinem verehrten Lehrer Hrn. Prof. H. Munk verdanke. Andererseits nahmen mich die Berufs- geschäfte auf jener der Grösse Berlins angemessen grossen Station derartig in Anspruch, dass ich keine Zeit fand, die folgende kleine Mittheilung druckfertis zu machen. Das Ei war nach kurzer Wehenthätigkeit des Uterus in toto mit allen seinen Adnexis ohne bedeutende Blutung ausgestossen worden. An einer Stelle sah ich den Embryo durch die sehr dünnen Eihäute hindurch im Fruchtwasser schwimmen; er hatte dabei die gewöhnliche Haltung; Kopf nach vorn auf die Brust geneigt, Kniee an den Leib angezogen, die Unterschenkel in stärkster Flexion. Die Länge des Eies betrug 11", Auf einem gewöhnlichen Eiterbecken eröffnete ich durch einen grossen Scheerenschnitt die Eihäute; das gelbliche Fruchtwasser floss ab und der - Embryo lag für die Beobachtung offen. Derselbe maass in seinem längsten Durchmesser 8» (31/, Zoll), die Sexualorgane waren nicht differenzirt, an beiden Extremitätenpaaren liess sich in selten schöner Weise die Ver- 70 | B. Rıwızz: zweigung der Hautvenen, die mit Blut ziemlich stark angefüllt waren, erkennen. Die Grösse des Schädels betrug fast ein Drittel von der der ganzen Frucht; die Haut des Schädeldaches zeigte Andeutung der Bil- dung von Lanugo. Das Grosshirn, wie ich durch die viel später vor- genommene Eröffnung der Cavum ceranii sehen konnte, hatte keine Gyri, selbst nicht andeutungsweise, nur die Trennung von Stirn- und Schläfenlappen war durch eine äusserst seichte Furche angedeutet. Pons, Cerebellum, sowie der ganze Hirnstock waren sehr deutlich entwickelt. In stummes Anstaunen eines für mich so ungewöhnlichen Gegen- standes versunken, wie es ein dreimonatlicher menschlicher Embryo war, bemerkte ich erst nach einiger Zeit, etwa nach Verlauf einer Viertel- stunde, eine eigenthümliche, regelmässige, hebende Bewegung des Thorax und Abdomen, die nichts Respiratorisches an sich hatte, sondern den Er- schütterungen glich, die durch die Pulsation des Herzens hervorgerufen werden. Nachdem ich das Sternum entfernt hatte, trat das folgende Phänomen zu Tage: Das im Verhältniss zum Volumen des Thorax ausserordentlich grosse Herz, dessen Vasa coronaria ziemlich stark angefüllt waren, pulsirte, und zwar liess sich dabei Folgendes feststellen: Die Contraetion erfolgte in zwei Abschnitten, erst Contraction der Atrien, dann Contraction der Ventrikel. In der ersten Hälfte der pul- satorischen Bewegung, bei Contraction der Atrien, füllten sich die Ventrikel prall mit Blut, die Musculatur derselben nahm dabei, soweit äusserlich erkennbar, eine livide Färbung an. In der zweiten Hälfte, der Ventrikel- Contraetion, war Diastole der Atrien; jetzt wurden diese prall mit Blut gefüllt, ihre Farbe war fast blau zu nennen. Während der Contraction war sowohl die Musculatur der Atrien, wie, was ich besonders hervor- heben möchte, die der Ventrikel blass, gleichzeitig liess die Füllung der Coronargefässe nach. Jene letztere, unzweifelhafte Thatsache spricht wohl für jene Autoren, die annehmen, dass erst in der Ventrikel- diastole die Herzgefässe ihr Blut erhalten. Dieser rhythmische Wechsel von Contraetion und Dilatation ging langsam vor sich. Der langsamen, aber kräftigen Atriensystole folgte unmittelbar die ebenfalls sehr kräftige Dystole der Kammern. Darauf trat ein momentaner Stillstand ein, während dessen Vorhöfe und Kammern in Diastole verharrten; demselben folgte dann wieder die sehr kräftige pulsatorische Bewegung. Diesem an und für sich sehr interessanten Phänomen, denn es wird wohl selten Gelegenheit geboten, Herzeontractionen am menschlichen, lebenden (wenn auch nicht lebensfähigen) Embryo zu beobachten, reiht sich das ebenso interessante der langen Dauer desselben an. Dıe LEBENSZÄHIGKEIT DES EMBRYo’s. 71 Die Bedingungen, unter denen die Beobachtungen von dem Stabsarzt Hrn. Dr. Krosta, sowie von meinen auf derselben Station beschäftigten HH. Collegen und mir angestellt wurden, waren die für derartige Sachen denkbar ungünstigsten. Das metallene Eiterbecken was vor seiner Benutzung mehrere Stunden den Strahlen der Morgensonne ausgesetzt gewesen und daher noch warm; der Tisch, auf dem dasselbe stand, war mit schwarzem Wachstuch be- deckt und ebenfalls sehr warm; ausserdem herrschte an jenem Tage eine ungewöhnlich hohe Temperatur: kurz, Alles vereinigte sich, um die Verdun- stung von der eröffneten Körperhöhle aus möglichst zu begünstigen. Trotzdem hatten wir alle die Freude, volle vier Stunden hindurch, von 9!/,—1!/, Uhr, das hochinteressante Phänomen studiren zu können. Da nun das Herz in der Minute durchschnittlich 20 Con- tractionen machte, die Zahl derselben, wie wiederholt constatirt - werden konnte, bis zuletzt nicht abnahm, sondern sich gleich blieb, so können wir die Gesammtsumme der typisch, in der vor- hingeschilderten Weise erfolgten Contractionen auf4800 berechnen. Wenn wir berücksichtigen, welch ein enormer Eingriff schon bei einem sechsmonatlichen Fötus die Eröffnung der Pleurahöhlen ohne Frei- legung des Herzens ist, dass stets als unmittelbare Folge der Tod eintritt, wenn wir ferner die für das Phänomen physikalisch ungünstigen Be- dingungen in Erwägung ziehen, wenn wir endlich bedenken, dass der vom mütterlichen Organismus losgelöste Embryo keinerlei Respirations- bewegungen machen, sein Blut also nicht decarbonisiren konnte, so werden wir zu dem Schlusse gelangen, dass dieses Phänomen ein Beweis für eine Lebenszähigkeit des Embryo’s ist, wie wir sie bis jetzt nur gewöhnt waren, bei Poikilothermen als selbstver- ständlich vorauszusetzen, bei Homoiothermen künstlich herzustellen aber vergeblich uns bemüht hatten. Wie dies Phänomen zu erklären sei, zu welchen Schlüssen es in seinen weiteren. Consequenzen berechtigt, das hier auszusprechen, geht über den engen Rahmen dieser kurzen Mittheilung hinaus. Sub finem vitae, wenn ich so sagen darf, fing der Typus in der Con- - tractionsreihenfolge an, sich zu verwischen. Es contrahirte sich einmal zuerst das rechte, dann das linke Herz, und umgekehrt, bis, bei allmäh- licher Abnahme der Kraft in den Bewegungen, Ventrikel- und Atriensystole nicht mehr zu trennen war, und schliesslich gänzlicher Stillstand eintrat. Hrn. Prof. Levin, sowie dem Stabsarzt Hrn. Dr. Krosta zolle ich bier meinen aufrichtigsten Dank für die Erlaubniss, diese Beobachtungen verölfentlichen zu dürfen. Berlin, im Juli 1879. Studien über den Einfluss der Erdwärme auf die Ausführbarkeit von Hochgebirgstunneln, Von Dr. F. M. Stapff, Ingenieur-Geolog der Gotthardbahn, in Airolo, In den letzten Jahrzehnten sind verschiedene Alpentunnelprojecte aufgetaucht, deren Urheber völlig übersehen zu haben scheinen, dass wegen der im Inneren der Erde herrschenden hohen Temperatur mit den bisherigen technischen Hülfsmitteln diese Projecte unausführbar sind. Da die Tunnelbau-Literatur keine, die bergmännische Literatur aber nur sehr wenige sichere Daten enthält, auf welche eine Beurtheilung dieser Frage basirt werden könnte, so will ich im Folgenden einige zu ihrer Lösung dienliche Materialien zusammenstellen und zu erörtern suchen: 1. bei welchem Temperaturgrad aus physiologischen Gründen unterirdische Arbeit unmöglich wird; 2. bei welcher Höhe des über dem Tunnel liegenden Gebirges dieser Temperatur- grad zu erwarten ist. Da ich weder Arzt noch Physiologe bin, so habe ich behufs Beant- wortung der ersten Frage den Berliner Physiologen Hrn. Professor EB. du Bois-Keymond um Aufschlüsse gebeten und freue mich, im Fol- ° genden einige den Gegenstand behandelnde briefliche Mittheilungen dessel- ben vorlegen zu können. Auf den Rath des Hrn. du Bois-Reymond habe ich im Gotthardtunnel neuerdings an mir und an Arbeitern Beobach- tungen angestellt, auf welche sich viele der nachfolgenden Berechnungen stützen. Dem lebhaften Interesse, womit Hr. du Bois-Reymond diesen Versuch auf einem mir fremden Gebiet verfolgt und bereitwilligst unterstützt hat, ist es überhaupt zu danken, wenn derselbe nicht ganz erfolglos geblieben sein sollte Die zweite Frage hat mich seit Beginn meiner Thätigkeit am Gotthard-Tunnel beschäftigt, so dass zu ihrer Be- antwortung ein reichliches, im Verlauf von fast sechs Jahren gesammeltes Material zur Verfügung steht. ee F, M. Staprr: EınrLUss DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 73 Erster Abschnitt. I. Temperaturgrad, bei welchem unterirdische Arbeiten unmöglich werden. Beim Vergleich hoher Temperaturen, welche Menschen erfahrungs- gemäss ohne Nachtheil ertragen können, stösst man auf eine Menge scheinbarer Widersprüche theils zwischen den einzelnen Erfahrungen, theils zwischen diesen und physiologischen Nothwendigkeiten. Diese Widersprüche lösen sich aber, sobald man die verschiedenen Umstände berücksichtigt, unter welchen die beobachteten Erscheinungen statthaben. Es ist nicht nur der Temperaturgrad, welcher die Möglichkeit des Aufenthaltes an einem gegebenen Ort bestimmt; gleichzeitig mit dem- selben kommt auch in Betracht: die Gewöhnung an diesen Temperatur- grad (Accommodation, Acelimatisation); die Zeitdauer, während wel- cher man ihm ausgesetzt ist; die Anstrengung, womit man in ihm arbeitet; die Beschaffenheit der Luft, in welcher man sich aufhält, , und zwar besonders ihr Feuchtigkeitszustand. Albuminlösung trübt sich bei 60° und coagulirt bei 75°; dadurch ist bekanntlich dem Leben überhaupt bei steigender Temperatur eine Grenze gesetzt. Viel früher wird aus Gründen, die wir nicht genau kennen, das Leben der meisten Organismen, in’s Besondere der Säugethiere und des Menschen, unmöglich; die chemischen Processe, welche grossentheils das Leben ausmachen, können nur innerhalb gewisser Grenzen von statten gehen. R Dieser Satz wird auch nicht durch die schon im vorigen Jahrhun- dert gemachte Erfahrung umgestossen, dass Bäcker in einem Ofen einige Minuten bei 130° verharrt seien. Aehnlich hohen Temperaturen setzen sich wohl ganz vorübergehend auch die Arbeiter aus, welche nach beendetem Brand Ziegel- oder Porzellanöfen austragen. Man wird aber daraus ebensowenig schliessen wollen, dass die menschliche Organisation geeignet ist in so hohen Temperaturgraden zu existiren, als man aus den Thatsachen, dass in Skandinavien junges Volk durch die Mittsommer- feuer springt, oder dass asiatische Nomadenstämme ihr Vieh durch Feuer treiben, um es vor Seuchen zu schützen, auf die Feuerfestigkeit dieser Leute und Thiere schliessen wird. Zurückhalten des Athems, Ueberzug des Körpers mit einer in der umgebenden trockenen Luft rasch ver- dunstenden Schweissschicht, ganz unzureichende Zeit für Mittheilung der äusseren Wärme an den (bekleideten) Körper, erklären diese und eine Menge ähnlicher Anomalien zur Genüge. Bekanntlich hat Boutigny gezeigt, dass man ohne Gefahr am eigenen Körper sogar den Leiden- frost’schen Versuch anstellen kann. 74 F. M. STAFF: Einer jeden Isothermenkarte kann man die hohen Temperaturgrade entnehmen, unter welchen tropische und subtropische Völker leben. Beispielsweise seien die klimatischen Verhältnisse von Batavia (6° 11’ S. Br., 8" ü. M.) angeführt, wo im Verlauf des Jahres der Dunstdruck zwischen 19-7 und 21-.8””, die relative Feuchtigkeit zwischen 78.9 und 88-1 °/,, die Lufttemperatur‘ (Mittel: 26-0°) zwischen 20.8 und 33.0° schwankt. Die an sehr hohe Temperaturgrade gewöhnten Eingeborenen machen sich die Hitze durch möglichste Verminderung körperlicher An- strengung erträglich; — in der That ist die an Südländern so vielfach ge- tadelte Faulheit eine Bedingung für ihre Existenz. Die Acclimatisation von Europäern in Batavia ist immer mit Schwierigkeiten, häufig mit Lebens- sefahr verknüpft, und ich habe gehört, dass dort einmal acclimatisirte Europäer fast ohne Ausnahme wegsterben, wenn sie nach längerem Aufent- halt in Europa wieder nach Java zurückkehren. Als ungewöhnlich hohe Temperaturgrade ausserhalb der Wendekreise seien jene erwähnt, welche verflossenen Winter in Südaustralien herrschten. Im November 1878 soll die Temperatur in Neusüdwales (29—30° S. Br.) 45—47.5°, im Februar 1879 in Gippsland (Victoria), unter ungefähr 371/,° 8. Br., 35° im Zimmer, 51.25°C. in der Sonne erreicht haben. Ausser Wegtrocknen der Viehweiden und Buschfeuern veranlasste die ungewöhnliche Hitze Sonnenstiche unter den Eingewanderten.! Beim Bau der St. Louis- und South-Eastern-Eisenbahn, wo ich im Jahre 1870 als Assistent des Oberingenieurs beschäftigt war, erlagen im Juli und August von etwa 300 zwischen dem sumpfigen Missisippi- bottom und Belleville beschäftigten Arbeitern gegen 16 dem Sonnen- stich. Die höchste um jene Zeit zu Belleville (ungefähr 39° N. Br.) be- obachtete Temperatur betrug 40°; fast alle betroffenen Arbeiter waren neueingewanderte, also noch nicht acclimatisirte, Irländer. Obwohl ich fast täglich vom Morgen zum Abend auf der Linie arbeitete, spürte ich während des Baues kein Unwohlsein, und erst nach Beendigung desselben trat im October hartnäckiges Wechselfieber ein, welches nicht eher wich, als bis ich die Gegend verliess, und nach dem nordmexikanischen Staat ° Nuevo Leone (25° N. Br.) als Ingenieur der Vallecillo-Silvermining-Comp. gieng. Bei einer Sommertemperatur von (Mittags) 38.9—40.6° arbeiteten ! Im Mai 1877 hatte Hr. Babuchin in seinem Arbeitszimmer in Oberegypten 38-75, im Hofe seiner Wohnung oft 52-500. (Dies Archiv. 1877. 8. 273.) Hr. Nachtigall hat auf seinen afrikanischen Reisen eine Schattentemperatur von 49-4 ausgehalten, allerdings bei sehr trockener Luft, und nur mit srösster Beschwerde und tiefer Herabsetzung der Leistungsfähigkeit auch seiner eingeborenen Begleitung. TE. d. B-R.] EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 75 daselbst die „Indios eivilisados“ lieber im Freien, selbst vor den offenen schottischen Bleiherden, als in der Grube, wo ich eine Maximaltempe- ratur von 25° beobachtet habe. Die Grubenarbeiten verrichteten sie ohne jegliche andere Bekleidung als Filz, Schurz und Moccassins; die Hütten- arbeiten dagegen in verhältnissmässig dieker Kleidung, namentlich auch zwei und dreifach übereinander gestülpten Filzhüten. Weder diese Ein- geborenen noch die eingewanderten Europäer und Amerikaner spürten von der Gruben- und Hüttenarbeit in diesem Klima irgend welche nach- theilise Folgen. Allerdings war die Luft rein; zur Mittagszeit setzte ein starker, zwar heisser, aber trockener Süd-Ostwind ein, und die heiteren Nächte waren kühl und erfrischend. Diese Beispiele illustriren genügend die alte Erfahrung, dass Einge- borene 40—50° ihres tropischen Heimathklima’s bei geringer Anstrengung wohl ertragen, und dass sich Europäer in den Tropen acclimatisiren können. Ohne Acelimatisation wird letzteren aber anstrengende Arbeit bei 40° im Freien lebensgefährlich, zumal in feuchter Luft. Die Folgen - des Aufenthaltes (selbst ohne anstrengende körperliche Arbeit) in unge- wohnt feuchter und warmer Luft zeigen sich übrigens oft erst nachträg- lieh bei Einwirkung von Miasmen durch Wechselfieber u. d. m. Recht hohen Temperaturen sind die Arbeiter in manchen Fabriken ausgesetzt. In Zuckerraffinerien z. B. erfolgt das Ablaufenlassen des Syrups von den Broden bei 30—36°; das Trocknen der letzteren bei 50°; die Arbeiter verweilen aber nicht lange in so warmen Räumen, sondern sie kommen und gehen. Dr. K. Martin in Jena schriebt mir: „Unser pathologischer Anatom Müller sagt, dass Menschen auf kurze Zeit ganz wohl in 50°C. arbeiten können. Aber bei solcher Temperatur im Tunnel müssten in der That die Arbeiter oft wechseln, etwa alle paar Stunden. Es wird dabei ge- wiss sehr auf Individualitäten ankommen. Heizer auf Dampfern, welche heisse oeschlossene Meere, z. B. das rothe Meer, befahren, müssen jeden- falls auf kurze Zeit, d. h. stundenlang, noch viel grössere Temperaturen aushalten. Minutenlang müssen solche Feuerarbeiter gewiss colossale Temperaturen ertragen“. Vorstehende Bemerkungen veranlassten mich, Hrn. Contre- Admiral F. Batsch um Aufschlüsse über die in Heizräumen von Kriegsschiffen herrschenden Lufttemperaturen zu bitten, und hat derselbe gütigst meiner Bitte entsprochen durch Zusendung folgender eingehender Antworten auf meine Fragen. 76 F. M. STAPFF: „li. Welche Maximaltemperaturen herrschen in tropischen Meeren in den Heizräumen der Dampfschiffe?! Jahreszeit. October 1874 November 1874 Januar 1875 April 1875 Mai 1875 Mai 1876 Juli 1876 August 1876 September 1876 October 1876 December 1872 Januar 1873 April 1873 Juli 1873 Ausust 1873 September 1873 | J In welchen Meeren oder Häfen. Sr. M.S. „Ariadne“. Glatt- decks-Corvette. Nordsee. Ä Atlantischer Ocean . Mittelländisches Meer . Rothes Meer . Indischer Ocean . Malakka-Strasse . Manila . B Chinesisches Meer . Hongkong-Arnoi. Formosa- Strasse . Chinesisches Meer . Banka - Strasse Java rn). Een N Golf von Bab-el-Mandeb . Rothes Meer . Port-Said . a, Mittelländisches Meer . Strasse von Gibraltar — Lissabon Sr.M.S. „Friedrich Carl“. Panzerfregatte. Caraibisches Meer Atlantischer Ocean (Fayal) Mittelländ. Meer (Malaga) Maximaltemperaturen in Graden nach Celsius. Maschinen- raum, 36 BL 40 50 43 46 48 29 41 44 36 45 37 32 43 34 38 34 36 39 48 By 52 54 52 Heiz- raum. 59 Kohlen- raum. 52 85 32/30 1 Es fehlt leider an Auskunft darüber, wie die Thermometer in den betreffen- den Räumen angebracht, ob sie nicht z. B. an den Eisenwänden hingen, da sie dann eine höhere Temperatur anzeigen würden, als bei freier Aushängung im Raume, EINFLUSS DER ERDWÄRME BEL TUNNELBAUTEN. Jahreszeit. Mai 1874 Juni 1874 Juli 1874 August 1874 August 1874 September 1874 October 1874 November 1876 December 1876 Februar 1877 - März 1977 April 1877 Juli 1877 August 1877 September 1877 October 1877 November 1877 December 1877 Januar 1878 Februar 1878 Mai 1878 Juni 1878 Juli 1878 In welchen Meeren oder Häfen. —] — Maximaltemperaturen in Graden nach Celsius, ‚Maschinen- Heiz Sr.M.S. „Augusta“. Glatt- | decks-Corvette. | Barbados 34 65 _ In See . 28..°10:98 30 Nach Bahia al 52 30 „ Rio de Janeiro . 34 55 510) ” »Sanitos. - 30 50 24 „ Montevideo 28 50 28 „ Santa Catarina . 32 57 | 25 Rio de Janeiro — Bahia . 32 62 32 Nach Maceyo. 32 66 32 „ Georgetown 35 57 30 Ar bBanbadose aaa. 33 60 — Nord - Atlantischer Ocean 98. 49 27 Süd - x en 32 41 30 Indischer Ocean . 28 50 28 Grosser Ocean an 40 28 Auckland . 36 43 29 Grosser Ocean 37 43 29 Apia. 34 39 30 Levucka 37 40 30 Südsee . 38 40 3l do. 23 33 22 domain. 9% 97T 38 30 Tongatabu. . 33 30 29 Vavao a 32 80 In See . 40 44 39 ‚Apia. 43 54 40 dor. 39 46 27 Grosser Ocean 35 41 30 Japan 39 44° 29 Gelbes Meer . 39 46 30 Nangasaki . 38 48 30 Gelbes Meer . 37 48 30 Süd-Chinesisches Meer 42 58 33 | Kohlen- 7s F. M. STAPFF: Maximaltemperaturen In welchen Meeren in Graden nach Celsius. Jahreszeit. oder Häfen. — Maschinen- Heiz- Kohlen- raum. | raum. raum. Sr.M.S. „Augusta“. Glatt- deceks-Corvette. August 1878 Sunda-Sirasse. . . ...) 22 62 31 Indischer Ocean... . 43 55 33 September 1878 | Golf von Bab-el- Name 42 61 35 45 63 37T. 2 Rothes Meer EN 0 ba ST Suez-Kanalee 40 OD Mittelländisches Meer. . 38 48 34 5 ER 37 43 32 Gibraltar 2. Neo 45 27 October 1878 Er RR ee 35 51 86 Atlantischer Ocean. . . Bo a a rt 2.-Welches sind die Folgen dieser hohen Temperatur auf die Heizer? Wie aus der Tabelle ersichtlich, wird das ganze Maschinen-Personal, nicht nur Heizer, sondern auch Maschinisten, Maschinisten - Maate und Feuermeister der hohen Temperatur in den Maschinenräumen eines Schiffes ausgesetzt. Hierbei wird der Grund zu oft unheilbaren Krankheiten gelegt, die schnell auftreten und ungünstig verlaufen. Hierhin gehören namentlich Brust- und Lungenleiden, Gehirnaffeetionen, Dysenterie, Magen- leiden, Rheumatismus. Die Leute sind während und nach der Wache vor zu rascher Abkühlung und vor zu schnellem, kaltem und vielem Trinken möglichst zu hüten und ist, wo diese Vorsicht nicht angewendet wurde und eine zu plötzliche Abkühlung eintrat, der Tod schon in vier- undzwanzig Stunden erfolgt. — Zum Trinken wird officiell Haferschleim oder eine Theeabkochung, Limonade und zeitweise ein Schnaps gegeben, auch suchen sich die Leute selbst, wenn irgend angängig, Kaffee, Limo- nade, auch einen Zusatz von Wein oder Rum zum Wasser, oder Brod- wasser (Kalte Schale) zu verschaffen. Eine sehr lästige Zugabe zu der hohen Temperatur bildet ausserdem noch der Kohlenstaub sowohl in der Fahrt beim Heranschaffen der Kohlen vor die Feuer als auch beim Einnehmen und Verstauen derselben in die Kohlenräume, namentlich wenn letzteres, wie auf Kriegsschiffen, schnell geschehen muss. Zum EinFLuUss DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 79 Schutz gegen diesen Staub nehmen die Heizer in Ermangelung geeig- neter Respiratoren etwas Wischbaumwolle zwischen die Lippen. Das Einathmen von zu viel Staub in hoher Temperatur hat neben sonstiger Erschlaffung heftiges Erbrechen zur Folge; doch ist, Ausnahmefälle abgerechnet, gemeinhin nur eine Erholung von zwei bis vier Tagen nöthig und können dann die Leute zu weiterem Dienste herangezogen werden. 3. Wie lange dürfen oder müssen die Leute ununterbrochen in den Heizräumen sich aufhalten? Das Personal, welches für die Ausführung des ununterbrochenen Dienstes bei den Maschinen und Kesseln eines Kriegsschiffes nöthig ist, wird so bemessen, dass die Leute in drei Wachen getheilt werden können. Jede Wache hat ununterbrochen vier Stunden Dienst und nächstdem acht Stunden Ruhe, welche bei Tage noch durch etwas Exereiren und Instruetionsdienst unterbrochen wird. Eine Verkürzung des Maschinen- dienstes ist bis jetzt nur beim Passiren des Rothen Meeres vorgekommen und werden hier Eingeborene zum Heizen engagirt, während die eigenen Leute bei Ablösung von zwei Stunden Kohlen heranschafien. Eine gleiche Verkürzung des Arbeitsdienstes findet beim Kohleneinnehmen und -ver- stauen in heissen Gegenden statt, sonst ist eine frühere Ablösung der Leute als nach vierstündiger Wachezeit, veranlasst durch zu grosse Er- mattung, nur in einzelnen Fällen vorgekommen und als Ausnahme zu betrachten. Am meisten strengen die Aus- und Heimfahrten der Schitie nach und von auswärtigen Stationen an, wenn dieselben beschleunigt werden müssen. Eine Erholung tritt dann nur ein oder es ist theilweise als solche anzusehen, wenn die Schiffe zur Fahrt ausschliesslich ihre Segelkraft in den Passatgegenden benützen können. Das Maschinenper- sonal wird dann während der Tageszeit zu Reinigungs- und Reparatur- arbeiten der Maschinen und Kessel verwendet und hat während der - Nachtzeit Ruhe, mit Ausnahme zweier Wachtposten in der Maschine bei zweistündiger Ablösung oder der Bedienung des Destillirapparates mit Kessel bei vierstündiger Ablösung. 4. Thut man (von Ventilation abgesehen) etwas zur Herab- setzung der Temperatur in den Heizräumen? Um einen Verlust an Wärme zu verhindern, werden die äusseren Kesselwände, mit Ausschluss der Stirnwände und Böden, sowie die Dampfrohre mit einer Bekleidung aus schlechten Wärmeleitern (Filz, Holz u.s. w.) versehen und erhält der Schornstein aus Eisenblech einen Mantel von gleichem Material, der von ersterem bis zu 15 °® Entfernung 80 ; F. M. STAPFF: absteht. Diese Einrichtung trägt neben ihrem Hauptzweck, den Wärme- verlust zu verhindern, auch zur Herabsetzung der Temperatur in den Heizräumen bei. Zur hauptsächlichsten Verminderung der Temperatur dienen die Ventilatoren (Rohre) für die Zuführung frischer und diejenigen für die Abführung der heissen und schlechten Luft. Die ersteren werden auf Deck mit drehbaren Köpfen (trompetenartig) versehen, um dieselben stets gegen den Wind bringen zu können, unten münden sie trichter- förmig bis auf etwa Mannshöhe von dem Fuss des zu ventilirenden Raumes. Zur Zuführung frischer Luft dienen ferner die am Vor- und Achterende eines jeden Heizraumes angebrachten Luken, die aber, wenn sie wirksam sein sollen, durch eine vertikale Scheidewand von dem Heiz- raum getrennt sein und die frische Luft möglichst tief nach unten ab- geben müssen. Die Abführung der heissen Luft kann einerseits durch die oben angeführten Luftzuführungsrohre bewirkt werden, indem man deren drehbare Köpfe mit dem Winde stellt, dieselbe wird aber in der Neuzeit hauptsächlich durch die Exhaustoren bewirkt. Es sind dies Rohre von rechteckigem Querschnitt, welche im Schornstein angebracht unten gegen den Heizraum offen sind und oben bis zu etwa ein Fünftel vor der Schornsteinhöhe münden. Die heissen Gase, welche die Rohre bei ihrer Entweichung durch den Schornstein umgeben, verdünnen die oberen Luftschichten und ermöglichen so ein Nachdrängen und beschleu- nigtes Entweichen der heissen Luft in den Kesselräumen. Zur weiteren Abführung der heissen Luft in den Kesselräumen werden auch noch die Podeste, welche in den Decks der Schiffe für den Durchgang der Schorn- steinmäntel angebracht sind, oben und an den Seiten mit verschliess- baren Oeffinungen versehen. Schliesslich werden auf grossen Schiffen oder solchen, deren Dienst- und Wohnungsräume ausschliesslich unter Wasser liegen und deshalb geschlossen sein müssen (Panzerthurmschiffe wie „Lhunderer“, „Devastation“ u. s. w.), auch noch Ventilatoren angewendet, welche, als Turbinenräder, von kleineren Dampfmaschinen betrieben die Luft in die betreffenden Räume zu- oder aus denselben abführen.“ Ungewöhnlich hohe Temperaturgrade werden bei Bädern zugelassen (heisse 37.5—45°; finnische Dampfbäder 35—40°, während 20 und 25 Minuten; Tepidarien der irisch-römischen 32-.5—40°; Sudatorien 56—65°; Dandbäder 37.5—50°): allerdings unter Verhältnissen, welche weit von jenen abweichen, unter denen man in gleich warmer Luft längere Zeit verweilen oder arbeiten könnte. Ueber die äussersten Temperaturgrenzen, bei welchen unterirdische Arbeiten noch ausführbar oder zulässig sind, mangelt es bisher leider an genügenden Beobachtungen. In England lässt man in Förder- und \ ( u j „N EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 81 Fahrschächten ausziehende Wetter mit höchstens 27—32° zu,! und in Bel- gien nimmt man als Temperatur der ausziehenden Wetter 22.5—34.5° an.? 1818 wurden in der Fahlunkupfergrube zwei Verhaue („Mellanrums- orten“ und „Myrbadsänkningen“) aufgemacht, in denen der Grubenbrand von 1798 gewüthet hatte. Nach Wallmann herrschte daselbst eine Tem- peratur von 52°, bei welcher also wenigstens die mit dem Aufmachen dieser Räume verknüpften Arbeiten statt hatten. 1820 wurde in dem gleichfalls vom Grubenbrande heimgesuchten „Rälamstak“ bei 30° gearbeitet. 1871 beobachtete Nordenström in „Flottgropen“ 30°; zu Anfang der sechziger Jahre wurde die Arbeit in einem Bruchort eingestellt, dessen Temperatur ich gelegentlich Grubenmessungen 33° fand; allerdings machte daselbst der Staub der verwitterten Kiese, welcher die Haut der nackten Bergleute tintenschwarz beizte, die Arbeit vielleicht noch lästiger als die Hitze. Zu diesen Beispielen ist zu bemerken, dass die natürliche Ventila- tion der Faluner Grube eine vorzügliche ist. Hr. Quintino Sella erzählte mir, dass er in einer Grube in Corn- wallis einen Arbeitsraum besuchte, wo die Lufttemperatur wegen Zer- setzung von Kiesen „wohl 40°“ betrug. Die Leute arbeiteten immer nur Sanz kurze Zeit, „etwa 10 Minuten,“ und stürzten sich dann, nackt wie sie waren, in einen benachbarten kühlen und sehr nassen Raum, wo sie sich durch Abwaschen erfrischten, um sodann, bei eintretendem Frösteln, ‘ ihre Arbeit wieder auf kurze Zeit fortzusetzen. Nach Angaben, für welche die literarische Gewähr mir nicht zur ‘ Hand ist, hat der Silberbergbau in der Sierra Nevada der Rocky Mountains neuerdings stellenweise solche Tiefe erreicht, dass die Erdwärme fernerer ‚ Ausbeutung der Gänge ein unüberwindliches Hinderniss entgegenstellt. Die höchste während des Baues des Mont-Cenis-Tunnels beobachtete ‚ Lufttemperatur betrug nach Ansted (bez. Giordano) 30-1° bei 6000 und 6448” vom Südportal. Auf die Temperaturverhältnisse des Cohen: werde ich weiter unten ausführlicher zu sprechen kommen und will hier nur vorläufig erwähnen, dass in der mit Feuchtigkeit übersättigten Luft der Südseite . bei ungefähr 31°, in der etwas trockneren der Nordseite bei ungefähr f 29° im März d. J. anstandslos gearbeitet wurde. Da die hier zusammengestellten Erfahrungen zur Beantwortung un- serer Frage nicht ausreichen, so habe ich bei Aerzten Erkundigungen hen gesucht. Einige meinten, dass anhaltende Arbeit in ge- ' Be lossenen Räumen bei einer die Bluttemperatur (375°) übersteigenden 1 Lottner-Serlo, Bergbaukunde. Bd. II, 8. 162. 2 Ponson, t. I, p. 9. Archiv f. A,u,Ph. 1879. Suppl.-Band. z. Physiol, Abthlg“, 6 82 F, M. STAPFE: Wärme lebensgefährlich sei; andere, dass bei guter Ventilirung der Aufent- halt in trockenen Räumen bei 50° unschädlich sei. | Hören wir, was in dieser Unbestimmtheit die Physiologie zu rathen wusste Hr. du Bois-Reymond schrieb mir unter dem 24. und 27. Februar, sowie unter dem 22. März d. J. Folgendes: „Die Frage, die Sie an mich richten, ob glaublich sei, dass Menschen und Arbeitsthiere auch noch bei einer um 10° höheren Temperatur würden arbeiten können, als die, bei der Sie gegenwärtig im Gotthardtunnel es aushalten (30°) ist nicht glattweg zu beantworten, sondern die Antwort hängt von Neben- i umständen ab. Die Erfahrung hat schon sehr früh (vor hundert Jahren in England) gelehrt, dass Menschen ungeheuer hohe Temperaturen, ja die des sieden- den Wassers vertragen, wenn die Luft trocken ist. Das Gesicht röthet sich, perlender Schweiss bricht aus, und bei seinem Verdampfen wird soviel Wärme gebunden, dass die Temperatur des Körpers sich nur ° wenig über die Norm erhöht. Freilich muss gesagt werden, dass ın solchen Versuchen die Personen sich nur kurze Zeit den hohen Tempe- raturen aussetzten und sich ruhig verhielten. Versuche der Art sind seitdem vielfach an Thieren mit gleichem Erfolg wiederholt worden. Dabei ist von Rosenthal! z.B. festgestellt worden, dass die Temperatur von Kaninchen in Luft von 36°C, die sie nur durch ihre eigene Ausdünstung feucht machten, bis zu 42° stieg, ohne dass das Leben der Thiere auch bei längerer Fortsetzung des Ver- suches gefährdet war. Bei Temperaturen bis zu 40° stieg die Temperatur des Thieres schnell bis zu 45°, die Thiere lagen in äusserster Erschlaffung da und suchten instinetmässig eine Lage, bei der sie am meisten Wärme abgeben konnten; unter diesen Umständen trat äusserst leicht der Tod ein. Bemerkenswerth ist, dass ein so behandeltes und mit dem Leben davon gekommenes Thier mehrere Tage hinterher stets eine niedrigere Temperatur als die Norm zeigt. Die Physiologen erklären dies dadurch, dass die Musculatur der Hautgefässe dauernd gelähmt wird, so dass durch die erweiterten Gefässe mehr Blut in der Zeiteinheit strömt und dies Blut in grösserer Oberfläche mit der Aussenwelt in Berührung kommt. Sie sehen, dass sich aus diesen Versuchen für Sie zunächst der Fingerzeig ergeben würde, sich nicht mit Temperaturmessungen von Gestein und Luft zu begnügen, sondern auch Temperaturmessungen an! den Mannschaften anzustellen. So lange deren Temperatur nicht über 40° steigt (was schon einer tüchtigen Typhusfieberhitze entspricht) könnte ı man die Sache mit ansehen. Wenn sie sich schnell über 40° erhöbe, möchte | 1 Zur Kenntniss der Wärmeregulirung bei den warmblütigen Tieren. Er- : langen 1872. nn Gene mn 1 anemme _m um —mm > m EInFrtuss DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 83 ich ferneres Verharren nicht verantworten. Sehr interessant wäre es, zu erfahren, ob die Individuen nachher niedriger temperirt gefunden werden. In möglichst ausgetrockneter Luft ist es also wohl denkbar, dass Menschen bei 50° aushalten, und ich sollte meinen, dass Hochofenarbeiter und andere Feuerarbeiter es schon bei höherer Temperatur aushielten; ja sogar in tropischen und subtropischen Gegenden sind Lufttempera- turen von 40° nichts Seltenes, und werden von Eingeborenen und accli- matisirten Europäern gut ertragen. Ganz anders gestalten sich die Dinge, wenn, wie Sie angeben, die Luft mit Feuchtigkeit gesättigt ist. Dann sowohl, wie auch beim Eintauchen des Körpers in heisse Bäder, wird ungleich schneller und schon bei niederen, d.h. die Blutwärme nicht übersteigenden, Temperaturen die Grenze der Gefahr erreicht, und wenn die Luft nahe gesättigt ist, halte ich es a priori nicht für möglich, dass Leute in 50° warmer Luft ‘es aushalten; in mit Wasser gesättigter Luft ist es fast gewiss, dass eine Temperatur von 40° lebensgefährlich werden würde. Luft, welche nur !/, des zu ihrer Sättigung nöthigen Wassers enthält, erscheint uns sehr trocken. Da die Luft unter den gewöhnlichen Umständen die Sättigung selten erreicht, und uns doch schon sehr schwül erscheint, spielt sicher- lich die Feuchtigkeit die grösste Rolle bei unserem Behagen schon unter gewöhnlichen Umständen, und eine geringe Verminderung des Wasser- gehaltes der Luft kann von grosser Wichtigkeit sein. Der Sauerstofi- gehalt spielt innerhalb ziemlich weiter Grenzen keine grosse Rolle, aber schädliche Gase, namentlich Kohlenoxydgas in kleinster Menge, sind natürlich sehr bedenklich. Dass die Pferde und Maulthiere die hohe Temperatur in halb- feuchter Luft schlechter aushalten als die Menschen!, lässt sich so ver- stehen, dass sie als grössere Thiere im Vergleich zu ihrer Körpermasse eine geringere Oberfläche haben, und also weniger verdampfen. Das Hauptmittel, um die hohen Temperaturen erträglich zu machen, würde dem Gesagten zufolge darin bestehen, die Luft auszutrocknen. Ob dies praktisch ausführbar wäre, bin ich nicht in der Lage zu beurtheilen. Ich glaube aber sicher, dass eine Lowry ungelöschten Kalkes, obschon sie sich beim Löschen erhitzen würde, den Leuten mehr wirkliche Küh- lung brächte, als eine Lowry Eis, welche die Luft noch feuchter machte. 1 Anm. bei der Correctur. Von 42 im Tunnel zu Airolo beschäftigten Pferden starben im November und den ersten Wochen December d. J. 12, ausser- dem liegen heute (19. XII) 8 krank im Stall. Zu Göschenen starben im November und den ersten Tagen December 15 Tunnelpferde. Es sollen besonders Lungen, Leber und Herz der gefallenen Thiere krankhaft gewesen sein. Dr. Fodere in Göschenen hält Anämie für die wesentlichste Krankheit der Tunnelpferde. 84 F. M. STAPRFF: Am zweckmässigsten dürfte aber die Combination beider sein, nament- lich, wenn man die Eislowry mit Viehsalz überschüttete, was den Vor- theil höte, dass wegen der höheren Dampfspannung der Salzlösung das Eis dann nieht dazu beitrüge, die Luft noch feuchter zu machen. Ich sollte meinen, dass wenn nun gleichzeitig von der Mündung her frische Luft eingehlasen würde, auch bei einer Gesteinstemperatur von 50° noch würde gearbeitet werden können. Es müssten kurze Schichten gemacht und die Temperatur der Arbeiter kunstgerecht mit physiologischen Ther- mometern geprüft werden. Das Thermometer im Mund oder in der Achselhöhle wird die Grenze der Gefahr anzeigen, welche ich, um sicher zu gehen, bei 40° Wärme der gedachten Punkte normiren würde. Ich würde es nicht für unverständig halten, den Leuten Eispillen mit etwas Branntwein (um der verderblichen Wirkung des destillirten Wassers auf die Magen- und Darmschleimhäute vorzubeugen) alle zehn Minuten’ schlucken zu lassen.“ Soweit Hr. du Bois-Reymond. « Durch Vorstehendes sind wir zunächst zu dem gewichtigen Resultat gelangt, dass aus physiologischen und empirischen Gründen die Tunnel- arbeit überhängend gefährlich wird, sobald durch die Verhältnisse, unter denen sie stattfindet, die Körperwärme der Arbeiter auf 40° ge- steigert wird; und dass a priori als höchste statthafte äussere Temperatur angenommen werden darf: 40° wenn die eingeathmete Luft feucht; 50°, wenn sie ganz trocken ist. Hrn. du Bois-Reymond’s Rath folgend habe ich zunächst an Tunnelarbeitern, dann aber an mir selbst eine Reihe von Beobachtungen angestellt, deren nächstes Ziel war, festzustellen, in welcher Abhängig- keit unter gegebenen atmosphärischen Verhältnissen die Körperwärme steht zur Temperatur der umgebenden Luft und zur Anstrengung, womit man in derselben arbeitet. Die Luftbeschaffenheit im Gontendmmel lässt sich nach folgenden Momenten beurtheilen. 1 Eine sehr witzige Art die Temperatur des Körpers zu bestimmen, erzählte neulich Hr. Helmholtz in der physiologischen Gesellschaft. Sie besteht darin, die Temperatur des frischgelassenen Harnes zu messen. Der Harn wird mit der Tempe- ratur des kleinen Beckens, 383—39, gelassen. Es gelang Helmholtz, als er noch in Heidelberg war, die Teinperaturerhöhung seines Körpers durch die Muskel- anstrengung bei möglichst schnellem Besteigen des etwa 200m hohen Gaisberges von seinem Haus aus dadurch nachzuweisen, dass er vor und nachher die Temperatur des Harnes maass: oben fand er sie um etwa 10 höher. (Aus Hrn. d. B.-R.’s Brief.) EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 85 A. Göschener Seite. Im Februar 1879 betrug der Tunnelhohlraum 231280 ®=, wovon 124750 m -fertiger Tunnel. Da in der fertigen Strecke keine Arbeit von Belang; verrichtet, die Ventilation derselben auch durch den natürlichen Luftzug wesentlich mit bewirkt wird, so müssen wir hier von selbiger ganz absehen und in unseren Rechnungen den 106530 m betragenden Hohlraum der eigentlichen Arbeitsstellen einführen. In den Tunnel wurden täglich im Mittel 92490 ®m Luft atmosphä- rischer Spannung gepresst.” Nehmen wir an, dass dieselbe mit 0° an- gesaugt wurde, so nimmt sie bei 25° (mittlerer Tunneltemperatur) ein Volumen von 100893 m ein. Es wurden im Mittel täglich 296.4 *=" Dy- namit verwendet, welches 148.2°m Sprenggase von 0°, oder rund 161.5 em von 25° liefert, ? Im Tunnel gleichzeitig beschäftigt waren im Mittel 423 Mann mit 361 Lampen und 10 Zusthiere. Rechnet man, wie üblich, den Luft- 1 Die veröffentlichten Berichte geben 110987 ebm an, unter der Voraussetzung eines Nutzeffectes der Compressoren von 0:6. Nach Hrn. Stockalper’s direeten Versuchen beträgt letzterer aber nur circa 0-5. Desshalb habe ich hier auch nur 5), der Ziffernangabe der Berichte einführen können. 2 Nach einer 1866 in Stockholm herausgegebenen Brochure der Nitroglycerin- Actiengesellschaft: „Om Nitroglycerin, Nobel’s Patentspränyolja“, giebt 1 Liter = 1-6 Kilosr. Nitroglycerin 1142 Liter Sprenggase (bei 0%). Da 1 Kilogr. Dynamit rund 0.7 Kilogr. Nitroglycerin enthält, so resultiren bei der Explosion desselben 500 Liter Gas, bez. etwa 545 Liter von 250%. Die Zusammensetzung der Nitroglycerin-Spreng- gase bei 00 wird angegeben zu: Wassergas . . . 34-8 Volumprocente = Kohlensäure. . . 411 & Sauerstoff 304 % NStiekstom 2 2087 = 100.0, doch sründet sich diese Angabe auf stöchiometrische Berechnung, nicht auf Er- fahrung. Letztere deutet auf eine grosse Ungleichheit in der Zusammensetzung der Sprenggase, je nach den Verhältnissen, unter denen sie sich entwickeln. Bei der Detonation in nassen Sprenglöchern bildet sich unter Anderem mehr oder weniger salpetrige Säure, so dass der Rauch die Augenlider brennt, zu Krampfhusten | reizt und asthmatische Beschwerden verursacht. Die Verbrennung von Dynamit (ohne momentane Explosion) giebt einen unausstehlichen, selbst gefährlichen Rauch, welcher (nach seinen Wirkungen zu schliessen). Kohlenoxydgas enthalten dürfte; ebenso verderblichen Rauch entwickeln dynamitartige Sprengstoffe, bei denen ge- kohlte organische Substanzen als Absorptionsmittel des Nitroglycerins dienen. Ein paarmal habe ich’ (ohne die Ursache ermitteln zu können) deutlichen Blausäure- geruch des Dynamitrauches wahrgenommen. Endlich glaube ich, dass hauptsäch- lich verstäubtes, im Rauch suspendirtes, Nitroglycerin jene Anfälle von Augen- reiz, Kopfschmerzen, Schwindel, Magenbeschwerden verursacht, über welche Leute fast stets klagen, welche sich noch nicht an den Dynamitrauch „gewöhnt“ haben. 86 | F. M. STAPFE: verbrauch einer Lampe gleich dem eines Mannes, jenen eines Pferdes (oder Maulthieres) gleich dem von 5 Mann, so gelangen wir zu einer ideellen (luftverzehrenden und luftverderbenden) Leutezahl von 834. Hiernach entfällt auf 1 (ideellen) Mann: 127:7 Kubikmeter Arbeitsraum 121-1 3 frische Luft von 25°, pro 24 Stunden 0-2 r Sprenggase „ 25%, „ ei und auf 1 Kubikmeter Arbeitsraum: 0.0078 ideelle Menschen 0.9479 m frische Luft von 25° pro 24 Stunden 0.0015 „ Sprenggase von 25° „ 24 „ In Luftproben, welche ich auf Hrn. Oberingenieur Hellwag’s An- ordnung am 13. April 1876 bei 1940—50” vom Nordportal sammelte und an Ort und Stelle einschmolz, fand Hr. Prof. Bunsen in Heidelberg: Kohlensäure . . . 0-96 Sauerstoli 2 22.727220%05 StickstoHe 1899 100.00 Obwohl damals die Luftcompressionsanlagen noch nicht erweitert waren, glaube ich doch, dass diese Analyse auch jetzt noch die allge- meine Zusammensetzung der Tunnelluft, wie sie von den Arbeitern meist geathmet wird, recht gut ausdrückt; denn gleichzeitig mit vermehrtem Luftdebit haben auch die Arbeiten an Ausdehnung zugenommen. An demselben Tage fand ich in 1 m Tunnelluft: Staub Ort. hischen ee Summa. (Russ). gsrm srm gım 58, vom Portal, unter Gewölbe ab- ztehend .. 0:075 ı 0.100 | 0.175 1940—50” v. P., nach Weelhun il Schtisse | in Hiweiterung RER 0.200 | 0.175 | 0.378 2974” v. P.,hinter Bohrgestell im ‚FE oh Stollen, nach beendetem Schut- tern Les. re 10200802150, EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 87 Der Feuchtigkeitszustand der Tunnelluft hängt nicht nur von den Respirations-, Verbrennungs- und Explosionsproducten und dem mit der eingepressten Luft direet zugeführten Wasserdampf ab, sondern be- sonders auch von den Wasserzuflüssen im Inneren des Tunnels. Aus dem Göschener Tunnelportal fliessen 40—50 Liter Wasser in der Secunde, welche besonders bei 2610—2740 und 5000-6000 zusitzen; doch ist anzumerken, dass der fast nirgends ganz fehlende Bergschweiss und schwache Tropf mehr dazu beitragen, die Luft feucht zu machen, als ge- schlossen hervortretende Wasserstrahlen. Von grossem Einfluss auf die Verdunstung ist die Temperatur der zusitzenden Wässer; in der Regel war selbige niedriger als die des umgebenden Gesteines, so lange die Tem- peratur des letzteren 25° nicht überstieg; höher im entgegengesetzten Fall. Zwischen 5000 und 6000” treten überdies Thermalquellen hervor, welche um 4° wärmer sind als nach der Höhe des überliegenden Ge- birges u. s. w. geschlossen werden durfte. Sehr nachtheilig für den Trockenheitszustand der Luft sind stagnirende Wasserpfützen mit grosser Oberfläche und der aufgehäufte nasse Schmutz. Am 14. März d.J. war der Feuchtigkeitszustand in Göschener Tunnel- seite folgender: absolut. relativ. 2500” v.P. bei 666. 1" auf O°red.: Barom. u. Temp.: 21.7°: 18.8” 97.69), 30) 761572: 1:3 GE „22.80, 20.4mm 98-60), a „27.30. 26.gmm 99.50/, En „28.50: 28.1em 97.00), Eine „Vor Ort“! begonnene Beobachtung musste wegen Wegthuns der Schüsse abgebrochen werden, doch deutet dieselbe auf einen geringeren Feuchtiskeitsgrad daselbst. An gleichem Tage war beim Sectionsbureau der Dunstdruck 3- die relative Feuchtigkeit 100°/,; bei 655.3” Barometerstand und —4.2° Lufttemperatur. Sunı= B. Airolo-Seite. Im Februar d. J. enthielt der Tunnelraum 206773cm, wovon 148428100°/, 37000 „ „ „ 555. 5mm 3 27.9, 28.Gmm > 1000), 4600% „ „, „ 655. 4mm g 30-69, 82-6mm > 1000), 59000 „ „ „ 655. 3mm A 30-29, 32.0mm > 100%), 6031 , , „ 655.2mm e 28-690, 97-jmm 93.90) An letzterem Punkt, circa 22” hinter dem Bohrgestell v. O., variirte während des Maschinenbohrens der Dunstdruck zwischen 25: 7—28- 2m, die relative Feuchtigkeit zwischen 86-8 und 98-0° bei 27.1—28-1° Luftwärme. Während dieser Versuche war der Feuchtigkeitszustand der äusseren Luft (beim Sectionsbureau): absolut 5-1”, relativ 100°/,, bei 655.8 "m Barometerstand; 1°7° Lufttemperatur. Während Arbeitsraum, Quantum der eingepressten Luft und der ent- wickelten Sprenggase (alles pro 1 Mann, bez. lem gerechnet), in beiden Tunnelseiten sich so verhalten, dass die summarische Bonitätsproportion _ der Tunnelluft zu Göschenen und zu Airolo annähernd 127-7 x (0-9479—0- 0015): 74.8 x (1-4089—0-0014) = 1.1416: 1 gesetzt werden kann, ist das umgekehrte Verhältniss der mittleren Dunst- drücke an beiden Orten (die Beobachtungen zu Airolo hinter dem Bohr- gestelle sind zur Erzielung von Gleichförmigkeit hier ausgeschlossen) 212219723259, — hel7ssa le Und räumen wir der Lufttrockenheit denselben Einfluss auf das allge- meine Wohlbefinden der Arbeiter ein wie frischer Respirationsluft, so erhalten wir als schliessliches Verhältniss der Luftgüte in beiden Tunnel- seiten Eorchenen :Airolo wie 121416 X 1-1783:.1x1 = 1-345:1 90 F. M. STAPFE: Die meisten Gotthardtunnelarbeiter sind Piemontesen und an- dere Italiener, von denen jedoch nur die professionellen Bohrmaschinen- arbeiter, Mineure, Maurer u. s. w. ständig bleiben, während die un- gleich grössere Zahl der „Manoeuvres‘“ kommen und gehen; namentlich den Winter bringen sie gerne in ihrer Heimath zu. Die normale Arbeitszeit von 8 Stunden ist zumal bei den in Prämienaccorden arbeitenden Bohrmaschinen- und Schutterposten weiten Schwankungen unterworfen. Da bei regelmässigem Arbeitsgang sowohl das maschinelle Abbohren der Löcher als das Abschiessen und Beräumen gegenwärtig je nur 2—4 Stunden beansprucht, so verrichtet in der Regel jeder Maschinen- und Schutterposten, ohne auszufahren, je 2 Schichten nacheinander, sei es an 2 verschiedenen Arbeitspunkten des Tunnels, sei es an demselben. In letzterem Falle, welcher gegen- wärtig Regel ist, ruhen die Maschinenarbeiter während der Schutte- rung und nehmen sodann ihre Arbeit wieder auf; und umgekehrt die Schutterer. Die Dauer des Aufenthaltes beträgt daher 12—14 Stunden. Wenn immer möglich suchen die Leute mit den Zügen ein- und auszufahren: auf der Göschener Seite gegenwärtig (März) bis circa 3600” (bez. 2600”); auf der Airoleser bis 4100” vom Portal. An diesen Punkten lassen die Angestellten meist ihre wärmeren Kleidungsstücke zurück; die Arbeiter aber entkleiden sich gewöhnlich erst nahe den Arbeitsstellen, viele bis auf die Stiefeln. Bei der Rückkehr ist an den erwähnten Haltestellen der Locomotiven meist Zeit genug zum Ausschnaufen, all- mählichen Abkühlen, mehr oder weniger gründlichen Umkleiden. Wäh- rend der Ausfahrt wird aber der rasche Temperaturwechsel (besonders im Winter) doch sehr fühlbar, und ich glaube, dass es der Gesundheit zuträglicher ist die 8—4*m hinauswärts gemächlich zu Fuss zurückzu- legen als in !/,—"/, Stunde mit der Locomotive fahrend. Ueber den Einfluss der Tunnelarbeit auf das allgemeine Befinden habe ich an mir selbst, an Angestellten und an Arbeitern folgende Wahr- nehmungen gemacht. Leute, welche seit Beginn des Baues täglich (mit unwesentlichen Unterbrechungen) ihre Tunnelarbeit verrichtet, und sich allmählich an die steigende Temperatur gewöhnt haben, hört man über letztere nur unterhaltungsweise klagen, ungefähr wie Bauern über starke Sommerhitze. Die meisten aber haben ein schwindsüchtiges Aussehen (besonders die Feuerwerker, Schutterer und Maurer) und ihre Lebens- dauer dürfte verhältnissmässig kurz sein. Dies gilt jedoch von allen Bergleuten und ist wohl weniger auf Rechnung der hohen Temperatur als auf die der matten Luft, der Sprensgase und des Gesteinstaubes zu setzen. Welche verderbliche Wirkung letzterer auch auf die Bohrmaschinen- arbeiter ausübt, die doch in verhältnissmässiger Kühle frische Luft athmen, EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 9 geht beispielsweise daraus hervor, dass wohl alle Modaneser Bohrmaschi- ‚nenarbeiter Lungenleiden erlegen sind, während noch ziemlich viele Bar- - donnöcher im Gotthardtunnel arbeiten. In der Bardonnöcheseite des Mont- Cenis-Tunnels stand feuchter Kalkstein an, in der Modaneseite dagegen trockener Sandstein, Quarzit u. d. m., deren reichlicher Staub den Lungen verderblich wurde. Eine ähnliche Beziehung könnte man vielleicht zwi- schen dem Einfluss der Bohrmaschinenarbeit im trockenen Gneissgranit der Nordseite des Gotthardtunnels ausfindig machen und der gleichzei- tigen im nassen Glimmerschiefer der Südseite. Ich habe öfters bemerkt, dass Tunnelarbeiter, welche im Herbst gelb und mager in ihre Heimath zogen, im Frühling frischer und kräftiger als je zum Gotthard zurückkehrten. Von den Tunnelärzten ist mir gesagt worden, dass (von körper- lichen Verletzungen und einzelnen acuten Krankheitsfällen ganz abge- sehen) die Krankheiten der Jahreszeit (Katarrhe, Lungenentzündungen, Diarrhöen, „Fieber“ und dergleichen) die Tunnelarbeiter in viel grösserer Proportion träfen als die Landbevölkerung. Leute, welche für die gegenwärtige Tunnelarbeit neu engagirt werden, fühlen sich die ersten Tage sehr unwohl, sitzen oder liegen lange schlaff und matt an den Arbeitsstellen, verrichten wenig; — gewöhnen sich aber rascher an die Tunnelarbeit als man meinen sollte, falls sie selbige nicht wieder in den ersten Tagen aufgeben. Ganz ähnlich verhält es sich, wenn man nach wochenlangen Zwischenpausen Tunnelarbeiten wieder aufnimmt; und noch erschöpfender wirken einfache Tunnelbesuche auf Fremde. Ebenso wie man durch Gewöhnung die unbehagliche Tunnelatmo- sphäre ertragen lernt, accommodirt man sich auch bei jedem neuen Tunnelbesuch bald wieder der drückenden Schwüle, und zwar um so eher, je häufiger und ununterbrochener man die Besuche wiederholt. Die Erscheinungen, welche der Aufenthalt in der matten, rauchigen, feuchten, warmen Tunnelatmosphäre hervorbringt, sind zwar bei allen Individuen dieselben, aber von verschiedener Intensität; Gewöhnung und ungleiche Empfindlichkeit für äussere Eindrücke lässt auch dem Einen oft kaum auffällig erscheinen, was dem Anderen schon unerträglich vor- kommt. Beengung, Beklommenheit, kurzes rasches Athmen (Schnaufen der Zugthiere), Transpiration des ganzen Körpers, welche alle Kleider brüh- warm durchnässt, und weder durch Verdunstung noch Abtrocknen er- träglicher wird (die ganz nackt arbeitenden Leute befinden sich am wohlsten); grosses Unbehagen; Mattigkeit; Müdigkeit; Erschlaffung; Be- nommenheit; gelinde Ohnmachten; Gleichgültigkeit; schwere unelastische 92 F. M. STAPFE: Bewegungen; — sind solche Erscheinungen, welche durch mehrstündigen Aufenthalt in derselben Tunnelatmosphäre eher abnehmen als zunehmen, zum Theil sogar wieder verschwinden. Das aufgedunsene Gesicht röthet sich; man wird zwar nur wenig von Durst geplagt; fühlt sich aber durch einen kühlen Trunk doch erfrischt, und mehr noch durch Waschen der Handgelenke und Schläfen mit kaltem Wasser. In den Ruhepausen strecken sich die Arbeiter auf Planken in Attituden, welche lebhaft an jene der Kaninchen in Rosenthal’s Versuchen erinnern. Die Urinabsonderung vermindert sich auffällig; der Urin ist sehr dunkel gefärbt und trübt sich nach einiger Zeit. Es tritt Verstopfung ein; der Appetit nimmt ab. Eine sonderbare Erscheinung sind noch Hautentzündungen, welche man anfangs den warmen hepatischen Wässern der Südseite zuschrieb, welche aber nur Folge der feuchtwärmen Luft sein können, da sie auch Personen belästigen, welche mit jenen Wässern nicht in Berührung kamen. Prof. du Bois-Reymond sagt: „die Haut- entzündungen haben wohl Aehnlichkeit mit den Afiectionen beim Gebrauch des Leuker Bades, wo die Leute den ganzen Tag in lauwarmem Wasser zubringen, oder mit denen, welche die Reisenden auf dem Rothen Meere befallen“. Diese Entzündungen bestehen darin, dass sich unter der Haut flache, harte, erbsen- bis nussgrosse, juckende Erhöhungen bilden, welche anfangs weiss sind, durch Kratzen aber geröthet, stellenweise wohl auch von der Haut entblösst werden. Sie gleichen Inseetenstichen, — ver- schwinden nach einigen Tagen wieder spurlos, wenn man sie nicht kratzt, sie mit kaltem Wasser wäscht und mit Glycerin bestreicht. Entgegen- gesetzten Falles, und namentlich wenn die wunden Stellen ständig wieder von den nasswarmen Tunnelkleidern gerieben werden, können sich aus denselben Abscesse, Schorfe u. dergl. entwickeln. An Leuten, welche ihre Arbeit ganz nackt verrichten, sieht man fast nie dergleichen; über- haupt aber nehmen die Hautaffeetionen um so mehr ab, je öfter und regelmässiger man den Tunnel besucht.! Als spätere Folgen der Tunnelarbeit zeigen sich Abmagerung, fahle Gesichtsfarbe und, besonders zur Winterzeit, Rheumatismus, hartnäckige Katarrhe, Diarrhöen u. s. £. ! (Nachträgliche Bemerkung.) Aus späteren Beobachtungen scheint her- vorzugehen, dass die Hautentzündungen doch hauptsächlich Folge der warmen hepatischen Wässer, und weniger der feuchtwarmen Tunnelluft sind. Sie stellten sich sofort ein, und zwar auf beiden Tunnelseiten, als zu Airolo zwischen 6393—6414, zu Göschenen zwischen 7146—59, 300 warme Wässer erschrotet wurden, welche so reich an alkalischen Sulfiden waren, dass deren auf Steinen und Röhren sich zer- schlagende Tropfen dünne Krusten von Schwefel absetzen. Diese Wässer reagiren alkalisch und machen die Finger schlüpfrig wie dünne Lauge. EInFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 95 Die durch den Tunnelaufenthalt hervorgebrachten Aenderungen der -Körperwärme nehmen folgenden allgemeinen Verlauf: Beim Einfahren mit der Locomotive steigt die Bigenwärme rasch soweit, als dem Temperaturgrad der unterwegs eingeathmeten Luft zu- kommt, selbst wenn sie vorher unter der normalen war. Beispiele: Nach einem Aufenthalt von 50 Minuten vor dem Tunnelportal zu Airolo bei der Lufttemperatur (7) = 3-6° war am 8. III. 10" 10% Vormitt. meine Eigenwärme (£) 35-05° oder 1.39% (D) unter der, gleicher Tageszeit ent- sprechenden, normalen (bei Z’= 13-42%). Nach der Fahrt bis eirca 3800”, welche bei einer Lufttemperatur von 3-6— 27.4 (Mittel 174°) inel. Aufenthälten 50 Min. erforderte, war 11h 10% ; z=37.71°;, D = 0.97° über der normalen. Am 12. III. besass ich nach 25 Min. Aufenthalt auf dem Tunnelbauplatz zu Göschenen bei 7’=4-33° die Eigenwärme t= 36.12, d.h. D = 0.66 unter der normalen. Die Fahrt bis 2200” bei T= 4.33 419.44 (Mittel 14-64°) erforderte 10Min.; nach derselben war 12h 12:7 2 37-5% DO = + 0.45°. Am 14. Ill. fuhr ich 9 5” Vormitt. ein. Vor dem Portal war 7 = — 1:2°; t = 36-11°; D = — 0:%6°%. Bi T= — 1.17 42.67 (Mittel 13-770) wurde in 17 Min. der Weg bis 2490" zurück- elest, wo 330m: 7 — 36.255; D = — 0.13%. Aus diesen Beispielen folgt, dass im Mittel per Minute eine Er- - höhung der Eigenwärme von 0.047° eintritt, wenn die Temperatur der umgebenden Luft gleichzeitig um 0.79% steigt. Bei den weiter unten in Rechnung gezogenen Beobachtungen ist. aber D höchstens = 2-08", die Erhöhung (A) der Lufttemperatur wenigstens = 5-27°. Wir dürfen 2.03 x 0.79 £ 0.047 x 597 6—7 Minuten ausreicht, um für die nachfolgenden Berechnungen brauchbare Daten zu ergeben. - Beim ruhigen Verweilen in warmer Tunnelluft erhält sich in der ersten Hälfte der Sstündigen: Arbeitsschicht die dem resp. Temperatur- srad zukommende Körperwärme; später tritt eine Abnahme ein, welche ich jedoch nicht näher untersucht habe, da es mir zunächst nur darauf ankam, die Relation zwischen Temperatur der Umgebung und der ent- sprechenden Maximalkörperwärme festzustellen. Durch Verrichtung me- ehanischer Arbeit in der warmen: Tunnelluft tritt eine fernere, mit der Anstrengung! wachsende Erhöhung der Eigenwärme ein, welcher aber bei eintretender Ruhe sofortige Abkühlung folgt. Letztere vermindert die Körperwärme oft bedeutend unter jenen Grad, welcher dem ruhigen also annehmen, dass eine Exposition von 1 Deber „Anstrengung“, welche im Folgenden immer mit 7 bezeichnet ist, weiter unten. 94 F. M. STAPFE: Aufenthalt in gleichwarmer Tunnelluft zukommt. Folgende Beobacht- ungen haben zu diesen Sätzen geführt: 6. III. Airolo; 1% 7% Nachmitt. nach 5stündigen Aufnahmen im Tunnel; Z = 30.56°; = 38-.11%; D= + 1-05°. Für 7 = 0 sollte aber D = 1-36° sein;! daher relative Abkühlung 1-36—1-.05 = 0.31°. 8. Ill. Airolo; 1Y5=; nach 2!/,stündigem Aufenthalt im Tunnel und Zurücklegen von eirca 2200% mit der Anstrengung 7 =-0-83, vor Ort beim Maschinenbohren 'ausgeruht. 7’ = 27.5°; 1 = 37.67; D = + 0.820; sollte sein 1.09%. Relative Abkühlung 1.09—0.82 = 0.27°, 13. III. Göschenen; 12" 0%; nach 3stündiger Arbeit im Tunnel Schutterarbeit vor Ort beobachtet. 7 = 28.45°; t=317.11°; D = 0.029, hätte sein sollen 0.77%. Relative Abkühlung durch die Ruhe 0.77— 0.02=0.75°. Als ich sodann in gleichwarmer Luft 136% gegangen war, hatte sich die Eigenwärme wiederum 0-39° erhöht. — Nach Verrichtung meiner Arbeit 3? 28” v.O. beim Maschinenbohren geruht: 7 = 26.11°; t = 31:16°%; D = + 0.72, hätte 0-81 sein sollen; daher relative Ab- "kühlung 0-.81—0.72 = 0.09°. 14. III. Göschenen; 12" 15%; nach 3stündigem Aufenthalt im Tunnel beim Maschinenbohren v. O. geruht. 7'= 24.39°; it = 37.40°; D = + 0.36, hätte 0.53% betragen sollen. Relative Abkühlung durch Ruhe 0.53—0:36 = 0-17. 4" 34m; nach 7!/,stündigem Aufenthalt im Tunnel; 7 = 0-92; T = 28.0°%; t = 37.22°;, D = + 0.54, hätte sein sollen 0-80°. Relative Abkühlung 0-80—0.54 = 26°. 5 8m; nach fast Sstündigem Tunnelaufenthalt circa 1300” mit An- strengung 7 = 0-95 zurückgelegt; 7= 25-.10°%; = 37.66°; D = 0.68), sollte sein 1.10%. Relative Abkühlung: 1.10—0.63 = 0-47°. 526m; nach 8?/,stündigem Tunnelaufenthalt eirea 1950” mit 7 = 0.87 gegangen; 7'= 25.10°%; = 37.500; D = + 0-41’, hätte 0.84 sein sollen. Relative Abkühlung 0.84—0.41 = 0.43). 6% 44m; nach 9%/,stündisem Tunnelaufenthalt bei 3520” Locomotive abgewartet; „ = 0; T = 22.78°, t = 36.97; D = + 0-1, hätte 0-36 sein sollen. Relative Abkühlung: 0.36°—0-1 = 0-26°. Schutterer, welche 21. I. nach 7stündigem Aufenthalt im Tunnel zu Göschenen bei 28.4° ruhten, hatten = 37.0°, 37.3°, 37.7°. Ein Mechaniker, welcher 22. II. bei 27.9° ruhte, besass 2 = 36.8°; ebenso- viel ein ruhender Fäustelbohrer bei 7 = 246°, — diese Zahlen deuten gleichfalls auf Abkühlung nach angestrengter Arbeit, deren Grösse aber nicht in Ziffern ausgedrückt werden kann. 1 Die Formeln siehe weiter unten. EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 95 Nach den vorgehenden Sätzen sind für unsere Berechnungen nur Beobachtungen aus den ersten 3—4 Stunden des Tunnelaufenthaltes verwendbar. Diese Beobachtungen müssen womöglich während der Ver- richtung der mechanischen Arbeit, oder doch unmittelbar nach derselben angestellt werden. Es scheint dagegen unnöthig, die Zeitdauer des Aufenthaltes oder der Anstrengung in der erhöhten Temperatur als Va- riable mit in Rechnung zu führen, sofern man nur 10—15 Minuten (anstatt der oben berechneten 6—7) vor dem Beginn einer neuen Be- obachtungsreihe unter neuen Verhältnissen hat verstreichen lassen. Von überwiegend physiologischem Interesse ist das von Hrn. du Bois-Reymond erwartete Sinken der Eigenwärme unter die normale nach dem Verlassen des Tunnels. Hierfür folgende Belege: 6. III. Airolo; 3% 13% nach 7stündigem Aufenthalt im Tunnel, während welchen meine Körperwärme auf 1-91° über die normale ge- stiegen war, am Portal angelangt; mit # = 36.67°%; D= + 0.27". Während der Ausfahrt war in 51 Min. 7’ von 30.4 auf 7.8° gefallen (Mittelwerth 19.6°%). Nach dem Zurücklegen von circa 600” zu meiner Wohnung, bei 7’=1.8°, war 330% :7 = 33.33%; D= —3.11°. Nach Waschen, Umkleiden etc. bei 18-44°; Ah 56%: = 384.33°; D = — 2.48", Nach Mittagessen u.s. w. bei 17.83°; 5b 40% : = 36-94; D = —.0.06°. 8. III. Airolo; 5% 53” Tunnel verlassen nach 7!/,stündigem Aufent- halt, während welchen D auf 2-03° gestiegen war. In 53 Min. ausgefahren, bei 7’= 28.9&0.0° (Mittelwerth 17.78°%); vor Portal = 34.72°%, D = — 2.28%. Bei 0.0° nach Hause gegangen, wo 6R 12": = 34-.44°; -D = — 2.60% Nach dem Waschen, Kleiden u. s. w. bei 17.73°; 6753”: t= 35:28°; D = — 1-80°. Nach dem Essen u.s w. bei 19.39°; 7h 40” : 56.3978 =, 0.33% Nach Lecture bis 9% 25” bei 7’= 18-67 t= 36-.61°%;, D = — 0.01". 12. III. Göschenen; 715” Tunnel nach Sstündigem Aufenthalt verlassen, während welchem D 1-36° erreicht hatte. In 48 Minuten bei 23-.79&14.44° (Mittel 18-58°) ausgefahren; vor Portal 2 = 36-61°; D = — 0.15%. Nach Waschen, Abendessen, Schreiben bei 17.05°; 10% 10%; = 36-.67°; D— + 0.09. 13. III. Göschenen; 536” aus Tunnel nach 8 stündigem Aufent- halt. Ueberhitzung 1-24°. Ausfahrt in 43 Min. bei 24-11& —0-83° (Mittel 15.26°%. Vor Portal t = 36-.39%; ® = — 0-57°. Bei 11.390 gewaschen, angekleidet u.s. w.; 6% 30% : 286-11%; D = — 0.84%. Nach Essen u. s. w. Jess; hei 15-17; = 36-729, D —= + 0.12%. 14. III. Göschenen. Nach 9/,stündigem Tunnelaufenthalt bei 3520m Locomotive abgewartet. Die Eigenwärme hatte an diesem Tag um 1.15° meine normale überstiegen. 6%44® bei 17.11°:2 = 36-97; 96 F. M. Starrr: D=-+0.1°. In 37 Min. ausgefahren, bei 22.78& —1.94° (Mittel 15-969). Vor Portal; W45m, z= 55-41; D = — 1.30%. Abends 10%20m hei 15.28°:t = 55:94; D = — 0-69". Diese Beobachtungen scheinen mir darauf hinzuweisen, dass Stärke und Dauer der Abkühlung ebensowohl von der vorhergegangenen An- strengung als von der hohen Temperatur abhängen. Während der Kälteperiode fühlt man sich nicht unwohl, aber müde; verspürt starken Durst, schwachen Appetit; der Puls wird ganz matt, oft kaum fühlbar, während seine Frequenz bald über, bald unter der normalen ist. Um die Beziehungen zwischen Temperatur der umgebenden Luft und der Anstrengung, womit man in derselben arbeitet, einerseits, der gleichzeitigen Erhöhung der Eigenwärme andererseits zu ermitteln, be- gann ich zuerst an Tunnelarbeitern Temperatur-Beobachtungen, welche wohl über Einzelheiten Aufschluss gaben, aber für die Berechnung un- brauchbar waren. Abgesehen von Störungen in der Arbeit und anderen praktischen Schwierigkeiten, gab das Einschieben des Thermometers unter die Zunge der Arbeiter unsichere Resultate, weil die Kugel bald mehr bald weniger bedeckt, der Mund auch nicht immer ganz geschlossen wurde. Ferner stellte sich bald heraus, dass zur richtigen Beurtheilung der Erscheinungen nöthig sei, dasselbe Individuum fast ununterbrochen tagelang zu beobachten, sowohl im Tunnel als aussen. Ich begann deshalb Ende Februar 'Temperaturbeobachtungen an mir selbst, und setzte sie durch den ganzen März fort, sowohl zu Airolo als zu Göschenen. Leider wurde mir das Verfahren von Helmholtz, die innere Wärme durch Temperaturmessungen des Urins zu bestimmen, erst bekannt, als meine meisten Beobachtungen schon gemacht waren. Um die directe Vergleichbarkeit derselben nicht zu erschweren, schien es mir deshalb am räthlichsten, den einmal eingeschlagenen Weg weiter ‚zu verfolgen. Stets wurde die Temperatur unter der Zunge bei ge- schlossenem Mund gemessen. Anfangs diente dazu ein sehr empfind- liches in 1/,° getheiltes physiologisches Thermometer, welches mittels eines kleinen Handspiegels abgelesen wurde, ohne aus dem Mund ge- zogen zu werden. Später benutzte ich genau calibrirte, zu Kew ver- glichene, englische Thermometer (1/,° F.), welehe wegen grosser Gefässe so träge waren, dass man sie anstandlos aus dem Mund nehmen und ablesen konnte. Um die langen Beobachtungszeiten abzukürzen, wurden diese Thermometer vor jedem Versuch ein wenig über den voraussicht- lichen Temperaturgrad erwärmt, dann unter die Zunge gelegt, bis kein | | | | | | | EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBATTEN. 98 Sinken mehr wahrnehmbar war. Darauf wurden sie ein wenig abge- kühlt und wieder unter die Zunge gebracht, bis kein Steigen mehr statt- fand. Die so ermittelten zwei Temperaturzahlen wichen gewöhnlich gar nicht oder nur ganz unbedeutend von einander ab; ihr Mittelwerth kam in Rechnung. Zur Ermittelung der Lufttemperatur dienten gleichfalls genaue eng- lische Thermometer, frei aufgehängt. Damit dieselben möglichst wenig von den ständigen kleinen Temperaturschwankungen afficirt werden, sind sie in dickwandigen Glasröhren eingeschmolzen und ihre Gefässe sind mit etwa !/,°®= dicken Spermacetihüllen umgeben. Die Temperatur- beobachtungen mittels derselben erfordern viel Zeit, geben aber exacte Mittelwerthe. In vielen Fällen war es nöthig, die mittleren Lufttemperaturen in Tunnelstrecken zu ermitteln, welche mit einer gewissen Geschwindigkeit durchfahren oder durchgangen wurden. Ich habe dann immer die Luft- temperatur 7’ und 7” an beiden Endpunkten der Strecke beobachtet, zugleich aber auch die Temperatur 7’, welche ein freigetragenes (sehr träges) Thermometer am Ende des zurückgelesten Weges zeigte, und die # 2 2 72 IR angenommen. Ein etwaiger Fehler dieser Mittelzahl wird dadurch eliminirt, dass man die Beobachtungen auf derselben Strecke in entgegengesetzter Richtung wiederholt. Ganz ähnlich verhält es sich mit den Beobachtungen der Eisenwärme, welche nach Zurücklegen eines gewissen Weges angestellt wurden. Die Körperwärme, mit welcher man anlangt, war (vom Einfluss der Anstrengung abgesehen) offenbar nicht nur von der mittleren Luft- temperatur der durchwanderten Strecke bedingt, sondern wesentlich auch von der Temperatur der zuletzt eingeathmeten Luft. Da sie aber als Function der mittleren Lufttemperatur ausgedrückt werden soll, so muss man denselben Versuch auf derselben Strecke zweimal vornehmen: ein- wärts und auswärts, und beide Resultate in Rechnung führen. Mitteltemperatur der Strecke = Um eine richtige Vergleichsbasis zu erhalten, habe ich wochenlang zu verschiedenen Tageszeiten meine Rigenwärme im Bureau, Wohnzimmer und Schlafzimmer beobachtet und durch Interpolation aus den zuver- lässigsten 44 Beobachtungen folgende Tabelle I über den täglichen Gang ‚ "meiner normalen Eigenwärme im März entworfen. Von den vielen disponiblen Beobachtungen mussten hier alle aus- geschlossen werden, welche in den ersten 3—5 Stunden nach Tunnel- Archiv f.A.u, Ph. 1879. Suppl.-Band z. Physiol. Abthlg. 7 —_ 98 F. M. STAPFE: besuchen angestellt waren. Ferner alle, welche bald nach dem Ein- nehmen heisser Speisen oder Getränke stattfanden; endlich alle während, oder kurz nach, Spaziergängen oder Reisen über den Gotthard in kalter Luft ausgeführten. Ich glaube, dass bei Temperaturmessung des Urins viele Einflüsse, welche die Temperatur im Mund rasch ändern, völlig unbemerkbar ge- blieben wären, Wie rasch übrigens auch unter der Zunge die durch Einathmen kalter Luft u.d.m. gestörte normale Temperatur wieder herge- stellt wird, erhält aus folgenden Beispielen. Am 10. III. 5!/, bis 8?/, früh fuhr ich bei 7’ = — 5° von Airolo nach dem Gotthardhospiz, wo 2 = 34-17%; D = — 2.18%. Nach 10 Mi- nuten Aufenthalt in einem schwach geheizten Zimmer war = 36-22°; D = — 0.14%. Um 10!/,® in Göschenen bei 0° angekommen, fand ich - t= 35.94°%; D = —0.54°; nach dem Essen u.s.w. um 1?/,E bei 7’ = 12.6%. = 37:06°; D = + 0:35%. Am 23. II. besass mein Schreiber auf der Reise über den Gotthard zu Hospenthal bei 7 = — 3.09; t= 37.0°; nach 1!/,stündiger Schlittenfahrt war auf der Gotthardhöhe bei T= — 3.2°; t anfangs = 36-0°; stieg aber, als die Lippen um das Thermometer fest geschlossen wurden, nach wenigen Minuten auf 36.9. Tabelle I. Gang meiner normalen Eigenwärme; März 1879. 2eels £ BE E Tagesstunde. =g: E 8 = Bu Tagesstunde. BE ® ea E =5 z I, Se > ı Sg: |1eF5l ı$5 ae raen Set ee Mitternacht, | Mittags. | 12 15-15 |36-47 | 86 12 ,16-39 |37-09 | 74 1 14:40 36-41 | 80 1 15-28 36-87 | 87 2 13-27 |36-41 | 84 2 14-34 |36-63 | 90 3 13-18 |36-46 | 88 3 1183-41 [36-35 | 86 4 12-98 136-531 | 91 4 ‚13-69 [36-54 | 87 5 12:76 36-42 | 92 5 14-08 |36-78 | 88 Früh. | Nachmittags. 6 12-64 |36-38 | 85 6 15-34 |37-11 | 87 7 12:99 1386-43 82 7 17-77 |36-78 | 91 8 14-35 136-3482 8 17-81 36-69 | 95 9 13-84 [36-37 | 91 9 16-75 |36-75 | 95 10 13-33 36-39 | 100 10 16-49 |36-59 | 97 11 18-88 |36-67 | 86 11 [15-72 \86-54 | 94 Mittelwerth pro 24 Stunden |14-58 |36-58 | 88-2 EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 99 Vorstehende Ziffernreihe für 7° hätte sich leicht durch eine Sinus- - curve ausdrücken lassen; doch habe ich dies vermieden, weil nicht abzu- sehen war, ob die Abweichungen vom regelmässigen Gang der Eigen- wärme während des Tages nur zufällige sind oder periodisch wieder- kehrende. Es treten Minima um 6 Uhr Morgens ein, Maxima um 12 und 6 Uhr Nachmitt.; zwischen letztere beide aber fällt wieder ein Mi- nimum um 3 Uhr Nachmitt., auf welches alle Beobachtungen so regel- mässig hinweisen, dass es nicht zufällig scheint. Das ist um so auf- fallender, als sonst nach eingenommener Mahlzeit von den Physiologen sanz allgemein eine Erhöhung der Eigenwärme constatirt worden ist. Wie dem auch sei, den folgenden Berechnungen habe ich obige Ziffern (bez. die aus denselben durch Interpolation für Zwischenzeiten ermittelten) immer direct ‚zu Grunde gelest. Nimmt man 37.5° als mittlere normale Wärme des ganzen Körpers an, so ist die unter der Zunge gemessene Temperatur 37.5—36.58 = 0.92% niedriger. Wir müssen hier Parallelgang zwischen der inneren Körperwärme und der Mundwärme voraussetzen, obwohl Rosenthal ge- zeigt hat, dass eine solche Voraussetzung nicht in allen Fällen stich- haltig ist. Die Beobachtungen im Tunnel bezweckten auch festzustellen, in welcher Beziehung Zunahme der Eigenwärme und körperliche Anstrengung zu einander stehen. Unter Anstrengung (7) verstehe ich hier die Proportion zwischen gewissen der in einer Zeit geleisteten mechanischen Arbeit zu jenem mittleren, normalen gleichzeitigen Arbeitsquantum, welches der körper- lichen Constitution entspricht. Meinem Gewicht (März 1879; in leichtem Tunnelgewand) von 67 ker entspricht eine normale Arbeitsfähiskeit von 302806*em pr. 8 Stunden oder 630.84F8m pr. Minute. Die verrichtete Arbeit wurde nach der in einer gewissen Zeit gehend zurückgelegten Wegstrecke berechnet. Da meine Beinlänge 1.015", meine mittlere Schrittlänge (im Tunnel) 0.739”, so ist die pr. Schritt : 67 x 0.739? 8x 1-015 fenden Meter Weg verrichtete: 6-1'sm. Beim Gehen auf glattem ebenem verrichtete Arbeit theoretisch: — 4.5lksm!; die pr. lau- 1 (Nachträgliche Bemerkung.) Nennt man / die Bein-, p die Schritt- länge, « den Winkel an der Spitze des durch die Beine und die Schrittlänge ge- FIRE 100 \ F. M. STAPFE: Weg wäre hierzu für Ueberwindung von Reibungen etwa 0.02 x 67 = 1.34%srm pr. Laufmeter zu legen. Im Tunnel sind auf dem kothigen, wasserüberflutheten, holperigen Weg aber so viele kleine Hindernisse zu übersteigen, dass wir anstatt des Widerstands-Coöfficienten 0-02 einen wenigstens 3-8mal grösseren annehmen müssen, da sich beim Transport auf horizontalen Strassen die Widerstände wie 1:3.8 verhalten, je nach- dem die Strassen gut gehalten und glatt, oder zerfahren kothig und holperig sind. Unter dieser Voraussetzung steigt die durch Zurücklegen von 1” (horizontal) im Tunnel verrichtete mittlere mechanische Arbeit auf 6.1 + 5-06 = 11. 16F8m, Beim gleichzeitigen Ueberwinden von Steigungen kommt hierzu 67km für jeden vertical gestiegenen Meter. Beim Herabsteigen von Rampen u. d. m. habe ich dagegen keinen besonderen Arbeitsaufwand (oder Arbeitsgewinn) für die vertical zurückgelesten Wege in Rechnung gebracht. Die Anstrengung 7 ist nun für jeden Fall leicht zu ermitteln. Beim Zurücklegen von 1805” mit einer Steigung von 16”, in 27 Minuten, wird z.B die Abe Oo AN 27 verrichtet; und die Anstrengung, womit man gearbeitet hat ist 185.6 7] Zar == 1.24. Setzen wir voraus, dass die Erhöhung D der Körperwärme über die normale gleichzeitig und in gerader Proportion steigt 1. mit der Diffe- renz A zwischen der jeweiligen Lufttemperatur 7’ und jener Lufttem- peratur 7°, bei welcher die normale Körperwärme ermittelt wurde, 2. mit der Anstrengung 7, so können wir setzen D®=«A+Pn. Der Annahme, dass D in gerader Proportion mit A wachse, stehen bildeten gleichschenkligen Dreiecks, so liegt obiger Formel die Annahme zu Grunde, dass bei jedem Schritt der Körperschwerpunkt um h = sin vers — = 0-067m ge- hoben werde, Prof. Ch. de Cuyper schreibt mir indessen, dass die erfahrungs- mässige Hebung nur 0°02 beträgt. Wollten wir in den folgenden Rechnungen letztere Zahl anstatt der theoretischen (0-067 m) einführen, so würden sich die For- meln auf S. 104 wesentlich ändern, und zwar in dem Sinn, dass die Vermehrung der Körperwärme durch die Anstrengung grösser, die Vermehrung ‘derselben durch äussere Wärme aber kleiner ausfiele, als die Formeln ausdrücken. EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 101 allerdings die Beobachtungen Rosenthal’s! entgegen, nach welchen die Zunahme der Körperwärme von Kaninchen durch eine asymptotische Curve ausdrückbar scheint, deren Abseissen A, Ordinaten D wären, Es ist leicht zu ermessen, von wie grossem praktischem Gewicht es wäre, die Form dieser Curve für Menschen zu kennen; meine unten ver- zeichneten Beobachtungen bewegen sich aber innerhalb zu enger Grenzen, als dass ich wagen möchte, mit Zugrundelegung derselben die Gleichung fraglicher Curve abzuleiten. Deshalb blieb ich bei der Geraden stehen: mache aber ausdrücklich darauf aufmerksam, dass wahrscheinlichst bei noch höheren Lufttemperaturen als den hier in Rechnung gezogenen die Zunahme der Körperwärme viel rapider ist, als die unten ermittelten Relationen ausdrücken. Zu der nachfolgenden Tabelle II ist anzumerken, dass zu Airolo zwar viel mehr Beobachtungen angestellt wurden, als zu Göschenen. Die meisten derselben aber dienten einen Modus operandi ausfindig zu machen, und den in meinem früheren Abschnitt erörterten allgemeinen Verlauf der Erscheinungen festzustellen; deshalb blieben davon nur wenige für Einführung in die Rechnung geeignet, und auch diese we- nigen sind nicht so exact, wie die später angestellten Göschener Beob- achtungen. Die Beobachtungen der Eigenwärme (Spalte 13) erfolgten am Ende der in Spalte 1 verzeichneten Zeiten; die durch Interpolation aus Tab. I ermittelten Werthe der Spalten 2, 3, 4 beziehen sich auf dieselben Zeit- punkte. Die Ziffern der Spalte 17 drücken die Proportion aus zwischen der Anzahl Pulsschläge bei der erhöhten Temperatur (nach Spalte 14) und bei gewöhnlicher (Spalte 4). Da die Anstrengungsquoten (Spalte 11) bei meiner Arbeit (geologische Aufnahmen im Tunnel) nicht direct er- mittelt werden konnten, so habe ich dieselben gleich dem Mittel aller übri- gen bez. Quoten beim Gehen und Ausruhen derselben Spalte angenommen. Aus nachstehenden 16 zusammen gehörigen Beobachtungsdaten von Göschenen für D (Spalte 16), A (Spalte 15), » (Spalte 11) folgt nach der kleinsten Quadratmethode: D = 0.0642 A + 0:2497 1. 1 Nach Rosenthal zeigen nämlich freie Kaninchen bei einer Lufttemperatur von 11—320 keine‘ erhebliche Aenderung ihrer Eigenwärme (geringe vorüber- gehende Aenderungen treten jedoch bei 26 — 32% ein). Bei 32 — 36° steigt die Eigenwärme auf 41-420; dann tritt wieder ein Gleichgewichtszustand ein. Die Thiere können diese Temperatur sehr lange Zeit ertragen, ohne dass ihr Leben ge- fährdet wäre. ‚Bei 36—400 steigt die Temperatur der Thiere äusserst schnell auf 44—450, und bei zu langem Verweilen in diesen hohen Temperaturen tritt äusserst leicht der Tod ein“. Vgl. oben S. 83. 102 F. M. STAPFE: Gotthardtunnel:; Tabelle II. Beobachtungen über die Zunahme der Eigenwärm Der Tageszeit ent- | Gehend zurteR sprechende normale, Aufenthalts- selester Weg. Meter, Tageszeit. u ort. im Tunnel. — 777 ; 28 Keine | = Hg 58 Au Stunden und Minuten. SUSTu Br ie Meter a |$S2183°08 or oo |ı no (e) EHASE= : s32|.0258 |2R% | vom Portal. ‚S = ©0|.© o 58 Sa ler le BE es 53 5 S 2 BSa 1 2 B 2 5 6 7 ! XII. 12h 25m — 12h 37m | 15-77 | 36-95 | 82 2200—3520 0 0 12 3 12438 — 1515 15-02 | 36-81 | 88 3520—5310 |1805* | 16:0 | 27 5 1723 —0 42 14-63 | 36.70 | 89 5310—6500 | 1190 628,519 5. 154 — 3 15 13-45 | 36-40 | 86 6460— 6623 B ? 81 > 3 15 — 4 35 13-92 | 36-68 | 88 6460 —6490 Dar Eh? 80 en 440 —- 5 0 14-08 | 36-73 | 88 -6480—5310 | 1170 0 20 3 Hot 14-94 | 37-01 | 87 5310—3520 | 1810* 0 31 ING SE Br 5 13.38 | 36-41 | 99 2200— 3520 0 0 10 fe] = se 10 19 — 1048 13.79 | 86-63 | 88 3520-5310 |1820* | 16:0 | 29 a er 11 0 — 11 221), | 14-78 | 36-82 | 82 5310-6626 |1356* | 7-6| 22.5 2 55 12 15 — 246! | 13-60 | 36-41 | 87 6490— 6540 ? ? 153-5 (6) | R 3 36 — 3581), | 13-68 | 36-54 | 87 6626—5310 | 1321* 205 3 4 9 — 444 13.97 | 36.72 | 88 5310—3520 | 1800* On, 35 XIV. 9 49 — 10 7, | 13-40 | 36-43 | 98 2490—3520 '1080* | 6-0 18-5 ee | | is 10 19° — 1043 13.72 | 36.59 | 90 3520—5310 | 1810* | 16-0 | 24.C(} sa 1 3%— 11 31 15:14 | 36-88 | 80 5310—6500 |1195* 6-8 | 27:3 NT: mal 12122 14-00 36-53 | 88-5 ı 5929 — 3573 | 2356 0 75 VMIEE32 50 15:97 | 37-02.| 76 3819 —4883 | 1064 5.0 18 5 120207 — 12234 15.76 , 36-97 |81 | 4883 —5948 1110*) 0-3 | 34 ö 5 1234 — 15 15-20 | 36-85 | 87 | 5985 0 0 31 _ oo . 3 & 1.20 — 32% 13-50 | 36-41 | 86 5985 —5948 ? ? 120 | | re 320 — 410 13.76 | 36-58 | 87 5948—3819 | 2129 0 50 % 410 — 50 14-08 | 36:78 | 88 3819 0 0 50 | 1-8 17. arz 1879. errichtete han. Arbeit. Kgrmtr. Anstrengung 7. | Mittlere Im Tunnel beobachtete Tempera- tur 7. Eigen- wärme £. 91210 1785-56 1-245 197 722-42| 1-145 ? [0.924 ?_ 10.924 652.70] 1-035 651.42) 1.033 14738 1655-02! 1.038 20083 573-8 10-909 194** 1713-20] 1.131 350-48| 0.555 678-11|1-073 364-821 0.578 0 0 ? 0.494 23748 474-96| 0-753 20 0 21-04 25.68 28-33 28-90 28-89 28-12 25-41 20-79 25.62 27-87 28-38 27-01 25.32 21-94 25-95 28-45 30-50 28-55 30-07 27-50 30-40 30-00 28-90 37-50 37.78 38-06 37-61 37.78 37.78 37.94 37-11 37-56 37.78 37.56 37.78 37.64 37-58 37-74 37.81 38.44 38-05 38-50 37.67 38-44 38-05 37.78 Pulszahl P.| Differenz zwi- schen normaler u. beobachteter a _ Proportion zwischen den Puls- zahlen 5, =P- 89 120 112 100 120 106 120 88 118 134 114 104 108 108 110 112 120 104 124 12.23 13-31 16.50 12-58 14-31 12.30 16.90 16.24 14-82 EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 103 ji zunehmender Lufttemperatur und körperlicher Anstrengung. Anmerkungen. oo N| [0 2 1 ‚ Mit Locomotive einge- fahren. * Incl. 15% Umwegen. ' Gearbeitet; n Mittel- zahl der Uebrigen. do. * Incl. 20% Umwegen. Mit Locomotive einge- fahren. * Incl. 30% Umwegen. ' * Inel. 40% Umwegen. Gearbeitet; 7 Mittel- werth d. Uebrigen. * Incl. 5% Umwegen. ' * Inel. 10% Umwegen. * Incl. 50% Umwegen. ** Eine Bürde von 4kgr getragen, da- her Gewicht u. Ar- beit entsprechend STÖSSET. * Incl. 20% Umwegen. * Incl. 5% Umwegen. * Incl. 45% Umwegen. Vor Ort beim Bohren geruht. | Gearbeitet; 7 Mittel- werth d. Uebrigen. Auf Locomotive ge- wartet. 104 F. M. STAPFF: Berechnet man hiernach die Werthe für D zurück, so ergiebt sich aus den Quadraten der Differenzen zwischen Beobachtung und Berechnung als mittlerer Fehler der nach der Formel berechneten Werthe: 015°. Bemerkenswerth ist, dass (nach einem früheren Abschnitt) beim Ein- fahren in den Tunnel einer Zunahme der Lufttemperatur von 0:79 eine Zunahme der Eigenwärme von 0°047 entspricht, woraus D = 0'0595 A folgen würde (für „=0). Dies Resultat weicht also von dem vorstehend berechneten nicht mehr ab, als die ungleiche Luftbeschaffenheit in dem fertigen (natürlich ventilirten) Tunnel und dem in Arbeit stehenden sehr wohl erklärlich macht. Die sieben zusammengehörigen Beobachtungsdaten von Airolo ergeben: D = 0'0885 4 + 0:2295 7 mit einem mittleren Fehler des Mittels von 034°. Es springt sofort in’s Auge, dass die durch Anstrengung verursachte Erhöhung der Eisenwärme trotz der verschiedenen Luftbeschaffenheit in der Göschener und Airoleser Tunnelseite fast dieselbe ist. Da die Gewichte der Göschener und Airoleser Beobachtungen sich verhalten wie 0:342:0.15?=4'88:1, so ergiebt sich als Mittelwerth der Eigenwärmezunahme durch die Anstrengung 7 =1: 0:2497 x 4:88 + 0:2295 x 1 9:88 = 02463 oder rund !/,°C. Die nur von der Temperatur und Beschaffenheit der umgebenden Luft abhängige Zunahme der Eigenwärme in der nördlichen und süd- lichen Tunnelseite verhält sich dagegen wie: 0.0642 ag 05. Wie fanden aber in einem früheren Abschnitt als Verhältnisszahl der Luftgüte zu Airolo und Göschenen: 1 1-345 —= :0.°743. Die Uebereinstimmung der vorstehenden beiden Verhältnisszahlen führt zum Schlusssatz : Die Zunahme der Eigenwärme durch Erhöhung der äusseren Tem- peratur steht in umgekehrtem Verhältniss zur Güte (inel. Trockenheit) der umgebenden Luft. - Auf eine fernere Beziehung bin ich erst bei Berechnung der bereits ab- geschlossenen Beobachtung gestossen. Als Mittelwerth der Anstrengung, mit welcher ich nach Spalte 11 der Tabelle II zu Göschenen in den Tunnel EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 105 ging, ergiebt sich 1'142; als mittlere Anstrengung beim Herausgehen 0.972, daher überhaupt Anstrengung, womit ich in der Göschener Tunnel- - atmosphäre körperlich gearbeitet habe: 1057. Dagegen sind für Airolo die bez. Mittelzahlen: Anstrengung beim Eingehen 0-827; beim Ausgehen 0°654; überhaupt: 0741. Andererseits sind die Ueberhöhungen der Eigenwärme zu Göschenen beim Eingehen im Mittel 106° beim Ausgehen „, zu 1.02° ; überhaupt 1’04° zu Airolo beim Eingehen im Mittel 149° beim Ausgehen $„, 1:68 überhaupt 159° Es ist aber 1°057:0-741 = 1:0-701 und 159 : 104 =1:0.654, d. h. die Anstrengung, womit man gemächlieh (und ohne äusseren Zwang) körperlich arbeitet, verhält sich nahezu umgekehrt wie die gleichzeitige Erhöhung der Eigenwärme über die normale. Die Körperwärme wird hiernach schon dadurch zu einem gewissen Grad regulirt, dass man, falls nicht besondere Ursachen Ueberanstrengung bedingen, sich instinetmässig desto weniger körperlich anstrengt, je mehr die Eigenwärme durch Temperatur und Beschaffenheit der um- gebenden Luft an und für sich gesteigert ist. Hiernach wird die Faul- heit der Südländer physiologisch begründet. Die Bedeutung des Satzes bei aller Verwendung thierischer Kräfte in der Technik sollte von keinem Ingenieur übersehen werden; weiter unten kommen wir nochmals hierauf zurück. Ein Vergleich der Ziffern in Spalte 16, 17 der Tabelle II zeist sofort, dass die Pulszahl mit zunehmender Eigenwärme steigt. Abwei- chungen sind theils daraus erklärlich, dass der Blutumlauf noch von ganz anderen Einflüssen regulirt wird, als von jenen, welche auch die Körperwärme reguliren, theils daraus, dass Zunahme der Pulsfrequenz und der Körperwärme nicht immer synchrone Erscheinungen sein dürften, sondern einander voreilende oder nachziehende Immerhin kann es von pathologischem Interesse sein, wenigstens eine approximative empirische Relation zwischen Eigenwärme und Pulsfrequenz zu ermitteln. Aus den Daten der Spalte 16 und 17 (Tab. II) ergiebt sich ungezwungen als solche: ! m R2221222093%, 1 Zur Vereinfachung der Zifferrechnung habe ich bei Construction dieser For- mel nicht die einzelnen Beobachtungsdaten in Rechnung gezogen, sondern Mittel- 106 F. M. STAPFF: wenn P° die der normalen Eigenwärme entsprechende normale Pulszahl; P dagegen die der Differenz D zwischen normaler und jeweiliger Eigen- wärme zukommende gesuchte Pulszahl bedeutet. Um die Anwendung dieser Formel bequem zu machen, habe ich nach derselben folgende Tabelle construirt: Tabelle III. Differenz D zwi- | | | | | | | schen jeweiliger | | und normaler | Körperwärme. | | | | | | d= _ 3010| | m — 10,400 |+ 10 )#20 | +30 | +40 | + 50 | | | | j Coöfhicient p, wo- 0-369.0-45010-549 0.671 0-819,1-00011-221/1-491/1-820 2.2222-713 mit die normale | | | | | | | | Pulszahl zu mul- tiplieiren ist, um | die bei veränder- | | | ter Eigenwärme | | | | | | | | stattfindende zu | | | | | | ermitteln. | | | | | | | | | | | | | | | Die vorstehenden Resultate sind individuell so, dass ich dieselben ohne vorgehende Prüfung nicht als allgemeingültige hinstellen möchte. Behufs dieser Prüfung habe ich gleichzeitig an mir und anderen In- dividuen, welche an den Aufenthalt in der feuchtwarmen Gotthardttunnel- atmosphäre theils noch gar nicht, theils in noch viel grösserem Maass als ich gewöhnt sind, folgende vergleichende Versuche angestellt. 1. Der Eidgenössische Genie-Obrist-Lieutenant Hr. Lochmann, welcher am 21. Juni 1879 zum ersten Mal die Airoloseite des Gotthard- Tunnels betrat, erlaubte mir gütigst folgende Beobachtungen an sich: (Vgl. Tab. IVa, folge. S.) Aus Spalte 8 vorstehender Tabelle erhellt zunächst, dass die durch gleiche Anstrengung unter gleichen Temperatur- und Luftverhältnissen bei Hrn. Lochmann hervorgebrachten Aenderungen der Eigenwärme im Mittel um 0-08 oder rund O-1° höher sind als bei mir. Diese Dif- ferenz liegt zwar noch innerhalb der Grenzen der Beobachtungsfehler, doch werthe der Gruppen von D = 0:53.10; 1&1-50; 1-5&20. Die dadurch entstandenen Gleichungen sind: 1:258 = (0'857; 1-268 = 01'174, 1.397 = 01'823, deren Lösung nach der kleinsten Quadratmethode € = 1:2209 ergiebt. Zurückberechnet erhalten wir für 9:1+-187, 1-264, 1439; und aus den Quadraten der Differenzen zwischen diesen und den vorstehenden beobachteten Werthen als mittleren Fehler des Mittels von P:0'058 oder 4-40), der in Rechnung geführten mittleren Pulszahlen. 107 EI TUNNELBAUTEN. n) EINFLUSS DER ERDWÄRME u 80-0 18928 8228| STERN WI worygpäsne | 0 Der cserıe 0 20% | 9-28 9.28 |8-.87| Temod le e— ST € JALJOWIOAOrT Im uosus | 0 |8-0— (> Ei SIG at 03 BAyomonoT |eng.0|OPLsL| ze | 0 | 9291 F- 88 9:88 [8-68 w00IF | 1 0 — 68 FF nz w0OT PI9 ‘ SUDEOLF| „| w | 1-0— | 9:0 a) woswäon EIL-OFERST IF | EP | 9091 8-28 6-28 \3-68| w9GLE | WOLF —u6E u£ | | 1-0. 70 8-0 worggposun | 0 0 |68| 0 0 F-18 9-28 16-83) wOOlF IE 8 en | 1-0, 1-0 0-0 puung, s1q | | 8-18 9-28 |T- 17 ayerdneg aus uo UBos -23 008 WA) r-0 | 80 3-0 SDuuam 0-28 7-18 |6-Fe| meomg u08 us Tunp °Tg al | e7 @I ZI oT 6 h ® L 5) g T e I. G Z se |: Seren mu as Aus "r 3 2 ; sale Suse = ee ser os 2: SBE| ai 34 IR SR: Ban 5 |203 | dy' = |dne|lB: 5 | Mosyeg |, 7eG ussunylowuy Ei 8 E 38 > > = EPs IS F 2 a ee & E a NOZRSUNFYIBHOAET I $ a5 |83| np dm As = 5° E : 19430[0-Iyonanz 2 "uuewyoor 'jzdegg = td} | puoyay S "eAT OITTOA®L 108 F, M. StarFr: liesse sich aus derselben schliessen, dass Hrn. Lochmann’s Eigenwärme schon in gleichem Maass wie bei mir gesteigert wird, wenn er sich 0.08 0.0885 Ausserdem veranlasst diese Versuchsreihe folgende Betrachtungen: Beim Einmarsch von 4100 nach 5726 und zurück war im Mittel: einer um = 0,9° kälteren Tunnelluft aussetzt. h 99m Dahn um nu — 4h 40.5” die Lufttemperatur 7 = a 31.9438:6 = 29.5° (also dA=29:5— 13-95 = 15-55); meine Eigenwärme?= - 0.713 + 0.899 2 dieser Werthe in die Formel D = 0-.0855 A + 0-2295 » ergiebt sich D = 1.56; daher ! = t — D = 38:25 — 1:56 = 36:69”. Es ist aber nach Tab. I meine normale Eigenwärme um 4t 40” NM.: 36-70°. In der hier gewonnenen Uebereinstimmung zwischen Ex- periment und Rechnung dürfte eine Garantie für die Richtigkeit aller vorgehenden Beobachtungen und darauf gegründeten Schlusssätze liegen. Andererseits war für Obrist-Lieutenant Lochmann im Mittel 4% 40”: zul alles andere wie bei mir; daher auch D = 1:56; und dessen normale Eigenwärme 38.1 — 1.56 = 36-54". Letztere wäre hiernach 86-69 — 36.54 = 0-15° niedriger als die meinige; während die Mittelzahlen der Spalten 4 und 6 eine bez. Differenz von 37.78 — 37.58 = 0.20 ergeben. Diese Differenz hat sich als ein- facher Fehler der zwei benutzten Thermometer herausgestellt, welche bei 0° gleich zeigen, bei 38° aber einige Zehntel verschieden. 2. Die Comparativversuche mit einem habituellen Tunnelarbeiter (siehe nachstehende Tab. IVb) haben aus den S. 97 ausgeführten Gründen die grössten Schwierigkeiten veranlasst. Seit Juni habe ich sie zu Göschenen und Airolo an verschiedenen Individuen begonnen, aber immer wieder resultatlos abbrechen müssen. Endlich gelang es am 1. September eine einigermaassen befriedigende Beobachtungsreihe mit dem Chef de poste des mariniers, Oontratto, durchzuführen. Derselbe, 28 Jahre alt, hat seit 1873 in der Airoloseite des Tunnels gearbeitet, erst als Schutter (marinier), seit 1874 als Chef de poste in dem Sohlenschlitz und seit October 1878 im Riechtstollen. Während dieser Zeit ist er 28 Tage krank gewesen, ausser- dem einmal 40 Tage, ein anderes Mal 50 Tage auf Urlaub abwesend. Besondere Versuche mit ihm am 19. August, 30. August, 1. September (vor und nach dem Tunnelbesuch) stellten heraus, dass seine normale (?) 2 = 38.25°; Anstrengung 7 = = 0.806. Durch Einsetzung 109 EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN, re Ale Re re. 61-28 Fe.28| un u 10q Em uaxey | G6- 98) 09-98 18-16 Sunugo M Fu)! . a ren tn) 08 | 0 0 | 09-98 08-98 1-0] 07-0017 |0 8 — 088 ST 50927 -007F TorT| | | G1-0 02-0 Gs.0 uoauesen ITC8-0| 8668 | 9T | O 1022 — 108.28) 199-218 F-080675 08081988 —- 018 2 0T-0|€T-0 ra) uesueae) |,69-0JE8P9L| IF | O |22PT Tr 06-28 17-080309— 26591 69 I — STIL sehen! | 2108-0!00-0 03-0 'S Aunaassne ’) . 2. cH.ıE 101-8E|G-TE| 2679 ÖL | GI-0 |GT-0 00-0 wosursed 1 8PO-TIOECIT € 2-0 LLF1 BEE E 01:88 7-08 2659 0808| 35 31 — LIEL " 06-0 48-0 Gg.0 ussuzden IF76-1| 6196 | SI |0-7 1058| 66.28 GG. 18 0-68. 0808 —-008F| OT SL — SEIT " NELRUSINY°UERT Z 0098 = G6-0,01:0 c8.0 3 h 24 Susapekur si)” 0) ee GI-28 08-28 8-88 x0057 0 |6F IT 708 II zgPuuneE soanz Ep | | cT-0|0-0 05:0 | h a ua. | | OT-28 00:28 9-35 „aerdneg | CT IT— —0OI -fpuun], u | | -[JUun], sne vapnng 6404 4 | 00-28 29.98 8-61) wrong 68 6 'X1/I Fr FRE et 0 6 8 L 9 B) 5 8 q L | Fa FIR eo: & e |J3| [#5] 8.22.85 5% |283| 4% leg De | 93 55 Ka 5 |Keelsir| Sa |Sa:| Si 5, : -uoßunyromuy 7 04 E E|>s2| 8 |s2#[85E = Eee = © 210 119 © ® 2 35 - Salnr on De ee SE | -sopeyguapny -sdungyorgoagl == as |S, EI TWEERFE ER = 3 le | -gSyonınz Az2| 'oyyeayuoy szdegg As > Re) a EB (‚ISLI09 oIy purs UHZUOLFIPIOWOULIOU], UOJuyEmao @AT de] nz Sunaomepm dop ur oIgq muy) "QAT OTI24d®EL 110 F. M. STAPFE: Eigenwärme zu verschiedenen Tageszeiten 37-25 — 36-64 = 0°61° höher war als die gleichzeitige meinige; — ich wage nicht zu sagen, ob etwa als chronische Folge der langen Tunnelarbeit; oder etwa deshalb, weil ich vor den Beobachtungen im kühlen Zimmer gesessen hatte, während Contratto auf dem Weg zu mir meist starker Sonnenhitze ausgesetzt war; oder ob in Folge von Manipulationsfehlern. Allenfalls stellte sich die zwischen 0°8 und 0-45 schwankende Differenz stets ein, und zwar stets in demselben Sinn. Aus Spalte 8 vorstehender Tab. IVh folgt, dass dieselben Arbeits- leistungen, unter denselben Luft- und Temperaturverhältnissen, die Eigen- wärme Oontratto’s im Mittel um 0-17° weniger erhöhten, als die meinige. Möglicherweise trug dazu wesentlich bei, dass derselbe nur mit leichtem Hemd bekleidet ging, während ich Wollenhemd und leichte Tunnelkleider trug. Dies scheint um so glaublicher, als er sich beim Hineinfahren und -gehen nur langsam und wenig erwärmte, beim Hinaus- fahren aber rasch und sehr merklich abkühlte. Ich enthalte mich jeg- lichen Urtheils, ob zu der durch diesen Tunnelbesuch hervorgebrachten geringen Erhöhung seiner Eigenwärme nicht noch ein Theil jener 0-61 gelest werden dürfte, welche nach Obigem bei ihm constant geworden sein könnte. Ueberhaupt betrachte ich mit dieser Versuchsserie die Frage nicht als erledigt und wünschte sehr, dass noch recht viele und umfas- sende Beobachtungen an Arbeitern zu ihrer Lösung angestellt würden, und zwar durch Bestimmung der Harntemperaturen. Ich kann mich mit Versuchen in dieser Richtung .nicht weiter befassen. Da eine innere Erwärmung von 0,17° durch eine Erhöhung der Luft- 0,17 0,0885 gleichenden Beobachtungen an Contratto an, dass ein habitueller Tunnel- arbeiter eine um (rund) 2° höhere Temperatur verträgt, ehe bei ihm dieselben Veränderungen der inneren Wärme zum Vorschein kommen wie bei mir. temperatur von = 1,9° hervorgebracht wird, so deuten die ver- Viele angesehene Pathologen sind der Meinung, dass Fiebertemperaturen ı von 40—41°5° nach 2—83 Wochen an und für sich zum Tod durch Gehirn- oder Herzlähmung führen. Solche von 42° zeigen meist den bevorstehen- den Tod an. Es scheint mir zwar nicht ausgemacht, dass wenn der ge- sunde Körper durch äussere Einflüsse auf z. B. 42° erwärmt wird, in ihm ohne weiteres auch dieselben krankhaften Zustände entstehen, welche den Tod zur Folge haben, und welche unter Anderem durch eine Körper-' wärme von 42° oekennzeichnet sind. Wäre die Ueberhitzung lediglich! EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 111 Folge übermässiger körperlicher Anstrengung, so liesse sich die Annahme _ einer derartigen Reciproeität zwischen Ursache, Symptom und Wirkung viel eher rechtfertigen. Immerhin müssen wir hier stillschweigend an- nehmen, dass wenn durch Fieber hohe Körperwärme und rascher Puls ver- ursacht, andererseits durch hohe Körperwärme auch ein fieberhafter Zustand (und damit zusammenhängender rascher Puls) des Körpers erzeugt wird, welche je nach Intensität früher oder später zum Tode führt. Den wissen- schaftlichen Beweis für die Richtigkeit dieser Voraussetzung vermag ich allerdings nicht zu führen; einen empirischen Beweis aber liefert das Sterben von Kaninchen, deren Eigenwärme in Luft von 36 bis 40° auf 44 bis 45° gesteigert wurde. Ich glaube nicht, dass sichere Aussicht auf Siechthum und früh- zeitigen Tod erwerbsüchtige Arbeiter und ehrgeizige Ingenieure von einer Arbeit abhalten würde, welche eine Körperwärme von 40° zur Folge hat. Wohl aber wird das mit solcher Arbeit verknüpfte, ständig wiederkehrende, Unbehagen die Leute von derselben ferne halten. Hierdurch wird eine praktische Grenze fixirt für den Temperaturgrad der Luft, bei welchem Tunnelarbeiten zwar noch ausführbar sind, aber nicht mehr ausgeführt werden, nämlich jene Lufttemperatur, in welcher die Körperwärme auf 40° steigt. Die Sanitätspolizei würde diese Grenze bewachen und die Bergpolizei würde ihr Ueberschreiten ebenso kategorisch verbieten, wie sie z. B. Grubenräume absperrt, welche unabwendbar einzustürzen drohen, oder wie sie die Arbeit in anderen Grubenräumen sistirt, wo sich schlagende Wetter in solcher Menge anhäufen, dass deren Explosion, trotz allen Vorsichtsmaassregeln, nicht verhütet werden kann. Da ein Ueberschreiten der anderen Temperaturgrenze, bei welcher die Körperwärme 42° erreicht, binnen Stunden den Tod zur Folge haben könnte, so beginnt mit dieser Grenze die physische Unmöglichkeit unter- irdischer Arbeiten. Es ist von praktischem Gewicht auch diese Grenze zu fixiren; denn wenn man durch künstliche Mittel die Lufttemperatur auch so weit unter die Gesteinstemperatur herabsetzt, dass Arbeit noch ausführbar wird, so würde ein zufälliges Versagen dieser Mittel die traurigsten Folgen haben, wenn die Temperatur der Arbeitsräume plötz- lich und unabhelfbar zu einer Höhe stiege, welche sogar die Flucht der Arbeiter hinderte. In folgender Tab. V habe ich die Lufttemperaturen zusammen- gestellt, bei welchen, unter gleichzeitiger Voraussetzung verschiedener Anstrengungen, die Körperwärme von 40° und 42° eintritt; bis zu diesen Lufttemperaturen sind also unterirdische Arbeiten ausführbar, bez. möglich. ul F. M. StTAPFF: Tabelle V. Lufttemperaturen und Anstrengungen, bei welchen Fieber- hitze von 40 und 42° eintritt. Bd Pu=7T: Q ER ey R- = =E 8.88: Hervorgebracht bei einer Anstrengung 7 = Ba BI ser B Hu a AS, t ı [#5 SR rung 0 De | me 1.2 | 8 4 e |22lor „lERt < #3 =E 8158 5 en unter den atmosphärischen Verhältnissen des Gott- rular } w = Sa DE. zaß®, hard-Tunnels in Eee se |®3 se| Zee Göschenen | Airolo = =: As 2 SB = APR 22 28 S Les durch die Lufttemperatur: Ss Sly= Por a | 4 IR REN Is 9 N er 5 | | | | | 40 39.08 2+5 | 1.647 93.5 49*6 45: -741-9138-0| 42- 8 40 287: 735- 132-3 42 41-08 45 | 2.455 84. 1180- 8, 76. 973: -0,69-1|| 65- 4 62- s 60. 2 "155° il Die Ziffern in den Spalten 5—14 vorstehender Tabelle sind berechnet, indem in die Formeln auf S. 104 für D 2-5 bez. 4-5 und für 7 suc- cessive 0...4 eingesetzt wurde. Zu dem sich daraus ergebenden Werth von A wurde sodann 14-58° gelegt, d. h. die Mitteltemperatur, bei welcher ich meine normale Eigenwärme ermittelte (Tab. I). Die Zahlen der zweiten Columne sind gleich jenen der ersten, minus 0:92 gesetzt, da nach Tab. I u. f. die mittlere gewöhnliche Temperatur unter meiner Zunge 36-58° ist, d. i. 0:92° tiefer, als die gewöhnlich angenommene mittlere normale Körperwärme von 375°. Dass, wie vorstehende Tabelle voraussetzt, Anstrengungen bis 4 bei Tunnelarbeiten vorkommen, wenn auch nur vorübergehend bei foreirter Arbeit, Heben grosser Lasten u. s. w., scheint mir unbestreitbar. Dass aber die meisten Tunnelarbeiten grössere Anstrengung als 1 erheischen, scheint mir daraus zu folgen, dass schon das zwanglose Gehen im Tunnel bei mir eine mittlere Anstrengung von 1:06 zu Göschenen und 0-74 zu Airolo beansprucht (S. 105). Die wirkliche tägliche Arbeitszeit eines Schutters im Richtstollen verhält sich zu der eines gewöhnlichen Tunnelhandarbeiters wie 1:1/,; dagegen verhalten sich die mittleren Tagesverdienste dieser Leute ungefähr wie 1?/,:1. Sind diese Lohnsätze gerecht (woran nicht zu zweifeln, da sonst die Leute nicht bleiben würden), so scheint mir aus beiden gegebenen Verhältnisszahlen zu folgen, dass ein Schutter mit der Anstrengung 7=1'25 x 1'6=2 arbeiten muss, wenn ein gewöhnlicher Handlanger mit der Anstrengung 1 arbeitet. Hiernach werden die Ziffern der Spalten 7 und 12 vorstehender Tabelle maassgebende Temperaturgrenzen für die Ausführbarkeit und die Möglichkeit von Tunnelarbeiten. Ausführbar sind solche noch bei EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 113 457° unter den atmosphärischen Verhältnissen der Göschener Tunnel- seite; bei 37:7° unter jenen der Airoleser; möglich, bei bez. 76-9° und 60:3°. Letzteren Temperaturgraden entsprechen zufälliger Weise jene, bei welchen Albumin coagulirt, bez. sich trübt. Setzen wir die Anstrengung 1 voraus, so führen die Ziffern der Spalte 6 und 11 erster Linie, nämlich 49-6 und 40-29 zu denselben Temperaturgrenzen, welche nach S. 83 Hr. du Bois-Reymonda priori fixirte (50° in trockener Luft, 40° in mit Feuchtigkeit gesättigter). Könnte mit der Anstrengung 8.23 gearbeitet werden, so würde eben- sowohl unter den atmosphärischen Verhältnissen der Göschener als der Airoleser Tunnelseite bei der Lufttemperatur 21-4° die Grenze der Aus- führbarkeit von Tunnelarbeiten erreicht sein; und wäre eine An- strengung 1485 möglich, so läge bei 26-8° die Grenze ihrer Mög- lichkeit. Diese Relationen ergeben sich unmittelbar durch Einführung der Anstrengungscoöfficienten 7 = 8'23 und 14-85, und der Werthe für D:39-08° und 41:08° in die Gleichungen auf S. 104. Die auf Tab. V zusammengestellten Grenztemperaturen wären nach den in Tab. IVa,b enthaltenen Beobachtungen für an Tunnelarbeit ganz ungewohnte Individuen um 0:9° zu vermindern, für habituelle Tunnel- arbeiter um 19° zu vergrössern. Es schien mir von besonderem praktischen Gewicht, festzustellen, ob bei erhöhter Temperatur der Umgebung die Nutzleistung der Arbeiter abnähme, wie solches aus der weiter oben gefundenen Beziehung zwischen instinetiver Anstrengung und Ueberhöhung der Eigenwärme anzunehmen ist. Zu dem Ende habe ich den Arbeitseffect der Leute beim sogenannten Schuttern im Richtstollen, d. i. bei dem Verladen der gelösten Berge auf die Waggons, in Göschenen und Airolo, unter verschiedenen Luft- temperaturen, in Rechnung genommen. Die Schutterarbeit ist körperlich sehr anstrengend, weil sie in kurzer Zeit, theilweise in dickem Rauch, mitunter bei beschränktem Luftzutritt, vollzogen werden muss. Dagegen fordert sie nur geringe Fertigkeit und ist deshalb um so geeigneter für Berechnungen in angedeuteter Richtung. Bis zum April 1877 wurde in beiden Tunnelseiten mit verschiedenen Methoden des Schutterns experi- mentirt; seit dieser Zeit aber wird die Arbeit beiderseitig unverändert auf gleiche Weise ausgeführt. Nach Beendigung der Bohrarbeit werden der Bohrmaschinenwagen und % bis 3 hinter ihm stehende Trucks, welche mit Injectionswasserreservoir, Bohrern, Bohrmaschinen und Utensilien beladen sind, etwa 38% zurück- Archiv f. A, u. Ph. 1879. Suppl.-Band z. Physiol. Abthlg. 8 114 F. M. STAPFE: geschoben. An diesen 14" langen Park stösst der im Mittel 37 lange Zug von 10 bis 15 zu ladenden Waggons. Der mittlere Förderweg vom = 37 Einbruch zu den Waggons beträgt also circa 38 + 14 RR 70-9 (70 bis 75"). Neben dem 1” weiten Hauptgeleis liegt ein zweites nur 0-3” weites, auf welchem in langen schmalen Waggonets die in Körbe gefüllten Berge vom Einbruch nach den zu lastenden Waggons gefördert werden. Beim Laden werden immer 2 Waggons so weit auseinander geschoben als das Waggonet lang ist, so dass zwischen beiden Platz genug für die Arbeiter ist, welche beide Waggons gleichzeitig laden. Die rückwärtsstehenden Wägen werden stets zuerst geladen und dann folgweise die dem Ein- bruch näher stehenden. Der regelmässige „Schutterposten“ besteht aus 20 Mann, nämlich, 1 Chef de poste, 2 Feuerwerkern, (welche die Löcher laden, anzünden, nach dem Abschiessen revidiren und beräumen) und 17 manoeuvres. Letztere bilden 4 Abtheilungen, nämlich 4 „sappeurs‘, welche die Körbe füllen, 4 „rouleurs“, welche sie abnehmen, auf die Waggonets setzen und zu den Waggons schieben; 4 „chargeurs“, welche (mit Hülfe der rouleurs) die Waggons laden. Der 17. Mann hilft wo gerade nöthig. Diese Eintheilung der Mannschaft kann zwar nicht immer streng innegehalten werden, indem mitunter einzelne Leute des Postens fehlen oder andere zur Beschleunigung des Schutterns von benachbarten Arbeits- stellen zugezogen werden; doch habe ich gefunden, dass man durch An- nahme von 17 Schuttern pro Posten der Wahrheit näher kommt, als durch Versuche die täglich variirende wirkliche Zahl nach den Rapporten aus- findig zu machen. In der folgenden Tab. VI sind die Beobachtungsdaten zusammen- gestellt, welche in die Rechnung eingehen. Da in den ersten Monaten nach Einführung der oben skizzirten Schuttermethode noch mancherlei kleine Aenderungen in ihrer Ausführung zu treiien waren, ehe alles wohl ineinandergriff, so habe ich nur Daten von August 1877 an benutzen mögen. Im übrigen war es mit einigen Schwierigkeiten verknüpft, für den Vergleich Monate auszuwählen, in denen die Lufttemperaturen beim Schuttern möglichst differirten, in denen der Arbeitsfortschritt ein mittlerer war, und keine besonderen Arbeits- störungen vorkamen. Zu den Ziffern Spalte 8 ist anzumerken, dass dieselben Mittelzahlen sind aus: 1) der Temperatur vor Ort beim Schuttern in dem betreffenden Monate (Spalte 1); 2) der Lufttemperatur hinter Ort (im Mittel eirca 100” rückwärts von Einbruch) im gleichen und dem nächst vorgehenden Monat. Beispielsweise ist für August 1877, Airolo: Lufttemperatur vor EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 115 Ort beim Schuttern 27-95°, Temperatur hinter Ort: Juli 27-01, August 28-03; mittlere Temperatur H.O. also 27:52. Mithin mittlere Temperatur in welcher die Schutterarbeit ausgeführt wurde (Spalte 8): . «RAR 27:35 u 27:52 — 27:74 °., ui Tabelle VI. Arbeitsleistung beim Schuttern in verschiedenen Luft- temperaturen, | £ = Elan Er Ge |s le le Besen | © . . u Baallagas,s 8a asia 852.158 5- za Zamaa28535 Br8 “25 „5 35188 u@ Zeit. RESRAER Ir s8 2 E28 BEE 545 Anmerkungen. sea 52327338 als Eeszssen Baal omas a2 E7e Maszass 1 2 3 4 BE? 7 8 9 7) f Sept. 1877|129-0 | 7-073 | 912-4 369-83| & .|6-891|24-50| 9-92 * Diese Zahlen - 28 drücken d. Stun- Inni 1878 |124-0| 6-802 | 843-4 1342-16 5.2 | 6-897 |26-12 | 11-54 =5 denzahl aus, wel- März 1879 |120-4| 6-496 | 779-5 330-337 2| 7'204 |23-47| 13-89 |che ein Mann | = (von den 17arbei- Im Mittel: | 6997 | 26-36) 11-78 | tenden) zum - | Schuttern von RS jebm aufwenden >43 5 S |. würde. Aug. 1877 106-4 6-27* | 667-1 1310-27] S | 7906| 2774| 13-16 |* In den Rap- z on k 2 oe ’ Anne R porten sind die Sept. „ 78-6 | 6-27 492-8 1234-27 = 8081| 27-52 | 12-94 mittleren Quer- Oct. , 106-3 | 6-30 669-7 1325-501 5 | 8-283| 27-93 | 13-35 | schnitte dieser f orte ß e Er x ö . Monate nicht Sept. 1878| 123-5 | 6-27 774-3 340.80 E 17-482 29-54 | 14-96 angegeben, wes- Dee, 122-3| 6-13 149-7 1324-39) < 71-354 29-57) 14-99 |halb dieselben 2 e } { N 3 , : hier gleich der März 1879|) 67:6 | 6-38 431-3 1297-54 lan 11-728) 30 a 15.62 Mittelzahlhkalles 3 übrigen ange- Im Mittel: | 8-472 28.75, Te ommen en Aus den 3 Göschener Daten folet nach der kleinsten Quadratmethode als Anzahl Arbeitsstunden A eines Mannes zum Schuttern von 1 solidem Kubikmeter Ausbruch: h = 6:0245 + 0:0826 1. Dagegen führen die 6 Airoleser Daten direct zu keiner verständigen Relation zwischen A und A, offenbar weil die in Rechnung geführten Temperaturdifferenzen 4 so wenig von einander abweichen, dass ihr Ein- fluss auf den Arbeitseffect von anderen zufälligen Einflüssen (Störungen im regelmässigen Betrieb) bei weitem überwogen wird. Doch können wir durch Zuziehung der für Göschenen gefundenen Beziehung zwischen A und { wenigstens annähernd auch für Airolo die Abhängigkeit des zu bezahlenden Arbeitsaufwandes von der Lufttemperatur 8*+ 116 F. M. STAPFE: ermitteln. Für eine mittlere Temperatur 28:75° (also A= 28-75 — 14-58 = 14:17) ist zu Airolo A= 8472. Für das gleiche 4 aber giebt die Göschener Formel: h = 60245 + 0:0826 x 14 17 = 17:19. Da sich also die vom Einfluss des Temperaturunterschiedes möglichst befreiten Arbeitsquanten in beiden Tunnelseiten verhalten wie8-472:7-195, so können wir mit Fug annehmen, dass zu Airolo für d=0 (d. 4 T’= 14:58) die Anzahl Arbeitsstunden zum Schuttern von 1 Kubikmeter 6:0245 x 8'472 7.195 —= 7.094 ist, und dass sich diese Zahl pro Grad Tem- 8472, 010927 3118 Baar Be hätten wir für die Airolotunnelseite allgemein: A = 7:094 + 0:0972 4. peraturzunahme um = 0.0972 vermehrt. Daher Das Verhältniss zwischen dem Arbeitsaufwand zum Schuttern von im} bei gleicher Temperatur zu Göschenen und zu Airolo ist: 6-025 + 0:0826 A 7:094 + 0:0972 A Feuehtigkeit in beiden Tunnelseiten, für welches wir fanden 1:1:1783. = 1:1:177, also gleich dem Verhältniss der absoluten In diesem Verhältniss wird voraussichtlich nicht nur die Schutterarbeit - sondern wohl alle Handarbeit in der Airolotunnelseite theurer als in der Göschener Seite; und sofern die Art der Arbeit und der dazu verwend- bare Raum keine Vermehrung des Arbeitpersonals zulassen, zugleich auch verzögert. Untersuchen wir den praktischen Einfluss der Lufttemperatur auf den Arbeitsbetrieb des Richtstollens, so stossen wir auf folgendes: Zu Airolo wurde in dem oben (Tab. VI) aufgeführten 6 Monaten ein Mittel verwendet auf Abbohren der Löcher von der ganzen Arbeitszeit 50-6 Proc. eh) Schuttern „ „ &h} 99 BR] ch} 40 5 1 eh) Versäumnisse (Schienenlesen, Einbau, Röhrenbrüche usw. „eluftmangel) "2. 2 nu 2 Oo Das maschinelle Abbohren der Löcher wird durch die Temperatur der Umgebung nicht wesentlich beeinflusst; die versäumte Zeit, während welcher grösstentheils auch Handarbeit stattfand, können wir hier aber geradezu zu der Schutterzeit legen. Es beanspruchen also: Durch die Temperatur nicht wesentlich beeinflusste Arbeiten von der ganzen Arbeitszeit . . . . ..50.6 Proc. durch die Temperatur beeinflusste Arbeiten. . . . 49-4 „ ‚hältnissen) bei 32-56 ° nur EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 117 In der Mittelstrecke des Tunnels hat man nach dem nächsten Capitel einer mittleren Temperatur beim Schuttern entgegenzusehen von 32-5601, Dieser Temperatur entsprechen Arbeitsstunden zum Schuttern von 1 Kubikmeter Stollen-Ausbruch: h = 7:094 + 0:0972 (32-56 — 14-58) = 8'842. In den in Betracht gezogenen 6 Monaten (1877—79) war aber bei BZ 2875: = 8-42. Durch Steigen der Temperatur von 28:75° auf 32-58° steigt also die Schutterzeit von 1 auf = —= 1'044, und die Gesammtarbeitszeit von 1 auf 0:506 + 0494 x 1:044= 1'022. In gleicher Proportion müssen (von anderen Einflüssen abgesehen) auch alle Arbeitskosten zu- nehmen und in gleicher Proportion der erzielte Stollenfortschritt abnehmen. Letzterer war in den behandelten 6 Monaten im Mittel 100-8”; er würde in der Scheitelstrecke (gleiche Gesteinsverhältnisse, Wasserzuflüsse und no — 95:6” sinken. Zu Göschenen beanspruchte im Sept. 1877, Juni 1878, März 1879 die Bohrarbeit im Mittel 49-2 Proc. der ganzen Arbeitszeit das Schuttern „, Se R: RR x Zeitverluste * * Er Mad A| a ir daher Schuttern und Versäumnisse zusammen 50-8 Proc. In der Mittelstrecke des Tunnels wird das Schuttern von 1 Km. Ausbruch bei 32-56 °:6-0245 x 0-0826 (32-56 — 14-58) = 17-510 Arbeits- stunden beanspruchen, während es in den 3 in Rechnung geführten Monaten nach Tab. VI bei 26-36° 6-997 Arbeitsstunden wegnahm. Die Schutterzeit verlängert sich mithin auf IL 1-073; die Gesammt- arbeitszeit würde anstatt 1- 0-:492-+-(0:508 x 1:073)= 1'037; und wenn zufällige Störungen vorausgesetzt) auf 6997 man in den in Rechnung gezogenen 3 Monaten bei 26°36° im Mittel 124-5= Monatsfortschritt erzielte, wird man (unter sonst gleichen Ver- 124-5 1-032 kosten 3-7 Proc. grösser werden. Dies gilt zunächst vom Richtstollen. Wir werden aber im zweiten Abschnitt sehen, dass mit der Temperatur desselben auch jene aller rück- =120:05" erreichen, während die Arbeits- 1 Gesteinstemperatur 31-75; Schuttertemperatur vor Ort 31-75+1:49=33+240 Mittlere Lufttemperatur hinter Ort. -» 2... . . .31.75+0-13=31-88 Mittlere Temperatur, in welcher die Schutterarbeit ver- Biehtet werdemwird vo a en 32.56) 118 F. M. STAPFE: wärts liegenden Arbeitsräume steigt. Daraus folgt, dass alle Handarbeit im Tunnel während Weitereindringens des Richtstollens in wärmeres Gebirge in derselben Proportion verzögert und vertheuert wird, welche wir für den Richtstollen selbst ermittelt haben. Bei den in Tab. V zusammengestellten Temperaturgrenzen für die Zulänglichkeit und Möglichkeit von Tunnelarbeit würden sich folgende Arbeitsaufwände zum Schuttern von 1 Kubikmeter herausstellen. Unter Göschener atmosphärischen Verhältnissen ist bei der Luft- temperatur 45-7° Tunnelarbeit noch zulässig, bei 76:9° noch möglich. Nach der Formel auf S. 115 für die Anzahl Arbeitsstunden zum Schuttern von 1 Kubikmeter, nämlich A} = 60245 + 00826 4A, erhalten wir für die Lufttemperatur 45:7°, A = 6:0245 + 0:0826 (45:7 — 14:58) = 8:59, und für die Lufttemperatur 76-9°, A = 60245 + 0:0826 (76-9 — 14:58) = 11'172. Mithin werden bei diesen Grenztemperaturen Handarbeiten 8-595 11.172 6.005 1:42, bez. um das 65-0945 vertheuert, gegen den normalen Arbeitsaufwand (60245) bei der Luft- temperatur 14-58°. Unter Airoleser atmosphärischen Verhältnissen sind bei den Grenz- temperaturen 377° und 60-3° zum Schuttern von 1 Kubikmeter die Arbeitsstunden A = 7.094 + 00972 (37:7 — 14-58) = 9:341 und A=17:094 + 0:0972 (60:3 — 14-58) = 11-538 erforderlich; d.h.1-31 bez. 1'693 mal so viele, als wenn die Arbeit bei 14:58° verrichtet würde. Obwohl diese Proportionen günstiger sind als die für Göschenen ermittelten, so ist doch nicht zu vergessen, dass der absolute Arbeitsaufwand unter Göschener Verhältnissen selbst bei 8° bis 16° höheren Temperaturen noch kleiner ist, als unter Airoleser bei niedrigeren Temperaturen. um das = 1:85 fache verzögert und Zweiter Abschnitt. II. Bei welcher Höhe des über den Tunnel liegenden Gebirges ist eine Temperatur zu erwarten, welche Fortsetzung der Arbeit hindern würde?! Wollte man bei Beantwortung dieser Frage von jenem Wärme- zunahmegradienten ausgehen, welchen z. B. die Versuche Reich’s zu Freiberg (Grube Himmelfahrt) ergeben haben: 1° auf 33.4”, oder von jenem, welcher sich aus Dunker’s Beobachtungen im Speren- ! Der Verfasser begiebt sich in einem Theile des zweiten Abschnittes auf ein den Zwecken dieser Zeitschrift fremdes Gebiet. Ich habe aber geglaubt, seine Ar- EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 119 berger Bohrloch zwischen 220 und 1064" Tiefe ableiten lässt, nämlich 1° auf 31:4”, so würde man zu sehr unrichtigen Resultaten kommen und zwar zu unerträglichen Hitzegraden in geringeren Tiefen, als sie der Mont-Cenis- und Gotthard-Tunnel schon unterfahren haben. Diese Wärmezunahmegradienten beziehen sich auf das verticale Ein- dringen unter fast ebene Flächen; ein Tunnel bleibt aber der Hauptsache nach auf seine ganze Länge in gleicher Entfernung vom Erdmittelpunkt; und auf die in ihm herrschende Gesteinstemperatur üben die über ihm liegenden, seitlich freien, Gebirgsmassen einen anderen Einfluss aus, als eine geschlossene Schale der Erdkruste thun würde, deren Dicke der Höhe dieser Gebirgsmassen gleich wäre. Ansted berechnete aus den von Giordano veröffentlichten Tem- ‚peraturbeobachtungen Borelli’s in der Südseite des Mont - Öenis- Tunnels einen Wärmezunahmegradienten für den Culminationspunkt des Profiles von 1° pr. 50”; fand aber, dass der Gradient je nach Configu- ration der Oberfläche für verschiedene Punkte des Tunnels sehr ver- schieden sei, wie aus folgender Tabelle erhellt: Tabelle VII. Temperaturbeobachtungen im Mont-Cenis-Tunnel. ! Entfernung Tiefe unter | Tiefe, in welcher Beobachtung. | yom Südportal. | Oberfläche. Temparatur 0°. | die Temperatur Drgder Zu 1° zunimmt. Meter. 3 1000 | 920 17.0 24 5 2000 520 19.4 27 8 3000 520 22.8 33 9 | 4000 520 23.6 39 10 5000 | 910 27-5 36 11 | 6000 1370 28.9 46 12 6448 1609 ee 14 7000 1447 27.0 | dl Im Mittel: 37.75 beit in ihrer vollen Ausdehnung in das Archiv aufnehmen zu sollen, da der ein unmittelbares physiologisches Interesse beanspruchende erste Abschnitt nieht wohl aus dem Zusammenhange gelöst werden konnte, dem er entsprang, und da am Schlusse des zweiten Abschnittes die Untersuchung auch vielfach wieder eine die Mediein und Physiologie berührende Wendung nimmt. Ohnehin erweckt sowohl die Frage nach der inneren Wärme der Gebirge als auch nach der Ausführbarkeit von Arbeiten in deren Schoss die Theilnahme jedes allgemein naturwissenschaftlich Ge- bildeten. LE. d. B.-R.] 1 Entlehnt aus: Zeitschrift der österr. Gesellschaft für Meteorologie von Jelicek und J. Hann. Bd. VII, Nr. 23; 1. Dec. 1872. 120 F. M. STAPFF: Meine von 1873—77 im Gotthardtunnel bis 4400” vom Nordportal und 4100” vom Südportal angestellten Temperaturbeobachtungen habe ich in Studien über die Wärmevertheilung im Gotthard (1. Theil, Bern 1877, Verlag der J. Dalp’schen Buchhandlung) zusammengestellt und aus denselben empirische Formeln hergeleitet, welche zunächst dazu bestimmt waren, eine begründete Vorstellung über die im Gotthard- Tunnel noch zu gewärtigenden Temperaturverhältnisse zu gewinnen. Da sich diese Formeln für die folgenden 2000—3000” des Tunnels bewährt haben, so will ich die Hauptresultate der Gotthardbeobachtungen hier in Kürze mittheilen. Für einen Punkt in der Profillinie des Gotthard-Tunnels ‘ist die mittlere jährliche Lufttemperatur VIII. 7Z'= 5.359° + 0:000066 D — 0.006839 (7 — 1100), wenn D seine Entfernung (in Metern) vom Göschener Tunnelportale, 77 seine Meereshöhe (gleichfalls in Metern) bezeichnet. Die (hier in Betracht kommende) mittlere Bodentemperatur des Profilpunktes ist nahe unter der Oberfläche um IX. A1= 4:032° — 0:2718 7 — 0.00174 7? grösser als die mittlere Lufttemperatur (7) Auf der Nordseite hat die rascheste Wärmezunahme nach dem Inneren unter der Andermatter Ebene bei 2800—2900 vom Portal statt: nämlich 1° auf 20-5”, die langsamste unter dem steilansteigen- den Abhang der Wannelen 4300—4400” vom N.-P., nämlich 1° auf 42,6”. Auf der Südseite hatte (zwischen O0 und 4100” vom Portal) die rascheste Wärmezunahme statt unter der Thalmulde des Sellasees 3800 bis 4200” vom 8. P., nämlich 1° auf 45”; die langsamste unter dem Steilkamm der Cima Loitamisura, 2000—2200* vom Portal, nämlich 1° auf 62,37. Es ist zwar unverkennbar, dass Wasserzuflüsse und verschiedene Gesteinsbeschaffenheit einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die localen Wärmezunahmegradienten ausüben. Ein Blick auf das Chtoniso- thermenprofil in der Ebene des Gotthardtunnels, welches ich nach den directen Beobachtungen bis 5000” vom N.-P. und 4600” vom S8.-P. im März 1878 für die Pariser Ausstellung entworfen habe, zeigt aber sofort, dass diese Gradienten vor Allem durch die Oberflächencontouren des über dem Tunnel liegenden Terrains modificirt werden. In gleicher Tiefe ist es unter Bergspitzen kälter als unter Thälern und Ebenen, theils weil die Oberflächentemperatur mit zunehmender Meereshöhe des Terrains abnimmt, theils weil unter Bergspitzen die Ge- EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 121 steinstemperatur nach dem Erdinneren langsamer zunimmt, als unter Ebenen und Thälern. Deshalb entfernen sich die Isothermallinien von einander unter allen Bergen, während sie sich unter allen T'hälern nähern. Es wäre für das Projectiren von Hochgebirgstunneln von Interesse, a priori die, verschiedenen Profilpunkten zukommenden, Wärmezunahme- gradienten nach dem Inneren ermitteln zu können; — und da die mitt- lere Bodentemperatur an einem gegebenen Punkte gleichzeitig von diesem Zunahmegradienten und von der mittleren Temperatur der Oberfläche (Luft, Wasser, Schnee) abhängt, so lässt sich die Aufgabe durch Er- mittelung der Bodentemperatur und der Luftttemperatur an der Oberfläche lösen, wie ich im 2. Theil oben eitirter Schrift zu zeigen versuchen werde. Zur Beantwortung der hier zunächst gestellten Frage genügt es jedoch, die Erfahrungen vom Gotthardtunnel direct zu verwenden. Aus den Temperaturbeobachtungen in beiden Tunnelseiten (bis 1877) habe ich folgende Gleichungen abgeleitet, um den Zusammenhang zwi- - schen Zunahme ö der Gesteinstemperatur und der verticalen Tiefe % oder der kürzesten Entfernung n unter Oberfläche darzustellen. ! XII. ö = 0:02068: 7 Xb. ö=+Y 41-6593 — 01517 + 0-00011195 2?) +6-45+0-010587% XV. 6 = 0:02159-n XIH. ö=-+Y 36:1682— 0: 1278n + 0:000102n?)+6-01+0:01016n. In Formel XV ist der normale Abstand (n) zur Oberfläche eingeführt, um dem Einfluss der Oberflächenform und der Masse des überliegenden Gebirges auf die Temperaturzunahme in kürzester Weise möglichst Rech- nung zu tragen. Die Formeln X” und XIII bezwecken indirect dasselbe. Sie drücken empirisch aus, dass die Wärmezunahme in grösseren Tiefen abnimmt, wie schon die oben citirten Extremgradienten zeigen und noch mehr ein Vergleich sämmtlicher vorliegender Beobachtungen. Doch darf man _ nicht vergessen, dass die Temperaturbeobachtungen im Tunnel nicht in verschiedenen Niveaus einer und derselben Verticalen angestellt wurden, sondern in einer (fast) horizontalen Linie unter coupirtem Terrain. ; Die in Rechnung gezogenen verschiedenen Tiefenstufen liegen also nebeneinander, und da die ihnen entsprechenden Wärmezunahme- k 1 Die Gesteinstemperatur selbst it 2=7+A+6; T wird nach VEIL be- rechnet; A nach IX.; ö nach XII; Xb; XV oder XIII. 122 F. M. StAprFE: gradienten unter den Thälern, d. h. in den verhältnissmässig geringsten Tiefen, am grössten sind, so müssen die Formeln bis zu gewissen Tiefen eine mit zunehmender Tiefe scheinbar abnehmende Wärme ergeben. Sie dürfen nicht etwa als Ausdruck des allgemeinen Wärmezunahme- gesetzes nach dem Erdinneren aufgefasst, überhaupt nicht verallgemeinert werden. Beide Formeln (X” und XIII) ergeben imaginäre Werthe für ö in Tiefen h = 382-6 bis 969-4 und n = 438 bis 799-9. Wir werden weiter unten sehen, dass in diesen Tiefengürteln der behandelten Profilstrecken horizontal verlaufende Isothermen liegen. Viele vergleichende Rechnungen und Beobachtungen haben ergeben, dass die einfache Formel XII zur Lösung praktischer Fragen völlig ge- nügt. Nur darf man bei ihrer Anwendung nicht vergessen, dass die Temperaturzunahme von 207° auf 100” oder von 1° auf 48-4" eine mittlere, allen mit dem Gotthard-Tunnel (bis 1877) unterfahrenen Terrainformen möglichst entsprechende, ist. Die Formel giebt deshalb zu hohe Werthe für Punkte unter Bergkämmen, zu niedrige für solche unter Thälern und Ebenen; und zwar können die daher entspringenden Abweichungen bis 4,94° betragen. Berechnet man dagegen nach der glei- chen Formel die mittlere Temperatur einer grösseren Tunnelstrecke, unter coupirtem Terrain, so ergiebt sie ganz richtige Resultate. Als Beleg mögen die Beobachtungen vom Jahre 1878 im südlichen! Tunnel- stollen zwischen 4613-6 und 5843-6” dienen, welche hier dem ‚VIII. Geschäftsbericht der Direction und des Verwaltungsrathes der Gotthard- bahn pr. 1878“ entlehnt sind. (Siehe Tab. VIII, folge. Seite.) Die einzel- nen nach der Formel berechneten Gesteinstemperaturen (Spalte 5) weichen zwar zum Theil um mehrere Grade sowohl von den direct beobachteten (Spalte 6), als von den aus den Lufttemperaturbeobachtungen hinter Ort ermittelten (Spalte 9) ab. Ihre Mittelzahl 29-6° differirt aber nur um 02° mit der Mittelzahl 29-4 der letzteren; und das Mittel aus den 8 direct beobachteten Gesteins- und Wassertemperaturen (Spalte 6 u. 7): 29-2°, ist genau gleich dem Mittel der 8 entsprechenden berechneten Ge- steinstemperaturen (Spalte 5). Für eine mittlere Tiefe von 2371-1” (Spalte 3) unter Terrain in 2530.8” mittlerer Meereshöhe (Spalte 2) ist die Mittelzahl der einzelnen für 100 zu 100” Tunnellänge berechneten Wärmezunahmegradienten (Spalte 10) 0-0206; oder der mittlere, aus denselben Beobachtungsdaten 1 Im nördlichen Tunnelstollen waren 1878 die normalen Wärmeverhältnisse durch Thermen sehr gestört; deshalb können die betreffenden Beobachtungen hier nicht als Beweismittel gelten. 123 EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN.. ur | 7080-0 | "dsoX ZIEH te rOF | 8-6T | 9-606 |x9080-0| F-68 6:66 | 9.68 |3-T| T-T2ET | 89-0803 | Oygaomjoggım opoygewysapen?) uogsurfy BP &-0+| C-08 | 3-68. | 5820-08-08 | 9-08 |L-08|) — | L-L3 |8-T | G-0981 | C-0173 | 006 —oosE ypeu oomz I9p !OUJIOATOZUIT 3 { allen “ Bee i : 2 3 Bopnousgsıoa zop Imezfongnf| &0| S-6T | ©0821 | #220-016-62| 2.68 | — |e-62| 2-28 |e-T| 8-Tcar | Ti | 008 —002 4ST yuoTogg9of) 94810 TO x | 9-0-| #-6T | 6-861 0850-0 4-68 | 8:66 | — — 16-13 | 8-1, 8-095T | S-0878 | 004 —009 s-0r7| 0-05 | S-I88 1880-0] 8:08 | 0:08 |L-66 | — | 7:85 |9-T | F-5661 | 8-2C75 | 009 —008 T-0O+| 6-61 | T-028 8180-0 9-68 | 7-66 | 7:66 | — | 0-68 F-T| G-ISET | 7-1675 | 004 —00F ge 20 7-.0r7| 8:08 | 1-166 1080-0] 8-68 | 9-66 | — = 1 8.66 GT | 58-8881 | 00-8745 | 007° —008 Jo9yury IE NT. usp| L-0+! G-08 | 1.986 6610-0) 9-68 | 7-66 | — — 18-08 16-0 | 9-L#7T | 7-21098 | 008 —008 -uoyoeıdsgue up UA 85-0 lee x Be : ES Be home enorm 2:05 KozuT ar lLcdt ErBr0.0 Eesd, Turc 1-88.| 8-18 |C-0 | L-ZIEL | 9.2298 | 008 —001 (9 oyedg) uaımyazaduragsurags 8-0+| 1:08 | 8-9901 | F8T0-0| 9-83 | 7-86 | — — 1 1-68 |G-O | 97-8861 | 1.8898 | 00T —0008 -aH) UOUISSEWLAS PALIPp 008 STA : 4 : BE : Free 3 f R { >= 00LE :008—00TE :006—008F 0:0 | 8-61 | 0:000T | 0610-0) 9-88 | 7-85 I-18 |8-0 | L-I97T | 81895 | 000° —-006# 10q eIqt "gz.0 supd (g ayreds) 9.0—| 8-61 | 6-776 8610-0) T-88 | 6:16 | — 16-85 | 8-08 |T-L | 9-90FT | 5-9945 | 006 —008 Ja) Ioyury uomyeıodwagyyurg ke = N - B } R= = : i i a a cd ee MESeT) Kanes 1202020 Bu803 19:80 [E22 9-68 \e-T | 0-6CET | -81ca | 008 —0o0L uoınyerodwogsutsseH OL T-0r7| 6-61 | G-918 0180-0) G-66 | 8-68 |9-88 | — | 1-66 |7-L | 8-888T | S-1675 | 002 —0097 - FI &T [d4 [23 = 6 8 R 9 g ö € & 2 E 5. » © 2, 60 ol Z rn hd Re Ba 8958 | ER edt 3 E 3 ‚®& -THaUDS| soo no BanısıH- = so |5Ss9| 4 | 8 SH 8-4 -puun © ES En: = lo len S = esole-a| \L un eg n Haaklsıdan| eo A 2 ko SlllS aan sn | ssasog|s atr|.lele Da en Sl erochn 0 ns) 2) asS SErQ| or = Ko) oeo% id) = al ® ey UTELIO], ZUBISTP "uosunylowuy Seazoreen ze sea esHi 2 n 8 Sera adıgeg| " ss agslauru| SE, |%8 = a ee le -[e}104 ee: Pas2| 553 |3E Aare & R = 3823 en ES E S 28 9 angeaod = Ss "oJopL .ı- > 6} TE) an [.1007% 4600” » 29.5 30-5227 7>41009% 5467" > 29.3° 30-4"m > 100%, 5900 % 1; 29.3° 30-822 ,72>2100%% Mittelwerthe: 15 27.5° 2 69 0 Hiergegen ergaben die am 28. März während voller Arbeit zwischen 2170 und 5900” angestellten Beobachtungen (S. 89) eine mittlere Luft- temperatur 27.4°; mittlere absolute Feuchtigkeit 27.75"®%; relative > 1009, Es ist auch vorgeschlagen worden, den Tunnelstollen durch feste kalte Substanzen abzukühlen. Moällons, welche im Winter mit — 15°&— 10° in ganzen Waggonladungen in den Tunnel geführt wurden, und an den Mauerstellen noch mit Schnee bedeckt ankamen, brachten aber nur in ihrer unmittelbaren Nähe eine merkliche Abkühlung hervor, welche circa 5” tunneleinwärts und 15” tunnelauswärts vom beladenen Waggon nicht mehr constatirt werden konnte. Deshalb scheint dies Abkühlungsmittel nicht empfehlenswerth, um so weniger, als die festen Materialien im Stollen den so nöthigen Platz versperren und die regelmässige Förde- rung stören. Ganz anders verhält es sich mit der von Hrn. du Bois-Reymond vorgeschlagenen Kältemischung aus Eis und Salz. Mit den vor der Schutterung in den Stollen geschobenen Waggons liesse sich dieselbe leicht einführen und auf der der Ladeseite entgegengesetzten Seite des Zuges abstürzen. Während des Schutterns und Ladens der Waggons wirkte dann die Kältewirkung die ganze Arbeitslinie entlang und ent- fernte sich, nach geleisteter Wirkung, ohne weiteren Arbeitsaufwand mit den Stollenwässern. Dass eine Salzlösung die Luft weniger feucht macht EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 143 als reines Wasser, hat Hr. du Bois-Reymond gleichfalls schon her- vorgehoben. Fünftens, und zum Schluss, wollen wir einige Momente betrachten, welche das Arbeitspersonal, seine Verpflegung und die Arbeits- zeit betreffen. Die in einem warmen Klima aufsewachsenen Italiener, welche Gru- benarbeiten mit einer gewissen Vorliebe, Geschick und Ausdauer ver- richten, liefern für europäische Tunnelarbeiten einen ebenso werthvollen Arbeiterstock, als mexikanische und südamerikanische Indianer für ameri- kanische. Bei Negern habe ich weder Vorliebe noch besonderes Geschick für Grubenarbeiten wahrnehmen können. Dass der Volksschlag, aus wel- chem die Tunnelarbeiter rekrutirt werden, bei dieser Frage allerdings eine Rolle spielt, beweist z. B. die Verwendung von Eingeborenen als Heizer auf Kriegsschiffen, welche das Rothe Meer befahren (S. 79). Bei einem langwierigen Tunnelbau, welcher während seines Fort- schrittes in wärmeres und wärmeres Terrain führt, sollte man die an- fangs angeworbenen Arbeiter für die ganze Bauzeit beizubehalten suchen, so dass sich ihr Organismus allmählich den ungünstigen Verhältnissen accommodirt, unter welchen die Arbeit stattfindet. Hinsichtlich der zweckmässigsten täglichen Arbeitszeit habe ich noch keine feste Ueberzeugung gewonnen. Die im ersten Abschnitt mit- getheilten Gutachten von Physiologen und Aerzten heben kurze Aufent- haltszeit als Bedingung für die Möglichkeit der Arbeit bei hohen Tem- peraturgraden hervor; und dies ist ohne Zweifel richtig, sobald es sich um Temperaturen handelt, für welche der menschliche Organismus über- haupt nicht geschaffen ist, bei welchen also regelmässige Tunnelarbeit ausgeschlossen ist, bis Mittel gefunden sind, die hohen Temperaturen wirksam und sicher zu mässigen. Ist dies Ziel erreicht, so befinden wir uns ungefähr unter denselben Verhältnissen, welche gegenwärtig im Gotthardtunnel herrschen. Unter solchen scheint mir aber eine S- (bez. 12—14)-stündige Aufenthaltszeit nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus hygienischen Gründen gerechtfertigt. — Ich brauche gegen- wärtig wenigstens zwei Stunden, um an meinen Arbeitsplatz im Richt- stollen des Tunnels zu kommen, und ebensoviel Zeit zur Rückkehr. In den ersten Stunden nach der Ankunft fühle ich mich meist so unbehag- lich und erschöpft, dass ich nicht anhaltend arbeiten kann. Später legt sich dies Unbehagen und ich kann 2—3 Stunden ohne besondere Er- müdung schaften. Es ist also etwa 7—9stündiger Aufenthalt im Tunnel nöthig, wenn man daselbst etwas ausrichten, und sich nicht nur den Unbehaglichkeiten des Tunnels aussetzen will. Nach mehreren solchen aufeinanderfolgenden „Tunneltagen“ treten allerdings Erschöpfungs- und 144 F. M. Stuprr: Erkrankungsfälle ein, welche vielleicht ebenso verderblich sind, als der Tunnelaufenthalt an und für sich. Möglichst völlige Entkleidung während der Tunnelarbeit befördert das Wohlbefinden sehr wesentlich, wie ich mich in neuerer Zeit durch Versuche an mir selbst überzeugt habe. Dies gilt wenigstens, so lange die Lufttemperatur die Körpertemperatur noch untersteigt, so lange also Bekleidung eine Abkühlung des Körpers durch Strahlung und Leitung verzögert. Es ist wohl möglich, dass die an mir angestellten Tempe- raturbeobachtungen (erster Abschnitt) andere Resultate ergeben hätten, wenn ich während derselben nackt gewesen wäre. Eine ganz entgegen- gesetzte Wirkung könnte aber Bekleidung hervorbringen, wenn die Luft- temperatur die Körpertemperatur übersteigt, nämlich Verzögerung der Wärmeübertragung von der Luft auf den Körper. Warum arbeiten die mexikanischen Halbindianer in doppelten Filzhüten und dicken Klei- dern vor den schottischen Bleiherden, und warum tragen manche Araber- stämme auch im Sommer Schafpelze, wenn nicht, um die äussere (strah- lende) Wärme vom Körper abzuhalten ? Die Arbeit in einem Tunnelstollen, welche nur durch künstliche Ab- kühlung desselben ermöglicht werden kann, setzt nahe hinter der Arbeits- stelle Räume mit solchen atmosphärischen und Temperaturverhältnissen voraus, dass sie eine Restauration erschöpfter Arbeiter gestatten. Solche Räume lassen sich am Anfange des Stollens etabliren, bis wohin nach unserer Meinung der Tunnel fertig sein sollte, ehe die eigentlich kri- tische Stollenarbeit beginnt. Hier könnte man gut ventilirte, gehörig abgekühlte, nach Befinden mit mässig comprimirter (trockener) Luft ge- füllte Kammern etabliren, in denen die Leute vor der Ausfahrt einige Zeit verweilen, sich trocknen und völlig umkleiden müssten. Bezüglich der Nahrung enthalten die im ersten Abschnitt mitge- theilten Briefe auch einige Winke. Die Leute sollen sich mit Fleisch- kost nähren; während der Arbeit vor Ort Eispillen mit wenig Schnaps nehmen u. s. w. Stets sollte nahe der Arbeitsstelle ein hinreichender Vorrath frischen Wassers sich befinden, weniger zum Trinken, als zum Waschen von Handgelenken und Schläfen. Als Getränke im Tunnel scheint kaltes Wasser verwerilich. Auf den Kriessschiffen hütet man die Heizer vor kaltem und vielem Trinken und giebt ihnen offieiell Haferschleim, Theeabkochungen, Limonade, zeitweise einen Schnaps; woneben sie sich Kaffee und zum Brodwasser einen Zusatz von Wein oder Rum zu verschaffen suchen. Auf Reisen in den heissen wasser- armen Steppen des südlichen Texas und nördlichen Mexiko hat mir Kaffee das zuträglichste Getränk geschienen, selbst dünner, welcher tage- lang in der Kürbisflasche mitgeführt worden war. In schwedischen Eisen- EINFLUSS DER ERDWÄRME BEI TUNNELBAUTEN. 145 und Kupfergruben lässt man die Arbeiter Dünnbier trinken, damit sie den Genuss von Wasser vermeiden. Im Gotthardtunnel mischt man den Zugthieren Mehl in das Trinkwasser. Die Schutter- und Maschinen- posten, welche oft 14 Stunden im Tunnel verweilen, nehmen daselbst ihre einfachen Mahlzeiten ein, wozu sie Rothwein und Wasser, sehr selten Spirituosa geniessen. Dass bei der Ausführung von Hochgebirgs-Tunneln in heissem Ter- rain die Kostenfrage, selbst die Zeitfrage, oft Nebenfragen werden ‚dürften, liegt in der Natur der zu lösenden Aufgabe. Nicht dadurch, dass man die Schwierigkeiten einer zu lösenden Auf- gabe leugnet, oder unterschätzt — oder als leicht zu überwindende Baga- telle hinstellt, führt man die Aufgabe ihrer Lösung näher; sondern nur, anchdem man die Schwierigkeiten ermittelt, genau geprüft und sodann die Mittel abgewägt hat, über welche man zu ihrer Ueberwindung ver- fügt, kann man mit Aussicht auf Erfolg einen Kampf gegen diese Schwierigkeiten wagen; denn — „die erste Bedingung einer rechtmäs- sigen und zweckdienlichen Kriegsführung ist die, dass über den Feind keine Irrung herrsche!“ Aus diesem Gesichtspunkte urtheilend, wird Niemand die vorstehende Studie als einen gegen Hochgebirgs-Tunnel geführten Streich auflassen, sondern vielmehr als eine objective Kritik, durch welche die sichere - Ausführung solcher Arbeiten vielleicht gefördert, aber nicht gehemmt werden kann. ‘ Airolo, 1. Mai bis 3. September 1879. Archiv f. A, u. Ph, 1879, Suppl,-Band z. Physiol. Abthlg. 10 Bemerkungen über die Dioptrik der Krystalllinse und die Periskopie des Auges. Von Dr. Schoen, Privatdocent an der Universität Leipzig. Der Arbeit Hermann’s über den schiefen Durchgang von Strahlen- bündeln dureh Linsen sind schnell eine Reihe anderer gefolgt, welche hauptsächlich die Periskopie des Auges behandeln. Hermann sprach die Meinung aus, dass man selten fehl gehe, wenn man bei einer noch unverstandenen Einrichtung nach der Zweckmässigkeit derselben forsche. In der That müssen ja die causae effieientes der Darwin’schen Theorie schliesslich zu demselben Resultate führen wie die causae finales der teleologischen. Nur wird man im Zweifel darüber sein können, was denn wirklich das Zweckmässigste im Einzelfalle sei, und es scheint mir durchaus nicht sicher, ob Periskopie schlechtweg als die zweckmässigste Einrichtung des Auges bezeichnet werden darf. Wollte die Natur ein kleines, handliches, leicht bewegliches, für Nähe und Ferne einstellbares Gesichtsorgan mit möglichst grossem Gesichtsfelde herstellen, so war die Kugelform des Auges mit linsenförmiger, in ihrer Form veränderlicher Linse das einzig Mögliche. Dadurch war wiederum die Annäherung der Seitentheile der Netzhaut an die brechenden Medien bedingt. Sollte nun überhaupt ein einigermaassen brauchbares Bild auf der Netzhaut zu Stande kommen, so mussten die brechenden Medien in der seitlichen Richtung stärker brechen. Dass soweit Periskopie wirklich vorhanden ist, kann nicht mehr bezweifelt werden. Geht man darüber hinaus, so tauchen verschiedene Punkte auf, welche einzeln untersucht werden müssen. Biconvexe homogene Linsen brechen seitliche Strahlenbündel astig- matisch. Ist zum Begriff der Periskopie oder überhaupt zu dem der „weckmässigsten Einrichtung des Auges erforderlich, dass dieser Astig- SCHOEN: DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AuUGESs. 147 "matismus beim menschlichen Auge vorhanden oder ganz oder theilweise beseitigt sei? Ist zweitens Periskopie so zu verstehen und gehört es zur zweck- mässigen Einrichtung des Auges, dass bei normal-kurz- und übersichtigen Augen die Fernpunkte der seitlichen Netzhaut jedesmal in derselben ‚Entfernung wie der centrale Fernpunkt liegen ? Gehört es drittens zur Periskopie und ist es zweckmässig, wenn die seitlichen, deutlich gesehenen Punkte sich beim accommodirten Auge ebenfalls in einer concentrischen, durch den Fixationspunkt gehenden Accommodationssphäre befinden? Wie ist endlich das Verhältniss für das binoculare Sehen und das Doppelsehen ? Die meisten Schriften zielen dahin, das Vorhandensein vollständiger - Homocentrieität schiefer Strahlenbündel beim Durchgang durch die thie- rische Linse und die Zweckmässigkeit einer solchen Einrichtung darzu- thun. Diese Meinung konnte ich nicht theilen, weil einmal meine Ex- perimente an Thierlinsen ein anderes Resultat ergeben hatten und zwei- tens eine Ueberlegung der eben aufgeführten Punkte eine derartige Peri- skopie gar nicht einmal wünschenswerth erscheinen liess. Für das em- metropische accommodationslose Auge wäre die Einrichtung allerdings zweckentsprechend, hinsichtlich aller fernen Gegenstände. Trotzdem ist auch hier eine grosse Schärfe der Bilder zwecklos, denn das räumliche Sehvermögen der seitlichen Netzhaut ist ein sehr stumpfes und vermag nur grobe Umrisse wahrzunehmen. Hätte die Natur wirklich die Ein- richtung getroffen, dass auf der Netzhautperipherie gleich scharfe Bilder wie im Centrum zu Stande kämen, so müssten wir das als verlorene Mühe ansehen. Sehr wenige seitliche Gegenstände befinden sich ausser- dem in derselben Entfernung vom Auge wie der Fixationspunkt. Hinsichtlich des zweiten Punktes liest es auf der Hand, dass es durchaus nicht als besonders zweckmässig bezeichnet werden kann, wenn kurz- und übersichtige Augen seitlich ebenso übersichtig und kurzsichtig wären, wie im Centrum. Denn auch für Letztere liegt keine Zweck- mässigkeit vor, weil für die Arbeiten in der Nähe das periphere Sehen fast gar nicht gebraucht wird. Da überdiess meistens Kurzsichtigkeit erworben ist und zwar auf dem Wege eines krankhaften Processes, so besteht die grosse Schwierigkeit, die verhältnissmässige Verlängerung der seitlichen Axen zu erklären. Endlich würde das, was dem einen Auge in voller Schärfe erschiene, wegen der Form des Horopters dem anderen doch undeutlich bleiben. Für nicht normalsichtige Augen kann Peri- skopie in dem Sinne, dass die Fernpunkte der seitlichen Netzhaut in derselben Entfernung wie der centrale Fernpunkt liegen, nicht als zweck- mässig gelten. 10* 148 SCHOEN: Das Gleiche ist im Hinblick auf die Accommodation zu sagen, die- selbe hat Werth nur für das centrale Sehen, einmal, weil die Stumpf- heit der Seitentheile doch keinen Vortheil aus einem schärferen Bilde zu ziehen vermöchte, dann, weil wir das periphere Sehen niemals für die Nähe benutzen. Wir setzen den Accommodationsapparat nicht in Thätig- keit um einen seitlich gelegenen Gegenstand deutlicher zu sehen, ohne das Auge auch nach diesem zu richten. Grosse Schärfe peripherer Bil- der würde auch zu störendem Doppelsehen wegen der Form des Horop- ters führen. Man darf annehmen, dass die peripherische Netzhaut anatomisch nicht so vorzüglich von der Natur ausgestattet wurde wie die Macula, weil die unvermeidlichen Doppelbilder dann wegen der Schärfe ihrer Umrisse sich in sehr störender Weise bemerklich gemacht haben würden. Es scheint somit nicht leicht, klar zu stellen, was als die zweck- mässigste Einrichtung angesehen werden soll und ich habe daher von vornherein grossen Werth auf die experimentelle Untersuchung von Thier- linsen gelegt. Die ersten Resultate solcher Untersuchungen sind mit- getheilt: Ueber die Brechung seitlich einfallender Strahlen u. s. w. Sitz.- Ber. der ophth. Ges. Monatsblatt f. Augenheilk. 1877 und Arch. f. Ophth. 1877. XXIV. I. S. 94 und IV. S. 91. Die Lehre vom binocularen Sehen. Das Ergebniss war, dass vollständige Homocentricität schiefer Strahlen nicht vorhanden ist, und dass die Zweckmässiskeit in anderer Richtung gesucht werden muss. Die astigmatische Brechung schiefer Strahlen in Thierlinsen. Ich habe eine Reihe frischer thierischer Linsen auf Astigmatismus untersucht und Messungen an denselben angestellt. Es ergab sich, dass dieselben nicht völlig periskopisch waren, und von seitlichen Gegen- ständen deutlich astigmatische Bilder lieferten. Vom Vorhandensein der astigmatischen Brennlinien kann man sich mit blossem Auge über- zeugen, indem man ein Blättehen Papier in die Nähe der Linse hält. Will man Messungen anstellen, so legst man die vorsichtig mit der Kapsel aus dem Auge genommene Linse auf ein kleines Diaphragma, die Vorderfläche nach unten, so dass der Rand der Linse aufliegt, und bringt unterhalb einen Leuchtpunkt an. Der Tubus eines umlegbaren Mikroskopes wird dann nach einander auf die I. und I. Brennlinie und die mit ein wenig Calomel bestäubte Hinterwand der Linse ein- gestellt. Der Tubus des von mir angewandten Mikroskopes hat eine DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AUGES, 149 Verschiebung von 5”", die Schraube macht dabei 12 Umdrehungen. - Auf jede Umdrehung kommen somit 0-41”®, Ich habe auch die Winkel des eintretenden und austretenden Strahlenbündels bestimmt. Das Dia- phragma war um eine horizontale Axe drehbar und der Drehungswinkel an einem Quadranten abzulesen; ebenso gab ein an dem Öbjeettische des Mikroskopes befestister Quadrant den Neigungsgrad desselben an. Die meisten Messungen sind annähernd unter dem Winkel von 60° an- gestellt, den Berechnungen wurde daher auch dieser Winkel zu Grunde gelegt. Vergleichen wir die gefundenen Zahlen mit den von Hermann berechneten (S. 23, a. a. O.), so ergiebt sich bezüglich des Schweins- auges, dessen Constanten den von Hermann in die Rechnung aufge- nommenen ungefähr entsprechen, eine ziemliche Uebereinstimmung. Bedeutender ist die Abweichung bei den Ochsenlinsen. Nach Her- mann’s Formeln S. 16, 22 und 23 berechnet wären für Ochsenlinsen folgende Zahlen zu erwarten. Wir setzen: Beschmescindex/der Cortiealis,. . . .. .,... „Mm... ,m=' 1:3 “ des Kernes . . . DE Radius der ganzen als symmetrisch angenommenen ae Le Axendicke der Linse. . . el Radius des kugelförmig nase en De EG Eintallswankele mit der Axeı..u . mer... 20. 0a A bl und nehmen an, dass das Strahlenbündel durch den optischen Mittel- punkt der Linse geht. Der Austrittswinkel mit der Axe ist in diesem Falle = A = 60°, die Winkel mit dem Lothe ausserhalb der Linse p = 30, die Winkel mit dem Lothe innerhalb y = 22°, die Weglänge des Strahles in der Linse d= 15-2 "®, Der Werth &=Y m? — sin’ — cos _ wird = 0-334. Nach dieser Berechnung ergiebt sich die Entfernung des centralen Brennpunktes von der Hinterfläche der Linse = 8: 1vm,! was nach meinen Messungen an den Ochsenlinsen der Wirklichkeit entspricht. Ich fand durch Messungen an 8 Ochsen- und 5 Schweinslinsen folgende Mittelwerthe: Ochsenlinse: Schweinslinse: ME Br! II. Brl. Brennstr. Brke U. Berl.) Brennst® 1-5 5-6 Den! 0-8 2-1 1-3 ! In der Mittheilung im Archiv f. Ophth. steht hier irrthümlieh em. 150 SCHOEN: Berechnet nach Hermann’s Formel wären zu erwarten gewesen: für zusammengesetzte Linsen: Schweinslinse. Br! II. Brl. Brennstr. 1. Brl. : 1L-Brl 2Brennsbr 34 4-5 1-1 1:06 1.297 0-91 für homogene Linsen: 3-0 Dede 2-3 0-9 2-6 1-7. Die Zahlen bezeichnen die Entfernung von der Hinterfläche der Linse in Millimetern und zwar für ein unter einem Winkel von 60° zur Linsenaxe eintretendes Strahlenbündel. Die Entfernung, in welcher Kieler: Kier2 0er sich der Leuchtpunkt bei den Experimenten befand, wechselte zwischen 65, 86, 130 und 305°“. Ich habe die Versuche kürzlich noch einmal * in etwas veränderter und verbesserter Weise wiederholt, Der Leucht- punkt (ein rundes Loch von 6%” Durchmesser in einem Schirme dicht vor einer Petroleumflamme) befindet sich vorn und unten in einer Ent- fernung von 418°“ vom ÖObjecttische des Mikroskopes. Die von dem- selben ausgehenden Strahlen bilden beim Durchtritt durch die Oefinung des Tisches mit der Senkrechten einen Winkel von 76°. Im Uebrigen verfuhr ich wie früher. Beistehende Skizzen geben eine Vorstellung von dem Aussehen der II. in der Einfallsebene und I. senkrecht zu derselben stehenden Brenn- linse bei schwacher Vergrösserung. Hartnack, Obj. 4, Oc. 2, eingesch. Tubus. Die Il. Brl. besteht aus einem Bündel heller Lichtlinien, die nach unten sich ein wenig ausfasern, umgeben von viel schwächeren ! Die genauen Zahlen befinden sich im Archiv f. Ophth. XXIV. 1877. 1. 8.9. _ DioPTRIk DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AUGES. 151 Streifen. Die I. Brl. besteht aus einer hellen nach unten scharf be- grenzten Linie; nach oben schliesst sich an dieselbe noch eiu schmaler rasch an Intensität verlierender Saum an. Beide Brl. schillern in allen Farben. Der Einfallswinkel betrug 60°. Bei den weiteren Versuchen wurden statt eines Lichtpunktes deren zwei angewandt, die sich von der Linse in einer Entfernung = 418°" befanden. Ihr Abstand untereinander betrug 20°”. Zuerst lagen die - beiden Leuchtpunkte in einer Horizontalen nebeneinander. In den II. Brennlinien erscheinen die beiden Leuchtpunkte als zwei nahezu 40”® von einander entfernte senkrechte Linien. Die I. Brenn- linien sind nicht gesondert, fallen vielmehr zum grössten Theile auf- einander. II. Reihe. Das- Resultat der Messungen an 6 Linsen ist folgendes: Eintritts- Austritts- Behr: II. Brl. Brennstr. Entfernung der winkel winkel Hinter der Hinterfläcke beiden II. Brl. von mit der. Linsenachse. der Linse. einander. Bildgrösse A h, am Ort der II. Brl. 69 55 0.61 4.1 3:48 42.5 69 55 0.82 4.1 3.28 40.5 59 45 1.84 4.51 2-67 43 56 42 2.87 4.92 2.05 36 49 35 3.48 4.92 1.44 41.5 Mittel: 1.92 A510 07 2:38 40.7 [ t Da die Vergrösserung eine 7Ofache (Hartnack, Obj. 4, Oc. 2, aus- gezogener Tubus) und die scheinbare Entfernung der zwei II. Brl. im Mittel = 40.7 "m war, so betrug die wirkliche Grösse des durch die Ochsenlinse von den beiden. horizontalen Leuchtpunkten entworfenen Bildes 0.58 vm, Bei den folgenden Versuchen lagen die Leuchtpunkte in einer Senk- rechten ebenso wie oben von einander und von der Linse entfernt. Ill. Reihe. Entfernung der I. Brl. von einander. Bild- A 7 eBbrl. IL: Brl.% Bildstr. erössen in der I. Brl. biez=557 0-84 4-3 9:48 29 58 50 1.64 4.92 3:28 33 Dez 71.84 4-7 2.87 80 44 38 1-64 4:92 3:28 32 Mittel: 1.49 4.71 3.22 Scheinbare Grösse: 31 Wirkliche ; 0.44 152 SCHOEN: Bei dieser letzten Versuchsreihe mit senkrecht übereinanderliegenden Leuchtpunkten erscheinen zwei horizontale I. Brennlinien mit einem wirklichen Abstande untereinander von 0-44 "m, Dagegen deckten die II. Brennlinien der beiden Leuchtpunkte sich zum grössten Theile und bildeten eine einzige senkrecht gelesene. Diese beiden Versuchsreihen sind sehr zuverlässig. Bei Linsen von einem nicht ausgewachsenen Rinde fand ich folgende Zahlen. Verticale Leuchtpunktee Die Messungen konnten nicht oft wiederholt werden, weil die Linsen bald unbrauchbar wurden. IV. Reihe. 2 A, Nobel. Int, Abi, Bildstr. 60 52 2:26 4-92 2-66 - 50 42 3:69 5.74 2:05. Zur Controle berechnen wir aus der Bildgrösse, d. h. der Entfernung der zwei I. (bez. II.) Brennlinien unter sich im Verhältniss zu der des Objectes, d. h. dem Abstande der Leuchtpunkte unter sich, die Lage des Mittelpunktes der Linse und die Länge der Brennstrecke. Die wirkliche Grösse des Bildes der in einer Horizontalen gelegenen Leuchtpunkte, am Orte der zweiten Brennlinien, also die Entfernung der zweiten Brennlinien unter sich ist = 0:58“. Also: 200. :4180 = 0-58: 2, oder 2, = 12-122. Dies ist die Entfernung der II. Brl. vom Mittelpunkte der Linse Die ersten Brennlinien geben von in der Horizontalen gelegenen Leucht- punkten kein differenzirtes Bild. Die wirkliche Grösse des Bildes der in einer Verticalen gelegenen Leuchtpunkte am Orte der ersten Brennlinien, also die Entfernung der ersten Brennlinien unter sich ist = 0-44=m. Also: 200 : 4180 = 0-44 :x2, oder &, = 9-19. Dies ist die Entfernung der I. Brl. vom Mittelpunkte der Linse. Die zweiten Brennlinien geben von in der Verticalen gelegenen Leucht- punkten kein difierenzirtes Bild. 2 a 10127 92192293 ist die Länge der Brennstrecke, was genau genug stimmt. Aus dem Werthe der II. Brl. berechnet musste sich der Mittel- punkt 12.12 — 4:51 = 7-61 vor der hinteren Linsenfläche befinden, aus dem Werthe der I. Brl. würde man 9.19 — 1.49 = 7.7 erhalten. Das Mittel ist also 7-65. ’ DIoPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Augzs. 153 Da nun die Weglänge des Strahlenbündels in der Linse ö = 15:2 "m ist, so giebt die Zahl 7.65 vor der Hinterfläche in der That den Mittel- punkt der Linse, was mit unserer Voraussetzung (s. oben) und mit der Wirklichkeit stimmt, da nach Matthiessen (Pflüger’s Archiv u. s. w. 1879. 8. 549) die beiden Hauptpunkte für centrale Strahlen fast genau gleich weit von den Linsenflächen abliegen (5.7 und 5-8") und von ein- ander nur 0-44 mm entfernt sind. Endlich habe ich noch eine Versuchsreihe mit vier Leuchtpunkten "gleichzeitig ausgeführt, deren Stellung die eines auf der einen Ecke stehenden Viereckes war - “ -; Maasse und Entfernungen wie früher. Am Orte der I. Brl. erhält man drei horizontale Brennlinien, von denen die mittlere Rechts und Links hervorragte, am Orte der II. Brl. drei g senkrechte; hier reichte die mittlere nach oben und unten über die seitlichen hinaus. V; Reihe. | Bildgrösse in '9 A Tbrl. = Brl. Brennstr. I. Brl. I. Brl. Bi: 70 1-08 en: Dis 30 41 mA, 60 0-8 er 28 38.5 ws 55 121 Sl, DESdaE 28:25 240 m 55 2-05 33 09961.) 29-5 1339 9 45 2-46 33 01-84, 4 29-5 Klndl 9 1-51 2035 29-1 40 scheinbare Grösse. 0.41 0-57 wirkliche o BE Berechnen wir auch hier aus den Bildgrössen die Entfernungen ‚ vom Mittelpunkte der Linse. Zu 50 a 2, — 2 = 3:36 Brennstrecke. Be 5 = Tl Dnsfermmms des Mittelpunktes der Linse 11-91 —3-94 = 17: 9 von der Hinterfläche. Bringt man die vier Bekehinunkte in grössere Entfernung, so kann ' man stärkere Vergrösserungen wegen der Abschwächung des Lichtes ' nicht mehr anwenden, bei schwächerer treten aber die Brennlinien sehr ‘ deutlich hervor, wenn es auch wegen der geringeren Entfernung der ' Linien von einander im Gesichtsfelde des Mikroskops nicht möglich ist, 154 SCHOEN: die Bildgrössen mit hinreichender Genauigkeit zu messen. Die Leucht- punkte befinden sich in 10” Entfernung, die Strahlen bilden mit der Verticalen an der Oefinung des Objecttisches einen Winkel = 85°. Die Leuchtpunkte erscheinen bei 20maliger Vergrösserung am Orte der II. Brl. als drei dicht nebeneinander liegende senkrechte Linien, am Orte der I. als ebensoviele horizontale. Die mittlere ist jedesmal länger als die beiden anderen, weil sie aus zwei sich theilweise deckenden Brl. zweier Leuchtpunkte besteht. Die Einstellung ist hier mit grösster Ge- nauigkeit auszuführen. Wenn der Austrittswinkel mit der Achse 4, kleiner als 35° wird, ist kein deutlicher Astigmatismus mehr vorhanden. Derselbe hört schon bei 40° auf, gut messbar zu sein. VI. Reihe. A h Br! IOBrl B.S. 80 65 0-0 4°5 4-5 Zr 62 0-61 4-1 3.49 75 60 0.0 5) 5-3 79 60 0-41 3.9 3-48 75 55 0.82 3:69 2-87 12 57 0-41 Ar] 3:69 2 5 1:03 3-9 2.87 12 57 1:23 3:69 2-45 70 55 0-41 4-5 4-1 70 53 0-41 4-1 3.69 68 55 0-82 4-1 3:28 65 50 0-82 4-3 3:48 65 50 1:64 4-3 2-66 65 50 1723 4-3 3-07 62 47 2-05 4-5 2-46 60 45 2-46 3.69 1-25 60 45 2:66 3:9 1-23 60 45 2-87 4-92 2-05 59 44 2-87 4-92 2-05 57 42 2-66 4-5 "1-85 55 40 3:28 Jeil 1-85 Mittel: 67° 52 1:36 4-3 3.0 DIoPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 155 Fassen wir alle für die Ochsenlinse gefundenen Werthe zusammen: Gefunden: Mittel: 34 4:5 1-1 zusammengesetzte) .. Kid en 3-0 5-3 2.3 homogene } Linse hei a,— 60". 1-5 4:6. 3-1 1. Reihe 1. Leuchtpunkt A. f. O. XXIV. 1877. 1. 8. 195 Dale 2288, 2... 2 u horizontal. Bas 22 3, „2 7 vertical. Baagsensaal 2°201 A, D, Er vertical. ag 35 5,‘ R SE RE a ER re: r 18 45 2-8 h Im Auge des lebenden Thieres wird die Linse wahrscheinlich weniger kugelig sein und dürften die Zahlen daher besser auf ein accommodirtes Auge, als auf ein ruhendes passen. In folgender Tabellle sind die in diesem Aufsatz mitgetheilten Zahlen nach den Einfallswinkeln zusammengestellt. = 84 80 77 75 75 75 174 12 02. 12 70 70 69 69 69 69 68 77 62 a 62 69 99 SI oa I Tabelle A. | I. Brl | | II. Brl. | B.-S 03 3-5 2-46 0 5-3 | 5-3 61 4-1 | 3-49 0 05| 53 4-2 |. 5:32 713-6 Aa m rar TE ea | So 82 3-69 2-87 81 3-5 2-66 41 3-9 3-69 03 3-69 2-87 13-3 23 10.7| 4-3 4-1, 2-46, | 7 Ab Ta IA Aug, 41 4-1 3-69 61 4-1 3-48 82 4-1 | 3-28 |3-05 2029 5 Aria dan 2587 05 ra | 2 82 4-1 \ 3-28 SEDEZESEE 156 SCHOEN: Tabelle A. (Fortsetzung.) . M ul |... aan BA. | 65 | 50 0-82 | 4-3 4.48 | 65 | 50 102 1 2-66 65 | 50 1-23 I 4-3 3-07 Br 2.00 | 0. 2-46 Sir | 585 0-84 Be 3-48 60 | 52 5 2:26 | 4-92 2-66 60 | 45 ver Ealwere 60 | 45 E66 3 1.23 60 | 45 Be, den 2-05 59 | #5 1-84 | 4-51 2-67 59 | 4 2-46 4-3 1-84 59 | 44 2-87 4-92 2-05 58 | 50 1-64 4-92 3:28 Do > 2-66 4-5 | 1-85 60 79 a 4-92 NEE ea eine =. | 1-84 4-7 2-87 49 | 3 3-48 4:92 1-44 44 |.88 1:64 | 4:92 s228 Zur Vergleichung diene eine ähnliche Zusammenstellung der in meinen ersten Arbeiten gegebenen Zahlen. Tabelle B. ————————— u u N A. | m Brennstr. I. Brl. 79 60 | IE SICOAN 0-82 79 | 55 m 4-1 4:5 1-03) 00-6 75 60 59 4-91 0-41 | 5-33 0-0 74 Corn 2-78 1:64 74 a. A Na 0:82 1:4 den 2:5 | 2-46 1-84 | DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 157 Tabelle B. (Fortsetzung) 1 h, z Bildstr. I. Brl. 70 1..60=«) | 74-51 | 0-41 70 | 60 Br 431 4-3 0-0 0-7 69 | 50 DT |. 3:69 zn A 68 | 50 WE ADT. * | 04 60 |, 60 3:69 0-41 58 | 46 En 2-87 1:23 mn | 28 Mer) 20 |1s 55 | 50 2-46 2-05 5 40 ee 3-28 5A 252 3-28 1-64 54 | 45 2-46 2-46 54 | & Dr 110995 54 | 40 59 1:64 | IE 53 | 40 14 an aa ara 0 2-3 52 |. 3:98 | 1252205 2 | 4 300 Ken et 48 | 45 2-87 2-05 | A 2-05 3-69 Die Resultate der Tabelle A sind in der Fig. 3 vergrössert dar- gestellt. Als Constanten der Ochsenlinse sind angenommen: Radius der Vorderfläche = 13-75, der Hinterfläche 10.25, Ochsendicke = 12, Entfernung des hinteren centralen Brennpunktes = 8" von der Hinter- fläche. Die Strahlen a@dcdf fallen unter den Winkel A, mit der Achse VF von 77, 71, 69, 61 und 52° auf die Linse. Ihre Trajectorien an derselben sind von den beiden ersteren Strahlen angedeutet. Sie treten unter den Winkeln von 62, 56, 55, 47 und 42° mit der Achse aus. Die Austrittswinkel sind kleiner als die Eintrittswinkel. Die Differenz variirt zwischen 15 und 10 Grad. Auf diesen Strahlen ist der jedes- malise Ort der I. und II. Brennlinse angegeben. Unter 40° mit der Achse hört der Astigmatismus auf messbar zu sein. Der wahrschein- liehe Ort der Brennlinien in diesem Bereiche ist durch punctirte Linien angezeigt. Es ist also zweifellos, dass das Thier zwei seitlich in der Einfalls- ebene gelegene Leuchtpunkte nicht getrennt sieht, wenn seine Netzhaut 158 SCHOEN: sich am Orte der II. Brennlinse befindet. Ebenso wenig kann es zwei Leuchtpunkte unterscheiden, welche in einer zur Einfallsebene senk- rechten Linie liegen, wenn die Netzhaut sich am Orte der I. Brenn- Fig 3. linse befindet. In beiden Fällen würden sich nämlich die Brennlinien zum Theil auf der Netzhaut decken. Mit Einfallsebene bezeichnen wir die durch die Linsenaxe und den vom Object ausgehenden Einfallsstrahl geleste Ebene. (Die beiden Leucht- punkte sind nur ein Object.) Die astigmatische Brechung schiefer Strahlen im mensch- lichen Auge. Unter der Voraussetzung, dass beim menschlichen Auge ebenso wenig wie bei der ÖOchsen- und Schweinslinse der Astigmatismus vollständig beseitigt sei, hatte ich der Veranschaulichung wegen die Lage der Brenn- linie im menschlichen Auge berechnet für ein unter einem Winkel von 60° zur Achse auf die Linse auffallendes Strahlenbündel und dabei dem | DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 159 accommodirten und nicht accommodirten Auge folgende Werthe zu Grunde gelegt.! Der centrale Fernpunkt des accommodirten Auges befindet sich 155 ”",m vor der Hornhaut. j LAUSHIS CI, loan Ta a nenne 4-0 Vorsorgen. na. 100 b*b Zonsremna reed 5-0 Brechungs-Index des Hum. aqueus u. Glaskörpers 134 1.3: 5 Ftorale der Linse... =... ..... 1.45 1-45 De en... 600 60° 0.0, ,.450 550 ln. 390%. 990 Es. ergeben sich folgende Werthe: 1. Brl. II. Brl. Brennstr. Nicht aecommodirt. | 8.7 edel OR | 3:4 (Ferne Leuchtpunkte.) Accommodirt. | M “| 8-22 Wa.2) 10-7 2.5 (Ferne Leuchtpunkte.) eo 9.5 | \ 8.9 12.2 2.9 (In der Accommodationssphäre gelegene Leuchtpunkte.) Den Ort der Netzhaut an dieser Stelle (60° nahm ich nach eigenen Messungen auf 9 bis 10“=® hinter der Hinterfläche der Linse an. Hiernach wäre die Netzhaut innerhalb der Brennstrecke bei accom- modirtem sowohl wie bei nicht accommodirtem Auge gelegen gewesen. Fick (Pflüger’s Archivu.s.w. 1879. II. u. II.) dagegen glaubt, dass die Netzhaut in der Nähe der zweiten Brennlinie sich befinde und meint, dass in der That die Netzhaut des Helmholtz’schen schematischen Auges mit der Lage der zweiten Brennlinie zusammenfalle. Er schreibt nur der I. Brl. Bedeutung zu, wegen der schrägen Stellung der Pupille zum Strahlenbündel. Matthiesen (vergl. Pflüger's Archiv u.s.w. 1879. II.u. Ill. S. 480) findet dieLage der Brennlinien für das nieht aceommodirte Auge, so wie ich sie berechnet habe. Er benutzt als Beispiel ebenfalls ein unter 60° aufiallendes Strahlenbündel. Die zweite Brennlinie, deren Berechnung er nicht ausführt, liegt ausserhalb des Auges, die I. Brl. 9-1 hinter der Linse. Den Ort der Netzhaut nimmt Matthiesen mit 11.2 hinter der IA.2.0. 2 In der ersten Veröffentlichung findet sich hier ein Versehen, 160 SCHOEN: Linse an. Im accommodirten Auge liegt die I. Brl. 8-2 hinter der Linse, also genau wie nach meiner Berechnung, die II. Brl. soll sich auch hier ausserhalb des Auges befinden. Nach meiner Berechnung würde sie gerade in die Netzhaut selbst fallen. Die Entscheidung der Frage kann nur das Experiment liefern, weil die Rechnung genöthigt ist verschiedene Werthe und namentlich Richtungen gebrochener Strahlen ohne genaue Kenntniss annähernd einzuführen. Wer die Verschiedenheit der Augenform bei den einzelnen Refractions- zuständen berücksichtigt, muss erwarten, dass auch die Lage der seitlichen Netzhaut zu den Brennlinien des dioptrischen Systems sehr wechselnd sein wird. Der Fig. 4 liest das von Merckel entworfene Auge (2 malige Vergr.) zu Grunde (Graefe und Saemisch, Zandb. I. S. 43). Der Strahl | F wird an der Hornhaut so gebrochen, dass er unter einem Winkel mit |! der Achse von 60° auf die Linse fällt; er geht durch das Centrum der ! Linse, verlässt dieselbe wiederum unter einem Winkel von 60° mit der !| Achse und trifft auf eine 60° excentrisch gelegene Netzhautstelle. Die I. und II. Brl. des ruhenden Auges sind in ausgezogenen Linien ı eingezeichnet und durch eine eckige mit r bezeichnete Klammer ver- DIoPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges. 161 - bunden, die des accommodirten gestrichelt eingezeichnet und durch eine runde Klammer mit dem Buchstaben « verbunden. Der Ort der Netz- haut nach zwei von mir ausgeführten Messungen ist durch eine kurze punctirte Linie angedeutet, der Ort der I. Brl. des nicht accommodirten Auges nach Matthiessen durch eine mit M bezeichnete Linie. Die I. Brl. des accommodirten Auges Matthiessen fällt mit der von mir be- rechneten zusammen. Durch ausgezogene und gestrichelte Linien ist weiter angedeutet worden, wie sich die Lage der Brennstrecken für cen- tralere Netzhautstellen wahrscheinlich gestaltet. Ich habe auch berechnet, wo sich bei dem auf einen 155 "= = 5-7” vor der Hornhaut gelegenen Punkt accommodirten Auge sich ein 60° seitlieh in der Accommodationssphäre liegender Leuchtpunkt abbilden würde. Ich fand T. Br. MH. Br. Brennstr. 8] 9.3 (9.8 12.2 2.9 Diese Werthe sind ebenfalls eingetragen und zwar durch punctirte Linien. Sie sind durch eine runde punctirte Klammer verbunden, die den Buchstaben a, führt. Es bedeuten also die gestrichelten Linien die Brennstrecke entfernter Leuchtpunkte, die punctirten die Bildstrecke in der Accommodationssphäre gelegener Leuchtpunkte, wie sie durch ein stark accommodirtes Auge erzeugt werden. Der charakteristische Theil der Figur ist 4 mal vergrössert, daneben wiederholt. V ist die Lage der Netzhaut nach Merkel, M, nach meinen Messungen. M die Lage der I. Brl. des ruhenden Auges nach Matthiessen. r die Bildstrecke des ruhenden Auges (mihi), a die des accommodirten von fernen Leuchtpunkten, a, die des accommodirten von in der Accom- modationssphäre gelegenen. Ausserdem sind in diese Neben-Figur die Resultate der Messungen an Menschenaugen eingetragen, zu deren Besprechung wir jetzt über- sehen. Die Beschreibung des Apparates, dessen ich mich bei den Mes- sungen bediente, findet sich Arch. f. Ophth. XXIV, 1877. Abth. IV, S. 91. Da subjective Untersuchungen über die Lage der Brennlinien zur Netz- _ haut mir kein verlässliches Resultat ergeben wollten, suchte ich nach einer objectiven Methode und fand diese darin, dass ich mit dem Augenspiegel Schatten von einem horizontalen und einem verticalen Gitter in das seit- wärts um (60°) gewandte zu untersuchende Auge warf und die Entfernung der Gitter bestimmte, welche nöthig war, um mir die Schatten im unter- suchten Auge möglichst deutlich erscheinen zu lassen. Aus der Differenz der Entfernungen des horizontalen und verticalen Gitters wurde der Grad Archiv f. A. u. Ph. 1879. Suppl.-Band z. Physio]. Abthlg. al 162 SCHOEN: des Astigmatismus berechnet und ausgedrückt durch den Werth der Cylinderlinse, welche den Astigmatismus corrigiren würde. Seitlich 60°. Sämmtliche * Central. Vertiealer | er oaleh Diffe- . |- Tenz: Meridian. Ei ff 1 M M 5; Me | 1 z Ma | Ma he 4. HL N 6. R. Be Me al N; Hz ur il x & | 9. eu 10. R. Hoi Ma | ii MS Be M 4 2 = M r H in 55 | = E HB © Be. | age 14. = En u N Mittel: | 4 DioPtkIk DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES AuGks. 163 Augen waren atropinisirt. Es zeigte sich, dass jedes im Centrum stig- matische Auge 60° seitlich astigmatisch ist.! Aus diesen Versuchen geht zunächst hervor, dass der Astigmatismus beim menschlichen Auge nicht so bedeutend ist, wie nach dem Befunde an Thierlinsen zu erwarten gewesen wäre. Am atropinisirten accom- modationslosen Augen beträgt der Astigmatismus für unter dem Winkel von 60° auffallende Strahlen im Mittel = !/,,. Der verticale Meridian ist um !/,, weitsichtiger als der horizontale. Nehmen wir vorläufig an, die Brennstrecke sei wirklich verhältniss- mässig so lang, wie wir sie bei Thieraugen fanden, so müsste die Länge derselben der Differenz !/, entsprechen. In der Fig. 4 ist von allen obigen Fällen die Lage der Netzhaut angegeben worden, wie sie sein müsste, wenn unter Voraussetzung eines dem der Thierlinse ähnlichen Astigmatismus im horizontalen und verticalen Meridian die entsprechende jedem der untersuchten Augen zukommende Kurz- oder Uebersichtigkeit vorhanden sein soll. In 10 Augen liegt die Netzhaut zwischen den Brennlinien, in zwei über dieselben hinaus, in vier vor ihnen. In Wirklichkeit ist nun die Länge der Brennstrecke nicht so gross und es zeigt sich, dass die Formeln ohne Weiteres nicht auf das mensch- liche Auge übertragen werden können. Nimmt man nämlich den Ort der Netzhaut = 10" hinter der Linse an, so würde die Entfernung der Brennlinien eine Myopie =!/, im horizontalen und eine gleiche Hyper- metropie im verticalen Meridian voraussetzen. Nach meinen Messungen beträgt der Astigmatismus durchschnittlich nur den fünften Theil, näm- ich I) 2: Peschel, Pflüger’s Archiv u.s. w. 1878, IX, hat, durch subjective Ver- suche, für sein kurzsichtiges Auge gefunden, dass 60° seitwärts horizontale Streifen bis auf 148", verticale aber bis 114m genähert werden mussten. Ersterer Werth entspricht 6-6 negativen Dioptrien oder Myopie = EHER letzterer 8:7 oder M = nn Die Differenz beträgt 2-1 Dioptrieen oder = ein Resultat welches mit den unseren hinreichend überein- stimmt. In Hr. Peschel’s Auge würde die Netzhaut über beide Brenn- linien hinaus etwa bei 2 und 1 unserer Figur liegen. Die Zusammenfassung ergiebt: das menschliche Auge bricht schief einfallende Strahlenbündel astigmatisch und zwar so, dass der in der 1 Bei einem der Augen eines central Astigmatischen war der Astigmatismus seitlich aufgehoben. us 164 SCHOEN: Einfallsebene gelegene Meridian kurzsichtiger ist. (Einfallsebene ist die durch den Einfallsstrahl und die Axe der brechenden Medien geleste Ebene.) Bei den meisten Augen liegt die Netzhaut zwischen der I. und II. astigmatischen Brennlinie Für unter einem Winkel von 60° mit der Axe durch die Linse gehende Strahlen beträgt die Differenz = !/,,. Der Astigmatismus ist nicht so bedeutend, wie er nach dem Befunde an Thierlinsen hätte erwartet werden sollen. Die Verringerung des Astig- matismus muss einer besonders getroffenen Einrichtung zugeschrieben werden, welche entweder in dem geschichteten Baue der Linse (nach Hermann) oder (nach Matthiessen) darin zu suchen ist, dass die Be- gsrenzungsllächen der Linsenschichten nicht sphärisch sind, sondern Ro- tationshyperbolorde darstellen. g Nachdem ich im Vorhergehenden gezeigt habe, dass tbatsächlich der Astigmatismus der seitlichen Brechung beim menschlichen Auge nicht gänzlich beseitigt und vollständige Homocentrieität nicht vorhanden ist, sei mir gestattet darzuthun, dass das Vorhandensein einer astigmatischen Brennstrecke von gewisser Länge auch als zweckmässig gelten kann, eine Behauptung, die ich schon in meiner früheren Mittheilung aufgestellt habe. Bezeichnet man mit p den Radius der Pupille, mit m die Verbindungs- linie des Pupillarcentrums mit der Fovea, mit d den halben Winkel des Zerstreuungskegels, mit 7 die Höhe, so ist die Basis des Zerstreuungs- kegels = een fe) (m mn n)? so verhält sich die Helligkeit des Zerstreuungskreises umgekehrt dem Quadrat von », der Höhe des Kegels. Wäre das Auge nun auch seitlich homocentrisch, also etwa so, dass bei Accommodation auf einem in 20°” gelegenen Punkt, alle in einer durch diesen gehenden um das Auge concentrischen Schaale, der Accom- modationssphäre, liegenden Leuchtpunkte sich gerade auf der Netzhaut abbildeten, so würde folgendes stattfinden. Wir denken uns vier gleich helle Leuchtpunkte auf zwei Geraden, die sich in der Pupille des Auges unter einem Winkel von etwa 60° schneiden. Die beiden näheren #p und Sp liegen 20%, die ferneren #v und Sv 200” vom Auge. Nun wird der eine #p von den näheren jfixirt, der seitliche nahe Sp er- scheint ebenfalls scharf und nur um die Differenz der Erregbarkeit dunkler als der fixirte. Denken wir uns nun den seitlich näheren Sp fort, so liegt in der- selben Richtung der seitlich fernere Sv. Die von diesem in das Auge gelangende Lichtmenge verhält sich zu der von S'’p in dasselbe kommenden umgekehrt wie die Quadrate der Entfernungen. Ausserdem bildet sich aber Sr in einem erheblichen Zerstreuungskreise ab, dessen Helligkeit Da n immer sehr klein gegenüber m sein wird, TE DioPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES Auges, 165 umgekehrt proportional ist dem Quadrate von 7. Die Helligkeit von Sr nimmt daher sehr rasch ab mit seiner Entfernung von Sp. Fixiren wir Fr, so würde Sr hell und deutlich sein um bei Fixation von Fp fast vollständig zu verschwinden. Die Helligkeit und Ent- fernung seitlich nicht in der Accommodationssphäre ge- legenen Objecte würde ungemeiu schwer geschätzt werden können, da die Helligkeit sich nicht nach dem gewöhnlichen Gesetz der Entfernung verringerte, sondern nach einem durch Einführung des Factors 7 viel verwickelter gewordenem. Denken wir uns z. B. Jemanden in einem 20°” entfernten 15°” breiten Buche lesend, so würde dasselbe in jedem Auge einen Netzhautbogen von 40° bedecken, also noch nicht die Hälfte des gemeinsamen und nicht ein Viertel des Gesammtgesichtsfeldes.. Gewöhnlich befindet sich unn genau in der Entfernung der Accommodationssphäre bei dieser und ähn- lichen Beschäftigungen, neben dem fixirten Gegenstande Nichts, die übrigen °/, des Gesichtsfeldes würden daher mit lichtschwachen ver- waschenen Bildern mehr weniger entfernter Gegenstände ausgefüllt sein; was, wie man sich leicht überzeugen kann, thatsächlich nicht der Fall ist. Besteht dagegen eine astigmatische Brennstrecke ähnlich der in der Figur angenommenen und liegt wirklich die Netzhaut während der Ruhe- stellung innerhalb derselben in der Nähe der I. Brennlinie, so würde mit Zunahme der Accommodation die Brennstrecke mehr nach dem Augen- inneren zu rücken, die Netzhaut aber selbst bei äusserster Accommodations- anspannung immer noch innerhalb der Brennstrecke sich befinden. Die seitliche Netzhaut bekommt auf diese Weise allerdings niemals astigmatische Bilder, diese hätten aber auch keinen Werth für dieselbe, einmal wegen der anatomisch begründeten geringen räumlichen Sehschärfe der peri- pheren Netzhaut, und dann weil sich sehr selten gerade in der betref- fenden Accommodationssphäre Gegenstände befinden würden, welche für das seitliche Sehen von Interesse wären. Dafür würde aber die Netzhaut bei jedem Fixations- und Accommo- dationszustande von seitlichen Leuchtpunkten, in welcher Entfernung sie sich auch befinden mögen, solche Bilder erhalten, die wenn auch nicht ganz scharf, doch für die Peripherie hinreichend scharf wären, — deren Helligkeit nur nach dem allgemeinen Gesetz der Entfernung sich änderte und nicht zwischen den Extremen vollständiger Schärfe nebst grösster Helligkeit und gänzlicher Verwaschenheit und Dunkelheit wechselte. So lange nämlich die Netzhaut innerhalb der Bildstrecke liegt, bleibt. die Helliekeit vollständig dieselbe. Ueber das diese Behauptungen be- stätigende Verhalten der Doppelbilder muss ich auf meine Arbeit über das binoculare Sehen verweisen. 166 SCHOEN: DIOPTRIK DER KRYSTALLLINSE UND PERISKOPIE DES ÄUGES. Wenn wir beim seitlichen Sehen es überwiegend mit ausserhalb der Accommodationssphäre gelegenen sichtbaren Dingen zu thun haben, so achten wir dagegen im Centrum und der nächsten Umgebung desselben nur auf das in der Accommodationssphäre Gelegene, welches wir fixiren und sehen wollen. Erleichtert wird dies durch das Fehlen der Brenn- strecke im Centrum, in Folge dessen alle nicht in der Accommodations- sphäre gelegenen Gegenstände verändert, verhältnissmässig lichtschwach und verwaschen erscheinen. Die Messungen au Thierlinseu habe ich fortgesetzt und werde dar- über nächstens weiter berichten. Neue Erscheinungen der Niecotinvergiftung. Von Dr. B. von Anrep. Aus dem physiologischen Institut zu Erlangen. Im Jahre 1867 hat Hr. Professor Rosenthal in der sSociete de Biologie zu Paris einen Vortrag über eine eigenthümliche Erscheinung der Nicotin- Vergiftung gehalten. Zufälliger Weise hatte Rosenthal die Beobachtung gemacht, dass Frösche und Kaninchen, welche einmal mit Nicotin vergiftet waren, sich während einer bestimmten Zeitdauer (einige Tage lang) ganz anders gegen wiederholte Nicotinvergiftungen verhalten, als ganz normale, noch nicht vergiftete Thiere. Allerdings schienen sie sich nach der ersten Vergiftung gänzlich erholt zu haben und zeigten keine Spur von irgend welcher Lähmung, sondern waren in ihrem ganzen Wesen vollständig normalen, gesunden Thieren gleich. Trotzdem war noch eine Wirkung der ersten Nicotinvergiftung an ihnen nachweisbar. Denn wenn man ihnen jetzt zum zweiten Male Nicotin gab, so traten die bekannten Nicotinkrämpfe und die flimmernden Muskel- zuckungen bei solchen Thieren nicht ein, wohl aber, alle anderen Symptome der Vergiftung, wie Athemstillstand, Verlust der willkürlichen Bewegungen, allgemeine Lähmung u. s. w. Da diese interessante Beobachtung weder von Rosenthal, noch von einem Anderen seitdem weiter geprüft worden ist, habe ich mich dieser Aufgabe unterzogen. ‚Mit Freuden spreche ich Hrn. Professor Rosen- thal für seine Mittheilungen und Rathschläge, sowie für die freundliche Ueberlassung aller Mittel des Laboratoriums meinen besten Dank aus, 168 : B. von ANnREP: I. Versuche an Fröschen. Zu meinen Versuchen benutzte ich stets eine wässerige Nicotinlösung von den Concentrationen ein oder zwei Tropfen Nicotin auf 10 oder 20 ce. destillirtes Wasser. Ich arbeitete zunächst nur mit Fröschen (Rana esculenta und temporaria); sie wurden durch subcutane Injectionen, meistens unter die Rückenhaut, vergiftet. Erst wiederholte ich die Beobachtungen von Rosenthal, und da ich sie stets vollkommen bestätigt fand, so suchte ich weiter den Ein- fluss von verschiedenen Nicotingaben und der Zeit auf die Erscheinungen dieser wiederholten Vergiftungen zu ermitteln. Ich bestimmte die kleinste wirksame Gabe und die der tödtlichen am nächsten stehende. Es ergab sich, dass schon !/,,, Tropfen Nieotin deutliche Vergiftungserscheinungen hervorruft, und dass grössere Gaben als 0-1 Tropfen fast ausnahmslos lethal sind. Auch mit Giftmengen inner- halb dieser Grenzen stellte ich meine Versuche an. Die Wirkung einer kleinen Niecotingabe (sp —"/1oo Ir.) ist keine lange dauernde, die merkbaren Vergiftungserscheinungen sind bald vorüber. Gewöhnlich folgt gleich nach der Einspritzung eine kleine Erregung, welche sich in lebhaftem Hüpfen ausdrückt; 3—4 Minuten später tritt Unbeweglichkeit ein, der Frosch sitzt ruhig auf einer Stelle, wobei seine Extremitäten eine ganz charakteristische Lage annehmen, wie sie von Wechenfeld, von Praag und Rosenthal beschrieben ist. Die Vorder- beine werden an die Seitenwände des Bauches nach hinten geschlagen und die Hinterbeine gegen den Rücken gezogen, so dass die Oberschenkel rechtwinklig vom Körper abstehen und die Unterschenkel in Flexion sich befinden, wodurch sich die Fusswurzeln beider Extremitäten auf dem Rücken berühren; diese Stellung wird, wenn man die Hinterschenkel gewaltsam streckt, sobald der Zug nachlässt, sofort wieder angenommen. Das Athmen wird erst beschleunigt, dann aber verlangsamt und ist mit Beschwerden verbunden. Es entstehen weiter flinmernde Muskelzuckungen; dieselben werden am stärksten und dauern am längsten in den hinteren Extremitäten, jedoch nehmen auch die anderen Extremitäts- und Rumpf- muskeln an den flimmernden Zuckungen Theil. Nach 30—60 Minuten sind diese Erscheinungen verschwunden, es bleibt nur eine gewisse Mat- tigkeit und Muskelschwäche zurück; 3—6 Stunden später kann man selbst mit der grössten Aufmerksamkeit keine Nachwirkung des Giftes mehr wahrnehmen. Der Frosch sieht wie ein vollkommen normaler aus. Die Wirkung einer grösseren Gabe tritt schneller ein und dauert bedeutend länger. Fast momentan nach der Einspritzung entstehen heftige klonische Krämpfe, dann Unbeweglichkeit des Frosches, die für das Nicotin S RR, NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG, 169 - eharakteristische Lage der Extremitäten, Athembeschwerden und Ver- - langsamung der Athmung bis zum Stillstand ohne vorausgehende Be- - sehleunigung; starke und langdauernde flimmernde Zuekungen, bedeutende Herabsetzung der Reflexerregbarkeit auf elektrischen Hautreiz, dann Er- - schlaffung der gesammten Musculatur und allgemeine Lähmung. Je nach der Gabe bleiben die Frösche verschieden lange gelähmt; nach !/,, bis U Tropfen — 12 bis 20 Stunden lang, nach !/,,—"/,, Tropfen — 20 bis - 40 Stunden. Die Erholung fängt immer mit der Restitution der Athmung an, indem die Frösche mit grösster Beschwerde, oft mit stark offenem Maule tiefe, seltene Athemzüge machen; dann erst entstehen schwache - Muskelbewegungen, auch wird die Reflexerregbarkeit allmählich wieder zu der Norm erhöht. Ausnahmslos haben sich die Frösche nach allen Gaben, die ich angewandt habe (bis 0-1 Tropfen), im Laufe des zweiten Tages vollständig erholt, und wenn man nach dem Aeusseren urtheilt, so scheinen sie gänzlich entgiftet zu sein und zeigen in ihrem ganzen Verhalten nicht die geringsten Zeichen irgend welcher Abnormitäten. Werden nun jetzt dieselben Frösche, gleichgiltig ob sie mit kleinen oder grossen Gaben vergiftet waren, einige Stunden nachdem sie sich erholt haben, mit derselben, oder mit grösseren Gaben wieder vergiftet, so bleiben bei den allgemeinen Vergiftungserscheinungen die Krämpfe und die flimmernden Zuckungen gänzlich aus; dagegen wird aber die lähmende Wirkung der Gaben von gleicher Grösse, bei wiederholter Ver- giftung eine viel länger dauernde und kann sogar zum Tode führen. Mit sehr geringen Ausnahmen starben alle Frösche bei wiederholter Ein- spritzung von 0-1 Tropfen, oft auch noch !/,, Tropfen, was jedoch ge- wöhnlich nicht der Fall zu sein pflegt. Die ferneren Versuche zeigten, dass, um bei wiederholten Vergiftungen wieder alle gewöhnlichen Vergiftungssymptomen auftreten zu sehen, also auch die klonischen Krämpfe und die flimmernden Muskelzuckungen, die Frösche eine längere Erholungszeit nöthig haben, welche wieder auch, je nach der Gabe, verschieden ist: 3—4 Tage nach kleineren Gaben und 6—8 Tage nach grösseren. Nun war zu prüfen, worin der Grund zu dieser Verschiedenheit in der Wirkung bei wiederholten Gaben zu suchen ist. Schon von vorne herein ist so viel klar, dass die Annahme einer Gewöhnung des Organismus an das Gift zur Erklärung dieser That- sachen nicht ausreicht, in diesem Falle sollten alle Erscheinungen in ihrer Stärke einfach gemildert sein, während in Wirklichkeit einige - Vergiftungssymptome einen viel intensiveren Charakter annehmen, indem bei kleineren Gaben die Lähmung längere Zeit dauert, während die zu- 170 B. von AnREPp: erst nur dauernde Lähmung bewirkenden Gaben bei Wiederholung immer den Tod herbeiführen. Es stellten sich zwei Fragen entgegen. Zuerst, worin der Grund zu der stärkeren Wirkung der wiederholten Gaben von derselben Grösse liege, und zweitens, auf was beruht die Verschiedenheit der Vergiftungs- erscheinungen selbst, das Fehlen der Krämpfe und flimmernden Zuckungen ? Wenn man das Verhalten des Herzens während einer gewöhnlichen Vergiftung mit dem Verhalten während wiederholten Vergiftungen ver- gleicht, so sieht man einen solchen Unterschied in den Erscheinungen, dass mit der grössten Wahrscheinlichkeit in diesem anderen Verhalten des Herzens die Erklärung der stärkeren Wirkung des Nieotins bei wiederholter Anwendung zu suchen ist. Wie bekannt (Traube, Rosenthal), reizt das Nicotin in erster Linie die Herzvagusendigungen — es folgt ein kurz dauernder Herz- stillstand, beträchtliche Verlangsamung der Herzschläge, dann aber wird der Herzvagus vollständig gelähmt, der Pulsschlag wird beschleunigt, Bevor aber die Herzthätigkeit wieder zu der früheren Norm zurückkehrt, entsteht noch eine vorübergehende Verlangsamung des Pulses (während die Nn. vagi gelähmt sind), welche je nach der Gabe grösser oder kleiner wird, nur kurz dauernd oder längere Zeit fortbesteht, auch die einzelnen Herzcontractionen werden geschwächt. Diese zweite Verlangsamung "hängt von der Lähmung der moto- rischen Herzganglien ab, da sie auch dann entsteht, wenn die Nn. vagi durchschnitten oder ihre Endigungen vorher gelähmt worden sind, und bevor dieselben wieder reizbar werden, wovon man am besten an atropinisirten Fröschen sich überzeugt. Bei solchen Fröschen fehlt die erste Nicotinwirkung. Es tritt weder Stillstand des Herzens oder die erste Pulsverlangsamung ein, nach Beschleunigung der Herzschläge; die Nieotinwirkung kann jetzt nur als herzschwächende Wirkung zu Tage treten. Einige Minuten nach der Vergiftung sieht man eine Schwäche der Herzthätigkeit und Verlangsamung des Pulses eintreten (Versuch VII). Doch ist diese Lähmung der motorischen Herzganglien nicht eine be- deutende, und der Tod erfolgt nie durch Herzlähmung (Rosenthal, Traube, Kroker). Anders verhält sich das Herz bei wiederholten Nicotinvergiftungen. Gleichgiltig, ob wir die kleinsten wirkenden Nicotin- gaben injieirten oder grössere, bei wiederholter Anwendung haben sie alle eine viel stärkere Wirkung auf die motorischen Herzganglien. Diese Wirkung tritt rasch ein und bleibt nach kleinen Gaben mehrere Stun- den, nach grösseren bis zu dem Tode fortbestehen. Ich führe hier einige NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 171 von meinen Versuchen an, um diese Verhältnisse übersichtlicher zu zeigen. Versuch I und Il. Rana esculenta wird auf einem Froschbrett aufgespannt und gefenstert; 20 Minuten nach der Operation wird die Pulsfrequenz gezählt. Herzcontractio- Rana esculenta wird wie die erste präparirt; vor40 Stunden war sie mit 1/3, Tropfen Nicotin vergiftet und schon seit 15 Stunden hat sie sich vollständig erholt und zeigt keine Spur vonirgend welchenVergiftungserscheinungen. Herzcontractio- Bemerkungen. Zeit, N ER Seo. Bemerkungen. Zeit. BR Ba von u Tagen FH TN. 10 — 116. 16. 15. 16. 10 — 15. 14. 15. 15. 10 15 115. 16. 16. 16. 10215215. 15.15. 19.| 10 30 |16. 16. 15. 15. 10 30 14. 15. 14. 15.) Es werden jetzt subcutan 1/9. Tropfen Nico- | Es tin unter die Rückenhaut injieirt (0-5 ce. c. Wasser). Gleich nachher 36 40 45 55 10 Stillstand 20 Sec. 1 818. IT. 1918.18. 192 18.19. lea rl De 12.12, 13. 14. 14. 14. 14. 14. 14. 14. 14. 13. 14. os: 14. 15. ISath, 16. 16215216..16. 16. 16. 16. U. S. W. 16. 18. lade 12. 112): Das Herz ist mit venösem Blut stark gefüllt, die Herz- contractionen schei- nen ein wenig schwächer zu sein. Die Herzceontrac- tionen sind wieder normal stark. Die Herzcontrac- tionen zeigen in ihrer Stärke und in rhythm. nichts anormales. werden 1/3. Tropfen Nicotin in 0-5 c. c. Wasser unter die Rückenhaut injieirt und gleich darauf 10 23 4. 2. Stillstand 20 Sec.| 14. 14. 14. 13. 132 10. 11-1. IR ZEI: Pop nAmmnımpnnxn ewonmnmmmpon > Semmmw nm mm co 19 11: 110: Das Herz wird stark mit venösem Blut gefüllt. Die Herzeontractio- nen sind schwach. Die Herzcontrac- tionen werden im- mer schwächer. | Sehr schwache Con- tractionen. . Die Herzcontraetio- nen werden etwas stärker. 172 B. voN ANREP: a reine Versuch III und IV. Rana esculenta wurde vor 44 Stunden mit 0-01 Tropfen Nicotin in 0-5 c. ec. Wasser ver- giftet, seit 36 Stunden zeigt der Frosch nicht die geringsten Vergiftungssymptome. 2 Rana eseulenta präparirt wie die erten. Zeit. ee Bemerkungen. Zeit. ee Bemerkungen, 3 m m IN. m 3 — IA 12 5 Er 85 162.16. 192 1e: 8 15 15. 14. 15. 14. Sclne nallo- 19-310: 830.2 114,14. 14.215; 8730, 16216, 216; Es werden 0-01 Tropfen Nieotin in 0-5 e. e. | Es werden 0-01 Tropfen Nieotin in 0-5 c.ce. Wasser unter die Haut injieirt. Wasser unter die Haut injieirt. - Stillstand Stillstand 25 Sec. 35 Sec. 87320 002. 83143416: 8 32 4. 14. 1A. 8 34 1 les 11h 8 34 le, ab Tel, 5 36 16.210.116: he Seidl: 8 36 AA 8 40 15° da: einzelnenHerzeon- | 8 40 a TER tractionen und in 8 45 14. 14. 14. den Charakter der- S 45 14. 14. 13 - 8 55 | 13.13.13. || ctkharen Verän.| 8 55 | 13.14.18 910 | 13.13.12. derungen em. | 810 | 12.12.12. 9 30 19, 0%. 118% 9 30 999 10 — 155 ER 10 — 9738.09 u. S,W. ük & lm — 972.929 Die Herzeontrae: Var gr gErd: tionen sind bedeu- | 14% 9.10. 9 tend geschwächt’ 22 0108109,9: I 10. 10. 2 le le‘ — |. NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. Versuch V und VI. _ Rana esculenta präparirt wie die übrigen Frösche. 173 Rana esculenta wurde vor 4 Tagen mit 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 ce. ec. Wasser vergiftet. Seit mehr als 48 Stunden zeigt der Frosch keine Vergiftungserscheinungen mehr. ! Bemerkungen. Zeit. a Bemerkungen. h m hm FweoTeH) "ZI UE “ 9 — 17. 17. 17. 16. I — 16.193216. ee #152 ,5195154 16.0 9 30 16.1616. 9730 IHz13a1D. | Es werden 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 ce. c. | Es werden 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 e. e. Wssser unter die Haut injicirt. Wasser unter die Haut injieirt. Stillstand Stillstand 40 Sec. 55 Sec. BR 320120597 4,10: 932 ART. 14. 9294.19. 19.18.19. 9 34 ee: E39 36 118. 18. 17. 18. 9 36 Isola: 9 40 114. 14. 13. 14. 940 ale ie Di ie Herzcontrac- 241561132013: 13. 13. 9 45 |11. 11. 11. 11.| tionen sind schon 22110712. 1111. Id — 9. 9.10. 9.) geschwächt. 20 10221. 10. 11. 10. 10 10 SER 20 30.110. 10. 10. 10. LORSON ST 20 40 |10. 10. 10. 10. LOFAON Test: A 10210.29210: 9: 11 10 DER .0: Ei 45 |9 9.9 9.) Falun Herz- | 11 45 ae: | schwäche. G hwache = 50|8. 9 9. 9. 12 30 ” 9. 6. a. #302 910.10. 9. 1 30 6226.25 302 210.10. 10. 2.80 bes: 3.30 ANZLOSIT. 329302 102 209 D. Ber 1.11. 12. Ar S R a 5 30 eo a 5 30 09,079: Das H hläet : A EDiessoEl trac- 6 30 IoRlarLH: aber Be 6 30 3.9. 6. re en N 15. 15. 15. |Jholt sich sichtbar. | 7 50 berbaub: merkbar, ganz 5 Des ie oberflächlich. der Haut zugedeckt. Das Herz wird mit den Hautlappen zu- gedeckt. Nach 42 Stunden trat eine bedeutende Erholung in dem allgemeinen Befinden des Frosches ein. Er hüpft und athmet wie ein "normaler. Erst gegen Ende des dritten Ta- ges”starb der Frosch in Folge der Operation. Am anderen Morgen ist der Frosch todt, das Herz im erschlafften Zustande im Still- stande. 174 B. von Ankkp: Versuch VII und VII. Rana esculenta präparirt, wie die ersten Rana esculenta präparirt wie gewöhnlich und Frösche. dann mit 0-0005 srm Atropinsulf. vergiftet. 9 Herz- Herz- Zeit. contractionen Bemerkungen. Zeit. | contractionen Bemerkungen, in 15 Sec. | ın 15 Sec. | In. m TE h m > 10 2027129814: 8-30 SEAN TO: 10 30 | 14. 14. 14. 10 40 | 14. 14,13. Es werden 0.1 Tropfen Nicotin in 0-5 c. c. Wasser unter die Rückenhaut injieirt, es folgt | Es werden 0-1 Tropfen Nicotin in 0-5 e. & unmittelbar nach der Einspritzung ein Herz- | Wasser unter die Rückenhaut injieirt, es folgt stillstand von 35 See. Dauer. kein Herzstillstand. 1074277716. 15.266: Sea ee 10 45 | 14. 14. 14. Das Herz Se 8783| LO AlTEG: \ Das Herz wird stark enösen Blut über- : 10 50 | 14. 14. 14, mıt v allt. a ee: j mit Blut ausgedehnt. 055, BA 8 40 | 13.13.13. | Edle 1nle Alle S45, EB: 112205 71059229 Seo ae 11 40 8. 8. 8. | Die Herzeontractionen | 9 10 | 11.11.10. werden ein wenig zZ ch ch ©) schwächer. 92207 7.92.3906. Re . ie erzcontractio- 1 so | 9 30 | 8. 8. 7. |! nenwerdenbedeutonl 1 30 |10.10. 9. Eee geschna 2 — | 11.10. 11. | Die Herzeontractionen dir e loss werden wieder stärker. ee u. Ss. W. u. Ss. w. i == |IIÖ, 10, ©; u. 8s.w. u. Ss. w. Die beiden Frösche erholten sich am anderen Morgen. NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG, 175 Wenn man diese verschiedenen Verhältnisse des Herzens zum Nicotin graphisch darstellen wollte, so würde man folgende drei Curven zu zeich- nen haben: I. Die gewöhnliche Nicotinvergiftung. N.H. Normaler Herzschlag. YV. Niecotinvergiftung. H.S. Herzstillstand. Die punctirte Linie zeigt annähernd die Veränderungen in der Pulsfrequenz. II. Wiederholte Nicotinvergiftung. Dieselben Buchstaben haben dieselbe Bedeutung wie oben. - III. Nicotinvergiftung nach vorausgehender Atropinisirung. Dieselben Buchstaben haben dieselbe Bedeutung wie oben. Alle diese Curven sind nur ein annäherndes Bild der Herzverhält- nisse, je nach der Art der Nicotinvergiftung. 176 B. von ANREP: Aus diesen und ähnlichen Versuchen ersieht man, dass dieselbe Gabe, welche gewöhnlich nur eine ganz geringe herzlähmende Wirkung hat, indem die Herzcontractionen nur auf einige Schläge in der Minute und für eine kurze Zeit verlangsamt werden, bei wiederholter Anwen- dung (innerhalb oben angezeigter Zeit), auch wenn die nachfolgenden Gaben kleiner waren als die ersten, eine mehrere Stunden dauernde, viel grössere lähmende Wirkung ausüben und die Frequenz der Herzschläge bedeutend, etwa bis auf die Hälfte der normalen herabsetzen; gleich- zeitig werden auch die einzelaen Herzcontractionen ganz beträchtlich geschwächt. Bei grösseren Gaben erfolet sogar keine Herzerholung mehr, wie es sonst gewöhnlich bei diesen Gaben der Fall ist. Der Tod tritt unter einer immer mehr zunehmenden Herzschwäche ein. Wir sehen übrigens, dass auch die gewöhnliche herzbeschleunigende Wirkung des Nicotins fehlt, obwohl die Nn. vagi wie immer erst gereizt, dann ge- lähmt werden, ein Beweis, dass der Vagustonus noch nicht restituirt ist. Aus diesen Beobachtungen kann man nur den Schluss ziehen, dass die motorischen Herzganglien in der Zeit der zweiten Vergif- tung noch nicht gänzlich giftfrei sind; sie bleiben noch immer unter einer gewissen Nicotinwirkung, welche ihre Widerstandskraft be- deutend gemindert hat und gegen dieselben Gaben viel empfindlicher macht. ! In diesem Verhalten des Herzens zu den wiederholten Nicotingaben finden wir auch die Erklärung ihrer weit stärker lähmenden, oder sogar lethalen Wirkung. Dass nach Nicotinvergiftungen bald Erholung zintritt, hat wohl seinen Grund darin, dass die Bluteireulation nicht für längere Zeit uud nicht wesentlich gestört wird, wodurch die Giftmenge aus dem ÖOrganis- mus austreten kann und die angegriffenen Nervencentren von dem Gifte befreit werden können. Das Thier fängt an zu athmen und- die Er- holung folgt bald darauf. Wenn jedoch die Herzthätigkeit, während alle anderen Momente dieselben sind, schwächer wird, so muss die Aus- scheidung des Giftes viel mehr Zeit in Anspruch nehmen, wie auch die allgemeine lähmende Wirkung des Giftes viel längere Zeit dauern; ebenso wird endlich bei noch grösserer und länger dauernder Herzschwäche (bei wiederholten grossen Gaben) der Tod der Nervencentren früher ein- treten, bevor die gesammten Giftmengen aus dem Organismus entfernt worden sind. Demnach erkläre ich die stärkere und lethale Wirkung 1 Vielleicht dürfte folgender Ausdruck der treffende sein: ‚das Herz befindet sich noch unter der Wirkung der ersten Gabe, wie in einer latenten Lähmung und diese bedarf nur eines kleinen Anstosses, um als eine sichtbare active hervor- zutreten. NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 177 der wiederholten, zum ersten Male schwächer wirkenden und zum Tode nicht führenden Nicotingaben damit, dass die Ausscheidung des Giftes, in Folge einer viel grösseren Herzschwäche, weit langsamer und in kleineren Mengen zu, Stande kommt. Die Herzschwäche ist also der indirecte Grund des Todes. Die zweite Frage, die Verschiedenheit der Vergiftungserscheinungen, das Fehlen der Krämpfe und der flimmernden Zuckungen, ist eine viel schwierigere und es gelang mir bis jetzt noch nicht, sie in einer be- stimmten Weise zu entscheiden. 5 Zunächst suchte ich den Charakter der Krämpfe und der flimmern- den Muskelzuckungen kennen zu lernen. Ich suchte zu constatiren, ob die Krämpfe auf refleetorischem Wege entstehen, oder ob sie von einem directen Reiz der motorischen Rückenmarkscentren abhängen, und zwar ob sie in einem bestimmten Nervencentrum ihre Ursache haben, oder ob das ganze Rückenmark an den Krämpfen Theil nimmt. Gewöhnlich sind die Nicotinkrämpfe klonische Krämpfe, selten Streck- und noch seltener tetanische Krämpfe. Sie entstehen immer sehr bald, fast unmittelbar nach der Vergiftung und dauern nur eine sanz kurze Zeit. Einige Krämpfe der Extremitäten (in den Hinterbeinen immer am stärksten) oder ein, zwei Streckkrämpfe, dann nehmen die Beine ihre für das Nicotin charakteristische Lage ein, es zeigt sich Verlust der willkürlichen Bewegungen und eine starke Verminderung der Reflexerregbarkeit, sowie eine immer zunehmende Muskelschwäche, bis endlich die allgemeine Lähmung eintritt. Die flimmernden Muskel- zuckungen fehlen nie. Sie treten immer später ein als die Krämpfe und noch bevor die Reflexe herabgesetzt sind und die Muskelschwäche eintritt. In ihrer Stärke und Dauer sind sie wesentlich von der Grösse der Gabe abhängig. .. Behon das Bild der Vergiftung und der Krämpfe spricht gegen die refleetorische Natur der Krämpfe. Die äusseren Reize haben auf die Krämpfe gar keinen Einfluss, indem sie weder entstehen noch stärker werden nach peripheren Reizen. Auch werden die Hautreflexe nach Nicotin überhaupt entweder nicht erhöht, oder nur nach kleinen Nicotin- gaben unbedeutend und nur vorübergehend. Sodann ist auch der klonische Charakter der Krämpfe nicht der Charakter der reflectorischen Krämpfe, welche viel mehr tetanischer Natur sind; auch spricht der Umstand, dass die künstliche Athmung keinen Einfluss auf sie hat (Uspensky)', dafür, dass Nicotin die m,torischen Nervencentren direct reizt. Nachdem Rosenthal? bewiesen hat, dass die fibrillären Zuckungen 1 Dies Archiv, 1868. 2 Centralbl. f. d. med. Wissensch. 1863. Archiv f. A. u, Ph, 1879. Suppl,-Band z, Physiol, Abthlg, 12 178 B. von ANREP: von der Reizung der intramusculären Nervenendigung abhängen, sind dieselben von Allen nur als periphere betrachtet. Sie entstehen in Glie- dern mit durchschnittenen Nerven, und sollen fehlen in den Muskel- gruppen, deren blutleitende Gefässe unterbunden werden. Einige von meinen Beobachtungen erregten in mir einen grossen Zweifel über diesen Ursprung der flimmernden Zuckungen, so dass ich nahe daran war, das gerade Gegentheil zu behaupten. Es schien mir nämlich, dass bei Fröschen, mit vom Rückenmark abgetrenntem ver- längertem Mark, keine flimmernden Zuckungen nach der Vergiftung ein- treten. Ich wiederholte die Versuche immer wieder mit der grössten Aufmerksamkeit, konnte die flimmernden Zuckungen aber nicht bemerken. Bekanntlich sind die fiimmernden Zucekungen nach der Nicotinvergiftung so intensiv, dass man sie sehr deutlich bei allen Muskeln durch die unverletzte Haut hindurch sehen kann; deswegen entblösste ich ge- wöhnlich, um sie zu beobachten, die Muskeln nicht. Als ich meine Versuche Hrn. Professor Rosenthal demonstrirte, machte er mich auf diesen Umstand aufmerksam, und so konnte ich mir nunmehr meine abweichenden Beobachtungen erklären. Bei Wegnahme der Haut des Oberschenkels sieht man in der That sehr schwache flimmernde Zuckungen hier und da eintreten; sie sind sehr schwach, nur kurz dauernd, jedoch unterliegt ihr Vorkommen keinem Zweifel. Ebenso konnte ich con- statiren, dass diese flimmernden Zuckungen nicht allein diejenigen sind, welche wir immer bei Nicotinvergiftungen eintreten sehen. Sie sind so schwach, dass man sie durch die unverletzte Haut nicht merken kann, ja sogar in blossgelegten Muskeln leicht übersehen kann. Die letzteren dagegen sind viel stärker; gewöhnlich fangen sie in einigen Muskel- fasern an und verbreiten sich dann, an Stärke immer mehr zunehmend, auf eine ganze Muskelgruppe, um zuweilen in einen Krampf überzugehen. Wenn die ersten nur als rein fibrilläre Zuckungen anzusehen sind, so können die letzteren als Anfangsstadium eines Krampfes betrachtet wer- den. Ich will nicht damit sagen, dass die flimmernden Zuckungen, von denen ich jetzt spreche, immer in einen Krampf übergehen müssen, im Gegentheil ist es meistentheils nicht der Fall (wie bekannt, entstehen die flimmernden Zuckungen überhaupt erst nach den Krämpfen), son- dern man bekommt nur den Eindruck, als ob jedesmal ein Krampf sich einstellen sollte. Ich möchte sagen, dass diese flimmernden Zuckungen die letzten Kflfecte der Reizung des schon in die Lähmung übergehenden Rückenmarks sind. Schon aus diesen Versuchen vermuthete ich, dass die flimmernden Zuckungen, welche wir gewöhnlich ohne Vorsichtsmaassregeln bei Nicotin- EEE WEBREETTWBDE u Are Ar u 2 NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG, 179 vergiftungen beobachten, keine peripheren sind, sondern einen cerebralen Ursprung haben. Folgende Versuche haben es auch bewiesen. Die flimmernden Muskelzuckungen sollen nicht auftreten, wenn sie nur auf einer Erregung der intramusculären Nervenendigungen beruhen, bei unterbrochenem Blutlaufe in den Muskeln, wo der Blutlauf aus- geschlossen ‘ist, dagegen nach Nervendurchschneidung sollen dieselben unbeeinflusst bleiben. Umgekehrt soll es sein, wenn sie von einer cen- tralen Erregung abhängen. Versuch I. Eine Rana esculenta wird auf einem Froschbrette ausgespannt; die linke A. iliaca comm. unterbunden, ohne Verletzung des N. ischiadicus. Einspritzung unter die Rückenhaut von "/,, Tropfen Nicotin in 0-5“ Wasser. 4 Minuten nach der Einspritzung treten die flimmernden Zuckungen in den beiden Hinterbeinen auf, und zwar sind sie wie in der Stärke, so auch in ihrer Dauer auf den beiden Seiten ganz gleich. Da man vielleicht eine collaterale Bluteirculation vermuthen konnte, habe ich auch die Aorta abdominalis unterbunden, um mich von der Thatsache ganz zu vergewissern. Versuch I. Bei einen Rana esculenta wurde die Aorta abdominalis unterbunden, und dann !/,, Tropfen Nicotin in 05° Wasser unter die Rücken- haut injieirt. 3 Minuten später traten flimmernde Zuckungen in beiden hinteren Extremitäten auf, von der bei diesen Gaben gewöhnlichen Stärke und Dauer. Diese Versuche könnten vielleicht einen genügenden Beweis der centralen Natur der flimmernden Zuckungen liefern, allein mit welcher Vorsicht man diese Methode der Untersuchung nur annehmen darf, sehen wir aus folgenden Versuchen. Versuch II. Einem Frosch wurden alle Zweige des Plex. ischiadicus im Becken durchschnitten, dann !/,, Tropfen Nicotin in 0-5° Wasser unter die Rückenhaut injieirt; 6 Minuten darauf sieht man im entblössten Ober- schenkel hier und da sehr schwache flimmernde Zuckungen eintre- ten, sie verschwinden fast augenblicklich, um wieder auf einer anderen Stelle aufzutreten. Auf der anderen Seite mit unverletzten Nerven sind die flimmernden Zuckungen wie immer bei Nicotinvergiftung stark und _ dauernd, 125 180 | B. von AnReEp: Viele Versuche mit Rückenmarek-Durchschneidungen ergaben, dass sobald das verlängerte Mark von dem Rückenmark abgetrennt ist, nur diese äusserst schwachen und kurz dauernden Zuckungen auftreten, dagegen diejenigen, welche wir gewöhnlich beobachten, vollständig fehlen. “ Diese Versuche beweisen uns, dass 1) die vom Nicotin herrührenden fliimmernden Muskelzuckungen nicht allein peripher sind. Sie sind vielmehr eine Summe von centralen und peripheren. Die ersten sind stärker, dauernder und sind diejenigen, welche man gewöhnlich für flim- mernde Zuckungen der Nicotinvergiftung hält, sie fallen sofort jedem Beobachter auf, und sind ganz deutlich durch die unverletzte Haut zu sehen. Die zweiten dagegen sind sehr leicht zu übersehen, um sie wahr- zunehmen ist es erforderlich, dass man die Muskeln blosslegt und auf- merksam beobachtet. 2) Die Erregung, welche die centralen flimmernden Zuckungen veranlasst, stammt aus dem verlängerten Mark. ‚ Zur Beantwortung der Frage, ob die Nicotinkrämpfe von der Reizung bestimmter Centren, oder von der Reizung der isanzen Rückenmarks abängen, habe ich mehrere Versuchsreihen angestellt, aus welchen ich folgende Ergebnisse festgestellt habe. 1) die Trennung des Rückenmarks mit dem verlängerten Mark von dem Grosshirn bleibt ohne Einfluss auf die Nicotinkrämpfe. 2) Dasselbe gilt auch für das Abtrennen des Rücken- marks von dem verlängerten Mark. 3) Auch wenn man das Rückenmark immer 2,3 =m weiter von dem verlängerten Mark abschneidet, ent- stehen doch die Krämpfe (nur schwache), wie in den oberen so auch in den hinteren Extremitäten, und 4) nur dann, wenn man den Schnitt, unter der Stelle, wo die motorischen Nerven zu den Hinterbeinen ver- laufen, führt, entstehen keine Krämpfe in den: gelähmten Hinterbeinen. Das Durchschneiden des halben Rückenmarks zeigte auch, dass nur dann, wenn die motorischen Bahnen unterbrochen werden, auch die Krämpfe der entsprechenden Seite fehlen. Damit soll der Beweis geliefert sein, dass die Nicotinkrämpfe von der Reizung des ganzen Rückenmarks abhängen. Kehren wir nun zu unserer eigentlichen Frage zurück. Da wir ge- sehen haben, dass die Frösche bei der scheinbaren Erholung nach der Vergiftung, auch wenn sie nicht die geringsten Zeichen von irgend welchen Störungen in ihrem gesammten Verhalten bieten, trotzdem andere Erscheinungen nach wiederholten (während einer gewissen Zeit) Ver- siftungen mit beliebig grossen Gaben zeigen, da die Krämpfe und die fibrillären Zuckungen stets fehlen, so ist ohne Zweifel damit bewiesen, dass die vollkommene Entgiftung noch nicht Statt gefunden hat, und dass noch gewisse Organe unter Nicotinwirkung verbleiben. Doch ist dieser Einfluss des Nicotins für gewöhnliche Funetionen eines normalen ee HE ı u ut ie Eu NEUE FERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 181 Lebens von geringer Wichtigkeit und scheint den Organismus nicht merk-. bar zu beeinflussen. Zur Erklärung dieser Erscheinungen schienen mir zwei Voraussetzungen am wahrscheinlichten. Meine Versuche über das Verhalten des Herzens zu den wiederholten Nieotinvergiftungen haben mit Sicherheit bewiesen, dass im Stadium der allgemeinen Erholung das Herz noch längere Zeit unter der Wirkung des Nieotins bleibt, welche durch eine gewisse Schwäche, eine geringere Resistenz der motorischen Herzganglien zu den wiederholten Nieotinvergiftungen sich kund giebt. Könnte dasselbe nicht auch in den motorischen Rückenmarkscentren statt- haben? Eine Analogie in dem Verhalten der motorischen Herzganglien und der motorischen Rückenmarkscentren wäre wohl möglich und hätte uns die genügende Erklärung zu unseren Erscheinungen gegeben. Es wäre ja denkbar, dass die motorischen Rückenmarkseentren, vielleicht auch der gesammte motorische Nervenapparat, ebenso wie die motorischen Herzcentren, auch nach der scheinbar vollständigen Erholung des Frosches, noch in der Weise geschwächt sind, dass sie zwar eine Zeit nach der Vergiftung schon ihre gewöhnliche 'Thätigkeit wieder aufnehmen können, aber nicht im Stande sind, eine ausserordentliche, anstrengende Thätigkeit, wie die Nicotinkrämpfe, welche schon gewöhnlich eine rasche Erschöpfung der motorischen Centren zu Folge haben, ertragen können. Die zweite Voraussetzung besteht darin, dass es vielleicht möglich wäre, dass. die motorischen Nervenapparate nach wiederholter Vergiftung sanz ausserordentlich schnell in die Lähmung übergehen, so dass der Reizmoment ganz und gar ausbleiben muss. Wie die eine, so auch die andere Vermuthung verlangen genaue Ver- suche über das Verhalten der Nervenerregbarkeit, während der ersten Vergiftung, im Stadium der allgemeinen Erholung und nach der wieder- holten Nicotinanwendung. Unsere Untersuchungsmethoden des Nervensystems überhaupt und der Nervencentren insbesondern sind noch so unvollkommen, dass man nicht einmal die einfachsten Fragen aus diesen Gebiete auf wirklich genaue Weise untersuchen kann. Meine Hauptfrage knüpfte sich an das verschiedene Verhalten (wenn ein solches in der That vorhanden ist) der motorischen Rückenmarks- centren zu den verschiedenen Vergiftungsweisen mit Nicotin. Und nur das einzige Mittel hatte ich dazu, — die Prüfung der Erregbarkeit des centralen Ende eines gemischten Nerven (Ischiadieus.) Ich konnte also nur die Reflexerscheinungen, das Verhalten der sensiblen Nerven und der motorischen Nervenendigungen beobachten und nur indirect auf das Verhalten der motorischen Centren Schlüsse ziehen. Ich brauche nicht zu erwähnen, dass alle Vorsichtsmaassregeln bei diesen Versuchen ge- 182 B. von Anrkp: troffen wurden. Ich benützte stets dieselbe Thermosäule, dieselben Drähte und denselben du Bois-Reymond’schen Inductionsapparat. Alle Frösche wurden vor dem Versuch einige Stunden in das Versuchszimmer gebracht, um den Einfluss der verschiedenen Temperaturen auf die Nervenreizbarkeit auszuschliessen. Auf eine möglichst gleiche Temperatur in dem Versuchs- zimmer und auf Verhütung des Eintrocknens der untersuchten Nerven wurde stets gesehen. Einfluss des Nicotins auf die motorischen und sensiblen Nerven. Versuch L Rana esculenta auf bekannte Weise präparirt; der N. ischiadieus in der Mitte des Oberschenkels unter Schonung der Gefässe freigelest, unter- bunden, durchschnitten und bald die peripheren, bald die centralen Enden desselben mit Inductionsströmen gereizt. Die minimalen Zuckungen nach den Reizungen werden als Maassstab der Nervenerregbarkeit angenommen. Zeit. Die minimale Zuckung erfolgte bei: Periph. Ende. Central. Ende. h m 8 40 „ „ „ P)) 99 60-0. 61.0 a » ER 59-5 60-8 I 50 „ „ „ PR) 9 60-3 60-4 Es werden !/o Tropfen Nicotin unter die Haut injieirt ) 05 „ „ £R) 9 9 67.0 60-0 310 „5 » » 2 h 65-4 50-0 N in » BU DE, 60-0 43-5 9 25 „ ”„ „ „ 9 52-7 32-2 ee » ae 41-9 20-3 I 55 > " 5; cn ” 330 14-0 1020 „ 2 » 5 a 28-0 11-8 11 20 „ » „ „ s 270 10.0 12 20 „ „ „ „ 4 26°2 10°5 16 Stunden nach der Vergiftung während der fast vollkommenen Erholung. en i ER 58-0 42-8 „ " „ „ » „ 584 47-0 Wir sehen aus diesem Versuche, dass nach Anwendung von !/,, Tropfen Nocotin am ersten die sensiblen Fasern in ihrer Reizbarkeit herabgesetzt werden, die motorischen dagegen werden erst später, nach einer kurz dauernden Erhöhung, in ihrer Reizbarkeit geschwächt. Auch ist die NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 183 die sensiblen Nerven lähmende Wirkung des Nicotins viel stärker und an- haltender als die der motorischen. Wir sehen ferner, dass nach 16 Stunden nach der Vergiftung, während schon eingetretener bedeutender Erholung des Frosches, die motorischen Nerven sich fast vollkommen erholt haben, die sensiblen noch beträchtlich geschwächt sind. Es prävalirt also die centrale Nicotinwirkung über die periphere. Versuch I. Rana esculenta auf dieselbe Weise präparirt wie die erste. Zeit. Die minimale Zuckung erfolgte bei R. A. Periph. Ende. Central. Ende. h m I — ” „ : „ ” „ „ 51.8 55.0 9 10 „ „ „ „ „ „ 52-0 51°5 RAU; „ ” „ „ „ 51°5 54-8 Es werden 0:1 Tropfen Nicotin in Oce Wasser unter die Rückenhaut injieirt. 9 25 „ „ „. „ „ „ 990 50:0 I 30 „ „ „ „ ” „ 50.0 47'2 I35 „ ” „ „ „ „ 476 430 945 „ „ „ ” „ P) 39-5 20:2 10 Tan th „ „ ” ” „ 372 12-8 IK) 2 „ „ „ „ „ 26-0 10-7 12 ==) ER] ER) 3 „ „ „ 22-0 au il = „ „ ER] „ „ 2) 20° 5 kein Reflex. Der Hautschnitt wird zugeflickt und dem Frosche 30 Stunden zur Erholung gegeben. 31später,, = „ > te 48-5 Baus 48 „ 5) ” „ „ „ „ 50 y 7 46 5 5 54 „.» ” „ „ „ „ 50-2 51-8 Jetzt wird der Frosch noch einmal mit 0.1 Tropfen Nicotin vergiftet. on „ ” „ „ „ 50:0 50-7 „9 £)) „ „ „ „ 50-2 470 Denn, „ ” ” „ ” 48-6 445 20 ©) „ ” .” » „ 458 344 30 Pe} „ „ ” „ „ 392 21-3 40 » m „ „ „ »» 29-8 14°5 50 9 „ „ ” ” „ 252 E37 154 | B. von AnNREP: Dieser Versuch ist mit den ersten in Uebereinstimmung, ferner zeigt er, dass im Stadium der allgemeinen Erholung, die periphere ebenso wie centrale Nervenerregbarkeit sich erholt; weiter ersieht man, dass die wiederholte Vergiftung nicht in einer anderen Weise die Nervenapparate beeinflusst wie die erste Vergiftung. Die lähmende Wirkung wird weder eine grössere, noch tritt sie schneller ein als nach der ersten Vergiftung. Man könnte mir vielleicht den Vorwurf machen, dass im Laufe von 54 Stunden der geprüfte N. ischiadicus ganz andere Verhältnisse zu den elektrischen Reizen, in Folge des Absterbens, zeigen kann. Obgleich die Regelmässigkeit, mit welcher die Reizbarkeit des Nerven mit der ein- tretenden Erholung zunimmt und nach wiederholter Vergiftung wieder herabgesetzt wird, kaum zweifeln lässt, dass die moleeularen Veränderungen im Laufe der 54 Stunden noch keineswegs gewaltig seien, so waren den- noch genauere Versuche wünschenswerth, Ich versuchte die mittlere Stromstärke, welche dbrlich war um die minimalen Zuckungen bei meinen normalen Fröschen nach directen Reizen der motorischen Nerven und nach Reizungen der sensiblen her- vorzurufen. Es ergab sich, dass die Differenzen bei meiner Versuchs- anordnung nicht gross waren; sie schwankten zwischen 49.0 bis 62.5” Abstand der secundären Rolle. Nachdem ich dies bei 14 Fröschen festgestellt hatte, vergiftete ich die Frösche mit Nicotin, ohne die Nervenerregbarkeit voraus zu prüfen, und prüfte sie erstens in verschiedenen Stadien der Erholung und dann an anderen Fröschen, welche ‚sich schon vollständig nach der ersten Vergiftung erholt hatten, also je nach der Gabe, nach 20—64 Stunden, nach wiederholter Vergiftung. Es ergaben sich aus vielen Versuchen genau dieselben Verhältnisse, wie wir es im Versuch No. II gesehen haben. Im Zusammenhang mit der allgemeinen Erholung er- holten sich auch die motorischen und sensiblen Nervenappärate Die wiederholten Gaben beeinflussen die schon erholten Nerven ebenso wie die ersten. Ich führe hier noch einen Versuch an. Versuch II. Eine Rana esculenta wurde mit 0-1 Tropfen Nieotin in 0-5 Wasser vergiftet; nach 40 Stunden erholt sich der Frosch vollständig. Nach 44 Stunden wurde der Frosch zum Versuch in bekannter Weise präparirt. Um die periphere Nicotinwirkung bei Reflexversuchen aus- zuschliessen, habe ich auf einer Seite die A. aliaca comm. unterbunden, und auf der anderen Seite den N. ischiadicus präparirt und durch- schnitten. F . | 7 NEUE ERSCHEINUNGEN DER NIc« )TINVERGIFTUNG. 185 Zeit. Die minimalste Zuckung erfolgte beiR. A. Periph. Ende. Cent. linde. h m Il... „ „ „ Er 53-6 56-7 — 40 ,„ „ „ „ el 53-0 55-9 — 50 ,„ “ 11 " melukpe 53-2 55-4 Es werden jetzt 0-1 Tropfen Nicotin unter die Rückenhaut injieirt. 105 „ 2 e h mon 53-6 55-0 nr ,; " R F ee 53-0 50-2 IR:080 n j, jr Pe? 50-0 471°3 11 15 „ „ „ „ „ „ 46-1 35-0 11 25 ” ” ” „ „ „ 39-9 21 .( 11 35 ” ” „ ” „ „ 33-5 12-3 11 45 „ „ b3) „ „ „ 27-4 9-8 12 45 ” „ „ ” „9 21-5 5.0 Ua Bo Alle Am anderen Morgen war der Frosch todt. Die Ergebnisse meiner Versuche über das Nervenverhalten zu dem Niecotin sind kurz zusammengefasst folgende 1) Das Nicotin wirkt lähmend wie auf die motorischen, so auch auf die sensiblen Nerven. 2) Die sensiblen Nerven werden früher und viel stärker und dauernder, als die motorischen Nerven angegriffen. 3) Nach Gaben bis 0-1 Tropfen sah ich nie eine vollständige Lähmung in den motorischen Nerven ein- treten, wohl aber in den sensiblen, demnach ist die Nicotinwirkung mehr der Morphiumwirkung ähnlich, als der des Curare. 4) Die kleinen Gaben scheinen erst die motorischen Nerven vorübergehend zu erregen und erst dann ihre Reizbarkeit herabzusetzen. 5) Die wiederholten Gaben (wie ich sie angewandt habe) beeinflussen die beiden Nervenarten in allen Puncten gleich den ersten Gaben. Aus diesen Ergebnissen sehen wir, dass das Verhalten des Nerven- systems, soweit man es prüfen kann, nicht nur keinen Leitfaden zur Er- klärung der Verschiedenheit der Vergiftungssymptome bietet, sondern die Frage noch dunkler macht, da die als möglich betrachtete Analogie in dem Verhalten der Rückenmarkscentren mit dem Verhalten der moto- rischen Herzcentren, sowohl wie meine zweite Voraussetzung als unbegründet fallen muss. Es könnte vielleicht noch denkbar sein, dass trotz des gleichen Verhaltens zu den elektrischen Reizen, sich die motorischen - Rückenmarkscentren zu der reizenden Wirkung des Gifts in verschiedener Weise verhalten. Wenn dies der Fall wäre, so wäre möglicher Weise wahrscheinlich dieses andere Verhalten damit zu beweisen, dass man die nach der ersten Vergiftung erholten Frösche mit Strychnin oder Pikrotoxin 186 B. von Ankrep: vergifte um zu sehen ob dieselbe minimale Gabe, welche von den Giften erforderlich ist, um Krämpfe bei gesunden Fröschen hervorzurufen, auch bei solchen Fröschen hinreichend ist. Strychnin. Als minimale Gabe um den Reflextetanus hervorzu- rufen, habe ich bei meinen Fröschen die von 0:000035 8 bestimmt. Nach 20—25 Minuten nach der Einspritzung dieser Gabe erhöht sich die Reflex- erregbarkeit und nach 35—45 Minuten folgt der erste Tetanus. I. Versuchsreihe. Gesunde Frösche. Nicotinisirte Frösche. 1 [ n nach = Minuten n nach > Minuten u a Lu a ee Re Alle Frösche wurden mit 0000035 Strychnin vergiftet. Die Frösche nach Nieotinvergiftung zeigten eine vollständige Erholung. R bedeutet erhöhte Reflex- erregbarkeit; T den ersten Tetanus nach der Strychninvergiftung. Wir sehen, dass alle Frösche, so gut die gesunden wie die nach Ver- giftung mit Nicotin, wenn nur die allgemeine Erholung eingetreten ist, sich zu dem Strychnin genau in derselben Weise verhalten. Pikrotoxin. Im Pikrotoxin besitzen wir ein Gift, welches die motorischen Rückenmarkscentren direct reizt (Roeber!), also wie das Nicotin auf dieselben Centren wirkt. Es war demnach interessant nach- zusehen, ob im Stadium der Nicotinerholung, das Pikrotoxin, in den gleichen Gaben angewendet, zu gleicher Zeit und gleich intensive Krämpfe bei gesunden Fröschen und bei denen, welche vorher mit Nicotin ver- giftet waren, hervorruft. Nach meiner Erfahrung ist die die Krämpfe bedingende Gabe des Pikrotoxin kleiner, als die welche Roeber bestimmt hatte. Ich fand, dass schon 0-0004®8m ausnahmslos sehr kräftige und dauernde Krämpfe hervorruft. 1 Dies Archiv, 1869. ee N A nn io NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 187 1I. Versuchsreihe. Gesunde Frösche. Nicotinisirte Frösche. I. Es folgten Krämpfe 16 ® später | Es folgten Krämpfe 26 ” später Il. „ „ „ 24 „ ” „ „ „ 21 „ „ El: „ „ „ 18 ” „ eh) eb] eh) 20 Eh] „ IV. „ „ „ 20 „ „ „ „ „ 19 „ „ Alle Frösche wurden mit 0-0004 Pikrototin vergiftet. In der Stärke der Krämpfe und in ihrer Dauer konnte ich keine Unterschiede wahrnehmen. Auch die vergleichenden Versuche mit Pikrotoxin zeigten wie die mit Strychnin, dass die Frösche, welche nach den Nicotinvergiftungen sich erholt haben, und als ganz normale nach ihren äusseren Befinden zu betrachten sind, auch genau wie die in der That gesunden Frösche zu den beiden Giften sich verhalten. Allerdings konnte man in der Zeit, während welcher die nicotinläihmende Wirkung noch sichtbar war, und als Muskelschwäche, Trägheit in den Bewegungen sich ausdrückte, Dif- ferenzen in der Strychninwirkung sehr deutlich wahrnehmen. Dieselbe Gabe, welche bei gesunden Fröschen heftige tetanische Krämpfe ver- ursachte, erhöhte bei solchen nicotinisirten Fröschen die Reflexe zwar sehr stark, jedoch sehr oft ohne deutliche tetanische Krämpfe her- vorzurufen. Damit beende ich diese meine Mittheilung. Alle meine Bemühungen, zu den fraglichen Erscheinungen eine Erklärung zu finden blieben, er- folglos.. Alle meine Versuche beweisen nur, dass die Verschiedenheit des Verhaltens der Frösche zu den wiederholten Nicotinvergiftungen nicht etwa, wie wir es beim Verhalten des Herzens gesehen haben, auf eine schwache, kleinere Resistenz der motorischen Rückenmarkscentren oder der intramusculären Nervenendigungen beruhe (wenigstens können wir keinen Beweis dazu liefern). Noch weniger könnte eine nur in dem motorischen Nervenapparate entstandene „Gewöhnung“ an das Gift als glaubenswerth erscheinen, und was hätten wir gewonnen, wenn wir eine uns unklare Erscheinung mit einem Wort, das nur einen ebenso unklaren Begriff aus- drückt definiren wollten. Ich bin eben im Begriffe dieselbe Frage noch an Warmblütern einer experimentellen Prüfung zu unterwerfen und werde nicht versäumen, die erhaltenen Ergebnisse mitzutheilen. 188 B. von AnREPp: Anhang. Um den. Einfluss des Nicotins auf das Rückenmark selbst zu prüfen, habe ich einige Versuche mit directer Reizung des Rückenmarks an- gestellt. Es ergab sich, dass die Nicotinwirkung der ersten Gaben und den wiederholten keinen wahrnehmbaren Unterschied in dem Verhalten des Rückenmarks hatte. Die lähmende Nieotinwirkung auf das Rücken- mark ist dieselbe und verändert sich auch ebenso wie die auf die moto- rischen Nerven. Versuch I. Das Rückenmark wird vom verlängerten Mark abgetrennt und eine kleine Strecke blossgelest. Eine Stunde nach. der Operation mit feinen Elektroden gereizt. Während der Operation nur geringer Blutverlust. Es erfolgten Bewegungen in den vorderen Extremitäten bei: 44-5 Rollenabstand. S0zzspater Al 072} = ar 0 u Es werden 0-1 Tropfen Nicotin eingespritzt. 10” nach der Vergiftung 358 Rollenabstand. 20 ££) „ „ 29 . [7 es en 30 17 „ oh) 20 : 0 PR) Pr} { 40 17-5 Die folgenden Bewegungen N % R 5 i sind nur sehr schwach. 60 „ £R) er) te) x 0 ” 2 Controlfrosch. In derselben Weise präparirt. bei 46°0 Rollenabstand energische Bewegungen. —" 30” später 40-5 n n » „ 1 — + 39 2 0 PR + er) „ 1 10 „ 39 e; 0 + 9 „ „ 1 20 u 2980 e 5 „ » 1 30 „ 36:0 „ 2) „ ” 1 40 + 348 er) „ ” ” 2 = „ 356 „ „ e) „ Noch drei ähnliche Versuche ergaben dasselbe. ee Te NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVERGIFTUNG. 189 % Versuch II. Ein Frosch wurde in der oben angeführten Weise präparirt: bei 48:8 Rollenabstand folgten energ. Bewegungen der Extremit. 30” später 45-2 „ $ m R r f IR ” 41-3 ” „ „ „ „ ” ” es werden Yo Tropfen Nicotin eingespritzt und iumme,. 43-8, es = r 7 a 20 ” 39 5 2 „ ” eh) eh „ >) ” & 30 „ 29 e 5 ” ” eh} ” ’ ” th) 3 40 bh) 27 x 0 ” „ ” eh} r „ ’ & 60 „ 19-7 „ ” ” „ ” „ : > 6" ” 26 ” Er! „ th} ” ” ih) £ s) ” 30 eh) ” eh] ” ER ch) ” E 15 1) 39 ” „ ” r2) eh) ER) ” ® 20 „ 29 &h) ” ” ” ” „ „ s Es werden noch einmal 1/0 Tropfen injieirt. 10” später 27-0 kollenabstand erfolgten schwache Beweg. der Extremit. Bm 2b-5 „ n Pr v r 5 n SUB 20:0, # 4 " Ne 3 Ele... Y = a Fi 4 hi N sn MD a Er i h n 5 Controlfrosch. Bei 41-5 folgten energische Bewegungen. 30% später 40-8 S N 5 a 2 AN, n ” 7 „ 35°0 die Bewegungen sind schwächer. m 31208, 5 e Sn kan 01,02 30-5, ,, . ” „ am, 2809: 5: „ 2 Bam. 280, a B sn Versuch Il. Ein Frosch wurde mit 0-1 Tropfen Nicotin vergiftet. Nach 50 Stunden waren keine Vergiftungserscheinungen mehr wahrzunehmen. _ Zehn Stunden später wurde der Frosch zum Versuche präparirt. Es folgten energische Bewegungen der Extremitäten nach der Rei- zung mit tetanisirendem Strom bei 49-0 Rollenabstand. 30m später bei 47.5 Rollenabstand il eh) B}] 470 ” ” 190 | B. von AnREPp: Es werden jetzt noch 0-1 Tropfen Nicotin eingespritzt. 10” nach der Vergiftung 47.5 Rollenabstand. 20 „ „ „ 44.8 ” ” =) 22.5 ; 0 a Fl ” % ? Die Bewegungen sind 40 „ „ ” 15 «6 „ ” schwächer. 60 N) a „ 6-0 „ „ Der Controlfrosch zeigte eine Abnahme der Reizbarkeit während einer Stunde auf 7-2°” Rollenabstand. (Anfangs 44-9 nach 60% — 37:7.) Noch zwei ähnliche Versuche ergaben dasselbe. Das Verhalten des Rückenmarks zu wiederholten Gaben zeigt keine wahrnehmbare Unter- schiede mit dem Verhalten zu den ersten Nicotingaben. II. Katalepsie-Erscheinungen nach der Nicotinvergiftung. Bei allen meinen an Fröschen angestellten Nicotinvergiftungen sah ich eine eigenthümliche und immer constante Erscheinung eintreten, nämlich eine ganz charakteristische Katalepsie der vorderen Extremitäten. Schon nach Gaben von 0:01 Tropfen und grösseren (auch nach wieder- holten Gaben), 20—30 Minuten nach der Vergiftung, werden die Vorder- ‚beine, während schon eingetretener allgemeiner Lähmung, steif wachs- artig; man kann ihnen jede beliebige Lage geben, mag sie so ausser- gewöhnlich sein, wie man will, die Extremitäten behalten diese Lage so lange, bis man sie ändert. Wenn man die Vorderbeine streckt und dann den Frosch auf den Bauch lest, so biegen sich dieselben unter dem Körpergewicht nicht, sondern bleiben, wie ein Stück Holz, aus- gestreckt. Die Dauer dieser Erscheinung scheint mehr. von individuellen Verhältnissen, als von der Grösse der Gabe abhängig zu sein. Ge- wöhnlich dauert die Katalepsie von 20—45 Minuten lang. Diese Er- scheinung ist so constant und so treffend, dass ich sie zur Demonstration in der Vorlesung empfehlen kann. Was nun die hinteren Extremitäten angeht, so tritt hier eine derartige Katalepsie nie ein. Durch eine kleine Zahl von Beobachtungen konnte ich mich zwar überzeugen, dass eine wahrnehmbare Steifheit in der Musculatur der hinteren Glieder ein- trat, allein in den meisten Fällen fehlte dieselbe. Die Reizbarkeit der kataleptischen Muskeln ist nicht vollständig ver- nichtet, jedoch weit niedriger als die aller anderen Muskeln des gelähmten Frosches., Nur sehr starke Inductionsströme sind noch im Stande, NEUE ERSCHEINUNGEN DER NICOTINVFRGIFTUNG. 191 schwache Zuckungen in den kataleptischen Vorderbeinen hervorzurufen. - Die hautsensiblen Nerven bleiben dagegen in demselben Grade reizbar wie an allen anderen Hautstellen. Derselbe Strom ruft Zuckungen in - den Hinterbeinen hervor wie nach der Reizung der Haut des Oberschenkels, so auch nach Reizung des Brachium oder Antibrachium. Worin liegt der Grund dieser Erscheinung? Es ergab sich, dass sie vollkommen von dem Nervensystem unabhängig ist. Die Trennung des Grosshirns, des verlängerten Marks vom Rückenmark, endlich Zerstörung des Grosshirns, des verlängerten und des Rückenmarks bleibt, wie auf die Dauer, so auch auf die Stärke der Katalepsie ohne jeden Einfluss. Es entstehen demnach gewisse gewaltige vorübergehende Veränderungen unter der Nicotinwirkung in den Eigenschaften der Muskelsubstanz selbst. Mit Wahrscheinlichkeit sind diese Veränderungen in der Muskelelasticität zu suchen, da ich schon in anderen Arbeiten gezeigt habe, dass in der That Veränderungen unter der Wirkung von verschiedenen Alkaloiden und anderen Stoffen in der Muskelelastieität stattfinden und nachweisbar sind (B. v. Anrep, Ueber Muskeltonus, Rossbach und B. v. Anrep, Ueber die Wirkung einiger Alkaloide auf die Muskelelastieität. Beide Ar- beiten werden nächstens in Pflüger’s Archiv u. $. w. erscheinen). Trotz- dem ist es ganz auffallend, dass die Katalepsie nur allein in scharf ab- gegrenzten Muskelgruppen, in den vorderen Extremitäten vorkommt. Worin die Gründe dieser Verschiedenheit in dem Verhalten verschiedener Muskeln liegen, bleibt eine offene Frage. 192 | S. TSCHIRJEW: St. Petersburg, 27. Sept. 1879. Hochgeehrter Herr Professor! Ich bitte Sie, im Interesse der Wissenschaft, in der von Ihnen redigirten Zeitschrift diesem Brief einen Platz einräumen zu wollen. Im $. 81, 82 des von ihm herausgegebenen Handbuches der Physiologie, Bd. II, läugnet Hr. Hermann auf Grund sonst ganz unbekannter Untersuchungen eines Hrn. Albrecht und eines Hın. Meyer die Richtigkeit meiner Angabe in Bezug auf die quere Erregbarkeit des Nerven,’ und stellt wieder den alten unbewiesenen Satz von der Unerregbarkeit des Nerven in der queren Richtung auf. Hr. Hermann macht keine Emwendungen gegen die von mir angewandten Untersuchungsmethoden, sondern erklärt mein Resultat mit der ihm eigenen Ungezwungenheit einfach dadurch, dass ich „die Lage des Nerven, bei welcher die Strömungscurven wirklich senkrecht hindurchgehen, nicht getroffen habe“. Ich muss nun erstens die Richtigkeit meiner Angabe vollständig aufrecht erhalten, und ich fordere jeden sachverständigen Forscher auf, sich davon durch den Versuch zu überzeugen, wobei freilich alle von mir angezeigten Bedingungen, namentlich die der immer gleichen Stromdichte im Nerven, auf das Strengste erfüllt sein müssen. Woran es liegt, dass die HH. Albrecht und Meyer den Nerven in der queren Richtung unerregbar gefunden haben, kann man nicht sagen, da die von ihnen angewandten Methoden nicht mitgetheilt sind. Wahrschemlich haben sie ihren Misserfolg irgend welchem Fehler dieser Methoden zu verdanken, ebenso wie Hr. Willy, welcher in demselben Laboratorium arbeitete und seinerseits die Unabhängigkeit der Nervenerregung von der Länge der durchströmten Strecke bewiesen zu haben glaubte. Hm. Willy’s Ergebnisse werden jetzt sogar von dem Director des Laboratoriums selbst, unter dessen Leitung er doch wohl arbeitete, als irrthümlich anerkannt. Zweitens protestire ich überhaupt gegen eine derartige unwissenschaftliche Behandlung sogar der rein thatsächlichen Aufstellungen anderer Forscher, ims- besondere in einem Werke, welches seinem ganzen Ton nach den Anspruch erhebt, das letzte Wort in diesem Gebiet der Wissenschaft zu sein. Folgende Stelle auf S. 80, 81 desselben Werkes ist auch noch bemerkens- werth. Hier sagt Hr. Hermann, dass bei der Untersuchung der Abhängigkeit der Nervenerregung von dem Durchströmungswinkel die erste Aufgabe darin bestehe, „dass in den verglichenen Versuchen wirklich nichts weiter als der Winkel verändert werde, namentlich aber die Dichte (des Stromes) unverändert 18. Tschirjew, Ueber die Nerven- und Muskelerregbarkeit. Dies Archiv. erh. IS, Ser EL ED LOCH TEE HI. = BRIEF AN DEN HERAUSGEBER. 193 bleibe“. Dies wird so gesagt, als gehöre dieser Gedanke Hrn. Hermann selbst. Den Gedanken hatten doch natürlich schon Sie selber gehabt, der Sie überhaupt zuerst den Begriff der Stromdichte in die elektrischen Reizversuche einführten. Aber der ganze Witz, so zu sagen, meiner Arbeit über die quere Erregung der Nerven war ja nichts anderes, als dass ich mit allen neueren Hülfsmitteln bestrebt war, bei derartigen Versuchen immer dieselbe Stromdiehte im Ner- ven zu haben, oder überhaupt bei der Beurtheilung der Resultate dieser Ver- suche hauptsächlich die Stromdichte in der gereizten Nervenstrecke im Auge zu behalten. Hr. Hermann freilich hält die Aufgabe, immer dieselbe Stromdiechte im Nerven zu haben, für unerfüllbar, und führt dafür folgende drei Gründe an: 1) dass der Nerv kein homogener Leiter sei, 2) dass er verschiedene Leitungs- fähigkeit in Quer- und Längsrichtung habe, und 3) dass mit der Aenderung des Durchströmungswinkels im Nerven die Länge der gereizten Strecke sich ändere. Die Ungleichartigkeit des Nerven als Leiter erlaubt uns gewiss nicht, aus unseren Reizversuchen an den Nervenstämmen einen Schluss auf die genauen quantitativen Verhältnisse zwischen Quer- und Längserregbarkeit der Primitiv- nervenfaser selbst zu ziehen, und ich unterscheide in meiner Abhandlung ausdrücklich diese Begriffe, wie gesammter Muskel und Primitivmuskelbündel, Nerv oder Nervenstamm und Primitivnervenfaser, beziehe auch z. B. meine Formel nur auf den Nervenstamm. Es ist aber ebenso unzweifelhaft, dass man aus der- artigen Reizversuchen doch einen Schluss in Bezug auf die Erregbarkeit oder Unerregbarkeit in der queren Richtung der Primitivnervenfaser selbst ziehen kam, weil bei dem Durchströmungswinkel = 90°, d.h. bei dem Einfallswinkel = 0°, nach dem Kirchhoff’schen Brechungsgesetze für elektrische Ströme keine Brechung an den Hüllen der Primitivnervenfaser stattfinden kann. Der zweite Hermann’sche Grund wird einfach durch gewisse Versuchs- anordnungen, namentlich durch Bildung eines Nervenquadrats (s. meine Abh., Fig. 3) beseitigt. Endlich beruht der dritte seiner Gründe wahrscheinlich auf einem Missver- ständniss, und könnte nur einen Sinn haben, wenn schon bewiesen wäre, dass die Primitivnervenfaser in querer Richtung unerregbar sei. Dann aber wäre über- haupt jeder Versuch überflüssig. Ich beschränke mich diesmal auf diese Notiz, in der Hoffnung, dass eine ausführ- liche Kritik dieser Hermann’schen Muskel- und Nervenphysiologie nicht lange auf sich warten lassen wird. Eine solche Kritik ist im Interesse der Wissenschaft ent- schieden nothwendig, weil sonst dies Hermann’sche Werk in den Ländern, wo man sich mit diesen Fragen wenig beschäftigt, insbesondere aber in denjenigen, wo so gut wie keine wissenschaftliche Kritik im Gebiete der Naturwissenschaften existirt, eine bedeutende Verwirrung und überhaupt grossen Schaden anrichten wird. Empfangen Sie, u. Ss. w. ; Ihr ergebenster Dr. S. Tschirjew. Archiv f, A,u, Ph, 1879. Suppl,-Band, z. Physiol, Abthig, 13 Yi N | Er ; NE Du RNIT 7 70 l ÖO - Physiologische Abtheilung. 1579. Supplement-Band. ERBE =>, FÜR ARCHIV | | ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE. FORTSETZUNG DES von REIL, REIL v. AUTENRIETH, J. F-MECKEL, JOH, MÜLLER, REICHERT v. DU BOIS-REYMOND HERAUSGEGEBENEN ARCHIVES, See Ir HERAUSGEGEBEN VON D:. WILH. HIS unp Dr. WILH. BRAUNE, PROFESSOREN DER ANATOMIE AN DER UNIVERSITÄT LEIPZIG, UND Dx:. EMIL DU BOIS-REYMOND, PROFESSOR DER PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITÄT BERLIN. JAHRGANG 1879, || 2... PHYSIOLOGISCHE ABTHRILUNG. | =. SUPPLEMENT-BAND. _—— MIT 19 ABBILDUNGEN IM TEXT. LEIPZIG, ” VERLAG VON VEIT & COMP. - | RN) . "Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. > (Ausgegeben am 22. December 1879.) Inhalt. Seite G. 8. Hall und 'J. v. Kries: Ueber die en der Reactionszeiten vom Ort des Reizes . . . EEE SEHE TE ll AR => 1 Hugo Kronecker und G. Stahler Hai: Die willkürliche Muskelaetion . . 10 Oscar Langendorff: ‘Ueber die Selbststeuerung der Athembewesungen . . 48 Max Joseph: Ueber die refleetorische Innervation der Blutgefässe des Frosches 54 L. Brieger: Zur Kenntniss des physiologischen Verhaltens des Brenzeatechin, Hydrochinon und Resorein a N er a ee ee Re N No Bernhard Rawitz: Die Lebenszähigkeit des Embıyo’s . . . RENTE EEROU F. M. Stapff: Ueber den Einfluss der Erdwärme bei Tunahanan NE: Schoen: Bemerkungen über die BU, der Krystalllinse und die Periskopie BEBZAUGEBaL N ER ERS ARE LESEN REN A Sc Abe B. v. Anrep: Neue Erscheinungen der Nieclinnsrktkhure DE De a Biel san den Herausgeber. Fr Sen EL N PN een 102 Die Herren Mitarbeiter erhalten vzerzig Separat- Abzüge ihrer - Bei- träge gratis. | Beiträge für die anatomische Abtheilung sind an Professor Dr. W. His oder Professor Dr. W. Braune in Leipzig, beide - Königsstrasse 17, Beiträge für die physiologische Abtheilung an ) ° Professor Dr. E. du Bois-Reymond in Berlin, N.W., Neue Wilhelmstrasse 15, portofrei einzusenden. — Zeichnungen zu Tafeln oder zu Holzschnitten sind auf vom Manuscript getrennten Blättern beizulegen. Bestehen die Zeich- nungen zu Tafeln aus einzelnen Abschnitten, so ist, unter Berücksichtigung der Formatverhältnisse des Archives, denselben eine Zusammenstellung, die dem Kupferstecher oder Lithographen als Vorlage dienen kann, beizufügen. Das ARCHIV für ANATOMIE UND PHYSIOLOGIE, Fortsetzung des von Reil, Reil und Autenrieth, J._F. Meckel, Joh. Müller, Reichert und du Bois-Reymond herausgegebenen Archives, erscheint jährlich in 12 Heften von zusammen 66 Bogen mit zahlreichen in den Text eingedruckten Holzschnitten und 25—30 Tafeln. 6 Hefte entfallen auf den anatomischen Theil und 6 auf den physiolo- gischen Theil. Mit dem anatomischen Theil ist die „Zeitschrift für Anatomie und Entwickelungsgeschichte“, welche als selbständiges Organ zu erscheinen aufgehört hat, verschmolzen, in dem physiologischen Theil kommen auch die Arbeiten aus dem physiologischen Institut der Universität Leipzig zur Veröffentlichung, welche seither besonders erschienen. Der Preis des Jahrganges beträgt 50 M. Auf die anatomische Abtheilung (Archiv für Anatomie und Entwickelungs- geschichte, herausgegeben von His und Braune), sowie auf die physiologische Abtheilung (Archiv für Physiologie, herausgegeben von E. du Bois-Reymond) kann separat abonnirt werden, und es beträgt bei Einzelbezug der Preis der anatomischen Abtheilung 40 M., der Preis der physiologischen Abtheilung 24 M. Bestellungen auf das vollständige Archiv, wie auf die einzelnen Ab- theilungen nehmen alle Buchhandlungen des In- und Auslandes entgegen. \ Die Verlagsbuchhandlung: Veit & Comp. in Leipzig. Druck von Metzger & Wittig in Leipzig. ATLANTEN von Professor Dr. Wilhelm Braune in Leipzig. Verlag von VEIT & CGOMP. in Leipzig. Braune, Dr. Wilhelm, Professor der topographischen Anatomie zu Leipzig, Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durchschnitten an gefrornen Cadavern. Nach der Natur gezeichnet und lithographirt von C. Scmmmeoet. Oolorirt von F. A. HaAuprTvogEL. Zweite Auflage. 33 Tafeln. Mit 49 Holzschnitten im Text. (IH u. 56 8.) Imp.-Fol. 1875. geb. in Halbleinw, . M. 120. — Mit Supplement: Die Lage des Uterus ete. (s. u) M. 165. — — Topographisch-anatomischer Atlas. Nach Durch- schnitten an gefrornen Uadavern. (Kleine Ausgabe von des Verfassers topographisch-anatomischem Atlas mit Einschluss des Supplementes zu diesem: „Die. Lage des Uterus und Foetus“ etc.) 34 Tafeln in -photographischem Lichtdruck. Mit 46 Holzschnitten im Text. (218 S.) Lex.-8. 1875. im Carton. M. 30. — — Die Lage des Uterus und Foetus am Ende der Schwangerschaft. Nach Durchschnitten an ‚gefrornen Cadavern Hlustrirt. Nach der Natur gezeichnet und lithog eraphirt von ©. SCHMIEDEL. Colorirt von F. A. HAupTVoGEL. Supplement zu des Verfassers topo- graphisch-anatomischem Atlas. 10 Tafeln. Mit 1 Holzschnitt im Text. (4 8.) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. M. 45. — Auch mit englischem Text unter dem Titel: — . The position of the uterus and foetus at the end of pregnaney. Illustrated by sections through frozen bodies. Drawn after nature and lithographed by C. Schmmper. Coloured by F. A. HauprTvogeEL. Supplement to the authors topograph.-anatom. Atlas. 10 plates. With 1 woodeut in the text. (4 8.) Imp.-Fol. 1872. in Mappe. AR M. 45. — Der männliche und weibliche Körper im Sagittal- schnitte. Separat-Abdruck aus des Verfassers topograph.-anatom. Atlas. 2 schwarze Tafeln in Lithographie Mit 10 Holzschnitten im Text. (32 8.) 1872. Imp.-Fol. (Text m gr. 8.) in Mappe. M. 10. — - Das Venensystem des menschlichen Körpers. - ‚ Erste und zweite Abtheilung. Imp.-4. 1873. cart. M. 20. — Einzeln: I. Abtheilung. Die Oberschenkelvene in anatomischer und klinischer Beziehung. Zweite Ausgabe. \6 Tafeln in Farbendruck. (288.) M. 10. — II. Abtheilung. Die Venen der menschlichen Hand. Bearbeitet‘ von Wilhelm Braune und Dr. Armin Trübiger. 4 Tafeln in photographischem Lichtdruck (20 8.) M. 10. — \ Zu beziehen durch alle Buchhandlungen des In- und Auslandes. AN N Am Pk U T LATEIN 4 INNAR EA, ‚“ Ka ee x ! ı\ TIGEN {ı ar N k AN BAER yIR m 1 Acme Bookbinding Co., Inc. 300 Summer Street Boston, Mass. 02210 3 2044 093 332 815 3 er Nee EN N Sun ERS DIE ir Rh x a it er ANTROE 23 wohl R u Ki 4 R ya “ NT ERNUHTERERTRRRNN RR KEN N N a a ERÄAU. SAN bi; % NN SUN: 52 u hi zur ANAL aan EIRENY N Yr '% IR ch RN \ A Dr NN RN RN h RR i N REN % N u BR B x NA NEREKNONN RR